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Goethe-Info

Nr. 2, Februar 2020

Einigung mit der Rentenversicherung:


Ablasshandel auf Kosten der ehemaligen
Honorarlehrkräfte?
// Am 16. Januar 2020 verkündete der Vorstand des Goethe-Instituts in einer Rundmail, dass die
Betriebsprüfung durch die Deutsche Rentenversicherung (DRV) abgeschlossen sei. Entgegen der
ursprünglichen Annahme der DRV, dass nahezu alle Honorarlehrkräfte „scheinselbständig“ gewesen
seien, kommt sie nun zum gegenteiligen Ergebnis. Kurz darauf flatterten den ehemaligen
Honorarlehrkräften entsprechende Mitteilungen der Rentenversicherung ins Haus. Darin der
Hinweis, dass die betroffenen Kolleg*innen, sofern eine Rentenversicherungspflicht als selbständige
Lehrkraft in Betracht käme, „vom zuständigen Rentenversicherungsträger weitere Informationen“
erhalten würden. //

Fragwürdiges Prüfergebnis sen. Die Angaben, die die Honorarlehrkräfte


(HLK) in den 2016 verschickten Fragebögen ge-
Das Schreiben des GI-Vorstands erweckt den macht haben und die bei wahrheitstreuer Be-
Eindruck, dass die Rentenversicherung der antwortung starke Indizien für eine Arbeitneh-
Rechtsauffassung des Goethe-Instituts vollum- mereigenschaften geliefert haben müssen, sind
fänglich gefolgt sei: „Mit dem Abschluss der Prü- offensichtlich nicht in das Prüfergebnis eingeflos-
fungen stellt die DRV Bayern Süd fest, dass es sen. Seinerzeit hatte die DRV u.a. gefragt:
sich bei den Tätigkeiten der Honorarlehrkräfte für  Können/Konnten Sie Ihren Arbeitsort frei
Deutsch als Fremdsprache an den Goethe- wählen?
Instituten in Deutschland um selbstständige Ar-  Werden/Wurden Ihnen Weisungen hinsicht-
beit gehandelt hat. Damit entspricht die DRV lich der Ausführung Ihrer Arbeit erteilt?
Bayern Süd erfreulicherweise der Rechtsauffas-  Führen Sie die gleichen Arbeiten aus wie fest
sung des Goethe-Instituts.“ angestellte Mitarbeiter des oben bezeichne-
ten Auftraggebers?
Nach Informationen der GEW hat das Goethe-  Haben/Hatten Sie mehrere Auftraggeber?
Institut entgegen des hier erweckten Eindrucks  Können/Konnten Sie Ihre Preise selbst gestal-
aber sehr wohl eine pauschale Nachzahlung an ten?
die DRV leisten müssen. Dies hat zur Folge, dass
keine Einzelfallprüfung vorgenommen wird. Die Wie das Goethe-Institut im Januar 2017 mitteil-
betroffenen Lehrkräfte hatten deshalb keine te, hatte die DRV Bayern Süd auf Grundlage der
Chance, das Ergebnis der Prüfung zu beeinflus- beantworteten Fragebögen zunächst – und fol-

Impressum:
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, V.i.S.d.P.: Daniel Merbitz, Reifenberger Str. 21, 60489 Frankfurt
gerichtig – den Status der Honorarlehrkräfte als standards, u.a. durch Hospitationen kontrol-
Selbständige in Zweifel gezogen. Tatsächlich war liert.
die DRV zu dem vorläufigen Ergebnis gelangt,  „es mussten keine Nebenpflichten übernom-
dass die Honorarlehrkräfte „scheinselbständig“, men werden“
d.h. in sozialversicherungsrechtlicher Sicht als Die Honorarlehrkräfte führten regelmäßig
Arbeitnehmer*innen beschäftigt waren. Es droh- Prüfungen durch. Sie waren verpflichtet, An-
ten dem Goethe-Institut hohe Nachzahlungen wesenheitslisten zu führen, Leistungsbeurtei-
wegen der nicht gezahlten Arbeitgeberbeiträge lungen und Dokumentationen der Kursinhalte
zur Rentenversicherung. abzugeben. Bis zu Beginn der Überprüfungen
durch die DRV haben sie wie selbstverständ-
Um das zu verhindern hat das Goethe-Institut lich an Fachkonferenzen teilgenommen.
mit der DRV Bayern Süd verhandelt. Diese Ver-  „höhere Vergütung als vergleichbare Arbeit-
handlungen haben sich fast drei Jahre hingezo- nehmer“
gen. Am Ende steht ein Ergebnis, das die ur- Wie kommt die DRV zu dieser abenteuerli-
sprüngliche Beurteilung durch die DRV geradezu chen Behauptung? Nach Berechnungen der
auf den Kopf stellt. GEW verdiente eine Honorarlehrkraft beim
Goethe-Institut netto und nach Abzug der
Tatsachenverdrehungen und Realitätsverleug- Renten- und Krankenversicherungsbeiträge
nungen durch die DRV etwa halb so viel wie eine Vertragslehrkraft
mit gleichem Stundenumfang.
In dem Schreiben der DRV an die betroffenen
ehemaligen Honorarlehrkräfte heißt es: „die im In dem Schreiben wird kein einziges Indiz ge-
Rahmen der Betriebsprüfung eingeleitete sozial- nannt, das für einen Arbeitnehmerstatus spre-
versicherungsrechtliche Beurteilung bestätigte, chen würde. Die meisten Punkte aus dem Frage-
dass Sie als Dozent/-in im Fach Deutsch beim bogen tauchen darin gar nicht mehr auf. Das gilt
Goethe Institut e.V. eine selbständige Tätigkeit auch für die Kriterien, die die DRV Bund dem
ausgeübt haben. Folgende Punkte waren für die Goethe-Institut in einem Gutachten als Hinweise
Beurteilung ausschlaggebend:“ Die dann folgen- auf eine selbständige Tätigkeit genannt hatte:
de Auflistung ist eine Ansammlung von Tatsa- „Sofern Dauerbeauftragungen erfolgen oder
chenverdrehungen und Realitätsverleugnungen. durch nahtlose Aneinanderreihung einzelner Ho-
Ein paar Beispiele mit kurzen Kommentierungen norarverträge tatsächlich kein wesentlicher Un-
durch die GEW: terschied zu festangestellten, dauerbeschäftigten
 „Art und Inhalt der Ausführung der Dozenten- Lehrkräften besteht, oder Honorarverträge aus-
tätigkeit unterliegen nicht den Weisungen des schließlich und in erheblichem Umfang mit dem
Auftraggebers“ Goethe-Institut e.V. als einzigem Auftraggeber
Diese Einschätzung kann jedenfalls nicht auf geschlossen werden, dürfte dies im Einzelfall ge-
der Auswertung der beantworteten Fragebö- gen das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit
gen basieren. Bekanntlich waren die HLK hin- sprechen. (...) Für eine tatsächliche Eingliederung
sichtlich Zeit, Ort und Inhalt ihrer Tätigkeit in eine fremde Betriebsorganisation spricht
weisungsgebunden. grundsätzlich auch die Möglichkeit, eine vom
 „die pädagogische Konzeption der vereinbar- Auftraggeber kostenlos zur Verfügung gestellte
ten Leistungen unterliegt nicht den Weisungen Infrastruktur (Arbeitsplätze, Mediathek, persönli-
des Auftraggebers“ che Postfächer) – wie festangestellte Lehrkräfte –
In der GEW vorliegenden Honorarverträgen nutzen zu können.“ Das Gutachten listet ferner
wurden die HLK verpflichtet, „den Kurs an den Punkte auf, die für eine abhängige Beschäftigung
methodischen und didaktischen Zielen (ein- sprechen:
schließlich Curriculum) auszurichten, die vom
Auftraggeber festgelegt und vorgegeben  „Ort und Zeitraum der Leistungserbringung
sind.“ Sie mussten sich außerdem mit Ver- sind vorgegeben,
tragsabschluss dazu bereit erklären, dass der  es besteht die Verpflichtung, ein Klassenbuch
Auftraggeber die Einhaltung der Qualitäts- unter Nutzung einer Lernplattform und Anwe-
senheitslisten zu führen sowie Aussagen zum der Rentenversicherung darf das Goethe-Institut
Lernerfolg der Kursteilnehmer zu machen, nun wieder behaupten: Es war alles in Ordnung.
 es sind Vorgaben bezogen auf die zu unter-
richtenden Inhalte und qualitative Vorgaben Soziale Verantwortung des Arbeitgebers gegen-
bezogen auf die Leistungserbringung einzuhal- über seinen Beschäftigten? Fehlanzeige!
ten,
 die in den Lehrräumen vor Ort übliche Ausstat- Es besteht politischer Handlungsbedarf, um
tung für Fremdsprachenunterricht kann kos- Honorarlehrkräfte wirksam zu schützen
tenfrei genutzt werden.“
Anlass für die neue Beurteilung durch die DRV
Diese Indizien sind im Rahmen einer Gesamtbe- dürfte ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG)
urteilung gegen die Indizien abzuwägen, die für aus dem Jahr 2018 sein (BSG 14.3.2018, B 12 R
eine selbständige Tätigkeit sprechen. Doch da- 3/17 R). Ein Gitarrenlehrer an einer kommunalen
von findet sich in der abschließenden Beurtei- Musikschule hatte von der DRV nach individuel-
lung der DRV Bayern Süd kein Wort. Man kann ler Prüfung den Bescheid erhalten, dass er versi-
sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Be- cherungspflichtig beschäftigt sei. Die gegen die-
wertung vom – mit dem Goethe-Institut zuvor sen Bescheid gerichtete Klage der Kommune
ausgehandelten – Ergebnis geleitet war. wurde in zwei Instanzen zurückgewiesen mit der
Begründung, dass der Gitarrenlehrer Weisungen
Ein Schlag ins Gesicht! durch die Musikschule unterlegen habe. Er sei
auf ein bestimmtes Lehrplanwerk verpflichtet
Doch damit nicht genug: Jetzt droht den ehema- gewesen und hätte nicht frei bestimmen können,
ligen Honorarlehrkräften eine individuelle Über- wann und wo er seinen Unterricht durchführt.
prüfung, ob sie ihrer Rentenversicherungspflicht Auch darüber hinaus sei er in die betriebliche
als selbständige Lehrkräfte nachgekommen sind. Organisation der Musikschule eingegliedert ge-
In seinem Schreiben wies der Goethe-Vorstand wesen. Das BSG kommt in dritter Instanz hinge-
die ehemaligen HLK bereits darauf hin, dass es in gen „im Rahmen der Gesamtwürdigung aller
der Folge passieren könne, “dass die Deutsche Umstände“ zu dem überraschenden Ergebnis,
Rentenversicherung in den nächsten Monaten dass der Musikschullehrer nicht sozialversiche-
Bescheide zur Nachzahlung an jene Honorarlehr- rungspflichtig beschäftigt, sondern selbstständig
kräfte versendet, die ihre Rentenversicherungs- tätig war.
beiträge als selbstständig tätige Lehrkräfte im
betroffenen Zeitraum nicht/oder nur bedingt ge- Das BSG bezieht sich dabei auf eine von den Ar-
zahlt haben. Als selbstständige Lehrkräfte waren beitsgerichten entwickelte Rechtsprechung, die
sie zur Beitragsabführung in die Deutsche Ren- Honorarlehrkräfte im Weiterbildungsbereich
tenversicherung verpflichtet. Darauf haben wir nahezu durchgängig als Selbständige ansieht,
bei Vertragsabschluss stets hingewiesen. Uns ist auch wenn diese wirtschaftlich abhängig, in die
bewusst, dass aus dieser Entwicklung leider Betriebsabläufe eingegliedert und dadurch prak-
nachträgliche finanzielle Belastungen der dama- tisch weisungsgebunden sind. Durch das Urteil
ligen Honorarlehrkräfte erwachsen können.“ des BSG werden die Sozialgerichte und letztlich
auch die DRV auf die von den Arbeitsgerichten
Für die Betroffenen liest sich das wie ein Schlag vorgegebene Linie festgelegt. Denn der Gesetz-
ins Gesicht: Ätsch, wir haben alles richtig ge- geber hat es bisher versäumt, eine klare Rege-
macht. Wir haben der Rentenversicherung nicht lung zu schaffen, die prekäre Beschäftigung in
rechtswidrig Beiträge vorenthalten. Wir durften Form unfreiwilliger Scheinselbständigkeit wirk-
euch prekär beschäftigen. Ihr hingegen steht sam verhindert.
jetzt unter Verdacht, eure Rentenbeiträge nicht
ordentlich gezahlt zu haben. Der Vorgang macht noch einmal deutlich, dass
dringend Handlungsbedarf besteht. Die Arbeit-
Es entsteht der Eindruck eines Ablasshandels auf geber dürfen sich nicht weiter aus der sozialen
Kosten der Honorarlehrkräfte. Mit dem Segen Verantwortung stehlen können.
Was können betroffene ehemalige Honorar- Ehemalige HLK, die ihrer Rentenversicherungs-
lehrkräfte jetzt tun? pflicht nicht nachgekommen sind, oder die unsi-
cher sind, ob sie sich wirksam haben befreien
Das Ergebnis der Betriebsprüfung kann nur durch lassen, sollten nun zunächst abwarten, ob die
den Arbeitgeber angefochten werden, dem die DRV von ihnen tatsächlich Beiträge nachfordert,
Betriebsprüfung galt. Das Goethe-Institut wird nachdem sie dem Arbeitgeber die Absolution
davon bei diesem Ausgang selbstverständlich erteilt hat.
keinen Gebrauch machen. Insofern wird das
fragwürdige Ergebnis der Überprüfung rechtlich GEW-Mitglieder sollten sich immer rechtzeitig
Bestand haben. von ihrer Gewerkschaft beraten lassen und ge-
gebenenfalls gewerkschaftlichen Rechtsschutz
Honorarlehrkräfte, die seinerzeit ihre Rentenver- beantragen.
sicherungsbeiträge gezahlt haben oder die sich
nach § 231 SGB VI von der Versicherungspflicht Als Gewerkschaft setzen wir uns für jedes einzel-
haben befreien lassen, haben nichts zu befürch- ne Mitglied ein. Was uns stark macht, sind aber
ten. Für sie ändert sich nichts. Denn selbst wenn vor allem Solidarität und gemeinsames Handeln.
die Betriebsprüfung anders ausgegangen wäre Wir werden nicht müde, den sozialpolitischen
und sozialversicherungsrechtlich Arbeitnehmer- Skandal prekärer Beschäftigung im Weiterbil-
status festgestellt worden wäre, hätten die Be- dungsbereich anzuprangern. Wir kämpfen ge-
troffenen davon nicht profitiert. Sie hätten we- meinsam für höhere Honorare und sozialversi-
der zu viel gezahlte Versicherungsbeiträge er- cherungspflichtige Beschäftigung, für tariflichen
stattet noch für die nachgezahlten Arbeitgeber- Schutz und eine wirksame Interessenvertretung.
beiträge Rentenpunkte gutgeschrieben bekom-
men. Sie hätten allenfalls versuchen können, sich Alle, die sich über das fragwürdige Prüfergebnis
ausgehend von der sozialrechtlichen Beurteilung der Rentenversicherung ärgern, alle die gerne für
in ein Arbeitsverhältnis einzuklagen. Mit gerin- das Goethe-Institut arbeiten, aber faire Arbeits-
gen Aussichten auf Erfolg, da die Arbeitsgerichte bedingungen wollen, sind eingeladen, sich anzu-
in vergleichbaren Fällen nahezu durchgängig schließen und diese Ziele mit ihrem Engagement
Selbständigkeit attestieren. zu unterstützen.

Die GEW ist die Interessenvertretung aller Beschäftigten beim Goethe-Institut!


Die GEW macht sich stark gegen prekäre Beschäftigung!
GEW-Mitglieder erhalten Rechtsberatung und nötigenfalls Rechtsschutz in
arbeits- sozialrechtlichen Fragen!
Daher jetzt Mitglied werden und Mitglieder werben!

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