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eDossier
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Geliebte
Stressfabrik
n Kreativ kann nur sein, wer sich voll Selbstbestimmt arbeiten – in kaum einem Entscheidende Voraussetzung, um
und ganz auf ein Projekt einlässt, und die Fäden in der Hand zu behalten:
das kostet Nerven und Nachtschich-
Bereich ist dies so gut möglich und gleich- Wisse, was du willst. „Der erste Schritt
ten – sorgt aber auch für Adrenalin zeitig so schwer wie in der Kommunikations- besteht darin, sich klarzumachen, was
und Erfüllung. „Ich liebe meinen Job branche. Wir geben Tipps, wie sich einem eigentlich wichtig ist. Betreiben
und will die Party nicht gerade dann Sie Ihr eigenes Erwartungsmanage-
verlassen, wenn’s am schönsten ist“, Berufs- und Privatleben, kreative Entfaltung ment!“, rät der Psychologe Thorsten
sagt Ralf Heuel, Kreativgeschäftsführer und ökonomische Notwendigkeit ins Gleich- Rexer (siehe Seite 6). Wer sich daran
bei Garbarz & Partner in Hamburg. Weil hält, besitzt gute Chancen, selbstbe-
die Arbeitszeiten in Agenturen den 9-
gewicht bringen lassen stimmt zu bleiben. Ob man als freier
to-5-Alltag aus anderen Branchen weit Kreativer arbeitet, Chef oder Mitarbei-
überschreiten, spielt gerade für Kreative die Identifikation ter einer Agentur ist, spielt dabei keine Rolle. Im Folgenden
mit dem Job eine zentrale Rolle. Ideen sprudeln eben nicht stellen wir unterschiedliche Modelle für selbstbestimmtes
auf Knopfdruck. Und dennoch: So groß die Liebe zum Beruf Arbeiten vor, lassen uns von Experten erklären, wie gute
auch ist – auch in der Design- und Werbebranche wächst Teamarbeit gelingt und wie man Gehälter und Honorare
das Bewusstsein für die Ausgeglichenheit zwischen Priva- richtig verhandelt. Und da Geld nicht alles ist, zeigen wir
tem und Beruflichem. Karriere ja, aber nicht zu jedem Preis auch, wie man als Kreativer den Spaß an der Arbeit behält
und auf keinen Fall ferngesteuert. und Beruf und Familie möglichst stressfrei vereinbart. jf
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n Wo Ideen entwickelt, Innovationen vorangetrieben und back der Kunden abhängig. „Wenn ich weiß, dass ein Auf-
Menschen mit Kampagnen begeistert werden sollen, muss traggeber Vertrauen in uns hat, wenn unsere Meinung
es Reibungspunkte geben. Kuschelkurs in der Kreativbran- zählt, obwohl sie provoziert, und wenn der Kunde uns als
che funktioniert nicht. Und trotzdem: Kreativ arbeiten be- Berater sieht, dann weiß ich, dass wir einen guten Job ma-
deutet in den meisten Fällen auch im Team arbeiten, und chen – auch wenn nicht jeder Teilauftrag reine Selbsterfül-
zwar nicht selten bis in die Nacht hinein. Einzelkämpfer kom lung ist, sondern oft vor allem der Kundenbindung dient.“
men über die ersten Stufen der Karriereleiter meist nicht hi Ihre Agentur gravity haben die vier vor zweieinhalb Jah-
naus, das bestätigt auch der Unternehmenscoach Thorsten ren gegründet – mitten in die Krise hinein. „Damals ging es
Rexer (siehe Seite 6). Wer sich selbst verwirklichen und zu- ums blanke Überleben“, erzählt Vicky Arndt. Heute weiß sie,
gleich mit den Kollegen klarkommen will, braucht in der dass ihre Erwartungen sich in ihrem Arbeitsmodell erfüllen
Agenturwelt zweierlei: fachliches Know-how und soziale lassen. „In einer kleinen Agentur geht es weniger politisch
Kompetenz „Unsere Branche ist immer noch ein People’s zu, Hierarchien spielen eine untergeordnete Rolle.“ Für ein
Business“, sagt der Werberegisseur Florian Meimberg. „Und starkes Miteinander gibt es bei gravity regelmäßige Feed-
nur wenn es zwischenmenschlich passt, kann sich die Krea- backrunden. Vor allem jungen Mitarbeitern gegenüber müsse
tivität eines Projekts auch frei entfalten.“ man dabei reflektiert auftreten und dürfe auf keinen Fall den
Als sich Florian Meimberg vor zwei Jahren als Regisseur Chef raushängen lassen, meint Arndt – und gesteht selbst-
selbstständig machte, war das für ihn wie ein Befreiungs- kritisch, dass sie die nötige Gelassenheit noch lernen muss.
schlag. Nicht dass ihm die gestalterische und konzeptionel
le Arbeit in Agenturen keinen Spaß gemacht hätte – immer Austausch auf Augenhöhe muss sein, so viel steht fest.
hin hielt er es 12 Jahre lang in den großen Networks aus. „Die Doch sind Design- und Werbeagenturen keine Waldorf-Kin-
Entscheidung war inhaltlicher Art“, er- dergärten, und nicht jede Entscheidung
klärt der heute 35-Jährige. „Ich bin in kann demokratisch getroffen werden.
die Werbung gegangen, weil ich Filme Wer im Job selbstbestimmt bleiben
machen wollte“ – bis er selbst als Re- möchte, muss lernen, Nein zu sagen.
gisseur arbeiten würde, war es also ei- „Am besten schafft man das, indem
gentlich nur eine Frage der Zeit. Trotz man es macht“, sagt Marc Wirbeleit,
der inhaltlichen Erfüllung gibt Meim- langjähriger ADC-Vorstand. „Manchmal
berg aber zu: Selbstständig heißt nicht ist man nicht der Richtige für einen Job,
zwangsläufig selbstbestimmt. manchmal hat man auch einfach keine
Mit dem Austritt aus einem festen Lust. In beiden Fällen muss man absa-
Angestelltenverhältnis kommen neue gen können, ohne sein Gegenüber zu
Einschränkungen auf jeden Kreativen enttäuschen“, erklärt er. Denn ein Nein
zu. Zum einen sind da die Probleme mit an der richtigen Stelle sei immer bes-
dem lieben Geld (siehe Seite 8 f.), zum ser als ein Ja an der falschen.
anderen muss man sich sein Standing Für Marc Wirbeleit findet selbstbe-
als freier Kreativer erst einmal erarbei- stimmtes Arbeiten als freier Texter in
ten. Der ein oder andere Job für einen Hamburg statt und bedeutet vor allem,
Kunden, der vielleicht nicht gerade auf dass er sein Unternehmertum beliebig
der Wunschliste steht, gehört dazu. „So ausweiten kann. Zwar dürfe man sich
weit, dass ich mir die Aufträge kompro nicht unter Wert verkaufen – Honorare
misslos aussuchen kann, bin ich noch seien das, was beim Auftraggeber hän
nicht“, so Meimberg. Seinen Erfolg im gen bleibt. „Trotzdem gibt es Jobs, die
Job misst er daran, wie zufrieden er ich mir gönne, auch wenn sie ökono-
mit dem Ergebnis einer Arbeit ist, und misch nicht so sinnvoll sind.“ Und wenn
das hängt wiederum zum großen Teil das keinen Ausgleich schafft, kann man
vom Feedback des Auftraggebers ab. sich die Aufgaben selbst suchen. Vor
„Was wir in der Kommunikationsbran- zwei Jahren hat er mit seiner Frau zu-
che machen, ist ja kein Selbstzweck.“ „Wenn sich das goldene sammen begonnen, eigene Artikel zu
Ähnlich sieht das Vicky Arndt. „Als Hamsterrad immer entwerfen und zu vertreiben. Erstes
Produkt von lil’ things sind Reflektor-
ich noch in Agenturen gearbeitet ha-
be, konnte ich meinen Ruf in der Bran-
schneller dreht, sollte man sticker für Kinder (www.lilthings.de).
Gutes Geld
Genug verdienen und trotzdem den Spaß am Job nicht verlieren – wer diesen
Balanceakt bewältigt, hat gute Chancen auf einen erfüllten Arbeitsalltag
n Ohne Geld gibt’s auch kein selbst- Aus eigenen leidvollen Erfahrun
bestimmtes (Arbeits-)Leben. Wer enga gen aus den Anfängen der Agentur
giert und kreativ schuftet, ohne sich entstand bei Artivista ein digitales Zei-
dabei gut oder wenigstens gerecht ent terfassungssystem, das gut funktio-
lohnt zu fühlen, bekommt schnell ein niert. So gut, dass Marco Wilhelm Linke
Gefühl von Fremdbestimmtheit. Aber beschloss, ein Buch zum Thema zu
wie viel ist gerecht entlohnt? Festan- schreiben. „Design kalkulieren“ ist die-
gestellte haben es da etwas einfacher sen Sommer im Verlag Books on De-
als Freiberufler. Gespräche mit Kolle- mand erschienen und jedem Krea-
gen oder Bekannten in vergleichbarer tiven zu empfehlen (19,50 Euro, isbn
Position geben ebenso einen Überblick 978-3839166468).
wie Gehaltsanalysen von Unternehmen
wie Personalmarkt.de oder Statistiken Kaum ein Kreativer sucht sich seinen
von Berufsverbänden. Beruf des Geldes wegen aus. Trotz-
Erst kürzlich online gegangen ist die dem kann man keine Agentur führen,
Site www.companize.com, die nicht nur ohne auf das Finanzielle zu achten. Es
konkrete Gehaltsvergleiche liefern, son ist eine Gratwanderung zwischen kre-
dern als Netzwerk für Arbeitnehmer ativer Freiheit und verantwortungs-
fungieren will. „Der Gehaltsvergleich vollem Wirtschaften. „Die Projekte, die
steht zunächst im Vordergrund. Die wir betreuen, müssen uns gefallen,
Chance, den eigenen Verdienst mit dem wir versuchen, ein gutes Gleichgewicht
von Kollegen aus derselben Stadt oder, zwischen persönlicher Zufriedenheit,
noch besser, beim eigenen Arbeitge- hoher Arbeitsqualität und ordentlicher
ber zu vergleichen, ist in Deutschland Bezahlung hinzubekommen“, erklärt
bislang einzigartig“, erklärt Geschäfts- Tom Ising, der Herburg Weiland 2000
führer Jens Sander, der Companize in zusammen mit Martin Fengel und Ju-
Kooperation mit fünf anderen Berliner
Internetexperten entwickelt hat. Das „Gerade kleinere Dinge dith Grubinger gegründet hat. Was
sich für manchen nach einer Wunsch-
Angebot ist für Mitglieder kostenfrei,
finanziert wird das Start-up durch die
schätzt man oft falsch ein, weil vorstellung anhört, klappt bei den
Münchnern heute gut. Als die drei Kre-
Gründer selbst. In Zukunft sollen Zu-
satzdienste und Werbung für Einnah-
man gar nicht darüber nach- ativen die Agentur an den Start brach-
ten, nahmen sie auch Jobs an, die sie
men sorgen.
Freiberufler haben es etwas schwe
denkt, wie viel Zeit sie wirklich inzwischen nicht mehr machen wür-
den. „Das war damals völlig okay, wir
rer. Zwar gibt es den Vergütungstarif-
vertrag für Designleistungen der AGD
in Anspruch nehmen“ mussten ja erst mal Erfahrung sam-
meln und Geld verdienen. Heute kön-
(isbn 3-925812-01-6) oder den Honorar Marco Wilhelm Linke, Mitbegründer des Werbeateliers nen wir wählerisch sein und sind es
rechner des BDG (www.bdg-designer. artivista in Potsdam (www.artivista.de) auch.“ Das mag für manchen arrogant
de/pages/widget.htm), aber natürlich klingen, für Tom Ising ist es lediglich ei-
können diese nur Richtwerte liefern (siehe PAGE 04.10, Sei- ne Strategie, um den Spaß an der Arbeit zu behalten. „Was
te 28 ff.). Vielen selbstständigen Designern gelingt es nicht, nützen einem die höchsten Honorare, wenn man sich mit
den Aufwand, den sie in ein Projekt stecken müssen, richtig Dingen beschäftigen muss, die einem nicht gefallen?“
einzuschätzen. Marco Wilhelm Linke, Mitbegründer des Wer
beateliers artivista in Potsdam, empfiehlt, einen Stunden- Dass die Umsätze saisonal schwanken, kann Herburg Wei-
zettel zu führen und eine Weile jeden Tag alle Tätigkeiten land gut verkraften. „Die letzten beiden Jahre waren groß-
dort einzutragen. So bekommt man einen Überblick darüber, artig, was die Qualität unserer Projekte anging. Wir haben
wo die Zeit geblieben ist. „Gerade kleinere Dinge schätzt zum Beispiel viele schöne und erfolgreiche Bücher gestal-
man oft falsch ein, weil man gar nicht darüber nachdenkt, tet. Ein Vermögen ist mit solchen Aufträgen nicht zu verdie-
wie viel Zeit sie wirklich in Anspruch nehmen. Da bittet ein nen, denn Zeitaufwand und Honorar stehen leider in kei
Kunde darum, noch mal schnell ein Bild auszutauschen, und nem realen Verhältnis.“ Aber wenn man Arbeiten für große
man geht davon aus, das ist in zwei Minuten erledigt, dabei Unternehmen wie den Münchner Rückversicherer Swiss Re
dauert es dann doch mindestens eine Viertelstunde.“ und kleinere Low-Budget-Projekte, etwa Kataloge für be-
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Sind Kreative in puncto Honorar daran liegt, dass sie nur ungefähr über
verhandlung eine besonders untalen- schlagen haben, wie hoch das Honorar
tierte Spezies? für den Auftrag sein muss.
Cordula Nussbaum: Nicht untalen- Die Vorbereitung ist nicht optimal?
tiert, aber es hat für die wenigsten ei- Viele Kreative gehen blauäugig in Hono
nen Spaßfaktor. Viele Kreative verste- rarverhandlungen. Dabei ist erwiesen,
hen sich mehr als Künstler denn als dass eine gute Vorbereitung 50 Pro
Dienstleister. Sie brennen für ihren Job zent des Erfolgs ausmacht. Alles, was
und finden Geld zweitrangig. Aber: Wer ich bereits im Vorfeld weiß über das
freiberuflich arbeitet, kommt ums The Projekt und über den Kunden, hilft mir
ma Honorarverhandlung nicht herum. bei der Kalkulation.
Was sollte der erste Schritt sein? Also erst mal gründlich recherchieren?
Karriere, Kind
leicht ärgert. Denn wenn eine Zahl erst mal im Raum steht,
kommt man von ihr nach oben hin nicht mehr weg.
Nun hat man sich sehr gut vorbereitet, lässt sich dann in der
Verhandlung aber doch vom Kunden überfahren und knickt
ein. Was kann man dagegen tun?
Sich im Vorfeld überlegen, welche Einwände kommen könn
ten und wie ich darauf antworten kann. Sich vielleicht schon
das ein oder andere Hintertürchen zurechtlegen: Wo könn
und Kitagebühren
te ich mit dem Honorar runtergehen, sodass es von der Leis
tung her für den Kunden nachvollziehbar ist. Und wenn Gerade für Eltern, die in der Kreativbranche arbeiten, ist der
dann so Sprüche kommen, wie „Andere Designer machen Spagat zwischen Firma und Familie nicht einfach. Doch mit
es aber wesentlich günstiger“, kann man auch mal höflich
antworten: „Ja, da haben Sie recht. Meine Kunden zahlen etwas Improvisation und viel Organisation kann er gelingen
für meine Leistung jedoch gerne etwas mehr.“ Auch hier
gilt wieder: Je bekannter ich bin, desto weniger wird ein
Kunde versuchen mein Honorar zu drücken. n Bekannt ist sie als das Gesicht von Jung von Matt: Dörte
Haben Sie noch einen Tipp? Spengler-Ahrens. Die heute 44-Jährige arbeitet als Kreativ
Gut ist es, schon beim ersten Telefonat, mit dem Kunden ins geschäftsführerin der Hamburger Niederlassung, ein Job, der
Gespräch zu kommen. Er ruft ja vielleicht fünf Designer an. Zeit und Energie frisst. Dabei ist sie auch Mutter eines 7-jäh-
Wenn ich ihm von Anfang an zu verstehen gebe, dass ich mich rigen Sohnes – sowohl für die Familie als auch für die Agen-
für ihn interessiere, und ihm vermitteln kann, dass ich kapiert tur eine Herausforderung. „Obwohl ich versuche, meine Fa-
habe, was er möchte, habe ich eine bessere Chance, einen an- milie wie ein Biotop zu schützen, ertappe ich mich ab und
deren Preis durchzusetzen, als wenn ich sage: „Ich schicke Ih- zu dabei, dass ich beim Vorlesen der Gutenachtgeschich-
nen ein Angebot“ – und dann gleich wieder auflege. Es ist
schon ziemlich viel Zwischenmenschliches im Spiel. Und die
Preisfrage beschäftigt die Leute umso mehr, je vergleichbarer
die Angebote sind.
Das heißt, der Kunde hat mehr Scheu, den Preis zu drücken,
wenn der Kontakt stimmt?
Wenn ich den Kunden bereits von meiner Leistung über-
zeugt habe, dann fallen Sätze wie „Das ist mir noch zu teuer“
relativ selten. Schon eher hört man dann: „Hm, da muss ich
ja ganz schön tief in die Tasche greifen“. Und hier kann ich
nur den Tipp geben, einfach mal die Klappe zu halten und
nicht darauf zu antworten. Häufig sagt der Kunde dann:
„Na ja, das werden wir schon irgendwo herkriegen.“ Diese
Coolness, ein Schweigen einfach mal auszuhalten, muss
man natürlich trainieren. Besonders gut geht das bei Auf-
trägen, die wir eigentlich gar nicht haben wollen. Also: Auch
wenn ich kein großes Interesse an einem Job habe, einfach
ein Angebot machen, den Preis hoch setzen und dann die
innere Coolness üben.
Den Job kriegt man dann garantiert, oder?
Schon möglich, denn diese Ausstrahlung hilft enorm: cool
bleiben und den Kunden – ohne dabei arrogant zu sein –
merken zu lassen, dass ich seinen Job nicht unbedingt brau-
che. Übrigens kann man derartige Gespräche auch mit
einem Sparringspartner üben. Das kann ein professioneller
Coach sein, aber auch ein Freund, der die Rolle des ge-
wieften Kunden spielt.
Und was mache ich, wenn ich fürs Üben gar keine Zeit habe?
„Väter sollten stärker unterstützt
(Lacht) Dann empfehle ich Ihnen mein Buch „Organisieren
Sie noch oder leben Sie schon?“. Darin geht es um Zeitma-
werden, wenn sie sich für die
nagement für kreative Chaoten (www.kreative-chaoten.
com), und es hat mit herkömmlichen Zeitmanagement-
Elternzeit entscheiden“
tools nichts zu tun – die finde ich nämlich grauenvoll. ant Torsten Rech, Artbuyer bei Scholz & Volkmer in Wiesbaden
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Kommentar
Jana Liebig arbeitet seit mehr als 15 Jah Wie es nach der Elternzeit weiter-
ren in der Werbebranche – als freie gehen soll? Tja, gute Frage. Momentan
Kreative ebenso wie in kleinen und ist Bert bei 15 Kitas vorangemeldet
großen Agenturen. Die 38-Jährige ist und blockiert 14 anderen Kindern den
ADC-Mitglied und saß bereits in der Ju- Platz, wobei ich noch keine einzige Zu-
ry der Cannes Lions. Seit diesem Som- sage habe. Um ehrlich zu sein: Ich weiß
mer ist Jana Liebigs Hauptaufgabe ihr noch nicht genau, wie es danach wei-
Sohn Bert. Baby und Beruf – ein Kom- tergehen soll. Aber wenn ich keinen
mentar aus Sicht einer frischgebacke- Kitaplatz kriege, dann eben nicht. Die
nen Mutter. meisten bieten ja eh keine Acht-Stun-
den-Betreuung an.
n Nix da, selbstbestimmt arbeiten Mein Modell sieht so aus: Drei Tage
klingt überhaupt nicht wie so ein ab- Kind betreuen lassen, damit ich arbei-
gelutschter Ratgeber, sondern eher ten kann. Zur Not nehme ich eine Kin-
nach einem sehr modernen Leben. Ich derfrau, die dann zwar alles, was ich an
kann aufstehen, wann ich will, arbei- Kohle einnehme, bekommt, aber für
ten, wann ich möchte, und so lange mich ist es ja nur wichtig, im Gespräch
Pause machen, wie es geht. Ich kann zu bleiben. Genau, ich überbrücke ein
mehrere Jobs gleichzeitig machen oder paar Jährchen mit weniger Geld, aber
auch gar keinen. Ich kann im ausgelei- bleibe dafür dabei und kann dann,
erten Schnuffel-T-Shirt und mit verlaufener Wimperntusche wenn Bert 17 ist und ich endlich einen Kitaplatz habe, wie-
mit Marketingleitern telefonieren. Oder mit einem Hambur- der voll einsteigen, weil man mich noch kennt. Insofern
ger in der Hand Headlines diskutieren. Ich habe auch schon schon mal danke, dass ihr mich interviewt habt.
im Supermarkt Korrekturwünsche auf Fischstäbchenpa-
ckungen gekrakelt, weil der Kunde ausgerechnet während Insgesamt glaube ich, dass es in der Kreativbranche schwie
des Einkaufens anrief. riger ist, wieder einzusteigen, als in anderen Berufen. In unse
Alles zu können und nichts zu müssen klingt zwar sehr rer Branche ist alles so jung und so billig, das meine ich nicht
nach Swinger-Club, ist allerdings großartig, wenn man so negativ. Aber was ich beobachtet habe, sowohl in meinem
seine Kohle verdient. Wirklich. Es ist toll. Und es funktio- Jahr als Geschäftsführerin bei Philipp und Keuntje und als
niert. Überhaupt ist es sehr interessant, dass die echten Freie in anderen Agenturen: „Ältere“ Frauen, gerade die, die
Kunden, also die Marketingleute der Industrie, viel offener Mütter geworden sind, sind sehr gute Kreative. Sie müssen in
sind für ein „Oh hallo Herr Mika, nee, klar können wir die kürzerer Zeit dasselbe hinbekommen wie die jüngeren Fest
Texte schnell durchgehen, wenn Sie das Geräusch im Hin- angestellten. Sie wissen, wie man schnell auf den Punkt
tergrund nicht stört. Das ist der Fön. Ich bin grad beim Fri- kommt. Sie haben mehr Erfahrung. Und sie sind auf eine po
seur.“ Unter den Agenturen dagegen haben bisher nur sehr sitive Art anspruchsloser. Nicht weniger hungrig nach guter
wenige Verständnis für ein Arbeiten, das außerhalb der Qualität, aber zufriedener damit, dass sie arbeiten können.
Agenturmauern und nicht in den sogenannten Kernar- Wenn ich in einer leitenden Position fest angestellt wäre, wür
beitszeiten stattfindet. de ich auf jeden Fall viele Mütter einstellen. Die Ladies haben
Als mein Sohn Bert geboren wurde, beglückwünschte ihre Sporen verdient und ihre Medaillen im Schrank. Sie
mich eine Freundin mit dem Satz: „Viel Spaß beim gegen- meckern nicht mehr ganz so laut, wenn die Aufgabe lautet,
seitigen Kennenlernen!“ Ich konnte erst nichts damit an- Eckfeldanzeigen für einen Margarinehersteller zu machen,
fangen; jetzt, zwölf Wochen später, weiß ich genau, was sie sie machen sie einfach. Und sie machen es verdammt gut.
meinte. Ich kenne den kleinen Kerl nun schon ein bisschen. Auch hier ist die Industrieseite weiter. Große Unterneh-
Seit ein paar Wochen kann ich ihn einschätzen und weiß, men haben betriebseigene Kindergärten oder Ähnliches.
dass es sich nicht lohnt, tagsüber zu arbeiten, weil er da Agenturen sind leider noch nicht so weit. Wie auch, wenn da
einfach zu wenig pennt. Aber ich weiß auch, dass er ab halb nur 24-jährige Singles arbeiten und das auch noch rund um
sieben im Koma liegt. Und dann kann ich loslegen. Obwohl: die Uhr. Alle tun so, als hätte sich bei den Arbeitszeiten in
Ich darf ja gar nicht, wegen Elterngeld. Aber ich könnte. Al- Agenturen was geändert. Hat es aber nicht. Hinter dem Rü-
lerdings muss ich wirklich sagen, dass die eigenen Reser- cken jedes freelancenden Vaters, der erst um halb zehn kom
ven doch ein wenig ausgelutscht sind. Insofern ist das men kann, weil er das Kind zur Kita bringen möchte, damit
durch den Elterngeldantrag auferlegte Arbeitsverbot ei- er es überhaupt noch sieht, wird getuschelt. Dass er dann
gentlich ganz geil, denn ich kann jedem sagen: Ach, ich wür- bis halb zehn irgendwelche Pixel schiebt, ist aber selbstver-
de ja gern, aber ich darf ja nicht arbeiten – zumindest, wenn ständlich. Insofern ist unsere Branche, die sich so gern als
ich weiterhin den vollen Satz bekommen möchte. modern ansieht, leider die altmodischste, die es gibt.
Inspiration pur!
Gleich
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