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Laute Stimmen der Literatur…

Tutti Mischa Spoliansky/M.Schi er Es liegt in der Luft

Tutti Max Bense Jetzt


Ju: Irmgard Keun Das kunstseidene Mädchen
Ra: Hugo Ball Karawane
Ph: Otto Reutter Das sind die Sorgen der Republik

Or: Alfred Döblin Berlin Alexanderplatz


Tutti: Kurt Tucholsky Augen der Großstadt
Ph/Ju: Erich Kästner Belauschte Allegorie
Tutti: Max Bense Jetzt
Or/Ra: Berthold Brecht/Kurt Weill Kanonen-Song

Jo/Ju
Ch/Ph: Mascha Kaléko Chor der Kriegswaisen
Jo/Ch: Kurt Tucholsky Rezepte gegen Grippe

Tutti: Max Bense Jetzt


Ra/Or: Paula Dehmel/Hermann Hesse Eine Hühnergeschichte/
Im Altwerden
Ch/Ju: Claire Waldo Raus mit den Männern

Jo: Erich Kästner Die Entwicklung der Menschheit


Ph: Frankz Kafka A e an die Akademie
Jo: Marlene

Ch: Eddy Beuth Intermezzo


Tutti: Mischa Spoliansky Lila Lied

Tutti: Max Bense Jetzt


Tutti: Thomas Mann Deutsche Ansprache
Tutti: Paul Abraham/Arnold Grünwald Reich mir zum Abschied

Tutti: Mascha Kaléko Nekrolog auf ein Jahr

ff
ff
ff
Mischa Spolianski/Marcellus Schi er - Es liegt in der Luft

Jo: Früher, das war'n einmal Zeiten!


Der Satz ist nicht zu bestreiten
Man bestand von früh bis spät
Nur noch aus Nervosität
Ph: Starb ein Vögelchen im Bauer
Trug gleich die Familie Trauer
Heut' ist eine andere Zeit
Tri st zum Beispiel du Herrn Koch
Fragst du ihn voll Sachlichkeit:
Beide: “Was Herr Koch, sie leben noch?"

Tutti: Es liegt in der Luft eine Sachlichkeit


Es liegt in der Luft eine Stachlichkeit
Es liegt in der Luft, es liegt in der Luft, in der Luft
Es liegt in der Luft was Idiotisches
Es liegt in der Luft was Hypnotisches
Es liegt in der Luft, es liegt in der Luft
Es geht nicht mehr raus aus der Luft

Max Bense - Jetzt


(Als Loop zu sprechen auf die Musik von „Es liegt in der Luft“ - Piano)

Jule Orlando Charlotte Ramon

Jetzt XXX X Jetzt XX XX Jetzt X XXX Jetzt

Jetzt XXX X Jetzt XX XX Jetzt X XXX und erst

XXX Jetzt XX Jetzt X X Jetzt XX Jetzt XXX

XXX und nur XX Jetzt X X Jetzt XX Jetzt XXX

Jo: Zitat

Ph: Zitat

Jo: Zitat

Ph: Zitat

Or: Was ist heute in der Luft los?


Was liegt heute in der Luft bloß?
Durch die Lüfte sausen schon
Bilder, Radio, Telefon
Ju: Durch die Luft geht alles drahtlos
Und die Luft wird schon ganz ratios
Flugzeug, Luftschi , alles schon
Hört, wie's in den Lüften schwillt
Ferngespräch und Wagnerton
Und dazwischen saust ein Bild

Tutti: Es liegt in der Luft eine Sachlichkeit


Es liegt in der Luft eine Stachlichkeit
Es liegt in der Luft, es liegt in der Luft, in der Luft
Es liegt in der Luft was Idiotisches
Es liegt in der Luft was Hypnotisches
Es liegt in der Luft, es liegt in der Luft
Es geht nicht mehr raus aus der Luft
ff
ff
ff
Max Bense - Jetzt
(Als Loop zu sprechen auf die Musik von „Es liegt in der Luft“ - Mezzoforte)

Johanna Philipp Charlotte Ramon

Jetzt XXX X Jetzt XX XX Jetzt X XXX Jetzt

Jetzt XXX X Jetzt XX XX Jetzt X XXX und erst

XXX Jetzt XX Jetzt X X Jetzt XX Jetzt XXX

XXX und nur XX Jetzt X X Jetzt XX Jetzt XXX

Or: Zitat

Ju: Zitat

Or: Zitat

Ju: Zitat

Ch: Fort mit Schnörkel, Stuck und Schaden


Glatt baut man die Hausfassaden
Nächstens baut man Häuser bloß
Ganz und gar fassadenlos
Ra: Krempel sind wir überdrüssig
Viel zu viel ist über üssig
Fort die Möbel aus der Wohnung
Fort, mit was nicht hingehört
Ich behaupte ohne Schonung:
"Jeder Mensch, der da ist, stört!"

Tutti: Es liegt in der Luft eine Sachlichkeit


Es liegt in der Luft eine Stachlichkeit
Es liegt in der Luft, es liegt in der Luft, in der Luft
Esliegtinerlufwasidioisches
Esliegtinnerufwashyoisches
Esliegtinnerluf, esliegtinnerluft
Esehnimehrauauerlu

Max Bense - Jetzt


(Als Loop zu sprechen auf die Musik von „Es liegt in der Luft“ - Forte)

Jo+Ju+Or+Ph Jo+Ju+Or+Ph Jo+Ju+Or+Ph Jo+Ju+Or+Ph

Jetzt XXX X Jetzt XX XX Jetzt X XXX Jetzt

Jetzt XXX X Jetzt XX XX Jetzt X XXX und erst

XXX Jetzt XX Jetzt X X Jetzt XX Jetzt XXX

XXX und nur XX Jetzt X X Jetzt XX Jetzt XXX

Ch: Zitat

Ra: Zitat

Ch: Zitat

Ra: Zitat

Klavierauftakt

fl
Tutti: (sehr leise gesungen)
Es liegt in der Luft eine Sachlichkeit
Es liegt in der Luft eine Stachlichkeit
Es liegt in der Luft, es liegt in der Luft, in der Luft
Es liegt in der Luft was Idiotisches
Es liegt in der Luft was Hypnotisches
Es liegt in der Luft, es liegt in der Luft
Es geht nicht mehr raus aus der Luft
Irmgard Keun - Das kunstseidene Mädchen (Auszug)

Tutti: Was siehst du noch, was siehst du noch?

Ju:

Hugo Ball - Karawane

Ra: KARAWANE

jolifanto bambla ô falli bambla

grossiga m’pfa habla horem

égiga goramen

higo bloiko russula huju

hollaka hollala

anlogo bung

blago bung

blago bung

bosso fataka

ü üü ü

schampa wulla wussa ólobo

hej tatta gôrem

eschige zunbada

wulubu ssubudu uluw ssubudu

tumba ba- umf

kusagauma

ba - umf

Otto Reutter - Das sind die Sorgen der Republik

Ph: In diesen Zeiten kann man gewahren


viele ernste Leute – fast niemand lacht.
Nun hätt' ich gerne schon längst erfahren,
was sich jetzt jeder für Sorgen macht.
In meinem Hause wohn'n vier Parteien.
„Besuch' sie“, dacht' ich, „und üb' Kritik,
dann wirst du hören aus ihren Reihen:
Was sind die Sorgen der Republik?“

1.
Im ersten Stocke saß voller Kummer
mit gleichen Antlitz ein – Millionär,
das Elend Deutschlands raubt ihm den Schlummer,
und die Familie denkt grad' wie er.
Die Söhne, Töchter, Frau Luise,
„Nur noch Devisen“ ist die Devise.
Ja, selbst der Enkel kriegt zum Pläsierchen
von Großpapachen ein klein's Papierchen.
Und seufzt das Knäblein, dass kaum geboren:
„Ach, wenn doch morgen der Dollar stieg!
Wenn jetzt die Mark steigt, bin ich verloren!“
Tutti: Das sind die Sorgen der Republik.

2.
Ph: Im zweiten Stocke saß gramversunken
'ne Metzgerswitwe, die seufzt gequält:
„Bin reich geworden, kann prahl'n und prunken,
wat nützt det allens – die Bildung fehlt.
Könnt' man die koofen!“ So seufzt leise.
Sie schwärmte stets für die höh'ren Kreise –
wollt' stets der Tochter 'nen Leutnant wählen.
Nun hat sie's Geld, und die Leutnants fehlen.
Sie sagt: „Ick hasse die neuen Reichen,
wohl sind die vor'gen? Fort seit dem Krieg – –
man muss verkehren mit – seinesgleichen!“
Tutti: Das sind die Sorgen der Republik.

3.
Ph: Im dritten Stocke hat sich erhoben
ein welker Jüngling mit ernstem Sinn.
Hat viel geschoben – nun is er oben,
da gehend & unten Was mach' ich? – Wo geh' ich hin?
Soll ich beim Foxtrott, im Club nicht zeigen?
Geh' ich zum Boxkampf, geh' ich zum „Reigen“?
Ob's Beinkleid wohl zum 5 Uhr-Tee passt?
Ob die Krawatte zum Cutaway passt?
Und wenn die Weste nicht recht gesessen,
was ich dann morgen zu hören krieg'!
Bleibt ein Knopf o en? Nur nichts vergessen!“
Tutti: Das sind die Sorgen der Republik.

4.
Ph Im vierten Stocke, den ich erstiegen,
da saß ein Mitglied vom Parlament.
ff
Der Mann am Tische hat ernst geschwiegen,
vor sich 'nen Bogen aus Pergament.
Ich fragt: „Was wird das, Sie Mann, sie weiser?
'Wird ein Entwurf wohl für Wohnungshäuser?
Wird's 'ne Tabelle für Arbeitsfragen?“
„Es wird was höh'res“, hörte ich ihn sagen.
„Wenn das gemacht wird, so wie ich's ahne,
dann ist geborgen die Politik.
's wird ein Entwurf für 'ne neue Fahne!“ – –
Tutti: Das sind die Sorgen der Republik.

Alfred Döblin - Berlin Alexanderplatz

Or: (siehe Anlage)

Kurt Tucholsky - Augen der Großstadt

Wenn du zur Arbeit gehst

am frühen Morgen,

wenn du am Bahnhof stehst

mit deinen Sorgen:

da zeigt die Stadt

dir asphaltglatt

im Menschentrichter

Millionen Gesichter:

Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,

die Braue, Pupillen, die Lider -

Was war das? vielleicht dein Lebensglück...

vorbei, verweht, nie wieder.

Du gehst dein Leben lang

auf tausend Straßen;

du siehst auf deinem Gang,

die dich vergaßen.

Ein Auge winkt,

die Seele klingt;

du hasts gefunden,

nur für Sekunden...

Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,

die Braue, Pupillen, die Lider;

Was war das? kein Mensch dreht die Zeit zurück...

Vorbei, verweht, nie wieder.

Du mußt auf deinem Gang

durch Städte wandern;

siehst einen Pulsschlag lang

den fremden Andern.

Es kann ein Feind sein,

es kann ein Freund sein,

es kann im Kampfe dein

Genosse sein.

Es sieht hinüber

und zieht vorüber...

Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,

die Braue, Pupillen, die Lider.

Was war das?

Von der großen Menschheit ein Stück!

Vorbei, verweht, nie wieder.

Erich Kästner - Belauschte Allegorie

Ph: Sämtliche steine der Pyramiden

gleichen einander so ungefähr.

Nur in einem Punkt da sind sie verschieden:

die unteren Steine tragen viel mehr.

Ju: Ihre Annteilnahme ist ehrenwert!

Die Steine haben sich wohl beschwert?

Es sind nun mal nicht alle die Ersten.

Die Untersten tragen immer am schwersten

Ph: Wäre es nicht in solchen Fällen

besser, man kippte die Dinge um?

Pyramiden auf den Kopf zu stellen

fände ich nicht dumm!

Ju: Dann gingen die Pyramiden in Trümmer.

Die Steine elen und würden gehoben.

Doch wieder wäre die Spitze oben.

Und unten wäre sie breit wie immer!

Ph: Wenn bei den Menschen, pardon! bei den Steinen

alles wie wild durcheinander gerät -

schließlich liegt doch zum Schluss, wie Sie meinen

unten und ewig die Majorität.

Ju: Das meine ich. Die Geometrie ist vernünftig,

Da hilft kein Weinen Da hilft kein Hauen!

Da hülfe nur eins.....

Ph: Und das wäre?

Ju: Künftig

vielleicht keine pyramiden mehr bauen…

Max Bense - Jetzt


Johanna Orlando Charlotte Ramon

Jetzt XXX X Jetzt XX XX Jetzt X XXX Jetzt

Jetzt XXX X Jetzt XX XX Jetzt X XXX und erst

XXX Jetzt XX Jetzt X X Jetzt XX Jetzt XXX

XXX und nur XX Jetzt X X Jetzt XX Jetzt XXX


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Berthold Brecht/Kurt Weill - Der Kanonen-Song

Or: John war darunter und Jim war dabei


Ra: Und George ist Sergeant geworden
Or: Doch die Armee, sie fragt keinen, wer er sei
Ra: Und marchierte hinauf nach dem Norden

Beide: Soldaten wohnen auf den Kanonen


Von Cap bis Couch Behar
Wenn es mal regnete und es begegnete
Ihnen 'ne neue Rasse, 'ne braune oder blasse
Dann machten sie vielleicht daraus ihr Beefsteak Tartar

Mascha Kaléko - Der Chor der Kriegerwaisen


Jo/Ju/

Ch/Ph: Wir sind die Kinder der Eisernen Zeit,

Gefüttert mit Kohlrübensuppen.

Wir haben genug von Krieg und Streit

Und den feldgrauen Aufstehpuppen!

Ch: Kind sein – das haben wir niemals gekannt.

Uns sang nur der Hunger in Schlaf,

Weil Vater im Schützengraben stand

Zu fallen für Kaiser und Vaterland,

Wenn’s grade ihn mal traf.

Ju: Und kam eines Tages ein Telegramm,

Wenn der Vater schon lang nicht geschrieben,

Dann zog sich die Mutter das Schwarze an,

Und wir waren kriegshinterblieben.

 Jo/Ju/

Ch/Ph: Unser Kinderschreck war der Heldentod,

Unser Märchenbuch: Extrablätter.

Unsere Leckerbissen: das Karten-Brot,

Kanonen – unsere Götter.

Ph: Die Schul bel prangte so stolz schwarz-weiß-rot.

Draus lernten wir: Tod den Franzosen!

Wir übten: Man sagt nicht Adieu nur Grüßgott –

Und schwärmten für Stahlbadehosen.

Jo: Wir lernten Geschichte und Revolution

Am eigenen Leib erfahren.

Wir schwitzten für Gelder der In ation,

Die später Klosettpapier waren.

 Jo/Ju/

Ch/Ph: Wir spüren noch heute auf Schritt und Tritt

Jener herrlichen Zeiten Vermächtnis.

Und spielt ihr Soldaten, wir machen nicht mit,

Denn wir haben ein gutes Gedächtnis.

Ra: John ist gestorben und Jimmy ist tot


Or: Und George ist vermisst und verdorben
Ra: Aber Blut ist immer noch rot
Or: Für die Armee wird jetzt wieder geworben
fi
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Beide: Soldaten wohnen auf den Kanonen
Von Cap bis Couch Behar
Wenn es mal regnete und es begegnete
Ihnen 'ne neue Rasse, 'ne braune oder blasse
Dann machten sie vielleicht daraus ihr Beefsteak Tartar

Kurt Tuchoslky - Rezepte gegen Grippe

Jo: Beim ersten Herannahen der Grippe, erkennbar an leichtem Kribbeln in der Nase, Ziehen
in den Füßen, Hüsteln, Geldmangel und der Abneigung, morgens ins Geschäft zu gehen,
gurgele man mit etwas gestoßenem Koks sowie einem halben Tropfen Jod. Darauf p egt
dann die Grippe einzusetzen.

Ch: Die Grippe – auch ›spanische Grippe‹, In uenza, Erkältung (lateinisch: Schnuppen)
genannt – wird durch nervöse Bakterien verbreitet, die ihrerseits erkältet sind: die
sogenannten Infusionstierchen. Die Grippe ist manchmal von Fieber begleitet, das mit
128° Fahrenheit einsetzt; an festen Börsentagen ist es etwas schwächer, an schwachen
fester – also meist fester. Man steckt sich am vorteilhaftesten an, indem man als
männlicher Grippekranker eine Frau, als weibliche Grippekranke einen Mann küßt – über
das Geschlecht befrage man seinen Hausarzt. Die Ansteckung kann auch erfolgen, indem
man sich in ein Hustenhaus (sog. ›Theater‹) begibt; man vermeide es aber, sich beim
Husten die Hand vor den Mund zu halten, weil dies nicht gesund für die Bazillen ist. Die
Grippe steckt nicht an, sondern ist eine Infektionskrankheit.

Jo: Sehr gut haben meinem Mann ja immer die kalten Packungen getan; wir machen das so,
dass wir einen heißen Grießbrei kochen, diesen in ein Leinentuch packen, ihn aufessen
und dem Kranken dann etwas Kognak geben – innerhalb zwei Stunden ist der Kranke
hellblau, nach einer weiteren Stunde dunkelblau. Statt Kognak kann auch Möbelspiritus
verabreicht werden.

Ch: Fleisch, Gemüse, Suppe, Butter, Brot, Obst, Kompott und Nachspeise sind während der
Grippe tunlichst zu vermeiden – Homöopathen lecken am besten täglich je dreimal eine
Fünf-Pfennig-Marke, bei hohem Fieber eine Zehn-Pfennig-Marke.

Jo: Bei Grippe muß unter allen Umständen das Bett gehütet werden – es braucht nicht das
eigene zu sein. Während der Schüttelfröste trage man wollene Strümpfe, diese am besten
um den Hals; damit die Beine unterdessen nicht unbedeckt bleiben, bekleide man sie mit
je einem Stehumlegekragen. Die Hauptsache bei der Behandlung ist Wärme: also ein
römisches Konkordats-Bad. Bei der Rückfahrt stelle man sich auf eine Omnibus-Plattform,
schließe aber allen Mitfahrenden den Mund, damit es nicht zieht.

Ch: Die Schulmedizin versagt vor der Grippe gänzlich. Es ist also sehr gut, sich ein siderisches
Pendel über den Bauch zu hängen: schwingt es von rechts nach links, handelt es sich um
In uenza; schwingt es aber von links nach rechts, so ist eine Erkältung im Anzuge. Darauf
ziehe man den Anzug aus und begebe sich in die Behandlung Weißenbergs. Der von ihm
verordnete weiße Käse muß unmittelbar auf die Grippe geschmiert werden; ihn unter das
Bett zu kleben, zeugt von medizinischer Unkenntnis sowie von Herzensroheit.

Jo: Keinesfalls vertraue man dieses geheimnisvolle Leiden einem sogenannten ›Arzt‹ an; man
frage vielmehr im Grippefall Frau Meyer. Frau Meyer weiß immer etwas gegen diese
Krankheit. Bricht in einem Bekanntenkreis die Grippe aus, so genügt es, wenn
sich ein Mitglied des Kreises in Behandlung begibt – die andern machen dann alles mit,
was der Arzt verordnet. An hauptsächlichen Mitteln kommen in Betracht:

Kamillentee. Fliedertee. Magnolientee. Gummibaumtee. Kakteentee.

Diese Mittel stammen noch aus Großmutters Tagen und helfen in keiner Weise glänzend.
Ch: Unsere moderne Zeit hat andere Mittel, der chemischen Industrie aufzuhelfen. An
Grippemitteln seien genannt: Aspirol. Pyramidin. Bysopeptan. Ohrolax. Primadonna.
Bellapholisiin. Aethyl-Phenil-Lekaryl-Parapherinan-Dynamit-Acethylen-Koollomban-
Piporol. Bei letzterem Mittel genügt es schon, den Namen mehrere Male schnell
hintereinander auszusprechen. Man nehme alle diese Mittel sofort, wenn sie aufkommen –
solange sie noch helfen, und zwar in alphabetischer Reihenfolge, ch ist ein Buchstabe.
Doppelkohlensaures Natron ist auch gesund.

Jo: Besonders bewährt haben sich nach der Behandlung die sogenannten prophylaktischen
Spritzen (lac, griechisch; so viel wie ›Milch‹ oder ›See‹). Diese Spritzen heilen am besten
Grippen, die bereits vorbei sind – diese aber immer.

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Ch: Amerikaner p egen sich bei Grippe Umschläge mit heißem Schwedenpunsch zu machen;
Italiener halten den rechten Arm längere Zeit in gestreckter Richtung in die Höhe;
Franzosen ignorieren die Grippe so, wie sie den Winter ignorieren, und die Wiener machen
ein Feuilleton aus dem jeweiligen Krankheitsfall. Wir Deutsche aber behandeln die Sache
methodisch: Wir legen uns erst ins Bett, bekommen dann die Grippe und stehen nur auf,
wenn wir wirklich hohes Fieber haben: dann müssen wir dringend in die Stadt, um etwas
zu erledigen. Ein Telefon am Bett von weiblichen Patienten zieht den Krankheitsverlauf in
die Länge.

Jo: Die Grippe wurde im Jahre 1725 von dem englischen Pfarrer Jonathan Grips erfunden;
wissenschaftlich heilbar ist sie seit dem Jahre 1724.

Die glücklich erfolgte Heilung erkennt man an Kreuzschmerzen, Husten, Ziehen in den
Füßen und einem leichten Kribbeln in der Nase. Diese Anzeichen gehören aber nicht, wie
der Laie meint, der alten Grippe an – sondern einer neuen. Die Dauer einer gewöhnlichen
Hausgrippe ist bei ärztlicher Behandlung drei Wochen, ohne ärztliche Behandlung 21 Tage.
Bei Männern tritt noch die sog, ›Wehleidigkeit‹ hinzu; mit diesem Aufwand an Getue
kriegen Frauen Kinder.

Ch: Das Hausmittel Cäsars gegen die Grippe war Lorbeerkranz-Suppe; das Palastmittel
Vanderbilts ist Platinbouillon mit weichgekochten Perlen.

Beide: Und so fasse ich denn meine Ausführungen in die Worte des bekannten Grippologen
Professor Dr. Dr. Dr. Ovaritius zusammen:

Die Grippe ist keine Krankheit – sie ist ein Zustand –!

Max Bense - Jetzt


Johanna Orlando Charlotte Ramon

Jetzt XXX X Jetzt XX XX Jetzt X XXX Jetzt

Jetzt XXX X Jetzt XX XX Jetzt X XXX und erst

XXX Jetzt XX Jetzt X X Jetzt XX Jetzt XXX

XXX und nur XX Jetzt X X Jetzt XX Jetzt XXX


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Paula Dehmel - Eine Hühnergeschichte

Ra: Auf dem Hofe kräht der Hahn,

Ein rot-schwarz-gelb und grüner:

Kuchen, Kuchen, Kuchen auf dem Tisch,

Fix, kommt x, ihr Hühner!

Seht die Hennen,

Wie sie rennen,

Aus Verstecken,

Über Zäune, über Hecken,

Gackern, beißen sich und schrein,

Jede will die Erste sein!

Wie sie iegen, wie sie attern,

Um ein Plätzchen zu ergattern!

Oben auf des Tisches Mitte

steht Herr Hahn;

Bitte, meine Damen, bitte,

fangt nur an!

Pick und schluck,

Nicht genug,

Immer mehr,

Kuchen her!

Unser Kropf,

Ist ein Topf,

Wird nicht voll,

Wird nicht leer,

Darum mehr

Kuchen her,

Bis der Teller leckeleer!

Drüben aus des Gärtners Haus

Guckt der kleine Fritz und lacht:

Ei, wie sah das lustig aus,

Das haben die Hühner klug gemacht!

Hermann Hesse - Im Altwerden

Or: Jung sein und Gutes tun ist leicht,

Und von allem Gemeinen entfernt sein;

Aber lächeln, wenn schon der Herzschlag schleicht,

Das will gelernt sein.

Und wem's gelingt, der ist nicht alt,

Der steht noch hell in Flammen

Und biegt mit seiner Faust Gewalt

Die Pole der Welt zusammen.

Weil wir den Tod dort warten sehn,

Laß uns nicht stehen bleiben.

Wir wollen ihm entgegengehn,

Wir wollen ihn vertreiben.

Der Tod ist weder dort noch hier,

Er steht auf allen Pfaden.

Er ist in dir und ist in mir,

Sobald wir das Leben verraten.

fl
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Claire Waldo - Raus mit den Männern ausm Reichstag

Ju/Ch: Es weht durch die ganze Historie

Ein Zug der Emanzipation

Vom Menschen bis zur Infusorie

Überall will das Weib auf den Thron

Von den Amazonen bis zur Berliner Range

Braust ein Ruf wie Donnerhall daher:

"Wat die Männer können, können wir schon lange

Und vielleicht 'ne janze Ecke mehr

Raus mit'n Männern aus'm Reichstag

Und raus mit'n Männern aus'm Landtag

Und raus mit'n Männern aus'm Herrenhaus

Wir machen draus

Ein Frauenhaus

Raus mit'n Männern aus'm Dasein

Und raus mit'n Männern aus'm Hiersein

Und raus mit'n Männern aus'm Dortsein

Sie müssten längst schon fort sein

Ja, raus mit'n Männern aus'm Bau

Und rin in die Dinger mit der Frau!"

Es liegen in der Wiege und brüllen

Die zukünft'jen Männer, ganz klein

Die Amme, die Meisterin im Stillen

Flößt die Kraft ihnen schluckweise ein

Von dem vielen Flößen aus Flasche, Brust und Becher

Ach, wir dummen Frauen sind ja Schuld

Da werd'n sie immer stärker, da werd'n sie immer frecher

Na, uns reißt doch endlich die Geduld

Ref: Raus mit'n Männern aus'm Reichstag…

Die Männer hab'n alle Berufe

Sind Schutzmann und sind Philosoph

Sie klettern von Stufe zu Stufe

In der Küche steh'n wir und sind doof

Sie bekommen Orden, wir bekommen Schwielen

Liebe Kinder, es ist eine Schmach!

Ja, sie trau'n sich jar, die Politik zu spielen

Aber - na, sie ist ja ooch danach

Ref: Raus mit'n Männern aus'm Reichstag…

ff
Erich Kästner - Entwicklung der Menschheit

Jh: Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,



behaart und mit böser Visage.

Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt

und die Welt asphaltiert und aufgestockt,

bis zur 30. Etage.

Da saßen sie nun, den Flöhen ent ohn,



in zentralgeheizten Räumen.

Da sitzen sie nun am Telefon.

Und es herrscht noch genau derselbe Ton

wie seinerzeit auf den Bäumen.

Sie hören weit. Sie sehen fern.



Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.

Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.

Die Erde ist ein gebildeter Stern

mit sehr viel Wasserspülung.

Sie schießen die Briefschaften durch ein Rohr.



Sie jagen und züchten Mikroben.

Sie versehn die Natur mit allem Komfort.

Sie iegen steil in den Himmel empor

und bleiben zwei Wochen oben.

Was ihre Verdauung übrigläßt,



das verarbeiten sie zu Watte.

Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest.

Und sie stellen durch Stiluntersuchungen fest,

daß Cäsar Plattfüße hatte.

So haben sie mit dem Kopf und dem Mund



Den Fortschritt der Menschheit gescha en.

Doch davon mal abgesehen und

bei Lichte betrachtet sind sie im Grund

noch immer die alten A en.

Franz Kafka - Bericht für eine Akademie

Ph: (siehe Anhang)

Marlene
Jo: t.b.a.

fl
ff
fl
ff
Eddy Beuth - Intermezzo

Ch: Die Wellen rauschen müde ans Land,

Wir saßen zu dritt am Nordseestrand,

Sie- und er und ich.

Er war ihr ja eigen, ihr Ehemann,

Sie schauten sich kalt und gelangweilt an.

Sie und er.

Wir sprachen gebildet und sehr gewählt

Von Kunst und vom Sport und war Fama erzählt,

Sie und er und ich.

Da plötzlich sahen wir uns an so toll,

Begehrend und heiß und verzwei ungsvoll

Sie und ich.

Ein AUgenblick war’s nur. Verrauscht, verweht.

Wir wussten, zum Glück ist’s viel, viel zu spät.

Er und ich.

Ein Halbton nur, ein gebrochner Akkord.

Die Wellen trugen ihn rauschen fort.

- Wir sprachen von Kunst und vom Flirt und vom Sport.

Sie - und er - - und ich.

Mischa Spoliansky - Das Lila Lied

Tutti Was will man nur? Ist das Kultur,

Daß jeder Mensch verpönt ist,

Der klug und gut, jedoch mit Blut

Von eigner Art durchströmt ist,

Daß grade die Kategorie

Vor dem Gesetz verbannt ist,

Die im Gefühl bei Lust und Spiel

Und in der Art verwandt ist?

Und dennoch sind die meisten stolz,

Daß sie von anderm Holz!

Wir sind nun einmal anders, als die andern,

Die nur im Gleichschritt der Moral geliebt,

Neugierig erst durch tausend Wunder wandern,

Und für die ′s doch nur das Banale gibt.

Wir aber wissen nicht, wie das Gefühl ist,

Denn wir sind alle andrer Welten Kind;

Wir lieben nur die lila Nacht, die schwül ist,

Weil wir ja anders als die andern sind.

Wozu die Qual, uns die Moral

Der andern aufzudrängen?

Wir, hört geschwind, sind wie wir sind,

Selbst wollte man uns hängen.

Wer aber denkt, daß man uns hängt,

Den müßte man beweinen,

Doch bald gebt acht, es wird über Nacht

Auch unsre Sonne scheinen.

Dann haben wir das gleiche Recht erstritten,

Wir leiden nicht mehr, sondern sind gelitten.

Wir sind nun einmal anders, als die andern…

fl
Thomas Mann - Deutsche Ansprache

Deutsche Ansprache

Ein Appell an die Vernunft

Meine geehrten Zuhörer, - ich weiß nicht, ob ich auf ihr Verständnis rechnen darf für den
vielleicht phantastisch anmutenden Schritt, den ich unternahm, indem ich bitten ließ, mich
heute Abend anzuhören.

Ich bin kein Anhänger des unerbittlich sozialen Aktivismus, möchte nicht mit diesem in der
Kunst, im Nutzlos-Schönen einen individualistischen Müßiggang erblicken, dessen
Unzeitgemäßheit ihn fast der Kategorie des Verbrecherischen zuordnet. Auch wenn man
wohl weiß, dass die Epoche, da Schiller das „reine Spiel“ als den höchsten Zustand des
Menschen feiern konnte, die Epoche des ästhetischen Idealismus, eben als Epoche vorüber
ist, braucht man der aktivistischen Gleichung von Idealismus und Frivolität nicht
zuzustimmen. Form, gebe sie sich noch so spielerisch, ist dem Geiste verwandt, dem Führer
des Menschen auch zum gesellschaftlich Besseren; und Kunst die Sphäre, in der der
Gegensatz von Idealismus und Sozialismus sich aufhebt.

Dennoch gibt es Stunden, Augenblicke des Gemeinschaftslebens, wo solche Rechtfertigung


der Kunst praktisch versagt; wo der Künstler von innen her nicht weiter kann, weil
unmittelbarere Notgedanken des Lebens den Kunstgedanken zurückdrängen, krisenhafte
Bedrängnis der Allgemeinheit auch ihn auf eine Weise erschüttert, dass die spielend
leidenschaftliche Vertiefung ins Ewig-Menschliche, die man Kunst nennt, wirklich das
zeitliche Gepräge des Luxuriösen und Müßigen gewinnt und zur seelischen Unmöglichkeit
wird. So war es vor sechzehn Jahren, als der Krieg ausbrach, mit dem für alle Wissenden so
viel mehr begann, als ein Feldzug; so war es in den Friedensjahren danach und dann vor
zwölfen, als Deutschland nach verbrecherischem Dauermißbrauch aller seiner Kräfte durch
die, die sich seine Führer nannten, zusammenbrach und mit Müh und Not von Männern, die
sich die Aufgabe nicht erträumt hatten und ihrer gerne überhoben gewesen wären, das
Reich, die deutsche Einheit in der Form gerettet wurde, wie wir sie von unseren Vätern
ererbt haben. So ist es heute wieder, nach Jahren, in denen Gutmütige an Erholung, an die
langsame Rückkehr gemächlicherer und gesicherterer Zustände glauben mochten, während
doch das durch den Krieg zerschlagene und mit Füßen getretene Wirtschaftssystem der Welt
keineswegs geheilt war, noch seiner Heilung entgegensah, sondern in einer Unordnung
zurückgeblieben war, die durch eine archaische und blinde Tributpolitik der den Frieden
diktierenden Staaten verschärft wurde. Nun geht eine neue Welle wirtschaftlicher Krisis
über uns hin und wühlt die politischen Leidenschaften auf; denn man braucht nicht
materialistischer Marxist zu sein, um zu begreifen, dass das politische Fühlen und denken
der Massen weitgehend von ihrem wirtschaftlichen Be nden bestimmt wird, dass sie diese
in politische Kritik umsetzen, wie wenn ein kranker Philosoph seine physiologischen
Hemmungen ohne ideelle Korrektur in Lebenskritik umsetzte. Es heißt wohl zuviel
verlangen, wenn man von einem wirtschaftlich kranken Volk ein gesundes politisches
Denken fordert.
fi
Es gibt kein Einzelglück, wenn das Elend die Stunde regiert. Wir alle sind hineingezogen in
den Wirbel aus Not und leidvoller Erbitterung, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint.
Wessen Teil in helleren Tagen die freie P ege des Übernützlichen war, sieht sich verstört
und gelähmt; denn wie soll er freimütig und menschlich vertrauensvoll wirken in einem
zerrissenen und zerspaltenen Volk, dem der Hass, das kranke Erzeugnis der Not, jede
Unbefangenheit des Blickes raubt?
Der Ausgang der Reichtagswahlen, meine geehrten Zuhörer, kann nicht rein wirtschaftlich
erklärt werden. Das deutsche Volk ist seiner natürlichen Anlage nach nicht radikalistisch,
und wäre das Maß von Radikalisierung, das nun wenigstens für den Augenblick zutage
getreten ist, nur eine Folge wirtschaftlicher Depression, so wäre damit allenfalls ein
Anwachsen des Kommunismus, aber nicht der Massenzulauf zu einer Partei erklärt, die auf
die militanteste und schreiend wirksamste Weise die nationale Idee mit der sozialen zu
verbinden scheint. Es ist nicht richtig, das Politische als ein reines Produkt des
Wirtschaftlichen hinzustellen.

Es gehört nicht viel psychologische Kunst dazu, meine geehrten Zuhörer, um die außen- und
innenpolitischen Leidensmotive als die Ursachen zu erkennen, die neben der
wirtschaftlichen Misslage die sensationelle Wahlkundgebung des deutschen Volkes
bestimmt haben. Es hat sich eines grell plakatierten Wahlangebotes zum Ausdruck seiner
Gefühle bedient, des sogenannten nationalsozialistischen. Aber der Nationalsozialismus
hätte als Massen-Gefühls-Überzeugung nicht die Macht und den Umfang gewinnen können,
die er jetzt erwiesen, wenn ihm nicht, der großen Mehrzahl seiner Träger unbewusst, aus
geistigen Quellen ein Sukkurs käme, der, wie alles zeitgeboren Geistige, eine relative
Wahrheit, Gesetzlichkeit und logische Notwendigkeit besitzt und davon an die populäre
Wirklichkeit der Bewegung abgibt. Mit dem wirtschaftlichen Niedergang der Mittelklasse
verband sich eine Emp ndung, die ihr als intellektuelle Prophetie und Zeitkritik
vorangegangen war: die Emp ndung einer Zeitwende, welche das Ende der von der
Französischen Revolution datierenden bürgerlichen Epoche und ihrer Ideenwelt ankündigte.
Eine neue Seelenlage der Menschheit, die mit der bürgerlichen und ihren Prinzipien:
Freiheit, Gerechtigkeit, Bildung, Optimismus, Fortschrittsglaube, nichts mehr zu schaffen
haben sollte, wurde proklamiert und drückte sich künstlerisch im expressionistischen
Seelenschrei, philosophisch als Abkehr vom Vernunftglauben, von der zugleich
mechanistischen und ideologischen Weltanschauung abgelaufener Jahrzehnte aus.

Gespeist also von solchen geistigen und pseudogeistigen Zuströmen, vermischt sich die
Bewegung, die man aktuell unter dem Namen des Nationalsozialismus zusammenfasst und
die eine so gewaltige Werbekraft bewiesen hat, vermischt sich, sage ich, diese Bewegung
mit der Riesenwelle exzentrischer Barbarei und primitiv-massendemokratischer
Jahrmarktsroheit, die über die Welt geht, als ein Produkt wilder, verwirrender und zugleich
nervös stimulierender, berauschender Eindrücke, die auf die Menschheit einstürmen.

Entlaufen scheint die Menschheit wie eine Bande losgelassener Schuljungen aus der
humanistisch-idealistischen Schule des neunzehnten Jahrhunderts, gegen dessen Moralität,
wenn denn überhaupt von Moral die Rede sein soll, unsere Zeit einen weiten und wilden
Rückschlag darstellt.
fi
fi
fl
Der exzentrischen Seelenlage einer der Idee entlaufenen Menschheit
entspricht eine Politik im Groteskstil mit Heilsarmee-Allüren, Massenkrampf, Budengeläut,
Halleluja und derwischmäßigem Wiederholen monotoner Schlagworte, bis alles Schaum vor
dem Munde hat. Fanatismus wird Heilsprinzip, Begeisterung epileptische Ekstase, Politik
wird zum Massenopiat des Dritten Reiches oder einer proletarischen Eschatologie, und die
Vernunft verhüllt ihr Antlitz.

Der Hass richtet sich nicht sowohl nach außen wie nach innen, ja, seine fanatische Liebe zu
Deutschland erscheint vorwiegend als Hass, nicht auf die Fremden, sondern auf alle
Deutschen, die nicht an seine Mittel glauben und die er auszutilgen verspricht, was selbst
heute noch ein umständliches Geschäft wäre, als Hass auf alles, was den höheren Ruhm, das
geistige Ansehen Deutschlands in der Welt ausmacht. Sein Hauptziel, so scheint es immer
mehr, ist die innere Reinigung Deutschlands, die Zurückführung des Deutschen auf den
Begriff, den der Radikal-Nationalismus davon hegt. Ist nun, frage ich, eine solche
Zurückführung, gesetzt, dass sie wünschenswert sei, auch nur möglich? Ist das Wunschbild
einer primitiven, blutreinen, herzens- und verstandesschlichten, Hacken
zusammenschlagenden, blauäugig gehorsamen und strammen Biederkeit, diese
vollkommene nationale Simplizität, auch nach zehntausend Ausweisungen und
Reinigungsexekutionen zu verwirklichen in einem alten, reifen, vielerfahrenen und
hochbedürftigen Kulturvolk, das geistige und seelische Abenteuer hinter sich hat wie das
deutsche, das eine weltbürgerliche und hohe Klassik, die tiefste und raf nierteste Romantik,
Goethe, Schopenhauer, Nietzsche, die erhabene Morbidität von Wagners Tristan-Musik
erlebt hat und im Blute trägt? Der Nationalismus will das Fanatische mit dem Würdigen
vereinigen; aber die Würde eines Volkes wie des unsrigen kann nicht die der Einfalt, kann
nur die Würde des Wissens und des Geistes sein, und die weist den Veitstanz des Fanatismus
von sich.

Jeder Außenpolitik, meine geehrten Zuhörer, entspricht eine Innenpolitik, die ihr
organisches Zubehör darstellt, mit ihr eine unau ösliche geistige und sittliche Einheit bildet.
Wenn ich der Überzeugung bin, dass der politische Platz des deutschen Bürgertums heute an
der Seite der Sozialdemokratie ist, so verstehe ich das Wort „politisch“ im Sinn dieser
inneren und äußeren Einheit.

Der Name voll Sorge und Liebe, der uns bindet, der nach Jahren einer halben Entspannung
uns heute wieder wie 1914 und 1918 im Tiefsten ergreift, uns Herz und Zunge löst, ist für
uns alle nur einer: Deutschland.
fl
fi

Paul Abraham - Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände

Ju: Einmal da schlägt für uns die Stunde,


in der wir unser Sehnen einsam tragen.
Or: Einmal da blutet eine Wunde
und du muss unter Tränen zu mir sagen:

Tutti: Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände,


Good Night, Good Night, Good Night.
Schön war das Märchen, nun ist es zuende,
Good Night, Good Night, Good Night.

Ch/Ra: Still kommt der Abend wir fühlen es kaum


Liebe und Glück, sind nur ein Traum.

Tutti: Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände,


Good Night, Good Night, Good Night.

Mascha Kaléko - Nekrolog auf ein Jahr

Jo: Nun starb das Jahr. Auch dieses ging daneben.

Längst trat es seinen Lebensabend an.

Ch: Es lohnt sich kaum, der Trauer hinzugeben,

Weil man sich ja ein neues leisten kann.

Or: Man sah so manches Jahr vorüber iegen,

Und der Kalender wurde langsam alt.

Das Glück gleicht eleganten Luxuszügen

Und wir der Kleinbahn ohne Aufenthalt.

Ph: Im Wintersportgebiet hat's Schnee gegeben.

Ch: Wer Hunger hat, schwärmt selten für Natur.

Ph: Silvester kam. Und manches Innenleben

Bedarf jetzt fristgemäß der Inventur.

Ju: Wir gossen Blei und trieben Neujahrspossen.

Ra: (Minister formen meist den Vogel Strauß...)

Ju: Was wir im letzten Jahr in Blei gegossen,

Das sah verdammt nach Pleitegeier aus.

Ra: Das Geld regiert. Wer hat es nicht erfahren,

Dass Menschenliebe wenig Zinsen trägt.

Ein braver Mann kann höchstens Worte sparen.

Ch: …Wenn er die Silben hübsch beiseitelegt.

Jo: Die Freundschaft welkt im Rechnen mit Prozenten.

Ph: Bald siehst du ein, dass keiner helfen kann.

Jo: Du stehst allein.

Ph: Und die dir helfen könnten,

Die sagen höchstens:

Jo: <… rufen Sie mal an!>

Tutti: Nun starb ein Jahr. -

Or: Man lästre nicht am Grabe!

Tutti: Doch: Wenn das Leben einer Schule gleicht,

Dann war dies Jahr ein schwachbegabter Knabe

Und hat das Ziel der Klasse nicht erreicht.

fl
Tutti: Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände,
Good Night, Good Night, Good Night.
Schön war das Märchen, nun ist es zuende,
Good Night, Good Night, Good Night.
Still kommt der Abend wir fühlen es kaum
Liebe und Glück, sind nur ein Traum.
Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände,
Good Night, Good Night, Good Night.

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