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Die höchsten Götter der arischen Völker

Author(s): R. Roth
Source: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft , 1852, Vol. 6, No. 1
(1852), pp. 67-77
Published by: Harrassowitz Verlag

Stable URL: https://www.jstor.org/stable/43364712

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67

Die höchsten Götter der arischen Völker.


Von

Prof. R. Rotli *).

Zu demjenigen , was icb heute Ihnen vorzutragen beabsich-


tige, führt mich ein natürlicher Fortschritt von den Geg-enstäuden
meiner Vorträge in unseren Versammlungen zu Darmstadt (1845)
und Basel (1847). In deren ersterem, über die indischen Hymnen*
Sammlungen, habe ich den Grund zu einer klaren Anschauung über
den Charakter und die Entstehung der heiligen Schriften Indiens
zu legen gesucht und habe damit nach einem festen Standpunkte
gestrebt, von welchem aus sich ein Schritt weiter vorwärts machen
liesse in die indische Urzeit und bis an die Gränze der gemein-
samen Vorzeit der indischen und iranischen Stämme. In den
Nachweisungen über die Sage von Feridun in Indien und Iran
sollte an einem aus der persischen Heldensage genommenen Bei-
spiele der Grad der Verwandtschaft in den Sagenbildungen beider
Volker und die Aufeinanderfolge ihrer Stufen gezeigt werden.
Heute endlich will ich versuchen hineinzugreifen in den Mittel-
punkt des religiösen Lebens dieser Volker und ihre Vorstellung
von dem höchsten göttlichen Wesen ans Licht zu ziehen, das
älteste geschichtlich zu erreichende Erzeugniss des gläubigen
Schauens und Denkens über das Geheimniss der Gottheit aus dem
Kreise der grossen Völkerfamilie, zu der wir uns zählen.
Die Forschung strebt in der Religionsgeschichte vielleicht
noch mehr als sonstwo zurück zu den Anfängen und muss diese
zu fassen suchen, um die folgenden Entwicklungen richtig zu
beurtheilen. Aber dasjenige was angebliche Speculation als die
Anfänge findet, oder was eine geistreich sich anstellende Sagen-
deutung ohne Unterscheidung von Zeit und Ort zusammenbildet,
das sind Gestalten ohne Leben. Die wirkliche Geschichte bietet
überall , wo sie uns redende Zeugnisse von dem Geistesleben
einer hohen Vorzeit erhalten hat, klare Umrisse, einfache und
edle Formen. Das höchste Alterthum kennt die Geheimnisse oder
die Geheimthuerei nicht, die man ihm anmuthet; sein Glaube ist

1) Vorgetragen d. 1. Ort. 185 1 bei der General-Versammlung der I).


M. Í*. zu Erlangen.
5 *

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(> 8 Roth, die höchsten Götter der arischen Völker.

kindlich und zutraulich, bis priesterliche Weisheit dessen Lenkung*


übernimmt und das Erhabene in die. Schauer des Geheimnisses, in
überwältigende Maasse und Zahlen kleidet.
Um so mehr haben wir das günstige Geschick zu preisen,
welches wenigstens bei einem unserer Brudervölker den Weg zu
den Ursprüngen , den wir suchen , vollständig offen gelassen hat.
Griechen, Römer, Germanen, Slaven haben allerdings inhalts-
reiche Denkmäler ihres religiösen Lebens hinterlassen, aber nur
das arische Volk im fernen Osten hat uns einen Schatz von
Zeugnissen aufbewahrt, an deren Hand wir hoffen dürfen den
Grundzügen des Glaubens nahe zu kommen, welcher einst allen
diesen Völkern eben so gemeinsam war, als die Formen der
Sprache. Unter diesem Gesichtspunkte gewinnt der Gegenstand
unserer Untersuchung eine Bedeutung für die Religionsgescltichte,
welche über das Morgenland weit hiiiausreicht.
Die indische Naturanschauung der ältesten, in den vedischen
Liedern vertretenen Periode hat das Eigentümliche, dass sie
scharf scheidet zwischen Luftraum und Himmel. Diese Trennung
ist eine uralte, wie die ganze Mythologie des Veda zeigt, und
es liegt ihr die Unterscheidung von Luft und Licht zu Grunde.
Das Licht hat seine Heimathsstätte nicht im Lufträume, sondern
jenseits desselben im unendlichen Himmelsraume ; es ist nicht ge-
bunden an den leuchtenden Sonnenkörper, sondern unabhängig
von ihm eine ewige Kraft. Zwischen dieser Lichtwelt und der
Erde liegt das Reich der Luft, in welchem Götter walten, um
den Weg des Lichtes zur Erde frei zu halten, seiner belebenden
Kraft Zugang zu verschaffen und zugleich das Rinnen der himm-
lischen Gewässer, die ebenfalls in der Lichtwelt ihre Heimath
haben, auf die Erde zu vermitteln.
Auf diese Anschauung gründet sich die Trennung der ge-
sammten Welt in drei Gebiete göttlicher Herrschaft: Himmel,
Luft, Erde, welche schon die älteste indische Theologie annimmt.
Giebt es nun unter den Göttern selbst Stufen der Würde, wie
sie von jeder Naturreligion anerkannt werden, so dürfen wir er-
warten, die obersten Götter im Reiche des Himmels zu finden.
Dort wohnen und herrschen die Genien , welche die gemein-
same Bezeichnung der Àditjas tragen. Man muss aber bei diesem
Namen die Vorstellungen aufgeben, welche die spätere indische
Zeit, schon die der Heldengedichte, damit verbindet. Darnach
wären sie zwölf an der Zahl , mit offenbarer Beziehung auf die
zwölf Monate, und Sonnengenien. Für die alte Zeit aber dürfen
wir uns vollständig an die erste Bedeutung ihres Namens halten;
sie sind die Unverletzlichen, Unvergänglichen , Ewigen. Die
Àditi d. h. die Ewigkeit, oder das Ewige, ist das Element, wel-
ches sie trägt und von ihnen getragen wird. Zu einer sicheren
Personification ist dieser Begriff, schon wegen der Art seines
Inhaltes, in den Veden nicht gebracht, wiewohl es an Anfängen

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dazu nicht fehlt, während die späteren Jahrhunderte unbedenklich


eine Göttin Aditi und als ihre Söhne die Aditjas annehmen, ohne
weiter ernstlich zu fragen , woher diese Göttin selbst komme.
Dieses Ewige und Unantastbare, in welchem die Aditjas
ruhen und das ihr Wesen ausmacht, ist das himmlische Licht .
Gleich dem strahleuden Aether der altgriechischen Naturphiloso-
phie, von welchem Aristoteles sagt, dass er von den Alten vor ihm
für etwas von Natur Göttliches angesehen worden sei, füllt dieses
Licht die himmlischen Räume und ist das Prinzip des Lebens,
das die Schöpfung trägt (I, 20, 3, 3). So ahnte der früheste
Glaube der arischen Völker, was die heutige Naturwissenschaft
immer deutlicher erkennt, in dem Lichte die Ursache aller Be-
wegung und alles endlichen Lebens.
Die Aditjas, die Götter dieses Lichtes, fallen darum keines-
wegs zusammen mit den Lichterscheinungen in der Welt, sie sind
weder Sonne noch Mond, noch Sterne, noch Morgenroth, son-
dern gleichsam im Hintergrunde aller dieser Erscheinungen die
ewigen Träger dieses Lichtlebens - und wie die menschliche
Einbildungskraft, wenn sie dem Geistigen ein Gleichniss im Sicht-
baren suchte, niemals etwas Feineres, Mächtigeres, Höheres zu
finden wusste, als das Licht, so sind sie diejenigen Götter,
welchen vor allen andern die Bezeichnung: die geistigen , asura,
zukommt.
Als solche sind sie allen Unvollkommenheiten der materiellen
Gebundenheit enthoben: man unterscheidet an ihnen, sagt einer
der alten Dichter (II, 3, 5, 11), nicht eine Rechte oder Linke,
nicht vorn noch hinten. Sie nicken nicht und schlafen nicht
(v. 9); durchdringen Alles, wie das allgegenwärtige Licht, sehen
hinein in Tücken und Gutes; Alles, selbst das Entfernteste ist
ihnen nah (v. 3). Sie verabscheuen und Straten die Schuld und
wachen allezeit über dem Dämonischen (v. 4). Denn die Sünde,
welcher die natürliche Anschauung des Dunkels entspricht, wider-
steht ihrem Wesen , das ganz Helle und Reinheit ist.
Man kann diese Züge nicht zusammenstellen ohne unmittel-
bar hinübergeführt zu werden auf die Avestalehre von den sieben
Amschaspands , den höchsten Geistern, welche an der Spitze jenes
Glaubens stehen , wie die Aditjas an der Spitze des altindischen.
Der Name jener Sieben , erkläre man ihn als: die unvergänglichen
Heiligen , oder - wenn man in dem Beiworte amescha dieselbe
Wurzel sucht, welche im Sanskrit misch lautet und das Zudrücken
der Augen bezeichnet - »die stets wachen Heiligen" sagt
entweder, im ersten Falle, dasselbe was Aditja, oder schreibt
ihnen, im zweiten Falle, die Eigenschaft zu, welche wir soeben
bei diesen fanden , nicht zu nicken noch zu schlafen , die uner-
schöpfliche Lebenskraft. Und Ahura-inazda selbst, der Erste unter
ihnen, welcher Wesen und Kraft Aller iu sich vereinigt, trägt
neben seinem Namen des Weisen, mazdd , noch die Bezeichnung

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ahura, der geistige, nicht in den Formen irdischer Gestalt zu


denkende, ganz wie die Aditjas.
Zu diesen Uebereinstimmungen gesellen sich so viele andere,
die weiterhin aufgezeigt werden sollen, dass weder an der Ana-
logie der Amschaspands mit den Aditjas, noch an einem ge-
schichtlichen Zusammenhange beider Vorstellungen gezweifelt
werden kann.
Innerhalb des Kreises der Aditjas besteht die innigste Ver-
bindung Varuna' s und Mitra's, deren gemeinsame Anrufungen be-
trächtlich zahlreicher sind als Einzelanrufungen Varuna's. Von
Mitra ist uns gar nur eine Einzelanrufung erhalten (III, 5, 6).
Dass sich diese duale Zusammenstellung selbst in den Zend-
biichern bei Ahura und Mithra erhalten bat, obwohl die Stellung
beider eine ganz andere geworden ist, und Mithra nicht einmal
zu den Amschaspands zählt, zeigt, wie fest die alte Vereinigung
beider war, um selbst noch als lnconsequenz stehen zu bleiben.
Eine Erinnerung daran können wir auch noch in den Worten
finden, welche am Anfang des Jescht Mithra dem Ormuzd in den
Mund gelegt sind: als ich den weitgebietenden Mithra erschuf,
da schuf ich ihn an Göttlichkeit und Würde ganz so wie ich
selbst bin, ich Ahura Mazdâ.
Das Wesen beider in ihrem gegenseitigen Unterschiede ist
in den Liedern nirgends scharf ausgesprochen und war wohl auch
in den Ursprüngen nicht ein begrifflich ganz sicher zu sondern-
des. Diejenige Stufe der Religionsbildung, welche uns in den
Liedern vorliegt, lässt aber bereits den Unterschied durchschim-
mern, dass Mithra das himmlische Licht in der Tageszeit ist,
Varuna - wiewohl ein Herr alles Lichtes und aller Zeit -
doch vornehmlich am nächtlichen Himmel herrscht. Ein Lied
Vasischtha's VII, 3, 3, 2 sagt: der eine von euch (Varuna) ist
• Herr und unantastbarer Lenker, und der welcher Mitra ( d. h.
der Freund) heisst, ruft .die Menschen zur Thätigkeit. Hiermit
und beinahe mit denselben Worten an einigen anderen Stellen ist
wenigstens das ausgesprochen, dass das lcbenweckende, Freuden
und Mühen in die Welt bringende Tageslicht Mithra's engeres
Machtgebiet sei, ohne dass darum Varuna auf die Nachtzeit einzig
verwiesen wäre; denn er bleibt der Herr und der Erste.
Wenn demnach solche V orstellungen , wie sie die indischen
Vedenerklärung ausspricht, indem z. K. Sajana zu VII, 5, 17, 1
sagt, Varuna sei die untergehende Sonne, viel zu einseitig und
eng sind, so enthalten sie doch etwas Wahres; und es lässt sich
vermuthen, auf welchem Wege diese Weiterbildung erfolgen konnte.
Ist Varuna, wie sein Name sagt, unter den lichten Aditjas der-
jenige, dessen Sitz und Herrschaftsgebiet der Lichthimmel ist, in
dessen Schooss alles was lebt umfangen liegt, darum auch die
letzte Gränze, jenseit deren der menschliche Gedanke nichts
Weiteres mehr sucht, so ist er auch der mit Auge oder Vorstel-

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lung schwer zu erreichende. Am Tage vermag die Sehkraft diese


äusserste Gränze nicht zu finden , der lichte Himmel stellt ihr
keinen Halt entgegen; hei Nacht aber scheint diese Hülle der
Welt, in welcher Varuna thront, näher zu rücken und wird fass-
bar, denn das Auge findet eine Gränze. Varuna ist den Men-
schen näher. Ueberdiess sind die anderen Göttergestalten , welche
in Wolken, Luft, Strahlen den Raum zwischen der Erde und
jenem unermesslichen äussersten Umkreis füllen, verschwunden:
es steht kein anderer Gott mehr zwischen Varuna und dem sterb-
lichen Beschauer.
Wie wenig übrigens die vedischen Sänger über dieser ein-
seitigen Fortbildung das eigentliche Wesen des Gottes vergessen
haben, zeigt der Vers Vasischtha's VII, 5, 18, 2:
Wenn in seinen Anblick ich mich versenke,
So däucht sein Ansehn mir wie Feuersgluthen ,
Wo am Himmel der Herr des Lichts und Dunkels
Seinen schönen Leib zum Schauen mir bietet.

So sehr auch die vedischen Sänger in allen ihren Bildern


von Varuna eine heilige Scheu vor seinem unerforschlichen Wesen
beobachten und sich hüten, ihn durch Vermenschlichung seiner
göttlichen Majestät zu entkleiden und in den Umtrieb des natür-
lichen irdischen Lebens hereinzuziehen , so sind uns doch einzelne
Bilder aufbehalten, welche den Gott zu schildern suchen. Varuna
in schimmerndem Prunke thront in seinem fernen Palaste, der
ein hoher hundertthoriger Sitz genannt wird , und um ihn her
sind die Genien versammelt, die seinen Willen vollstrecken (I, 6,
2, 10. 13. VII, 5, 18, 5). Auch er, wie die anderen Götter, kann
beim Opfer der Sterblichen erscheinen ; beim Leuchten des Morgen-
roths besteigt er mit Mitra einen goldenen Wagen, einen eher-
nen, wenn die Sonne untergeht, und von ihm aus schauen die
beiden Götter Ewiges und Vergängliches (V, 5, 6, 8).
Im Naturleben ist er der Urheber der ewigen Gesetze, nach
welchen die Welt lebt, und welche kein Gott und kein Sterb-
licher anzutasten wagt. Er hat die Welt ins Dasein gerufen,
zeigt Sonne, Mond und Sternen ihren Weg, ordnet das Licht
und mit ihm die Zeiten und hat jeglichem Wesen gegeben, was
ihm seinen Werth und seine Würde giebt, dem Menschen Ein-
sicht, dem Rosse Kraft, der Kuh die Milch und so fort (V, 6,
13, 2 ff.). Der Wind, der die Luft durchrauscht, ist sein Hauch
(VII, 5, 17, 2), die Sonne sein Auge. Die Flüsse strömen nach
seiner Vorschrift, uud sein Werk ist es, dass sie, obwohl ohne
Unterlass strömend , den Ocean nicht füllen (V, 6, 13, 6).
Die Bewunderung der nie wankenden unverletzlichen Ordnung
im Leben der Natur wie des Geistes hat die alten Frommen zur
Verherrlichung des Gottes geführt, dessen Weisheit sie diese Ge-
setze zuschreiben, und sie können nicht satt werden diese Unan-

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tastbarkeit , Ewigkeit und intiere Wahrheit seiner Satzungen, die


unerschütterlich sind, als wären sie auf ein Gebirge gegründet, zu
preisen (II, 3, 6, 8). Das sittliche Gesetz aber, unter welchem der
Mensch und sein Handeln steht, ist kein anderes und kann darum
keinen anderen Urheber haben , als das Naturgesetz. Darum wacht
Varuna auch über dem was sittlich recht ist (rta, sâdhu£u. s. w.),
wehrt ab und straft das Unrecht (anrta, agha, âgas , enas,
vrģina u.s. w.). Die Art und Weise, in welcher diese Thätig-
keit Varuna' s in der sittlichen Welt dargestellt wird, und die
demüthigen Bekenntnisse der Sündhaftigkeit und Reue, welche
die alten Dichter vor dem Gotte ablegen , müssen mit um so
grösserem Nachdruck hervorgehoben werden, als man in der
Regel allzu geneigt ist, das religiöse Leben eines Volkes in sei-
nen Mythen und Cultushandlungen aufgehend zu denken und es
nach dem Werthe dieser zu bemessen.
Diesen Frommen ist es eine schwere Sorge sich der Sünde
schuldig zu wissen, zu wissen, dass der Mensch täglich Varuna' s
Gebote übertritt (!, 6, 2, 1). Ja sie sind so weit von eitler
Selbstgerechtigkeit und Zuversicht auf ihre eigene Kraft entfernt,
dass man das Bekenntniss findet: ohne dich, o Varuna, bin ich
nicht eines Augenblicks Herr (II, 3, 6, 6). Geängstigt flüchten
sie sich zu Varuna und den übrigen Aditjas (II, 3, 7, 6), um
von ihnen Vergebung der Sünde zu erflehen. Es findet sich kein
Lied an Varuna und die Aditjas, in welchem nicht, wie an an-
dere Götter die Bitte um Reichthum, Ehre, Ruhm, so hier das
Flehen um Lossprechung von Schuld uns aufstÖsst. Dabei spricht
sich aber die Zuversicht aus, dass der Gott den Schuldigen, die
sich reuig zu ihm wenden, die Sünde verzeihe (VII, 5, 17, 7,
VIII, 3, 6, 12), dass er Trost und Heilmittel in allen Bekümmer-
nissen spende (I, 6, 1, 8. 9. Vāģ. 21,40 u. s. w.).
Varuna überschaut und durchdringt Alles, kennt aller Men-
schen Gedanken und Thaten. Um diese seine Allwissenheit recht
fassbar darzustellen, umgiebt ihn die Einbildungskraft der Dichter
mit Genien, die auf seinen Befehl rastlos und eines Irrthums
unfähig Himmel und Erde überwachen und jede Uebertretungf der
göttlichen Gebote wahrnehmen (VI, 6, 6, 5. VII, 4, 6, 3. 5, 17, 3).
Sieheissen seine Späher (spaças). Solche Späher, mit demselben
Worte genannt, hat auch der iranische Mitlira, nach seinem Jescht,
(10) „auf allen Höhen und Warten sitzen ", und es ist nicht un-
wahrscheinlich , dass diese alte Vorstellung verbunden mit dem,
was schon die arische Vorzeit über die Zukunft der Frommen
und die erhöhten Kräfte der Verklärten glaubte, zu manchen An-
sichten von den Feruern in der Ormuzdreligion geleitet habe.
Die Strafen , welche Varuna als Richter über die Sünden ver-
hängt, sind ausser denen, welche alle Götter durch Entziehung
äusseren Friedens und Wohlergehens verfügen können, bei ihm
noch insbesondere Krankheit und Tod. Das sind Varuna's „Fes-

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Roth, die höchsten Götter der arischen Völker. 73

sein", „die Stricke" mit welchen er denjenigen bindet, dessen


Fuss die gesteckte Gränze zu überschreiten sucht (VII, 4, 10, 3
u. sonst). Der Tod als die höchste Strafe, welche alles auf
Erden Lebende treffen kann , wird billig in die Hand des höchsten
Gottes gelegt; und als diese geheimnissvolle Macht, die leise,
aber unwiderstehlich an uus tritt, zugleich als das undurchdring-
liche Ziel, an welchem das menschliche Wissen zu Ende geht,
ist er eine Kraftäusserung des seiner Natur nach geheimnissvollen
unergründlichen Gottes. Aus anderer Götter Hand kommt er ge-
waltsam , durch Indra's Blitz, Rudra's Speer, Agni's Pfeil; von
Varuna aber kommt er langsam und sicher als das durclf die
ewige Ordnung dem endlichen Leben gesteckte Ziel oder als die
Strafe der Schuld, von welcher kein Sterblicher frei ist.
Im Vorübergehen möge hier kurz gezeigt werden, wv an
diese alte Vorstellung von Varuna die Ansicht des indischen Mit-
telalters angeknüpft hat, nach welcher er der Gott der Gewässer
ist, dessen Auftreten geschildert wird, wie bei den Griechen die
Aufzüge Poseidon's oder Amphitrite's. Die Lieder der Veda geben
selbst schon Fingerzeige auf diese Entwicklung, wenn bald Varuna
in dieselbe Verbindung mit den Meeresfluthen gebracht wird , wie
Sturm und Wind mit Luft und Himmel , Agni mit der Erde (J, 22,
5, 14), bald von ihm gesagt ist, dass er in das Meer sich senke
(VII, 5, 17, 6), bald auch die Flüsse als ihm zuströmend geschil-
dert werden (VIII, 7, 10, 12). Stand einerseits die Vorstellung
fest, dass Varuna der allumfassende Himmel sei, und leitete
andererseits die Beobachtung der den Enden der Erde , dem Meere
zuströmenden Flüsse zu der Vermuthung eines alles Festland um-
gebenden, die Erde in seinem Schoosse haltenden Oceans, so war
die Verbindung Varuna's mit dem Meere vollständig angebahnt.
Eine andere Seite der Zusammengehörigkeit des himmlischen und
oceanischen Varuna können wir in den Worten A. von Humboldťs
aussprechen, welche mit der altindischen Ansicht vollständig zusam-
mentreffen: „die beiden Umhüllungen der starren Oberfläche unseres
Planeten, die tropfbar flüssige und die luftförmige, bieten - - wegen
der Verschiebbarkeit derTheile, durch ihre Strömungen und ihre
Temperatur-Verhältnisse, mannigfaltige Analogien dar: die Tiefe
des Oceans und des Luftmeeres sind uns beide unbekannt." Kos-
mos I, 320 f.
Ausserdem muss man beachten, dass das hohe Ansehen Va-
runa's schon während der Periode der vedischen Lieder im Ab-
nehmen und seine Macht an Indra überzugehen im Begriffe ist, wie
denn auch merkwürdiger Weise unter den Liedèrn des späteren
zehnten Buches kein einziges an Varuna gerichtetes ist, endlich
dass die spätere Zeit diese alten Götter immer auf einzelne Ge-
biete des Naturlebens herabsetzen musste, und dass hierzu das
keinem anderen Gotte zugeschriebene Gebiet des Meeres sich am
nächsten darbot. Hieraus wird erhellen, dass der Uebergang als
ein ganz stätiger gedacht werden darf; wie denn Varuna in seiner

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uachmaligen Würde noch Attribute beibehalten bat, welche zu


seiner Stellung nicht mehr passen , sondern einzig aus der älteren
Vorstellung zu erklären sind. Dahin gehört, dass ihm der Sitz
im Westen angewiesen ist, wo die Sonne untergeht, nach seinem
älteren Zusammenhange mit der Nacht; und dass er eine Schlinge
in der Hand trägt, eine Erinnerung an die im Veda oft genann-
ten Fesseln, die er dem Uebertreter anlegt, an Krankheit und Tod,
An der Thätigkeit und Würde Varuna's nehmen die übrigen
Adiljas Theil. Man kann ihnen nicht verschiedene Gebiete neben
demjenigen anweisen, welcher ihr erster ist und in sich zugleich
die Kräfte der ganzen Gattung darstellt. So kann man die Wirk-
samkeit der Amschaspands nicht von derjenigen des Ormuzd son-
dern, wenn gleich jeder einzelne derselben schon im Namen und
noch« mehr in der späteren Ausdeutung eine ganz specielle Thä-
tigkeit ausdrückt.
Mitrcfs Name bezeichnet den Freund. Er geniesst derselben
Attribute wie Varuna, erscheint aber stets nur in Gemeinschaft
mit diesem, während dagegen Varuna oline Mitra auftritt; und
daraus erhellt, dass er allein der selbstständige ist und das We-
sen Mitra's mitbefasst.
Diese beiden zusammen erscheinen wiederum in näherer Ver-
bindung mit Arjaman, einem dritten Aditja. Wie wenig die ältere
indische Theologie den Arjaman als einen mit eigentümlichen
Kräften ausgerüsteten Gott ansah, kann man daraus abnehmen,
dass das älteste uns überlieferte Verzeichniss von Götternamen,
welches im Naighantuka erhalten ist , seinen Namen übergeht.
Jedoch mit Unrecht; er verdient eben so gut eine Stelle als der
sogleich zu nennende Bhaga. Die Bedeutung seines Namens, der
auch als Appellativ vorkommt, ist etwas dunkel; das Wort müsste
ursprünglich etwa den Edelmüthigen bezeichnet haben , scheint
aber die Bedeutung Gönner, Wohlthäler angenommen zu haben,
die allerdings für den Gott passte (X, 10, 5, 6. VII, 3, 3, 4. V,
6, 13, 7). Diesem Begriffe widerspräche es auch nicht, dass
man in späteren Büchern hin und wieder das Wort als Bezeich-
nung einer Classe der Väter, der Manen oder des Hauptes der-
selben antrifft ( Bhâg. G. 10, 29). Die Väter sind ja zugleich
die Gönner und Schutzgeister. Und in vollem Einklaug stände
damit, dass ihm besonders die Bereitwilligkeit des Gebens zu-
geschrieben wird; er heisst der gütige, der ohne Bitte schenkt
(VI, 5,1, 1. 4, 5, 14).
Hier berührt sich sein Begriff mit dem eines vierten Aditja,
des Bhaga. Es lässt sich bei Bhaga und den weiterhin zu er-
wähnenden Aditjas keine solche Verbindung mit anderen ihres
Gleichen entdecken, wie sie besteht zwischen Mitra und Varuna,
und in weiterer Ausdehnung zwischen Mitra, Varuna und Arjaman.
Bhaga bezeichnet Theil, Gut, Segen, concret den Auslheiler ,
Signer ; und in diesem Sinne fassen auch die vedischen Lieder

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Roth , die höchsten Götter der arischen Völker. 7 5

dea so genannten Aditja als den Austheiler der Gaben und des
Glückes an die Sterblichen (V, 4, 2, 6. 5, 1). Am deutlichsten
und schönsten ist es ausgesprochen bei Vasischtha VII, 3, 8, 2 :
Wir rufen Bhaga den Sieger der Frühe,
Den starken Aditisohn, den Erbalter,
Zu dem vertrauend der Arme , der Kranke ,
Der König selbst spricht: gieb du meinen Theil mir.

Auf diese Stelle gründet sich auch, indessen ohne zureichen-


den Beweis, die nähere Bezeichnung des Gebietes dieses Gottes,
welche das Nirukta XII, 13 giebt, wonach er in derjenigen Zeit
dem Sonnenlichte vorstände, welche der vollen Strahlenentwick-
lung vorangeht, also im Vormittag.
Mit Bhaga beinahe gleichbedeutend ist der Name eines fünf-
ten Aditja, der des Anca ; er bedeutet einfach Antheil und könnte
concret den Theilnehmer bezeichnen, wie die Verwandten und Mit-
erben ançaka heissen. Der Gott wäre dann derjenige, welcher
mit den Menschen gleichsam in einer Genossenschaft steht. Von
ihm wird keinerlei nähere Bestimmung gegeben; er ist überhaupt
sehr selten namentlich aufgeführt.
Derselbe Fall findet Statt bei einem sechsten Aditja, bei
Dakscha. Dagegen ist sein Name inhaltsreicher ; er bezeichnet den
Klugen y Einsichtigen. Eine theogonische Sage lässt ihn mit der
Aditi die Götter zeugen. Dieser Mythus mag wohl in der Be-
deutung des Namens seinen Grund haben; dass er übrigens frühe
schon bestanden habe, sieht man daraus, dass an mehreren Stellen
Dakscha der Vater Mitra's und Varuna's heisst (VI, 5, 1, 2. VII,
4, 11, 2. VIII, 4, 5, 5. 7, 4, 10), während er anderwärts wieder
eben so entschieden in der Reihe der Aditjas selbst steht. Dak-
scha spielt in der späteren künstlichen Mythologie eine beträcht-
liche Rolle ohne Zweifel in Anknüpfung an jenen theogonischen
Mythus; denn er erscheint als Weltschöpfer, ist ein Avatára So-
ma's, des Mondes, seine Töchter sind Constellationen u. s.w.
Diese sechs Namen werden überall entschieden als Aditjas
genannt, auch im Nirukta II, 13 aufgezählt; einen siebenten weiss
ich mit derselben Sicherheit ihnen nicht an die Seite zu stellen,
um die Analogie mit den Amschaspands herzustellen. Es ist auf-
fallend, dass die vedischen Lieder hinsichtlich der Zahl der Aditjas
nichts Bestimmtes geben , da doch diesen Göttern eine so erhabene
Stelle angewiesen ist. Die spätere Zwölfzahl kann für die alte
Zeit unmöglich passen, denn einerseits lassen sich so viele Namen
nirgends aufweisen, andererseits beruht diese Zahl ganz sicher
auf der Auffassung der Aditjas als Sonnengötter, unter welche
man die Monate theilte. Dass die ursprüngliche Zahl derselben
die heilige Sieben gewesen sei, ist mir wahrscheinlich nicht nur
wegen der Analogie der obersten Geister im Ormuzdglauben, son-
dern auch wegen des Charakters dieser Zahl.

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7 6 Roth , die höchsten Götter der arischen Völker .

Von den drei Göttern, welche ausser jenen sechs noch beiläufig
in Liedern an die Aditjas genannt werden, Savitar, Vischnu und
Puschan, dürfte, wenn wir berechtigt sind eine Siebenzahl zu suchen,
eher einer der beiden ersten die leere Stelle auszufüllen haben , als
der dritte. Will man den späteren Verzeichnissen der Aditjas eini-
gen Werth beilegen, so würde dieselbe dem Vischnu gebühren, weil
Savitar in der Mehrzahl derselben fehlt und statt seiner Parģanja
genannt ist, wahrend Vischnu regelmässig gezählt ist. Jedoch
scheint es mir nach Stellen in den Liedern annehmbarer, dass bei
der Zusammenstellung dieser höchsten Geister in eine geschlossene
Zahl Aditi selbst als die siebente mitgerechnet worden sei.
Sollte sich diese Vermuthung einer Siebenzahl in der Folge
näher bestätigen, so hätten wir darin einen weiteren werthvollen
Beitrag zur richtigen Erkenntniss des ursprünglichen Verhältnisses
des vedischen und des Ormuzdglaubens. Der letztere hätte, obwohl
sonst in vielen Hauptsachen von der alten Quelle sich abwendend,
dennoch gerade den obersten Gott und die ihm nächsten Geister in
dem alten Zusammenhange bewahrt, wenngleich ihre Namen und
Begriffe ganz anders gebildet. Mitra, Bhaga, Arjaman sind dem
Avesta wohl bekannt, aber nicht als Amschaspands. Der Veda da-
gegen ist schon im Vergessen eines wichtigen alten Dogma's begrif-
fen , wie wir Aehnliches an den Vorstellungen von Trita und Jama
finden; und wir werden dadurch, wenn wir nach der Entstehungs-
zeit dieser Aditja-Mythen fragen, in ein graues Alterthum zurück-
geführt.
Was aber das Interesse dieser Untersuchung noch erhöht und
für die Urzeit ganz besonders bedeutsam wäre, das ist der eigen-
tümliche Inhalt der Vorstellungen von den Aditjas. Die Namen der
sechs Aditjas, die wir vorläufig als feststehend ansehen dürfen, ent-
halten mit einziger Ausnahme des Varuna keine Anschauungen aus
dem Naturleben, sondern drücken Beziehungen des sittlichen und
geselligen Lebens aus. Mitra der Freund, Arjaman der Gönner,
Bhaga der Beglücker, Ança der Theilnehmer, Dakscha der Ein-
sichtige sind lauter Genien , in welchen die edelsten Verhältnisse
des menschlichen Verkehrs sich abspiegeln und dadurch als Aus-
flüsse des göttlichen Lebens und des unmittelbaren göttlichen Schu-
tzes theilhaftig erscheinen. Hat nun die arische Urzeit in ihren
höchsten Göttern nicht die hervorragendsten Vorgänge des Natur-
lebens, sondern die Bedingungen eines sittlichen Lebens und Ge-
meinwesens angeschaut, diese Güter demnach höher gestellt als
Alles was zu den sinnlichen Bedürfnissen und Genüssen gehört, so
müssen wir ihr bei allem Mangel an den Erfordernissen äusserer Ci-
vilisation eine hohe geistige Tüchtigkeit zuschreiben.
Zugleich verbreitet sich von hier aus Licht über die Principien
und den Charakter der beiden aus Einer Quelle geflossenen arischen
Religionen. Die Ormuzdreligion hält an dem übersinnlichen Ele-
mente fest, welches die obere Götterreihe der alten gemeinsamen

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Roth, die höchsten Götter der arischen Völker . 77

Religion ins Leben gerufen hat, gestaltet dasselbe übrigens nach


eigenerWeise um, und verwirft in der Folge fast ganz die rein
natursymbolischen Götter, die wir ebenfalls in jener Urzeit zu
suchen haben. Der vedische Glaube seinerseits ist auf dem Wege
gerade den letzteren den Vorrang einzuräumen, auf sie immer mehr
Ehre und Würde zu übertragen, das göttliche Leben in die Natur
hereinzuziehen und dem Menschen näher zu bringen. Zeuge dafür
ist insbesondere die Entwicklung des Indra-Mythus. In den frühe-
sten Zeiträumen arischer Religionsbildung ist Indra entweder noch
gar nicht vorhanden oder auf ein unscheinbares Gebiet beschränkt.
Die Zendsage schreibt diejenige That, welche den Kern des nach-
maligen Indra-Mythus ausmacht, einem anderen Gotte zu. Dieser
Gott Trita verschwindet aber während der vedischen Zeit im Sagen-
kreise des indischen Volkes und an seine Stelle rückt Indra. Ja
noch mehr, Indra beginnt gegen Ende dieses Zeitraumes selbst den
höchsten Gott dieses Glaubens, Varuna, aus der obersten Stelle,
die ihm theils nach den geschichtlichen Zeugnissen, theils seinem
Begriffe nach gebührt, zu verdrängen, und wird in den vedischen
Liedern, wenn auch nicht der oberste Gott, so doch der National-
gott, welchen seine Sänger über den alten Varuna zu erheben
streben. Diese Bahn erreicht ihr Ziel in der nachvedischen Zeit,
schon in den Brahmanas und gleichzeitiger Literatur. Indra wird
das Haupt des indischen Götterhimmels und behauptet diese Stelle
auch noch in dem gemischten System, das die grossen Götter
in sich aufgenommen hat.
Die Bewegung ist also die, dass ein alter gemeinsam arischer,
ja vielleicht gemeinsam indogermanischer oberster Gott, Varuna-
Ormuzd-Uranos in das Dunkel zurückgedrängt und an seine Stelle
ein eigentümlich indischer, ein nationaler Gott geschoben wird.
Mit Varuna fällt zugleich der alte Charakter des Volkes, mit lndra
erhebt sich in gleichem Maasse ein neuer, der indogermanischen
Ursitte fremder. Nach ihrem inneren Charakter ist diese Bewegung
der Götterbegriffe ein zunehmendes Abstreifen der übersinnlichen
geheimnissvollen Seite des Glaubensinhaltes, bis die früher höch-
sten, geistigsten Götter inhaltslose Naturgeister geworden, bis
Varuna nur noch der Meeresgebieter, die Aditja nur die Genien
des Sonnenumlaufs sind.
Diese Verflachung und Veräusserlichung des Glaubensinhaltes
musste nothwendig eine Gegenwirkung hervorrufen. Sie erfolgte
auf dem Wege der Speculation in den philosophischen Mythologc-
men von Brahma, Praģapati und in der ganzen Mystik der älteren
Philosophie, welche die einzelnen Glaubensbegriffe wieder in das
Reich des Uebersinnlichen zurückzuschieben versucht.

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