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Öffnung des Unterrichts in der

Grundschule
Vorlesung: Lehren, Lernen, Unterrichten
26.04.2021
Prof. Dr. Frauke Grittner
Was Sie können sollten:
• Merkmale und Begründungen offenen
Unterrichts erklären können
• Verschiedene Formen offenen Unterrichts
beschreiben können, deren Unterschiede und
Gemeinsamkeiten herausstellen können
• die Rolle der Lehrkraft erläutern können
• Problemfelder offenen Unterrichts benennen
können
Doch erstmal sind Sie dran
(zur „gedanklichen Aufwärmung“):
1) Gab es in Ihrer Schulzeit Momente / Zeitspannen, in denen Sie
im Unterricht mitbestimmen konnten,
a) womit Sie sich inhaltlich beschäftigen?
b) wie Sie etwas methodisch bearbeiten (z.B. mit welchem
Material, welche Art von Aufgaben, mit Partner*in oder
allein usw.) ?
c) wann und wo Sie etwas bearbeiten (im Klassenraum oder
außerhalb, im Unterricht oder zuhause, an welchem
Wochentag, zu welcher Uhrzeit usw.)?
2) In welchem Schuljahr / in welcher Schulform war das?
3) Wie fanden Sie das?
Was heißt „offener Unterricht“?
• Sammelbegriff für Reformansätze in vielfältigen
Formen inhaltlicher, methodischer und
organisatorischer Öffnung mit dem Ziel eines
veränderten Umgangs mit dem Lernenden auf der
Grundlage eines veränderten, aktiven Lernbegriffs
(Wallrabenstein 1991, 54)

• Methodenvielfalt unter entschiedener Beteiligung


der Lernenden, die mitentscheiden, wann sie was
wo mit wem wie lernen wollen
(vgl. z.B. Übersicht bei Bohl & Kucharz 2010)
Wurzeln in der Reformpädagogik der 1920er,z.B.
Maria Montessori:
vorbereitete Umgebung,
stark vorstrukturiertes Material

Celestin Freinet:
Arbeitsateliers bieten Material und
Anweisung für selbstständige Lernaktivitäten
Klassenrat bietet Möglichkeit zur Mitbestimmung

John Dewey:
Projekt als gemeinsames Vorhaben
von Lehrkräften und SchülerInnen

Peter Petersen:
Wochenarbeitsplan
mit Zeitblöcken für Arbeit,
Spiel, Gespräch und Feier
Wurzeln in der Lerntheorie
Öffnung des Unterrichts

• als Gegenbegriff / -
bewegung zu
geschlossenen
(behavioristischen)
Curricula der 1970er Jahre

• ist eher an einem


konstruktivistischen
Lernbegriff
orientiert
Begründungslinien offenen Unterrichts
1) lernpsychologisch und didaktisch:
Passung von Aufgabe und Entwicklungsstand
Diversität der Kindheiten: Kinder bringen verschiedenste
Lernvoraussetzungen, Vorerfahrungen mit
Verschiedene Lerntypen und Zugangsformen aufgreifend
selbstgesteuertes (stärker methodisch) und selbstbestimmtes (stärker
inhaltlich) Lernen

2) erkenntnistheoretisch und entwicklungspsychologisch


konstruktivistische Sicht als Grundlage der Unterrichtsgestaltung
Formen entdeckenden, problemlösenden und selbstverantwortlichen Lernens;
Lernprozesse stärker im Blick als Lernprodukte

3) bildungstheoretisch und politisch


Selbstbestimmung als Ziel und Bedingung schulischen Lernens
Fähigkeit zum lebenslangen Lernen erwerben

(vgl. z.B. Brügelmann 2005, Knauf 2001; Munser-Kiefer 2011)


Wochenplan (WP) I
• Schriftlicher Plan, der Übersicht über verbindliche und offene
Lernangebote für verschiedene Lernbereiche und Fächer
bietet
• Wahl der Reihenfolge der Aufgaben, evtl. Sozialform und
Zeiteinteilung frei

• Verschiedene Typen, bzw. Aufgabentypen:


– Geschlossener WP: ausschließlich Pflichtaufgaben, Wahl der
Reihenfolge
– Differenzierter WP: Pflicht-, Wahlpflicht-, Wahl- oder Zusatzaufgaben
– Individueller WP: spezifisches Angebot für einzelne Kinder oder –
gruppen, auf deren Stärken und Schwächen abgestimmte Aufgaben
– Offener WP: SchülerInnen gestalten WP mit, bzw. definieren eigene
Aufgaben (-> freie Arbeit)
(vgl. z.B. Knauf 2001; Munser-Kiefer 2011)
Wochenplan II
• Gestaltungsmerkmale für Aufgaben und Arbeitsmittel:
– Ohne Anweisung oder Hilfe der Lehrkraft bearbeitbar
– Tätigwerden ermöglichen, Sinne ansprechen
– Verschiedene Lerntypen berücksichtigen
– Wiedererkennung ermöglichen
– Selbst- und Fremdkontrolle

• WP fördert Fähigkeit sich eigene Arbeit einzuteilen und zu


gestalten, aber auch Abhängigkeit von Plänen und ihrer
Kontrollfunktion
(vgl. z.B. Knauf 2001; Munser-Kiefer 2011)
Freies Schreiben von Im Schwungheft
mindestens 5 Wörtern bewegungsrichtig in
zu den Buchstaben „P“ Linien Buchstaben und
„p“ im Buchstabenhaus Wörter schreiben

Mindestens 3 Wörter / Auf dem Zahlenstrahl


Bilder zum Buchstaben fehlende Zahlen
„P“ „p“ kneten eintragen

Analogieaufgaben im Mit Partner auf der


Zahlenraum bis 20 Rechenscheibe mit
(Zehner und Einer, Steinen oder Murmeln
Stellenwerte) Additionen oder
Subtraktion durchführen

(Zusatzaufgabe) (Zusatzaufgabe)
Puzzlebild zum Mit Partner ein Angebot
Buchstaben „P“ „p“ für den nächsten
anmalen: optische Wochenplan überlegen
Differenzierung Lösung
ist ein Pilz
Stationenlernen I
• Synonyme Begriffe: Lernen an Stationen, Stationenarbeit,
Lernzirkel, Lernstraße, Übungsstraße, Übungszirkel
• Inhalte einer Unterrichtseinheit untergliedert in
unterschiedliche Arbeitsangebote, die an verschiedenen
Stationen angeboten werden
• Verschiedene Ziele möglich: Einführung /Erarbeitung, Übung
/Festigung, Anwendung / Transfer
• Stationen sollten Angebote für verschiedene Lernertypen
machen: optisch, haptisch, manuell, akustisch
• Stationen werden von SchülerInnen selbstständig bearbeitet,
d.h. Material und Anweisung sollten klar sein
(vgl. z.B. Knauf 2001, Munser-Kiefer 2011)
Stationenlernen II
• Möglichkeit von Pflicht-, Wahlpflicht- und Wahlstationen,
ggf. Pufferstationen
• flexible Organisation: Reihenfolge beliebig oder
festgelegt, alle wechseln gleichzeitig oder nach Bedarf
• Bearbeitung durch verschiedene Sozialformen möglich
• SuS mögl. in Vorbereitung und Aufbau miteinbeziehen,
bzw. selbst Stationen vorschlagen lassen
• Selbstkontrollmöglichkeiten schaffen
(vgl. z.B. Knauf 2001; Munser-Kiefer 2011)
Projekt(orientiertes Lernen)
• Grundstruktur: Beabsichtigen, Planen, Ausführen,
Beurteilen
• Lehrkräfte und SchülerInnen
– wenden sich gemeinsam formuliertem Thema /
Problem zu,
– entwickeln gemeinsam Plan für dessen Bearbeitung
– beschäftigen sich arbeitsteilig mit der Lösung
– vermitteln Lösungsversuche anderen bzw.
präsentieren Ergebnisse des Projektes
→ Problemlösung an Wirklichkeit überprüfen
(vgl. z.B. Knauf 2001; Munser-Kiefer 2011)
Freiarbeit I
• Bietet weitestgehende Freiheit für
SchülerInnen im von Erwachsenen
bestimmten System Schule
• Frei: Entscheidungsfreiheit
Arbeit: Anstrengung, Zielorientierung, Prüfen
• SchülerInnen bestimmen selbst über Inhalte,
Materialien, Lerntempo, Arbeitsplätze,
Sozialformen und Methoden,
-> ggf. ganz frei, ggf. durch Auswahl aus Lernangebot
(vgl. z.B. Knauf 2001; Munser-Kiefer 2011)
Freiarbeit II
• Organisationstrukturen:
– Bestandteil des Wochenplans (Wahlbereich) oder
– Eigenständige Unterrichtsstunden in
Unterscheidung zu übrigen Stunden, im
Stundenplan ausgewiesen oder
– Methodisch-didaktisches Prinzip des gesamten
Unterrichts oder eines bestimmten Faches
(vgl. z.B. Knauf 2001; Munser-Kiefer 2011)
Phasen offenen Unterrichts
• Inhaltliche Hinführungsphase:
– ggf. Problemstellung, Aktivierung von Vorwissen, Anknüpfung an
vorher erarbeitetes (Warum machen wir jetzt was?)

• Organisatorische Hinführungsphase:
– Art der Arbeit besprechen (z.B. Stationen), Arbeit planen (Wie machen
wir was? Wer macht was?)

• Arbeitsphase

• Reflexions- / „Rechenschafts“-Phase:
Arbeitsprodukte zeigen, Reflexion der Arbeit, Impulse für Weiterarbeit
(„Wer hat was gemacht?“, „Wie ist es gelaufen?“ „Wie machen wir
weiter?“)
(vgl. z.B. Munser-Kiefer 2011)
Rolle der Lehrkraft

• Direktive Haltung aufgeben


• Fördern, beraten, ermutigen, planen,
begleiten, beobachten, Impulse und Rückmeldung geben
• Für entsprechende Rahmenbedingungen und
Arbeitsumgebung sorgen: Regeln, Material,
Lernatmosphäre, zeitliche und inhaltliche Strukturierung
(z.B. Reflexionsphasen)
• Freiräume und Pausen der Kindern respektieren
• Kinder nicht bei der Arbeit stören
(vgl. z.B. Munser-Kiefer 2011)
Mögliche Probleme
• Begriff oft unscharf verwendet
• Wochenplantechnologie, Freiarbeit als
Beschäftigungs“therapie“, fehlender Anspruch
der Aufgaben
• Evtl. Überforderung von Kindern, die starke
Strukturierung benötigen -> Hilfestellung
geben
Filmdokumentation 1
(Wenn Sie noch mehr Veranschauung wollen)
In dieser 45-minütigen WDR-Doku erhalten Sie Einblick in den
Unterrichtsalltag der Klasse von Falko Peschel, der Offenen
Unterricht in einer sehr konsequenten Form umsetzt. Der
Unterricht mag auf einen ersten oberflächlichen Blick sehr
ungewohnt bis „ungeordnet“ wirken. Schauen Sie alle fünf Teile
der Doku und achten Sie darauf, was die Schüler*innen
eigentlich alles leisten und wie sie in ihrer Entwicklung
dargestellt werden
https://www.youtube.com/playlist?list=PL32D3E
D7DFE51A04F
Filmdokumentation 2
Und hier eine Dokumentation, die eine Schulform vorstellt, die
offenen Unterricht radikal umsetzt: democratic schools
Diese Schulform ist international vertreten. Es gibt auch mehrere
democratic schools in Deutschland. Die „prominenteste“ ist hier
vielleicht die von Nena gegründete „Neue Schule Hamburg“.
Auch in Kassel gibt es eine solche Initiative, die im August 2020
ihre Schule eröffnen will.
• https://www.youtube.com/watch?v=PfMk-
cpXAP8
• https://eudec.org/
• www.sudbury-schule-kassel.de
Literatur
• Bohl, Thorsten; Kucharz, Diemut (2010): Offener Unterricht heute. Beltz
Verlag
• Wallrabenstein, Wulf (2004): Offener Unterricht. In: Keck, Rudolf;
Sandfuchs, Uwe; Feige, Bernd (Hrsg.) (2004): Wörterbuch Schulpädagogik.
2. Aufl. überarb. Aufl., Klinkhardt
• Knauf, Tassilo (2001): Einführung in die Grundschuldidaktik, Kohlhammer
• Munser-Kiefer, Meike (2011): Formen und Qualitätsmerkmale offenen
Unterrichts. In: Einsiedler, Wolfgang; Götz, Margareta; Hartinger, Andreas;
Heinzel, Friederike; Kahler, Joachim; Sandfuchs, Uwe (Hrsg.): Handbuch
Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik. 3. überarb. Aufl.,
Klinkhardt, S. 351-355
• Peschel, Falko (2002): Offener Unterricht. Idee-Realität-Perspektive. Teil I,
Schneider Verlag
• Ramseger, Jörg (1992): Offener Unterricht in der Erprobung. 3.Aufl.,
Juventa

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