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Thema 5: Prosa in Afrika


Anna GOTTSCHLIGG-OGIDAN WS 2011

Prosa in Afrika1

Prosaliteratur in Französisch2
Am Ende des 18. Jahrhunderts finden sich erste Übersetzungen von Fabeln aus
der Oratur. Abbé Henri Grégoire (1750-1831) veröffentlichte im Jahr 1808 "De
la littérature des nègres". Er brachte mit diesem Werk dem frankophonen
Publikum Namen wie Olaudah Equiano und Phillis Wheatley nahe, deren
Schaffen streng nach dem Vorbild ihrer neuen "Heimat", die in Europa oder
Amerika lag, konzipiert war. Es ist umstritten, sie als "afrikanische AutorInnen"
im wahrsten Sinn des Wortes zu bezeichnen. Die ersten Romanautoren Afrikas,
die in Französisch schrieben und auch auf dem Kontinent lebten, folgten dem
Vorbild der französischen Kolonialromane; beide wurden als "littérature
africaine" bezeichnet. In Werken wie Roland Lebels "Histoire de la littérature
coloniale en France" (1931) zeigte sich das koloniale französische Interesse an
ethnographischer Information, die sowohl französische wie afrikanische
Kolonialromane zu befriedigen suchten.

Im Paris der 1920er Jahre war Afrika immer wieder in den Blickpunkt des
Interesses gerückt. Sei es durch Stars wie Josephine Baker, die mit einem
Bananenröckchen bekleidet, in Klubs auftrat oder durch Künstler wie Picasso,
Matisse usw. die sich von der afrikanischen Kunst inspirieren ließen. Auch das
große Engagement von W.E.B. Du Bois zur Verwirklichung seiner Pan-
Afrikanischen Visionen, zeigte Wirkung. 1900 hatte er zusammen mit Sylvester
Williams in London eine erste Konferenz organisiert. 1903 hatte Du Bois „The
Souls of Black Folk“ veröffentlicht, in dem er das afrikanische Erbe feierte und
das Bild der Schwarzen in den Augen der Europäer zurechtzurücken versuchte.
1919 findet eine Konferenz in Paris statt, die als 1. Pan-Afrikanischer-Kongress
bezeichnet wird. 1921 folgte London, dann Brüssel, Rom und wieder Paris.

Albert S. Gérard (1986. European-Languge Writing in Sub-Saharan Africa.


S.145) gibt den französischen Verlegern die Schuld dafür, dass sich der Roman
damals nicht durchsetzen konnte.

1
Siehe: Bibliografie Thema 5: Prosa;
2
vgl. u.a. S. Woodward 1993. French-Language Fiction. In: O. Owomoyela (ed). A History
of Twentieth-Century African Literatures. S. 173-197. (S.7.0.52.);
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In den 1920er Jahren gab es einige Versuche, die aber keine wirkliche
Breitenwirkung erzielen konnten. Ahmadou Mapaté Diagne publizierte 1920
"Les trois volontés de Malic"; René Maran, der von L.S. Senghor als Vater des
afrikanischen Romans bezeichnet wird, veröffentlichte 1921 "Batouala";
Massyla Diop 1925 "Le réprouvé", Bakary Diallo 1926 "Force-bonté" und
Félix Couchoro 1929 "L'esclave".

In den 1930er Jahren folgten Romanautoren wie Paul Hazoumé (1938


"Doguicimi") und Ousmane Socé Diop (1935 "Karim", 1938 "Mirages de
Paris");

In den 1940er Jahren trat der Senegalese Abdoulaye Sadji mit den Romanen
"Maïmouna" und "Nini, mulatresse du Sénégal" an die Öffentlichkeit.

Beginn des Antikolonialismus im Roman


Die Romanautoren begannen allmählich ihre Wurzeln der Identität in Afrika zu
suchen, es dauerte jedoch viel länger, bis sie ihre Haltung Frankreich gegenüber
änderten.

Albert Memmis "Der Kolonisator und der Kolonisierte" (1980)3 und Frantz
Fanons "Schwarze Haut, Weiße Masken" (frz. Orig. 1952) analysierten die
Mentalität des Kolonialvolkes, die sich in den frühen Romanen widerspiegelt.
Aber bereits in den ersten Werken existierte Protest- wenn auch häufig in
versteckter Form. So preist zum Beispiel Bakary Diallo in "Force-bonté" (1926)
die Franzosen, als sie besondere Brutalität zeigen - Preisung kann hier als
indirekte Ablehnung gesehen werden, weniger als Spiegel der Realität. 4
Radikalere Literatur schufen erst Ousmane Socé Diop und Abdoulaye Sadji -
beide Politiker, beide mit der Zeitschrift "Bingo" (von Ousmane Socé Diop
gegründet) beschäftigt, die später wichtiger Bestandteil der Négritude wurde.
Die frühen Romanautoren hatten jedoch einen nicht zu unterschätzenden

3
vgl. A Memmi 1980. Der Kolonisator und der Kolonisierte: 2 Porträts. Mit e. Vorwort v.
Jean-Paul Sartre. /Aus d. Frz. „Portrait du Colonisé précédé du Portrait du Colonisateur“.
(1966 1.1.Pauvert) Frz. Orig. 1957./ Frankfurt/Main: Syndikat.
4
vgl. J Riesz 1985. The First African Novels in French: A Problem of Authenticity. In: E
Breitinger/ R Sander (eds). Toward African Authenticity: Language and Literary Form. S.5-
30.
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Einfluss auf spätere Schriftsteller (so z.B. Ahmadou Diagne auf Camara Laye;
Félix Couchoro auf Mohammadou Kane etc.). Die meisten Romane erschienen
in Paris, nur Socé Diop und Sadji publizierten in Dakar, Couchoro in Togo.

Die Art der kolonialen Präsenz war wichtig für die Entwicklung der frühen
afrikanischen Literatur. Burkina Faso und Niger waren für die Franzosen
weniger interessant, daher setzte auch die literarische Entwicklung später ein.
Französisch Äquatorial Afrika (AEF) trug ebenfalls nichts zu den frühen
Romanen bei; ebenso Kamerun, das bis zum Ende des I. Weltkrieges deutsche
Kolonie gewesen war.

In den 1950er Jahren etablierte sich der so genannte "antikolonialistische


Roman", dessen wichtigste Vertreter wurden Mongo Beti und Ferdinand
Oyono, beide aus Kamerun. Madagaskar brachte viele Poeten hervor, aber
wenig auf dem Gebiet der Prosa. Der Belgische Kongo (heute DR Kongo) war
ebenfalls kein Ort für Romanschriftsteller, aufgrund der Bildungspolitik der
Belgier bzw. dem Fehlen derselben. Bildung war in den Händen der Missionare,
der christliche Einfluss ist bis heute zu merken - Theologie und Philosophie sind
wichtige Themen geblieben. Erst im Jahr 1954 wurde die Université Lovanium
gegründet worden, 1960 gab es gerade sechs Graduierte.5

Der antikolonialistische Roman


Der Begriff des Antikolonialismus lässt sich als ein Auflehnen, als Opposition
gegen die Kolonialherrschaft zusammenfassen. Das Entstehen des
Antikolonialismus ging mit dem beginnenden Nationalismus einher. Der
Ursprung dieser antikolonialist.-nationalist. Bewegung in Afrika lässt sich auf
die europäische Schulbildung einer kleinen afrikanischen Minderheit- der so
genannten Bildungselite zurückführen. Ischinger nimmt eine zeitliche
Eingrenzung vor, wenn sie schreibt: „Versteht man den antikolonialistischen
Roman als Waffe im Kampf gegen den Kolonialismus, so rechtfertigt es sich,
nach dem Unabhängigkeitsjahr entstandene ‚freie’ Romane nicht zu

5
vgl. R Pageard 1966. Littérature négro-africaine. Le mouvement littéraire contemporain
dans l’Afrique noire d’expression francais. 2. Aufl. S.29.
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berücksichtigen“ 6 . Man kann von einer epochalen Literaturerscheinung der


1950er Jahre sprechen. Ansatzpunkt für eine Reihe von Kritikern ist der 1954
publizierte Roman von Camara Laye "Le regard du roi". Werke Kameruner
Autoren folgten, so Mongo Beti "Le pauvre christ de Bomba" und Ferdinand
Oyono "Une vie de Boy", die beide neben der Kolonialmacht Frankreich auch
die christlichen Missionen kritisierten. Jean Malonga attackiert in seinem
Roman "Cœur d'Aryenne" die französischen Handelsgesellschaften, welche die
Afrikaner ausbeuteten und die katholische Kirche, welche die
Handelsgesellschaften unterstützte. Trotz der beißenden Kritik am französischen
Kolonialismus propagierte Malonga die Verbindung der beiden Rassen-
symbolisiert durch das Kind, das der gemischtrassischen Beziehung der beiden
Hauptfiguren entspringt.

Im Norden Afrikas finden wir in Algerien ebenfalls bereits in den 1950er Jahren
zahlreiche Romanautoren, die in Französisch schreiben: Mouloud Feraoun,
Malek Haddad, Mohammed Dib, Kateb Yacine, Mouloud Mammeri. Sie
werden heute als Klassiker der algerischen Literatur bezeichnet.

Prosaliteratur in Englisch

In den späteren britischen Kolonien Nigeria, Goldküste7, Kenia, Rhodesien8,


Südafrika war im 19. Jahrhundert die „linguistische Erforschung“ der
afrikanischen Sprachen von größter Wichtigkeit; vorerst in ihrer praktischen
Bedeutung zur Verbreitung des Christentums, später einfach aus Interesse an
den Sprachen selbst.
Ein Ergebnis der Auseinandersetzung mit den Sprachen war die Erkenntnis,
dass die afrikanischen Kulturen großen Reichtum besaßen. Eine wichtige
Folgerung, die eine Reihe „europäisch“ geschulter Afrikaner zu jener Zeit
zogen, war, dem afrikanischen literarischen Schaffen mehr Beachtung zu

6
in: A B Ischinger 1975. Der antikolonialistische Roman im frankophonen Schwarzafrika.
Frankfurt/Main: P Lang. S. 36.
7
nach Erreichen der politischen Unabhängigkeit im Jahr 1957 Ghana
8
nach Erlangen der politischen Unabhängigkeit unter den Namen Zambia (ehemalig Nord-
Rhodesien) und Zimbabwe (ehemalig Süd-Rhodesien) bekannt
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schenken. Dies trug in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts viel zum
Entstehen eines vorerst „afrikanischen“ Nationalbewusstseins bei.

Männer wie Edward Blyden, Africanus Horton und Bischof James Johnson
setzten sich mit der Vergangenheit des Kontinents auseinander und erlangten so
auch klarere Vorstellungen für dessen Zukunft. Sie schrieben zwar zum Großteil
immer noch Werke, mit denen sie vor allem die Anerkennung durch Europäer
erreichen wollten, aber sie legten auch das Fundament für die moderne
afrikanische Literatur in europäischen Sprachen. Joseph Ephraim Casely-
Hayford „Ethiopia Unbound. Studies in Race Emancipation.“ (1911) ist ein
verbindendes Werk zwischen dem ersten Verfassen von politischen Schriften
und der modernen Literatur in Englisch- einerseits Propaganda, andererseits
Vorläufer des Kulturkonflikt- Romans.

In den 1920er Jahren verstärkte sich das Interesse an der Sammlung von Oratur
und am Studium afrikanischer Gesellschaften zusehends. Der Weg für erste,
stark anthropologisch orientierte Prosawerke, die man im weitesten Sinn als
Romane bezeichnen könnte, wurde geebnet. R.S. Rattray, der für seine
Arbeiten über Ashanti bekannt war, schrieb „The Leopard Priestess“ (1934),
das auf der Kenntnis der Ashanti- Gesellschaft und deren Oraltradition basiert.
Wobei anzumerken ist, dass der Autor aus Großbritannien stammte und von den
meisten Kritikern nicht der afrikanischen Literatur zugerechnet wird.

Im Jahr 1943 erschien einer der ersten Romane in Englisch, von einem
Afrikaner verfasst- nämlich „Eighteenpence“ von R.E. Obeng, einem Autor der
Goldküste, 1946 folgte „Mine Boy“, des Südafrikaners Peter Abrahams.
Letzterer war nach der illegalen Publikation seiner frühen Gedichte nach
Großbritannien emigriert und sein Roman war eine zornige Anklage der
entwürdigenden Lebensbedingungen schwarzer Industriearbeiter in seiner
Heimat. Die Nigerianer Amos Tutuola mit „The Palm-Wine Drinkard“ (1952)
und Cyprian Ekwensi mit „People of the City“ (1954) lieferten mit ihren
Romanen wegen der ungewöhnlichen Sprache und Syntax viel Stoff für
Diskussionen und gelangten dadurch zu einer gewissen Berühmtheit. Tutuola
ließ sich von der Oralliteratur inspirieren, Ekwensi schrieb einen der ersten
Großstadt-Romane.
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Die Stellung des Englischen als Literatursprache scheint bisher nur im Westen
und Süden etabliert, im Osten Afrikas ist sie nicht gesichert, da Sprachen wie
Suaheli, Somali und Amharisch weit größere Bedeutung besitzen. Die
englischsprachigen Romane West- und Ostafrikas, im Unterschied zu den
Romanen in Französisch, behandeln vor allem Zwiespalt und Diskrepanzen
zwischen überlieferter afrikanischer und neu übernommener westlicher
Lebensweise. Antikolonialistische Romane spielen in den britischen Kolonien
keine große Rolle, obwohl ihre Anfänge in der Zeit der
Unabhängigkeitsbewegungen der jeweiligen Länder liegen. Der Süden kann
zwar auf eine längere Literaturtradition zurückblicken, aber bis herauf in die
1990er Jahre, bedingt durch die politischen Situation, waren die Romane auf die
Themen Verfolgung und Protest im bzw. gegen den Apartheidstaat, fixiert.

Der eigentliche Beginn der englischsprachigen afrikanischen Romanliteratur,


die sofort zu einer erstaunlichen Blüte gelangte, ist mit der politischen
Unabhängigkeit vieler afrikanischer Staaten von der britischen Kolonialmacht
um das Jahr 1960 anzusetzen. Schäfer 9 (1979:108) schreibt, dass dieses
Zusammentreffen symptomatisch sei, vor allem auch deshalb, weil in der
frankophonen Literatur der damaligen französischen Kolonien, die ungefähr zur
selben Zeit ihre politische Unabhängigkeit erhielten, eher eine umgekehrte
Entwicklung zu beobachten ist. Hier zeigt sich ein wesentlicher Unterschied
sowohl der politischen Bedingtheit als auch der dominierenden Thematik
zwischen der anglophonen und frankophonen Afrikanischen Literatur. Letztere
hat über Jahrzehnte ihren Inspiration für literarische Werke aus der Ablehnung
materieller und geistiger Abhängigkeit von den Franzosen, bezogen. Diese
Protesthaltung gegen die Kolonialmacht wurde durch die veränderte politische
Situation ihres Ansatzes beraubt und führte vorübergehend zur verminderten
Produktion von Romanen.

9
siehe: Schäfer Jürgen 1979. Englischsprachige Literaturen Schwarzafrikas.; zum Bereich
„englischsprachige Literaturen außerhalb Englands“ gibt es inzwischen auch in deutscher
Sprache zahlreiche Werke, die auch Texte aus Afrika enthalten; u.a. Heinz Kosok/ Horst
Prießnitz (eds) 1977. Literaturen in englischer Sprache. Ein Überblick über
englischsprachige Nationalliteraturen außerhalb Englands. WVT.
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Im deutlichen Kontrast dazu hat sich die englischsprachige Literatur von


Anfang an entschlossen der nachkolonialen Gegenwart zugewandt. Den raschen
Aufstieg der anglophonen erzählenden Prosa seit den späten 1950er Jahren muss
man vor dem Hintergrund einer bodenständigen Trivialliteratur in englischer
Sprache sehen. In Nigeria wurde diese unter dem Namen Onitsha Market
Literature10 bekannt. Diese Erscheinung der Nachkriegszeit, in der Nigerianer
eine eigene Buch- und Broschürenproduktion betrieben, ist auf mehrere
Faktoren zurückzuführen:
- die Bevölkerungszahlen stiegen rasch an;
- durch den Ausbau des Schulwesens stieg die Zahl der Lesekundigen;
- durch die Rückkehr von technisch ausgebildeten Soldaten wurde die
Errichtung von Kleindruckereien ermöglicht;
- Die zurückgekehrten Soldaten waren finanziell abgefunden worden;
- Die Soldaten hatten in Asien dort im Umlauf befindliche Werke indischer
Trivialliteratur kennen gelernt, die zum Vorbild genommen wurde;
sowohl was ihre Gestaltung als auch ihren Umfang betraf;

Neben Anleitungen zum Verfassen von Büchern und politischen Pamphleten


war ein Großteil der Druckwerke didaktischer Natur. Das heißt, sozialer
Aufstieg in der neuen Großstadtgesellschaft und Lebensklugheit sind die
eigentlichen Themen dieser Prosaliteratur, die bald auch in Ghana, Rhodesien
und Kenia zu finden war.
Der Norden Afrikas hatte bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen
herausragenden Romancier- Naguib Machfus (1911-2006), den ägyptischen
Nobelpreisträger für Literatur des Jahres 1988. Machfus hatte schon in den
1930er Jahren begonnen, Romane in arabischer Sprache zu veröffentlichen und
wurde von einer breiten Bevölkerungsschicht als Autor anerkannt, der die
Probleme der „kleinen Leute“ zum Ausgangspunkt seiner Werke machte.
Wenngleich ihm Anerkennung von Seite der konservativen Wissenschafter der
Al-Azar Universität bis zur Verleihung des Nobelpreises weit gehend verwehrt
wurde.

10
siehe u.a. E. N. Obiechina 1973. An African Popular Literature: A Study of Onitsha
Market Pamphlets. Cambridge; E. N. Obiechina (ed) 1972. Onitsha Market Literature. HEB;
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Postkoloniale afrikanische Literatur

Bis in die 1950er und 1960er Jahre finden wir zahlreiche autobiographische und
autobiographisch inspirierte Romane, ebenso solche mit ethnografischer und
soziologischer Schwerpunktsetzung. Der Aufbau der meisten Werke ist linear,
die Handlungsgestaltung häufig chronologisch. Erwähnenswert sind u.a Jomo
Kenyatta (1893-1978, Kenia) mit seinem 1938 erschienenen Facing Mount
Kenya- The Tribal Life of the Gikuyu; Camara Laye (1928-1980, Guinea) mit
L’Enfant noir (1953, dt. 1954. Einer aus Kurussa.), Amu Djoleto (*1929) mit
The Strange Man (1967) etc.

Mit der Erlangung der politischen Unabhängigkeit ist in den meisten Ländern
Afrikas- größere zeitliche Unterschiede finden sich unter anderem bei den
portugiesischen Kolonien, die erst Mitte der 1970er Jahre unabhängig wurden-
bei den Romanen eine starke Zunahme sowohl an Werken als auch an Themen
festzustellen.

In französischer Sprache wurden bis Mitte der 1960er Jahre wenig Romane
publiziert. B.B. Dadie (Côte d’Ivoire) wäre hier mit Un Nègre à Paris (1959) zu
erwähnen, in dem der Autor noch eine eher abwartende Haltung gegenüber den
neuen Herren des Kontinents einnimmt.

Ab 1965 zeigen die Romane Afrikas verstärkt Desillusionierung und


Ernüchterung der Autoren gegenüber den Regierungen der mittlerweile
unabhängigen Länder. Ahmadou Kourouma (Côte d’Ivoire) mit Les Soleils des
Indépendances (1968) und Yambo Ouologuem (Mali) mit Le devoir du
violence (1968) wären zu erwähnen, ebenso Ayi Kwei Armah (Ghana) mit The
Beautyful Ones Are Not Yet Born (1968) oder Rachid Boudjedra (Algerien) mit
La Repudiation (1969).

Um 1970 können wir eine Hinwendung der Romanautoren zu ihrem Publikum


in Afrika beobachten- dies zeigt sich unter anderem
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- in einer verstärkten Auseinandersetzung mit der Psyche der Protagonisten


und der Darstellung von deren inneren Konflikten, so bei Kofi Awoonor
(Ghana) im Roman This Earth, My Brother (1971);
- RomanautorInnen beginnen in dieser Zeit mit der Vermischung der
Gattungen; Ama Ata Aidoo (Ghana) arbeitet in ihrem Roman Our Sister
Killjoy (1977) Texte und Gedichte von Schriftstellerkollegen ein;
- weiters ist eine Abkehr vom linearen Erzählstil und eine stärkere
Einarbeitung mündlicher Erzähltraditionen zu beobachten- wie bei
Nuruddin Farah (Somalia) in Maps (1986);
- Die Figur des Erzählers tritt zurück;

Ein durchgehendes Thema in dieser Zeit ist die Beschäftigung der Romanciers
mit den Auswirkungen des Neokolonialismus, untrennbar mit der
Desillusionierung der afrikanischen Bevölkerung wie deren Autoren verbunden.

Sembène Ousmane (Senegal) mit Xala (1973) portraitiert die „neuen“ Politiker,
die Bougeoisie, die Situation der Mittelklasse und im Besonderen auch die Lage
der Frauen im Senegal.
Mongo Beti (Kamerun) stellt in Perpétue ou l’habitude du malheur (1974)
Tyrannei von Mutter und Ehemann gegenüber der Protagonistin, die nach
Selbstverwirklichung sucht und scheitert, ins Zentrum seines Romans.
Williams Sassine (Guinea) greift in Wiriyamu (1976) in Form eines
Kriegstagebuches Themen wie Befreiungskampf, Diktatur und Gewalt auf,
Themen die in den nächsten Dekaden weiter präsent sein werden.

Der Schauplatz Stadt wird aus einer neuen Perspektive gezeichnet- Stadtviertel
und deren Bewohner werden lebendig und eindringlich beschrieben, die Stadt
wird zur Metapher für das Land, so bei Dambudzo Marechera (Zimbabwe) u.a.
in seinem Kurzgeschichtenband The House of Hunger (1978). Die Situation der
Jugend und der Arbeiter in den Großstädten Afrikas und deren
Hoffnungslosigkeit wird zu einem wichtigen Anliegen der Autoren, so bei Meja
Mwangi (Kenia) in Kill Me Quick (1973) und Going Down River Road (1976).

In den 1980er Jahren wird das bereits abgeschlossen geglaubte Thema


Kolonialismus erneut von Schriftstellern wie Bernard B. Dadié, Jean M.
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Adiaffi, Tchicaya U Tam’si, Mongo Beti, Ngugi wa Thiong’o etc.


aufgegriffen. Einerseits wohl, um in einer erneuten Auseinandersetzung mit der
Vergangenheit für die Gegenwart zu lernen und der Leserschaft vor Augen zu
führen, dass Widerstand gegen Unterdrückung und Tyrannei auf lange Sicht
zum Erfolg führt, andererseits um der Verfolgung zu entgehen, indem der
Handlungszeitraum der Romane in die koloniale Vergangenheit zurück verlegt
wird.
Politiker und Regierungen werden angeklagt, wie schon in den vorhergehenden
Jahrzehnten. J.-M. Adiaffi (Côte d’Ivoire) mit dem Roman La carte d’identité
(1980), Sony Labou Tansi (VR Kongo) u.a. mit L’etat honteux (1981), Henri
Lopes (VR Kongo) mit Le pleurer-rire (1982) und Sembène Ousmane
(Senegal) mit Le dernier de l’empire (1981), wobei die Autoren Schauplatz und
Geschehen immer häufiger an fiktive Orte („Niemandsland“) verlegen.

Die Romanciers suchen neue Wege, um politischer Verfolgung zu entgehen


oder einfach, aus Freude am Experimentieren- Handlungen finden alternierend
zwischen Traum und Realität statt, so bei Nawal al Saadawi (*1931, Ägypten)
u.a. in den Romanen Hamidas Geschichte (1992)11 und Love in the Kingdom of
Oil (2001)12 Wirklichkeit und Magie verschmelzen mit- und ineinander, so in
Woman of the Aeroplanes (1988) von Kojo Laing (Ghana) oder Yvonne Vera
(Zimababwe) mit Nehanda (1993). Autoren wie Autorinnen begannen in den
1980er Jahre verstärkt mit dem Genre Roman zu experimentieren.
Intertextualität, Metatextualität, sprachliche, narrative und strukturelle
Experimente kennzeichnen die Romane der letzten Jahrzehnte, so u.a. Boris
Boubacar Diop (Senegal) mit Temps de Tamango (1981) oder Yvonne Vera
(Zimbabwe) mit ihren zahlreichen Romanen13.

Seit den 1990er Jahren gilt nicht mehr die Schaffung von Homogenität eines
Romantextes als höchstes Ziel, sondern Heterogenität in Stil und Inhalt, um der
Vielfalt der afrikanischen Realitäten gerecht zu werden. Durch das Einfügen
von Texten aus der Oralliteratur, durch selbstkritische Reflexionen, durch
Generationen umspannende Handlungen versuchen AutorInnen in ihren

11
Arab. Original 1978;
12
Arab. Original 1993;
13
u.a. Without a name. 1994; Butterfly burning. 1998;
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Romanen einer interessierten Leserschaft sowohl in Afrika als auch außerhalb


des Kontinents spannendes Lesematerial zu liefern.

Vor allem die jüngeren AutorInnen sehen sich nicht mehr nur als Sprecher der
unterdrückten Bevölkerung Afrikas und als deren Sprachrohr, sondern stellen
ihre Berufung als SchriftstellerInnen in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit, wobei
aber beinahe immer „im selben Atemzug“ betont wird, dass aufgrund der
politischen und wirtschaftlichen Lage der meisten Länder Afrikas es praktisch
unmöglich sei, sich politisch als Autor oder Autorin nicht zu engagieren. Zu
nennen sind hier u.a.

Fatou Diome (* 1968, Senegal) mit den Romanen Les Ventre de l’Atlantique
(2003)14 und Kétala (2006)15

„... ‚Ich habe Angst, ich habe Angst!’ rief das Kopfkissen. ‚Beruhige dich, ich
bin doch da’, antwortete die Matratze. Es donnert nur, das kennst du doch,
wenn der Fee im Himmel das Geschirr aus der Hand fällt ...“ (S.11)

Chimananda Ngozi Adichie (* 1977, Nigeria) mit ihren Romanen Purple


Hibiscus (2003),

„Things started to fall apart at home when my brother, Jaja, did not go to
communion and Papa flung his heavy missal across the room and broke the
figurines on the étagère. We had just returned from church. Mama placed the
fresh palm fronds, which were wet with holy water, on the dining table and then
went upstairs to change. Later, she would knot the palm fronds into sagging
cross shapes and hang them on the wall beside our gold-framed family photo.
They would stay there until next Ash Wednesday, when we would take the fronds
to church, to have them burned for ash. Papa, wearing a long, gray robe like the
rest of the oblates, helped distribute ash every year. His line moved the slowest
because he pressed hard on each forehead to make a perfect cross with his ash-
covered thumb and slowly, meaningfully enunciated every word of "dust and
unto dust you shall return."

14
deutsche Übersetzung Der Bauch des Ozeans, Zürich 2004;
15
deutsche Übersetzung Ketala, Zürich 2007; Ketala ist ein Begriff aus dem Serer, unter dem
man „Erbteilung“ versteht;
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Half of a Yellow Sun (2006), mit dem Biafrakrieg als zentralem Thema16 und
dem Kurzgeschichtenband The Thing Around Your Neck (2009) mit den nach
wie vor wichtigen Themen Familie und Exil.

Nicht zuletzt zu erwähnen ist die junge Kopano Matlwa (* 1985, Südafrika)
mit ihrem Debut-Roman „Coconut“ (2007)17

A new kind of woman, one who occupies a distinctive subject position, is


emerging in South African literature. This is the young black female growing up
between cultures, trying on different identities, and evaluating new forms of
affiliation. Kopano Matlwa, author of Coconut, is representative of a new
generation of women writers who focus on issues of young black femininity in
post-apartheid South Africa. Coconut features two black teenage female
protagonists in a newly emergent multiracial society, who find themselves in an
in-between space where they are either “too black to be white” or “too white to
be black”. Theirs is a world of ambiguity and conflict in which they experience
a tension between various ethnic African ideals and global western values of
whiteness, between life in the township and the cosmopolitan promises of the
city and between a traditional prioritizing of family and community and the
allure of selfinvention. In such a world, they struggle to resolve dilemmas of
identity involving language, cultural rituals and the aesthetics of beauty. This
paper will investigate the politics of representation in Coconut, focusing on the
ways in which the two young protagonists featured in the novel struggle, in
post-apartheid South Africa, to construct their identities out of contradictory
demands and conflicting desires.18

Eine Schlüsselstelle im Roman gibt Antwort auf die Frage nach dem
Lebenstraum der Protagonistin und zeigt gleichzeitig, wie groß der Fortschritt in
der kritischen Auseinandersetzung du Bewältigung mit den Traumata der

16
siehe u.a. die Zeitschrift Research in African Literatures Vol.39, Nr.2. Summer 2008, die
mit dem Schwerpunkt „Nigeria’s Third-Generation Novel: Preliminary Theoretical
Engagements“ einen Überblick über das Schaffen junger nigerianischer RomanautorInnen
liefert;
17
Mit ihrem Roman Coconut (2007. Jacana Media) ist sie die jüngste Gewinnerin des
„European Union Literary Award“ (2007); Im Jahr 2010 erhielt sie den „Wole Soyinka Prize
for African Literature“; siehe: http://bookslive.co.za/blog/2010/05/03/kopano-matlwa-wins-
the-wole-soyinka-prize-for-african-literature-jointly-with-wale-okediran/ (18.10.2011)
18
aus: Lynda Spencer 2009. Young, black and female in post-apartheid South Africa. in:
Scrutiny2 Vol 14-1; 66-78. Siehe:
http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/18125440903151678 - preview
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Apartheid- Ära inzwischen ist.


“And you, Fikile, what do you want to be when you grow up?”
“White, Teacher Zola. I want to be white.” (Matlwa 2007: 135)19
Der Traum „weiß zu sein“ ist für Kopano Matlwa und ihre Generation kein
Thema mehr.

Junge wie ältere afrikanische RomanautorInnen zeigen uns, dass in Afrika eine
strikte Trennung zwischen literarischer Auseinandersetzung mit relevanten
Themen und politischem Engagement oder zumindest Einbeziehung politischer
Themen, nur schwer möglich bzw. von den Autoren selbst gar nicht beabsichtigt
ist.
Zu sehen u.a. in Wale Okedirans (Nigeria) Roman Tenants of the House20 in
dem er über Erfahrungen als Mitglied des Repräsentantenhauses von 2004 bis
2007 literarisch aufarbeitet und die Schattenseiten der politischen Landschaft
Nigerias aufzeigt. Als ehemaligem Präsidenten der Association of Nigerian
Authors erhalten die Aussagen in Okedirans Roman zusätzliches Gewicht. Dies
brachte einer der Redner bei der Buchpräsentation zum Ausdruck: „The book is
a key to open the door for those of us outside to see what is in the house.“

Ebenfalls in den letzten Jahren immer größere Bedeutung im afrikanischen


Raum erlangen die so genannten „Graphic novels“.
Eine der ersten Autorinnen, Marguerite Abouet (* 1971) kommt aus der
Elfenbeinküste und hat mittlerweile fünf Folgen ihres Romans Aya de Yopugon
veröffentlicht21. Im Besonderen unter den jungendlichen LeserInnen erfolgreich,
eröffnet diese Romanform den AutorInnen viele neue Möglichkeiten (schnellere
Handlung, kurze Texte, Inhaltsvermittlung über Bilder, etc.) und damit eine
neue, vorher nicht an literarischen Texten interessierte Leserschaft zu
begeistern.

19
siehe:
http://www.informaworld.com/smpp/content~content=a915542110~db=all~jumptype=rss
20
erschienen 2009 bei Nelson Publishers; zur Buchpräsentation in Nigeria siehe:
http://allafrica.com/stories/201002080718.html (18.10.2011)
21
bei Gallimard erschien der erste Band im Jahr 2005 , der bislang letzte im Jahr 2009; die
Zeichnungen stammen von Clement Oubrerie; 2006 erfolgte die deutsche Übersetzung von
Band 1; zu African Graphic Novels siehe Infos zum gleichnamigen Artikel von Geoff
Ryman, unter: http://blogs.african-writing.com/blog/archives/132 (18.10.2011)

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