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Von Andrea Reidl
Radfahren ist nicht gefährlich. Gefährlich ist eine Infrastruktur, die Radfahrerinnen
und Radfahrer immer wieder in kritische Situationen zwingt. Das zeigt Rachel
Aldreds Studie Investigating the rates and impacts of near misses and related
incidents among UK cyclists sehr eindrucksvoll. Die Verkehrswissenschaftlerin an
der University of Westminster hat erstmals Radfahrende nach ihren täglichen
Erlebnissen im Straßenverkehr befragt, um zu verstehen, was Menschen tatsächlich
am Radfahren hindert.
Für die Studie haben insgesamt 2.586 Radlerinnen und Radler an zwei bestimmten
Tagen eine Art Fahrradtagebuch geführt und ihre unangenehmen Erlebnisse im
Straßenverkehr protokolliert. Etwa drei von vier Teilnehmern waren erfahrene
Fahrradpendler, überwiegend männlich (70 Prozent) und zwischen 30 und 59 Jahre
alt. Etwa jeder Dritte von ihnen war in London unterwegs, die anderen ebenfalls aus
Städten in Großbritannien.
Für die Forscherin ist das Verhalten nachvollziehbar. Sie zieht folgenden Schluss:
"Wer Radfahrer vor beängstigenden Situationen schützen will, muss die Wege
trennen und die Straßenkultur ändern." Der Wunsch, in der Infrastruktur die
Radfahrenden vom motorisierten Verkehr zu separieren, wurde vielfach geäußert.
Der nur auf die Straße gepinselte Radstreifen genügt vielen Radfahrenden nicht.
In London hat dieser Wandel begonnen, wenn auch langsam. 2013 wurden zunächst
Radstreifen mit blauer Farbe auf die Straße gemalt. "Den Leuten wurde gesagt: Es
ist sicher, auf den Wegen zu fahren", sagt Aldred, "aber auf dieser Infrastruktur sind
Menschen gestorben." Inzwischen werden immer mehr Radwege vom Autoverkehr
klar getrennt. Zudem hat die Londoner Stadtverwaltung das Budget für die
Radinfrastruktur von einem auf zwölf Euro pro Einwohner pro Jahr erhöht.
Aber das allein reiche nicht, urteilt Aldred. Ein generelles Umdenken sei wichtig,
neben der höheren Investition sei auch der gesellschaftliche Wandel wichtig. Der hat
in London ebenfalls begonnen. "Vor ein paar Jahren wurden bei Zusammenstößen
zwischen Auto- und Radfahrern stets die Radfahrenden zur Rechenschaft gezogen",
stellt die Wissenschaftlerin fest. Journalisten hätten in ihren Beiträgen den
Radfahrern indirekt eine Mitschuld an Unfällen unterstellt, indem sie anmerkten,
dass die Toten beispielsweise weder Helme noch Warnwesten getragen hätten. Das
habe inzwischen aufgehört.
Infobox:
Lange Zeit vertrat insbesondere der ADFC die Haltung, dass es für Radfahrer am
sichersten sei, wenn sie sich mit Autofahrern eine Fahrspur teilen. So würden sie gut
gesehen und Zahl der Abbiegeunfälle sinke. Allerdings zeigen Umfragen seit Jahren,
dass sich viele Radfahrer im Verkehr nicht sicher fühlen – 47 Prozent in einer
Befragung vom Sommer 2017. Für Unsicherheit sorgen demnach vor allem zu viel
Verkehr (71 Prozent) und rücksichtslose Autofahrerinnen und -fahrer (65 Prozent).
Wer also mehr Menschen zum Umsteigen aufs Rad bewegen will, muss die
Sicherheit von Radfahrern im Alltagsverkehr steigern. Wie, ist der Mehrheit auch
klar: 70 Prozent wünschen sich deutlich getrennte Fahrspuren.
(Quelle: www.zeit.de/mobilitaet/2018-04/radfahren-stadt-risiken-gefahren-studie)