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GESCHICHTEN, DIE
DIE FORSCHUNG
SCHREIBT
Band l
Von Sauriern, Computern
und anderem mehr
Ein Lesebuch des Deutschen
Forschungsdienstes
Herausgegeben
von Karl-Heinz Preuß
und Rolf H. Simen
Verlag Deutscher Forschungsdienst
Digital unterschrieben
von bitland

bitland
DN: cn=bitland, c=DE
Datum: 2001.11.18
10:38:05 +01'00'
Ursache: Gescannt
Unterschrift und bearbeite von
nicht bestätigt

2
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Geschichten, die die Forschung schreibt : e. Lesebuch d. Dt. Forschungsdienstes /
hrsg. von Karl-Heinz Preuss u. Rolf H. Simen. - Bonn-Bad Godesberg : Verlag
Deutscher Forschungsdienst
NE: Preuss, Karl-Heinz [Hrsg.]; Deutscher Forschungsdienst (Bonn)
Bd. 1. Von Sauriern, Computern und anderem mehr
3.,überarb. Aufl. -1988
Von Sauriern, Computern und anderem mehr: e. Lesebuch d. Dt. Forschungsdienstes /
hrsg. von Karl-Heinz Preuss u. Rolf H. Simen. - 3., überarb. Aufl. - Bonn-Bad
Godesberg : Verlag Deutscher Forschungsdienst, 1988.
(Geschichten, die die Forschung schreibt; Bd. 1)
ISBN 3-923 120-15-X
NE: Preuss, Karl-Heinz [Hrsg.]
© 1988 Verlag Deutscher Forschungsdienst,
Forschungsdienst GmbH, Bonn-Bad Godesberg
3., überarbeitete Auflage
1. Auflage 1982
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk, Fernsehen, fotome-
chanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisen Nachdruck
oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen
aller Art, sind vorbehalten.
Umschlagentwurf: Michael B. Grunzke
Typographie: Dieter Hüsken
Gesamtherstellung: Konkordia Druck GmbH, Bühl/Baden
ISBN 3-923120-15-X • Printed in Germany

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INHALT

Vorwort 12

GESCHICHTE__________________________
Von Kolumbus, Indianern und Eiszeitmenschen

Das auf Europa zentrierte Weltbild der frühen Entdeckungen verblaßt


immer mehr:
Kolumbus kamen einige zuvor 15

Forscher verblüffen durch den Beweis, daß die Indianer Nordameri-


kas auch Landkarten kannten:
Charme auf Birkenrinde 19

Auch ohne feuerfestes Kochgeschirr hatten die Hausfrauen der


Vorzeit kein Problem mit heißer Suppe:
Das „Feuer" kam mit in den Topf 22

Wer die Vorläufer der Gegenwartsmenschen wirklich waren und wie


sie lebten, zeigt
Ein neugieriger Blick in den Ur-Sammelbeutel 25

Sie waren weder heroische Großwildjäger, noch lebten sie zurückge-


zogen in Düsternis und Feuchtigkeit, und
Die Eiszeithöhlen waren nur Sommerwohnungen 28

Erst allmählich offenbaren Grabfunde auch die Gefühlswelt der


eiszeitlichen Menschen und ihre Vorstellungen vom Paradies:
Auf einer Schwanenschwinge in die Ewigkeit 31

Schon in der Eiszeit jagte der Mensch zusammen mit seinem Hund.
Seit mehr als 14000 Jahren ist er
Ein alter Freund des Menschen 34

SOZIAL- UND KULTURGESCHICHTE__________

4
Von Energieproblemen im alten Ägypten
bis zur Jeans-Revolution

Die alten Ägypter kannten nicht nur schon sehr fortschrittlich anmu-
tende Verhüttungstechniken. Sie schufen sich damit auch manches
Energie- und Umweltproblem:
Pharao ging die Holzkohle aus 38

Mit einer imponierenden Hochkultur der Feuersteintechnik hat sich


die Steinzeit aus der Geschichte verabschiedet:
Die letzte Blüte einer alten Technologie 45

Über das Theater ist viel geschrieben worden, über die Geschichte des
Theatervorhangs so gut wie nichts:
Der Stoff, der zwei Welten trennt 44

Auf Homers Spuren fand man in Thrakien endlich auch den Ort,
Wo man den ersten Wein trank 48

Noten lesen konnten sie meist nicht, aber Starallüren hatten sie
reichlich, die Sänger, über die sich Mozart ärgerte:
„Grobe, lumpenhafte Hofmusique" 52

Auch das „rasche öffentliche Essen im Vorübergehen" hat eine


Geschichte, an der man nicht vorübergehen sollte:
Lustgewinn in der Imbißbude 54

Daß man einen „halbierten Kreuzgang" auch als Spielfeld verwenden


kann, wurde im Mittelalter zu einer zündenden Idee:
Das erste Tennismatch bestritten Klosterbrüder 57

Was die Verfechterinnen der Gleichberechtigung heute über Presse,


Funk und Fernsehen versuchen, erreichten die Emanzipierten des
Mittelalters als Wanderpredigerinnen:
„Emmas" mittelalterliche Vorhut 60

Sie distanzieren sich schon äußerlich kraß von einer Gesellschaft, die
ihnen keine Zukunft zu versprechen scheint. Sind die Punks dennoch
nur
Aussteigerauf Zeit? 62

Ein über hundertjähriges Stück Arbeitskleidung hat Kulturgeschichte


gemacht. „Die Revolution trägt Jeans", hieß es einmal. Ist die
Freiheit in die Hosen gegangen? 64

5
NATURGESCHICHTE_____________________

Wale, Saurier und Meteoriten

Renommierten Astronomen scheint die bisher plausible Geschichte


von der „ Ursuppe" nicht mehr so ganz zuschmecken:
Kam das Leben aus dem All? 68

Eine zunehmende Zahl von Fossilfunden beleuchtet nun den Ent-


wicklungsweg einstiger Landtiere zu Pseudofischen:
Wie die Wale das Meer eroberten 71
Wie ihre Körper mit 30 Meter Länge und 100 Tonnen Gewicht
überhaupt funktionieren konnten, ist bis heute ein Rätsel. Daß sie
auch im alten Europa zu Hause waren, beweisen
Die Fußspuren eines Hunderttonners 74

Schon vor fast 200 Jahrmillionen haben sie sich vom „Tatort"
entfernt. Doch ihre erstaunlichen Spuren blieben:
Als die Saurier „über" die Alpen liefen 77

Hinter der so idyllisch klingenden Bezeichnung „Bärenhöhle" ver-


birgt sich oft ein grausiges Geheimnis:
Der Todesschlaf der Höhlenbären 80

Sie haben die Erde mindestens fünfzigmal länger bevölkert als die
Menschheit von Anfang an. Ihr Ende kam nicht durch „Altersschwä-
che":
Weshalb die Saurier sterben mußten 83

RÄTSEL UND WUNDER DER NATUR

Von Wasserwundern und Tausendfüßlern

Daß der Rhein einmal kurze Zeit in den Bodensee zurückfloß, ist
keineswegs ein Märchen aus alter Zeit:
Das Wasserwunder von Konstanz 87

Wenn dort auch nicht Atlantis war, so jagten


Nordseeland doch Steinzeitmenschen nach Wild:
Als Weser und Ems in die Elbe flössen 90
Was im Ötztal wirklich los war, als vor rund 8700 Jahren zwei
Kubikkilometer Gestein losbrachen, erstaunt die Fachleute immer
6
noch:
Als der Berg kam, schmolzen die Steine 93

Seit Jahrmillionen erweisen sie sich als ganz besondere Schnellhüpfer


auf der Energiesparwelle:
Das Energiesparfederwerk der Känguruhs 96

Mit recht gehobener Mathematik erfassen sie den oft gewundenen


Gang ihrer zahlreichen Beinpaare:
Die Kursmathematik der Tausendfüßler 99

Wie die verschiedenen Orientierungssysteme der Vögel eigentlich


zusammenwirken, war bis jetzt ein ungeklärtes Geheimnis:
Was Zugvögel zielsicher macht 101

RHYTHMEN DES LEBENS

Von der inneren Uhr bis zum Kraftwerk im Körper

Unter irritierender Mitternachtssonne testeten Forscher, ob ein neues


Medikament die „innere Uhr" verstellen kann:
Lithium, Biorhythmen und Depressionen 105

Auch mit den raffiniertesten wissenschaftlichen Tricks kann man


ihnen nur selten ein halbes Jahr als ganzes vorgaukeln:
Auch Tiere haben einen Kalender 108

Bei seinen jahreszeitlichen Umzügen zwischen Wasser und Land


behält der Bergmolch seine Umwelt stets richtig im Blick:
Die Jahreszeiten eines Molchauges 111

Eine riesige Alge lieferte der Forschung Modellvorstellungen für das


Herzstück der biologischen Zeitgeber:
Die Unruh der inneren Uhr 113

Ein knautschbares Folien-Ding könnte unter anderem auch Herz-


schrittmacher mit Strom versorgen:
Das Kraftwerk im Körper 116

ASTRONOMIE

Vom Weihnachtsstern bis zur kosmischen Fata Morgana

Die Weisen aus dem Morgenland lasen die Geburt Christi aus einem
ganz anderen Himmelsereignis ab, als man bisher glaubte:

7
Als Jupiter an Regulus vorbeizog 120

Ein Stern fasziniert die Astronomen allein schon durch die Tatsache,
daß es ihn gibt:
So schwer wie 2000 Sonnen 122

Seit Albert Einstein gibt es eine verblüffende Erklärung dafür, daß ein
„Stern" gleich zweimal am Himmel erscheinen kann:
Eine kosmische Fata Morgana 125

Die Radiogalaxien sind nicht nur Energie-Rätsel. Sie strahlen diese


rätselhafte Energie auch aus dem scheinbaren „Nichts" ab:
Die stärksten Funkfeuer des Universums 128

Obwohl gewisse Teilchen „ohne Eigenschaften" auch Träger falsch


verstandener Nachrichten sein könnten, stellt sich doch die Frage:
Ist die Sonne wirklich am Ende? 131

Noch weit hinter der Bahn des Uranus entfaltet der Sonnen wind eine
überraschend starke Schutzwirkung. Das zeigt:
Der Weltraum ist noch gefährlicher 134

TECHNIK UND BIOTECHNIK________________

Von „fleißigen" Mikroben


und „nachwachsenden" Super-Computern

Die Rohstoffe werden knapp. Doch der Mensch ist erfinderisch:


Mikroben heben Metallschätze 138

Auf Bestellung kommen die modernen Zauberkünstler der Chemie


und Biochemie aus Braunschweig. Dort liegen
Mikrobenheere im Kälteschlaf 141

Ausgeklügelte Technik läßt die Segelschiffe aus ihrem langen Dornrös-


chenschlaf erwachen:
Mit vollem Wind über die sieben Meere 144

Kühn ist das Projekt, einen neuen Energiefluß von Alaska nach
Europa zu leiten:
Super-U-Boote für den Erdgastransport 146

Längst hat die Meßtechnik der Astronomen jene Grenzen überwun-


den, die für optische Instrumente unüberschreitbar sind:

8
Die Argusaugen der Radioastronomie 148

Sie rechnen nicht nur 50 Millionen Vorgänge in jeder Sekunde durch,


sondern „arbeiten" auch mit an ihrer nächsten Generation:
Wie Computer „Junge" kriegen 151

ENERGIE

Wasserstoffproduzierende Algen
und Kraftwerke auf heißem Fels

Man muß nicht auf dem Vulkan leben, wenn man die Erdwärme
nutzen will. Eine neue Technik verspricht
Kraftwerke auf heißem Fels 154

Gewächshaus, Kamin und Windturbine bilden die merkwürdige


„Paten-Kombination" eines neuen Energieumwandlungssystems:
Sonnenkraftwerk im Aufwind 158

Selbst der tapfere Don Quichotte hätte um Growian II einen großen


Bogen gemacht:
Ein einarmiger Riese greift nach Windenergie 161

Was ein technisch begabter Herkules mit dem Augiasstall auch hätte
machen können, zeigte ein erfinderischer Landwirt:
Warmes Wasser aus dem Mist-Kollektor 164

Auf Bäumen wächst eine Lösung für Brasiliens Energieprobleme:


Nüsse in den Tank gepackt 166

Könnten biologisch veränderte Blaualgen Sonnenenergie direkt in


Wasserstoff umsetzen, wäre dies von kaum abschätzbarer Bedeutung:
Die Blattgrün-Energiefabriken 168

Ozeanische Wasserspiele ganz besonderer Art versprechen eine über-


raschende Lösung:
Unbegrenzte Energie durch Meereswärme? 173

Abseits der Trampelpfade des Herkömmlichen sucht man Wege zu


verblüffend neuen Energiewandlern. Nicht selten greift man dabei auf
altbekannte physikalische Effekte zurück:
Magnetische Tricks für Kraftmaschinen 177

Daß sich das Rad der Zeit auch auf dem Energieversorgungssektor
nicht zurückdrehen läßt, zeigen die Ergebnisse einer konsequent

9
durchgeführten Hochrechnung:
Hartes Erwachen aus sanften Träumen 180

UMWELTFRAGEN

Bedrohung und Überlebenschancen


unserer Natur

Ein „Aktiv-Museum" für die Wissenschaft registriert fortschreitende


Stufen der Schädigung unserer Lebenswelt. Es ist eine Probenbank
ganz besonderer Art:
Umweltkrankheiten in Konserven 184

Abwasserbelastung und gewässerbauliche Maßnahmen schränken


den Lebensraum der Tierwelt bedrohlich ein:
Gefahr für viele Süßwasserfische 187

Entgegen anderslautender Ansichten ist der Weißstorch nicht auf


Frösche „angewiesen", doch auf einen sicheren Lebensraum, und
zwar ganzjährig:
Adebar wird das Reisen abgewöhnt 190

Zahlreiche „Zuwanderer" aus der Natur stellen die Gemeinden vor


neue Aufgaben in Planung und Umweltschutz:
Wie Wildtiere Neubürger werden 193

Sie sterben mit alamierender Geschwindigkeit an einer Krankheit, die


sich erst in diesem Jahrhundert in Europa ausgebreitet hat:
Bedrohung für die letzten Ulmen 196

Im Himalaja und seinen Vorbergen spielt sich zur Zeit eine schlei-
chende Umweltkatastrophe ab, die unabsehbare Folgen nach sich
ziehen könnte:
Das Dach der Welt wird abgeholzt 199

Ein stärkeres Nebeneinander von landwirtschaftlicher Nutzung und


Naturschutz soll die Verwirklichung eines ungewöhnlichen Vorschla-
ges bringen:
Ein Unkrautsaum um jeden Acker 203

Nicht mit dem Kanonenrohr gegen Spatzen, sondern scharf gezielt


schießt die biologische Schädlingsbekämpfung ihre „Projektile" ab:
Ein Bakterium macht Karriere 206

Quellen, Hinweise, Literatur 208

10
11
Vorwort
Geschichten, die die Forschung schreibt, sind auch Ge-
schichten, die das Leben schreibt. Die Geschichte beispiels-
weise, die die Evolution bei der Entwicklung des Lebens
geschrieben hat, ist eine Geschichte, die sich uns erst offen-
bart, wenn sie vom Forscher entziffert und von ihm „nachge-
schrieben" wird. Auch das, was eine einzige schmucklose
Scherbe dem Archäologen und über ihn auch uns „erzählen"
kann, ist eine solche Geschichte.
Geschichten, die die Forschung schreibt, sind freilich fast
immer Geschichten ohne Ende. Mosaikbildern gleich, die
durch immer mehr Farbsteine ergänzt und bisweilen auch
wieder verändert werden müssen, erschließt sich uns ihr
Inhalt. Mühevolle und pedantisch genaue Detailarbeit der
Wissenschaft ist für ihre Erkundung erforderlich, die Umset-
zung ihrer Ergebnisse aus einer Fachsprache in eine uns allen
geläufige Sprache unumgänglich, wenn wir an jenen neuen
Einsichten in unsere komplizierte Welt teilhaben wollen, die
von der Wissenschaft erarbeitet wurden.
Wissenschaftliche Erkenntnisse in diesem Sinne als Kultur-
gut zu vermitteln und in allgemeinverständlicher Sprache
lebendig möglichst vielen nahezubringen, ist seit 1954 Aufgabe
der Pressekorrespondenz Deutscher Forschungsdienst, die
sich inzwischen in der Presse des gesamten deutschsprachigen
Raumes einen anerkannten Platz erobert hat und mit Aus-
landsausgaben in deutscher, englischer und spanischer Spra-
che auch weltweit über deutsche Forschung informiert.
Dieser Aufgabe des Deutschen Forschungsdienstes ent-
spricht auch die Form der mitgeteilten Information als der
eines gleichsam feuilletonistischen Zeitungsartikels, der sich
an jedermann richtet und nicht nur verdichtete Information
enthalten, sondern auch unterhaltsam, wenn nicht gar span-

12
nend geschrieben sein soll. Er soll dem Leser die oft etwas
sauertöpfisch so genannte „Bildungsaufgabe" zum Bildungs-
vergnügen machen und ihn mit Forschung in einer erzählenden
Weise vertraut machen, die seine Neugier ebenso reizt wie die
spätere Fortsetzung solcher „Erzählungen" durch die Wissen-
schaft selbst.
Deshalb ist dieser bereits in dritter Auflage erschienene
Band, der eine erfolgreiche Reihe begründet hat, mit der sich
jedermann eine eigene „Kleine Wissenschaftsbibliothek" auf-
bauen kann, in voller Absicht zu einem Lesebuch in jenem fast
schon vergessenen „altmodischen" Sinne gestaltet worden, in
dem auch das Wort „schmökern" noch einen guten Klang hat.
Dabei dokumentiert jeder Band dieser Reihe, weil er den
jeweiligen Stand der Forschung festhält und auch die damit
verbundenen und nicht immer erfüllten Hoffnungen der For-
scher beschreibt, zugleich auch ein Stück „Wissenschaftsge-
schichte", die Band für Band fortgeschrieben und auch in den
nachfolgenden Auflagen - trotz mancher notwendigen Ergän-
zung - unverfälscht nacherzählt wird.
Geschichten, die die Forschung schreibt, sollen Wissen-
schaft lebendig darstellen, ihre Aufgaben und Probleme trans-
parent machen, ihre Fortschritte mit Faszination verfolgen
lassen und zum Verständnis einer Welt beitragen, deren Bild
durch unzählige Entdeckungen immer komplexer wird.
Karl-Heinz Preuß und Rolf H. Simen
Redaktion Deutscher Forschungsdienst

13
GESCHICHTEN, DIE
DIE FORSCHUNG
SCHREIBT

GESCHICHTE
_____________________

Von Kolumbus, Indianern


und Eiszeitmenschen

14
In der Wissenschaft gibt es in einem Meer des
Zweifels kleine Inseln anscheinend gesicherter und
oft auch unbezweifelter Erkenntnisse, bis auch diese Territorien
von Forschern unterminiert oder gar weggesprengt werden. So
erleben wir gegenwärtig das Verblassen jenes Weltbildes der
frühen Entdeckungen, in denen Europa stets Mittelpunkt war:

Kolumbus kamen
einige zuvor
Kolumbus hat 1493 Amerika „entdeckt". Dennoch waren
die Wikinger bereits um 1000 in Nordamerika, als dessen
„Entdecker" Giovanni und Sebastiane Caboto (englisch: Ca-
bot) 1497 angesehen werden. Kolumbus dagegen gilt als
„Entdecker" Mittelamerikas und Südamerikas, das er erst
1498, während seiner dritten Reise, fand; Nordamerika hat er
nie gesehen.
Auf Südamerika indes, so „entdeckte" seinerseits Professor
Lienhard Delekat, Universität Bonn, sind die Phönizier schon
um 500 v. Chr. gestoßen. Ein anderes Beispiel: Australien soll
1601 von Godinho de Eredia, einem Portugiesen, dem viel-
leicht einige Landsleute zuvorgekommen sein könnten, „ent-
deckt" worden sein; dabei sind inzwischen mindestens sechs
Fundorte phönizisch-ägyptischer Gegenstände bekannt, und
davon liegen drei an der europafernen Ostküste.
Oder: 1498 „entdeckte" Vasco da Gama den Seeweg Euro-
pa - Vorderindien um Afrika herum. Und der Seeweg nach
China soll von den Portugiesen Jörge Alvares 1513 und Fernao
Perez d'Andrade 1517 gefunden worden sein. Beide Seewege
waren indes dem Abend- und Morgenland Jahrhunderte vor-
her bekannt. Sie führen, der reisegeschichtlichen Leitlinie der
Alten Welt folgend, durch das Rote Meer und dann an den
Küsten Arabiens, Persiens, Indiens entlang bis China. Marco
Polo lernte das Reich der Mitte auf dem Landweg bereits
zwischen 1271 und 1295 kennen; als er in Kanbaluk, dem
heutigen Peking, ankam, existierte dort bereits eine Kirche
nestorianischer Christen. Je mehr Tatsachen genannt oder
aufgedeckt werden, desto größer ist die Verwirrung. Das alte,
starr bewahrte Bild der frühen Entdeckungsgeschichte ver-
blaßt mehr und mehr.
Augenblicklich bricht nun eine starre Kruste verfestigter
Meinungen in der Geschichte der Reisen an vielen Stellen

15
gleichzeitig auf - und in dieser Situation veröffentlichte nach
guter Vorbereitung ein belgisch-argentinischer Gelehrter,
Professor Paul Gallez, Direktor des Patagonischen Instituts in
Bahia Bianca in Argentinien, sein gut gegliedertes, solides,
nachprüfbares Werk: „Das Geheimnis des Drachenschwan-
zes".
Viele werden hinter dem geheimnisvollen Titel so etwas wie
die Geschichten eines neuen Rätselerfinders vermuten, der,
nach bekanntem Vorbild, Nichtiges unnötig aufbläht. Gallez
bildet im Anhang seines Werkes allerdings allein 47 alte
Karten ab, und schon insofern ist das Buch ein Gewinn. Diese
Karten waren trotz ihrer oft großen Seltenheit bereits sämtlich
bekannt. Doch war die Tat des Kolumbus derart verallgemei-
nert worden, daß niemand ein Kartenbild Südamerikas vor
1493 für möglich hielt.
Mehr noch: Gallez weist nach, daß das Abendland auch
nach der weltgeschichtlich folgenreichen Fahrt des Kolumbus
mehr von Südamerika wußte als dieser jemals selbst, und zwar
zu einer Zeit, als die Conquistadoren kaum einen bewußten
Einblick oder gar einen geographischen Überblick gewonnen
hatten.
Drei argentinische Gelehrte, de Gandia, Grasso und Paul
Gallez, haben uns Europäern die Augen geöffnet, und sie
konnten auch von ihrem Subkontinent aus leichter eine neue
Perspektive gewinnen. Obgleich Europa ohne Zweifel die
insgesamt größte und weltgeschichtlich entscheidende Ent-
deckungsleistung vollbrachte, bemerken wir mehr und mehr,
daß wir unser Denken nicht verabsolutieren dürfen.
Erst Gallez hat den Beweis erbracht, daß zwar Kolumbus
1493 den Weg nach Mittelamerika fand. Aber bereits 1489,
fast vier Jahre vorher, hat der Kartograph Henricus Martellus
Germanus (das ist Heinrich Hammer der Deutsche) in Vene-
dig eine Karte publiziert. Auf ihr wächst aus China, dem Land
des Drachens, und Südostasien ein schwanzförmiges Gebilde
heraus, das in einer frühen Darstellung der mittelamerikani-
schen Landbrücke und Südamerikas endet - mit erstaunlich
genauer Eintragung des Flußnetzes. Die Anwendung einer
modernen Kontrollmethode (Verzerrungsgitter) zeigte, daß
Südamerika 1489 weitaus richtiger dargestellt worden ist als
vergleichsweise das doch gut bekannte Deutschland.
Zahlreiche spätere Weltkarten zwischen 1507 bis 1573, so
zeigt Gallez auf, überliefern mit wachsender Ungenauigkeit
dieses vorkolumbianische Weltbild. Manche dieser Karten
enthalten Südamerika zweimal: Einmal wächst es als Drachen-

16
schwanz aus Asien heraus, dann erscheint es wieder richtig als
neuer Weltteil. Der berühmte Kartograph Waldseemüller, der
auf Veranlassung Matthias Ringmanns den Namen Amerika
erstmals 1507 auf einem Globus und auf einer Karte einzeich-
nete, stellte Südamerika dabei auf ein und demselben Blatt
sogar dreimal dar.
Als älteste Südamerika-Darstellung in Form des Drachen-
schwanzes wies Gallez zudem überzeugend die von einem
jungen Orientalisten 1968 solide rekonstruierte Karte des
arabischen Geographen al-Huwarizmi 833 n. Chr. nach.
Indem Gallez von hier aus in den Kern der Gedanken der
großen griechischen Kartographen vorstößt, belegt er die
Schwächen des Ptolemäus (etwa 100-160 n.Chr.) und die
Stärken seines genialen, von ihm weidlich ausgebeuteten und
oft mißverstandenen Vorbildes Marinos von Tyros (um 100
n.Chr.). Der östliche Golf auf allen griechisch inspirierten
Weltkarten bis in den Anbruch der Neuzeit hinein erwies sich
als frühe Darstellung des Pazifischen Ozeans.
Ziehen wir kurz alles zu einer Frage zusammen: Wie konn-
ten Kartographen seit 833 n.Chr. Südamerika überhaupt
darstellen? Offenbar sind frühe Reisen, vom Mittelmeer aus-
gehend und der reisegeschichtlichen Leitlinie der Alten Welt
folgend, das heißt längs des Roten Meeres, Persiens, Vorder-
und Hinterindiens, bis nach China gelangt.
Schon Alexander von Humboldt wußte 1847 in seinem
„Kosmos" zu berichten, daß Kaiser Marcus Aurelius Antonius
(161-180) römische Legaten an den chinesischen Hof gesandt
hat, ein Ereignis, das chinesische Geschichtsschreiber in den
Reichsannalen registriert haben. Diese Legaten sind zum
Beispiel nachweislich auf dem Seeweg über Tonking gekom-
men.
Von China aus fanden frühe Reisen, vom Transportband
des Kuroshio-Stromes dirigiert, den Weg nach Alaska und von
hier, der Küste folgend, nach Südamerika. Auch Japaner und
Inder dürften diesen Weg gefunden haben, wie die neu
aufgedeckte, vermutlich älteste Kultur Südamerikas an der
Küste Ecuadors nahelegt.
Phönizische, griechische und römische Kapitäne, die der
genannten Leitlinie der Alten Welt folgten, haben Informatio-
nen der ostasiatischen Kultur übernehmen können.
Ob es so gewesen ist, wird als Frage wohl noch länger
unbeantwortet bleiben. Jedenfalls ist nach einem Weg zu
suchen, der das Zustandekommen des frühen südamerikani-
schen Kartenbildes verständlich macht. Dieses frühe Weltbild

17
eines angeblich erst 1498 von Kolumbus entdeckten Subkonti-
nents wird dem Leser von Gallez in 47 alten Weltkarten
erhellt.
Wir müssen nun noch die Entdeckungsreisen entdecken, die
dieses frühe und richtige Kartenbild ermöglicht haben.
Professor Dr. Hanno Beck

18
Auch einem findigen Kopf könnte die einfache
Frage nach Landkarten der Indianer Nordame-
rikas Schwierigkeiten machen, da selbst das Wissen der Fach-
leute auf europäische, arabische und chinesische Karten be-
grenzt geblieben ist. Seltsamerweise übersah man den indiani-
schen

Charme
auf Birkenrinde
Grundsätzliche Zweifel, ob denn die nordamerikanischen
Indianer überhaupt Landkarten kannten, sind nicht mehr
vonnöten, seit sie der Geograph und Amerikanist Professor
Rainer Vollmar von der Freien Universität Berlin in Archiven
und Bibliotheken der USA, Kanadas, Großbritanniens,
Frankreichs und Spaniens gefunden und zu dem faszinieren-
den Werk „Indianische Karten Nordamerikas" zusammenge-
stellt hat. Eine solche Sammlung fehlte bis dahin in der
Weltliteratur. Erstmals ermöglicht sie Laien und Gelehrten
einen Überblick, der zuvor weder erwartet noch je für möglich
gehalten wurde.
Ein Fünftel der sehr seltenen Darstellungen aus dem 16. bis
19. Jahrhundert stammt von Indianern selbst, die übrigen
bezeugen indianisch-europäische Kombination. Es lassen sich
Wege- und Botschaftskarten mit Routenbeschreibung, Jagd-
berichte und Warnungen unterscheiden.
Um seine reichen Funde verständlich zu machen, hat Voll-
mar eine bemerkenswerte Theorie entwickelt. Die Indianer
haben im Rahmen ihrer Lebenssicherung im Gelände selbst
einen Lernprozeß durchlaufen, der sie schließlich auch zu
einer kartographischen Abstraktion befähigte. Dabei enthüll-
ten Indianer zum Beispiel in ihren Birkenrinde-Karten einen
unerwarteten Charme.
Der deutsche Geograph Johann Georg Kohl berichtete 1857
von seinen Reisen im damals noch recht unbekannten Nord-
westen der Vereinigten Staaten, er habe von der Geschicklich-
keit der Indianer in der Zeichnung von Kartenskizzen gehört.
Um sich selbst Gewißheit zu verschaffen, fragte er „Tönenden
Wind", einen Sioux-Indianer, über das Seengebiet und die
Flußverzweigungen des Canon Rivers, des Kanonenflusses,
aus. Der kluge Indianer nannte ihm eine „zahllose" Menge von
Seen, darunter auch einige bedeutende, „von denen keine

19
Spur auf meinen amerikanischen Karten zu finden war", wie
der verblüffte Reisende feststellte. „Ich fragte ihn, ob er mir
dies wohl aufs Papier bringen könne, und er ergriff sofort
meinen Bleistift und entwarf mir eine detaillierte Landkarte
der ganzen Gegend, ein Dutzend Arme des Kanonenflusses,
ein paar Dutzend kleine Seen, aus denen sie entsprangen, und
in den größeren Seen vergaß er auch die Inselchen nicht
anzudeuten. Auch machte er einen Strich für den Fußpfad, auf
dem wir hierhergekommen, und bezeichnete ebenso den Weg,
auf dem wir zur Stadt Faribault zurückfahren werden."
Auf diese Weise haben sich zum Beispiel Karten auf euro-
päischem Papier erhalten, da immer wieder eine vergleichbare
Auskunft bei einem geländekundigen Indianer gesucht wer-
den mußte. Zur Orientierung ihrer ortsfremden Brüder haben
Rothäute in weichem Ton, Stein, Knochen und Muscheln, auf
abgeschälten Bäumen, in Birkenrinde, Tierhäute und Tuch
mit der Spitze des Jagdmessers, mit gefärbten Stöckchen oder
Holzkohle ihre Karten eingetragen.
Zum Glück gab es Europäer, die besonders leicht vergängli-
che Darstellungen etwa in der Asche eines verglimmten Lager-
feuers, im Schnee oder im regenfeuchten Boden in ihrem Wert
erkannten und kopierten.
Wir kennen groß- und kleinmaßstäbige Karten und bewun-
dern auch den unerwarteten Typ der knappen, kreisförmigen,
erzählenden Karte, welche uns mit Anteilnahme erfüllt oder
schmunzeln läßt. So etwa, „berichtet" eine Karte, hatte ein
indianisches Ehepaar Streit. Der Mann ging trotz des Unwil-
lens seiner Frau mit Pfeil und Bogen in den Wald auf die Jagd.
Als ihn ein Schneesturm überraschte, fand er zwei Zelte.
Darin befanden sich zwei kranke Personen: ein Junge mit
Masern und ein Mann mit Pocken. Er entfernte sich eilig und
erreichte einen Fluß. Er fing einen Fisch, bereitete ihn zu und
aß ihn. Nach zwei Tagen brach er auf und begegnete einem
Bären. Er erlegte ihn und fühlte sich wohl. Nach dem Auf-
bruch erblickte er ein Lager feindlicher Indianer, von dem er
sich schnell entfernte. Er kam zu einem See, sah ein Stück
Rotwild, schoß es und schleppte es zu seiner Frau und seinem
Sohn. Die Versöhnung war selbstverständlich und wurde nicht
eigens erwähnt.
Diese Geschichte wird in ihrem räumlichen Vollzug liebens-
würdig und geschickt mit Symbolen dargestellt, die jeden
modernen Graphiker anregen dürften. Fast entwickelt sich in
einer solchen Urkarte eine verständliche Zeichenschrift, ihre
„Zeichner" hatten überdies einen Sinn für Formen und Schön-

20
heit.
Die zeitgenössischen Bilder und Pionierkarten enthüllen
zudem die Wahrheit einer bisher offensichtlich unterschätzten
These: Der weg- und in unserem Sinn auch kartenkundige
Indianer war der unentbehrliche Helfer und Führer, der dem
Europäer meist selbstlos bei der „Entdeckung" seiner weiten,
großen nordamerikanischen Heimat half.
Professor Dr. Hanno Beck

21
Mit neuen wissenschaftlichen Methoden sind die
Archäologen auch hinter manches Küchenge-
heimnis der Hausfrauen der Vorgeschichte gekommen. Die
„zauberten" unter anderem problemlos heiße Suppe auf den
Tisch, obwohl sie keine feuerfesten Töpfe hatten:

Das „Feuer" kam


mit in den Topf
Kochsteine gehörten über Jahrzehntausende, wenn nicht
gar Jahrhunderttausende, zu den wichtigsten Gebrauchsge-
genständen in der Küche: Sie wurden benutzt, solange die
Hausfrau noch keine ausreichend feuerfesten metallenen oder
keramischen Töpfe zur Verfügung hatte. Konnte man schon
nicht auf Feuer kochen, so brachte man das Feuer gewisserma-
ßen in das Kochgefäß, indem man die Kochsteine in einem
offenen Feuer bis zur Glut erhitzte und dann einfach in das
Gefäß warf.
Die Prähistoriker stoßen bei ihren Grabungen immer wieder
auf derartige Praktiken des Küchenalltags der Vorzeit. Wenn
es dann allerdings um die genaue Identifizierung bestimmter
Steine als Kochsteine geht, müssen sie sich in der Regel mit
Vermutungen begnügen. Erst dem Tübinger Chemiker Dr.
Rolf Rottländer gelang am Institut für Urgeschichte der
Universität Tübingen im Laboratorium für „Archäochemie",
das chemische Forschungen im Dienste der Archäologen und
Prähistoriker betreibt, ein gesicherter Nachweis. Er konnte
eine Reihe von Steinen durch das noch in ihnen enthaltene Fett
eindeutig als Kochsteine identifizieren.
Das von Rottländer untersuchte Gesteinsmaterial stammt
aus einer Grabung von Urgeschichtlern der Universität Frei-
burg bei Yverdon (Schweiz) am südlichen Neuenburger See.
In dieser Grabung unter Leitung von Professor Christian
Strahm wurde eine Pfahlbausiedlung der Jungsteinzeit freige-
legt, in der sich viele bis zu fünf Meter hohe Haufen von
Trümmern etwa faustgroßer Steingerölle fanden, die Spuren
von Brandwirkung zeigten und offenbar durch Abkühlungsef-
fekte abgeplatzt sind. Zwar ließ sich vermuten, daß es sich um
Kochsteine handelte, da man zwischen den Steinen auch
Tonscherben fand, doch Gewißheit brachten erst die chemi-
schen Analysen der Tübinger Wissenschaftler.

22
Dieser Nachweis von Fettspuren in jahrtausendealten Koch-
steinen demonstriert die neuen Möglichkeiten, die die Chemie
für die Aufklärung des prähistorischen Alltags bietet. Zwar
hat man auch schon früher zum Teil mit Erfolg versucht, einen
Blick in die Kochtöpfe und Vorratsgefäße der Vorzeit zu tun,
und zum Beispiel in ägyptischen und römischen Gefäßen
Fettspuren gefunden, in manchen Fällen auch Indizien für
Wein. Doch erst die modernen Analysemethoden und Extrak-
tionsverfahren wie die Gaschromatographie oder Dünn-
schichtchromatographie erlauben, auch minimale Spuren or-
ganischer Substanz, die beispielsweise im porösen kerami-
schen Material eines Tontopfes die Jahrtausende überdauerte,
zu erfassen und zu analysieren.
Mit diesem neuen Rüstzeug beginnt die Archäochemie den
Hausfrauen der Vergangenheit nachzuspionieren. So entdeck-
ten die Tübinger Forscher in der Wandung einer jungsteinzeit-
lichen Gefäßscherbe aus Aldenhoven im Rheinland Butterfett
und Phosphate. Das beweist, daß dieser Topf in einem Haus-
halt vor rund 4000 Jahren als Milchtopf diente. Eine britische
Wissenschaftlergruppe untersuchte römische Amphoren, die
„Container" des Seeverkehrs jener Zeit im Mittelmeer, die
man zwar in Massen findet, von denen man jedoch selten weiß,
was sie enthielten. In einer Reihe dieser Amphoren entdeck-
ten die Forscher in den Poren der Gefäßwandungen Spuren
eines Öls, das sich als Olivenöl entpuppte: ein klarer Beweis
für die Bedeutung dieses Öls als Transportobjekt und eine
Möglichkeit, aus solchen Amphorenfunden die Wege des
Olivenölhandels im römischen Weltreich zu rekonstruieren.
Eine andere Untersuchung aus Tübingen befaßte sich mit
Material aus einer altsteinzeitlichen Fundstelle in Lommersum
bei Euskirchen im Rheinland, wo während der Eiszeit Groß-
wildjäger ein Lagerfeuer entzündet hatten. Es läßt die Ener-
giesorgen erkennen, die man schon damals hatte. In der
baumlosen Steppenwüste des eiszeitlichen Mitteleuropa gab es
kein Holz als Brennmaterial, so daß die Hausfrau ihr Feuer mit
Tierknochen, den Überbleibseln der letzten Jagd, am Lodern
halten mußte. Auf das ungewöhnliche Brennmaterial deuteten
zwar schon Funde angekohlter Knochen hin, doch den letzten
Beweis lieferte erst die Archäochemie, die in dem Boden unter
dem Lagerplatz im Feuerbereich eine Fettanreicherung ent-
deckte. Dabei handelte es sich um Knochenöl, das offenbar
aus den brennenden Knochen ausgeschmolzen worden war.
Noch verblüffender sind Beobachtungen aus einer kleinen
Höhle auf der Schwäbischen Alb in Baden-Württemberg, dem

23
sogenannten „Geißenklösterle", wo ein Wohnplatz eiszeitli-
cher Mammutjäger freigelegt wurde. Hier lieferte die Chemie
möglicherweise Hinweise dafür, wie erstaunlich gemütlich es
sich in einer solchen Höhle wohnen ließ. In den Kulturschich-
ten dieser Höhle entdeckte Rottländer nämlich eine auffällige
Fettanreicherung, die ausnahmsweise keine Küchengeheim-
nisse verriet. Die Fettsubstanz war noch so gut erhalten, daß
sich die einzelnen Fettsäuren erkennen ließen. Ihre Zusam-
mensetzung ist so ungewöhnlich, daß es unmöglich zu sein
scheint, daß es sich um Reste von Mahlzeiten handelt, bei
denen nach erfolgreicher Großwildjagd das Fett in Massen auf
den Boden strömte. Die Bestandteile des Fetts deuten viel-
mehr auf Wollfett hin, mit dem viele „wollige" Säugetiere ihr
Haarkleid konservieren. Man vermutet, daß es sich bei dem
Wollfett um Überbleibsel der braunen Mammutfelle handelt,
mit denen die Eiszeit-Frauen die Höhlen offenbar auslegten,
um sie wohnlich zu machen, und die dann beim Umzug auf
einen anderen Wohnplatz zurückgelassen wurden.
Die interessanten neuen Möglichkeiten der Chemie haben
schon zuvor Professor Hansjürgen Müller-Beck zu einem
Forschungsprogramm „Gefäßinhalte" motiviert, in dem dann
durch Untersuchung des Inhalts von rund 200 Töpfen aus
jungsteinzeitlichen Fundplätzen des Bodenseegebiets und der
Schweiz erstmals die Küchengeheimnisse einer Epoche der
Vorgeschichte erkundet wurden. Wurden vorher immer nur
vielversprechende Zufallsfunde untersucht, so ging es in die-
sem Tübinger Projekt um ein möglichst vollständiges Spek-
trum der Speisekarte und der Vorratskammer, nicht nur unter
Anwendung chemischer Methoden, sondern auch mit Hilfe
der Botanik, da beispielsweise in den schwarzen Krusten auf
dem Boden angebrannter oder ausgebrauchter Töpfe auch
Pollen als Hinweis auf Honig oder Hefepilze als Hinweis auf
gebraute Getränke wie Bier entdeckt werden können. Der
Alltag in der Vorzeit wird so allmählich zur nacherlebbaren
Wirklichkeit.
Dr. Harald Steinert

24
Es ist stets ein Glücksfall, wenn durch Funde auch
bewiesen werden kann, daß der Mensch seit
mindestens einer halben Million Jahre das Feuer beherrscht. Mit
dem Nachweis anderer Fertigkeiten unserer Vorläufer steht es
ähnlich. So gibt es Urgeschichtler, die die Erfindung eines
Sammelbeutels nicht weniger hoch einschätzen als die Anlage
der ersten Feuerstelle:

Ein neugieriger Blick


in den Ur-Sammelbeutel
Das Problem mit diesem „neugierigen Blick" besteht freilich
darin, daß er nur indirekt erfolgen kann und über den Beutel
selbst nur Spekulationen möglich sind. Denn die Existenz
solcher Behälter ist bis heute nicht eindeutig beweisbar. Und
vom Sammelgut selbst ist auch kaum noch etwas zu finden.
Früchte, Wurzeln, Nüsse und Pilze verfaulen eben so schnell,
daß schon außergewöhnliche Fundumstände da sein müssen,
um sie zu erhalten. Kalkhaltige Quellen etwa versintern auch
die vergänglichen Pflanzenreste und erhalten sie so der Nach-
welt. Deshalb kennt man beispielsweise auch die wärmelie-
benden Pflanzen, die sich vor vielleicht 300000 Jahren bei der
kleinen thüringischen Ortschaft Bilzingsleben (DDR) in der
unmittelbaren Umgebung von Jägern vom Menschentyp des
späten Homo erectus ansiedelten.
Im konservierenden Kalksinter drückten sich Blätter von
Feuerdorn, Buchsbaum, Kornelkirsche, Eiche und Hasel-
strauch ab. Der Kalk der Mineralquellen, die bei Stuttgart-
Bad Cannstatt austreten, hat ebenfalls ungefähr 250000 Jahre
alte Buchsbaumblätter bewahrt, die in ein Lager von Elefan-
tenjägern, wahrscheinlich vom Typ des Steinheimer Urmen-
schen, hineingeweht waren. In Weimar-Ehringsdorf (DDR)
aber fanden sich 100000 Jahre alte Weinreben und Fliederblät-
ter im Lager von Menschen, die wahrscheinlich frühe Nean-
dertaler waren. Nicht alle auf menschlichen Lagerplätzen
nachgewiesenen Pflanzen sind jedoch eßbar und daher mit
einer gewissen Wahrscheinlichkeit durch Sammeltätigkeit in
diese Lager geraten. Dagegen ist es sicher, daß die kirschenar-
tigen Früchte der Art Celtis (Zürgelbaum), die in den Kalk-
höhlen von Chou kou Tien bei Peking inmitten der mindestens
400000 Jahre alten Wohnplätze dieser Homo erectus-Jäger
lagen, von diesen Menschen hierhergebracht worden waren.

25
In den versteinerten Fäkalien der Pekingmenschen fanden sich
überdies eindeutig erkennbare Pflanzensamen. Das waren nun
schon sichere Sammel-Beweise, von denen es bisher nur sehr
wenige gab. Daß auch die übrigen Ur- und Altmenschen Jäger
und Sammler gewesen waren, ist zwar fast immer vorausge-
setzt worden, doch zu belegen war es kaum.
Die Ausgräber der Abteilung Alt-Steinzeit des Institutes für
Ur- und Frühgeschichte der Universität Köln hatten das
Glück, an einem hervorragend zu datierenden Fundplatz im
Neuwieder Becken (Kärlicher Berg) eine Handvoll Haselnuß-
schalen zu finden, die vor 250000 Jahren von Menschen
gesammelt worden waren, die an einem kleinen Bach lagerten,
an dem ihre Beutetiere vorbeizogen: Waldelefanten, Nashör-
ner, Rinder und Pferde.
Diese Haselnußschalen lagen hier aber nicht im Kalk,
sondern in einer dünnen Torfschicht, in der sich auch noch
erkennbare Reste des Zürgelbaumes und der Flügelnuß zeigten –
Anzeichen dafür, daß es in der Zeit, aus der die
Haselnußschalen stammen, wärmer gewesen ist als heute.
Das Neuwieder Becken bietet in Europa für die Erforschung
der Urgeschichte einmalige Voraussetzungen. Hier haben sich
die Ablagerungen aus einem großen Teil des Eiszeitalters
angesammelt, und diese Schichten wurden später kaum mehr
von Flüssen ausgeräumt als anderswo. Die Abfolge von
Warm- und Kaltzeiten ist dort geologisch meist lückenlos zu
sehen, und dazu kommen noch Zwischenlagen aus Vulkanaus-
brüchen. Das sind meist Bimsschichten zwischen den Fluß-
Schottern von Rhein und Mosel und zwischen den Löß-
Schichten, die in den Kaltzeiten angeweht wurden. Vulkan-
auswürfe aber sind physikalisch besonders gut zu datieren,
und so gibt es heute für das Neuwieder Becken eine recht
vollständige Gliederung der letzten 700000 Jahre der Eiszeit-
Epoche mit einem Wechsel von neun kalten und acht warmen
Perioden.
Diese geologischen Umstände erlaubten dem Kölner Urge-
schichtler Professor Gerhard Bosinski die eindeutige Fixie-
rung des Fundplatzes Kärlich auf 250000 Jahre.
Präziser läßt sich keiner der ähnlich alten europäischen
Fundplätze datieren. Ebenso einmalig ist, daß im Löß von
Kärlich eine Torfschicht erhalten blieb. Ob die Menschen, die
in dieser Schicht auch ihre Faustkeile und winzige bearbeitete
Quarzsplitterchen liegen ließen, noch Menschen vom Typ
Homo erectus oder schon Menschen von der zum Homo
sapiens hinführenden Steinheimer Urmenschenform waren,

26
ist allerdings offen.
Das Rätsel, wer diese Menschen waren, stellt sich auch an
einem anderen Fundplatz im Neuwieder Becken, nämlich am
Zeltplatz von Airiendorf bei Bad Hönningen. Dort bauten sich
vor 150000 Jahren Jäger, die noch keine Neandertaler, aber
wohl auch keine Steinheimer Menschen mehr gewesen waren,
eine Behausung an einem Hang. Wahrscheinlich zogen sie dort
nur durch, denn auf dem deutlich sichtbaren runden Fleck, der
heute den Hütten- oder Zeltgrundriß anzeigt, lagen nur weni-
ge Steingeräte.
Das Klima war damals kälter als heute, doch die Menschen
hatten sich offenbar in ganz Europa auch an solche kühlen,
offenen Graslandschaften angepaßt. Für Jäger waren diese
Lößsteppen sogar ideal, weil sie großen Herden von Mam-
muts, Pferden, Hirschen, Rentieren, Wisenten und Nashör-
nern Nahrung boten. Mit großer Sicherheit trugen diese Jäger
nun schon das ganze Jahr über Fellkleidung. Dagegen ist bei
ihren Vorgängern von Cannstatt, Steinheim und Bilzingsleben
eher anzunehmen, daß sie in ihren mittelmeerisch warmen
Sommern aus praktischen Gründen lediglich eine Art Lenden-
schutz trugen und sich nur in den Regenwintern besser einhül-
len mußten. Genaueres darüber ist freilich unbekannt. Rein
technisch jedenfalls konnten sie mit ihren Stein- und vor allem
den spitzen Knochengeräten schon vor vielen Jahrhunderttau-
senden Kleidung herstellen.
Auch in Ariendorf fehlt jeder Hinweis auf einen Feuerplatz,
der jedoch wegen der damaligen Klimabedingungen fast le-
bensnotwendig gewesen sein muß. Sicher ist nur, daß in dem
Zelt oder Hüttchen, das vielleicht mit den Mammutrippen
ringsum bedeckt war, zwei Mammut-Kugelgelenke als Unter-
lagen zum Knochenklopfen benutzt wurden. Beim Hütten-
Durchmesser von 2,70 Meter war allerdings nicht viel Platz für
diese Küchenarbeit in dieser ältesten Behausung, die bisher in
Mitteleuropa gefunden worden ist.
Gerhard Schuh

27
Noch heute erscheinen uns die eiszeitlichen „Höh-
lenmenschen" im heroischen Licht jener harten,
fellbekleideten Großwildjäger, die mit Mammuts und Höhlen-
bären kämpften und bei flackerndem Feuer in düsteren Höhlen
ein karges Dasein fristeten. Doch solche Supermänner waren
diese Leute nun auch wieder nicht, und

Die Eiszeithöhlen
waren nur Sommerwohnungen
Das ebenso althergebrachte wie romantisch verklärte Bild
des Eiszeitlebens stammt aus den früheren Tagen der Archäo-
logie, als die Forscher ihre Schlüsse noch aus den Ergebnissen
recht grober Grabungsmethoden und bisweilen auch sehr
spärlicher Funde ziehen mußten. Ihre modernen Nachfolger
arbeiten jedoch mit weit aufwendigeren Methoden, sammeln
ihre Informationen mit Pinsel und Spachtel aus Knochenhau-
fen und Höhlenlehm mit der gleichen Hochachtung und
Sorgfalt, mit der klassische Archäologen etwa einen Müllhau-
fen des alten Athen durchwühlten. Dementsprechend haben
sie in jüngster Zeit ganz andere und zum Teil auch neuartige
Vorstellungen über diese Frühzeit der Menschheit entwickelt.
Die Höhlen scheinen für die Eiszeitmenschen nicht mehr
gewesen zu sein als Sommerwohnungen. Ihr Speisezettel war
vielfältiger, als man bisher wußte, und vor wehrhaftem Groß-
wild hatten sie einen erheblichen Respekt. Ihre Jagd konzen-
trierten sie mehr auf Wiederkäuer und Niederwild.
Diese Erkenntnisse stammen vor allem aus Grabungen in
Höhlen der Schwäbischen Alb, die als Wohnplätze der „Höh-
lenmenschen" altbekannt sind, doch erst in jüngerer Zeit
intensiv und mit modernen Methoden, vor allem durch das
Institut für Urgeschichte der Universität Tübingen, untersucht
wurden. Auf der Schwäbischen Alb liegt im Gebiet von
Blaubeuren eine Kette von fast einem Dutzend Höhlen hoch
über einem tiefen, einmal von der Ur-Donau benutzten Tal,
die zum Teil viele Meter mächtige, mit Funden durchsetzte
Schichten von Höhlenlehm bergen. Eine der Höhlen (der
sogenannte „Vogelherd") lieferte schon vor einigen Jahrzehn-
ten erste Indizien eiszeitlicher Kunst aus Mitteleuropa, die
Jahrzehntausende älter ist als die berühmten Höhlenmalereien
Frankreichs und Spaniens. Eine zweite, die „Brillenhöhle",
enthielt - wie eine jüngere Grabung zeigte - ein Steinhaus,

28
dessen Wände noch stehen: ein Zeichen dafür, daß man in der
Eiszeit das feuchtkühle Innenklima der Höhlen nicht sonder-
lich liebte und es sich deshalb in einem „Einbauhaus" gemütli-
cher machte.
Besonders gründlich untersucht ist die „das Geißenklöster-
le" genannte Höhle. Dort sind unter Leitung von Dr. Joachim
Hahn von den Wissenschaftlern des Tübinger Instituts meter-
dicke Schichten Höhlenlehm abgedeckt worden. Die fund-
reichsten und bisher ältesten Schichten stammen vom Ende
der letzten Zwischeneiszeit: Es ist die Zeit, in der der moderne
Mensch (Homo sapiens) in Mitteleuropa auftaucht und den
Neandertaler verdrängt; es ist also das Lebensbild der ältesten
Menschen im engeren Sinn, das hier im Höhlenlehm konser-
viert wurde. Die Blütenstaubkörner, die zu Lebzeiten dieser
ältesten Europäer (sieht man vom Neandertaler einmal ab) in
den Höhleneingang hineinwehten, liefern für die Rekonstruk-
tion des Lebensbildes die Landschaftskulisse: Diese Körner
stammen fast ausschließlich von Gräsern und Krautern, nur
ganz wenige Prozent „Baumpollen" von Nadelhölzern und
Birken finden sich dazwischen.
Die Schwäbische Alb muß damals ein Bild wie heute die
Fjells Lapplands geboten haben: weitgeschwungene kahle
Höhenzüge, darin eingestreut an geschützten Stellen kleine
Baumgruppen. Diese karge Grastundra ernährte jedoch eine
sehr artenreiche Tierwelt, und an deren Nutzung hatten sich
die vermutlich nur sehr kleinen Gruppen der ältesten Europä-
er angepaßt, die Spuren ihrer Tätigkeit in den Höhlen hinter-
ließen.
Diese Höhlenfunde sind für sich genommen höchst un-
scheinbar, allerdings mit Ausnahmen: Steinwerkzeuge und
Waffen, wie sie andernorts bekannt sind, rauchgeschwärzte
Steine und Lehmböden, Knochenbruchstücke und Splitter -
interessanter schon mehrere Tierfiguren aus Elfenbein sowie
etliche runde Perlen und Knöpfe aus Knochen, die vermutlich
auf die Fellkleidung aufgenäht waren und zeigen, daß man
schon damals nicht in halbrohen Tierfellen auf die Jagd oder
zum Essen ging und durchaus Sinn für dekorative Gestaltung
der Umwelt hatte.
Die Art der Tierfunde (beispielsweise der Alterszustand der
Rengeweihe) läßt erkennen, daß die Höhlen erst im Frühsom-
mer bezogen und im Herbst dann wieder verlassen wurden.
Man kann aus gewissen Einzelheiten (etwa daraus, daß von
den Jagdtieren immer nur kleine Knochenteile gefunden wur-
den) sogar den noch weitergehenden Schluß ziehen, daß diese

29
angeblichen Höhlenmenschen ihre Höhlen auch in der war-
men Jahreszeit nur bei schlechtem Wetter (etwa Dauerregen)
zum Wohnen nutzten, um dort ihre Renkeule oder ihr Wild-
pferdsteak zu verzehren. Im übrigen aber wohnten sie auf dem
Talgrund 60 Meter tiefer.
Diese Frühmenschen lebten vermutlich dauernd auf Wan-
derschaft. Sie hatten irgendwelche unbekannten Winterwohn-
plätze im Tiefland, wo es weniger rauh und windig war als auf
der Alb. Um sich mit Fleisch zu versorgen, zogen sie von dort
im Frühjahr in die Albtäler, durch die das Großwild in ganzen
Herden wanderte.
Doch war die Großwildjagd eine Nahrungsquelle, die sich
erst längere Zeit nach dem Einzug in die Sommerwohnreviere
erschloß. Die Grundnahrung für lange Zeit waren Vogeleier
(Schalenreste wurden in großen Mengen gefunden), von de-
nen man zwar ahnte, daß sie auch in früheren Jahrtausenden
gegessen wurden, doch es nie in diesem Umfang nachweisen
konnte, waren Fische aus den Seen und Flüßchen im Talgrund
(vor allem Äschen und Rutten, lachsverwandte Bewohner
kalter und sauerstoffreicher Gewässer, wie sie in diesen Jahr-
tausenden in diesem Land zu erwarten waren und heute in 800
bis 900 Meter Höhe in den Alpenseen schwimmen). Niemand
hatte je geahnt, daß in der Altsteinzeit Fische eine so große
Rolle auf dem Speisezettel spielten. Dazu kamen Vögel (wie
Schneehühner und Enten), auch Hasen und Füchse wurden
gejagt und gegessen.
Die Großwildjagd lieferte dann Wildpferd, Steinbock, Ren-
tier und andere Fleischträger. Ein Teil der Beute wurde
vermutlich, wie heute bei den Eskimos, roh gegessen, ein Teil
für den langen Winter konserviert. Die Höhlen wurden, wenn
schon nicht zum Wohnen, so doch zur Fleischverarbeitung in
großem Stil benutzt. Das „Geißenklösterle" enthält zum Bei-
spiel eine solch große Anzahl von Feuerstellen nebeneinander,
daß man diese am ehesten als „Räucherfeuer" zum Trocknen
und Konservieren des erbeuteten Fleisches erklären kann.
Außerdem sind Werkzeuge zum Fleischzerlegen auffallend
häufig. Mit diesem Wintervorrat zog man dann wieder im
Herbst aus der „Rauhen Alb" zu Tal - wohin, das ist noch un-
bekannt. Nur Zufallsfunde könnten die Archäologen auf die
Spur der „Freilandstationen" der ältesten Europäer bringen.
Dr. Harald Steinert

30
Über die Abgründe der Vergangenheit hinweg hat
uns bisher nur ein holzschnittartig vergröbertes
Bild der altsteinzeitlichen Jäger erreicht. Nun hat sich aus ihren
Gräbern aber auch ein Teil ihrer Gefühlswelt offenbart, die uns
nicht unberührt läßt:

Auf einer Schwanenschwinge


in die Ewigkeit
Die in Mitteleuropa zahlreichen Sagen über Zwerge sind
sicherlich durch die häufigen Funde von „Mikrolithen" mitver-
ursacht worden, winzigen Messern, Klingen und Spitzen aus
Feuerstein, die zwischen Jütland und der Schweiz oft massen-
haft aus altsteinzeitlichen Kulturschichten aufgelesen werden
können. Sie sehen zwar wie die Werkzeuge geheimnisvoller
Zwergenvölker aus, sind aber doch von ganz normal gewach-
senen Menschen verwendet worden: als glasharter und un-
glaublich scharfer Kantenbesatz für hölzerne oder knöcherne
Waffen und Werkzeuge, mit dem nicht nur Speerspitzen und
Schneiden, sondern sogar Sägeklingen gefertigt wurden.
Für die Großwildjagd waren diese Waffen wohl kaum stabil
genug. Doch vor 7000 bis 8000 Jahren, als diese Menschen
Europa bevölkerten, war die ganz große Jagd der Eiszeit auf
Mammut, Nashorn und riesige Rentierherden bereits vorbei.
Man jagte den Rothirsch, fischte in Seen und Flüssen und
schoß mit Pfeilen auf die Vogelschwärme.
Der Lebensraum dieser letzten noch altsteinzeitlich leben-
den Jäger war eine Art Paradies: Die Wiedererwärmung der
Erde nach der letzten großen Vereisung hatte ihren Höhe-
punkt erreicht, und alles Leben war wieder voll aufgeblüht.
Die menschliche Besiedlung war nur dünn, Wild dürfte nicht
knapp gewesen sein, und man brauchte keineswegs mit Hacke
und Sichel „im Schweiß des Angesichts" für sein Brot zu
arbeiten.
Man kennt von zahlreichen Funden, beispielsweise aus
Mooren, aus Vegetationsrekonstruktionen anhand von Blü-
tenpollen, aus Kulturresten und Fossilien das Leben dieser
letzten Altsteinzeit-Jäger und ihre Umwelt recht gut. Von den
Menschen selbst jedoch fanden sich bisher nur sehr undeutli-
che Spuren.
Um so überraschender war die Entdeckung eines ganzen
„Friedhofs" dieser letzten Altsteinzeitler bei Bauarbeiten auf

31
dem „Bögebakken" (Buchenhügel) bei Vedback an der Ost-
küste der Insel Seeland.
Zu Lebzeiten der dort Beerdigten, vor rund 7000 Jahren, lag
der „Buchenhügel" als kleine Insel in einem nun längst ver-
landeten Fjord. Der Friedhof gehörte zu einem Wohnplatz,
der zum Teil schon früher ausgegraben worden war. 22 Tote -
fünf Kinder, sechs Männer, sechs Frauen und fünf Erwachse-
ne, deren Geschlecht nicht feststellbar ist - waren hier bestat-
tet worden. Die Skelette der oft mit reichen Grabbeigaben
ausgestatteten Toten sind weitgehend vollständig erhalten.
Aus diesen Gräbern konnte man erstmals ein Bild der letzten
altsteinzeitlichen Jäger rekonstruieren und sogar einige Blicke
in ihr Geistesleben und ihre Gefühle tun.
Diese Jägerstämme waren offenbar die letzten Vertreter der
derben Cromagnon-Menschen, die in den Jahrzehntausenden
vorher, in der Eiszeit, Mitteleuropa bevölkert hatten. Das
zeigen vor allem die Schädel, besonders jene der Frauen. Sie
sind von massigem Bau, mit betont kräftigem Kinn, dickem
Schädeldach und mächtigen Augenbrauen.
In ihrer Umwelt haben diese Menschen aber offenbar nicht
schlecht gelebt: Sie erreichten ein Durchschnittsalter von über
40 Jahren und waren verhältnismäßig großwüchsig, wie die
Männerskelette mit etwa 1,70 Meter zeigen. Aus den Zahn-
email-Linien läßt sich überdies ablesen, daß die Jugendent-
wicklung nicht besonders stark durch Ernährungsschwierig-
keiten gestört wurde. Die Babies und Kleinkinder lebten sogar
weit besser als heute, vermutlich, weil sie bis fast zum dritten
Lebensjahr mit Muttermilch genährt wurden: Bis zu diesem
Alter zeigen die Zähne dieser Kinder der Altsteinzeitler
keinerlei Störungen im Zahnschmelz, wie sie - als „lineare
Email-Hypoplasie" - heute bei Kindern in diesem Alter weit
verbreitet sind.
In den religiösen Bräuchen waren diese Jägerstämme des
europäischen Atlantikums noch den Lebensformen der Eiszeit
verhaftet: So haben sie ihren Toten bei der Beerdigung durch
Überschütten mit rotem Ocker-Pulver, dessen Farbe sicher
das Leben symbolisierte, einen weihevollen Hauch dieses
Lebens verliehen. „Lebenswichtige" Organe, die auf diese
Weise hervorgehoben wurden, waren der Kopf und der Unter-
leib. Offensichtlich fürchtete man aber zugleich die Rückkehr
der Toten, da man ihnen die Füße fesselte oder in einem Fall
sogar schwere Felsblöcke über die Beine wälzte.
Die Toten wurden in Leder- oder Fellkleidung begraben,
wobei das Leder durch das Kauen von Fellen hergestellt

32
worden war. Die Lederkleidung der Frauen war, vor allem in
der Lendengegend, oft reich mit Perlen geschmückt, die man
aus Vorderzähnen des Rothirsches, aus Wildschwein-, aber
auch aus Menschenzähnen herstellte. Die Verteilung der
Grabbeigaben läßt auf eine seltsame Entwicklung der sozialen
Stellung der Frau mit zunehmendem Alter schließen: Wäh-
rend der Reichtum der Grabbeigaben der Männer (Flintgerä-
te, Hirschgeweihaxt) mit dem Alter des Begrabenen wächst,
erhielten nur die jungen Frauen reichen Schmuck mit ins Grab.
Trotz Verzicht auf Schmuck scheinen ältere, nicht mehr
fruchtbaren Frauen jedoch in der Gemeinschaft einen hohen
Rang eingenommen zu haben: Eine weit über vierzigjährige
Frau wurde schmucklos, doch mit zwei mächtigen und sicher-
lich wertvollen Rothirsch-Geweihstangen als Kopfunterlage
bestattet. Vielleicht am lebendigsten wird das Gefühlsleben
dieser so derb erscheinenden Jäger, wenn man eines der Gräber genau-
er ansieht: Dort wurde eine etwa achtzehnjährige Frau mit
ihrem zu früh geborenen Kind beigesetzt. Man bettete den
Kopf der Mutter, die die Frühgeburt nicht überstand, auf ein
weiches Kissen aus einem reich mit Perlen verzierten Leder-
kleidungsstück und das Kind auf eine Schwinge eines Höcker-
schwans. Ob diese Schwanenschwinge nur zufällig zur Hand
war oder ein Symbol für den Weg in die andere Welt gewesen
ist, wird vielleicht nie geklärt werden können. Doch ist der
Schwan in der Volksmentalität, vor allem in Osteuropa, bis
heute ein geweihter Vogel.
Ein weiteres Grab läßt hingegen mehr auf ein Drama
schließen: Dort wurden ein jüngerer Mann (zwischen 25 und
35 Jahren), eine Frau von etwa 40 bis 45 Jahren und ein älteres
Kind beigesetzt. Der Mann wurde durch einen Knochenpfeil
getötet, der durch den Hals zwischen zwei Brustwirbeln ein-
drang. Man kann dieses Ereignis, das dazu führte, daß offenbar ein
jüngerer Vater mit der weit älteren Mutter seines Kindes
zugleich beigesetzt wurde, zwar nicht rekonstruieren, doch
bleibt der Phantasie reichlich Raum. Kam der Mann im Kampf
um und tötete daraufhin seine Frau sich und ihr Kind? Oder
spielte sich ein Eifersuchtsdrama mit Morden ab?
Die Antwort darauf wird wahrscheinlich nie gefunden wer-
den. Sicher ist nur, daß uns diese Gräber erstaunliche Gefühls-
regungen der sonst so fremd und grob-exotisch erscheinenden
Altsteinzeitjäger offenbart haben: Diese Stämme, die Mittel-
europa in ferner, grauer Vorzeit bevölkerten, gewinnen so
plötzlich allgemein-menschliche Züge.
Dr. Harald Steinen

33
Schon in der Eiszeit jagte der Mensch mit Hunden,
hielt Rentierherden und zäumte Pferde auf. Die-
ses neue Bild der Kulturentwicklung ergibt sich aus Funden der
letzten Jahre, die den Beginn der Haustierhaltung um vielleicht
viele Jahrtausende zurückdatieren. Schon in der Weichseleiszeit
war der Hund

Ein alter Freund


des Menschen
Bisher nahm man an, daß der Übergang von der Jäger-
Sammler-Wirtschaftsform zur planmäßigen Nahrungserzeu-
gung durch Pflanzenanbau und Haustierhaltung nach dem
Ende der letzten Vereisung vor etwa 7000 bis 9000 Jahren
erfolgte, in Vorderasien oder Südasien. Dort nämlich tauchen
die ältesten Anzeichen dafür auf, daß der Mensch Pflanzen
anbaute und Haustiere hielt.
Doch mehren sich in den letzten Jahren Funde, die einen
weit früheren Beginn zumindest der Haustierhaltung bewei-
sen: In Israel grub man einen Hund, vermutlich einen Welpen,
in einem Männergrab aus, der vor über 12000 Jahren in einem
„Haushalt" des Menschen lebte.
Tierreste aus einem schon vor langer Zeit freigelegten Grab
in Oberkassel bei Bonn, die der Archäologe Professor Ger-
hard Bosinski von der Universität Köln in Museen wiederent-
deckte, entpuppten sich bei genauer Analyse durch den Zoolo-
gen Professor Günter Nobis, Direktor des Bonner Museums
Alexander Koenig, zum Teil als Reste eines schäferhundähnli-
chen Hundes: Die Schnauze des Tieres und damit der Kiefer
ist kürzer als bei Wölfen der gleichen Zeit. Dadurch kommt
es zu einer leichten Verstellung der Zähne - das sind typische
Merkmale der „Domestikation", des Weges, auf dem der Wolf
zum Hund wurde. Der Fund ist etwa 14000 Jahre alt. Begra-
ben wurde der Hund zusammen mit einem 50jährigen Mann
und einer 20jährigen Frau: Schon während der letzten Verei-
sung gab es also Haustiere.
Noch weit älter sind Hundereste aus Sibirien, von Afontora
Gora bei Irkutsk, die vor einiger Zeit durch eine sowjetische
Zoologin identifiziert wurden: Sie dürften rund 20000 Jahre alt
sein. Offen bleibt dabei, ob diese eiszeitlichen Hunde als
Begleiter, Freunde und Jagdhelfer des Menschen oder als
Fleischlieferanten domestiziert wurden. Konkrete Hinweise

34
aus den Funden fehlen.
Wären sie für Schlachtzwecke gehalten worden - der Fund
aus Israel spricht allerdings eindeutig gegen diese Annahme;
die Fundumstände deuten vielmehr an, daß dieses Tier dem
Begrabenen nahe stand -, wäre klar bewiesen, daß der moder-
ne Mensch, das heißt der Cromagnon-Mensch der Späteiszeit,
der unmittelbar in den „modernen Menschen" überging, schon
damals planmäßig Nahrung erzeugte.
War der eiszeitliche Hund in erster Linie Jagdhund und
Helfer des Menschen, so hatte dieser in seinen Hunden auch
„Werkzeuge" zur „Haustierhaltung" nach Art der skandinavi-
schen Lappen, nämlich zum Hüten und Treiben von Rentier-
herden, also ebenfalls für eine planmäßige Nahrungserzeu-
gung. Schon seit dem vorigen Jahrhundert gibt es eine ganze
Reihe von Indizien dafür, daß es schon in der Eiszeit eine
Haustierhaltung gab. Sie finden sich fast alle in französischen
Höhlen: Wandzeichnungen von Ziegen und Rentieren aus den
Pyrenäen, die offenbar an Stricken gehalten werden, Darstel-
lungen von Männern und Frauen in so enger Verbindung mit
Pferden und Rens, daß es sich nicht um Jagdszenen handeln
konnte, sondern um „Besitz", Pferdeköpfe mit Zäumen, die
dem Kopfgeschirr aus Stricken, mit dem Rentiere in Lappland
aufgezäumt werden, erstaunlich ähnlich sind.
Diese Felszeichnungen waren so klar, daß die damaligen
Archäologen ganz selbstverständlich annahmen, daß in den
Steppen der letzten Vereisungszeit in Westeuropa die Träger
der Magdalenien-Kultur Herden von Fleischtieren hielten -
vor allem Rentiere. Anderen Wissenschaftlern schien es je-
doch damals undenkbar, daß primitive Eiszeit-Jäger sich bis zu
Hirten emporentwickelt haben sollten. Sie wiesen unter ande-
rem darauf hin, daß zu einer solchen Herdenhaltung nach
lappländischer Art Hunde notwendig gewesen wären, die es
jedoch noch nicht gegeben habe.
Gerade sie, deren Fehlen damals ein Argument gegen die
„Haustiere" der Eiszeit waren, sind nun aufgetaucht. Darüber
hinaus wurde in den letzten Jahrzehnten eine ganze Reihe von
weiteren Entdeckungen gemacht, die für eine Haustierhaltung
in den westeuropäischen Eiszeit-Wohngebieten des Menschen
sprechen. So erwies sich - bei näherer Untersuchung - ein
Rentiergeweih, gefunden in den Pyrenäen, als Geweih eines
kastrierten Tieres. Und bei dem Mittelfußknochen eines Rens,
der aus einer Magdalenien-Fundschicht derselben Gegend
stammt, konnte festgestellt werden, daß das Tier einen später
verheilten Knochenbruch zwei Jahre überlebt hat. Da es nun

35
absolut unmöglich ist, daß ein so verletztes Tier so lange der
Jagd der Wölfe und anderer Raubtiere entgeht, kann es
eigentlich nur unter Obhut des Menschen überlebt haben.
Am eindrucksvollsten sind jedoch mehrere Funde von
Wandritzungen sowie ein Knochenstab des französischen
Magdalenien, die zum Teil sehr eindeutig Kopfzäume zeigen.
Ein Fund von La Marche wurde eingehend analysiert, um jede
Möglichkeit auszuscheiden, daß - wie bei früheren Wand-
zeichnungen argumentiert - der Zaum nur die Mißdeutung
einiger anatomischer Merkmale, der Muskulatur, sein könne,
oder einfach zufälliger Striche. Die Trense dieses Pferdekop-
fes ist jedoch so klar und nach der Darstellung des Kopfes als
zusätzlicher Bildinhalt angebracht, daß man hier nicht mehr
von Mißdeutung anatomischer Einzelheiten sprechen kann.
"Dieses Fundmaterial weist nun eindeutig daraufhin, daß der
späteiszeitliche Mensch schon planmäßig Nahrungserzeugung
durch Tierhaltung betrieb. Da man normalerweise mit dem
Eintritt in diese neue Kulturstufe in der Nomenklatur der
Vorgeschichte die Jungsteinzeit - das „Neolithikum" - begin-
nen läßt, scheint es nun paradoxerweise so zu sein, daß die
Jungsteinzeit eigentlich schon während der letzten Eiszeit
erreicht worden ist - zumindest in dem fortschrittlichen
Westeuropa.
Dr. Harald Steinert

36
GESCHICHTEN, DIE
DIE FORSCHUNG
SCHREIBT

SOZIAL- UND
KULTURGESCHICHTE
________________________________

Von Energieproblemen
im alten Ägypten
bis zur Jeans-Revolution

37
Schon vor rund 3000 Jahren gab es im „Tal des
biblischen Kupfers" ein sehr aktuell anmutendes
Energieproblem, das durch ungezügelten Raubbau an der
Natur immer wieder zu langfristigen Stillegungen der Minen
führte:

Pharao ging
die Holzkohle aus
Den Niedergang eines frühantiken Montanzentrums im
Süd-Negev haben Wissenschaftler des Bergbau-Museums Bo-
chum zusammen mit Kollegen aus Israel im Rahmen einer
Expedition untersucht, die dem ältesten bekannten Bergbau-
und Hüttenbezirk des Orients im Timna-Tal galt.
Was frühere Forschungsreisende im Süd-Negev immer wie-
der beschäftigt hat, waren 9000 helle, tellerförmige Kreisflä-
chen. Sie brachten die deutschen und israelischen Industrie-
Archäologen buchstäblich auf den Trichter: Die Kreisflächen
entpuppten sich als trichterförmige, jetzt sandgefüllte Schacht-
mundlöcher - sogenannte Fingen.
Die frühantiken Knappen hatten die Schächte zunächst wie
Maulwürfe als Prospektionsschächte in den Berg getrieben,
um die Kupfererz-Lagerstätten zu erkunden. Von den teilwei-
se bis zu 36 Meter tiefen Schächten, an deren Wänden noch die
Trittlöcher der Bergleute zu sehen sind, zweigen horizontale,
bis zu 90 Zentimeter hohe Strecken ab. Die Wissenschaftler
entdeckten dabei ganze Streckensysteme auf verschiedenen
Ebenen unter Tage. Die Schächte hatten dann in der Phase des
Kupferabbaus die Funktion von Fahr- und Förder- oder von
Wetterschächten.
Da die Lufttemperaturen in Timna tagsüber hohe Werte
erreichen, war die Belüftung der Strecken ein Problem für den
antiken Bergbau. Um vor allem die tieferen Gruben mit
Frischluft zu versorgen, bohrten die Bergleute vor rund 3400
Jahren spezielle Wetterschächte oder verbanden zwei Gruben
durch einen engen Verbindungskanal - eine „Wetterstrecke".
Nach der Auswertung der Forschungsergebnisse stellte sich
heraus, daß im Revier von Timna nach einer primitiven Phase
des Erzsammeins bereits vom 4. Jahrtausend v. Chr. an einge-
borene Bergleute einfache Schacht- und Streckenbaue ange-
legt hatten, um Anreicherungen von Kupfererzknollen abzu-
bauen. Nach einer Unterbrechung von mehr als tausend

38
Jahren erschienen im Timna-Tal am Ende des 14. Jahrhun-
derts v.Chr. ägyptische Bergbau-Expeditionen des Neuen
Reiches. Mit Hilfe örtlicher amalekitischer Arbeitskräfte und
benachbarter Midianiter wurden sowohl Kupferbergbau als
auch -Verhüttung aufgebaut.
Ein zweites Untersuchungsobjekt im „Tal des biblischen
Kupfers" war das Kupferverhüttungslager mit dem Schmelz-
platz und den dazugehörenden Gebäuderesten. Es war das
erste Kupferverhüttungslager der Antike, das systematisch
ausgegraben wurde. Zur Zeit Ramses II. (1290-1224 v.Chr.)
erreichten die Bergbau- und Verhüttungstätigkeiten der
Ägypter die Ausmaße einer Großindustrie. Bis in die Zeit
Ramses V. (1156-1152 v.Chr.) wurde in Timna ununterbro-
chen Kupfer geschmolzen. Dann lagen die Gruben und
Schmelzanlagen im trockenen Süd-Negev brach.
In Timna lagen nicht die „Kupferminen König Salomons",
wie in den dreißiger Jahren der amerikanische Archäologe und
Theologe Nelson Glueck in mehreren Veröffentlichungen
behauptet hatte, sondern die Kupfergruben des ägyptischen
Pharaos: ein „kleines Ruhrgebiet" des frühantiken Orients, in
dem allerdings nicht Kohle, sondern Kupfer abgebaut und
verhüttet wurde.
Noch einmal erlebte die Gegend eine Bergbau-Renaissance:
zur Zeit der XXII. Dynastie - vielleicht unter Pharao Scho-
schenk (946-925 v.Chr.) - nach zweihundertjähriger Pause.
Wiederum machten die Wissenschaftler eine erstaunliche Ent-
deckung: Zur Zeit der XXII. Dynastie, in der Übergangsphase
von der Bronze- zur Eisenzeit, war in Timna das „know-how"
der Verhüttungstechnologie kräftig vorangeschritten. Die
Ofen- und Schmelzprozeßtechnologie war „fortschrittlicher"
geworden.
Die Schmelzöfen zur Zeit der Ramessiden wurden zwar
auch schon mit Blasebälgen betrieben, aber die Holzkohlen-
schlacke und das Kupfermetall waren noch nicht deutlich
genug getrennt, so daß die Schmelzer die Schlacke nach dem
Erkalten erst noch zerschlagen mußten, um die Hauptmenge
des Metalls zu gewinnen.
In der Mitte des 10. Jahrhunderts v. Chr. benutzten dann die
Schmelzer des Pharaos einen bedeutend größeren und tech-
nisch raffinierteren Schmelzofen. Der Beweis: Die Ofen-
schlacken dieser Periode sind kupferarm. Den antiken Verhüt-
tungstechnikern war eine selbst für heutige Verhältnisse sau-
bere Trennung von Schlacke und Metall gelungen.
Das Team israelischer und deutscher Wissenschaftler er-

39
rechnete aufgrund der in Timna gefundenen Schlacken, daß
dort aus rund 1000 Tonnen aufbereitetem Kupfererz ungefähr
100 Tonnen Kupfer gewonnen wurden. Da ein antiker
Schmelzofen während seiner Lebensdauer etwa 100 Kilo-
gramm Kupfer erzeugen konnte, müssen während der Zeit, in
der im Timna-Tal verhüttet wurde, über tausend Schmelzöfen
geraucht haben.
Bei der Erforschung alter Verhüttungsanlagen in Wüstenge-
bieten stellt sich den Wissenschaftlern immer die Frage nach
der Versorgung mit Brennstoff. Es steht fest, daß die Kupfer-
schmelzer des Pharaos in Timna Holzkohle verfeuert haben,
die aus Akazien- und Dattelpalmenholz gewonnen wurde.
Um 1000 Tonnen Kupfererz zu schmelzen, benötigten die
ägyptischen Kupferkocher 50000 Akazienbäume - und das in
einer Landschaft, deren Vegetation und Klima zur Zeit der
Verhüttungstätigkeit sich nicht von der Gegenwart unterschei-
den. Die Folge war ein totaler Kahlschlag im Timna-Revier
und der Umgebung und schließlich ein Mangel an Holzkohle.
Daraus erklärt sich, daß - obwohl die Timnaer Kupferminen
in frühgeschichtlicher Zeit so gut wie unerschöpflich waren -
die Hüttentätigkeit dort eingestellt wurde. Erst eine Wartezeit
von Jahrhunderten, in der die Vegetation nachwachsen konn-
te, schuf die Voraussetzung für erneute metallurgische Tätig-
keit im Süd-Negev. Deshalb auch die verschiedenen Perioden
der Kupfergewinnung im Timna und die langen Unterbre-
chungen, während derer des Pharaos „Ruhrgebiet" praktisch
still lag.
Dr. Robert Lutz

40
Europas Steinzeit ging nicht sang- und klanglos zu
Ende. Ihr Abschied stand im Zeichen einer
Hochkultur des Werkstoffes Feuerstein, die alles in den Schatten
stellte, was zuvor entwickelt und erarbeitet worden war:

Die letzte Blüte


einer alten Technologie
Stein ist neben Holz und Knochen der älteste Werkstoff der
Menschheit. Er wurde zwar in den meisten seiner Funktionen
in einem einige Jahrtausende dauernden Umstellungsprozeß
durch Metall ersetzt. Doch bevor die Steinzeit in Europa
endgültig von der „Metallzeit" abgelöst wurde, entwickelte
sich noch kurzfristig die letzte Blüte eines vorher nie erreichten
Höchststandes, der etwa zwei Jahrtausende währte. Ein Bild
dieser seltsamen Entwicklung vermitteln eine Dokumenta-
tion und auch eigene Grabungen des Deutschen Bergbau-
Museums Bochum.
Das Aufkommen des Kupfers als Werkstoff fiel mit dieser
Hochblüte der Feuersteinkultur in auffälliger Weise zeitlich
zusammen. Es ist zwar nicht nachzuweisen, doch zumindest
einleuchtend, daß diese Entwicklungen miteinander in Zu-
sammenhang standen. Während sich das Kupfer etwa drei
Jahrtausende v.Chr. in Europa verbreitete, begann sich das
bisher primitiv durch Sammeln oder Flachgrabungen versorgte
„Heimarbeits-Handwerk" der Herstellung von Feuersteinge-
rät und -waffen fast explosionsartig zu entwickeln. Von Nord-
westjütland bis nach Frankreich und Ungarn wurde Feuerstein
bergmännisch gewonnen. Die Verarbeitung wurde entschei-
dend verfeinert; Waffen- und Geräteformen wurden entwik-
kelt, die in der Herstellung hochkompliziert waren.
Die Neuerungen waren nicht völlig werkstoffgerecht - etwa
Langmesser, Dolche oder Sicheln, die in Kupfer „vorerfun-
den" waren. Dies war keine Heimindustrie mehr. Die Gruben-
betriebe wie die Werkstätten der Feuersteinschmiede wurden
von erfahrenen Spezialisten geleitet und betrieben. Im Gebiet
von Krakau wurden Gräber freigelegt, deren Inhalt die Bestat-
teten als solche Steinschmiede auswies; man hatte ihnen zum
Beispiel Steinabschläge und einen knöchernen „Druckstab"
zur Feinstbearbeitung von Feuersteinen in die Hand gelegt.
Die Abbautechnik war in ganz Europa einheitlich: Man
grub einen Schacht (in England bis in Maximaltiefen von

41
immerhin rund 20 Meter), von dem aus nach den Seiten der
Abbau vorgetrieben wurde. Da Feuerstein meist in Kreide
oder Kalkstein lagert, konnte er mit Hacken aus Hirschhorn
oder Stein abgebaut werden. Solche Geräte wurden häufig
gefunden. In Belgien wurden zwei verschüttete Feuerstein-
bergleute ausgegraben, mit der Hirschhornhacke in der Hand.
Einer hatte ein vier- bis fünfjähriges Kind bei sich. Dieses
arbeitete sicherlich für den „Hauer" vor Ort als „Schlepper"
zum Abtransport seiner Ausbeute in den oft ganz niedrigen
Stollen, wo Kinder sich am besten bewegen konnten. Man
verstand es, die Stollen benachbarter Schächte miteinander zu
verbinden und so die „Bewetterung" zu verbessern. Die
Grabung des Bochumer Museums bei Klein-Kems in Baden
wies sogar nach, daß man auch im Feuersteinbergbau den
Vortrieb durch „Feuersetzen" beschleunigte, wie es im Erz-
bergbau bis in die Neuzeit üblich war: Man zündete am „Stoß"
ein großes Feuer an, das den Fels zermürbte (in Kreide brachte
das Verfahren keine Vorteile), und konnte dann noch zusätz-
lich den erhitzten Fels mit Wasser „ablöschen". In Experimen-
ten erwies es sich, daß man den Fels durch einfaches Feuerset-
zen zehnmal und nach Ablöschen zwanzigmal schneller als den
unbehandelten Fels abbauen konnte. In der Praxis wird der
Rationalisierungserfolg für erfahrene Bergleute sicher noch
viel größer gewesen sein.
Der Sinn dieses aufwendigen Tiefbaus lag einmal darin, daß
man in der Original-Lagerstätte des Feuersteins weit größere
Rohstücke finden konnte als an der Erdoberfläche, in Bach-
betten, an der Seeküste oder in anderen natürlichen „Auf-
schlüssen". Vor allem aber war der Feuerstein aus dem
Bergwerk „bergfeucht", relativ weich und zäh. Erst aus diesem
bergfeuchten Material konnte man die großen und komplizier-
ten Werkstücke herstellen, wie sie nun der Markt erforderte.
Die Feuersteingeräte und -waffen der Bergbauzentren wurden
über viele hundert Kilometer, in Schweden bis über tausend
Kilometer weit gehandelt.
Bis heute ist noch ungeklärt, wieweit sich in diesem „Feuer-
steinindustrie-Zeitalter" spezielle Gewerbezentren entwickel-
ten, deren Bewohner sich nicht mehr autark ernährten, son-
dern von dem Verkauf ihrer Fertigung lebten. Daß die soziale
Organisation, die diesen Wirtschaftszweig betrieb, sehr stark
war, läßt sich im Bergbaugebiet von Hov ostwärts von Thisted
in Nordwestjütland erkennen: Dort wurde auf einer nur 500
Quadratmeter großen Fläche eine Anlage mit 36 Schächten
entdeckt. Einige stießen nur auf schlechten Flint und mußten

42
nach wochen- oder monatelanger Abteufarbeit aufgegeben
werden. Dafür wurden andere neu gegraben. Nur eine Gesell-
schaft, die ihre Bergleute ernährte und kleidete, ohne daß sie
selbst ständig auf dem Feld oder im Stall arbeiteten, konnte
den planmäßigen Abbau dieses Grubenfeldes betreiben.
Die Blüte der Feuersteintechnologie währte nur so lange,
wie das Kupfer als Metallwerkstoff vorherrschte. Mit dem
Vordringen der Bronze endete die Konjunktur des Feuerstein-
bergbaus und der Feuersteinschmiede. Das ist kaum verwun-
derlich; denn der hochharte und sehr scharfe Feuerstein als
Werkstoff konnte zwar mit dem weichen Kupfer konkurrie-
ren, auch wenn es enorm mühsam und zeitaufwendig gewesen
sein muß, die aus Kupfer in einfacher und schneller Guß-
Formgebung herstellbaren Dolche oder Sicheln in Feuerstein
nachzuahmen.
Mit der härtbaren Bronze aber war diese Chance vorüber.
Der Vorteil des Feuersteins, immer noch härter als Bronze zu
sein, scheint nicht mehr so groß gewesen zu sein, als daß er
weiter als Werkstoff für wertvolle und große Objekte auf dem
Markt nachgefragt wurde. Die Feuersteinwirtschaft schrumpf-
te wieder zu dem häuslichen Handwerk zurück, zur Herstel-
lung von Klingen oder Schabern für einfachste Zwecke, von
Beilen und Äxten dort, wo Bronze zu teuer war. In dieser
Funktion blieb der Feuerstein über die europäische Bronzezeit
hin ein geschätzter Werkstoff.
Dr. Harald Steinert

43
Im Gegensatz zur Geschichte des Theaters ist über
den Theatervorhang nur wenig berichtet worden.
Er soll verhüllen und enthüllen, den Zuschauer neugierig
machen, ihn überraschen und auf die Darbietung „einstim-
men". Er ist

Der Stoff,
der zwei Welten trennt
Als im Jahre 169 nach Christus in der nordafrikanischen
Stadt Dougga, im heutigen Tunesien, ein römisches Theater
mit festlichen Darbietungen, gymnastischen Spielen und
„Freibier" - wie wir heute sagen würden - eingeweiht wurde,
meißelte man zu Ehren des großzügigen Spenders Namen und
Ereignis in Stein. Aus dieser relativ gut erhaltenen Weihein-
schrift geht hervor, daß „P. Marcius Quadratus, Priester des
göttlichen Augustus ... mit seinem Geld für seine Heimat ...
ein Theater erbauen ließ ... mit Portikus, Bühne und Vorhang
mit vollständigem Dekor".
Daß ein Theatervorhang hier unter den kostspieligen Bauele-
menten extra aufgeführt wurde - die damaligen Kosten eines
solchen Theaters beliefen sich auf etwa 400000 Sesterzien, in
heutiger Währung rund 200000DM - läßt vermuten, welch
wichtige Rolle der Vorhang im römischen Theater spielte.
Über das Phänomen Theatervorhang gab es bisher aller-
dings keine zusammenfassende Darstellung. Um so berich-
tenswerter ist, was Marlis Radke-Stegh an der Universität zu
Köln in ihrer Studie „Der Theatervorhang" herausgefunden
hat.
Gekommen war der Vorhang nebst Bezeichnung „aulaeum"
aus Griechenland, der Überlieferung nach aus Pergamon, als
133 v. Chr. Königs Attalos das römische Volk zu seinem Erben
einsetzte. Damit wurden seine von ihm erfundenen, gold-
durchwirkten Teppiche in Rom bekannt und bestaunt - wie
geschaffen, sich im Laufe der Zeit zum Theatervorhang umzu-
wandeln. Die Griechen selbst hatten zwar große Vorhänge in
ihren Tempeln und Hallen angebracht, aber ein Theatervor-
hang war ihnen fremd, obwohl bei ihnen der Ursprung des
europäischen Theaters zu suchen ist.
Erst die Römer schufen in ihren prunkvollen Theaterbauten
Voraussetzung und Rahmen für den Theatervorhang - als
bewegliche Wand zwischen Zuschauerraum und Bühne, zwi-

44
schen dem Reich der Realwelt und der Phantasie. Das Theater
als Massenmedium war entdeckt.
Erwähnt wird der Theatervorhang zum ersten Mal in der
antiken Literatur von Cicero; das war im Jahr 56 v.Chr., ein
Jahr, bevor das erste Steintheater in Rom durch Pompeius
erbaut wurde, was beweist, daß ein solcher Vorhang bereits
üblich war. Ciceros Bemerkung „aulaeum tollitur" ist noch in
anderer Weise aufschlußreich, weil daraus der Bewegungsab-
lauf des Vorhangs hervorgeht. Er wird aufgehoben, aufgerich-
tet, was durch Forschung in römischen Ruinen vorstellbar
wird.
Im Theater von Pompeji war ein bühnenbreiter Graben der
vermutliche Versenkungsschlitz für einen Vorhang. Durch
fernrohrartig ineinandergeschobene Röhren soll dann der an
einem Querbalken befestigte Vorhang langsam mit einer
Winde in die Höhe gehoben worden sein.
Ein jüngeres System - wie etwa in Dougga - ersetzt die
Vorhanggräben durch Schächte zum Einstellen von Holzpfo-
sten, an die der Vorhang jedesmal durch eine Bedienungs-
mannschaft erst angehängt werden mußte. „Während einer
aufwendigen Darstellung blieb der Vorhang oft mehr als vier
Stunden und länger liegen", klagt Horaz in seiner Kritik am
dekadenten Geschmack des römischen Publikums.
Sind auch die technischen Einzelheiten des Vorhangmecha-
nismus nicht vollständig bekannt und erforscht, erbrachte
römische Ingenieurkunst die Voraussetzung für eine wesentli-
che Funktion des Vorhangs: das Publikum so schnell wie
möglich aus der Wirklichkeit in eine schönere Scheinwelt zu
entführen.
Mit dem Untergang des Römischen Reiches versank auf
lange Zeit eine hochstehende Theaterkultur. Die großen
Bauten wurden von den jeweiligen Eroberern zerstört oder
verfielen - und mit ihnen vermoderten auch die kostbaren
Vorhänge.
Erst die Renaissance erweckte den Theatervorhang zu
neuem Leben. Man orientierte sich an der Antike, studierte
lateinische Schriftsteller und suchte in Ruinen verwertbare
Anregungen. Nur die Konstruktion des Vorhangs mußten die
Architekten des 16. Jahrhunderts neu ersinnen, und das
geschah im Lauf der Zeit mit allen Raffinessen der Bühnen-
technik, zumal der nun geschlossene Theaterbau andere Ent-
wicklungsmöglichkeiten bot als die antike offene Szene.
Die erste gesicherte Nachricht von einem Theatervorhang
der Neuzeit stammt aus dem Jahr 1519 aus Rom, wo am

45
Karnevalssonntag im Vatikan Ariosts „Suppositi" in Gegen-
wart von Papst Leo X. aufgeführt wurde und sich das Publikum
an einem bemalten Vorhang ergötzte, auf dem ein groteskes
Spottbild auf den Narren des anwesenden Kirchenfürsten von
schabernacktreibenden Teufeln umrahmt war. 100 Jahre spä-
ter erobert sich der Theatervorhang im deutschsprachigen
Raum von Salzburg aus die Bühnen in ganz Europa.
Das theaterfreudige Barock, das den Schwerpunkt weniger
auf das Wort als auf die Show legte, forderte auch vom
Vorhang immer prächtigere Ausgestaltung. Die meisten die-
ser Monumentalgemälde aus Stoff - oft von bedeutenden
Künstlern geschaffen - zeigten mythologische oder allegori-
sche Themen und Anspielungen auch politischer Art, deren
Enträtselung die Zuschauer vor der Vorstellung in Spannung
hielt. Auf diesen Brauch griffen viel später unter anderem
Picasso, Chagall oder Kokoschka zurück, wenn sie für ein ganz
bestimmtes Stück einen nur darauf abgestimmten Vorhang
bemalten.
Neben dem alten Bildervorhang kam damals ein neutraler
Vorhang in Mode, der nun geteilt nach beiden Seiten hochge-
zogen wurde. Seine Farbe war - psychologisch gut gewählt -
das festliche Purpurrot. Ob ein roter Samtvorhang bei der
Hochzeit des Cesare D'Este mit Virginia Medici 1585 in
Florenz oder ein roter Seidenvorhang mit Goldfransen anläß-
lich der Heirat Heinrichs IV. mit Maria de Medici (1600) -
dieser Vorhang zieht sich nun in vielen Variationen wie ein
roter Faden durch die Theatergeschichte bis in unsere Tage.
In Aktion trat der Vorhang jahrhundertelang nur zu Anfang
und zum Schluß einer Aufführung, um die Aufmerksamkeit
nicht zu unterbrechen, wie es bereits in der Antike üblich
gewesen war. „Die Zuschauer sollten keinen Anlaß finden,
aufzustehen und wegzugehen."
Dieses Prinzip wurde 1828 zum ersten Mal durchbrochen,
als in der Pariser Oper bei der Premiere des „Wilhelm Teil" der
Vorhang in allen Zwischenakten gezogen wurde. Seither hatte
sich dieses Verfahren zur festen Gewohnheit entwickelt, bis im
April 1980 erstmalig wieder - und zwar in der Metropolitan
Opera in New York - ein Werk (Bergs „Wozzek") ohne Pause
durchgespielt wurde, was beim Publikum ein ungewöhnlich
starkes Erlebnis hervorgerufen haben soll.
In den gut 150 Jahren zwischen diesen beiden Daten hat sich
das Theater auf dem Hintergrund sozialer und kultureller
Umschichtung entscheidend verändert, und damit auch die
Funktion des Theatervorhangs. Wenn Bert Brecht ihn in einer

46
Regieanweisung zu einer halben Gardine reduziert, damit das
Publikum Einblick in die Inszenierungsarbeit gewinnen sollte,
wird die Abkehr vom Illusionismus deutlich. Das Auge wird
nicht mehr verzaubert, sondern oft eher geschockt. Gefordert
wird der Intellekt. Verliert der Theatervorhang seine Bedeu-
tung? Moderne Inszenierungen verzichten oft ganz auf ihn.
Vielfach zählt der Vorhang nur noch, wenn am Schluß das
Publikum die Vorhänge zählt.
Dr. Gisela Reinhardt-Reuter

47
Auf den Spuren Homers fand man mit dem Wohn-
sitz eines thrakischen Fürsten nicht nur eine neue
„trojanische Lokalität". Man entdeckte auch die Überreste von
4400 Jahre alten zerquetschten Trauben, die damals als Viehfut-
ter verwendet worden waren:

Wo man den
ersten Wein trank
Die „Ilias" Homers ist nicht nur ein Heldengedicht, sondern
auch ein in vielen Einzelheiten zutreffender Tatsachenbericht
eines großen griechischen Überseefeldzuges gegen die Stadt
Troja am Eingang zum Schwarzen Meer. Vordergründig han-
delte es sich um Rache für den Raub der Schönen Helena
durch die Trojaner, was freilich mehr ein Argument für das
Volk war. In Wirklichkeit ging es um die Beherrschung des
Fernhandels durch den Bosporus.
Während die Hauptschauplätze dieser Auseinandersetzun-
gen in etwa bekannt sind, die „Nebenschauplätze" und Lokali-
täten im klassischen Griechenland nach und nach erforscht
wurden und werden, steht es wesentlich schlechter um die
Lokalisierung der Welt Homers für die Gegenpartei, die
Trojaner, die sich eine Reihe von Verbündeten an den benach-
barten Küsten vor allem von Thrakien (Nordgriechenland)
gesichert hatten.
Erst nach einer Jahrzehnte dauernden „Forschungspause"
ist es wieder gelungen, eine solche „trojanische Lokalität"
ausfindig zu machen: Im sogenannten „Trojanerkatalog" wird
bei Homer als Verbündeter der Fürst Pyraichmes „... von
fernher von des Axios breitfließendem Wasser" genannt. Auf
dessen Herrschaftssitz stießen die Forscher des Instituts für
Ur- und Frühgeschichte der Universität Kiel unter Leitung von
Professor Bernhard Hansel ungewollt, als sie mit der Ausgra-
bung der sogenannten „Toumba" (wie in Nordgriechenland
die prähistorischen Wohnhügel genannt werden) von Kastanas
im Axiostal begannen.
Der Anlaß der Grabung: die Fixierung einer möglichst
vollständigen Siedlungsfolge der Jungsteinzeit und Bronzezeit
in diesem Gebiet Nordgriechenlands, in dem sich Ausläufer
der orientalischen Hochkultur - deren Kulturentwicklung
zeitlich datierbar ist - mit den geschichtslosen prähistorischen
Kulturen des nördlicheren Europas verzahnen. Damit sollen

48
die „absoluten" Zeitdatierungen der europäischen Vorge-
schichte chronologisch eingeordnet werden.
Da das Axiostal der einzige wirklich verkehrsgünstige Ver-
bindungsweg zwischen Nordgriechenland und Kerneuropa
gewesen ist, war zu erwarten, daß andere Wohnhügel wie der
von Kastanas das Hin- und Rückfluten wandernder Völker
und Kulturübertragungen an dieser „Grenze zwischen histori-
schem und prähistorischem" Raum reflektieren würden. Tat-
sächlich fand sich in der 14 Meter hohen und 100 Meter langen
„Toumba" eine vollständige Siedlungsfolge, die einen Zeit-
raum von über 2200 Jahren (von der Jungsteinzeit bis zur
Römerzeit) abdeckte und die erhofften „Kulturverzahnun-
gen" aufwies.
Bis etwa 1400 v.Chr. siedelten hier Menschen auf einem
Hügel, der nicht wie heute auf festem Land in der Flußaue lag,
sondern eine Insel im damals rund sieben Kilometer breiten
und heute längst verlandeten Mündungstrichter des Axios
bildete. Es waren Bauern, die vor allem Weizen anbauten,
Rinder, Schafe und Schweine züchteten und in lehmver-
schmierten Flechtwerkhütten wohnten.
Sie lebten dabei nicht schlecht: In einem Haufen von
Viehfutter (Heu), den sie in einem ihrer Ställe hinterließen,
fanden sich zerquetschte Weinbeeren, aus denen man den Saft
gepreßt hatte. Das kann nur eins bedeuten: daß man in diesem
noch prähistorischen Dorf um 2400 v.Chr. (aus dieser Zeit
stammt das Heu, mit dem die Traubenreste verfüttert wurden)
schon Wein bereitete. Das ist der älteste Beweis für die
Verarbeitung von Weinbeeren zu Wein in Europa und vermut-
lich auf der Welt.
Das beschauliche Leben der weintrinkenden Weizenbauern
auf der Insel im Axios endete etwa 1400 v. Chr.: Die myken-
ische Expansionswelle, die damals aus Südgriechenland nach
allen Seiten ausstrahlte, erreichte auch Thrakien: In der
„unorganisierten" Siedlung auf der Insel entstand ein moder-
nes mykenisches Verwaltungszentrum, aus Lehmziegeln ge-
baut, ein Hof mit einem „Megaron" (Palast) und Nebengebäu-
den, wie in allen mykenischen Zentren. Die Ausgräber fanden
rings um das „Megaron" einige Goldplättchen - die von
goldbestickten Gewändern verloren wurden - und einen Gold-
ring, beides Anzeichen dafür, daß man hier jetzt luxuriös
lebte. Während die Nahrung der breiten Bevölkerung nun die
Hirse wird, nimmt der Anteil der Wildknochen in den Küchen-
abfallhaufen plötzlich um rund 50 Prozent zu - ein Hinweis auf
die Existenz einer adligen Oberschicht, die Zeit für die Jagd

49
hatte.
Dies ist genau das Milieu der homerischen Helden, und
diese mykenische Epoche ist es auch, in der Fürst Pyraichmes
mit seinen „bogenspannenden Paionen" den Trojanern zu
Hilfe kam. Die Entdeckung des mykenischen Hofzentrums in
einem Gebiet, in dem der Axios tatsächlich „breitströmend"
floß, wie man seit den Grabungen der Kieler Wissenschaftler
weiß, läßt die sichere Identifikation zu.
Darüber hinaus fanden sich in diesen Siedlungsschichten
ungewöhnlich viele Pfeilspitzen aus Bronze, Knochen und
Stein, wie man es von einem Stamm der nach Homer „bogen-
spannenden" Paionen erwarten möchte. Ein schweres Erdbe-
ben zerstörte etwa 1300 v.Chr. die Siedlung, doch nach
Aufräumungsarbeiten ging das Feudal-Leben der Mykener
zunächst weiter.
Erst kurz vor der Jahrtausendwende endete es: Die gesamte
Siedlung brannte ab, und ohne große Aufräumungsarbeiten
entstanden auf den Trümmern ganz andere Haustypen: Holz-
häuser, in denen Menschen lebten, die durch die mitgebrachte
Keramik - sie ist durch Fingerabdruck-Striche und Eindrücke,
sogenannte „Kanneluren", gekennzeichnet - als Ausländer
aus dem Norden oder Nordwesten zu erkennen waren. Die
Invasion der Angehörigen der sogenannten „Lausitzer Kul-
tur" (die von Böhmen bis fast an die Adria reichte) kam
wahrscheinlich durch das Axiostal nach Nordgriechenland und
zerschlug die mykenische Welt. Auf der Insel von Kastanas
etablierte sich eine neue Herrenschicht, während offenbar die
ansässige Bevölkerung aus Bauern und Handwerkern blieb.
Bald entstand auf dem Hügel ein neues Stadtsystem mit
Handwerkersiedlungen, bis dieses Regionalzentrum in der
Zeit der makedonischen Könige degeneriert.
Für die Beurteilung der Entwicklung der griechischen Kul-
tur ist die Entdeckung der Invasion kurz vor 1000 v. Chr., die
hier wie in der um 1920 ausgegrabenen Toumba von Axiocho-
rion klar erkennbar wird, von noch größerem Interesse als der
Nachweis einer von Homer beschriebenen Lokalität. Denn
allem Anschein nach sind dies die Spuren der großen dorischen
Einwanderung, die viele Altphilologen und Archäologen als
Zäsur in der Entwicklung des Griechentums von der Herr-
schaft der Mykener bis zur klassischen Periode annehmen,
ohne sie exakt fassen zu können.
Die klaren Grabungsbefunde aus dem nordgriechischen
Vorfeld bestätigen nun, daß es eine solche große Wanderung
tatsächlich gegeben hat. Nur kam sie nicht - wie vielfach

50
vermutet - aus Mitteleuropa, sondern aus dem Südgebiet der
Lausitzer Kultur. Welches die Ausgangsgebiete im einzelnen
waren, weiß man noch nicht: Es dürften die Gebirge Bulga-
riens oder Teile des heutigen Jugoslawiens sein, die noch nicht
so gut untersucht sind, daß man die Träger jener Lausitzer
Sonderkultur, die sich in der „kannelierten Keramik" und den
Holzhäusern über dem Brand- und Trümmerfeld der Jahrtau-
sendwende auf der Toumba Kastanas erkennen läßt, genauer
identifizieren kann.
Dr. Harald Steinen

51
Als Schöpfer von über 20 Bühnenwerken und 50
Sinfonien konnte er Zeit seines Lebens nur
davon träumen, daß seine Meisterwerke jemals unter Bedingun-
gen aufgeführt würden, wie sie heute zum Standard zählen. Was
Wolfgang Amadeus Mozart quälte, war

„Grobe, lumpenhafte Hofmusique"


So zumindest beurteilte Mozart selbst die Qualität und das
Erscheinen der Musiker am Hofe des Salzburger Fürst-Erzbi-
schofs Hieronymus Graf Colloredo. Das Zitat stammt aus
einem der zahlreichen und langen Briefe, die der Komponist
an seinen Vater geschrieben hat. Zusammen mit Briefen an die
Mutter und an die Schwester Mozarts, aber auch solchen, die
Mozart selbst von seiner Familie empfing, diente er Dr. Ulrike
Welzel am Institut für Theaterwissenschaften der Universität
Wien als Grundlage für die erste Analyse des Theaters im
Spiegel der Mozart-Briefe.
Keine Rede also damals von „Salzburger Festspielen", von
bis ins kleinste Detail durchgearbeiteten Inszenierungen und
bejubelten Aufführungen, deren Besuch man sich erst durch
Hinterlegung eines oder mehrerer Tausendschillingscheine
erkaufen kann, wie das heute nicht selten der Fall ist. In der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts herrschten andere Bedin-
gungen.
So gehörte es zu den Ausnahmen, wenn ein Sänger damals
Noten lesen konnte - dennoch stellten die durch den Belcanto-
Starkult verwöhnten Sänger Anforderungen. Mozart mußte
sich diesen Sänger-Einwänden fügen und seine Arien so oft
umschreiben, bis sie den Interpreten genehm waren. „Die
Arie soll dem Sänger angemessen sein wie ein gutgemachtes
Kleid" war der Standpunkt, den Mozart im Interesse eines
beiden Seiten dienlichen Kompromisses nach den ersten Er-
fahrungen mit dem Sänger-Starrsinn einnahm.
Insgesamt war das Niveau der Künstler zu Mozarts Zeit
sogar in großen Städten wie Wien oder Paris im Durchschnitt
eher niedrig. Denn selbst wenn Wiener Theaterkritiker heute
über die Qualität von Opernaufführungen herziehen, dann
doch sicherlich nicht mit solch starken Worten, mit denen
Mozart seinen Eindruck etwa von den Pariser Opernstars
schilderte: „Die Pariser Sänger singen nicht, sondern sie
schreyen - heulen - und zwar aus vollem Halse, aus der Nase,
aus der Gurgel."
52
Die Briefe Mozarts von seiner Mannheim-Paris-Reise, wie
auch die Schreiben, die der Komponist aus Wien an seine in
Salzburg gebliebene engere Familie (Vater, Schwester) richte-
te, spiegeln in einzigartiger Weise nicht nur die Theatergepflo-
genheiten der siebziger und achtziger Jahre des 18. Jahrhun-
derts wider, sondern geben auch Einblick in kulturhistorische
Zusammenhänge.
So beschreibt Mozart lobend die zu seiner Zeit weit und
breit einzig dastehende soziale Altersversorgung, die der
Mannheimer Kurfürst Karl Theodor seinen Musikern aus
freien Stücken gewährte. Instrumentalisten wie Sänger erhiel-
ten nach ihrem Abtreten von der Bühne eine Pension ausbe-
zahlt.
Einen Pferdefuß allerdings hatte diese löbliche Einrichtung:
Im Interesse seiner Geldbörse konnte sich der Kurfürst nicht
entschließen, konsequent zu bleiben und Künstler auch wirk-
lich dann in den „Schweige"-Stand zu schicken, wenn ihre
Leistungen es geraten erscheinen ließen. Die Folge dieser
seltsamen Mischung aus sozialem Denken und ausgeprägter
Sparsamkeit war, daß greise Sänger weit über den Zenit ihres
Könnens hinaus die Mannheimer Bühne bevölkerten und das
Niveau drückten.
Wie auf Sänger und Komponisten - die bei Mozart beson-
ders schlecht wegkommen, zu Recht, wie das Urteil der Zeit
gezeigt hat, denn die von ihm genannten Namen sind heute
vergessen - so schimpft der Schöpfer der „Zauberflöte" und
des „Don Giovanni" auch auf das Publikum. Vor allem am
Salzburger Publikum läßt Mozart kein gutes Haar - es interes-
siere sich nur für das Trivialste, ist sein abschätziges Urteil. Die
Wiener kommen hier etwas besser weg, allerdings auch nur,
weil sie sich zumindest für heitere Szenen im Theater begei-
stern ließen. „Närrisches Zeug, tanzen, teufel, gespenster,
Zaubereyen, Hanswurst, Lipper, Bernadon, Hexen" - das
seien die Vorlieben der Wiener, an die man sich halten müsse,
wenn man Erfolg haben wolle. Mozart hielt sich daran. Viele
der heiteren, entspannenden Szenen in Mozarts Opern und
Singspielen sind dieser Konzession an den Geschmack der
Wiener zu verdanken.
Werner Wanschura

53
Die einen beklagen in ihm den totalen und endgül-
tigen Verfall aller Eßkultur, die anderen sehen
ihn als den treffenden Ausdruck unserer schnellebigen Zeit. Die
Rede ist vom „Schnellimbiß", jenem raschen und öffentlichen
Essen im Vorübergehen, das zu einem gewichtigen kulturge-
schichtlichen Alltags-Phänomen geworden ist, vom

Lustgewinn in
der Imbißbude
So jung, wie man gemeinhin glauben möchte und wohl auch
bisher geglaubt hat, ist der heute fast allgegenwärtige „Schnell-
imbiß" keineswegs. Der Germanist Dr. Ulrich Tolksdorf hat in
seiner an der Universität Kiel durchgeführten Untersuchung
Vorläufer bis in das Mittelalter zurück festgestellt. Auch heute
noch lassen sich darunter zwei verschiedene aktuelle Grund-
muster ausmachen. Regensburg etwa kann sich der „ältesten
Würstchenbude der Welt" rühmen. Damit ist jene „geschichts-
trächtige Imbißbude" aus dem Jahre 1134 gemeint, die den
Erbauern des Regensburger Domes und der Steinernen Brük-
ke als Brotzeithütte diente. Bei ihr, wie auch bei Buden
ähnlichen Typs, handelt es sich nach Tolksdorf um „einen
Arbeitsimbiß, einen Vorläufer unserer Kantinen und - eben -
Schnellimbisse". Anders die zweite Form: jene „Imbisse", die
- so auch heute noch - auf den Jahrmärkten, den Volksfesten
und Kirmessen standen. Konsument ist hier - in seiner Muße-
zeit - das ganze „Volk".
Sowohl dieser „Freizeitimbiß" als auch der „Arbeitsimbiß"
sind von der Industrialisierung wesentlich beeinflußt worden.
Die Fabrikarbeit führte nicht nur dazu, daß Wohn- und
Arbeitsbereich getrennt wurden, sondern bedeutete auch den
Übergang von der „privaten Tischgemeinschaft" zum „öffent-
lichen Essen". Die Maschinen gestatteten nicht den „Luxus"
langer Pausen für das Essen, in denen man womöglich sogar
nach Hause gehen konnte; sie ließen nur Zeit für einen
Kurzimbiß im Freien oder am Werkplatz, eingebettet in den
Arbeitsprozeß.
In die „Imbiß-Kultur" hinein wirkten andererseits aber auch
die Ausdehnung der Freizeit und die mit der Motorisierung
verbundene Mobilität bis hin zum Tourismus. Kennzeichnend
dafür ist die Ballung von Imbißständen an Bahnhöfen, Auto-
bus- und Straßenbahnstationen, an Autobahnen und städti-

54
schen Ausfallstraßen, an großen Parkplätzen und Ausflugszie-
len.
Auch das Angebot der Imbißstuben hat sich im Zuge der
Industrialisierung und Automatisierung verändert. Die Ver-
einheitlichungswelle scheint die freien Imbißstände hierzulan-
de - anders als in den USA - allerdings erst seit der Mitte dieses
Jahrhunderts erreicht zu haben. Der Kieler Wissenschaftler
führt dies darauf zurück, daß die Imbißstubenbetreiber meist
„kleine Leute" waren, während in den USA die Standardisie-
rung in den großen Imbißketten schon seit Beginn der zwanzi-
ger Jahre zum Durchbruch kam.
Erst in neuerer Zeit automatisierten nunmehr auch die
kleinen Imbißstuben ihre Küchentechnik; dies spiegelt sich
auch im Angebot wider. Gab es in den fünfziger Jahren neben
Frikadellen, Brat- und Bockwürsten noch selbstgekochte Erb-
sen- und Kartoffelsuppe, wurde diese „Kleine-Leute-Küche"
allmählich unterwandert: Hot dogs, Hamburger, Schaschlik,
Chinesische Frühlingsrolle oder Bami-Scheiben werden nun
mit Vorliebe auf der „Speisekarte" geführt.
Beim Imbiß sitzt man in der Regel nicht bei Tisch; damit
geht auch das, was traditionellerweise mit Eßkultur verbunden
wird, in gewisser Weise verloren, nämlich Tischgemeinschaft,
-sitten, -Ordnung, partner, -gespräch und -gebet. Doch kultur-
los ist die Imbißstube deshalb nicht. Tolksdorf: Auch sie kennt
und hat ihre „Rituale", ihr „kulturelles System", das nur dann
zur „Un-Kultur" wird, wenn man von der bürgerlichen Eßkul-
tur und ihren Bedürfnissen ausgeht.
Wie die Bezeichnung selbst schon sagt, ist das Typische an
dieser Art der Bewirtung das „Schnelle". Schnell sind nicht nur
Verzehr, sondern auch Zubereitung und Service. Schon dieses
widerspreche deutlich dem Ideal bürgerlicher Eßkultur - zu
Hause oder im Restaurant. Zumindest seit dem Beginn des 19.
Jahrhunderts tabuisieren Anstandsbücher das schnelle Essen
als „vulgäre Gewohnheit". „Schling nicht so!" ist ja auch heute
noch die ständige Beschwörungsformel in der Kinder erzie-
hung bei Tisch.
Für den ständigen Imbißgänger nun bedeutet schnelles
Essen dagegen „eine Form von Freiheit und Ungezwungen-
heit". Die Amerikaner kennen dafür sogar den Begriff „Fast-
Food-Happiness", und einer von ihnen beschrieb in seiner
„Psychologie des Glücks bei der Schnellkost" die Gefühle an
der Imbißstube so: „Schnelligkeit bedeutet: Wir können ir-
gendetwas so rasch wie möglich bekommen. Es bedeutet ein
Entkommen vor dem Zwang des Wartens, des Geduldigsein-

55
Könnens. In unserer schnellebigen Gesellschaft, in der Warten
Einengung bedeutet und uns Beharrlichkeit abverlangt, ver-
heißt uns die Befreiung von ,verschwendeter Zeit' Rettung,
Trost und Glück. Schnelligkeit wird bevorzugt, weil sie uns
eine Zukunft verspricht, in der mehr Dinge in weniger Zeit
getan werden können." Offenbar auf diesen Lustgewinn, so
meint Tolksdorf, zielt auch heute ein großer Teil der Kund-
schaft von Schnellimbissen ab.
Typisch für den Schnellimbiß, im Gegensatz zur bürgerli-
chen Mahlzeit, Festessen einmal ausgenommen, ist auch, daß
öffentlich gegessen wird, was öffentlich angeboten und öffent-
lich (im Gegensatz zur sonst geschlossenen Küche) zubereitet
wird. Zwischen Gastgeber und Gast besteht keine Hierarchie,
die Beziehung Verkäufer-Konsument ist eingeebnet: „Etiket-
te gilt hier als Etikettenschwindel."
Noch ein weiteres Bedürfnis werde, so Tolksdorf, durch das
öffentliche Essen befriedigt: Man könne neben dem Essen
gleichzeitig am Bestellritual anderer teilnehmen oder am
Treiben rundherum, sei dies nun am Bahnhof, beim Fußball-
spiel oder in der Hektik einer Einkaufsstraße in der City.
Am weitaus interessantesten ist für Tolksdorf aber der
„elementare" Zug am Schnellimbiß-Essen. Peinlichkeits- und
Schamgefühle, die im Zuge der Entwicklung der Eßsitten, der
zunehmenden Zivilisation langsam, aber stetig vorrückten,
würden wieder zurückgedrängt, „Affekte" und „Triebe" weni-
ger streng kontrolliert. Am Imbißstand wird weitgehend auf
Besteck verzichtet, es gibt auch keine Möglichkeit, sich vorher
die Hände zu waschen, Essen mit den Händen bedeute
„Unmittelbarkeit und Lustgewinn", der nicht nur bei „Ham-
burger" vertilgenden Kindern und Jugendlichen geradezu
sichtbar ist - für Tolksdorf „sicherlich keine Gegenentwick-
lung zum Prozeß der Zivilisation ..., aber ein Freiraum eben
von dieser Zivilisation."
Dr. Renate I. Mreschar

56
Was heute mit einer stürmisch wachsenden Zahl
von Anhängern und den nicht minder stürmisch
wachsenden Verdienstmöglichkeiten der Spitzenprofis zu einem
Millionenspiel geworden ist, hat seinen Ursprung sehr wahr-
scheinlich in einem mittelalterlichen Zeitvertreib:

Das erste Tennismatch


bestritten Klosterbrüder
Wie das Tennisspiel zu seinem Namen kam, woher die
sonderbare Zählweise dieses Spiels rührt und überhaupt, wie
man es vor mehr als einem halben Jahrtausend spielte und wo
es entstand, untersuchte der Sprachwissenschaftler Dr. Heiner
Gillmeister an der Universität Bonn.
Überraschend ist schon, daß das Tennisspiel offenbar nicht
in England, dem Land mit dem „heiligen Rasen" und dem mit
Wimbledon wohl ehrwürdigsten Tennisturnier der Welt, ent-
standen ist. Alle geschichtlichen Quellen weisen vielmehr
darauf hin, daß man im 12. Jahrhundert wohl in Frankreich mit
dem Tennisspielen begann. Der klösterliche Ursprung des
Spiels ergibt sich - so Gillmeister - nicht zuletzt aus der Anlage
des klassischen Tenniscourts, der bis in Einzelheiten hinein
dem Kreuzgang mittelalterlicher Klöster nachempfunden zu
sein scheint.
Der Kreuzgang, ein quadratischer Innenhof, nach allen
Seiten hin von einem Säulengang umgeben, schloß sich in der
Regel an die Südseite der Klosterkirche an. Seine südliche,
von der Kirche abgekehrte Hälfte wurde von den Mönchen zur
Spielfläche erkoren, über die sie eine Schnur von einer mittle-
ren Säule bis hin zur Hofmitte spannten, zu einem dort
eingerammten Pfosten. Über diese Schnur wurde der Ball
gespielt, zunächst mit der flachen Hand. Das halbierte Qua-
drat des Klosterhofs ergab die bis heute charakteristische
rechteckige Form des Spielfeldes. Praktische Gründe für die
Wahl der Südseite waren wohl, daß diese im Schatten lag, und
daß die Mönche den Spiellärm von den Andächtigen in der
Kirche fernzuhalten suchten, gleichzeitig aber auch ihre kost-
baren Kirchenfenster nicht mit umherschwirrenden Tennisbäl-
len gefährden wollten.
Punkte ließen sich bei diesem frühen Tennisspiel auf direk-
tem Wege erzielen, indem etwa bestimmte Öffnungen der
Säulengalerie getroffen wurden, aber auch auf die heute noch

57
übliche Weise: Der Ball durfte nur einmal aufspringen, im
freien Flug genommene Bälle (Volleys) waren statthaft.
Seinen Namen verdankt das Tennis nicht - wie unter
anderem vermutet wurde - der Stadt Tinnis im Nildelta,
bekannt für die Herstellung eines vorzüglichen weißen Leinen-
tuchs, mit dem man im Mittelalter Tennisbälle bezog, sondern
der französischen Verbform „tenez": „haltet" (den Ball)! Mit
diesem Wort leitete der Tennisspieler vor mehr als einem
halben Jahrtausend sein Service ein, wie einer Episode in der
wohl bald nach 1415 entstandenen Ballade „The Bataile of
Agyncourt" zu entnehmen ist, die mit Sicherheit - so Gillmei-
ster - als die älteste „Reportage" über ein Tennisspiel gelten
kann.
In ihr wird die Belagerung des Städtchens Harfleur durch die
Engländer (während des Frankreichfeldzuges Heinrichs V.) in
der Art eines Tennisspiels - auch von der Terminologie her -
dargestellt. Freilich wurden die Tenniswörter dabei in ironi-
scher Form verwendet. Aus diesem Gedicht und dem Ver-
gleich zweier seiner Fassungen geht nicht nur hervor, daß in
alter Zeit die Besetzung mit einer Dreiermannschaft offenbar
den Vorzug gegenüber dem heute üblichen Doppel oder
Einzel erhielt; es dürfte darüber hinaus wohl auch der älteste
Beleg für die Fünfzehner-Zählweise im Tennis sein. Von den
Zählwörtern des Tennisspiels (15, 30, 45, 60) fehlen nur zwei,
nämlich „Einstand" und „Vorteil". Vermutlich konnte der
englische Verfasser der Ballade aus patriotischen Gründen
den belagerten Franzosen die Chance eines Einstandes oder
gar Vorteils im Kampf verständlicherweise nicht einräumen.
Aus der Agyncourt-Ballade geht auch hervor, daß im mittelal-
terlichen Tennis ein lautes Ausrufen des Spielstandes durch
denjenigen, der gerade einen Punkt gewonnen hatte, das
Übliche war. Im Gegensatz zum heutigen Tennis, wo häufig
vor allem mittelmäßige Spieler Stille während des Matches
geradezu zelebrieren, war das Tennis im Mittelalter ein über-
aus geräuschvoller Sport.
Die Ballade sagt nun freilich nur etwas aus über die Anwen-
dung der Zählworte, aber nichts über ihre Herkunft. Auf jeden
Fall ist daran - so Gillmeister - nicht das in Viertelstunden
unterteilte Zifferblatt einer Uhr schuld, wie heute noch
manchmal behauptet wird. Die ganze Geschichte liegt etwas
komplizierter. Bereits in der Entstehungszeit des Tennisspiels,
also im 12. Jahrhundert, machte sich beim Klerus und vor
allem dann in Kreisen des Adels die auch heute bekannte
(Un)Sitte breit, Tennis um Geld zu spielen. Die mittelalterli-

58
che Münzeinheit nun, der man sich bediente, war der altfran-
zösische „sol" (später: „sou"). Der „sol" ist im Mittelalter die
Rechnungseinheit für zwölf Pfennige (altfranzösisch „de-
nier"). 1266 dann wird diese Einheit erstmals in Form einer
Silbermünze geprägt, dem „gros denier tournois", dem „gro-
ßen Pfennig von Tours". Dieses Geldstück wurde im 14.
Jahrhundert mehrmals nachgeprägt - der Wert betrug jeweils
15 deniers tournois = 15 Pfennige aus Tours. Bei einem
Tennisspiel waren nun für einen verschlagenen Ball 15 deniers
zu zahlen, für ein verlorenes Spiel deren 60 - immerhin der
Gegenwert von zehn frischen Eiern.
Die sehr spezielle sprachwissenschaftliche Analyse Gillmei-
sters ermöglicht es auch, den Weg des Tennisspiels im Mittelal-
ter ziemlich genau zu verfolgen. Vom Norden Frankreichs
gelangte es nach Schottland und England, dann in die Nieder-
lande und von dort nach Deutschland. Vom ländlichen Norden
Frankreichs breitete es sich auch ins städtische Paris aus.
Parallel zu dieser Verbreitungswelle zwischen dem 12. und
beginnenden 15. Jahrhundert kam es - von der höfischen
Kultur Frankreichs ausgehend - auch zu einem Wandel in der
Anredeform. Nur noch in den unteren Schichten redete man
sich mit Du an, für die Oberschicht wurde das „Sie" gebräuch-
lich. Dies spiegelt sich auch im Eröffnungsruf beim Tennisspiel
wider. Aus dem Aufschlägerruf mit der Du-Anrede „cache-
pol" (fang den Ball) wurde das höflichere „Tenez la balle"
(halten Sie den Ball). Und da es im Ausland in besseren
Kreisen „in" wurde, sich französischer Ausdrücke selbst im
Alltag zu bedienen - das modische Tennisspiel war da keine
Ausnahme - verfestigte sich diese französische Form. Durch
die Beherrschung des fremdsprachigen technischen Vokabu-
lars sonderten sich, so Gillmeister, die vornehmen Snobs in
ähnlicher Weise von ihren Zeitgenossen ab, wie dies die
distinguierte Welt im Deutschland und im Frankreich der
Jahrhundertwende mit den nun kurioserweise englischen Ten-
nisausdrücken tat.
Der Tennissport hat also gleichsam in doppelter Weise
seinen Ursprung in Frankreich, einmal als Spiel selbst, im
12. Jahrhundert beginnend, und rund 300 Jahre später in der
auch heute noch gebräuchlichen Benennung.
Dr. Renate I. Mreschar

59
Luise Otto-Peters, Auguste Schmidt, Mary Woll-
' stonecraft und andere haben sich im 19. Jahrhun-
dert für die Gleichberechtigung ihrer Geschlechtsgenossinnen
stark gemacht und sind zu Symbolfiguren für die Frauenbewe-
gung der Industrialisierungsphase Europas geworden. Doch
auch sie blickten auf viele zurück, auf

„Emmas" mittelalterliche Vorhut


Sie hießen Hildegard von Bingen, Hrotsvitha von Ganders-
heim und Heloise, und ihre Namen stehen symbolisch für
Tausende von Frauen, die im elften, zwölften und dreizehnten
Jahrhundert eine Emanzipationsbewegung repräsentierten.
Das Hochmittelalter war, wie später die industrielle Revolu-
tion Europas, eine Zeit des großen wirtschaftlichen und gesell-
schaftlichen Aufbruchs, die auch die Stellung der Frau inner-
halb einer vorher nach außen hin männlich erscheinenden
Kultur bewußter gemacht hat. War die Frau bisher als Ge-
schlechtsgenossin Evas unterbewertet worden, so wurde nun
die Mutter Jesu das „hymnisch gepriesene" Frauenideal, wie
der Münchner Historiker Karl Bosl feststellt.
Parallel dazu entstand in Europa eine selbständige Frauen-
bewegung, die im Beginentum des dreizehnten Jahrhunderts
ihren Höhepunkt erreichte: Es wurden in allen Bettelorden
Frauenzweige gegründet, so daß um 1300 die Zahl ihrer
weiblichen Mitglieder, der Beginen, so groß war wie die der
Männer.
Während die Verfechterinnen der Gleichberechtigung heu-
te ihre Gedanken durch Presse, Funk und Fernsehen einer
breiten Öffentlichkeit darlegen können, marschierten ihre
Geschlechtsgenossinnen damals von Ort zu Ort und spielten so
schließlich besonders als Wanderpredigerinnen eine führende
Rolle. Sie verließen nicht selten ihren Ehemann und ihre
Kinder, zogen über die Straßen und verbanden sich mit
Witwen, entlaufenen Mönchen, Bettlerinnen, Aussätzigen
und Prostituierten zu Orden und ordensähnlichen Gemein-
schaften.
Als Gründe für diesen von ihm als Emanzipation bezeichne-
ten Aufbruch der mittelalterlichen Frau führt Bosl sowohl das
Verlangen nach gesellschaftlicher Freiheit, Freizügigkeit und
Unabhängigkeit vom besonderen Dienstverhältnis zum Mann,
als auch unter anderem einen Frauenüberschuß an.
Das neue Ideal eines Lebens in Askese, Buße, Armut und
60
Gebet hatte im Hochmittelalter die Frauen aus allen Schichten
der Bevölkerung, Töchter des europäischen Adels ebenso wie
arme Bäuerinnen, fasziniert. Dabei boten Klöster, Laienge-
meinschaften und „ketzerische" Bewegungen den Frauen die
Chance zur Unabhängigkeit und zum gesellschaftlichen Auf-
stieg.
Dr. Robert Lutz

61
Sie färben ihre stoppelkurzen Haare knallig bunt,
durchbohren ihre Haut mit furchterregenden Si-
cherheitsnadeln, schminken ihre Lippen in dunklen Farben und
geben mit Hundehalsbändern, Rasierklingen oder sonstigem
„Zierwerk" ihre Abneigung gegen die Normen einer Gesell-
schaft kund, in der sie „no future" sehen. Sind sie aber wirklich
das, was sie scheinen:

Aussteiger auf Zeit?


Die „Punks", die exotischen Problemkinder der Wohl-
standsgesellschaft vor allem der achtziger Jahre, haben durch
Kleidung, Lebensweise und Musik die Aufmerksamkeit der
Bevölkerung recht wirksam auf bestimmte Probleme unserer
Gesellschaft gerichtet, von denen die Jugendlichen der Groß-
stadt besonders hautnah betroffen sind: Arbeitslosigkeit, Zer-
störung der alten Gemeinschaften durch Stadtsanierung und
die Langeweile in den neu geschaffenen Wohnsilos der Vor-
städte. Dabei scheinen die Punks selbst gar keine Kinder
armer Eltern zu sein, wie eine Untersuchung dieser „Ausstei-
ger" durch die Diplom-Politologin Christa Mahrad an der
Forschungsstelle für Jugendfragen in Hannover erkennen läßt.
Die Daten stammen aus den Kriminalakten von 119 Punks.
Ganz eindeutig weist das Alter dieser polizeilich auffällig
gewordenen Außenseiter daraufhin, daß es sich bei der Punk-
Bewegung um ein abgrenzbares Jugend-Problem handelt: Fast
alle dieser Punks waren zwischen 15 und 19 Jahre alt, keiner
war jünger als 14, und nur sechs waren älter als 21. Die
Angaben lassen zudem vermuten, daß die meisten Jugendli-
chen nur kurzfristig dieser Randgruppe angehören, daß es sich
also um sogenannte „Modepunks" handelt. Den harten Kern
der Punks machen hingegen die „Berufspunks" aus. Diese
allerdings dürften nur einen sehr kleinen Teil bilden.
Die oft geäußerte Behauptung, die Punks entstammten den
ärmsten sozialen Schichten, läßt sich anhand der Daten ebenso
nicht halten wie die, sie seien Schulversager. Zwar machten 77
Punks keine Angaben zum Beruf des Vaters, doch lassen sich
daraus keineswegs Schlüsse auf die soziale Stellung ihrer
Familie ziehen. Von den „geständigen" Punks waren 18 Kin-
der von Angestellten, zwölf Kinder von Facharbeitern, sieben
Kinder von Hilfsarbeitern, drei Kinder von Beamten und zwei
von Selbständigen. Fast die Hälfte der „Schäbigen" (so das
englische „punk" in etwa auf deutsch) ging noch zur Schule, 21

62
ins Gymnasium, zehn in die Realschule, drei in die Gesamt-
schule, drei in Berufsvorbereitungsschulen, elf in berufsbil-
dende Schulen, Fach- oder Fachoberschulen. Auffällig ist, daß
keiner der Punks Sonderschüler war.
Auch die 66 unter den 119, die ihre Schule bereits beendet
hatten, verfügten fast alle über einen Schulabschluß. 35 von
ihnen hatten erfolgreich die Hauptschule absolviert, 18 hatten
die mittlere Reife abgelegt, ein Punk besaß Abitur, und einer
hatte eine berufsbildende Schule abgeschlossen. Nur sechs von
ihnen waren ohne Schulabschluß. Von denen, die die Schule
bereits hinter sich hatten, waren 25 Auszubildende, elf Hilfs-
oder Gelegenheitsarbeiter und 27 arbeitslos.
Die untersuchten Punks stammten in der Regel nicht aus
zerrütteten Familienverhältnissen. Man kann also kaum davon
sprechen, diese Jugendlichen seien wegen eines schlechten
Elternhauses auf die „schiefe Bahn" gekommen. Bei 75 von
den 119 waren die Ehen der Eltern nicht geschieden, die
Familie also zumindest auf dem Papier intakt. Von diesen
Punks lebten 57 noch bei ihren Eltern. 32 gaben an, ihre Eltern
seien geschieden. Von diesen lebten 27 bei der Mutter, drei
beim Vater. Nur zwei der befragten Punks wohnten in einem
Heim, sechs waren ohne festen Wohnsitz.
Die Wissenschaftlerin schließt aus ihren Daten, daß die
meisten Punks „Aussteiger auf Zeit", reine Modepunks, sind.
Für sie ist das Punkdasein eine typische Erscheinung des
Freizeitbereiches und der damit verbundene „alternative Le-
bensstil" ein Anzeichen dafür, daß die Jugendlichen imponie-
ren und auffallen wollen, wobei hinzu kommt, daß in der
Jugend die Neigung zum Sich-Abheben aus der Masse beson-
ders stark ist.
Rolf Degen

63
Daß die Jeans ihren „Aufstieg" der Rock 'n' Roll-
Welle der fünfziger Jahre und den Protestbewe-
gungen seit den sechziger Jahren verdanken, wird immer wieder
behauptet. „Die Revolution trägt Jeans", lautete eine entspre-
chende Schlagzeile. Doch war das wirklich so? Ist die

Freiheit in
die Hosen gegangen?
Wie wenig das zutrifft, hat der Volkskundler Dr. Wolf-
Dieter Könenkamp aus Detmold durch eigene Untersuchun-
gen aufgezeigt. An Hand so unterschiedlicher Quellen wie
Brancheninformationsdiensten (über den Jeansmarkt), Bild-
bänden und Warenhauskatalogen, Fotos aus Zeitschriften und
Jugend-Magazinen wie „Life", „Stern", „Weltbild", „Kri-
stall", „Der Spiegel", „Bravo" und „Twen", Untersuchungen
über Einstellungen und Haltungen von Jugendlichen sowie
solchen der Marktforschung über Konsumverhalten auf dem
Textilsektor fand er heraus: Die Behauptungen vom engen
Zusammenhang zwischen Jeanstragen und Jugendunruhen
stimmen nicht, die Blue Jeans sind eben nicht das Identifika-
tionssymbol der unruhigen Jugend seit 1955. Dies bestätige
nicht zuletzt der „Jeansmarkt": Er hat sich seit Anfang der
fünfziger Jahre gleichmäßig nach oben entwickelt; eine
Rock 'n' Roll- oder Protestexplosion ist nicht auszumachen.
Zudem sind die Jeans nicht so jung, wie man aufgrund der
ihnen bisher zugeschriebenen Rolle vermuten könnte. Es
handelt sich bei ihnen vielmehr um ein „über lOOjähriges Stück
Arbeitskleidung", das bereits in einem „Allgemeinen Waaren-
lexicon" von 1826 als Stichwort auftaucht.
Bezogen auf die Jugendbewegungen taugen nach Könen-
kamp lediglich Marion Brando und seine Lederjacken- und
Jeansfilme als Vorbild, der oft zitierte Elvis Presley kommt
hingegen „mangels Jeanshose" nicht in Frage: Als Sänger auf
der Bühne trug er nämlich niemals Jeans. Auch andere Rock-
and-Roll-Stars der fünfziger Jahre waren bei ihren Auftritten -
wie Fotos dokumentieren - nicht mit Jeans bekleidet. Und
selbst die „Halbstarkenkrawalle" 1955 haben mit Jeans nichts
zu tun: Man trug konventionelle Umschlaghosen, Oberhem-
den, Krawatte und Jackett. Natürlich hatten die jungen Leute
dieser Zeit auch ihre Abzeichen, an der sich etwa die Rock-
and-Roll-Fans erkannten - aber das war damals vor allem die

64
Frisur („Entenschwanz").
Völlig übersehen habe man bei der Suche nach den Ursa-
chen der Jeansverbreitung bisher, so meint der Wissenschaft-
ler, die Möglichkeit „klassischer Innovation", das heißt von
privilegierten Kreisen ausgehende Neuerungen. Gerade dies
sei aber in den fünfziger Jahren der Fall gewesen. Künstler,
Autoren, Modeschöpfer orientierten sich genauso wie auch
Jugendliche an der „offensichtlich überlegenen Sieger-Kultur"
- und übernahmen den US-amerikanischen Freizeitstil. Die
Kette der Prominenten, die sich in Freizeit oder Beruf in „Blue
Jeans" zeigten, riß während der fünfziger Jahre nicht ab.
Die auffallende Verbreitung von Jeans erfolgte in den
späten fünfziger Jahren durch Medien, besonders die nach US-
Vorbild produzierte Teenager-Musik (Conny Froboess und
Peter Kraus) und den Film (zum Beispiel „Wenn die Conny
mit dem Peter"), die sich kräftig der Freizeit- beziehungsweise
Jugendsymbolik der Jeans bedienten. Könenkamp: „Während
die Darsteller in den Liedtexten permanent das Reizwort
,Blue Jeans' im Munde führten, hüpften sie im Film in
wippenden Röcken und gebügelter Hose durchs Klassenzim-
mer. Die Aggressionen und die Zeichen der unruhigen Jugend
wurden entschärft und in konsumierbarer Form an die Teen-
ager zurückgegeben."
In den späten sechziger Jahren waren die Jeans bereits weit
verbreitet - als Freizeitmode. Die Protestbewegungen dage-
gen waren geradezu „jeanslos": So spielten bis etwa 1968 Jeans
keine Rolle im Erscheinungsbild der Studenten. Auf Abiturfo-
tos 1967 sind ebenfalls nirgendwo Jeans zu sehen. Und auch
die Beat-Musiker der sechziger Jahre trugen alles mögliche -
aber keine Jeans. Schrille Farbkombinationen, Überdekora-
tion, Wiederentdeckung der blumigen Ornamentik des Ju-
gendstils und dessen Verballhornung charakterisierten diese
Jahrzehnte ebenso wie die Buntheit der „Flower Power"-
Bewegung (Hippies) weitaus passender als das doch recht
triste Blau der Jeans. Erst 1968 erscheinen mit der farbigen
Cordwelle vermehrt Jeans, aber nicht beschränkt als Studen-
ten- oder Popmusiker-„Tracht", sondern als allgemeine Ju-
gendmode jenes Jahres, aus den USA übernommen. Gleich-
wohl gab es auch in den sechziger Jahren wiederum äußerliche
Signale des Protests. Aber sie bezogen sich, wie schon in den
fünfziger Jahren, auf die Frisur: Diesmal waren es die langen
Haare.
Ursachen der Jeanswelle seit Beginn der siebziger Jahre sind
für den Detmolder Volkskundler „veränderte Bedürfnisse

65
aufgrund einer veränderten Lebenssituation der meisten Men-
schen", insbesondere der Trend zur praktischen Kleidung,
zum Zwanglosen und Informellen (Kleidungsstücke sind nicht
mehr so „anlaßgebunden"), die wachsende Bedeutung der
Freizeit sowie der „Unisex"-Trend (gleiche Kleidungsstücke
für Männer und Frauen) und ein gewisser „Jugendlichkeits-
wahn". In Form von Kleidung konnte man Jugend am leichte-
sten kaufen.
Aktuell ausgelöst habe die „Jeanswelle" die Entdeckung der
„Blue Jeans" durch die „offizielle" Mode in Paris und London
am Ende der sechziger Jahre sowie die sich zwischen 1968 und
1970 hinziehende Propagierung der „Freizeitkleidung Blue
Jeans" für alle Gelegenheiten. Hinzu kommen die Produk-
tions- und Verteilungspotenz der amerikanischen „Jeans-Mul-
tis", die aufgrund jahrzehntelanger stattlicher Gewinne in der
Lage waren, in Europa rasch Kapazitäten aufzubauen.
Unter Umständen ließen sich die APO-Unruhen der sechzi-
cher Jahre allerdings doch noch unter die aktuellen Auslöser
der Jeans-Welle summieren: „Zum einen", so Könenkamp,
„könnten Jeans zwar nicht als abzeichenhaftes Kleidungs-
stück, aber als Teil eines zwanglosen Kleidungsstiles in Alltag
und Öffentlichkeit durch die von dem ,Protest' herbeigeführte
kulturelle Lockerungsstimmung mitgetragen worden sein,
zum anderen könnte die Bevorzugung der Jeans eine resignati-
ve Tendenz ausdrücken, in der man sich - wenigstens auf
kulturellem Gebiet - die Freiheit nimmt, die politisch längst
aus den Augen geschwunden war - Freiheit, die in die Hose
gegangen ist."
Alle bisherigen Ursachenvermutungen für die Jeanswelle
seit 1970 wurden ja „umwölkt" vom grenzenlosen Begriff der
„Freiheit", die letztlich die „heimliche Sehnsucht" der Jeans-
käufer sei - „eine Hose, die frei macht", „die genietete
Freiheit", „die blaue Haut, mit der man Freiheit überzieht".
Das generelle Bedürfnis nach „Freiheit" hat nach Könenkamp
für die Jugend freilich fatale Konsequenzen gerade da, wo sie
einen Freiraum gegenüber der Erwachsenenwelt, sei es auch
nur im Symbol, besitzt. Da, wo sie von Zeit zu Zeit meinen
darf, ein Stück dieser Freiheit zur eigenen Gestaltung gefun-
den zu haben, wird sie rasch von der Restgesellschaft einge-
holt, deren Konsumgüterproduzenten sich keine neue Welle
auf dem unerschöpflichen, stets nachwachsenden Jugend-
markt entgehen lassen.
Dr. Renate I. Mreschar

66
GESCHICHTEN, DIE
DIE FORSCHUNG
SCHREIBT

NATURGESCHICHTE

__________________________

Wale, Saurier
und Meteoriten

67
Seit sich die Menschen Gedanken über die Entste-
hung des Lebens auf der Erde machen, streiten sie
sich auch um die Richtigkeit ihrer Theorien. Die renommierten
britischen Astronomen Sir Fred Hoyle und Chandra Wickrama-
singhe haben hier die Verwirrung noch größer gemacht:

Kam das Leben aus dem All?


Leben entstand nicht durch chemische Reaktionen in einer
„Ursuppe" auf der Erde, sondern die Erde wurde mit Leben
angesteckt, das Kometen aus dem Kosmos auf unseren Plane-
ten brachten. So lautet die Theorie der beiden Briten. Wie sehr
sie auch die Gemüter der Wissenschaftler erhitzt, die zugrun-
deliegende Idee ist alles andere als neu: Der griechische
Philosoph Anaxagoras, der um 500 vor Christus lebte und die
richtige Erklärung für die Sonnen- und Mondfinsternis heraus-
fand, soll schon behauptet haben, daß die Saat des Lebens zum
Kosmos gehöre, daß diese überall Wurzeln schlage, sobald die
Bedingungen günstig seien. Genies früherer Zeiten wie Louis
Pasteur, der Vater der modernen Biologie, und der deutsche
Physiker und Physiologe Hermann von Helmholtz zogen diese
Möglichkeit zumindest in Betracht.
Bisher glaubte die moderne Wissenschaft, daß zwischen der
Bildung der ersten Gesteine vor etwa vier Milliarden Jahren
und dem Auftreten von Leben etwa 500 Millionen Jahre
verstrichen seien. Diese lange Zeit, so vermutet man, hätte
vielleicht für die zufällige Entstehung von Leben in der
brodelnden Ursuppe ausgereicht.
Allerdings gab es da ein Problem, das die Wissenschaftler
nicht recht lösen konnten. Der Informationsgehalt lebender
Materie ist nämlich unvorstellbar groß und äußerst speziell.
Kann dieser Informationsgehalt aus einer Situation entstehen,
die ursprünglich so chaotisch war wie die Ursuppe? Eine
einfache Rechnung zeigt, daß die Wahrscheinlichkeit dafür
verschwindend klein ist.
Wie etwa der Göttinger Nobelpreisträger Manfred Eigen,
wenn auch in anderem Zusammenhang, aufgezeigt hat, kann
eine hochspezifische Struktur wie die Desoxyribonukleinsäure
(DNS), die als Trägerin der Erb- und Lebensinformationen für
das richtige biologische Funktionieren von Lebewesen ent-
scheidend ist, kaum zufällig, durch „Würfeln" in der Natur,
entstanden sein, auch nicht in 500 Millionen Jahren. Eigen
setzt gewissermaßen innere naturgesetzliche Zwangsläufigkei-

68
ten gegen den reinen Zufall.
1978 fanden der Gießener Geologie-Professor Hans-Diet-
rich Pflug und seine Mitarbeiter im Südwesten Grönlands in
der Isua-Formation die ältesten bisher bekannten Reste irdi-
schen Lebens: Spuren von Zell-Organismen, die sich nach
weiteren Untersuchungen durch Professor Manfred Schid-
lowski im Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz als 3,83
Milliarden Jahre alt erwiesen.
Neue Daten vom Mond lassen heute zudem vermuten, daß
bis vor etwa 3,9 Milliarden Jahren das Milieu auf der Erde sehr
lebensfeindlich war: Während sich unser Planet abkühlte,
fanden Auf- und Umschmelzvorgänge statt. Laufend schlugen
Kometen aus den äußeren Bereichen des Sonnensystems ein
und führten der Erde verdampfbare Stoffe zu, einschließlich
des Wassers, aus dem die Weltmeere entstanden. Langsam
bildete sich eine Atmosphäre um den Planeten, die die ultra-
violette Strahlung der Sonne abschirmte. Erst dann wurde
Leben auf der Erde überhaupt möglich.
Der Zeitraum, der zur spontanen Entstehung des Lebens im
Sinne der Ursuppentheorie zur Verfügung stand, schrumpfte
damit von 500 Millionen auf 70 Millionen Jahre zusammen.
Für Hoyle und Wickramasinghe ist das ein Grund mehr, das
Leben nicht als chemisches Zufallsprodukt zu betrachten,
sondern als importiertes Phänomen aus dem Kosmos, wo es an
zahllosen Orten hätte entstehen können.
Ein weiteres Indiz für die kosmische Theorie sind Messun-
gen, die zeigen, daß Kometen eine bemerkenswert ähnliche
chemische Zusammensetzung besitzen wie Lebewesen. Die
Chemie der Erdoberfläche hingegen ist von der der Lebewe-
sen völlig verschieden. Vom rein chemischen Standpunkt her
scheinen also die Kometen weit günstigere Brutstätten für das
Leben zu sein als eine irdische Ursuppe. Falls Hoyle recht hat,
könnte also das Leben in einem beliebigen der vielen Milliar-
den Kometen im Gesamtsystem der Milchstraße entstanden
sein. Jeder von ihnen ist im Innern warm und wäßrig und
enthält alle erforderlichen Nährstoffe, die für die Erhaltung
lebender bakterieller Zellen nötig sind. Die Bakterien wären
dann die eigentlichen Träger des Lebens.
Die beiden britischen Astronomen behaupten nun tatsäch-
lich, daß die Evolution diese Bakterien als Raumfahrer ausge-
stattet habe. Wenn dem so wäre, wäre die gesamte Milchstraße
voll vom biologischen Vermächtnis einer jeden Gaswolke im
Weltraum. Gewiß kein alltäglicher Gedanke! Hinweise dafür,
daß es den Bakterien im Raum eigentlich recht wohl ist, gibt es

69
genug: Bakterien können fast unbegrenzte Zeit bei niedrigen
Temperaturen und Drücken überleben, und sie weisen eine
bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit gegenüber verschie-
densten Arten von Strahlung auf, wie sie im Weltraum auftritt.
Damit ist natürlich nichts bewiesen, aber die außerirdischen
Eigenschaften der Bakterien wären zumindest nicht mehr so
mysteriös.
Zwischen den Sternen der Milchstraße gibt es dunkle Wol-
ken. Sie bestehen aus gasförmigem Wasserstoff, verschiede-
nen organischen Molekülen und aus winzigen Staubteilchen.
Diese Teilchen lassen nur einen Teil des Lichts aus fernen
Strahlenquellen durch. Als Hoyle und Wickramasinghe die
Lichtabsorption dieser Raumkörnchen maßen und mit derje-
nigen von Zellulose verglichen, stellten sie eine verblüffende
Übereinstimmung fest. Schluß der beiden Wissenschaftler:
Die Staubteilchen haben eine biologische Zusammensetzung,
oder frecher formuliert, die Staubteilchen sind Bakterien. In
ihren Köpfen entstand das Bild eines Weltraums, der mit
lebenden, aber tiefgefrorenen Zellen vollgestopft ist. Damit
würde jeder Ort, der für das Leben in Frage kommt, sehr
schnell davon angesteckt: eine Begegnung der Dritten Art?
Felix Weber

70
Man entdeckte an ihnen die seltsamsten „biotech-
nischen" Mechanismen, so ein Schallortungssy-
stem, enorme tauchphysiologische Fähigkeiten und eine Fern-
kommunikation, die offensichtlich über Dutzende Kilometer
reicht. Manche von ihnen scheinen überdies die intelligentesten
aller Tiere zu sein:

Wie die Wale


das Meer eroberten
Nun wird auch die Entwicklung der Wale aus landlebenden
Säugetieren zu voll „hochseefähigen" Pseudofischen langsam
bildhaft: Eine Basis für neue Erkenntnisse über den Weg der
Wale vom Land ins Meer bildet eine zunehmende Zahl von
Fossilfunden. Allerdings ist deren Aussagewert meist deshalb
beschränkt, weil sie im allgemeinen nur aus den Hartteilen mit
Knochen und Zähnen bestehen, während gerade bei den
Walen die Untersuchung der Entwicklung des Gehirns und der
Organe von besonderem Interesse ist.
Gewisse Möglichkeiten zu solchen Studien bietet aber auch
die Ontogenie, die sich mit der Embryonal- und Jugendent-
wicklung der Tiere befaßt, in deren Verlauf bekanntlich
manche stammesgeschichtliche Entwicklungsstufe wenigstens
andeutungsweise wiederholt wird. Dabei gewinnen vorüber-
gehend Organreste Gestalt, die bei den Vorfahren vor vielen
Millionen Jahren noch voll funktionsfähig waren und auch
gebraucht wurden.
Nach heutigem Wissen sind die Wale Nachkommen primiti-
ver Ur-Raubtiere, die noch während der Lebenszeit der
letzten großen Saurier vor rund 70 Jahrmillionen lebten. Sie
waren bis wolfsgroß und hatten ein kräftiges Räubergebiß.
Wie und wann diese „Mesonychiden" ins Meer einzogen, war
bisher nicht genau abzuklären. Einige Urwale, deren etwa 50
Jahrmillionen alte Reste man unter anderem in Ägypten
gefunden hat, zeigen jedoch im Schädelbau noch Merkmale
ihrer Vorfahrengruppen.
Irgendwann in den dazwischenliegenden 20 Jahrmillionen
dürften die vierbeinigen Urahnen der Wale bei der Jagd nach
Fischen oder anderen Wassertieren im Flachwasser die Mög-
lichkeiten dieses neuen Lebensraums entdeckt haben: Sie
paßten sich Generation für Generation besser dem Wasserle-
ben an, entwickelten Vorderflossen, reduzierten die Hinter-

71
flossen, legten sich für den Antrieb eine - waagerecht liegende
- Schwanzflosse zu und wurden so zu den Hochseetieren, die
heute alle Meere der Welt bevölkern.
Schon vor rund 35 bis 40 Jahrmillionen hatten sie sich an
ihren neuen Lebensraum so weit angepaßt, daß sie sich
spezialisieren konnten. Dabei entwickelten sich, wie Dr. H.
Öhlschläger aus Frankfurt als Mitglied der deutschen Walfor-
schergruppe berichtete, typische „Delphine" mit großem Ge-
hirn, große Zahnwale und eine heute ausgestorbene Gruppe
von Raubwalen mit enorm starkem Gebiß, zu denen ein
berühmt gewordenes, doch mißdeutetes Fossil gehört. Es war
der „Basilosaurus", den frühere Paläontologen als eine Art
ungeheure Seeschlange von bis 34 Meter Länge rekonstruiert
hatten. Erst neuerdings hat sich herausgestellt, daß man dabei
die Wirbel von zwei Exemplaren zu einem Ungeheuer zusam-
mengesetzt hatte. Die meisten der frühen fossilen Wale wur-
den in Ägypten gefunden, das damals von einem warmen
Flachmeer bedeckt war, in dem offenbar viele dieser Tiere
strandeten. Dieser Flachsee war ein Ausläufer des Urmeers
Tethys, das sich zwischen Europa und Afrika und bis weit nach
Asien über das heutige Himalaja-Gebiet hinzog und aus dem
dann die Ketten der europäischen Faltengebirge herauswuch-
sen. Von ihm aus scheinen die Wale die Meere des ganzen
Erdballs erobert zu haben.
Die moderneren Wale zeigen in den am höchsten entwickel-
ten Typen erstaunliche Modifikationen der ursprünglichen
„normalen" Säugetieranatomie: so eine sehr weitgehende
Umbildung der Extremitäten und den Verlust der Hinterbei-
ne, eine reibungsmindernde Haut, die Druckunterschiede auf
den Körper ausgleichen kann, so daß die Tiere beim
Schwimmen besonders widerstandsarm umströmt werden,
sowie in die Haut eingesenkte Brustdrüsen und Genitalien.
Dieser ideal angepaßte Körperbau macht den schnellsten
Walen, wozu die Finn- und Seiwale gehören, Geschwindigkei-
ten bis zu 35 Knoten möglich.
Um ohne energiezehrendes Auftauchen einatmen zu kön-
nen, sind die Nasenöffnungen von der Schnauze zum Scheitel
verlagert. Die Nasenöffnungen können beim Einatmen stark
erweitert werden, damit die Atemluft möglichst schnell ausge-
tauscht wird und das Tier zum Beutefang oder zur Flucht eiligst
wieder untertauchen kann. Bei einem Atemzug wird bis 90
Prozent der Atemluft ausgetauscht, bei landbewohnenden
Säugetieren nur zehn bis 15 Prozent. Die Muskulatur ist gegen
Anreicherung des Stoffwechselabbauprodukts Milchsäure be-

72
sonders unempfindlich und verfügt über einen besonders
hohen Gehalt an sauerstoffspeicherndem Myoglobin. Am
erstaunlichsten sind die Künste der Tiefsttaucher, der Pottwa-
le, die Tauchgänge bis zu einer Stunde unternehmen und
offenbar bis zu 3000 Meter Tiefe erreichen.
Überdies haben die Wale das Echolot (Sonar) etliche Jahr-
millionen vor den Meerestechnikern erfunden: Sie senden den
echogebenden Schall aus einem Knochenreflektor auf dem
Schädel, der die Schallstrahlen vorwärts bündelt und den
rückwärtigen Schädelteil abschirmt, und empfangen mit den
Ohren, die zur Sicherung gegen störenden Eigenschall von
dem Schädel „abgekoppelt" und lose und weich im Gewebe
eingebettet sind. Als „Abstrahldom" füngiert eine Wulstung,
die „Melone", gefüllt mit dem begehrten „Spermaceti"-Öl.
Damit die Ortung möglichst wirkungsvoll ist, verwenden die
Tiere bevorzugt Schallfrequenzen, mit denen sie dem „Hinter-
grundgeräusch" im Meer (zwischen 5000 und 20000 Hertz)
ausweichen: Die Zahnwale senden vorwiegend in höheren
Frequenzen im Ultraschallbereich, die Bartenwale im nieder-
frequenten Bereich.
Zahnwale als Großtierjäger und Bartenwale als „zahnlose"
Planktonfresser, die mit ihren Barten schwebende Kleintiere
wie die antarktischen Krill-Krebse „maulvollweise" aus dem
Wasser heraussieben, bilden die heutige „Walbevölkerung"
der Meere der Erde. Sie sind so weit auseinander entwickelt,
daß viele Walforscher die Ansicht vertreten, daß sich beide
Gruppen unabhängig voneinander aus Landraubtieren ent-
wickelt haben: Tatsächlich zeigt der Fossil-Stammbaum im
wesentlichen nur Vorfahren und Evolution von Zahnwalen,
aus denen sich die Bartenwale entwickelt haben müßten, wenn
sie nicht selbständig entstanden sind.
Dr. Harald Steinen

73
In einem norddeutschen Steinbruch entdeckte man
die Fährte eines der größten bis heute bekannten
Saurier. Diese lebten als „elefantenfüßige Vierbeiner" in der
Jura- und Kreidezeit und erreichten nach jüngsten Funden
Körperlängen von möglicherweise mehr als 30 Meter. Ihr
Gewicht war dementsprechend:

Die Fußspuren
eines Hunderttonners
Die Entdeckung wurde bei Münchehagen bei Hannover
gemacht und bedeutete eine echte Überraschung, da Spuren
dieser zu den Großdinosauriern gezählten Tiere bisher fast nur
aus Nordamerika bekannt waren, wenn auch begrenzt eben-
falls aus Ostafrika und Portugal. Sie sind deshalb ein wichtiger
Hinweis auf eine bisher noch nicht voll bekannte vorgeschicht-
liche europäische Tierwelt.
Aus der Reihe der in Münchehagen aufgedeckten Trittsiegel
des Giganten läßt sich eine mindestens 40 Meter lange Fährte
zusammenfügen. Sie liegt in einem abgebauten Teil des Stein-
bruchs und ist erst nach einiger Zeit von einem örtlichen
Denkmalspfleger erkannt worden. Sie ist rund 100 Jahrmillio-
nen alt und dem Übergang zwischen der Jura- und der
Kreideformation zuzuordnen, dem „Wälderton" (Wealden),
der heute meist der Kreideformation zugerechnet wird. Man-
ehe Fußabdrücke haben einen Durchmesser von bis zu 80
Zentimeter.
Die einzelnen Spuren haben keine besonderen Merkmale
wie etwa Krallenabdrücke und können keiner bestimmten
Gattung der Sauropoden zugeordnet werden, von denen es
Dutzende gab, wie etwa den Brontosaurus, Diplodocus,
Brachiosaurus oder Apatosaurus, und von denen vermutlich
auch noch längst nicht alle bekannt sind. Es läßt sich aber
erkennen, daß sich das Tier in einer Art von Paßgang bewegte
und dabei mit dem Hinterfuß in etwa in den Abdruck des
Vorderfußes trat und daß es an einem Flachmeerstrand ent-
langspazierte, dessen Sand mit Rippelmarken bedeckt war.
Doch ist der Erhaltungszustand der Trittspur insgesamt nicht
sehr gut.
Dabei handelt es sich nach den Beobachtungen des Geolo-
gen Dr. Franz Grahmann vom Niedersächsischen Landesamt
für Bodenforschung in Hannover wahrscheinlich nur zu einem

74
Teil um echte Fährten, wie sie original „eingedrückt" wurden,
zum anderen Teil aber um bloße Belastungsmarken, wie sie in
den tieferen Untergrund des Watts eingedrückt wurden, wäh-
rend die obersten Gesteinsschichten mit der Fährte selbst
verschwunden sind, möglicherweise abgewittert oder beim
Sandsteinabbau mit fortgenommen.
Derartige Riesenfährten sind bisher nur aus den USA
bekannt. Dort wurde auch das bisher weitaus überwiegende
Gros der Knochenreste dieser Tiere gefunden, die vor rund
einem Jahrhundert in einem wissenschaftlichen Wettlauf bei-
nahe in Massen ausgegraben wurden, später auch in Kanada.
Die Fundstelle von Tendaguru in Ostafrika mit dem „Brachio-
saurus", der von allen Neuweltformen dadurch abweicht, daß
er seinen Kopf hoch erhoben trug, weil er möglicherweise auf
dem Boden von Seen lebte, wurde kurz vor dem Ersten
Weltkrieg entdeckt; die Fundstelle in Portugal erst nach dem
Ende des Zweiten Weltkrieges. Diese enthält auch Knochen
anderer bisher nur aus der Neuen Welt bekannter Großdino-
saurier, die als Räuber oder Aasfresser lebten, während die
Riesen-Sauropoden reine Pflanzenfresser waren.
Der Fundreichtum der Neuen Welt geht jedoch weit über
alles in der Alten Welt Bekannte hinaus und führte zu der
Annahme, daß das Zentrum der Evolution und Verbreitung
der Landdinosaurier im allgemeinen und der Groß-Sauropo-
den im besonderen dort lag. Zu der Vorstellung paßt der
Fundplatz in Portugal, da es im Erdmittelalter offenbar den
Atlantik noch nicht gab und der Westen Europas zu Nordame-
rika benachbart lag. In Europa wurden nur einzelne Formen
gefunden, voran das Iguanodon, ein auf zwei Beinen gehender
Pflanzenfresser, der nicht zu den Sauropoden gehört. In der
Bundesrepublik Deutschland wurde Anfang 1980 erstmals ein
den Iguanodon-Formen zuzurechnender Dinosaurierrest im
Sauerland gefunden.
Allerdings hatte man bisher die erstaunlich zahlreichen
Saurierfährten nicht voll gewürdigt, die in der Oberjura- und
Kreideformation Niedersachsens (auch im Raum Müncheha-
gen) immer wieder gefunden, doch kaum je intensiv unter-
sucht wurden. Bereits 1905 wurde eine Fährte mit Fußspuren
von immerhin 40 Zentimeter Durchmesser gefunden, Fährten
von „vogelfüßigen" Dinosauriern etwa vom Typ des Iguano-
don sind ausgesprochen häufig und immer wieder gefunden
worden, oft in Gesellschaft von anderen Riesenfährten, die
meist nicht näher analysiert wurden. Vor einigen Jahren wurde
eine interessante Fährtenfundstelle in Bargthausen an der

75
Hunte durch das Naturmuseum in Osnabrück untersucht; dort
fanden sich auch „elefantenfüßige" Sauropodenspuren. Sie
haben jedoch bei weitem nicht die Dimensionen der Fährte des
Riesen-Sauropoden von Münchehagen, mit dem die europäi-
sche Saurierwelt ganz neue Dimensionen erreicht: nämlich
den „Gigantismus" der Neuwelt-Landdinosaurier, der in Eu-
ropa nicht repräsentiert schien.
Eine weitere Frage ist, wieweit solche Riesenfährten nicht
doch schon früher gefunden und übersehen wurden - teils, weil
man sie in Europa nicht erwartete, teils, weil einzelne Fußspu-
ren der „elefantenfüßigen" Dinosaurier sehr uncharakteri-
stisch sind. Die neu entdeckte Fährte fiel auch nur auf, weil sie
aus vielen einzelnen Fußabdrücken hintereinander bestand.
Eine eingehende wissenschaftliche Untersuchung der zahl-
reichen Saurier-Fährtenfundstellen im niedersächsischen
Raum dürfte auch ohne Knochenfunde ein weitaus interessan-
teres und reicheres Bild der europäischen Dinosaurierfauna
geben, als es bisher gezeichnet wurde. Die genaue Zuordnung
der Fährten und vor allem der Riesenfährte von Münchehagen
freilich muß wohl noch eine Zeitlang offen bleiben - vor allem
die Frage, ob dieser Sauriergigant eine europäische Eigenent-
wicklung war oder zu einer der neuweltlichen Formen gehörte,
und wieweit es andere „endemische" Dinosaurier in der Alten
Welt gab. Nachdem man sich darüber klar werden muß, daß
Europa in bezug auf Dinosaurier nicht „unterentwickelt" war,
scheint alles möglich.
Dr. Harald Steinen

76
Auch in der Schweiz lebten Dinosaurier. Wenn
sich diese Riesenreptile des Erdmittelalters auch
längst vom „Tatort" entfernt haben, so sind doch ihre Spuren
wortwörtlich erhalten geblieben. Sie hinterließen sie im heutigen
Wallis und Graubünden an ganz unwahrscheinlich anmutenden
Stellen:

Als die Saurier


„über" die Alpen liefen
Die Dinosaurierfährten im Nationalpark in Graubünden
wurden schon in den sechziger Jahren von Geologen der
Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich entdeckt,
blieben aber lange Zeit nur „schubladisiert". Erst viele Jahre
später wurden sie durch Dr. Heinz Furrer im Gelände in über
2000 Meter Höhe untersucht. Auf die Fährten im Wallis stieß
man in 2400 Meter Höhe nahe dem Staudamm von Vieux
Emosson in der Gemeinde Finhaut im Jahr 1976, als der
französische Geologe Dr. A. Bronner das Gebiet aus ganz
anderen Gründen besuchte. Sie waren drei Jahre später das
Ziel einer ganzen Expedition von 17 Mann, die mit Hub-
schrauber und Auto zehn Tage lang auf einer steilen Felsplatte
- an Seilen hängend - die rund tausend einzelnen Abdrücke
fotografierte und von vielen Abgüsse nahm, um mit diesen
„geokriminalistischen Methoden" die Verursacher zu identifi-
zieren. Diese haben sich allerdings schon vor fast zweihundert
Jahrmillionen vom „Tatort" entfernt.
Natürlich haben die Schweizer Dinosaurier, die nachweis-
lich über die Alpen liefen, diese Spaziergänge unternommen,
als die Alpen noch keine Alpen waren - bis in 2000 oder 3000
Meter Höhe hätten sich diese wechselwarmen Reptile zu
Lebzeiten nie gewagt. Und ob sie (wie in Finhaut) über eine 40
Grad steile Felsplatte liefen, um ihre Fährten der Nachwelt zu
hinterlassen, muß ebenfalls stärkstens bezweifelt werden ...
Aus den Gesteinen der Fundstelle läßt sich ganz deutlich
ablesen, daß die Fährten in beiden Fällen im feuchten
Schlamm eines Meeresstrandes hinterlassen wurden - im
Nationalpark war es ein feiner Kalkschlamm, der vermutlich
die Fährten sehr gut konserviert hat, in Finhaut ein feiner
Sandstein. Eindrucksvoller als mit diesen Fährten kann wohl
die geologische Entwicklung des heutigen Hochalpengebietes
vom Meer- und Küstenland zum Hochgebirge nicht demon-

77
striert werden. Beide Fährtengebiete stammen aus der geolo-
gischen Formation des Erdmittelalters, die mit „Trias" be-
zeichnet wird. Die Fährten im Bündnerland wurden vor etwa
190 Jahrmillionen eingedrückt, in dem geologisch als „Nor"
bezeichneten Abschnitt der Trias, die Fährten des Wallis sind
etwas älter (Mitteltrias), doch ihr Alter ist vorerst nicht genau
festzulegen. Auch die Schiefstellung der Fährtenplatten im
Wallis zeigt eindrücklich, wie die geologischen Kräfte seit der
Lebenszeit der Dinosaurier mit den Gesteinen des Alpenlan-
des umgegangen sind. Es mag verwunderlich scheinen, daß die
offen zutage liegenden Saurierfährten beim Emosson-Stau-
damm nicht schon früher gefunden wurden. Doch ist das
Gebiet dort bis auf wenige Wochen im Jahr mit Schnee und Eis
zugedeckt. Diese Schneebedeckung machte auch der Saurier-
expedition dort erhebliche Schwierigkeiten. Die Spurenplat-
ten mußten erst einmal von Schnee befreit werden, um Foto-
aufnahmen machen zu können. Dazu wurde der Schnee mit
Kohle bestreut, welche die Sonnenstrahlen gewissermaßen
anzieht. Um die Platten „fotogen" zu machen, mußten sie
trocken gelegt werden: Für diesen Zweck wurden zwei kleine
Bäche umgeleitet, die über die Felswand rieselten. Die aus
Silikon bestehende Ausgußmasse, von der fast eine Tonne
benötigt wurde, mußte nachts mit in der Schlafbaracke über-
nachten, weil dieses Material keinen Frost verträgt. Allein für
eine große Fährtenplatte mit vielen einzelnen „Fußtritten"
wurden rund 150 Kilogramm Silikon verbraucht. Um sie aus
der Wand zu holen, mußte sie in kleinere Stücke zerteilt und
zunächst getragen und dann per Hubschrauber zum Stütz-
punkt, einer Baracke der Schweizerischen Bundesbahn, geflo-
gen werden. Schließlich wurde die Felswand wieder von den
Spuren der Abgußmasse gereinigt. Heute steht dieses fast
zweihundert Jahrmillionen alte Naturdenkmal unter Natur-
schutz.
Man wird wohl nicht damit rechnen können, die Fährtenle-
ger genau zu identifizieren. Das ist bei den meisten Dinosau-
rierfährten so gut wie unmöglich - es sei denn, man findet im
Zusammenhang mit den Fährten Knochenreste, was ganz
selten ist. Man kann nur sagen, daß die Dinosaurier des Wallis
noch nicht sehr groß waren - die größten Fährten stammen von
Füßen von 30 bis 35 Zentimeter Länge. Aus der Größe der
Abdrücke und der Schrittlänge läßt sich schätzen, daß es Tiere
von maximal drei bis vier Meter Höhe waren, die dort am
Strand von Finhaut wanderten. Es gab jedoch zu jener Zeit -
am Anfang des Erdmittelalters - auch keine wesentlich größe-

78
ren Saurier. Der Finhaut-Strand in der Mitteltrias scheint recht
belebt gewesen zu sein: Es konnten mindestens fünf verschie-
dene Saurierarten unter den rund tausend Fährten identifiziert
werden. Zum Teil waren es Dinosaurier im engeren Sinn, die
sich später zu jenen Riesenformen entwickelten, die bis zwölf
Meter hoch und dreißig Meter lang wurden und von denen
viele aufrecht auf zwei Beinen gingen wie die Wallis-Saurier
auch. Die „dreizehigen" Fährtentypen dürften den Vorfahren
der späteren Riesendinosaurier zugehören. Andere, rundliche
Fährten stammen von primitiveren Saurierformen.
Die Saurier, die im Nationalpark ihre Visitenkarte hinterlie-
ßen, lebten schon in einer Zeit, als die Evolution ihres
Stammes weiter fortgeschritten war und erheblich größere
Formen hervorgebracht hatte. Ein Teil der Fährten stammt
von dreizehigen Tieren mit der stattlichen Fußgröße von 60
Zentimeter Länge und 40 Zentimeter Breite. So kann man sich
zumindest vorstellen, daß es unter diesen Strandläufern des
Erdmittelalters bereits Dinosaurier mit acht oder mehr Meter
Körperhöhe gegeben hat -jedenfalls schon sehr eindrucksvol-
le Gestalten. Vielleicht zeigt die weitere Fährtenanalyse sogar,
ob es sich um friedliche Pflanzenfresser oder gar beschuppte
Räuber handelte, die das Nationalparkgebiet unsicher mach-
ten.
In jedem Fall haben diese Funde eine Lücke in der Doku-
mentation der urzeitlichen Fauna der Eidgenossenschaft ge-
schlossen - auch wenn bisher noch keine Riesenfährten wie in
den USA oder in Münchehage in der Bundesrepublik
Deutschland gefunden wurden, die mehr als einen Meter
Durchmesser hatten.
Dr. Harald Steinert

79
Ein düsteres Geheimnis verbindet sich mit der
Tatsache, daß viele Höhlen Süddeutschlands
und der Alpen die Überreste zahlreicher eiszeitlicher Höhlenbä-
ren enthalten. In der Zoolithenhöhle in Oberfranken dürften
800 bis 1000 liegen. Die oft hervorragend erhaltenen Skelette
haben zwar die Grundlage für eine ganze „Höhlenbärenpatha-
logie" geliefert, doch blieb das Ende der Tiere ungeklärt:

Der Todesschlaf
der Höhlenbären
Nun ist auf das Geheimnis dieses Massentodes zumindest in
der Zoolithenhöhle überraschend Licht gefallen: Diese Höhle
war eine mit erstickenden Gasen gefüllte Todesfalle von
vielleicht ähnlich verhängnisvoller Wirkung wie die am Boden
Kohlendioxid-Tümpel enthaltende Hundsgrotte bei Neapel,
in der kleinere Tiere ersticken, die aber über diesen giftigen
Schichtungen atmende Menschen unbeschadet betreten kön-
nen.
In der oberfränkischen Höhle hat der Leiter eines Heimat-
museums in Greding bei Schwabach, Dipl.-Ing. Forstmeyer,
Indizien für eine solche „fossile" Kohlendioxidanreicherung
ermitteln können. Kohlendioxid kann überall dort freigesetzt
werden, wo Kalksinter abgelagert wird, wo also Höhlen in
Kalksteinschichten liegen oder von kalkhaltigem Sickerwasser
durchflossen werden. Aus diesem Sickerwasser scheidet sich
Kalk aus, der dann Tropfsteine, „Wandbehänge", Bodenbelä-
ge oder noch andere Niederschlagsformen bilden kann. Immer
ist diese Kalkausscheidung aber mit einer Kohlendioxidfreiset-
zung verbunden, wobei die Ablagerung einer Tonne Sinter
ungefähr 440 Kilogramm Kohlendioxid liefert.
In der Zoolithenhöhle wird auch heute noch Kalksinter
abgelagert. Deshalb enthält die Höhlenluft immer noch mehr
Kohlendioxid als die freie Atmosphäre; die Konzentration
dieses Gases erreicht beispielsweise in ihrem tiefsten Becken
rund 30 Meter unterhalb des Höhleneingangs 0,2 Prozent und
damit fast siebenmal mehr als in der „normalen" Luft. Wäh-
rend der Lebenszeit der Höhlenbären muß dieser Kohlendi-
oxidgehalt aber ungleich höher gewesen sein. Wie sich nämlich
an den großen Sintermassen erkennen läßt, die die Knochen-
ablagerungen füllen und oft auch die Knochen selbst überzo-
gen haben, war damals die Sinterbildung weitaus aktiver als

80
heute. Insgesamt müssen in den letzten Jahrtausenden mehre-
re 100 Tonnen Sinter gebildet und dementsprechend auch 100
oder mehr Tonnen Kohlendioxid freigesetzt worden sein. Wie
hoch der Kohlendioxidgehalt in der Höhle zeitweise war, läßt
sich nachträglich dennoch nur mit Schwierigkeiten abschätzen.
Forstmeyer schätzt ihn auf „mehrere Prozent". Dafür gibt es
auch den wichtigen Hinweis, daß viele „alte" Sinter nachträg-
lich wieder „angeätzt" worden sind, aus ihnen also wieder Kalk
herausgelöst worden ist. Das kann aber nur dann möglich
gewesen sein, wenn in der Höhle zeitweilig ein abnorm hoher
Kohlendioxidgehalt vorgeherrscht hat.
Kohlendioxidgehalte der Luft in der Größenordnung von
einigen Prozent sind jedoch bereits körperlich wirksam: Bei
etwa drei Prozent des Gases in der Atemluft kommt es zu einer
Art Rauschzustand, der von einem erhöhten Wohlbefinden
und auch dem Gefühl gesteigerter geistiger Leistungsfähigkei-
ten begleitet ist, nicht unähnlich vielleicht dem Stickstoff-
rausch bei Überdruck, der Taucher gefährdet. Nach dieser
euphorischen Phase wirkt das Gas dann aber eher erregungs-
dämpfend.
Wenn also ein Höhlenbär, der sich vielleicht auf der Suche
nach einem Platz für seinen Winterschlaf befand, in eine solche
Gasfalle tappte, sich dort niederließ und damit erst recht in die
am Boden lagernden Schichten der höchsten Gaskonzentra-
tion geriet, muß er sich dort zunächst sehr wohl und behaglich
gefühlt haben. Er verbrauchte dann aber immer mehr des
vorhandenen Sauerstoffs und steigerte zugleich den Kohlen-
dioxidgehalt durch seine Atmung, so daß er schließlich bei fünf
oder sechs Prozent den tödlichen Bereich erreichte und der
Schlaf des Bären in seinen Todesschlaf überging, da es kein
körpereigenes Warnsystem gegen dieses geruchlose Gas gibt.
Dieser friedliche Tod im Winterschlaf dürfte also zumindest
für die Gegebenheiten der Zoolithenhöhle, wahrscheinlich
aber auch für die anderen „Bärenhöhlen", die Erklärung für
den Fund der vielen unversehrten Bärenskelette liefern. Daß
im Verlauf jener vielen Jahrtausende, in denen eine solche
Höhle während der letzten Vereisung und Zwischeneiszeit
vielleicht ständig offenstand, immer wieder Bären (und andere
Tiere) in diese Todesfalle geraten konnten, ist eigentlich
selbstverständlich. Entsprechend gab es auch nie ein „geheim-
nisumwittertes Massensterben". Diese „Bärenfriedhöfe" sind
vielmehr nach und nach entstanden.
Wenn das Rätsel der Zoolithenhöhle und wahrscheinlich
auch vieler anderer „Bärenhöhlen" damit auch gelöst sein

81
dürfte, so mindert diese Lösung allerdings entscheidend alle
Hoffnungen, in den Erstickungskesseln solcher Höhlen auch
einmal ein vollständig erhaltenes Menschenskelett zu finden.
Die Eiszeitmenschen haben ohnehin nie dauernd in Höhlen
gewohnt, wie die moderne Forschung überzeugend belegen
konnte. Sie mögen sie höchstens vorübergehend als kühle
Sommerwohnungen genutzt haben.
Wenn sie sie jedoch betraten, dann stets mit Fackeln oder
ähnlichen Leuchten oder mit der Absicht, dort Feuer anzuzün-
den. Diese Flammen sind dann aber in den Gefahrenzonen
dieser Höhlen ebenso schnell verlöscht wie etwa Kerzen in
einem gasgefüllten Brauereikeller oder in der Kohlendioxid-
Bodenschicht der Hundsgrotte bei Neapel. Entsprechend
dürfte die Annahme zutreffen, daß diese eiszeitlichen Besu-
cher der gefährlichen Höhlen nach dem Erlöschen ihrer Fak-
keln oder Feuer flüchteten und so entschieden darauf verzich-
teten, sich in ihnen „fossilisieren" zu lassen ...
Dr. Harald Steinen

82
Außer den Anwohnern des geheimnisumwitterten
schottischen Loch Ness dürfte wohl niemand an
die Existenz des sagenumwobenen Echsenungetüms in seinen
Wassern glauben. Denn die Zeit der Riesensaurier ist vorbei.
Weshalb das so ist, könnten jetzt überraschende wissenschaftli-
che Befunde erhellen:

Weshalb die Saurier


sterben mußten
Diese neue Geschichte ihres Untergangs hat mit hoch
raffinierten chemischen Gesteinsanalysen zu tun, wie sie erst
in jüngster Zeit technisch möglich geworden sind. In der
Bundesrepublik Deutschland werden solche Element- und
Isotopenanalysen an irdischen und außerirdischen Materialien
insbesondere an den Max-Planck-Instituten für Kernphysik in
Heidelberg und für Chemie in Mainz durchgeführt. So konnte
unter anderem von den an diesen Instituten arbeitenden
Forschern gezeigt werden, daß außerirdische Gesteine wie
meteoritische oder vom Mond stammende Minerale chemi-
sche Elementhäufigkeiten aufweisen, welche von denjenigen
in irdischem Oberflächengestein entscheidend und charakteri-
stisch abweichen.
Vor allem bei der Untersuchung des in Mexiko niedergegan-
genen Allende-Meteoriten sind zahlreiche Isotopenanomalien
dieses meteoritischen Gesteins aufgedeckt worden. Entspre-
chende Häufigkeitsanalysen an irdischen Sedimentgesteinen
haben dazu Befunde erbracht, die auf sehr überraschende
Weise mit der Frage nach dem Aussterben der Saurier in
Verbindung stehen.
Für die Tatsache, daß die Erde während einer gewissen
geologischen Epoche von saurierartigen Riesenwesen bevöl-
kert und beherrscht gewesen ist, gibt es heute nur noch
stumme, allerdings zahllose Zeugen in Form von fossilen
Versteinerungen in geologisch typischen Sedimentgesteinen.
Paläontologische Untersuchungen dieser Versteinerungen ha-
ben schon vor langer Zeit bewiesen, daß die Saurier während
des geologischen Kreidezeitalters für eine recht lange Zeit die
beherrschenden Festlandlebewesen gewesen sind, daß sie
jedoch aufgrund eines bisher noch weitgehend unklaren Um-
standes am Ende des Kreidezeitalters und zum Beginn des
Tertiärs, also vor etwa 65 Millionen Jahren, ganz plötzlich

83
ausgestorben sein müssen.
An für den Übergang vom Kreide- zum Tertiärzeitalter
typischen Ablagerungsgesteinen, die man in der Nähe der
mittelitalienischen Stadt Gubbio freigelegt hat, haben Physi-
ker der Universität von Kalifornien in Berkeley unter Leitung
von Professor W. Alvarez mit einem neu entwickelten Neutro-
nenaktivierungsverfahren chemische Häufigkeitsuntersu-
chungen durchgeführt.
Bei diesem Verfahren werden die Gesteinsproben einem
starken Neutronenstrahl ausgesetzt und dadurch zu einer für
die jeweiligen Elemente typischen Eigenstrahlung angeregt.
Hierdurch kann die Häufigkeit bestimmter Elemente in der
Gesteinsprobe mit einer bisher nicht erreichten Genauigkeit
gemessen werden. Insbesondere die platinähnlichen Elemente
Osmium, Rhodium und Iridium können von dieser Methode
optimal erfaßt werden.
Der frappierende Befund bei der Untersuchung des Kreide-
Tertiär-Sedimentes durch die Berkeley-Gruppe besteht in der
Feststellung, daß Iridium auffällig häufiger als erwartet ist.
Dabei tritt es im Vergleich zu normalem Erdgestein aus
anderen geologischen Zeitepochen in diesem Übergangssedi-
mentgestein 60 bis 160mal häufiger auf. Dieser Befund konnte
auch von einer europäischen Forschergruppe um die norwegi-
schen Geologen J. Smit und J. Hertogen an ähnlichem Sedi-
mentgestein aus der Gegend von Caravaca in Südostspanien
bestätigt werden.
Danach sieht es also so aus, als zeichne sich das für den
Übergang vom Kreidezeitalter ins Tertiär typische Sediment-
gestein durch besonders hohe Iridiumhäufigkeiten aus. Nun
weiß man, unter anderem durch die Analysen der Max-Planck-
Institute in Heidelberg und Mainz an aus Meteoriten, Asteroi-
den und vom Mond stammenden Gesteinsproben, daß alle
Körper aus der Frühzeit des Sonnensystems, die keine minera-
lische Aufschmelzung und schwerkraftbedingte Entmischung
durchgemacht haben wie etwa die erdähnlichen Planeten, um
den Faktor 1000 höhere Iridiumhäufigkeiten aufweisen als
beispielsweise irdisches Krustengestein. Zu solchen frühen
Kleinkörpern des Sonnensystems gehören Meteoriten, Aste-
roiden und Kometen. Und wenn nun ausgerechnet das Kreide-
Tertiär-Gestein anormal hohe Iridium-Anteile enthält, so liegt
nahe anzunehmen, daß die aus dieser Zeit der aussterbenden
Saurier stammenden Sedimente gleichsam ein Iridium-Wund-
mal mitbekommen haben: wahrscheinlich dadurch, daß zu
dieser Zeit ein Komet oder Asteroid mit der Erde zusammen-

84
prallte und seine Materie über den Erdball verteilte.
Beim Eindringen eines außerirdischen Körpers in die frühe
Erdatmosphäre dürfte sich dieser Körper bis zum Zerplatzen
in feinsten Staub aufgeheizt haben. Sein um die ganze Erde
verteilter Staub hat dann nachhaltig die Chemie des Festlandes
und der Gewässer beeinflußt und möglicherweise durch
cyanidische Vergiftungen der irdischen Umwelt das Ausster-
ben der Saurier herbeigeführt.
Welche der vielen mit dem Einschlag außerirdischer Mate-
rie verbundenen Auswirkungen letztlich für die Saurier tödlich
waren, ist zur Zeit noch nicht ausdiskutiert; es könnten die
beim Einschlag ausgelöste Hitze- und Druckwelle, ein stark
vermindertes Pflanzenwachstum, bedingt durch reduzierte
Sonneneinstrahlung durch den globalen atmosphärischen
Staubschleier, aber auch eine allgemeine Gewässer- und Pflan-
zenvergiftung gewesen sein. Eins ist jedenfalls klar: Es bedurf-
te eines außerirdischen Ereignisses, um den Sauriern ein so
abruptes Ende zu bereiten.
Daß die Saurier zum Aussterben bestimmt waren, nur weil
sie eine biologische Fehlkonstruktion gewesen seien, kann
jedenfalls überhaupt nicht überzeugen, zumal die Saurier
mindestens fünfzigmal länger die Erde bevölkert haben als bis-
her die gesamte Menschheit, angefangen bei den Hominiden.
Professor Dr. Hans-Jörg Fahr

85
GESCHICHTE, DIE
DIE FORSCHUNG
SCHREIBT

RÄTSEL UND WUNDER


DER NATUR
________________________________

Von Wasserwundern
und Tausendfüßlern

86
Weit über den Bodensee hinaus berühmt ist ein
seltsames Ereignis des Jahres 1549 geworden,
das sogar in moderne Handbücher der Ozeanographie aufge-
nommen worden ist. Damals schwankte der Wasserspiegel des
Schwäbischen Meeres während einiger Stunden so stark, daß
sogar der Rhein plötzlich rückwärts floß:

Das Wasserwunder
von Konstanz
Seit Ende der sechziger Jahre wird der Bodensee auch
seenphysikalisch erforscht. Dabei geht es in erster Linie um die
durch Zuflüsse und Luftdruckschwankungen aufgezwungenen
Wasserbewegungen und Pegeländerungen. Vor allem die
Wasserstandsschwankungen sind erheblich und haben schon
vor rund 100 Jahren den ersten Leiter des Großherzoglich-
Badischen Centralbureaus für Meteorologie und Hydrogra-
phie, Honsell, mit Untersuchungen für eine „Regulierung" des
Bodensees beginnen lassen.
Die durchschnittlichen jährlichen Wasserstandsschwankun-
gen des Bodensees erreichen anderthalb Meter, so daß es
immer wieder zu Überflutungsschäden kommt. Ein wesentli-
cher Teil des Hochwassers stammt aus dem Rhein und anderen
Zuflüssen, ein kleinerer entsteht aber deshalb, weil der See
schwingt. Denn jedes stehende Gewässer schwappt in seinem
Becken hin und her, wenn es durch äußere Kräfte wie etwa
Luftdruckschwankungen „angestoßen" wird.
Solche Eigenschwingungen in Form langer Wellen, die von
der Größe des Sees abhängig sind, entdeckte im vorigen
Jahrhundert zuerst der Genfer Arzt Dr. Auguste Forel im
Genfer See, wo sie Schwankungshöhen bis zu einen Meter
und mehr erreichen können. Er taufte sie „Seiches" (nach
einer Volksmundbezeichnung, die von „sec", gleich trocken,
abgeleitet wird). Forel fand solche „Seiches" auch in anderen
Seen, darunter im Bodensee. Diese Eigenschwingungen des
Bodensees wurden inzwischen nach neu entwickelten Theo-
rien berechnet und mit den Naturbeobachtungen verglichen.
Dabei hat sich gezeigt, daß sich die Seeoberfläche in einer
regelmäßigen Grundschwingung von etwa 54 Minuten Dauer
in Längsrichtung bewegt, wobei die größten Bewegungen am
Westende auftreten, sowie in Eigenschwingungen höherer
Ordnung mit Perioden von etwa 36, 27 und 19 Minuten. Die

87
noch kürzerperiodischen Schwingungen fünfter und nach-
folgender Ordnung sind normalerweise ohne Interesse, weil
sie meist nur zu sehr geringen Wasserstandsschwankungen
führen.
Meist bewirken diese Schwankungen nur Seespiegelschwin-
gungen um nicht einmal einen Dezimeter. Doch erlebte der
Bodensee einmal eine Seiche, die durch eine Eigenschwingung
sehr hoher Ordnung und schneller Wiederkehr angeregt wur-
de und zu ganz extremen Wasserstandsschwankungen führte:
Sie ereignete sich am 23. Februar 1549 und wurde von dem
Konstanzer Chronisten Christoph Schulthaiss so beschrieben:
„Uff disen Tag, was Sant Mathyss abend, morgens früeh, ist
der See an und abgeloffen, wol einer Ellen hoch ..." Am Ufer
von Konstanz stieg und sank das Wasser also um rund 60
Zentimeter, vier- bis fünfmal in der Stunde. Dieses Auf- und
Ab-Laufen dauerte bis Mittag, wurde dann aber immer schwä-
cher. Zugleich wurde am Rheinausfluß (in den Untersee) in
Konstanz beobachtet, daß der Rhein im Takt dieser Wasser-
spiegelschwankungen einmal ablief und dann seinen Lauf
umkehrte und wieder zurück in den Bodensee floß. „Das hat
menigklich ain gross Verwunderung gehabt ..." Als „Wasser-
wunder von Konstanz" ist dieses Ereignis in die Historie und
Wissenschaftsgeschichte eingegangen, so auch in ein engli-
sches Lehrbuch der Ozeanographie von 1966.
Diese rhythmische Wasserspiegelschwankung scheint eine
typische Seiche zu sein, freilich mit einer im Hauptsee unbe-
kannten Periode. Untersuchungen des Schwingungsverhaltens
des Teilbeckens der Konstanzer Bucht anhand von Pegelauf-
zeichnungen auf Schweizer Uferseite deckten dann auch tat-
sächlich auf, daß das Wasser dieser Bucht eine Eigenschwin-
gung mit der von Schulthaiss 1549 aufgezeichneten Periode
von 13 bis 14 Minuten ausführt, die freilich im Normalfall nur
sehr geringe Pegelschwankungen verursacht.
Am Tag des „St. Mathyss abend" des Jahres 1549 dagegen
stieg und sank das Seewasser in dieser Eigenperiode der
Konstanzer Bucht um weit über einen halben Meter, so
kräftig, daß der Rhein zeitweise rückwärts floß.
Dies kann nur so erklärt werden, daß das Wasser des
Hauptsees (des Obersees) an diesem Tag durch irgendwelche
besonderen meteorologischen Ereignisse - etwa schnelle
Druckschwankungen mit einer Periode von 13 bis 14 Minuten
- ungewöhnlich stark angeregt wurde: Der Obersee hat als
Eigenschwingungen fünfter oder sechster Ordnung Schwin-
gungsperioden von dieser Zeitdauer. Diese Wasserschwingun-

88
gen des Obersees wurden dann in der Konstanzer Bucht - mit
einer Eigenschwingungsfrequenz von der gleichen Dauer -
„resonant" verstärkt, so daß es zu diesen enormen Wasserspie-
gelschwankungen des „Wasserwunders von Konstanz" kam.
Dr. Harald Steinert

89
die Veränderlichkeit der Grenzen zwischen
Land und Meer ist die Nordsee geradezu ein
Musterbeispiel. Fünf- oder sechsmal hat sie sich in den letzten
Jahrmillionen einige hundert Kilometer bis hinter die Dogger-
bank zurückgezogen und ist dann wieder nach Süden gerollt:

Als Weser und Ems


in die Elbe flössen
Zu Fuß konnte man die Doggerbank das letztemal vor
vielleicht 30 000 Jahren erreichen und Helgoland sicher noch
vor etwa 10000 Jahren. Denn der Weltmeerspiegel lag wäh-
rend des Höhepunktes der letzten Eiszeit rund 80 Meter tiefer
und das „fehlende" Wasser als Gletschereis auf den Festlän-
dern. Vereinzelte zufällige Funde zeugen davon, daß dieses
versunkene Land Wälder und Moore trug, Wild durch seine
Steppen zog und Menschen der Altsteinzeit darauf Jagd
machten.
Wie dieses „Nordseeland" genau ausgesehen hat, ist heute
noch weitgehend ungeklärt. Die Überlegungen des nord-
friesischen Pastors Jürgen Spanuth, der dort das sagenhafte
Atlantis vermutete und die in ihm aufragende Felsklippe
Helgoland für ein vorgeschichtliches Kultzentrum hielt, kön-
nen sich nicht auf konkrete geologische oder prähistorische
Befunde stützen.
Erstmals ist es dem Hamburger „Meeresgeologen" Dr.
Klaus Figge gelungen, einige wesentliche geographische Züge
dieses Landes zu rekonstruieren. Er konnte unter anderem das
Tal der Elbe weit über 150 Kilometer nordwestwärts bis nahe
an die Grenze des deutschen Nordseesektors verfolgen.
Diese Entdeckungen sind gleichsam ein wissenschaftliches
Nebenprodukt von Untersuchungen des Deutschen Hydrogra-
phischen Instituts in Hamburg, das gemeinsam mit anderen
Institutionen die Sandbewegungen in der Deutschen Bucht
erforscht. Das ist nicht nur wegen der Sicherheit der Seeschiff-
fahrt wichtig, sondern auch für die vorbeugende Kontrolle der
ständig von der See bedrohten Nordseeinseln, der Sandbänke
und der Hafeneinfahrten. Mit einem Forschungsschiff wird
deshalb regelmäßig der Untergrund des deutschen Nordsee-
sektors mit einer speziellen Art Echolot systematisch abgeta-
stet und kartiert. Aus diesen Aufzeichnungen ergibt sich
zugleich ein Bild des Meeresbodens unter den lockeren und

90
wandernden Sandmassen, das wiederum Schlüsse auf die
einstige Landschaft des Nordseelandes zuläßt.
Die Zerstörungsarbeit des vordringenden Meeres hat in den
letzten zehn Jahrtausenden zwar einen Teil des ursprünglichen
Reliefs abgeschliffen. Erhalten geblieben sind aber vielfach
die „morphologischen Senken", darunter auch Flußläufe,
unter denen sich etwa ab Helgoland die nordwärtige Fortset-
zung der heutigen Elbe deutlich erkennen läßt.
In diesem untermeerischen Gebiet ist schon länger ein
auffälliger Steilhang bekannt, der westlich der roten Felsenin-
sei nach Nordwesten verläuft. Dort hebt sich der Nordseebo-
den aus etwa 44 Meter Tiefe zehn bis zwölf Meter nach
Nordosten. Während die „Hochfläche" ein unruhiges Relief
aufweist und mit Steinen bedeckt ist, bildet die „Tieffläche"
südwestlich davon eine glatte und feinsandige Ebene.
Figge fand den Beweis für die schon wiederholt geäußerte
Vermutung, daß dieser Steilhang ein ehemaliges Eibufer sein
könnte. Es zeigte sich nämlich, daß die „Tiefebene" in Wirk-
lichkeit eine breite Rinne ist, deren Boden noch fast 20 Meter
unter dem heutigen Nordseeboden liegt.
Diese Rinne läßt sich von der Höhe Helgolands an nord-
westwärts rund 110 Kilometer weit verfolgen, wobei sich zeigt,
daß sie immer breiter wird. Ganz eindeutig erweist sie sich
deshalb als ein ehemaliger Flußlauf; mit einiger Wahrschein-
lichkeit auch als Fortsetzung der Elbe durch das alte Nordsee-
land zur damals sehr fernen Nordsee bei der Doggerbank.
Mit „einiger Wahrscheinlichkeit" gilt das deshalb nur, weil
die Möglichkeit besteht, daß der Fluß, der während der letzten
Vereisung das untere Eibtal benutzte, gar nicht die heutige
Elbe war. Untersuchungen von Professor Gerd Lüttig an der
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hanno-
ver, verweisen nämlich darauf, daß dieses Tal eine „Sammel-
schiene" für einige heute in andere Richtungen fließende
mitteldeutsche Flüsse gewesen sein könnte.
Das geortete, rund 110 Kilometer lange Teilstück der Nord-
seeboden-Elbe ist heute mit feinem Sand und Schlamm rund
15 Meter hoch aufgefüllt. Es ist auf der Höhe Helgolands mit
etwa 14 Kilometer Breite noch recht schmal, 110 Kilometer
nordwestlich mit rund 35 Kilometer aber eher riesig zu nen-
nen. Wohin es sich weiter nordwärts wendet, ist gegenwärtig
noch unbekannt.
In dieser einstigen Eiblandschaft gab es auch einige kleinere
Nebenflüsse. Ein schmales Flußbett, das im Norden an Helgo-
land vorbeizieht, brachte von Osten die Gewässer der holstei-

91
nischen Geest heran und vor allem die Schmelzwasser der
Gletscher, die bis nach Ostholstein vorgestoßen waren. Ob
dieses Flußtal an die Hever oder die Eider anschließt, und ob
Husum oder Tönning den Ruhm für sich beanspruchen dürfen,
die Stadt am Haupt-Urstrom der eiszeitlichen Westküste zu
sein, ist aber noch nicht entschieden.
Mit größter Wahrscheinlichkeit flössen von der anderen
Seite her die Weser und die Ems dem versunkenen Eibtal zu.
Zwar sind deren untermeerische Fortsetzungen noch nicht
entdeckt, doch dürfte der Verlauf des Eibtales keinem größe-
ren Fluß mehr einen eigenen Weg zur fern im Norden branden-
den Nordsee gelassen haben. Auch die auffällige Verbreite-
rung des untermeerischen Elbtales dort, wo die Mündungen
der beiden anderen Flüsse eigentlich gewesen sein müßten,
spricht für diese Annahme. Man darf daher mit gutem Gewis-
sen Weser und Ems als Nebenflüsse der Elbe betrachten, die
erst durch den Anstieg des Meeres Selbständigkeit gewonnen
haben.
Dr. Harald Steinert

92
So viel Energie, wie gegenwärtig auf der ganzen
Welt in einer halben Stunde verbraucht wird,
wurde mit einem Schlag frei, als sich der unter Geologen
weltbekannte Bergsturz bei Kofels im mittleren Ötztal vor rund
8700 Jahren ereignete:

Als der Berg kam,


schmolzen die Steine
Ein deutsch-österreichisch-schweizerisches Forscherteam
fand eine Erklärung für den Hergang dieses Naturereignisses
in Tirol. Dabei wurde erstmals am konkreten Beispiel die
Energieverteilung eines derartigen Vorgangs rechnerisch er-
faßt. Ergebnis: Schon ein etwas kleinerer Bergsturz als jener
von Kofels - hier wurden mehr als zwei Kubikkilometer
Gesteinsmassen verlagert - würde genügend Energie freiset-
zen, um Steine zum Schmelzen zu bringen. Dies war im Ötztal,
wo der bisher größte Bergsturz im Urgestein der Alpen
stattfand, auch tatsächlich der Fall.
Der Fund von Gesteinen, die mit Sicherheit durch Schmel-
zen und Wiederabkühlung entstanden sind, war es denn auch,
was seit über 100 Jahren immer wieder das Interesse der
Wissenschaft auf das Naturereignis von Kofels lenkte. 1859
wurde der Ötztaler Pfarrer und Naturkundler Adolf Trientl
auf die Verwendung von aus der Gegend stammendem „Bims-
stein" durch die einheimischen Zimmerleute aufmerksam.
Der Tiroler Dichter und Innsbrucker Geologieprofessor Adolf
Pichler, dem Trientl darüber berichtete, versuchte wenig
später, die Herkunft dieser Steine auf die Tätigkeit eines in
allerjüngster geologischer Zeit hier tätigen Vulkans zurückzu-
führen.
Neben der aufsehenerregenden Vulkantheorie, die sich in
der Folge nicht zweifelsfrei erhärten ließ, kam in unserem
Jahrhundert die nicht weniger spektakuläre Idee auf, zur
Gesteinsabschmelzung und damit zur Entstehung des „Bims-
steines" sei es durch einen Meteoriteneinschlag gekommen.
Die Ergebnisse modernster Gesteinsanalysen schienen die
Richtigkeit der Meteoritenhypothese dann tatsächlich zu be-
weisen.
Sein Interesse für Meteoriteneinschläge rief auch den deut-
schen Mineralogen und Petrologen Professor Ekkehard Preuss
vom Staatlichen Forschungsinstitut für angewandte Mineralo-

93
gie in Regensburg auf den Plan. Das Ergebnis seiner Untersu-
chungen: doch kein Meteorit in Kofels! Damit bestätigte
Preuss die Zweifel, die auch der Geograph Professor Helmut
Heuberger vom Institut für Geographie der Universität Salz-
burg längst gehegt hatte. Der Wissenschaftler erforschte die
Oberflächenformen des Bergsturzes bis ins Detail. Dabei
rekonstruierte er den abgebrochenen Bergkamm und kam zu
dem Schluß, „daß - so wie die Bimssteinfundstellen liegen -
die Reihenfolge erst Meteoriteneinschlag, dann Bergsturz, in
Kofels einfach nicht stimmen kann."
Ende der siebziger Jahre legte dann der Schweizer Wissen-
schaftler Professor Theodor Erismann, Direktor der Eidge-
nössischen Materialprüfungs- und Versuchsanstalt in Düben-
dorf bei Zürich, die geradezu phantastisch klingenden Ergeb-
nisse des Rechenexempels vor, das er aufgrund der - von den
anderen beiden Experten gelieferten - mineralogischen und
geomorphologischen Daten vorgenommen hatte. Danach kam
es beim Bergsturz von Kofels für Augenblicke zu einer „Ener-
gieexplosion":
Die Gesteinsmassen sausten von ihrem ursprünglichen Platz
am Funduskamm mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von
150 und Spitzenwerten bis zu 200 Kilometer pro Stunde ins
Ötztal hinunter. Schon nach einer Rutschstrecke von weniger
als 100 Meter war die Hitzeentwicklung so groß, daß das
Gestein an den Bewegungsflächen zu schmelzen begann und
so gleichsam zur Bobbahn wurde, auf der die Felsmassen dann
um so leichter und weiter zu Tal donnerten. Das Ganze spielte
sich in der kurzen Zeit von nur etwa einer Minute ab.
Innerhalb dieser Spanne brach der Berg, dämmte das Ötztal ab
und verstopfte die einstige Mündungsschlucht des gegenüber-
liegenden Horlachtales. Wie Heuberger berichtet, hat die
ganze Bergsturzrechnung keineswegs nur Bedeutung für die
Aufklärung des Falles Kofels. Ähnliches hat sich auch anders-
wo ereignet und wird sich möglicherweise in Zukunft wieder
zutragen. Meist sind die Beweisstücke für das Auftreten von
Schmelzvorgängen bei Bergstürzen jedoch gar nicht mehr
auffindbar. Sie liegen tief unter den herabgestürzten Felsmas-
sen begraben.
Nirgends treten bisher die durch ein derartiges Ereignis
bewirkten Gesteinsabschmelzungen so offen zutage wie im
Langtangtal, das nördlich von Kathmandu in Nepal liegt.
Durch Gesteinsfunde früherer Expeditionen aufmerksam ge-
macht, begann Preuss dort in den siebziger Jahren mit Unter-
suchungen.

94
Der Bergsturz im Himalaja entspricht in der Größenord-
nung etwa jenem von Flims (Vorderrhein), bei dem zehn bis 15
Kubikkilometer Gesteinsmassen bewegt wurden. Dabei wur-
den, wie Erismann errechnete, Energiemengen freigesetzt, die
groß genug waren, um damit die Cheopspyramide in eine
Erdumlaufbahn zu schießen. An den untersuchten Beispielen
konnte rechnerisch gezeigt werden, daß vor allem größere
Bergstürze sich außerordentlich „rationell" bewegen. Mit dem
Umfang der stürzenden Felsmassen wächst auch die Wucht der
Bewegung. An den Reibungsflächen kommt es in Sekunden-
schnelle zu einer enormen Hitzeentwicklung: In Kofels über-
schritten die Temperaturen sicher 1700 Grad Celsius. Die
Folge ist, daß in diesem Bereich das Gestein zu schmelzen
beginnt oder aber, im Fall von Kalksteinen, in Branntkalk und
Kohlendioxid zerlegt wird.
Gesteinsschmelze und Gaspolster bilden dann ein ideales
Gleitmittel, auf dem das Felsmaterial fast ungebremst noch
weiter „abfährt" als sonst anzunehmen wäre. Gerade diese
Erkenntnis erweist sich als bedeutsam, wenn es um die mög-
lichst exakte Vorhersage der möglichen Reichweite drohender
Bergstürze geht. Aufgrund der neuen Forschungsergebnisse
muß in die Prognose nun eine neue Größe eingeführt werden:
die bei großen Bergstürzen zu erwartende Schmierung an den
Reibungsflächen.
Ganz gelöst ist das Rätsel von Kofels jedoch noch immer
nicht. Die Wissenschaftler wissen heute zwar ziemlich sicher,
wie alles ablief; warum es zu diesem Naturereignis kam, ist
aber noch nicht bekannt. Möglicherweise war ein vorherge-
hendes Erdbeben die Ursache für den Abbruch des Fundus-
kammes.
Dr. Heide Gottas

95
Energiesparen ist nicht nur für die moderne Indu-
striegesellschaft aktuelle Notwendigkeit. Die Tier-
welt betreibt es schon seit vielen Jahrmillionen. Leuchtendes
Vorbild ist das australische Rote Känguruh. Sein Energiever-
brauch nimmt bei zunehmender Hüpfgeschwindigkeit ab:

Das Energiesparfederwerk
der Känguruhs
Seit Jahren werden die Fortbewegungsmethoden der Tier-
welt auch energiephysiologisch untersucht, wobei sich gezeigt
hat, daß viele Tiere - vermutlich alle - mit jener Energie sehr
sparsam umgehen, die sie für ihre im Grunde genommen meist
unrationellen Bewegungssysteme benötigen. Sie benutzen ih-
re Muskeln sozusagen als mechanische Federn, die während
des Ablaufs der Bewegung durch die auftretenden Gegenkräf-
te erneut gespannt werden, so daß eine neue Bewegung des
gleichen Muskelsystems nicht mehr den gleichen Energieauf-
wand wie die erste Bewegung erfordert. Das scheint beim Flug
der Heuschrecke, bei der Schwimmbewegung der Haie mit
Hilfe ihrer Schwanzflossen und beim Lauf des Pferdes eine
Rolle zu spielen.
Die Energierückgewinnung erfolgt zum Teil nach einem
Prinzip, das neuerdings bei Autobussen erprobt wird: durch
Ausnutzung der Bremskräfte. Allerdings sind das bei Tieren
die Umweltkräfte, beim Hai zum Beispiel der Widerstand des
Wassers, der die Muskelsysteme der Schwanzflossen wieder
„spannt". Genauer untersucht wurde das aber auch beim
Energierückgewinnungssystem der Känguruhs.
Schon 1973 berichteten britische Forscher über solche Beob-
achtungen am Roten Känguruh: Sie hatten den Sauerstoff ver-
brauch eines solchen Tieres in einer Tretmühle gemessen und
festgestellt, daß es - sobald es vom langsamen Kriechen auf
allen Vieren mit Unterstützung des Schwanzes zum aufrechten
Hüpfen überging - seltsamerweise immer weniger Energie
verbrauchte (gemessen am Sauerstoff verbrauch), je schneller
es hüpfte. Bei einer Geschwindigkeit von 18 Kilometer pro
Stunde und darüber sank der Energieaufwand eines hüpfen-
den australischen Beuteltiers sogar unter den eines Vierbei-
ners vergleichbarer Größe ab.
Das Geheimnis wurde dann weitgehend aufgeklärt durch
Untersuchungen an Muskeln einer kleineren Känguruhart,

96
des Wallabies, wie der Physiologe Dr. Uwe Proske berichtete.
Auch das Wallabie hüpft rationell, allerdings lange nicht so wie
das weit größere Rote Känguruh. Nach Messungen des Sauer-
stoffverbrauchs bei „Bewegungsexerzitien" zeigte sich,daß es
beim schwanzunterstützenden „fünfbeinigen Kriechen" für
jede Geschwindigkeitssteigerung um einen Kilometer pro
Stunde weit mehr Sauerstoff verbraucht als beim Hüpfen, mit
dem es etwa ab einer Geschwindigkeit von sechs Kilometer pro
Stunde beginnt. Allerdings erreicht es nie die Rationalisie-
rungs-Spitzenleistung seines größeren Vetters, das heißt eine
Minderung des Energieverbrauchs mit steigender Hüpfge-
schwindigkeit. Um zu klären, ob diese hüpfenden Beutler über
Muskeln mit ganz besonderen Fähigkeiten verfügen, oder ob
normale Muskelfasern genügen, um die schon länger vermute-
te Energierückgewinnung beim Hüpfen zu erzielen, wurde die
Funktion solcher Beinmuskeln des Wallabies im Laborato-
rium untersucht. Es zeigte sich, daß die Elastizität einer
Muskelfaser nicht allzu hoch ist - Muskeln sind mechanisch
gesehen Systeme, die teilweise elastisch und teilweise „viskos"
(das heißt wie eine zähe Flüssigkeit) auf äußere Beanspru-
chung reagieren.
Bei sehr kurzen schnellen Bewegungen allerdings reagieren
sie elastisch, so daß sie mindestens zur Speicherung der beim
Hüpfen freiwerdenden Aufprall-Energie beitragen könnten.
Doch die mit den Muskeln verbundenen Sehnen sind für die
Energierückgewinnung wichtiger als die Muskeln: Deren
Funktion wurde bisher nie diskutiert. Sie bestehen aus langen
Kettenmolekülen des Eiweißes Kollagen, die in Bindegewebe-
hüllen eingelagert sind - und bei mechanischen Tests mit
Achillessehnen eines Wallabies erwies sich dieses Konstruk-
tionsmaterial der Natur als vollelastisch (bis zu Drehungen von
zehn Prozent) und damit als idealer Werkstoff für „biologische
Federn", in dem elastische Energie gespeichert werden kann.
Diese hohe Elastizität der Sehnen - die die Muskeln mit den
Knochen koppeln - im Vergleich mit den Muskeln hat zur
Folge, daß beim Hüpfen eines Wallabies in dem wichtigsten
Muskel der Beine beim Abstoßen vom Boden die Sehnen bis
zu achtmal stärker gedehnt werden als die mit ihnen verbunde-
nen Muskeln. Das bedeutet, daß in dem zum Sprung gedehn-
ten Sehnen-Muskel-System beim Aufprall auf den Boden in
dem federnden System die Sehnen wieder weit mehr verkürzt
werden (also zurückfedern) als die Muskeln und entsprechend
mehr „Bremsenergie" aufnehmen können.
Proske hat ausgerechnet, daß beim Wallabie bei normaler

97
Hüpfgeschwindigkeit der Hauptmuskel des Hinterbeins rund
23 Joule aufwenden muß, um das Tier vom Boden abzustoßen.
Von diesen werden etwa neun Joule allein in der Achilles-
Sehne wiedergewonnen, wenn das Tier auf den Boden auf-
setzt, so daß der nächste Sprung per Saldo nur 14 Joule
erfordert, die der Muskel für die neue Kontraktion aufwenden
muß. Das heißt, daß über 40 Prozent Energie durch die
Nutzung der Elastizität vor allem der Sehnen eingespart
werden.
Mit diesen Beobachtungen läßt sich auch die weit erstaun-
lichere Energienutzung des Roten Känguruhs erklären: Denn
die Energiespeicherung in solchem Federsystem „Muskel-
Sehne" steigt im Quadrat der wirkenden Kräfte, also in diesem
Fall mit der Aufprallenergie des Tiers auf den Boden. Diese ist
wegen des mehrfach höheren Gewichts des Roten Känguruhs
im Vergleich zum Wallabie weit höher. Das Känguruh steigert
sie mit zunehmender Geschwindigkeit durch seine Hüpftech-
nik: Es beschleunigt nicht durch schnellere Hüpffolge, son-
dern durch weitere Einzelsprünge, die wiederum mehr rückge-
winnbare Aufprallenergie liefern: Per Saldo ist - wiewohl nicht
detailliert nachgewiesen - völlig erklärlich, daß das Känguruh
durch höhere Hüpfgeschwindigkeit die Wirksamkeit der Energie-
rückgewinnung steigert und dadurch zunehmend Energie spart.
Dr. Harald Steinen

98
Nicht nur ihre körpereigenen Marschkolonnen
halten stets exakten Schritt und Tritt. Auch der
oft gewundene Weg ihrer vielen Beinpaare wird laufend durch
ein inneres Verrechnungssystem erfaßt und der Kurs auch dann
eingehalten, wenn äußere Anhaltspunkte für eine Orientierung
fehlen:

Die Kursmathematik
der Tausendfüßler
Daß diesem „Kurscomputer" auch die zumindest Oberschü-
lern vertraute Sinus-Funktion keine Unbekannte ist, haben
Untersuchungen von Professor Horst Mittelstaedt am Max-
Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen ge-
zeigt. In dieser Forschungsabteilung befaßt man sich vor allem
mit der mit „Steuerungstechnik" verbundenen Nachrichten-
verarbeitung der Organismen, wobei nun die Tausendfüßler
ein auch kybernetisch bedeutsames „Paradebeispiel" für die
bei vielen Wirbellosen vorhandene Fähigkeit abgegeben ha-
ben, auch ohne äußere Richtungshinweise längere Zeit gera-
deaus laufen zu können. Diese sogenannte „idiothetische
Orientierung" ist hier im Zusammenhang mit der „Kursrege-
lung" durch das Schwerkraftempfinden dieser Tiere unter-
sucht worden.
Das idiothetische Vorankommen der Tausendfüßler erklärt
sich daraus, daß ihr Kursregelsystem während eines hindernis-
bedingten Kurvenlaufs ständig Meldungen über die Abbiegun-
gen eines jeden Körpersegments erhält, alle Abweichungen
aufsummiert, als Summe mit der ursprünglichen Wegrichtung
vergleicht und diesen sich ständig ändernden Abweichungs-
wert so lange speichert, bis eine ausgleichende Kurskorrektur
wieder möglich ist.
Freilich geht das nicht über sehr lange Zeit einwandfrei gut:
Da ein solcher Rechenprozeß wegen des unvermeidlichen
„Rauschens" nicht fehlerfrei sein kann, muß das Tier allmäh-
lich unkorrigierbar aus seiner ursprünglichen Laufrichtung
wegdriften. Das kann allerdings einige Minuten dauern. Wie
dieses Kursregelsystem aber mit dem Schwerkraftgefühl dieser
Tiere zusammenhängt, das natürlich ebenfalls ein Orientie-
rungsmittel ist, konnte dank der Eigenart der Tausendfüßler
ermittelt werden, auf geneigten Flächen meist nach oben
auszuweichen: Man ließ sie aus verschiedenen Richtungen

99
über eine Fläche ohne Orientierungsanhaltspunkte geradeaus
laufen, die dann plötzlich um einen bestimmten Winkel schräg
gestellt wurde.
Erwartungsgemäß wandten sich die Tausendfüßler dann
nach „oben" und schlugen so einen Kurs ein, der ein Kompro-
miß zwischen ihrer idiothetischen Anfangsrichtung und der
Orientierung zum Schwerelot war. Beim Zurückkippen der
Lauffläche in die ursprüngliche Lage zeigte sich dann freilich,
daß sie auch diese Veränderung „gespeichert" hatten: Sie
schwenkten unverzüglich in ihre alte Marschrichtung ein,
wenn auch nur näherungsweise.
Dahinter verbirgt sich freilich eine bemerkenswerte Lei-
stung des inneren Kurscomputers, wie die Wissenschaftler
berichten: „Sowohl die Wirkung der Schwerkraft als auch die
der Idiothetik hängt annähernd vom Sinus des Winkels der
jeweiligen Abweichung ab, nicht etwa vom Winkel selbst. Da
beim Tausendfüßler die idiothetischen Information aus Signa-
len über die Winkelabbiegungen der Segmente stammt, muß
also für die Verrechnung mit anderen orientierenden Informa-
tionen eigens ein Sinus gebildet werden."
Mit diesem Rückgriff auf eine „leicht gehobene" Mathema-
tik hat die Natur eine sehr wirkungsvolle und vom Aufwand
her sparsame Methode der „Datenverarbeitung" entwickelt,
die überraschen muß. Denn das „Phänomen des Schräglaufes
vieler Tiere auf einer schiefen Ebene" ist zwar schon in den
dreißiger Jahren kontrovers diskutiert worden, doch ist eine
einheitliche und nachvollziehbare mathematische Beschrei-
bung dieses Verhaltens erst jetzt gelungen.
Rolf H. Simen

100
Zugvögel richten sich bei ihrer alljährlichen Reise
vom Brutgebiet zum Winterquartier und zurück
sowohl nach der Sonne, den Sternen als auch nach dem
erdmagnetischen Feld. Diese „Kompaßsysteme" sind von den
Vogelkundlern nacheinander entdeckt worden, doch war bisher
nur wenig geklärt, wie sie eigentlich zusammenwirken:

Was Zugvögel
zielsicher macht
Einen Beitrag zur Lösung dieses Problems haben nun
Zoologen geleistet. Sie wiesen nach, daß Brieftauben, die sich
nicht nach dem Sonnenstand orientieren konnten, dennoch
zielsicher den heimischen Schlag ansteuerten, indem sie sich
am Erdmagnetfeld orientierten.
Offensichtlich tritt der Magnetkompaß dann in Aktion,
wenn der Sonnenkompaß nicht arbeitsfähig ist, so daß die
Magnetfeldorientierung für den Vogel die wichtigste Informa-
tionsquelle ist, um sich bei seiner Reise zurechtzufinden. Zu
diesem Ergebnis kam Professor Wolfgang Wiltschko mit sei-
ner Arbeitsgruppe an der Universität Frankfurt. Die Wissen-
schaftler gingen der Frage nach, wie sich ein Vogel orientiert,
wenn er den „Sonnenkompaß" nicht verwenden kann.
Wiltschko und seine Mitarbeiter konnten sich dabei auf
frühere Untersuchungsergebnisse stützen, nach denen ein
junger Vogel den „Umgang" mit dem Sonnenkompaß zum
größten Teil erst einmal erlernen, sein „Steuergerät" also
zunächst eichen muß. Experimente zeigten nämlich, daß dieje-
nigen Vögel, die die Sonne nur in der zweiten Tageshälfte
wahrgenommen hatten, ihren Sonnenkompaß nicht mehr ei-
chen konnten. Dennoch fanden junge Tauben, die am Vormit-
tag das Himmelsgestirn nicht sehen konnten, zielsicher zum
heimischen Schlag.
Um diesen Sachverhalt aufzuklären und Zusammenhänge
mit einer vermuteten Orientierung nach dem Erdmagnetfeld
aufzudecken, hielt Wiltschko zwei Gruppen junger Tauben
unter verschiedenen Bedingungen. Die einen „verdonnerte"
er in einem künstlich beleuchteten Schlag zu einem allmor-
gendlichen Arrest, so daß sie den Sonnenaufgang am Vormit-
tag nicht wahrnehmen konnten. Erst am Nachmittag, wenn die
Sonne bereits hoch am Himmel stand, konnten sie den Glut-
ball sehen und den heimischen Schlag verlassen. Eine Gruppe

101
von Kontrolltauben wuchs unter den gleichen Bedingungen
auf, durfte jedoch zu jeder Tageszeit aus dem Schlag. Nach
einiger Zeit wurden die Vögel an einem sonnigen Nachmittag
in einem „Ausfliegeversuch" auf ihre Orientierungsfähigkeit
hin getestet.
Jeweils die Hälfte der Tiere aus beiden Versuchsgruppen
bekam einen kleinen „Rucksack" auf den Buckel. Es war nicht
etwa die Marschverpflegung für die gefiederten Reisenden,
sondern ein kleiner Magnet, der eine Orientierung nach dem
Erdmagnetfeld als künstlicher Störfaktor verhindern sollte. In
der Tat zeigte es sich, daß die Vögel aus der „sonnengewohn-
ten" Kontrollgruppe mit Leichtigkeit zurückfanden, ebenso
diejenigen Tiere aus der zweiten Gruppe, die keinen Magnet-
Rucksack trugen und die Morgensonne zum ersten Mal in
ihrem Leben zu Gesicht bekommen hatten. Ihre Artgenossen
mit Magnet-Rucksack flogen jedoch in alle möglichen Rich-
tungen davon und waren offensichtlich völlig desorientiert.
Die einfache und besonders wahrscheinliche Erklärung für
diese Verhaltensweisen, denn nur sie ist für den Naturwissen-
schaftler maßgebend, liegt darin, daß die Tauben, die den
Umgang mit dem Sonnenkompaß nicht erlernen konnten,
nach dem Magnetfeld navigieren. Dieser Magnetkompaß ist
den Vögeln immer verfügbar, eine Erkenntnis, die sehr gut in
das Bild anderer Untersuchungen paßt, nach denen gerade
junge Vögel mit Hilfe des Erdmagnetfeldes „zielfliegen", bis
sie den Umgang mit dem Sonnenkompaß gelernt haben. Der
Magnetkompaß stellt somit die Hauptinformationsquelle dar,
an dem der Sonnenkompaß später ausgerichtet und geeicht
wird. Die erfahrenen Vögel richten sich dann bevorzugt nach
der Sonne. Welche Gehirnzellen nun wie auf das Magnetfeld
der Erde reagieren, ist in einem weiteren Forschungsprojekt
untersucht worden. Dabei deckten die Wissenschaftler eine
außerordentlich interessante Spur auf: Spezialisierte Gehirn-
zellen im sogenannten Pinealorgan der Tauben reagieren sehr
schnell und spezifisch mit einer Änderung ihrer bioelektri-
schen Aktivität auf Magnetfelder. Das Pinealorgan ist ent-
wicklungsgeschichtlich sehr alt, reguliert bei Tieren auch die
Tag- und Nachtlängen und paßt die Fortpflanzungsaktivität in
die Jahreszeiten ein. In einem gemeinsamen neurobiologi-
schen und verhaltensphysiologischen Ansatz versucht man
nun, den Magnetfeldsensor „dingfest" zu machen.
Zwar hat so die Forschung in den letzten Jahrzehnten eine
Menge Rätsel des Vogelzuges lösen können, doch sind gleich-
zeitig ständig neue Fragen aufgetaucht. Wiltschkos Feststel-

102
lung gilt deshalb auch heute noch: „Das Problem, wie Zugvö-
gel ihren Weg finden, ist trotz intensiver Forschungsarbeit
noch recht ungelöst."
Wilhelm Irsch

103
GESCHICHTEN, DIE
DIE FORSCHUNG
SCHREIBT

RHYTHMEN
DES LEBENS
__________________________

Von der inneren Uhr


bis zum Kraftwerk im Körper

104
Fünf Wochen lebten sie auf Spitzbergen am Rande
des arktischen Eises; ohne Uhr, Radio oder Fern-
sehen, ohne Verbindung mit der Zivilisation. Zehn Studenten
der Universitäten Tübingen und Trondheim leisteten so einen
Beitrag zum besseren Verständnis der endogenen Depressio-
nen. Geklärt werden sollte, ob ein Medikament die innere Uhr
des Menschen verstellen kann:

Lithium, Biorhythmen
und Depressionen
Der Zusammenhang zwischen endogenen Depressionen,
Lithium und den Biorhythmen des Menschen, den dieses
Experiment aufklären sollte, ist nach einigen interessanten
Beobachtungen angenommen worden. So konnte Dr. Wolf-
gang Engelmann von der Universität Tübingen beispielsweise
feststellen, daß unter Einfluß von Lithium die Blütenblattbe-
wegungen des Dickblattgewächses Kalanchoe im Dauerdun-
kel nicht, wie üblich, im 23-Stunden-, sondern im 25-Stunden-
Rhythmus verlaufen.
Die Frage, ob die Wirkung dieser Substanz beim Menschen
die gleiche ist, interessiert indessen nicht nur die Biologen.
Lithiumsalze nämlich werden seit vielen Jahren bei der Be-
handlung von endogenen Depressionen eingesetzt, einer
schweren Gemütskrankheit, die von Zeit zu Zeit ohne erkenn-
bare Ursache auftritt. Viele Nervenärzte glauben, daß sie vor
allem organischen Ursprungs ist.
Worauf die lindernde Wirkung von Lithium beruht, ist
bislang nicht geklärt. Wohl haben die Psychiater aber eine
Vermutung. Für Dr. Burkhard Pflug von der Nervenklinik der
Universität Tübingen gibt es Hinweise darauf, daß der Rhyth-
mus einiger Körperfunktionen bei den Patienten während der
depressiven Phase anders verläuft als während der Zeit, in der
sie sich wohl fühlen. Seine Beobachtungen deuten darauf hin,
daß dabei eine Periodik eine Rolle spielt, die kürzer ist als der
normale 24-Stunden-Rhythmus. Es wäre beispielsweise denk-
bar, daß der Arbeitsrhythmus der Leber nicht mehr mit den
regelmäßigen Schwankungen des Blutdrucks übereinstimmt
oder daß die verschiedenen Rhythmen nicht mehr mit der
Tageszeit synchron laufen. Es könnte also sein, daß dieses
„Durcheinander" zu depressiven Zuständen führt.
Denkbar ist allerdings auch der umgekehrte Sachverhalt,

105
daß die verzweifelte seelische Situation des Patienten die
innere Rhythmik durcheinander, bringt. Aber unabhängig
davon, was Ursache und Folge ist, kamen die Tübinger
Wissenschaftler zu der Hypothese, daß der positive Effekt von
Lithium möglicherweise darin liegt, daß es die gestörten
Rhythmen wieder auf den normalen 24-Stunden-Takt bringt.
Zur Überprüfung der rhythmikverändernden Wirkung des
Präparats mußte man eine Umgebung auswählen, die frei von
„äußeren Zeitgebern" ist. Solche Zeitgeber, beispielsweise
der Tag-Nacht-Wechsel, die Uhr, soziale Faktoren wie Ar-
beitszeiten, zwingen die innere Uhr immer wieder in den 24-
Stunden-Takt. So kamen die Forscher auf die Idee, das
Experiment im Dauerlicht des arktischen Sommers, also in
einer Umgebung ohne jede Information über die Uhrzeit,
durchzuführen.
In Zusammenarbeit mit Physikern der norwegischen Uni-
versität Trondheim sollte ein Vorversuch zunächst klären,
inwieweit äußere Zeitgeber in Spitzbergen tatsächlich fehlen.
In eindrucksvoller Weise zeigte er dann auch den „Freilauf"
zweier Versuchspersonen, die sechs Wochen lang in der
arktischen Einsamkeit gelebt haben: Sowohl Temperatur- als
auch Aktivitätsrhythmen „liefen frei", das heißt, sie verhielten
sich unabhängig von der Tageszeit. Beim einen schwangen sie
im 26-Stunden-, beim anderen gar im 30-Stunden-Rhythmus.
Nachdem diese Voraussetzung geklärt war, konnte das
eigentliche Experiment stattfinden. Zusammen mit drei Be-
treuern fuhren die zehn „Versuchskaninchen" unter abenteu-
erlichen Bedingungen nach Norden. Der harte Winter brachte
eine ganze Menge Schwierigkeiten mit sich. Treibeis, hoher
Schnee, zeitweilig auch massives Tauwetter mit Überschwem-
mungen machten den Weg zu den fünf Hütten, einige Kilome-
ter entfernt von Ny Älesund, der nördlichsten Siedlung der
Welt, ausgesprochen beschwerlich. Aber die Schwierigkeiten
wurden bewältigt und selbst abenteuerliche Begegnungen mit
Eisbären überstanden.
Das Experiment war für die Teilnehmer als sogenannter
Blindversuch angelegt, das heißt, sie mußten täglich ihre
Tabletten einnehmen, ohne zu wissen, ob es sich dabei um
Lithium oder um Placebos (unwirksame „Scheinmedikamen-
te") handelte. Ein tragbares, batteriebetriebenes Gerät notier-
te die Körpertemperatur, die mit einer Sonde im Enddarm
gemessen wurde. Mit Hilfe eines Meßgeräts am Armgelenk
wurde die Aktivität festgestellt. Der-Schreiber ordnete die
Meßdaten aber nicht, wie gewöhnlich, einer Tageszeit zu,

106
sondern druckte in bestimmten Zeitabständen eine Nummer
aus. Deshalb war es den Versuchspersonen auch nicht mög-
lich, von den Messungen auf die Tageszeit zu schließen.
Die so ermittelten Daten belegen eindeutig den „Freilauf"
sämtlicher Zweier-Versuchsgruppen während ihrer „Placebo-
Zeit", das heißt ihre Tagesperiodik war länger als 24 Stunden.
Bei zwei von vier Gruppen (die fünfte war die Kontrollgruppe)
zeigte sich ein sehr deutlicher Einfluß von Lithium: Die
Rhythmen wurden beim Wechsel von Placebo auf Lithium
langsamer und im umgekehrten Fall schneller. Die beiden
anderen Gruppen zeigten nur wenig oder keine Reaktion auf
das Medikament, was nicht gänzlich unerwartet war, da auch
bei der Behandlung von Depressionen Patienten bekannt sind,
die nicht auf Lithium reagieren.
Diese Ergebnisse unterstützen eindeutig die Hypothese,
nach der Lithium die Tagesrhythmik auch beim Menschen
verändert. Für Nervenarzt Pflug ist man damit der Wirkungs-
weise von Lithium bei endogenen Depressionen ein großes
Stück näher gekommen.
Ein weiteres wichtiges Ziel der Forschungen ist es jedoch,
einen Ersatz für Lithium zu finden. Denn, so wirkungsvoll das
Medikament ist, so wenig unproblematisch ist seine Anwen-
dung . Ist die Dosis zu hoch, so kann es zu regelrechten
Vergiftungserscheinungen kommen, ist sie zu niedrig, dann
zeigt das Präparat keinerlei Wirkung. Pflug: „Deshalb wollen
wir zunächst seine Wirkungsweise erforschen und dann einfa-
chere, problemlosere Möglichkeiten finden, depressiven Pa-
tienten zu helfen."
Brigitte Hirth

107
Alle Lebewesen unseres blauen Planeten haben
sich in irgendeiner Weise auf die vielfältigen
rhythmischen Veränderungen ihrer Lebensbedingungen einge-
stellt. Die Wissenschaft von den Zeitstrukturen des Lebendigen
hat sich bislang vorrangig mit den tagesperiodischen Schwan-
kungen befaßt. Doch entdeckt wurde noch viel mehr:

Auch Tiere
haben einen Kalender
Neuere biologische Untersuchungen lassen darauf schlie-
ßen, daß zahlreiche Tierarten neben der inneren „Uhr" auch
noch mit einem inneren „Kalender" ausgestattet sind. Er setzt,
wie Professor Eberhard Gwinner vom Max-Planck-Institut für
Verhaltensphysiologie in Radolfzell-Möggingen feststellt, die
jahreszeitlichen Schwankungen der Lebensprozesse auch un-
ter gleichbleibenden Laborbedingungen ungefähr durch.
Bis vor kurzem waren die Biologen noch einhellig der
Überzeugung gewesen, daß gerade „circaannuale" (ungefähr
jährliche) Rhythmen direkt und ausschließlich von den peri-
odischen Umweltschwankungen „dirigiert" werden. In der Tat
scheinen auch viele Befunde dafür zu sprechen, daß jahreszeit-
liche Prozesse wie Fortpflanzung, Wanderverhalten, Winter-
schlaf oder Haar- und Gefiederwechsel von den „photoperi-
odischen" Änderungen abhängen, also von den Schwankun-
gen in der Länge von Tag und Nacht, Dunkelheit und Hellig-
keit. Daneben dürften auch das Nahrungsangebot und die
Umgebungstemperatur einen entscheidenden Einfluß bei der
jahreszeitlich bedingten Organisation des tierischen Lebens
besitzen. Erst allmählich wird deutlich, daß diese Vorstellung
in vielen Fällen unzureichend ist, weil auch beim Wegfall der
äußeren Taktgeber eine Jahresperiodik fortbestehen kann.
So hatte man bei den Staren schon in den dreißiger Jahren
festgestellt, daß die Funktion ihrer Keimdrüsen von der Länge
von Tag und Nacht abhängig ist. Inzwischen hat sich jedoch
herausgestellt, daß die Hoden der geselligen Singvögel auch
dann regelmäßig zwischen einem aktiven und einem inaktiven
Stadium wechseln, wenn die gefiederten Höhlenbrüter bei
gleichbleibender Tageslichtdauer gehalten 'werden. In den
Phasen herabgesetzter Keimdrüsenaktivität mausern die Vö-
gel. Allerdings weicht das „spontane" Jahr der Tiere von
unserem kalendarischen Jahr etwas ab; im Gegensatz zu

108
freilebenden Artgenossen beginnt die Mauser dieser Vögel
nicht jährlich zur gleichen Zeit. Die Periode ist zunächst etwas
länger, später eher etwas kürzer als zwölf Monate.
Der ostasiatische Sikahirsch erneuert sein Geweih auch
unter konstanten Lichtverhältnissen in einem jahreszeitlichen
Rhythmus, wobei auch der Eigenrhythmus dieses Tieres wie-
der nicht ganz genau mit dem kalendarischen Jahr überein-
stimmt. Sowohl das Waldmurmeltier als auch der Streifenzie-
sel lassen sich vom synthetischen Laborlicht nicht beirren und
gehen in regelmäßigen, etwa zehnmonatigen Intervallen in
Winterschlaf. Vor jeder Schlummerperiode setzen sie noch
erhebliche Mengen Fett an.
Bei über 30 Tierarten, von den Weichtieren bis hin zu den
Säugern, wurden bislang circaannuale Rhythmen identifiziert,
welche über zwei oder mehr Zyklen hinweg fortbestehen.
Diese Rhythmen haben bei den verschiedenen Tierarten zum
Teil recht unterschiedliche Eigenschaften und unterscheiden
sich insbesondere recht erheblich hinsichtlich ihrer Beständig-
keit: Bei manchen Arten klingen sie schon nach wenigen
Zyklen aus, bei anderen bestehen sie über die gesamte Lebens-
dauer fort.
Die spontanen jahreszeitlichen Eigenrhythmen der Tierwelt
sind relativ träge und lassen sich auch dann nur allmählich mit
den verschiedenen „Schrittmachern" der Außenwelt synchro-
nisieren, wenn die Tiere in einen neuen Lebensraum gelangen.
Waldmurmeltiere, die auf dem 40. Breitengrad in Nordameri-
ka gelebt hatten und die nach Australien verfrachtet wurden,
paßten ihre periodischen Körperprozesse erst nach zwei bis
drei Jahren an die ungewohnte Umweltrhythmik an. Ähnliche
Phänomene kennt man übrigens auch von technischen
Schwingkreisen, die ebenfalls gelegentlich etwas „nachhin-
ken", wenn sie ihre Eigenschwingungen an äußere Zeitgeber
anpassen sollen.
Andererseits scheinen die biologischen Kalender auch
höchst anpassungsfähig zu sein: Wenn man den Jahreslauf bei
Staren durch künstliche Variationen der Tageslänge auf 1,5
Monate verkürzte, machte die Keimdrüsenaktiyität der Tiere
diese „Kurzarbeitsperiode" noch mit. Beim Sikahirsch kann
man das Jahr auf vier Monate reduzieren oder auf 24 Monate
erweitern, stets erneuert das Tier sein Geweih nach dem
Kalender, den die Wissenschaftler ihm vorschreiben. Durch
ähnliche Manipulationen kann man die Gewichtsrhythmik des
Feldhamsters oder die Brunftrhythmik des Schafes um ein
halbes Jahr verkürzen.

109
Nach unten hin „fallen" viele Tiere noch auf ein auf zwei
oder drei Monate verkürztes Jahr „herein", nach oben hin
kann man das „künstliche" Jahr nicht länger als 24 Monate
aufrechterhalten, andernfalls verlassen die Tiere sich lieber
auf ihren inneren, biologischen Kalender. Im übrigen ver-
schieben sich viele natürliche Funktionen, wenn das „manipu-
lierte" Jahr zu sehr von dem natürlichen abweicht. Schafe, die
im normalen Jahresverlauf herbstbrünftig sind, werden früh-
jahrsbrünftig, wenn man ihnen ein Jahr „vorgaukelt", welches
nur 180 Tage besitzt.
Aus den vorliegenden Daten schließt Gwinner, daß die Tag-
und Nachtschwankungen nicht ursächlich für die jahreszeitli-
chen Rhythmen in der Tierwelt verantwortlich sind. Sie dienen
vielmehr als eine Art „Greenwich-Signal", als ein objektiver
Zeitgeber, der dafür sorgt, daß die schon vorhandene biologi-
sche Rhythmik richtig ins Kalenderjahr eingefügt wird. Zu-
künftige Forschungen sollen vor allen Dingen klären, welche
anderen Schrittmacher neben der Photoperiode den Tieren
noch angeben, was die Stunde (und das Jahr) geschlagen hat.
Rolf Degen

110
Von den Säugetieren können nur der Mensch und
die meisten Affen farbig sehen, daneben Bienen,
Schmetterlinge, Vögel, Fische und einige Reptilien. Salamander
und Molche besitzen aber trotz ihres verhältnismäßig einfachen
und entwicklungsgeschichtlich alten Gehirns nicht nur einen
farbtüchtigen, sondern auch sonst höchst bemerkenswerten
Gesichtssinn:

Die Jahreszeiten
eines Molchauges
Der Bergmolch gehört zu den amphibisch lebenden Tieren:
Er hält sich im Frühjahr, während der Fortpflanzungszeit, im
Wasser auf und heftet Hunderte von Eiern an Wasserpflanzen-
blättern an. Nach der Eiablage verlassen beide Geschlechter
das Wasser und leben die restliche Zeit des Jahres an Land, um
erst im März wieder zu ihren Laichtümpeln aufzubrechen.
Die Netzhaut des Auges weist beim Molch wie bei allen
sehfähigen Lebewesen Nervenzellen auf, die auf bestimmte
Lichtreize reagieren und dann nervöse, elektrische Impulse
aussenden. Diese sogenannten „Rezeptoren" leiten die von
ihnen erzeugten Impulse in das Gehirn weiter, beim Molch vor
allem in eine Struktur des Stammhirns, das sogenannte Tek-
tum. Werner Himstedt, Angelika Helas und Thomas J. Som-
mer haben am Institut für Zoologie der Technischen Hoch-
schule Darmstadt dieses Molchauge untersucht, indem sie an
bestimmten, vom Auge her erregten Nervenzellen des Tek-
tums Elektroden anschlössen und die elektrischen Ströme
ableiteten, die bei bestimmten Lichtreizen vor dem Molchauge
erzeugt wurden. Störende Bewegungen der Molche wurden
durch eine medikamentöse, ruhigstellende Injektion ausge-
schaltet.
Mit Halogenlampen konnten dem Auge nun experimentell
die unterschiedlichsten optischen Reize dargeboten werden.
Es stellte sich heraus, daß das Tektum des Molches farbem-
pfindliche Nerven zweierlei Art beherbergt, und zwar solche
vom „on-off"-Typus und vom „off'-Typus.
„Off-Rezeptoren erzeugen nur dann elektrische Impulse,
wenn bestimmte Lichtreize verschwinden. „On-off"-Rezepto-
ren senden Impulse sowohl beim Eintreffen von Licht als auch
bei dessen Aufhören. Die Wahrnehmungssysteme der meisten
Tierarten besitzen zusätzlich noch „On"-Rezeptoren, die le-

111
diglich auf das Eintreffen von Lichtimpulsen mit elektrischen
Reizen reagieren.
Die „On-off"-Nerven des Molches weisen aber nach den
Befunden der Darmstädter Forscher eine interessante farbspe-
zifische Eigenart auf: Bei einer Reizung mit blauem Licht von
kurzer Wellenlänge wurden typische „on"-Reaktionen er-
zeugt, bei einer Anregung mit Licht langer Wellenlänge, wie es
den Farben Gelb oder Rot entspricht, aber typische „off"-
Reaktionen. Manche der „On-off'-Nerven erzeugten bei
Lichtreizen nur kurze elektrische Impulse, andere auf eine
halbe Sekunde verlängerte elektrische Ströme.
Die farbempfindlichen Rezeptoren des Bergmolches zeich-
nen sich durch eine eigentümliche jahreszeitliche Wandlung
aus. Im Frühling, während der Fortpflanzungszeit im Wasser,
reagieren die „On-off'-Rezeptoren auf das Farben-Paar Blau-
Rot, wohingegen im Herbst, während der „erdgebundenen"
Phase, das Molchauge vornehmlich auf blau und gelb mit
nervösen Impulsen reagierte. Das „Wasser-Auge" des Mol-
ches entspricht in seiner Empfindlichkeit somit dem des Fi-
sches, das „Land-Auge" dem des Frosches. Nur die Empfind-
lichkeit für blaues Licht bleibt jahreszeitlich ziemlich gleich.
Der periodische Wechsel der Farbempfindlichkeit beim
Molchauge geht mit feststellbaren biochemischen Prozessen
einher: Die lichtempfindlichen Farbpigmente des Frühjahrs
werden aus einem Vitamin vom A2-Typ gebildet, während die
gelb-empfindlichen Pigmente des Herbstes aus Vitamin Ax
aufgebaut werden.
Für die Chronobiologie, die Wissenschaft vom Zeitfaktor in
den Lebensprozessen, steht fest, daß der jahreszeitliche Wech-
sel der Pigmente im Auge des Molches einen ökologischen
Anpassungs- und Überlebenswert hat. Im Frühjahr, wenn der
Molch „rot sieht", ist das Wasser, in dem er sich bewegt, meist
gelb gefärbt. Diese Färbung ist auf aufgelösten Humus oder
Plankton zurückzuführen. Tiere, die in diesem Wasser leben,
finden sich besser darin zurecht, wenn ihre Augen für das
langwelligere Licht empfindlich sind, auf das die Pigmente
vom Vitamin A2-Typ reagieren. Zudem fördert der Pigment-
wechsel die Erkennung des Partners, Verhaltensforscher ha-
ben nämlich herausgefunden, daß die charakteristische rote
Anfärbung des Molchweibchens beim Männchen Brautwer-
bungsverhalten auslöst. Die Liebe klappt also besser, wenn
das Molchauge rot sieht...
Rolf Degen
Auf der Suche nach den Taktgebern des inneren

112
Zeitgefühls bot sich ein riesiger pflanzlicher Ein-
zeller als ideales Studienobjekt an. Aus seiner Untersuchung
heraus entwickelten nun Zellbiologen aus Ladenburg eine neue
Modellvorstellung:

Die Unruh der inneren Uhr


Schon die trotz guter Vorsätze wohl niemals voll erreichbare
Harmonie zwischen „Morgenmuffeln" und jenen „Frühmen-
schen", die schon nach dem ersten Augenaufschlag mit Elan in
den neuen Tag springen, gibt einen Eindruck vom bestimmen-
den Diktat der inneren biologischen Uhren und ihren indi-
viduell sehr unterschiedlichen Taktvorgaben. Regelmäßige
Schwankungen von Blutdruck, Körpertemperatur, Blutzuk-
kerspiegel und anderen Zuständen der Körperfunktionen
zeigen dem Arzt darüber hinaus, wie wenig ein Mensch den
ganzen Tag derselbe Mensch sein kann. Medizin, Arbeitsme-
dizin und Psychiatrie ziehen aus diesen chronobiologischen
Erkenntnissen manche Nutzanwendung, wozu auch die zeit-
lich genau abgepaßte und deshalb besonders wirkungsvolle
Verabreichung von Medikamenten gehört.
Wie das biochemische Herzstück einer biologischen Uhr
aber funktionieren könnte, ist durch Forschungsarbeiten am
Max-Planck-Institut für Zellbiologie in Ladenburg bei Heidel-
berg verständlich geworden.
Weil das „chronobiologische Zustandsbild" eines Menschen
und auch anderer höherer Lebewesen aber nur als der Zusam-
menklang einer Vielzahl recht unterschiedlicher biologischer
Rhythmen zu beschreiben ist, deren Abläufe Stunden, häufig
einen Tag, aber auch Tage oder noch viel länger dauern
können und sich in ihrer Wirkung vielfach überlagern, kam für
diese Grundlagenuntersuchung nur ein einfacher Modell-Or-
ganismus in Frage.
Dafür bot sich die in warmen Meeren lebende Schirmalge
Acetabularia an, die zwar bis zu 20 Zentimeter lang werden
kann, aber dennoch nur eine einzige riesige Pflanzenzelle ist.
Daß in ihr eine von äußeren Einflüssen recht unabhängige
„Uhr" arbeitet, zeigt sich unter anderem daran, daß der
normale tägliche Gang der Photosynthese auch dann noch
tagelang weiterläuft, wenn die Lichteinstrahlung und die Tem-
peraturbedingungen nicht natürlich bleiben, sondern lange
Zeit künstlich gleich gehalten werden. Auch dann bleibt jener
Lebensrhythmus erhalten, der sonst durch den Lauf des
113
Tagesgestirns vorgegeben wird.
Auf der Suche nach dem Ort dieser inneren Uhr zerlegten
die Wissenschaftler des von Professor Hans-Georg Schweiger
geleiteten Instituts für Zellbiologie zunächst einmal die Rie-
senzellen in einzelne Teile und fanden dabei heraus, daß das
„Zeitgefühl" offensichtlich auch in allen Teilen vorhanden ist.
Als sie aber auch die Zellkerne von solchen Schirmalgen
untereinander austauschten, deren innere Uhren durch künst-
liehe Umweltbedingungen gegeneinander zeitverschoben wa-
ren, zeigte sich überdies, daß dies nicht schon die ganze
Wahrheit sein konnte. Denn die ausgetauschten Zellkerne
übertrugen jeweils ihre „Eigenzeit" allmählich auf die neue
Zelle und erwiesen sich damit nicht als die gesuchte Uhr,
sondern als deren wesentliches Stellglied.
Nun enthalten die Kerne der Zellen eines jeden Lebewesens
aber dessen gesamte Bau- und Funktionspläne in biochemisch
verschlüsselter Schrift. Diese Information für das Leben und
Überleben wird laufend biochemisch „abgelesen" und über die
zelleigenen Produktionsanlagen in die jeweils notwendigen
„Maßnahmen" umgesetzt, zu denen beispielsweise die Neubil-
dung von Baustoffen, Wirkstoffen und Steuerungssubstanzen
aus Eiweißen gehört. Die „Abschrift" dieser Lebensinforma-
tion, die im Zellkern in den Molekülen der Desoxyribonuk-
leinsäure (DNS) gespeichert ist, wird Transkription genannt,
die nachfolgend in den sogenannten Ribosomen erfolgende
Produktion der speziellen Eiweiße Translation.
In Ladenburg lahmten die Forscher auf der Suche nach dem
geheimnisvollen zeitgebenden Faktor mit Hemmstoffen nach-
einander Transkription und Translation in den Schirmalgen.
Dabei zeigte sich, daß das innere Uhrwerk der Riesenzellen
stets dann angehalten wurde, wenn die Translation unterbro-
chen war. Es setzte zeitverschoben wieder ein, wenn die
Translation wieder ablaufen konnte. Demnach muß die innere
Uhr aber von einem Stoff gesteuert werden, der bei der
Translation entsteht und deshalb ein spezifisches Eiweiß ist.
Von der Existenz dieses in seiner Zusammensetzung noch
unbekannten und deshalb „Polypeptid X" genannten Eiweißes
ausgehend, entwickelten die Wissenschaftler ein Modell der
inneren Uhr der Riesenalge, in dem dieses Eiweiß gewisser-
maßen die Rolle einer biochemischen Unruh spielt: Polypep-
tid X stoppt dann, wenn es in einer bestimmten Menge in
gewisse Membranen gelangt, den eigenen Nachschub. Es stößt
diesen aber regelmäßig wieder an, wenn seine Konzentration
durch einen gleichmäßig ablaufenden Abbauprozeß unter

114
einen ebenfalls bestimmten Wert abgesunken ist.
Dieser wie bei der Unruh einer Uhr aus Anstoß und
Hemmung bestehende Ablauf gibt zugleich den Takt der
biologischen Uhr vor, die wiederum den Rhythmus der Le-
bensprozesse der Zelle steuert. Ein wichtiger Hinweis auf die
Richtigkeit dieses Modells einer etwa im 24-Stunden-Takt
„circadian" schwingenden biochemischen Unruh ergab sich
daraus, daß es den Max-Planck-Wissenschaftlern auch gelun-
gen ist, einen Eiweißkörper aus den Membranen der die
Energiegewinnung aus Licht ermöglichenden Chloroplasten
der Schirmalge zu gewinnen. Es ist ein Polypeptid mit einem
Molekulargewicht von 210000, das die an den unbekannten
Faktor X zuvor gestellten „Anforderungen" offensichtlich
erfüllt.
Dieses sogenannte „Zweistufenmodell des circadianen
Rhythmus", das „gekoppelte Translations-Membran-Modell"
schreibt dieser Membran eine besondere Rolle zu. Mit ihm in
Einklang steht der ebenfalls in Ladenburg ermittelte Befund,
daß an dieser Membran der Schirmalge auch dann der Lauf der
inneren Uhr verfolgt werden kann, wenn sich die Temperatur-
und Lichtbedingungen über viele Tage nicht verändern. Expe-
rimente in anderen Laboratorien und auch an anderen Orga-
nismen wie weiteren Algen, Pilzen und tierischen Zellen
stützen inzwischen die Vermutung weiter, daß dieses Modell
allgemeingültig sein könnte.
Besonders genau ist die innere Uhr der Schirmalgen aller-
dings nicht. Die höheren Organismen dürften sehr wahr-
scheinlich kompliziertere Mechanismen entwickelt haben, die
Ganggenauigkeit ihrer inneren Uhren noch erheblich zu ver-
bessern.
Rolf H. Simen

115
Es sieht aus, als könnte man darin Butterbrote
einwickeln: Ein unscheinbares Silberpapier-
chen, handelsüblichen Haushaltsfolien aus Aluminium zum
Verwechseln ähnlich, entpuppte sich als ein Energiewandler,
der von der medizinischen Anwendung bis zur Kraftwerkstech-
nik für Überraschungen gut sein dürfte:

Das Kraftwerk im Körper


Zumindest dem physikalischen Prinzip dieses, glänzenden
Wunderdings, dessen innere Werte Professor Eberhard Häus-
ler und seine Mitarbeiter am Institut für angewandte Physik
der Universität des Saarlandes zum Bau eines stromerzeugen-
den Alleskönners nutzen wollen, können Konsumenten „mo-
derner" Verbrauchsgüter praktisch alltäglich begegnen.
Elektronische Feuerzeuge und Ultraschallfernbedienungen
profitieren schon seit Jahren von der bereits gut 100 Jahre
zurückliegenden Entdeckung des „piezoelektrischen Effek-
tes", der sich bei bestimmten Stoffen dann als deren elektri-
sche Aufladung zeigt, wenn sie mechanisch verformt werden.
Der Fingerdruck auf den piezoelektrischen Kristall eines
Feuerzeuges läßt beispielsweise so den elektrischen zünden-
den Funken aufblitzen.
Auf die kleinen, dünnen Kunststoffolien bezogen heißt das:
Schon die kleinste Dehnung erzeugt einen schwachen Strom.
Vereinfacht erklärt liegt der Grund für diese Erscheinung
darin, daß die Folie aus Polyvenylfluorid (PVF2) in ihrer
innersten Feinstruktur polarisiert ist, also ihre Molekülketten
alle parallel verlaufen. Bei einer Dehnung wird diese Anord-
nung gestört, die Ketten reiben sich gleichsam aneinander,
und es entsteht eine elektrische Spannung. An mit Aluminium
bedampften und so oberflächlich leitfähig gemachten Folien
dieser Art kann diese Spannung abgegriffen werden, womit
sich das vermeintliche Schokoladeeinwickelpapier als Strom-
erzeuger erweist. Die so entstehenden kleinsten Ströme könn-
ten in der technischen Medizin Anwendung finden. Die zehn
Millionstel Watt Leistungsbedarf eines Herzschrittmachers
zum Beispiel, die gegenwärtig von Batterien abgedeckt wer-
den, kann eine in „Unordnung" geratene Folie leicht abgeben.
Mehrlagig um herznahe Arterien gewunden, könnte die winzi-
ge, aber hochstabile Folie als Energielieferant für im Körper
implantierte Geräte dienen. Die Arterien, die sich beim
Durchlaß des Blutes rhythmisch erweitern, sorgen dabei für
116
die notwendige Foliendehnung. Selbst eine Dehnung von nur
zwei Prozent genügt, um mit kurzen Stromstößen einen Kon-
densator aufzuladen, der dann seine Ladungsmenge impulsar-
tig an einen Pufferakku abgibt.
Aber auch sonst läßt sich dieses Kraftwerk nach Ansicht der
Saarbrücker Wissenschaftler vielfältig im Körper unterbrin-
gen, wobei jene Körperpartien die größte Funktionszuverläs-
sigkeit versprechen, die - hauptsächlich durch die Atmung -
unwillkürlich bewegt werden. So könnten etwa zwischen zwei
Rippen befestigte Folien bei jedem Atemzug kurze Stromstö-
ße abgeben. Eine Brustkorbdehnung von realistischen 0,7
Prozent reichte schon für zehn Milli-Ampere Strom pro Impuls
aus, der Kranken vielfach Hilfe leisten könnte. So könnte
beispielsweise Zuckerkranken die tägliche Spritze erspart
bleiben, wenn ein solches Mini-Kraftwerk nicht nur eine
eingepflanzte Insulinpumpe versorgen würde, sondern auch
ein Mikroprozessorsteuerwerk, das ihren Einsatz den ständig
gewonnenen Werten des Insulinspiegels anpaßt.
„Der Einsatz komplizierter Geräte im Körper war bislang
lediglich mangels ausreichender Energieversorgung unmög-
lich" , sagt Häusler. Die Anwendung dieser inzwischen preis-
gekrönten und patentierten Idee der Energiefolie würde nun
zum Beispiel auch die Ausstattung künstlicher Harnausgänge
mit Magnetventilen möglich machen. Die Energie zum Öffnen
und Schließen der Ventile an den Verschlußklappen und zur
Beobachtung des Füllungszustandes der Blase lieferte dann
das im Körper implantierte Minikraftwerk. Häusler hat sich
noch über andere Anwendungsmöglichkeiten Gedanken ge-
macht: „Man hat durchaus die Möglichkeit, solche Folien auch
als Impulsgeber zur Augenlidstimulation bei krankhafter Mus-
kelschwäche und zur Reizgebung bei Muskellähmung zu ver-
wenden". Und bei Langzeit-Tierversuchen könnten eingesetz-
te Meßfühler und Sender ihren Strom über Jahrzehnte hinweg
aus solchen Folien beziehen.
Vor dem endgültigen Durchbruch stehen in der Human-
Medizin allerdings stets anspruchsvolle Tests und langwierige
weitere Forschungsarbeit, was auch für den wirklichen Einsatz
dieses kleinen Wunderdings volle Gültigkeit hat. Zudem
zeigen sich Hindernisse, die seine Verwendung einschränken
könnten. So läßt mit steigendem Lebensalter die Rippen-
atmung zugunsten der Zwerchfellatmung nach. Und alters-
bedingt verkalkte Arterien haben nur noch eine geringe
Dehnfähigkeit. Die Wissenschaftler sind deshalb auf der
Suche nach weniger anfälligen „Kraftwerks-Standorten" im

117
Körper.
Schnelleren Erfolg als in der Medizin könnte die „Folien-
idee" aber vielleicht im Energiebereich haben: In Form meter-
langer Seile oder mehrere hundert Meter langer Bahnen
könnte diese Folie als überdimensionaler „Rippenwandler'f im
Meer als Wellenkraftwerk installiert werden. Die silbrigen
Taue ließen sich am Meeresboden befestigen und durch
Schwimmkörper ständig in Bewegung halten.
Die mechanische Leistung von Meereswellen beträgt (bezo-
gen auf einen Meter Wellenfront) bis zu 100 Kilowatt. Alle
zehn Sekunden würde der Schwimmer durch die Meereswellen
angehoben oder gesenkt. Die Wucht der Wellen würde sich
dann nach dem Umweg über eine Gleichrichterschaltung
wieder in einem Akkumulator entladen. Der durch solche
Folienkraftwerke erzeugte Strom, das weiß man nach einer
ersten Wirtschaftlichkeitsberechnung, mit der man die Kon-
kurrenzfähigkeit der Erfinder überprüfen wollte, könnte billi-
ger als Strom aus konventionellen Kraftwerken sein. Die
beispielsweise an der Nordsee oder an japanischen Küsten
errichteten Kraftwerke - hier herrschen starke Wellenbewe-
gungen vor - wären denkbar unkompliziert. Umständliche
mechanische Einrichtungen, Gelenke, Wellen, Schrauben,
fielen weg, die Störanfälligkeit gar läge fast bei Null. Selbst die
Wartungskosten könnte man vernachlässigen.
Die entscheidende wirtschaftliche Bestimmungsgröße ist
der Preis der Folien. Und der, das erwartet man bei einer
Massenproduktion und entsprechend einkalkulierten Toleran-
zen, weil die Foliengenauigkeit weit unter der heutigen liegen
dürfte, ließe sich deutlich senken. Geringe Investitionskosten
und minimale Zusatzaufwendungen ließen, so ermittelten die
Saarbrücker Wissenschaftler, ein solches Kraftwerk selbst bei
einer Foliendehnung von nur wenigen Prozent elektrischen
Strom noch wirtschaftlicher erzeugen als das kostengünstigste
konventionelle Kraftwerk, das Dieselkraftwerk.
Gero Gemballa

118
GESCHICHTEN, DIE
DIE FORSCHUNG
SCHREIBT

ASTRONOMIE

__________________________

Vom Weihnachtsstern bis


zur kosmischen Fata Morgana

119
Krippenhersteller und Sternfreunde werden um-
denken müssen: Der Stern von Bethlehem war
weder jener kometenähnliche Schweifstern, den man heute noch
in vielen Krippendarstellungen findet, noch jene dreifache
Begegnung der Planeten Jupiter und Saturn im Jahre 7 vor
Christus, die sich 1981 wiederholte und erst wieder 2238 stattfin-
den wird. Die drei Weisen erkannten das große Ereignis viel-
mehr dann,

Als Jupiter
an Regulus vorbeizog
Die traditionelle Erklärung, die den Weihnachtsstern mit
der dreifachen Begegnung der Planeten Jupiter und Saturn
im Sternbild Fische in Verbindung brachte, war bislang immer
auf Johannes Kepler zurückgeführt worden. Ein Amateur-
astronom, im Hauptberuf Altphilologe an der Universität zu
Köln, fand jedoch vor einiger Zeit in einem Gedicht aus dem
13. Jahrhundert bereits einen Hinweis auf diese dreifache
Begegnung der beiden Planeten und die daraus abgeleitete
Geburt eines großen Propheten; das Epos mit dem Namen
„De vettula" stammt von einem unbekannten Dichter und gibt
sich als Autobiographie des römischen Schriftstellers Ovid
aus. In jüngster Zeit sind jedoch immer mehr Zweifel an dieser
Deutung des Weihnachtssterns aufgetaucht.
Mitarbeiter des Griffith-Planetariums von Los Angeles ha-
ben zusammen mit NASA-Wissenschaftlern auffällige Plane-
tenkonstellationen um die Zeitenwende im Hinblick auf eine
mögliche „bessere" Erklärung des Sterns von Bethlehem hin
untersucht. Dabei stießen sie auf eine Reihe von Begegnungen
zwischen dem Planeten Jupiter und dem Hauptstern im Stern-
bild Löwe, dem Regulus. Die erste dieser Begegnungen fand
am 14. September 3 v. Chr. statt und konnte am Morgenhim-
mel beobachtet werden, die zweite folgte am 17. Februar 2
v. Chr. - in diesem Monat stand der Löwe fast die ganze Nacht
am Himmel -, und am 8. Mai desselben Jahres zog Jupiter ein
drittes Mal an Regulus vorbei (das Sternbild Löwe konnte
inzwischen nur noch am Abendhimmel über dem Westhori-
zont beobachtet werden). Sechs Wochen später, am 17. Juni,
zog die helle Venus im engem Abstand an Jupiter vorbei -
beide Planeten verschmolzen dabei fast zu einem Lichtpunkt.
Die „astrologische" Deutung dieser Begegnungen ist leicht

120
und schlüssig: Das Sternbild Löwe war im babylonischen
Kulturkreis das Sternbild der Juden („Löwe von Juda"), und
sein Hauptstern Regulus galt als der „kleine König"; wenn
Jupiter, der Königsplanet, der dem babylonischen Gott Mar-
duk geweiht war, dreimal an diesem Königsstern vorbeizog
und sich hinterher mit der Göttin der Fruchtbarkeit, der Venus
nämlich, verband, dann mußte dort etwas Besonderes zu
erwarten sein. Und daß die Weisen aus dem Morgenlande die
religiösen Hoffnungen der Juden im Hinblick auf das Kommen
eines Erlösers kannten, ist nicht weiter verwunderlich -
schließlich waren die Juden lange genug in babylonischer
Gefangenschaft gewesen.
Die neue Deutung des Weihnachtssterns stimmt auch zeit-
lich besser mit anderen historischen Quellen überein, bei-
spielsweise mit der in der Bibel erwähnten Volkszählung, die
Maria und Josef nach Bethlehem geführt haben soll (sie fand
erst im Jahre 3 vor der Zeitenwende statt). Auch der Tod
Herodes', der nach Angaben des jüdischen Geschichtsschrei-
bers Flavius Josephus im Anschluß an eine Mondfinsternis
eintrat, läßt sich nun besser einordnen: Nicht mehr die bislang
dafür in Frage gekommene nur partielle und damit wenig
auffällige Mondfinsternis am 13. März 4 v.Chr. muß zur
Erklärung herhalten, sondern die totale Mondfinsternis in der
Nacht vom 9. auf den 10. Januar des Jahres l v. Chr.
Es bleibt nun abzuwarten, wie lange noch jener astrono-
misch nie ernsthaft diskutierte kometenähnliche Weihnachts-
stern über den deutschen Krippen leuchten wird.
Hermann-Michael Hahn

121
Das zunächst nur wie ein Raunen durch die
Reihen der Astronomen ging, hat durch Satelli-
ten-Beobachtungen seine Bestätigung gefunden: Im Doradus-
Nebel in den Magellanschen Wolken ist ein sternartiges Objekt
mit der Kennzahl R 136 a

So schwer wie 2000 Sonnen


Natürlich weiß man schon lange, daß unser Zentralgestirn
Sonne in der Palette des astrophysikalisch Möglichen nicht
eben zu den imponierenden Objekten zählt. Nach Masse,
Oberflächentemperatur und Leuchtkraft ist die Sonne eher ein
Durchschnittsstern. Es gibt wesentlich hellere, heißere und
massenreichere Sterne.
Nach Aussage der Sternbildungstheoretiker sollte es jedoch
selbst für Superstars klare Grenzen, insbesondere für ihre
Masse, geben. So ging man bisher davon aus, daß in den
beobachtbaren Galaxien kaum Sterne mit mehr als dem
Fünfzigfachen der Sonnenmasse vorkommen. In Ausnahme-
fällen sollten vielleicht Sterne mit hundertfacher Sonnenmasse
möglich sein, diese wären jedoch sicher schon als Kuriosa zu
werten.
Dieser Tatbestand besitzt eine einleuchtende Erklärung
darin, daß die Sternentstehungsrate bei Sternen mit nur eini-
gen Sonnenmassen ihr Maximum hat. Sterne, die wesentlich
leichter oder schwerer sind als die Sonne, werden also prozen-
tual seltener geboren.
Dazu kommt, daß massereiche Sterne ihr nukleares Brenn-
material in sehr verschwenderischer Weise verausgaben und
folglich sehr kurzlebig sind. Solche Sterne werden also nicht
nur seltener geboren, sie sterben auch schneller. Um so mehr
muß es dann verwundern, wenn einige Astronomen nunmehr
aufgrund ihrer Beobachtungen zu der gewagten Behauptung
kommen, sie hätten ein stellares Objekt von 2000, vielleicht
sogar mehr Sonnenmassen entdeckt. Diese Entdeckung geht
auf eine in letzter Zeit eingehend betriebene Untersuchung
des 30-Doradus-Gasnebels (auch Tarantula-Nebel genannt) in
der großen Magellanschen Wolke zurück. Bei diesem Gasne-
bel handelt es sich um ein ausgedehntes Gebiet ionisierten
Wasserstoffs. Die Ionisation des Wasserstoffs in diesem Nebel
muß durch energiereiche Strahlungen hoher Intensität aus
dem Inneren des Nebels verursacht sein. Aus der gesamten
Radiostrahlung, die dieser Nebel aussendet, kann man
122
schließen, daß hier eine Energiequelle „am Werk" sein muß,
die etwa 100 der heißesten Sterne (der Spektralklasse 0)
entspricht.
Die Suche nach der Quelle dieser Strahlung hat sich nun vor
einiger Zeit auf ein ungewöhnliches Objekt im Zentrum des
Nebels konzentriert. Dieses Objekt führt die astronomische
Bezeichnung R 136a. Bereits optische Untersuchungen dieser
Himmelsgegend hatten die Astronomen Dr. Johannes Feitzin-
ger, Privatdozent Wolfhart Schlosser, Professor Theodor
Schmidt-Kaler und Diplom-Physiker Christoph Winkler am
Astronomischen Institut der Ruhr-Universität Bochum zu
dem Schluß geführt, daß es sich bei dem Objekt R 136 a um
einen extrem massereichen Stern handeln müsse, der den
wesentlichen Teil der ionisierenden Strahlung für den Dora-
dus-Nebel erzeugt.
Neue Befunde über dieses zentrale Objekt des Doradus-
Nebels scheinen aber eine genaue Massenangabe zu erlauben.
Sie gründen sich auf die hochauflösenden Spektralbeobach-
tungen des I-U-E-Satelliten (International Ultraviolet Explo-
rer). Diese Beobachtungen im ultravioletten Spektralbereich
lieferten eine Reihe sehr interessanter Informationen über
dieses rätselhafte Objekt, zu denen auch gehört, daß seine
Oberflächentemperatur mit 63000 Kelvin einen bisher nir-
gendwo anders gemessenen hohen Wert aufweist. In Verbin-
dung mit der von den Bochumer Astronomen für dieses
Objekt festgestellten visuellen Helligkeit ergibt sich daraus
eine im Vergleich zur Sonne um den Faktor „100 Millionen"
höhere Leuchtkraft. Das macht klar, daß der gesamte Dora-
dus-Nebel fast ausschließlich von diesem Objekt zum Leuch-
ten angeregt wird.
Weitere Eigenschaften dieses Objektes konnten die ameri-
kanischen Astronomen aus der Analyse des Profils einiger
markanter Absorptionslinien im Spektrum des Objektes R
136a erschließen, die von ionisiertem Kohlenstoff, Stickstoff
und Helium hervorgerufen werden. Hieraus ergibt sich der
eindeutige Hinweis auf die Existenz eines Sternwindes giganti-
schen Ausmaßes, das heißt, die äußerste Materiehülle des R
136a-Objektes wird mit enorm hohen Geschwindigkeiten von
bis zu 3500 Kilometer pro Sekunde in die Umgebung abgebla-
sen, wodurch das Objekt einen Massenverlust entsprechend
einer Sonnenmasse je tausend Jahre erfährt.
Einen so intensiven Sternwind kennt man nur bei den
heißesten Sternen vom Typ 03. Dieser Sterntyp besitzt jedoch
mit 52 000 Kelvin eine weit niedrigere Temperatur, als sie an R

123
136 a beobachtet wird. Außerdem müßte man mindestens 30
bis 40 Sterne dieses Typs auf engstem Raum zusammenbrin-
gen, um die Gesamtleuchtkraft des gesehenen Objektes erklä-
ren zu können.
Die einzig akzeptable Erklärung scheint also zu sein, daß es
sich bei R 136 a um ein einziges stellares Objekt mit extremen
Eigenschaften handelt. Nimmt man für ein solches Objekt
dann die Annahme zu Hilfe, daß an seiner Oberfläche Schwe-
rebeschleunigung und Strahlungsdruck im Gleichgewicht ste-
hen, so ergibt sich eine Objektmasse von 2000 Sonnenmassen.
Die Erklärung eines solch massereichen Objektes wird den
Sternentwicklungstheoretikern noch viel Kopfzerbrechen be-
reiten.
Professor Dr. Hans-Jörg Fahr

124
Messungen mit dem 100-Meter-Teleskop des
Bonner Max-Planck-Instituts für Radioastro-
nomie haben erstmals die bis dahin vorhandenen Zweifel an der
Existenz von Gravitationslinsen im Weltraum beseitigen kön-
nen. Entdeckt wurden zwei Quasare nämlich dort, wo in
Wirklichkeit nur einer steht:

Eine kosmische Fata Morgana


Erste Hinweise auf dieses kosmische Trugbild fanden die
englischen Wissenschaftler Dennis Walsh und Robert Cars-
well bereits 1979 im Sternbild Großer Bär. Damals untersuch-
ten sie die Lichtzusammensetzung von zwei schwachleuchten-
den Objekten, die am Himmel nur etwa sechs Bogensekunden
auseinanderstehen (das entspricht einem Dreihundertstel des
Winkels, unter dem uns der Vollmond am Himmel erscheint).
Dabei konnten sie fast identische Spektren aufzeichnen. Sol-
che Spektren sind wie Personalausweise - sie erlauben wichti-
ge Rückschlüsse auf die Natur der beobachteten Objekte. Eine
Auswertung der Spektren ergab, daß die beiden Lichtpunkte
den Quasaren zugerechnet werden müssen und etwa zehn
Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt sind. Sie stehen
daher von der Erde aus gesehen nicht nur in der gleichen
Richtung am Himmel, sondern auch in der gleichen Entfer-
nung - sind also räumlich offenbar eng benachbart.
Dies allein war schon ein ungewöhnlicher Beobachtungsbe-
fund, da man bislang keine so enge Nachbarschaft von Quasa-
ren kannte. Quasare - so vermuten die meisten Astronomen
heute - sind weit entfernte Objekte, die möglicherweise eine
Vorstufe bei der Entstehung von Galaxien darstellen. Man
beobachtet sie nur in sehr großen Entfernungen und damit zu
einem Zeitpunkt, zu dem das Universum noch nicht sehr alt
war. Die rund 1500 bekannten Quasare sind (mit dieser
Ausnahme) mehr oder minder gleichmäßig über den gesamten
Himmel verteilt. Walsh und Carswell griffen daher auf die
Überlegungen Albert Einsteins aus dem Jahre 1915 zurück,
der den Einfluß von Schwerefeldern auf die Ausbreitung des
Lichts vorhergesagt hatte, und gaben als Erklärung für diese
„Quasarzwillinge" den Einfluß einer noch unentdeckten
Milchstraße an, die das Licht eines in Wahrheit einzigen
Objektes in zwei Bilder aufspalten sollte.
Die enge Nachbarschaft und die nahezu identischen Spekt-
ren der beiden Lichtpunkte konnten Skeptiker unter den
125
Astronomen zunächst jedoch nicht überzeugen. Auch der
inzwischen gelungene Nachweis einer elliptischen Galaxie, die
etwa auf halbem Wege zwischen der Erde und dem Doppel-
quasar liegt, vermochte ihre Zweifel nicht völlig auszuräumen:
Was ihnen fehlte, war eine Übereinstimmung auch im Ausse-
hen der beiden Objekte. Hier aber waren die Astronomen mit
ihren Lichtteleskopen überfordert, da sie bei den nahezu
punktförmigen Strahlungsquellen keine Einzelheiten mehr
erkennen können.
Einen Ausweg bot einzig die internationale Zusammen-
schaltung mehrerer Radioteleskope. Da das Auflösungsver-
mögen eines Fernrohres ganz entscheidend auch vom Durch-
messer der Auffangfläche abhängt, kann man durch die Ver-
bindung mehrerer Instrumente selbst interkontinentale „An-
tennengrößen" simulieren und so eine „Trennschärfe" errei-
chen, die rund tausendmal besser ist als die des größten
optischen Fernrohres.
Mehrere solche Messungen wurden durch Zusammenschal-
tung des Bonner 100-Meter-Radioteleskops bei Effelsberg in
der Eifel und der 76-Meter-Antenne in Jodrell Bank (Eng-
land) unternommen. Diese beiden größten vollbeweglichen
Radioantennen waren nach Aussage von Dr. Richard W.
Porcas, der die Arbeiten in Effelsberg leitete, notwendig, um
die schwachen Signale der beiden Strahlungsquellen aufzufan-
gen. Wäre die Intensität der ankommenden «Strahlung nur
dreimal schwächer gewesen, dann wären die Signale im allge-
meinen Rauschen untergegangen. Parallelmessungen mit ei-
nem amerikanischen und einem schwedischen Radioteleskop
konnten daher nicht viel zu der Arbeit beitragen.
Die komplizierte Auswertung der Messungen, die ebenfalls
am Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie vorge-
nommen wurde, brachte dann den entscheidenden Beweis für
die Wirkung einer Gravitationslinse: Beide Quasare haben
nicht nur das gleiche optische Spektrum, sondern auch die
gleiche Radio-Struktur: Sie bestehen beide aus je einer punkt-
förmigen Strahlungsquelle und einem davon getrennt erschei-
nenden länglichen Gebiet, wie es für viele Quasare typisch zu
sein scheint; dabei sind die „Einzelteile" in beiden Fällen
nahezu gleich groß, und die Strahlungs„keulen" sind parallel
zueinander ausgerichtet.
Nach Ansicht von Porcas dürfte diese identische Detail-
struktur der beiden Objekte auch die letzten Zweifler davon
überzeugen, daß man es hier mit Abbildern ein und desselben
Objektes zu tun hat, auch wenn die Theoretiker eigentlich eine

126
ungerade Zahl von Bildern erwarten; sie sind bei ihren Überle-
gungen bislang immer von der Schwerewirkung einer einzigen
Milchstraße ausgegangen, doch ist durchaus denkbar, daß
diese Galaxie nur das hellste Mitglied eines ganzen Galaxien-
haufens ist, dessen gesammelte Gravitationswirkung die
Strahlung auf dem Weg zu uns in nicht ganz so einfacher Art
und Weise beeinflußt. Das Universum ist auch hier noch für
weitere Überraschungen gut.
Hermann-Michael Hahn

127
Hinter dem Energie-Rätsel der gewaltigen Radio-
galaxien des Weltalls stand bisher auch das
Geheimnis um ihre eigentlichen Strahlungsquellen. Denn diese
liegen keineswegs in den Sternsystemen selbst, sondern oft
Millionen Lichtjahre davon entfernt im „Nichts":

Die stärksten Funkfeuer


des Universums
Schon die „astronomischen" Entfernungen sind Inbegriff
der kaum vorstellbaren Wirklichkeiten des Universums. Noch
mehr wird unsere Vorstellungskraft aber durch Feststellungen
wie jene strapaziert, daß die „Sendeleistung" der Radiogalaxie
Cygnus A in Kilowatt durch eine Eins mit 35 Nullen (1035)
ausgedrückt werden muß. Obwohl dieses Sternsystem wieder-
um eine Eins mit 22 Nullen Kilometer oder rund eine Milliarde
Lichtjahre von uns entfernt ist, ist es für die Astronomen doch
die stärkste Strahlungsquelle außerhalb der Milchstraße. Was
es mit dem merkwürdigen „Nichts" auf sich hat, aus dem die
eigentliche Strahlung kommt, und wieweit die damit zusam-
menhängenden Fragen inzwischen gelöst werden konnten,
schildert Professor Wolfgang Priester vom Institut für Astro-
physik der Universität Bonn.
Es stand zwar schon seit längerem fest, daß diese gewaltigen
„Funkfeuer" nicht von den Sternen dieser Systeme ausgehen
und deshalb auch nicht mit den Atomkernverschmelzungsre-
aktionen in deren Innerem zusammenhängen. Sie werden
vielmehr von einer enormen Menge äußerst energiereicher
Elektronen abgestrahlt, die sich mit der Wucht von Milliarden
bis mindestens Billionen Elektronvolt fast lichtschnell durch
den Raum bewegen und zugleich durch gewaltige Magnetfel-
der zusammengehalten werden.
Da es gleichsam eine natürliche Eigenschaft der Elektronen
ist, mit Energieabstrahlung auf jede Kraft zu reagieren, die sie
von ihren Bahnen ablenkt und damit Beschleunigungen aus-
setzt, ist auch ihre Wechselwirkung mit den Magnetfeldern als
Ursache dieser Strahlungsaussendung erklärt. Ganz anders
sah es dagegen lange mit der Klärung der Ursachen aus, die
eine solche Situation in der Nachbarschaft eines Sternsystems
erst ermöglichen können.
Diese sogenannte Synchrotronstrahlung hochenergetischer
Elektronen entsteht bei vielen Radiogalaxien in zwei Berei-

128
chen, die wie zwei langgestreckte „Wolken" aus zwei einander
gegenüber liegenden Seiten dieser Sternsysteme auszulaufen
scheinen. Sie sehen aus wie mit höchster Geschwindigkeit
verzischende Dampfstrahlen, und ihre allmählich breiter wer-
denden „Ausströmkeulen" reichen oft mehrere Millionen
Lichtjahre in das Weltall hinaus. Man hat zwar schon seit
Jahren vermutet, daß diese sogenannten „Jets" auf katastro-
phale Vorgänge im Inneren der Radiogalaxien zurückzufüh-
ren sind, doch bereitete die unvorstellbare Größe dieser
Vorgänge bei der Aufklärung der „treibenden Kraft" die
größten Schwierigkeiten.
Aus der Energiebilanz der Radiostrahlen und den Struktu-
ren der Strahlungsverteilung folgte indessen einerseits, daß
diese Energiequellen im Zentrum der jeweiligen Galaxie
liegen müssen. Andererseits ergab sich aus der Größe der
ausgestrahlten Energie wiederum zwingend, daß dieses zen-
trale Objekt ungeheuerlich verdichtet sein und eine Masse von
mindestens 100 Millionen Sonnenmassen haben muß.
Nun ergeben 100 Millionen Sonnenmassen in Tonnen ausge-
drückt schon wieder eine Eins mit 35 Nullen - und solche
Objekte können nach Priester dann durch den Schwerkraft-
strudel im Gravitationszentrum großer Sternsysteme entste-
hen, wenn Sterne von insgesamt mehr als 100 Millionen
Sonnenmassen der Katastrophe eines gravitativen Kollapses
erlegen und in einem „sehr massereichen Schwarzen Loch"
untergegangen sind, die als Typ künftig nicht mehr „Schwarze
Löcher 2. Art", sondern Schwarzschild-Objekte genannt wer-
den sollen. Wenige Monate vor seinem Tod hat Karl Schwarz-
schild (1873-1916) als erster Theoretiker aus wesentlichen
Elementen der damals brandneuen Allgemeinen Relativitäts-
theorie Albert Einsteins schon das unvorstellbare Schicksal
jener ausgebrannten Sterne errechnet, die mindestens dreimal
so „schwer" wie unsere Sonne sein müssen.
Wenn ihre nukleare Brennenergie verbaucht ist, geht es
nämlich auch mit jenem grandiosen Balanceakt zu Ende, der
ihre bisherige Form im Gleichgewicht zwischen dem nach
außen gerichteten Explosionsdruck der Kernreaktionen und
der nach innen gerichteten allseitigen Schraubstockwirkung
der Schwerkraft aufrecht erhielt.
Sie fallen dann schier endlos immer weiter in sich zusam-
men, so daß beispielsweise ein Stern von dreifacher Sonnen-
masse zu einem Gebilde von weniger als zehn Kilometer
Durchmesser schrumpfen kann, wobei seine Materie und auch
ihr Schwerefeld in unvorstellbarer Weise konzentriert werden.

129
Buchstäblich in einer Sackgasse des Universums endet ein
solcher Stern von drei Sonnenmassen rechnerisch dann, wenn
er den sogenannten Schwarzschild-Radius erreicht hat, der in
diesem Falle bei etwa 4,5 Kilometer liegt. Dann ist die
Schwerkraft-„Konzentration" an seiner Oberfläche so groß
geworden, daß nicht einmal mehr Licht und andere elektroma-
gnetische Wellen von ihr loskommen können: Das Objekt
verschwindet dann als Schwarzes Loch hinter seinem nun
undurchdringbaren Schwerkraft-Vorhang, während die
Schwerkraft allein weiter in den Raum hinausgreift und wie ein
Strudel alles an sich reißt, was in ihre Reichweite kommt.
Dabei kommt es wiederum zu einer ganzen Reihe naturge-
setzlicher Effekte, in deren Verlauf viel Energie freigesetzt
wird. Nur diese Effekte sind es wiederum, die ein Schwarzes
Loch für die Astronomen „sichtbar" machen können, während
ein sozusagen „alleinstehendes" Schwarzes Loch grundsätzlich
nicht beobachtet werden kann.
Die Wechselwirkungen der gewaltigen Schwarzschild-Ob-
jekte mit der Materie der Radiogalaxien sind also die Energie-
lieferanten für die größten „Funkfeuer" unseres Universums.
Priester verdeutlicht das mit der Erklärung, daß ein Teil des
ständig in ein solches Schwarzschild-Objekt in Form eines
Strudeis einströmenden Gases von einem mitrotierenden Ma-
gnetfeld auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt wird.
Dabei werden die Elektronen in zwei „Jets" nach diametral
gegenüberliegenden Richtungen aus dem Schwarzschild-Ob-
jekt ausgestoßen. Sie laufen in den beobachteten Zwillings-
strahlen aus der Muttergalaxie aus, bis zu den oft viele 100000
Lichtjahre entfernten eigentlichen Strahlungsquellen, denen
so ständig neue Energie zugeführt wird.
Bei mehreren Radiogalaxien konnten diese scharf gebün-
delten Elektronenstrahlen-Jets im Bereich der Zentimeter-
Radiowellen bereits nachgewiesen werden. Wie Priester
meint, ist damit „auch die Indizien-Beweiskette geschlossen
für die Energieversorgung aus dem zentralen Schwarzschild-
Objekt bis hin zu den weit außerhalb der ,Muttergalaxie'
liegenden äußeren Radio-Strahlungsquellen".
Rolf H. Simen

130
Für die antiken Griechen war die Sonne ein makel-
loses Feuer, Galileo Galilei entdeckte auf ihrer
Oberfläche „Warzen und Runzeln", für die nukleare Astrophy-
sik der Gegenwart stellt sie noch immer eine ziemlich unbekann-
te Größe dar. Es gab sogar Meldungen über eine mögliche
Erkaltung unseres lebensspendenden Zentralgestirns, die über-
all Aufmerksamkeit erregten:

Ist die Sonne


wirklich am Ende?
Was von solchen Meldungen wirklich zu halten ist, hat
Professor Claus Rolfs von der Universität Münster nach dem
aktuellen Wissensstand der Sonnenphysik kommentiert. Über
die Sonnenoberfläche wissen die Fachleute recht genau Be-
scheid. Ihre Größe, Temperatur und Abstrahlung sind exakt
bekannt. Was sich aber im Sonneninneren abspielt, darüber
gibt es bisher nur Modellvorstellungen. Zu ihnen werden als
gültige Prinzipien unter anderem angenommen, daß die Son-
nenenergie aus thermonuklearen Prozessen entsteht, die
Energietransporte durch Strahlung und Strömungen erfolgen
und die chemischen Vorgänge im Inneren und auf der Oberflä-
che der Sonne die gleichen sind.
Daraus ergeben sich geradezu phantastische Werte für den
inneren Zustand der Sonne: ein Druck von 225 Milliarden bar
und eine Temperatur von 15 Millionen Kelvin. Als hauptsäch-
liche Energiequelle kann auf Grund dieser Annahmen die
„Proton-Proton Kette" angenommen werden, also die Kernfu-
sion von Wasserstoff zu Helium und schwereren Elementen.
Diese Vorstellungen sind die Ergebnisse wohldurchdachter
Theorien und Berechnungen. Ihnen fehlt aber ein in der
üblichen physikalischen Praxis entscheidendes Merkmal: der
experimentelle Beweis. Und genau damit gibt es Schwierigkei-
ten. Die Vorgänge an der Sonnenoberfläche können uns zur
Deutung des inneren Geschehens kaum weiterhelfen. Was
heute auf der Außenhaut der Sonne zu sehen ist, hat seinen
Ursprung vor einer Million Jahren rund 700000 Kilometer
tiefer in ihrem Inneren gehabt!
Erst nach dieser Zeitspanne sind die Ergebnisse der Ener-
gieumwandlung an die Oberfläche gedrungen. Und auch das
nur in einer indirekten Form, weil sich aus optischen Beobach-
tungen keine direkten Rückschlüsse auf Nuklearreaktionen

131
ziehen lassen.
Einen Ausweg aus diesem Dilemma hatten Wissenschaftler
aus aller Welt bereits Anfang der siebziger Jahre mit Hilfe
anderer „Spione" aus dem Sonneninneren gesucht, mit den
Neutrinos. Neutrinos sind - salopp ausgedrückt - Teilchen
ohne Eigenschaften. Sie haben (wahrscheinlich) keine Masse,
tragen keine Ladung und treten nur sehr schwach mit anderen
Teilchen in Wechselwirkung. •
Anders als „echte Masseteilchen", die auf dem Weg vom
Sonnenkern zur Oberfläche mit hoher Wahrscheinlichkeit
gegen ein anderes Teilchen prallen und aufgehalten würden,
und anders als geladenen Teilchen, die auf diesem Wege auf
einen Gegenpol stoßen und eingefangen würden, passiert das
nur einem Bruchteil der Neutrinos. Die weit überwiegende
Zahl dieser Teilchen durchdringt jedoch die Sonne, als ob sie
nicht vorhanden wäre und verschwindet mit Lichtgeschwindig-
keit im All. Tatsächlich müßten bei den erwähnten und von
den Sonnenforschern angenommenen Nuklearreaktionen
Neutrinos in riesiger Zahl entstehen, etwa 2 x 1038 in jeder
Sekunde, von denen immerhin 60 Milliarden auf jedem Qua-
dratzentimeter unserer Erde auftreffen müßten.
Der Weg zur Erforschung des Sonneninneren schien damit
vorgezeichnet zu sein: Man weise die Neutrinos der Kernreak-
tionen in der Sonne nach. Wegen der schwachen Wechselwir-
kung der Neutrinos, die sie alle Materie mühelos und ohne
dort „anzurempeln" durchdringen läßt, ist allerdings dieser
Nachweis nicht ganz einfach. Der amerikanische Physiker
Davies lagerte bereits 1970 in einem 1,5 Kilometer unter der
Erdoberfläche liegenden Bergwerk 620 Tonnen des Chloriso-
tops Chlor 37 ein, um, unter Ausschluß anderer kosmischer
Strahlungen, täglich einige wenige Atome Bor zu suchen, die
als Folge eines Neutrino-Einfangs aus dem Chlor entstehen
müßten. Diese Messungen wurden von 1971 bis 1978 sorgfäl-
tigst durchgeführt und verblüfften mit ihren Resultaten damals
die Fachwelt.
Nachzuweisen war innerhalb der Fehlergrenzen recht genau
die Hälfte der theoretisch zu erwartenden Neutrinos. Weil
prinzipielle Fehler an der Meßmethode auszuschließen waren,
begannen die Fragen und eben auch Spekulationen erneut: Ist
die Energiephysik der Sonne falsch eingeschätzt worden?
Haben Neutrinos uns bisher unbekannte Eigenschaften? Oder
sind gar alle Theorien richtig, die Sonne aber im Stadium des
Ausbrennens? Das würde einem Erkalten unseres Energie-
speichers gleichkommen und damit einem Ende des irdischen

132
Lebens.
Die Münsteraner Gruppe hat sich, ebenso wie andere
Institute in Stuttgart und Toronto, Kanada, zunächst einmal
mit den Eingangsvoraussetzungen der Fragestellung befaßt.
Als schwächste Stelle entdeckten sie die theoretischen Voraus-
sagen der Neutrinozahl, die unter den angenommenen Ver-
hältnissen innerhalb eines bestimmten Energiespektrums zu
erwarten war. Sie beruhten auf älteren Arbeiten, waren
Ergebnisse heute technisch überholter Meßmethoden. Da auf
der Erde die Verhältnisse im Sonneninnern experimentell
nicht nachvollziehbar sind, waren die Voraussagen zudem
Extrapolationen mit einer weiten Fehlergrenze.
Ohne Extrapolationen können aus besagtem Grund natür-
lich auch heute keine Voraussagen gemacht werden, aber die
Meßwerte, mit neuen, aufwendigen Experimenten gewonnen,
gestatten eine weitaus besser gesicherte Prognose. Nach die-
sen Ergebnissen war die ursprünglich angenommene Neutri-
nozahl viel zu groß, während die tatsächlich gemessene Neutri-
nohäufigkeit nun wenigstens halbwegs mit der theoretischen
übereinstimmt. Selbstkritisch geben die Forscher aber auch
Hinweise auf immer noch vorhandene Fehlerquellen: So sind
die Winkelverteilung der Neutrinostrahlung und der Wir-
kungsquerschnitt im Wechselwirkungsbereich noch zu unge-
nau bestimmt, um absolute Aussagen machen zu können.
Immerhin kann mit sicherlich beruhigender Wirkung festge-
stellt werden, daß die Gefahr einer neuen Eiszeit, angezeigt
durch fehlende Sonnenneutrinos, nicht besteht!
Dr. Ulrich Hoppe

133
Zu den Gefahren des Weltraums für das menschli-
che Leben gehört vor allem der kosmische Strah-
lung genannte Strom hochenergetischer Teilchen aus den Tiefen
des Milchstraßensystems. Er würde jedes Leben auf der Erde
unmöglich machen, wenn deren Magnetfeld nicht Schutz bieten
würde. Es wird allerdings durch eine jetzt entdeckte, wesentlich
weiter entfernte magnetische Abschirmung unterstützt. Denn:

Der Weltraum
ist noch gefährlicher
Erste Hinweise auf einen im gesamten Sonnensystem wirk-
samen „Strahlenschutz" durch den von der Sonne kommenden
Teilchenstrom des „Sonnenwinds" wurden erst im Zusammen-
hang mit der Beobachtung von sogenannten „Forbush"-Zu-
sammenbrüchen der kosmischen Strahlung wahrgenommen.
Dieses erstmals 1937 von S.E. Forbush entdeckte Phänomen
zeitweise starker Rückgänge der erdbodennahen kosmischen
Strahlung, gekoppelt mit starken Störungen des erdmagneti-
schen Feldes, konnte inzwischen erklärt werden.
Es sind Auswirkungen eines im Zusammenhang mit Aktivi-
tätserscheinungen auf der Sonne plötzlich stark gestörten
Sonnenwindes, der dabei einerseits das erdmagnetische Feld
in dessen Außenzonen verdichtet und andererseits das Ein-
dringen der kosmischen Strahlung ins innere Sonnensystem in
besonderem Maße behindert. Da die Häufigkeit von solaren
Aktivitätsereignissen einem elfjährigen Zyklus folgt, wird
auch klar, warum die kosmische Strahlung einer in gleichem
„Takt" verlaufenden Intensitätsschwankung unterworfen ist.
Das genaue Ausmaß der Beeinflussung der kosmischen
Strahlung durch den Sonnenwind ist jedoch bis heute nicht klar
gewesen. Lediglich die grundsätzlichen Zusammenhänge die-
ser Beeinflussung schienen verstanden: Der Sonnenwind
transportiert ein ihm eigenes Magnetfeld mit nach außen, von
dem die geladenen Teilchen der kosmischen Strahlung beein-
flußt werden. Die komplizierte, räumlich und zeitlich verän-
derliche Gestalt dieses nach außen mitgenommenen Feldes
führt zu einer Reihe einander überlagerter Bewegungserschei-
nungen, die in ihrem Zusammenspiel zu seltsamen Erschei-
nungen führen können.
Das entdeckte eine Wissenschaftlergruppe des Max-Planck-
Instituts für Extraterrestrische Physik in Garching bei

134
München mit ihren Detektoren an Bord der Raumsonden
„Helios I" und „Helios II". Sie stellte fest, daß die Elemente
Helium, Stickstoff und Sauerstoff im mittleren Energiebereich
der kosmischen Strahlung sehr viel häufiger als sonst auf-
treten. Man nimmt heute an, daß der Sonnenwind diese ab-
norme Zusammensetzung seiner sogenannten Zweitkompo-
nente selbst aus Gasen aufbaut, die als zunächst neutrale
Teilchen von außen ins Sonnensystem eindringen, dort elek-
trisch aufgeladen und dann vom Magnetfeld des Sonnenwinds
auf hohe Energien beschleunigt werden.
Das Schicksal der Erstkomponente der kosmischen Strah-
lung im System der Sonnenwindmagnetfelder war im Gegen-
satz dazu bisher weit weniger bekannt, ist andererseits jedoch
von extremer Wichtigkeit, weil er Schlüsse auf die Art der
kosmischen Strahlung außerhalb des Sonnensystems zulassen
würde, was natürlich zahllose Konsequenzen für die Erklärung
ihrer Herkunft hätte. Hier haben sich nun in jüngster Zeit
einige Schleier lüften lassen. Durch die Messungen der Teil-
chendetektoren an Bord der NASA-Raumsonde „Pioneer
10", die sich bereits 1982 in einer Entfernung bewegte, die
mehr als dem 24fachen des Erdabstandes von der Sonne (rund
150 Millionen Kilometer) entsprach, entsteht nunmehr ein
klares Bild über das Ausmaß der Strahlungsbeeinflussung in
den Außenbereichen des Sonnensystems.
Wie die für diese Messungen verantwortlichen Wissen-
schaftler des Hochenergie-Astrophysik-Laboratoriums des
Goddard Space Flight Centers in Greenbelt, Maryland, USA,
berichteten, zeigen die „Pioneer 10"-Messungen im Vergleich
zu gleichzeitig mit den „Helios"-Sonden im Erdabstand durch-
geführten Messungen einen drastischen Anstieg der Intensität
der kosmischen Strahlung um mehr als das Dreifache bei
Sonnenabständen jenseits der Uranusbahn. Gleichzeitig wur-
de festgestellt, daß die Strahlungsintensität selbst bei solch
großen Sonnenabständen immer noch von „Forbush-Zusam-
menbrüchen" gekennzeichnet ist, die dort draußen mit einer
charakteristischen Verzögerungszeit von zweieinhalb Mona-
ten entsprechenden Forbushereignissen an der Erde folgen.
Dieser Befund besagt eindeutig, daß der Sonnenwind die für
diese Intensitätseinbrüche verantwortlichen Sonnenwindstö-
rungen mit einer mittleren Geschwindigkeit von 550 Kilometer
je Sekunde bis über die Uranusbahn hinaustransportiert.
Zur Zeit besonders starker kosmischer Strahlung, wenn die
Sonne am wenigsten Flecken zeigt, ist die Strahlungsintensität
an der Erde rund dreimal höher als zur Tiefzeit der Strahlung

135
während des Sonnenfleckenmaximums in der Gegend der
Uranusbahn. Hieraus geht hervor, daß die wesentliche Beein-
flussung der kosmischen Strahlung, zumindest bei höchster
Sonnenfleckenaktivität, weit jenseits der Uranusbahn verur-
sacht wird, vielleicht beim 50- bis lOOfachen Erdabstand. Aus
dieser Erkenntnis schließen die Wissenschaftler, daß die kos-
mische Strahlung jenseits der Grenzen des Sonnensystems
sicherlich um den Faktor Zehn höhere Intensitäten als an der
Erde aufweist, daß jedoch bereits die Außenbereiche des
Sonnensystems, also auch die äußeren Planeten, vor dieser
starken Strahlung sehr wirkungsvoll geschützt sind.
Professor Dr. Hans-Jörg Fahr

136
GESCHICHTE, DIE
DIE FORSCHUNG
SCHREIBT

TECHNIK
UND BIOTECHNIK

______________________________

Von „fleißigen" Mikroben


und „nachwachsenden"
Super-Computern

137
Moderne Heinzelmännchen des Bergbaus könn-
ten manche düstere Aussicht auf die dahin-
schwindenden Rohstoffvorräte der Erde wieder aufhellen, weil
sie auch dort noch „fündig" werden, wo man bis heute nur
nutzlosen Abfall vermuten mußte:

Mikroben
heben Metallschätze
Aufsehen erregte der Anfang der siebziger Jahre erschiene-
ne Bericht des „Club of Rome" mit seiner Rechnung, daß die
damals bekannten Rohstoffvorräte der Erde für Aluminium
nur noch 31 Jahre, für Kupfer 21 Jahre, für Eisen 93 Jahre, für
Blei 21 Jahre, für Nickel 53 Jahre, für Silber 13 Jahre, für Zinn
15 Jahre, für Wolfram 28 Jahre und für Zink 18 Jahre reichen,
wenn man die in der Vergangenheit üblichen Verbrauchsstei-
gerungen zugrunde legt.
Auch wenn vieles dafür spricht, daß das Ende der Metall-
rohstoffvorräte der Welt heute noch keineswegs in Sicht oder
überhaupt errechenbar ist, ist dennoch in Zukunft mit gewis-
sen Engpässen bei der Rohstoffversorgung zu rechnen. Das
Problem ist dabei weniger ein grundsätzlicher Rohstoffman-
gel, weil es neben zahlreichen noch unentdeckten Lagerstätten
auch eine Vielzahl von solchen Vorkommen gibt, die wegen
ihres geringen Metallgehaltes bisher nicht als abbauwürdig
gelten, als vielmehr die wirtschaftliche Gewinnung der Roh-
Stoffe: Je ärmer beispielsweise die Erze in ihrem Metallgehalt
werden, desto wichtiger wird die Suche nach energiesparenden
Abbau- und Aufbereitungsverfahren. Dazu zählt auch der
Einsatz von Mikroorganismen zur Gewinnung metallischer
Rohstoffe. Diese modernen Heinzelmännchen des Bergbaus
könnten helfen, jene Metallschätze zu heben, deren normaler
Abbau aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich ist.
Entsprechende Verfahren werden vor allem in den USA,
Kanada, Australien und in der Sowjetunion bereits großtech-
nisch zur Gewinnung von Kupfer und Uran eingesetzt. Allein
in den USA wurden bereits in den siebziger Jahren jährlich
über 200 000 Tonnen Kupfer mit Hilfe mikrobieller Laugungs-
verfahren, dem sogenannten bakteriellen Leaching, gewon-
nen. Aber auch in der Bundesrepublik Deutschland, die mit
einem Anteil von etwa zehn Prozent am Verbrauch der
gesamten Weltbergbauproduktion drittgrößter Rohstoffver-

138
braucher der Welt ist, sollen sich Mikroben bei der Metallge-
winnung nützlich machen.
Die mögliche Eignung von uranhaltigen Erzen aus deut-
schen Lagerstätten für einen derartigen Abbau wird in kleinem
Maßstab bereits erprobt. Die entsprechenden technischen
Verfahren bei der mikrobiellen Nutzung von Armerzen gehen
auf Vorgänge bei der biologischen Verwitterung von Gestei-
nen und Erzen jeder Art zurück. In der Natur besiedeln
Bakterien, aber auch Pilze, alle offenliegenden Gesteinsflä-
chen, beispielsweise Erzhalden, die längere Zeit im Freien
lagern. Bestimmte Bakterien aus der Gruppe der Thiobakte-
rien beteiligen sich an der Verwitterungstätigkeit besonders
emsig. Eine Art, Thiobacillus thiooxidans, ist dabei in der
Lage, aus schwefelhaltigem Erz Schwefelsäure zu produzie-
ren, die wiederum das Uran oder ein anderes Metall aus dem
Erz laugt. Eine andere Art, Thiobacillus ferrooxidans, sorgt
dafür, daß zweiwertiges Eisen zu dreiwertigem oxidiert wird.
Das ebenso wie die Schwefelsäure bakteriell gelieferte drei-
wertige Eisen bewirkt schließlich den Oxidationsvorgang beim
Uran.
Bei der mikrobiellen Erzaufbereitung werden solche natür-
lichen Verwitterungsvorgänge nachgeahmt. Das mit normalen
bergmännischen Methoden abgebaute und durch Sprengung
so zubereitete Erz, daß die bakteriell erzeugte Lösung an das
in haarfeinen Rissen versteckt liegende Uran herankommt,
wird beispielsweise auf Halde gelagert, mit entsprechenden
Mikroben „infiziert" und ständig berieselt. Zu Beginn kann
man noch Chemikalien hinzugeben, um die Anfangsreaktion
zu beschleunigen. Dann wird die metallhaltige Sickerwasserlö-
sung im Dauerbetrieb umgepumpt, bis sie mit Uran so stark
angereichert ist, daß das begehrte Metall mit normalen Metho-
den extrahiert werden kann. Denkbar ist aber auch, direkt
unter Tage zu laugen. Dabei sprengt man von oben das Erz in
einen leergeräumten Stollen hinein und läßt dann die Lösung
durch das poröse Erz laufen.
Mikrobielle Laugungsverfahren würden unter Umständen
auch, nachdem der konventionelle Bergbau von Kupferschie-
fer in der Bundesrepublik Deutschland aus Rentabilitätsgrün-
den eingestellt worden ist, einen Rückgriff auf die rund zwölf
Millionen Tonnen Kupfer erlauben, die noch immer in den
deutschen Kupferschiefervorkommen stecken. Auch bei der
Gewinnung von Wertmetallen aus Haldenbeständen und In-
dustrierückständen, die mit konventionellen Verfahren häufig
unrentabel ist, könnten Mikroben wertvolle Dienste leisten.

139
Allein die Halden im Harz, die durch einen jahrhundertelan-
gen Bergbau entstanden sind, enthalten mehrere Millionen
Tonnen Material wie beispielsweise bis zu zehn Prozent Zink.
Durch die Entwicklung geeigneter mikrobieller Laugungsver-
fahren ließen sich aus diesen Halden wertvolle Rohstoffe
gewinnen. Auf diese Weise könnte auch eine mögliche Um-
weltbelastung durch die unkontrollierte Freisetzung von
Schwermetallen wie Blei, die durch natürlich vorkommende
bakterielle Laugung verursacht wird, vermieden oder verrin-
gert werden.
Karl-Heinz Preuß

140
Mikroorganismen sind heute die Zauberkünstler
der modernen Chemie und Biochemie. Ihr
Stoffwechsel löst oft die kompliziertesten Probleme des Auf-
und Abbaus organischer Substanzen. Wer sie braucht, kann in
Braunschweig ein paar Millionen bestellen. Dort liegen ganze

Mikrobenheere im Kälteschlaf
Die Deutsche Sammlung von Mikroorganismen (DSM) ist
seit Oktober 1981 eine Niederlegungsbehörde im Sinne des
Budapester Vertrages von 1977: Sie kann deshalb mit Wirkung
für die ganze Welt Bakterien und Pilze, die entweder paten-
tiert sind oder mit denen patentierte Verfahren durchgeführt
werden, in „Dauerverwahrung" nehmen.
Derartige Mikrobensammlungen gibt es schon seit Anfang
dieses Jahrhunderts. Als nach dem Zweiten Weltkrieg die
Biotechnologie, angeregt durch den Erfolg der mit Schimmel-
pilzen produzierten Antibiotika, in den Industrieländern der
ganzen Welt ihren Aufschwung nahm, wurde es immer wichti-
ger, die hilfreichen Mikroben auch für lange Zeit zu konservie-
ren: Ihre Erbsubstanz steht damit für zukünftige Züchtungen
zur Verfügung. Forscher oder Firmen, die irgendwelche mi-
krobiologischen oder biotechnologischen Probleme zu lösen
haben, können aus den Sammlungen die benötigten Stämme
beziehen - gegebenenfalls unter Lizenzzahlung.
Für diese Zwecke wurden in aller Welt sogenannte Service-
Sammlungen, zu denen auch die bis 1987 in Göttingen angesie-
delte DSM gehört, geschaffen, die weitergehende Aufgaben
haben als die kleinen zweckgebundenen Sammlungen einzel-
ner Institute oder Industrielaboratorien. Sie sind sozusagen
»Treuhänder der Öffentlichkeit" für Mikroben - außerdem
sind sie Hinterlegungsstelle für Patente, die eine Produktion
mit Mikroben vorsehen (etwa die Herstellung neuer Antibioti-
ka), und Hinterlegungsstelle für Mikroben, die selbst paten-
tiert sind. Wie sehr die „Flut der Mikroben" mit der stürmi-
schen Ausweitung der Mikrobiologie zugenommen hat, illu-
striert die Tatsache, daß in Braunschweig beispielsweise 1987
602 neue Mikroorganismen in die Sammlung aufgenommen
und 6294 Kulturen aus dem Bestand an die verschiedensten
Labors in Forschung und Industrie ausgeliefert worden sind.
Etwa zwei Fünftel der „hinterlegten" Mikroben sind Pilze und
Hefen, drei Fünftel Bakterien. Seit 1987 wurde die Samm-
lungstätigkeit zudem auf die Gebiete Plasmide, Pflanzenviren

141
und pflanzliche Zellkulturen ausgedehnt.
Nur ein ganz kleiner Teil der Billionen Mikroben (von den
meisten Formen hat man einige Milliarden Zellen in der
Sammlung vorrätig) wird lebend aufbewahrt und bedarf stän-
diger Fütterung (auf Nährböden) und Betreuung (durch Über-
impfen auf neue Nährböden im Rhythmus von Tagen, Wochen
oder Monaten). Das sind die Probleminsassen der DSM, für
die bisher noch keine geeignete Dauerkonservierung gefunden
wurde.
Im Normalfall existieren diese Zellen im Dauer-Kälteschlaf
für unbegrenzte Zeit weiter: Entweder werden sie bei 40 bis 50
Grad Celsius unter Null gefriergetrocknet (lyophiliert) und
können dann bei Temperaturen von acht Grad aufbewahrt
werden, oder sie werden in flüssigem Stickstoff bei 196 Grad
unter Null aufbewahrt. Ein ganz kleiner Teil, gewisse Pilze,
kann noch etwas einfacher in Glyzerin bei minus 20 Grad
Celsius konserviert werden.
Einige Hundert Stämme der „eingelagerten" Mikroorganis-
men sind für die Sicherung von patentierten Verfahren hinter-
legt worden; 1987 waren es zum Beispiel 176 neue. Denn diese
Verfahren müssen voll „nachzuarbeiten" sein, also jederzeit
wiederholt werden können. Und das ist nur möglich, wenn das
„Werkzeug" dazu jederzeit (mindestens für die Geltungsdauer
des Patents von 30 Jahren) gesichert gegen Umwelteinflüsse
und genetische Veränderung oder gegen Verfälschung zur
Verfügung steht.
Einer der „Stars" unter den deponierten Mikroben ist das
erste in der Bundesrepublik Deutschland selbst patentierte
Bakterium „Lactobacillus bavaricus". Es vergärt Zuckerstoffe
zu einem bestimmten Typ Milchsäure und wird zum Säuern
von Gemüse verwendet, etwa für saure Gurken oder die
Sauerkraut-Herstellung. Dafür benutzt man solche Lactoba-
zillen zwar schon immer. Doch den Mikrobiologen der Bad
Sodener Firma, die das Patent hat, gelang es, aus der Fülle der
sonst benutzten „wilden" oder „halbwilden" Stämme einen
Stamm zu isolieren, der die Milchsäureerzeugung noch unter-
halb von zehn Grad Celsius über Null optimal leistet. Das sind
Temperaturen, bei denen die normalerweise für die Säuerung
benutzten Mikrobenfloren andere Säureformen liefern, zum
Beispiel Milchsäure D, und nicht die von dem „Patentbakte-
rium" erzeugte Milchsäure L, die vom Körper besonders gut
verwertet wird.
Dieser patentierte „Lactobacillus bavaricus" ist allerdings
kein vom Menschen geschaffenes neues Lebewesen, sondern

142
eine bisher unbekannt gebliebene Form der Lactobazillen, die
isoliert und in Kultur genommen wurde. Trotz eines positiven
Entscheids des Bundespatentgerichts in diesem Fall sind sich
die Mikrobiologen nicht einig, ob man solche „Naturorganis-
men" weiterhin patentieren kann. In den USA wurde denn
auch vom Obersten Gerichtshof eine Entscheidung getroffen,
nach der nur Mikroorganismen patentiert werden dürfen, die
durch den Erfinder genetisch manipuliert und dadurch so weit
verändert wurden, daß sie nicht mehr als natürliche Organis-
men angesehen werden können.
Dr. Harald Steinen

143
Sechstausend Jahre lang war der Wind über den
Ozeanen die natürliche Antriebskraft für den
Seetransport, bis die Frachtsegler den Dampfschiffen unterla-
gen. Doch als Mitte der siebziger Jahre drastisch steigende
Energiepreise die Menschheit schockierten, wurde diese uner-
schöpfliche Energiequelle „wiederentdeckt":

Mit vollem Wind


über die sieben Meere
Mit den steigenden Ölpreisen begannen die Schiffahrts-
nationen der Welt wieder intensiv über den Windantrieb
nachzudenken: So entstanden auch immer wieder Vorschläge
für neue Windenergieschiffe. Sie reichen von Detailverbesse-
rungen an traditionellen Systemen bis zu sogenannten „Wind-
mühlenschiffen" mit modernen Windturbinen, die einen nor-
malen Schiffpropeller antreiben.
Eine der interessantesten Ideen stammt von dem 1976
verstorbenen Hamburger Ingenieur Wilhelm Prölss, der in fast
zwanzigjähriger Arbeit das Konzept eines neuzeitlichen Wind-
energieschiffes ausgearbeitet hat. Sein „Dynaschiff" ist eine
Weiterentwicklung des altbekannten Rahmen-Seglers, nutzt
aber konsequent die in den letzten Jahrzehnten erzielten
Fortschritte auf den Gebieten der Aerodynamik, Wetterkun-
de und Elektronik.
Auch spätere Berechnungen im Institut für Schiffbau der
Universität Hamburg bestätigten die Vorteile der „mittleren
Technik" des Dynaschiff s. Der Übergang zu extrem kompli-
zierten Techniken wie Seglern mit Windturbinen oder starren
Profilflügeln aus der Luftfahrttechnik bringt« dagegen nach
Ansicht von Dipl.-Ingenieur Peter Schenzle von der Hambur-
gischen Schiffbauversuchsanstalt, die bei diesen Untersuchun-
gen mit dem Institut für Schiffbau zusammengearbeitet hat,
nur noch geringe Vorteile, die überdies mit einem unverhält-
nismäßig hohen Aufwand erkauft werden müssen. Ein erster
Entwurf des Dynaschiffs ist bereits vor Jahren auf dem Reiß-
brett realisiert worden: ein Massengutfrachter von ungefähr
17000 Tonnen Nutzlast, 150 Meter Länge, 20 Meter Breite,
neun Meter Tiefgang und einer Segelfläche von 9600 Quadrat-
meter, die auf 30 Segel auf sechs drehbaren Masten verteilt
sind. Die Einzelsegel sind ohne Zwischenräume oder Spalten
so dicht aneinandergesetzt, daß dabei sechs durchgehende

144
Segelflächen entstehen. Dadurch und durch die Möglichkeit,
für jeden Mast den optimalen Anstellwinkel zum Wind zu
wählen, läßt sich der vom Wind erzeugte Schub gegenüber
konventionellen Segelschiffen mehr als verdoppeln.
Es gibt weder Taue für die Abstützung der Masten oder das
Anstellen der Segel noch anderes „störendes Geschirr". Ge-
wissermaßen auf Knopfdruck werden die im Mastinneren
aufgerollten Segel ausgefahren. Die Takelage, die eher an
moderne Flugzeugtragflächen erinnert, wird von der Brücke
aus vollautomatisch ferngesteuert, und da der Wind selbst ja
ebenfalls „automatisch" weht, kann gegenüber vergleichbaren
Motor- oder Turbinenschiffen Besatzung eingespart werden.
Bleibt der Wind trotzdem einmal aus, sorgen Hilfsaggregate
für eine Weiterfahrt mit angemessener Geschwindigkeit.
Im Hinblick auf die Geschwindigkeit können, wie die Ham-
burger Untersuchungen gezeigt haben, moderne windgetrie-
bene Schiffe durchaus mit konventionellen Antrieben konkur-
rieren, vorausgesetzt, die Motorschiffe gehen mit dem Öl
sparsam um. In den Jahren des billigen Ölangebots sind die
Schiffsgeschwindigkeiten drastisch gestiegen. Während typi-
sche Frachtschiffe 1950 etwa zehn bis dreizehn Knoten liefen
und ein großes „Dynaschiff" eine Durchschnittsgeschwindig-
keit von etwa 11,5 Knoten erreicht, fahren heute typische
Containerschiffe 20 bis 27 Knoten. Entsprechend hoch ist der
Anstieg des Energiebedarfs. „In einer Welt ohne Energiever-
schwendung", meint Schenzle deshalb, „werden Motorschiffe
auch nicht schneller fahren, als es mit Windenergie möglich
ist."
Karl-Heinz Preuß

145
Die Energiekrise der siebziger Jahre beflügelte
Techniker und Ingenieure auf vielen Gebieten.
U-Bootbauer entwickelten einen kühnen Plan, nach dem Erd-
gas Europa auf ganz ungewöhnlichem Wege erreicht. In „Rie-
senschachteln" von 500 Meter Länge und 140000 Kubikmeter
Fassungsvermögen, die von Alaska nach Norwegen, am Pol
vorbei, getaucht auf Kurs gehen sollen:

Super-U-Boote
für den Erdgastransport
Der Vorschlag, flüssiges Erdgas in riesigen Unterseebooten
unter der arktischen Eiskappe hindurch von Alaska nach
Europa zu transportieren, wirkt zwar utopisch. Nach dem
heutigen Stand der Technik wäre dies aber durchaus machbar:
Die Fahrt unter dem Eis des Nordpolarmeeres ist heute fast
schon Routine, und der Bau eines fast 500 Meter langen U--
Bootes würde auch nach Meinung deutscher Schiffbauer nicht
auf prinzipielle Schwierigkeiten stoßen.
Das trotz seiner Realisierbarkeit kühne Projekt wurde vom
amerikanischen Rüstungskonzern „General Dynamics" ent-
wickelt und mit deutschen Werften diskutiert. Auf diese
unkonventionelle Weise könnte Westeuropa, wenn die hollän-
dischen Erdgasquellen langsam versiegen, an die großen Erd-
gasvorkommen der Amerikaner „angeschlossen" werden, die
unter anderem über eine noch nicht erschlossene Lagerstätte
in der Prudhoe-Bay am Nordrand Alaskas verfügen, in der
knapp 750 Milliarden Kubikmeter Gas vermutet werden. Da
der Transport dieses Gases nach Europa aber auf herkömmli-
chem Weg, per Pipeline und Schiff, viel zu teuer wäre, hatte
man nach anderen Möglichkeiten gesucht und war auf den
Unter-Wasser-Transport gestoßen. Denn ein Unterseeboot
kann von der Prudhoe-Bay auf einer fast geraden Linie dicht
am Nordpol vorbei bis nach Norwegen fahren. Der Weg reduziert
sich so auf rund 5000 Kilometer, was in etwa der Entfernung
zwischen der Prudhoe-Bay und New York entspricht.
Die Unterwassertanker, deren Konzept bereits im Detail
entworfen wurde, könnten pro Fahrt 140000 Kubikmeter
verflüssigtes Erdgas transportieren - ebensoviel wie die größ-
ten Überwasser-Erdgastanker. Sie haben bei einer Länge von
fast 500 Meter die Gestalt einer gedrungenen Riesenschachtel
mit abgerundeten Ecken. Denn ihre Breite beträgt respekta-

146
ble 70 Meter, ihre Höhe 30 Meter.
Der Frachtraum der Unterwassertanker enthält drei neben-
einanderliegende Reihen zylindrischer Behälter. Die beiden
äußeren Reihen nehmen das Erdgas auf, in jeder liegen drei
mehr als 100 Meter lange Tanks mit einem Durchmesser von
knapp 20 Meter hintereinander. Die mittlere Behälterreihe ist
unter anderem zum Auffangen des verdampfenden Erdgases
bestimmt, denn das flüssige Gas, das eine Temperatur von
minus 163 Grad Celsius hat und während der Fahrt nicht
gekühlt werden kann, muß drucklos transportiert werden, so
daß trotz optimaler Isolation der Behälter ständig kleine
Mengen verdampfen.
Da der Frachtraum wasserdurchspült ist, sind die Behälter
druckfest ausgelegt. Doch sehr hoch wird die Druckbelastung
durch die Tauchtiefe nicht sein, denn das Eis des Nordpolar-
meeres ist nur einige Meter dick, und tief ins Wasser ragende
Eisberge sind mit modernen Sonargeräten leicht zu erkennen,
so daß man ihnen ausweichen kann. Die Antriebsleistung läßt
sich durch konventionelle Motoren erzeugen, doch auch ein
Nuklearantrieb ist denkbar. Er böte sogar nicht unerhebliche
Vorteile. Denn dann könnte der Tanker um rund 70 Meter
verkürzt werden und mit etwa 15 Knoten auch etwas schneller
laufen.
Würden 28 solcher Unterwassertanker gebaut, könnten
jährlich mehrere Millionen Kubikmeter Erdgas nach Europa
transportiert werden. Die Energieabhängigkeit Westeuropas
etwa von nahöstlichen und afrikanischen Krisengebieten ließe
sich auf diese Weise erheblich verringern.
Dietrich Zimmermann

147
Mit einem physikalischen Trick und Computer-
unterstützung ist es heute möglich, in der Radio-
astronomie Details tausendmal feiner zu „sehen" als mit den
modernsten optischen Teleskopen. Eine solche „Sehschärfe"
entspricht der eines Auges, das in 200 Kilometer Entfernung
eine Stecknadel ausmachen könnte. Sie wird erreicht, wenn man
Radioteleskope kontinentweit zusammenschaltet:

Die Argusaugen
der Radioastronomie
Im Prinzip ist ein Radioteleskop nichts anderes als eine
empfindliche Radioempfangsanlage. Der hauptsächliche Un-
terschied zum herkömmlichen Radio besteht aber darin, daß
man die Signale nicht anhört - mehr als ein Rauschen wäre
nicht zu erkennen -, sondern mit komplizierten Geräten
untersucht, woher sie kommen. Radioteleskope fallen vor
allem durch ihre Größe und Konstruktionsweise auf. Dabei
sieht man von außen eigentlich bloß einen parabolförmigen
„Tisch", die Antenne, und das Eisenwerk, auf dem sie ruht.
Die größte Anlage, bei der man die Antenne in alle Richtun-
gen drehen kann, steht in der Bundesrepublik Deutschland bei
Effelsberg in der Eifel und gehört zum Max-Planck-Institut für
Radioastronomie in Bonn. Auf ihrem Parabolspiegel von 100
Meter Durchmesser hätte ein Fußballfeld bequem Platz.
Größe und Aufwendigkeit einer solchen Anlage erklären
sich leicht aus der Tatsache, daß die Signale aus dem Weltraum
ungeheuer schwach sind. Sämtliche Signale, die seit ihrer
Entdeckung durch den amerikanischen Radioingenieur Carl
Guthe Jansky 1932 weltweit empfangen wurden, enthalten
zusammengenommen weniger Energie, als man braucht, um
diese Seite umzublättern. Die Signale müssen aber nicht nur
enorm verstärkt werden. Außerdem möchten die Astronomen
die Radioquellen im Weltraum möglichst genau orten. Beides,
Signalverstärkung und Richtwirkung, lassen sich mit der An-
tenne erreichen, wobei die Ergebnisse um so besser ausfallen,
je größer die Antenne ist. Mit dem Effelsberger Giganten ist
man wahrscheinlich an der Grenze des Machbaren angelangt,
sofern hier moderne Leichtbauweisen nicht doch noch für
Überraschungen sorgen sollten. Denn das Projekt eines eben-
falls vollbeweglichen I8O-Meter-„Tisches" in Sugar Cove,
West Virginia, USA, mußte 1962 fallengelassen werden, nach-

148
dem man herausgefunden hatte, daß das Teleskop sein eigenes
Gewicht nicht tragen könnte.
Allerdings braucht ein Radioteleskop nicht unbedingt eine
drehbare Antenne. Da sich die Erde bewegt, wird auch von
einer feststehenden Antenne mit der Zeit ein großer Teil des
Himmels überstrichen. Das größte dieser sogenannten Tran-
sitteleskope ist in eine Hügelkette in Puerto Rico eingebettet.
Sein Durchmesser beträgt 305 Meter, und der Brennpunkt
dieses Parabolspiegels befindet sich 130 Meter über seinem
Zentrum.
Die Resultate, die man mit solchen Ungetümen bisher
erhielt, sind eindrucksvoll. Trotzdem waren die Radioastrono-
men noch nicht zufrieden. Ihre neue Idee bestand darin,
verschiedene Anlagen elektronisch zusammenzuschalten. Ei-
ne solche „Mehrfachanlage" - man nennt sie Interferometer -
hat eine Auflösung, die derjenigen einer Einzelanlage vom
Durchmesser des Abstandes der beiden Antennen entspricht.
Die Interferometer haben aber auch einen Nachteil: Sie sehen
„vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr", das heißt, sie lösen
zwar die Details am Himmel genau auf, können dafür aber
größere Strukturen nicht erkennen.
Natürlich war auch dieser Zustand für die Astronomen
unhaltbar. Der englische Astronom Sir Martin Ryle fand dann
auch prompt einen Ausweg aus diesem Dilemma und erhielt
dafür 1974 den Nobelpreis für Physik: Er benutzte eine feste
Antenne und verband sie elektronisch mit einer zweiten, die
auf einem Eisenbahnwagen montiert war. Nach jeder Beob-
achtung einer Radioquelle wurde die zweite Antenne ein
wenig verschoben und die Quelle erneut beobachtet. Weil die
Emissionen sehr stabil sind, konnte Ryle jede einzelne wäh-
rend Wochen oder gar Monaten verfolgen und die Ergebnisse
hinterher auf dem Computer zu einem Gesamtbild zusammen-
setzen.
Ryle fand auch eine raffinierte Methode, die sogenannte
Supersynthese, mit der man dank der Erdrotation mit einem
Interferometer den Himmel in sämtlichen Richtungen „ab-
klopfen" kann, ohne daß die Parabolspiegel überhaupt bewegt
werden müssen. Die Hauptarbeit, das Zusammensetzen und
Auswerten der Daten, besorgte wiederum ein Computer. Eine
riesige Anlage, die auf diesem Prinzip beruht, wurde zum
Beispiel in Socorro im US-Bundesstaat New Mexico in Betrieb
genommen. Sie besteht aus 27 Antennen von je 25 Meter
Durchmesser, die y-förmig angeordnet sind und so einem
Riesenteleskop von 27 Kilometer Durchmesser entsprechen.

149
Man nutzt inzwischen solche Zusammenschaltungen von
Radioteleskopen in verschiedenen Ländern oder gar auf ver-
schiedenen Kontinenten. Die Aufzeichnungen der Signale auf
Magnetband erfolgen dabei an jedem Ort separat, doch wer-
den die Bänder in einem gemeinsamen Rechenzentrum in
einen Computer „eingelesen", der dann das Rieseninterfero-
meter gleichsam simuliert. Solche Interkontinentalprojekte
bringen neben der astronomischen Ausbeute auch den Erdwis-
senschaftlern wesentliche Ergebnisse, wie etwa den direkten
Beweis der Kontinentalverschiebung, da die Teleskope ja von
den tektonischen Platten der Erdkruste mitgetragen werden.
Theoretisch erlaubt dieses Verfahren Zentimetergenauig-
keit in der Basislänge und einige Tausendstel Bogensekunden
in der Richtung. Praktisch ist das zwar noch nicht erreicht,
doch wurden schon in den siebziger Jahren aus einer Interfero-
meter-Basislinie von etwa 6000 Kilometer Länge zwischen
Schweden und den USA Genauigkeiten von ± 4 Zentimeter
erreicht und haben Vergleiche solcher Messungen auf der 3900
Kilometer langen Linie zwischen der Ost- und der Westküste
der USA von 1976 bis 1980 die ersten plattentektonisch
verwertbaren Aussagen geliefert, nach denen sich die „nord-
amerikanische Platte" jährlich nur um weniger als zwei Zenti-
meter weiterbewegt. Klar wird deshalb auch, weshalb die
„Erdvermesser" der deutschen geodätischen Satelliten-Beob-
achtungsstation Wettzell im Bayerischen Wald seit 1983 nicht
nur Satelliten für die Erdvermessung, sondern auch ein Radio-
teleskop von 20 Meter Antennendurchmesser im weltweiten
Verband mit anderen einsetzen. So wurde zum Beispiel auch
die Basislinie zu einem anderen Teleskop in Onsala in Schwe-
den auf einen Zentimeter genau vermessen: Sie beträgt
919,661 Kilometer.
Felix Weber

150
Die Geschichte der Computer muß angesichts
rapider Fortschritte ständig neu geschrieben
werden. Was heute als Rekord gilt, kann morgen schon überholt
sein. Nicht selten hat der „Verlierer" dabei dem „Gewinner"
selbst den Weg geebnet:

Wie Computer
Junge" kriegen
So ist der seinerzeit, nämlich Anfang der achtziger Jahre,
wahrscheinlich schnellste Computer mit der Typenbezeich-
nung „CYBER 205" zu wesentlichen Teilen auf seinem Vor-
gängermodell 203 entwickelt worden. Auf der „alten" Maschi-
ne konnten die Ingenieure ihre Ideen von Grund auf testen
und verbessern, Fehler herausfinden und sogar die Leistung
des Supercomputers vorhersagen, bevor dieser überhaupt
gebaut wurde. Dabei wurden von Anfang an (1978) die
Methoden des rechnergestützten Entwurfs (CAD) und der
rechnergestützten Herstellung (CAM) eingesetzt: „Computer
Aided Design" zum Beispiel für die Überprüfung der Algo-
rithmen genannten Rechnungs-Durchführungsverfahren und
„Computer Aided Manufacturing" zum Beispiel für die Her-
stellung neuer integrierter elektrischer Schaltkreise der soge-
nannten Hardware. In Simulationen wurde getestet, wie die
neue Maschine, die erst auf dem Papier existierte, reagieren
wird, wenn man sie mit 90000 Ereignissen pro Sekunde
bombardiert. Da es bei einer solchen Reaktionsschnelligkeit
bereits darauf ankommt, wieviel Millimeter die von licht-
schnellen elektrischen Impulsen durchströmten Verbindungs-
drähte innerhalb der Maschine überhaupt lang sein dürfen,
mußten die Platten mit den Computerbausteinen entspre-
chend optimiert werden, was wiederum eine typische Aufgabe
des CAD war. 15 bis 20 Entwicklungsingenieure konnten
dabei unabhängig voneinander mit dem Typ 203 arbeiten, der
während eines 24stündigen Arbeitstages zu 60 bis 80 Prozent
ausgelastet war.
Das Resultat dieser Mammutarbeit, die ohne maschinelle
Hilfe wohl nie fertig geworden wäre, ließ sich denn auch sehen:
Der „CYBER 205" erwies sich nicht nur als mindestens
achtmal so schnell wie frühere Erzeugnisse aus derselben
„Küche", von denen auch mehrere Exemplare in den Rechen-
zentren deutscher Universitäten und sonstiger Forschungsein-

151
richtungen stehen. Er übertraf damals auch jeden beliebigen
vergleichbaren Großcomputer um mindestens das Dreifache
an Geschwindigkeit.
Was das in absoluten Zahlen bedeutet, kann man sich kaum
mehr vorstellen: So konnte das Superding pro Sekunde bereits
bis zu 50 Millionen Rechenoptionen bewältigen. Zum Ver-
gleich: Die Maschine Z 4 des deutschen Computerpioniers
Professor Konrad Zuse, 1943 einer der ersten programmierba-
ren Rechner überhaupt, hätte dafür glatte fünfeinhalb Jahre
gebraucht!
Trotz derartiger atemberaubender Zahlen und der sich
zumindest dem Laien aufdrängenden Frage, was das soll, sind
solche Entwicklungen alles andere als nur die „Spielereien
wildgewordener Firmen". Denn mit Maschinen von dieser
Leistungsfähigkeit kann man nun auch Probleme angehen, die
früher schlichtweg „hoffnungslos" erscheinen mußten. Vor
allem dort, wo es um Analysen oder Modellierungen von
Vorgängen im abstrakten „Raum" kompliziertester Wechsel-
wirkungen einer Vielzahl sich gegenseitig beeinflussender
Faktoren oder Meßgrößen geht, sind die neuen Maschinen in
ihrem eigentlichen „Element". So etwa bei geologischen Stu-
dien oder auch in der Reaktortechnik, wo sie die Analyse- und
Kontrollfunktionen des gesamten Reaktorkerns übernehmen
können. Auch in der Wetter- und Klimavorhersage können sie
hervorragend eingesetzt werden. Und natürlich auch bei der
Entwicklung der nächsten Generation von Supercomputern:
Auch der „205" wurde unverzüglich wieder für die Entwick-
lung eines noch viel mehr leistenden Nachfolgers eingesetzt,
wie das für die „Evolutionsreihen" der Rechner eben überall
üblich ist...
Felix Weber

152
GESCHICHTE, DIE
DIE FORSCHUNG
SCHREIBT

ENERGIE

_____________________________

Wasserstoffproduzierende Algen
und Kraftwerke auf heißem Fels

153
Nur wenn die in wasserundurchlässigen Gesteinen
im tiefen Untergrund enthaltene Wärme in großem
Umfang nutzbar gemacht werden kann, wird auch in Deutsch-
land Erdwärme in wirtschaftlich interessanten Mengen und mit
für die Stromerzeugung ausreichend hohen Temperaturen ge-
wonnen werden können. Gebraucht werden

Kraftwerke auf heißem Fels


Die natürlichen Voraussetzungen für eine Nutzung geother-
mischer Energie in der Bundesrepublik Deutschland sind nicht
allzu günstig, wenn man sie mit denen der klassischen Erdwär-
mefelder „The Geysers" in den Rocky Mountains (USA) oder
der vulkanischen Heißdampfquellen in Lardarello in Oberita-
lien vergleicht. Denn in der Bundesrepublik gibt es fast überall
nur den ganz normalen Erdwärmestrom, der, hervorgerufen
vor allem durch den Zerfall natürlicher radioaktiver Elemente
in der Erdkruste und wahrscheinlich verstärkt durch Ausküh-
lungsvorgänge im Erdmantel, die Temperatur je 100 Meter
Tiefe um jeweils etwa drei Grad Celsius zunehmen läßt.
Nur in wenigen Gebieten mit sogenannten geothermischen
Anomalien nimmt die Temperatur wesentlich stärker zu. Im
Oberrheingraben, beispielsweise im Bereich des Erdölfeldes
Landau, beträgt die Temperatur in 1000 Meter Tiefe fast 100
Grad. Diese Temperatur würde zwar noch nicht für die
Stromerzeugung, aber immerhin für Heizzwecke ausreichen.
Doch schon in 2000 Meter Tiefe - mit zunehmender Tiefe
flacht der Temperaturanstieg etwas ab - rechnet man mit 150
Grad, in 3000 Meter Tiefe mit über 200 Grad Celsius.
Ursache für die verstärkte Aufheizung des Oberrheingra-
bens, der zu den größten Grabenbrüchen (rifts) der Welt zählt,
ist seine verhältnismäßig junge Tektonik. In den letzten Dut-
zend Millionen Jahren gab es dort starke Bewegungen in der
Erdkruste, und wahrscheinlich laufen hier - an der Grenze
zwischen Erdkruste und Erdmantel - noch immer Vorgänge
ab, die zu einem Material- und Wärmetransport aus der Tiefe
führen. Dabei kommt unter günstigen geologischen Bedingun-
gen auch Grundwasser mit dem erwärmten Gestein in Berüh-
rung und wird entsprechend aufgeheizt. Deshalb gab und gibt
es für dieses Gebiet Pläne, diese heißen Wasser zu fördern und
für die Raumheizung zu nutzen. Allerdings sind solche Vor-
kommen verhältnismäßig selten, so daß sie keinen nennens-
werten und in jedem Fall einen nur lokalen Beitrag zur

154
Deckung des Energiebedarfs der Bundesrepublik Deutsch-
land leisten dürften.
Völlig anders verhielte es sich dagegen mit einer Nutzung
der im heißen Tiefengestein gespeicherten „trockenen" Wär-
me. Trockene, aber heiße Gesteine sind praktisch überall im
Untergrund vorhanden. Man braucht nur entsprechend tief zu
bohren, um auf geeignete Temperaturen zu stoßen. In der
Bundesrepublik Deutschland ist das freilich erst in drei bis
sechs Kilometer Tiefe der Fall, so daß auch hier - allein schon
aus Kostengründen - vor allem Gebiete mit verstärkter Auf-
heizung in Frage kommen, in denen die erforderlichen Tempe-
raturen möglichst früh erreicht werden. Die Gewinnung dieser
Wärme würde auch in Deutschland eine Erdwärmenutzung in
großem Stil erlauben.
Die wirtschaftliche Entnahme von Wärme aus trockenen,
heißen Gesteinen ist deshalb ein Ziel, das auch deutsche
Forscher intensiv verfolgen. Erforderlich bei dieser Hot-Dry-
Rock-Technologie, die von Wissenschaftlern am Scientific
Laboratory der Universität von Kalifornien in Los Alamos
entwickelt wurde, ist die künstliche Erzeugung weit ausge-
dehnter Kluftsysteme in mehreren tausend Meter Tiefe, in
denen eingepreßtes Wasser zur Zirkulation gebracht werden
soll. Dabei erhitzt sich das Wasser und wird anschließend
wieder gefördert. Dieses überhitzte Wasser oder der sich
bildende Dampf lassen sich in über dem Rißsystem installier-
ten Kraftwerken zur Stromerzeugung nutzen, wenn es gelingt,
im Untergrund einen wirtschaftlichen Kreislauf mit den er-
wünschten hohen Temperaturen zu erzielen.
In Los Alamos, wo es mit Hilfe der Technik des hydrauli-
schen Brechens, bei der an einer bestimmten Stelle des
Bohrlochs so hoher Druck auf das umgebende Gestein ausge-
übt wird, daß es sich schließlich öffnet, gelungen ist, einen
senkrecht stehenden Riß in 3000 Meter Tiefe im trockenhei-
ßen Granit zu erzeugen und diesen mit einer zweiten Bohrung
zu treffen, so daß ein Zirkulationssystem in Gang gesetzt
werden konnte, wird ein solcher „Abbau" von gespeicherter
Wärme unter Beteiligung deutscher Wissenschaftler bereits
experimentell vorgenommen.
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es zwei Experimen-
tierfelder für die Hot-Dry-Rock-Technologie. So wurde bei-
spielsweise in Nordost-Bayern in den kristallinen Gesteinen
des Falkenberger Granitmassivs mit diesem Verfahren experi-
mentiert - aus Kostengründen in allerdings wesentlich geringe-
ren Tiefen, als dies bei einer kommerziellen Nutzung notwen-

155
dig wäre. Bei diesem vom Bundesministerium für Forschung
und Technologie (BMFT) und der Kommission der Europäi-
schen Gemeinschaft geförderten Projekt, bei dem Wissen-
schaftler der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Roh-
stoffe, Hannover, und des Niedersächsischen Landesamtes für
Bodenforschung mit Wissenschaftlern der Geophysikalischen
Institute der Universitäten Bochum, Braunschweig, München
und Clausthal zusammenarbeiteten, hat man umfangreiche
gesteinsphysikalische, hydraulische, thermische und geophysi-
kalische Untersuchungen durchgeführt. Unter anderem wur-
den bis in 300 Meter Tiefe drei Bohrlöcher für seismische
Beobachtungen und eine Hauptbohrung, von der aus künstli-
che Rißsysteme erzeugt werden können, niedergebracht. Im
Bereich dieser Bohrungen analysierten die Wissenschaftler
das natürliche Kluftsystem und bestimmten das natürliche
Spannungsfeld, die Porosität und Durchlässigkeit der Gestei-
ne im natürlichen Zustand und das natürliche Temperaturfeld.
Durch Einpressen von Wasser unter hohem Druck erzeugte
man außerdem in verschiedenen Tiefen Risse im Gestein. Die
beim Aufbrechen des Gesteins und bei der Rißausbreitung
entstehenden akustischen Signale wurden mit Hilfe von Seis-
mometern registriert und dienten so zur Identifizierung der
Ausbreitungsfläche des Rißsystems. Damit gelang es zum
ersten Mal, einen Riß auch geophysikalisch zu orten, der dann
durch weitere Bohrungen „angeschnitten" wurde. Die Beob-
achtung der Zirkulationsvorgänge zwischen der Hauptboh-
rung und den Schnittbohrungen wiederum brachte wichtige
Aufschlüsse über den Verlauf des Wärmezustroms in den Riß
sowie über Fließwiderstände und Flüssigkeitsverluste inner-
halb des Zirkulationssystems.
All diese Beobachtungen sind deshalb so wichtig, weil in der
Praxis im Untergrund eine mehrere Quadratkilometer große
Wärmeaustauschfläche möglichst gleichmäßig überströmt
werden muß, wenn das Verfahren wirtschaftlich sein soll. Die
im Falkenberger Granitmassiv im flachen und verhältnismäßig
kühlen Bereich des Untergrundes experimentell gewonnenen
Daten müssen, um wirklich aussagekräftig zu sein, natürlich
erst in umfangreichen theoretischen Modellen auf größere
Tiefen mit höheren Gesteinstemperaturen übertragen wer-
den. So reicht selbstverständlich auch der bei diesen Versu-
chen erzielte Wärmegewinn, als beispielsweise neun Grad
Celsius warmes Wasser in einen dreizehn Grad warmen Fels-
spalt gepreßt und mit einer Temperatur von zehneinhalb Grad
Celsius wieder gefördert wurde, für eine ernsthafte Erdwär-

156
menutzung nicht aus, beweist aber dennoch, daß das Verfah-
ren im Prinzip funktioniert.
Versuche zur Hot-Dry-Rock-Technologie gab es auch bei
Urach am Rande der Schwäbischen Alb. Dort wurde - aller-
dings bereits in erheblich größerer Tiefe - ebenfalls versucht,
durch hydraulisches Brechen der Gesteine ein unterirdisches
Zirkulationssystem zu schaffen. Als Experimentierfeld stand
eine 3333 Meter tiefe Forschungsbohrung zur Verfügung. Hier
gelang es sogar, mit verhältnismäßig geringem Druck einen
künstlichen Spalt zu erzeugen, weil frühere, allerdings wieder
verheilte Störungen im angebohrten Gesteinskomplex das
hydraulische Brechen erleichterten.
Sollte sich die Hot-Dry-Rock-Technologie nicht nur als
technisch durchführbar, sondern auch als wirtschaftlich erwei-
sen, könnte die Wärmeentnahme aus heißem Trockengestein
nach Ansicht der Kommission der Europäischen Gemein-
schaft etwa 20 Prozent der gesamten Energieversorgung der
Europäischen Gemeinschaft bestreiten. Im unterirdisch hei-
ßen Oberrheingraben beispielsweise, in dem in Zusammenar-
beit mit Frankreich bei Soultz en Foret im Elsaß ebenfalls
experimentelle Versuche mit dieser Technik durchgeführt
werden, ließe sich vermutlich sogar eine ganze Reihe von
1000-Megawatt-Kraftwerken installieren. Ein einzelnes Riß-
system würde dabei voraussichtlich mindestens 20 bis 25 Jahre
Heißdampf-Energie für die Turbinen eines Elektrizitäts-
werkes liefern, ehe das Gestein ausgekühlt ist. Insgesamt
würde die hier in technisch erreichbarer Tiefe gespeicherte
Wärme jedoch einige Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtau-
sende, reichen.
Karl-Heinz Preuß

157
Auf ganz ungewöhnliche Weise zapfen deutsche
Forscher Strom aus Sonnenenergie: Sie kombi-
nierten althergebrachte Technik zu einem revolutionären Kraft-
werkstyp aus Gewächshaus, Kamin und Windturbine:

Sonnenkraftwerk im Aufwind
Im Ungewöhnlichen dieser Kombination liegt zugleich ihre
große Chance. Während beispielsweise für konkurrierende
Konzepte wie Solartürme und Solarfarmen von der Spiegel-
technik über die Wärmeaustauscher bis zum komplizierten
Sonnennachführsystem erst Technologien entwickelt oder
weiterentwickelt werden müssen, kann man hier auf wenige
einfache und grundsätzlich bekannte Lösungen zurückgreifen,
so daß einer unmittelbaren, großtechnischen Nutzung prinzi-
piell nichts im Wege steht.
Der Rückgriff auf alte, bewährte Techniken ermöglichte auch
die kurzfristige Verwirklichung eines ersten Prototyps, mit
dessen vom Bundesministerium für Forschung und Technologie
(BMFT) geförderten Bau unter Betreuung durch die Kernfor-
schungsanlage Jülich bereits 1980 in Manzanares, halbwegs
zwischen Madrid und Granada, begonnen wurde, der im Früh-
jahr 1982 seine ersten erfolgversprechenden Probeläufe hinter
sich brachte und seit 1987 in Dauerbetrieb ist. Dabei konnten
allein 1987 bei einer Leistung von 40 Kilowatt mehr als 44 000
Kilowattstunden elektrische Energie erzeugt werden, was dem
Jahresverbrauch von zwölf deutschen Haushalten entspricht.
Zentrum einer solchen Anlage, deren Konzept in einem
Stuttgarter Ingenieurbüro entworfen wurde, ist ein großer
Kaminturm, der an seinem Fuß warme, also leichte Luft
ansaugt und dadurch einen starken Aufwind erzeugt. Erwärmt
wird die Luft nach dem Treibhausprinzip in einer großen, rund
um den Turm angeordneten Sonnenkollektorflache, die ledig-
lich aus einem einfachen, durchsichtigen Foliendach und dem
darunter liegenden natürlichen, aber schwarz gefärbten Boden
besteht. Der starke Aufwind treibt eine oder mehrere im Turm
installierte Windturbinen an, die wiederum über Generatoren
Strom erzeugen.
Durch die Ausnutzung der natürlichen Speicherfähigkeit
des Bodens, insbesondere bei Sandböden, kann die tageszeitli-
che Schwankung der natürlichen Sonnenstrahlung weitgehend
ausgeglichen und das System sogar nachts, wenn auch mit stark
verminderter Leistung, genutzt werden. Durch Verstellen

158
oder Drosseln der Turbineneintrittsleitschaufeln läßt sich
überdies das je nach Tageszeit ohne aktive Regelung sehr
unterschiedliche Leistungsangebot dieses atmosphärischen
Aufwindkraftwerkes zusätzlich beeinflussen. Darüber hinaus
kann man die Außenbereiche des Kollektorvordaches als
Gewächshaus nutzen.
Allerdings ist der Wirkungsgrad der Anlage sehr niedrig.
Bei der Anlage in Manzanares mit einer Turmhöhe von 200
Meter, einem Durchmesser der Kollektorfläche von 250 Me-
ter, was in etwa 44000 Quadratmeter Fläche entspricht, und
einer installierten elektrischen Leistung von 100 Kilowatt liegt
er mit etwa 0,75 Prozent im Bereich des photosynthetischen
Wirkungsgrades bei Landpflanzen, die aus der gesamten ein-
gestrahlten Sonnenenergie nur etwa 0,3 bis 1,3 Prozent für den
Aufbau von Biomasse nutzen können.
Dieser Wirkungsgrad erhöht sich jedoch mit zunehmender
Größe der Gesamtanlage, wobei er in erster Linie über die
Kaminhöhe bestimmt wird. Bei einer Turmhöhe von rund 450
Meter ist eine Leistung um etwa drei Megawatt zu erwarten,
bei noch größeren Höhen scheint ein Wirkungsgrad um die
zwei Prozent möglich.
Das ist zwar noch immer bedeutend weniger als bei „her-
kömmlichen" Sonnenkraftwerkskonzepten. Geht man bei-
spielsweise bei einer Solarturmanlage von einem Wirkungs-
grad von zehn Prozent aus, würde das für ein Aufwindkraft-
werk gleicher Leistung theoretisch einen fünfmal größeren
Flächenbedarf bedeuten. Da sich jedoch der angenommene
Wirkungsgrad von zehn Prozent beim Solarturmkonzept auf
die zur Verfügung stehende wirksame Spiegelfläche bezieht,
man also die Verschattung der Spiegel und damit die notwen-
digen Abstände der Spiegel voneinander bei der Berechnung
des Landbedarfs berücksichtigen muß, dürften sich,die auf die
Gesamtfläche bezogenen Wirkungsgrade einander noch mehr
annähern.
Dennoch kann man davon ausgehen, daß der benötigte
Flächenbedarf beim Aufwindkraftwerk wesentlich größer sein
wird als bei einem vergleichbaren Solarturmkraftwerk, was
mögliche Standorte von vornherein auf dünnbesiedelte Land-
striche, zum Beispiel auf Randgebiete großer Wüsten, be-
schränken dürfte. Auf der anderen Seite ist der Aufwand an
Technik und Material drastisch niedriger als bei den anderen
Sonnenkraftwerkskonzepten, da man beim solaren Aufwind-
kraftwerk als Kollektor lediglich den Erdboden und eine
einfache Folienüberdeckung benötigt. Inwieweit sich diese

159
unterschiedlichen Bedingungen gegenseitig aufheben oder
dem einen beziehungsweise anderen Kraftwerkstyp einen
Vorteil verschaffen, läßt sich indessen noch nicht übersehen.
Diese Frage hängt, da Wirkungsgrad und Kaminhöhe eng
miteinander verbunden sind, nicht zuletzt davon ab, wie hoch
die Kamine in wirtschaftlicher Weise gebaut werden können.
Bei einer installierten Leistung von 500 Megawatt, was etwa
der Leistung eines herkömmlichen Kohlekraftwerks entsprä-
ehe, würden die Turmhöhe bereits 1000 Meter und der Durch-
messer für die Kollektorfläche rund zehn Kilometer betragen.
In jedem Fall wäre, da der Wirkungsgrad mit abnehmender
Größe wieder sinkt, dieses Konzept nur für die großtechnische
Energieerzeugung geeignet.
Man rechnet damit, daß sich in Gebieten mit intensiver
Sonneneinstrahlung aber ganz erhebliche elektrische Leistun-
gen zu Kosten erzeugen lassen, die überall dort vertretbar
sind, wo es zwar Sonne in Überfluß, doch sonst keine anderen
Energierohstoffe billig gibt.
Karl-Heinz Preuß

160
Während Growian I mit seinen 100 Meter Rotor-
durchmesser als Weltrekordprojekt deutscher
Windenergienutzung auch aufzeigte, wie groß die Probleme mit
solchen Großanlagen noch sind, dachte man schon an einen
noch gewaltigeren Nachfolger. Mit nur einem einzigen Rotor-
blatt sollte er gleich fünf Millionen Watt aus der bewegten Luft
„greifen". Da wäre selbst Don Quichotte nicht die geringste
Chance geblieben:

Ein einarmiger Riese


greift nach Windenergie
Als Ende der siebziger Jahre die in der Energiekrise auch für
die großtechnische Erzeugung von Windenergie aufgeflammte
Begeisterung besonders groß war, hat man sich bei Messer-
schmitt-Bölkow-Blohm (MBB) im Auftrag des Bundesfor-
schungsministers mit diesem fast schon sagenhaft anmutenden
einarmigen Riesen befaßt, dessen Rotor nach den hochfliegenden
Plänen den Jahresenergiebedarf und die Heizung von 420 Ein-
familienhäusern aus dem Wind holen sollte. Dies hätte der allei-
nigen Stromversorgung von 6500 Haushalten oder der Einspa-
rung von jährlich 6000 Tonnen Kraftwerks-Heizöl entsprochen.
Diese hohe Leistungsauslegung ist aber nicht das einzig
Bemerkenswerte an diesem Konzept. Ungewöhnlich war da-
mals auch sein buchstäblich halbierter „Windpropeller". Gro-
wian II hatte nur einen einzigen Rotorflügel und ein Gegenge-
wicht, das den zweiten ersetzt. Dieses Projekt eines „einarmi-
gen" Giganten sprengte alle Maßstäbe im Bau von Windener-
gieanlagen. In der Kreisfläche, die von dem über 70 Meter
langen Blatt überstrichen wird, hätten zwei große Fußballfel-
der Platz. Der höchste Punkt des Drehkreises liegt fast 200
Meter über dem Fußpunkt - der rotierende Growian II würde
also den höchsten Kirchturm Deutschlands, den des Ulmer
Münsters mit seinen 162 Metern, weit übertragen. Und unter
dem tiefsten Punkt des Drehkreises, 50 Meter über dem
Erdboden, hätte noch ein Hochhaus Platz.
Die auf einem durch Seile abgespannten Rohrturm montier-
te Naben-Gondel befindet sich in etwa 120 Meter Höhe. Auch
hierzu ist Rekordwürdiges zu berichten. Denn dieses, den
5-Megawatt-Generator beherbergende Maschinenhaus in
Kirchturmspitzenhöhe hat mit einer Länge von etwa 20 Meter
und einem größten Durchmesser von rund acht Meter die

161
Dimension eines komfortablen Einfamilienhauses - mit einem
Gewicht von etwa 300 Tonnen.
Growian II war so ausgelegt, daß das Blatt bei einer
Windgeschwindigkeit von 6,6 Meter pro Sekunde in Nabenhö-
he zu rotieren beginnt, das entspricht etwa der Windstärke 4,
einer mäßigen Brise. Seine Leistung steigt dann an, bis sie bei
gut elf Meter pro Sekunde Windgeschwindigkeit, einem soge-
nannten starken Wind, ihren Nennwert erreicht. Durch Ver-
stellen des Anstellwinkels des Blattes wird die Drehzahl bei
etwa 17 Umdrehungen pro Minute gehalten. Ganze dreiein-
halb Sekunden braucht das Riesenblatt also für eine Umdre-
hung, die äußere Blattspitze erreicht dann eine Geschwindig-
keit von 450 Kilometer pro Stunde. Irgendwann nähert man
sich dann natürlich der Grenze der Belastbarkeit von Blatt und
Nabe. Deshalb wird bei einer Windgeschwindigkeit von 20
Meter pro Sekunde, bei beginnendem Sturm, das Blatt auf
Segelstellung gestellt, die Anlage also abgeschaltet.
Growian II war von seinen Planern so ausgelegt worden, daß
er auch den höchsten bisher gemessenen oder geschätzten
Windgeschwindigkeiten, knapp 60 Meter pro Sekunde, hätte
widerstehen können. Doch es war nicht so sehr ein solcher
„Jahrhundertorkan", der den Konstrukteuren damals Sorge
bereitete, sondern die Belastung des rotierenden Blattes durch
plötzliche Böen oder durch das noch schlimmere Ereignis
eines plötzlich aussetzenden Windes, eine „negative Böe".
Den Flügel wollte man deshalb aus Gewichtsgründen im
wesentlichen aus faserverstärktem Kunststoff herstellen, ein
Verfahren, das heute auch bei modernen Großanlagen ange-
wandt wird. Das Rotorsystem - Blatt, Gegengewicht, Nabe
und Blattsteuerung - hätte jedoch auch in diesem Fall immer
noch 100 Tonnen gewogen. Ein faserverstärktes Bauteil auch
nur annähernder Größe war bis dahin noch nicht gebaut
worden. Obwohl Messerschmitt-Bölkow-Blohm durch den
Bau von Hubschrauberrotoren aus faserverstärkten Kunst-
stoffen über ein enormes Know-how in dieser Technik verfüg-
te, hätte die Herstellung eines solchen „Flügels" sicherlich
einiges Kopfzerbrechen bereitet.
Fragen der Blattherstellung hatten übrigens auch bei der
Entscheidung für das Ein-Blatt-Konzept eine wesentliche Rol-
le gespielt. So hoffte man damit, verglichen mit einem Zwei-
blatt-Rotor, alle Symmetrieprobleme lösen zu können, was die
Fertigung enorm erleichtert hätte. Durch den relativ großen
Querschnitt des am Fußpunkt sieben Meter breiten Blattes
hätten sich zudem alle Steifigkeits- und Festigkeitsforderun-

162
gen leichter erfüllen lassen.
So ist jedenfalls zumindest planerisch ein Weg zu noch
gigantischeren Anlagen der Windenergienutzung vorgezeich-
net worden, als sie mit Growian I und seinen Nachfolgern
bereits verwirklicht wurden.
Dietrich Zimmermann

163
Nicht nur Kleinvieh macht sprichwörtlich „auch
Mist". Mit Mist kann man auch einiges machen.
Das bewies ein erfinderischer Landwirt auf seine Weise durch
die Entwicklung eines bemerkenswerten Energienutzungssy-
stems, für das seine Schweine den natürlichen „Rohstoff"
liefern:

Warmes Wasser
aus dem Mist-Kollektor
Was ein Sonnenkollektor ist, weiß inzwischen wohl jeder,
der ein „offenes Ohr" für alternative Energiequellen hat. Der
Mistkollektor hingegen ist sicherlich viel weniger bekannt,
auch wenn das ihm zugrunde liegende Prinzip mittlerweile in
einer Reihe von bewährten Verfahren der rationellen Energie-
verwendung genutzt wird. Sein Erfinder und Erbauer ist
Heinz Koch aus Heisebeck in Hessen. Er entwickelte diese
ungewöhnliche Anlage, mit der die in einem Misthaufen
entstehende Wärme zurückgewonnen und zum Aufheizen von
Wasser oder Wohnraum nutzbar gemacht werden kann.
Mit der Mistwärme von fünfzig Schweinen heizt der erfinde-
rische Landwirt im Winter - bei Außentemperaturen von
minus 15 Grad Celsius - seinen 20 Quadratmeter großen
Wohnraum auf 21 Grad Celsius. Im Sommer liefert ihm das
System 1200 Liter warmes Wasser mit einer Temperatur von
45 Grad Celsius.
Die steigenden Ölpreise veranlaßten Koch, sich Gedanken
darüber zu machen, ob er sich nicht mit Hilfe seiner Landwirt-
schaft billigere Energiequellen erschließen könnte. Dabei war
er schließlich auf die Idee mit dem Mist gekommen. Er hat sich
nämlich daran erinnert, daß er schon als Kind beim Stehen auf
dem Miststapel immer so warme Füße bekommen hat, „daß
die Socken dampften".
Bei der Lagerung von Festmist wird durch bakterielle
Umsetzung in der Tat erhebliche Wärme produziert. Die
durchschnittlich erreichte Temperatur beträgt dabei etwa 45
Grad Celsius. Diese Energie wurde bislang ungenutzt an die
Außenluft abgegeben.
Der Mistkollektor besteht aus einem Holzrahmen mit einer
Wärmedämmschicht, der auf dem dampfenden Stapel auf-
liegt. Durch diese Isolierung steigt die Misttemperatur auf 75
bis 80 Grad Celsius. Auf der dem Mist zugewandten Seite sind

164
Kunststoffröhre angebracht, in denen Wasser zirkuliert. Die
aufsteigende Mistwärme erhitzt das Wasser, das dann direkt in
das Heizsystem geschickt werden kann. Eine andere Möglich-
keit besteht darin, mit dem Wasser mit Hilfe einer Umwälz-
pumpe und eines Wärmetauschers das Brauchwasser zu erwär-
men.
Alle sieben bis zehn Tage wird eine neue Schicht Frischmist
- etwa 30 Zentimeter hoch - aufgeladen. Dazu kippt Koch den
Kollektor mit einer einfachen Handwinde seitwärts auf etwa
90 Grad, so daß der Frischmist mühelos mit dem Frontlader
aufgesetzt werden kann.
Der hessische Landwirt hat sich die Anlage nach langjähri-
ger Versuchsarbeit selbst erbaut. Dabei hat er natürlich auch
einiges an Lehrgeld zahlen müssen. Denn: Nicht jedes Mate-
rial läßt sich verwenden. Der Kunststoff für die Rohre zum
Beispiel muß sich mit dem aggressiven Mist vertragen und darf
auch nicht durchlässig sein für die bei den bakteriellen Vorgän-
gen entstehenden Ammoniakgase. Die Materialkosten der
fertigen Anlage betrugen etwa 125 DM pro Quadratmeter,
eine preiswerte Angelegenheit, wenn man bedenkt, daß fast
keine Betriebskosten anfallen.
Petra Niesbach

165
Unversehens ist aus der volkstümlich Babassu
genannten Kokosnuß Orbignya speciosa Brasi-
liens „Wundernuß" geworden, die das Land vom Baum herab
von seinen Ölsorgen entlasten könnte. Ihr Inhaltsstoff Stärke
läßt sich in Alkohol umwandeln, der für Motoren ein brauchba-
rer Treibstoff ist:

Nüsse in den Tank gepackt


Die Babassunuß wächst in Südamerika, vor allem im Nor-
den Brasiliens. Nach vorsichtigen Schätzungen nehmen die
Bestände allein in Brasilien eine Fläche ein, die etwa halb so
groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland. Ein schlanker
Stamm mit bis zu zwanzig Meter Höhe trägt einen Schöpf
aufwärtsragender Fiederblätter, die bis zu sieben Meter lang
werden können. Die Fruchtstände bestehen aus einigen Hun-
dert kinderhandgroßen Nüssen. Außen sind diese Nüsse hell-
braun und glänzend, innen haben sie zunächst eine faserige
Haut, gefolgt von dem bis zu einem Zentimeter dicken stär-
kehaltigen Fruchtfleisch, und, in der Mitte sitzend, in einer
harten Schale, vier bis sechs paranußähnliche Samen.
Wie man sie in Treibstoff „umwandeln" kann, hat Professor
Walter Darge von der Fachhochschule Aachen untersucht.
Demnach besteht ein Fünftel der Masse der Babassunuß aus
Stärke. Sie läßt sich zu Zuckersirup verarbeiten, der dann
weiter zu Äthanol (Äthylalkohol) vergoren werden kann.
Dazu muß zunächst die Stärke verflüssigt werden, wobei die
langen Stärkemoleküle in viele kleine Spaltprodukte zerlegt
werden. Biologische Wirkstoffe, Enzyme, beschleunigen diese
Reaktionen. Dabei ist es wünschenswert, mit einer möglichst
geringen Menge an Enzymen auszukommen, -um die Kosten
für diesen Schritt der Stärkeverarbeitung gering zu halten,
denn Enzyme sind sehr teuer.
Der Wissenschaftler beschäftigte sich vor allem mit der
Temperaturabhängigkeit des Verflüssigungsprozesses. Die
Temperatur sollte ausreichend hoch sein, um eine schnelle
Verflüssigung zu ermöglichen und gleichzeitig bakterielles
Wachstum zu verhindern. In einem Versuch mit zwei verschie-
denen Alpha-Amylase-Enzymen - aus Bakterien und aus
Schweinebauchspeicheldrüsen - zeigte sich, daß die Aufspal-
tung mit dem Schweine-Enzym sowohl bei einer günstigeren
Temperatur als auch mit besserer Wirkung möglich ist. Schon
nach 20 Minuten werden bei 60 Grad Celsius 35 Prozent der

166
Stärke gespalten (hydrolysiert), während bei der bakteriellen
Alpha-Amylase nach vier Stunden nur 25 Prozent Hydrolyse
erreicht wurden.
Bei der Verarbeitung von Stärke zu Äthanol ist es notwen-
dig, möglichst hohe Stärkekonzentrationen zu verwenden. Die
Versuche ergaben jedoch, daß sich die Verflüssigungsreaktion
bei hohem Stärkegehalt verzögert, weil die Aktivität der
Enzyme gehemmt wird. Man erwartet deshalb erhebliche
Schwierigkeiten bei der Verarbeitung.
Die genauesten Werte darüber, in welcher Zeit und in
welchem Maße eine Stärkeart verflüssigt wird, lassen sich mit
der Methode der chromatographischen Analyse ermitteln.
Dabei werden die einzelnen Stärkebruchstücke in einer spe-
ziell für diesen Zweck konstruierten Säule voneinander ge-
trennt. Sie haben verschiedene Brechungswerte, die mit einem
„Brechungsindexdetektor" gemessen werden können. Auf
diese Weise ist es möglich, zu jedem Zeitpunkt die Art und
Menge der entstandenen Spaltprodukte anzugeben.
Wie vielseitig die Babassunuß zu verwenden ist, zeigt eine
Berechnung, nach der aus einer Tonne dieser Früchte folgende
Produkte gewonnen werden können: 90 Liter Äthylalkohol,
die aus den 200 Kilogramm Stärke entstehen, 150 Kilogramm
Koks (zur Edelstahlgewinnung), 36 Kilogramm Essigsäure, 35
Kilogramm Speiseöl (aus den Samen), 25 Kilogramm Ölku-
chen (als Viehfutter), 45 Kilogramm Teer und sechs Kilo-
gramm Methylalkohol. Die Verwendung der Babassunuß
könnte deshalb in Zukunft eine große wirtschaftliche Bedeu-
tung erhalten.
Petra Niesbach

167
Ein seit Jahrmillionen in der Natur bewährtes
Prinzip der Energieumwandlung könnte die
Energieerzeugung völlig anders gewichten. Durch Eingriffe in
den Photosyntheseapparat von Algen und grünen Pflanzen wird
die Produktion von Wasserstoff möglich:

Die Blattgrün-Energiefabriken
Daß dieser biologische Weg der Energiegewinnung möglich
ist, zeigen Versuche im Energieforschungszentrum der Uni-
versität Konstanz. Aber auch in anderen Labors der Welt
werden die Aussichten einer solchen Wasserstoffgewinnung
intensiv untersucht. Dabei muß die Natur freilich ein wenig
überlistet werden: Normalerweise verhindert die Pflanze näm-
lich die vom Biotechniker erwünschte Wasserstoffbildung, um
ungestört Biomasse produzieren zu können.
Bei der Photosynthese wird mit Hilfe des Sonnenlichtes aus
dem Kohlendioxid der Luft und aus Wasser Zucker gebildet,
der wiederum das Grundmaterial für die Biosynthese von
Stärke, Zellulose und Eiweiß ist. Bei diesem Prozeß werden
die Elektronen des Wassers in das Kohlendioxid der Luft
eingebaut, weshalb die Entstehung freien Wasserstoffes und
der Aufbau pflanzlicher Biomasse einander ausschließen.
Deshalb wird die komplizierte Maschinerie, die für die
Erzeugung von Biomasse, also das Wachstum der Zelle,
notwendig ist, einfach „abgekoppelt", indem man den entspre-
chenden membrangebundenen Teil des Photosynthese-Appa-
rates aus der Zelle herauslöst. Dadurch wird, wie Professor
Peter Böger von der Universität Konstanz über seine Arbeit
berichtete, die „Verwertung" der aus dem Wasser stammen-
den Elektronen durch Kohlendioxid unterbunden.
Bringt man diese Elektronen nun mit Wasserstoffionen, also
Protonen, die sich stets im Wasser befinden, zusammen,
verlieren die Ionen ihre Ladung und lagern sich zu zweiatomi-
gem, gasförmigem Wasserstoff zusammen. Zusätzlich benö-
tigt man für diesen Vorgang ein bestimmtes Enzym, das sich
beispielsweise aus bestimmten Bakterien gewinnen und den
isolierten photosynthetisch aktiven Membranen beifügen läßt.
Auf diese Weise kann man ein künstliches System bauen, für
das der Rohstoff Wasser praktisch unbegrenzt zur Verfügung
steht. Auch das Sonnenlicht steht - weltweit gesehen - uner-
schöpflich zur Verfügung.
Da ein entsprechendes „zellfreies System", obwohl es gelun-

168
gen ist, isolierte Chloroplasten mit Kunststoffen zu umman-
teln, relativ instabil ist, ist es möglicherweise sinnvoller, die
Wasserstoffproduktion im „zellulären" System ablaufen zu
lassen. Dazu eignen sich beispielsweise bestimmte Cyanobak-
terien, die Blaualgen. Diese entwicklungsgeschichtlich sehr
alten Organismen nutzten Wasserstoff für ihren Stoffwechsel,
als sich dieser noch in höheren Konzentrationen auf der Erde
befand. Diese Fähigkeit haben sich einige Blaualgen bis heute
bewahrt, obwohl sie wegen der veränderten Umweltbedingun-
gen verkümmert ist und in ihrem Stoffwechsel heute nur eine
untergeordnete Rolle spielt. Es ist jedoch, wie Bögers Versu-
che zeigen, möglich, diese Fähigkeit der Blaualgen, die bis in
die Anfangszeiten der Lebensentstehung zurückreicht, zu
wecken und die Organismen durch geeignete Kulturverfahren
zu verstärkter Wasserstoffproduktion anzuregen.
Böger und seine Mitarbeiter experimentierten in Konstanz
mit der Blaualge Nostoc muscorum. Diese Alge besteht aus
kleineren vegetativen Zellen, in denen die Photosynthese
abläuft, und zum kleineren Teil aus größeren Zellen, in denen
kein kompletter photosynthetischer Elektronentransport
durchgeführt wird. Dafür enthalten sie ein Enzym, das in der
Lage ist, den freien Stickstoff der Luft zu binden und in
Ammoniak überzuführen. Ammoniak wiederum dient zum
Aufbau von Aminosäuren und damit der Eiweißsynthese.
Das Stickstoff fixierende Enzym ist aber nicht wählerisch
und akzeptiert auch andere Verbindungen. Bei Stickstoffman-
gel reduziert es auch Protonen zu freiem Wasserstoff. Aller-
dings sorgt ein weiteres Enzym dafür, daß der Wasserstoff
nicht aus der Zelle entweichen kann, indem es kleinste Was-
serstoffmengen aufnimmt, nicht aber freisetzt. Das Wasser-
toff aufnehmende Enzym arbeitet jedoch nur in Verbindung
mit Sauerstoff. Durch Einsatz bestimmter Hemmstoffe, wie
einiger Herbizide, die den photosynthetischen Elektronen-
transport unterbinden, gelingt es jedoch, die Sauerstoffent-
wicklung zu verhindern und damit auch die Tätigkeit des
Wasserstoff aufnehmenden und nicht wieder freisetzenden
Enzyms zu blockieren. Der entstehende Wasserstoff muß
entweichen. Unter diesen Bedingungen produziert die Alge
zehnmal mehr Wasserstoff als im ungehemmten Zustand.
Durch weitere Manipulationen kann die Produktion noch
gesteigert werden.
Allerdings muß den Algen, wie die Versuche in Pilotanlagen
gezeigt haben, nach einiger Zeit wieder die ungestörte Photo-
synthese erlaubt werden. Durch wechselseitige „Schaltung"

169
einer Photosynthese betreibenden und einer gehemmten Kul-
tur läßt sich jedoch eine kontinuierliche Gasproduktion errei-
chen.
Von der großtechnischen Anwendung ist das System freilich
noch weit entfernt. Die Effektivität dieser Wasserstoffproduk-
tion muß noch wesentlich gesteigert werden. Auch sind nicht
alle diesem Verfahren zugrunde liegenden biochemischen
Mechanismen voll verstanden. Eine noch stärkere Grundla-
genforschung auf dem Gebiet der Photosynthese und Bioener-
getik ist hierfür notwendig. Erst dann kann abgeschätzt wer-
den, welchen Beitrag diese unkonventionelle biologische Was-
serstoffproduktion zur künftigen Energieerzeugung leisten
kann.
Ein prinzipiell ganz anderer Weg zu diesem Ziel wurde unter
anderem im Fachgebiet Bionik und Evolutionstechnik der
Technischen Universität Berlin eingeschlagen. Dabei läßt man
durch die natürliche Photosynthese zunächst ungehindert Bio-
masse entstehen und gewinnt anschließend den darin gespei-
cherten Wasserstoff mit Hilfe spezieller Bakterien, die ent-
sprechende Substanzen der Biomasse, zum Beispiel Trauben-
zucker, abbauen und dabei den Wasserstoff freisetzen.
Als geeignet für diesen weiteren Schritt bei der Umwand-
lung von Lichtenergie in chemische Energie, bei dem der
pflanzlichen Photosynthese eine bakterielle Photosynthese
„nachgeschaltet" wird, erwiesen sich schwefelfreie Purpurbak-
terien, die aus Wasserproben nahe des Bodengrundes mehre-
rer Berliner Seen gewonnen, mit einer Nährlösung „gefüttert"
und von einer Lichtquelle zur Wasserstoffproduktion angeregt
wurden. Entsprechende Umweltbedingungen verhindern da-
bei, daß die Bakterien den von ihrer „photosynthetischen
Stoffwechselmaschinerie" produzierten Wasserstoff weiter-
verarbeiten. Durch den Wasserstoffdruck öffnet sich dann
gewissermaßen ein Ventil, durch das das Wasserstoffgas ent-
weicht.
Die Versuche in Berlin haben nicht nur gezeigt, daß es mit
Hilfe von Purpurbakterien in einem Durchlauf-Reaktor mög-
lich ist, eine kontinuierliche Wasserstoffproduktion aufrecht-
zuerhalten. Im Dauerbetrieb erfolgreich getestet wurde auch
bereits eine Brennstoffzelle, die im Siemens-Forschungslabo-
ratorium in Erlangen speziell für den direkten Anschluß an
eine wasserstofferzeugende Bakterienkultur entwickelt wor-
den ist.
Da hier - anders als bei den Experimenten in Konstanz - der
größere Teil der Gesamtausbeute an Wasserstoff aus der

170
abgebauten organischen Substanz stammt, ist dieses Verfah-
ren eine denkbare und in mancher Hinsicht auch vorteilhafte
Alternative zur mikrobiellen Vergärung von Biomasse zu
Alkohol auf der Basis von Zucker (Glucose).
Weil zusätzlich Lichtenergie in den Prozeß einfließt, ge-
winnt man nach Angaben von Professor Ingo Rechenberg,
dem Leiter des Fachgebiets Bionik und Evolutionstechnik der
TU Berlin, bei der Erzeugung von Wasserstoff aus Glucose
durch photosynthetische Bakterien gegenüber der Vergärung
zu Alkohol aus einer bestimmten Zuckermenge etwa 30
Prozent mehr an Energie. Auch entfällt der energieaufwendi-
ge Destillationsprozeß, bei dem der Alkohol erst aus der
Gärmasse herausgekocht werden muß. Nicht zuletzt verbrennt
Wasserstoff sehr viel umweltfreundlicher als Alkohol, der aus
Biomasse gewonnen wird. Zurück bleibt, sieht man von
geringen Mengen Stickoxiden ab, nichts als Wasser. Diese
umweltfreundliche Verbrennung ist auch einer der Gründe,
wegen der Wasserstoff heute vielfach als Energieträger der
Zukunft angesehen wird.
Auf der anderen Seite läßt sich natürlich eine Flüssigkeit wie
Alkohol sehr viel einfacher „in den Tank packen" als Wasser-
stoff, den zu verflüssigen viel zu energieaufwendig wäre. Es
gibt allerdings bereits sehr leistungsfähige Speicher, sogenann-
te Hydridspeicher, poröse, schwammartige Gebilde, in denen
man auf kleinem Raum große Mengen an Wasserstoff unter-
bringen kann.
Ein sehr viel größeres Problem und letztlich auch das
entscheidende Problem der photobiologischen Wasserstoff-
produktion mit Hilfe von Purpurbakterien ist freilich der
riesige Flächenbedarf zur Produktion der Biomasse. Wollte
man die Purpurbakterien zum Beispiel mit Rübenzucker „füt-
tern", würden bei einem Umwandlungswirkungsgrad von 90
Prozent für den ganzjährigen Betrieb eines einzigen Wasser-
stoff-Autos, das wöchentlich als Äquivalent für 20 Liter Ben-
zin 60 Kubikmeter Wasserstoff verbraucht, etwa 2320 Kilo-
gramm Rübenzucker benötigt. Um diese Menge, die vielleicht
gerade für wenige Fahrten im „Nahverkehr" ausreicht, zu
gewinnen, müßte man wiederum, wenn man von einem mittle-
ren Zuckergehalt der Rüben und den durchschnittlich erziel-
ten Hektarerträgen ausgeht, ein rund 3200 Quadratmeter
großes Zuckerrübenfeld bestellen.
Erst wenn es deshalb gelingt, den Wirkungsgrad der Photo-
synthese im Hinblick auf die Zuckerbildung ganz erheblich zu
steigern und so den Flächenbedarf deutlich zu verringern,

171
kann dieser Methode der solaren Wasserstoffgewinnung, die
nur eine von vielen Möglichkeiten zur Herstellung dieses
Energieträgers ist, eine wirtschaftliche Chance eingeräumt
werden.
Karl-Heinz Preuß

172
Scheinbar „aus dem Nichts" lieferte eine Kleinstan-
lage vor Hawaii laufend zehn Kilowatt elektrische
Leistung. Warmes Wasser von der Meeresoberfläche und kaltes
Wasser aus der Tiefe machten das möglich nach einem Prinzip,
vor dessen großtechnischer Nutzung freilich noch manche
Hürde zu überwinden ist:

Unbegrenzte Energie
durch Meereswärme?
Die Nutzung der Wärmeenergie der tropischen Ozeane
durch sogenannte Ocean Thermal Energy Conversion-Verfah-
ren (OTEC) ist zumindest im Prinzip keine Utopie mehr. Das
haben vor Hawaii sowohl die Kleinstanlage als auch eine
Kleinanlage mit einem Megawatt Auslegungsleistung gezeigt,
die auf einem ausrangierten Tanker der amerikanischen Mari-
ne installiert worden war. Pläne für eine Pilotanlage von etwa
zehn bis 40 Megawatt installierter Leistung sind ebenfalls
bereits entworfen worden.
Die bisher im Experiment eingesetzten Verfahren nutzen
alle die Meereswärme-Energie in einem geschlossenen Kreis-
lauf: Sie verdampfen mit dem Warmwasser von der Meeres-
oberfläche an einem Wärmeaustauscher ein bei niederen
Temperaturen verdampfendes Arbeitsmittel (Ammoniak),
das dann eine Turbine antreibt. Der austretende Dampf wird
zur Herstellung des Druckunterschieds mit ozeanischem
Tiefenwasser gekühlt, verflüssigt sich und kann dann wieder
verdampft werden.
Dieser geschlossene Kreislauf ist eine elegante Lösung des
Problems der Wärmenutzung, doch mit speziellen technischen
Schwierigkeiten behaftet. Diese bestehen vor allem in biologi-
schem „Fouling" auf der Wasserseite und chemischer Korro-
sion auf der Ammoniakseite der Wärmeaustauscher. Zwar
wurde während des Betriebs des „Mini-OTEC" über etwa ein
Vierteljahr keinerlei Ansatz von biologischer Besiedlung auf
den aus Titan bestehenden Wärmeaustauscherflächen gefun-
den. Doch schon die Bildung einer ganz dünnen Haut von
Bakterien würde den Wärmeübergang stark verschlechtern
und damit den ohnehin geringen Wirkungsgrad der Anlage
bedrohlich abschwächen. Dem durch die Anlage zirkulieren-
den Seewasser war ständig eine geringe Menge freien Chlors
zur Desinfektion beigegeben worden. Doch beweist dieses

173
Resultat wenig für eine Großanlage, deren Funktion über
mehrere Jahrzehnte gesichert sein muß und durch die, wenn
sie tatsächlich einmal gebaut wird, pro Sekunde nicht Kubik-
meter, sondern viele Tausende von Kubikmetern Wasser
zirkulieren. Eine vollkommerzielle Anlage, zum Beispiel ein
OTEC-Kraftwerk von 1000 Megawatt, würde gut 3000 Kubik-
meter Wasser pro Sekunde benötigen, eine Durchflußmenge,
die etwa der Wasserführung des Nils entspricht. Ob eine auch
nur geringe Chlorzugabe zu solchen Wassermengen ohne
Gefahr der Umweltvergiftung zulässig ist, ist sehr fraglich.
Noch fraglicher ist es, ob sich nicht im Verlaufe eines längeren
Betriebes Mikrobenstämme ansiedeln oder durch Genverän-
derungen entwickeln, denen die „Antifouling-Chemikalien"
nichts mehr ausmachen und die dann doch die Wärmeaustau-
scher besiedeln. Die Erfahrungen der Mikrobiologen sprechen
für diese Erwartung. Metallflächen, die einmal besiedelt wa-
ren, werden nach einer Reinigung stets weit schneller als
vorher wieder befallen.
Diese „Fouling"-Fragen, kombiniert mit der Ammoniak-
Korrosion sind für die „OTEC'-Anlagen mit geschlossenem
Kreislauf ein sehr ernsthaftes Hindernis. Die Idee eines „offe-
nen Kreislaufs" lag deshalb schon lange in der Luft: In einem
solchen Kreislauf nutzt man den Wasserdampf, der aus dem
warmen Ozeanwasser aufsteigt, wenn es über freie Verdamp-
fungsflächen strömt, eine Turbine antreibt, und die Strömung
des Dampfes hinter der Turbine durch Kondensation mit Hilfe
von Kaltwasser (aus großen Tiefen des Ozeans gepumpt)
durch Erzeugung von Unterdruck beschleunigt. Bei diesem
offenen Kreislauf werden die Fouling- und Korrosionsproble-
me minimiert: Eine biologische Besiedlung der Verdamp-
fungsflächen mindert den Wirkungsgrad der Anlage nur in
engen Grenzen, wenn überhaupt, und besonders korrosive
Flüssigkeiten oder Gase treten nicht auf. Freilich muß eine
solche Anlage sehr groß dimensioniert sein. Die Dampferzeu-
gung aus dem warmen Meerwasser bei typischen Betriebsbe-
dingungen (25 bis 26 Grad Celsius Temperatur des Oberflä-
chenwassers) ist nur minimal. Etwa 0,5 Prozent des durch die
Anlage fließenden Wassers verdampft, wenn der Unterdruck
durch Kaltwasserkühlung mit Wasser von etwa vier bis fünf
Grad Temperatur erzeugt wird. Der Druckunterschied in der
Anlage ist sehr gering. Man benötigt also extrem große
Verdampferflächen und extrem große Turbinenschaufeln, um
mit diesem bescheidenen Dampfanfall Generatoren betreiben
zu können.

174
Diese Überlegungen behinderten lange Zeit die Entwick-
lung von „OTEC"-Anlagen mit offenem Kreislaufbetrieb. Es
war die amerikanische Firma „Westinghouse Corporation" in
Philadelphia, die Anfang der achtziger Jahre begann, diese
Projektlösung voranzutreiben. Sie tat sich zu diesem Zweck
mit der deutschen Dykkerhoff & Widmann AG, München,
einer stark auf Betonkonstruktionen spezialisierten Baufirma,
zusammen, um eine OTEC-Anlage aus Spannbeton zu kon-
struieren. Nur mit diesem - bei sorgfältiger Herstellung in der
Umwelt der Meeresoberfläche über die Betriebszeit einer
OTEC-Anlage von etwa 30 Jahren wartungsfreien - Baumate-
rial für eine schwimmende Riesenturbine schien es möglich,
eine solche neuartige Anlage rationell zu realisieren.
Die Ingenieure der beiden Firmen entwickelten ein erstes
Konzept einer solchen Spannbeton-OTEC-Anlage, die die
Erzeugung von Strom zu kommerziellen Preisen schon aus
einer 100-Megawatt-Anlage erlauben sollte, die zu jenem
Zeitpunkt allerdings verhältnismäßig hohen Preise für andere
Energieträger vorausgesetzt. Freilich auch das nur in tropi-
schen Meeresgebieten, in denen sowohl warmes Oberflächen-
wasser als auch genügend kaltes Tiefenwasser zur Verfügung
steht. Sie besteht aus einem Riesenponton aus Spannbeton mit
einer Dicke von etwa 40 Zentimetern, der auf einem Luftkis-
sen „weich" auf der Meeresoberfläche schwimmt. In einer
Riesenkuppel auf dem Ponton von rund 100 Meter Durchmes-
ser werden 370 Tonnen Warmwasser pro Sekunde umgewälzt,
aus denen freilich nur rund 1,6 Tonnen Dampf entstehen.
Kühlung und Unterdruckerzeugung erfordern das Hinauf-
pumpen von rund 310 Tonnen Kaltwasser aus etwa 900 Meter
Tiefe. Der Dampf fließt durch eine Turbine, deren Rotor-
blätter einen Durchmesser von 45 Meter haben und den
100-Megawatt-Generator antreiben.
Sowohl Verdampfer als auch Turbine sind auch nach heuti-
gen Begriffen gigantisch und nur aus völlig korrosionsfreien,
also wartungsfreien Werkstoffen denkbar: die „stehenden"
Teile aus Spannbeton, die Rotorblätter nach der bei Hub-
schraubern erprobten Technologie aus faserverstärktem
Kunststoff. Die Kaltwasserzufuhr aus der Tiefe erfolgt in
diesem faszinierenden Konzept durch ein Rohr, das nur im
obersten Teil aus Spannbeton besteht (ein 900 Meter langes
Spannbetonrohr wäre viel zu steif, das kurze Betonrohr dage-
gen ist erforderlich, um wie eine Art Kiel den OTEC-Ponton in
der Position zu stabilisieren) und im unteren Teil aus einem
verstärkten Plastikmaterial.

175
Die hohen Investitionskosten einer 100-Megawatt-Anlage
gegenüber konventionellen Kraftwerken mit fossilem Brenn-
stoff oder Uranbrennstoff hoffte man durch den kostenlos zur
Verfügung stehenden „Treibstoff" Warmwasser ausgleichen
zu können. Doch auch in diesem Fall haben nach einem ersten
starken Anstieg wieder sinkende Ölpreise hochfliegende Pläne
zumindest vorläufig zunichte gemacht.
Dr. Harald Steinen

176
Zwar ist schon mancher Erfindertraum an der
naturgesetzlichen Unmöglichkeit einer Maschine
gescheitert, die mehr Energie erzeugen als verbrauchen sollte.
Doch wird auch mancher Maschinenentwurf zu Unrecht als ein
solches Perpetuum Mobile verdächtigt, obwohl er ernsthafter
Überlegung wert ist:

Magnetische Tricks
für Kraftmaschinen
Auch wenn die Erfolgsaussichten nicht selten gering erschei-
nen, wird heute jede Spur zu einer neuen Energiequelle oder
„Energiemaschine" unverdrossen aufgenommen. Während
der Energiekrise 1973/74 hat das Bundesministerium für For-
schung und Technologie die Bürger sogar regelrecht dazu
aufgefordert, Vorschläge für die Lösung von Energieproble-
men zu machen. Dabei wurde zwar manches Ei nur im
Glauben der Erfinder selbst nach Art des Kolumbus auf die
Spitze gestellt, doch gab es auch genügend Vorschläge, die
man ernst nehmen mußte.
Dazu zählen die zahlreichen Anregungen, den sogenannten
Curie-Effekt zu nutzen. Er ist schon seit über 100 Jahren
bekannt und besteht darin, daß magnetische oder magnetisier-
bare Stoffe diese Eigenschaften dann verlieren, wenn sie über
eine bestimmte Temperatur hinaus erhitzt werden, die Curie-
Temperatur genannt wird und natürlich von Stoff zu Stoff
verschieden ausfallen kann. Unter Ausnutzung dieses Curie-
Effektes glaubten die Erfinder eine Maschine bauen zu kön-
nen, die unter anderem die bei Kraftwerken reichlich anfallen-
de Abwärme in mechanische und damit auch elektrische
Energie umsetzen könnte.
Anordnungen zur Ausnutzung dieses Effektes werden in
den Lehrbüchern der Physik beschrieben und in vielen Vorle-
sungen immer wieder vorgeführt. Nimmt man beispielsweise
einen Stab aus Eisen oder einem anderen ferromagnetischen
Material, der auf der rechten Seite heiß und auf der linken kalt
ist, dann wird sein kalter Teil von einem Magneten stärker
angezogen als der warme. Die Kraft, die den Stab also dann,
wenn man ihn zwischen den Polen eines Magneten hindurch-
bewegt, von rechts nach links zieht, ließe sich ausnützen. Aber
bis jetzt konnte niemand darüber Auskunft geben, wie groß
der Wirkungsgrad einer solchen Maschine sein würde. Gerade

177
er entscheidet aber über ihre Wirtschaftlichkeit und damit
auch über die Frage, ob sie sich überhaupt zu bauen lohnt.
Deshalb wurde in der Zentralabteilung Allgemeine Techno-
logie der Kernforschungsanlage Jülich mit Hilfe der Lehr-
werkstatt ein Modell einer solchen Maschine gebaut. Ihr
Herzstück besteht aus einem Rotor, dessen Ringkörper aus
Lamellen des Werkstoffs Thermoperm zusammengesetzt ist,
der bei einer Curie-Temperatur von 70 Grad Celsius entma-
gnetisiert wird. Dieser Rotor taucht nun teilweise in 55 Grad
Celsius warmes Wasser ein und wird in seinem getauchten Teil
auch weitgehend entmagnetisiert. Ein an der Grenzfläche
zwischen Wasser und Luft angeordneter Dauermagnet zieht
deshalb vor allem den über Wasser liegenden Teil des Rotors
an und erzeugt so eine Drehbewegung. Da die aus dem Wasser
gedrehten Teile des Rotors aber schnell abkühlen und so
wieder magnetisch werden, geht die Drehbewegung in eine
fortlaufende Rotation über. Zur Verstärkung der Kühlung
dient ein Ventilator, der vom Ring des Rotors über eine hohe
Übersetzung angetrieben wird. Auf der Achse des Ventilators
sitzt der Anker eines Generators, mit dem die Netto-Nutzlei-
stung der Maschine bei der Stromerzeugung bestimmt werden
kann.
Bei ihren Messungen und Hochrechnungen auf größere
Dimensionen einer solchen Anlage stellten die Wissenschaft-
ler der Kernforschungsanlage Jülich jedoch fest, daß der
Wirkungsgrad so gering ist, daß mit einer wirtschaftlichen
Erzeugung von elektrischer Energie nach diesem Prinzip nicht
zu rechnen ist.
Dagegen ist eine andere Nutzung dieses Effektes zumindest
denkbar. Unter Umständen könnte man nämlich dieses Prin-
zip und die gleiche Anlage dazu verwenden, die Abwärme
eines Kraftwerkes an die Luft abzugeben, anstatt sie, wie bei
herkömmlichen Kraftwerken häufig der Fall, einfach unge-
nutzt in die Flüsse zu leiten und damit das Flußwasser mit
schädlichen Folgen für das ökologische Gleichgewicht aufzu-
wärmen. Bei dieser Art der Kraftwerkskühlung würde zum
einen die gesamte Wärme, die das Metall vom Wasser auf-
nimmt, an die Luft abgegeben. Zum anderen würde von dem
Rotor eine Menge Wasser heraustransportiert. Der Rotor
benetzt sich ohnehin mit Wasser und ist außerdem mit einer
großen Zahl von Löchern versehen, in denen ebenfalls Wasser
sitzt. Dieses warme Wasser wird außerdem noch von dem
Ventilator angeblasen, so daß eine relativ starke Verdampfung
erfolgt, durch die ebenfalls Wärme abgeführt wird. Beide

178
Effekte, die Abkühlung durch Wärmeübergang und die Ab-
kühlung durch Verdampfung, werden durch den Ventilator
verstärkt, der kühle Luft anbläst und gleichzeitig gesättigte
Feuchtigkeit wegbläst. Da die notwendige Antriebskraft für
den Ventilator vom Rotor selbst aufgebracht wird, ist keine
zusätzliche Elektrizität erforderlich.
Solch eine Anlage zur Vernichtung von Abwärme, die im
Prinzip einem Naßkühlturm entsprechen würde, hätte natür-
lich gewaltige Ausmaße. Sie bestünde aus einem Riesenrad
mit einem Durchmesser von mindestens 100 Meter, das das
erwärmte Kühlwasser durchläuft. Da ein derartiges in die
Landschaft gesetztes Riesengebilde natürlich Tag und Nacht
beleuchtet werden müßte, könnte man den in geringen Men-
gen anfallenden, jedoch bei entsprechend großer Dimensio-
nierung der Anlage ausreichenden Strom für diesen Zweck
verwenden. Auf diese Weise könnte sich die gesamte Anlage
selbst mit Energie versorgen.
Dennoch glauben die Wissenschaftler der Kernforschungs-
anlage Jülich nicht, daß ein derartiger „Naßkühlturm" gegen
die ausgereiften Konstruktionen der heutigen Kühltürme kon-
kurrenzfähig ist. Das gleiche Prinzip ließe sich übrigens aber
auch für Verdampfer anwenden, mit denen man in zentralbe-
heizten Räumen mit häufig sehr trockener Luft das Klima
verbessert. Derartige Anfeuchter werden heute als elektrische
Geräte mit zum Teil nur geringem Wirkungsgrad gebaut. Die
notwendige Wärme für die Ausnutzung des Curie-Effekts
könnten sie von der Zentralheizung selbst beziehen. Schon die
heute üblichen Heiztemperaturen würden bei entsprechender
Wahl des Materials eine solche Klimamaschine ständig in
Betrieb halten.
Karl-Heinz Preuß

179
Mit Akribie entwarfen Wissenschaftler der Kern-
forschungsanlage Jülich ein Luftschloß, um
dessen für Luftschlösser typische Unverkäuflichkeit um so
besser beweisen zu können. Es ging ihnen dabei um eine
ausschließlich „sanfte" Energieversorgung durch Sonne, Wind,
Wasser und Biomasse und die sachliche Abklärung des Für und
Wider dahinter:

Hartes Erwachen
aus sanften Träumen
Diese umfangreichen Untersuchungen einer „sanften Uto-
pie" setzten sich nicht nur mit der Behauptung auseinander,
daß der Energiebedarf der Bundesrepublik Deutschland in
Zukunft weitgehend „sanft" gedeckt werden könne, sondern
auch mit dem Anspruch, daß gerade dieser Weg auch zahlrei-
che gesellschaftliche Vorteile mit sich bringe. Wie Dr. Alfred
Voss und Dr. Ortwin Renn erklären, wurde dabei vor allem
nach der jeweiligen technischen Machbarkeit gefragt, nach der
wirtschaftlichen Rentabilität, der ökologischen Verträglich-
keit und den gesellschaftlichen Folgeerscheinungen. Dabei
entstand ein „sanftes" Energieszenario für das Jahr 2030, das
freilich keineswegs eine Prognose, sondern nur Ergebnis eines
interessanten Gedankenexperimentes sein soll.
Unter der Voraussetzung einer erheblichen Verbesserung
des sparsamen Umganges mit Energie (der zu einer etwa
doppelt so hohen Wirtschaftlichkeit der Raumheizung führen
dürfte) wurden dabei die möglichen Beiträge untersucht, die
Wasser- und Windkraftwerke zur Stromerzeugung, Solarsy-
steme mit und ohne Wärmepumpen und „Total'-Energieanla-
gen zur Wärmeerzeugung sowie Biokonversionsanlagen zur
Erzeugung von flüssigen und gasförmigen Brennstoffen aus
Abfallbiomasse insgesamt bereitstellen könnten. Und es zeig-
te sich, daß selbst die volle Ausschöpfung dieser Quellen nicht
mehr als 30 Prozent des deutschen Energiebedarfs im Jahre
2030 abdecken könnte, eine ausschließlich sanfte Energiever-
sorgung der Bundesrepublik Deutschland also gar nicht mög-
lich ist.
Gewicht haben auch die Ergebnisse, daß die mit dem
„sanften" Weg verbundene Vielzahl kleiner Energieversor-
gungsanlagen auch bei einer Verdopplung der Anfang der
achtziger Jahre bereits recht hohen Ölpreise noch unter der

180
Wirtschaftlichkeitsschwelle liegen würde, was nach Ansicht
der Jülicher Forscher ganz besonders für solare Haushalts-
Heizsysteme gilt. Die durch eine solche Vielzahl von kleinen
Energiequellen bedingte Dezentralisierung der Energiever-
sorgung bedeute überdies einen höheren Rohstoffverbrauch
insgesamt, mehr Flächenbedarf und zum Teil auch verstärkte
Umweltbeeinträchtigungen. Zu diesen Nachteilen zählen die
Wissenschaftler aber auch eine Reihe von Vorteilen auf, zu
denen nicht zuletzt die geringere „Verwundbarkeit" dezentra-
ler Anlagen und die zweifellos bessere Akzeptanz bei den
Bürgern gehören.
Auch mit der Vermutung, daß die „sanften" Energiesyste-
me mehr Arbeitsplätze schaffen könnten, hat man sich in
Jülich auseinandergesetzt und ist dabei zur Feststellung einer
stark absinkenden Produktivität gekommen: „Je mehr die
Energieversorgung auf dezentrale und regenerative Energie-
systeme aufgebaut ist, desto größer ist der Zeitaufwand des
Konsumenten zum Betrieb, zur Pflege und zur Wartung seiner
Anlagen."
Als Beispiel wird dazu der Fall angeführt, daß alle Haushal-
te zu 70 Prozent im Energieverbrauch Selbstversorger wären,
also ihren Bedarf durch eigene Wind-, Solar- und Biogasanla-
gen abdecken würden. Dann müßte aber nach Rechnung der
Wissenschaftler jede Familie wöchentlich rund 35 Stunden
Arbeit in die familieneigenen Energiesysteme stecken - und
auch bei einer leichten Versorgungs-Zentralisierung kämen
immer noch 15 bis 20 Stunden heraus.
Wenn solche Zahlenangaben vom Betrag her auch anfecht-
bar sein mögen, so verweisen sie in ihrer freizeitzehrenden
Tendenz aber doch auf das Ende einer anderen Illusion, mit
der die „sanfte" Energie bisweilen mit dem Traum von einem
neuartig einfachen Leben verbunden wird. Eine „Zukunft
ohne Zwang" wird sich so bestimmt nicht verwirklichen lassen.
Nicht die „sanften" Energiequellen sind also von Übel,
sondern die bisher verschiedentlich propagierte Absicht, sie
als den allein problemlösenden Zukunftsweg zur „Weltan-
schauung" zu machen. Voss und Renn haben deshalb als
wesentliche Erkenntnis aus dieser Untersuchung herausge-
stellt, „daß der Gegensatz von ,harten' und ,weichen' Energie-
systemen eine künstlich herbeigeredete Barriere bedeutet, die
an den wirklichen Problemen der Energieversorgung vorbei-
geht".
Dieser künstlich ausgehobene Graben kann ihrer Ansicht
nach aber nur zugeschüttet werden, wenn man eine sachlich

181
begründete Vereinigung dieser scheinbar gegensätzlichen
Energiestrategien versucht und jedes Energiesystem jeweils
dort einsetzt, wo es den örtlichen Bedingungen entsprechend
die besten Dienste leisten kann. Nur so kann ihrer Ansicht
nach der Weg zu einer verantwortbaren und akzeptablen
Energieversorgung der Zukunft gewiesen werden.
Rolf H. Simen

182
GESCHICHTEN, DIE
DIE FORSCHUNG
SCHREIBT

UMWELTFRAGEN

___________________________

Bedrohung
und Überlebenschancen
unserer Natur

183
Wenn auch eine Zusammenstellung aus Dreikant-
muscheln, Menschenblut, Regenwürmern, Kuh-
milch und einigen anderen „Zutaten" wie ein Rezept für eine
Hexenarznei anmutet, so ist doch hier der Sinn ein völlig an-
derer: Typisches organisches Material soll heute so konserviert
werden, daß seine aktuelle Schadstoffbelastung festgehalten
wird und Vergleichswerte für künftige Untersuchungen liefern
kann:

Umweltkrankheiten
in Konserven
Auf dem Gelände der Kernforschungsanlage Jülich befindet
sich die erste deutsche Umweltprobenbank, von der man sich
zu Recht starke methodische, meßtechnisch-analytische und
inhaltliche Impulse für die zukünftige Umweltforschung er-
hofft, zumal sie von Jahr zu Jahr nützlicher wird. Ihre Haupt-
aufgabe ist die Langzeit-Konservierung und -archivierung von
organischem Material, von pflanzlichem und tierischem Ge-
webe: eine durch Tieftemperatur-Lagerung erfolgende Kon-
servierung, die es ermöglichen soll, daß bei Analysen in zehn,
20 oder gar 30 Jahren noch zuverlässig festgestellt werden
kann, welche Substanzen, insbesondere welche Schadstoffe, in
ihm beim Zeitpunkt seiner Einlagerung enthalten waren.
Auf diese Weise hofft man, Umweltbelastungen künftig
laufend und zuverlässig verfolgen zu können. Wird beispiels-
weise über einen längeren Zeitraum die Zu- oder Abnahme
eines bestimmten Schadstoffs festgestellt, ist es wichtig zu
wissen, ob es sich wirklich um eine Umweltveränderung
handelt, oder ob die Veränderung der Werte zumindest teil-
weise auf Änderungen, vor allem Verbesserungen der Meß-
methoden zurückzuführen ist.
Um diese Frage beantworten zu können, braucht man
ähnliche Proben aus der Vergangenheit. Diese werden mit den
verbesserten Methoden und Geräten erneut analysiert - ein
Vergleich der neuen Daten mit den früher ermittelten zeigt
dann, ob Korrekturen an den aktuellen Untersuchungsergeb-
nissen erforderlich sind.
Das mag auf den ersten Blick wie eine akademische Haar-
spalterei wirken, ist es aber keineswegs. Denn die Konzentra-
tion vieler Schadstoffe in Pflanzen und Tieren, aber auch im
menschlichen Gewebe sind so niedrig, daß ihre zuverlässige

184
Bestimmung oft große Schwierigkeiten bereitet. Eine eindeu-
tige Zuordnung einer bestimmten Substanz zu einem Krank-
heitsbild setzt aber eine sichere Analyse voraus. Nur so
können folgenschwere diagnostische Fehlentwicklungen und
Umwege vermieden werden. Und der Versuch, den Weg eines
Schadstoffs durch die verschiedenen Nahrungsketten bis zu
seinem Ursprung zurückzuverfolgen, stellt die Analytiker vor
noch größere Probleme, da sie immer geringeren Konzentra-
tionen gegenüberstehen - auch in solchen Fällen dürfte sich
eine Probenbank als außerordentlich hilfreich erweisen.
Weiterhin ist es denkbar, sogar wahrscheinlich, daß künftig
ganz neue Schadstoffe auftreten - bisher unbekannte Substan-
zen, möglicherweise aber auch bekannte Stoffe, die heute
noch als harmlos gelten. Dann ist es wichtig, durch Umwelt-
proben aus der Vergangenheit nachträglich verfolgen zu kön-
nen, wann und wo sie zum erstenmal auftauchten oder eine
bestimmte Konzentration überschritten. Da die noch nicht
spürbare Entwicklung vieler sogenannter „Umweltkrankhei-
ten", etwa mancher Krebsarten, mehrere Jahrzehnte dauern
kann, wäre es deshalb wichtig, Umweltproben entsprechend
lange konservieren zu können.
Die Entwicklung geeigneter Konservierungsmethoden ist
daher der eigentliche Schwerpunkt dieses Projekts, in dem
man sich zunächst auf eine begrenzte Zahl von Probentypen
und zu beobachtenden Schadstoffen beschränkt hat. Dazu
gehören Probentypen in Form von Blut, Leber- und Fettgewe-
be, die für den menschlichen Organismus repräsentativ sind.
Für den marinen Bereich wurden Karpfen, Dreikantmuscheln
und Algen ausgewählt, und für Bodensysteme und Nahrungs-
ketten Boden- und Klärschlammproben, Regenwürmer, Lauf-
käfer, Gras, Weizen und Kuhmilch.
Bei den Schadstoffen konzentriert man sich auf solche
anthropogener (menschlicher) Herkunft: auf Cadmium, Blei
und Quecksilber, bestimmte Kohlenwasserstoffgruppen, eini-
ge anorganische Chemikalien, auf steroidförmige Hormone,
wie sie zur Tiermast verwendet werden, beispielsweise Östro-
gen, und auf Pflanzenschutz- und -behandlungsmittel. Die
Proben werden sowohl vor dem Einlagern als auch später nach
bestimmten Lagerungsintervallen mit extrem empfindlichen
Analysemethoden untersucht.
Da die Proben, von denen ein Teil auch in der Universität
Münster gelagert wird, aus allen wichtigen Regionen der
Bundesrepublik Deutschland regelmäßig zusammengetragen
werden, dürfte die methodische Untersuchung des frischen

185
Materials auch zu einer ersten umfassenden Bestandsaufnah-
me der Umweltbelastung in ausgewählten Bereichen führen.
Dietrich Zimmermann

186
Trübe wie die meisten unserer Gewässer sind
auch die Überlebensaussichten ihrer Bewohner.
Was Fischern und Anglern längst kein Geheimnis mehr ist, blieb
doch der Öffentlichkeit vielfach unbekannt: Schon manche Art
steht in einem häufig hoffnungslosen Rückzugsgefecht:

Gefahr für
viele Süßwasserfische
Ein großer Teil der rund 70 in Süßgewässer einwandernden
oder dort heimischen Fischarten der Bundesrepublik Deutsch-
land ist in seinem Weiterleben bedroht oder bereits vernichtet.
Von den 52 betroffenen Arten sind drei schon völlig ausgestor-
ben. Zwölf weitere Arten wie Lachs, Meerforelle, Flußneun-
auge oder Maifisch sind unmittelbar vor dem Erlöschen. Ihr
Überleben in der Bundesrepublik ist unwahrscheinlich, wenn
keine entsprechenden Schutzmaßnahmen getroffen werden.
Das gleiche Schicksal droht auf lange Sicht neun zusätzlichen
Arten, zu denen beispielsweise der Perlfisch, aber auch die
Wildform des Karpfens gehören. 16 Arten werden als stark
gefährdet eingestuft, darunter Barbe, Steinbeißer, Bachneun-
auge, Elritze, Stint, Bitterling, Saibling oder Äsche. Als
gefährdet gelten neben acht anderen Arten Stichling, Seeforel-
le und Wels. Potentiell gefährdet ist auch die Bachforelle.
Diese erschreckende Bilanz zog Dr. Rüdiger Bless von der
Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschafts-
ökologie in Bonn.
Stromfische wie Maifisch, Schnäpel, Aland, Barbe und
Flußneunauge verloren beispielsweise in der Elbe Laich- und
Ruheplätze, als sich in der Folge von intensiven Strombau-
maßnahmen das Flußbett verengte, die Strömungsgeschwin-
digkeit erhöhte und dadurch Kies- und Sandbänke wegge-
schwemmt wurden oder Untiefen verschwanden. Staumaß-
nahmen schnitten Wanderfische wie den in der Bundesrepu-
blik bereits ausgestorbenen Stör oder den fast erloschenen
Lachs von ihren Laichgründen ab und behinderten auch die
periodischen Wanderungen anderer Flußfische.
Flußregulierungen und Staumaßnahmen sind ebenfalls
schuld am Rückgang von natürlichen Überschwemmungsge-
bieten, die für viele Arten, wie beispielsweise den Zopen,
wichtige Laich- und Freßplätze sind. Auch dem Wildkarpfen
mangelt es deshalb an geeigneten Laichgewässern. In räumlich

187
kleinerem Maßstab gilt dies auch für den Zwergstichling, einen
Bewohner kleiner und kleinster stehender Gewässer, dessen
Bestand durch das Verschwinden von pflanzenreichen Gewäs-
sern, die vor allem durch periodische Überflutung gebildet und
gespeist werden, rückläufig ist. Der Wels ist in der Elbe bereits
Mitte des vorigen Jahrhunderts durch Flußregulierung und
den dadurch entstandenen Mangel an flachen, pflanzenrei-
chen Uferzonen verschwunden, während sein Bestand in
anderen Gewässern nur über Besatzmaßnahmen erhalten
werden kann.
Durch Begradigungen, Absenken von Gewässern, künstli-
che Uferbefestigungen und Verrohrungen gehen viele ökolo-
gische Nischen verloren, werden natürliche Uferzonen als
besonders produktive Gewässerzonen zerstört. Allein zwi-
schen 1960 und 1970 sind im Bundesgebiet nicht weniger als
25 000 Kilometer Wasserläufe ausgebaut worden. Der begra-
digte Bach bietet Forellen, aber auch Groppen, Schmerlen
und Elritzen nicht das Minimum ihrer Existenzbedingungen.
Es fehlen Versteckplätze, die Selbstreinigungskraft und Nähr-
stoffproduktion sind vermindert, weil die Aufwuchs- und
Besiedelungsfläche für tierische und pflanzliche Organismen
kleiner wurde. Reinigungs- und Instandhaltungsmaßnahmen
tun ein übriges. Ohne Unterwasserpflanzen ist zum Beispiel in
kleinen Fließgewässern mit Sandboden wegen des Mangels an
Verstecken und Nahrungstieren ein Fischvorkommen kaum
denkbar. Selbst eine vorübergehende völlige Entkrautung
kann verheerende Folgen haben.
Schwer zu schaffen macht so unterschiedlichen Arten wie
Äsche, Bachneunauge, Quappe oder Stint zusätzlich auch die
Verschmutzung durch eingeleitete Abwässer, die sie teilweise
auch für Krankheiten anfälliger macht. In einigen Bereichen
des Mains ist die Fischfauna als Folge der Verschmutzung
bereits so gut wie erloschen. In südbadischen Rheinfischen
wurden verhältnismäßig hohe Quecksilbergehalte gefunden.
Die steigende Versalzung der Werra und Oberweser verändert
zunehmend die Lebensgemeinschaften dieser Flüsse. Nicht
nur die übermäßig hohe Salzkonzentration, sondern auch ihre
Schwankungen beeinträchtigen viele im Süßwasser lebende
Organismen, da für sie die enormen Schwankungen des osmo-
tischen Druckes unerträglich sind. Weil einige Muschelarten
unter der Wasserverschmutzung leiden, verschwindet langsam
auch der Bitterling, der mit bestimmten Muscheln vergesell-
schaftet ist, in deren Kiemen er seine Eier legt.«
Nicht nur Fließgewässer, sondern auch stehende Gewässer

188
müssen häufig große Mengen an Abwasser aufnehmen. Eine
enorme Planktonproduktion ist die Folge. Während einige
Arten wie Plötze oder Barsche davon profitieren und ihre
Lebensgewohnheiten ändern, indem sie die neue Nahrungs-
quelle dankbar annehmen oder gar zu reinen Planktonfressern
werden, müssen andere Arten wie Perlfisch, Saibling, Mairen-
ke, Seeforelle, Sandfelchen oder Kilch unter der Eutrophie-
rung der Seen leiden oder drohen dadurch gar auszusterben.
Das Aufkommen der Brut einiger dieser Arten wird in zuneh-
mendem Maße be- oder verhindert, da ihre Eier, die sie in den
unteren Wasserbereichen ablegen, in sauerstoffzehrenden
Faulschlammablagerungen ersticken, die durch Absinken der
im Überfluß produzierten organischen Substanz entstanden
sind.
Darüber hinaus drohen einige Arten durch die Seen-Eutro-
phierung ihre „genetische Identität" zu verlieren, weil unter
den veränderten Bedingungen die Isolationsmechanismen der
einzelnen Arten nicht mehr richtig funktionieren. Aber auch
Zucht- und Besatzmaßnahmen tragen dazu bei. Zumindest im
Bereich des Alpenrandes gibt es beispielsweise keine genetisch
reinen Vorkommen der Gattung Coregonus mehr, zu der
neben dem Kilch, der möglicherweise eine Ausnahme macht,
Sand- und Blaufelchen sowie Wandermaräne gehören. Auch
vom Saibling, einem Bewohner von Seen des Donaugebietes,
existieren im Bereich der bayerischen Alpen keine reinen
Stämme mehr.
Karl-Heinz Preuß

189
Wenn ein typischer „Wandervogel" wie der Weiß-
storch in Europa immer seltener wird, liegt das
auch an den Gefahren, die ihm auf seinen weiten Wegen überall
begegnen. Deshalb helfen ihm Vogelfreunde nun auf recht
ungewöhnliche Weise:

Adebar wird
das Reisen abgewöhnt
Der Weißstorch ist in Deutschland vom Aussterben be-
droht. So drückt es jedenfalls die 1971 zum erstenmal erschie-
nene und von Wissenschaftlern zusammengestellte Rote Liste
der Naturschützer in Tiefrot aus, was höchste Alarmstufe
bedeutet. Bereits das vom Europarat zum Naturschutzjahr
erklärte Jahr 1970 hatte den Anstoß gegeben, daß sich enga-
gierte Naturschützer in mehreren europäischen Ländern ver-
stärkt um Meister Adebar kümmerten. Dabei entstand zum
Beispiel im Elsaß auch ein bemerkenswertes Zentrum für die
Wiedereinbürgerung der Störche.
Im Elsaß müssen die Störche um 1900 nach allen Bezeugun-
gen einige Tausend gezählt haben. Eine erste Zählung wies
noch 1927 149 Paare und 386 Jungtiere nach. Erst nach 1960
begann der einschneidende Niedergang: 90 Paare wurden 1962
registriert, nur noch zehn 1976. In Holland verringerten sich
die Storchenpaare von 48 im Jahr 1960 auf 14 im Jahre 1970. Im
Nordrheingebiet ist der Weißstorch seit 1947 verschwunden,
im Saarland seit 1965. Größere Restbestände leben noch in
Bayern, in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein.
Das Zentrum für die Wiedereinbürgerung der Störche im
Elsaß, das 1972 in Kintzheim gegründet wurde -und dem 1975
in Hunawihr ein zweiter Storchen-Park folgte, hat sich schon
vor Beginn seiner praktischen Versuche um die Biologie der
Weißstörche gekümmert, die als „Kulturnachfolger" vor allem
in Dörfern leben und nicht wie der Schwarzstorch als heimli-
cher Waldbewohner. Vor allem ging es dabei um die Frage, ob
die Veränderung des Lebensraumes der Störche, etwa durch
Flußbegradigungen und Entwässerungen feuchter Wiesen,
ihnen auch die Nahrungsgrundlage entzieht. Dabei kamen die
Forscher in Kintzheim im Gegensatz zu landläufigen Ansich-
ten zu dem Ergebnis, daß Frösche und Froschartige keines-
wegs eine unbedingt notwendige Beute sind. Vom Regen-
wurm über Schnecken, Käfer, Engerlinge bis zu Mäusen,

190
Hamstern und manchmal auch Fischen schmeckt dem Weiß-
storch so vieles, daß er in trockenen wie auch feuchten
Monaten sein Auskommen finden kann. Die Untersuchung
von im Nest ausgewürgter Nahrung für die Jungen hat gezeigt,
daß in der „trockenen Saison" Kleinsäugetiere und Käfer
überwiegen, in der „feuchten Saison" Regenwürmer.
Obwohl die Fachleute in dieser Frage keineswegs einer
Meinung sind, verneinen jedenfalls die Forscher in Kintzheim
die These, daß Nahrungsmangel ein Teil des Problems ist, das
zum Rückgang der Störche geführt hat. Der Satz „je mehr
Frösche, desto mehr Störche" sei ein bis zum Äußersten
strapazierter Mythos. Die Untersuchungen der von Alttieren
in die Nester gebrachten Nahrung hätten ergeben, daß das
Angebot größer war, als die Jungen auffressen konnten.
Im Gegensatz dazu führte ein Mitarbeiter der Bundesfor-
schungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie,
Bonn, dieses Nahrungsproblem durchaus als Grund für den
Rückgang an, zählte aber auch auf, daß die moderne Dorfar-
chitektur den Störchen zu wenig Möglichkeiten zum Nestbau
biete, daß viele Störche auf ihren Zugstraßen nach Afrika
Opfer von Jägern würden und daß die ökologische Qualität der
afrikanischen Überwinterungsgebiete durch Eingriffe so ver-
ändert worden sei, daß sie auch in ihren klassischen Überwin-
terungsgebieten nicht mehr genug Nahrung fänden.
Den Nahrungsmangel akzeptieren die Kintzheimer Storch-
schützer also nicht. Der Verlust durch eine mit Strom- und
Fernmeldeleitungen „verdrahtete Landschaft", den auch die
deutsche Rote Liste verzeichnet, betrage jährlich sechs bis acht
Prozent. Das sei zwar ein bedauerlicher, aber im Hinblick auf
die natürliche Zuwachsrate erträglicher Verlust. Die Kintzhei-
mer Mitarbeiter J.-M. Thiollay und G. Moul haben indessen in
Westafrika ermittelt, daß dort die Störche in großen Massen -
und oft auch mit automatischen Waffen - von Jägern dezimiert
werden. Einen weiteren schwerwiegenden Grund sehen sie in
der Versprühung von Schädlingsbekämpfungsmitteln in star-
ker Konzentration aus Flugzeugen, auch auf Vogelansamm-
lungen, gleich welcher Art. Die Folge: Von den in die Über-
winterungsgebiete abreisenden Störchen kommt nur ein klei-
ner Prozentsatz zurück.
Aus diesem Grund bemüht sich das „Centre de Reintroduc-
tion des Cigognes" im Elsaß um eine Unterdrückung des
Zugtriebes: Die Störche sollen im Winter „zu Hause" bleiben.
Deshalb wird das in der kalten Jahreszeit spärlicher werdende
Nahrungsangebot verändert und werden dann täglich zwi-

191
schen 400 und 600 Gramm Fleisch an jeden Storch verfüttert.
Bei starker Kälte stehen überdies beheizte Zonen zur Verfü-
gung. „Festgehalten" werden die Vögel dadurch, daß man ihre
Flügel stutzt, was ihnen nach der Mauserung die Flugfähigkeit
wieder zurückgibt. Um den jährlichen Zugtrieb nach Afrika zu
unterdrücken, muß dies bei jeder Storchengeneration drei
Jahre lang geschehen. Die Jungen der im Elsaß auf diese Weise
ganzjährig „ansässig" gemachten Adebare behalten indessen
ihren Wandertrieb. Sie müssen ebenfalls der dreijährigen
„Entwöhnungsprozedur" unterworfen werden. Die wissen-
schaftliche Frage dahinter ist, wie weit man Zugvögeln über-
haupt das Ziehen abgewöhnen kann. In den siebziger Jahren
bürgerte das wissenschaftliche Institut der Deutschen Jäger-
schaft in Bonn-Beuel in verschiedenen Gebieten Deutschlands
erfolgreich Graugänse wieder ein. Inzwischen vermehren sie
sich in freier Natur, doch unternimmt die Mehrzahl von ihnen
keine Züge mehr.
Heinz Ockhardt

192
Immer weiter dehnen sich Dörfer und Städte in die
freie Landschaft und oft wertvolle Naturräume aus.
Sie treiben Tiere und Pflanzen zum Rückzug. Einige wenige
Arten „verstädtern" indessen im lebenstüchtigen Gegenzug:

Wie Wildtiere
Neubürger werden
Ein Paradebeispiel, wie schnell Tierarten den für sie neuen
Lebensraum Stadt erobern können und dort neue ökologische
Nischen einnehmen, liefert schon lange die Amsel. Noch im
18. Jahrhundert ausschließlich als scheuer Waldvogel bekannt,
drang sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts zuerst in die süd- und
westdeutschen Städte ein und gehört heute sozusagen schon
zum Stadtbild, sei es bei der Nahrungssuche auf dem Rasen in
der City oder etwa auf einer Lichtreklame sitzend, wo sie laut
flötend ihr Revier verteidigt. Ein ähnlicher Verstädterungs-
prozeß wiederholte sich bei einem nahen Verwandten, der
Singdrossel.
Worauf diese plötzliche „Verstädterung" zurückgeht, kann
von zoologischer Seite bisher nur mit Mutmaßungen beant-
wortet werden. Ein Forschungsprojekt an der Universität des
Saarlandes könnte hier indessen weiterhelfen. Was sich in
wenigen Jahrzehnten am Beispiel der Amsel verfolgen läßt,
hat sich - weniger auffällig - nämlich auch bei einigen anderen
Tierarten abgespielt. Beim Fuchs beispielsweise treten in
Stadtrandgebieten Verhaltensmerkmale auf, wie sie in freier
Wildbahn unbekannt sind.
Möglicherweise schlägt sich diese Urbanisierung auch in
vererbbaren Veränderungen nieder. Dies zeigt, daß die Evolu-
tion noch nicht zu Ende ist, sondern sich ständig quasi vor
unseren Augen vollzieht. So betrachtet sind Städte als Anpas-
sungsräume eine Herausforderung für viele Tierarten, ein
„Experimentierfeld der Evolution", wie es der Saarbrücker
Biologe Dr. Hermann Ellenberg sieht.
Wie „Großtiere" in dynamischen und vom Menschen inten-
siv genutzten Kulturlandschaften überleben, war die zentrale
Frage, mit der sich Ellenbergs Arbeitsgruppe im Rahmen
eines umfassenden „Stadtökologie-Projektes" am Lehrstuhl
für Biogeographie befaßte. Sie interessierte dabei weniger,
warum sich einzelne Tierarten zurückgezogen haben und auf
welche, eventuell auch für den Menschen schädliche Faktoren

193
dies zurückzuführen ist.
Die Wissenschaftler wollten vielmehr ergründen, wie es
Säuger, Reptilien und Vögel schaffen, in einer stark veränder-
ten Kulturlandschaft zu überleben - und dies oft nicht einmal
so schlecht, wie schon erste Forschungsergebnisse zeigten. Es
geht um Überlebensstrategien, deren Erforschung nicht nur
für die zoologische Grundlagenforschung Bedeutung hat, son-
dern auch für Naturschutzmaßnahmen und sogar für Raumbe-
wertung und Raumplanung. Nicht zuletzt ergeben sich so auch
Hinweise auf eventuelle Umweltgefahren, die auch den Men-
schen bedrohen können.
Daß Eidechsen sehr sensibel sind, was die Anreicherung
bestimmter Schadstoffe im Körper angeht, zeigt beispielsweise
eine Studie, in der die Schadstoffbelastung von Eidechsen der
saarländischen Landeshauptstadt mit denen stadtferner Stand-
orte verglichen und auch genau untersucht wurde, was sie dort
jeweils als Nahrung vorfinden. Es stellte sich heraus, daß nicht
nur Asseln, Tausendfüßler, Ameisen und Heuschrecken, son-
dern auch flugfähige Insekten sowie Früchte und Aas auf dem
Speisezettel der flinken Vierbeiner stehen.
An Zaun-, Mauer- und Waldeidechsen verschiedener
Standorte aus der Innenstadt, dem städtischen Randbereich
und aus unbelasteten stadtfernen Zonen wurde speziell die
Schwermetallbelastung durch Cadmium und Blei analysiert.
Ergaben sich bei der Ernährung auch keine geschlechtsspezifi-
schen Unterschiede, so wiesen die Eidechsen-Männchen den-
noch höhere Blei- und Cadmiumgehalte auf als die Weibchen.
Der Zustand der Tiere spiegelte sehr gut die Schadstoffbela-
stung des entsprechenden Raumes wider und stellte damit
deren Eigenschaften als Bioindikator für die Raumplanung
unter Beweis. Mit zunehmender Entfernung von einer stark
befahrenen Verkehrsstraße nahmen bei den untersuchten
Waldeidechsen-Männchen die Schwermetallrückstände stark
ab, ebenso vom urbanen zum außerstädtischen Bereich bei
allen untersuchten Populationen.
Während sich der Aktionsraum einer Eidechse noch gut
überblicken läßt, ist dies bei anderen Tieren nicht ganz so
einfach. Um einen Habicht ständig überwachen zu können,
war es erforderlich, das Tier mit einem Mini-Sender „auszu-
statten" . So konnten die Streifzüge des gefiederten Vagabun-
den in der saarländischen Landeshauptstadt mit einer Antenne
genau verfolgt werden. Auf diese Weise gelang es auch, den
Aktionsraum des Vogels ziemlich genau abzugrenzen, Schlaf-
platz und bevorzugte Aufenthaltsorte ausfindig zu machen.

194
Eine standardisierte Erfassung der möglichen Beutetiere in
den einzelnen Räumen, die vom Singvogel bis zur Ente
reichte, zeigte, daß sich der Greifvogel vor allem dort aufhält,
wo das Beuteangebot am höchsten ist.
Vor allem im Winter profitierte er vom überreichen Beute-
angebot des reichhaltigen Vogellebens der Wald-, Park-,
Garten-, Stadt- und Flußlandschaft. Aber auch im Sommer ist
die Stadt ein verlockender Lebensraum für den Habicht, wie
die Zahl der besetzten Horste im Stadtverband Saarbrücken
zeigt. Auf einer Fläche von 315 Quadratkilometer wurden 14
besetzte Horste gezählt. Diese Siedlungsdichte von 1850 Hek-
tar pro Habichtpaar ist verhältnismäßig hoch im Vergleich zu
anderen Gegenden Deutschlands - ein Gütezeichen für einen
reich gedeckten Tisch.
Die Rückstandsanalysen in Mauserfedern der Habichte
förderten mehr Blei und Cadmium zutage als in denen der
Hauptbeutetiere; diese Schwermetalle reichern sich also an.
Auch waren die Junghabichte noch nicht so stark belastet wie
die älteren Tiere. Daß sich die Saarbrücker Umweltforscher
nicht nur mit einzelnen Arten wie etwa auch dem Waldkauz,
dem Fuchs oder der Schleiereule beschäftigten, beweist die
Rasterkartierung der Brutvögel, in der man die gesamte
Vogelwelt des Stadtverbandes zu erfassen versuchte. Die
Ergebnisse dienen als Anhaltspunkt zur Ausweisung von
Schutz- und Ruhezonen. Allein für die Landeshauptstadt
wurden 99 Brutvogelarten registriert. Von weiteren acht Ar-
ten wie etwa dem Baumfalken, Rot- und Schwarzmilan sowie
dem Flußregenpfeifer liegen Brutzeitbeobachtungen vor. Am
weitesten im Stadtgebiet verbreitet sind Zaunkönig, Mönchs-
grasmücke, Zilp-Zalp, Amsel, Kohlmeise und Buchfink. Sie
wurden in mehr als der Hälfte der Rasterquadrate nachgewie-
sen. Schon erste Ergebnisse dieses Projektes zeigten, daß der
Lebensraum Stadt für die Tierwelt keineswegs tabu ist, son-
dern gerade in städtischen Randgebieten für viele Tierarten
neue ökologische Nischen bietet. Hier eröffnen sich auch für
den praktischen Naturschutz neue Dimensionen, will man der
„Evolution vor der Haustür" weiterhin eine Chance geben.
Wilhelm Irsch

195
Es sieht schlecht für sie aus: Sie sterben nicht mehr
nur, weil sie manchem Stadtplaner im Wege
stehen, sondern auch an einer Krankheit, die sich erst in diesem
Jahrhundert verbreitet hat. Ein kleiner Pilz ist eine schlimme

Bedrohung für
die letzten Ulmen
Den Übeltäter haben die Biologen Ceratocystis ulmi ge-
tauft. Er wurde anfangs des Jahrhunderts aus dem Fernen
Osten auf das europäische Festland verschleppt und im Jahre
1919 zum ersten Mal in Holland festgestellt. Von dort aus hat
er schnell die Ulmen des ganzen Kontinents befallen. Nach-
dem die Krankheit Ende des Zweiten Weltkrieges etwas
abflaute, treibt der Pilz seit den sechziger Jahren nicht nur in
deutschen Landen wieder verstärkt sein Unwesen.
Eine Ursache liegt möglicherweise darin, daß zu jener Zeit
ein neuer, weit gefährlicherer Erregerstamm nach Europa
kam. Inzwischen hat die Ulmenseuche Millionen Bäume auf
dem Gewissen und macht auch vor den dicksten Stämmen
nicht halt. Allein in Großbritannien gingen schätzungsweise 16
Millionen Ulmen an der Seuche zugrunde. In der Bundesrepu-
blik Deutschland fielen bis Anfang der achtziger Jahre bereits
über 70 Prozent des Ulmenbestandes.
Der Pilz nistet sich in den Wasserleitgefäßen des jüngsten
Jahresringes, dem im Frühjahr frischgebildeten Splintholz, ein
und veranlaßt die dortigen Zellen zur Thyllenbildung. Diese
pfropfartigen Gebilde wachsen heran und verstopfen schließ-
lich das Wasserleitsystem. Der Wasserstrom von der Wurzel
zur Krone versiegt, der Baum stirbt.
Um an den „Tatort" zu gelangen, nimmt der Pilz bei uns die
Transportdienste eines Tieres in Anspruch. Die Pilzsporen
haften am Körper des Großen Ulmensplintkäfers Scolytus
scolytus, den die Zoologen zur großen Familie der Borkenkä-
fer zählen. Auf diese Weise ist eine rasche Verbreitung des
Pilzes gewährleistet. Das Käferweibchen bevorzugt zur Eiab-
lage das Holz geschwächter Ulmen, die häufig vom Pilz
befallen sind. Die Larven fressen sich ihre Gänge durch das
Holz, verpuppen sich und vollziehen die Verwandlung zum
Käfer.
Mit den Pilzsporen beladen, bohrt sich das vollentwickelte
Insekt schließlich seinen Weg ins Freie und sucht neue „Wei-

196
degründe" in den Baumkronen gesunder Ulmen, wo es sich am
Blattwerk gütlich tut. Dabei gelangt gleichzeitig der Pilz in die
Saftbahnen des Wirtes. Auf diese Weise kann sich die Seuche
wie ein Lauffeuer unter den Ulmenbeständen ausbreiten.
Gegen den Ulmensplintkäfer richten sich denn auch viele
Bekämpfungsmaßnahmen, bei denen der durchschlagende
Erfolg bislang noch ausgeblieben ist. Die chemische Bekämp-
fung durch den Einsatz von Bioziden, die sich als Insektizid
gegen den Käfer oder als Fungizid direkt gegen den Pilz
richten, ist sehr aufwendig und kostspielig. An die Wirksam-
keit des DDT, dessen Einsatz wegen des enormen Umweltrisi-
kos verboten ist, kommt ohnehin keines der heutigen Präpara-
te heran.
Die Anwendung von Fungiziden hat den Nachteil, daß die
Substanzen den Bäumen direkt unter die Rinde gespritzt
werden müssen, nachdem sie zuvor an mehreren Stellen
angebohrt wurden. Abgesehen von den Kosten einer solchen
Prozedur werden auch die Bäume selbst dadurch arg ge-
schwächt, so daß der enorme Aufwand nur bei besonders
wertvollen Exemplaren gerechtfertigt erscheint.
Amerikanische Wissenschaftler versuchen dem Ulmenster-
ben mit biologischen Mitteln zu Leibe zu rücken, die sich
sowohl gegen den Erreger als auch gegen den Überträger
richten. Dabei machen sie sich die Tatsache zunutze, daß die
Käferweibchen, wenn sie einen zur Eiablage geeigneten Baum
gefunden haben, einen charakteristischen Duftstoff (ein Phe-
romon) abgeben, der die Artgenossen gleich in Scharen her-
beilockt. Papierrollen, die mit Leim bestrichen sind, imprä-
gnieren die Wissenschaftler mit dem künstlichen Pheromon.
Die Tiere gehen ihnen dann buchstäblich auf den Leim. Da auf
diese Weise jedoch nie alle Käfer angelockt werden, läßt der
Erfolg zu wünschen übrig.
Eine andere Bio-Strategie läßt sich bei bereits befallenen
Bäumen anwenden. Das Bakterium Pseudomonas syringae
bildet einen Stamm aus, der eine hochwirksame Substanz
ausscheidet, ein Antibiotikum, das den Pilz unschädlich
macht. Eine solche Behandlung verspricht im Frühjahr beson-
ders viel Erfolg, wenn die Ulmen voll im Saft stehen. Unter die
Rinde injiziert werden die Bakterien in kürzester Zeit über den
Saftstrom im ganzen Raum verteilt. Der Pilz kann auf diese
Weise oft völlig vernichtet werden.
Der Erreger der Ulmenkrankheit hat in Europa aber auch
einen natürlichen Gegenspieler, der sich gegen den Ulmen-
splintkäfer richtet. Er heißt Phomopsis oblonga und ist ein

197
ebenfalls im Ulmenholz lebender Pilz, der den Baum jedoch
nicht nennenswert beeinträchtigt. Dieser Pilz, der vor allem im
Nordwesten der Britischen Inseln verbreitet ist, hemmt die
Käferlarven in ihrer Entwicklung. Die auf diese Weise redu-
zierte Nachkommenschaft schlägt dann auch in einer ernied-
rigten Infektionsrate der Ulmen zu Buche.
Die Hoffnungen auf eine holländische Ulmenart, die gegen
die Pilzkrankheit resistent sein sollte, haben sich nicht erfüllt.
Nachdem die in den sechziger Jahren angepflanzten Bäume
inzwischen die für einen eventuellen Befall notwendige Reife
erlangt haben, werden auch sie von der Seuche befallen.
So bleibt denn auch heute die wirksamste Bekämpfungs-
maßnahme, alle kranken und geschwächten Bäume sofort zu
fällen, um dem Ulmensplintkäfer die Möglichkeiten der Eiab-
lage zu entziehen. Ein rasches Eingreifen direkt nach dem
Befall erfordert eine regelmäßige Überwachung der Bestände.
In den Niederlanden läßt man sich den Kampf gegen das
Ulmensterben etwas kosten. Ein landesweites Bekämpfungs-
programm verschlang allein im Jahre 1980 16 Millionen Gul-
den. Ähnliche Bekämpfungsaktionen gibt es in den Vereinig-
ten Staaten. Wenn die Seuche sich damit auch nicht ausrotten
läßt, so kann sie dadurch zumindest gebremst werden. Immer-
hin fallen in der Stadt Amsterdam von 50000 Ulmen jährlich
lediglich 200 der Seuche zum Opfer.
In Deutschland setzt man mehr auf die Züchtung wider-
standsfähiger Formen. Diese könnten vielleicht, so paradox es
klingen mag, aus der ursprünglichen Heimat des Erregerpilzes
kommen. Unter den Ulmen in Fernost ist die Krankheit
nämlich unbekannt. Vermutlich konnte sich dort im Verlauf
eines jahrhundertelangen Zusammenlebens mit dem Pilz eine
Art natürliche Resistenz entwickeln, die den in Europa heimi-
schen Formen fehlt.
Aus ostasiatischem Saatgut haben amerikanische Wissen-
schaftler nun auch einen anderen, wie sie hoffen, resistenten
Ulmentyp herangezogen, von dem die ersten Exemplare in
den letzten Jahren auch in der Bundesrepublik Deutschland
angepflanzt wurden. Ob diese jedoch all das halten, was die
Wissenschaft sich von ihnen verspricht, das wird sich frühe-
stens zeigen, wenn die Bäume mit etwa 20 Jahren das kritische
Alter erreicht haben werden.
Wilhelm Irsch

198
Im Himalaja und seinen Vorbergen spielt sich zur
Zeit eine schleichende Umweltkatastrophe ab, die
unabsehbare Folgen nach sich zieht. Die Wälder Nepals, die bis
auf rund 4000 Meter hinaufreichen, werden verkauft, verfeuert,
in Wiesen und Äcker umgewandelt:

Das Dach der Welt


wird abgeholzt
Dieser gewaltige Eingriff in die Natur ist vor allem deshalb
fatal, weil die konzentrierten Niederschläge der Monsunzeit
immer weniger im Waldboden zurückgehalten und in immer
geringerem Umfang durch die „atmenden" Bäume wiederver-
dunstet werden. Diese extremen Regenmassen - die jährliche
Niederschlagsmenge liegt fast überall weit über einem Meter
und erreicht stellenweise sogar sechs Meter (!) im Jahr -
fließen immer schneller ab. Zunehmende Hochwässer,
Schlammströme, Hangrutschungen und Bodenerosion ver-
nichten den Waldboden und die Kulturflächen.
Der immer schnellere Wasserabfluß durch die drei großen
Flußsysteme des Landes, die alle in den Ganges münden und
seine Hauptzuflüsse bilden, führen zu immer stärkeren Hoch-
wässern des Ganges in Indien und in Bangladesh, wo die
Hochwässer des Brahmaputra noch hinzukommen.
Das extreme Ganges-Hochwasser des Jahres 1978 und das
nicht viel weniger gewaltige Hochwasser des Jahres 1980
müssen beispielsweise, wie eine Untersuchung des Geogra-
phen Professor Hans-Christoph Rieger am Südasien-Institut
der Universität Heidelberg zeigte, auf diese Entwicklung
zurückgeführt werden. *
Mit der fortschreitenden Entwaldung hat zum Beispiel auch
der mittlere Jahresabfluß des Ganges in den letzten Jahren
laufend zugenommen, auch wenn es keine bis ins letzte
detaillierte Beweise für diese Zusammenhänge gibt, denn wer
kann schon den Lauf eines Wassertropfens vom Fall am
Himalajahang bis in den Ganges verfolgen.
Die Waldvernichtung erfolgte jahrzehntelang vor allem zur
Holzgewinnung, womit das Land einen Teil der Staatsausga-
ben finanzierte, und wird heute zunehmend unter anderem
unter dem Druck des ständigen Bevölkerungszuwachses zur
Landgewinnung betrieben. Mit Brandrodung, Beweidung des
Waldes mit Großvieh und Gewinnung von Zweigen und Laub

199
als Viehfutter wird der Wald entweder schnell oder langsam
zerstört, oft zur Gewinnung von Land, das so steil ist, daß es
schon nach wenigen Jahren durch Bodenauswaschung wieder
unfruchtbar geworden ist.
Mit dem Kartoffelanbau dringt die Waldrodung bis zur
Waldgrenze in 4000 Meter Höhe am Himalaja empor. Die
Waldvernichtung wurde unter anderem durch die Verstaatli-
chung der Wälder stark beschleunigt. Zuvor gehörten sie den
Dorfgemeinden. Nach der Verstaatlichung hatte niemand
mehr Interesse, den fremden Wald zu schonen, wobei eine
Kontrolle durch die Staatliche Forstverwaltung unmöglich
war. Seit 1978 jedoch wird den Dorfgemeinden wieder ein
eigener Waldbesitz zugestanden.
Ein zusätzlicher Faktor der Waldvernichtung ist die Ener-
gienutzung des Holzes, da dieses praktisch die einzige Energie-
quelle des Landes ist. Die Schätzungen über den Holzbedarf
pro Familie schwanken zwischen knapp einem und fast sieben
Kubikmeter im Jahr. Bei heute möglicherweise 14 Millionen
Einwohnern sind dies mehrere Millionen Kubikmeter im Jahr.
Da jedoch offiziell nur rund zehn Millionen Kubikmeter
Holz im Jahr eingeschlagen werden, von denen der größere
Teil als Nutzholz nach Indien geht, dürfte der Haushaltsbedarf
durch „Schwachholz" (junge Bäume), Fallholz oder Äste
gedeckt werden - weitgehend auf Kosten des Waldes.
Der Wald schwindet durch diese Nebennutzungen, Wald-
weide und Laubgewinnung vermutlich viel schneller, als es aus
den Statistiken hervorgeht, und vieles, was als Wald registriert
wird, ist nur noch sterbender Wald ohne Jungwuchs und
Unterholz, der vor allem in den Spitzen der Kronen weiterve-
getiert. Ist der Wald verschwunden, so rinnt das Wasser mit
vielfacher Geschwindigkeit zu Tal. Lediglich die sofortige
Anlage von terrassenförmigen Feldern oder von dichtem
Wiesenrasen könnte dies verhindern. Nach einer (allerdings
nicht experimentell überprüften) Untersuchung wird der Was-
serablauf durch Waldfortnahme und Ersatz des Waldes durch
Gras um das 27fache beschleunigt; bleibt nur nackter Boden
übrig, sogar um das 125fache.
Untersuchungen vor Ort haben in Nepal gezeigt, daß aus
einem gesunden Wald pro Jahr und Hektar drei bis fünf
Tonnen Boden, aus einer guten Wiese etwa zehn Tonnen, aus
einem Buschwald zehn bis 15 Tonnen und aus dem Gebiet
einer Erosionsrinne, in der nur noch nackter Boden oder Fels
die Oberfläche bilden, 45 bis 50 Tonnen fortgeschwemmt
werden. Die Erosionskraft der Niederschläge an den Himala-

200
jahängen ist besonders groß, weil hier die Regen besonders
konzentriert in großen Tropfen fallen.
Das alles bedeutet, daß der Waldverlust an den Hängen des
Dachs der Welt mit den großen Flächen mit starker Hangnei-
gung und hohen Abflußgeschwindigkeiten zu zunehmenden
Überflutungen in Talgebieten und zu einem schnellen Boden-
abtrag auf den Hängen führt: Mit dem Boden schwindet die
Lebensgrundlage der heute noch weitgehend von der Agrar-
wirtschaft lebenden Bewohner Nepals.
Zwar ist es ein ehernes geologisches Naturgesetz, daß
Hochgebirge auch wieder abgetragen werden, doch nicht in
dem jetzt einsetzenden rasenden Tempo unterhalb der Baum-
grenze in Nepal. In natürlichen Ökosystemen dürfte unter
Waldbedeckung nicht mehr Bodenmasse „abfließen", als stän-
dig unter den Wurzeln der Bäume neu aus Fels entsteht, so daß
das Ökosystem immer intakt bleibt.
Zwar hat man in Nepal, wo die staatliche Forstverwaltung
mit der Aufforstung begonnen hat, die Problematik längst
erkannt. Doch in etwa zwei Jahrzehnten entstanden kaum
mehr als 50 Quadratkilometer neuer Waldflächen. Eine Reihe
von Entwicklungsprojekten zielt indirekt auf die Wiederher-
stellung des ökologischen Gleichgewichts durch Aufforstung,
Wasserregulierung und Schaffung alternativer Energiequellen
durch Biogas.
Darüber hinaus wurde Anfang der achtziger Jahre erstmals
ein Projekt begonnen, das als Modell für die weitere Entwick-
lung des Himalajastaates die Ökologie eines geschlossenen
Gebietes, der Tinau Khola-Wasserscheide in Westnepal, regu-
lieren soll. Es wird von der Bundesrepublik Deutschland, der
Schweiz und Nepal gemeinsam finanziert. In dem rund 550
Quadratkilometer großen Projektgebiet soll das ökologische
Gleichgewicht wiederhergestellt und so eine ausbalancierte
wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht werden.
Das Projekt beginnt bei der Wiederaufforstung und dem
Schutz der vorhandenen Forste, unter anderem durch An-
pflanzung von Plantagen mit Futterbäumen auf Privatland, um
das wilde Laubschneiden in dem Wald zu beenden, sieht die
Anlage von terrassenförmigen Feldern in Hanglage vor, um
die Bodenerosion zu beenden, soll die Hangrutschungen stabi-
lisieren, die das Land bedrohen, und endet bei zahlreichen
Verbesserungen der Produktivität in Landwirtschaft und Gar-
tenbau. Im Vordergrund steht jedoch der Forstschutz, von
dem alles andere abhängt. Dieses Projekt ist zwar nur ein
kleiner, jedoch wichtiger Beitrag, um das Dach der Welt vor

201
der Verödung zu retten.
Dr. Harald Steinen

202
Auch selten werdendes Unkraut verdient Schutz.
Zur üblichen „musealen Form" der Erhaltung
dieser Ackerwildkräuter in Ackerreservaten und Freilichtmuse-
en gibt es eine neue Möglichkeit, zu einem besseren Nebeneinan-
der von landwirtschaftlicher Nutzung und Naturschutz zu gelan-
gen:

Ein Unkrautsaum
um jeden Acker
Jahrzehntelang bemühen sich die Landwirte nun, das Un-
kraut von ihren Feldern zu verbannen, setzen gereinigtes
Saatgut, Dünger und vor allem chemische Vernichtungsmittel
(Herbizide) ein, und nun meldet sich die Wissenschaft mit der
Forderung, diese ungeliebten Ackerwildkräuter zu schützen
und zu erhalten.
Der Grund: Von den 270 Arten der Wildkräuter aus Äk-
kern, Gärten und Weinbergen - sie werden auch Segetalflora
genannt - sind 72 bundesweit bedroht oder verschollen und
stehen auf den „Roten Listen" der gefährdeten Pflanzenarten.
Dr. Wolfgang Schumacher vom Biologie-Seminar der Uni-
versität Bonn hat deshalb schon vor einigen Jahren erstmals
den Vorschlag gemacht, einen etwa zwei Meter breiten Rand-
streifen der Äcker von der Herbizidanwendung zu verscho-
nen. Dort könnten die Krauter dann ungestört wachsen,
während der Rest des Ackers „normal" bewirtschaftet werden
kann.
Gerade die Wildkräuter sind auf einen regelmäßigen Ein-
griff des Menschen angewiesen. Ihre jahrzehntelang keimfähi-
gen Samen gelangen bei der Bearbeitung des Ackers an die
Oberfläche und treiben dort als Lichtkeimer rasch aus. Liegt
der Acker längere Zeit brach, verschwinden die Pflanzen oft
innerhalb von ein bis zwei Jahren. Schutzmaßnahmen für die
Segetalflora sind also nur sinnvoll, wenn gleichzeitig Getreide
oder Hackfrüchte angebaut werden, wobei jedoch auf die
Anwendung von Herbiziden und übermäßige Düngung ver-
ziehtet werden muß. Ein genereller Verzicht auf chemische
Unkrautbekämpfung und der Einsatz biologischer Anbaume-
thoden ist für die Landwirte jedoch zu unrentabel.
In einem Modellvorhaben des Bundesmimsteriums für Er-
nährung, Landwirtschaft und Forsten ging Schumacher des-
halb der Frage nach, ob die Ackerkräuter nicht auch wirkungs-

203
voll geschützt werden können, wenn man nur die Randstreifen
der Äcker nicht spritzt.
Seit 1977 untersuchte er diese Frage regelmäßig an entspre-
chend behandelten Getreideäckern in der Sötenicher und der
Dollendorfer Kalkmulde in der Nordeifel. Die Versuchsstrei-
fen haben eine Gesamtfläche von 30000 Quadratmeter. Sie
grenzen entweder an Wege oder an Wälder, Gebüsch und
Kalkmagerrasen, nicht jedoch an benachbartes landwirtschaft-
lich genutztes Land. Im ersten Schritt des Vorhabens wurden
alle Arten in den Randzonen der einzelnen Äcker erfaßt,
getrennt nach gespritzten und ungespritzten Flächen. An-
schließend schätzten die Wissenschaftler, wieviel Prozent des
Ackerbodens die Krauter bedeckten, wie hoch also der „Be-
deckungsgrad" ist.
Insgesamt wurden bei der Bestandsaufnahme der unge-
spritzten Flächen 146 Wildkräuterarten gezählt, die gespritz-
ten Vergleichsflächen wiesen nur knapp 50 Prozent dieser
Artenzahl auf. Der Bedeckungsgrad der nicht gespritzten
Fläche lag zwischen 30 und 70 Prozent gegenüber 15 bis 30
Prozent bei den Flächen, auf denen Herbizide eingesetzt
wurden.
Die pflanzensoziologische Bestimmung ergab, daß die Be-
stände entweder der Haftdolden-Adonisröschen-Wildkraut-
flur oder der selteneren Tännelkraut-Wildkrautflur zuzurech-
nen sind. Von den selteneren Arten fand man neun auf
Versuchsflächen, auf denen sie vorher noch nicht angetroffen
wurden. Sommer-Adonisröschen (Adonis aestivalis), Lab-
kraut (Galium tricornutum), Haftdolde (Caucalis lappula),
Frauenspiegel (Legousia hybrida und Legousia speculum ve-
neris) und Ackerlichtnelke (Melandrium noctiflorum) gedie-
hen sogar in besonders großer Zahl. Das zeigt, daß in der Erde
offensichtlich noch ein reicher Samenvorrat vorhanden ist. Ein
Vergleich mit den gespritzten Randflächen ergab, daß dort auf
einem Quadratmeter nur knapp ein Drittel der Arten und
Individuen vorkommt, die man auf den ungespritzten Flächen
antrifft. Einige seltene Arten, wie das Sommer-Adonisrös-
chen, der Ackerhahnenfuß (Ranunculus arvensis) und die
Haftdolde konnten in den ungespritzten Zonen sogar erfolg-
reich neu angesiedelt werden, da sie sich dann, wenn sie einmal
ausgesät sind, aus eigener Kraft jedes Jahr erneuern.
Wenngleich diese Ergebnisse zunächst nur für Äcker der
Kaikeifel gelten, lassen sie doch hoffen, daß die Segetalflora
mit diesen Maßnahmen „vor Ort" erhalten werden kann. Eine
wichtige Funktion kommt dabei den Landwirten zu. Sie muß-

204
ten für die Teilnahme an dem Modellvorhaben erst einmal
gewonnen werden, reagierten dann aber sehr positiv, denn
ihre Angst vor Verunkrautung des gesamten Ackers bestätigte
sich in keinem einzigen Fall. Für ihre Ertragseinbußen durch
den Verzicht auf Herbizide erhielten sie eine Entschädigung.
Die Ackerwildkräuter sind nämlich nicht nur interessant als
lebende Zeugen alter bäuerlicher Wirtschaftsformen und Kul-
turen, wo sie zum Beispiel als Gift- und Heilpflanzen genutzt
wurden, sie haben laut Schumacher vor allem in ökologischer
und ökonomischer Hinsicht Bedeutung. So verhindern sie zum
Beispiel das Aussterben vieler Schmetterlinge, Käfer, Spinnen
und Raubinsekten, die nur in Gemeinschaft mit diesen Wild-
kräutern existieren können, und sind damit ein wichtiger
Faktor für die Aufrechterhaltung des biologischen Gleichge-
wichts. Sie stellen zudem ein genetisches Potential dar, das für
Züchtungen von großer Bedeutung sein kann. Viele unserer
heutigen Nutz- und Zierpflanzen sind aus Kreuzungen zwi-
schen Kultur- und Wildformen hervorgegangen. Rottet man
die Wildarten aus, geht diese Möglichkeit für immer verloren.
Petra Niesbach

205
er hat sich sicherlich noch keine Gedanken dar-
über gemacht, daß sich der Erreger der tödlichen
Krankheit seiner Zuchtraupen einmal als Nutzung erweisen
könnte. Doch wenn sich Herr Berliner dieser Tatsache auch
nicht bewußt gewesen sein mag, als er den Erreger aus dem
Darm der kleinen Tierchen im Jahre 1911 als erster in Deutsch-
land isolierte, so war es für Bacillus thuringiensis doch der
bedeutende Schritt zum Schädlingsbekämpfungsmittel von
„Rang":

Ein Bakterium
macht Karriere
Heute läßt sich der Bacillus nicht mehr nur bei der Bekämp-
fung von Raupen einsetzen, sondern auch als wirksame Waffe
gegen Mücken. Für die Bekämpfung von Kriebelmücken und
Stechmücken als Überträger gefährlicher Tropenkrankheiten
gibt es damit zum erstenmal eine akzeptable Alternative zu
jenen chemischen Bekämpfungsmitteln bei der Hand, die in
den letzten Jahren zunehmend in Verruf geraten sind.
Wichtigstes „Utensil" für den Einsatz des Bakteriums in der
Schädlingsbekämpfung ist ein Eiweiß-Kristall, in das sich das
Bakterium etwa bei Nahrungsmangel verwandelt. Nimmt die
Raupe den Bacillus thuringiensis mit der Nahrung auf, so löst
sich der Eiweißkristall im alkalischen Milieu des Darmsaftes
und wandelt sich wieder zum für sie tödlichen Bakterium.
Die Karriere des Bakteriums als nützlicher Helfer liest sich
wie ein spannender Kriegsroman. Den ersten Feldzug im
Dienste des Menschen hatte es Ende der zwanziger Jahre in
Ungarn und Jugoslawien gegen den Maiszünsler zu bestreiten.
Das Ergebnis ließ noch zu wünschen übrig. Erst Anfang der
fünfziger Jahre traf Bacillus thuringiensis dann voll ins Schwar-
ze. In Kalifornien gewannen die Mikroben den Kampf gegen
den Amerikanischen Luzerneheufalter, einen Verwandten
unserers Kohlweißlings. Etwa zur gleichen Zeit kamen Sieges-
meldungen aus Ungarn im Kampf gegen den Weißen Bären-
Spinner. Schließlich wurden auch in Frankreich, Deutschland
und der Sowjetunion die Raupen des Kohlweißlings durch
Bacillus thuringiensis wirksam bekämpft. Diese Erfolge im
Kampfe Davids gegen Goliath riefen schließlich auch die
Industrie auf den Plan. Heute sind Bacillus-thuringiensis-
Präparate unter den verschiedensten Bezeichnungen fast über-

206
all auf dem Globus erhältlich.
Inzwischen hatten sich neue Anwendungsgebiete für den
Einsatz des Mikroorganismus eröffnet. Ein bestimmter Stamm
enthält ein Gift, das nicht gegen Schmetterlingsraupen wirkt,
sondern gegen Mückenlarven. Die Mikrobiologen haben ihn
Ende der siebziger Jahre in Israel in den Brutstätten von
Stechmücken aufgespürt und tauften ihn „israelensis".
Im Vergleich zu anderen Bekämpfungsmethoden ist die
Anwendung von Bacillus thuringiensis höchst elegant, zumin-
dest was die „Nebenwirkungen" angeht. Der Stamm israelen-
sis erweist sich nämlich in seinen Wirkungen auf den gesamten
Naturhaushalt bislang als äußerst harmlos. Wie beispielsweise
Untersuchungen des Heidelberger Zoologen Dr. Wolfgang
Schnetter zeigten, richtet sich das Toxin nur gegen im Wasser
lebende Larven von Stechmücken, Kriebelmücken, Zuck-
mücken und die einiger anderer Mückenarten. Nah verwandte
Arten werden verschont: Büschelmücken und Schwebfliegen
ebenso wie alle übrigen Wasserinsekten oder die zu den
Krebsen zählenden Wasserflöhe.
Auch der Mensch hat von dem Bakterium nichts zu befürch-
ten, wie umfangreiche Sicherheitstests an Warmblütern wie
Säugetieren und Vögeln sowie die bisherigen Anwendungen in
der Land- und Forstwirtschaft bewiesen haben. So wartet denn
nicht nur die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit Span-
nung auf die neue Waffe im Kampf gegen die Überträger vieler
Tropenkrankheiten.
Wilhelm Irsch

207
Quellen, Hinweise, Literatur
Von Kolumbus, Indianern und Eiszeitmenschen
Kolumbus kamen einige zuvor (1980): „Das Geheimnis des Drachenschwanzes"
von Paul Gallez ist im Dietrich Reimer-Verlag, Berlin, erschienen. Auf die Spur
großer Entdeckungen bis hinein in die jüngste Zeit führt Isaac Asimov in seinem
Buch „Die Erforschung der Erde und des Himmels", das 1984 vom Verlag
Kiepenheuer & Witsch, Köln, herausgegeben wurde.
Charme auf Birkenrinde (1981): Die Sammlung „Indianische Karten Nordameri-
kas" von Rainer Vollmar erschien im Dietrich Reimer-Verlag, Berlin. Ein anderes
wichtiges Kapitel zur Geographie der neuen Welt beschreibt Hanno Beck in Band 3
der „Geschichten, die die Forschung schreibt" unter dem Titel „Geographie,
Charme und Menschlichkeit" im Zusammenhang mit den kartographischen Pio-
nierleistungen von Alexander von Humboldt. Humboldt-Forscher Beck hat dar-
über hinaus ein zweibändiges Standardwerk über diesen berühmten Forscher
geschrieben: „Alexander von Humboldt". Es ist im Steiner-Verlag, Wiesbaden,
erschienen. Der erste Band trägt den Titel „Von der Bildungsreise zur Forschungs-
reise, 1769-1804", der zweite „Vom Reisewerk zum ,Kosmos', 1804-1859".
Das „Feuer" kam mit in den Topf (1978): Die Archäometrie ist ein Forschungsge-
biet, das der Entwicklung, Erprobung und dem Einsatz modernster naturwissen-
schaftlicher Methoden vor allem für die Auffindung, Freilegung, Analyse, Erhal-
tung und Restaurierung von Kulturgütern dient. Als eine Art neuer Brückenschlag
zwischen den Geistes- und den Naturwissenschaften ist dieses Gebiet von der
Stiftung Volkswagenwerk, Hannover, von 1971 bis Ende 1985 als Schwerpunktpro-
gramm gefördert worden und hat einer Reihe von Forschergruppen zu eindrucks-
vollen Ergebnissen mitverholfen, die für die weitere Entwicklung dieses Gebiets
nachhaltige Anstöße gegeben haben. Details zu den hier geschilderten Tübinger
Forschungsarbeiten finden sich unter anderem in dem von Hans-Jürgen Müller-
Beck und Rolf C. Rottländer herausgegebenen und 1983 in der Reihe „Archaelogi-
ca Venatoria", c/o Institut für Urgeschichte der Universität Tübingen, erschiene-
nen Symposiumsbericht „Naturwissenschaftliche Untersuchungen zur Ermittlung
prähistorischer Nahrungsmittel".
Ein neugieriger Blick in den Ur-Sammelbeutel (1982): Einen Überblick über die
„Alt- und mittelsteinzeitlichen Fundplätze des Rheinlandes" gibt das im Rheinland-
Verlag, Pulheim, erschienene und von Stephan Veil zusammengestellte gleichna-
mige Buch, das auch Beiträge von Gerhard Bosinski und anderen enthält. Eine sehr
lebendige Schilderung („Elefantenjagd in Thüringen") des Lebens im altsteinzeitli-
chen Lager Bilzingsleben findet sich in dem Buch von Helga Wingert-Uhde
„Schätze und Scherben" - Neue Entdeckungen der Archäologie in Deutsch-
land, Österreich und der Schweiz", Verlag Gerhard Stalling, Oldenburg und
Hamburg.
Die Eiszeithöhlen waren nur Sommerwohnungen (1979) / Auf einer Schwanen-
schwinge in die Ewigkeit (1977) / Ein alter Freund des Menschen (1980): Von
Joachim Hahn, Hansjürgen Müller-Beck und Wolfgang Taute erschien der Band
„Eiszeithöhlen im Lonetal" in der Reihe „Führer zu archäologischen Denkmälern
in Baden-Württemberg", 2. Auflage 1985, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart. Im
gleichen Verlag erschien 1988 in 2. Auflage „Das große Buch der schwäbischen
Alb", herausgegeben von Ernst W. Bauer und Helmut Schönnamsgruber. Das sich
durch die Schwäbische Alb ziehende Lonetal, ein Paradies für Langstreckenwande-
rer und Eiszeitforscher, ist mit seinen zahlreichen Höhlen eine der berühmtesten
archäologischen Fundlandschaften Baden-Württembergs. Speziell zum „Geißen-
klösterle" erschien von Joachim Hahn ein wissenschaftlicher Bericht unter dem
Titel „Die Geißenklösterle-Höhle im Achtal bei Blaubeuren", herausgegeben 1988
vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg. Mit dem Domestikationsproblem,
insbesondere am Beispiel der Hauspferde, beschäftigt sich Günter Nobis in seiner
wissenschaftlichen Studie „Vom Wildpferd zum Hauspferd", Verlag Böhlau, Köln.
Ebenso lebendige wie präzise Informationen aus der jüngeren Steinzeit vermittelt
das Buch „Die Sonne bleibt nicht stehen" von Gabriele Korthals-Beyerlein und

208
Herbert Lorenz, 1988 erschienen im Arena Verlag, München. Für dieses unge-
wöhnliche Buch haben sich eine Schriftstellerin und ein Fachwissenschaftler in der
Aufgabe zusammengefunden, den historisch einschneidenden Übergang des Men-
schen als Sammler und Jäger zum Ackerbauer und Viehzüchter in der Jungsteinzeit
sowohl allgemeinverständlich und spannend als auch wissenschaftlich exakt darzu-
stellen. Vor allem für jüngere Menschen eine ganz besondere Literaturempfehlung.
Von Energieproblemen im alten Ägypten bis zur Jeans-Revolution
Pharao ging die Holzkohle aus (1980): Der Bericht beschreibt Ergebnisse der
Arabah-Expedition des Deutschen Bergbau-Museums Bochum, die von der Stif-
tung Volkswagenwerk finanziell unterstützt worden ist. „Pharaos Volk" von
T. G. H. James, erschienen im Verlag Artemis & Winkler, München, ist darüber
hinaus eine Leseempfehlung für alle, die über den Alltag der „kleinen Leute" im
alten Ägypten mehr erfahren wollen.
Die letzte Blüte einer alten Technologie (1981): Mehr über Europas steinzeitliche
Techniken und Werkstoffe findet man in dem Sammelband „5000 Jahre Feuerstein-
bergbau", der vom Deutschen Bergbau-Museum Bochum herausgegeben worden
ist.
Der Stoff, der zwei Welten trennt (1980): Die Studie von Marlis Radke-Stegh ist
unter dem Titel „Der Theatervorhang" als Buch im Verlag Anton Hain, Meisen-
heim am Glan, erschienen.
Wo man den ersten Wein trank (1979): Der wissenschaftliche Bericht zu den
Ausgrabungen im Axiostal erschien von Alix Hochstetter und herausgegeben von
Bernhard Hansel unter dem Titel „Kastanas. Ausgrabungen in einem Siedlungshü-
gel der Bronze- und Eisenzeit Makedoniens 1975-1979" 1984 im Wissenschaftsver-
lag Spiess. Literaturempfehlung zu der hier geschilderten mykenischen Epoche:
„Die mykenische Welt" von John Chadwick, Verlag Reclam, und „Das mykenische
Hellas. Heimat der Helden Homers", Dietrich Reimer-Verlag, Berlin 1988.
„Grobe, lumpenhafte Hofmusique" (1982): Literaturempfehlung: „Wolfgang
Amadeus Mozart - Briefe", ausgewählt und herausgegeben von Stefan Kunze,
erschienen im Verlag Reclam, Berlin.
Lustgewinn in der Imbißbude (1981): Ulrich Tolksdorf hat über seine Untersuchun-
gen in einem Vortrag vor dem 23. Volkskundekongreß in Regensburg berichtet.
Das erste Tennismatch bestritten Klosterbrüder (1979): Heiner Gillmeister hat
auch das Buch „Aufschlag für Walter von der Vogelweide, Tennis seit dem
Mittelalter" geschrieben. Es ist 1986 im Verlag Droemer Knaur, München,
erschienen.
„Emmas" mittelalterliche Vorhut (1979): Karl Bosl berichtete über dieses Thema in
dem Sammelband „Stauferzeit", der 1978 im Verlag Klett-Cotta, Stuttgart, erschie-
nen ist.
Aussteiger auf Zeit ? (1981): Die Ergebnisse der Studie von Christa Mahrad sind in
der Fachzeitschrift „deutsche Jugend" (8/1981) der Forschungsstelle für Jugendfra-
gen, Hannover, veröffentlicht worden.
Freiheit in die Hosen gegangen? (1981): Nach einem Vortrag, den Wolf-Dieter
Könenkamp anläßlich des 23. Volkskundekongresses in Regensburg gehalten hat.
Wale, Saurier und Meteoriten
Kam das Leben aus dem All? (1982): Ihre ungewöhnlichen Thesen verfechten Fred
Hoyle und Chandra Wickramasinghe in ihrem gemeinsamen Buch „Evolution aus
dem Weltraum" aus dem Verlag Ullstein, Berlin. Manfred Eigen beschreibt in
seinem Buch „Stufen zum Leben - Die frühe Evolution im Visier der Molekularbio-
logie", Verlag Piper, München, die Ergebnisse seiner diesbezüglichen Forschungs-
arbeit.
Wie die Wale das Meer eroberten (1979): Literaturempfehlung: „Die Entwicklung
der Lebewesen - Spielregeln der Evolution" von Heinrich K. Erben, Verlag Piper,
München.
Die Fußspuren eines Hunderttonners (1981) / Als die Saurier „über" die Alpen
liefen (1982) / Der Todesschlaf der Höhlenbären (1980): Literaturempfehlung:
„Deutschland in der Urzeit" von Ernst Probst, Verlag C. Berteismann, München

209
1986.
Weshalb die Saurier sterben mußten (1980): Der Bericht von Hans-Jörg Fahr ist
eine Zusammenfassung damaliger Forschungsergebnisse, der Saurier-Tod vor 65
Millionen Jahren aber nach wie vor eine kontrovers diskutierte Geschichte
geblieben, wovon auch weitere Berichte in den diesem Band folgenden „Geschich-
ten, die die Forschung schreibt" zeugen. Dazu zählen „Als der Tod aus dem All
kam" in Band 2, und „Was brachte die Saurier wirklich um?" in Band 6.
Von Wasserwundern und Tausendfüßlern
Das Wasserwunder von Konstanz (1981): Dr. E. Hollan von der Landesanstalt für
Gewässerschutz, Karlsruhe, Dr. D.B. Rao vom Great Lakes Environmental
Research Laboratory, Ann Arbor, Michigan, und der Ozeanograph Dr. E. Bäuerle
vom Institut für Meereskunde der Universität Kiel haben über die hier geschilder-
ten Untersuchungen 1980 im „Archiv für Meteorologie, Geophysik und Bioklima-
tologie" berichtet. Bäuerle hat in der Folge mathematische Verfahren entwickelt,
mit denen die verschiedenen möglichen Schwingungen von Seen nicht nur berech-
net, sondern auch elektronisch in Klänge umgesetzt werden können. Darüber wird
unter dem Titel „Der Klang der Seen" in Band 5 der „Geschichten, die die
Forschung schreibt" berichtet.
Als Weser und Ems in die Elbe flössen (1979): Zusammenfassender Bericht über
ein Teilergebnis der unter Federführung des Deutschen Hydrographischen Insti-
tuts, Hamburg, erfolgten Untersuchungen der Sandbewegungen in der Deutschen
Bucht.
Als der Berg kam, schmolzen die Steine (1981): Weiterführende Literatur:
„Geologische Katastrophen" von M. A. Koenig, Ott-Verlag, Thun.
Das Energiesparfederwerk der Känguruhs (1981): Literaturempfehlung: Werner
Nachtigall: „Erfinderin Natur. Konstruktionen der belebten Welt", Verlag Rasch
& Rohring, Hamburg, 1984, und, vom selben Autor als Ausblick in einen viel
weiter gespannten Bereich: „Biotechnik und Bionik. Fachübergreifende Diszipli-
nen der Naturwissenschaft", 1982, beim Verlag Franz Steiner, Wiesbaden, erschie-
nen. Proske selbst berichtete 1981 in der Wissenschaftszeitschrift „Endeavour"
über seine Berechnungen.
Die Kursmathematik der Tausendfüßler (1981): Horst Mittelstaedt hat seine
Forschungsergebnisse für das „Jahrbuch 1980" der Max-Planck-Gesellschaft zu-
sammengefaßt, das im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen erschienen
ist.
Was Zugvögel zielsicher macht (1982): Die Forschungsarbeit von Wolfgang
Wiltschko vollzog sich im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft
geförderten Sonderforschungsbereichs „Vergleichende Neurobiologie des Verhal-
tens"; er hat darüber unter anderem in der Zeitschrift „Science" (Nr. 214) berichtet.
Von der inneren Uhr bis zum Kraftwerk im Körper
Lithium, Biorhythmen und Depressionen (1979): Forschungsreportage über die
Spitzbergen-Expedition Tübinger Forscher zur Klärung von Zusammenhängen
zwischen Lichteinwirkung und Depressionen. Dazu: „Biorhythmen" von Wolfgang
Engelmann und Waldemar Klemke, 1983 als Band 34 der Biologischen Arbeitsbü-
cher im Verlag Quelle & Meyer, Heidelberg, erschienen.
Auch Tiere haben einen Kalender (1982): Eberhard Gwinner hat über diese
Arbeiten in der Zeitschrift „Naturwissenschaften" (11/81) berichtet. Literaturemp-
fehlung für an diesem Thema wissenschaftlich Interessierte: Eberhard Gwinner:
„Circannual Rhythms. Endogenous Annual Clocks in the Organisation of Seasonal
Processes, Springer-Verlag, Berlin 1986.
Die Jahreszeiten eines Molchauges (1981): Die Ergebnisse dieser Forschungsarbei-
ten sind in der Zeitschrift „Brain, Behaviour, and Evolution (1/2 -1981) veröffent-
licht worden.
Die Unruh der inneren Uhr (1981). Der Artikel gründet auf einer Forschungsmit-
teilung der Max-Planck-Gesellschaft. Das Ergebnis der Suche nach dem „Faktor
X" wird von Hans-Georg Schweiger im „Jahrbuch 1984" der Max-Planck-Gesell-
schaft, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, beschrieben. Ein sehr

210
anschaulicher Bericht des Forschers befindet sich zudem unter dem Titel „Auf der
Suche nach dem molekularen Mechanismus der circadianen Uhr" in Band 84/85 des
„mannheimer forums", einer von Hoimar von Ditfurth betreuten Wissenschafts-
buchreihe von Böhringer-Mannheim.
Das Kraftwerk im Körper (1982): Der damals 21jährige Schüler Gero Gemballa
war 1982 mit einem Beitrag zum gleichen Thema einer der Preisträger des
Wettbewerbs „Reporter der Wissenschaft". Das von Rainer Flöhl und Günter Haaf
herausgegebene Buch „Reporter der Wissenschaft", Meyster Verlag, München
1981, enthält eine Vielzahl von Wissenschaftsreportagen, die aus diesem Wettbe-
werb hervorgegangen sind.
Vom Weihnachtsstern bis zur kosmischen Fata Morgana
Als Jupiter an Regulus vorbeizog (1981): Der Artikel gründet unter anderem auf
Forschungsergebnissen, die in der in München erscheinenden Astronomiezeit-
schrift „Sterne und Weltraum" (12/80) mitgeteilt wurden.
So schwer wie 2000 Sonnen (1981): Entdeckungen wie jene des Sterns R 136a haben
seit 1981 dazu geführt, daß die klassische Vorstellung, es könne keine Sterne mit
mehr als 60 Sonnenmassen geben, widerlegt wurde. Allerdings sieht die Entwick-
lung dieser sehr massereichen Sterne nach bisherigem Wissen ganz anders aus als
jene der „klassischen", die im Hertzsprung-Russel-Diagramm der Astronomen in
ihren Lebensgeschichten beschrieben werden: Sterne über 50 Sonnenmassen laufen
in ihrer Entwicklung in diesem Diagramm nicht mehr in das Gebiet der Roten
Riesen oder Überriesen ein; es scheint vielmehr so, als ob ihre Entwicklungsge-
schichte stets von enormen Massenverlusten beherrscht wird.
Eine kosmische Fata Morgana (1981): Diese Entdeckung eines Trugbildes im
Weltall, die wieder einmal eine Vorhersage von Albert Einstein glänzend belegt
hat, stand am Anfang einer aufregenden Entwicklung. Inzwischen ist auch ein
„Einstein-Ring" als weiterer Effekt der Ablenkung von Licht durch Schwerkraft
entdeckt worden. Darüber berichtet Band 7 der „Geschichten, die die Forschung
schreibt" unter dem Titel „Zerrspiegel der Sternenwelt".
Die stärksten Funkfeuer des Universums (1981): Der Artikel beruht auf einem
Vortrag von Wolfgang Priester in Bonn sowie auf weiteren persönlichen Mitteilun-
gen von ihm.
Ist die Sonne wirklich am Ende? (1980): Das Neutrino-Rätsel ist immer noch
ungelöst. Welche Bedeutung seine Aufklärung für die Teilchenphysik, die Astro-
physik und nicht zuletzt für die Kosmologie hat, schildert Physik-Nobelpreisträger
Rudolf L. Mößbauer - einschließlich der Hintergründe des Neutrino-Sonnen-
Rätsels - in einem Übersichtsartikel mit dem Titel „Neutrino-Ruhemassen und
Leptonenzahlverletzung" in der Zeitschrift „Naturwissenschaftliche Rundschau"
(8/1986), in dem interessierte Laien allerdings einige Formeln überspringen müs-
sen. „Geheimnisträger des Universums" lautet der Titel eines Neutrino-Artikels in
Band 6 der „Geschichten, die die Forschung schreibt".
Der Weltraum ist noch gefährlicher (1982): Eine sehr gute Darstellung des
Kenntnisstandes über den Sonnenwind findet sich in „Der große IRO Atlas der
Astronomie", der 1987 von der IRO Kartographische Verlagsanstalt, München,
herausgegeben wurde. Das allerdings nicht billige Werk ist darüber hinaus jedem zu
empfehlen, für den Astronomie und Astrophysik zu einem echten Interessengebiet
zu werden verspricht.
Literaturempfehlungen zu diesem Kapitel: Stephan W. Hawking: „Eine kurze
Geschichte der Zeit", Rowohlt-Verlag, Hamburg 1988. Einen Überblick über die
deutschen Raumfahrt-Forschungsaktivitäten bietet „Weltraumforschung in der
Bundesrepublik Deutschland", herausgegeben von Karl-Heinz Preuß und Rolf H.
Simen, 1987 in 2., überarbeiteter Auflage erschienen im Verlag Deutscher For-
schungsdienst, Bonn.
Von „fleißigen " Mikroben
und „nachwachsenden" Super-Computern
Mikroben heben Metallschätze (1981): Die hier angesprochenen Forschungs- und
Entwicklungsprojekte zur mikrobiellen Nutzung von Armerzen wie etwa Kupfer-

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schiefer, uranhaltige Erze und Nickelerze wurden im Rahmen des Rohstoff-
forschungsprogramms des Bundesministeriums für Forschung und Technologie
durchgeführt; dieser Bericht bezieht sich auf diese Teilaspekte dieses umfassenden
Programms. Der in diesem Beitrag zitierte Bericht des „Club of Rome", in dem sich
eine größere Zahl von Wissenschaftlern und Wirtschaftsführern aus über 30
Ländern zusammengefunden hat, um die Ursachen und inneren Zusammenhänge
der sich immer stärker abzeichnenden kritischen Menschheitsprobleme zu erfor-
schen, hat das Bewußtsein der Öffentlichkeit in ganz besonderem Maße für die
Tatsache geschärft, daß die meisten Rohstoffe nicht unerschöpflich sind und viele
von ihnen bei unvermindertem Wachstum schon sehr bald zur Neige gehen: „Die
Grenzen des Wachstums - Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit",
von Dennis Meadows, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1972.
Mikrobenheere im Kälteschlaf (1981): Informationen über den aktuellen Stand der
Arbeit und Projekte der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen werden
regelmäßig im jährlich erscheinenden „Wissenschaftlichen Ergebnisbericht" der
Gesellschaft für Biotechnologische Forschung in Braunschweig-Stöckheim veröf-
fentlicht.
Mit vollem Wind über die sieben Meere (1979) / Super-U-Boote für den Erdgas-
transport (1981): Forschungsreportagen.
Die Argusaugen der Radioastronomie (1982): Über weitere Entwicklungen auf
diesem Gebiet berichtet Band 7 der „Geschichten, die die Forschung schreibt" in
dem Beitrag „Botschaft aus den Sternkinderstuben".
Wie Computer „Junge" kriegen (1981): „Über Dasein und Tätigkeit der Compu-
ter" berichtet Felix Weber, der Autor dieses Beitrages, in seinem Taschenbuch
„Die schnellen Ja-Nein-Sager". Es ist im Sphinx-Verlag, Basel 1987, erschienen.
Wasserstoffproduzierende Algen und Kraftwerke auf heißem Fels
Kraftwerke auf heißem Fels (1981) / Sonnenkraftwerk im Aufwind (1980) / Ein
einarmiger Riese greift nach Windenergie (1980) / Warmes Wasser aus dem Mist-
Kollektor (1982): Hintergründiges zu diesen Themen wie überhaupt zur kritischen
Bewertung möglicher Energie-Strategien für die Zukunft vermittelt Karl-Heinz
Preuß in seinem Buch „Wege zur Bescheidenheit", das im Umschau-Verlag,
Frankfurt 1981, erschienen ist. „Erneuerbare Energiequellen - Der schwierige Weg
dorthin" lautet der Titel der Sonderausgabe 4/88 des „df-Digest für Jugend und
Bildungseinrichtungen", in dem die Redaktion des Deutschen Forschungsdienstes
diesen gesamten Themenbereich umfassend dargestellt hat und auch die Ziele der
diesbezüglichen deutschen Forschungspolitik erläutert. Einen umfassenden Über-
blick über den aktuellen Stand der deutschen Kernfusionsforschung als einer
weiteren „Option für die Zukunft" vermittelt unter vielem anderen der Band
„Bundesrepublik Deutschland: Ein Land der Spitzenforschung", herausgegeben
von Karl-Heinz Preuß und Rolf H. Simen, in 2., überarbeiteter Auflage 1987
erschienen im Verlag Deutscher Forschungsdienst, Bonn.
Nüsse in den Tank gepackt (1982): Der Artikel gründet auf den Ergebnissen der
Untersuchung „Enzymatische Verflüssigung von Babassunußstärke und weitere
Untersuchungen an dieser brasilianischen Kokosstärke von Orbignya speciosa" von
Walter Darge, die dieser im Fachbereich Chemie-Julien an der Fachhochschule
Aachen durchgeführt und veröffentlicht hat.
Die Blattgrün-Energiefabriken (1980): Über seine Forschungsarbeit berichtete
Peter Böger unter dem Titel „Energieumwandlung durch photobiologische Wasser-
spaltung" in der Zeitschrift „Umschau" (20/1979) und unter dem Titel „Photobiolo-
gische Umwandlung der Sonnenenergie" in „Naturwissenschaft" (65/1978). Die
solartechnischen Aspekte der Wasserstoff-Produktion beleuchten in Band 7 der
„Geschichten, die die Forschung schreibt" die Artikel „Der Sonnenweg zum
Wasserstoff" und „Was Autos morgen bewegen könnte". Eine Literaturempfeh-
lung bezieht sich zudem auf das Standardwerk „Wasserstoff - die Energie für alle
Zeiten" von John O'M Bockris und Eduard Justi, Sonderausgabe, Bauverlag
GmbH, Wiesbaden 1988, in dem das Konzept einer umfassenden Sonnen-Wasser-
stoff-Wirtschaft als globale Lösung des Energieproblems vorgestellt wird; eine

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andere auf „Rückkehr zu Sonne-Wasserstoff, die Energie unserer Zukunft" von
Helmut Tributsch, Safari-Verlag, Berlin.
Unbegrenzte Energie durch Meereswärme? (1980): Nach einem Vortrag von
Dr.-Ing. K. Finsterwalder, München, während des Meerestechnik-Kongresses
„Intermaritec" 1980 in Hamburg.
Magnetische Tricks für Kraftmaschinen (1978): Weitere Aspekte ungewöhnlicher
Entwicklungen auf diesem Gebiet vermitteln in Band 7 der „Geschichten, die die
Forschung schreibt" die Beiträge „Frühe Träume vom Elektromotor" und „Di-
elektrischer ,Durchgriff für neue Antriebe".
Hartes Erwachen aus sanften Träumen (1981): Nach Vorträgen von Alfred Voss
und Ortwin Renn in einer Informationsveranstaltung der Kernforschungsanlage
Julien 1981. Die Diskussion über „harte" und „weiche" Energiesysteme nahm Ende
der siebziger Jahre weltweite und zum Teil erbitterte Ausmaße an, als in der
renommierten Zeitschrift „Foreign Affairs" ein Beitrag von Amory B. Lovins unter
dem Titel „Energy Strategy: The Road Not Taken" erschien. 1977 folgte sein Buch
„Sanfte Energie", das in deutscher Übersetzung 1978 im Rowohlt Verlag, Reinbek
bei Hamburg, erschien. Lovins vertritt darin die Ansicht, daß die sogenannten
„sanften" erneuerbaren Energiequellen auch langfristig für die meisten oder alle
Energiebedürfnisse ausreichen. „Ernüchterndes zu neuer Energie" heißt ein
Beitrag in Band 6 von „Geschichten, die die Forschung schreibt", der den Anteil
erneuerbarer Energiequellen an der Gesamtbedarfsdeckung sehr viel zurückhal-
tender einschätzt. Auch in diesem Zusammenhang ist die Sonderausgabe 4/88 von
df-Digest für Jugend- und Bildungseinrichtungen lesenswert.

Bedrohung und Überlebenschancen unserer Natur


Umweltkrankheiten in Konserven (1981): Die Deutsche Umweltprobenbank in der
Kernforschungsanlage Jülich ist im Zusammenhang mit dem dortigen Arbeits-
schwerpunkt „Gesundheit, Umwelt, Biotechnologie" zusehen, dessen Forschungs-
vorhaben zu einem großen Teil in übergeordnete Programme der Bundesministe-
rien für Forschungs und Technologie und für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit eingebunden sind. Dabei geht es wiederum unter einem generellen Titel
um „Umweltchemikalien und Ökosysteme", also um die Untersuchung von
Schadstoffströmen in die Umwelt und deren Auswirkungen. Die Deutsche Um-
weltprobenbank hat hier die Aufgabe, künftig auch rückschauend Beurteilungen
von Schadstoffsituationen zu ermöglichen. Literatur: „Umweltprobenbank - Be-
richt und Bewertung der Pilotphase", herausgegeben vom Bundesministerium für
Forschung und Technologie, Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 1988.
Gefahr für viele Süßwasserfische (1978): Die Studie von Rüdiger Bless ist im Kilda-
Verlag, Greven, unter dem Titel „Bestandsänderungen der Fischfauna in der
Bundesrepublik Deutschland" erschienen.
Adebar wird das Reisen abgewöhnt (1981): Literaturempfehlung: Max Bloesch:
„Altreu und seine Störche", Verlag Vogt-Schild, Solothurn 1983. In Solothurn in
der Schweiz befindet sich die größte Wiedereinbürgerungsversuchsstation für
Störche in Europa, die auch eng mit dem Zentrum im Elsaß zusammenarbeitet.
Wie Wildtiere Neubürger werden (1981): Ein ausführlicher Bericht über dieses
Projekt ist von P. Müller und I. Günther 1980 unter dem Titel „Öko-Modell
Saarbrücken" in „bild der Wissenschaft", Band 17, Heft 12, erschienen. Ebenfalls
von P. Müller erschien hierzu 1980 der Beitrag „Anpassung und Informationsgehalt
von Tierpopulationen in Städten" in den „Verhandlungen der Deutschen Gesell-
schaft für Zoologie", G. Fischer Verlag, Stuttgart.
Bedrohung für die letzten Ulmen (1982): Der Artikel geht unter anderem von
einem Bericht aus, der in der Zeitschrift „Umschau" (5/82) veröffentlicht worden
ist.
Das Dach der Welt wird abgeholzt (1981): Bodenerosion als Folge „wilden
Holzsammeins", sich ausbreitende unfruchtbare Zonen und - wie im Falle Bangla-
desch - das wiederkehrende Elend gewaltiger Überflutungen, weil das Wasser-

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Rückhaltevermögen geschädigter Wälder zurückgeht, sind ein kardinales Problem
für viele Länder der Dritten Welt geworden, das von der deutschen Politik der
wirtschaftlichen Zusammenarbeit auch erkannt ist. Da herkömmliche Energieroh-
stoffe wie Erdgas, Erdöl oder Kohle für diese Länder oft zu teuer sind, erhält hier
die Nutzung erneuerbarer Energiequellen wie etwa Sonne, Wind oder Wasserkraft
größte Bedeutung. Auch diese Problematik wird in der Sonderausgabe 4/1988 des
„df-Digest für Jugend und Bildungseinrichtungen" aus der Redaktion des Deut-
schen Forschungsdienstes behandelt.
Ein Unkrautsaum um jeden Acker (1981): Wolfgang Schumacher hat über seine
Arbeit unter dem Titel „Schutz und Erhaltung gefährdeter Ackerwildkräuter durch
Integration in landwirtschaftliche Nutzung und Naturschutz" in „Natur und Um-
welt" (12/80) berichtet. In diesem Zusammenhang lesenswert sind auch die
Beiträge „Eingriff in das Ökosystem der Äcker" in Band 5, und „Neue Chancen für
wilde Schönheiten" in Band 6 von „Geschichten, die die Forschung schreibt".
Ein Bakterium macht Karriere (1982): Der Artikel gründet unter anderem auf
einem Bericht in der Zeitschrift „Umschau" (14/1981) und einer Übersicht im
„Anzeiger Schädlingskunde, Pflanzenschutz, Umweltschutz" (3/1980). Literatur-
empfehlung zur Biologischen Schädlingsbekämpfung: Jost Franz und Aloysius
Krieg: „Biologische Schädlingsbekämpfung unter Berücksichtigung integrierter
Verfahren", 3. Auflage, Pareys Studientexte, Hamburg 1982. Ein zwar fürs
Studium gedachtes, jedoch auch für Laien verständliches Standardwerk.
Alle Beiträge in diesem Buch gehen auf Berichte zurück, die in den Pressekorre-
spondenzen „df-Berichte aus der Wissenschaft" und „df-Sonderdienst angewandte
Wissenschaft" des Deutschen Forschungsdienstes, Bonn, erschienen sind. Die
Jahreszahl in Klammern hinter den Titeln im Quellenverzeichnis weist auf das Jahr
der Erstveröffentlichung des Originalbeitrages in den Pressekorrespondenzen hin.
Eine Auswahl dieser Beiträge erscheint regelmäßig auch in „df-Digest für Jugend
und Bildungseinrichtungen" und „df magazin".

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