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FÜNFTER BAND
FRANZ ALTHEIM
GESCHICHTE DER H U N N E N
FÜNFTER BAND
IN Z U S A M M E N A R B E I T MIT R U T H STIEHL
MIT B E I T R Ä G E N VON
OLOF GIGON, D E N E S HÖVEN DI, E U G E N LOZOVAN,
JOACHIM R E H O R K . HANS N O R B E R T ROISL,
E M M E R I C H S C H A F F R A N U N D Ε R I Κ Α TR A U T M AN N-N E H R I N G
B E R L I N 1962
©
Archiv-Nr. 4150622
Copyright 1962 by Walter de Gruyter & Co., vormals G . J . Göscben'sche Verlagshandlung,
J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J . Trübner, Veit δς Comp.
Printed in Germany. Alle Rechte des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von
Photokopieü und Mikrofilmen, aucb auszugsweise, vorbehalten.
Herstellung: Walter de Gruyter Sc Co., Berlin W 30
HANS-JOACHIM LIEBER
IN D A N K B A R K E I T
VORWORT
Mit dem fünften Band ist diese Geschichte der Hunnen abgeschlossen. Sein
Vorwort wird folgerichtig zum Schlußwort des gesamten Unternehmens.
Von allen Vorgängern unterscheidet dieses sich durch seinen Umfang. Es
sollte jedes Zeugnis herangezogen und nutzbar gemacht werden, soweit es
die Sprachkenntnisse der Verfasser gestatteten. Dabei stellte sich heraus,
daß die Masse des bisher Unverwerteten den Bestand des Bekannten über-
traf. Zahlreiche Untersuchungen erwiesen sich als unumgänglich, keinem
Exkurs durfte man aus dem Wege gehen. Die Ergebnisse haben denn auch
über Früheres nicht unbeträchtlich hinausgeführt.
Eine Schlüsselstellung fiel den Hephthaliten zu. Ursprünglich ging es
allein um das Muttervolk der europäischen Hunnen und ihrer Nachfolger;
sie als solche erkannt zu haben war ein erster Schritt. Doch zusehends ge-
wannen die Hephthaliten an eignem Gewicht; ihnen mußten zwei Bände
zugewiesen werden. Alanen und Soghder, früh- und spätsasanidische Kultur
waren damit einbezogen, und wiederum ging es ohne ausführliche Erörterung
nicht ab.
Von vornherein wurde der geistesgeschichtlichen Betrachtung Raum ge-
währt. Verbindung der Alanen und Hunnen mit den Anfängen des Helden-
liedes, im ersten Band nur geahnt, bestätigte sich an Hand der arabischen
Überlieferung. Gleichwohl hat die zweite Inschrift von Mchet'a, erstmals
vollständig gelesen, auch uns überrascht. Nicht weniger tat es die Bedeutung
der nestorianischen Mission für die Hephthaliten und ihre Nachbarn. Nie-
mand hatte zuvor daran gedacht, diesem Volk eine kirchengeschichtliche
Betrachtung zu widmen.
Der Herausgeber hat als klassischer Philologe begonnen, und dieser Dis-
ziplin hat er, über manchen Wechsel hinweg, sein Herz bewahrt. Ihm war es
darum eine Befriedigung, daß die Übersetzungs-und Kontroversliteratur der
Nestorianer aus Merw Bruchstücke griechischer Philosophen erhalten hat.
Verlorenes aus Demokrit, Theophrast und Porphyrios im Verfolg einer hun-
nischen Geschichte wiederzugewinnen, war das Letzte, darauf er glaubte
hoffen zu dürfen.
Der vorliegende Band setzt das Begonnene fort und schließt es ab. Noch-
mals wird des sasanidischen Iran, aber auch der Alanen gedacht. Daß
dabei die Datierung Kaniska's, des zweiten der Küsän-Herrscher, abfiel,
wird man hoffentlich begrüßen. Pythagoreisches und die Demokrit-
Bruchstücke erwiesen sich in der kundigen Hand D. Kövendi's, eines Schü-
lers K. Reinhardts, als bedeutungsvoll für die Wiedergewinnung der Sy-
steme. Ähnliches gilt von dem großen Stück aus Porphyrios' Christenschrift,
was die Beurteilung von Origenes' Hexapla angeht. Neunzehn neue Bruch-
stücke Zenon's von Kition konnten dem bisher Gesicherten hinzugefügt
werden.
Eine nochmalige Auseinandersetzung mit W. B. Henning oder mit
O. Maenchen-Helfen war unnötig; man hat sich erneuter Erörterung nicht
mehr gestellt. Wo Älteres vorgelegt wurde, geschah es nicht ohne Ände-
rungen und Zusätze. In völliges Neuland hat uns die Reise nach Abessinien
und in den Sudan (Oktober—November i960) geführt. Mehrmaliger
Aufenthalt in Ägypten und ein Hinweis G. Levi Deila Vida's hat uns
nochmals den wenig beachteten Annalen des melkitischen Patriarchen
Eutychios zugewandt; auch diesmal stellte sich bei ihm — wie neun Jahre zu-
vor, bei der Festlegung von Zarathustra's Lebenszeit1 —manches Neue ein.
E. Lozovan, der seit dem zweiten Band mitgearbeitet hat, und E. Schaf-
fran sei für ihre Beiträge gedankt, deren Rang keiner Empfehlung bedarf.
Anläßlich dieses dritten Beitrags E. Lozovan's sei unserer gegenseitigen
Verbundenheit in grundlegenden Anschauungen dankbar gedacht. Auf die
Nachträge in diesem und in den vorangehenden Bänden wird um ihrer
Wichtigkeit willen ausdrücklich verwiesen.
1
A l t h e i m - S t i e h l , S u p p l e m e n t u m A r a m a i c t t m (1954) 45 f•
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort VII
Fünftes Buch: Die Wendung zum Westen und ihre Gegenströmung 263
Zwölftes Kapitel: Hunnen u. Awaren im Donauraum. Von Emmerich Schaffran 265
Dreizehntes Kapitel: Sprachdenkmäler. Von Franz Altheim, unter Mitarbeit
f C. Brockelmann's 293
Vierzehntes Kapitel: Die Proto-Bulgaren 3x8
Fünfzehntes Kapitel: Villes, Campagnes et Routes de la Romania Orientale.
Von Eugen Lozovan 327
Beilage: Die Schlacht bei den Busta Gallorum 552 n. Chr. Von Hans
Norbert Roisle 363
Schluß: Der Hymnus ΑΚΑΘΙΣΤΟΣ. Von Joachim Rehork 378
Anhang 391
Nachträge zum ersten Band 393
Nachträge zum zweiten Band 394
Nachträge zum dritten Band 395
Nachträge zum vierten Band 396
Nachträge zum fünften Band 398
Druckfehlerverzeichnis zum ersten bis vierten Band 400
QUELLENFRAGEN
1 Althelm, Hunnen V
ι. KAPITEL
RETRACTATIONES
in φορδαμσο kann nicht, wie Henning will, soghd. -Syy gleichgesetzt werden,
sondern entspricht dem enklitischen Personalpronomen der 3. Plur. -Sw
(vgl. osset. sä). Also: „als erste haben sie das mit einer Festung versehene
(Baylän) vollendet". Was demnach ummauert wurde (πορογατο), ist nicht
Kani§ka's Stadt gewesen. Sondern, was schon zuvor andere und angesichts
des Herrschers ungenannt Bleibende angelegt hatten.
Auch die zwei Schichten der Ausgrabung, auf die Henning17 sich beruft,
beweisen nichts. Die Inschrift könnte durchaus das erste Stadium spiegeln,
derart, daß die Hersteller auf eigne Rechnung gebaut haben, aber das Fertig-
gestellte unter Kani§ka's Name geweiht wurde. Dafür nur ein Beispiel:
Odainath von Palmyra hat allenthalben in Syrien gebaut, aber stets unter
Kaiser Gallienus' Namen geweiht18. Für Odainath wie für diejenigen, die
Baylän wiederherstellten, gab es rechtlich kaum eine andere Möglichkeit.
Nach längerer Erörterung kehren wir zur Datierung unter dem 31. Jahr
einer noch zu bestimmenden Ära zurück. Es hat sich erwiesen, daß die In-
schrift unter Kaniska gesetzt ist, was besagt, daß es sich keinesfalls um die
gesuchte Küsän-Ära handeln kann. Die Ära ist vielmehr als χ!>ονο νεισανο
μαο μαλο bezeichnet. Henning übersetzt μαλο mit „here", also *imadä
„hierher". Lautgesetzlich ist diese Deutung einwandfrei: um so schwerer
wiegen die syntaktischen Einwände. Noch einmal: zu bestimmtem Zeitpunkt
„kam er nach Baylän, dann hier das mit einer Festung versehene umwallte
er". Wenn μαλο „hierher" meint, ist es gegenüber αμο ßayoXccyyo ein Pleo-
nasmus. Es bleibt unverständlich, warum der gleiche Ort erst mit „hierher"
und dann mit Namensnennung eingeführt wird. Es kommt hinzu, daß in
μάλο <*imaiä das zugrundeliegende ima- starkdeiktisch („der hier") ist,
in ταδηιο — nach Henning „then here" und nach Maricq „ici" — das er-
weiterte ta- schwachdeiktisch. Mit beiden Ortsadverbien wäre jedoch
ß a y o X a y y o gemeint, was besagt, daß beider Bedeutung sich gegenseitig
im Wege stünde. Hennings Ubersetzung von μαλο entfällt damit, die
Bedeutung bleibt zu ermitteln.
Daß νεισανο μαο den Monat Nisän meint, bedarf keines Wortes. Doch
fällt auf, daß in einer ostiranischen Inschrift ein aramäischer Monatsname
verwandt wird. In Ostiran kannte man Monatsnamen in großer Zahl. Land-
schaften, und Städte von Feryäna bis Sistän verfügten über eigne Bezeich-
" a. O. 55.
le F. Altheim, Niedergang der Alten Welt 2 (Frankfurt M. 1952), 286; Belege auf
S. 471 Anm. 187—189.
8 QUELLENFRAGEN
nungen. Aus Berüni's Chronologie kennt man die Monatsnamen von Sigi-
stän (42, 17 f.; 70,2. Spalte Sachau), die der Soghder (45, 22 f.; 70,3. Spalte)
und Chwärezm's (47, ji.; 70,4. Spalte)19, von Kuba in Feryäna (69,1. Spalte)
und Buchara (69, 2. Spalte)20. Es kommt hinzu, daß die Inschriften von Surx
Kotal noch ein zweites Mal einen Monatsnamen bieten.
Gemeint ist Fr. 2 bei Humbach21: χ^ονο σοε μ[αο. Daß σοε die Jahres-
zahl 278 enthalte, hat Maricq vermutet. Indes zeigt 9 f. ιωγο οδο υιρσο χ£>ουο
νεισανο μαο, daß die Jahreszahl mit Worten gegeben wird und χ£ονο vor-
ausgeht, nicht folgt. Daher kann σοε nur Name eines Monats sein, voraus-
gesetzt, daß μ[αο richtig ergänzt ist. Wo dieser Name innerhalb der zuvor
genannten Monatsnamen anzuknüpfen sei, mag hier unerörtert bleiben.
Denn so viel ist klar, daß, wenn es ein Monatsname ist, es keinesfalls ein
aramäischer sein kann.
Daß ein aramäischer Monatsname innerhalb unserer Inschrift eine Singu-
larität ist, bestätigt sich. Der Monat Nisän wird demnach schwerlich eine
genauere Festlegung des mit χ{>ονο gegebenen Datums beabsichtigen, derart,
daß im Nisän 31 der in der Inschrift Gemeinte „gekommen" (αγαδο) sei.
Die Lösung kann nur μαλο ergeben, dessen Bedeutung zuvor offen geblieben
war. Nachdem die Ableitung aus *imadä abgelehnt worden ist, bleibt als
Möglichkeit noch die Verbindung mit avest. 3mad- „zumessen". Dieses ist
verwandt mit got. mitan, lat. ntödus22 und mit der Dehnstufe μήδομαι „er-
messen". Dann entspräche ein *mäda- oder *tnäda- lautgesetzlich unserem
μαλο. Einen Schritt weiter führt die syntaktische Zuordnung. Henning
selbst nimmt „open compounds" in der Sprache der Inschrift an23. Dem-
entsprechend wäre νεισανο μαο μαλο als Bahuvrihi zu verstehen und auf
χ^ονο zu beziehen: eine „Ära, derenMessung der Monat Nisän ist". Gemeint
sein muß eine solche, die mit dem Nisän beginnt. Demnach die Ära Alexan-
ders, deren Jahre, jeweils mit dem 1. Nisän anfangend, von 311 v. Chr. ab
gerechnet wurden24. Daß die Griechen der einstmaligen Oberen Satrapien
sich dieser Ära bedienten, liegt in der Sache und wird jetzt durch die grie-
chische Inschrift vom Gareustempel in Uruk bestätigt25. Aber das 31. Jahr ?
Nun, daß bei Jahresdaten, die sich auf die Gegenwart des Sprechenden be-
ziehen, die Hunderter fehlen können, ist dem Leser solcher syrischen Histo-
riker geläufig, die sich der Ära Alexanders bedienen. Auch daran darf er-
innert werden, daß auf ägyptischen Papyri und Inschriften der frühbyzan-
tinischen Zeit bei Verwendung der Indiktionsrechnung die Indiktion fast
immer weggelassen und lediglich das Indiktionsjahr angegeben wird. Auf
ähnliche Abkürzungen, die man gegenwärtig verwendet, genüge es, hinge-
wiesen zu haben.
Im vorliegenden Fall lassen sich die fehlenden Hunderter unschwer er-
mitteln. R. Göbl hat auf Kaniska's Prägungen Nachahmungen römischer
Motive, die auf Münzen antoninischer Zeit begegnen, festgestellt und den
KüSänherrscher danach zeitlich angesetzt2®. Zunächst ist mit dieser richtigen
Beobachtimg nur ein Terminus post quem gegeben. Aber auch dieser ist
wichtig. Denn er gestattet, mit völliger Sicherheit zu sagen, daß 31 nichts
anderes als (5)31 der Alexanderära, demnach das Jahr 219/220 nach christ-
licher Rechnung ist. Wenn nicht alles täuscht, ist damit der immer gesuchte
und bisher nicht gefundene Zeitansatz Kanaka's ermittelt.
Die weitere Rechnung muß versuchen, sich auf Zeugnisse zu gründen, die
außerhalb der Inschrift liegen. Soweit bekannt, hat diese Zeugnisse keiner
derer, die sich mit der Ansetzimg Kaniäka's befaßt haben, herangezogen.
Zunächst ist daran zu erinnern, daß HuviSka, also Kaniska's Nach-
folger, auf seinen Prägungen Serapis und Herakles — unter der noch zu be-
sprechenden Form Σαραττο und Ηρακιλο — bringt. Beide Gottheiten haben
in severischer Zeit, noch vor Elagabals Regierungsantritt, als kaiserliche
Götter den Höhepunkt ihrer Bedeutung erstiegen. Für Serapis vergleiche
man, was in: Weltgeschichte Asiens 1 (Halle S. 1947), 288f. zusammenge-
stellt ist. Eine wichtige Ergänzung hat jüngst R. Merkelbach1 gebracht. Zur
Rolle, die Herakles, neben Dionysos-Liber, in der gleichen Zeit gespielt hat,
sei an das erinnert, was in: Literatur und Gesellschaft 1 (Halle S. 1949),
153f. und in: Römische Religionsgeschichte 2 (Baden-Baden 1953), 302f.
und 310 f. gesagt wurde. Die Geltungsdauer aller dieser Götter blieb auf
Septimius Severus und Caracalla beschränkt. Schon unter Severus Alexander
wandte sich Cassius Dio gegen Isis und Osiris, was Serapis einschließt, sowie
gegen Herakles und Dionysos (40, 47, 3; 76, 16, 3). Huviska, dessen Regie-
rungsantritt man jedenfalls nach 219/220 setzen muß, vielleicht zu Beginn
der dreißiger Jahre, hat demnach zwei — übrigens auch auf den gleich-
zeitigen Münzen auftretende — kaiserliche Götter mit einigem zeitlichen
Abstand übernommen, in gleicher Weise, wie dies Kaniska mit Motiven der
antoninischen Prägungen getan hat. Das zeitliche Gefälle wird man im einen
wie im anderen Fall auf rund drei Jahrzehnte veranschlagen dürfen.
Es fällt auf, daß ebenso Serapis wie Herakles auf Huviska's Prägungen
nicht mit ihren griechischen Namen, sondern mit künstlich iranisierten
bezeichnet werden. Darin spiegelt sich ein Ereignis, das bereits unter
Kaniska's Regierung fällt. Gemeint ist die mit der zweiten Phase seiner
Münzprägung einsetzende Abwendung von allem Hellenistischen, die in
einer durchgängigen Iranisierung der Herrschertitel und der Götternamen
sich ausdrückt. Diese grundlegende Erkenntnis R. Göbls2 beruht darauf, daß
Kaniska und ebenso seine Nachfolger sich in jener zweiten Phase nicht mehr
als βασιλεύς βασιλέων, sondern als taovavo t>ao bezeichnen3. Weiter
darauf, daß statt der Legenden "Ηφαιστος, "Ηλιος und Σελήνη jetzt
αθρο und μιιρο begegnen4. Wenn unter HuviSka gleichwohl Serapis und
Herakles übernommen wurden, so doch nicht unter griechischer, sondern
in iranisierter Namensform.
In Surx Kotal hat sich bekanntlich ein inschriftliches Bruchstück ge-
funden, darauf dem iranischem Text zur Seite ein kurzer griechischer
erscheint6. Dieses Bruchstück wird man spätestens in Kanaka's Frühzeit
setzen dürfen. Auf der großen Inschrift ist jedenfalls keine Spur des Grie-
chischen oder griechischer Götter zu finden. Und dem entspricht, daß die
Ära Alexanders nicht als solche, sondern mittels der Umschreibung :χϊ>ονο
νεισανο μαο μαλο bezeichnet wird. Man versteht dieses Verfahren, nach-
2
Bei Altheim-Stiehl, Finanzgeschichte 189 f.
3
Ebenda 190.
4
Ebenda 189.
5
Zuletzt Altheim-Stiehl, Philologia sacra 20f. Auf Humbachs Versuche, Mono-
gramme aufzulösen, sowie auf seine Darlegungen in: Die Welt der Slawen 6 (1961), 225 f.
sei nicht eingegangen. Zu S. 230 Anm. 1 8 : die Inschrift aus Cherson hat mit Helios
nichts zu tun. E s ist ίλεώζ μοι, ώ θεός in itazistischer Schreibung. Der Vokativ Θεός
verweist auf christliche Herkunft.
ι. RETRACTATIONES 11
Von der Ευδαίμων 'Αραβία wird gesagt: vvv δε ού προ πολλού των
ήμετέρων χρόνων Καίσαρ αύτήν κατεστρέψατο. Der unbekannte Ver-
fasser bezeichnet mit Εύδ. Ά ρ . ein an der Küste gelegenes Dorf (κώμη), das
ihm zufolge zuvor eine Stadt gewesen war. Gleichgültig, ob es sich dabei um
das nachmalige Aden handelt oder nicht, soviel ist deutlich, daß auf ein
jüngstvergangenes Ereignis angespielt wird. Daß mit Καίσαρ keinesfalls
Augustus gemeint sein kann, hat jüngst K. Wellesley9 gezeigt. Auch die
Ansätze auf Claudius, Nero und Trajan wurden von J . Pirenne mit Recht
abgelehnt10. Anders steht es mit Septimius Severus, wie die vollständige
Sammlung der Zeugnisse11 zeigt.
Schon während seines ersten Partherkrieges, bekämpfte der Kaiser die
„inneren" Araber und machte ihr Land zur Provinz (Eutrop. 8, 18; Ruf.
Fest. 2 i ; Hieronym., chron. ann. 2214). Im zweiten Partherkrieg zog er durch
das Gebiet der skenitischen Araber und unterwarf ganz Arabien. Damit
können in keinem Fall die Araber Mesopotamiens gemeint sein, denn der
Zug wird nach, nicht vor die Eroberung Babylons und Seleukeias gesetzt
(Zosim. 1, 8, 2). Auch kann „ganz Arabien" unmöglich das obere Zweistrom-
land, die neue Provinz Arabien nicht die Provinz Mesopotamien bedeuten.
Ptolemaeus kennt die Skeniten an der Nordgrenze des Glücklichen Arabien,
dort, wo dieses an das Wüste Arabien und an die Südgrenze des Persischen
Golfes stößt (geogr. 6, 7, 1 ; 21).
Besonderer Erwähnung bedarf der unter Bardesanes' Namen gehende
„Dialog über das Fatum" oder, wie der syrische Text ihn nennt: das „Buch
der Gesetze der Länder" (Euseb., h. eccl. 4, 30)12. Dort heißt es, ganz vor
kurzem (χθέ$) hätten die Römer Arabien erobert und die Gesetze der dort
wohnenden Barbaren verändert13. Eusebios sagt, der Dialog sei einem Anto-
ninus gewidmet gewesen, und Hieronymus (de vir. illustr. 33) 14 gibt den
Namen als M. Antoninus. Man hat an Kaiser Marcus gedacht, zumal Euse-
bios Bardesanes' άκμή unter diesen Kaiser setzt und Hieronymus ihm darin
folgt. Doch durch die syrische Überlieferung weiß man, daß Bardesanes von
154—222 lebte15. Er war also bei Marcus' Tod erst 26 Jahre alt, während er
im Dialog als Mann vorgerückteren Alters erscheint und von seinen Schülern
„Vater" genannt wird1®. Demnach kann die Äußerung allein auf Septimius
Severus' Feldzug bezogen werden.
Schließlich wird man die Nachrichten heranziehen dürfen, die von
Kämpfen mit den Bewohnern des Glücklichen Arabien sprechen (Hero-
dian. 3 , 9 , 3 ; SHA., v. Macr. 12,6). Sie fügen sich dem, was von den „inneren"
und den skenitischen Arabern gesagt wird. Einheitlich ist überall die Be-
ziehung auf Septimius Severus. Eine Besonderheit des Periplus freilich
bleibt, daß ein καΐσαρ genannt wird, eine Bezeichnung, die im Gegensatz
zum sonst gebrauchten αύτοκράτωρ(23) steht. Hier gibt die Chronologie
weitere Aufschlüsse 17 .
Septimius Severus' erster Partherkrieg fällt ins Jahr 195, der zweite auf
197—199. Dann kann mit jenem Caesar nur Caracalla gemeint sein, der 196
zu diesem Rang erhoben wurde. Da Caracalla vor dem 3. Mai 198 Augustus
und Mitregent wurde, muß das im Periplus gemeinte Ereignis zwischen 196
und Anfang 198 gefallen sein. Der arabische Feldzug, zu dem die Eroberung
des Glücklichen Arabien oder gewisser Teile von ihm gehörte, stand dem-
nach unter dem nominellen Oberbefehl nicht des Kaisers selbst, sondern
seines Sohnes und Caesars Caracalla, der seit 196 imperator destinatus war.
Die Abfassung des Periplus muß dementsprechend (vgl. ού ιτρό πολλού τ ω ν
ήμετέρων χρόνων) einige Jahre später angesetzt werden. Sie mag in den
Beginn des 3. Jahrhunderts fallen.
Eine weitere Stelle führt nach Baktrien, dem Heimatland der Küään.
Es wird47 vom μαχιμώτατον 2θνο$ Βακτρια νω ν gesprochen, unddannlautet
die Überlieferung OTTO βασιλέα ουσαν ϊδιον τόπον. Man hat verschieden
verbessert, doch paläographisch und dem Sinne nach dürfte ύττό βασιλέα
δντων Ιδιότοπον das Richtige treffen. In der Tat findet man in der Be-
schreibung der benachbarten Teile Indiens keinerlei Anhalt dafür, daß sie
unter baktrischer Herrschaft oder, was dasselbe ist, unter der der Küään
stehen. Das Wort vom βασιλεύς Ιδιότοττος, wenn richtig wiederhergestellt,
zeigt, daß der damals regierende Küsän allein Baktrien beherrschte, dem-
zufolge in Balch residierte und noch nicht in Peshawar 18 . Anders ausge-
drückt: Vima Kadphises, Kaniska's unmittelbarer Vorgänger, war damals
noch nicht zur Eroberung seines indischen Reiches aufgebrochen.
3
Inzwischen hat sich J. Pirenne ein zweites Mal zur Datierung des Periplus
geäußert1. Im Gegensatz zur früheren Darlegung beschränkt sie sich nicht
darauf, die älteren Ansichten über die Entstehungszeit zu wiederlegen,
sondern bringt einen jahresmäßigen Ansatz2. Dabei bezieht sie sich auf die
Angabe, daß das an der Küste Karamaniens gelegene Omana zur Persis
gehöre (35), und weiter, daß östlich von diesem ein anderer Ort liege, der
βασιλείας έτέρας sei (37). Der Name dieses Ortes verbirgt sich unter der
Korruptel ή trap' όδόν, und A. Maricq hat darin die Paradene bei Ptole-
maeus, p'rt'n in der großen Inschrift Säpür's I. erkannt8. Er liest dement-
sprechend ΤΤαραδων, und J. Pirenne kommt, auf diesem Ergebnis fußend,
auf einen Zeitpunkt, da bereits Kermän zum persischen Königtum gehörte,
die benachbarte Paradene aber noch selbständig war. Eben dies sei die Lage
in der Zeit von ArdaSer's I. Eroberungen. Die Paradene sei nach Ausweis
von Säpür's Inschrift erst von ihm erobert worden. Daraus ergebe sich als
Datum 225—230.
Niemand wird sich dieser bestechenden Argumentation entziehen kön-
nen, vor allem dann, wenn er sie in der originalen Veröffentlichimg nach-
prüft. Auch die Verfasser sind in allem mit den Darlegungen der gelehrten
und gründlichen Verfasserin einverstanden. Nur im jahresmäßigen Ansatz
glauben sie eine Berichtigung anbringen zu müssen. Denn die früheste In-
schrift ArdaSSr's ist von J. Pirenne außer acht gelassen worden.
Uber die Eroberung Kermän's ist Tabari Hauptquelle, in jenem Ab-
schnitt, der, wie oben 1,260 f. dargelegt, auf Ardaäer's kärnämay zurückgeht.
Alle Ereignisse fallen in die Zeit zwischen der Nachfolge auf dem väter-
1 In: Journ. Asiat. 1961 (noch nicht erschienen. Der Güte der Verfasserin ver-
danken wir das Manuskript). [Journ. Asiat. 1961, 441 f. Korr. N.].
* a. O. 453 f.
» a. O. 454.
ι. R E T R A C T A T I O N E S 15
lichen Thron und der Besiegung Ardewän's V. 226. Tabari berichtet, wie
nach Päbak's Tod zunächst sein Sohn Säpür gekrönt wird (ann. i , 816, 5 f.);
wie dann Streitigkeiten zwischen diesem und Ardaäer ausbrechen und
Säpür durch einen Unfall in der Nähe von Darabgerd (1. c. 8) umkommt.
Ardaser wird darauf gekrönt (1. c. 10), muß aber noch eine Erhebung seiner
Brüder und der Einwohner Darabgerds niederwerfen (1. c. 13f.). Unmittel-
bar an die Thronbesteigung und die Niederwerfung der Rebellen schließt
sich die Eroberung Kermän's an (1. c. 817, if.) 4 . Diese fällt demnach in die
ersten Jahre Ardaser's, lange vor die Auseinandersetzung mit dem letzten
Arsakiden.
Das Jahr der Thronbesteigung kennt man durch Ardaser's Inschrift aus
der Nachbarschaft der Stadt Säpür 6 . Es fällt auf 208, und höchstens bis 210
darf man mit der Eroberung Kermän's heruntergehen. Damit wäre genau
jenes Jahr erreicht, das zuvor vermutet worden war. Mit dieser Korrektur,
die uns allerdings unerläßlich scheint, hat sich eine vollständige Uberein-
stimmung zwischen den Darlegungen J . Pirenne's und den unseren erzielen
lassen.
J . Pirenne, die von dem Einwand unterrichtet wurde, schrieb unter
dem 10. 1. 62: „ J e n'ai pas eu le loisir d'examiner chacun des 616ments
de votre lettre; mais en tout cas, votre correction de ma date de 225 en
'peu apr£s 208' me parait en effet tr£s bien fondee, et je l'adopterai.
J'ai voulu ajouter une note pour le dire, aux deuxiemes 6preuves du
Journal Asiatique, mais on me dit que ce ne sera sans doute pas possible . . .
J e vous laisse le soin d'avancer votre date, de justifier la correction que
vous proposez ä la mienne, et — si vous le voulez — de dire que je
l'accepte".
4
Die zweite Frage, die erörtert werden soll, ist die nach der Sprache,
darin die Inschrift geschrieben ist. Maricq hatte „eteo-tocharisch"vorge-
schlagen1, im Gegensatz zur mißbräuchlichen Bezeichnung des „Tochari-
4
Th. Nöldeke's Gründe, dieses Unternehmen später zu setzen (Übers. 10 Anm. 2),
reichen nicht aus. Die Gleichsetzung von Tabari's BaläS mit dem Vologeses der Münzen
ist unerweislich. Auch A. Christensen in C A H . 1 2 (1939), 109 rechnet Kermän als
ArdaäSr's erste Eroberung.
5
R. Ghirshman in: Rev. des Arts Asiat. 10 (1936), 1 2 7 ! , mit Beiträgen A. Chri-
stensen's;'dieser in: C A H . 12, 109.
1
Zuletzt in: Journ. Asiat, i960, 1 6 1 f.
16 QUELLENFRAGEN
2 a. O. 47.
8 Ich verdanke ihn der Güte des Verfassers.
4 F. Altheim, "Weltgeschichte Asiens 2 (Halle S. 1948), 88f.
ι. RETRACTATIONES 17
Träger dieser Sprache, von anderer Seite kommend, in Baktrien Fuß gefaßt
hatten. Man kann also ruhig auf die Übereinstimmung mit dem Yidgah-
Munji und Paschto verweisen, ohne doch darum etwas über die ursprüng-
liche Zuordnung der Sprache auszusagen. Der Wandel 5 > l besagte dann
allein, daß sie in ihren späteren, baktrischen Sitzen sprachliche Eigentüm-
lichkeiten, die dort naheliegen mochten, übernommen hatte. Die Frage ist
nur, ob sich Hinweise auf eine frühere Umgebung feststellen lassen. Und dies
ist zweifellos der Fall. Schon der Wandel xt > y 5 war doppeldeutig, konnte
als Verwandtschaft mit den Skythen und Sarmaten gedeutet werden. Hier
kommt hinzu, daß auch das Ossetische den Wandel von xt > yd kennt6.
In gleicher Richtung führen weitere Beobachtungen.
Was jedermann ins Auge fällt, ist die Erhaltung auslautender Vokale,
und darin scheint die Sprache unserer Inschriften in mitteliranischer Zeit
allein zu stehen. Henning äußert sich denn auch dahin, daß „in conformity
with what we know of Middle Iranian generally" das am Wortende und in
der Kompositionsfrage auftretende -ο lautlich bedeutungslos sei e . Schrei-
bungen wie J>ao, ττιδο, αβο, -ηιο meinten nur *§äu, fid, aß, -ei. Hier wird
nach dem Grundsatz verfahren, daß bei Widerspruch zwischen bisheriger
Theorie und neu hinzugekommenem Stoff dieser nach jener sich zu richten
habe und nicht die Theorie auf Grund der neuen Gegebenheiten zu modifi-
zieren sei.
Humbach hat richtig gesehen, daß hier ein Irrweg betreten wurde. Aber
auf dem Weg, den er einschlägt, ist ihm niemand gefolgt. Ebenso er wie
Henning übersehen, daß es eine mittel- und neuiranische Sprache gibt, die
den auslautenden Vokal bewahrt hat: das Ossetische.
Im West-Ossetischen begegnet ä als Auslautvokal. W. Miller, der die in
Betracht kommenden Fälle aufzählt 7 , hält dafür, in der Mehrzahl der Fälle
sei dieses Suffix neu angetreten. Besonders gelte dies, wenn singula-
risches -ä vor dem Plural-Suffix schwinde: Sing, bälasä „Baum", Plur. bä-
lästä; Sing, aikä „Ei", Plur. äik'itä. Inzwischen hat die Wörterliste der
ungarländischen Jassen8 eines anderen belehrt. Sie zeigt den Auslaut -a und
bestätigt damit das hohe Alter des auslautenden -ä im West-Ossetischen. Es
geht in eine Zeit zurück, da sich die Trennung in den westlichen und
6 W. Miller, Die Sprache der Osseten (Straßburg 1903) 25 § 23, 2.
6 a. O. 50.
' a. O. 15 § 3 a—1.
8 J. Ν έ π ι β Λ in: Abh. D t . Akademie Berlin 1958, 4 (Berlin 1959); dazu oben 4,
3 f., besonders 6.
2 Altheim, B a n n e n V
18 QUELLENFRAGEN
ostlichen Zweig des Ossetischen noch nicht vollzogen hatte. Gerade bei dem
Wort jaika, das w.osset. aikä entspricht, ist im Jassischen der vokalische
Auslaut belegt. Ein noch älteres Zeugnis gibt die zweite, aramäische In-
schrift von Mchet'a®. Ortsnamen, aber auch ein Appellativum, auf Älaf
oder h auslautend, zeigen das Vorhandensein des Auslautvokals, der west-
osset. -ä entspricht: zmyzbl', nykwrh, Shr'. Auch bilä „Lippe, Rand", dessen
Plural biltä lauten müßte, rechnet Miller zu den Wörtern, deren Auslautvokal
neu hinzugetreten sei. Doch eben zmyzbl', zmiz-bilä „Sandufer" erweist, daß
dieser Vokal schon in alter Zeit belegt ist.
Miller nimmt indessen an, daß in anderen Fällen der west-ossetische Aus-
lautvokal alt sei: madä „Mutter" aus *mätä, sädä aus *satam10. Dazu
rechnet er solche Fälle, die mit der Epenthese zusammenhängen: west-
osset. suyzärinä „Gold" aus *zaranya, *zaraina, -zärinä. Im Jassischen findet
sich die Entsprechung. Heca entsprechen w.osset. xecau und o.osset. xicau,
eine mit r-Suffix gebildete Erweiterung11. Zugrunde hegt *x"atya-, wie
avest. χναίθγα- mit i-Epenthese und soghd. xwty(y)12 zeigen. Der Vokal der
ersten Silbe hat sich unter Einwirkung der Epenthese über ai zu e, ϊ ent-
wickelt. Das Gleiche zeigt sich in unserer Inschrift, wo ττιδο, pati auf
die beschriebene Weise entstanden sein muß.
Damit hat sich gezeigt, daß das West-Ossetische, Jassische und Ala-
nische auf der einen Seite, die Sprache unserer Inschrift auf der anderen den
auslautenden Vokal bewahrt haben. Dort begegnet -a, -ä, hier -o, was aus-
schließt, daß es sich um eine gemeinsam vorgenommene Neuerung handelt
(wie man Miller zufolge anzunehmen hätte). Vielmehr ist überall eine
Altertümlichkeit erhalten. Entgegen Hennings Ansicht gibt es also auf
mitteliranischer Stufe Sprachen, die den Endvokal, wenn auch in reduzier-
ter Form, bewahrt haben. Bewahrung dieser Altertümlichkeit kommt nur
für solche Sprachen in Betracht, die dem Parthischen, Mittelpersischen und
Soghdischen, da diese den Abfall der Auslau tvokale vollzogen haben, ursprüng-
lich nicht benachbart waren. Und dies können nur die Sprachen der nord-
iranischen Gruppe gewesen sein: demnach jener iranischen Nomaden, die
gleich Skythen, Sarmaten, Alanen und Osseten nördlich der großen Seen
9
Altheim-Stiehl, Die aramäische Sprache unter den Achaimeniden ι (3. Lfg.
Frankfurt M. 1962), 243t; oben 4, 81.
10
W. Miller, a. O. 16.
11
W. Miller, a. O. 28 § 28, 2 Anm.
12
I. Gershevitch, A Grammar of Manichean Sogdian (Oxford 1954) 42 § 269; 62
§ 402; 201 § 1 3 3 6 1 ; 205 § 1390.
ι. RETRACTATIONES 19
— des Balkasch-, Aral- und Kaspischen Sees sowie des Asowschen Meeres —
heimisch waren.
Im Besonderen geht es um Alanen und Osseten oder, wie sie sich
auch nannten, die Äss. Wie längst gesehen, müssen sie mit den sakischen
"Ασιοι zusammenfallen. Also einem der Stämme, die Apollodoros von
Artemita 1 3 zu den nomadischen Eindringlingen rechnet und die, den
Iaxartes überschreitend, 129 oder 128 v. Chr. Baktrien erobert haben
(Strabon 511). Während die "Ασιοι sich in Ostiran nicht niederließen, son-
dern sich nach Westen ins Land zwischen den Unterläufen von Wolga und
Don sowie dem Kaukasus weiterschoben 14 , blieben ihre Vettern, άίεΤόχαροι,
im Gebiet südlich des Oxos sitzen 16 . Sie gaben ihm den Namen Tocharistän,
und diesem zweiten Stamm der Nomaden hat Maricq die Sprache unserer
Inschrift zugewiesen, als er sie eteo-tocharisch nannte. Da der Name „tocha-
risch" fälschlich zur Bezeichnung einer anderen indogermanischen Sprache
Mittelasiens verwandt wird, hat Maricq mit dem ersten Bestandteil andeuten
wollen, daß diesmal die „wahren", also die iranischen Tocharer gemeint
seien.
Daß die Tocharer als nächste Verwandte der "Ασιοι, Alanen und Osseten
allein in Frage kommen, bestätigt eine weitere Beobachtung. Der von Hen-
ning überzeugend erschlossene Artikel 1, der dem Nomen vorangeht, be-
sitzt, was man gleichfalls übersehen hat, im sogenannten bestimmten Artikel
des West-Ossetischen seine Entsprechung. Zur Bewahrung einer Alter-
tümlichkeit wie der Auslautvokale tritt demnach eine gemeinsam vollzo-
gene Neuerung hinzu. Es ist zuzugeben, daß der Plural auf -tä auf die
Alanen und Osseten beschränkt bleibt. Aber der ältere Plural (ursprünglich
Gen. Plur.) auf -än, dem unserer Inschrift entsprechend, hat sich in den
ossetischen Demonstrativen gehalten: adon „diese", udon „jene". Man kann
demnach sagen, daß Maricq mit seiner Kennzeichnung als eteo-tocharisch
alle Aussicht hat, das Richtige getroffen zu haben, und daß man Hennings
„baktrisch" beiseitelegen darf.
Die Bestätigung erbringt das Sakische, wiederum eine der Sprachen,
deren sich die nomadischen Einwanderer von 129/8 bedient haben müssen.
Auch das Khotan-Sakische hat auslautendes -a, -ä bewahrt: Buddhas
13 F. Altheim, Weltgeschichte Asiens 1 (Halle S. 1947), 1 1 f·
14 Erstmals Η. W. Bailey in: Transactions Philol. Soc. 1947, i26f.; BSOAS.
1949, i35f.; dazu oben 1, 67f. Eine Münze des Heraios aus Kej-Kobad-Sach (Tadji-
kistan) bei Α. M. Mandelätam in: Epigr. Wost. 14 (1961), 53f.
1 5 F. Altheim, Weltgeschichte Asiens 2 (Halle S. 1948), 90.
2·
20 QUELLENFRAGEN
5
Von dem gewonnenen Ergebnis aus mag noch ein Blick auf die alani-
schen Namen 'Aßaßos Mask., Ababa Fem. geworfen werden. Ihnen hat zu-
letzt L. Vidman eine Betrachtung gewidmet, die in der von J . Irmscher und
D. B. Schelow herausgegebenen Aufsatzsammlung: Griechische Städte und
einheimische Völker des Schwarzmeergebietes1 erschienen ist. Vidman ist
der Ansicht, daß Ababa oder Hababa als Name der Mutter des Kaisers
Maximinus Thrax (SHA., v. Max. 1, 5f.; vgl. Iordanes, Rom. 281; Get. 83)
erdichtet sei. Denn in der Quelle der Biographie, bei Herodian. 6, 8 , 1 , werde
dieser Name nicht genannt, könne also nicht auf echter Überlieferung be-
ruhen.
Es bestehe indes noch ein Einwand, geht es weiter, der gegen solche
Verwerfung angeführt werden könne. Der Name Άβαβος finde sich viermal
an der nördlichen Schwarzmeerküste inschriftlich vor. Es sei demnach für
den alanischen oder doch den weiteren alanischen Bereich belegt (in drei
Inschriften aus Olbia: Inscr. Ponti Eux. i, 47; 102; 103). Vidman führt
dafür den Aufsatz in: Rhein. Mus. 90 (1941), 203f. an. Ihm gegenüber
sucht er nachzuweisen, daß Άβαβος nicht alanisch und überhaupt nicht
iranisch, sondern syrisch sei.
18
H. W . Bailey in: Handbuch der Orientalistik Η, ι (1958), 144.
17
a. O. 72, vgl. 7 1 . Wir danken E . Mayrhofer für seine Bereitschaft, die im
Vorangehenden behandelten Fragen zu erörtern.
1
Deutsche Akademie der Wissenschaften, Schriften der Sektion für Altertums-
wissenschaft 28 (Berlin 1961), 155 f.
V
ι. R E T R A C T A T I O N E S 21
Auf das Argument, daß bei zweien der genannten Fälle der als 'Aßaßos'
Sohn angeführte Ό ρ ό ν τ α ς syrische Herkunft beweise, mußte Vidman frei-
lich verzichten. L. Zgusta hatte gesehen, daß Ό ρ ό ν τ η ς , ' Ορώντας zweifellos
iranischer Herkunft ist 2 . Doch Vidman Heß sich angelegen sein, weitere
Beispiele zu ermitteln. Es erscheine 'Aßaßos inschriftlich in Syrien 3 und
daneben auf einer Felsinschrift Ägyptens 4 . Sodann finde sich Acrabanis,
Ababunis f(ilius) als Angehöriger einer ituräischen Ala in Arrabona CIL. 3,
4367. Diese Beispiele vereint üeßen als wahrscheinlich gelten, daß man in
der Tat einen syrischen Namen vor sich habe. Auch in Olbia sei 'Aßaßos als
semitisch anzusehen, und damit entfalle die Alanin Ababa oder Hababa end-
gültig.
Der Berichtigung von Vidmans Ansicht sei ein grundsätzlicher Hinweis
vorausgeschickt. Ihm sind die beiden letzten Beiträge zur Frage 5 unbekannt
geblieben. So konnte er die Behauptung wiederholen, Herodian sei alleinige
Quelle der Kaiserbiographie gewesen. Es hat sich inzwischen gezeigt, daß
auch Dexippos zugrundeliegt. Hier bedarf es demnach eines bloßen Nach-
lesens dessen, was übersehen wurde. Um so ausführlicher muß auf die übrige
Beweisführung eingegangen werden.
'Aßaßos habe E. Littmann, so meint Vidman®, als Kosenamen ver-
standen 7 . Schlägt man nach, so hat er die Erklärung als Habäba oder Habhäb
vorgeschlagen, den Namen demnach zum arabischen Verbum habba ge-
stellt 8 . Durch die Formen 'Aßaßoös und *Ababu, Genet. Ababunis wird je-
doch diese Deutung hinfällig. Nicht nur bleiben die Endungen -oös, -« unver-
ständlich, sondern es besteht darüber hinaus die Möglichkeit, daß der in
zwei Fällen 9 überlieferte Genetiv Άβαβου gleichfalls zum Nom. 'Aßaßoös,
nicht zu 'Aßaßos gehöre. Es wäre dann Άβαβοϋ, nicht Άβάβου zu lesen.
Vidman sucht die Endung -w in *Ababu, Gen. Ababunis „ nach dem Muster
der vor allem keltischen Namen aus dem benachbarten Noricum" zu er-
klären 10 ; er beruft sich dafür auf die Untersuchung M. Falkners 11 . Man hätte
demzufolge einen syrischen Namen mit norischer Endung anzunehmen.
Einer Widerlegung bedarf diese Erklärung nicht, abgesehen davon, daß
Vidman eine ähnliche für aus Ägypten stammendes ΆβαβοΟς nicht einmal
versucht hat.
Wenn eine Erklärung aus dem Aramäischen gesucht werden soll, so gibt
es nur eine Möglichkeit. ΆβαβοΟς und *Ababu entsprechen ab abüi
„Vater seines Vaters" 1 1 ". Dieser Name ist nicht belegt. Aber er entspricht
seiner Bildung nach bezeugtem 12 syr. ahüdemmeh „Bruder seiner Mutter".
Der scheinbare Widersinn der Bezeichnung erklärt sich dadurch, daß
gemeint ist, der eine sorge für seinen Vater gleich einem Vater, während
der andere seiner Mutter wie ein Bruder beratend und beschützend zur Seite
stehe. Daß dem so ist, bestätigt der gleichfalls bezeugte syr. Eigenname
mär emrneh „Herr seiner Mutter": Chron. min. i , 31, 22 und f. Guidi.
Will man demnach die hier behandelten Namen aus dem Aramäischen
erklären, so muß man von den Formen Ά β α β ο ΰ ς , *Ababu ausgehen. Daraus
folgt aber:
2. daß ein Sohn, der den iranischen Namen Ό ρ ό ν τ α ς trug, als Alane, der
er war, schwerlich einen aramäischen Vater oder einen solchen mit aramä-
ischem Namen gehabt haben kann;
10 a. o . 1 5 7 1
11 In: Frühgeschichte und Sprachwissenschaft (Graz 1948) 39f.
n a D a s als S t a t . constr. angesetzte ab ('b) ist im Jüd.-Aramäischen bezeugt. I m
Syrischen würde man abü erwarten. Als weitere Möglichkeit könnte man an eine
Bildung entsprechend der arabischen K u n y a denken. Im Jüd.-Aramäischen ist der
P N . abbü belegt. Also: ab ab(b)ü „ V a t e r des Α . " .
lä P a y n e Smith 1, 123; oben 3 (1961), 56.
ι. RETRACTATIONES 23
Mit anderen Worten: wenn Ά β α β ο ϋ ς , *Ababu aramäische Namen sind,
so ist diese Deutung für Ά β α β ο ς , Ababa ausgeschlossen. Vielmehr spricht
das Nebeneinander der Endungen dafür, daß sie indogermanischen, will
sagen: alanischen Ursprungs sind.
Wenn auch nicht Littmann, so hat doch Zgusta beim iranischen Namen-
paar an Kosenamen gedacht. Eine derartige Deutung soll von vornherein
nicht bestritten werden. Seit der Auffindung der großen Inschrift von Surx
Kotal, die Zgusta noch nicht kannte, besteht jedoch eine zweite Möglichkeit.
Zeile 3 σιδο μαλιζο α β α β γ ο σ τ α δ ο übersetzt Henning: „where(-by) the
acropolis became to be waterless." Man darf dem zustimmen, mit der Ein-
schränkung, daß σιδο eher als Relativpronomen denn als adverbiale Be-
stimmung zu übersetzen ist: „welches mit einer Festung versehene (Baylän)
wasserlos wurde". Das richtige „wasserlos" (altiran. *ap-äpaka-), gebildet
wie avest. apa. xSa&ra-, hatte bereits Maricq erkannt. Man darf indessen
auch übersetzen, daß Baylän nicht wasserlos, sondern vom Wasser entfernt
war. Wie immer: man kann, zunächst nach dem Wortbild, das in α β α β γ ο ,
*ap-äpa-ka steckende *ap-äpa- (ohne das mitteliranische Suffix) mit
Ά β α β ο ς , Ababa zusammenbringen. E s besteht nur die Frage, ob die Ver-
bindung von selten der Bedeutung möglich ist.
Im Alanischen ist "Αβυωζος „Wassertrinker" erhalten, von Miller 13 zu
osset. aw „Wasser" (in aw-deu „Wassergeist") und nwaz-un „trinken" ge-
stellt. Weiter Άβδάρακος „Wasserhalter" von aw und dar-un „halten", also
ein Mann, der Wasser und Wasserzufuhr in seiner Gewalt hat. W. I. Abaew 1 4
gibt für awdlwag eine andere Erklärung: *hafta-daiva-ka; ebenso zu äwdtw15,
führt aber Millers Etymologie als weitere Möglichkeit an 16 . Wie immer
man sich hier entscheide, ebenso "Αβνωζος wie Ά β δ ά ρ α κ ο ς können allein
von äp- „Wasser" her gedeutet werden. Dazu treten jetzt "Aßaßos und
Ababa.
13 a. o . 6.
u Istoriko-etimologiceskij slowarb Osetinskogo j a z y k a 1 (Moskau-Leningrad 1958),
84.
15 E b e n d a 199.
16 M. Mayrhofer schreibt unter dem 23. 12. 6 1 : „ a w - d e u als Wassergeist . . . wird
von Benveniste, E t u d e s sur la langue ossete (1959) i 3 o f . , aus Bildungsgründen, aber
vielleicht etwas zu apodiktisch, abgelehnt; zu diesem N a m e n noch Dumezil, Festgabe
Lommel (i960) 3 9 i . ; A b a j e w , T h e Pre-Christian Religion of the Alans ( X X V . Internat.
Congr. of Orient., Papers Presented b y the U S S R Delegation, i960) 11 f . ; darüber in
meinem noch nicht erschienenen A u f s a t z in der Biblioth. Orient., anläßlich von Ben-
veniste's fitudes". [Bibliotheca Orientalis 18(1961), 275 1. Korr. N.].
24 QUELLENFRAGEN
6
H. Humbach hat gezeigt1, daß die Sprache der Inschriften von Surx
Kotal und der Küsän-Münzen mit der der Hephthalitenfragmente überein-
stimmt. Dieser Nachweis bedarf indessen einer grundsätzlichen Berichti-
gung. Die Hephthaliten sprachen ursprünglich, wie alle Hunnen, eine tür-
kische Sprache, und Spuren dieser haben sich erhalten2. Wenn sie sich
späterhin der gleichen Sprache wie die Küsän bedienten, so haben sie, zu-
mindest im Land südlich des Oxos, dieselbe angenommen, dem entspre-
chend, daß die Hephthaliten nördlich des Oxos sprachlich zu Soghdern ge-
worden sind3. Es ist bedeutsam, daß eben die Hephthalitenfragmente die
ursprünglich türkische Sprache der Hephthaliten noch spiegeln.
Ohne auf Humbachs sonstige Lesungen einzugehen, sei fr. 7, 10 Anfang
angeführt: vo γρομβαδι. Er deutet das zweite Wort auf Grumbates, König
der Chioniten (Amm. Marc. 19, 1—2)4. O. Hansen, mit dem Humbachs
Lesung besprochen wurde, zieht als drittes Zeichen τ vor, ohne doch γ aus-
zuschließen, und verweist darauf, daß sich zwischen vo und γρομβαδι kein
Zwischenraum befinde. Dies und die Tatsache, daß man in einem hephthali-
tischen Text späterer Jahrhunderte schwerlich den genannten Chioniten-
könig als geschichtliche Person erwarten wird, zwingt zu modifizierter Deu-
tung von Humbachs Lesung.
Was den Namen Grumbates angeht, so dürfte keine der zuletzt vorge-
schlagenen Etymologien sich empfehlen. Gemeint sind H. W. Haussigs
1
In seinem oben genannten Innsbrucker Vortrag und in: Kusän und Hephtha-
lithen 27!.
2
Oben 1, 31 f.; 41 f.; 2, 258; 4, 62.
3
Ebenda 1,46.
4
Ebenda 1, 45; 247; 250; 252.
I. RETRACTATIONES 25
2. IORDANES' ABSTAMMUNG
Passus lautet, 316: nec me quis in favorem gentis praedictae, quasi ex ipsa
trahenti originem, aliqua addidisse credet. Der Vorwurf, er könne als gebür-
tiger Gote sich zu übertriebener Verherrlichung seines Stammes bereitge-
funden haben, wird mit quasi eingeleitet. Die Konjunktion kann sich auf
einen tatsächlichen Befund beziehen oder auf einen vorgeblichen, und es ist
zu fragen, wie an der angeführten Stelle ihre Verwendung zu beurteilen ist.
So viel dürfte deutlich sein, daß, wollte Iordanes eine tatsächliche gotische
Abstammung andeuten, quasi hätte weggelassen werden können. Es kommt
hinzu, daß quasi einen vermeintlichen Tatbestand besonders dann bezeich-
net, wenn es mit einem Partizip oder einer Partizipialkonstruktion ver-
bunden ist: Caesar, b. G. 5, 43, 3 hostes maximo clamore insecuti sunt quasi
parta iam et explorata victoria. Man hat in solchem Fall quasi mit „gerade
als ob" oder ähnlich zu übersetzen. Die Möglichkeit, auch an der angeführten
Stelle derart zu verstehen, besteht durchaus, und die Doppeldeutigkeit der
angeführten Äußerung gewinnt um so mehr an Gewicht, als sich Iordanes an
anderer Stelle anders und eindeutig äußert.
Denn Get. 266 sagt Iordanes, daß Scyri vero et Sadagarii et certi Alano-
rum cum duce suo nomine Candac Scythiam minorem inferioremque Moe-
siam acceperunt. Und fährt fort: cuius Candacis Alanouiiamuthis patris met
genitor, id est meus avus, notarius . . . fuit. Es handelt sich um Splitter von
Stämmen, die nach der Niederlage der Hunnen am Nedao auf römischem
Gebiet Zuflucht suchten. Von Goten ist mit keinem Worte die Rede, und
Th. Mommsen mußte, um Iordanes' wirkliche oder vermeintliche gotische
Abstammung zu halten, annehmen, man habe sich kurzerhand auch dann
als Gote bezeichnen oder betrachten können, wenn man einem der benach-
barten Stämme angehörte (Praef. VII). Eine solche Annahme entfällt,
nachdem sich die eindeutige Auffassung der Stelle 316, die bisher galt, nicht
mehr aufrecht erhalten läßt. Und sie entfällt erst recht, sobald die Angaben
266 richtig verstanden sind.
Alanouiiamuthis Gen. Sing, ist, soweit man Mommsens Adnotatio ent-
nehmen kann, einhellig überliefert. Die angeführte Lesart bieten die ältesten
Handschriften, dem 8.—10. Jahrhundert entstammend: HP b VO. Das nur
wenig differierende alanouiamuthis ist durch P a X Y Z bezeugt; alles Weitere
kommt nicht in Betracht. Deutlich hebt sich der Name der Alanen heraus,
und man wird nicht zögern, die zuvor genannten certi Alanorum damit sach-
lich zu verknüpfen. Das restliche -ui(i)amuthes darf keine Schwierigkeiten
bereiten. Man kennt avest. ä^mäiy)- „sich erproben, als tüchtig erweisen,
ι. RETRACTATIONES 27
In gleiche Richtung weisen die neben den Alanen an unserer Stelle ge-
nannten Sadagarii. Die Verbindung mit avest. satö.kara- „hundert Herden
habend" (zu altind. küla- „Herde, Familie", vgl. C. Bartholomae, a. O.
1556) ergibt sich zwanglos. Man hat einen alanischen oder doch sarmati-
schen, in jedem Fall erneut einen iranischen Stamm. Im Ossetischen werden
t und k nach Vokal zu d, g: W. Miller, a. 0. 27 § 26; 30 § 32, 2.
3. E I N E QUMANISCHE S I E G E L L E G E N D E
veröffentlicht wurde. Der Avers zeigt einen Herrscher im Ornat, mit Globus
und Labarum, der Revers die Gottesmutter. Die vordere Umschrift lautet
nach Gerassimow's Lesung (Abb. 9):
+ CIMECON BACIAEY TTOAAYC1T
— die rückwärtige:
+ EPINOTTYOC BACIAEOC ΠΟΛΑΤ.
Der Herausgeber wies demzufolge das Bleisiegel dem Bulgaren Simeon
(893—927) zu. Er mußte freilich bekennen, daß erhebliche Teile der Legende
unerklärbar blieben.
Es sei begonnen mit zwei Berichtigungen der Lesung. Im zweiten Wort
der Averslegende ist die Ligatur YC verkannt. Es ist zu lesen: BACIAEYC.
Das erste Wort der Reverslegende lautet EPINITTYOC, mit Jota auch an
fünfter Stelle. In allem Übrigen wird von Gerassimow's Feststellungen aus-
gegangen.
TTOAAYCIT, um sich diesem Wort als nächstem zuzuwenden, möchte
man als Bezeichnung eines Stammes oder Volkes verstehen. BACIAEYC
TIOAAYCIT entspräche einem βασιλεύς 1 Ρωμαίων oder Βουλγάρων, ohne
einem von beiden zu gleichen. Bei itazistischer Aussprache mußte dieser
Stamm *polawsi- lauten, und das schließende -t ließe sich als die alttürkische
Pluralendung verstehen. Einen türkischen Namen noch unter Simeon
anzunehmen, erlaubt die berühmte Eintragung Tudor Doksow's vom Jahr
9072 und die Tatsache, daß der Schatz von Nagy-Szent-Miklos mit seinen
Runeninschriften erst 896 unter die Erde gekommen zu sein scheint3. Be-
denkt man, daß c in türkischen Wörtern mit σ wiedergegeben werden
konnte4, so wird man sich der Folgerung schwer entziehen, daß TTOAAYCIT,
*polawsi-t der Name der Polovbd oder Qumanen zugrunde liegt. Die verschie-
denen Namensformen hat zuletzt Κ. H. Menges6 zusammengestellt. Es
genüge, an ungar. Palöcz, alt-cech. Plavci, poln. Plauci zu erinnern.
Wenn die vorgeschlagene Deutung zutrifft, ergibt sich zweierlei. Ein-
mal wäre der slawische Name der Qumanen, abgeleitet von ftolovyj „weiß-
lich, weißlich-gelb" (vgl. plavyi und akslw. filavz ,,λευκόξ, albus, flavus")
5 The Oriental Elements in the Vocabulary of the Oldest Russian Epos (1951) 11 f. ;
„Simeon, König der Polovbci, ist er, der Sohn des Königs Polat".
Man möchte wissen, was Anna Komnena mit dem βουλευτήριο ν τ ω ν Σκυ-
6ών in Pliska gemeint haben könnte. Insbesondere, welches Volk unter diesen
Skythen zu verstehen sei. Ducange's gelehrter Kommentar zum Geschichts-
werk der gelehrten Prinzessin schweigt sich aus. Immerhin griffen die
Qumanen zunächst als unbequeme Bundesgenossen der Petschenegen
(Anna Comn. 341,13 f.; 352, 21 Bonn.), dann zugunsten des Kaisers Alexios I.
Komnenos in dessen Kämpfe mit den Petschenegen ein und bereiteten
diesen 1091 eine schwere Niederlage. Unter Berücksichtigung der untersten
Zeitgrenze, die für Funde in Aboba-Pliska geboten ist, könnte damals ein
christlich gewordener Qumanenkönig in byzantinische Dienste getreten
sein und sich, für eine nicht bestimmbare Zeit, in der einstigen Hauptstadt
des Zaren Simeon niedergelassen haben. Mit der späteren Qumanenmission
hat dieser Herrscher orthodoxen Glaubens schwerlich etwas zu tun.
2. K A P I T E L
BRUCHSTÜCKE
EINES PYTHAGOREISCHEN TRAKTATES,
AUS DEM ARABISCHEN
Sahrastäni gibt im ersten Teil seines Abschnittes über die alten Philo-
sophen, der im Wesentlichen auf Porphyrios' Φιλόσοφος Ιστορία zurück-
geht 1 , ein Kapitel über Pythagoras (265, 12—278, 18 Cureton). Es ist aus
Vorlagen zusammengefügt, die sich noch scheiden lassen. Dazu gehören:
1. Ein kurzer Abriß der Lebensdaten (265,12—16), unter Benutzung von
Porphyr., v. Pythag. 312, und ein doxographischer Abschnitt über die Lehre
von den göttlichen Dingen, insbesondere über den Schöpfer (265,16—266, 4).
Dergleichen kennt man aus der Behandlung der anderen Philosophen, die
vorangehen und folgen (vgl. oben 3, I38f.). Ähnliche Abschnitte stehen
regelmäßig zu Beginn eines jeden Kapitels, und ihre neuplatonische Färbung
läßt von vornherein an Porphyrios denken. Im Kapitel über Anaxagoras
ist in der Tat sein Name in dem gemeinten Abschnitt angeführt (257, 4).
2. Ein Abschnitt über ungenannte Pythagoreer (269, 14—270, 6).
3. Avicenna's Erklärung zu einem Ausspruch Pythagoras' (270, 8—17).
4. Ein Abschnitt über die Pythagoreer Charinos und Zenon (276, 8—20).
5. Ein Abschnitt über Herakleitos und Hippasos, die beide zu den
Pythagoreern gerechnet werden (277, 4—8). Ihm schließt sich ein hierher
verschlagener doxographischer Bericht über Epikuran (277, 8—17), sodann
Nachrichten über zwei weitere Pythagoreer, Philonikos und Kalanos (278,
18—279, 2).
6. Alles Übrige wird als aus Pythagoras' Mund stammend angeführt
und dementsprechend eingeleitet mit: tumma käla 266, 4; wa-rubbamä
yakülu 266, 7 und 271, 15; tumma inna li-fitägöras ra'yan 267, 6; käla 268,
12; wa-mimmä nukila 'an fitägöras 270, 18; wa-dakara 271, 10; wa-mimmä
ahbara 'anhu fitägöras wa-ausä hihi 278, 2.
1 Altheim-Stiehl, Porphyrios und Empedokles (1954) 8f.
2 Ebenda 15 f.
2. B R U C H S T Ü C K E EINES PYTHAGOREISCHEN TRAKTATES 33
1 Indessen begegnet — wie hier in -hu statt -hä — mangelnde Kongruenz auch
sonst: 269,9 al-makädiru l-awwalu; 270 Ζ. 1 v . u.: . . . *awälima katiratan fa-minhu ...
u. a.
3 Altheim, Hunnen V
34 QUELLENFRAGEN
(wiederum) eingeteilt in das, was die ά ρ χ ή der Zahl ist und nicht in die Zahl
eingeht, und in das, was ά ρ χ ή ist, die der Zahl eignet und (insofern) in sie
eingeht. Das erste (άρχή der Zahl) ist wie das Einssein (al-wähidiyatu), das
dem tätigen Verstand eignet, weil es nicht eingeht in die Zahl und das Ge-
zählte. Das zweite (άρχή, die der Zahl eignet) wird (wiederum) eingeteilt
(i.) in das, was in sie (die Zahl) eingeht als Teil von ihr, denn die Zwei ist
zusammengesetzt aus zwei Einern, und entsprechend jede Zahl, das heißt
notwendiger Weise aus Grundzahlen (i—10) zusammengesetzt. In dem Maß,
wie die Zahl zum Mehr aufsteigt, steigt die Relation der Eins (al-wahdatu)
zu ihr abwärts zum Weniger. Und (2.) in das, was in sie (die Zahl) eingeht
als das ihr Innewohnende, nicht als Teil von ihr. Dies ist darum, weil keine
gezählte Zahl je frei ist von einem innewohnenden Einssein. Denn die Zwei
und die Drei sind, unbeschadet dessen, daß beide Zwei und Drei sind, Eins,
und desgleichen bilden die gezählten der zusammengesetzten und einfachen
(Dinge) (267, 1) ein Einssein, sei es in der Gattung, sei es in der Art oder in
der Person; so, wie die Wesenheit, unbeschadet dessen, daß sie Wesenheit im
Allgemeinen ist, und der Mensch, unbeschadet dessen, daß er Mensch ist,
und die bestimmte Person . . . , unbeschadet dessen, daß sie jene Person selbst
ist, Eins sind. Denn keineswegs ist das Einssein getrennt von den seienden
(Dingen). Es wohnt dieses Einssein, an dem teilgehabt wird seitens des
Einsseins des Schöpfers . . . , allen seienden (Dingen) inne, auch wenn sie in
ihrer Wesenheit vervielfacht sind. Denn jedes seiende (Ding) erhebt sich zu
Rang durch Vorwiegen des Einsseins in ihm selbst, und jedes ist, je ferner
dem Vielsein, um so ranghöher und vollendeter.
Ferner hatte Pythagoras eine Ansicht über die Zahl und das Gezählte, in
der er abwich von der Gesamtheit der Weisen vor ihm und in der von ihm
abwichen diejenigen (,die) nach ihm (kamen). Derart, daß er die Zahl ab-
strahierte vom Gezählten, wie das Abstrahieren der Form vom Stoff, denn er
stellte sich sie (die Zahl) als wahres Seiendes vor wie das Sein der Form und deren
Wahrheit(sgehalt). Er sagte: Die ά ρ χ ή der seienden Dinge ist die Zahl, denn
sie ist das erste Geschaffene, das der Schöpfer geschaffen hat. Die erste Zahl
ist die Eins, und er schwankte in der Ansicht darüber, ob sie (die Eins) in
die Zahl eingehe, wie zuvor gesagt. Und zwar ging seine größere Neigung da-
hin, daß sie (die Eins) nicht in die Zahl eingehe, sondern daß die Zahl mit
der Zwei beginne. Er sagt: Sie (die Zahl) wird eingeteilt in Gerade und Un-
gerade; die erste einfache Zahl ist Zwei, und die einfache Gerade ist
Vier, weil diese sich in zwei Hälften teilen läßt; die Zwei dagegen machte er
2. BRUCHSTÜCKE EINES PYTHAGOREISCHEN TRAKTATES 35
nicht zur Geraden. Denn (so sagt er) wenn sie geteilt würde in zwei Einer, dann
ginge ja die Eins in die Zahl ein. Wir aber haben doch begonnen hinsichtlich
der Zahl mit der Zwei! Und wie sollte die Gerade Teil von ihren (der wirk-
lichen Geraden, nämlich der Vier) Teilen und gleichzeitig sie selbst sein ?
Die erste einfache Ungerade ist die Drei. Er (Pythagoras) sagte: Damit
ist die Einteilung beendet; was hinterherkommt, ist die Einteilung der Ein-
teilung. Die Vier ist Endpunkt der Zahl, denn sie bedeutet Vollkommenheit.
Davon ausgehend, pflegte er bei der τετρακτύς zu schwören (yuksimu) (und
zwar): ,Bei (ού μά) der Wahrheit der τετρακτύς, die der Lenker unserer
Seelen, die Wurzel des Alls ist!' Was hinterher kommt, ist die Gerade der
Ungeraden, die Gerade der Geraden sowie die Gerade der Geraden und der
Ungeraden. Er nennt die Fünf eine kreisende Zahl, denn wenn du sie mit
sich selbst multiplizierst, kehrt immer die Fünf zu Anfang wieder (πέντε
και είκοσι). Er nennt die Sechs eine vollendete Zahl, denn ihre Teile sind
konform hinsichtlich ihrer Summe (6 = 2 Dreier oder 3 Zweier). Und die
Sieben (nennt er) eine vollkommene Zahl, denn sie ist die Summe der Un-
geraden (Drei) und der Geraden (Vier), und dies bedeutet einen Endpunkt.
Die Acht ist ein Neubeginn (268, 1), zusammengesetzt aus zwei Geraden
(Vier + Vier), und die Neun (ist zusammengesetzt) aus drei Ungeraden
(3 Dreiern) und bildet einen weiteren Endpunkt. Die Zehn (transp.) ist zu-
sammengesetzt aus der Summe der Zahl von Eins bis Vier (Eins + Zwei -f
Drei + Vier = Zehn) und bildet somit einen weiteren Endpunkt. Also hat
die Zahl vier Endpunkte: vier, sieben, neun und zehn. Dann kehrt sie zur
Eins zurück, denn wir sagen: Elf (wörtlich: Eins-Zehn, ahada 'aSara, i νδεκα).
Die(se) Zusammensetzungen gehen bei dem, was hinter Vier kommt, auf
verschiedenen Wegen vor sich. Denn die Fünf ist nach Ansicht dessen, der
die Eins nicht unter die Zahl rechnet, zusammengesetzt aus Zahl (Zwei) und
Ungerader (Drei), und nach Ansicht dessen, der jenes meint (die Eins als
Zahl faßt), zusammengesetzt aus Ungerader (Eins) und zwei Geraden
(Zwei + Zwei). Desgleichen die Sechs: gemäß der ersten (Ansicht) ist sie
zusammengesetzt aus zwei Ungeraden (Drei + Drei) oder aus Zahl (Zwei)
und Gerader (Vier), und nach der zweiten (Ansicht) ist sie zusammengesetzt
aus drei Geraden (Zwei + Zwei + Zwei). Die Sieben ist nach der ersten (An-
sicht) zusammengesetzt aus Ungerader (Drei) und Gerader (Vier), und nach
der zweiten aus Ungerader (Eins) und drei Geraden (Zwei + Zwei + Zwei).
Die Acht ist nach der ersten zusammengesetzt aus zwei Geraden (Vier +
Vier) und nach der zweiten zusammengesetzt aus vier Geraden (Zwei +
3·
36 QUELLENFRAGEN
Zwei -)- Zwei + Zwei). Die Neun ist nach der ersten zusammengesetzt aus
drei Ungeraden (Drei + Drei + Drei) und nach der zweiten aus Ungerader
(Eins) und vier Geraden (Zwei -f- Zwei -f Zwei -f- Zwei). Die Zehn ist nach
der ersten zusammengesetzt aus Zahl (Zwei) und zwei Geraden (Vier + Vier)
oder aus Gerader (Vier) und zwei Ungeraden (Drei + Drei) und nach der
zweiten aus allem, was gerechnet wird von der Eins bis zur Vier (Eins +
Zwei + Drei + Vier = Zehn), und das bedeutet Endpunkt und Vollkom-
menheit. Sodann die anderen Zahlen: ihre Messung erfolgt auf diese (ge-
schilderte) Weise.
(268, 12) Er sagte: Dies sind die Wurzeln der seienden Dinge. Dann
übertrug er die Zahl auf das Gezählte und das Maß auf das Gemessene. Er
sagte: Das Gezählte, darin eine Zweiheit liegt, Wurzel der gezählten Dinge
und ihre άρχή bildend, ist der Verstand in Beziehung darauf, daß ihm zwei
Beziehungen eignen: (1.) die Beziehung (ausgehend) von seinem Wesen,
indem er eine mögliche Existenz hat durch sein Wesen; (2.) die Beziehung
(ausgehend) von seinem Schöpfer, indem er eine notwendige Existenz hat
durch ihn (den Schöpfer). Darum entspricht ihm (dem Verstand) die Zwei.
Das Gezählte, darin eine Dreiheit liegt, ist die Seele, denn es übersteigt die
zwei (Beziehungen) um eine dritte. Das Gezählte, darin eine Vierheit liegt,
ist die Natur, denn es übersteigt die drei (Beziehungen) um eine vierte.
Darauf folgt der Endpunkt, nämlich der Endpunkt der άρχαί, und was
danach kommt, sind die zusammengesetzten Dinge. Es gibt kein zusammen-
gesetztes Seiendes, das nicht auch etwas einschlösse von den Grundstoffen
( = Natur und Vier), von der Seele ( = Drei) und vom Verstand ( = Zwei),
sei es diese selbst, sei es (ihre) Spur, bis daß man gelangt {yuntahä) zur
Sieben ( = Drei + Vier). Denn die gezählten Dinge werden danach ge-
messen. Und (schließlich) gelangt man zur Zehn, indem gezählt werden der
Verstand und die neun ( = Zwei + Drei -f- Vier) Seelen (269, 1) mit ihren
Himmelssphären, die ihre Körper und ihre (von dem einen Verstand oder
von den Körpern) abgesonderten Verstandeskräfte sind, und sie (gemeint
sind der Verstand und die neun Seelen) entsprechen der Substanz und
den neun Zufälligkeiten. Uberhaupt (bi-l-gumlati corr.) wird der Zustand
der seienden Dinge nur aus der Zahl und den ersten Maßen erkannt. Er sagt:
Der Schöpfer . . . erkennt die Gesamtheit der gewußten Dinge mittels des
genauen Erfassens der Ursachen, welche (das Gleiche) sind (wie) die Zahlen
und die Maße. Nicht schwanken diese, und nicht schwankt auch sein (des
Schöpfers) Wissen. Manchmal sagt er: Das dem Einen Entsprechende
2. BRUCHSTÜCKE EINES PYTHAGOREISCHEN T R A K T A T E S 37
sei der erste Grundstoff . . . , und er nennt es die erste Hyle. Dieses ist das
Eine, an dem teilgehabt wird, weil das Eine, das nicht wie die Grundzahlen
(i—10) ist und das (jenes) Eine bildet, aus dem alle Mehrheit hervorgeht und an
dem alle Mehrheit teilhat, eben das Einssein ist, dem die seienden Dinge inne-
wohnen. Denn nicht besteht Seiendes, ohne daß in ihm wäre von seinem (des
Grundstoffs) Einssein ein Teil nach dem Maß seines (des Seienden) Fassungs-
vermögens; ferner von der Führung (hidäya) des Verstandes ein Teil nach
dem Maß seiner (des Seienden) Aufnahmefähigkeit; ferner von der Kraft
der Seele ein Teil nach dem Maß seiner Bereitschaft. Demgemäß sind die
Spuren der άρχαί in den zusammengesetzten Dingen. Denn kein Zusammen-
gesetztes ist frei von einer gewissen Mischung, und keine Mischung entbehrt
einer gewissen Proportion, und keine Proportion einer gewissen Vollendung
oder einer Möglichkeit zur Vollendung: sei es eine(r) natürlichen, organi-
schen (Vollendung): sie ist die άρχή der Bewegung, — sei es einer seelischen
(Vollendung): sie ist die Αρχή der Wahrnehmung. Wenn aber die mensch-
liche Mischung zu dem Punkt gelangt, da sie dieses Vollendete aufnimmt,
läßt über sie (die Mischung) der Grundstoff strömen sein Einssein, der Ver-
stand seine Führung und die Seele ihren λόγος sowie ihre Weisheit. Er sagte:
Da die geometrischen Verbindungen nach der Weise zahlenmäßiger Entspre-
chungen geordnet worden sind, zählen wir sie gleichfalls zu den ά ρ χ α ί . . .
(270, 6) Zu dem, was von Pythagoras überliefert wird, gehört, daß der
Naturen vier und der Seelen, die in uns sind, wiederum vier seien: der Ver-
stand, die Urteilskraft, das Wissen und die (fünf) Sinne. Femer verknüpfte er
dabei die Zahl mit dem Gezählten und das Geistige mit dem Körperlichen . . .
(270,18) Zu dem, was von Pythagoras überliefert wird, gehört, daß die
Welt aus einfachen geistigen Tönen zusammengesetzt sei. Er lehrt, daß die
geistigen Zahlen nicht teilbar seien, vielmehr einheitliche Zahlen, die seitens
des Verstandes zerlegt würden und nicht seitens der Sinne. Er zählte viele
Welten, und dazu gehöre eine Welt, die reine Freude ist hinsichtlich des
schöpferischen Ursprungs (271, 1), Fröhlichkeit und Wohlbehagen hin-
sichtlich des natürlichen Verhaltens. Und dazu gehöre eine Welt, die unter
ihr (der erstgenannten) ist. Ihre (der unteren Welten) Sprache sei nicht ähnlich
der Sprache der oberen Welten. Denn die Sprache bestehe zuweilen aus geisti-
gen einfachen, zuweilen aus ebensolchen zusammengesetzten Tönen. Was
die erste (Sprache) angehe, so sei ihre (der Töne) Freude dauernd, ununter-
brochen, und was an Tönen später sei, (bleibe) unvollkommen in der Zu-
sammensetzung, weil die Sprache später (lam del.) zum Tun übergehe. Denn
38 QUELLENFRAGEN
die Freude sei nicht auf dem Höhepunkt der Vollendung, weil der Ton sich
nicht auf dem Höhepunkt der Übereinstimmung (Harmonie) befinde. Und
jede Welt sei unter der ersten der Rangordnung nach, und die Welten wett-
eiferten in der Schönheit, im Glanz und Schmuck. Die letzte (der Welten)
sei die Hefe der Welten, deren Schwer(st)es und Unter(st)es. Dement-
sprechend sei sie (yagtami'u corr.) nicht völlig harmonisch, die Form ver-
einige sich nicht völlig mit dem Stoff (mädda), und jedem Teil von ihr (der
letzten Welt) sei erlaubt, sich vom anderen Teil zu trennen, gerade
daß in ihr ein wenig Licht vom ersten Licht sei. Wegen dieses Lichtes be-
fände sich in ihr eine Art Beständigkeit; wenn jene (Beständigkeit) nicht
da wäre, dann bestände sie (die unterste) Welt nicht einen Augenblick.
Dieses wenige Licht sei der Körper der Seele und des Verstandes, der beide
trüge in dieser Welt.
(271, 10) Er lehrte, der Mensch sei durch das Gesetz der Natur zum
Gegenbild der ganzen Welt geworden. Er sei eine kleine Welt und die Welt
ein großer Mensch. Darum sei sein (des Menschen) Anteil an der Seele und
am Verstand verhältnismäßig groß, so daß dem, der sich auszeichne in der
Ausrichtung seiner Seele, der Ausbildung seiner Anlagen und der Reinhal-
tung seiner διαθέσεις, es möglich sei, zur Erkenntnis der Welt und der Be-
schaffenheit ihrer Zusammensetzung zu gelangen. Wer (aber) seine Seele
zugrunde richte und sich nicht bemühe um gute Bedingungen für sie hin-
sichtlich der Ausbildung und Ausrichtung, der entrate dem Rechnungsbe-
reich der Zahl und des Gezählten, löse sich von den Banden des Maßes und
des Gemessenen, sei verloren und verlassen. Zuweilen sagt er, die mensch-
liche Seele gleiche zahlenmäßigen und musikalischen Verbindungen und
darum harmoniere die Seele mit den Harmonien der Töne, werde erfreut
durch deren Hören, werde verwirrt, werde traurig infolge des Hinhörens
auf sie (bi-stimä'ihä corr.) (auf die Töne) und werde bewegt. Gewiß schon
vor ihrer (der Seele) Vereinigung mit den Körpern sei sie (die Seele) in Form
dieser ersten zahlenmäßigen Verbindungen geschaffen worden. Dann habe
sie sich mit den Körpern vereinigt. Doch wenn die Ausbildung der Anlagen
sich in Ubereinstimmung mit der Naturanlage vollziehe und die Seelen sich
der äußeren Beziehungen entledigten, dann vereinigten sie sich (die Seelen)
mit ihrer (der zahlenmäßigen Verbindungen) Welt und träten ein in ihre
Reihe in einem schöneren und (272,1) vollendeteren Zustand als dem ersten.
Denn die ersten Verbindungen seien nach irgendeiner Weise unvollendet
gewesen, insofern sie (nur) als Möglichkeit bestanden und (nur) durch
2. BRUCHSTÜCKE EINES PYTHAGOREISCHEN TRAKTATES 39
Übung und Wetteifer in dieser Welt zur Grenze des Vollendeten gelangt
seien, indem sie von der Grenze der Möglichkeit zur Grenze des Aktes (der
Wirklichkeit) übergegangen seien. Er sagte: Die Gesetze, die die Vor-
schriften für die Gebete, die Reinigungen und die übrigen religiösen Hand-
lungen gebracht haben, dienen dem (gegenseitigen) Abstimmen dieser Ent-
sprechungen gegenüber jenen geistigen Verbindungen. Manchmal kommt er
(Pythagoras) bei der Feststellung der Verbindungen dahin, daß er nahe
daran ist zu sagen, es gebe in der Welt nichts außer der Verbindung, und
zwar seien die Körper und die Zufälligkeiten Verbindungen, und die Seelen
und die Verstandeskräfte seien (gleichfalls) Verbindungen. Schwierig nach
jeder Hinsicht ist die Feststellung dessen. Wahrlich, die Bestimmung des
Verbindens gemäß dem Verbundenen und der Bestimmung gemäß dem Be-
stimmten ist eine Sache, zu der er (Pythagoras) geführt wurde und auf die
er sich stützte . . .
(277, 1) E s wurde zu Pythagoras gesagt: Warum hast du das Zugrunde-
gehen der Welt behauptet ? Er sagte: Weil sie erreichen wird den Ursprung,
von dem ausgehend sie besteht. Und wenn sie (die Welt) ihn erreicht, dann
legt sich ihre Bewegung und vermehren sich die höheren Freuden, will
sagen: die aus Tönen bestehenden Verbindungen. Das ist, wie wenn bezeich-
net werden Ruhm und Preis Gottes als Speise der Geistwesen, denn die Speise
jedes Seienden ist Teil dessen, wovon dieses Seiende geschaffen wurde . . .
(278, 2) Zu dem, wovon Pythagoras berichtete und was er hinterließ,
gehört, daß er sagte: Ich habe diese oberen Welten mit dem (Gesichts)sinn
gesehen nach vollendeter Übung [riyäda), und ich wurde emporgehoben
weg von der Welt der natürlichen Dinge zur Welt der Seele und zur Welt des
Verstandes. Ich erblickte, was in diesen (Welten) an abstrakten Formen ist
und was ihnen an Schönheit, Glanz und Licht eignet, und ich habe gehört,
was ihnen an herrlichen geistigen Tönen und an hinreißenden geistigen
Klängen zugehört. Er sagte: W E L S in dieser Welt ist, umfaßt ein geringes
Maß an Schönem, weil es von der Natur verursacht ist. Was darüber an
Welten ist, ist glänzender, höher und schöner, bis die Schilderung zur Welt
der Seele und des Verstandes gelangt. Dann hält sie (die Schilderung) inne,
denn die Rede kann nicht schildern, was ihnen (den Welten) an Vorzüglich-
keit, Adel, Schönheit und Glanz eignet. Darum sei euer Bestreben und
euer Bemühen darauf gerichtet, euch mit dieser Welt zu vereinigen, so daß
euer Bleiben und euer Verweilen lang währe, nachdem euch Verderben und
Vergessen getroffen hat, und daß ihr zu einer Welt gelangt, die ganz Schön-
40 QUELLENFRAGEN
heit, ganz Glanz, ganz Freude, ganz Macht und Wahrheit ist, und daß eure
Freude und euer Ergötzen dauernd, ununterbrochen sei. Er sagte: Je zahl-
reicher die vermittelnden Instanzen zwischen jemandem und seinem Herrn
sind, um so niedriger steht er im Rang der Dienstbarkeit. Und da der Körper
zu seinem Gedeihen der Führung durch die Natur bedarf, die (ihrerseits) zur
Ausführung (ta'diya) ihrer Handlungen der Führung durch die Seele be-
darf, und die Seele, das Edelste auszuwählen, der Leitung durch den Ver-
stand bedarf und über dem Verstand kein Beginnendes) außer der gött-
lichen Führung ist, so ziemt sich, daß dem, der das Reine des Verstandes
am Sammelplatz (käffa) der Ausgänge um Hilfe bittet, gewährleistet er-
scheint, daß er kraft seiner Einsicht an seinem Herrn Genüge findet. Und
daß, wer dem Begehren des Körpers folgt, wer den Einflüssen der Natur
gehorcht und sich fügt dem Sterben der Seele, fern sei von seinem Herrn,
niedrig nach seinem Rang".
KOMMENTAR
1
Von Pythagoras (6. Jahrhundert v. Chr.) ist kein Werk geblieben. Vor-
nehmlich aus Aristoteles' Angaben lassen sich seine Lehren rekonstruieren
(wir zitieren nach Diels' Vorsokratikern). In seiner Metaphysik sagt Aris-
2. BRUCHSTÜCKE EINES PYTHAGOREISCHEN TRAKTATES 41
toteles (D. 58 Β 26): „Die Pythagoreer sagen klar, daß, nachdem das Eine
(τό εν) entweder aus Ebenen oder aus Samen zustande kam, sogleich der
nächstliegende Teil des Unbegrenzten einbezogen und von der Grenze be-
grenzt wurde . . . Also von dem Entstehen des Ungeraden sprechen sie gar
nicht, woraus klar ist, daß nur das Gerade ein besonderes Entstehen hatte."
Es ist klar, daß dieses Ureine ein körperliches Gebilde war, wie auch das
Unbegrenzte, von dessen Beschaffenheit wir gleich hören werden. Nur dies
müssen wir betonen, daß das erste Eine offenbar auch das erste Ungerade
war. Darum war es für die Pythagoreer nicht notwendig, vom Entstehen
des Ungeraden besonders zu sprechen.
Wie aber das Unbegrenzte einbezogen wurde, darüber erfahren wir
Näheres aus der Physik des Aristoteles (D. 58 Β 30): „Auch die Pythagoreer
haben die Existenz des Leeren behauptet und gemeint, daß es aus dem Un-
begrenzten in die Himmelswelt eindringt, indem der Himmel das Leere als
Hauch einatmet, und eben dieses Leere ist es, das die natürlichen Wesen
voneinander abgrenzt, indem das Leere die Trennung und Abgrenzung der
nacheinander folgenden Einheiten ist. Das Leere ist also von Anfang an in
den Zahlen da, weil eben das Leere die Natur der Zahlen voneinander ab-
sondert".
Es ist aus dieser Darstellung klar, daß die Zahlen und Dinge zugleich
entstehen. Wie man dies denken soll, können die folgenden Figuren veran-
schaulichen :
• · · ·
• · ·
= 10 . = 9 =6
• · ·
• · ·
• · · · # * ·
Die punktartigen Einheiten sind die Grenzen, das zwischen ihnen lie-
gende Leere ist das Unbegrenzte, welches sie begrenzen und welches die
Punkte voneinander trennt. Und wirklich sprachen die Pythagoreer von
dreieckigen, quadratischen, rechteckigen (Oblong-)Zahlen. Denn auf diese
Weise sind die Flächen entstanden (natürlich auch Fünfecke, Sechsecke
usw. und Kreise usw.), welche die Körper begrenzen, und indem die Flächen
einen Teil des Raums begrenzen und umschließen, entstehen die Körper.
Also war das Entstehen der geometrischen und physischen Körper ein und
derselbe Prozeß. Philolaos (im 5. Jahrhundert) hat die regelmäßigen Körper:
das Tetrahedron, Oktahedron, Ikosahedron und den Kubus für die Elemen-
42 QUELLENFRAGEN
tarteilchen der vier Elemente: des Feuers, der Luft, des Wassers und der
Erde erklärt. Diese Identifizierung ist die Grundlage des platonischen
Timaios. Aus gleichseitigen Dreiecken und Quadraten (welche aus gleich-
schenklig-rechtwinkligen Dreiecken gebildet werden können) werden die
erwähnten regulären Körper und dadurch die Elementarteilchen der vier
Elemente gebildet.
Also aus Einheiten, Zahlen wird die physische Welt aufgebaut. Wie
Aristoteles sagt (D. 58 Β 4): „Der ganze Himmel ist Harmonie und Zahl."
An einer anderen Stelle der Metyphysik sagt Aristoteles: „Die Zahl ist das
Wesen von Allem" (Met. 987 a 19).
Die Zahl ist also Stoff der Welt: die Ureinheit wächst, schwillt durch das
Einatmen der umgebenden luftartigen Leere an und wird so in viele neue
Einheiten gesondert. Daß die Welt durch Einatmen zustandekommt, kann
nicht überraschen, weil die Vorsokratiker insgesamt die Welt als lebendig
auffaßten. Leben aber heißt griechisch: Psyche. Also Atmung, Leben, Seele
ist von Anfang an da: Stoff und Leben, Materie und Seele stehen in keinem
Gegensatz, sondern sind ohne einander nicht zu denken.
Das Entstehen der Welt dachten sich die Pythagoreer nach Analogie der
Geburt der Lebewesen. Nach Philolaos (Diels 44 A 27, zitiert bei K. Kerenyi:
Pythagoras und Orpheus, Berlin 1938, S. 23 f.) entsteht der Embryo aus dem
warmen Sperma im warmen Mutterleib. Aber ein nur warmes Ding könnte
gar nicht leben: im Augenblick der Geburt zieht das Kind die äußere kalte
Luft ein. So, durch Ein- und Ausatmen entsteht das Leben, die Seele als
Harmonie des Warmen und Kalten, des Feuchten und Trocknen.
Ebenso lehrte Alkmaion, Pythagoreer und Arzt in Kroton, daß die
Gesundheit eine Ισονομία: Gleichberechtigung, Gleichgewicht, also Har-
monie des Feuchten, Trocknen, Kalten, Warmen, Bittern, Süßen usw. ist
(D. fr 4).
Schon aus diesen Beispielen ergibt sich, daß die Welt, das Leben eine
Harmonie von Gegensätzen ist. Inwiefern diese Harmonie mit der Zahl
innerlich sich verbindet, sehen wir an der Welt der Töne.
Schon Pythagoras hat entdeckt, daß die vier ersten Zahlen das Sein der
harmonischen Intervalle begründen. Bei der Oktave ist das Verhältnis der
Länge der tönenden Saiten 1 : 2, bei der Quinte 2 : 3, bei der Quarte 3: 4.
Dabei muß man bemerken, daß wiederum Harmonie von höheren und tie-
feren, also entgegengesetzten Tönen vorliegt, und auch die begründenden
Zahlen sind entgegengesetzt: immer eine ungerade und gerade Zahl bildet
2. BRUCHSTÜCKE EINES PYTHAGOREISCHEN TRAKTATES 43
die Proportion. Wie auch die Bildung der Welt eine Harmonie von Grenze
(der Einheit) und Unbegrenztem war.
In der Musik wurde offenbar, daß die Harmonie der Gegensätze durch
Zahlen, Zahlenproportionen begründet wird. Daraus folgerten die Pytha-
goreer, wahrscheinlich schon Pythagoras selbst, daß auch die Entfernung
der Himmelskörper von der Erde von solchen „harmonischen" Zahlenver-
hältnissen bestimmt ist. So müssen die sieben Planeten: Mond, Sonne, Venus,
Mercur, Mars, Juppiter, Saturnus und die Sphäre der Fixsterne durch ihre
schnelle Bewegung harmonische Töne: die berühmte Harmonie der Sphären,
hervorbringen.
Wie Aristoteles sagt (D. 58 Β 35): ,, . . . Wo sich Sonne und Mond,
ferner eine solche Menge so gewaltiger Gestirne mit solch rasender Geschwin-
digkeit bewegen, da muß ein Schall von einer übergroßen Stärke verursacht
werden. Das nehmen sie (die Pythagoreer) an, und ebenso, daß die Ge-
schwindigkeiten den verschiedenen Entfernungen entsprechend in den Pro-
portionen der konsonanten Intervalle zueinander stehen und somit durch
den Kreislauf der Gestirne eine musikalische Harmonie erwächst." Im Fol-
genden wird ausgeführt, daß wir diese Harmonie darum nicht hören, weil
wir von Geburt an diesselbe vernehmen und dadurch an sie gewöhnt sind.
Aber auch den Grund der ethischen Tugenden, welche zugleich Harmo-
nien der Seele sind, suchten die Pythagoreer in den Zahlen: die Gerechtigkeit
identifizierten sie mit der Vier, weil ihre Faktoren (2 mal 2) dasselbe tun und
leiden, also diese Zahl das Wesen der Gerechtigkeit: τ ό άντιττεττονθός, Ge-
genseitigkeit, Reziprozität ausdrückt (Aristoteles, eth. Nie. 1132b 2if. und
Metaph. 985b 29). Natürlich, jede Quadratzahl drückt diese Gegenseitig-
keit aus, aber die Pythagoreer betrachteten immer die erste, einfachste Zahl,
in welcher eine Eigenschaft sich offenbart, als das Wesen (ουσία) dieser
Eigenschaft (Aristoteles, Met. 987a 22f.). So ist die Vier, als die erste Qua-
dratzahl, gleichsam ό πυθμήν: der Grund, die Grundzahl der Gerechtigkeit.
Die Zahl ist sowohl Stoff als auch Form, will sagen: Gesetzmäßigkeit der
Welt. In den geometrischen Figuren offenbart sich diese Funktion der Zahl:
Zahlenverhältnisse begründen die Gestalt der Figuren, und Punkte, also
Einheiten, sind die Grenzen, welche jenes Sein im leeren Raum verwirklichen.
Darum ist das Dreieck, Urtypus der Fläche: 3; das Tetrahedron, Urtypus
des Körpers: 4, weil es 4 Gipfelpunkte hat.
Die zahlenmäßigen Naturgesetze begründen das Sein der Töne und Him-
melskörper, aber auch ihre Schönheit: überhaupt Symmetrie, Proportion ist
44 QUELLENFRAGEN
der Grund des Seins und der Schönheit sowohl der geometrischen als auch
der physischen und organischen Körper. Aber auch die ethischen Gesetze
sind Zahlengesetze, wie das Beispiel der Gerechtigkeit zeigte. Leider hat
sich wenig Altpythagoreisches erhalten. Aber aus Piaton sehen wir, wie
diese Ethik more mathematico aussah. Im Gorgias 508 a erörtert Piaton, daß
die ganze Welt: Himmel und Erde und die Menschheit durch freundschaft-
liche Liebe, Ordnung, Maß und Gerechtigkeit zusammengehalten wird.
Eben darum wird das Weltganze Kosmos (Ordnung) genannt. Aber was ist
das Prinzip dieser „Gerechtigkeit und Ordnung ?" Die geometrische „Gleich-
heit", also die geometrische Proportion (a : b = c : d, ζ. B. 3 : 4 = 6:8).
Und was besagt dies auf moralischem Gebiet ? Das führen die Nomoi aus.
Hier (757 a-c) zeigt Piaton, daß die mechanische Gleichheit, welche ohne Rück-
sicht auf die Leistung und Tüchtigkeit (άρετή) jedem das Gleiche an Gütern
und Ehren austeilt, eine falsche Gleichheit ist. Die wahre, gerechte Gleich-
heit besteht darin, daß man nach der Leistung, Qualität und dem Wert die
Güter und Ehren austeilt. Wahre Gerechtigkeit ist also eine geometrische
Proportion: wenn die Leistung zweimal so groß ist, soll man zweimal so viel
an Gegenleistung erhalten.
Proportionalität, welche die Harmonie der Töne und der himmlischen
Sphären, aber auch die Gestalt der geometrischen Figuren und Körper be-
gründet und dadurch das Sein der Welt möglich macht, ist auch das Wesen
der Ethik. Die moralischen Gesetze sind Naturgesetze, Gesetze der Zahlen-
harmonie auf das Menschenleben angewandt.
Und dies war schon in der mythischen Zeit der Grundgedanke der grie-
chischen „Wirklichkeitsreligion", wie der große Walter F. Otto sie genannt
hatte. Die Hören sind Gestalten der Ordnung für die Jahreszeiten: diese Ord-
nung sichert das Leben auf der Erde. Doch ihre Namen: Dike, Eunomia,
Eirene (Gerechtigkeit, Gesetzlichkeit, Friede) verraten, daß sie zugleich Ge-
stalten der moralischen Ordnung sind, welche ebenso die Bedingung des
Lebens ist wie der regelmäßige Wechsel der Jahreszeiten. Wie die griechi-
schen Götter nicht über der Welt, sondern in der Welt sind, so sind die mo-
ralischen Gesetze keine Gebote, Forderungen aus einem Jenseits, sondern
einfach: Naturgesetze. Wie die geometrische Proportion das Sein der Ton-
welt und Himmelswelt begründet, so macht die Proportionalität der Ge-
rechtigkeit die Harmonie des Menschenlebens, das Leben möglich.
Daß die Zahlen sowohl Stoff als auch Form und Gesetzmäßigkeit der
Welt sind, bedeutet, daß die Welt sowohl Materie als auch Seele, Geist ist:
2. BRUCHSTÜCKE EINES PYTHAGOREISCHEN TRAKTATES 45
ohne Zahl, also ohne Gesetzmäßigkeit ist kein Sein möglich. Wir haben
gesehen, daß am Anfang der Welt die Ureinheit steht, welche das umgebende
Leere einatmet: so entstehen die vielen Einheiten und dadurch die Flächen,
die Körper und die Welt. Das bedeutet, daß Leben, Bewegung, Seele, Geist
in der Welt von Anfang an da sind: die Welt ist ebenso Materie wie Geist.
Auch darauf hat Walter F. Otto hingewiesen: die Göttergestalten sind Ge-
stalten der Welt.
Weder im griechischen Mythos noch bei den Vorsokratikern — also auch
nicht bei Pythagoras — findet sich ein Wort davon, daß ein überweltlicher
Gott da wäre, der in seinem Geist die Zahlen und Formen ausgedacht und
dann die Materie nach diesem Urbild gestaltet hätte. Die Welt ist göttlich,
indem sie sowohl Materie als auch Seele, Geist ist. Es ist nicht nötig, einen
höheren Beweger anzunehmen, der die Materie in Bewegung setzt: Materie
ist lebendig, sie bewegt sich immer, und zwar nach mathematischen Ge-
setzen. Ist das nicht das Weltbild der modernen Naturwissenschaft ?
In einer ganz anderen Welt befinden wir uns, wenn wir jetzt mit der
Erörterung über SahrastänT beginnen.
3
Gleich zu Anfang des pythagoreischen Abschnittes (266,4 Cureton) steht
man angesichts eines vom Geist des Islam gefärbten Neuplatonismus.
„Dann sagte er (Pythagoras): „Das Einssein wird eingeteilt in das Eins-
sein ohne Teilhabe eines Anderen: das ist das Einssein des Schöpfers . . .
das Einssein des Erfassens jedes Dinges, das Einssein des richtigen Ur-
teils . . . , das Einssein dessen, von dem ausgehen die seienden Grundzahlen
und die Vielfachen von ihnen, — und in das Einssein, an dem teilgehabt
wird: das ist das Einssein der erschaffenen Dinge."
„Das Einssein ohne Teilhabe eines Anderen, und das ist das Einssein des
Schöpfers": also die absolute, die von der Welt getrennte, isolierte Einheit, die
jenseits von Allem in sich ruht: dies ist das neuplatonische iv, die Urein-
heit ; SahrastänT aber nennt sie den Schöpfer, weil nach seiner Religion der
Schöpfer am Anfang stehen muß. Die neuplatonische Ureinheit dagegen ist
kein Schöpfer, weil sie gar nicht wirkt, man von ihr überhaupt nichts aus-
sagen kann.
Diese von der Welt getrennte Ureinheit, die keine Attribute hat, ver-
dankt ihr Dasein einem Mißverständnis des platonischen Parmenides. Dort,
46 QUELLENFRAGEN
von 137 c bis 142 a, beweist Piaton, daß ein ganz von allem getrenntes,
isoliertes E t w a s weder sein noch erkannt, gedacht, genannt werden kann:
also eine isolierte Einheit ein Unding, eine Unmöglichkeit bleibt. E r wollte
sagen, daß die Ideen nicht von der Sinnenwelt getrennt existieren können,
also die Voraussetzung einer von der Sinnenwelt getrennten Ideenwelt ein
Absurdes ist. Damit widerlegte er seine vorige Auffassung, nach welcher die
Ideen zwar in den sinnlichen Dingen anwesend, aber auch an und für sich
sind. In den folgenden Abschnitten des Parmenides führt Piaton aus (von
142 b bis 155 e), daß, wenn das Eine (also die Idee) wirklich existiert, es
schon zu Anfang nicht einfach ist, weil in dem Einen Seienden das Eine, das
Sein und die Verschiedenheit vorhanden sind (Einheit und Sein sind doch
verschieden voneinander). Schon die Ideen bleiben nicht voneinander iso-
liert, an sich, sondern „verflechten sich". Danach erweist Piaton deduktiv,
daß das seiende Eine sich notwendig in unendlich viele Teile teilen muß,
daß aus einer Idee (aus einem Genus) viele Arten und Unterarten, endlich
die unendlich vielen Individuen entstehen müssen; daß also aus den Ideen
als den Genera die Vielheit der Sinnenwelt entstehen muß, und diese Sinnen-
welt eine heraklitische ist, will sagen: relative, entgegengesetzte Eigen-
schaften hat. Jedes Ding ruht und bewegt sich, aus dem jeweiligen Blick-
punkt betrachtet (die Grundgedanken der Relativität sind nach Zenon, dem
Eleaten, auch bei Piaton da).
Ebenso beweist Piaton, daß jedes Seiende sowohl identisch mit sich
selbst und mit den Anderen als auch verschieden von sich selbst und von
den Anderen ist. Der Mensch ist identisch mit sich selbst, aber auch ver-
schieden von sich selbst: im Lauf der Zeit kann er sich sehr verändern und
zeitweise kann er in Zwiespalt mit sich selbst sein. E r ist in gewisser Hin-
sicht mit den anderen Menschen, sogar mit den Lebewesen identisch, gleich-
wohl in anderer Beziehung von ihnen verschieden.
Die Neuplatoniker, hauptsächlich Plotinos, haben all dies mißverstanden,
und die vorangehende Hypothese, derzufolge das Eine von allem getrennt
gedacht und dieser Standpunkt ad absurdum geführt wird, haben sie so
aufgefaßt, als ob hier von der obersten, absoluten Einheit: von Gott die
Rede wäre. Die „negative Theologie", welche im Mittelalter eine so große
Rolle sowohl im Islam als auch im Christentum spielte, ist diesem Mißver-
ständnis entsprungen.
Nebenbei bemerkt: die „Teilhabe" bei Sahrastänl verrät, daß wir in pla-
tonischer Gedankenwelt sind, nach der die Dinge ihre Eigenschaften der
2. BRUCHSTÜCKE EINES PYTHAGOREISCHEN T R A K T A T E S 47
ihre Geschwindigkeiten: alles ist zahlenmäßig von der Natur bestimmt. Nach
Plotin sind die Zahlen „früher" da als die Wesenheiten der Welt (die natür-
lichen Gattungen und Arten). Natürlich nicht im zeitlichen, sondern im
logischen Sinne: die zahlenmäßige Struktur, Plan der Gattungen und Arten,
der Flächen und Körper und der Töne ist „früher" als sie selbst, weil die
mathematische Struktur die Bedingung der Ordnung, der Bestimmtheit, des
bestimmten, charakteristischen Seins ist, will sagen: des Kosmos.
Nach den Neupythagoreem und Neuplatonikern wie auch nach Pytha-
goras entstehen die Zahlen aus der ersten Eins. Nur darin liegt der große
Unterschied, daß diese erste Einheit bei Pythagoras ein sinnliches, atmendes
Wesen, bei seinen Nachfolgern aber ein geistiges ist.
„Das Einssein, an dem teilgehabt wird, ist das der erschaffenen Dinge."
Im dritten Absatz lesen wir, daß die Zwei und Drei unbeschadet ihrer Viel-
heit doch je eine Einheit bilden. Ebenso ist jede Gattung, Art und Person
eine Einheit, obgleich sie viele Teile haben. Denn als Gattung, als Art, als
diese Person bilden sie eine Einheit.
Auch Plotin sagt 6, 6, io, daß die Dreiheit eine Einheit ist (sonst
könnte beispielsweise das Dreieck keine Einheit sein). Ebenso sind die
Ideen: Einheiten (6, 6, g). Auch die Gestalt des Löwen ist eine organische
Einheit.
Der folgende Abschnitt SahrastänI's sagt, das Einssein vor dem Aion
— also vor der Ewigkeit — sei das des Schöpfers; das Einssein mit der
Ewigkeit sei das des ersten Verstandes; das Einssein nach der Ewigkeit sei
das der Seele. Das Einssein mit der Zeit endlich sei das der Grundstoffe und
der zusammengesetzten Stoffe, also der Welt der Natur.
Hier liegt eine typisch neuplatonische Einteilung vor, aber sie ist mit
islamischer und anderer Terminologie vermischt. Nach den Neuplatonikern
ist vor der Ewigkeit die Ureinheit da. Der Nous ruht in der Ewigkeit. Die
Seele und die Natur sind in der Zeit, weil sie sich bewegen. So steht es aus-
drücklich bei Porphyrios (phil. hist. fr. 18): „Piaton sprach von dem Guten
(άγαθόν, welches die Neuplatoniker mit ihrem εν identifizierten) folgender-
maßen : aus dem Guten entstand die Vernunft (voös), die an sich besteht und
in sich das wirklich Seiende und das ganze Sein enthält. Dieser Nous ent-
stand προαιώνιος, also vor dem Aion, vor der Ewigkeit aus dem Urgrund,
dem G o t t e . . . Der Nous besteht ohne die Zeit (zeitlos), und er ist allein ewig."
Also ewig ist nur der Nous, und in ihm die Urbilder als Typen der Welt. Das
Gute, das Eine ist προαιώνιος, vor der Ewigkeit. Diese Distinktionen sind
2. B R U C H S T Ü C K E EINES PYTHAGOREISCHEN TRAKTATES 49
natürlich Erfindungen Porphyrios' und Plotins, bei Piaton ist kein Wort von
einer Seinsweise, die vor der Ewigkeit bestünde 1 . Porphyrios kann auch
seinen Piaton allein in neuplätonischen Kategorien erfassen.
Für Sahrastänl ist natürlich der Schöpfer vor dem Aion da, weil er die
Quelle des Nous ist, welcher in der Ewigkeit besteht. Und statt des Nous
spricht er von dem „ersten Verstand". Woher konnte er diesen Terminus
nehmen? Numenios sagte, der erste Gott sei eins, unbewegt, zeitlos, der
erste, ruhende, untätige Verstand (voOs); ihm entstamme der zweite
Gott, der Demiurgos, der wirkende, tätige Verstand, der die Materie nach
den Ideen gestaltet, und so den dritten Gott: die Welt schafft.
Also: der erste Verstand ist der neuplatonische Nous, weil auch er ruhend
ist; die Welt wird von der (Welt-)Seele gestaltet, geschaffen.
Wichtig ist zu bemerken, däß die Ausdrücke: „vor der Ewigkeit, mit
der Ewigkeit, nach der Ewigkeit" kein zeitliches Nacheinander bedeuten. So
ist das Iv „vor der Ewigkeit", nicht darum, weil eine „Epoche" vor der
Ewigkeit da sein könnte, sondern, weil das §v eine logische, ontologische
Bedingung des Nous, derUrzahlen, der Urbilderist. Wie Porphyrios in den
άφορμαΐ πρό$ τ ά νοητά 43 sagt: „Der Nous kann nicht άρχή des Alls
sein, weil er eine Vielheit ist und vor dem Vielen muß das Eine dasein".
Schon als Zahl muß die Eins vor den Anderen dasein. Aber auch in einem
tieferen Sinne: Plotinos 6, 6, 9, 39L „auch dem Sein ist das εν: άρχή, und das
Sein ruht an dem iv, sonst würde das Sein sich zerstreuen" (καΐ tco övti
τ ό εν άρχή, καΐ έπΐ τούτου έστίν ό ν σκεδασθείη γ ά ρ άν).
Also die Bedingung der Geltung der Naturgesetze ist, daß sie eine orga-
nische, zusammenwirkende Einheit bilden. Das Ideal der mathematischen
Naturwissenschaft ist, alle Gleichungen aus einer Gleichung abzuleiten, wie
dies Werner Heisenberg in bezug auf die Elementarteilchen der Materie
versucht hat. Und die Geltung der Naturgesetze muß überall gültig sein:
die Welt muß eine gesetzliche Einheit sein.
1 Nur daraus, daß bei Piaton (Staat 509 b) „das Gute (άγαθόν) kein Sein ist, sondern
jenseits vom Sein mit seinem Wert und seiner K r a f t hervorragt", folgern Plotinos und
Porphyrios, daß das Gute (somit das Ureine) vor dem Sein der ewigen Urbilder, also vor
der Ewigkeit dasein muß. D a ß das Gute jenseits vom Sein ist, bedeutet bei Piaton, daß
die Tüchtigkeit, die tüchtige, passende Struktur: Bedingung des Seins für jedes Sei-
ende ist. Denn die passende Struktur und die damit verknüpfte K r a f t des Sehens ist die
Bedingung des Seins für die Augen. Ein Auge, das nicht sehen kann, ist nicht Auge
(Staat 353 b — c ) . Hier ist klar, daß das Verhältnis von Güte (άρετή) und Sein kein
zeitliches ist. Bei den Neuplatonikern ist der Ausdruck irreführend, obwohl auch sie
diese Verhältnisse nicht zeitlich dachten, wie wir noch zeigen werden.
4 Altbeim, Hunnen V
50 QUELLENFRAGEN
seele aber eine fließende, sich bewegende Ewigkeit ist. Aber sowohl der
Kosmos als auch die in ihm gültigen Naturgesetze (also das ίν und der
Nous) sind ewig und bestehen zugleich, zusammen, untrennbar verbunden.
Kurz gesagt: die Hypostasierung des Ureinen und des Nous drücken
aus, daß ohne die ewige Gültigkeit der Naturgesetze die Welt nicht da wäre
und daß die Welt eine gesetzmäßige Einheit ist (die Gesetze der Atomphysik
sind auch in den entferntesten Sternwelten gültig).
4
Im folgenden (dritten) Absatz Sahrastäni's wird das Einssein eingeteilt
in das Einssein im Wesen und in dem Akzidens: eine offenbare aristotelische
Einteilung. Das Einssein im Wesen ist das des „Schöpfers". Dieser Gedanke
ist verständlicher, wenn wir an das plotinische Iv denken, welches kein At-
tribut hat, sondern einfach Eins (Iv) ist: das ist sein Wesen. Die Eins aber,
welche die άρχή, Anfang der Zahl ist und nicht in die Zahl eingeht, ist die
Eins im Nous: diese Eins ist ουσιώδες, wie auch die anderen Zahlen, die
also zum ewigen Sein gehören und Urbilder der gezählten Dinge darstellen.
Diese Urzahlen sind aber schon akzidentiell, weil sie sich auch im Nous mit
anderen Urtypen mischen: auch das „Sein" ist ein Sein, also diese Eins ist
schon im Nous ein Attribut, Akzidens (Plotin. 6, 6, 9).
Diese άρχή der Zahl „eignet dem tätigen Verstand", weil sie als Vorbild
dem tätigen Verstand (der plotinischen Weltseele) dient, welcher diese Ur-
zahlen im voOs betrachtet, damit er nach deren Vorbild die Natur gestillten
kann. Auch Plotin sagt, daß die Weltseele, wenn sie die Urtypen, Urzahlen
betrachtet, bei dem Nous ist, gleichsam dahin zurückkehrt, 4, 4, 2: „Wenn
die Weltseele rein in dem Nous sich befindet, hat auch sie das Unveränder-
liche, Ruhende; da vereinigt sie sich notwendig mit dem Nous, wird mit ihm
zusammengefügt, und somit wird sie eins mit ihm." So kann die Weltseele
rechtmäßig als „tätiger Verstand" bezeichnet werden. Wir haben gesehen,
daß immer das Untere im Höheren ist: wie der Nous im Iv, so ist die Welt-
seele im Nous. Die unteren Stufen sind Ausstrahlungen, Funktionen, Wir-
kungen (δυνάμεις) der höheren; die höheren als Kräfte, Wirkungen sind in
den unteren anwesend (Porphyrios, άφορμαί 28).
Im dritten Absatz folgt die Behandlung der Eins, die in die Zahl eingeht
als Teil von ihr, wie denn die 2 aus 2 Einern zusammengesetzt ist. Wenn wir
zu größeren Zahlen aufsteigen, steigt „die Relation der Eins abwärts zum
4·
52 QUELLENFRAGEN
Weniger", entweder, weil der Abstand von der Eins immer größer wird, oder,
weil ι : iooo weit weniger ist als ι : 10. Die andere Abteilung (die Eins, dife
in die Zahlen eingeht, als ihnen innewohnend), haben wir schon behandelt.
Dieselbe Art der Eins ist anwesend in jeder Einheit: in der Einheit der Gat-
tung, Art oder der Person. Hier sind wieder „ranghöher" die Gattungen, weil
sie ferner von dem Vielsein liegen.
Im vierten Absatz behauptet Sahrastäni, daß Pythagoras „die Zahl ab-
strahierte vom Gezählten, wie man die Form vom Stoff abstrahiert". Das
ist bestimmt falsch, weil, wie wir gesehen haben, Pythagoras die Zahl so-
wohl als Stoff als auch als Form, Gesetz der Welt auffaßte. Dasselbe sagt
ausdrücklich Aristoteles in der Metaphysik (D. 58 Β 5): „Es scheint, daß
auch diese (die Pythagoreer) die Zahl für άρχή (Uranfang, Ursprung, Ur-
quelle) gehalten haben, als Stoff der seienden Dinge und auch als deren
Qualität und Form." Wir haben dargelegt, wie die Einheiten die geometri-
schen und dadurch die physischen Körper bilden, aber auch ihre Struktur,
Form bestimmen. Das Beispiel der Töne zeigt, wie Zahlenverhältnisse die
Qualität der Dinge bestimmen.
Also abstrahierte Pythagoras gar nicht die Zahl als Form vom Stoff,
sondern betrachtete sie zugleich als Stoff und Form der Dinge. Sahrastäni
kleidet alles in neuplatonische Denkformen, und so fälscht er unbewußt auch
das Richtige, was er sagt. Allerdings ist wahr, daß nach Pythagoras „άρχή
der seienden Dinge die Zahl ist". Aber falsch bleibt die zweite Hälfte des
Satzes: „und sie (die Zahl) ist das erste Geschaffene, das der Schöpfer ge-
schaffen hat". Hier spricht nicht mehr der Neuplatoniker, sondern der
Muslim. Nach Pythagoras sind die Zahlen, zuerst das Eine, ursprüngliche
Naturgebilde: das erste Eine hat das Leere eingeatmet, wodurch ändere
Einheiten entstanden sind. Auch bei den Neuplatonikern ist das Ureine von
Anfang an da, seine Emanation ist der Nous mit seiner Vielheit.
Das Folgende ist wieder nicht pythagoreisch, sondern spätere Speku-
lation: „Und . . . ging seine . . . Neigung dahin, daß die Eins nicht in die
Zahl eingehe, sondern daß die Zahl mit der Zwei beginne . . . Die erste ein-
fache Zahl ist die Zwei, und die erste einfache Gerade ist Vier . . . Die erste
einfache Ungerade ist die Drei".
Was sagt hingegen Porphyrios in seiner Pythagoras-Vita ? In Kap. 38
erzählt er, daß man nach Pythagoras „den himmlischen Göttern Ungerade,
den chthonischen aber Gerade opfern soll. Er hat nämlich von den Gegen-
sätzen das Bessere: Einheit (μονάς), Licht als das Rechte, Gleiche, Ru-
2. BRUCHSTÜCKE EINES PYTHAGOREISCHEN TRAKTATES 53
Es ist die erste begrenzte Figur: Element der Flächen und Körper, des
Seins. Aber dieses Dreieck enthält als Elemente die 4 ersten Zahlen, deren
Summe 10 ist. Die 4 ersten Zahlen sind aber Gründe der Welt, weil 1 der
Punkt, 2 die Linie, 3 das Dreieck, also die Urfläche, 4 das Tetrahedron, Ur-
typ des Körpers ist. Aber sie sind auch Gründe der Weltharmonie, weil 1 : 2
die Oktave, 2 : 3 die Quinte, 3 : 4 die Quarte ist. Und ihre Summe, die 10,
ist eine vollkommene Zahl (Porphyr., v. Pyth. 52): „Die Zehn ist eine voll-
kommene Zahl, weil sie alle Unterschiede der Zahlen, alle Arten der Propor-
tionen in sich enthält". Wirklich, in der 10 gibt es 5 ungerade und 5 gerade
Zahlen, 5 Primzahlen (1, 2, 3, 5, 7) und 5 zusammengesetzte Zahlen (4, 6, 8,
9, 10), welche als Produkte von anderen Zahlen hergestellt werden können:
4 = 2 mal 2, 6 = 2 mal 3 usw. Dann 4 ist die erste Quadratzahl, 8 die erste
Kubikzahl, weil 8 = 2 mal 2 mal 2 ist (23); 2, 3,4 ist eine arithmetische Reihe;
2, 4, 8 eine geometrische Reihe; 2 : 4 = 4: 8 ist eine geometrische Propor-
tion usw. Und mehrmals sagen die Pythagoreer, daß nach 10 die Zahlen
eigentlich sich nur wiederholen. Die Dekas ist also Urbild, Inbegriff des
Zahlenreichs.
Nun, weil dieses Tetragramm (τετρακτύξ) die Elemente der Figuren der
Körperwelt, die Urzahlen der Harmonie und alle Arten der Zahlen und Pro-
portionen : also gleichsam den Plan, das Urbild (παράδειγμα) der ganzen
Welt enthält, ist es die Wurzel des Alls, oder, wie anderswo gesagt wird:
Quelle der ewigen Natur (theol. arithm. 18).
Und es ist höchst interessant, daß auch bei Plotin derselbe Gedanke
wiederkehrt. In der oft zitierten Abhandlung (6, 6, 9, 38) sagt Plotinos:
„Die seienden Dinge haben ihren Grund, ihre Quelle und Wurzel und An-
fang in ihr (in der Zahl)". Nur dies ist der Unterschied, daß, während Pytha-
goras die Zahlen als natürliche, wirkliche: physische Wurzel und Quelle der
Welt betrachtet hatte, die Neuplatoniker sie als Glieder einer geistigen Welt
hypostasieren. Aber beide sind einig darin, daß die Zahlenordnung der
Grund der Natur ist. Hier hat Sahrastänl das Wesen des Pythagoreismus
bewahrt.
„Was hinterher kommt, ist die Gerade der Ungeraden, die Gerade der
Geraden sowie die Gerade der Geraden und Ungeraden." Was damit ge-
meint ist, ist folgendes: es gibt Zahlen, die Produkte einer Geraden und
ungeraden Zahl sind, etwa 6 = 2 mal 3; das ist: „Gerade der Ungeraden."
Es gibt aber gerade Zahlen, die lauter gerade Faktoren haben, etwa
64 = 2 mal 2 mal 2 mal 2 mal 2 mal 2 = 2®. Dies ist die Gerade der Ge-
2. BRUCHSTÜCKE EINES PYTHAGOREISCHEN TRAKTATES 55
raden. Endlich gibt es solche Zahlen, welche mehrere gerade, aber auch
einen ungeraden Faktor haben, wie 24 = 2 mal 2 mal 2 mal 3. Diese sind
„Gerade der Geraden und Ungeraden" (Nikomachos, arithm. eisag. 1,9,1;
1,8, 4; 1, 10, if.).
Die Fünf und auch die Sechs sind „kreisende" Zahlen, weil, mit sich selbst
multipliziert, das Ende zum Anfang zurückkehrt. Denn 5 mal 5 ist 25, 25 mal 5
ist 125, also Anfang und Ende ist immer 5. Ebenso ist es bei der Sechs:
6 mal 6 = 36, 36 mal 6 = 216. Diese Zahlen nannten die Pythagoreer (auf
die dritte Potenz erhoben) sphärische Zahlen, weil dritte Potenz für sie die
dritte Dimension ist. Eben darum dachten sie, daß die Seele nach 216 Jahren
in einen neuen Körper eingehe: der Gedanke des Kreislaufs, der zyklischen
Wiederkehr und der Körperlichkeit, Dreidimensionalität ist damit zahlen-
mäßig ausgedrückt. Und zur Grundzahl wird darum die 6 ausgewählt, weil
6 = 2 mal 3 ist, und die geraden Zahlen werden für weiblich, die ungeraden
für männlich gehalten, und das Produkt der beiden ist die Zahl der Hochzeit
und der Geburt. Und 6 ist die erste, einfachste Zahl, die Produkt einer Ge-
raden und Ungeraden ist. (Die Eins, als Faktor, produziert gar nichts.) In
den theol. arithm. 40 wird erzählt, daß die Wiedergeburten der Seelen nach
216 Jahren erfolgen. Der Gedanke der zyklischen Wiederkehr spielt bei den
Griechen, besonders bei den Pythagoreem, eine große Rolle.
Die Sechs ist darum eine vollkommene Zahl, weil sie der Summe ihrer
Faktoren gleich ist (6 = 1 + 2 + 3).
Was im Folgenden (von 268, 1 Cureton an) von dem Zusammen-
setzen der Zahlen erzählt wird, ist weniger interessant. Das Bemühen, die
Eins nicht unter die Zahl zu rechnen und ohne sie die Zahlen entstehen zu
lassen, ist spätere Erfindung. Pythagoras selbst hat die 10 aus 1 + 2 + 3 + 4
entstehen lassen, eben dies war für ihn die heilige Tetraktys.
5
Es fällt auf, daß im Abschnitt, der mit 268, 12 Cureton beginnt, der
Verstand als eine Zweiheit bezeichnet wird, weil er sowohl eine mögliche als
auch eine notwendige Existenz habe. Zu Anfang (266,4 Cureton) wurde ge-
sagt, daß das Erfassen jedes Dinges, das richtige Urteil ein Einssein ist, und
daß der Verstand eben diese Funktionen besitzt. Der Grund jener „Zwei-
heit" kann sein, daß der Nous in der Rangordnung nach dem 2v an der
zweiten Stelle steht. Dies geht daraus hervor, daß im Folgenden gesagt
56 QUELLENFRAGEN
wird: „das Gezählte, darin eine Dreiheit liegt", sei die Seele, was zeigt, daß
sie nach dem εν an dritter Stelle steht. Und „die Vierheit liegt in der Natur",
weil sie (die Natur) die vierte Stelle in der Rangordnung der Wesen erhalten
hat. Hier spielt auch der Umstand eine Rolle, daß die Zahl des Körpers
(des Tetrahedrons) eben die Vier ist, und die Natur: die Körperwelt, die
Zahl der Elemente, Grundstoffe ist ebenso 4 (Feuer, Luft, Wasser, Erde).
Auch das ist verständlich, daß die zusammengesetzten Dinge immer
etwas von den vier Grundstoffen, aber auch von der Seele und vom Nous ent-
halten. Denn die Seele gestaltet sie nach den Urbildern, welche sie im Nous
anschaut: so sind sowohl die Seele als auch der Nous in den sinnlichen
Dingen mit ihren Kräften anwesend. Doch dies ist reiner Neuplatonismus.
Dasselbe gilt vom Nous und den neun Himmelssphären, welche durch
ihre Seelen bewegt werden: die Seele ist hier ganz offenbar die belebende,
bewegende Kraft, welche die Himmelskörper nach den Zahlen Verhältnissen
des Nous bewegt und so die Harmonie der Sphären hervorbringt. Diese
9 Sphären sind: die Sphäre der Fixsterne, die 7 Planeten (die Sonne und den
Mond eingerechnet) und die Gegenerde, welche Philolaos im 5. Jahrhun-
dert ausgedacht hat, um die heilige Zehnzahl zu erhalten. Nach Philolaos
kreisen um das Zentralfeuer die Gegenerde, die Erde, die 7 Planeten und die
Sphäre der Fixsterne. Daß die Quelle dieser Stelle Porphyrios ist, ergibt sich
daraus, daß dieser v. Pyth. 31 von der Harmonie der Sphären spricht und
dort die 7 Planeten, die Fixsternsphäre und die Gegenerde als die neun
singenden Musen erwähnt, deren Harmonie Pythagoras hört. Auch Sahra-
stänl übersetzt diese Stelle so, daß Pythagoras den Klang der himmlischen
Sphären wirklich hört (Altheim-Stiehl, Porphyrios und Empedokles [1954]
15): „Niemals habe ich gehört etwas Süßeres als ihre Bewegungen und nie-
mals gesehen etwas Schöneres als ihre Gestalten und Formen." Hier ist also
vom wirklichen Hören und Sehen die Rede. Auch v. Pyth. 30 sagt Porphy-
rios ganz klar, daß Pythagoras die Harmonie der Himmelssphären wirklich
hörte, und daß wir nur wegen der Minderwertigkeit unserer „Natur"
dieselben nicht hören können. Wir müssen die Hörbarkeit dieser wirklichen
Töne betonen: das ist Urpythagoreisches, was später, wie wir noch sehen
werden, in neuplatonischem Sinne „vergeistigt" wird.
Zu unserer Stelle (269, 1) ist noch zu bemerken, daß der Nous und die
9 Himmelssphären „wie die Substanz und die 9 Akzidenzen sind": der Nous
enthält die Zahlenverhältnisse, Zahlenharmonien ( 1 : 2 , 2 : 3 , 3 : 4 usw.),
welche die Himmelssphären — mit Hilfe der sie bewegenden Seelen — nach-
2. BRUCHSTÜCKE EINES PYTHAGOREISCHEN TRAKTATES 57
ahmen. Wieder ist der Nous die Substanz, welche die Akzidenzen (die Seelen
und Körper) „hält".
Im Folgenden ist ganz im urpythagoreischen Sinne gesagt, daß die
seienden Dinge nur aus der Zahl und den Maßen erkannt werden können. Die
Erwähnung des Schöpfers ist natürlich SahrastänI's Zutat.
Alsdann wird behauptet, daß „das dem Einen Gegenüberstehende sei
der erste Grundstoff . . . , und er nennt es die erste Hyle. Dieses ist das Eine,
an dem teilgehabt w i r d . . . Denn nicht besteht Seiendes, ohne daß in ihm
wäre von seinem (des Grundstoffs) Einssein ein T e i l . . . " Diese schwierige
Stelle kann bedeuten, daß dieser erste Grundstoff die ύ λ η νοητή, die intelli-
gible, geistige Materie ist. Was ist diese geistige Materie ? Bei Plotinos 2,4
liest man, daß, wenn auch die „ E i d e " (die Urformen, Urbilder, die Genera und
Arten, aber auch die Urbilder, Keimformen der Personen) im Nous viele
sind, doch notwendigerweise etwas Gemeinsames in ihnen sein müsse, aber
auch etwas Eigentümliches und Besonderes, wodurch sie voneinander ver-
schieden sind. Dieses Eigentümliche ist für jedes Eidos die ihm eigentüm-
liche, ihm angemessene Gestalt und Form. Wenn aber die Form da ist, muß
auch das Geformte da sein. Es ist also auch die Materie da (im Nous), welche
die Gestalten empfängt, in sich aufnimmt (δέχεται) und die Grundlage
(τό ύποκείμενον) für sie bildet. Übrigens, sagt Plotinos, ist die sinnliche
Welt Nachahmung der geistigen Welt, des κόσμος νοητός; wenn also hier
eine π ρ ώ τ η ύλη, prima materia ist, welche als ein ganz und gar qualitätsloses
Substrat (ύποκείμενον) die Formen, Qualitäten empfängt, aufnimmt, so muß
auch im Nous das Vorbild dieser qualitätslosen Materie: die geistige Ma-
terie da sein. Diese geistige Materie ist mithin eine noch unbestimmte Mög-
lichkeit des Seins, die erst geformt werden muß, um ein begrenztes, be-
stimmtes Seiendes zu sein. Wirklich führt Plotinos 2, 4 aus, daß in der Welt
des Nous die Materie das Unbegrenzte, Unbestimmte (τό άπειρον) bedeute,
das aus dem εν entstanden ist. Ist doch das εν selbst—abgesehen davon, daß es
das iv ist — , ganz imbestimmt; es birgt die Möglichkeit und K r a f t (δύναμις)
der unendlich vielen Emanationen in sich, welche ihr Sein ihm verdanken.
Auch was man bei Sahrastäni von Empedokles liest (Altheim-Stiehl,
a. 0. 30): „Der Schöpfer habe das einfache Etwas geschaffen, welches das
erste einfache νοητόν (Intelligibles) und der erste Grundstoff ist" — be-
zeugt dasselbe.
Also jedes Wesen hat einen „ T e i l " von diesem geistigen Grundstoff:
indem es überhaupt existiert, hat es an dem Sein teil. Natürlich ist ein „ T e i l "
58 QUELLENFRAGEN
in jedem auch von der Führung des Verstandes, weil jedes Seiende eine Form,
Gestalt hat und zu einer Gattung und Art gehört. Außerdem enthält jedes
Seiende aus der Kraft (δύναμις) der Seele einen Teil, weil die Seele es ist,
die jedes Seiende gestaltet, belebt, bewegt, zusammenhält. Es gibt „Spuren"
der άρχαί (des 2v, Nous und der Seele) in den zusammengesetzten Dingen;
die Kräfte, Ausstrahlungen der höheren Mächte erhalten die sinnlichen
Dinge: ohne Einheit, Ordnung, Zahl, Gestalt bestünde nichts.
Auch Sahrastäni sagt im Nächstfolgenden: „Keine Mischung entbehrt
einer gewissen Proportion". Das sich Anschließende mag bedeuten: die
organische Vollendung (die wohlgeordnete Organisation) ist άρχή, Bedin-
gung der Bewegung; die seelische Vollendung, gute Organisation der Sinnes-
organe ist Bedingung der Wahrnehmung. Diese alle fordern eine gute Pro-
portion, Zahlenharmonie in der Gestaltung des Lebewesens.
Derselbe Gedanke wird weitergeführt im folgenden Absatz: „Da
die geometrischen Verbindungen nach der Weise zahlenmäßiger Entspre-
chungen geordnet worden sind, zählen wir sie gleichfalls zu den άρχαί." Die
geometrischen Verbindungen sind Dreiecke, Quadrate usw., und die daraus
gebildeten regelmäßigen Körper, natürlich Kreis und Kugel (Sphära) immer
Inbegriffen, als Grundformen der Himmelskörper und ihrer Bahnen: sie sind
alle (sowohl die irdischen als auch die himmlischen Körper) Verkörperungen
von Zahlenharmonien.
Was 270, 6 gesagt wird, kann bedeuten, daß die vier Naturen die vier
Elemente (Feuer usw.) sind; aber auch der Gedanke mag mitspielen, daß
die Elemente der Körper der Punkt, also die Eins; die Linie, also die Zwei;
die Fläche, also die Drei (Dreieck, als Element der Flächen), und die Vier
(Tetrahedron als der einfachste Körper) sind. Daß die Seelen, die seelischen
Fähigkeiten vier betragen (Verstand, Urteilskraft, Wissen und die Sinne),
ist wahrscheinlich spätere Einteilung. Bei Philolaos ist die Einteilung der
Seelen- und Lebenskräfte die folgende: „Der Kopf ist des Verstandes (νόου),
das Herz der Seele (ψυχής) und der Empfindung, der Nabel der Verwurze-
lung und des Emporwachsens des Embryo, das Schamglied des Samenwerfens
und der Zeugung" (fr 13; das Zitat wird der Ubersetzung K. Kerenyi's ver-
dankt: Pythagoras u. Orpheus 20).
Wie dem auch sei, die Zahl Vier ist eine grundlegende, heilige Zahl bei
den Pythagoreern: die heilige Tetraktys. Die vier Himmelsrichtungen kön-
nen dabei eine Rolle spielen. Und die Vier ist die charakteristische Zahl
uralter, auch der altmediterranen Kulturen.
2. BRUCHSTÜCKE EINES PYTHAGOREISCHEN TRAKTATES 59
6
Jetzt kommt man zur Stelle, die den Unterschied des Altpythagorei-
schen und Neuplatonischen am sinnfälligsten verdeutlicht. 270, 18 Cureton
wird dargestellt, daß die Welt — nach Pythagoras — „aus einfachen geisti-
gen Tönen zusammengesetzt sei. Die geistigen Zahlen sind nicht teilbar,
sondern einheitliche Zahlen . . . " Dies kann bedeuten: im Nous sind die Ur-
bilder der Zahlen da, somit auch die Zahlenproportionen wie 1 : 2, 2 : 3, 3 : 4,
welche die grundlegenden Harmonien ergeben. Und die Entfernungen der
Himmelskörper sind nach diesen harmonischen Zahlenverhältnissen ge-
regelt, ebenfalls ihre Geschwindigkeiten. So kann man sagen, daß die Welt
aus geistigen Tönen, also Zahlenharmonien zusammengesetzt ist.
Auch die Kristalle und die Körper der Lebewesen: die Blumen, die
Blätter und die tierischen und menschlichen Körper haben Symmetrie und
damit geometrische Struktur. Ebenso haben die Pythagoreer die Rolle des
Goldenen Schnittes (aurea Sectio) in Natur und Kunst früh erkannt. Der
Goldene Schnitt liegt vor, wenn eine Linie so geteilt wird, daß die ganze
Linie sich zum größeren Schnitt so verhält, wie der größere Schnitt zum
kleineren. Der Goldene Schnitt ergibt immer irrationale Zahlenverhält-
nisse, so daß man ihn nur annäherungsweise veranschaulichen kann, etwa
13 : 8 = 8 : 5 (das Produkt der äußeren Glieder ist 65, während das Produkt
der inneren 64 ist, also ist diese Proportion nur eine Annäherung des wirk-
lichen Goldenen Schnittes).
Den Goldenen Schnitt kennt Eukleides (elem. 2, 11). Aber vor ihm
kannten ihn schon die Pythagoreer (S. Heath, A History of Greek Mathe-
matics [1921] 161; P. H. Michel, De Pythagore k Euclide [1950] 526f.).
Also: die ganze Welt ist eine Zahlenharmonie. Deren Urbilder sind im
göttüchen Nous, als reingeistige Urzahlen da. Darin stimmen Neupytha-
goreer (Nikomachos, theol. arithm. 1, 6: die Zahl besteht im voraus im
Geiste des weltbildenden Gottes, als rein-geistige, ganz und gar immaterielle
Zahl, welche das ewige Wesen von Allem bildet, damit nach ihrem Vorbild,
als nach einer kunstvollen Proportion die Zeit, die Bewegung, die Himmels-
welt, die Sterne und ihre Bahnen vollendet werden) und Neuplatoniker
(Plotin. 4, 6) überein. Und weil sinnfälliger Ausdruck der Zahlenharmonie
eben die Harmonie der Töne ist, konnte Sahrastänl sagen, daß die Welt aus
einfachen geistigen Tönen zusammengesetzt sei.
Diese Zahlen sind nicht teilbar (und nicht addierbar), weil sie je eine
charakteristische Einheit sind; eine Einheit ist die Trias, als Urtyp des Drei-
60 QUELLENFRAGEN
ecks usw.; ebenso ist die Vier Urtyp des Tetrahedrons, also des Körpers.
Diese Zahlen haben also charakteristische Qualitäten: jede von ihnen ist
eine solche Individualität.
„Die Welt, die reine Freude ist hinsichtlich des schöpferischen Ursprungs"
(271, 1 Cureton) ist gewiß die Welt des Nous, wo die Zahlenharmonie, will
sagen: die geistige Harmonie, ganz rein ist; darum ist sie reine Freude.
Natürlich, in der Vorstellung SahrastänI's konnte der harmonische Gesang
der Engel sich damit verbinden, wie dies seine Übersetzung von v. Pyth. 31
zeigt (Altheim-Stiehl, a. O. 15).
Die Sprache besteht dort „oben" aus diesen rein geistigen Tönen, Har-
monien. Die Sprache hier unten besteht aus zusammengesetzten Tönen. Ob
diese niedere „Sprache" die irdische Musik oder die eigentliche Sprache be-
deutet, kann man nicht entscheiden. Der Satz: „Die Freude (hier unten) sei
nicht auf dem Höhepunkt der Vollendung, weil der Ton sich nicht auf dem
Höhepunkt der Übereinstimmung (Harmonie) befinde" — scheint auf
irdische Musik hinzuweisen.
Liegt hier Gegenüberstellung der reingeistigen Harmonie, himmlischen
„Musik" und der irdischen Musik vor, so treten in den Fragmenten Theo-
phrasts bei Sahrastänl (337, 20 Cureton; oben 3, 131t.) die irdische Musik,
das Singen, der eigentlichen Sprache gegenüber. Es wird gesagt, daß diese
irdische Musik sich der rationalen Erklärung entzieht und in der Seele
Traurigkeit erweckt. Ebenso sagt Theophrast (338, 4 Cureton): „Die Seele
ist gegenüber den Tönen, wenn sie verhüllt sind, aufmerksamer": auch dies
bezieht sich auf die irdische Musik.
Hingegen ist im Abschnitte über Pythagoras (270, 18 Cureton, dem wir
uns wieder zuwenden) von den reingeistigen Tönen (Zahlenharmonien)
die Rede. Die Harmonie der Sphären ist schon eine „Nachahmung", also
eine körperliche Verwirklichung der reingeistigen Zahlenharmonie; dann
kommt unsere irdische Musik, die schon Nachahmung, will sagen: der himm-
lischen Sphärenharmonie, der Harmonie der Gestirne, ist. In diesem Ab-
schnitt sind reingeistige Harmonie und „Musik" der irdischen Musik gegen-
übergestellt. In den theophrastischen Fragmenten bei Sahrastänl fällt kein
Wort von den reingeistigen Tönen. Dort ist irdische Musik der Sprache
gegenübergestellt. Soviel mag man zugeben, daß auch die irdische Musik der
himmlischen und reingeistigen „Musik" näher ist als die Sprache, und inso-
fern besteht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Bemerkungen Theo-
2. BRUCHSTÜCKE EINES PYTHAGOREISCHEN TRAKTATES 61
phrasts über die Musik und den hier mitgeteilten, neuplatonisch gefärbten
„pythagoreischen" Lehren.
Pythagoras selbst hat natürlich nicht die hörbare Harmonie der Sphären
und der irdischen Musik von der reingeistigen Zahlenharmonie unterschieden.
Eine reingeistige Zahlenharmonie existiert für ihn gar nicht: die hörbare
Musik, Harmonie ist für ihn sinnlich-geistig zugleich. Die Zahlenharmonien
existiren nur in den geometrischen und physischen Körpern und in den
Törten usw.: die Welt ist sinnlich-geistig zugleich. Auch Musik bezeugt, daß
sie sinnlich-geistig zugleich ist als Ausdruck der Seele. Für den gesunden
Menschenverstand ist Musik und jede Kunst sinnlich und geistig zugleich.
Geistig, weil sie Ausdruck von Zahlenharmonien und seelischen Erlebnissen
ist. Aber auch die Natur ist sinnlich-geistig zugleich: eine Blume, ein Blatt
ist vollkommene Symmetrie, Zahlenharmonie. Der Körper der Lebewesen
ist nach den Gesetzen der Statik und Dynamik aufgebaut. ,,Die Knochen-
bälkchen (im Inneren des Oberschenkelknochens) sind genau in der Rich-
tung der Zug- und Drucklinien angeordnet. Ein denkender und rechnender
Baumeister hätte es nicht bessermachen können" (Karl Frisch, Du und das
Leben. [1936] 55)· Natürlich ist dies Ergebnis einer übertausendjährigen
Anpassung: aber die Anpassung verläuft intelligent, zweckmäßig, nicht aufs
Geratewohl. Pythagoras hatte Recht: die ganze Natur ist Zahlenharmonie.
Auch die musische Harmonie ist sinnlich-geistig zugleich, wie alles in dieser
Welt. Pythagoras ist der Moderne, uns Verwandte, im Gegensatz zu den
Dualisten, welche Sinnenwelt und Geisteswelt in Gegensatz stellen, eine reine
Geisteswelt hypostasieren. Obwohl, wie gezeigt wurde, das ewige Reich des
Nous eigentlich die ewige Gültigkeit der Naturgesetze und moralischen Ge-
setze bedeutet.
Es folgt der Abschnitt, der mit 271, 1 Cureton beginnt: „Jede Welt sei
unter der ersten der Rangordnung nach, . . . Die letzte der Welten sei die
Hefe der Welten, deren Schwerstes und Unterstes."
Dazu läßt sich Folgendes bemerken: Nach Philolaos (Aetios 2, 7, 7)
heißt der äußerste Himmel, wo die Elemente (wahrscheinlich nur das
Feuer) am reinsten sind, Olympos. Darunter befindet sich der Kosmos, die
fünf Planeten mit der Sonne und dem Monde. Endlich unter dem Kosmos
ist der Uranos: die Erde und ihre Umgebimg. Auch dies ist eine Rangord-
nung. Doch unterscheidet sie sich von der bei SahrastänT dargestellten
neuplatonischen, insofern die oberste „Sphäre", die des Nous also, eine
reingeistige Sphäre ist, die ihrerseits die Substanz der stofflichen, himm-
62 QUELLENFRAGEN
lischen Sphären bildet, weil sie deren Wesen, die Zahlenproportionen, rein
enthält.
Doch die oberen himmlischen Sphären sind vollkommener, weil die Welt
der Sterne nach den Alten ewig, unveränderlich ist. Darum ist die unterste,
schwerste, also unsere Erde, die minderwertigste: „die Hefe" der Welt 1 ,
weil in ihr die Elemente sich miteinander mischen und die Wesen in ihr
werden und vergehen; weil eine beständige Mischung und Scheidung, Tren-
nung der Elemente, Assimilation und Dissimilation ihr Leben bildet. Nur
darum besteht diese niedrigste der Welten, weil „ein wenig Licht vom ersten
Licht auch in ihr ist". „Wegen dieses Lichtes befindet sich in ihr eine Art
Beständigkeit. Ohne diese Beständigkeit würde die unterste Welt nicht
einen Augenblick bestehen". Dieses Licht ist offenbar das Licht des Geistes:
die Ausstrahlung der Dynamis des Nous, die Geltung der Naturgesetze, die
mathematische Ordnung, ohne die jene Sinnenwelt wirklich nicht einen
Augenblick bestehen könnte. Im folgenden Satz drückt Sahrastänl den-
selben Gedanken mit seinen Worten aus: „Dieses wenige Licht sei der Kör-
per der Seele und des Verstandes, der beide trüge in dieser Welt." Gleich
als sei dieses Licht eine Ausstrahlung des εν und des Nous, der den Verstand
und die Seele in dieser Welt „trägt".
Etwas ähnliches kommt bei Porphyrios in seiner Schrift: „De regressu
animae" vor. Nach J. Bidez (Vie de Porphyre [1913] 89f.) gibt es ein vehi-
culum (δχημα) der einzelnen Seelen: der Hauch (πνεύμα), der aus dem Äther
kommt. Indem er die Sphären der Planeten durchwandert, um auf die Erde
zu gelangen, belädt er sich mit Teilchen, deren Mischung unser Tempera-
ment bestimmt. Die Vorstellung dieses vehiculum, das ursprünglich aus dem
leuchtenden Äther kommt, kann hier eine Rolle spielen.
7
„Er lehrte, der Mensch sei durch das Gesetz der Natur zum Gegenbild
der ganzen Welt geworden. Er sei eine kleine Welt . . . ". Daß der Mensch
ein Mikrokosmos ist, war bisher aus Demokritos (fr. 34) bekannt. Aber der
Gedanke kann auch Pythagoras gehören, besonders durch die Begründung:
1 „Die Hefe der Welt" ist wahrscheinlich ein Ausdruck aus der orphischen Kos-
mogonie, derzufolge die Erde ύποστάθμη καΐ Ιλύς τοΟ τταντό*: Bodensatz, Hefe und
Schlamm des Weltalls ist (Plutarch, fac. lun. 940 1 und Orph. fr. 57 Kern). Wir ver-
danken diese Zitate K. Ker6nyi in: Hermes 66, 438.
2. BRUCHSTÜCKE EINES PYTHAGOREISCHEN TRAKTATES 63
„durch das Gesetz der Natur". Die Gesetze der Mathematik sind überall
gültig, das Wesen der Dinge ist überall die Zahl: diese Begründung macht
erst diesen Satz verständlich.
Und eben darum, weil auch die Seele eine Zahlenharmonie ist, kann sie
die Zahlenharmonie des Kosmos erkennen, weil „Gleiches durch Gleiches
erkannt wird" (dies ist Grundsatz der griechischen Erkenntnistheorie).
Im Folgenden wird gesagt: „Die menschliche Seele gleiche zahlenmäßigen
und musikalischen Verbindungen und darum harmoniere die Seele mit den
Harmonien der Töne, werde erfreut, verwirrt, traurig infolge des Hinhörens
auf sie."
Dazu sei bemerkt, daß hier wirklich eine Parallele zu den Fragmenten
Theophrasts bei Sahrastänl vorliegt. Denn 337, 20 Cureton wird gesagt, daß
durch die Musik Traurigkeit in der Seele erweckt werde. Und durch die
Musik werde auch jeder Zwiespalt in der Seele aufgehoben: die Seele wird
zu einer Einheit. Das stimmt mit den Lehren Pythagoras' überein. V. Pyth.
33 berichtet Porphyrios, daß Pythagoras sowohl die Seele als auch den Kör-
per mit Musik heilte. „Es waren Gesänge, durch welche Pythagoras die
Traurigkeit vergessen ließ, die Affekte besänftigte, und die ungehörigen,
überflüssigen Begierden beseitigte." Aber ebenso „hatte er heilende Ge-
sänge auch gegen die Krankheiten des Körpers, durch die er den Kranken
geholfen hatte".
Also für Pythagoras bildete Leib und Seele eine organische Einheit: der
ganze Mensch wurde durch die Musik geheilt. Bei Theophrast erscheint schon
der Dualismus, indem er sagt (338, 2 Cureton): „Der Gesang ist nach Pytha-
goras etwas, was der Seele zugehört, in keiner Weise aber dem Körper —
der Körper nämlich wendet die Seele ab von dem, was ihr Heil bringt."
Daß auch der Körper durch die Musik geheilt werden kann, findet seine
Begründung in eben diesem Absatz bei Sahrastänl (gegen Ende): „Es gibt
in der Welt nichts außer der Verbindung, und zwar sind die Körper und
die Akzidenzen Verbindungen (Harmonien)": weil auch die Körper und ihre
Zustände und Eigenschaften (das sind die Akzidenzen) Verbindungen, har-
monische Zahlenverhältnisse von Warmem und Kaltem, Feuchtem und
Trocknern, Süßem und Bitterem usw. sind, können diese Verbindungen, wenn
ihre richtige, gesunde Proportion gestört wurde, wieder hergestellt werden;
man kann durch harmonische Musik die richtige Proportion der Gegensätze
im Körper wieder zurechtrücken. In dieser Hinsicht bewahrt unsere Schrift
die urpythagoreische, natürliche Anschauung, die Aristoteles in seiner Meta-
64 QUELLENFRAGEN
Der letzte Teil des Traktats (277, 1 und 278, 2) ist am meisten mit neu-
platonischen und sogar islamischen Gedanken durchtränkt. 277, 1 wird ge-
sagt, Pythagoras habe das Zugrundegehen der Welt behauptet.
Die Begründung ist, daß „die Welt erreichen wird den Ursprung . . . und
wenn sie ihn erreicht, dann legen sich ihre Bewegung und vermehren sich die
höheren Freuden: die aus Tönen bestehenden Verbindungen".
Dazu muß man bemerken: weder Pythagoras noch die Neuplatoniker
haben das Zugrundegehen der Welt behauptet; die letzteren haben sogar
Einspruch erhoben gegen den Gedanken des Weltuntergangs. Philolaos hat
zwar von Sintflut und Verwüstung durch Feuer gesprochen (D. 44 A 18),
5 Altheim, Hunnen V
66 QUELLENFRAGEN
aber diese Katastrophen haben wahrscheinlich nur einen Teil der Erde und
Menschheit verheert, wie die bei Piaton (Timaios 22c-e und Nomoi 677a-d)
erwähnten Katastrophen.
Pythagoras lehrte dagegen, daß eine periodische Wiederkehr der Kon-
stellationen und damit auch der Menschen und Ereignisse stattfindet
(D. 58 Β 34). Der Lehrer wird ebenso mit dem Stab in der Hand den-
selben Schülern Vortrag halten usw. „Wenn Sonne, Mond und die Planeten
nach dem Ablauf regelmäßiger Fristen wieder in die am Beginn derselben
eingenommenen Stellungen zurückkehren", dann vollendet sich ein Welt-
jahr, und beginnt ein Neues. Mit diesem Welt jähr konnten die Pythagoreer
die zyklische Wiederkehr der Menschen und Ereignisse verknüpfen (S. Gom-
perz, Griechische Denker 1, 1 1 6 — 1 1 8 ; Piaton, Timaios 39).
Zyklische Wiederkehr also und kein Weltuntergang ist die pythago-
reische Lehre. Piaton ist auch darin den Pythagoreern gefolgt.
Zeitliche Weltschöpfung, Schöpfer und das nahe Weltgericht, Welt-
untergang sind aber die Lehren Mohammeds. Das in glühenden Farben ge-
haltene Gemälde vom Weltuntergang und Weltgericht ist kennzeichnend
für den Islam.
Nach Pythagoras hört die Bewegung der Welt keineswegs auf. Sondern,
wenn sie den Ursprung, die ursprüngliche Konstellation wieder erreicht hat,
fängt sie von neuem an. Warum sollte der Kosmos, die ewige Zahlenhar-
monie aufhören ?
Natürlich werden bei Sahrastänl die Freuden der Gerechten mit philoso-
phischen Farben gemalt: die höheren Freuden sind die aus Tönen beste-
henden Verbindungen, also Harmonien: aber wie im nächsten Abschnitt
geschildert wird, sind diese Harmonien geistige Tonharmonien. Also erhebt
sich die reine Seele zur Welt der Weltseele und des Verstandes. Statt der
Huris genießt sie philosophische Freuden!
War dieser Abschnitt in Farben des islamischen Glaubens gehalten, ist
der folgende neuplatonisch: (278, 2 Cureton) Pythagoras wurde emporge-
hoben, weg von der Welt der natürlichen Dinge zur Welt der Seele und des Ver-
standes. Da erblickt er die abstrakten Formen und hört geistige Töne. Was
können diese abstrakt-geistigen Dinge sein? Wir haben schon erwähnt, daß
im Nous die Grundzahlen und die Proportionen der Zahlen, darunter die Pro-
portionen der konsonanten Intervalle da sind, als Muster für die Harmonie
der Sphären. Dies kann die geistige Tonharmonie sein. Daneben ist wichtig
Plotins Äußerung: 2, 4, 9. Was die weiße Farbe und die anderen bunten
2. BRUCHSTÜCKE EINES PYTHAGOREISCHEN T R A K T A T E S 67
Farben in den Lebewesen verursacht, ist keine bunte Farbe, sondern der
Logos der „Buntheit". Was kann dieser Logos der Buntheit sein ? Nicht der
Begriff, denn dagegen protestiert Plotinos lebhaft (6, 6, 6), sondern, wie bei
den Tönen, die Zahlenverhältnisse, die die Qualität der einzelnen Farben
bestimmen: die Keimformen der Farben (λόγοι σττερματικοί, wie der von
der Stoa übernommene Terminus heißt).
Pythagoras aber war weit entfernt davon, daß er an abstrakte Formen
und reingeistige Töne gedacht hätte. Er hörte die sinnliche Harmonie der
Sphären und schaute die schönen Gestalten und Formen der Gestirne, wie
Sahrastänl selbst v. Pyth. 31 frei übersetzend sagt. Er wollte nicht empor-
gehoben werden weg von der Welt der natürlichen Dinge: er schaute die
Zahlen in der Natur, die aus den Zahlen aufgebaut und geformt ist. „Ab-
strakte Formen": schon der Begriff der Abstraktion rührt erst von Aristo-
teles her (Met. 1061 a 29: άφαίρεσις. Der Mathematiker abstrahiert die
quantitativen Verhältnisse und geometrischen Formen von den übrigen Qua-
litäten).
Pythagoras würde nie sagen, daß, was in dieser Welt ist, ein geringes
Maß an Schönem umfasse, weil es von der Natur verursacht ist. Natur war
für ihn die verkörperte Zahl und Harmonie. Was kann es Schöneres geben
als das, wo alles Zahlenharmonie, Symmetrie, Proportion ist ?
Bei Sahrastänl hingegen werden die oberen Sphären immer schöner, bis
man zur Welt der reinen Seele und der reinen Vernunft gelangt.
Und je ferner man von dieser geistigen Welt ist, desto minderwertiger
ist sie. Der unterste ist der Körper, weil er der Führung durch die Natur
bedarf, und so geht es hinauf zur Seele und zum Verstand. Was hier über-
einanderliegt, all dies sah Pythagoras immanent, in der Natur, als deren
konstitutive Elemente.
Wenn wir das Ganze zusammenfassen: der Kontrast ist groß zwischen
Pythagoras, der die Zahlenharmonien, die Seele und den Geist als der Natur
immanent begriff, und den Neuplatonikern, die diese organischen Bestand-
teile der Natur: Seele, Geist, Einheit hypostasierten. Aber sie dachten doch,
daß Einheit, Nous, darin die Urbilder des Seins „nirgends und überall"
sind, also überall gültig sind.
Sahrastänl folgt den Spuren des Neuplatonikers Porphyrios, aber er ver-
mischt damit die islamischen Lehren vom Schöpfer und vom Weltuntergang,
welche der hellenischen Weltanschauung, auch den Neuplatonikern, fremd
sind.
5·
68 QUELLENFRAGEN
EXKURS
Wir haben schon darauf hingewiesen, daß das plotinische iv, von dem
man nichts aussagen kann, sein Dasein dem Mißverständnis der ersten Hypo-
these des platonischen „Parmenides" (137 c—142 a) verdankt, und kurz ge-
zeigt, daß auch das platonische ά/αθόυ (Staat 509b) nichts Irrationales ist.
Wir wollen jetzt uns mit dieser Frage beschäftigen, weil Paul Henry S. J.
in seiner Einleitung zur Plotin-Ubersetzung St. MacKenna's meint, daß
„der eigentliche Gedanke Piatons von Gott und die Frage der platonischen
Religion auch heute ein Gegenstand der Diskussion ist" (S. XLII); daß man
also die Berechtigung der Identifikation des plotinischen Iv mit dem άγαθόν
und dem „Gotte" Piatons nicht beurteilen könne.
Wir werden zuerst zeigen, daß die Identifikation des platonischen άγαθόν
mit dem isolierten und darum undenkbaren εν des platonischen „Parme-
nides" ein Irrtum Plotins war. Dann werden wir an Hand der platonischen
Timaios, Philebos und Nomoi beweisen, daß die Gottheit nach Piaton
keineswegs als derart isoliert, irrational, unerkennbar, negativ gelten darf,
wie Plotin vermeint, sondern reine Vernunft, Inbegriff der mathematischen
Weltordnimg ist.
Der Satz, nach dem das άγαθόυ jenseits vom Sein mit seiner Kraft sich
auswirkt, bedeutet bei Piaton, daß tüchtige, passende Gestaltung die Be-
2. BRUCHSTÜCKE EINES PYTHAGOREISCHEN T R A K T A T E S 69
dingung des Seins für jedes Seiende ist. Wie Staat 6oid besagt: άρετή και
κάλλος καΐ όρθότης έκάστου σκεύους καΐ ζώου καΐ πράξεως ού πρός
άλλο τι ή τήν χρείαν Ιστίν „die Tüchtigkeit, Schönheit und Richtigkeit
jedes Werkzeugs, Lebewesens und jeder Handlung besteht nur in der Be-
ziehung auf den Gebrauch und das Bedürfnis". Also die Dinge verdanken
ihr Dasein ihrer Tüchtigkeit, Güte, und diese „Güte" besteht darin, daß sie
brauchbar, funktionsfähig, zweckmäßig gestaltet und darum zur Be-
friedigung der Bedürfnisse geeignet sind. Die „Güte", will sagen: Funk-
tionsfähigkeit ist die Bedingung des Seins: ein Auge, das nicht sehen kann,
ist nicht mehr Auge. Diese „Güte" ist nicht isoliert und nicht irrational.
Der Timaios lehrt (3oa-c), daß der Demiurgos, der weltbildende Gott gut
ist; daß er gewollt habe, daß alles in der Welt ihm möglichst ähnlich sei.
Und weil er wußte, daß Ordnung das beste ist, hat er eine zahlenmäßige
Ordnung in die Welt gebracht. Dieser „Kosmos" und diese Ordnung ist das
Thema des ganzen Timaios. Und eben darum, damit die Welt vernünftig:
nach Zahlenharmonien sich bewege, hat er eine mit Vernunft begabte Welt-
seele, als bewegende Kraft, zustande gebracht. Die „Gottähnlichkeit" be-
steht demnach in der mathematischen Ordnung der Welt.
Also ist der platonische Gott keineswegs irrational, sondern ist Inbegriff
alles dessen, was die plotinische zweite Hypostase enthält: der mathema-
tischen Ordnung, der Vernunft. Die „Güte" des platonischen Gottes be-
steht in seiner Vernunft, in der mathematischen Ordnung, die er im Kosmos
sichtbar offenbart.
Auch imPhilebos (28d-e) wird gesagt, daß ein ordnender Geist die Welt
leitet und erhält. In Zeus wohnt eine „königliche Vernunft", welche die
Jahre und Jahreszeiten ordnet (30c-d). Am Ende (64 ε) wird ausgeführt, daß
das άγαθόν in der Schönheit, also im rechten, passenden Maß und in der
entsprechenden Proportion besteht.
In den „Nomoi", dem letzten Werk Piatons, lesen wir, daß der Haupt-
beweis des Daseins Gottes eben die mathematische Gesetzmäßigkeit der
Gestirnbewegungen ist. Die Güte Gottes besteht darin, daß er das Gute: die
zweckmäßige, wohlfunktionierende mathematische Ordnung im Großen und
Kleinen verwirklicht hat (Nomoi 966 ε—967 b).
Also fern davon, ein irrationales Etwas zu sein, ist der platonische Gott
reine Vernunft und reine Güte.
Diese platonischen Stellen beweisen, daß die erste Hypothese im plato-
nischen „Parmenides" gar nicht das wahre Wesen eines unergründlichen,
70 QUELLENFRAGEN
weltfernen Gottes darlegt, sondern offenbart, daß eine isolierte, von der Welt
ganz getrennte Einheit — sei es Gott, sei es Idee — gar nicht bestehen kann.
Das solchermaßen ad absurdum geführte Eine ist nicht, läßt sich gar nicht
denken.
Das seiende Eine aber ist schon ein Komplex von drei Bestandteilen:
von dem Einen, von dem Sein und von der Verschiedenheit, weil das Eine
und das Sein voneinander verschieden sind. Also das „Andere", die
Quelle jeder Differenzierung, Veränderung ist schon am Anfang, in der
Wurzel da.
Wie schon erwähnt, zerteilt, differenziert sich das seiende Eine in unend-
lich viele Gattungen, Arten, Unterarten und Individuen (Parmenides 144b).
So gibt es keine Trennung, keine Scheidewand zwischen dem Einen und
Vielen, zwischen Ideen und sinnlichen Dingen. Das Eine ist zugleich Vieles.
Dies behauptet Plotinos von seiner zweiten Hypostase: dem Nous (beispiels-
weise 6, 2, 21). Der Nous ist eines und viel zugleich, weil er die Ideen aller
Wesen enthält.
Also entspricht die zweite Hypostase Plotins dem platonischen Gotte.
Wir haben gezeigt, daß diese zweite Hypostase die mathematische Ordnung
der Welt enthält, wie die zweite Hypothese des platonischen Parmenides:
die Entwicklung der Gattungen und Arten aus dem seienden Einen ist eine
zahlenmäßige Gliederung.
Nach Piaton also gibt es keinen gesonderten, überweltlichen göttlichen
Nous: der Nous wohnt im Kosmos als dessen Seele und ordnende Kraft.
Daß die zweite Hypothese im Parmenides (142 b — 1 5 5 e) die wirkliche
Gestaltung der Welt ausführt, beweisen auch die übrigen Hypothesen des
Parmenides, besonders die vierte und fünfte (157b—160b). Hier, gleichsam
vom anderen Endpunkt der Dinge ausgehend, wird ausgeführt, daß die Viel-
heit der Sinnendinge ohne Einheit nicht bestehen könne. Schon Vielheit an
sich kann nicht ohne Einheit da sein. Vor allem: ohne charakteristische
Einheiten, also ohne Gattungen und Arten (Ideen) wäre die Welt Chaos: es
bestände keine bestimmte Qualität, kein charakteristisches Ding; es gäbe
nur verworrene, flüchtige Erscheinungen. Wenn wir Feuer, Wasser, Blumen,
Menschen unterscheiden, konstatieren wir damit, daß charakteristische Ein-
heiten : Gattungen, Arten, bestimmte Qualitäten da sind.
Also wie das seiende Eine sich notwendigerweise in unendlich viele Teile
zerteilt, kann auch die Vielheit der Sinnendinge ohne bestimmende, be-
grenzende Einheiten nicht bestehen. Idee, Gestalt, Gesetz und Sinnendinge
2. BRUCHSTÜCKE EINES PYTHAGOREISCHEN TRAKTATES 71
NESTORIANISCHE ÜBERSETZUNGEN
GRIECHISCHER PHILOSOPHEN
i. D I E D E M O K R I T F R A G M E N T E U N D I H R E S T E L L U N G IN D E M O K R I T S
SYSTEM
I
Vergleichen läßt sich fr. 31: „Die Arzneikunst heilt die Krankheiten
des Leibes, die Einsicht befreit die Seele von Leidenschaften." Wohlgemerkt:
die Leidenschaften, Affekte sind nicht Zustände des Körpers, sondern der
Seele. Wie fr. 223 ganz scharf erklärt: „Wessen der Leib bedarf, das steht
allen leicht sonder Mühe zur Verfügung. Aber nach alledem, was Mühe und
Beschwerde erfordert und das Leben betrübt, trägt nicht der Leib Verlangen,
sondern die Taktlosigkeit der Erkenntnis." Taktlosigkeit: κακοθιγίη,
meint eigentlich: schlechte, schwache Berührungs-Fähigkeit. Jede Wahr-
nehmung erfolgt nämlich durch Berührung: die Atome, die aus den Dingen
fortwährend ausströmen, berühren unsere Seelenatome und teilen ihnen ihre
Bewegungen, Schwingungen mit. Diese Mitschwingung, Resonanz unserer
Seelenatome ist eben die Wahrnehmung. So unterscheidet man das Ange-
nehme, unserem Organismus Entsprechende vom Gegenteil, weil das Pas-
sende eine harmonische Bewegung ist und Lust in uns hervorruft; dem
entspricht fr. 188: „Die Grenze zwischen Nützlichem und Schädlichem ist
Lust und Unlust." So können die feineren Seelenatome das Überflüssige
und Schädliche von dem Natürlich-Notwendigen unterscheiden. Und jener,
dessen Seelenatome diese Unterscheidung nicht ausführen können, leidet am
Mangel der Berührungsfähigkeit. Wie man sagt, daß jemand taktlos ist, so
kann man auch in moralischer Hinsicht „taktlos" sein.
Die Seele ist also ein neuer Faktor. Sie kann auch nach überflüssigen Din-
gen Verlangen tragen, deren der Leib nicht bedarf. Fr. 159 stellt den Leib und
die Seele in scharfen Gegensatz, indem die Seele verurteilt wird, weil sie den
Leib durch Ausschweifung zugrunde richtet. Der Leib ist ein Instrument,
dessen Benutzer die Seele ist, sagt Demokrit ebenda. Dieselbe Gegenüber-
stellung begegnet fr. 187: „Die Vollkommenheit der Seele richtet die Schwä-
che des Leibes auf, Leibesstärke aber ohne Einsicht macht die Seele um
nichts besser." Die Seele ist also keine bloße „Funktion" des Körpers, die
unmäßigen Affekte und Begierden sind keine notwendigen Folgen der leib-
lich-natürlichen Bedürfnisse.
Die natürlich-notwendigen Bedürfnisse sind leicht zu befriedigen. Nach
fr. 176 ist die Natur sich selbst genügend; sie bietet alles dar, was zur Er-
haltung des Lebens notwendig ist. Desgleichen fr. 246: „Das Leben in der
Fremde lehrt Selbstgenügsamkeit: ein Stück Brot und eine Streu sind hoch-
willkommene Mittel gegen Hunger und Ermattung." Die überflüssigen Be-
gierden der Seele aber vergiften das Leben des ganzen Organismus; gemäß
fr. 233: „Überschreitet man das richtige Maß (τό μέτριον), so kann das An-
74 QUELLENFRAGEN
Die Frage ist nur, ob der Mensch sich den Logos wirklich aneignet.
Dazu verhelfen Mahnung und Erziehung, und es helfen auch die Sprüche
Demokrits. Mit den Mahnungen dringen die Gefühle, Gedanken und die
seelische Gestalt des Mahners in uns ein. Demokrit (A 77) sagt, daß είδωλα
(Emanationen von Bildern) besonders aus den Lebewesen in uns eindringen,
welche auch die Spiegelbilder der seelischen Bewegungen, des Charakters
und Rates mitbringen, und so die Ansichten der Sender uns melden . . . So
dringen ganz im wörtlichen Sinne die Sprüche und Gedanken des Erziehers
in uns ein. Natürlich, auch böse „Einflüsse" dringen ein nach fr. 166: „Ab-
bilder nahen dem Menschen, und diese sind teils Gutes, teils Böses wirkend."
So ist die Wirkung der Erziehung ganz materialistisch erklärt. Der De-
terminismus fordert, daß jede Ursache ihre Wirkung habe: also müssen die
Mahnungen wirksam werden.
Natürlich hängt von uns, von unserer Einsicht ab, ob wir unsere Seele
den guten oder den bösen Einflüssen öffnen, ob wir die Wahrheit der be-
sonnenen, auf dem Naturgesetz ruhenden Mahnungen nicht nur erkennen,
sondern auch anerkennen.
Der 15. Spruch bei SahrastänT lautet: „Wie das Wissen ist bei einem, der
es nicht annimmt, und, wenn er es annimmt, doch nicht weiß, so ist die
Medizin bei einem Kranken, durch die er nicht geheilt wird." Kenntnisse
kann man mechanisch in sich aufnehmen, ohne ihren logischen Zusammen-
hang, Sinn zu verstehen, und ohne von ihrer Wahrheit innerlich überzeugt
76 QUELLENFRAGEN
stehen kann, ist auch davon überzeugt, daß menschliche Gesellschaft und
darin das Individuum nur durch Harmonie, Gerechtigkeit, gegenseitige Hilfe
bestehen können. Nach fr. 255 sind Mitleid, Verbrüderung und gegenseitige
Hilfe die Kräfte, die die Gesellschaft erhalten; fr. 174 fügt hinzu, daß der
Gerechte Tag und Nacht heiter und unbekümmert, der Ungerechte dagegen
in steter Angst lebt.
Ohne tiefe Einsicht und Überzeugung keine folgerichtige und bewußte
Moral, ohne Moral aber keine wirkliche, wahre Wissenschaft. Wahrhaft
forschen kann man nur, wen Forschung um ihrer selbst willen interessiert.
Auch die Freude gehört dazu, die man bei Entdeckimg einer neuen Wahrheit
empfindet. Demokrit betont dies fr. 194: „Die großen Freuden stammen aus
der Betrachtung der schönen Werke"; fr. 146: „Der Geist, der sich gewöhnt,
aus sich selbst die Freuden zu schöpfen." Und nach fr. 118 wollte er lieber
einen einzigen Beweis finden, als den Perserthron gewinnen.
Demgegenüber ist die Macht, der Erfolg um jeden Preis das Ziel in vielen
Fällen. Gegen die Geltungssucht sagt Demokrit im 3. Spruch bei Sahrastänl:
„Nicht ziemt sich, daß geprüft werden die Menschen in der Zeit ihrer Demü-
tigung, sondern in der Zeit ihrer Stärke und Macht . . . " Ebenso der
9. Spruch: „Die Frucht der Macht ist die Lässigkeit . . . und (am Ende) die
Torheit und das Verbrechen." Viele Leute zeigen ihr wahres Antlitz im Be-
sitz der Macht: ihre Habgier, Rücksichtslosigkeit und Gewissenlosigkeit.
3
Der wichtigste aber ist der letzte, 16. Spruch bei Sahrastänl: „Man sagte
zu ihm: Blicke nicht! Da Schloß er die Augen. Man sagte zu ihm: Höre nicht!
Da bedeckte er seine Ohren. Man sagte: Sprich nicht! Da legte er die Hand
auf die Lippen. Man sagte zu ihm: Wisse nicht! Er antwortete: Ich kann es
nicht!"
Dazu gibt Sahrastänl zwei Erklärungen, deren erste sicherlich falsch
ist: „Er wollte damit ausdrücken, daß die inneren Dinge nicht unter den
freien Entscheid fallen . . . Weil der Mensch durch Notwendigkeit bestimmt
sei hinsichtlich seines Ursprungs, sei er ohne Herrschaft über sein Herz . . .
Deswegen gebe es, solange er sich nicht frei entscheiden könne hinsichtlich
seines Innersten, keine Möglichkeit, daß er gestalte sein Innerstes."
Nach Sahrastänl also ist der Mensch durch seine Geburt determiniert:
er wird mit einem bestimmten Temperament geboren, und daran kann er
78 QUELLENFRAGEN
nichts ändern, er ist ohne Herrschaft über sein Herz. Aber Demokrit hat
offenbar das Entgegengesetzte behauptet. Laut fr. 236 kann der wohl-
denkende Mann den Zorn, die Affekte besiegen; nach fr. 214 ist tapfer auch
der Besieger seiner Lüste . . . Und fr. 33 verkündet, daß „die Erziehung den
Menschen umformt, und durch diese Umformimg eine (zweite) Natur
schafft"; nach fr. 34 ist der Mensch ein Mikrokosmos, wo der Logos regiert;
laut fr. 180 ist die Bildung Kosmos: Ordnung, Quelle der inneren Ordnung
für die Glücklichen, und Zuflucht für die Unglücklichen; fr. 242 spricht aus,
daß „mehr Leute durch Übung als durch Natur tüchtig werden". Also ist
die physische Anlage keineswegs alles.
Die zweite Erklärung von Sahrastäni ist die richtige: „Danach meinte er
den Unterschied zwischen dem Verstand und den Sinnen, denn was die
verstandesmäßige Erkenntnis angeht, so ist nicht vorstellbar ein Sich-Ent-
fernen von ihr. Und wenn sie (die verstandesmäßige Erkenntnis) einmal da
sei, sei nicht vorstellbar, daß man sie vergesse durch freien Willen und ein
sich Abwenden von ihr — im Gegensatz zur sinnlichen Erkenntnis".
Also der demokritische Spruch: „Ich kann es nicht!" — bedeutet, daß
man den Logos in sich nicht ersticken, gegen seine Überzeugung nicht han-
deln kann. Einzelheiten, Daten kann man vergessen, aber erlebte logische
Zusammenhänge, die Grundlinien eines physischen und ethischen Welt-
bildes nicht.
4
Manche meinen, daß ein Gegensatz zwischen dem physischen Deter-
minismus Demokrits und seinen auf Einsicht gegründeten ethischen Mah-
nungen besteht. Demokrit lehrt wirklich, daß die Kette der Ursachen keinen
Anfang hat, sondern die Ananke, die notwendige Gesetzmäßigkeit der Natur
in sich zum voraus alles enthält, was geschah, ist und sein wird (A 39). Und
Leukipp sagt (fr. 2), daß alles aus bestimmtem Grunde und durch Notwen-
digkeit erfolgt.
Das bedeutet aber nicht, daß der Mensch ein Spielball der Affekte und
des .Schicksals' ist. Wir haben gesehen, daß die natürlichen Bedürfnisse
leicht zu befriedigen sind, und die übermäßigen Begierden schon Produkte
der Seele, der Phantasie, also keine natürlich-notwendigen Phänomene sind.
Im Gegenteil: eben auf Grund des Determinismus ist alles vorausbestimmt,
damit auch die Entstehimg des Menschen, der das entwickelteste Gehirn
und damit die Fähigkeit des logischen Denkens hat. Also der Mensch, wenn
3. NESTORIANISCHE ÜBERSETZUNGEN 79
er wirklich ein Mensch ist, muß ganz natürlich seine neue, charakteristische
Fähigkeit, die ihn von den übrigen Tieren unterscheidet, ausüben. Das Ge-
hirn und damit das bewußte Denken ist naturnotwendig durch eine lange
Kette der Ursachen entstanden. Jede Tatsache aber ist nicht nur Wirkung,
sondern auch Ausgangspunkt einer folgenden Kette von Ursachen. Der ge-
sunde Menschenverstand muß also tätig sein, wirken, um so mehr, als die
Betätigung aller Organe (das Schwimmen, Turnen) Freude verursacht. Es
ist also natürlich-notwendig, daß der Mensch seine spezielle Tätigkeit aus-
übt und die spezielle menschliche Freude des Denkens empfinden will.
Demokrit hat ja betont (fr. 146), daß „der Geist aus sich selbst Freude
schöpft".
Die Freude der freien Forschung ist wirklich die höchste menschliche
Freude und das Recht dazu das höchste, grundlegende menschliche Recht.
Wie ohne freie Bewegung kein biologisches Leben, so gibt es kein menschen-
würdiges Leben ohne freie Forschung.
Der Mensch will die Geheimnisse der Gestirne und Atome enträtseln. Die
Erforschung der Gesetzmäßigkeiten der Natur ist für die menschliche Ver-
nunft möglich, weil sie Spiegelung des kosmischen Logos ist. Die mensch-
liche Logik ist von derselben Struktur wie die kosmische. Darum hat man
auf Grund von Erfahrungen durch reine logische Deduktion neue Tatsachen,
neue Erscheinungen vorausgesetzt, die durch das Experiment später nur
bestätigt wurden. Die Entwicklung der Naturwissenschaft hat den leukipp-
schen Grundsatz bestätigt, nach dem alles έκ λόγου: nach dem Logos, nach
den Gesetzen der Logik erfolgt. Weil die materielle Welt mathematisch-
-logisch aufgebaut ist, kann der menschliche Geist die mathematisch-logi-
schen Gesetze erkennen, die in der Natur gültig sind.
Der menschliche Logos ist also Vertreter des kosmischen Logos in uns.
Es wäre ein widernatürlicher Widerspruch, wenn der Logos, der im
ganzen Kosmos allmächtig wirkt, gerade im Mikrokosmos: im Menschen, wo
er ebenbewußt wurde, ohnmächtig wäre; wenn eben der Mensch logoswidrig,
unbegründet handeln würde.
Der Logos ist im Menschen eine bewußt gewordene und somit mit-
reißende Naturkraft, wie die Gravitation. Und dieser Logos steigt nicht aus
einem Jenseits nieder: er ist das Wort der Natur in uns, das keine Askese
fordert, sondern dies, daß wir uns nach Befriedigung der leiblich-natür-
lichen Bedürfnisse den wahren menschlichen Freuden des Geistes widmen.
80 QUELLENFRAGEN
Wenn also ein Mensch ohnmächtig gegen seine Affekte und Begierden
ist, ist dies kein natürlicher Zustand, keine Folge einer physischen Notwendig-
keit, eher widernatürlich, eine Auflehnung gegen die Natur. Wie das Ent-
stehen und Bestehen eines materiellen Dinges nur durch harmonisches Mit-
schwingen seiner Atome möglich ist, so muß auch im Menschen eine ähn-
liche Harmonie der seelischen Atomschwingungen stattfinden. Die Vernunft,
die Affekte und Begierden sollen im Gleichgewicht sein, die Vernunft soll
die Affekte und Begierden nicht ersticken, sondern in ihren natürlichen
Grenzen halten und lenken. E s gibt doch eine berechtigte Empörung gegen
Ungerechtigkeit, Unmenschlichkeit, Gewaltherrschaft: es gibt Affekte, die
mit dem Logos im Einklang sind.
Wie das Individuum, kann auch die Gesellschaft nur bestehen, wenn
ihre Atome.: die einzelnen Menschen in Harmonie miteinander wirken,
Gerechtigkeit waltet und die Menschen einander — wie auch die Bienen und
Ameisen — helfen. Nach fr. 255 kann die Gesellschaft nur durch Mitleid und
gegenseitige Hilfe erhalten werden. So sind die moralischen Gesetze logisch-
-notwendige Folgen, Anwendungen der physischen Gesetze, besonders des
Mitschwingens der Atome.
5
Demokrit wußte, daß seine Atomtheorie ein Werk des Logos, nicht der
sinnlichen Erkenntnis ist. Die Einsicht muß hinter dem konventionellen
Schein der Farben, Geschmäcke, der Wärme und Kälte die einzige objektive
Realität: die Schwingung der Atome in leerem Raum erkennen. Fr. 125
spricht es scharf aus: „Scheinbar (nach Konvention) ist Farbe, scheinbar das
Süße und Bittere, scheinbar das Warme und Kalte, in der Wirklichkeit nur
Atome und das Leere"; und nach fr. 1 1 : „ E s gibt zwei Formen der Er-
kenntnis : die echte, natürliche und die dunkle. Zur dunklen gehören fol-
gende insgesamt: Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack, Gefühl (Tasten). Und
wenn die dunkle Erkenntnis nicht mehr ins Kleinere sehen, hören, riechen,
schmecken und tasten kann, sondern die Untersuchung ins Feinere geführt
werden muß, dann tritt an ihre Stelle die echte, natürliche (γνησίη), die
ein feineres Organ der Erkenntnis besitzt."
Gleiches wird durch Gleiches erkannt, —- dieser Grundsatz Demokrits
(A 63) bewährt sich auch hier: die feinen, winzigen Atome werden durch die
feinsten Seelenatome, welche die feinsten Bewegungen ausüben und mit den
feinsten Schwingungen mitschwingen können, erkannt.
3. NESTORIANISCHE ÜBERSETZUNGEN 81
Nach Demokrit sind also die Atome und der leere Raum die einzige ob-
jektive Wirklichkeit. Die Atome haben keine Farbe, keinen Geruch, keinen
Geschmack, keine Temperatur, nur Gestalt, Größe, Lage, Anordnung und
Schwingung, also nur geometrische Qualitäten. Durch die verschiedene Ge-
stalt, Größe, Anordnung und Schwingung der bei uns ankommenden Atom-
emanationen entsteht in uns die bloß subjektive Empfindung der Farben,
Töne, Gerüche, Geschmäcke und Temperaturen. Die Phänomene der Far-
benblindheit — die Erfahrung, daß dieselbe Speise verschiedenen Personen,
oder denselben in verschiedenen Zuständen, verschieden schmecken kann und
daß dasselbe Wasser uns warm oder kühl erscheint, je nachdem wir vorher
unsere Hand in kaltes oder heißes Wasser eingetaucht haben, inspirierten
diese Lehre, also logische Erwägungen. Wir werden noch sehen, welche
andere logische Motive die Atomtheorie begründet haben.
Wenn also die Atomtheorie ein Werk des menschlichen Logos ist, wenn
die menschliche Einsicht hinter den Farben die Schwingung der Atome er-
blicken, das Welträtsel durchschauen kann, dann wäre es Unsinn, widernatür-
lich, wenn der Logos, der die Sinneswahrnehmung derart korrigieren kann
und logischer Weise muß — gegen die Sinnlichkeit, die Begierden ohnmächtig
wäre. Wie der Logos einsieht, daß die Farben bloßer Schein sind, ebenso
muß er erkennen, daß die unmäßigen Begierden nicht natürliche Bedürf-
nisse, sondern eitle Scheinbegierden sind. Kennzeichnend ist der Name der
logischen Erkenntnis: γνησ(η, genuina: angeboren, natürlich. Natürlich ist
die Erkenntnis, welche die wirkliche Natur: die Atome erkennt: ebenso
natürlich muß dieser Logos die natürlichen Grenzen der Bedürfnisse er-
kennen und demgemäß das Verhalten des Menschen lenken.
6
Wir können jetzt zur zweiten Erklärung von Sahrastänl zurückkehren:
„Dies zeige, daß der Verstand nicht sei von der Art der Sinne, und die Seele
nicht gehöre zum Bereich des Körpers. Es wurde gesagt, daß der freie Ent-
scheid beim Menschen zusammengesetzt sei aus zwei Einwirkungen, deren
eine sei die Einwirkung einer Unvollkommenheit, die andere die Einwirkung
einer Vollkommenheit. Zu deren erster neigt man durch Entscheid der
Natur und des Temperamentes. Und was die zweite betrifft, so sei der
Mensch schwach in ihr, wenn ihm nicht zukomme Hilfe von selten des Ver-
standes, der vernünftigen Unterscheidung und des Logos . . . . Solange nicht
β Althelm, Hunnen V
82 QUELLENFRAGEN
komme solche Hilfe von Seiten der Fähigkeit zur Unterscheidung, äußere
sich das Überwiegen der zweiten Einwirkung." Hier irrt sich Sahrastäni
offenbar: er hat gesagt, daß die erste Einwirkung die einer Unvollkommen-
heit ist und zu der ersten man durch „Entscheid des Temperamentes"
neigt. Und der zweiten Einwirkung hilft der Logos, die vernünftige Unter-
scheidung. Der letzte Satz muß demnach lauten: „Solange nicht komme
Hilfe von seiten der Fähigkeit zur Unterscheidung, äußere sich das Über-
wiegen der ersten (schlechten) Einwirkung."
Dazu haben die Herausgeber richtig bemerkt, daß die Einwirkungen die
είδωλα (Bilder) sind, die dem Menschen nahen und teils Gutes, teils Böses
wirken (fr. 166). Solche Bilder können von Menschen kommen und je nach
dem Charakter der Sender können sie uns in gutem oder bösem Sinne beein-
flussen. Die Stelle (Demokrit A 77) wurde schon zitiert.
Bilder können aber auch von den Göttern kommen, und diese können
nur Gutes wirken, als Abbilder der göttlichen Harmonie, Ruhe und Heiter-
keit. Darum sagt fr. 175, daß die Götter nur Gutes gewähren, der Grund
alles Schlimmen aber die menschliche Verblendung ist.
7
Die Ethik Demokrits ist — wie wir gesehen haben — durchaus eine
natürliche Ethik, die mit logischer Notwendigkeit aus dem Naturgesetz des
harmonischen Mitschwingens folgt.
Und nun, kann man sagen — wie es Bailey tut in seinem Buche, dem wir
in Einzelheiten vieles verdanken (The Greek Atomists and Epicurus [1928]
212), daß die demokritische Ethik egoistisch („selfish") sei? Wir glauben,
daß diese Auffassung irrtümlich ist. Gewiß, jede griechische Ethik — auch
die platonische — ist eudaimonistisch: die tugendhaften Menschen sind
glücklich, heiter.
Aber nur die tugendhaften! Auch bei Demokrit ist Heiterkeit, Harmonie
und unerschütterliche Ruhe der Seele nur zu erreichen, wenn man gerecht ist
und die übermäßigen, asozialen Affekte und Begierden (Habgier, Macht-
gier) in sich besiegt. Man kann nur in einer gesunden Gemeinschaft glück-
lich sein, wie fr. 252 verkündet: „Ein wohlverwaltetes Staatswesen ist dör
größte Hort . . . Ist dieses gesund, ist alles gesund, und wenn es zugrunde
geht, geht alles damit zugrunde"; nach fr. 249: „Bürgerkrieg ist für beide
Parteien Unglück, ein Verderben sowohl den Siegern als auch den Be-
3. NESTORIANISCHE ÜBERSETZUNGEN 83
siegten"; gemäß fr. 251: „Die Armut in einer Demokratie ist dem geprie-
senen Glücke bei Despoten ebensosehr vorzuziehen wie die Freiheit der
Knechtschaft."
Auch wir glauben, daß es durchaus kein Egoismus ist, wenn man durch
die sozialen Tugenden, durch mit Freude verrichtete Arbeit glücklich sein
will. Muß Tugend etwas Freudloses sein ?
Die demokritische Ethik kann gut mit den Worten Epikurs zusammen-
gefaßt werden: „Es ist nicht möglich mit Freude zu leben, ohne mit Ein-
sicht, schön und gerecht zu leben. Die Tugenden sind mit dem freudvollen
Leben zusammengewachsen (συμπεφύκασι)" (Brief ad Menoikeus, Ende).
In diesem Zusammenhang noch ein Wort von dem demokritischen
Kosmopolitismus. Fr. 247: „Einem weisen Mann steht die ganze Welt
offen. Denn das Vaterland einer trefflichen Seele ist der ganze Kosmos."
Wir haben schon gesehen (vgl. fr. 249 und 252), daß dieser Kosmopolitismus
nicht die Vernachlässigung der eigenen Polis bedeutet. Im positiven
Sinne bedeutet dieser Kosmopolitismus, daß wir die Gesetze des Kosmos
erkennen und ihnen gemäß leben sollen. (Wie die Stoa gelehrt hat: in Über-
einstimmung mit der Natur zu leben.)
Nach dem Gesagten ist der Mensch innerlich frei, wenn er bewußt den
erkannten und anerkannten Naturgesetzen folgt. Eine unwürdige Knecht-
schaft ist dagegen, wenn man der Sklave der Lüste und Affekte ist. Wie fr.
214 sagt: „Manche herrschen über Städte, aber dienen Weibern."
Daß die kausale Ordnung der Natur die menschliche freie Entscheidung
nicht ausschließt, ist Urauffassung des Griechentums. Hier mag man aus
Walter F. Otto's: „Die Götter Griechenlands" anführen (S. 350—52): „Es
gibt . . . bedingte Festsetzungen, die insofern Schicksal heißen können, als
sie einem bestimmten Tun eine bestimmte Folge mit unerbittlicher Strenge
zuordnen . . . Wenn Laios mit lokaste einen Nachkommen zeugt, wird
dieser der Mörder seines Vaters sein . . . In diesem Fall ist die Entschließung
absolut entscheidend, aber sie selbst bleibt völlig frei . . . Den Menschen
wollen die Götter vor verhängnisvollen Entscheidungen behüten, indem sie
auch ihm die Einsicht in die Notwendigkeit der Verkettung geben. (So wurde
auch Laios durch Apollon gewarnt.) Betritt er dennoch den Weg, der in den
Abgrund führen muß, so hat er sich sein Unglück selbst geschaffen, über die
β*
84 QUELLENFRAGEN
9
Von den Emanationsbildern wurde bereits gesprochen, die von den
Göttergestalten kommen und Gutes wirken, weil sie Abbilder der gött-
lichen Harmonie und Heiterkeit sind.
Wie und wo sollen wir uns diese Göttergestalten vorstellen ? Aetios sagt
(A 74), daß Demokrit den Gott für den im kugelartigen Feuer anwe-
senden Geist, Verstand (Nous) gehalten habe. Wir wissen, daß nach Demo-
krit die Seelen aus kugelförmigen Atomen bestehen wie das Feuer, weil
diese Formen die beweglichsten sind. Cicero (de nat. deor. 1,12, 29) sagt, daß
die Götter nach Demokrit imagines (Bilder) sind, und zwar in zwei Bedeu-
tungen: 1. illa natura, das natürliche Wesen, welches die Bilder ausströmt,
sendet, — 2. die Bilder selbst, die aus den Göttern uns zuströmen. Cicero
(de nat. d. 1, 43, 120) erwähnt, daß es göttliche Bilder nach Demokrit im
Universum gibt, und diese Bilder sind lebendig, beseelt. Es gibt — sagt
Cicero ebenda — auch so große Bilder, daß sie die ganze Welt von außen
umfassen.
Aus dem, was Cicero und Lukrez über die Götter Epikurs, des großen
atomistischen Philosophen, sagen, können wir dieses Bild ergänzen. Cicero
(de nat. d. 1, 18, 49) behauptet, daß der Körper der Götter nur quasi corpus
est, weil er keine Festigkeit, Dichtheit besitzt, — keine „numerische"
Identität hat, weil seine Atome fortwährend wechseln, nur seine Form
bleibt. Gleichfalls Cicero (de nat. d. 1,37,105) bemerkt, daß in den Götterge-
stalten keine Festigkeit sich findet, nur ihre Form bleibt, weil die ihnen
entströmenden Abbilder durch immer frische, ähnliche Atome ersetzt
werden. Cicero (de nat. d. 1, 44, 123) sagt, daß die Göttergestalten nur aus
lineamentis extremis: aus Konturen, Umrissen bestehen. Das Bild können
wir aus Lukrez ergänzen: die Götter wohnen im Äther, in der reinsten Luft,
in den intermundia: in den Zwischenräumen zwischen den Welten, wohin
keine Winde, keine gröberen Atome gelangen, und wo die Strömung der
feinen, kugelartigen Ätheratome gleichmäßig ist. So können keine fremd-
artigen Atome die Gestalten der Götter auflösen, welche aus diesen feinsten
kugelartigen Atomen bestehen, und die aus ihnen abströmenden Abbilder
werden durch die zufließenden Atome ersetzt. So leben die Götter in unge-
störter Harmonie, und dieses körperlich-geistiges Gleichgewicht wird uns
durch ihre Abbilder vermittelt (Lukr. 5, 146—155; 1175—78; 3, 18—24;
6, 75—78)·
86 QUELLENFRAGEN
Es ist also kein Widerspruch, wenn nach Demokrit sowohl die Götter-
gestalten selbst als auch die Bilder, die aus ihnen strömen, imagines (Bilder)
heißen: diese Göttergestalten, die nur Umrisse, Konturen, aber keine innere
Festigkeit haben, können durchaus imagines (Bilder) genannt werden.
Diese Götter schaffen also die Welt nicht, sondern sind notwendige Pro-
dukte der Natur, in einem homogenen Medium, wo ein gleichmäßiges Strö-
men feiner Atome stattfindet. Da entstehen ewigbleibende Atomkomplexe,
weil ihre Emanationen (die Abbilder) durch frische ähnliche Atome fort-
während, gleichmäßig ersetzt werden.
Sie sind keine Ursachen der himmlischen Erscheinungen: in der Natur
erfolgt alles aus natürlichen Gründen. Auch Demokrit sagt, daß es eine
Naivität ist, die Ursachen der fürchterlichen Himmelserscheinungen — wie
Blitz, Donner, Mond- und Sonnenfinsternis — in den Göttern zu suchen
(A75). Aber eben aus natürlichen Gründen müssen oben, wo nur feine Atome
in Fülle vorhanden sind, harmonisch-ewige Gestalten: Götter entstehen und
verbleiben. Cum reliquo igni superno deos ortos Democritus suspicatur (A 74):
„Demokrit meint, daß die Götter mit dem übrigen Feuer da oben entstanden
sind." Die kleinen kugelartigen Feueratome entsprechen den Ätheratomen
bei Lukrez.
Die Götter mischen sich nicht in die Angelegenheiten der Welt, aber sie
wirken doch durch ihre Abbilder, die in unsere Seele eindringen, ihre Har-
monie mitteilen und dadurch unsere Seelenharmonie fördern und helfen,
damit der Logos unser Leben vernünftig-harmonisch gestalten und die Af-
fekte besiegen könne. Sie wirken durch ihr Sein.
Wir erinnern daran, daß nach Demokrit (A 77) die Abbilder auch die
seelischen „Bewegungen", Gefühle und den Charakter der „Sender" mit
sich bringen und mitteilen. So ist es natürlich, daß wir auch mit den Göttern
— durch ihre Abbilder — „mitschwingen" können. Und zwar durch Ema-
nation, Berührung, Schwingung: nach den Grundgesetzen der Natur.
Also kann strenge, natürliche Gesetzmäßigkeit und das Sein der Götter
sich vertragen. Das Dasein der Götter ist sogar für diesen .Materialismus'
fundamental: es beweist, daß eine ausgeglichene Harmonie im Universum
da ist, also harmonisches Leben: kein Wunschtraum, sondern „Nachah-
mung" einer natürlichen Wirklichkeit ist. Eine wirkliche göttlich-kosmische
Ethik!
Ebenso, wenn wir Mitleid, Sympathie mit den Menschen fühlen, ist es
wieder ein Fall der „Mitschwingens": die Menschen senden aus sich fort-
3- NESTORIANISCHE ÜBERSETZUNGEN 87
10
Nach Demokrit und seinem Vorgänger Leukipp bestehen die Dinge aus
kleinen, unsichtbaren, festen, vollen, unteilbaren Körperchen: Atomen.
Wie Leukipp (fr. 2) sagt: „Nichts erfolgt ohne Ursache, sondern alles
aus bestimmtem Grunde (έκ λόγου) und infolge der Notwendigkeit". Nun,
auch das Dasein der Atome ist notwendig und hat seinen bestimmten, ver-
nünftigen Grund (λόγος).
Zenon, der Eleat, dessen Schüler Leukipp war, wollte die Unmöglichkeit
der Vielheit, wie folgt, beweisen (fr. 1—2): Die Vielheit muß aus Ein-
heiten bestehen. Diese Einheiten sind entweder unteilbar oder teilbar. Wenn
sie unteilbar sind, haben sie keine Ausdehnung, sind reine mathematische
Punkte mit der Ausdehnung Null, und aus solchen Nullen kann kein Ding
entstehen. Wenn aber sie Ausdehnung haben, sind sie unendlich teilbar —
dann aber besteht jedes Ding aus unendlich vielen Teilen, und dann sind
sowohl die größeren als auch die kleineren Dinge unendlich groß, was doch
offenbar widersinnig ist.
Nun, Leukipp hat folgendermaßen seinen Meister widerlegt (A 7 Diels):
Die Dinge sind nur dann teilbar, wenn es zwischen ihren Teilchen leere
Räume (πόροι) gibt. Wenn nun die Dinge unendlich teilbar wären, dann
müßten die Poren sich letzten Endes berühren, und so würden die Dinge
88 QUELLENFRAGEN
aus lauter Leere bestehen, würde sogar das Universum eine einzige Leere
sein. — Es ist darum logisch notwendig, daß es unteilbare Teilchen: Atome
gibt! Diese Atome dürfen keine Leere in sich enthalten, sonst wären sie
weiter teilbar, also sie sind voll.
Wir sehen, daß das Dasein der Atome und ihre Struktur eine logische
Notwendigkeit ist: nur der Logos kann in die Tiefe blicken und das wirklich
Seiende erkennen, weil das Sein eben logisch aufgebaut ist. Nicht umsonst
war Leukipp ein Schüler Zenon's von Elea. Auch die Atomistik hält an dem
eleatischen Grundsatz fest: „ D a s D e n k e n und das Ding, worauf das Denken
sich bezieht, ist ein und dasselbe" (Parmenides, fr. 8, 34: τ α ύ τ ό ν δ ' ΙστΙ
νοεϊν τε και ούνεκέν έστι νόημα.)
Es ist merkwürdig, daß eben die neueste Atomforschung zeigt, daß die
Struktur des Atoms anschaulich nicht mehr vorstellbar, sondern nur mit
mathematischen Differentialgleichungen faßbar, begreiflich ist. Das lo-
gische Denken ist das adäquate Mittel zum Erfassen des Seins, als wären
physische Natur und Denken nur zwei Seiten, Aspekte desselben Seins.
Aber zwischen den Atomen und auch den aus Atomen zusammenge-
setzten Dingen muß schon leerer Raum sein, damit Vielheit und Bewegung,
somit die Welt möglich ist. (Sonst wäre das Sein eine einzige volle, starre
Kugel, wie bei Parmenides.)
Nun, im vollen Sinne ist nur das Volle, also das Atom (wie bei Parme-
nides die volle, starre Kugel des Seins). Aber auch sein Gegensatz: die Leere
muß da sein: so muß sowohl das Seiende (Volle) als auch das Nicht-Seiende
(die Leere, die Abwesenheit des Seienden) existieren (Leukippos A 8).
Die vielen Atome bewegen sich fortwährend, dies ist ihr natürlicher Zu-
stand. (Das ist Grundanschauung des alten, milesischen Hylozoismus: das
Seiende, die Materie ist lebendig, also von selbst beweglich.)
Die Atome sind homogen, sie unterscheiden sich voneinander nur nach
Gestalt, Größe, Lage und Ordnung, also durch geometrische Qualitäten.
Ihre Anzahl ist unendlich, wie auch der Raum unendlich ist. Nach Leukipp
und Demokrit ist auch die Anzahl der Atomgestalten unendlich. Aber tat-
sächlich nehmen auch sie eine endliche Anzahl der Atomformen an. Es gibt
nach ihnen typische Atomformen: kugelförmige, dann haken- und mulden-
förmige, spitzige und stumpfe Atome und so fort. Daß die Anzahl der Atom-
formen begrenzt sein muß, hat später Lukrez bewiesen (2, 478—580). Die
Atome sind — sagt Lukrez — unteilbar (weil sie keine Leere in sich ent-
halten), aber eine gewisse Größe haben sie doch: also bestehen sie aus
3· NESTORIANISCHE ÜBERSETZUNGEN 89
minimis partibus; diese minimae partes sind die Einheiten (die Atome)
der räumlichen Ausdehnung. (So hat auch der Raum eine atomistische
Struktur!)
Und nun, aus 3 solchen kleinsten Teilchen kann man in einer Ebene 2
verschiedene Gestalten, aus 4 kleinsten Teilchen 5 verschiedene Formen
bilden. Man sieht, daß, wenn man die Anzahl der Gestaltvariationen ver-
mehren will, man auch die Anzahl der minimae partes, somit das Volumen
des Atoms vermehren muß. Wenn also man unendlich viele Gestaltvaria-
tionen bilden wollte, würde damit das Volumen des Atoms sich unendlich
steigern. Aber die Atome sind auch nach Demokrit nicht wahrzunehmen,
nur mit dem Denken zu erfassen, sind also unendlich klein. Also muß die
Anzahl der Atomformen begrenzt sein. Eben darum gibt es ähnliche, gleich-
förmige Atome, was zur Bildung der Welt notwendig ist, wie sich zeigen wird.
Die Bewegung der Atome ist ursprünglich regellos, wie die Bewegung
der Stäubchen im Sonnenstrahl (Arist., de an. A 2,404 a 3). Anderswo (A 47)
liest man, daß eine Art der Atombewegung nach Demokrit die Vibration,
Schwingung (παλμός) ist.
Die umherschweifenden Atome begegnen sich im Raum, und wenn ihre
Gestalten nicht zusammenpassen, stoßen sie einander ab; wenn aber ihre
Gestalten und damit ihre Bewegungen zusammenpassen, dann verflechten
sie sich (wenn ζ. B. ein konvexes Atom einem konkaven begegnet) oder in-
folge ihrer harmonischen Bewegung bleiben sie zusammen und schwingen
miteinander. Wie Leukipp sagt: „Infolge der Symmetrie ihrer Gestalt,
Größe, Lage und Ordnung bleiben sie zusammen, und so entstehen die aus
den Atomen zusammengesetzten Dinge" (Leukipp A 14). Infolge ihrer
gleichen Gestalt und gleichen Bewegung bleiben und schwingen beispiels-
weise die kugelförmigen Feuer- und Seelenatome zusammen.
Daß die gleichförmigen Dinge zusammenbleiben, eine gemeinsame Rich-
tung nehmen, dazu führt sie die Erfahrung. Demokrit fr. 164 erörtert aus-
führlich, daß beim Durchsieben der Samen durch das Wirbeln des Siebes Linse
sich zu Linse, Gerste zu Gerste ordnet. Ebenso werden in der Brandung
durch den Wogenschlag die länglichen Steine zu den länglichen, die runden
zu den runden gerollt. Jede Folgerung der Atomisten beruht auf der
Erfahrung: demgemäß kann diese Folgerung sich auf die kleinen Atome
und zugleich auf die ungeheure Welt der Gestirne beziehen. Auch der Ur-
sprung des Kosmos ist auf Grund dieser erwähnten Erfahrung erklärt.
90 QUELLENFRAGEN
II
Die umherschweifenden und sich begegnenden Atome geraten manchmal
aus bestimmten, aber uns unbekannten Gründen in Wirbelbewegung. Auch
Piaton sagt im Timaios, daß der Raum, von verschiedenen Stoffen (Feuer,
Wasser, Erde und Luft) erfüllt, hin und her schwankte und so diese Stoffe
schüttelte, wodurch sie sich voneinander geschieden haben, „ähnlich den
Vorgängen, die sich bei Reinigung des Getreides vermittelst Durchsiebens
abspielen". Auch Piaton hält demnach für natürlich, daß die verschieden-
artigen Stoffe in Wirbelbewegung geraten (Timaios 52 ε—53 a).
Wie beim Durchsieben, so kommen auch im Wirbel die gleichartigen
Atome zu ihresgleichen. Und zwar, wie das Beispiel der Wirbel im Winde
oder im Wasser zeigt, kommen die größeren Atome, die fähiger sind, auch
der Wirbelbewegung zu widerstehen, in die Mitte, wo diese Bewegung die
geringste ist, und drängen die kleineren nach der Peripherie hinaus. So ent-
steht in der Mitte die Erde, dann das Wasser, die Luft und in der Peripherie
die feurigen Sterne.
Den Wirbel hat Demokrit άνάγκη (Notwendigkeit) genannt (A 1), wohl
darum, weil er notwendig entsteht, und aus ihm ebenso notwendig der
Kosmos — durch die Scheidung der verschiedenen Atome — zustande-
kommt.
Wenn also Aristoteles sagt (A 69), daß es Leute gibt, die als Ursache des
Himmels τ ό αύτόματον, „das von selbst Geschehende" betrachten, so will
er nur dies sagen, daß die Wirbelbewegung durch keinen göttlichen Plan,
durch keine Zweckursache verursacht war, sondern ganz „von selbst", ganz
natürlich (auch dies bedeutet das αυτόματου), durch Begegnung und gesetz-
mäßige Bewegung der Atome sich vollzieht.
Nicht darum entstand der Wirbel, damit ein Kosmos daraus zustande-
komme, sondern weil solcher Wirbel aus natürlichen Gründen entstand, ge-
staltete sich notwendig ein Kosmos daraus, und zwar nach der natürlichen
Scheidung der schwereren und leichteren Atome (C. Bailey, The Greek
Atomists and Epicurus 93 und 139—143).
Die näheren Ursachen, Bedingungen der Entstehung eines Atomwirbels
kennen wir nicht, aber die Wirbel im Wasser und in der Luft beweisen die
Natürlichkeit dieser Erscheinung, und Demokrit hielt es für eine genügende
Begründung, wenn er feststellen konnte: „Es ist immer so", oder: „es er-
folgt immer so", „es erfolgte auch früher immer so", und suchte die Quelle,
den Grund dieses „Immer" gar nicht (A 65). Aristoteles ist empört über diese
3. NESTOHIANISCHE ÜBERSETZUNGEN 91
„oberflächliche" Auffassung, aber seit Hume ist es klar, daß wir nur das
regelmäßige, immer so eintreffende Nacheinander (Aufeinanderfolgen) der Er-
eignisse feststellen können (und diese regelmäßigen Zusammenhänge werden
in den Naturgesetzen festgestellt), aber den Grund dieser regelmäßigen Zu-
sammenhänge kann man nicht erforschen. Demokrit ist also ein Vorläufer
der kritisch-nüchternen Auffassung von Hume hinsichtlich der Kausalität.
Die Tatsache, daß die Erscheinung des Wirbels zur Erklärung der Ent-
stehung des Kosmos benützt wurde, zeigt, daß die Analogie eine ewige Me-
thode der Naturerklärung ist.
Und wie im Wirbel die Bewegung in der Mitte die geringste ist, ebenso
auch im Kosmos: die Erde ruht in der Mitte, und je näher ein Himmels-
körper der Mitte ist, um so langsamer ist sein Kreislauf: der Mond also be-
wegt sich am langsamsten, dann folgt die Sonne, die sich etwas schneller
bewegt, und die Fixsterne an der Peripherie bewegen sich am schnellsten
(Lukrez 5, 62iff., der hier Demokrits Ansicht wiedergibt).
Es gibt aber unzählige Welten im unendlichen Raum, wo unzählige
Atome vorhanden sind, und weil ähnliche Atome überall zu finden sind,
kann auch anderswo ein Wirbel und daraus ein Kosmos entstehen, nach
der Analogie der Bildung unserer Welt (A 40).
Es gibt Welten, wo es weder Sonne noch Mond gibt, aber auch solche,
wo größere, und solche, wo mehrere Sonnen und Monde zu finden sind, als
bei uns. Einige Welten wachsen — wie die Lebewesen — , andere stehen in
voller Blüte, während andere schon abnehmen, hinschwinden. Es gibt
Welten, wo es weder Pflanzen noch Tiere, überhaupt keine Feuchtigkeit
gibt.
Eine Welt blüht, solange sie Atome von außen her aufzunehmen fähig ist,
wie die Lebewesen blühen, solange sie soviel Nahrung aufzunehmen fähig
sind, wieviel sie durch Arbeit usw. verbrauchen. Auch die Einatmung dient
dazu, um die ausgeatmeten Atome zu ersetzen (A 106).
Einige Welten vergehen also durch „Altersschwäche", während andere
durch Zusammenstoß zugrundegehen (A 40).
12
Sehr wichtig sind die Pythagoreertexte. Daß Theophrast auf die pytha-
goreische Doktrin Bezug nahm, ist sehr glaublich und entspricht der geisti-
gen Lage seiner Zeit. Es wäre schon darum wichtig, weil seine Äußerungen
zu der Gruppe der frühen Belege für Pythagoreisches zu rechnen sind. Die
Lehre von den vielen Welten, deren eine die Welt ,reiner Freude' bildet,
ist man versucht, mit den kosmischen Zyklen des Empedokles zu ver-
binden. Der empedokleische Sphairos ist eine solche Welt reiner Freude.
Auch das Fragment 277, 1 mag sich so verstehen lassen, daß sowohl empe-
dokleische Elemente wie solche der genuin pythagoreischen Musiktheorie
ein Ganzes bilden. Moraux hat durchaus recht, wenn er darin Gedankengut
des nachplatonischen und nacharistotelischen Pythagoreertums sieht. Ich
möchte dahin präzisieren, daß es Material aus guten Quellen sein wird, also
aus dem Anfang des 3. Jahrhunderts v. Chr.: Dikaiarchos, Aristoxenos und
eben Theophrast selbst. Bei der Pythagorasvita Porphyrios', die wir teil-
weise griechisch besitzen, steht es weitgehend nicht anders. Sollten Ihre
Pythagorea auch aus dem doxographischen Teil der porphyrianischen Vita
stammen ?"
Die zuletzt aufgeworfene Frage ist im zweiten Kapitel beantwortet
worden. Bekanntlich ist Porphyrios' Pythagoras-Vita unvollständig über-
liefert. Das Erhaltene bezieht sich meist auf die Lebensumstände und nicht
auf die Lehren. Andererseits gibt Sahrastänl nur einen Auszug, und dieser
vernachlässigt das Leben zugunsten der Lehren. Immerhin konnte schon
früher gezeigt werden, daß Porphyrios' Behandlung der empedokleischen
Verse fr. 129 im 31. Kapitel bei Sahrastänl 265, 13 f. Cureton wörtlich über-
setzt ist (Altheim-Stiehl, Porphyrios und Empedokles [1954], 15f.).
7 Altheim, Hunnen V
98 QUELLENFRAGEN
Einem Schiffbruch, der Zenon selbst traf, schließt sich eines seiner
Apophthegmen an: fr. 277. Der Reichtum dessen, der nichts besitzt, ist
in fr. 220 behandelt.
3. „(293, 6) Er sagte zu seinem Schüler: ,Sei über das, was an Gutem
kommt, heiter und über das, was an Bösem sich entfernt, erfreut.' "
4. ,,(293,7) Zu ihm wurde gesagt: .Welcher König taugt mehr: der
König der Griechen oder der König der Perser?' Er (Zenon) sagte: ,Wer
König ist über seine Begierde und seinen Zorn.' "
'Επιθυμία gehört nach fr. 211 zu den vier größten πάθη. Gadab „Zorn"
mag man der immoierata quaedam intemperantia von fr. 207 gleichsetzen.
5. „(293, 8) Er wurde gefragt, nachdem er alt geworden war: .Welcher
Art ist dein Befinden?' Er (Zenon) sagte: .Derart, daß ich nach und nach
sterbe mit Gemächlichkeit.' "
6. „(293, 9) Zu ihm wurde gesagt: .Wenn du gestorben bist, wer wird
dich begraben?' Er (Zenon) sagte: ,Der, dem der Geruch meines Kadavers
lästig fällt.' "
7. „(293, 9) Er wurde gefragt: ,Was macht alt ?' Er (Zenon) sagte: .Der
Zorn, der Neid und mehr noch als diese der Kummer.' "
Vgl. 1 über die Freunde, die zur Erhaltung der Seele nötig sind. Auch
λύττη gehört zu den vier größten πάθη (fr. 211); ihre Definition gibt
fr. 212. Als δόξα πρόσφατος κακοΟ παρουσίας nimmt sie gleichsam den Tod
vorweg.
8. „(293, 10) Er sagte: .Der Erdkreis steht unter meiner Führung.' "
Nach fr. 223 a pflegte Zenon zu sagen: μόνον αύτω δοκεΐν στρατηγόν
είναι τόν σοφόν.
Nach fr. 216 ist der Weise βασιλικός τε καΐ στρατηγικός. ' Ηγεμονικός
καΐ βασιλικός τ ή φύσει war Kleomenes nach Polyb. 5, 39, 6.
9. ,,(293, 11) Ihm wurde der Tod seines Sohnes gemeldet. Da sagte er:
.Nicht war ich dessen uneingedenk, denn ich habe einen Sohn gezeugt, der
sterben würde, und nicht habe ich einen Sohn gezeugt, der nicht sterben
würde.' "
10. „(293, 12) Er sagte: .Nicht sollst du den Tod des Körpers fürchten,
wohl aber sollst du dafür Sorge tragen, daß du den Tod der Seele fürchtest.' "
11. „(293, 13) Darauf wurde ihm gesagt: .Warum hast du gesagt:
fürchte den Tod der Seele, obwohl die vernunftbegabte Seele nach deiner
Lehre nicht stirbt ?' Da sagte er (Zenon): ,Wenn die vernunftbegabte Seele
aus dem Bereich der Vernunft zum Bereich der Tierheit überwechselt,
3. NESTORIANISCHE ÜBERSETZUNGEN 99
dann stirbt sie, auch wenn ihre Substanz nicht beseitigt wird, für das
vernünftige Leben.' "
Τό αύτό της ψυχής μέρος, ο δή καλουσι διάνοιαν, erscheint fr. 202.
Von der Seele heißt es: ου μήν δέ άφθαρτου δι'δλου ?λεγεν αύτήν είναι
fr. 146. Daneben wird die anima als sterblich bezeichnet: dicens earn esse
mortalem (ebenda).
12. ,,(293, 15) Er sagte: ,Gib dem Recht (was ihm gebührt) von dir aus1,
denn das Recht überwältigt dich, wenn du ihm nicht sein Recht gibst.' "
Zur Formulierung vgl. fr. 312: έάν μή σν τοΰτον άπολέσης, ούτός σε
άττολέσει, und ebenso im Folgenden 14, 15.
13. „(293, 16) Er sagte: ,Die Liebe zum Reichtum ist der Pflock des
Bösen, weil die übrigen Übel (al-äfät) an ihr hangen, und die Liebe zur Kar-
riere ist der Pflock der Laster, weil die übrigen Laster an ihr hangen ' "
Dazu fr. 207: omnium perturbationum matrem esse arbitrabatur immode-
ratam quandam intemperantiam. Im vorliegenden Fall ersetzt der „Pflock"
die „Mutter."
14. „(293, 17) Er sagte: .Pflege die Nachbarschaft zum Wohlergehen,
dann wird es dir wohl ergehen, und schade ihr nicht, sonst schadet sie dir.' "
Zur Form hier und im Folgenden vgl. zu 12. Zenon rechnete das Paar
πλοί/τος und πενία zu den άδιάφορα (nee bona nec mala fr. 191) fr. 190.
Von diesen anerkannte Zenon solche, die er secundum naturam dicebat, und
von ihnen lehrte er, ea sumenda et quadam admiratione dignanda: fr. 191.
Vgl. fr. 193 sumenda.
15. „(293, 18) Er sagte: ,Wenn die (böse) Welt den erreicht, der vor ihr
flieht, verwundet sie ihn, und wenn sie (die Welt) der erreicht, der nach ihr
strebt, dann tötet sie ihn!' "
Von der Wunde (vulnus), die der Weise erhalten hat, und der Narbe
(1cicatrix), die ihm bleibt, spricht fr. 215. Er ist derjenige, der vor ad-dunyä
„ce bas monde" flieht. Dieses „Fliehen" meint das „Vermeiden des Bösen" 3
und das Gegenteil dessen, was unter 14 als das Halten einer guten Nach-
barschaft bezeichnet ist. In den erhaltenen Stücken entsprechen das Paar
προτροπαί und άποτροπαί (fr. 178) sowie das reicere (fr. 185 reiciendum;
fr. 193 reiecta) gegenüber dem sumere (oben zu 14).
16. ,,(293,19) Es wurde ihm gesagt, der nur seinen Tagesunterhalt zu
erwerben pflegte: .Siehe, der König haßt dich.' Da sagte er: ,Wie auch sollte
der König den lieben, der reicher ist als er?' "
1
Oder: „Gewähre das Recht freiwillig (a'ti: Imper. Sg. masc. 4. Stamm).
7*
100 QUELLENFRAGEN
Der Weise ist βασιλικός und στρατηγικός fr. 216. Dazu fr. 220, insbe-
sondere: solos sapientes esse, si mendicissimi, divites.
17. „(293, 20) Er wurde gefragt: (294, 1) .Wodurch unterscheiden sich
die Menschen in dieser Zeit von den Tieren?' Er (Zenon) sagte: .Durch das
Bösesein.' "
Zu den Menschen gehören nicht nur die σπουδαίοι, sondern auch die
φαϋλοι: fr. 216; vgl. 226 τους μή σπουδαίους; 228. „In dieser Zeit" verengt
den allgemeinen Tatbestand ins Besondere: zur Kritik der eignen Zeit.
18. „(294, 1) Er sagte: .Nie haben wir den Verstand anders gesehen als
der Unwissenheit dienend.' "
Sahrastänl gibt zu diesem Fragment einen Kommentar; er kann bei-
seite bleiben. Heranzuziehen ist fr. 202. Das παθητικόν und άλογον sei
nicht vom λογικό ν getrennt. Dann geht es weiter: διάνοια als της ψυχής
μέρος, . . . διόλου τρεπόμενον καΐ μεταβάλλου εν τε τοις πάθεσι καΐ ταϊς
κατά Ιξιυ ή διάθεσιν μεταβολαϊς, κακίαν . . . γίνεσθαι. . . καΐ μηδέν εχειν
άλογον έν έαυτω. Die in dem Bruchstück ausgesprochene Behauptung gilt
demnach nicht allgemein, sondern innerhalb eines bestimmten Zusammen-
hanges.
19. „(294, 9) Zenon sagte: .Die Heuschrecke hat die (äußeren) Eigen-
schaften von sieben Giganten: ihr Kopf ist der Kopf eines Pferdes; ihr
Nacken der Nacken eines Stieres; ihre Brust die Brust eines Löwen; ihre
beiden Flügel sind die beiden Flügel eines Adlers; ihre beiden (Hinter-)
Beine sind zwei Beine eines Dromedars, und ihr Schwanz ist der Schwanz
einer Schlange.'"
kein Zweifel bestand. Aber auch die Christen behaupten, „nicht habe bei ihr
(der griechischen Übersetzung) eine Umstellung oder Änderung (gegenüber
dem hebräischen Original) stattgefunden". Abweichungen habe es, trotz
der großen Anzahl selbständiger Übersetzer, nur darin gegeben, „was sich
unvermeidlich einstellt hinsichtlich der Unterschiedlichkeit der Ausdrücke
bei übereinstimmenden Begriffen". Die Übersetzungen waren im Wesent-
lichen einheitlich, und solche Einheitlichkeit gewährleistete, daß sie dem
Original entsprachen.
Origenes, wenn anders er im vorliegenden Fall Gegenstand der porphy-
rianischen Kritik ist, trug die Geschichte der 72 Übersetzer in einer Fassung^
vor, die in vielem mit der des Aristeas-Briefes2 übereinstimmt, in manchem
jedoch abweicht. Hier gehen uns folgende Übereinstimmungen an:
1. das hebräische Original lag vor, blieb aber unverständlich;
2. die Ubersetzimg wurde in königlichem Auftrag von 72 Männern durch-
geführt, die dazu aus Jerusalem nach Ägypten kamen.
Daneben bestehen freilich Unterschiede, die bezeichnend sind. Ebenso
Aristeas wie unserem Text ist daran gelegen, die Übereinstimmung der
Ubersetzung mit dem hebräischen Original zu erweisen. Bei Aristeas ge-
schieht die Herstellung der Übersetzung in der Weise, daß vor der end-
gültigen Redaktion ein gleichförmiger Text durch Vergleich der Einzel-
übersetzungen erzielt wird: 302 ο! δέ έττετέλουν Ικαστα σύμφωνα ττοιοΟυτες
ττρόζ έαυτούς ταϊ$ άντιβολαΐς · τ ό δέ έκ της συμφωνίας γινόμενον πρεπόν-
Tcos άναγραφής ούτως έτύγχανε παρά του Δημητρίου.
Die Richtigkeit des endgültigen Ergebnisses wird durch die Zustimmung
der Gemeinde und ihrer Vorsteher erhärtet. Anders in unserem Text.
Je zwei der 72 Übersetzer fertigen ihre Übersetzung an. Alle Übersetzungen
unterscheiden sich nur in Einzelheiten des Ausdrucks, nicht im Gedanken.
Dieser Umstand mußte für Origenes von besonderer Bedeutung sein. Denn
nur dann, wenn die verschiedenen Übersetzer zum gleichen Ergebnis kamen,
war für ihn die Übereinstimmung mit dem hebräischen Original gewähr-
leistet. Nur in solchem Fall konnte dieses für den Gebrauch der Christen
durch die griechische Ubersetzung ersetzt werden. Consensus war damit als
Beweismittel in einem entscheidenden Fall anerkannt3.
* Dazu Altheim-Stiehl, Philologia sacra (1958) 37 f.
s Wie verbreitet die Erzählung von den 72 Übersetzern war, zeigt die Sammlung
richtet (ρ. 122, ι8ί.; 124, 5i.; 13^, i6f.; 153· ι ί · ; 159» 17*·)· Hingegen werden 36 Über-
setzerpaare nur bei Epiphan., de pond. 3 p. 1 5 5 ! Lagarde erwähnt. Freilich übersetzen
sie nicht die Tora allein, sondern alle 27 kanonischen Bücher (p. 139, 25f. Wendland;
ähnlich 134, 17f.; 136, 5f.).
4 Über Vorgänger R. Walzer, Galen on Jews and Christians (1949) 8of.
3· NESTORIANISCHE ÜBERSETZUNGEN 103
3. τινά δέ μετ' άστερίσκων προσεθήκαμεν ίνα δήλον ή, δτι μή κείμενα
παρά Tots έβδομήκοντα έκ των λοιπών έκδόσεων συμφώνων τ ω έβραϊκω
προσεθήκαμεν.
Vergleicht man damit, was bei Porphyrios steht, so muß man zunächst
feststellen, daß von der Hexapla nichts gesagt wird, auch nichts vom Be-
stehen weiterer Übersetzungen. Origenes hatte die Arbeit an dem monu-
mentalen Werk, nach 28jähriger Vorbereitung, um 245 vollendet, also etwa
ein Menschenalter vor dem Zeitpunkt, da Porphyrios an seinem Werke
schrieb6. Das umfängliche Gebilde der Hexapla, ohnedies nur in wenigen
Exemplaren vorhanden, war praktisch weder erhältlich noch zugänglich
und entging darum der Aufmerksamkeit des Kritikers.
Doch etwas anderes springt ins Auge. Origenes hatte von έν τ ω έβραϊκω
μή κείμενα gesprochen, die er mit dem όβελός versah, oü τολμήσαντε$ αύτά
πάντη περιελείν. Daneben standen μή κείμενα παρά τοις έβδομήκοντα,
die er darum einfügte (προσεθήκαμεν) und mit einem άστερίσκοξ ver-
sah. Bei Porphyrios wird von der Ubersetzung der L X X den Christen
die Versicherung in den Mund gelegt, lam yaka' 'alaihä tabdilun au tahrlf
(Berünl, Chronol. 21, 6 Sachau). Demzufolge habe es gegenüber dem hebrä-
ischen Original „keine Umstellung oder Änderung" gegeben. Eben dies be-
zweifelte Porphyrios. Er kannte demnach das kritische Verfahren seines
Gegners, die Anwendung von όβελός und άστερίσκος, wenn auch nicht aus
der Hexapla selbst, so doch aus solchen Exemplaren des origenianischen
Textes, die bereits zu der Zeit, da er gegen die Christen schrieb, mit kritischen
σημεία versehen, umliefen; über ein solches wird weiter unten gesprochen
werden. Dem Auge des Kritikers war diese Mißlichkeit, die von dem verderb-
ten Zustand des angeblich dem hebräischen Original gleichwertigen L X X -
Textes zeugte, nicht entgangen.
Um so größere Uberraschimg mußte eine Feststellung auslösen, zu der
die maßgebenden Forscher angesichts der ambrosianischen Bruchstücke ge-
langt sind. Nach ihrer Auffassung wies die Spalte, die den L X X zuge-
wiesen war (e nach Mercati's Bezeichnung) jene kritischen σημεία, davon
Origenes spricht — όβελός und άστερίσκοξ also — nicht auf. Schon Mercati
glaubte dieses Fehlen feststellen zu müssen®, und im Anschluß daran kam
er zur Folgerung, man müsse sich die kritische, will sagen: die mit σημεία
ausgestattete Ausgabe der L X X als eigenes Buchunternehmen vorstellen,
5 Altheim-Stiehl, a. O. 37.
• a. Ο. X V I I 1 .
104 QUELLENFRAGEN
das neben Hexapla (und Tetrapia) gestanden habe. Nur so läßt sich seine
Wendung verstehen: „Esaplo e Tetraplo e la recensione dei L X X coi segni
diacritici e supplementi dentro." Auch P. Kahle war zu dem Ergebnis ge-
kommen, daß die ambrosianischen Bruchstücke „in der Septuaginta-Ko-
lumne nicht irgendeinen (gemeint ist: .keinen') Asterisk oder Obelus auf-
wiesen". Er deutete dieses Fehlen dahin, „daß die Hexapla nur die Grundlage
für die textkritische Arbeit des Origenes gewesen sein könne, daß die in ihr
vorliegende Zusammenstellung von wichtigen jüdischen Bibeltexten ihm
(Origenes) recht eigentlich das Material für seine Arbeit bot" 7 . Wohingegen
Mercati eher an eine nachlässige Abschrift zu denken scheint, wenn er von
Werken spricht, „nelle quali Origene si valse degli accorgimenti ed artificii
usati dai critici e dai grammatici nelle copie dei classici, ma con fini suoi
particulari, e forse per le difficult^ e per la mole non con l'acribia e finezza
delle scuole e delle officine librarie, dove si badava solo alia calligrafia ed
ortografia 8 ."
Die Äußerungen beider Gelehrter wurden wörtlich angeführt, da man
sich mit ihnen auseinanderzusetzen hat.
Von vornherein ist eine Auffassung unwahrscheinlich, derzufolge die
LXX-Spalte der Hexapla keine kritischen σημεία aufgewiesen habe. Es ist
zuzugeben, daß Fassungen der L X X umliefen, die lediglich deren Text mit
solchen σημεία darboten. Ein Papyrus aus der zweiten Hälfte des 3. Jahr-
hunderts mit Hesek. 5, 12—6, 2 enthält zwei άστερίσκοι und liefert damit
„einen höchst interessanten Beleg für die frühe Verbreitung origenianischer
Texte"; so sagt G. Zuntz9, unter Zustimmimg Mercati's. Solch ein Text
verwendete die textkritischen Ergebnisse der Bemühungen, die Origenes
sich angelegen sein ließ. Aber das kritische Verfahren selbst konnte nur
durchgeführt werden und sich als erfolgreich ausweisen angesichts der Über-
setzungen, die den L X X zur Seite standen. Es konnte überhaupt nur diesem
Nebeneinander entspringen. Origenes bezeugt dies ausdrücklich durch die
Wendung: την κρίσιν ποιησάμενοι άττό των λοιπών έκδόσεων oder,
wie es kurz zuvor heißt: κριτηρίω χρησάμενοι ταϊς λοιτταΐς έκδόσεσιν.
Denn allein der Vergleich der L X X mit dem, was die weiteren Spalten der
Hexapla enthielten, vermochte zu zeigen, wo der LXX-Text mit den Paral-
lelfassungen übereinstimmte (συυςτδου), wo er nicht zum hebräischen Ori-
7
In: Theol. Lit.-Zeitg. 1959, 744; Journ. Bibl. Lit. 79 (1960), 116.
• a. Ο. X V I I 1 . und r.
9
In: Ztschr. f. alttestam. Wiss. 68 (1956), 175 Anm. 109.
3- N E S T O R I A N I S C H E ÜBERSETZUNGEN 105
ginal paßte (έν τ φ έβραϊκώ μή κείμενα) und w o er Zusätze verlangte
(ότι μή κείμενα . . . ιτροσεθήκαμεν). In der T a t zeigt sich, daß der L X X -
Spalte der ambrosianischen Bruchstücke die kritischen σημεία nicht fehlten.
Zu fr. X I Zeile 30 έκλιναν in der L X X - S p a l t e (e) bemerkt Mercati:
„lineola recta vid. ante posita". Im hebräischen T e x t von Ps. 45, 7 steht
λϋΏ und in der zweiten Spalte μ α τ ο υ „sie schwankten". Dementsprechend
geben die dritte und vierte Spalte der Bruchstücke έσφάλησαν und
περιετράπησαν, die zuletzt angeschlossene Quinta έσαλεύθησαν. Demgegen-
über bedeutet έκλιναν der L X X „sie fielen hin". Zweifellos war dies eine
ungenaue Übersetzung und gehörte zu den έν τ φ έβραϊκω μή κείμενα.
Als solche mußte sie mit dem όβελόζ versehen werden. Die wagrechte Linie
vor έκλιναν ist demnach nichts anderes als ein solcher όβελός (oder dessen
Rest), vor das beanstandete Wort gesetzt. Dieses selbst blieb, entsprechend
Origenes' Verfahren, unangetastet: ο ύ τολμήσαντες α υ τ ά ττάντη ιτεριελεΐν.
Ein weiteres Beispiel des όβελός oder ein solches des άστερίσκος ha-
ben wir in den erhaltenen Bruchstücken nicht auffinden können. Dies ist
weniger verwunderlich, als es zunächst scheinen könnte. Denn wir beken-
nen, auch keine weitere Stelle gefunden zu haben, wo eines der beiden
σημεία am Platz gewesen wäre.
Nach Klärung auch dieser Frage muß eine letzte behandelt werden, die
oft erörtert worden ist. Gemeint ist die nach Herkunft und Zweck der
zweiten Spalte, der μεταγραφή 1 0 des hebräischen Textes mit griechischen
Buchstaben. Vielleicht läßt sich auch hier zu einem Ergebnis gelangen. W i r
gehen aus v o m Stand der Forschimg.
In der zweiten Auflage von „ T h e Cairo Geniza" (1959) verteidigt Kahle
seine von jeher vertretene Ansicht, wonach die zweite Spalte zur Lesung im
jüdischen und christlichen Gottesdienst bestimmt gewesen sei. E r wendet
sich gegen Mercati's A u f s a t z : „II problema della colonna I I del Esaplo" 1 1 ,
der den schlüssigen Nachweis erbracht hatte, daß die bisher angeführten
Belege für liturgischen Gebrauch der μεταγραφή nicht beweisen, was sie
beweisen sollen. Die zweite Spalte, meint Mercati, sei von Origenes oder auf
seine Anordnung hin geschaffen worden. Demgegenüber wartet Kahle mit
neuen Beweisen zugunsten seiner Ansicht auf 1 2 .
16
Altheim-Stiehl, Supplementum Aramaicum (1957) 9°f-; 98f.
16
Zu Susa vgl. Altheim-Stiehl, Die aramäische Sprache 1. Lfg. (1959), 47f.
17
a. O. 269 f.
1β
The Chester Beatty Papyri, fasc. VIII (1941), 10. Weitere Literatur bei P. Kahle,
The Cairo Geniza2 161; Der hebr. Bibeltext 43; G. Mercati, a. Ο. XVIII1.
19
Altheim-Stiehl, Philogia sacra 19f., mit Untersuchung des Sprachgebrauchs.
108 QUELLENFRAGEN
NACHTRAG
Der oben 3,121 Anm. 3 gegebene kurze Hinweis auf Porphyrios' Kritik
an den Stammbäumen Jesu bedarf der Erklärung. A. v. Harnack 1 hat als
fr. 11 der Schrift gegen die Christen Hieronymus' Bemerkung zu Dan. 1,1:
Et ob hanc causam in evang. sec. Matthaeum una videtur esse generatio
(Matth. 1, 11—12), quia secunda τεσσαρακαιδεκάξ in Joacim desinit filio
Josiae, et tertia incipit a Joacin filio Joacim, quod ignorans Porphyrius
calumniam struit ecclesiae, suam ostendens imperitiam, dum evangelistae
Matthaei arguere nititur falsitatem. Die Schwierigkeit war dadurch erwachsen,
daß Matthaeus nur 40, Lukas hingegen 42 Vorfahren kannte. Es galt dem-
zufolge, die Differenz aufzufüllen. Hieronymus tut dies, indem er an
14. Stelle zwei weitere Generationen einfügt, nämlich Joacim und Joacin, die
beide hinter Josia zu stehen kommen. Für Joacim konnte er sich immer-
hin auf jene Textüberlieferung berufen, die Matth. 1, 11 Ίωσίας δέ
έγέννησεν τόν Ίωακίμ, ΊωακΙμ δέ κτλ hatte. Joacin ist hingegen Erfin-
dung von Hieronymus' Scharfsinn2. Porphyrios kannte nichts dergleichen.
Das zeigen Hieronymus' Polemik und der arabische Text, der yöSlyä allein
anführt und von diesem zu yöhanyä übergeht (Berünl, Chron. 22,10 Sachau).
22 Altheim-Stiehl, a. O. 39 f.
1 In: Abh. Berl. Akad. 1916, x, 49.
2 In Anlehnung an die Abfolge Josia-Jojakim-Jojachin bei den jüdischen Königen.
VIERTES KAPITEL
WÖRTERVERZEICHNIS
ARAMÄISCHER I N S C H R I F T E N U N D
A N D E R E R U R K U N D E N AUS PARTHISCHER
ZEIT
Erfaßt wurden folgende Texte:
1. Bilinguis aus Kandahar — aram. Teil (=Kand.). Dazu vergleiche
man:
a) G. Tucci, U. Scerrato, G. Pugliese Carratelli u. G. Levi Deila Vida,
Un editto bilingue Greco-Aramaico di ASoka (Serie Orientale Roma
XXI) 1958.
b) Altheim-Stiehl in: East and West 9 (1958), 192f.
c) D. Schlumberger, L. Robert, A. Dupont-Sommer, E. Benveniste
in: Journ. Asiat. 1958, if.
d) F. Altheim, Geschichte der Hunnen 1 (1959), 397 f. (zusammen mit
R. Stiehl); 2 (i960), 167f. (desgl.).
e) Altheim-Stiehl, Die aram. Sprache unter den Achaimeniden 1
(1. Lief. 1959), 21 f.
2. Inschrift aus Pul-i Daruntah, aram. Teil (=P. Dar.).
a) Kabul 2 (1932), 413.
b) H. Birkeland in: Acta Orient. 16 (1938), 222f.
c) F. Altheim, Weltgesch. Asiens 1 (1947), 25 f.
d) W. B. Henning in: BSOAS. 13 (1949), 80f.
Es wurden nur die vollständigen und eindeutig ergänzbaren Wörter erfaßt.
3. Inschrift ASokas aus Taxila ( = Tax.).
a) L. D. Barnett u. A. Cowley in: Journ. Royal Asiat. Soc. 1915, 34of.
b) J. Marshall in: Arch. Survey of India 1914—15, 25f.
c) F. C. Andreas in: Nachr. Gött. Gesellschaft d. Wiss. 1932, j i .
(nach dem Tod des Autors herausgeg. von H. A. Winkler, H. Lom-
mel, E. Littmann, mit einem Nachtrag von J. Wackernagel).
d) J. Marshall in: Epigraphia Indica 19, 251 (briefl. Äußerung
E. Herzfeld's).
4. WÖRTERVERZEICHNIS ARAMÄISCHER INSCHRIFTEN Hl
Für die Lesung und Deutung der Wörter sei auf unsere Veröffentlichun-
gen verwiesen. Lediglich Ergebnisse, die über das bisher Geäußerte hinaus-
gehen, werden mitgeteilt.
Die Stämme mit drittem schwachem Radikal (w, y) werden durchgehend
als tert. y. bezeichnet.
St. gen. meint „Status generalis" und wird verwandt bei Texten, die
(durchgehend oder teilweise) bei ihren Nomina die drei Status formal nicht
unterscheiden, sondern dafür Einheitsformen benutzen.
'b Subst. M. „Vater"; Sg. m. Suff. 3. Sg. M. 'bwhy Kand. 6;
Tax. 5.
'bd Verb. Hap'el „beseitigen"; Pf. 3. Sg. M. hwbd Kand. 2.
'bzbry parth. +aßä£bare „nicht steuerpflichtig"; Nisä 1 , 1 ; 2, χ; 3 , 1 ;
vgl. *wzbry.
'byrSkn Ο. N. (Weinberg) parth. Αßirükän; Avr. 2; vgl. zu m\ Zur
Bildung vgl. die Namen zweier nach Ardaäer und Dareios
P. N. benannter Kanäle:'rdhSyrgn (Chron. min. 1, 36, 2 Gui-
di); drygn (a. O. 1, 36, 5).
'bn P. N. parth. Aßän, Obl. 5bny, Aßäne; Avr. 6.
'gryp P. N. ' A y p h n r a ; Mch. Bil. 6.
'dwSy' ap. *a-dauSya- „unlieb, unfreundlich", Akk. PI. M. od. N.
*adauSyä; Kand. 2.
'dyn in Adv. mn 'dyn „seitdem"; Kand. 2.
'wgwtt parth. in: 'wgwn Swgwn „so wie"; Dura 2.
'wzbry parth. *aßä£bare „nicht steuerpflichtig"; Nisä 7, 2; vgl.
'bzbry.
'wyl P. N. parth. Awil] Avr. 3; 7.
'hd Verb. P^'al „fangen"; Pf. 3. PI. M. (oder Part. Act. PI. M. St.
abs.) 'hdn Kand. 4.
'hr 1. Adj. „anderer"; Sg. M. St. det. 'hr' T. Sarv. 2, 2. — 2. Adj.
m. wortbild. Suff, -yn „anderer"; Sg. M. St. det. 'hyryn' T.
Sarv. 1, 3.—3. Präp. m. -y 'hry- „nach"; m. Suff. 1. PI. 'hryn
P. Dar. 8.
'yk Konj. „wie"; Kand. 7.
*yt mit -y „es ist"; selbständig 'yty Kand. 7; m. Suff. 2. Sg. M.
'ytyk Dura 3.
'kl Subst. M. m. wortb. Präf. m- „Speise"; Sg. St. det. m'kl'
Kand. 3.
8 Althelm, Hunnen V
QUELLENFRAGEN
kby Subst. F. „Gefäß, Krug"; Sg. St. det. (m. Wiedergabe des
spirantisierten b durch w) hwt' Nisä 1, 1; 2, 1; 3, 1 ([hwt']);
5, 1; 6, 1 (hw[t'); 7, 1.
hbl Subst. M. „Verderben", als Ausruf (Sg. u. PI.): „wehe!";
Sg. Mch. Bil. 7; PI. m. Suff. 2. Sg. M. hblyk Mch. Bil. 7:
Eine Konjunktur hblyk zu hblyn, wie wir sie bisher vor-
schlugen, entfällt mit dieser Lösung. Ein Ausruf hbl hblyk
„wehe, wehe über dich" bietet syntaktisch und formal keinen
Anstoß. Zum Formalen: hbäl „wehe" ist im Syr. im Sg. und
PI. belegt. Und zwar erscheint — dem Vorliegenden genau
entsprechend — der Sg. als absolute Form (hbäl „wehe!"),
der PI. hingegen bei den Formen mit Suffixen (hbälai „wehe
über mich!" usw), vgl. C. Brockelmann, Lex. Syr. 2 210b.
hdd Subst. M. „Berggipfel"; Sg. St. gen. hwd Mch. 8. Zur Bedeu-
tung vgl. auch arab. haddun „terminus, limes, finis, scopus".
hwy Vgl. hby und hwy.
hwsk P. N. parth. Xwäsak; Susa 5.
hwtwy parth. „Herr"; Dura 2; 2.
hzy 1. Verb. P e ' a l „sehen"; Pf. 1. Sg. m. Suff. 2. Sg. M. hzytk
Dura 3; Imp. Sg. M. m. Suff. 1. Sg. hzyny Dura 1; Inf. in
Präp. l]mhzh „angesichts" Kand. 4. — 2. Subst. F. „An-
blick, Bild"; Sg. m. Suff. 2. Sg. M. hztk Susa 4.
hyl Subst. M. „Heer"; Sg. St. gen. hyl Mch. 8.
hll Subst. M. „Saft, Essig"; Sg. St. det. (m.-A als Affix des St.
det.) [oder Sg. m. Suff. 3. Sg. M. od. F.] hlh Nisä 5, 1.
4· WÖRTERVERZEICHNIS ARAMÄISCHER INSCHRIFTEN H9
tn'-mh 1. Pron. Interr.; Mch. Bil. 7 (oder in Konj. tn* zy). — 2. Pron.
Rel.; Avr. 2; 4. Zu Avr. 2: 'smk mh 'byrSkn wurde bisher als
Asmak-e AbiriSkän gedeutet gemäß dem Umstand, daß im
Parthischen M H als Ideogramm für die Idäfet erscheint
(gegenüber Ζ Y im Mittelpersischen). Aber mh bereits hier so
aufzufassen, ist bedenklich, zumal das Vater-Sohn-Verhält-
nis immer (in sieben Fällen) mit bry ausgedrückt wird. Hin-
zu kommt, daß 'byrSkn in seiner Form eher an eine von
einem P. N. abgeleitete Grundstücksbezeichnung (vgl.
Avr. 2: zzbkn und Nisä 1, i f . : ['rtbnwkn] 'rthStrkn sowie das
4· WÖRTERVERZEICHNIS ARAMÄISCHER INSCHRIFTEN 121
nsh Verb. P e 'al „siegen"; Part. Act. Sg. M. St. gen. nsyh (oder
Adj. „siegreich"; Sg. M. St. gen.) Mch. Bil. 3.
ntk Verb. Ap'el „erobern"; Part. Act. Sg. St. gen. mtk Mch. 6;
7; 10.
Srgs P. N. alan., vgl. osset. gäs „Hüter" und sär „Haupt" oder
osset. cärgäs „Adler"; Mch. i ; 2; 5; 11; 13.
EUTYCHIOS' A N N A L E N
Daß das spätrömische und insbesondere das oströmische Reich auf der
einen Seite, das persische der Sasaniden auf der anderen die beiden Groß-
mächte des ausgehenden Altertums darstellen, bildet die Gegebenheit, von
der jede Erfassung des Zeitraumes, der sich von der Krise des 3. nachchrist-
lichen Jahrhunderts bis zum Aufkommen des Islam erstreckt, auszugehen
hat. Petrus Patricius hat diese Erkenntnis persischen Unterhändlern in
den Mund gelegt, wenn er sie von den beiden Leuchten der Welt sprechen
läßt (fr. 13, FHG. 4, 188). Freilich fällt das Wort zu einer Stunde, da König
Narseh von Galerius geschlagen, Zelte und Frauen in die Hand des Siegers
gefallen sind. Damals wurde der Anspruch, den man auf persischer Seite er-
hob, soweit herabgestimmt, daß man den Anderen als gleichberechtigt an-
erkannte. Dies muß umsomehr betont werden, als man sich auf sasani-
discher Seite selten zu solchem Geständnis bereit fand, und auf römischer
ebensowenig. Immerhin vernimmt man in Chusrö's I. Anösarvän letztem
Jahr, daß bei Friedensverhandlungen von oströmischer Seite verlangt wurde,
der Vertrag müsse unter gleicher Ehre für beide Reiche geschlossen werden
(Iohann. Ephes. 3, 319, 14f. Brooks). Und daß die Perser sich tatsächlich
dieser Forderung gefügt haben (1. c. 25!).
Gleichwohl hat keines der Geschichtswerke, die von Römern oder Per-
sern verfaßt wurden, sich dazu bereit gefunden, dem Anderen solche Gleich-
berechtigung zugestehn. Anders ausgedrückt: keiner dieser Geschichts-
schreiber hat sich veranlaßt gefühlt, die Geschichte beider Mächte in syn-
chronistischer Darstellung vorzulegen. Vielmehr bediente man sich beider-
seits der Fiktion, man sei jeweils Maß und Mitte der Oikumene, und er-
wähnte den Anderen nur insoweit, als es um der eignen Geschichte willen
unerläßlich war. Auch jene Autoren, die Persisches in vergleichsweiser Fülle
bringen, Prokopios und Agathias, haben diese Beschränkung nie über-
wunden, und vom sasanidischen Königsbuch wird man dergleichen schon
gar nicht erwarten. Allein die syrischen Geschichtsschreiber der Zeit
lassen durchblicken, wie es in Wirklichkeit stand. Aber zu großer und durch-
5. E U T Y C H I O S ' A N N A L E N 127
Den Ausgangspunkt mag die Stelle 1, 365, 7—366, 1 Pocock bilden, die
von Commodus' Regierungsantritt nach Marcus' Tod berichtet. Hier liegt
insofern ein Irrtum vor, als Commodus schon zu Marcus' Lebzeiten, am
17. Ii. 176, Augustus wurde; das wird fürs Folgende wichtig sein. Bei dieser
Gelegenheit werden zwei Zitate aus Galenos angeführt. Zunächst habe dieser,
ft fihristi kutubihi, sich als Commodus' Erzieher bezeichnet. Gemeint ist
περί τ ω ν Ιδίων βιβλίων ig, 9 c. 39 Anfang, wo Galenos davon berichtet,
daß er für die Gesundheit des jungen Commodus zu sorgen hatte 1 . Euty-
chios' Angabe ist also nicht genau, geht aber auf gute Unterrichtung zurück.
Es folgt ein zweites Bruchstück, diesmal dem ersten Buch min al-kitäbi
l-ma'rüfi bi-kitäbi ahläki n-nafs, also dem ersten der vier Bücher ττερϊ
ηθών entstammend. Diese sind verloren, werden aber in Galenos' eignem
Schriftenverzeichnis erwähnt (19, 45 c. 13). Schon 1883 konnte A. Müller2
Kenntnis der gleichen Stelle im etwa 987 abgefaßten Fihrist en-Nadlm's
(289, 1 f. Flügel) und in Ibn Abi Usaibi'a's Geschichte der Ärzte (1, 76, 19 f.
Müller)3 nachweisen. Letzte wurde 1269—70 verfaßt und geht an dieser
1 Weiteres bei R. Walzer, Galen on Jews and Christians (1949) 9.
2 In: Hermes 18, 623f.
3 Über die wechselreiche Geschichte dieser Ausgabe berichtet J. Fück, Die arabi-
Stelle auf das Werk des Syrers 'Ubaidalläh, Gabriel's Sohn, zurück. Gegen-
über beiden Anführungen ist die unsere älter, und dies gibt ihr den Rang.
A. Müller hat sie gleichwohl übersehen, und erst G. Levi Deila Vida 4 hat jüngst
auf ihre Bedeutung hingewiesen.
Der Fihrist zitiert zu Anfang seines Galenos-Abschnittes, wie folgt:
ft l-makälati l-awwalati min kitäbihi ft l-ahläk (288, 25f. F.). Galenos' ge-
nanntes Werk lag mit seinen vier Büchern in arabischer Übersetzung vor
(291, 7 F.) 5 . Es wird von einem Ereignis berichtet, das in Alexanders 514.
Jahr sich abspielte. Man vernimmt ganz allgemein von solchen, die damals
sich weigerten, ihre Herren zu verraten.
Mitteilsamer ist Ibn Abi Usaibi'a. Zwar nennt er nicht die Buchzahl,
sagt aber, daß es sich um Sklaven gehandelt habe. Sie hätten sich in einer
Weise bewährt, wie es Freie nicht getan, und dies sei geschehen beim Tode
des frwbws, im 9. Jahr des Kaisers Commodus und 516. Alexanders, unter
dem WezTrat der m'trws und 'brwrs. Müller hat unter Zustimmung Th.
Mommsens® im ersten Namen Perennis, im zweiten und dritten die Kon-
suln des Jahres 185 Maternus und Bradua erkannt. Er sah auch, daß
bei Zugrundelegung von Commodus' Mitkaisertum man unter dessen
9. Regierungsjahr durchaus 185 verstehen könne.
Unklar blieb das Jahr Alexanders. Wenn man vom 1. Nisän 311 v. Chr.
ausgeht (Regierungsantritt Diokletians im 595. Jahr Alexanders: 1, 401,
igf. P.), ergibt sich weder bei 514 noch bei 516 das Richtige. Bei diesem
negativen Ergebnis bleibt es auch angesichts anderer Ausgangspunkte, ob-
wohl Eutychios 516 bestätigt. Denn weder, wenn man Alexanders Regie-
rungsantritt 336 (vgl. 1, 268, 3f. P.) nimmt, noch wenn man 1, 310, 3 ! P.
folgend, Alexander 319 Jahre vor Christi Geburt ansetzen wollte, ergibt
sich eine befriedigende Rechnung.
Im Übrigen spricht Eutychios davon, daß es zwei Sklaven waren, die
standhaft blieben; daß sie ausgepeitscht wurden, als man Perennis (Cheikho's
Ausgabe 1,105, 14 gibt richtig brns) noch suchte (nicht, als er bereits tot
war), und daß jene sich weigerten, den Aufenthaltsort ihres Herrn zu nennen.
Hier bietet Eutychios die bessere Überlieferung; auch bestätigt er Com-
modus' 9. Jahr, will sagen: von seiner Mitkaiserschaft, nicht von der Allein-
herrschaft ab gerechnet. Es kann kaum daran gezweifelt werden, daß nicht
nur die älteste Erwähnung der Galenos-Stelle, sondern auch ein unmittel-
bares Zitat vorliegt.
Dies bestätigt der Umstand, daß zwarimGalenos-BruchstückCommodus'
Regierung von 176 gerechnet wird, aber die chronographische Quelle, die bei
Eutychios fortlaufend benutzt ist, die Regierungsjähre von 180 ab zählt.
Demnach: 8. Jahr: Zephyrinus, Patriarch Roms 1, 366, 2f. P.
5. Jahr: Serapion, Patriarch Antiocheia's 1, 366, 4f. P.
1. Jahr: Symmachus, Bischof Jerusalem's 1, 366, 6f. P.
3. Jahr: Gabianus, Bischof Jerusalem's 1, 366, 7f. P.
6. Jahr: Iulianus, Bischof Jerusalem's 1, 366, gi.
11. Jahr: Elias, Bischof Jerusalem's 1, 366, 11 f. P.
Mit anderen Worten: Eutychios hat die Galenos-Zitate in den Text des
ihm vorliegenden Chronographen selbst eingelegt. Bei ihm, der sich aus-
drücklich als Arzt bezeichnet (1, 6, i f . ; 2, 473, 1 P.), darf man die Kenntnis
des griechischen Autors voraussetzen. Im 10. Jahrhundert lag demnach die
verlorene Schrift Galenos' in griechischer oder, was wahrscheinlicher sein
dürfte (1, 265, 8 begegnet Hunain b. Ishäk), in arabischer Fassimg noch vor.
Ein arabischer Auszug wurde von P. Kraus gefunden7. Die Rechnung nach
Alexanders Ära ist, wie schon die Fehlerhaftigkeit zeigt, Eutychios' Zutat,
und wenn der Fihrist und Ibn Abi Usaibi'a sie genau oder ungenau bringen,
so legt dies die Vermutung nahe, daß sie beide — mittelbar oder unmittel-
bar — auf Eutychios' Angabe zurückgehen.
In Commodus' 10. Jahr, demnach von 180 ab gerechnet, setzt Euty-
chios auch Ardaser's I. Erhebimg (1,366,12f. P.). Diese Fehlrechnung, deren
Anlaß unbekannt ist, hat sich weithin in Eutychios' chronologischem Sy-
stem (soweit man von solchem sprechen kann) ausgewirkt. Fast immer liegt
die Fehlerdifferenz zwischen dreißig und vierzig Jahren:
1, 373, 4f. P.: Septimius Severus wird im 4. Jahr Ardaser's I. Kaiser;
1, 374,14 f. P.: Säpür I. besteigt im 12. Jahr Septimius Severus' den Thron;
1, 377, 6f. P.: Caracalla's Partherkrieg fällt ins 11. Jahr Säpür's I. (beg.
20. 9. 249);
1, 378, 6f. P.: Regierungsantritt Elagabals (16. 5. 218) im 14. Jahr Sä-
pür's I. (beg. 19, 9, 252);
1, 382, 6f. P.: Regierungsantritt Severus Alexanders (6. oder 11. 3. 220)s;
und 17. Jahr Säpür's I. (beg. 18. 9. 256);
7 Kitäb al-ahläk li-Öälinüs (Kairo 1939); G. Levi Deila Vida, a. O. 186 f.
537, Ii f. P. und 1 5 t das Richtige begegnet. Säpür's III. Tod fällt ins 10. Jahr
Theodosios' I. 388 und Arcadius' Regierungsantritt 395 ins 7. Jahr Bahräm's
IV. (beg. 15. 8. 394).
Doch kaum gewonnen, verschwindet die richtige Datierung erneut. Die
Differenz bleibt fortan freilich gering. Man nehme 1, 549, 14 f. P.: Theo-
dosius' II. Regierungsantritt 408 fällt in Yazdgard's I. 11. Jahr (beg. 11. 8.
409). Oder 2, 82, 2f. P.: Bahräm's V. Regierungsantritt (8. 8. 420) fällt ins
12. Jahr Theodosios' II.; 2, 101, 11 f. P.: das 6. Jahr Marcianus' wird dem
Regierungsantritt Peröz' (30. 7. 457) gleichgesetzt; 2, 126, i4f.P.: Baläs'
Tod 488 ist auf Zenon's 10. Jahr verlegt. Immer geht es um den Unterschied
eines Jahres. Er gilt auch für 2, 148, 5f. P.: Iustinus' Regierungsantritt und
32. Jahr Kavä<5's I. (beg. 15. 7. 519); 2, 151, I2f. P.: Iustinus' Tod und
41. Jahr Kavä<5's (beg. 12. 7. 528); 2, 178, 5 f. P.: Chusrö's I. Anösarvän Re-
gierungsantritt (12. 7. 531) und 4. Jahr Iustinians. Wenn die Eroberung
Antiocheias 540 ins 9. Jahr des gleichen Sasaniden (beg. 10. 7. 539) gesetzt
ist (2, 181, I5f. P.), so stimmt die Rechnung wenigstens ungefähr; falsch
ist erst die Datierung in Iustinians 12. Jahr.
Dann setzen erneut Unstimmigkeiten etwas größeren Ausmaßes ein:
2, 190, if. P.: Tiberius' II. Regierungsantritt und 3. Jahr Hormizd's IV.
(beg. 29. 6. 580);
2, 190, 8f. P.: Maurikios' Regierungsantritt und 7. Jahr Hormizd's IV.
(beg. 28. 6. 584);
2, 206, 7f. P.: Chusrö's II. A/?arvez Regierungsantritt (27. 6. 590) und
Maurikios' 7. Jahr;
2, 210, 2f. P.: Phokas' Regierungsantritt mit dem 15. Jahr Chusrö's II.
A/3arvez (beg. 23. 6. 604);
2, 225, 14t. P.: Herakleios' Regierungsantritt und 23. Jahr Chusrö's II.
A/Sarvez (beg. 21. 6. 612).
Mißraten ist schließlich die Gleichsetzung der Higra mit Herakleios'
1. Jahr, mit 338 Jahren nach Diokletians Regierungsantritt und 614 Jahren
n. Chr. (2, 226, 2f. P.). Hier stimmt allein die Gleichung mit dem 933. Jahr
Alexanders.
2
Was bisher besprochen wurde, bezieht sich ausschließlich auf das chrono-
logische Gerüst, dessen sich Eutychios bedient. Dieses Gerüst war vorge-
geben, sei es, daß ihm ein chronographisches Werk vorlag, das er übersetzte
132 QUELLENFRAGEN
und redigierte, sei es, daß er sich selbst dieses Gerüst aus verschiedenen Vor-
lagen gezimmert hat. Die chronologischen Fehler, die festgestellt wurden,
gingen im ersten Fall auf die fertige Vorlage zurück, fielen also Eutychios
nicht zur Last. Im zweiten Fall hätten sie sich beim Zusammenfügen ver-
schiedener Vorlagen eingestellt, wären dann möglicherweise auf Eutychios'
Rechnung zu setzen. Keinesfalls dürfen die Fehler auf das sasanidische
Königsbuch zurückgeführt werden. Es wird sich noch zeigen, daß dieses
andere Regierungsdaten gab, zumindest bei bestimmten Herrschern. Hier
genüge die einfache Tatsache, daß sämtliche Angaben über die Regierungs-
dauer sasanidischer Könige mit solchen römischer oder oströmischer Kaiser
verknüpft sind. Derart, daß gesagt wird, der Sasanide habe seine Regierimg
in einem bestimmten Jahr eines Kaisers begonnen und beendet, oder aber,
daß die Regierung eines solchen nach den Jahren eines Sasaniden angegeben
ist. Für beide Verfahren sind zuvor Beispiele angeführt worden.
Ohne irgendeine genauere Bestimmung vorwegnehmen zu wollen, wird
das chronologische Gerüst — aus einer Vorlage bestehend oder aus mehreren
zusammengearbeitet — hinfort als Eutychios' Chronograph bezeichnet. Es
hatte sich zuvor gezeigt, daß in ihn Angaben aus anderer Quelle eingelegt
sind. Es sei an die Galenos-Bruchstücke erinnert, von denen sich nachweisen
ließ, daß Eutychios sie dem griechischen Original oder einer arabischen Über-
setzung entnommen hatte. Zumindest beim zweiten Bruchstück kennzeich-
nete die abweichende Art der Datierimg das aus Galenos stammende Gut
als nachträgliche Einfügung. Bei der Geschichte der Sasaniden lassen sich
auf gleichem Weg weitere Einlagen ermitteln, die diesmal dem Königsbuch
entstammen. Genauer gesagt: einer seiner arabischen Übersetzungen, die
mit der von Ibn Kutaiba benutzten weitgehend übereinstimmt. Dies hatte
bereits Th. Nöldeke1 erkannt, wenn man auch seinem Hinweis auf Euty-
chios selten Aufmerksamkeit geschenkt hat.
Die Bestätigung dafür, daß tatsächlich das Königsbuch zugrunde liegt,
ergibt sich bereits bei der Geschichte Ardaser's I. Jene Briefe, die der König
schreibt, um sein Thronrecht nachzuweisen (i, 367, 15f. P.), kehren bei
Tabari, aber auch sonst wieder (oben 1, 261 f.). Dasselbe gilt für ArdaSer's
Städtegründungen (1, 374, 6f. P.), die wenn auch nicht nach den Einzel-
heiten, so doch der Sache nach auch bei Tabari angeführt sind (1, 820, 8f.).
Ein dritter Fall ist die Eroberung Hatra's (1, 369, 6f. P.), die indessen f a -
mä l-hisn. So schreibt noch Cheikho 1,106, I i , und doch sollte klar sein; daß
in der „Burg" Hatra's Name steckt. Also: wa-tusammä l-hadr (vgl. Tabarl 1,
827, 6 uam.), wobei daran zu erinnern ist, daß in der mittelpersischen Buch-
schrift η und r ähnliche Zeichen sind. Die Eroberung Hatra's ist damit
Ardaser I. zugewiesen, aber die Erzählung des Vorgangs ist eine Variante
dessen, was bei fabari dem zweiten Sasaniden, also Säpür I. gehört
(1, 829, 3f.). Dieser Unterschied ist bemerkt worden. Was aber übersehen
wurde, ist, daß auch Tabarl eine Variante kennt, die die Eroberung Hatra's
nicht Säpür I., sondern ArdaSer I. zuwies.
Eutychios schildert, wie Ardaser seine Briefe schrieb, darin er seine
Rechte darlegte. Die meisten Herrscher, denen die Schreiben zugehen, fügen
sich. Erst der König des Sawäd, gemeint ist der Hatra's, leistet ihm Wider-
stand. Entsprechend Tabarl, der zwar die Briefe an etwas späterer Stelle an-
führt (1, 820, I3f.), aber sonst die gleiche Reihenfolge wählt. Die Könige
der KüSän, von fürän und Mukran erklären ihre Unterwürfigkeit (1, 819,
I5f.). Dann geht es weiter: „Danach begab sich Ardaser von Gör nach
Bahrain und belagerte dessen König Sanatrük, bis daß er sich in
der äußersten Not von der Mauer der Festung hinabstürzte und starb"
(1, 820, 1 f.). Sanatrük ist, was Nöldeke nicht wußte, man heute aber
weiß, der König Hatras gewesen. Sein Name erscheint auf den dortigen
Inschriften als sntrwk mlkGuidi's syrische Chronik spricht von
hatre d-sanatrüg (Chron. min. 1, 35, i8f.), und bei Tabarl begegnet er in
der Erzählung von der Eroberung der Stadt als as-sätirün (1,827,7 uam.).
Also war Sanatrük kein König von Bahrain, und die richtige Ortsangabe ist
durch Haplographie verloren gegangen: tumma tawaggaha ardaStru min
sehen5, Tabarl's zweite Überlieferung und andere aber in Säpür I., so könnte
das Ereignis unter das gemeinsame Regiment des Vaters und Sohnes (Tabari i,
820, 4)® fallen7. Ardaser starb erst 2418, und Säpür's Krönung fiel auf den
12. 4. 2409, so daß dessen erstes Jahr mit dem 23. 9. 239 begann10. Dann
dürfte Hatra in der dazwischenliegenden Zeit, also 240/1 erobert worden
sein. Anders gewendet: das Ereignis fällt in Ardaser's letzte Zeit und nicht
in seine Anfänge, wie es nach Eutychios' Darstellung scheinen könnte. Es
zeigt sich deutlich, daß die Einlage aus dem Königsbuch in den Chrono-
graphen nachträglich erfolgt ist. Sie hätte nicht an ihrem jetzigen Platz,
sondern kurz vor der Erwähnung von Ardaser's Tod (1, 374, 12 f.P.) einge-
ordnet werden müssen.
Das Ergebnis bestätigt sich, wenn man nunmehr die Geschichte Bahräm
CöbTn's betrachtet.
(2, 201, 7 P.; 1, 213, 8f. Ch.) „Während er sich derart aufführte (gemeint
sind Hormizd's IV. grausame Maßnahmen gegen den Militäradel), zog der
Chäqän gegen ihn (Hormizd) mit zahlreichen Truppen. Hormizd sandte gegen
sie (den Chäqän usw.) einen Mann namens Bahräm, Bahräm's Sohn, und er
ist jener, der Söbin (swnyr edd.) hieß, mit 12000 Mann vom Heer. Bahräm
Söbin tötete den Chäqän und vernichtete dessen Heer. Als Bahräm seinen
Auftrag hinsichtlich des Chäqän erledigt hatte, rief er sich ins Gedächtnis,
was Hormizd sich an Härten und an Heftigkeit seines Verhaltens, an schlech-
ter Meinung gegenüber seinen Befehlshabern und seinen Truppen hatte
zuschulden kommen lassen, und fürchtete sich, zu ihm zurückzukehren.
Da erhob sich Söbin, als er in Choräsän war, und leistete ihm (Hormizd)
keinen Gehorsam mehr. Auch die Truppen, die im 'Irak lagen, standen gegen
Hormizd auf, nachdem sie sein schlechtes Regiment (tadbir) gesehen
hatten. Sie beraubten ihn seiner Herrschaft, fürchteten sich indessen, ihn zu
töten. Hormizd hatte einen Sohn namens Chusrö, der fern von ihm in
Ä<5urbaiyän war. Als dieser die Nachricht über seinen Vater erhielt, machte er
sich zu ihm auf mit seinen Genossen, (1, 202, 1 P.), um ihm zu helfen. Als er
es aber nicht vermochte, da wandte er sich flüchtig nach Rom (dem ost-
5
Th. Nöldeke, Übers. 34 Anm.
β
Ebenda 19 Anm. 1; R. Göbl bei Altheim-Stiehl, Ein asiatischer Staat 1 (1954),
102 f.
7
A. Christensen in: CAH. 12 (1939), 130.
* Th. Nöldeke, Übers. 412.
• W. B. Henning in: Asia Maior N. S. 6 (1957), " 6 f ·
10
Altheim-Stiehl, Philologia sacra (1958) 79f.
5. EUTYCHIOS' ANNALEN 135
römischen Reich), um Hilfe bei Kaiser Maurikios zu suchen, indem er ihn
bat, mit ihm ein Heer zu seiner Unterstützung zu schicken. Bei ihm waren
acht seiner Gefährten, dazu Bindöe (nbdy edd.) und Bistäm (nst'm edd.),
seine beiden Onkel von Mutterseite, Als diese unterwegs miteinander Rats
über ihre Angelegenheiten pflogen, Chusrö aber dessen inneward, sagte er
zu ihnen: ,Laßt mich wissen, worüber ihr sprecht!' Sie sagten ihm: ,Wir
meinen, du solltest nicht aus diesem Lande gehen, ohne daß wir zuvor
Hormizd töten. Denn wir wollen nicht, daß wir zu Maurikios, dem Kaiser der
Römer, gehen, dann sich Hormizd auf den Weg macht und an Kaiser
Maurikios schreibt (fa-yaktuba Cheikho), daß wir ihn (Hormizd) verlassen
haben, und er (der Kaiser) uns etwas zufügt, was wir nicht wünschen.' Sie
(Bindöe und Bistäm) kehrten zu Hormizd zurück und töteten ihn. Dann
kamen sie wieder zu Chusrö und zogen mit ihm, bis sie in einem Kloster, (das)
am Wege (lag), abstiegen (fa-nazalü fihi del. et bätü fihi corr. Cheikho) und
dort übernachteten. Als es Morgen war (i, 214, 1 Ch.), da holten sie Reiter
ein, die Bahräm Söbln ausgesandt hatte (ilaihim falso add. P.), um sie zu
suchen. Als sie (Chusrö und seine Gefährten) die Reiter erblickten, hielten
sie (ihren) Tod für gewiß. Bindöe sagte zu ihnen (lahum: Cheikho): ,Geht
voran und laßt mich zurück. Ich werde genügend Vorsorge für euch
treffen.' Sie bestiegen ihre Reittiere und machten sich auf den Weg.
Bindöe befahl dem Pförtner des Klosters, das Tor zu schließen. Die Reiter
näherten sich, bis sie das Kloster umstellten. Da stieg Bindöe hinauf (auf
das Dach) und sagte zu ihnen: ,Chusrö sagt euch, daß wir in eurer Hand
sind (1, 205,1 P.). Wenn es euch gut scheint, uns am Ort zu lassen den Rest
dieses unseres Tages, dann tut es!' Sie gestatteten es ihm, und als Nacht
war, stieg Bindöe wieder hinauf, stand über ihnen und sagte zu ihnen:
,Chusrö sagt euch: ich bin euch zu Dank verpflichtet, und wenn es euch
gut scheint, uns noch einen Aufschub zu gewähren (tumahhilünä oder
tumhilünä) für das Dunkel (oder: für den Rest) dieser unserer Nacht bis
zum Morgen, (ist es gut). Wir werden (dann) zu euch herauskommen und
uns mit euch auf den Weg machen.' Da stimmten sie ihm darin (wiederum)
zu, und Bindöe hörte nicht auf, mit ihnen in gleicher Weise zu verfahren, bis
er wußte, daß Chusrö und seine Gefährten weit vorangekommen und in ein
entferntes Land gelangt waren. Dann aber unterrichtete Bindöe die (gegne-
rische) Truppe über ihre (wirkliche) Lage und erklärte sie ihnen. Da fesselten
sie Bindöe, zogen mit ihm zu Bahräm und erzählten ihre Geschichte. Dieser
bewunderte ihn (Bindoe) sehr und befahl, ihn gefangen zu halten bei einem sei-
136 QUELLENFRAGEN
3
Zwei Berichte zur Geschichte der Hephthaliten mögen folgen, beide dem
Königsbuch entnommen. Der erste bezieht sich auf Bahräm V. Gör und
seinen Krieg gegen das nordöstliche Nachbarvolk:
(2, 82, 7 P.) „ E r hörte nicht auf, sich der Verschwendung und dem Spiel
hinzugeben, so daß die Leute ihn tadelten und die Könige um ihn es gelüstete,
sich an seinem Land zu vergreifen. Da griff ihn der Groß-Chäqän, König der
Türken (Hephthaliten), an, mit 250000 des Heeres (jeder König der
Türken pflegte Chäqän genannt zu werden). E r rückte vor, bis er auf dem
138 QUELLENFRAGEN
4
Es würde zu weit führen, wollte man aus Eutychios alle Stücke an-
führen, die bisher nicht beachtet wurden und gleichwohl Nachrichten von
geschichtlicher oder literarischer Bedeutung enthalten. Wir erinnern daran,
daß uns gelang, die durch Mittelsglieder auf Porphyrios' Chronik zurück-
gehende Königsliste der Achaimeniden mit dem Todesdatum Zarathus-
tras aus Eutychios (1, 262, 13 f. P.) zurückzugewinnen1. Eines Hinweises be-
dürfen auch die Ereignisse des langjährigen Krieges zwischen Chusrö II.
1
Altheim-Stiehl, Supplementum Aramaicum (1957) 45 f.
140 QUELLENFRAGEN
Aßarvez und Ostrom, die mit Herakleios' Sieg endeten (2,210,8—249,18 P.).
Daraus seien einige Nachrichten über die Eroberung Jerusalems durch die
Perser 614 und dessen Wiederherstellung übersetzt. Die Vorgänge haben be-
reits die Aufmerksamkeit K. A. C. Creswell's wachgerufen2. Er hat darauf ver-
wiesen, daß nicht erst al-Walid ägyptische Arbeiter und Handwerker nach
Jerusalem gebracht habe, sondern daß ihm darin Modestus um 629 voran-
gegangen sei. Creswell kannte allein das von Leontios von Neapolis 645 ver-
faßte Leben Iohannes', Erzbischofs Alexandreias (p. 37; 137—8 Geizer).
Eutychios, obwohl selbst später schreibend, gibt Einzelheiten, die Creswell
unbekannt geblieben sind.
Chusrö II. Aßarvez schickt Churrawazaih gegen Jerusalem mit einem
Heer (2, 213, 5 P.). „Er brach nach Syrien auf, verwüstete es und raubte
seine Bewohner. Er zog nach Jerusalem, und die Juden aus Tiberias, Gali-
laea (gabalu l-galtl), Nazareth und dessen Nachbarschaft vereinigten sich
mit ihm (Churrawazaih), kamen nach Jerusalem und halfen den Persern bei
der Zerstörung der Kirchen und beim Töten der Christen. Nachdem er nach
Jerusalem gekommen war, war das Erste, was sich ereignete, die Zerstörung
der Kirche von Gethsemane und der Helena's, und beide liegen wüst bis
auf unsere Zeit. Er zerstörte (dann) die Kirche Konstantins, Golgathas
und des Grabes. (Und zwar) warf er Feuer in das Grab und Golgatha und
zerstörte den größten Teil der Stadt. Die Juden töteten zusammen mit den
Persern Christen, deren Zahl man nicht kennt, und es sind dies die Toten, die
in Jerusalem an einem Ort (liegen), der Mamlä3 heißt (vgl. 2, 242, 6f. P.).
Dann zogen die Perser ab, nachdem sie verbrannt, zerstört und getötet
hatten, und führten den Patriarchen Zacharias von Jerusalem und eine Menge
mit ihm in Gefangenschaft. Sie bemächtigten sich des Kreuzesholzes, das
die Kaiserin Helena am Orte zurückgelassen hatte (es war ein Stück
vom Holz des Kreuzes), und zusammen mit (2, 214, 1 P.) den Gefangenen
wurde es nach dem Lande Persien gebracht. Maria, Tochter des Kaisers
Maurikios, erbat sich von Chusrö das Kreuzesholz, den Patriarchen Zacha-
rias und viele von denen, die gefangen waren (subiya: corr. Cheikho 1,
216, 17). Sie nahm sie bei sich in ihrem Palast auf, und sie blieben bei ihr.
Patriarch Zacharias starb in der Gefangenschaft."
(2, 2x7, 18) „Nachdem die Perser die Kirchen Jerusalems zerstört und
mit Feuer verbrannt hatten, (dann) abgezogen waren, gab es im Kloster
* Α Short Account of Early Muslim Architecture (1958) 43 Anm. 2.
3 G. H. Dalman, Aramäisch-neuhebräisches Wörterbuch (1897) 228 rechts.
5. EUTYCHIOS' ANNALEN 141
dw'ks (es ist das Kloster Mär Theodosios') einen Mönch, der Modestus
hieß, Vorsteher (dieses Klosters). Als die Perser abgezogen waren, ging er
nach Ramla, Tiberias, Tyros und Damaskos, um die Christen zu bitten, daß
sie ihm Geld gäben und ihm hülfen, die Kirchen Jerusalems aufzubauen, die
die Perser zerstört hatten. Sie beschenkten ihn, und er brachte viel Geld zu-
sammen. Er kehrte nach Jerusalem zurück und baute die Auferstehungs-
kirche, die des Grabes, Golgathas und des heiligen Konstantin auf, und es
ist der Bau, der heute noch besteht. Als Iohannes der Barmherzige, Patriarch
Alexandreias, gehört hatte, daß Modestus jene Kirchen aufbaute, die die
Perser zerstört hatten, schickte er ihm (Modestus) iooo Zugtiere, iooo Sack
Mehl, iooo Sack Gemüse, iooo Krüge mit Salzfischen, iooo Krüge Wein,
iooo Pfund Eisen und iooo Werkleute."
5
Zwei Schichten sind bei der Behandlung der Sasanidengeschichte in
Eutychios' Annalen zu unterscheiden. Da ist einmal der Chronograph, der
sich in der Hauptsache darauf beschränkt, die Regierungsdaten der einzel-
nen Herrscher mitzuteilen und sie mit denen der römischen oder oströmi-
schen Kaiser zu verknüpfen. Davon zu unterscheiden sind die Stücke, die
dem sasanidischen Königsbuch entnommen sind; durch vorhandene Un-
stimmigkeiten, vor allem chronologischer Art, geben sie sich als nachträg-
liche Zusätze zu erkennen. Während der Chronograph vorerst ein Schatten
bleibt, was Zeit, Schichtung seiner Quellen und Verfasserschaft angeht, läßt
sich die Benutzung des Königsbuches in einen geschichtlichen Rahmen stellen.
Was mochte einen melkitischen Patriarchen veranlaßt haben, diesen
ihm fernliegenden Stoff aufzunehmen? Entstand doch ein Aufriß der
Geschichte, der Kaiser und Sasaniden in ihrem Gegenüber durch mehr
als vier Jahrhunderte verfolgte und dann, in den Ereignissen, die auf
die Higra folgten, im Gegenüber von Kaisern und Kalifen seine Fort-
setzung fand. Eine derartige weltgeschichtliche Schau, die einerseits Sasa-
saniden und Kalifen als Vorgänger und Fortsetzer aufeinander bezog,
andererseits beide als die durchgehenden Gegenspieler der römisch-byzan-
tinischen Welt faßte, verlangte nach einer besonderen Gunst der geschicht-
lichen Stunde, um begriffen und ausgeführt zu werden.
Man muß sich vergegenwärtigen, daß die arabischen Übersetzer des
Königsbuches und der Geschichte Bahräm Cöbin's lange vor Eutychios ihre
142 QUELLENFRAGEN
Tätigkeit abgeschlossen hatten. Das gilt gleichmäßig von Ibn Mukaffa' und
öabala b. Sälim, dem Sekretär Ibn Hisäm's al-Kalbi. Eutychios hat mit der
Abfassung seiner Annalen erst gegen Lebensende begonnen1. Damit rückt er
eher in eine Reihe mit Dinawari (gest. 895/6), Ibn Kutaiba (gest. 889) und
mehr noch mit Mas'üdi, dessen murüg 943/4 verfaßt wurden. Er gehört
zu denen, die die vorhandenen Übersetzungen benutzt und verarbeitet haben.
Man kommt in die Glanzzeit der iu'ubiya unter den 'Abbäsiden, die dann
in Firdüsl's (gest. 1020) Epos ihren Abschluß finden sollte. Doch erneut er-
hebt sich die Frage, was denn ein melkitischer Patriarch Alexandreias mit
alldem zu tun hatte.
Eutychios hat die Zeit der Tülüniden erlebt und überlebt. Er erwähnt
seine Geburt unter Ahmed b. Tülün's Regierung (1, 470, 19f. P.), teilt die
Ereignisse mit, die unter sie fallen (ab 1, 470, 2f. P.). Es folgen Chumära-
waihi's Taten (ab 1, 474, 9 f. P.) und die Geschehnisse unter seinen Nach-
folgern (ab 1, 481, i5f. P.) bis zum Ende der Dynastie. Auch Ahmed b.
Tülün's hauptsächliche Bauten werden aufgezählt: Moschee, Krankenhaus
und Aquädukt (1, 473, 19t. P.). Der Sohn eines türkischen Sklaven hatte
am Kalifenhof von Sämarrä eine ausgezeichnete Erziehung erhalten und
entscheidende Eindrücke mitgenommen, als er 868 in Fustät ankam und im
Jahr darauf die Statthalterschaft ganz Ägyptens erhielt2.
Zum ersten Mal seit dem Ausgang der Ptolemäer bestand wieder eine
Hofhaltung auf ägyptischem Boden. Äußeres Zeugnis dessen war die Er-
bauung der neuen Residenz, da sich Fustät und al-'Askar als zu klein für die
Zahl der Soldaten und Gefolgsleute erwiesen. In al-Katä'i' erbaute Ahmed
seinen Palast (al-tnaidän), der sich bis zur Moschee erstreckte, mit deren
Anlage wenige Jahre später begonnen wurde. Sie ist, neben dem Aquädukt,
das einzige Bauwerk, das die Zerstörung von al-Katä'i' überlebt hat und
eine Anschauung von dem vermittelt, was diese Zeit bestimmte. Um-
fang und angewandter Pfeilerbau weisen nach Sämarrä, und dasselbe gilt
für die Stuckornamente der Pfeilerkapitäle, der inneren und äußeren Arka-
den, der Soffitten und Fenster. Unter Ahmed b. Tülün war die 'abbäsi-
dische Kunst eingezogen, nachdem sie im Osten sich über den 'Iräk und
ganz Iran verbreitet hatte. Handwerker aus diesem Bereich waren gefolgt,
die bei den Bauten verwandt wurden. Ausdrücklich wird gesagt, daß in
6
Zu den bemerkenswerten und doch selten beachteten Abschnitten bei
Eutychios gehört seine Widerlegung der Nestorianer 2, 13, 18—78, 11 P.
Nach eigner Angabe entstammt die Darlegung dem gleichfalls von Euty-
chios verfaßten kitäbu l-gidäli baina l-tnuhälifi wa-n-nasräni (2, 7 8 , 7 ! ) . Ein-
geleitet ist die Widerlegung durch eine Darstellung der Ereignisse, die zum
ökumenischen Konzil von Ephesos 431 hinführten und sich auf ihm ab-
spielten (2, 5 , 1 — 1 3 , 18)1.
Es fällt auf, daß Eutychios den Nestorianern nicht nur eine den Rahmen
der annalistischen Darstellung sprengende Widerlegung, sondern auch einen
Dialog gewidmet hat. Es bleibt zu fragen, was der Grund zu dieser ausführ-
lichen Berücksichtigung gewesen sein könnte. Und diese Frage stellt sich
noch in einem zweiten Fall.
Auf dem Konzil und dementsprechend auch bei Eutychios spielte als
Nestorios' Gegner Kyrillos, Patriarch Alexandreias, die erste Rolle. Unter
Kyrillos' Name steht auch die äthiopische Sammelschrift Kerelös. I. Guidi,
der diese in seiner Storia della lettaratura Etiopica (1932) 17 f. behandelt,
beschreibt sie als patristischeTexte, die sich christologischen Fragen widmen.
Die erste Stelle nehme Kyrillos' Schrift περί όρθής πίστεως ein, und so sei
denn die ganze Sammlung, vermutlich zu späterem Zeitpunkt, unter diesen
Namen gestellt worden. Ihr Text ist bisher nur teilweise veröffentlicht
1 Gegen Eutychios' Schilderung der vier ersten Konzilien schrieb Severus b. al-
Mukaffa" sein kitcbu l-magämi': G. Graf, Geschichte der christlichen arabischen Literatur
2 (1947), 3o6f. § 99, 2; Ausgabe von P. Chibli in: Patr. Or. 3 (1905), 121—142.
144 QUELLENFRAGEN
Kyrillos' von Alexandreia über Melchisedek und die Severus' von Synnada,
wiederum aus dem Äthiopischen, übersetzt. Ist die zweite ein kleines Meister-
werk homiletischer Kunst, so spiegelt die erste die unbeugsame Kraft jenes
Mannes, den die Encyclica Aeterna Dei sapientia Augustin gleichstellt: am-
bobus pereruditis viris, Orientalis et Occidentalis Ecclesiae veluti luminibus
clarissimis3.
7
Auch angesichts des äthiopischen KerSlös stellt sich die Frage, wie es
dazu kommen konnte, diese Sammlung anzulegen. I. Guidi verweist darauf,
daß es auch in Abessinien keine Nestorianer gegeben habe, um derentwillen
es sich lohnte, solche Urkunden zusammenzubringen. Die Lösung, die
Guidi vorschlägt, trägt die Verlegenheit an der Stirn. Es würden zwar im
Kerelös Nestorios und seine Anhänger bekämpft, aber die Orthodoxen
seien gemeint. Auch diese konnten für einen Monophysiten als Dyophysiten
gelten, insofern sie göttliche und menschliche Natur Christi schieden, sie
dann freilich unter einer Person einten. Man habe diese Form gewählt, fügt
Guidi hinzu, weil man durch offene Nennung der Orthodoxen keinen An-
stoß bei Byzanz, mit dem man in freundschaftlicher Verbindung lebte, habe
erwecken wollen.
Die damit angedeutete Verbindung mit Byzanz bestand bis zur Erobe-
rung Ägyptens durch die Araber, also bis zur Mitte des 7. Jahrhunderts. In
der Tat setzt Guidi den KerSlös in den „primo grande periodo" der äthio-
pischen Literatur, der nach ihm bis ans Ende des 7. Jahrhunderts reichte
(a. 0. 8). Dagegen ist zunächst zu sagen, daß die Sammlung nicht in Abessi-
nien, sondern zweifellos auf oströmischem Boden zusammengestellt wurde.
Wer die beiden Briefe, deren griechisches Vorbild erhalten ist, mit diesem
vergleicht, wird sich des Eindruckes kaum erwehren können, daß keine un-
mittelbare Übersetzung vorliegt. Die Namen eskenderyä und antökayä weisen
auf eine arabische Zwischenfassung. Also war die Sammlung in Ägypten ent-
standen, vermutlich in Alexandreia, wo man an Kyrillos anknüpfen konnte.
Als monophysitisches Werk ist sie in Abessinien übersetzt worden, ohne
ursprünglich für den dortigen Gebrauch bestimmt zu sein. Eine in Ägypten
verfaßte christlich-arabische Übersetzung kann schwerlich früher als ins
8 Osservatore Romano 9 . — 1 0 . 12. 1961, Titelseite. Zur Deutung der Melchisedek-
Gestalt V . Hamp in: Pro mundi vita, Festschrift der theolog. Fakultät München
(1960) 7f. Der Hinweis wird in beiden Fällen M. Reding verdankt.
10 Althelm, Hunnen V
146 QUELLENFRAGEN
9. Jahrhundert 1 fallen, und damit stellt sie sich von selbst zu Eutychios'
Widerlegung der Nestorianer.
Man hat also eine monophysitische und eine melkitische Widerlegung
vor sich. Eutychios mag seinen Exkurs und ebenso seinen Dialog sogleich
in arabischer Sprache geschrieben haben. Aber das Original des Kerelös war
auf Griechisch abgefaßt und dann ins Arabische und Äthiopische übertragen
worden. Die arabische Übersetzung war ungefähr gleichzeitig mit den älteren
Bestandteilen von Eutychios' geschichtlicher Darstellung. Alexandreia war
beider Heimat, und damit erhebt sich erneut die Frage, warum die Polemik
beider christlicher Kirchen sich gleichzeitig gegen die Nestorianer wandte.
Wie immer die Antwort ausfallen wird, sie dürfte für die beiden gleich-
gerichteten, einigermaßen gleichzeitigen und am gleichen Ort entstandenen
Schriftwerke die gleiche sein.
Hier muß einer Bemerkung bei Eutychios gedacht werden. Nachdem er
von Nestorios' Tod und Grab berichtet hat (2, 13, ßf.), folgt ein Abschnitt
über das Fortleben seiner Lehre (2,13, 8): „Nestorios' Lehre war bereits ver-
gessen, da erweckte sie lange Zeit nach ihm Barsaumä, Metropolit von
Nisibis, unter Iustinus (yüstinyänüs codd.), dem römischen Kaiser, und
Kava<5, Peröz' Sohn, dem Perserkönig, zum Leben. E r stärkte sie (die
Lehre) im Osten und besonders bei den Bewohnern von Färs. Darum sind die
Nestorianer zahlreich im Osten, im 'Irak und in Mossul, am Euphrat und in
der öazira, und sie heißen Nestorianer, abgeleitet vom Namen Nestorios'."
Also ein Wiedererstarken, das sich in Färs und im 'Irak zeigte. Bekannt-
lich nahmen die Nestorianer unter den 'Abbäsiden eine Vorzugsstellung ein,
(oben 3,107 f.), die ihnen denn gestattete, ihre Mission in Mittelasien weiter zu
fördern2. Überdies war Ibn Tülün aus dem 'Irak nach Ägypten gekommen,
und nach dem Sturz seines Hauses stand man wieder unter 'Abbäsiden. Das
war die Lage, mit der ebenso Melkiten wie Monophysiten rechnen mußten.
Ihre Polemik wandte sich gegen eine christliche Kirche, die an herrschender
Stelle gefördert wurde.
Eutychios sagt denn auch, daß seine Widerlegung sich gegen die Nestoria-
ner seiner Zeit richte, die sich in ihrer Lehre in bestimmten Punkten von der-
jenigen Nestorios' selbst unterschieden (2,14, 3 ! ) . Man steht in einem Jahr-
hundert, da die nestorianische Kirche nicht nur den Schutz des Kalifats genoß,
1
G. Graf, Geschichte der christlichen arabischen Literatur ι (1941), 77.
2
Zuletzt B. Spuler, Iran in früh-islamischer Zeit (1952) 213t. In diese Zeit fällt
die oben 3, 105 f. behandelte Mission in Chwärezm (oben 3, 107).
5. E U T Y C H I O S ' A N N A L E N 147
sondern auch literarisch hervortrat. Der Katholikos Timotheos I., mit dem
diese Blütezeit verknüpft ist ( 7 8 0 — 8 2 3 ) , hatte selbst eine Disputation mit
dem Kalifen al-Mahdi ( 7 7 5 — 7 8 5 ) verfaßt 3 , und der gleichen Zeit wird auch
al-Masih al-Kindi's apologetisches Werk entstammen4. Die darin zutage ge-
tretene Haltung mochte einen Orthodoxen zur Äußerung veranlassen, daß
die Nestorianer den Arabern näherstünden als seinem eignen Bekenntnis
(Barhebraeus, hist. eccl. 3, 1 7 3 , I 3 f . ) s . Es sieht fast so aus, als ob Eutychios'
zuvor angeführter „Disput" (gidäl) durch jene Schrift des Katholikos her-
ausgefordert worden sei.
Ein letzter Hinweis sei dem hinzugefügt. Elias von Nisibis erwähnt
unter dem Jahr 1019 einen Iohannes, Metropoliten von Färs, der zuvor
Bischof von Ägypten war (1, 70, 28 f. Chabot). Ob es schon vor ihm solche
Bischöfe gab, ist nicht bekannt. Aber das Bestehen dieses Bistums um das
Jahr 1000 setzt voraus, daß zuvor eine nicht unverächtliche Zahl von Nesto-
rianern bestand. Möglicherweise waren sie mit den vielen Zuwanderern aus
Baghdad nach der Hauptstadt gekommen, die unter Ibn Tülün's Herrschaft
ihren Einzug hielten.
3 A. Baumstark, Geschichte der syrischen Literatur (1922) 217; G. Graf, a. O. 2,
u5f.
4 G. Graf, a. O. 2, 135.
5 Mehr noch oben 3, 108 und Anm. 18.
10·
ANHANG
rechten Weg, der das glorreiche und höchste Mysterium der Menschwerdung
des eingeborenen (Sohnes), unserer Herrn, Jesu Christi, bedeutet. Warum
habt ihr nicht bedacht, daß Diener und Hoherpriester der Sohn nie genannt
worden wäre, wenn er nicht Mensch geworden wäre und sein Haupt nicht
gebeugt hätte, wobei er (natürlich) sich nicht veränderte und sich nicht um-
bildete ? Niemals hätte ihm dies zukommen können, es sei denn, daß er sein
Haupt erniedrigte auf den Würdegrad eines Menschen und bedürftig wurde
unter uns, obwohl er (doch) Herr und Gott ist. (91,1) Seine Niedrigkeit und
seine Bedürftigkeit meinen wir, wenn er Apostel und Hoherpriester genannt
wird, und dieses alles entspricht der Art des Dieners und dem Maß des Men-
schen : Apostel (ist er) und Hoherpriester, weil er Mensch wurde wie wir. Nun
aber: ist etwa (auch) der Heilige Geist Mensch geworden, damit er das Prie-
steramt versehe und das Amt des Dieners ihm zukomme, wie es der Sohn
wurde, indem er sich unser erbarmte ? Wenn aber solche Rede (offenkundig)
Blasphemie ist und widersinnig und keinesfalls zur heiligen Schrift stimmt,
warum reden sie dann (derart) frivol über die Glorie der Göttlichkeit und
(tun) nicht nur dies, sondern degradieren den Heiligen Geist dazu auf die
Würde eines Dieners, ihn, der doch Herr ist über Alles zusammen mit Vater
und Sohn, ihn, den alle Schöpfung anbetet und den alle Priester krönen im
Himmel und auf Erden ? Aber — so sagen sie weiterhin — genannt wurde
doch Melchisedek König der Gerechtigkeit, dessen Übersetzung sein Name
sozusagen darstellt, außerdem König von Sälem, und (so sagen sie) als
Mensch wie wir kann er doch unmöglich König der Gerechtigkeit und König
des Friedens sein, vielmehr ziemt ihm die Gottesschaft. Wir aber sagen ihnen:
Was dies angeht, so merkt ein wenig auf und bemüht euch dieserhalb,
indem ihr euch den Staub der Augen eures Innern abwischt, um die rechte
Vernunft. Vergleicht ihr wirklich Melchisedek mit dem Heiligen Geist, und
glaubt ihr (wirklich), daß er nach Größe und Glanz von göttlichem Wesen
sei, weil er König der Gerechtigkeit und des Friedens genannt wird ? Warum
denn bedenkt ihr nicht, daß einer, der im Glanz der Göttlichkeit ist wegen
des Herrschens über Gerechtigkeit und Frieden, unmöglich dienen und der
Göttlichkeit unteilhaftig sein kann? Geschrieben steht nämlich über die
heiligen Engel, daß zehntausendmal zehntausend Gott dienen (Dan. 7, 10).
Ferner sagt er: Lobet Gott, ihr alle, seine Engel, ihr Kraftgefestigten, die ihr
sein Wort in die Tat umsetzt. Lobet Gott, ihr alle,, seine Heerscharen, seine
Diener, die da ausführen seinen Willen (Ps. 103, 20—21). Nun (sage ich
euch): verweist entweder Gott vom Thron der Göttlichkeit und verbindet
ANHANG 151
ihn mit den Engeln, so daß er nicht größer ist als (92, 1) sie (die Engel) und
(gleichsam) ein Nichts. Oder — um es so zu sagen — bedenkt, daß dies eine
Blasphemie wäre, und tut der Wahrheit keine Gewalt an, indem ihr das
Priesteramt einem gebt, der ohne Geburt ist. Warum, wenn sie so außer-
ordentlich klug sind und ihnen am Herzen liegt, mit der Schrift Gottes über-
einzustimmen, haben sie (dennoch) geirrt ? Denn nicht ist infolge des Tra-
gens des Namens (auch) seine (Melchisedek's) Wesenheit seinem Namen ge-
mäß. Ich sage: derjenige, der nach Moses (kam) und über Israel eingesetzt
wurde, hieß Josua 1 . Die Übersetzung dieses Namens ist „Erretter der Men-
schen", aber nicht entspricht dieser Name dem Erretten, sondern er geziemt
allein unserem Herrn Jesus Christus, der unser Erretter ist. (So) nämlich der
verehrungswürdige Gabriel, als er zur heiligen Jungfrau sagte: Siehe, du
wirst empfangen und einen Sohn gebären und ihn Jesus nennen, denn er wird
sein Volk aus seinen Sünden erretten (Luk. 1, 3 1 ; Matth. 1, 21). Nun (sage
ich): derjenige, der nach Moses über Israel eingesetzt wurde, hieß Josua.
Ist er's etwa, der eingesetzt wurde zur Rettung der ganzen Welt ? Nein, er
war nur Träger des Namens, und es ziemte dieser Name wahrlich allein
unserem Herrn Jesus Christus. Weiterhin der Name Israel: seine Überset-
zung ist „Vernunft", die sie für Gott halten, und so wurde genannt, wer vom
Fleische Israels war, aber nicht erschauten sie Gott mit den Augen ihres
Inneren, sondern sie gaben göttliche Ehren einem Werk von Menschenhand
(vgl. 2. Mos. 32, i f . ; 5. Mos. 9, 8f.), nicht ihrem Schöpfer. Warum nun
wurden sie „Vernunft" genannt, die sie für Gott halten, und dachten (doch)
dabei nicht an Gott ? Wir Menschen werden Götter und Kinder des Höchsten
genannt (Ps. 82, 6). Aber wir sind nicht in unserer Wesenheit Götter, sondern
ehrenhalber wurden wir von Gott derart eingestuft. Weiterhin sagen sie:
was Melchisedek angeht, so ist er ohne Vater und ohne Mutter, seine Geburt
wurde nicht verzeichnet, seine Tage sind ohne Anfang, und es gibt kein Ende
seines Lebens; dieses und so Beschaffenes kommt (doch) nicht den Menschen
zu. Ich sage euch, was wahr ist — sagt Kyrillos — , vervollständigt, was
Paulus sagt, so daß ihr das Wahre erkennt: er ist ohne Vater und ohne
Mutter, seine Geburt wurde nicht verzeichnet, ohne Anfang sind seine Tage,
und es gibt kein Ende seines Lebens—dem Sohne Gottes gleich (93,1): Wieso
nun gleicht, wer ohne Vater und ohne Mutter ist, dem Sohne Gottes ? Wenn
Christus, Gottes Sohn, ohne Vater wäre, dann gliche er Melchisedek. Doch
1
Der Name Josua's (hebr. Y'höSüa \ Ye£üa', zusammenhängend mit yS' Hit'il
„retten, helfen") gleicht im zweiten Falle demjenigen Jesu.
152 QUELLENFRAGEN
nach unserer Meinung hat er einen Vater, da er ja von Gott gezeugt wurde.
Ferner hat er auch eine Mutter, und seine Geburt ist verzeichnet worden;
denn er ( G o t t ) — u m unsertwillen—nahm (das Kind) von einer (Frau) an, die
die Ehe (noch) nicht kannte, von einer Jungfrau wurde er (Jesus) geboren,
und bei Matthaeus wurde deshalb die Geburt Jesu Christi derart beschrieben.
Nun jedoch: wer Melchisedek wirklich ist, werden wir sagen, wenn wir uns
wiederum hier versammeln — gewinnen doch Homilien durch Verkürzung—,
so daß ihr Durstigen kommet und euch genügend labet an den Worten
Gottes, daß (aber) infolge ihrer (der Homilie) Länge sie euch nicht träge
mache, euer Sinn nicht abgezogen werde vom Anhören unserer Rede und ihr
lernet, was ihr (zu lernen) begehret. Es möge uns leiten der, dessen Gnade
groß ist. Jesus Christus, unserem Erretter, der da existiert, und mit ihm zu-
sammen Gottvater und dem Heiligen Geist gebühren Ruhm und Macht von
Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen." (Es folgt eine zweite Homilie über Melchi-
sedek.)
„(99, 2 Dillmann) Homilie, die gehalten hat Severus, Bischof der Stadt
Phrygiens Synnada, in der Marienkirche zu Ephesos, am Sabbath der
Christen am 11. nach den Kaienden des Hamle, auf Griechisch.
Es leidet mein Fleisch, und die Zunge hat gelernt, keine Rede zu
äußern als allein Sehnsucht nach eurer Liebe und euren Gebeten zu den
heiligen Vätern, was den Schmerz aufhebt und Kraft gibt. So ertrage ich
geduldig den Schmerz, indem ich auf eure Liebe blicke, und ich besiege ihn,
indem ich Nutzen daraus ziehe. Wer ewig ist, ist der Herr, und immer ist er.
Offenkundig ruft er dieses geehrte und fromme Konzil der Kirche, indem er
sagt: ,Du bist der Fels, und auf diesem Felsen werde ich die Kirche erbauen,
und die Pforten der Hölle werden ihn nicht überwältigen.' Es gibt nämlich
solche, die widersprechen und besiegt werden, da sie nichts vermögen. Des-
wegen liegt hier der Teufel am Boden, und er ist verwirrt und mit der
Schande des Sturzes bedeckt; nicht vermag er sich aufzurichten, und über
den, der siegt, gewinnt er keine Gewalt, und mit der Schande seines Besiegt-
seins ist er bedeckt. Und das Wunder Jesu sehen wir im Werk, größer als
seine Worte, und gewaltig sind seine Worte im Werk, und nicht gibt es
Schwaches bei ihm, der alles vermag. Und was er sagt im Wort, vollendet er
durch seine Wunder. Ein Weniges sagt er, und große Wunder wirkt er. Wir
Menschen sprechen viel davon, daß wir handeln, doch nicht einmal Weniges
ANHANG 153
vermögen wir zu wirken. Dieser Allmächtige, der Herr, sagt wenig, indem
er sich zur Annahme seiner menschlichen Natur herabläßt, und Großes wirkt
er durch seine Göttlichkeit, und Zeuge seiner Worte ist seine Tat. Und was
sagt er? ,Ich bin der Weg, ich bin das Licht; ich bin das Holz des Wein-
stockes, und ich bin (ιοο, ι Dillmann) das Leben; ich bin die Auferstehung.'
Geoffenbart hat er Wunder, die klein fürs Hören, aber groß in derTat sind.
Er sagt: ,Ich bin der Weg', und Zeuge ist der Lahme, der gesundet ist,
indem er auf dem Weg wandelt. Er sagt: ,Ich bin das Leben', und Zeuge
dessen ist Lazarus, indem er auferstand von den Toten. Er sagt: ,Ich bin
der Stab', und Zeugen dessen sind die Dämonen, die gezüchtigt werden,
wobei sie sagen: ,Laß ab! Was haben wir mit dir zu schaffen, Sohn Gottes ?'
Du kommst zu Hilfe, bevor uns jemand quält. Er sagt: ,Ich bin das Holz des
Weinstocks', und Zeuge dessen ist der Saft, indem er im Weinstock kreist.
Er sagt: ,Ich bin das Brot', und Zeuge dessen sind die 5 000, indem sie ge-
sättigt wurden. Er sagt: ,Ich bin der König', und Zeuge dessen ist Petrus,
indem er die Schlüssel des Königtums empfing, das jener meint. Er hat uns
überliefert sein Mysterium: nicht mögen wir verderben die Kraft seines
Mysterium in bitterem Mund, wenn wir predigen. Wenn wir mit Mäßigung
predigen, so ist (bleibt) das Mysterium; wenn man jedoch in verkehrter Weise
predigt, dann wird stumpf die Wohltat des Mysterium. Nicht verschmähen
wir der heiligen Väter Glaube; nicht verschmähen wir unser Mysterium,
damit uns nicht überkomme die göttliche Züchtigung Simsons; nicht ent-
blößen wir das Mysterium, damit wir nicht verflucht werden wie K e nä'an
(Gen. 9, 25). Aber, ο mein Bruder, nunmehr ziemt sich Größeres als dies.
Ferne sei, daß wir (gleich jenen handeln), vielmehr, was sich ziemt, laßt uns
unsere Schwäche erkennen: wir haben vernachlässigt den Reichtum der
Stimmen der Väter, indem wir (allzu) zufrieden waren. Sie haben gebetet
für uns zu Christus, dem Lob sei in alle Ewigkeit."
ZWEITES BUCH
A K S Ü M I T E N , BLEMYER, H U N N E N
6. K A P I T E L
DIE Z E I T S T E L L U N G
'EZÄNÄ'S VON AKSÖM
1
Die Erwägungen, von denen sich die bisherige Forschung leiten ließ,
gründeten sich auf ein Kapitel in Rufinus' lateinischer Bearbeitung von
Eusebios' Kirchengeschichte. Dort werde von zwei Brüdern aus Tyros be-
richtet, die durch mancherlei Schicksalsschläge an den Hof von Aksüm ver-
schlagen wurden, hier fürs Christentum wirkten und zuletzt zu Beratern
des jugendlichen Königs aufstiegen. Der eine von ihnen, Frumentius, sei
Mönche haben die hl. Schrift stückweise ins Äthiopische übertragen. Alles zeigt, daß
Spuler dieQuellen nicht nachgearbeitet, sondern die Masse seiner Angaben der Sekundär-
literatur entnommen hat. Diese Vermutung bestätigt sich: i. an der Wiedergabe der
äthiopischen Namen. Wer Ge'ez (311) schreibt, muß Debra Dämö (Dämmö) geben, nicht
„Dabra" (310, offenkundig nach englischer Vorlage). Ebenso „Dabra Libanos" (311),
statt Dibra Libänos oder Libänös. Dazu , .Susneos" (313) statt Susneos, Süsneös. 2. An
der Behauptung, man wisse vom 6.—13. Jahrhundert über die äthiopische Kirchen-
geschichtenichts. Spuler sind demnach die Kämpfe mit dü Nuwäs, Aksüm's Zerstörung,
Kerelös und die äthiopische Fassung der ersten und zweiten Regel Pachomios' unbekannt
geblieben.
6. D I E Z E I T S T E L L U N G "EZÄNÄ'S VON AKSOM 159
anläßlich seiner Rückkehr nach Alexandreia zum Bischof von Aksüm ge-
weiht worden. Im jugendlichen König wollte man 'Ezänä erkennen, und man
glaubte zugunsten dieser Gleichsetzung anführen zu dürfen, daß der äthio-
pischen Überlieferung zufolge unter 'Ezänä das Christentum durch Abrghä
(„he who has made light") und AsbSha (,,he who has brought about dawn")
eingeführt worden sei. Daß die zuletzt Genannten Brüder waren, schien
ihre Gleichsetzung mit Rufinus' Brüderpaar Frumentius und Edesius zu
fordern.
Rufinus' Bericht findet sich im zehnten Buch, also dort, wo die Dar-
stellung zeitlich über Eusebios hinausgeführt ist (2,2,971 Zeile 22f. Schwartz-
Mommsen). Zu Beginn des neunten Kapitels wird von der Bekehrung von
insgesamt vier Ländern gesprochen. Da ist zunächst Parthien, das dem
Apostel Thomas zugefallen sei. Es folgen Äthiopien, das Matthaeus, und ei
adhaerens citerior India, das Bartholomaeus zugewiesen wird. Als viertes
und letztes wird India ulterior genannt. Zwischen Parthien und der India
citerior — sed longe interior tractu — gelegen, sei es erst zu Konstantins
Zeit bekehrt worden. Darüber berichtet denn der Rest des Kapitels.
Ein kurzer Einschub über India citerior. Wenn es mit Äthiopien zu-
sammenhängt, darf man am ehesten an Nubien, und zwar dessen Südteil,
denken. Dafür läßt sich noch ein Nachweis erbringen. Der Apostel Bartho-
lomaeus wird in der Antiphon angerufen, die Iohannes dem Täufer gilt und
zu Beginn des abessinischen Jahres vorgetragen wurde1. Nach I. Guidi's
Ansicht fällt der Text keinesfalls in frühere Zeit als das 15. Jahrhundert2. Da-
nach verbreitete Bartholomaeus im Land elwäh3 das Evangelium. A. Dillmann
äußerte sich im Glossar seiner Chrestomathie4 und in seinem „Lexicon Lin-
guae Aethiopicae" 5 dahin, elwäh sei das Land, darin der Apostel gepredigt
habe. Ihm war offenkundig nicht bekannt, was gemeint war. Gleichwohl ist
die Deutung einfach. Bekanntlich werden im Amharischen h und h gleich-
mäßig wie h gesprochen. Darum werden sie in den Handschriften vielfach
unter sich und mit h verwechselt®. Ohne weiteres kann dem amharisch
gesprochenen Endbuchstaben des Namens ein h marbüta der arabischen
Vorlage entsprechen. Dann ist elwäh = elwä(h) und damit nichts anderes
1 A. Dillmann, Chrestomathia Aethiopica 2 (1950) i 5 o f .
2 Storia della Letteratura Etiopica (1932) 68.
3 a. O. 1 5 3 Zeile 8 f . und 2 i f .
4 a. O. 2 3 1 , 1.
5 a. O. 2 (1955)- 1416·
β F. Praetorius, Aethiopische Grammatik 2 (1955) 7 § 4·
160 AKSOMITEN, BLEMYER, HUNNEN
als der Name des südnubischen Reiches Aiwa ('Iwh)7, das bekanntlich
christlich war und erst 1504 seine Selbständigkeit verlor 8 .
Zurück zu Rufinus. Er berichtet weiter, zunächst sei India ulterior von
Metrodorus, dann von dem tyrischen Philosophen Meropius besucht worden 9 .
Beide habe kein missionarischer Eifer getrieben: sie reisten inspiciendorum
locorum et orbis perscrutandi gratia. Wohl aber führte Meropius zwei Knaben
mit sich, die er utpote propinquos in den freien Künsten unterrichtet habe.
Habens secum duos puerulos, sagt Rufinus und deutet mit keinem Worte an,
es habe sich um Brüder gehandelt. Als Meropius aus dem fernen Lande
heimkehrte, sei sein Schiff, um sich mit Wasser oder sonst Notwendigem zu
versehen, ad portum quendam gelandet. Wo hat man den Hafen zu suchen ?
Nichts verlautet davon, daß dieser Hafen an der Küste Äthiopiens lag oder
gar zum Herrschaftsbereich der Könige von Asküm gehörte. Da sich die im
Folgenden beschriebene Mission in dem Lande abspielte, zu dem der Hafen
gehörte, kann sinnvoller Weise allein India ulterior gemeint sein.
Die dortigen Barbaren, so hört man weiter, pflegten, wenn benachbarte
Stämme die Störung des Vertragsverhältnisses (foedus) mit Rom meldeten,
alle Römer, deren man habhaft wurde, umzubringen. Dementsprechend
verfuhr mein mit Meropius und den Insassen des Schiffes. Man schonte allein
der beiden pueruli, die man unter einem Baume bei der Vorbereitung ihrer
Lektionen antraf. Man brachte sie zum König, und beide fanden Gnade vor
ihm. Frumentius, dem Älteren, übertrug der Herrscher rationes suas scrini-
aque. Kurz vor seinem Tod gab er beide inzwischen zu adulescentuli Heran-
gewachsenen frei. Auf Bitten der Königin, die einen unmündigen Sohn als
Erben der Königswürde zu betreuen hatte, blieben die beiden im Land, und
Frumentius teilte sich mit der Königsmutter in die Führung der Regierung.
Mit Hilfe römischer Kaufleute christlichen Bekenntnisses bemühte sich
Frumentius um Verbreitung des Glaubens, der auch der seine war. Seine
Helfer wurden veranlaßt, conventicula an verschiedenen Orten zu gründen,
ad quae Romano ritu orationis causa confluerent. Frumentius selbst ließ sich
angelegen sein, ut Christianorum inibi semen exurgeret. Der jugendliche
7 J. Kraus, Die Anfänge des Christentums in Nubien (Veröff. Intern. Instit. missions-
wiss. Forsch. 2, 1931) 10; 152. loh. Ephes.3, 233, 15 Brooks uam. gibt 'Iwd'ws, 232, 18
'Iwdws, 239, 14 'Iwdwn.
8 P. L. Shinnie, Medieval N u b i a (Chartum 1954) · J- v · Beckerath in: Oldenbourgs
Abriß der Geschichte der antiken Randkulturen (1961) 191 f . ; P. L. Shinnie und D . B.
Harden, E x c a v a t i o n s at Soba (Sudan Antiqu. Serv., Occas. Pap. 3, 1950).
• Über beide C. Conti Rossini, a. O. 1,147.
6. D I E Z E I T S T E L L U N G ' f i Z Ä N Ä ' S V O N AKSOM 161
König war inzwischen in die Jahre gekommen, da er selbst die Regierung
übernehmen konnte, und beide Helfer beschlossen, in ihre Heimat zurück-
zukehren. Edesius ging nach Tyros, Frumentius aber nach Alexandreia, wo
er Athanasios — nam is nuper sacerdotium susceperat — von seinen Missions-
erfolgen und dem, was noch getan werden müsse, berichtete. Athanasios wies
Frumentius als dem dazu Geeignetsten das sacerdotium im Lande seines
einstigen Wirkens zu und hieß ihn nach Indien zurückkehren. Dort fiel
diesem weiterer Gewinn zu: ex quo in Indiae partibus et populi Christianorum
et eccelesiae factae sunt, et sacerdotium coepit. Rufinus beruft sich für seinen
Bericht auf Edesius selbst, späteren Presbyter in Tyros. Die Hinzufügung,
qui Frumentii comes prius erat, bestätigt, daß von beiden als Brüdern nicht
gesprochen wird.
Indien war demnach das Land, darin Frumentius gelebt und gewirkt
hatte. Genauer India ulterior: multis variisque Unguis et gentibus habitata.
Keinesfalls also die India citerior, die mit Äthiopien zusammenhing und die
auch Iohannes' von Nikiu in äthiopischer Ubersetzung erhaltene Chronik
in gleicher Lage kennt (c. 90; p. 157, 27f. Zotenberg). Nach ihm gab es drei
Reiche der Inder und vier der Abessinier im Lande Salomons. Sie lagen im
Osten, am Ufer des Salzmeeres, und Salomons Land und Volk „war nicht
weit vom Land Ägypten" 10 . Mit India ulterior hingegen kann allein Vorder-
indien gemeint sein11. Dazu stimmt Rufinus' Angabe, daß es zwischen
Parthien und India citerior lag, sed longe interior tractu.
Diese Angabe wird verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß
ein römischer Kauffahrer vom Ausgang des Roten Meeres aus die West-
küste Vorderindiens ansteuerte. Gleichgültig, ob er sich an die Küsten hielt
oder ob er, sich der Monsunwinde bedienend, übers offene Meer fuhr: immer
hatte er die Südküste Irans (denn dieses war mit Parthien gemeint) zur
Linken und langehin die Nordküste der abessinischen Halbinsel zur Rechten.
India ulterior lag für ihn, weiter gen Osten gerückt, nach der geographischen
Breite zwischen dem 25. Grad im Norden und dem 12. im Süden.
Auch mit den Jahren zwischen 341 und 346 ist es nichts. Die von Rufi-
nus geschilderten Ereignisse fallen in die Regierungszeit Konstantins und
in den Beginn von Athanasios' Episkopat. Dieser war am 8. Juni 328 Bischof
11 Altheim, Hunnen V
162 AKSOMITEN, BLEMYER, HUNNEN
Alexandreias geworden, als solcher wurde er auf den Synoden von Tyros und
Konstantinopel 335 verurteilt und 336 nach Trier verbannt 12 . Frumentius'
Einsetzung muß kurz nach 328, jedenfalls vor 336 fallen; sie mag etwa ins
Jahr 330 gehören. Doresse's Ansatz auf 341—346 hat Rufinus' Wortlaut
(itemporibus Constantini) gegen sich sowie die Tatsache, daß Athanasios
erneut 339—346, diesmal von Constantius, verbannt war.
Das ist alles. Um zu wiederholen: kein Brüderpaar Frumentius und
Edesius; keine Tätigkeit in Äthiopien oder gar in Aksüm (ή . . . Αύξούμη,
έν fj βασίλειο ν: Ptolem., geogr. 4, 7, 25); keine Erwähnung 'Ezänä's, ge-
schweige denn seiner Bekehrung oder überhaupt einer solchen am Königs-
hof; zu allem noch ein falscher Zeitansatz. Äthiopiens Missionar war, zu-
mindest Rufinus zufolge, der Apostel Matthaeus; Frumentius' Anspruch ist
gegenstandslos, und 'Ezänä als äthiopischer Konstantin schwebt mit seinem
zeitlichen Ansatz in der Luft. Überall handelt es sich um Mißverständnisse,
Fehldeutungen, Willkür; man begreift nicht, wie geschehen konnte, daß
niemandem die Haltlosigkeit der bisherigen Behauptungen und Folgerungen
beim ersten Lesen des Kapitels Rufinus' auffiel.
Frumentius freilich hat in der äthiopischen Kirche seine Aufnahme ge-
funden. Dabei benutzte man eine Überlieferung, die mit der bei Rufinus ge-
gebenen übereinstimmte, arbeitete sie indessen an zahlreichen Stellen um
und gab den abessinischen Rahmen hinzu, der im Original fehlte. Noch
Sozomenos (h. e. 2, 24, if.) hatte τούς Ινδον τ ω ν καθ'ήμδξ Ι ν δ ώ ν , also
keinesfalls die Äthiopier 13 , genannt. Sokrates, den er hier ausschreibt, hatte
gleichfalls τους ένδοτέρω "Ινδούς von jenen Indern, die mit Äthiopien
zusammenhingen, geschieden und Frumentius allein zu den ersten gelangen
lassen (h. e. 1, 19, 3 ! ) . Wieder fehlt 'Ezänä. Die Umarbeitung liegt in
dem auf Abbä Salämä (äthiopischer Name für Frumentius, äthiop.
fremnätös) bezüglichen Abschnitt des äthiopischen Synaxars vor, den
A. Dillmann 14 und, in verbesserter Form, I. Guidi 15 veröffentlicht haben. Der
SSnkSsär ist aus dem arabischen Synaxar Alexandreias übersetzt und ein
12 Jülicher in: RE. 2 (1896), 1936; Ed. Schwartz, Gesamm. Schriften 3 (1959), 212.
13 Unrichtig G. Chr. Günther in seiner Sozomenos-Ausgabe (1961) im Register s. v.
'Ινδοί. Da Sozomenos' Kirchengeschichte um 450 abgeschlossen worden ist (ebenda
L X V ) , kommt man — was Wichtig sein könnte — in die Zeit 'Ezänä's. Leider läßt
sich der Abschluß der Kirchengeschichte nicht genau festlegen.
14 Chrestomathia Aethiopica 2 (1950) 33 f.
1 5 Le synaxaire Äthiopien 411—413. Dazu E. Littmann in den Addenda zur Chre-
l » a. O. 52.
6. D I E Z E I T S T E L L U N G 'EZÄNÄ'S VON AKSÜM 165
* Wie in Negrän, vgl. N. Pigulewskaja in: Journ. of the Econom. and Social History
of the Orient 4 (1961), 2f.
5 a. Ο. i, 149.
168 AKSOMITEN, B L E M Y E R , HUNNEN
erkannter und legitimer König gemeint sein·. Rufinus aber sprach von
einem zwar minderjährigen, aber doch legitimen Herrscher, Sohn eines
Königs auf dem Thron.
Schließlich tritt deutlich hervor, daß die beiden Adressaten, Aizanas
und Sazanas, nicht in der Lage sind (wie man dies bei Königen Aksüm's
doch annehmen müßte), einen Zwang auf Frumentius auszuüben. Für den
Fall, daß dieser sich der Aufforderung, nach Ägypten heimzukehren, nicht
fügt, erklärt er sich zum Anhänger des verfemten Athanasios. Dies
allein wünscht der Kaiser zu klären (i. c. 316): εΐ δε άυαβάλλεται και
φεύγει την κρίσιν, σύνδηλον δήπουθεν, δτι τοις 'Αθανασίου του πονηρο-
τάτου λόγοις ήγμένος διατελεί περί τό Θείον, ούτω προηρη μένος cos
έκεΐνος άπεδείχθη πονηρός ών.
War die Abfolge der Könige Aksüm's damals durch Usurpatoren unter-
brochen ? Wurden diese von der römischen Macht begünstigt ? Oder waren
jene dieser gegenüber nachgiebig, nachgiebiger und gleichzeitig machtloser
als die legitimen Könige ? Man weiß es nicht. Aber soviel weiß man jetzt,
daß dieses „importante documento" für den zeitlichen Ansatz 'Ezänä's aus-
zuscheiden hat.
3
Einen zweiten Versuch, die Zeit 'Ezänä's festzulegen, hat U. Monneret
de Villard unternommen1. Die Regierungsdaten der Könige von Yemen, so
meint er, seien in ihrer Abfolge zwischen den Jahren 281 und 378 jäh
unterbrochen. Dem entspreche, daß die griechische Inschrift eines unge-
nannten Königs von Aksüm, die Kosmas Indikopleustes von einem könig-
lichen δίφρος in Adulis abgeschrieben hat (104 C f.; 74, 6f. Winstedt, im
Folgenden Adulitana I I genannt), von einem Feldzug gegen Stämme, die
jenseits des Roten Meeres wohnen, berichtet. Και πέραν δέ της 'Ερυθράς
θαλάσσης οίκουντας ΆραβίταςκαΙ Κιναιδοκολπίτας, στράτευμα ναυτικόν
καΐ πεζικόν διαπεμψάμενος, καΐ ύποτάξας αύτούς τούς βασιλέας, φόρους
Ttjs γης τελεί ν Ικέλευσα, καΐ όδεύεσθαι μετ* εΙρήνης καΐ πλέεσθαι,
e
Zum Sprachgebrauch G. Ch. Hansen im Wortregister von J. Bidez' Sozomenos
(i960) 5 1 7 1 .
1
Storia della Nubia cristiana (1938) 26f. Die mancherlei Widersprüche und philo-
logischen Unvollkommenheiten hat E. Littmann's Besprechung in: DLZ 60 (1939),
573 f. nachgewiesen. In Littmann's Handexemplar, das uns zur Verfügung stand, sind
weitere Anstöße vermerkt. Dazu gehört, daß 'Ezänä auf S. 29 ans Ende des 2. Jahr-
hundert gesetzt wird, S. 37 dagegen an den Beginn des 4.
6. DIE ZEITSTELLUNG 'EZÄNÄ'S VON Α KS OM 169
2
In: Kush 5 ( 1 9 5 7 ) . 49 f ·
s
Von Doresse, a. O. 53; 59 in Yemen angesetzt, im Gegensatz zu G. Ryckmans.
4
G. Ryckmans in: Musion 59 (1956), I39i.; besonders 154; 161; J. Pirenne,
ebenda 167t.
4
J. Pirenne, a. O. 168; 180.
• a. O. 51.
7
Manich. Handschr. der Staatl. Museen Berlin, 1. Kephalaia (1940), 188, 31 f.
170 AKSOMITEN, BLEMYER, HUNNEN
erstreckt hat. Schließlich muß erneut gefragt werden, ob man für die Zeit-
stellung der Adulitana II nicht über bessere Anhaltspunkte verfüge.
Hier ist zunächst der griechischen Inschrift jenes Königes von Aksüm
zu gedenken, der den Namen Sembruthes trägt. Littmann hat sie als Nr. 3
nach einer nicht ganz korrekten Kopie R. Sundström's mitgeteilt; zuletzt
hat darüber L. d'Errico gehandelt8. Der Stein entstammt dem Dorf Däkki-
Mahari. Wir fanden das Original i960 im Liceo Ferdinando Martini in As-
mara aufgestellt.
1. Βασιλεύς έκ βασι-
λέων Άξουμει-
τών μέγας
Σεμβρούθης
5. έλθών καθεί-
δρυσε ι ιν κδ
Σεμβρούθου μεγάλου
βασιλέως.
Demnach gehörte Sembruthes zu den Königen Aksüm's, zeichnete sich
aber gegenüber seinen Vorgängern dadurch aus, daß er „großer König", nicht
nur König gleich den Anderen war. Den Stein hat er gesetzt, um zu bezeich-
nen, bis zu welchem Ort er gelangt war. Die Folgerung liegt nahe, daß er
seinen besonderen Rang auf Grund der von ihm gemachten Eroberungen
beanspruchte. Damit stellt sich die Verbindung zur Adulitana II. her. Der
ungenannte König zählt die 2θνη auf, die er erreicht und unterworfen hat:
& μέν αύτός έλθών καΐ νικήσας, & δέ διαπεμττόμενος (105C; 76, 6f. W.).
Das ist der gleiche Ausdruck wie in unserer Inschrift (έλθών), und bereits
Littmann hatte den Fundort mit den in der Adulitana II genannten Λασινέ
καΐ Ζαά καΐ Γ α β α λ ά (104 D; 74» W.) zusammengestellt. Schließlich fügt
jener König hinzu, er habe die von ihm berichteten Taten als π ρ ώ τ ο ς καΐ
μόνος βασιλέων των ττρό έμοΰ ausgeführt. Also ist die gleiche Sonder-
stellung, wenn auch mit veränderten Worten, beansprucht, wie sie Sem-
bruthes sich zuweist.
Danach sieht es so aus, als sei Sembruthes der gleiche König, der in der
Adulitana II spricht. Littmann hatte eine ähnliche Gleichsetzung ange-
nommen : zwischen diesem und dem Herrscher, von dem die Inschrift Nr. 2
8
Compendio di Geografia e di Storia dell'Africa Orientale (Asmara 1958) 72; mit
(schlechter) Abbildung.
6. D I E Z E I T S T E L L U N G ' E Z Ä N Ä ' S V O N AKSOM 171
herrührte. In unserem Fall wird die Verbindung durch den Schlußteil der
Inschrift von Däkkü-Mahari bestätigt. D'Errico sprach von einer „data non
chiara" und wußte den abschließenden Genetiv syntaktisch nicht unterzu-
bringen („quasi una firma"). Littmann sah richtig, daß „im 24. (Jahre) des
großen Königs Sembruthes" verstanden werden mußte. Es sollte klar sein,
daß der Schlußsatz der Adulitana II: §τει της έμής βασιλείας είκοστω έβδόμω
und κδ Σεμβρούθου μεγάλου βασιλέως einander entsprechen. War die
eine Inschrift im 27. Regierungsjahr gesetzt, so die andere im 24. Diese
zeigt den König inmitten seiner Eroberungen, jene gibt deren Abschluß und
Zusammenfassung.
Es bleibt noch ι iv zu besprechen, deren Umzeichnung bei Littmann
unrichtig gegeben ist. Auf ι folgt iv, das als Ligatur geschrieben ist. So viel
liegt auf der Hand, daß damit eine zweite Jahresangabe zur Verfügung steht.
Man hätte demnach einen Synchronismus, und ein solcher ist angesichts der
zuletzt vorgeschlagenen Zeitansätze für Sembruthes von Bedeutung. Do-
resse setzt ihn ins 2.—3. Jahrhundert®, Monneret weist (wie schon gesagt)
die Adulitana II dem Jahre 281, die vorangehenden Feldzüge den Jahrzehn-
ten 260—280 zu, unter Ablehnung einer von Conti Rossini vorgeschlagenen
Datierung auf 27410. Das erste 1 unserer Inschrift als Zahlenangabe zu lesen
legt folgendes κδ nahe, also 10. Dann iv: es ist, wie in den Papyri oft, statt
ινδ geschrieben und bezeichnet die Indiktion. Daß über der Zahlangabe der
Querstrich fehlt — 1 neben κδ — , ist bei Indiktionsjähren häufig, wenn
nicht die Regel. Man hätte also, auch dies aus Papyri und Inschriften ge-
läufig, das 10. Jahr einer ungenannten Indiktion.
Die Indiktionenrechnung begann in 15 jährigem Zyklus mit dem Jahr
313, genauer: mit dem 1. September 312. Befände man sich auch nur in der
ersten Indiktion, also im Jahr 321/2, so wären damit bereits die bisherigen
Ansätze erledigt. Es kommt jedoch hinzu, daß unser Jahr der Indiktion
nicht als Steuerjahr, sondern als geschichtliches Datum gerechnet ist. Der-
gleichen begegnet, mit anderen Zeitenangaben verbunden, in Ägypten erst-
mals 357, außerhalb Ägyptens erstmals 380 (Italien)11. Mehr noch, die ein-
fache Datierung nach Indiktionsjahren, ohne Hinzufügung weiterer An-
haltspunkte, tritt in den Papyri erst nach 400 auf. Eine Durchsicht der be-
kannten Papyrusveröffentlichungen schien uns dies zu ergeben; indessen
• L'fithiopie 4 30.
10 a. O. 27 Anm. 7, mit zustimmender Bemerkung in Littmann's Handexemplar.
1 1 Seeck in: R E . 9 (1916), 1332.
172 AKSOMITEN, BLEMYER, HUNNEN
mag gesagt sein, daß wir auf diesem Gebiet nicht über die nötige Übersicht
verfügen.
Bevor daraus die chronologischen Folgerungen gezogen werden, sei noch
eine zweite Inschrift herangezogen.
4
Die weitere griechische Inschrift eines aksümitischen Königs wird einem
Zufallsfund im Gelände des antiken Meroe verdankt. Im Jahi 1909 entdeckt,
wurde sie erstmals von Α. H. Sayce veröffentlicht 1 ; in Littmann's Sammlung
ist sie nickt aufgeführt, aber von C. Conti Rossini behandelt worden2. Das
etwa dreieckige Bruchstück befindet sich heute im Historischen Museum von
Khartoüm. Wir benutzten einen dreiwöchigen Aufenthalt im November i960
dazu, das Erhaltene zu kollationieren. Ohne der Fehllesungen und wag-
halsigen Ergänzungen Sayce's und Conti Rossini's zu gedenken, begnügen
wir uns mit der Mitteilung des von uns Ermittelten (Abb. 2).
1. . . . βασιλεύς Άξου]μειτών καΐ Όμηρειτώ[ν . . .
. . . uios θεοΰ άνικήτου "Α]ρεω[.]ς άντιδικησάντ[ων . . .
. . . κατά καιρ]όν παρακούσας άπό Trjs[. . .
. . .] EIAIOIC και έ[ξ]επόρθησα τάς ύ[πογε-
-/ραμμένας πόλεις . . .
5. . . .] Α κλειθέν παρελθών Ινθ[αυτα
. . .] Ο γενναται ετερον δέκαρ[χον . . .
. . .] σύυ τ ω βασιλεΐ μέχρι τώ[ν . . .
. . .]τά πλείστα έν τ η CEY[. . .
. . . στρ[ατηγοΰς και τέκν[α α υ τ ώ ν . . .
10. . . .[ έπηλθον αύτί[κα . . .
. . . ταϊ]ς όμαίς οίκί [αις . . .
. . .] έπι φόροι[$ . . .
. . . χ]άλκεον [. . .
. . . έτ]ών κα (κδ?)[. . .
Angesichts des bruchstückhaften Zustandes der Inschrift empfiehlt sich, auf
weitergehende Ergänzungen zu verzichten. Wir beschränken uns darauf,
die Parallelstellen zusammenzustellen.
1 I n : Proceed. Soc. Bibl. Arch., Juni 1909; A n n . Archaeol. and Anthrop. 4 (1912),
64 f.
s a. O. I30f.
6. DIE ZEITSTELLUNG "EZÄNÄ'S VON AKSÜM 173
3
a. O. 37.
4
a. O. 1, 131.
5
In: Kush 5 (1957), 37·
6
U. Monneret de Villard, a. O. 37 Anm. 1; P. L. Shinnie in: Kush 3 (1955), 82f.;
unten S. 178 f.
174 AKSOMITEN, BLEMYER, HUNNEN
5
Einige Ergebnisse für den Zeitansatz nicht nur Sembruthes', sondern
auch 'Ezänä's zeichnen sich ab. Der erste hat mindestens 27 Jahre regiert.
Nimmt man als Ausgangspunkt seiner geschichtlichen Festlegung nach
Indiktionen das Jahr 357, so gehört Sembruthes frühestens in die zweite
Hälfte des 4. Jahrhunderts; nimmt man, was näher liegt, das Jahr 380 an,
so reicht Sembruthes' Regierung in das erste Viertel des 5. Jahrhunderts
hinüber. Der Heide Sembruthes — Nr. 2, 4 nennt Ares, die Adulitana II
(108 D ; 76, 8f.) Zeus, Ares und Poseidon, dann nochmals Ares — war nach
einhelliger Ansicht ein Vorgänger 'Ezänä's. Auch dieser weist sich erst in
seiner letzten Inschrift (Nr. 11) als Christ aus. Wenn man annimmt, daß
zwischen ihm und Sembruthes noch 'Ezänä's Vater Ela 'Amidä regiert hat,
so kommt man im einen Fall mit 'Ezänä selbst in die erste Hälfte des
5. Jahrhunderts, im anderen auf dessen Mitte. Der Schluß, der sich zuvor
aus der Nachricht der Chronik von Se'ert 1, 330, i o f . Scher ergeben hatte,
ist mit dem zweiten Ansatz bestätigt worden. Man muß bereits mit der Mitte
des 5. Jahrhunderts rechnen.
7 Über die Nekropole von Tanqasi und ihre mögliche Zuweisung an Noba oder
4 In: Milanges Ch. Diehl 1 (1930), 107; F. Altheim, Aus Spätantike und Christen-
War das neue Vokalalphabet für des Königs Inschriften oder für das un-
gleich umfangreichere Übersetzungswerk geschaffen worden? Die Frage
stellen heißt sie beantworten. Bezeichnend ist, daß C. Brockelmann, der in
der ersten Auflage seiner „Semitischen Sprachwissenschaft" (1906) die nach-
malige Zuweisimg der vokalisierten Inschriften an 'Ezänä noch nicht kannte,
von diesen bemerkt, sie gehörten zeitlich mit der Bibelübersetzung zu-
sammen. Er setzt sie dementsprechend erst um 500 an 14 . Wenn aber 'Ezänä's
Inschriften Nr. 9 — 1 1 zeitlich sich von den Anfängen der Bibelübersetzung
nicht trennen lassen, so können sie frühestens nach 451 entstanden sein: sie
reichen demnach über die Mitte des 5. Jahrhunderts hinaus. Auch dafür
lassen sich noch Gründe anführen.
1β I. Guidi, a. O. 15.
u I. Guidi, a. O. 14, mit falscher Schreibung.
lla Chr. Fr. A . Dillmann, Lexicon linguae Aethiopicae (Neudruck 1955) 742.
Μ I. Guidi, a. O. 15.
M Weitere Berührungen der äthiopischen Literatur und Kunst mit Syrien hat
J. \ A v y in: Cahiers archöol. 11 (i960), i 3 o f . , besonders 142, zusammengestellt.
14 a. O. 46; vgl. Grundriß der vergl. Gramm, der semitischen Sprachen 1 (1608), 30.
12 Altbelm, Hunnen V
178 AKSOMITEN, BLEMYER, HUNNEN
6
Aus der Datierung 'Ezänä's ist kein Anhaltspunkt für die Zerstörung
Meroe's abzuleiten, noch ist aus dieser ein solcher für 'Ezänä zu gewinnen.
Alles, was bisher an Angaben herangezogen wurde, ist beim gegenwärtigen
Stand der Ausgrabungen, der Forschung überhaupt, nicht zu verwerten.
Einige Beispiele dafür sind rasch zur Hand. U. Monneret de Villard 1
wendet sich gegen solche, die Meroe's letzten König zwischen 340 und 355
ansetzen. Er weist darauf hin, daß die oben genannte griechische Inschrift,
in Meroe gefunden, zeige, daß der darin genannte König — auch nach Monne-
ret's Meinung Sembruthes eher als 'Ezänä — Meroe besetzt hielt. Gemeint ist
die noch unzerstörte Stadt, während 'Ezänä sie bereits zerstört vorfand.
Das letzte trifft insoweit zu, als 'Ezänä Meroe nie erwähnt. Daß in der
griechischen Inschrift die unzerstörte Stadt erscheine, ist nicht beweisbar.
Und wenn Monneret behauptet, daß Meroe zu Beginn des 4. Jahrhunderts
zerstört worden sei, so träfe diese Behauptimg nur zu, wollte man 'Ezänä
nach alter Weise vor 350 ansetzen. Da dies sich erledigt hat, kann für
'Ezänä's Datum nichts aus Meroe, und für Meroe höchstens die vage Tatsache
gewonnen werden, daß es seit dem 5. Jahrhundert nicht mehr genannt wird.
Der letzte Versuch, den Untergang Meroe's zu ermitteln, muß dem kri-
tischen Leser zeigen, wie gering die Möglichkeiten sind. P. L. Shin nie2 beruft
sich auf Keramiken, die in der nachmero'itischen Nekropole auf dem Boden
der Stadt gefunden wurden. Sie führen einmal ins 5.—6. Jahrhundert, in
einem zweiten Fall auf die Zeit zwischen 200 und 400. Mit beidem ist wenig
1 5 Th. Nöldeke, Kurzgef. syr. Gramm. 2 (1898) 6f. § 6f. Über die Verbindung mit
anzufangen, und so beruft sich denn auch Shinnie wieder auf 'Ezänä's
Datierung, die er nach hergebrachter Weise vor 350 setzt.
Ob Sembruthes Meroe besetzt oder von den Noba befreit, ob 'Ezänä
sich den Nöbä gegenüber als Herrscher des meroitischen Reiches und Ver-
treter seines Anspruchs gegeben habe3, bleibt bei alledem eine müßige
Frage. Als letzte Möglichkeit bietet sich das eigentümlich geformte Szepter
an, das die christlichen Könige Aksüm's auf ihren Münzen halten. J . Do-
resse4 hat damit gewisse Funde verknüpft, die er in vorchristliche Zeit setzt.
Er erinnert gleichzeitig6 an Diodors Angabe 3, 3, 6, wonach die Könige
Meroe's ein Szepter in Form eines Pfluges geführt hätten. Sollte man dies so
verstehen, daß die christlichen Könige Aksüm's sich als Fortsetzer ihrer
meroitischen Vorgänger betrachtet haben? Wie das meroitische Szepter
aussah, weiß man nicht. Die Annahme von Resten eines Thrones, der dem auf
den aksümitischen Münzen dargestellten glich, hat sich nicht bewahr-
heitet. Monneret, der 1937 danach am Zusammenfluß von Nil und Atbära
suchte, fand nichts dergleichen vor®.
Immerhin sei auf einige Nachrichten hingewiesen, die bisher von der
Forschung überhaupt nicht beachtet wurden. Sie finden sich im Äthiopen-
Roman Heliodors von Emesa, der zwischen 232—33 und der Jahrhundert-
mitte entstanden ist7. Meroe steht hier im Mittelspunkt der Ereignisse, die
den Abschluß von Theagenes' und Charikleia's Schicksalen bilden. Die krie-
gerische Auseinandersetzung zwischen dem persischen Satrapen Ägyptens
und dem König Meroe's gibt Anlaß, deren beiderseitige Hilfstruppen zu
schildern. Auf meroxtischer Seite stehen die Trogodyten: sie bilden einen
Teil des mero'itischen Reiches und sind Nachbaren der Araber (242, 8). Die
Nachricht findet ihre Ergänzung in der Stadt Arbis oder Arabis, nördlich
von Napata, südlich von Premis am Nil gelegen (Ptolem., geogr. 4,7,19 8 ).
Diese aithiopischen Araber müssen gleich den Aksümiten Auswanderer
aus Südarabien sein. Dementsprechend erscheinen Vertreter 'Αράβων των
εύδαιμόνων (297, 23). Sie bringen zusammen mit Serern, Blemyem und
Trogodyten dem König von Meroe die Erzeugnisse ihres Landes dar. Die
darauffolgenden Axumiten werden ausdrücklich als unabhängig bezeichnet
1
a. O. 37 zweite Hälfte; 38 oben.
4
L'fithiopie 4 (1956) 29 Abb.
5
Ebenda 38.
• a. O. 37 Anm. 3.
7
F. Altheim, Literatur und Gesellschaft 1 (1949), 1 1 3 ; 2 (1950), 272t.
8
Pietschmannin R E . 2, 408.
12·
180 AKSÜMITEN, BLEMYER, HUNNEN
(298, 1 1 f.). Wie immer: Meroe erscheint bei Heliodor noch ganz auf der
Höhe seiner Macht.
Waren die Blemyer vor der Jahrhundertmitte noch Untertanen Meroe's,
so hört man 291 erstmals von einem Krieg zwischen Blemyern und Äthiopen,
also dem Reich von Meroe (Mamert., Genethl. Max. 17, 4 p. 288 Baehr.).
Wenn die Nachricht davon ins ferne Gallien kam, so kann es nur ein Krieg
größeren Ausmaßes und bedeutsamer Ereignisse gewesen sein. Es fällt auf,
daß die Keramik der Nekropole von Tanqasi, südlich des heutigen Merowe
(nicht Meroe), ans Ende des 3. Jahrhunderts gehört9. Sie zeigt das Vor-
dringen der Nomaden, Noba oder Blemyer, gegen die Hauptstadt des einst-
mals mächtigen Reiches, die um die Jahrhundertwende unmittelbar vor
ihrem Fall gestanden haben wird.
Sollte diese Vermutung so oder annähernd so zutreffen 10 , so scheidet
damit der Zeitpunkt der Zerstörung Meroe's erneut aus dem Fragen-
bereich um 'Ezänä's Zeitansatz aus.
• P. L. Shinnie in: Kush 2 (1954), 66f.; besonders 83f.
10
Die letzte Äußerung setzt dann auch Meroe's Untergang um 300 an: J. v.Becke-
rath in: Oldenbourgs Abriß der Geschichte antiker Randkulturen (1961) 191.
η. K A P I T E L
BLEMYER UND H U N N E N
Ein neuer Zeitansatz bewährt sich daran, daß er bisher nicht gesehene
geschichtliche Zusammenhänge eröffnet.
Wenn es nach der bisherigen Auffassung ginge, hätte der ungenannte
König der Adulitana II entweder zwischen 260 und 280 oder doch vor 312
mit Flotte und Heer das Rote Meer überquert, die Könige der Himyar
unterworfen und die friedliche Schiffahrt bis hinauf nach Leuke Kome ge-
währleistet (105 Β — C ; 75, 14t. W.; dazu 108 C; 76, 25f. W. und Nr. 2, 3f.).
Bis zu 'Ezänä sodann, also bis etwa 350, hätte nach Ausweis seines Proto-
kolls die aksümitische Herrschaft über große Teile Yemens gedauert. Vor-
aussetzung dieser Verhältnisse wäre, daß sowohl Rom als auch die Sasa-
niden keinen Anteil an den Geschehnissen im Roten Meer nahmen, die Zügel
schleifen ließen und Rom im besonderen nicht einmal im Golf von Ailana
seine Rechte geltend zu machen verstand. Anders gewendet: man hätte sich
in einer Zeit befunden, da die beiden Großmächte des ausgehenden Alter-
tums einen Tiefstand ihrer politischen Macht erreicht hatten.
Jedermann weiß, daß für die genannten Zeitabschnitte dies keinesfalls
zutrifft. Es gilt weder für Aurelian und Probus noch für Diokletian und
Konstantin. Aurelian und Diokletian brachten im Osten und besonders in
Ägypten als Anliegerland des Roten Meeres den römischen Machtanspruch
höchst nachdrücklich in Erinnerung. Auf persischer Seite regierte Säpür I.
bis 272, und 309 begann Säpür's II. Herrschaft, die nachhaltig in die Ange-
legenheiten der arabischen Halbinsel, bis hin zum Hi£äz, eingegriffen hat.
Imru'ulkais und 'Amr wirkten als 'ummäl der Sasaniden1, und nachdem der
erste auf römische Seite getreten war, konnte er den Feldzug wagen, der ihn bis
zu den Toren Negrän's führte2. Die zuvor genannte Inschrift Ryckmans 535
hat den Sachverhalt bestätigt 3 .
1 Altheim-Stiehl, Finanzgeschichte der Spätantike (1957) 142 f.
2 Oben 1, 126. Neuerdings J. Pirenne, Le Royaume Sud-arabe de Qatabän et sa.
Datation (1961) pi. I zu S. ^o.
* Oben 1, 1 2 9 !
182 AKSOMITEN, BLEMYER, HUNNEN
7 Oben 3, 52f.
7. B L E M Y E R U N D HUNNEN 183
sinier in Yemen, wo sie auch Kirchen hatten. Dazu vergleiche man Ryckmans
507 Z. 4 'hb[Sn] bzmw; 508 Z. 3 'hbSn bzfr; vgl. Z. 4; Z. 8 bmkrnt hbSt8. Die
aksümitische Herrschaft, die Sembruthes in der ersten Hälfte des 5. Jahr-
hunderts begründet hatte, bestand über 'Ezänä's Regierung hinaus bis ins
zweite Jahrzehnt des 6. Jahrhunderts fort.
E s mag zusammengefaßt werden, was sich als Ergebnis des vorigen Ab-
schnittes eingestellt hat, bevor ein Schritt weitergegangen wird. Die abes-
sinischen Eroberungen in Yemen bildeten bisher ein Schmerzenskind der
Forschung. An jener Eroberung, die mit dem Kampf gegen den jüdischen
König Yüsuf (dü Nuwäs) zusammenfiel, zu zweifeln, bestand kein Anlaß. Die
neuen Funde himyarischer Inschriften haben bestätigt, was Prokop,
Iohannes von Nikiu (oben 2, 40 f.) und die arabischen Geschichtsschreiber
berichten. Schwieriger stand es mit der „ersten" Eroberung Yemens durch
die Abessinier. Wollte man das umfangreiche Protokoll ernst nehmen, das
'Ezänä seinen inschriftlichen Tatenberichten voranschickt, so mußte man
zur Annahme einer ersten Eroberung im frühen 4. Jahrhundert kommen.
Noch höher führte hinauf, daß auch die Adulitana II von Eroberungen in
Yemen berichtete. Doch all dies blieb schattenhaft, und es begegnete
manchem Zweifel, ob diese abessinische Herrschaft in Yemen wirklich und
wenn doch, ob sie lange ausgeübt wurde. D a brachten die Inschriften von
dü Nuwäs' kailän Neues. Sie zeigten, daß es im ersten Viertel des 6. Jahrhun-
derts abessinische Garnisonen im Lande gab. Mit der Scheidung zweier Er-
oberungen, deren erste spätestens mit 'Ezänä zu Ende ging und deren
zweite mit dem Unternehmen gegen dü Nuwäs begann, war es nichts.
Durch die neue Datierung wird auch diese Schwierigkeit beseitigt. Wenn
man in dem Verfasser der Adulitana II Sembruthes erblickt, diesen in den
Beginn des 5. Jahrhunderts, 'Ezänä um dessen Mitte und in der zweiten
Jahrhunderthälfte ansetzt, wird verständlich, warum zu Beginn des fol-
genden Jahrhunderts noch abessinische Garnisonen in Yemen sich befanden.
Die abessinische Herrschaft war also keinesfalls nominell gewesen, sie be-
8 G. Ryckmans in: Musion 56, 290 und 301. Für B. Rubin's Ansicht (Das Zeitalter
Iustinians 1, 307), es handle sich um „die erste Expedition des Negus", findet sich in
den Quellen kein Hinweis. Wohl aber ist übersehen, daß christliche äthiopische Unter-
könige vorher in Yemen herrschten. Das hat Th. Nöldeke, Übers. 186 Anm. richtig er-
kannt.
184 A K S OMITEN, B L E M Y E R , HUNNEN
stand vielmehr über 'Ezänä's Regierungszeit fort und vor allem: es hat nur eine
einzige Herrschaft gegeben, die lediglich dü Nuwäs für einige Jahre unterbrach.
Noch in einem zweiten Fall erweist sich die neue Datierung als förder-
lich. Gemeint sind 'Ezänä's K ä m p f e mit den Blemyern. Von ihrer Unter-
werfung berichtet einmal die früheste seiner Inschriften, die noch griechisch
abgefaßt ist. Dort beginnt 4, 6f. mit dem Genet, absol. ά τ α κ τ η σ ά ν τ ω ν κ α τ ά
καιρόν τ ο υ έθνους τ ω ν Β ο υ γ α ε ι τ ώ ν der Bericht von der Besiegung der
Unbotmäßigen und den über sie verhängten Maßnahmen. In der Inschrift
selbst, im Protokoll, nennt sich ' E z ä n ä König (βασιλεύς) Β ο υ γ α ε ι τ ώ ν 4. E s
wird derselbe Name für die Blemyer gebraucht, der noch heute üblich ist. V o m
gleichen Ereignis meldet die Doppelinschrift 6 — 7 , in sabäischer und äthio-
pischer Fassung, letzte noch ohne Bezeichnung der Vokale. D a der T e x t
dieser beiden sich v o m griechischen wenig unterscheidet 1 , werden alle drei
etwa gleichzeitig gesetzt sein. Wieder erscheint ' E z ä n ä als malka und
negüSa begä. Fortan wird von weiteren Kämpfen mit dem Volk nicht mehr
gesprochen; die Unterwerfung, in die erste Regierungszeit fallend, hatte
nachhaltigen Erfolg. Auf den übrigen vier Inschriften erscheint der Herr-
scher als negüsa begä 8, 3 ; 9, 3; 10, 4; 11, 3.
V o n seiner Datierung ausgehend, hat Monneret de Villard eine ge-
schichtliche Einordnimg versucht. Ihre Grundzüge seien hier wiederholt.
A u c h für ihn ging der K ö n i g der Adulitana I I voran, indem er von der
Unterwerfung entsprechender Stämme berichtete 2 . Dann griff 'Ezänä das
Nomadenvolk an und gewann die Herrschaft über dessen südliche Gebiete 3 .
Diese Herrschaft habe jedoch nur kurz gedauert. Gesagt wird dies nirgends.
A b e r so viel schien deutlich, daß 'Ezänä's Feldzüge die K a m p f k r a f t der
Blemyer wenig beeinträchtigt haben. Sie setzten ihre Einfalle nach Ä g y p t e n
fort 4 . Hatten sie 336 eine Gesandtschaft zu Kaiser Konstantin geschickt
(Euseb., v . Const. 4, 7), so verfolgten sie vor 346 Pachomios' Mönche und
nahmen diese gefangen. In Aila erschienen sie 387 und suchten auch sonst das
R o t e Meer heim. In Syene fügten sie 393 den römischen Truppen schwere Ver-
luste zu*. Diese K e t t e von Übergriffen geht bis zum Jahr 450·: damals
nebeneinandergestellt.
2 U. Monneret de Villard, Storia della Nubia cristiana 26.
* Ebenda 40.
4 Ebenda 40.
5 Ebenda 42.
• Ebenda 49.
η. B L E M Y E R U N D HUNNEN 185
griffen sie die Große Oase (Härga) an. In der „Historia monachorum in
Aegypto" i , 2f. p. gf. Festugi£re wird erzählt, wie ein oströmischer στρα-
τηλάτης, bevor er auftragsgemäß gegen die ΑΙΘίοπες ot κατά Συήνην zu
Feld zieht, den wegen seiner προφητεία berühmten Iohannes von Lyko-
polis (Sozomenos 277, i f . ; 336,4; 346, i f . Bidez) fragt, wie denn das Un-
ternehmen ausgehen werde.
Erst unter Marcianus (Regierungsbeginn 25. August 450) erfolgte ein
Umschlag 7 . Floras, Alexandrinae urbis procurator, besiegte 452 die Blemyer
(Euagr., h. eccl. 2, 5). Den Frieden mit ihnen Schloß der στρατηγός Maxi-
minus, der 448 an Attilas Hof gewesen war. Nach Marcianus' Tod kam es zu
neuem Einfall, aber der Friede wurde rasch hergestellt. Von da ab gab es
keine Unruhen an der oberägyptischen Grenze bis zum Beginn des 6. Jahr-
hunderts.
Man kennt Marcianus' Politik, die mit der seines Vorgängers Theodo-
sios II. gebrochen hatte. Unter dem Hinweis: ού γ α ρ θηλειών, άλλα
άρρένων ή της 'Ρωμαϊκής βασιλείας άρχή, hatte man Attila weitere
Tributzahlungen abgeschlagen8. Der Kaiser selbst hatte 451 mit einem
Feldzug begonnen, und sein comes domesticorum Aetios hatte 452 die kriege-
rischen Unternehmungen gegen die Hunnen in Abwesenheit Attilas fortge-
führt 9 , der sich damals auf seinem oberitalienischen Feldzug befand. Man
hatte hunnischerseits dem oströmischen Heer Frieden bewilligt, um es zum
Abzug zu bewegen (Hydatius, Chron. min. 2, 26f.10). Aber eben diese Vor-
stöße, denen doch Attila's Vergeltung auf dem Fuße folgen mußte, bean-
spruchten die Kraft des Reiches. Es war schwerlich ein Zufall, daß den
Kaiser die Sorge (sollicitus) um die Rache des Gewaltigen bis in seine Träume
verfolgte (Iordan., Get. 255 hoc Priscus istoricus vera se iicit adtestatione
probari). Schon vorher hatte das Konzil, das mit Marcianus' Namen ver-
bunden ist, wegen der drohenden Hunnengefahr von Nikaia nach Chalkedon
verlegt werden müssen.
Der Erfolg gegen die Blemyer im gleichen Jahr 452 ist um so erstaun-
licher, als gleichzeitig Ardaburios 11 , magister per orientem, erfolgreich gegen
die Araber an Syriens Grenze kämpfte (Priskos fr. 20, FHG. 4,100; Suda s. v.
7 Ebenda 49 f.
8 Ε . A. Thompson, A History of Attila and the Huns (1948) 133t.; 143.
* Ebenda 144.
1 0 Ebenda 148.
1 1 Zum Namen H. Humbach in: Die Welt der Slawen 5 (i960), 327 Anm. 9.
186 AKSOMITEN, BLEMYER, HUNNEN
3
Rom und Aksüm standen schon früher, seit Jahrhunderten, in Verbin-
dung. Erst unter 'Ezänä hat man sich entschlossen, vom Gebrauch des
Griechischen abzusehen. Aber die kirchliche Literatur in griechischer
Sprache wirkte weiter, und die am Mareb heimisch gewordenen Mono-
physiten setzten sich für die Verbindung zweier Reiche ein, die sich zu ge-
meinsamem Glauben bekannten. Ein besonderer Umstand, bisher nicht in
diesen Zusammenhang gerückt, soll nachgetragen werden.
K. A. C. Creswell1 hat eine Nachricht herangezogen, die der älteste Ver-
fasser einer mekkanischen Chronik, Azraki (gestorben 858), bewahrt hat
(Chroniken der Stadt Mekka 1, 110 unterste Zeile und f.; 112, i2f. Wüsten-
feld). Danach war im 35. Jahr Mohammeds, also 608, die Ka'ba nieder-
gerissen und neu erbaut worden. Die Kurais verwandten dazu das Holz
eines gestrandeten Schiffes, im übrigen zogen sie einen Zimmermann und
Baumeister Bäküm heran, der Fahrgast dieses Schiffes gewesen war. Die
Wände des Neubaus wurden aus wechselnden Lagen von Stein und Holz
aufgeführt, derart, daß sich 16 Steinlagen und 15 aus Holz entsprachen;
die oberste und unterste Lage bestand aus Stein. Das Dach ruhte auf sechs
Pfeilern {sawäri, Sing, säriya), in zwei Reihen zu je dreien geordnet. Azraki
fügt hinzu, daß Decke, Wände und Pfeiler Darstellungen (suwar) der Pro-
16 Altheim-Stiehl, Finanzgeschichte der Spätantike (1957) 156L; 358f.
1 Α Short Account of Early Muslim Architecture (1958) i f .
188 AKSOMITEN, BLEMYER, HUNNEN
pheten, von Bäumen und Engeln enthielten. Die Säule, die dem Eingang
zunächst stand, trug das Bild Abrahams, eine andere das Marias mit dem
Jesusknaben auf dem Schoß.
Den Wert der Nachricht unterstreicht Creswell mit Recht. Er verweist
darauf, daß die besondere Bauweise, der Wechsel von Stein- und Holzlagen,
im holzarmen Hifäz nicht heimisch sein konnte. Sie begegne in Abessinien,
das an Hoch- und Galleriewäldern reich war und noch ist. Die Kirchen von
Debra Damö, Debra Libänös und von anderen Orten mehr, deren älteste
ins 9. Jahrhundert gehörten, seien hier zu nennen2. Ältere Zeugen bildeten
die Stelen von Aksüm, die in Stein Stockwerkhäuser nachbilden und noch
in die heidnische Zeit gehörten3. Hier wie dort beobachte man die gleiche Bau-
weise, die neben den Steinschichten eingelegte Langhölzer und quergelegte
Pfetten mit ihren Riegelköpfen4 erkennen lasse. Eine Bestätigung erbrachte
E. Littmann 6 , der im Namen des Zimmermannes und Baumeisters Bakum
eine Abkürzung von äthiop. enbäköm „Habakkuk" erkannte.
Der vorgelegte Gedankengang Creswell's trifft in der Hauptsache zu. Im
einzelnen muß indessen mancherlei ergänzt werden. Zunächst hat Creswell
versäumt, die Parallelüberlieferung· heranzuziehen. Von Wichtigkeit ist die
Fassung Ibn Hisäm's, der von einem koptischen Zimmermann spricht, der
in Mekka ansässig war (1, 122, 14 Wüstenfeld). Weiter fällt auf, daß die
Reihe der Beispiele, die Cresswell nennt, mit erheblichen Lücken rechnen
muß. Er setzt 'Ezänä noch ins 4. Jahrhundert 7 , denkt sich dementsprechend
die Stockwerkstelen spätestens im gleichen Jahrhundert (will sagen: zu
dessen Anfang) entstanden. Man käme demnach bis zum Neubau der Ka'ba
auf eine Lücke von 300 Jahren, von 608 bis zu den ersten abessinischen
Kirchen auf eine solche von etwa 250 Jahren. Es wird sich zeigen, daß sich
zumindest die erste und größere Lücke mit von Creswell nicht beachteten
Beispielen ausfüllen läßt. Weiter, daß das Bauen mit wechselnden Stein-
und Holzlagen weit höher hinaufgeht, als Creswell annimmt.
Im Dezember i960 beobachteten wir an der Außenseite der Unterkirche
von Abü Serge in Fusjät die gleiche Bauweise. Die Aufnahme eines von späte-
D. Krencker, a. O. 2, 7f.
3
4 Sie heißen äthiop. ri'isa hibay ,,tete de singe, testa di scimmia": Deutsche
Aksum-Expedition 2, 8 uö.; U. Monneret de Villard, Aksum (1938) 29; 52.
s Bei K . A. C. Creswell, a. O. 3.
ren Ergänzungen freien Wandteiles zeigt die eingelegten Langhölzer und die
senkrecht auf den Beschauer zukommenden Pfetten. Nur ist im vorliegenden
Fall statt des Hausteines Ziegelwerk verwandt (Abb. 3). Die Unterkirche
gehört nach allgemeiner Annahme noch in vorislamische Zeit, mag also dem
Neubau der Ka'ba gleichzeitig oder noch etwas älter sein. Wie immer man
sich entscheide, der Bau aus Fustät und die Erwähnung eines Kopten als
Werkmeisters jenes Neubaus bei Ibn Hisäm entsprechen einander.
Im Anschluß daran ist die Basilika des nubischen Kasr Ibrim zu nennen,
des antiken Πρίμις. Die ältesten Teile des Baus, darunter die Außenmauern,
gehören „al primo periodo cristiano" 7 ", also möglicherweise noch ins 6. Jahr-
hundert. Im Quaderwerk der Außenmauern erkennt man zwei umlaufende
Einschnitte von rechteckigem Querschnitt: sie waren zur Aufnahme von
Holzbalken bestimmt 8 . Monneret verweist als Parallele auf das koptische
Kloster von Bäwit 9 ,65 km nördlich von Asiüt.
Von den Kirchen, über deren Zerstörung die beiden kailän des Königs dü
Nuwäs (Yüsuf) in ihren Inschriften berichten (oben S. i82f.), weiß man nichts
Genaueres. Das Gotteshaus, das Abraha um 540 in San'ä* erbaute, soll aus
weißem, rotem, gelbem und schwarzem Marmor bestanden haben (Tabari,
ann. 1, 943, I2f.; weitere Einzelheiten bei Mas'üdi, murüg 5, 192t. Barb.) 10 .
Th. Nöldeke 11 glaubte in der Schilderung ein „Phantasiebild" zu erblicken,
was dahingestellt sei. Der Bauweise in farbig wechselnden Schichten wird
man sogleich begegnen. Von eingelegten Holzschichten ist nichts berichtet;
der Mosaikschmuck war oströmischen Ursprungs (Tabari, ann. 1, 935,17f.).
Alsdann sind die Schlösser Yemens heranzuziehen, die nach dü Nuwäs'
Untergang von den Abessiniem verbrannt wurden. Sie alle, besonders Gum-
dän, zeigten den gleichen Wechsel des Steins, zumindest in den höheren
Stockwerken (dü öadan bei Ibn Hisäm, v. Moh. 1, 27, 1 Wüstenfeld).
Dü öadan kommt in einer bei Tabari (ann. 1, 927, 1 5 ! ) erhaltenen Vers-
reihe erneut auf (rumdän zu sprechen (a. 0 . 1 , 929, 2). Man habe es erbaut:
bi-munhatnatin wa-asfaluhu iurübun wa-hurru l-mauhali l-latiki z-zaliki
„mit Zimmermannswerk und darunter Hausteine und reiner Lehm, feuchter
und schlüpfriger".
Die Verbindung von Holzlagen mit Lagen von Hausteinen 12 ist demnach
bezeugt, und so erklärt sich, inwiefern der Bau abbrennen konnte
Gadan bei Ibn Hisäm, a. Ο. i , 27, 5 und bei Tabari, a. O. 1, 929, 5). E s be-
stätigt sich, daß tatsächlich Holz auch beim Aufbau der Wände, nicht nur
des Daches verwandt wurde. Azraki sagt ausdrücklich, daß man erst bei dem
Brand der 608 errichteten K a ' b a im Jahr 683 bemerkt habe, daß deren
Mauern teilweise aus Holz errichtet waren 13 .
Wichtig ist, daß D. Krencker einen derartigen Bau in Aksüm ausge-
graben hat 14 . Seine Rekonstruktion zeigt Außenmauern, die aus wechselnden
Stein- und Holzlagen aufgeführt sind. J. Doresse 15 verweist auf Berichte
arabischer Dichter, wonach auch bei den Burgen Yemens in die aus Hau-
steinen errichteten Mauern Balken aus Teakholz und Wacholderbäumen
eingezogen waren. Soll man sich die Burg al-Ablak, die dem Juden Samau'al,
Herrn der Oase Taimä', gehörte 16 , ähnlich vorzustellen haben ? Balisa und
balulta bedeutet: „nigro alboque colore variegatus fuit", bullüka „variete
de couleurs", ablak „black and white" (vom Pferd: Lane 1, 1, 253 1.).
Genug: man hat zumindest die Schlösser Yemens, die spätestens vor ςΐΰ
Nuwäs' Untergang fallen, Kasr Ibrim, und A b ü Serge in Fustät hinzuge-
wonnen. Das zweite und dritte führen an den Neubau der K a ' b a nahe
heran, die ersten an die von uns ermittelte Regierungszeit 'Ezänä's. Da-
durch, daß man diese bis in die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts ansetzen
darf lind dementsprechend als spätesten Zeitpunkt der Stockwerkstelen
Aksüm's auf die erste Hälfte des gleichen Jahrhunderts gelangt, wird Cress-
well's Spanne von 300 Jahren um volle hundert verkürzt; zugleich wird
dieser verengte Zeitraum mit weiteren Beispielen ausgestattet. Die Bedeu-
tung der Spätdatierung 'Ezänä's bewährt sich wieder aufs Schönste.
Ganz übersehen ist eine weitere Reihe von Zeugnissen. E s fällt auf,
daß die in den Stelen des heidnischen Aksüm erstmals bezeugte Bau-
weise in wechselnden Stein- und Holzlagen nicht nur, wie zu erwarten,
in den Burgen Yemens und Aksüm's weiterlebte, sondern daß sie auch bei
Kirchen und bei einem Kultbau wie der K a ' b a angewandt wurde, die mit
Zu A'ää Nr. 25 Altheim-Stiehl, Philologia sacra (1958) 83f. gegen W. Caskel in:
14
Kommen der Araber und Mohammeds gesprochen wird. Von diesem heißt
es: „Atque is est qui aedem in deserto (/t l-kafri, gemeint ist MekkaM) aedi-
ficabit et similem reddet (wa-yuSabbihuhu) [templo] Hierosolymis et dicet,
id esse templum patris mei." Die Äußerung enthält, was man bestätigt zu
haben wünscht.
22 I. Galbiati, a. O. 2, 187 Anm. 2.
DRITTES BUCH
13 Altheim, Hannen V
8. K A P I T E L
1 Altheim-Stiehl, Ein asiatischer Staat 2 (1954), 155; 165f.; 167; Eutychios r, 181,
13 f. Pocock.
2 K. Erdmann in: Ars Islamica 4, 79f.; ZDMG. 1954, 538f.
® B. Filow in: Grundriß d. slaw. Philol. 9, 14; G. Fehir in: Arch. Hungar. 7, 106f.;
G. Kazarow in: Receuil Th. Uspenskij Madara i Pliska (Sdruzennie bt>lgarska
starina 1927).
13·
196 F R Ü H - UND S P Ä T S A S A N I D I S C H E KULTUR
Ähnlich stand es mit dem Zarathustrismus. Nichts mehr von einer Fort-
setzung oder Erweiterung der avestischen Kodifikation: im eignen Schoß
dieser Kirche begann die Erhebung gegen die unbeschränkte Herrschaft
von Klerus und Lehre. Mazdak, selbst Möba<5 und Erklärer des Avesta,
setzte nach neuplatonischem Vorbild die innere, allegorische Deutung an die
Stelle der äußeren; er galt als einer der Vorläufer der bätiniya. Seine Lehre
beseitigte den überkommenen Dualismus. Auch nach Mazdak's Sturz gewann
der zarathustrische Klerus seine Stellung von einst nicht zurück4. Chusrö
I. Anöäarvän ließ seinen griechischen Hofphilosophen Uranios unbeschränkt
mit den Magiern über die Grundfragen der Welt und Lehre diskutieren.
Es kam so weit, daß der Sohn eines dehkän's vom ererbten Zarathustris-
mus abließ und sich auf die Suche nach dem wahren Glauben machen
konnte. Salmän, dessen ergreifende Geschichte Ibn Hisäm5 bewahrt hat,
verließ Vater und väterliches Erbe um solcher Ziele willen (oben 3, 39).
Erst war es das Christentum, das ihn anzog, bis er dann, nach einem Leben
des Umherirrens, der Mühsal und Enttäuschung, zuletzt als Sklave verkauft,
in Medina an Mohammed's Verkündigung sein Genüge fand. Schwerlich
wird er der einzige seiner Art geblieben sein.
Achaimenidisches Vorbild und Herstellung von Zarathustras Lehre
hatten dies gemein, daß sie einen Rückgriff auf die beiden bedeutendsten
Schöpfungen iranischer Geschichte enthielten. Eine große Vergangenheit
sollte neu erweckt und als maßgebendes Vorbild hingestellt werden. Mit
Zähigkeit und unerbittlichem Ernst arbeitete Ardaser I. an der Verwirk-
lichung dieses Ziels, und die gleiche Haltung offenbarte sich in den Maß-
nahmen seiner nächsten Nachfolger. Der feierliche, gleichfalls auf alte Vor-
bilder zurückgreifende Stil der Tatenberichte, die unverkennbare Freude an
ihrer umständlichen und gewichtigen Stilisierung entspricht den Darstel-
lungen des Felsreliefs: dem schweren, gedrungenen Bau von Menschen und
Rossen, der gravitätischen Gebärde, der steifen und unbeweglichen Reihung
der Figuren, ihrer zeremoniellen Haltung. Dazu gehört endlich die Betonung
zarathustrischer Rechtgläubigkeit; die Festlegung dessen, was maßgebend
war; das kompromißlose Festhalten an der wahren und reinen Lehre.
In dem Augenblick, da diese Welt des Anspruchs und des Rechthabens,
der Schwere und Gedrungenheit, des Normhaften und imbedingt Verpflich-
4
Altheim-Stiehl, Ein asiatischer Staat 1, 202; 204; A. Christensen, L'Iran sous les
Sassanides* 425 f.
5
v. Moh. 1, 136f. Wüstenfeld.
8. DIE SPÄTSASANIDISCHE KULTUR 197
tenden zurücktrat und teilweise verschwand, war an die Stelle des Ernstes
das Spiel getreten — jenes Spiel, das J. Huizinga verstehen gelehrt hat. Nicht
als Unwirkliches und Unverpflichtendes, sondern als Kodex gesellschaft-
licher Regeln, als Formen des Lebens und gegenseitigen Verkehrs, Verhal-
tensweisen, Wertsetzungen, die auf einer neuen, vielleicht nicht ausge-
sprochenen, aber darum nicht weniger verbindlichen Übereinkunft be-
ruhten. Leben war zum Schauspiel geworden, darin dem Einzelnen seine
Rolle zugewiesen wurde. Er hatte diese zu übernehmen, sie zu spielen und
erfüllen, gemäß den Regeln, die das Verhalten bestimmte.
Ein Gefühl, das Leben seileichterundfröhlichergeworden.sprichtsich erst-
mals unter Bahräm V. Gör aus. Da sind die oft angeführten arabischen Verse: 6
„Wir haben geteilt unser Königreich zu unsrer Zeit, wie man teilt das
Fleisch auf der Platte.
Und wir haben gegeben Syrien und Rüm bis zum Untergang der Sonne
einem Hochgemuten: Salam,
Und Tüg wurden gegeben die Türken, wobei über die Länder Chinas
herrscht ein Vetter,
Und Iran gaben wir mit Gewalt Färis, das Königreich, wir indes nahmen
die guten Dinge."
Die Teilung der Erde durch Afridün, der jeweils ein Drittel seinen drei
Söhnen Salam, Tüg und Iran zuweist, liegt zugrunde. Nur tritt Tüg's
Vetter als vierter auf: offenkundig die türkischen Wei umschreibend, die
386—556 Nordchina beherrschten. Sprecher ist ein Sasanide, und dieser
kann nur Bahräm V. Gör (420—438) sein. Er genoß arabische Erziehung am
Hof von Hira, und arabische Verse sind auch sonst von ihm erhalten 7 .
Wa-fuznä bi-n-ni'am — darin klingt in der Tat ein neuer Ton auf. Bah-
räm V. als Förderer von Musik, Spielleuten und jeder Art von fröhlichem
Lebensgenuß wird noch entgegengetreten. Dieser erste Ansatz ging in den
furchtbaren Zeiten, die folgten, unter. Erst mit Chusrö I. Anö§arvän beginnt
(wie sich noch zeigen wird) ein Genießen der Süßigkeit des Lebens, und es
sollte bis zum Untergang des Reiches nicht abbrechen.
Das Reich der frühen Sasaniden bot ein buntscheckiges Bild. Bildungen
verschiedenster Art standen nebeneinander, und das Ganze glich einem Bau,
* Dazu Altheim-Stiehl, Finanzgeschichte der Spätantike (1957) 373 f·
7
Mas'üdi, Prair. 2, 192, 4L
198 FRÜH- UND SPÄTSASANIDISCHE KULTUR
der Männer von Färs, der da ist für alles, was ist, und Gott zerbricht
durch ihn jedes Heer, groß und stark, und erobert durch ihn jede feste
Burg" 24 . Die Titulatur der Könige, wie die byzantinischen Geschichts-
schreiber sie geben25, fügt sich diesem Bilde ein.
Zu dem, was von solcher Umformung erfaßt wird, gehört auch die Jagd.
Man kennt aus der Kunst in endloser Wiederholung den bogenschießenden
König, vom Pferd herab das Wild erlegend. Die Jagdreliefs vom Täk-i
Bustän sowie Darstellungen König Peröz' als Jäger 26 fügen Varianten, aber
nichts grundsätzliches Neues hinzu. Es sei denn, daß das Auftreten von
Jagdelefanten27 das Bild der Jagd noch robuster, noch mehr auf Vernich-
tung und Vertilgung gestellt sein läßt. Unter Chusrö I. Anösarvän hört
man erstmals das Lob der Falken. Er „ist ein Gefährte, der angenehm ist im
Gewicht (al-inä'a) und keine Gelegenheit ausläßt, wenn sie sich bietet" 28 .
„Philosophen" sind es, die als Lobredner der Falken auftreten 29 : Falken-
beize, so darf man folgern, war eine geistige, verfeinerte Form der Jagd.
Das Königsbuch, in spätsasanidischer Zeit redigiert, schildert Bahrain's V.
Gör Gefolge als Falkenjäger (oben 2, 48). Auch in der Kunst begegnet jetzt
das Bild des Falkners zu Roß 30 und des Jagdvogels, der die Beute schlägt31.
Der Dichter Imru'ulkais schildert, wie nach einer Liebesnacht, die ihm be-
schieden war, am Morgen der betrogene Gatte mit einem Jagdfalken heim-
kehrt32. Samau'al's Sohn war ausTaimä'ma'a tairin lahu, also einem Falken,
ausgezogen, als er dem gassänidischen Belagerer in die Hand fiel33. Hoch-
geschätzt waren die Falken aus Gurgän, und unter ihnen nehmen die
weißen den ersten Rang ein33®. Sie erscheinen sogar auf chinesischen
Gemälden (Abb. 12).
Bei seiner Flucht aus Ktesiphon führte Yazdgard III. neben anderen
iooo Falkner und ebenso viele Wächter von Geparden mit sich34. Eine nach-
sasanidische Silberschale38 veranschaulicht, wie dieser lupus cervarius den
Hirsch schlägt. Damit begegnet dem edlen Raubvogel zur Seite diese gra-
ziöse und schnelle Wildkatze, und es nimmt nicht Wunder, beide nebenein-
ander anzutreffen. Denn auch der Gepard kündet davon, daß alles Jagen
unbeschwerter, spielerischer und distanzierter geworden ist. Nicht mehr übt
sich der Mensch, sondern seine Geisteskraft und Geschicklichkeit bewirkt,
daß das Tier seinesgleichen verfolgt und erhascht. Auch die fätimidische
Zeit, persischer Kultur wie wenige verhaftet, hat Falke und Gepard neben-
einander dargestellt36.
Selbst Zweikampf gewinnt jetzt eine neue Form. Fern sind die Zeiten,
da man zu Pferd und mit eingelegter Lanze aufeinander losrannte und den
Gegner niederwarf 37 ; da man über den besiegten Feind hinwegritt38 oder
den Fuß auf seinen abgeschnittenen Kopf stellte39. Als Bahräm Cöbin mit
des Chäkän's Bruder zum Zweikampf antritt 40 , wird dieser allein auf Distanz,
will sagen: mit dem Bogen, ausgefochten. Im Hin und Her der Rede ent-
faltet sich höfisches Spiel, wozu jetzt selbst eine Auseinandersetzung auf
Tod und Leben geworden ist. Man legt Bedingungen fest, läßt dem Gegner
den ersten Schuß, erträgt klaglos den Treffer und bewährt sich bis zuletzt im
Angesicht des Todes. Haltung von gleicher Art zeigt sich auch sonst. Nach ver-
lorener Schlacht zieht Irans Adel den Tod feiger Flucht oder Ergebung vor41.
Zusammenfassung dessen, was Anstand und höfisches Benehmen, was
auch höfische Bildung ist, gibt das Büchlein von Hönig Husraw und seinem
Pagen. Väspuhr hat Yast und Hadöxt, Yasn und Videvdät wie ein Herbai
auswendig gelernt und die Erklärimg (zand) dazu studiert42. Aber daneben
hat er sich mit schöner Literatur, Geschichte und gelehrter Rede befaßt.
34 H a m z a Isfah. 63, 7 G o t t w .
35 l a . I. Smirnow, a. O. L X I 96.
3« O. v. Falke, a. O. A b b . 134.
37 E . Sarre, D. Kunst d. alten Persien T a f . 82—-83; R . Ghirshman in: Art. Asiae
13, 88 f. fig. 4 — 7 .
38 Ε . Sarre, a. Ο. T a f . 70; Sarre-Herzfeld, Iran. Felsreliefs 6 7 f . ; Taf. 5; R. Ghirsh-
man, a. O. 13, 87 fig. 3.
39 Tabari, ann. 1, 819, 5.
40 Altheim-Stiehl, a. O. 1, 219.
41 Tabari, ann. 1, 2345, 8 f.
42 S. 14 § 9. Man mag sich daran erinnern, daß noch Chusrö II. A/Jarvez 12000
H e r b a ö für das „ G e m u r m e l " (Th. Nöldeke, Übers. 353 A n m . 3) unterhielt: Tabari,
ann. 1, 1042, 1.
8. D I E S P Ä T S A S A N I D I S C H E KULTUR 203
Gewiß auch kennt man alle Künste der Waffenübung und des Kampfes,
doch dem zur Seite stehen das Spiel von Leier, Guitarre und Zither, Gesang
und Sterndeutung, jede Art von Brettspiel. Der König erhält von dem Pagen
befriedigende Auskunft über feine Speisen, schmackhaftes Geflügel; über
Bereitung von Fleischsülzen, Würzfleisch, Zukost und Kompott; über
Früchte und Wein. Dann läßt sich der Wimderknabe vernehmen über Musik,
Blumenduft, über die beste Frau, die besten Reittiere und anderes mehr.
Dieser Page bezwingt Löwen und widersteht, größere Prüfung noch, der
Versuchung durch eine schöne Frau . . .
Hier hat sich bestätigt, was zuvor erschlossen wurde. Ein spielerisches
Genießen, dazu der Stolz auf ein Wissen, wie es auf jedem Gebiet damit
bestellt sei; eine neue höfische Kultur, den Vorzügen zugewandt, die das
Leben zu bieten vermag. Gewiß hat das Avesta seine Stellung noch inne;
auch die alte Freude am Kampf und Waffenspiel ist nicht geschwunden.
Aber Wildesel, Bergstier, Eber, Gazelle — einst bevorzugte Jagdtiere, wie
die Darstellungen der sasanidischen Silberschalen zeigen — sind jetzt zu
Erzeugern des besten Fleisches geworden43: tierischer Rohstoff einer hoch-
entwickelten Kochkunst. Dem Wildesel, der, mit Luzernen und Gerste ge-
füttert, Speck angesetzt hat44, dem domestizierten Tier also, wird der Preis
des besten Fleisches zuerteilt. Überhaupt nimmt Kulinarisches einen ver-
hältnismäßig großen Raum ein; höchstens Blumendüfte haben ähnlichen
Rang zu beanspruchen46.
Gemahnt die Hochschätzung der Küche an die Bankettszenen der sasani-
dischen Silberschalen4® und daran, daß Yazdgard III. bei seiner Flucht aus
Ktesiphon nicht weniger als iooo Köche in seinem Gefolge hatte47, so das
Bild der Frau an eine berühmte Beschreibung, die HiSäm b. Mohammed
al-Kalbi erhalten hat48. Eine schöne Sklavin wurde einst von König Mundir
III. auf einem Kriegszug gegen die Gassäniden erbeutet und Chusrö I.
AnöSarvän zum Geschenk gemacht49. Ihre einläßliche Schilderung, darin
wenig unerwähnt bleibt, Glanzstück frühester arabischer Prosa, hatte Chusrö
43
S. 21 § 30; S. 23 § 35.
44
S. 21 f. § 3 1 .
45
Weiteres bei A. Christensen, L'Iran sous les Sassanides2 477 f.
4e
R. Ghirshman in: Artibus Asiae 16 (1953), 5 i f .
47
Hamza Isfah. p. 63, 6f.
48
Bei Tabari.ann. 1, 1025, i8f.; vgl. 1016, 10.
48
Tabari, ann. 1, 1025, i6f.
204 FRÜH- UND SPÄTSASANIDISCHE KULTUR
Sassanides2 371 Anm. 2—3; 402 Anm. 4; 403 Anm. 1. Auch Gähiz gibt drei Klassen von
Musikern und Sängern: kitäb at-täg (Kairo 1914) 25f.; dazu A. Christensen, a. O. 63; 72.
8. D I E S P Ä T S A S A N I D I S C H E KULTUR 205
Weniger beachtet wurden bisher die Tänzerinnen. Und doch ist die Zahl
ihrer Darstellungen nicht gering". Beachtenswert ist ihr nacktes Auftreten,
zumindest in einer Reihe von Fällen. Ein bisher unveröffentlichter ägyp-
tischer Stoff etwa des 7. Jahrhunderts® 6 gibt neben einem Entenfries spät-
sasanidischen Gepräges zwei nackte Jongleusen an hängenden Ringen. Ihre
Beinstellung wiederholt ein bekanntes Motiv indischer Kunst· 8 . Gab Indien
das Vorbild ab ? Elfenbeinschnitzereien aus dem beginnenden 4. Jahrhun-
dert, die in Begram gefunden wurden67, zeigen Tänzerinnen, deren kunst-
volle Bänder um die Hüften, mehr entblößend als verdeckend68, Leon Bakst
st
Th. Nöldeke, Übers. 98 Anm. 3 ; 108 Anm. 1 ; A, Christensen, a. O. 2 277.
β0
A. Christensen, L'Iran sous les Sassanides 2 484 f.
« S. 28f. § 62—63.
• 2 l a . I. Smirnow, a. Ο. X V I 39; X X I 48; X X X V 64; X X X V I 65; X X X V I I 66;
E . Sarre, a. O. Tai. 109; 1 1 0 ; 1 1 6 ; 133.
,s
R . Ghirshman, Artibus Asiae 16 (1953), 5 9 f . ; derselbe in: Ars Oriental. 2
(1957), 7 7 f . ; vgl. D. Schlumberger in: Syria 25 (1946—48), 88f. (nachsasanidisch, aus
omaiyadischer Zeit). Dazu mag man die Musikinstrumente vergleichen, die im Sösöin
von Nara aufbewahrt sind: Mosaku Ishida u. Gunichi Wada, The Shosoin, an Eighth
Century Treasure House (japan., mit engl. R i s u m i , Tökyö 1954), Tai. 1 ; 3 ; 3 1 .
** Ia. Smirnow, a. Ο. X V I I fig. 3; X L V 78; X L V I 80; X L V I I 8 1 ; E . Sarre, a. O.
Taf. 129; 1 3 1 ; dazu R . Ghirshman in: Artibus Asiae 16 (1953), 5 2 f . Ähnlich am Hof der
T'ang: B . Gray in: Loan Exibition of the Arts of the T'ang Dynasty 1955, pi. 6 a—d.
Jetzt: 2iwopisi» drewnego Pjandiikenta (Moskau 1954) Taf. X X X I V . Silber aus
Kaläi Dast, Zeit Kavä6's I., bei L. Vanden Berghe, Arch<5ol. de l'Iran ancien (1959) 6.
Nackttänzerinnen bezweifelt K . Erdmann in: OLZ. 1959, 182.
• 6 Berliner Privatbesitz. Mehr bei R . GhiTshman, Bichapour 2 (1956), H 3 f .
· · H. Mode verdanken wir den Hinweis auf die in 'Oman (in der Festung SMR,
30 Meilen östlich von Salala in Zofar) gefundene Statuette eines indischen Tanzmäd-
chens (2. Jahrh. n. Chr.): F . P. Albright in: Archaeology 1954, 254.
17
J . Hackin, Recherches archiol. ä B i g r a m (Mim. dilig. archiol. fran;aise
Afghan. I X ) ; zur Datierung S. 22.
«8 J . Hackin, a. O. pi. X X I X — X X X I I ; L V — L X uam.
206 FRÜH- UND SPÄTSASANIDISCHE K U L T U R
oder seinesgleichen Ehre gemacht hätten. Und das Spiel der Hände89 mag
dem nicht ungleich sein, das man an Mrinalini Sarabhai bewundert70. Auch
an die Fresken von Ajantä und ihre himmlischen Tänzer und Musiker,
Apsarasen und Gandharva's mag erinnert werden, fallen doch ihre wichtigsten
Darstellungen gerade in die letzten Jahrhunderte der sasanidischen Kultur 71 .
Hier sind anzuschließen jene Malereien, die den spätsasanidischen Ritter
nach Tracht und Gehaben vor Augen stellen. Die Fresken von Turfan
zeigen eine jüngere Schicht, deren Inschriften auf türkisch verfaßt sind und
deren Stifterfiguren türkische Namen und Titel tragen. Älter sind die Ge-
mälde „tocharischen" Stils, deren Ritter durch enge Taillen und Klappen-
röcke sich auszeichnen; dazu gehören die „tocharischen" und sakischen
Handschriften72. Schon A. v. Le Coq73 erkannte, daß Klappenrock, Hosen
und Stiefel, das aus Scheiben bestehende Wehrgehänge mit dem an zwei
Anhängeschnüren befestigten Kurzschwert, dem für beide Hände einge-
richteten Langschwert sasanidischen Ursprungs waren74. Schlanker und
hoher Wuchs, eine enganliegende und fast stutzerhafte Tracht, gespreizter
Stand auf den Zehen75 und zierlich-höfische Gebärde unterscheiden diese
Ritter vorteilhaft von den schweren, ungleich massiveren Gestalten der sa-
sanidischen Felsreliefs'6. Die verschiedenen Kostüme, über die die letzten
Sasaniden verfügten, wurden nach Ktesiphons Fall in Medina zur Schau ge-
stellt. Man wählte den größten Mann der Stadt, um sie nacheinander vor-
zuführen77. Eine Abteilung des persischen Heeres trug gar grüne Kleidung78,
R. Ghirshman, Iran (Pelican Book 1954) 339! 34° f'8· 1 0 8 ; G. Widengren in: Arctica
11 (1956), 273f.
74 Vermutlich meint dies Tabari, ann. 1, 2450, 5: bi-saifi hisrä . . . wa-mintakatihi
wa-zibrigihi, alles Dinge, die nach Medina gesandt wurden. Wieweit sich das sasani-
dische Wehrgehänge mit den awarischen berührt, die jüngst G.Läszlö aus den Funden
der Fürstengräber rekonstruiert und glänzend gedeutet hat (Archaeol. Hungar. 34,
1955, 158f.; 22of.; 2 6 i f . ; 263f.; 272; 278t.), vermögen wir nicht zu überblicken.
7 5 A. v. Le Coq, a. O. fig. 5—8; 1 1 ; 18; 20. Eine bestimmte Schnurrbarttracht er-
(E. Sarre, a. O. Taf. 75; R. Ghirshman, a. O. 295 fig. 86) mit A. v. Le Coq, a. O. fig. 8
und 11, wo dieselbe Haltung erstrebt wird; vgl. G. Widengren, a. O. 25öf.
7 7 Tabari, ann. 1, 2454, 11 f.
7 β Härit b. Hilliza, Mu'all. 7,56.
8. D I E S P Ä T S A S A N I D I S C H E KULTUR 207
war also einheitlich ausgestattet. Yazdgard III. wird bei seinem Auftreten
in der Mühle von Merw beschrieben: wa-huwa ragulun gadun (friesiert),
makrünun (mit zusammengewachsenen Augenbrauen), hasanu t-tanäyä (mit
schönen Vorderzähnen), mukarratun (Ohrringe tragend), musawwarun (mit
Armbändern versehen). Die Spur des toten Königs wird am Duft des Moschus
entdeckt 79 . Uberall scheint es, als trete man in eine neue Welt. Dasselbe gilt
von den Kriegern der Turfanfresken: ihr schnittiger Lamellenpanzer sasanidi-
scher Form 80 , ihr auf Taille gearbeiteter „caftan cuirass" setzen sich von der
plumpen Masse des Ritters von Täk-i Bustän ebenso ab wie das Feuer ihrer
Pferde von dem gedrungenen Bau seines Hengstes81. Auch die Damen
— in ausgeschnittenem, enganliegendem Mieder, bauschigem Schlepprock,
Blumen und Guirlanden in den Händen — verraten das neue Formgefühl.
Der Duft der gelben Herik-Blume oder der gelben Samaw-Pflanze sei wie
der Duft der edlen Frau, der des Veilchens gleiche dem der Mädchen, be-
merkt König Husraw's Page82. Die schlanke Taille, eine ausgeprägte Brust
(Quitten gleichend, wie derselbe Keimer versichert83), entsprechen erneut
dem, was die Fresken darstellen84. Die Mitren der Vornehmen (kalänisuhum)
waren mit Edelsteinen inkrustiert (mufa^sa^a)8S.
Äußere Ausstattung und das Prunken im Auftreten hat diese Zeit be-
stimmt. Was beim Adel sich äußerte, hatte das Königtum vorweggenom-
men. Ein Wimderwerk muß die Krone Chusrö's II. Aßarvez gewesen sein,
die den Arabern bei der Eroberung Ktesiphons in die Hand fiel84. Anschei-
nend war sie so schwer87, daß sie nur von zwei edelsteingeschmückten Säulen
getragen werden konnte88. Diese wiederum waren von zwei Bildwerken ge-
krönt. Einmal einem goldenen Pferd mit silbernem Sattel und silberge-
faßten Edelsteinen und Smaragden an Bug, Kruppe und Zaumzeug; darauf
ein silberner, mit Edelsteinen geschmückter Reiter. Und auf der anderen
Säule stand ein silbernes Dromedar mit goldener Decke und goldenem Gurt;
auch hier war das goldene Zaumzeug mit Edelsteinen besetzt, der goldene
Reiter mit Perlen89.
Eben das spätsasanidische Kunsthandwerk in Gold und Silber hat eine
weltweite Wirkung ausgeübt. Was darüber von anderen gesagt wurde, be-
darf hier nicht der Wiederholung80. Hingegen sind noch zu nennen Weberei
und Kunsthandwerk, Buch und Miniaturmalerei, endlich das Email.
Zur neuen Form des Auftretens gehört der Teppich. Auf teppichge-
schmückter Tribüne sitzend, hält Chusrö's I. AnöSarvän Schreiber die Muste-
rung des Heeres ab. Darin ist er Abbild des Königs, der in ähnlicher Weise
die Handlung vornimmt91. Chusrö II. A/Sarvez „hatte unter sich eine drei-
fache Decke von goldgesticktem Königsbrokat (dibäg husrawänt), die auf
seidenem Teppich lag (bisät min ibrtsam), und saß hingelehnt auf drei gold-
durchwirkten Polstern. In der Hand hielt er eine ganz runde, gelbe Quitte"92.
Auch untergeordnete Stellen besaßen Teppiche vor ihrem sarir9S. Man mag
damit die Stroganoffsche Silberschüssel94 aus sasanidischer Zeit vergleichen.
Mindestens Teppich und Polster sind deutlich. Auf Teppichdarstellungen
der Turfanfresken hat bereits J. Strzygowski96 hingewiesen, auf eine andere
des Täk-i Bustän E. Herzfeld99.
Unter Churrö II. Aßarvez erstieg die Fertigung kunstvoller und großer
Teppiche ihren Höhepunkt. Ta'älibi97 beschreibt die vier Teppiche des
8
* Tabari, ann. i, 2446, 11 f. Als sie in die Hand der Muslim geiallen war und in
Medina ausgestellt wurde, geschah dies auf zwei hölzernen Säulen. Ein Araber, der
die königliche Gewandung trug, trat unter sie (fa-ulbisa tä§a kisrä 'alä 'amüdainimin
haüab) 2454, 13 f.
89
Tabari, ann. 1, 2448, 8 f.; vergl. A. Survey of Persian Art 4, 240 Α. Zum altper-
sischen vistarbara- „Teppichträger": H. Eilers, Iranische Beamtennamen 1, 81 f.; l o i f .
90
Letzter Fund R. Ghirshman in: Ars Orientalis 2 (1957), 77*·. besonders 8if.
91
Tabari, ann. 1, 963, 18 bisätu süsangird. Dazu G. Hoffmann, Auszüge aus d. syr.
Akten persischer Märtyrer 26; Altheim-Stiehl, a. Ο. i, 136.
92
Tabari, ann. r, 1048, lyi.
98
Baläduri 311, 13 f.
94
E. Sarre, a. O. Taf. 109.
95
Altai-Iran und Völkerwanderung 158 f.
98
Am Tor von Asien 137 f.
· ' p. 699 Zotenberg.
8. D I E S P Ä T S A S A N I D I S C H E KULTUR 209
taxt-i täkdis98, und großartiger noch war der vahär-i Xusrö „Frühling
Chusrö's" 89 , von den Arabern al-kitf genannt. Tabari 100 beschreibt diesen:
„sechzig mal sechzig Ellen als ein einziger Teppich nach dem Maß seiner
Fläche, darauf die Wege Figuren 101 bildeten, die trennenden Teile Flüsse,
die zugehörigen Zwischenräume Hügel. Auf seinem Rand besäte Erde mit
Frühlingswuchs aus Seide gegenüber Zweigen aus Gold, und seine Blüten aus
Gold, Silber und Ähnlichem." Oder, wie es an späterer Stelle102 heißt: „Es
war, als befinde man sich im grünenden Garten: ein Teppich von sechzig zu
sechzig (Ellen), dessen Erde durch Gold gebildet wurde (während die Farbe
an den trennenden Teilen, bi-l-fusüs, war), seine Früchte durch Edel-
steine und seine Blätter durch Seide, dazu Wasser aus Gold 103 ."
Uberhaupt liebte die Kunst, nachdem das Felsrelief zurückgetreten war,
weniger das Monumentale als das Gefällige, schätzte den künstlerisch geform-
ten Gebrauchsgegenstand und jede Art kostbarer Materialität. Nicht nur der
Teppich, auch Seide und Brokat 104 waren beliebt, dazu Silbergeschirr und
Bronzekannen, tauschierte und getriebene Arbeit, inkrustiert mit Perlen und
kostbaren Steinen.
Auf die Frage des Täynämeh — darauf, wie sich das im Fihrist 105 er-
wähnte kitäbu t-täii wa-mä tafa"alat bihi mulükuhum zu dem gleichfalls
dort erscheinenden10® kitäbu t-täii ft strati anöSirwän verhielt 107 — braucht
nicht eingegangen zu werden. Es genügt, daß Mas'üdl in Istahr bei einem
vornehmen Perser ein Buch persischer Geschichte sah, das die Bildnisse der
Sasaniden enthielt. Ob jung oder alt gestorben, jeder wurde so wiedergegeben,
• 8 A. Christensen, L'Empire des Sassanides 2 466!.; Ph. Ackermann, A Survey of
Persian A r t 1, 776.
· · A . Christensen, a. O. 474; A . U. Pope, A Survey of Persian Art 3, 2273f.; vgl.
Tabari, ann. 1, 2453, 6.
100 Ann. i , 2452, 7 f .
101 Turuk, fusüs, hiläl sind die herkömmlichen, hier figurierten Ornamente, /ays
eigentlich „Inkrustation".
102 Tabari, ann. 1, 2453, 8 f.
103 A . Christensen's und A. U. Pope's Wiedergaben zeigen, daß sie Tabari mißver-
standen haben. Neben dem Original kommen die persischen Ubersetzungen nicht in
Betracht. Zuletzt R . Ghirshman, Bichäpour 2 (1956), I45f.
104 Über einen seiner Namen W . B. Henning in: Transactions of the Philol. Soc.
1945. i 5 ° f ·
104 i , 305, 11 Flügel.
108 118, 28.
107 A . v. Gutschmid, K l . Schriften 3, 35f.; i 5 o f . ; Η. Η . Schaeder in: Jahrb. d.
preuß. Kunstsamml. 15, 2 3 i f . ; A. Christensen, L'Iran sous les Sassanides 2 66f.; zuletzt
Κ . Erdmann in: Ars Islamica 15/6, 89 Anm. 10.
14 Althelm, Hunnen Υ
210 FRÜH- UND SPÄTSASANIDISCHE KULTUR
sette auf der Rückseite des Spiegels mit den Rosetten auf den Emailkalotten unserer
Kanne ist nicht zu übersehen.
u " A. Kollautz in: Saeculum 5, 142, der auf K . Dinklage, Karolingischer Schmuck
aus dem Speyerer und Wormsgau, in: Pfälzer Heimat (1954) verweist.
1 2 0 Nicht erkennbar ist dies bei dem kaukasischen Email, worüber zuletzt N. Mav-
rodinov, Le Trisor Protobulgare de, Nagyszentmiklös (Arch. Hung. 29) 177 f. gehandelt
hat. Das Sasanidenreich als Ursprungsland des Zellenschmelzes betrachtet auch E. Mar-
gulies, A Survey of Persian Art 1, 779 f.
1 2 1 M. Rosenberg, Geschichte der Goldschmiedekunst. Zellenschmelz 3, 29.
1 2 2 Μ. Rosenberg, a. Ο. 30.
1 2 3 Die Risanokapsel mit ihrem Löwen auf der Vorderseite entstammt spätestens
dem Beginn des 7. Jahrhunderts. Demgegenüber gehört die Staurothek aus P. Morgan's
Besitz im Metropolitan Museum erst um 700 (M. Rosenberg, a. O. 38) oder gar ins 8. bis
9. Jahrhundert (Art Treasures of the Metropolitan, 1952, A b b . 50—51 und S. 221).
1 2 4 R . L. S. Bruce-Mitford, The Sutton Hoo Ship Burial (London 1951).
1 2 5 a. O. 42 f.
14·
212 FRÜH- UND SPÄTSASANIDISCHE KULTUR
NACHTRAG 1
Museum Stuttgart 1952/3, 152; M. P. Hornik in: Arte del primo Millennio, Atti del
Convegno di Padua 1950, 321 f.
1 2 8 la. I. Smirnow, a. O. L X I X 121; C I X 263 uam.
NACHTRAG 2
in einem Stück belegt ist, so kommt man, unter Zugrundelegung eines Wertes
von 20—25 Goldfrancs, auf rund 8000000 Goldfrancs im Jahr. Dies wäre,
wenn man die Nachricht voll bewerten will, ein Betrag, der sich einiger-
maßen in einer Größenordnung bewegt, die den Einnahmen Chusrö's II.
Aßarvez (zuletzt 516000000 Goldfrancs) entspricht.
NACHTRAG 3
Während des Satzes erhielten wir, durch die Güte des Verfassers, W.
Eilers Untersuchung „Iranisches Lehngut im arabischen Lexikon" in:
Indo-Iranian Journal 5 (1962), 203 f. E s fällt auf, daß in der Sprache
des Koran jene iranischen Lehnwörter, die Luxuswaren oder doch solche
bezeichnen, die einem erhöhten Lebenstand entsprechen, vergleichsweise
zahlreich sind. Auch dies weist auf die Besonderheit der spätsasanidischen
Kultur hin.
Aus Eilers Zusammenstellung a. 0 . 204 f. seien angeführt:
isiabrak „Seidenbrokat", neupers. istabra.
rauda f. „Garten" aus* röday „Flüßchen, Flußland, Flußbezirk".
zaräbi (koll.) „reiche Teppiche", aus* zarräb „Goldglanz; goldglänzend".
Dazu das oben S. 208 f. über die spätsasanidischen Teppiche Gesagte.
sirbäl „Gewand" aus sarbäl, τ ά σαράβαρα zu neupers. Sal „Schenkel".
Daneben späteres Sirwäl, Plur. saräwtl „Beinkleid".
surädik „Sonnensegel, Zeltplane" aus sräday, srdd', neupers. sarä{i). Vgl.
oben S. 200.
sard „Kettenpanzer" aus parth. zraö, avest. zräöa-; syr. zardä Αλυ-
σιδωτός. Dazu Altlieim-Stiehl, Finanzgeschichte der Spätantike (1957) 117 f.
kanz „Schatz" aus mittelpers. und neupers. ganz, gang. Dazu späteres
hazna, (Dozy 1, 368 r.) aus parth. γαζη.
namrak (mmrik, numruk) „Kissen" zu parth.* namray, mittelpers. narm,
avest. namra- „weich".
9. K A P I T E L
„DIE M E I N U N G E N
DER W E I S E N P H I L O S O P H E N "
sophen (1875) 7 f.
4 Storia 82.
216 FRÜH- UND SPÄTSASANIDISCHE KULTUR
setzt dessen Tätigkeit, ohne Angabe von Gründen, in den dritten Abschnitt
der zweiten Periode, gemäß seiner Einteilung der äthiopischen Literatur-
geschichte5. Dies besagt: in die Zeit nach dem zweiten Jahrzehnt des 16. Jahr-
hunderts und vor dem Ende des 18Λ An Handschriften nennt Guidi noch
eine weitere aus der bekannten Sammlung A. d'Abbadie 7 . Die Entstehung
der im Mashaf enthaltenen Spruchsammlung habe vielleicht Hunain b.
Ishäk mit seinem kitäbu itimä'äti l-faläsifati ft buyüti l-hikmati bainahutn
beeinflußt, ohne daß man darum von einer Übereinstimmung sprechen könne.
E. Littmann, in der von ihm besorgten zweiten Auflage von Dillmanns
Chrestomathie (1950), verweist in den Zusätzen8 auf S. Euringers Über-
setzung®. Sie liegt seit 1941 vor und beschränkt sich auf den Teil, den Dill-
mann veröffentlicht hatte. Euringer fügte den einzelnen Sprüchen Erläu-
terungen hinzu und schickte eine Einleitung voran, die sich mit den Vor-
lagen des äthiopischen Übersetzers und den inzwischen bekanntgewordenen
Handschriften befaßt.
Was die letzten betrifft, so war Guidi entgangen, daß C. Conti Rossini 10
bereits eine vollständigere Liste gegeben hatte. Euringer 11 fügt weitere
Handschriften hinzu und äußert sich auch über deren Alter. Nach ihm
geht keine übers 16. Jahrhundert zurück. Wenn dies zutrifft, müßte die
äthiopische Übersetzung spätestens ins gleiche Jahrhundert fallen. Ein
absoluter Zeitansatz ist freilich damit nicht gewonnen.
Euringers Äußerungen über die arabische Vorlage des Mashaf beruhen
auf einer Untersuchimg K. Merkle's" und mündlichen Ergänzungen, die er
von diesem erhalten hatte 13 . Merkle glaubte die unmittelbare Vorlage im
Paris. Arab. 4811 (von 1x40 H., 1723/24 christl.) gefunden zu haben. Er
führte diese christliche Sprichwörtersammlung mittelbar oder unmittelbar
auf den genannten Hunain b. Ishäk zurück, und zwar auf das kitäbu ädäbi
l-faläsifa, auch kitäbu nawädiri l-faläsifati wa-l-hukamä'u genannt. Demnach
5 Ebenda 8 f.
• Ebenda 9.
' Ebenda 82 Anm. 2; C. H. Cornill, a. O. 11.
8 Chrestomathia 295 f.
1 1 a. O. 362 Anm. 4.
1 2 Die Sittensprüche der Philosophen, kitäb ädäb al-faläsifa, von Honein ibn Ishäq,
auf ein anderes Werk als jenes, dessen Einwirkung Guidi bei der Abfassung
des Mashaf vermutet hatte.
Einer Beurteilung dieser Herleitungen stehen eine Reihe von Schwierig-
keiten im Wege. Selbst wenn man annimmt, die von Euringer gegebene
Ubersicht der Handschriften sei vollständig, so sind diese Handschriften
in ihrem gegenseitigen Verhältnis noch nicht geklärt. Es fehlt ein Stamm-
baum und demgemäß eine Rekonstruktion des Archetypus, man weiß auch
nicht, ob die von Guidi angenommenen zwei Rezensionen genügen oder noch
mehr vorliegen. Es fehlt vor allem an einer vollständigen und einigermaßen
genügenden Ausgabe des äthiopischen Textes. Der Rückführung des Mashaf
auf den Paris. Arab. 4811 steht im Wege (wenn dieser tatsächlich dem Jahre
1723/4 entstammt), daß die äthiopischen Handschriften ins 16. Jahrhundert
zurückgehen, die Übersetzimg also älter als die angenommene Vorlage wäre.
Weder Merkle noch Euringer lag der vollständige äthiopische Text vor. Vor
allem kennt man keines der genannten Werke Hunain's im Original. Zweifel-
los gibt es Berührungen und Übereinstimmungen, aber sie allein genügen
gegenüber einer Gattung, da das überlieferte Gut von Hand zu Hand
weitergereicht wird, schwerlich.
Was im Folgenden gegeben wird, geht in anderer Richtimg. Die Ver-
fasser empfinden schmerzlich, daß auch ihre Beobachtungen vorläufigen
Charakter tragen und sich erst erhärten lassen, wenn die oben umrissenen
Forderungen einmal erfüllt sein werden. Immerhin glauben sie einiges beob-
achtet zu haben, worauf keiner der bisherigen Bearbeiter gestoßen war.
Zur Verfügung stand ein Photo der Frankfurter Handschrift, die heute
die Signatur „Ausst. 14" trägt. Euringer setzt sie, L. Goldschmidt 14
folgend, in die Mitte des 18. Jahrhunderts 16 . Hier sind die Sprüche in
Gruppen zusammengefaßt und diese durchgehend numeriert. Die Zählung
ist in Dillmanns Chrestomathie und in Euringers Übersetzung zugrunde-
gelegt; auch im Folgenden wird nach ihr angeführt 17 .
2
Äußerlich gesehen, zerfallen die Sinnsprüche in solche, die unter dem
Neimen ihrer Urheber mitgeteilt werden, und solche, die dieser Herkunfts-
bezeichnung entbehren. Euringer hat gezeigt, daß zwei der anonymen
15 Die abessinischen Handschriften der Stadtbibliothek zu Frankfurt am Main
(1897) 5 4 * ·
1 8 a. O. 361.
17 Sie springt von 109 auf 120: C. H . Cornill, a. O. 8. Sie läßt überdies 195 aus.
218 FRÜH- UND SPÄTSASANIDISCHE KULTUR
Sprüche (170 und 256) in der unter dem Namen des Hermes Trismegistos
gehenden Sammlung (5, 6 p. 44 und 12, 3 p. 95 Bardenhewer) wiederkehren 1 .
Bei einem weiteren Spruch (71) glaubt er Berührungen mit Dan. 12, 3 zu
erkennen2. Es läßt sich hinzufügen, daß 17, 178 und 288 mit dem Verfasser-
namen harmes, hermes angeführt werden. Schließlich ist auf 25 hinzuweisen:
takäräni mä'Smer ySheySs emena abd radä't. Euringer übersetzt: „Ein
widerstrebender Meister ist besser als ein hilfsbereiter Tor." Doch offen-
kundig ist gemeint: „Ein kluger Gegner ist besser als ein törichter Helfer."
Daß dem so ist, zeigt das bei a§-Sahrastäm, kiiäbu l-milali wa-n-nihal 305,
15f. Cureton erhaltene arabische Original: 'älimun muänidun hairun min
gähilin mansaf. Es wird als einer der Sprüche Demokrits angeführt, wozu
wir uns oben 3, 137 f. und andernorts 3 geäußert haben. Zwei weitere Uber-
einstimmungen mit diesen hat Cornill vermerkt 4 ; die Tübinger Handschrift
führt einmal demkrät geradezu an 5 .
Euringer entnimmt dem Gesagten, daß Hunain die Sprüche stets mit
Verfassernamen gebracht habe, daß aber seine Anordnung „im Laufe der
Überlieferung" in Unordnung geraten sei®. Möglich bleibt indessen eine
andere Deutung. Sprüche mit und ohne Verfassernamen setzen ein verschie-
denes Verhältnis zum Mitgeteilten voraus. Im ersten Fall wird die innere
Überzeugungskraft des Spruches noch durch die Autorität seines Urhebers
gestützt; im zweiten glaubt man dieser Bestätigung entbehren zu können
oder wünscht sie geradezu nicht. So könnte es sein, daß in der äthiopischen
Übersetzung oder schon vorher zwei verschiedene Sammlungen zusammenge-
flossen sind. Im Folgenden wird ausschließlich das mit Verfassernamen ver-
sehene Spruchmaterial herangezogen. Zur Übersicht geben wir eine vollstän-
dige Zusammenstellung, nach der Reihenfolge des Vorkommens geordnet:
eskender 9. 68. 255. 285
aflätön 10. 12. 31. 136. 170. 185. 203.
209. 231. 241. 269
diyögänes 11. 14. 55. 59. 63
harmes, hermes 17. 188. 228
a. O. 366 Anm. 4.
2
β a. Ο. 362.
9. „DIE MEINUNGEN DER WEISEN PHILOSOPHEN" 219
„Häresie 9 des Abialls" {nüfäke tarähköt fol. 4b—5a) in keiner Weise mit der
Vorurteilslosigkeit gegenüber sämtlichen erreichbaren Richtungen der Reli-
gion und Philosophie, die allenthalben hervortritt.
Da ist die Schilderung, wie ein Weiser zu einem anderen kommt, der
einsam ist und diesen auf solche Einsamkeit hin anspricht (fol. 16 a—17 b).
Der Angesprochene verweist auf die Bücher, die ihn umgeben und mit denen
er sich unterhalten kann. Er zählt auf (fol. 16 b — 1 7 a): gälinös, abkrät,
sekrät, aflätön, arlstätälis, aklandinös, hermSs, farföryös, görgöryös, däwit
und päwlös. Man wußte bisher nicht, wer aklandinös ist. Setzt man das äthio-
pische Wort in arabische Schrift um, so könnte statt 'klndynws auch
'flndynws, 'flwnyws gelesen werden. Man hätte dann Apollonios, doch wohl
den von Tyana, und sein Name fügt sich dem Kreis der Genannten. Im
Großen stimmt diese zweite Liste zur zuvor zusammengestellten. Paulus ist
hinzugetreten, aber auch Porphyrios, der Christenfeind. Wer dies schrieb,
war nicht der Verfasser der Einleitung, der vor der Ketzerei des Abfalls
warnt. Er war von der gleichen Vorurteilslosigkeit wie jener, der in seiner
Spruchsammlung die zusammengestellten Namen anführte. Er sagt viel-
mehr ausdrücklich: „Und nicht kenne ich Häresie {nüfäke) überhaupt."
Er gebraucht dasselbe Wort wie die Einleitung, lehnt aber den Begriff der
Häresie ausdrücklich10 ab.
Das Bild bestätigt sich, wenn man die Liste mustert. Der Philosoph
eräklis bleibt seiner Herkunft nach unbekannt. Gewiß werden Christen an-
geführt : Basileios der Große und ein Gregorios, sei es der von Nazianz, sei
es der von Nyssa, Sextus 11 , Mönche und Märtyrer12. Aber daneben stehen
griechische Philosophen wie Piaton, Diogenes, Aristoteles, Sokrates und
Pythagoras. Oder ein griechischer Dichter, Simonides, und Hermes Tris-
megistos, jüdische Weise wie David und Salomon, der weise Ahikar 13 und als
Vertreter der römischen Welt Cicero und ein ungenannter römischer Kaiser
(wenn nicht ein oströmischer oder byzantinischer gemeint ist). Weiter darf
hervorgehoben werden, daß Ärzte wie Galenos und Hippokrates eine bevor-
zugte Rolle spielen und neben ihnen der Mathematiker, Astronom und Geo-
graph Ptolemaeus; daß königliche Weise auftreten wie Alexander, der schon
genannte römische Kaiser, David und Salomon. Endlich muß gesagt werden,
daß innerhalb dieses reichen Repertoires alles fehlt, was in arabischeZeit
weisen könnte.
Merkwürdiger noch als alles Aufgeführte ist, was jetzt gesondert be-
sprochen werden muß.
i83f.). Die auf Ahikar bezügliche Stelle 215 hat C. H. Cornell, a. Ο. igy., übersetzt.
Der zweite Spruch gibt eine vollständigere Fassung des dreizehnten unter den Weis-
heitsprüchen Demokrits, die Sahrastäni 305, 2 f. Cureton erhalten hat. Dazu Altheim-
Stiehl, a. O. 2. Lfg. (1960), 188 f., besonders 189; oben 3, 137 f. Wieder betätigt sich,
daß Demokrit einen Teil seiner 'Ηθικά Ahikar entnommen hat; vgl. Altheim-Stiehl,
a. O. 185 f.
1 F. Justi, Iranisches Namenbuch (1895) 74 r. s. v. BurzöS; unrichtig C. H. Cornill,
a. O. 15.
222 FRÜH- UND SPÄTSASANIDISCHE KULTUR
4 De Lacy O'Leary, How Greek Science passed to the Arabs 69; 71; weiteres bei
7 a. O. 82.
8 a. O. 15.
9 A. Dillmann, Chrestom. Aethiop. 205 links's. v.; Lexic. ling. Aethiop. 1414;
Nachtrag zu S. 220. Äthiop. aklandinös führt auf arab. 'ktndynws oder 'flndynws.
Letztes hätte im Mittelpersischen — unter Berücksichtigung dessen, das dort w und
η mittels desselben Zeichens sowie y durch d oder dy (W. B. Henning in; Handbuch
der Orientalistik 4 , 1 , 6 7 1 ; oben 1,204 f.) wiedergegeben wurden — 'plndynws 'plwynws
zu lauten. Mit einfachster Umstellung von η und y ergibt sich 'plwnyws. Vor allem
die Schreibung d{y) bestätigt, wenn es dessen noch bedarf, daß die arabische Über-
setzung durch eine mittelpersische auf das griechische Original zurückging.
VIERTES BUCH
SPÄTSASANIDISCHE
KULTUR UND HUNNEN
16 Altheim, Hunnen Τ
ΙΟ. K A P I T E L
CHINA
Zu Anfang mag Bekanntes, ohne Absehen der Vollständigkeit, ange-
führt werden. Die letzten Jahrzehnte der sasanidischen Herrschaft, und
noch das darauffolgende Jahrhundert bildeten eine Zeit lebhafter Ausein-
andersetzung zwischen China auf der einen Seite, Persern, Soghdern, Ost-
türken und Arabern auf der anderen. Erst die Schlacht bei Samarkand 7 5 1
setzte dem ein vorläufiges Ende. Hortfunde sasanidischer Münzen, in Nord-
west-China gemacht, lassen erkennen, daß den politischen und militärischen
Ereignissen ein lebhafter Handel zur Seite ging. Die Reste chinesischer
Seiden, die man auf dem Berge Muy gefunden hat (oben 2, 83); weitere
Seide in Kudyrge, zusammen mit bronzenen Spiegeln und Münzen chine-
sischer Herkunft 1 ; eiserne Pflugscharen, in China gegossen und am Orte
nachgeahmt, am mittleren Jenissei2 — sie alle zeigen, wie weit die wirt-
schaftlichen Beziehungen ausgriffen.
Schon unter den Sui, unter Yang-ti 605—17, wurden sasanidische Stoffe
und Goldbrokate in den kaiserlichen Manufakturen nachgewebt. Auch die
Gläser, die China aus oder über den iranischen Westen zukamen, hat man
nachgeahmt; hier wie dort übertraf die eigne Fertigung bald das fremde
Vorbild. Der Sösöin von Nara, überall von der Stärke des sasanidischen Ein-
flusses zeugend, bestätigt das Bild seitens der Metallarbeiten. Auf
ihnen blieben langehin sasanidische Motive führend, mag man sie auch zu-
nehmend ins chinesische Formgefühl umgesetzt haben. Auch bei manchen
Gefäßformen ist westlicher Ursprung nicht zu verkennen, wiederum durch
Iran vermittelt.
Doch das späte Sasanidenreich war nicht nur groß im Geben. Minde-
stens ebenso lebhaft äußerte es sich im Nehmen, und dies wiederum gegen-
über dem China der T'ang und ihrer Vorgänger.
Ausgegangen sei von der frühislamischen Zeit. Das apokryphe Johannes-
Evangelium in arabischer Sprache legt Jesus die Ankündigung in den Mund,
1
A. Mongait, Archeology in the U S S R . (1959) 304.
2
Α. Mongait, a. Ο. 306.
16*
228 SPÄTSASANIDISCHE KULTUR UND HUNNEN
den Arabern werde der König Chinas Geschenke bringen3. Unter den Toren
Samarkands nennt Mukaddasi4 an erster Stelle den bäb as-sin. In der Tat
muß der Nordosten Irans einen großen Durchgangsverkehr aus China nach
dem gesamten Vorderen Osten gesehen haben. Nicht nur Samarkand selbst,
auch Nesäpür®, und weiterhin Susa, Samarra® sowie Fustät im Niltal sind die
hauptsächlichen Fundplätze einer eigentümlichen Keramik: einheimischer
Fortbildungen der in lebhaften Farben gehaltenen Schöpfungen der T'ang-
Zeit. Vom 9.—11. Jahrhundert herrschte die gefleckte und überdies mit
Grafitto-Mustern verzierte Ware in den Ländern des östlichen Kalifats
allenthalben vor 7 . Daneben begegnen frühe chinesische Porzellane: zuerst
in Sämarrä zutage gekommen8, ließen sie sich bald in Susa und in den ge-
waltigen Ablagerungen von Fustät feststellen, wo die Funde bis zur Kera-
mik der Sung-Zeit herabreichen®. Auch in Nesäpür und in Kasr-i Abü Nasr
konnten die amerikanischen Ausgräber aus den Scherben eine Muster-
karte vieler Gattungen zusammenstellen (Abb. 10—11) 10 .
Gleichzeitig tauchen die ersten Erwähnungen chinesischen Porzellans
in der arabischen Literatur auf. P. Kahle 11 hat die Zeugnisse behandelt,
zu denen neuerdings Äußerungen des 851 schreibenden Verfassers der
ahbär as-sin wa-l-hindis und Marwazi's13 gekommen sind.
Den Übergang zur spätsasanidischen Zeit vermittelt die dritte Stadt von
Susa. Sie gehört ins 7.—8. Jahrhundert und umfaßt das Ende der sasani-
dischen sowie den Beginn der islamischen Kultur. In dieser Spanne des
Werke der Weltkunst (japan., Tökyö, Heibonsha-Verlag) 9, 112 Abb. 260; Loan Exhi-
bition of the Arts of the T'ang Dynasty, London 1955, pi. 9a; vgl. 10a.
16 B. Gray, a. O. 5; 7.
18 J. M. Unvala, Der Pahlavi-Text „Der König Husrav und sein Knabe" (Heidelb.
Farbtafel 10.
1 8 D. Barret, Islamic Metalwork in the British Museum fig. 5 (a). Dazu das inter-
essante Stück des Musie Cernuschi, das M. van Berchem in: v. Berchem-Strzygowski,
Amida 127f. behandelt hat.
230 SPÄTSASANIDISCHE K U L T U R UND HUNNEN
Merkwürdig genug, daß sich Mohammed aus der Beute, die den Banü
Kainukä', dem Stamm jüdischer Goldschmiede in Medina, abgenommen
wird, einen Panzer wählt, der den Beinamen des „soghdischen" (as-sugdiya)
trägt20. Neben China erscheint demnach dessen Nachbarvolk, das seine Nie-
derlassungen bis tief ins Reich der Mitte ausgedehnt hatte. Auch der Moschus
im Besitz der Banü η-Nadir 21 verweist nach Mittelasien. Uberall befindet
sich die fernöstliche oder mittelasiatische Ausfuhr in jüdischem Besitz, und
die Nennung von Soghd wie der Handel mit Moschus mögen andeuten, auf
welchem Weg der chinesische Spiegel nach Medina gelangt ist.
Es folgt die Seide. Über die persischen Zwischenhändler, die chinesische
Seide von Indien her zur See einführten, wird noch zu sprechen sein. Theo-
phanes22 erwähnt aus der Beute von Dastagerd μέταξαυ πολλή ν, dann
όλοσήρικα ί μάτια. Seide an sich bedeutet noch nicht, daß es sich um Ein-
fuhr handelt; man verstand sie seit dem 5.—6. Jahrhundert in Iran selbst
herzustellen23. Aber bei den όλοσήρικα führt schon der Name nach dem
fernen Osten24. Und dem entspricht eine Nachricht bei Mas'üdi25.
Danach hatte der König China's (feigfür) an Chusrö I. Anösarvän einen
Brief und kostbare Geschenke gesandt, darunter ein Gewand aus chine-
sischer Seide. Es war mit Gold durchwirkt ('asgadi), der Grund in der Farbe
von Lapislazuli (läzuward)2e. Eingewebt, gleichfalls in Gold, war ein in
seinem twän thronender Herrscher, mit königlichen Gewändern und Krone
angetan; ihm zu Häupten Diener mit Fliegenwedeln. Es sind bekannte Vor-
würfe der gleichzeitigen Kunst Chinas, die in solcher Beschreibung ent-
gegentreten.
Den thronenden Herrscher, Diener mit Fliegenwedeln zeigt die Bosto-
ner Seidenrolle von 627—67327. Sie zeigt auch Staatsgewänder und Krone28.
Das bekannte Relief in Köln mit den Gesandtschaften29 mag verdeutlichen,
was sich der Berichterstatter unter dem königlichen Iwan vorgestellt hat.
Ebenso darf man die rundbogigen Nischen heranziehen, in die chinesische
20
Ibn Sa'd 2, 1, S. 20, 4.
21
Baläduri 30, 1 1 f. de Goeje.
22
494, 14 f. Bonn.
23
K. Erdmann bei B. Spuler, a. O. 279.
24
F. Altheim, Weltgesch. Asiens i, 6 3 ! und im nächsten Abschnitt dieses Kapitels.
25
Murüg 2, 200, ι ο ί . Barb.
26
Dazu W . Eilers in: Archiv Orientilni 22 (1954), 3 3 6 ·
27
Sämtl. Werke der Weltkunst 8 Abb. 43.
28
Ebenda 8 Abb. 40; 4 2 ; 44.
28
Ebenda 8 Abb. 3 3 — 3 4 .
xo. CHINA 231
Farbtaf. 15; Mosaku Ishida und Gunichi Wada, The Shosoin, an Eighth Century Trea-
sure-House (japan., mit engl. Inhaltsangabe, Tökyö 1954) Tai. 146.
3 6 Werke der Weltkunst 8 Abb. 119; 122; Mosaku Ishida u. Gunichi Wada, a. O.
Tai. 21.
3β Α F. Kendrick, a. O. 48; 50f.; Tai. 51 a—d; M. Feddersen, Chines. Kunstge-
41 F. Hirth in: JAOS. 37, io8f.; W. Barthold in: Enc. Isl. 2, 64f.; A. Mez, Renais-
61 M. Suenaga, a. O. 315.
ΙΟ. C H I N A 233
sasanidische Panzer (in verbesserter Form, so wird man annehmen dürfen)
als Geschenk und das besagt: als Einfuhr aus dem östlichen Nachbarland
zu ihren Ursprüngen zurück.
Eine der wichtigsten Entlehnungen aus China bildete die Armbrust. Seit
den späten Chou ist sie in China bekannt 62 und hat von dort den Weg nach
Japan angetreten83. Baläduri 64 gibt von der Schlacht bei Kädisiya den Be-
richt eines Teilnehmers auf persischer Seite, der sich als magüsi bezeichnet.
Danach habe der Pfeilregen, mit dem die Araber die Schlacht eröffneten, eine
starke Wirkung ausgeübt. Dann heißt es: „Und es schoß bei uns ein Mann
aus der Armbrust ('an il-kausi n-näwakiya), aber nicht bewirkte ihr (der
Armbrust) Pfeil mehr, als daß er sich verfing im Kleide eines von ihnen
(eines der Araber) 66 , wohingegen der Pfeil von ihren (der Araber) Pfeilen den
iesten Panzer und den doppelten Küraß spaltete, den wir trugen." Es ist
unseres Wissens zum ersten und einzigen Mal, daß man von der Armbrust im
sasanidischen Heer hört 6 '. Vermutlich war sie neu eingeführt und konnte
darum sich im Kampf nicht auswirken. Eine bildliche Darstellung der Waffe
ist uns gleichfalls nicht bekannt geworden.
China muß, gleich Byzanz im Westen, für die spätsasanidische Zeit das
große Reich im Osten gewesen sein. In letzter Not sandte Yazdgard III.
auch an China um Hilfe gegen den arabischen Eroberer 57 . Er tat es mit
der gleichen Begründung, mit der sich einst Chusrö II. A/Jarvez in Not an
Maurikios gewandt hatte, daß Könige einander beistehen müßten58. Yazd-
gard's Vorhaben stieß freilich auf den Widerstand der persischen Großen
und war der Beginn seines Unterganges69.
52 Η . H . Doubs in: T ' o u n g P a o 36, yoi.; W . W . Tarn, Hellenist. Military and N a v a l
Developm. 1 0 2 f . ; A . Stein, Serindia 2, 7 5 8 f . ; Innermost Asia 1, 290f.; F. Bergmann in:
Archaeol. Researches in Singkiang (Sino-Swedish E x p e d . 7) 1 6 3 f . ; A. Lippe in: Amer.
Journ. Arch. 1952, 233; Κ . Huuri in: Studia Orientalia 9, 3 (1941), 110.
53 M. Suenaga, Die W a f f e n des alten Japan (japan., T ö k y ö - K y ö t o 1941) T a f . 76;
K . Huuri, a. O. n o ; 197.
64 268, 21 f.; dazu K . Huuri, a. O. 113 Anm. 2.
55 Barhebr., Chron. syr. 102, 5 f . B e d j a n sagt ein Perser von einem Beduinen
(ma'dyä), er habe alle auf ihn abgeschossenen Pfeile mit seinem Ärmel (b-pedyäteh) auf-
gefangen.; vgl. oben 4, 41.
M Vermutungen bei K . Huuri, a. O. 101; 103; 109. D a s Bekanntwerden der B y -
zantiner mit der Armbrust schildert A n n a K o m n e n a 10, 8 P. 291 A ; 2, 42, 1 3 f . ; dazu
Ducange's gelehrte Anmerkung 605 f. Bonn.
57 Tabari, ann. 1, 2683, 4; 2688, 1 7 ; 2690, 1 5 !
68 Tabari, ann. 1, 2691, 3 f . ; vgl. 2685, 1 1 ; dazu unsere Bemerkungen in: E i n asiat.
Staat 1, 210; 216.
" Tabari, ann. 1, 2688, i 7 f .
234 SPÄTSASANIDISCHE KULTUR UND HUNNEN
Der Name der Seide in den klassischen Sprachen ist ein doppelter. Auf
der einen Seite steht σηρικόν, sericum, auf der anderen mittellat. seta mit
seinen Ableitungen: ahd. sida; mhd. ags. side; span, seda; ital. seta] frz. soie.
Beide Bezeichnungen erscheinen gelegentlich vereint als seta serica1, sind aber
von durchaus verschiedener Herkunft.
Die übliche Ableitung des mittellat. seta von saeta „Borste, Tierhaar" 3
hat sachlich alles wider sich. V o n vornherein ist, wie sericum auf σηρικόν
zurückgeht, auch für seta ein griechisches E t y m o n zu erwarten. Als solches
bietet sich an σης, σ η τ ό ς „ W u r m , Motte". Das Wort, das zuerst bei Pindar 3
gegegnet, wird von Suidas und Hesych ausdrücklich in der Bedeutung
„ L a r v e , R a u p e " (σκώληξ) bezeugt 4 . Σ κ ώ λ η ξ aber bezeichnet auch, bei dem
Komiker Epigenes 5 , den „Spinnrocken" und bei Eusthatios geradezu den
„Seidenwurm" 8 . Formell entspräche seta genau dem A k k u s a t i v σ ή τ α , und
dies erklärt auch die Entstehung des mittellateinischen Wortes 7 .
B e i Augustin heißt die Sphinx im Nominativ sphinga, was nur den
griechischen A k k u s a t i v σ φ ί γ γ α wiedergeben kann. Daneben begegnen, auf
gleiche Weise gebildet: hebdomada, decada, salpinga, pentecosten, als latei-
nische Nominative. Überhaupt ist im Vulgärlateinischen und in den roma-
nischen Sprachen der A k k u s a t i v an die Stelle des Nominativs getreten.
Wenn die Cippen von Pisaurum matronas statt matronae haben, so ist der
vulgärlateinische Stand bereits erreicht. A b e r auch für den T y p u s sphinga
finden sich frühzeitig Belege. Crisida auf einer praenestinischen Cista des aus-
gehenden 3. Jahrhunderts v. Chr. kann nur die homerische Chryseis meinen 8 ,
und creterra findet sich bei Naevius®. A u c h lat. Numida gibt den A k k u s a t i v
νομάδα, nicht den Nominativ wieder. Vor Agrigent 262 stießen die Römer
erstmals auf eine numidische Truppe des karthagischen Heeres.
Ducange 3, 2, 246.
2
3 fr. 222 Sehr, σης Nom. Sing. Aber noch Aristoph., Lys. 730 σέων Gen. Plur.
(F. Specht).
4 Paus. 6. 26, 6; Hesych. Σήρες.
Pollux 7, 29.
5
Ρ· 3°4- 70.
6
7 Zum Folgenden F. Altheim, Rom u. d. Hellenismus 65f.; Literaturangaben 134
Schrift 702.
9 fr. 6 Morel.
ΙΟ. CHINA 235
esse: quippe Hesychio et Suidae σής, σητός est σκώληξ seu vermis, qui net sericum.
1 3 Lidell-Scott σηρικός.
14 is p. 693!
15 F . J a c o b y zu FGrHist 133 F 19 denkt bei εϊρηκε auch an Megasthenes. E r
druckt die ganze Partie, die auf τοισΰτα δέ καΐ τά σηρικά folgt, als nicht sicher
nearchisch mit kleinen Lettern.
16 754 f-
17 Strabon 11 p. 516.
236 SPÄTS AS ANIDISCHE KULTUR UND HUNNEN
18 R. H. McDowell, Coins from Seleucia 170f.; 220; weitere Angaben und Erörte
C. Müllers Herodot p. 86b) kommt nicht in Frage: C. Müller, Geogr. gr. min. 2, 152 zu
Dion. Perieg. 754.
21 Plin., n. h. 6, 5 4 I
22 F. Bergmann, Archeol. Researches in Sinkiang (The Sino-Swedish Exped. 7) 128.
23 F. Bergman, a. Ο. 146.
24 Sir Aurel Stein und F. Η. Andrews, in: Burlington Magaz. 37, 3f.; 7 i f . ; 147!;
funden. Aber die Gräber von Noin Ula in der Äußeren Mongolei sind erst
in die Jahre um die Zeitwende zu setzen27.
Von entscheidender Bedeutung ist der Name der Serer selbst.
Ihm zugrunde liegt das chinesische Wort für die Seide: si2S. Man weiß
heute, daß Seide bereits unter der Yin-Dynastie in Gebrauch war29. Das
Zeichen dafür, ein Seidengespinst nachahmend, findet sich auf einem der
alten Orakelknochen aus der Zeit der Yin und auf einer Chou-Bronze von
etwa 950—77030. Als Lautwert ist mittelchines. st, altchines. *spg anzu-
setzen.
Bei den Finalen auf -pd läßt sich folgende Entwicklung feststellen81:
Archaisch: Altchinesisch:
Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3
*k'pd k'pi k'pi k'jei
*lpd Ipi liei Iji
Ähnlich liegt es bei den auf -pg: archaisch *kpg > altchines. kji32.
Nun hat man bei den Finalen auf -ad, -pd und Verwandten zwischen dem
ursprünglichen Dental und der späteren Vokalisierung eine Zwischenstufe δ
gefordert, also einen Spiranten, der den Übergang zu r in manchen Dialekten
erklärt33. Entsprechend müßte man bei den Finalen auf -pg eine Zwischen-
stufe γ ansetzen, wiederum also eine Spirans. Daß sie in altchin. *spg
ebenfalls nach r hin lautete, zeigen34 mongolisch sirgek und mandschurisch
sirge „Seide". Dieses altchines. *spg in seiner zweiten Stufe spy, nach *spr
hin lautend, hat den Ausgangspunkt für den iranischen und den griechischen
Namen der Seide gebildet36.
17
P. W. Yetts in: Burlington Magaz. 48, vgl. 2 5 8 I
2$
B. Karlgren, Etudes sur la phonologie Chinoise 730 Nr. 200; Grammata Serica
383 Nr. 934 a—c.
28
V. Sylwan in: BMFEAStockh. 9, 119f.
10
B. Karlgren, Grammata Serica 384 Nr. 974 b c.
21
B. Karlgren, a. O. 23t.; vgl. BMFEAStockh. 5, i6f.
92
B. Karlgren, Gramm. Serica 34 f.; zum zeitlichen Verhältnis beider Klassen 35
Anm. 1.
** P. Pelliot in: T'oung Pao 1915, 3; B. Karlgren, ßtudes sur la phonologie Chi-
noise 603f.; BMFEAStockh. 5, 32; H. W. Bailey in: BSOS, 8, 886.
24
O. Franke, Gesch. d. chines. Reiches 3, 347 Anm. 9. Ein Wort sil gibt es im Korea-
nischen nicht, nur sil „Faden" (H. Junker).
ss
Gegen B. Laufer, Sino-Iranica 5 3 7 t ; P. Pelliot in: T'oung Pao 13, 741 Anm.
Über r = altchines. γ vgl. W. Simon bei O. Franke in: SBAW. 1934, 269; B. Karlgren
war so freundlich, auf eine Anfrage Auskunft zu geben: „ I t is quite possible that
*si'G> « has a middle stage: *sj.9g > *s{)y > si. Walter Simon has advanced the
theory, that the guttural final in words of this category never was a real g, but a
238 SPÄTSASANIDISCHE KULTUR UND HUNNEN
fricative γ, and he believes t h a t *spy was the basis οί Ser(es), just as northern
German „ W a g e n " (wayin) comes phonetically very close t o waren (with velar r). See
W . Simon in: Mitt. Sem. Orient. Sprach. 1927, 20". Säräh ,,a strip of white silk"
(H. Junker).
3β P. Y . Saeki, The Nestorian Documents and Relics in China 69; 80; 100; 380.
37 I n : T ' o u n g P a o 25, 91 f.; dazu Η. Η . Schaeder, Iranica. A b h G G W . 3, Ν. F .
10, 46L
38 Η . Reichelt, D. soghd. Handschriftenreste d. Brit. Mus. 2, 70; Η. H . Schaeder,
a. O. 49 A n m . 2.
3· H. Reichelt, a. O. 2, 12; Η . H. Schaeder, a. O. 49; W . B. Henning in: B S O A S .
12 (1948), 6 o i f .
40 Geogr. 7, 3, 5.
41 Ähnlich Η . H . Schaeder, a. O. 49; über die Beziehung zu den Σήρε; weiter unten.
42 Η. H. Schaeder, a. O. 4 2 f . ; 4 4 f . ; vgl. F . Bergman, a. Ο. 1 2 7 ; über die Soghder im
Lop-nor-Gebiet: P. Pelliot in: Journ. asiat. 1916, 1 1 5 f.; Sir Aurel Stein, Serindia 2, 653 f.
43 E . Chavannes in: T ' o u n g Pao 1909, 199f.
44 T h e o p h y l a k t . 7, 9, 2 — 1 1 de Boor; Η . Η . Schaeder, a. Ο. 44*·; Ρ· Α . Boodberg in:
H a r v . Journ. Asiat. Stud. 3, 223 f.
45 Η . H . Schaeder, a. O. 49.
10. C H I N A 239
dischen und in der syrischen Fassung der Inschrift von Hsi-an-fu defective
geschrieben: Sry. Σήρες, Σήρα, σήρ und σηρικόν weisen jedoch auf einen
langen Vokal in der Stammsilbe. Es kommt hinzu, daß der Name der Σηρε$
erstmals in einer Zeit belegt ist, die der soghdischen Vermittlertätigkeit
lange vorausgeht.
Die Quantität eines chinesischen Vokals44 ist abhängig von der Tonhöhe
und der Stellung des Wortes im Satz. Besonders schwankend ist in den
einzelnen Dialekten die Quantität eines einfachen Vokals in geschlossener
Silbe (wie im Falle *spg). Vermutlich konnte ein Fremder ihn ebenso als
längeren wie als kürzeren Laut hören. Unter dieser Voraussetzung könnte
nicht nur soghd. Saray auf altchin. *spg, *s{9r zurückgeführt werden,
und die eines lang gesprochenen a52 durch ä, da ein langes ä fehlt, die einzig
mögliche.
Unter der Voraussetzung, daß säräk wirklich ein seidenes Kleidungsstück
bezeichnet, finden die griechischen Bezeichnungen ihre Erklärung. Jeden-
falls würden sich Σήρ Nom. Sing, und das Appellativum σήρ als ionisierte
Form des im Tocharischen Α als Etymon anzusetzenden *sär verstehen
lassen. Und σηρικών mit seiner -&o-Bildung entspräche der -^-Erweiterung
von säräk. Auch σηρικών, sericum bezeichnen nicht die Seide als Stoff,
sondern das daraus gefertigte Gewand.
NACHTRAG ι
4 a. O. 67 f.
• Schall schreibt s.
ΙΟ. C H I N A 241
lautes. Dieser begegnet im Semitischen als s. Als Beispiel sei hebr. sappir,
syr. sappilä, .Saphir* aus altind. sanipriya- ,vom Saturn geliebt' angeführt 7 .
Wir besitzen aber auch Beispiele, wo für s ein syrisches £ eintritt.
In seinen „Gesammelten Abhandlungen" p. 71 Nr. 177 verbesserte
Lagarde das aus Bar Bahlül stammende, bei Payne Smith Sp. 4343 ange-
führte SwSmyr in SwSmr und setzte es altind. sumsamära gleich (das Wort hat
die Bedeutung .Alligator, Krokodil'). Sumsamära- fand ich weder in der
großen noch in der kleinen Ausgabe des Böhtlingkschen Wörterbuchs be-
legt, doch kommen vor: Böhtl., Wb. i. k. F. V I 239c sisumära- .delphinus
gangeticus, auch Alligator' und ebenda VI 230 simsumära-. Für das Neu-
persische bietet allerdings Steingass, A Persian-English Dictionary s. v.
ähnlich wie Lagarde a. 0. swsm'r „a species of green lizard".
Wenn ferner bei Böhtlingk Wb. i. k. F. Lautwiedergaben wie sah für neu-
pers. Sah (nebenbei sähnäma- ,Säh nämeh' VI 230) VI 229 vorkommen,
wenn neupers. Sah „Ast", hier allerdings auf Verwandtschaft beruhend, dem
altind. säkhä- entspricht8, ist es wohl erlaubt, syr. Seräyä in diese von Alt-
heim aufgedeckte Wanderung des Wortes .Seide' hineinzunehmen und ihm,
das nach Ausweis des Lautstandes schon ziemlich früh einem arab. sirä5 8 als
Grundwort diente, einen festen Punkt in Kultur- und Lehnwortbeziehun-
gen des alten Orients anzuweisen."
NACHTRAG 2
DIE NACHFOLGER
DER EUROPÄISCHEN HUNNEN
Bei den europäischen Hunnen und ihren Genossen, den Alanen, hatte
sich gezeigt, daß, wo immer man unter der Einwirkung iranischer Kultur
stand, diese alle Kennzeichen der frühsasanidischen Zeit aufwies. Der Nach-
weis, der im vorigen Band geführt wurde, braucht nicht wiederholt zu
werden. Hingegen muß, um der Bestätigung und Abrundimg des Ergeb-
nisses willen, das Gegenbild gezeichnet werden. Als die Hunnen sich nach
Europa wandten (375), hatten sie sich gleich ihrem Muttervolk, den Heph-
thaliten, eine unbestimmt lange Zeit am Balkasch-See und ein knappes
Jahrzehnt im Land nördlich des Oxos aufgehalten. Schwerlich genügte
diese Spanne, um sich von der frühsasanidischen Kultur durchdringen zu
lassen. Deren Spuren sind denn bei den europäischen Hunnen gerade noch
zu erkennen; tiefer gingen sie nicht. Anders stand es mit den Nachfolgern.
Zu dem Zeitpunkt, da das große Hephthalitenreich unter osttürkischem
und sasanidischem Druck zusammenbrach (558), im Anschluß daran die
Awaren, einige Jahrzehnte später die Proto-Bulgaren und Chazaren sich
aus dem bisherigen Verband lösten und westwärts zogen, hatte man zwei
Jahrhunderte in Nachbarschaft des Sasanidenreichs gelebt. Man hatte mit
diesem gekämpft, es besiegt und beherrscht; man hatte zuletzt den kürzeren
gezogen. Es war unausbleiblich, daß man sich der Einwirkung der Kultur,
in diesem Fall der spätsasanidischen, nicht verschloß.
Zwei Umstände kamen hinzu, um diese Einwirkung nachhaltig werden
zu lassen. Der hephthalitische Stamm hatte sich zuletzt mehr oder weniger
iranisiert, hatte die türkische Sprache mit der soghdischen vertauscht
und sich so angepaßt, daß die Zeitgenossen Hephthaliten und Soghder kaum
noch zu unterscheiden vermochten. Besonders der herrschende Stamm war
von dieser Veränderung betroffen worden, während sich die noch nomadisch
lebenden, am Rand der Sogdiane und in der Steppe beheimateten Stämme
von solcher Iranisierung freigehalten hatten. Auch die Soghder selbst
16*
244 SPÄTSASANIDISCHE K U L T U R UND HUNNEN
waren seit langem vom sasanidischen Einfluß erfaßt. Mehr noch: sie sahen
sich, nach geographischer Lage, politischer Stellung, wirtschaftlicher Aus-
dehnung und als Handelsvolk, das sie waren, eingespannt in das Kraft-
feld, das die ständig sich verstärkenden Beziehungen zwischen dem
spätsasanidischen Reich und der gerade emporgekommenen chinesischen
Dynastie der T'ang bildeten. Damit ist der zweite Umstand berührt,
der zur Sprache kommen soll.
Die Sogdiane als Durchgangsland des Seidenhandels ist zuvor entgegen-
getreten. Paikand als Umschlagsplatz dieses Handels wurde aus den ara-
bischen Berichten deutlich (oben 2, 81 f.; 83f.; 282) und im Zusammenhang
damit der Gewinn, den die soghdische Kaufmannschaft tätigte. Die alten
soghdischen Briefe zeigen, daß dortige Handelshäuser Agenten in der chine-
sischen Hauptstadt unterhielten und diese sie über alle wichtigen Gescheh-
nisse unterrichteten1. Aufschlußreich ist, daß sich im Archiv des sogh-
dischen Dynasten Divästic (oben 2, n6f.), von sowjetischen Forschem
auf dem Berge Muy gefunden, neben Briefen in soghdischer Sprache nur
jeweils einer in osttürkischer und arabischer, dagegen acht in chinesischer
gefunden haben2. Zeitweilig hat China sogar Oberhoheit über Städte
wie Samarkand und Buchara beansprucht3. Bei dem Hin und Her der Ein-
flüsse, die sich vorzugsweise im 6. und 7. Jahrhundert abzeichnen, bildeten
China und sasanidisches Reich einen zunehmend gemeinsamen, sich gegen-
seitig angleichenden Kulturbereich, dessen Auszahlungen sich keines der
dazwischenliegenden oder angrenzenden Völker entziehen konnte.
So ist denn das Bild, das die Hephthaliten selbst geben, hinsichtlich der
Einwirkung der spätsasanidischen Kultur aufschlußreich genug. Von dem,
was an früheren Stellen gesagt wurde, sei das Wichtigste zusammengestellt.
Einschneidendes Ereignis der spätsasanidischen Geschichte bildete
die Revolte der Mazdakiten. Deren Niederwerfimg folgte ein Neuaufbau des
Staates, der sich unter Kaväö I. und Chusrö I. Anösarvän vollzog. Die Ein-
richtung der dehkän, das auf diesen beruhende Lehnssystem mit seiner
wirtschaftlichen und militärischen Ordnung (an anderem Ort von uns
ausführlich behandelt4) hat auf die Nachbarstaaten rasch gewirkt. In
W. B. Henning in: BSOAS. 1948, 601 f.
1
3 Β. Spuler, Iran in früh-islamischer Zeit (1952) 32; 48; W. Speiser, China, Geist
Chwärezm kannte man, als der arabische Eroberer nahte, dehkän und marz-
bän, wie im Sasanidenreich8. Diese dehkän saßen in Burgen, die seitens der
sowjetischen Ausgräber festgestellt wurden. Diese bildeten „mächtige Vertei-
digungsanlagen", „sind von Stampflehmmauern umgeben und besitzen in
der Regel einen .Donjon', einen Wohnturm auf hohem Sockel, der ein kom-
paktes Fundament bildet, manchmal gewölbte Räume enthält"®. Bei den
Hephthaliten war man darin vorangegangen. Bahräm Cöbin war, als er zum
Chäqän geflohen war, mit den ihm Treugebliebenen in einer Stadt und Burg
angesiedelt worden; die Truppe wurde mittels eines Verzeichnisses erfaßt
und auf Kosten des Herrschers ausgestattet. Mit anderen Worten: sie er-
hielten die Stellung, die im Sasanidenreich den dehkän oder Rittern (asä-
wird), die in Garnisonen zusammengefaßt waren, zukam (oben i, 49).
Man erkennt, wie mit dem Flüchtling aus dem Nachbarreich dessen Ein-
richtungen Fuß faßten, und dem entspricht, wie sich der „Sache" das
„Wort" gesellt. Denn auch das Wort dehkän hat man übernommen, in der
turkisierten Form tägin (oben 1, 51). Noch in arabischer Zeit war das Land
mit den Burgen der dehkän bedeckt (oben 1, 51; 2, 274). Selbst die Würde
des marzbän wurde, sei es von den Osttürken, sei es schon von den
Hephthaliten, übernommen (oben 2, 99).
Alsdann ist der religiöse Einfluß unverkennbar. Der Zarathustrismus
wurde in dem Maße, wie er im Sasanidenreich an innerer Kraft verlor, im
Osten ausgeprägter. Chwärezm, um es nochmals zu nennen, war eine Hoch-
burg der orthodoxen Lehre, und von den dortigen ahbär und herbab be-
richten die arabischen Geschichtsschreiber. Erst Kutaiba's b. Muslim un-
nachsichtiges Wüten hat dort alle Spuren ausgerottet7. In der Sogdiane kam
es gar zu einer zarathustrischen Wiedergeburt, wobei dem neuerstarkten sogh-
dischen Volkstum, das die Hephthaliten sich einverleibt hatte, möglicher-
weise die Hauptrolle zufiel (oben 3, 28f.; 4,166f.). Doch schon vorher hatte
man auf hephthalitischer Seite die Verehrung der Sonne und die für die
Herrschersymbolik so wichtige Vorstellung vom x°arnah- sowie die Pros-
kynesis sich angeeignet (oben 2, 275)®. Ein weiterer Zustrom mußte sich ein-
5
Altheim-Stiehl, a. zuerst gen. O. 266;
• S. P. Tolstow, Po sledam drewne Chorezmijskoj civilizacii (dte Übers., 14. Bei-
heft der Sowjetwiss. 1953) 2 1 1 .
' Altheim-Stiehl, Finanzgeschichte der Spätantike 267.
* Zu den Ausführungen oben 2, 158 sei Iohannes von Ephesos 3, 317, 28 Brooks
nachgetragen. Vor dem König, heißt es dort, die Orthodoxen npal sgedün. Letztes be-
zeichnet die Proskynesis. Wenn neben dieser das Niederfallen bezeichnet wird, so be-
stätigt dies, daß es zur Proskynesis als solches nicht gehörte.
246 S P Ä T S A S A N I D I S C H E K U L T U R UND H U N N E N
2
Langsam beginnt der Boden Ostirans seine inschriftlichen Denkmäler
herzugeben. Seit einigen Jahren ist die Inschrift von Käl-i Jangäl bekannt.
Mit einer zugehörigen Felszeichnung wurde sie in der Umgebung von Birjend
im südlichen Choräsän gefunden. Einzelheiten sowie die älteren Veröffent-
lichungen verzeichnet ein Aufsatz W. B. Henning's1. Letzte Äußerung über
den Gegenstand, ist sie die einzige, die wissenschaftlichen Rang bean-
spruchen darf. Mit ihr allein wird sich das Folgende beschäftigen.
Auf der beigefügten Tafel V bildet Henning Felsinschrift und Fels-
zeichnung ab. Er spricht kurz von „a man and a lion" 2 und weist beide aus
stilistischen Gründen dem 3. Jahrhundert n. Chr. zu3. Maßgebend dafür
sind: „man in profile, except for his chest and his eye; absurd misrepresenta-
tion of his right arm and hand." Doch hier beginnen bereits die Irrtümer,
an denen es auch in diesem Aufsatz Henning's nicht mangelt.
Von einer Brust ist nichts zu sehen. Der Mann ist vom Rücken, mit Ver-
kürzung der rechten Hälfte, gegeben. Was Henning als Ansatz der Brust ge-
9
A. Mongait, a. O. 294 f. dritte Farbtafel.
10
G. Widengren in: Arctica 11 (1956), 2 7 3 ^
1
In: Journ, R. Asiat. Soc. 1953, 132f.
2
a. O. 133.
3
a. O. 135.
II. DIE NACHFOLGER DER EUROPÄISCHEN HUNNEN 247
deutet haben mag, sind die Schulterblätter. Das scharf gezogene Rückgrat
bestätigt die Deutung. Da das Tier aus dem Bild heraus angreift, mußte der
Kämpfer dem Beschauer den Rücken in Dreiviertelansicht zuwenden. Nur
Füße und Kopf sind um der Deutlichkeit willen ins Profil gedreht. Henning's
rechter Arm ist in Wahrheit der linke, und auch von einer „absurd misrepre-
sentation" kann nicht die Rede sein. Der Zeichner ist mit ausgesprochenem
Geschick dem Vorwurf gerecht geworden. Bindung an die Bildgesetze der
sasanidischen Kunst wird ihm niemand vorwerfen.
Der Dargestellte hat einen Löwenkampf zu bestehen. Man sollte der-
gleichen nicht ohne Hinblick auf Bahräm's V. Gör berühmtes Heldenstück
zu deuten suchen. Das Königsbuch spricht von zwei Löwen (oder Lö-
winnen?) mit Jungen (bi-asadaini . . . muSbilaini: Tabari, ann. i , 861, i6f.),
und eine Löwin ist auch im vorliegenden Fall dargestellt. Als das zweite
Tier gegen Bahräm angeht, heißt es 862, 11 f.: Saida l-asadu l-äharu 'alaihi
fa-kabada 'alä udunaihi wa-arakahumä bi-kiltai yadaihi. Eben dieses Packen
an den Ohren ist auf der Felszeichnung dargestellt. Schon hat die Linke des
Kämpfers das rechte Ohr der Löwin erfaßt, während seine Rechte sich an-
schickt, ein Gleiches zu tun.
4 a. O. 135.
248 SPÄTSASANIDISCHE KULTUR UND HUNNEN
5 a. O. 135.
* In: Asia Maior N. S. 2 (1952), pi. X I V .
7 L. Vanden Berghe, Archäologie de l'Iran ancien (1959) 52.
8 a. O. 135 Anm. 1.
1 1 a. O. 135 f.
II. DIE NACHFOLGER D E R EUROPÄISCHEN HUNNEN 249
3
Der Geschichte einer bisher wenig beachteten Schutzwaffe, des Setz-
schildes oder der Pavese, ist jüngst G. Doerfer mit Erfolg nachgegangen1.
Indem er der Etymologie des russischen Plurals tury „Schanzkörbe" sein
Augenmerk zuwandte, stieß er auf mitteltürk. tura „Setzschild, Pavese",
das auch „Brustwehr" bedeuten kann. Die jeweils ältesten Belege ent-
stammen den Jahren 1072 und 1069. Das Wort gelangte, vermutlich schon
zur Mongolenzeit, ins Neupersische, aus diesem, möglicherweise übers Caya-
taische, ins Russische, wobei es seine Bedeutung mannigfach veränderte;
schließlich in eine Reihe weiterer Sprachen, die indessen fürs Folgende ohne
Belang bleiben.
Mahmüd al-Käsyari führt einen türkischen Vers an 2 :
btclip αηϊη boyunni taqi qalqan tura
18 M. de Ferdinandy verweist uns auf gewisse Parallelen in der Geheimen Ge-
schichte der Mongolen (übers, von E . Hänisch, 1948). Yesugai raubt bei der Vogelbeize
Y e k e Tschiledu ein Mädchen, das dem Clan der „ K u t s c h b o c k k a r r e n " , der „Schwarz^
karren" angehört (a. O. 8; dazu das altaische Felsbild in: P o Sledam drewnich kultur 1.
[1954] 221). Yesugai's Sohn Temudschin heiratet Borte, v o m Unggiraf-Clan, der seine
„schönwangigen Töchter" auf einen „Chasach-Karren" setzt und „ m i t einem Kamel-
hengst davor im T r a b " zu den Freiern fahren läßt (a. O. 10). Bodontschar hat sich ein
graues Habichtweibchen gefangen, das ihm die Nahrung bringt (a. O. 4). A u c h er raubt
sich eine Frau (a. O. 5), von Leuten, die „ d e n Tunggelik-Bach abwärts auf ihrem Treck
gekommen waren" (a. O . 4; vgl. 5), möglicherweise sich gleichfalls der Karren bedienten.
1 I n : Ztschr. f. slav. Philologie 29 (1961), 288f.
2 a. O. 290.
252 SPÄTSASANIDISCHE K U L T U R UND HUNNEN
„haue auf seinen (des Feindes) Kopf, bis sein Lederschild und sein turs
zerschlagen wird" (wa-kra'hu 'alä ra'sihi hattä yukta'a darakatuhu wa-tursuhu
bihi3. Hier ist türk. tura einem arab. turs gleichgesetzt. Ob ein etymologi-
scher Zusammenhang besteht, bleibe vorerst unerörtert. Aber Doerfer ist
zweifellos im Recht, wenn er diese Gleichung zugrundelegt und für das Aus-
sehen des iura die Angaben, die man hinsichtlich des turs besitzt, heran-
zieht. „Un grand bouclier oblong, qui couvrait pr£sque toute la partie in-
ferieure du corps", sagt R. Dozy 4 . Und Doerfer folgert, dieser hohe Schild,
also Setzschild oder Pavese, habe „eine Deckung fast des ganzen Körpers
gewährt; aneinandergereiht dienten Schilde dieser Art als feste Schutzwand
und Ersatz für die sonst übliche Wagenburg" 5 .
Dem gelehrten Bearbeiter ist entgangen, daß die Belege für turs und
tura höher hinaufreichen. Und daß in diesem Fall die Überlieferung dazu
nötigt, die Wörter etymologisch zu verknüpfen. Derart, daß turs ein frühes
türkisches oder hunnisches Lehnwort im Arabischen ist.
Von der Belagerung und Eroberung Samarkands durch Kutaiba b.
Muslim 711—12 hat Tabari einen Bericht gegeben, der zuvor übersetzt und
erläutert wurde (oben 2, 98f.). Nachdem die μαγγανικά der Belagerer in die
Stadtmauer Bresche gelegt haben, spielen sich die Kämpfe auf dieser ab.
Es heißt ann. 2, 1245, 4f. de Goeje: fa-käna r-ragulu yada'u tursahu 'alä
'ainihi, tumma yahmulu hattä särü 'alä t-tulma. Zuvor wurde übersetzt (oben
2, 101): „Es pflegte der (einzelne) Mann seinen Schild (turs) vor sein Auge
zu halten. Dann pflegte er anzugreifen, bis daß sie kamen auf die Bresche."
Da ist zunächst deutlich, daß der Setzschild, der vor allem den Unterkörper
deckt, zu den Augen emporgehoben wird. Das dauert so lange, wie ange-
griffen, das heißt: vorgegangen, wurde. Waren aber die Angreifer angelangt,
so „setzten sie (den Schild) nieder auf (der Höhe) der Bresche". So muß
man nach Doerfer's Darlegungen über den Gebrauch der Pavese verstehen,
unter Benutzung der Bedeutimg von sära „inclinavit", „faire pencher".
Man hat damit einen frühen Beleg für den Gebrauch von turs als Setzschild
gewonnen.
Ein zweites Zeugnis enthält der Name eines Häuptlings der kaukasischen
Hunnen Στύραξ, um 527» G. Moravcsik, der die Varianten zusammenge-
5 a. O. 290.
II. DIE NACHFOLGER D E R EUROPÄISCHEN HUNNEN 253
8 Erstmals bei Aurel Stein, Ruins of Desert Khatay 2 (1912); letzte Veröffent-
schichte Mittelasiens (1925) 59 fig. 68; 70 fig. 109; Ο. Sirin, Chinese Painting I 3 (1956)
Ρΐ· 37-
10 Α. v. Le Coq, a. Ο. 6ι fig. 74; Ο. Siren, a. Ο. I 3 pi. 61.
11 a. O. 290 f.
12 A. v. Le Coq, a. O. 74 fig. 127.
II. DIE NACHFOLGER DER EUROPÄISCHEN HUNNEN 255
4
Das in Abb. 19 wiedergegebene Stoffbruchstück entstammt dem zuvor
erwähnten Stoff-Fund aus Fustät und gehört, wie dieser Fund überhaupt,
in die zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts (oben S. 241 f.). Es handelt sich um ein
doppelseitiges Gewebe, dessen Kette aus Leinen oder Baumwolle, dessen
Schuß aus Wolle besteht. Herstellung in Ägypten ist möglich, aber die
Motive kehren dort nicht wieder. Sie könnten eher aus Iran stammen. Dazu
stimmt denn auch, was sich sonst ermitteln läßt.
Der nach rechts sprengende Reiter, auf reichgeschmücktem Roß sitzend,
trägt eine ins Auge fallende Tracht. Sein dunkelroter, mit hellen Flecken
verzierter Kaftan reicht bis auf die Füße. Er ist um die Hüfte gegürtet und
am Halse ausgeschnitten oder geöffnet. Man unterscheidet dort beiderseits
geöffnete Klappen, kenntlich an deren dunkler Einfassung. Es handelt sich
demnach um den iranischen Taillen- und Klappenrock, der auch von den
Nomaden des Nordostens und des Nordens getragen wurde (oben 1, 330f.).
Hinzukommt das lange nach links flatternde Haar des Reiters. Man
kennt den crinitus Hunnus (oben 3, 290), weiß von den Awaren und Türken
als άπέκτητοι (ebenda), den frisierten oder nach dem Rücken frisierten
Nomaden der Bahman-Apokalypse, den Awaren als mgaddlai sa'rä „mit
geflochtenem Haar" (oben 1, 92) und als 'ammä . . . d-sa'raihön (loh. Ephes.
3, 324, 2 Brooks). Überall handelt es sich um eine Haartracht, die die
Strähnen rückwärts lang herabhängen läßt; sie sind ungekämmt, aber in
Zöpfen geflochten. Dieser Frisur begegnet man auf unserem Stoff. Die Dar-
stellung führt zu den hunnisch-hepthalitischen Nomaden, die im Nord-
osten Irans anzusetzen sind, vielleicht geradezu auf die Reste der dort
einstmals beheimateten Awaren (oben 2, 27!) oder auf Osttürken.
Es scheint demzufolge, daß diese Nomaden die sasanidische Tracht, will
sagen: den Klappenrock, übernommen hatten. Das läßt sich in einem zweiten
Fall bestätigen, der über das 9. Jahrhundert zurückführt. Wieder handelt
es sich um eine Darstellung.
Die beiden Reiterstatuetten, die hier gleichfalls erstmals veröffentlicht
werden (Abb. 13—14) entstammen dem Berliner Kunsthandel. Angaben sind
nur wenige zu machen, da die Stücke einer weitverbreiteten Gattung ange-
hören: Höhe 40 cm, weißlicher und schwach gebrannter Ton, Reste alter
Fassung. Baschlyq, Zaumzeug und Satteldecke sind schwärzlich gefärbt,
der Rock einmal im oberen, das andere Mal im unteren Teil rötlich. Was
256 SPÄTSASANIDISCHE KULTUR UND HUNNEN
die Aufmerksamkeit auf sich lenkt, ist die Kleidung der Reiter. Jene
Form des Baschlyq, der oben eine Kappe mit flacher Bedeckung bildet und
nach unten bis zur Brust herabhängt, kennt man von einem Gemälde des
Tökyöter Staatsmuseums, das um 700 angesetzt wird1. Die Beinbekleidung
besteht aus hohen, bis unters Knie reichenden Stiefeln, die am oberen Rand
mit vorn emporgeschwungener Umrandung enden. Zusammen mit den
darunter getragenen „knickerbockers" ist sie von typisch ostiranischer
Art 2 . Der Kaftan endlich, der im Reitsitz noch das Knie bedeckt, ist der
zuvor besprochene Klappenrock, auch er iranischen Ursprungs.
Dargestellt sind Nomaden aus dem Bereich, der zwischen Nordchina und
Nordostiran liegt. Die iranische Tracht legt nahe, daß sie den Stämmen an-
gehören, die zum Hephthalitenreich im weitesten Sinn rechnen. Auch zu
ihnen waren bereits gewisse Bestandteile der sasanidischen Tracht vorge-
drungen. Daß die Könige Persiens aus ihnen ihre Reiter warben, hat sich
gezeigt (oben 2, 268f.); daß sie ihnen zu schmeicheln wußten, beweist die
Geschichte der 2000 christlichen Jungfrauen, die den noch in Ostiran sit-
zenden Awaren Chusrö I. Anösarvän nach Därä's Eroberung'zukommen ließ
(oben 2, 26f.).
Das bisher Ermittelte bestätigt sich angesichts der Awaren und Proto-
Bulgaren, die in Ost- und Südosteuropa auftreten. Man kann ihr Verhalten
mit dem der Hunnen Attila's im einzelnen Fall vergleichen. Diese hatten,
wo sie Abgaben oder „Geschenke" von ihren Untertanen erhoben, sich an
die Einrichtungen gehalten, die das spätparthische und frühsasanidische
Steuersystem ihnen darboten; auf früher Gesagtes (oben 4, 51 f.) kann
hierfür verwiesen werden. Anders bei den Awaren, als ihnen im oströmi-
schen Grenzgebiet die ungleich entwickeltere iugatio und capitatio ent-
gegentraten. Die oben (1, 85!) übersetzte und erläuterte Erzählung, die auf
Iohannes von Ephesos zurückgeht, läßt die awarischen Eroberer den bis-
herigen Bewohnern gegenüber nur die Hälfte der bisherigen sunteliyyä
verlangen. Darin wurde zuvor die Gesamtheit der Abgaben (arab. gibäya)3
erkannt, also iugatio und capitatio zusammen (oben 1, 93).
Noch in einem zweiten Fall ist Iohannes' von Ephesos Bericht lehrreich.
Der Qayan der Awaren, nachdem seine Horden überall geplündert und
1 Abgebildet im 8. Band der in Tokyo erscheinenden ,,Sämtliche Werke der Welt-
verbrannt hatten, stellte ein großes Ciborium, das er in einer Kirche Ko-
rinths erbeutet hatte, „gleich einem Zelt auf und saß unter ihm" (oben i,
90). Ein zweiter Bericht desselben Autors läßt sich dem zur Seite stellen.
Als der Cassänide Mundir b. Härit das Heer der auf persischer Seite fech-
tenden Araber besiegt hatte, schlug er mitten im eroberten Hira ein Zelt
auf und „saß" fünf Tage unter ihm (3, 286, 31 f. Brooks). In beiden Fällen
muß das feierliche Sitzen unter dem Zelt inmitten dessen, was man erobert
hat, als Ausdruck und Bestätigimg des Sieges aufgefaßt werden. Die Awa-
ren südlich der Donau und die Araber an Syriens Grenze liegen weit ausein-
ander. Doch wird die Verbindung durch die Sasaniden hergestellt. Vor der
Schlacht bei Kädisiya saß der persische Reichsfeldherr Rustam unter einem
Sonnensegel (surädik)*. Das spätsasanidische Vorbild ist für die Nomaden
an der römischen Grenze wie im Nordosten Irans maßgebend geworden.
Den mehrsprachigen königlichen Tatenbericht hatten schon die Achai-
meniden gepflegt, und die Sasaniden hatten auch diese Besonderheit auf-
genommen. In ihren Inschriften haben die Proto-Bulgaren die Überliefe-
rung fortgesetzt. Die Mehrsprachigkeit erscheint in vereinzelten, aber ein-
deutigen Beispielen: in der Inschrift von Kalugerica (oben 1, 260) und der
von Catalar (oben 1, 246; 259); auch die Fürstenliste des Ellinskij Letopisec
darf man hinzurechnen. Daneben stehen Tatenberichte, sei es auf Türkisch
(Homorödkardcsony: oben 1, 280 f. und die noch zu besprechende Inschrift
von Schumen), sei es in vulgärem Griechisch abgefaßt.
Vom hephthalitischen Panzerreiter mochte man sich bisher eine Vor-
stellung machen, die sich vornehmlich auf die Fresken von Qyzil und
Sor&iq, die in den ostturkestanischen Fundstätten zutage gekommenen Ter-
rakotten und die manichäischen Seidenmalereien aus Chotscho stützte 5 . Jetzt
ist das Bruchstück eines lederüberzogenen Schildes vom Berge Muy hinzu-
gekommen*. Man erkennt, daß die Darstellung und Bewaffnung der proto-
bulgarischen Ritter auf dem Stein von Preslav 7 oder dem Goldkrug 2 des
Schatzes von Nagy-Szent-Miklös8 auf das iranische Vorbild zurückgehen.
4
Tabarl, ann. 1, 2255, 14. Zum Wort vgl. W. Eilers in: Indo-Iranian Journ.
5 (1962), 205.
8
A. v. Le Coq, Bilderatlas zur Kunst und Kulturgeschichte Mittelasiens (1925)
f i g . 40—67.
• A. Mongait, a. Ο. 291 Abb.
7
Ν. Maurodinov, Le Tresor Protobulgare de Nagyszentmiklös (Archaeol. Hungar.
29. 1943) 115 Abb. 74.
8
A. Maurodinov, a. O. Tai. 2.
17 Altheim, Hannen V
258 SPÄTSASANIDISCHE K U L T U R UND HUNNEN
a. O. 210 r.
4
a. O. 211 1.
10
1 1 a. O. 208,1. Mit A. Alföldi's Mißdeutungen, die er in: Cahiers d'Archiol. 1, 138f.
und 6, 43f. vorgetragen hat, haben wir uns in: Porphyrios und Empedokles (1954) 5°ί·
und Finanzgeschichte der Spätantike 343 f. auseinandergesetzt.
II. D I E N A C H F O L G E R D E R E U R O P Ä I S C H E N H U N N E N 259
graben worden 12 . Dann ließen sich Vergleiche zu den Funden ziehen, die
1939—40 eine sowjetische Expedition unter L. A. Jewtjuchowa's 1 3 und
S. W. Kiseljow's 1 4 Führung im Dorf Kopeni am mittleren Jenissei gemacht
hat. Die reich ausgestatteten Gräber brachten vier Goldgefäße des 9.—10.
Jahrhunderts, von denen zwei Inschriften in türkischen Runen tragen.
Krugform und Ornamentik weisen die gleichen Kennzeichen nachsasani-
discher Entstehung auf, die zuvor an den Goldkrügen von Nagy-Szent-
Miklos hervorgehoben wurden 15 .
Die von Maurodinov1® erkannten Spuren von Grubenschmelz an man-
chen Stücken des Schatzes haben im sasanidischen Bereich keine Parallelen.
A m nächsten kommt das kaukasische Email 1 7 , dessen Herkunft noch zu
klären bleibt. Über die Entlehnung des kostbar verzierten Wehrgehänges
bei Awaren und Proto-Bulgaren, darin wieder die Sasaniden vorangegangen
sind, ist zuvor (oben S. 206 Anm. 74) gehandelt worden; über ihr Fortleben
soll im letzten Kapitel das Nötige gesagt werden. Goldene Gürtel (zönäre .. .
d-dahbä: Iohajin. Ephes. 3, 324, 23 f. Brooks) wurden von Iustinian den
awarischen Gesandten geschenkt.
Auch das berühmte Reiterrelief von Madara in Nordost-Bulgarien, ent-
standen im ausgehenden 7. oder im beginnenden 8. Jahrhundert, spiegelt
(wie man jüngst mit Recht betont hat 18 ) in vielen Einzelheiten die Abhän-
gigkeit von dem, was man in der Kunst der Sogdiane und Chwärezm's fest-
stellen kann. Fresken aus Qyzil und der schon genannte Lederschild vom
Berge Muy liefern die gegenständlichen Parallelen.
5
Zuletzt sei eingegangen auf ein awarisches Wort. Theophylakt p. 5 3 , 1 4 !
de Boor nennt einen Skythen, will sagen: Awaren, dessen έττωυυμία: βοοκα-
λαβρα gelautet habe. Dieser Name habe μάγος oder Ιερεύς bedeutet, fügt der
Gewährsmann hinzu. Über die Etymologie ist man sich im klaren, was den
zweiten Wortteil angeht 1 . Man kennt den protobulgarischen Titel κόλοβρος,
12 a. Ο. 224 Γ·
13 Α. Mongait, a. Ο. 307; 3 Ι Ο unter 20 gibt die uns leider nicht zugängliche Literatur.
14 Drewnaja istorija juinoj Sibiri2 (1951) 487 f.
15 A. Mongait, a. O. 305 und 306 Abb.
18 a. O. 177t.
17 Ocerki istorii SSSR. I I I — I X ww (1958) Farbtafel.
18 St. Stancew in: Madarskijat Konnik (1956) 2iof.
1 G. Moravczik, Byzantinoturcica 2 2 (1958), 95, mit Verzeichnis der Literatur.
IT
260 SPÄTSASANIDISCHE K U L T U R UND H U N N E N
κόλουβρος8, der auf der Inschrift von Bjal brjag als χλωυβρην begegnet.
Man hat beides als „Wegweiser" gedeutet3, und B. v. Arnim4 hat darauf
verwiesen, daß das Wort in slaw. kolubr „Herold" noch erhalten ist. Doch
was besagt ßoo- oder daneben handschriftlich erhaltenes ßou-, und wie
sind beide Bestandteile des Kompositums miteinander zu verknüpfen ?
Am nächsten liegt, an altiran. baga- und dessen Vertretung in den tür-
kischen und slawischen Sprachen zu denken. Doch von alttürk. bäg führt
kein Weg zu ßoo, und auch slaw. bog ist wenig empfehlenswert. Nicht ßoo,
sondern βόγ ό θεός wird ausdrücklich noch für die Bulgaren bezeugt6.
So bleibt allein die iranische Form, und in der Tat hat die große Inschrift
Kaniska's von Surx Kotal zweisilbiges ßayo erbracht. Denn daß noch in
mitteliranischer Zeit auslautendes -o gesprochen wurde, hat sich zuvor er-
wiesen (oben S. 17 f.). Die bei Theophylakt gegebene Deutung als μάγος ließe
sich zur Unterstützung anführen (doch vgl. unten).
Eine weitere Frage ist, wie ßccyo zu ßoo- werden konnte. Zunächst wird
man statt des überlieferten ßocyo für die alttürkische Sprache der Awaren
eine Form *bayu voraussetzen dürfen. Sie ist erhalten in alttürk. yabyu,
dem zur Seite yabäg („Herr der Pfeilschützen") besteht®. Dazu bemerkt
O. Szemerenyi7: „Im Ostiranischen ist der Nominativ baga zu ßccy, der
Akkusativ bagam zu ßayu geworden. Demnach wäre möglich, daß yabäg
den Nominativ, yabyu den Akkusativ vertritt." Solches ßayu mußte mit
M-Umlaut zu 0 werden: *ßoyu, wie taluy „Meer" zu toluy8. Weiter mußte
sich die Lautfolge -oyu-, die nur in den ältesten Denkmälern erhalten ist,
zu ou = ou oder zu dem Langvokal ö = 00 umwandeln9. Uber letzten haben
A. v. Gabain 10 und M. Räsänen 11 gehandelt, und dementsprechend versteht
G. Moravcsik — zweifellos mit Recht —- βοοκαλαβρδ geradezu als *bö-
-qolabur.
Die letzte Frage geht dahin, wie beide Bestandteile zu verbinden seien.
Die türkische Nominalkomposition ist ein weithin noch ungeklärtes Gebiet.
2
G. Moravczik, a. O. 162.
3
F. Altheim, Literatur und Gesellschaft 1 (1949), 226; 229.
4
In: Festschrift Vasmer (1956) 45f.
5
G. Moravcsik, a. O. 92.
e
F . Altheim, a. O. 1, 206; 208 f.
' Bei F . Altheim, a. O. 2 (1950), 277.
8
A. v. Gabain, Alttürkische Gramm (1950) 49 § 22.
9
M. Räsänen, Materialien zur Lautgesch. der türkischen Sprachen (1949) 1x6.
10
a. O. 46.
11
a. O. 64 f.
II. DIE NACHFOLGER DER EUROPÄISCHEN HUNNEN 261
H U N N E N U N D AWAREN IM DONAURAUM
1
J. Werner, Beiträge z. Archäol. d. Attila Reiches (Bayr. Akad. d. Wissensch.
Philosoph, histor., Kl. N. F. 38 A, München 1956). Dazu die kritische Stellungnahme durch
Altheim-Haussig, in „ D i e Hunnen in Osteuropa, ein Forschungsbericht" (Baden-Baden,
1957) S. 30 u. ff. Dort auch weitere Literatur. Ferner N i n d o r Fettich, La trouvaille de
t o m b e princi£re hunnique k Szeged-Nagyszeksos, in Archäolog. Hungar., X X X I I 1953
und besonders in — v o m gleichen Autor — „Archäolog. Studien zur Geschichte der
späthunnischen Metallkunst". Ebenda X X X I , 1951. Zu vergleichen oben 1, 2 i 6 f .
2
E. Beninger in „Germanenzeit in Niederösterr." (Wien, 1934, a n vielen Stellen)
und derselbe in „ D i e bildende Kunst in Österreich, Bd. I. Urzeit bis um 600 n. Chr."
(Baden bei Wien, 1934) S. 138 u. ff.
8
Oben 1, 85 t.; 365.
266 DIE WENDUNG ZUM WESTEN UND IHRE GEGENSTRÖMUNG
Verhalten der Hunnen und der Awaren zu ihrer alten Kunsttradition ist
aber schwer zu erklären. Ferner ist die Kunst der Awaren durch ihre über-
aus reiche und prächtige archäologische Hinterlassenschaft gut bekannt,
die hunnische hingegen nicht. Mit Rücksicht auf die Verwandtschaft dieser
beiden reiternomadischen Völker könnte aber von der erhaltenen und be-
kannten Kunst der Awaren ein Rückschluß auf die unbekannte (verloren-
gegangene ?) der Hunnen möglich sein. Das Wenige, das nun von der hun-
nischen Kunst bekannt ist, zeigt jedoch nicht die geringste Verwandtschaft
mit der awarischen, falls man nicht Funde als awarisch bezeichnet, die in
Wirklichkeit noch hunnisch sind. Bei einer gleichen oder wenigstens ange-
näherten hunnischen und awarischen Altkunst wäre das gegensätzliche Ver-
halten der beiden Völker ihrer Tradition gegenüber psychologisch nicht ver-
ständlich; da es aber vorhanden ist, muß daraus trotz ihrer Verwandt-
schaft auf eine grundlegend unterschiedliche hunnische und awarische
Altkunst geschlossen werden.
Die Bodenfunde aus hunnischer Zeit bringen also keinen Aufschluß dar-
über, daß die Hunnen, gleich den Awaren, ihr altes Kunstgut noch in Ungarn
bewahrt hätten. Was hier im 5. Jahrhundert gefunden wurde, ist zum
größten Teil west- und ostgotisches, gepidisches, herulisches, alanisches
und sonstiges Kulturgut, und nur in ganz wenigen, später zu erwähnenden
Fällen tragen die Bodenfunde tatsächlich Stilzeichen einer asiatisch-
-reiternomadischen Kunst, fallen also damit aus dem germanisch-pontisch-
-skythischen Kulturkreis heraus. Diese, durch unzählige Bodenfunde deut-
lich gemachte Erfahrung ergibt dann die Feststellung daß, die Hunnen
während ihrer Westwanderung im Gegensatz zu den Awaren ihre alt-asiati-
sche Werkart zum größten Teil oder sogar ganz aufgegeben und an ihrer
Stelle das pontische Kulturgut aufgenommen haben, nachdem vorher bereits
iranische und nachher ostgermanische Formelemente hinzugekommen waren.
Es gibt daher für den in der Überschrift dieses Kapitels angegebenen
geographischen Raum wohl eine Archäologie der Hunnenzeit, jedoch keine
der Hunnen im strengen Sinne des Begriffes.
welche „nicht nur zum Schutze, sondern auch um der äußeren Wirkung
halber" da waren. Die Umfriedung des Attila-Palastes war mit Tünnen ver-
sehen, die Bauten selbst bestanden aus Balken und geglätteten Hölzern, und
überall waren Schnitzereien vorhanden. Jordanes geht in seiner nicht mehr
auf Autopsie fußenden Beschreibung noch weiter14 „ . . . . ich sage: Dorf
nach Art einer weiten Stadt, in dem wir hölzerne Mauern aus glänzenden
Brettern gezimmert fanden, deren Gefüge für so fest gilt, daß solcher Bret-
terverband kaum von einem Eifrigen begriffen werden kann. Da sieht man
Triclinia in weitem Umfang ausgedehnt und Portiken mit allem Schmuck
ausgestattet . . . "
Urtümlich hunnisch ist das alles nicht, hier spielen iranische (sasani-
dische) Kunstformen herein, und auch die Kunst der Krimgoten darf nicht
vergessen werden. Als dritte Komponente kommt noch der kleinasiatische
Hellenismus hiezu. Der mehrtorige, erhöht gelegene Palast Attilas bestand
aus Balken und geglätteten Hölzern, jener der Königin Kreka war von
leichterer, mehr verzierter Bauart, hatte erhabene Muster und Bildhauer-
arbeit, die „nicht ohne Anmut" waren. „Das Dach ruhte auf quadratischen,
sorgfältig behauenen Pfeilern, durch zierliche Kreisbögen aus Holz 16 ver-
bunden, . . . Innerhalb der Umzäunung befanden sich zahlreiche Bauten,
die einen aus geschnitzten und glatten Bohlen, die anderen aus wohlge-
fügten und regelmäßig bearbeiteten Balken, die ein Rund bildeten . . . "
Hauptraum des Königspalastes war ein langer Saal, an dessen Längswänden
die bereits erwähnten Sessel standen.
Die Hunnen besaßen als Nomaden keine eigene Baukunst. Aber eine
solche und mit Ornamenten versehene sahen sie im iranischen Kulturkreis,
und Holzarchitektur lernten sie bei den Goten kennen. Man vermag daher
mit Strzygowski 16 von einem Holzbau für die Hunnen zu sprechen, nicht aber
von einer slawischen Vermittlung desselben, denn um 445 gab es noch keine
slawische Bau- und Ornamentkunst in Holz oder sonstwie. Diese vermittelten
nur die Goten. Eine Hypothese ist dann auch Strzygowskis Meinung, im
Dekor der Paläste an der Theiß hätte das zwei- und dreistreifige Flechtband
eine Rolle gespielt. Der Grieche Priskos spricht von Ornamenten „nicht
14
Jordanes, Getica, 178.
16
Wahrscheinlich handelte \ss sich um einen aus der iranischen Kunst übernom-
menen Rundbogenfries.
16
J . Strzygowski, „Altslawische Kunst" (Augsburg, 1929) S. 138 u. ff. Die Holz-
bauten der damaligen, noch ungeteilt lebenden Slawen muß man sich als einfache
Blockhäuser ohne Schmuck denken.
12. H U N N E N U N D A W A R E N IM D O N A U R A U M 271
ohne Anmut"; aber das für ihn völlig fremde, ungewohnte Flechtband hätte
ihn nicht zu solcher lobender Erwähnung veranlaßt. Der Innenraum des
Attilapalastes besaß keine Ähnlichkeit mit der germanischen Königshalle.
Denn in dieser saß der Fürst auf einem Hochsitz, wogegen Attilas Kline
in der Mitte des Saales stand, erst das dahinter befindliche Schlafgemach
war verhängt und erhöht.
Altheim hat hinsichtlich der Gestaltung des Palastes auf die Einwirkung
des parthischen und sasanidischen Palastbaues hingewiesen17. Leider geben
die zeitgenössischen Quellen über die Grund- und Aufrißgestaltung keinen
Aufschluß. Was Priskos u. a. mit den bereits genannten Rundbauten neben
dem Haus der Kreka meint, ist wegen der Mehrdeutigkeit des Textes unklar.
Unbekannt ist die Form der Wohnbauten in den hunnischen Dörfern. Man
wird sie sich am besten als primitive, den zentralasiatischen Jurten ähn-
liche Hütten aus Lehmziegeln vorstellen müssen, wenn nicht überhaupt nur
als Zelte, die bei der großen Beweglichkeit des Volkes rasch auf Wagen
verladen werden konnten.
Hinsichtlich der baulichen Form des Attilapalastes sei nochmals auf die
Ausführungen Al heims hingewiesen19, wobei nie vergessen werden darf, daß
die iranischen Vorbilder Steinbauten, die Hunnenpaläste hingegen aus
Holz errichtet waren. Steinbauten haben jedoch andere Gesetze als
solche aus Holz, eine Annäherung kann daher nur im Grundsätzlichen des
Grund- und Aufrisses stattfinden. Mitunter besaßen die parthischen und
sasanidischen Paläste auch Zutaten statischer und dekorativer Art aus
Holz, besonders im Nordteil, im Bereich des kaspisch-medischen Stiles20.
Diese nordiranischen Holzbauten beeinflußten dann die Architektur der
Krimgoten; die Hunnen können deshalb auch von dieser Seite die Kenntnis
des Palastbaues aus Holz erhalten haben. Altheim nimmt auch Anregungen
durch die chwärezmische Palastburg von Toprak-kale, südlich des Aral-
sees, an 21 , erbaut vor 305 n. Chr. Gleichwie der Palast des Bulgarenkönigs
Krum 22 einen, dem Attilapalast ähnlichen ornamentierten Palisadenzaun
besaß, so bestehen auch hinsichtlich des Grundrisses hier und bei den bulga-
17
Attila und die Hunnen (1951) 52 f.
18
Siehe dazu auch F. V i m o s in Seminarium Kondakovianum 1932, ohne den dortigen
Ausführungen in allen Punkten zuzusi immen.
10
Ed. Diez, Iranische Kunst (Wien, 1924) S. 70 u. f.
21
Altheim, a. O. S. 52.
22
Nach H. Grigoire in: Byzantion 1 1 , 4 2 3 war auch der Palast des Bulgarenkönigs
Krum mit einem ähnlichen Pallisadenzaun umgeben.
272 DIE WENDUNG ZUM W E S T E N UND IHRE GEGENSTRÖMUNG
23
Siehe oben S. 266 Anm. 1.
24
Archaeol. Hungar. X X X I I , 1953.
12. H U N N E N U N D A W A R E N IM D O N A U R A U M 273
Fäden hängenden Kreisen ist aber weder chinesisch noch hunnisch, sondern
skythisch mit Beimengungen aus dem Späthellenismus, dem Gotischen
und auch aus der vorderasiatischen Textilkunst. Das ist vor den Säbel-
taschen aus der Zeit der magyarischen Landnahme das einzige Beispiel,
in welchem sich ein formaler Einfluß der vorderasiatischen Textilkunst
deutlich zeigt. Von allen bisher bekannt gewordenen Eimern besitzen nur
die beiden ungarischen Beispiele eine reiche, architektonische Bekrönung,
die Wandornamentik ist jedoch überall gleich oder ähnlich.
Aus dem mäßig großen Gräberfeld von Cadjavice in Nordkroatien, einer
wichtigen Fundstelle, publizierte N. Fettich mehrere Beschläge27 mit einer
stark linear umgesetzten Tierornamentik. Tiere im Stil der Ordosbronzen
sind im 5. Jahrhundert in Ungarn bisher nicht gefunden worden, oder sie
wurden, wie in Cadjavice, auf dem langen Weg durch den iranischen und
südrussischen Raum ihrer schönen ursprünglichen Art entkleidet und unter
iranischem Einfluß in lineare Abstraktion übergeführt. Dabei ist frag-
lich, ob die Hunnen am Tierstil überhaupt Anteil hatten28. Die Adler-
symbolik war ihnen auch nicht bekannt. Es müßte daher in Cadjavice die
Übertragung durch ein anderes zentralasiatisches Volk direkt oder bei Wei-
tergabe an Westasiaten erfolgt sein (ζ. B. Alanen). Nichts deutet in Cadja-
vice darauf hin, es läge hier das früheste Denkmal des gemeinsamen Auf-
tretens der späthunnischen Kutriguren und Protobulgaren vor.
Dem Gräberfeld von Bakodpuszta wurden zwei Armringe mit weit-
gehend stilisierten Tieren aus Goldblech entnommen; die Gegenstände sind
ziseliert und mit Almandineneinlagen versehen. Sie stehen stilistisch den
Funden aus Cadjavice nahe. Während mm die Objekte aus Cadjavice als
späthunnisch (2. Phase des hunnischen Reiches, die sich im allgemeinen
nicht mehr im ungarischen Raum abspielte) bezeichnet werden, besitzen die
Armringe aus Bakodpuszta mit ihren Flechtketten und den dreieckigen,
mit Cloisonne gefüllten Anhängern hingegen ältere Stilmerkmale, sofern bei
den damals eintretenden unausgesetzten Vermischungen eine nähere Da-
tierung überhaupt möglich wird und zulässig erscheint. Auch dürfen die
Reminiszenzen an die Ordos-Tierbronzen nicht unbedingt gleich dorthin
weisen, denn es können graeco-skythische Formelelemente und sogar solche
vom Nordrand der Gandhärakunst einbezogen worden sein.
27
In Archaeol. Hungar. X X X I , 1951: „Archäol. Studien zur Geschichte der spät-
hunnischen Metallkunst".
28
Oben i, S. 216 u. f.
12. H U N N E N UND A W A R E N IM DONAURAUM 275
2
Awaren-Gesandte traten 558 am Hof Kaiser Iustinians auf. Das ist die
quellenmäßig erste deutliche Nennung dieses Volkes34. Um 560 stießen
Awaren zusammen mit protobulgarischen Teilen, Kutriguren und Slawen
weit gegen Westen vor, 566 kam es mit den Franken zu einer Schlacht an der
Elbe. Vorher schon wurden die Awaren vom Frankenkönig Sigibert ge-
schlagen, dieser erlitt jedoch 566 bei Magdeburg eine schwere Niederlage,
und nimmehr fiel der ganze germanische Osten an die Awaren; Slawen waren
damals noch nicht in Böhmen und Mähren aufgetreten. Seit 567 über-
nahmen die Awaren, bei gleichzeitiger neuerlicher Ausdehnimg ihres Macht-
bereiches mindestens bis Mähren, die von den Langobarden geräumten Ge-
biete in Mittel- und Westungarn36, dadurch wurden sie Nachbarn der Bayern
und griffen in deren Kämpfe mit den Slawen zugunsten dieser ein. Die
Slawen waren damals bereits ein Hilfsvolk minderen Rechtes. Auf das um
623/24 vom fränkischen Kaufmann Samo gebildete Slavenreich besaßen die
Awaren wegen der damals noch großen räumlichen Entfernung keinen
stärkeren Einfluß. Nach dem Tod Samos zerfiel (nach 660) dessen Staats-
gründung. Aus der neuerlichen Nachbarschaft der Awaren mit den Bayern
entwickelten sich wieder, wie schon um 600, schwere Kämpfe, in deren
Verlauf auch Laureacum, die erste Hauptstadt der Bayern, zerstört wurde.
Hierbei wurde ihre ganze Umgebung verwüstet. Da es sich sowohl um
räumlich begrenzte als auch um weiter ausgreifende Kämpfe handelte,
hatten die Awaren im späten 7. Jahrhundert, archäologisch nicht belegbar,
auch im westlichen Niederösterreich Fuß gefaßt. Doch lagen ihre westlichsten
Befestigungen, die „Ringe" 36 , weiter östlich in der Linie Kampmündung-
Cumeoberg (Kumenberg, sö. von St. Andrä a. Traisen). Dort begann dann
auch die bald darauf errichtete karolingische Ostmark. Die zentralen Be-
festigungen der Awaren befanden sich im Raum zwischen Plattensee und
der Donau südlich von Budapest.
3 4 Zur Geschichte der Awaren: A. Kollautz „Quellenbuch zur Geschichte der
Awaren" (Prag, 1944); L. Hauptmann ,,Les rapports des Byzantins avec les Slaves et
les Avares pendant la 2i6me moittedu VI sifecle" (Byzantion, IV. 1927, S. 136u.fi.), sowie
P. Lemerle,,Die Awaren,die Schichtung in einer Nomadenherrschaft", in SaeculumV, 2,
München 1954, reiche Literaturangaben); H.-W. Haussig in: Byzantion X X I I I (1945),
345 f·
3 5 Paulus Diaconus, Histor. Langobard. lib. 2, cap. 7. Hier, wie in lib. 1, cap. 27,
1938), mit Hinweis auf den Anonym, von St. Gallen (M. G. H. SS. II/748).
12. H U N N E N U N D A W A R E N IM D O N A U R A U M 279
die Hunnen bzw. auf die mit ihnen verwechselten Awaren, deuten die topo-
graphischen Bezeichnungen Heining a. d. Salzach (790), Haunwang bei
Landshut (779), Haunsperg bei Salzburg (788), auf hunnische Personennamen
geht Huno von Köstendorf (um 748) sowie Huni in einer Freisinger Zeugen-
liste (um 765) zurück. In Kremsmünsterer Archivalien des 9. und 10. Jahr-
hundertes tauchen mehrmals Zeugen mit hunnisch-awarischen Namen auf,
also müssen damals im östlichen Oberösterreich und in Teilen von Nieder-
österreich Menschen hunnischer Abkunft noch gelebt haben. Dagegen ist
der Volksname „ A w a r e n " in Bayern, Ober- und Niederösterreich weder
in Personen- noch in topographischen Namen deutlich belegt. Diese kurzen
historischen Bemerkungen waren nötig, um den nun folgenden archäologi-
schen Erörterungen über die Kunst der Awaren eine Grundlage zu geben.
Anknüpfend an die Ausgrabungen im großen Awarenfriedhof von Mo-
sonszentjänos (Westungam), kam Ludwig Bartucz zu interessanten anthro-
pologischen Feststellungen 40 . Ihr Hauptinhalt ist: die Skelette aus diesem
Friedhof gehören einheitlich im allgemeinen einer Rasse von mongolischem
Gepräge an. Dadurch heben sie sich scharf von den Skeletten aller anderen
Völker ab, die vor dem Einbruch der Hunnen in Ungarn siedelten oder,
wenn schon mit ihnen in einer Siedlungsgemeinschaft, nicht mongolischer
Herkunft waren. Im Rahmen des mongolischen Typus treten nun bei den
awarischen Skeletten zwei Varianten auf. Die eine, in Mosonszentjänos
stark vertreten, zeigt die Rassenelemente der Hunnen in dominierender Aus-
prägung. Bartucz schließt daraus, daß die Awaren eine beträchtliche hunnische
Komponente besaßen, mit welcher sie sich aber nicht erst in Ungarn, sondern
bereits in der gemeinsamen Heimat im Osten verschmolzen hatten, dabei
in Volkstum, in Sitten, teilweise auch im Aussehen reine Awaren blieben, die
abgesondert lebten. Der andere, kleinere Teil der Skelette von Mosonszent-
jänos weist gleichfalls Awaren auf, die aber nicht mehr als rein mongolisch,
sondern innerhalb des Mongolischen als mongoloid angenähert zu gelten
haben. Trotz dieser Differenzierung bleibt doch die rassische Einheitlich-
keit der Awaren erhalten. Nach 820 ging der rein mongolische Bestand-
teil immer mehr zurück, in Gräbern aus der magyarischen Landnahme
wurden daher rein mongolische Schädel nur mehr sporadisch gefunden.
Das überaus häßliche, furchterweckende Aussehen der Hunnen ist durch
Ammianus Marcellinus, Jordanes, Priscus u. A . eindeutig und einheitlich
40
In N. Fettich „Archäolog. Studien zur späthunnischen Metallkunst" in Archaeol.
Hungar. X X X I . 1951, 2. Teil.
12. HUNNEN UND AW AREN IM DONAURAUM 281
41
Siehe Näheres bei den in Anm. 1 genannten Arbeiten von N. Fettich und vom
gleichen Autor: „Bronzeguß und Nomadenkunst" (Seminarium Kondakovianum, Prag,
1929).
42
E. Schaffran ,,Der Zentralkamm d. Ostalpen", unter Anm. 4.
43
Fettich a. a. O. und der Gleiche: „Die Metallkunst der landnehmenden Ungarn
(Archaeol. Hungar. X X I , 1937).
12. H U N N E N UND A W A R E N IM DONAURAUM 283
stimmt, welche vom Raum der Ostsee zu diesen Gebieten führen", und kurz
vorher spricht der gleiche Forscher von den „starken Beziehungen der
Awaren zur normannischen Kunst, besonders des X. und X I . Jahrhundertes".
Solche Auffassungen bleiben indessen zu einem Teil hypothetisch und mit
der Entwicklung der nordgermanischen Kirnst (Normannen und Wikinger)
nur schwer in Einklang zu bringen, zum anderen aber unmöglich hinsicht-
lich eines positiven Anteils der mit den Awaren in Verbindung stehenden
Nordslawen. Von allen slawischen Stämmen waren die Südslawen, beson-
ders die Kroaten, die künstlerisch begabtesten. Aber auch sie vermochten
vor 850 in Kroatien und Dalmatien keine eigene Kunst hervorzubringen,
und auch danach ging es mit der Entwicklung eigner Formmotive nur
langsam vorwärts. Die Nordslawen hingegen waren im künstlerischen Sektor
weniger begabt, und außer einer reichen Volkskunst haben sie lange Zeit
nichts Nennenswertes hervorgebracht. In der volkstümlichen Keramik der
Slawen bestand eine Verbindung mit dem reiternomadischen Osten (siehe
Topffunde aus Zellerndorf in Niederösterreich44 um 880/900), aber nicht
mit der karolingischen Keramik. Die geringe künstlerische Kapazität der
Nordslawen im Donauraum mag auch darauf zurückzuführen sein, daß
ihre immerhin kulturfördernde Christianisierung noch im 1 1 . Jahrhundert
nicht durchgeführt war und daß auf der anderen Seite dieses Bauernvolk
zur künstlerisch so überaus regen Art der Awaren keine tiefere Verbindung
besaß. Die Slawen empfingen eine solche auch nicht durch das lange Zu-
sammenleben mit den Awaren. Ausgenommen sind Anregungen bei der
technischen Behandlung und beim Schmuck von Tongefäßen, denn deren
Wellenlinien haben die Awaren selbst sehr oft verwendet, wenn auch diese
Ornamentart bereits in der provinzial-römischen und in der alt-germani-
schen Keramik nachweisbar ist. Das Motiv ist sozusagen übervölkisch, die
Awaren können es daher immer gehabt haben und brauchten es nicht un-
bedingt von Römern oder den Germanen zu übernehmen. Formgeschicht-
liche Beziehungen zwischen den ornamental hochbegabten Awaren und
den Wikinger-Normannen können wohl möglich sein, die in der Spätzeit
der Awaren bestehenden Handelsbeziehungen mit dem Norden wären
eine plausible Erklärung dafür, unmöglich sind hingegen solche Beziehun-
gen aus den vorerwähnten Gründen zwischen den Nordwest-Slawen und
den Wikingern.
41
Abb. 65 bei Ed. Beninger „Germanenzeit in Niederösterreich" (Näheres unter
Anm. 2).
284 DIE WENDUNG ZUM WESTEN UND IHRE GEGENSTRÖMUNG
Als später hunnisch-awarischer Fund gilt der aus Krungl 45 bei Mittern-
dorf (steir. Salzkammergut). E r soll nach Fettich normannische Beein-
flussimg aufweisen. Die Ornamentierung der vier Riemenzungen erfolgte in
Krungl mit der ab ungefähr 600 in der awarischen Kunst ein beliebtes Motiv
bildenden Kreislappenranke. Wenn sie in Krungl von der älteren awarischen
Kreislappenranke abweicht, so infolge des hellenistischen Beiklangs. E r
zeigt sich auch bei den Funden aus dem nahen Hohenberg im Ennstal 46 (bei
Wörschach), wo die dort schon recht unawarisch aussehende Ornamentik
durch dieses Hellenistische noch mehr „entawarisiert" wurde.
Die Gegenstände, auf denen sich die reiche und prächtige awarische Orna-
mentkunst entfaltet, sind hauptsächlich Riemenzungen und überaus viel-
fältig geformte Beschläge in gegossener Bronze mit gelegentlicher Nach-
arbeitung. Motivisch ist die awarische Kunst sehr reich und variationslustig.
Im Ornament zeigen sich Ranken der verschiedensten Form, die Kreis-
lappenranke dominiert, beliebt sind um einen Mittelpunkt angeordnete
Blätter der mannigfachsten Gestalt. Verwendet werden, wenn auch nicht
allzuoft, mehr oder minder ornamentalisierte, im Kern jedoch stets gegen-
ständlich bleibende figurale Szenen und ganz besonders als Hauptthema
Greifen, Hirsche und zoologisch undeutbare Fabeltiere im Stil der Ordos-
bronzen entweder in Einzelgestalten oder in Kampfszenen. Hinsichtlich der
Kreislappenranke sei nachgetragen, daß diese mit hellenistischer Ornamentik
unmittelbar nichts zu tun hat, sondern der skythischen Kunst entstammt.
Die awarische Kreislappenranke ist auch nicht — wie einmal gesagt wurde—
eine Abstraktion von Tierleibern; ein derartig radikaler Vorgang lag nicht
im Wesen der awarischen Auffassung.
Die Awaren brachten nicht nur die Kunst des zentralasiatischen Bronze-
gusses nach Mitteleuropa, sondern auch jenen Tierstil, der sich besonders,
aber nicht ausschließlich auf den Ordosbronzen und auf den südostsibi-
rischen Goldplatten findet 47 . Die Bronzegüsse sind öfters vergoldet oder ver-
silbert, Stücke aus reinem Gold sind selten, Blech, im besonderen Kupfer-
blech, wird erst spät verwendet, was dann nicht mehr reiternomadisch,
sondern byzantinisch ist. Dabei verwandelten sich die zuerst großflächigen
Motive in zartere Lineamente in der Art der Martinowka-Kultur, ohne mit
45
Abb. auf Tfl. C I bei Fettich „Die Metallkunst der landnehmenden Ungarn"
(Archaeol. Hungar. XXI, 1937).
46
Abb. Tfl. CII, bei Anm. 44.
47
Ganz gute Belege bringt der Katalog der „Ausstellung eurasiatischer Kunst"
(Wien, Kunsthist. Museum, 1934).
12. HUNNEN UND AWAREN IM DONAURAUM 285
dieser zusammenzuhängen. Die Riemenzungen sind meist kompakt, die
Beschläge hingegen gerne in hochqualitativer durchbrochener Arbeit ge-
halten. Formgeschichtlich ist bei den awarischen Bronzen die technische
Beeinflussimg durch den Kerbschnitt in Holz zu merken.
Der awarische Staat in Ungarn war zwar weit einheitlicher als der hun-
nische, aber dennoch kein geschlossener Nationalstaat, denn auch in ihm
lebten Klientelvölker anderen Stammes wie Germanen, Slawen und die
später so wichtig gewordenen späthunnischen Protobulgaren, also mit dem
pontischen Kulturstrom in Verbindung stehende Völker 48 . Im Vergleich mit
der fast vollständigen Uberlagerung des Hunnischen durch die Kunstübung
der Klientelvölker liegt bei den Awaren das Gegenteil vor. Den Slawen
fehlten die Voraussetzungen für eine wirksame künstlerische Betätigung,
Germanisches in alt-typischen Formen zeigt sich nun hier selten, und das
Protobulgarische begann erst langsam aktiv zu werden, um dann erstaun-
lich rasch eine große künstlerische Kraft zu erlangen, deren Hauptdenk-
mal in Ungarn der Goldschatz von Nagy-Szent-Miklos werden sollte.
Unter dem König Isperich (Asparuch) begann das erste bulgarische
Reich. Die kulturell tragende Oberschicht war türkisch-hunnischer Ab-
stammimg, die slawische Bevölkerung hatte keinen kulturellen Anteil, weit
mehr jedoch die altansässige Bevölkerung, denn gerade sie war die Bewah-
rerin der hellenistisch-römischen Tradition, was um so eher der Fall sein
konnte, da sich römische (oströmische) Siedlungen im ganzen südlichen
Ungarn lange erhalten hatten und Ausgangspunkte eines antiken Bestand-
teils werden konnten, der manches der altbulgarischen Kunst so eigen-
artig erscheinen läßt. Gewiß, die zwei altbulgarischen Paläste 49 in der da-
maligen Hauptstadt Pliska (heute Aboba) enthalten manche Belege für
das, was die Altbulgaren bei ihrer Wanderung aus Iran mitbrachten; auf
den orientalisch-iranischen Charakter der altbulgarischen Kunst deutet auch
das große Reiterrelief in einer Felswand bei Madara, es ist mit den Tierreliefs
von Stara-Zagora das westlichste Denkmal iranischen Kunsteinflusses.
Jedoch bereits das berühmte Kunstdenkmal der Protobulgaren, der
23teilige Goldschatz von Nagy-Szent-Miklos (Wien, kunsthist. Museum), ge-
arbeitet nach 850, zeigt neben dem Sasanidischen viel stärker das Helle-
nistische. Darin wäre wenigstens zum Teil die stille Mitwirkung der einstigen
römischen Siedlungen im südöstlichen Ungarn zu sehen.
48
Siehe die itf Anm. 33 angegebene Literatur.
49
B. Filow a. a. O. S. 7 mit Abb.
286 DIE WENDUNG ZUM WESTEN UND IHRE GEGENSTRÖMUNG
Ornamente, wie sie bisher im ungarischen Raum vor und außerhalb der
protobulgarischen Kunst noch nicht vorkamen. Ein kleiner Bronzebeschlag
(Hampel III. Tfl. 108, Nr. 14) zeigt geradezu eine Barockisierung von For-
men der spätrömischen Kunstindustrie, ist aber keineswegs eine spätantike,
sondern eine awarische Arbeit.
Einen sehr eigenartigen Rückgriff auf vergangenes Formengut belegen
drei Riemenzungen mit Tierkopfenden (Hampel III. Tfl. 105, Nr. io, 12,
13, 14). Ihre enge Verwandtschaft mit dem bekannten Tierkopfende auf
einem bronzenen Tragbügel aus Altlußheim52 (Baden) ist evident, auch wenn
die Schnauzenform variiert ist. Der stark beschädigte Tierkopf aus Altluß-
heim wird als hunnisch angesehen. Die weit besser erhaltenen Tierkopf-
enden aus Edelsthal stammen jedoch aus einem erst im ausgehenden 7. Jahr-
hundert angelegten Awarenfriedhof. E s ist schwer anzunehmen, die Awa-
ren hätten ihren Toten hunnische, zwei Jahrhundert alte Gebrauchsgegen-
stände mitgegeben, wahrscheinlich ist, daß in Edelsthal die in Zwischen-
gliedern nicht deutlich nachweisbare Weiterführung eines älteren reiternoma-
dischen und stark pontisch-germanisch gekreuzten Motivs vorliegt. Hält man
die Riemenzungen von Edelsthal und Altlußheim senkrecht mit dem Tier-
kopf nach unten, so ergibt sich mindestens optisch eine Ähnlichkeit mit den
nach unten beißenden Tierköpfen langobardischer Fibeln des I. und II.
Stiles, wie solche die Awaren in Ungarn kennenlernten. Die Möglichkeit
eines weiteren Anklingens an germanische Kunst liegt in Edelsthal bei den
Tierköpfen einiger Beschläge vor (Hampel, I I I Tfl. 106 Nr. 2 und Tfl. 108,
Nr. 18). Manche Betrachter wollen sogar an die Wikinger denken. Ein ge-
genständlicher Zusammenhang solcher Tierkopfenden könnte auch mit jenen
Stangen mit Tierbekrönung bestehen, welche die Langobarden „Pertica"
nannten53.
N. Fettich 54 sieht besonders in den Funden von Szentes-Nagyhegy den
Beginn einer neuen Tierdarstellung. Man darf jedoch eine Art Barocki-
sierung des Umrisses nicht sofort mit der Abstraktion eines Tierleibes gleich-
setzen. Die große, der Zeit nach späthunnisch-awarische Fibel aus dem er-
wähnten Grab ist hingegen eine typisch völkerwanderungszeitliche Kombi-
52
Abb. bei J. Werner und N. Fettich (siehe Anm. 1) 52.
58
Paulus Diaconus, a. a. O. lib. 5, cap. 34 mit der interessanten Erklärung des Wortes
durch Muratori in seiner Ausgabe der Histor. langob. in Script. Rerum Italicarum,
Tom. 1.
54
a. a. O. „ L a Trouvaille", Text zu Tfl. L V I I I und „Archäolog. Studien" a. a. O.
Tfl. X X V I / 2 und X X I X / i .
19 Altheim, Hunnen V
290 DIE WENDUNG ZUM WESTEN UND IHRE GEGENSTRÖMUNG
indirekt vor, also solche, die auch in der awarischen Kunst enthalten
waren. Mischungen gab es damals mehr als genug. In mehreren karo-
lingischen Gräberfeldern in Ostfrankreich fand man fränkisches und awa-
risches Kulturgut, im bayrischen Friedhof von Linz-Zizlau bayrisches und
auch wieder awarisches. Ähnliche Vermischungen treten auch in Gräbern
der Alpenslawen auf.
In einigen irisch-angelsächsischen Handschriften des späten 8. Jahr-
hundertes salzburger Herkunft, besonders im Cutbercht-Evangeliar und
im Codex Millenarius in Kremsmünster67, treten mitunter Zierleisten auf,
deren ornamentale Gestaltung der awarischen Kreislappenranke irgendwie
ähnlich erscheint. Ein slawischer Forscher glaubte in jüngster Zeit daraus
den Schluß ziehen zu müssen68, das Cutbercht-Evangeliar (und in weiterem
Sinn auch der Codex Millenarius) wäre hinsichtlich jener Schmuckformen
durch die slowakisch- awarische Missionierung entstanden. In Wirklichkeit
reicht bei strenger Prüfung des Sachverhaltes das Germanische in diesen
beiden Codices gerade noch deutlich erfaßbar bis zum langobardischen
Flechtband, aber auch nicht zu dem der ungarischen Zeit der Langobarden,
sondern zur oberitalienischen Ausprägung nach 6oo, wo die Übertragung
nach Westen durch irisch-angelsächsischen Mönche aus St. Gallen und Bobbio
erfolgt sein dürfte 69 . Wenn in einigen iro-agls. Handschriften großblättrige
Ranken vorkommen (Cutbercht-Evangeliar beiden Vollbildern der Evangelis-
ten Johannes und Matthäus, dann bei den aus Stift Mondsee stammenden Brie-
fen des Apostels Paulus, Wien, Nat. Bibl. Nr. 722, dem clm 1 6 1 2 8 in der bayr.
Staatsbibl. etc.), so ist dies das Aufscheinen eines Motives aus dem Formen-
schatz der Menschheit. Darüber hinaus können selbstverständlich auch
wechselseitige Anregungen bestehen, die um so eher möglich sind, wenn Stile
noch nicht ihre volle Reife erlangt haben. Daß aus dem ungeheuren und un-
ausschöpfbaren Reservoir der pontisch-skythischen Kunst (mit ihren peri-
67
Darüber Näheres in Neumüller und Holter ,,Der Codex Millenarius" (Graz,
Bühlau, 1959, Bd. 6 der Forschungen zur Geschichte Ob.österr. mit reicher Literatur).
58
J . G. Cincik, „Anglo-Saxon and Slovak-Avar Patterns of the Cuthbert's Gospel"
(Series Cyrillomethodiana Vol. 1, Cleveland, Ohio, 1958). Hier liegt eine Überschätzung
der Kunst der Völkerwanderungszeit vor und vor allem eine Unkenntnis der Ge-
schichte des damaligen Österreichs und der salzburgischen Ornamentparallelen im
Vergleich mit dem Cutberchtevangeliar.
59
In meinem Beitrag: „Beziehungen zwischen d. österr. u. d. irisch-angelsächs.
bild. Kunst im frühen Mittelalter" (in der Festschrift „österr. u. d. angelsächs. Welt",
Wien, Braumüller, 1961) bin ich auf diese Fragen und auf die damit in Verbindung
stehenden Wünsche näher eingegangen.
ιβ·
292 DIE WENDUNG ZUM WESTEN UND IHRE GEGENSTRÖMUNG
pheren Ergänzungen aus der iranischen wie auch der gotischen Welt) West-
europa gerade zwischen dem Ende des Frühchristentums und dem Beginn
der frühesten Romanik stärkste Impulse erhielt, ist seit Strzygowski ge-
nügend bekannt. Es wäre dennoch glücklicher, die Kreislappenranke der
irisch-angelsächsischen Buchmalerei vor 850 auf pontische statt auf awa-
rische Impulse im Besonderen zurückzuführen. Das gilt auch für die Tier-
kopfenden in diesen Handschriften, deren Voraussetzungen gleichfalls im
germanisch durchsetzten Pontus zu suchen wären, und die dann bei den
Awaren, wie bei den Wikingern ihre zeitlichen Parallen fanden.
13- K A P I T E L
SPRACHDENKMÄLER
• Irrig O. Donner, a. 0 . 4 7 .
13- S P R A C H D E N K M Ä L E R 295
Nr. 7 qaq vermutet wurde. Die Pausaform des xr wird bei Nr. 5 b anuqur ein
zweites Mal begegnen. Die Deutung nos iriä wird C. Brockelmann verdankt.
Das folgende Wort ist qoöur zu lesen. Das Verbum quöurmaq ist als solches
bei Käsgari belegt und qoduru begegnet dort und im Uigurischen21. Brockel-
man schlägt vor: „Trunk ( = trinke) am frühen Morgen (und) tue es mit
Eifer!"
Wir kehren zu dem Rest der Graffitti zurück. Mit Nr. 1 a—b ist die Le-
sung von Nr. 10a—b gesichert. Qadyu ist anscheinend der Beginn der dort
18 A. v. Gabain, a. O. n .
18 A. v. Gabain, a. 0 . 5 4 § 32; F . W . K. Müller in: A b h B A W . 1909, 23. Zeile iä statt
idi (zur Zeitbestimmung a. O. 16); zu kidiz·. kiiz V. Thomson, a. O. 253. Dazu käyik,
kiyik „Wild" in der Inschrift des Tonyuquq 8 (Orkun 1 ρ io2) gegenüber kiöih, was die
Handschrift Β aus Ferghana S. 41 ν. 1 im Qud. Bil. v. 401 Rahm, bietet (Hinweis
C. Brockelmann's).
20 C. Brockelmann in: OLZ. 8, 50; W. Bang in: Musion 38, 2; A. v. Gabain in:
Offen bleibe die Deutung von Nr. 11—12, wo mein zwischen den Lesun-
gen ^o/m»1*·2^ und aAo/«w1r1<i1n schwanken kann23. Qonardln wäre zu
stellen zu Konst. Porphyrog, 3, 169 Bonn.: οι Πατζινάκαι ol ττρότερον
Κάγγαρ έπονομαζόμενοι (τοΰτο γ α ρ το Κάγγαρ όνομα έττ' εύγενεία
καΐ άνδρεία έλέγετο τταρ'αΰτοις). Qonardln wäre dann Ablativ wie
künindin Nr. 6 b. A. v. Gabain (brieflich) hingegen denkt an qonrkü.
G. Feher, bekannt durch eine Reihe von Arbeiten, die sich mit den
Proto-Bulgaren beschäftigen, hat es unternommen, eine neue Deutung
der beiden griechischen Inschriften des Schatzes von Nagy-Szent-Miklos
zu geben1. Er glaubt ihnen entnehmen zu können, daß der Schatz nicht ins
9., sondern ins 10. Jahrhundert gehört. Auch die Zugehörigkeit zu den Proto-
Bulgaren entfällt für Feher: er meint mit Sicherheit einen Magyarenfürsten
Stephanos zu erkennen.
Es handelt sich um die gleichlautenden Inschriften der beiden Tassen
Nr. 9 und 10. Ihre Lesung bedeutete von jeher eine epigraphische und philo-
logische Crux. Der letzte Versuch stammte von J. Goschew2 (Abb. 8): δεά
Οδατοξ άνάπαυσον κε Is ζωήν αΐόνιον. Feher übernimmt, wie zu erwarten,
den ersten Teil: δεά ύδατος άνάπαυσον. Die darauf folgenden vier Zeichen,
darunter eine Ligatur, löst er in άγιε ΊησοΟ auf. Das ist im ersten Wort
C. Brockelmann, a. O. 9.
22
23Das Qumanische hat qovrov „Glocke" (K. Granbech, Kuman. Wörterb. 206)
statt mitteltürk. qonraq (C. Brockelmann, a. O. 160). Aber der Wandel ist nachweislich
spät (K. Granbech, a. Ο. ιοί.). Anders läge es, wenn B. v. Arnim (in: Zeitschr. slaw.
Philol. 13, ioof.) Recht hatte und strava bei Jordanes, Get. 258, türkisches astrav
mit ν < γ wäre. Aber weder ist die Einordnung in die lateinischen α-Stämme
verständlich noch der Abfall des anlautenden Vokals (wo gäbe es ein türkisches Wort,
das mit ähnlicher Konsonantenfülle anlautet) noch endlich das Alter des Überganges
von γ < ν. Daß Jordanes die strava mit gewaltiger commessatio gefeiert sein läßt, aia-
aber immer „essen" u. ä. heißt, sei noch hinzugefügt.
1 In: Arch. Isrtes. 1950, 34t.
κύριε έλέησον. Das kann ich nicht nachprüfen, weil von diesen mittelby-
zantinischen Liturgiebüchern nichts veröffentlicht ist. Ich kann darum
auch nicht sagen, in welch näherem Zusammenhang das Angegebene steht
oder wie alt diese Vorstellung einer Anapausis bei der Taufe ist.
Das Totengebet in Goars Euchologion, das etwa auf das 6. Jahrhundert
zurückgeht, heißt:
de Nagyszentmiklös (Arch. Hungar. 29) Taf. 16—18. Unter Richtigstellung meiner Be-
merkung Lit. u. Gesellsch. 2, 4 Anm. ig darf ich N. Fettich, J. Andor, K. Maröt und
J. Harmatta (last but not least) für die Besorgung des Buches danken.
7 Vgl. noch oben 1, 28of.
302 DIE WENDUNG ZUM WESTEN UND IHRE GEGENSTRÖMUNG
Wort zu verlieren. Schon daß der Neugetaufte einen Vater mit dem christ-
lichen Namen Paulos besessen hätte, spricht gegen die Kombination. Der
altslawische Bericht, der von der Bekehrung des Magyaren spricht, weiß
nichts vom Vater und noch weniger davon, daß er zusammen mit dem Sohn
oder nach ihm zum Christentum übergetreten sei 11 . Und mit Stephanos ent-
fällt auch jeder Grund, die Thesen oder gar den ganzen Schatz von Nagy-
Szent-Miklos ins 10. Jahrhundert zu setzen.
E s ist vielmehr so, daß schon vorher eine Übereinstimmung in der Zu-
weisung des Schatzes eingetreten war. Unabhängig voneinander hatten
Maurodinov und ich unsere Untersuchungen geführt, er von der kunstge-
schichtlichen Seite und ich durch Deutung der Runeninschriften. Beide
waren wir zum Ergebnis gelangt, daß die Proto-Bulgaren als die Verfertiger
des Schatzes und die Schreiber der Inschriften anzusehen seien. Ich setzte
die Entstehung des Schatzes etwa in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts 12 .
Die beiden Tassen Nr. 9 und 10 zeigen bereits das Christentum des Auftrag-
gebers. Damit gewinnt die Tatsache Gewicht, daß auf der Inschrift Nr. 1 a
und b 1 3 sowie auf dem Inschriftenrelief von Schumen14 das Kreuz in orna-
mentaler Funktion erscheint. Man wird mit allen diesen Stücken in die Re-
gierungszeit Boris' (853—888) und die mit ihm einsetzende Christianisierung
herabgehen müssen. Dazu stimmt, daß Maurodinov den Schatz in die zweite
Hälfte oder ins letzte Drittel des 9. Jahrhunderts herabrückt 15 .
3
Von entscheidender Bedeutung ist ein Marmorrelief, das 1928 in der
Nähe von Schumen in Bulgarien gefunden wurde. Es entstammt dem soge-
nannten Schumener Plateau, das bereits viele Altertümer aus türkisch-
bulgarischer Zeit gebracht hat. Es wurde von B. von Arnim und N. Fettich 1
veröffentlicht. Dargestellt ist eine sitzende männliche Figur mit einer drei-
zackigen Krone oder Haube auf dem Kopf. (Daß es sich in der Tat um eine
solche handelt und daß die Erklärungen der ersten Herausgeber in die Irre
gehen, wird die Inschrift bestätigen.) Spitzbart und waagerechter Schnurr-
bart weisen in den nomadischen Bereich. Schwerer ist die Waffe in der Hand
zu erklären, ebenso die Tiere rechts und links der Sitzfigur. Zwei Schlangen
sind deutlich; die beiden anderen Tiere hat man als Schweine oder Bären
gedeutet. Menander Protektor berichtet von den άγάλματα διάφορα τ η
μορφή bei den Türken, den vier goldenen Pfauen, die den Thron des Siza-
bolus trugen2. Oberhalb von ihnen erkennt man ein zweigiebliges Gebäude
mit Kreuz und den Giebelfenstern. Darunter befindet sich beiderseits der
18F. Altheim, a. O. 1, 206; 230.
19F. Altheim, a. O. 1, 201 Anm. 18.
20 A. v. Gabain, a. O. 329 s. v.
Relief aus Schumen ist merkwürdig durch die noch immer bewahrte enganliegende
Ledertracht, die wohl archaistisches Königskostüm sein wird und die Krone, die nicht
mittelmeerländisch ist. Ganz sonderbar der Spieß mit der Parierstange; es gibt ähnliche
Vorrichtungen bei Spießen für die Eberjagd, die verhindern, daß das Biest zu nahe
kommt, wenn es sich festgerannt hat. Die Vierfüßler mit den dünnen Beinen möchte ich
doch für Hunde halten." Für den Spieß mit der Parierstange weiß ich keine Parallele.
Ist es eine Armbrust chinesischen Typs ? Vgl. oben 4, 42 und M. Suenaga. Die Waffen
des alten Japan (japan. 1941) Taf. 70; 72. Die Krone jedenfalls ist chinesischen
13. SPRACHDENKMÄLER 305
Figur je eine sechszeilige Inschrift. Ihre Lesung ist, soweit mir bekannt,
noch nicht versucht worden.
Der erste Augenschein zeigt, daß sie in dem gleichen Alphabet geschrieben
ist wie die Inschriften des Schatzes von Nagy-Szent-Miklos. Die Schrift ver-
läuft wiederum von rechts nach links. Dementsprechend sei mit der
obersten Zeile rechts begonnen.
Man liest: xymS S2d. Das Zeichen für m hat die gleiche Form wie in Nagy-
Szent-Miklos, nur ist es auf den Kopf gestellt. Dann geht es in der zweiten
Zeile weiter: ^W-rkü, wobei 2k die gleiche Form wie in den Handschriften zeigt.
Man unterscheidet sofort: Sad korkü „das" oder „ein £«<2-Bild"3. Mit Sad
ist der Herrscher mit der Krone gemeint, den das Relief darstellt. Es ist
wichtig, dem aus dem Iranischen entlehnten Sad zu begegnen; es entspricht
dem gleichfalls iranischen Lehnwort noS auf den Inschriften von Nagy-
Szent-Miklos. Das vorangehende xymS muß ein Partizip enthalten haben. Am
Anfang ist mindestens ein Buchstabe weggebrochen. C. Brockelmann er-
gänzt schlagend: oim'is von mitteltürk. oimaq „aushöhlen"4. Also „ausge-
höhltes" oder „eingehauenes Bild des Sad". Darstellung und Anfang der
Inschrift entsprechen einander.
Der Rest der zweiten Zeile schließt sich an. Schwierigkeiten macht zu-
nächst der vierte Buchstabe von rechts. Man möchte an Η denken, in der
Form, die es auf den Inschriften von Qarabalgasun und vom Jenissei, aber
auch in den Runenhandschriften aufweist. Es folgen 2y in der Form der
Jenissei-Inschriften und (nach der Zeichnimg B. v. Arnims). Dann wäre
zu lesen: tiyib = tiyip mit b vor folgendem Vokal. Dieses tiyib, tiyip wäre
eine Nebenform zu dem aus dem Alttürkischen und Uigurischen bekannten
tip. Es bezeichnet das Ende der vorausgegangenen Wortgruppe.
Die dritte Zeile der rechten Hälfte und die erste der linken müssen zu-
sammengenommen werden. Ich lese: 2nxlll'iqlnln, wobei die beiden Formen
von η wieder denen der Jenissei-Inschriften entsprächen. Nur sind sie nicht
nach der Art der umgebenden Vokale geschieden, sondern xn ist am Wort-
Ursprungs, wie der Kopf eines Bodhisatva in Eisenguß (Abb. 26) und die Holzfigur
einer Kuanyin (Abb. 27) zeigen, beide aus dem 11. Jahrhundert und dem Berliner
Kunsthandel entstammend. Tracht und Bewaffnung waren demnach von den Proto-
bulgaren aus ihrer mittelasiatischen Heimat (oben 1, 95f.) mitgebracht.
3
Vgl. ögrünt tigin tängrim AörAw „Bildder Prinzessin ögrünc (Freude)" bei F. W. K.
Müller, Uigurica 2 (in: AbhBAW. 1910), 93.
4
C. Brockelmann, Mitteltürk. Wortschatz 126. Wenn B. v. Arnims Zeichnung zu-
trifft, ist O/M am Anfang der Zeile erhalten.
20 Althelm, Hunnen V
306 D I E W E N D U N G ZUM W E S T E N U N D I H R E GEGENSTRÖMUNG
ende gesetzt. E s geht auf der anderen Seite weiter: iS^cPn. Dabei besitzt i
die aus den Handschriften geläufige Form, S ist mit dem nach rechts ver-
laufenden Querstrich versehen, den auch 2y, xn und 'iq aufweisen und der
eine Eigentümlichkeit unserer Inschrift darstellt. Die Form des ld ist aus
Nagy-Szent-Miklos bekannt. C. Brockelmann verdanke ich die Deutung:
anilikin ist „jener, der in hervorragendem Maß die Herrschaft besitzt".
Man kennt an aus anilki, wo es, wie auch in unserem Wort, noch als besonderer
Bestandteil empfunden wird; das zeigt das Fehlen der Vokalharmonie. Auf-
fällig ist die Doppelschreibung von Η u n d 1 » . Bei ilik-iliki ist sie etymologisch
gerechtfertigt: *il-lik6. A u c h A. v. Gabain deutet: (a)n i 7 + % - f (ϊ)» „der die
höchste Herrschaft H a b e n d e " : dabei als Formans, das denominale No-
mina bildet, vgl. ot „ F e u e r " , otun „Brennholz". Das zweite hingegen ist
Genetivsuffix. In der T a t läßt sich so allein die Doppelheit von 1 n erklären".
Die erste Zeile links liest sich ohne Schwierigkeiten als iSiyidin. Also A b -
lativ von iSiyi, einem, wie man erklärt 7 , chinesischen Namen oder einem aus
dem Chinesischen stammenden Titel. D a s Bild des Sad wäre also eingehauen
durch den iSiyi des amliki. W a s ist damit gemeint ?
Unsere Inschrift schreibt iS'y, wie die dritte Zeile noch bestätigen wird,
nicht iSiyi wie die Grabinschrift des Kültegin. In ihr heißt es: (N 12) =
tabyac qayanda iSiyi likan kälti. Likan ist der chinesische Gesandte Liu
Hiang, der 731 zur Beisetzimg Kültegins kam. ISiyi enthält, wie der Ver-
gleich mit iSiy auf unserer Inschrift zeigt, am Ende das besitzanzeigende
Suffix der 3. Pers. Sing. E s kann also kein Name sein, der likan parellel steht,
wie noch V . Thomsen 8 und Orkun 9 vermuteten. Sondern likan oder Liu
Hiang war der iSiy des chinesischen Kaisers. Das Wort bezeichnet eine
Funktion. Man könnte es versuchsweise als „ B e a u f t r a g t e r " übersetzen, wo-
bei Anknüpfung an iS naheliegt, wenn auch das Suffix-iy sonst nicht belegt
ist 1 0 (eine Deutung aus dem Chinesischen hat sich bezeichnenderweise nicht
finden lassen 11 ). A u c h in unserer Inschrift ließe sich iSiy durch „ B e a u f -
6 Etymologisch richtig ist SW yolliy tigin statt des sonst üblichen yoliy tigin ge-
schrieben.
β Α. ν. Gabain bei F. Altheim, Literatur und Gesellschaft 2 (1950), 300.
7 A. v. Gabain, a. O. 312 s. v.
kommen. Auch sei an iyin „infolge von" und iyä „zufolge" von iy- „folgen" erinnert.
1 1 Auch der i'iqan des chinesischen Kaisers Ν 13 läßt sich aus dem Chinesischen
nicht deuten.
13- SPRACHDENKMÄLER 307
tragter" wiedergeben. Das Bild des Sad ist eingehauen durch den dazu Be-
auftragten. Dieser iSiy ist näher bestimmt durch den Genetiv anilikinin,
womit nur ein besonders Hochgestellter gemeint sein kann. Da an hinzu-
gefügt ist, wird es zum Unterschied vom Sad sein Oberherr, der qayan selbst,
sein. Krum erscheint auf der Inschrift von Hambarly Α als ό άρχων ό a
Βουλγά(ρων) und an anderer Stelle als ό Πρωτοβουλγαρίας 12 .
Es fehlen noch die zweite und dritte Zeile links. Zunächst tyaWg, wobei α
an die Form des ä in den Jenisseiinschriften erinnert. Gemeint sein kann nur
ya-bäg „der Herr der Bogenschützen", τοξάρχης (Arrian., anab. i , 22, 7),
als Titel oder als davon abgeleiteter Name. Es folgt in der dritten Zeile:
iSiy, dasselbe Wort wie in iSiyidin der ersten. Wieder fällt die Doppel-
schreibung, diesmal des S auf, entsprechend dem, was in der dritten Zeile
rechts beobachtet wurde. Diesmal muß das Streben nach Zeilenfüllung der
Anlaß gewesen sein, was am Schluß der Inschrift besonders einleuchtend
ist12*. „Der Befehlshaber der Bogenschützen (war) der Beauftragte" gibt
die weitere Ausführung zu dem, was zuvor gesagt wurde 13 .
Die Inschrift von Schumen hat bestätigt, daß die Sprache der Donau-
bulgaren in allem Wesentlichen mit dem Türkischen zusammenfällt14.
Ein Wort noch über die Behandlung der Titel in dem jüngsten Werk
W. Beschewliew's über die proto-bulgarischen Inschriften 15 . Hier sind
Unrichtigkeiten zu beanstanden16, und sie umfassen auch yabäg.
12 H . Grigoire in: B y z a n t . 9, 753; 755; Script, inc. de Leone Arm. p. 348 Bonn.
12a Zeilenfüllendes i und h im T e x t des Chuastuanift bei A . v. L e C o q in: A b h B A W .
1910 A n h a n g 8f.
13 Nicht erreichbar waren mir die von N . Fettich, a. O. 272 (unter Hinweis auf
K . B e n e ä e v i c i n : I z v j . Imp. A r c h . - K o m m . 1913, i o i f . ) und 273 genannten Inschriften.
Dasselbe gilt von den A u f s ä t z e n von P. Melioranskij in: Zapiski Vost. O t d . Imp. Ross.
Arch. Obäc. 14, I 7 f . ; 15, 34f.
14 D a m i t widerlegt sich die Ansicht, die N. Poppe und W . W . Barthold an ver-
schiedenem Orte geäußert haben, wonach das „ A l t b u l g a r i s c h e " mit dem Tschuwa-
schischen zusammengehöre — zumindest für die Donaubulgaren; vgl. N . Poppe in
Asia M a j o r 1, 7 7 5 f . ; Ungar. Jahrb. 7, 151 f . ; weitere Angaben bei Β. V . Minorsky,
H u d ü d al-'älam 460. — C. Brockelmann erwähnt die Möglichkeit, daß es bereits eine
alttürkische Schriftsprache gab, die über den Dialekten stand und deren Unterschiede
verdeckte.
16 Ich erinnere daran, daß Beschewliew's Werk mir bei Niederschrift der folgenden
Sätze allein in den Fahnen zugänglich war. E s konnten demnach keine Seitenangaben
gemacht werden. W o solche unter Berufung auf Beschewliew erscheinen, beziehen sie
sich auf seine A u s g a b e von 1934.
16 Beschewliew übt Kritik an meiner Interpretation protobulgarischer Inschrif-
ten. Inwieweit mit Berechtigung, zeigt das Obige.
20*
308 DIE WENDUNG ZUM W E S T E N UND IHRE GEGENSTRÖMUNG
Bocyorroup ist nach Beschewliew „Held". Daß das Wort dies später bedeu-
tet, darüber besteht kein Zweifel. Seinem Ursprung nach ist jedoch iranisch
und besagt: „einer, dessen Feuer Gott (oderMithra) ist", worüber oben i , 47 f.
gehandelt wurde. Auch ταρκαυος, nach Beschewliew „Feldherr", ist mißver-
standen. Seine ursprüngliche Bedeutung führt auf den „Schmied" (oben 1,
213); eine Reihe weiterer Bedeutungen, die alle mit dem Feldherrn nichts zu
tun haben, hat Κ. H. Menges zusammengestellt17. Damit entfällt auch
Beschewliew's boila baya tarqan „Feldherrn der Boilen und Bagen (Baga-
inen)", ebenso ζουττσν ταρκανος „Feldherr der 2upanen". Im letzten Fall ist
hinzugekommen, daß ζονπαυ ursprünglich Titel eines Steuererhebers war,
wie auch der Titel nSgüS: es war der „Vieh-Herr" (oben 4, 39 Anm. 6). Mit
unserem yabäg, yabyu hat ein zweiter Einfall Beschewliew's zu tun. Er trennt
bisher gelesenes κανας υβιγη neuerdings18 in κανα συβιγη ab und erklärt
das zweite zum „alttürkischen bzw. tocharischen Herrschertitel" yabyu
(bei Beschewliew falsch geschrieben). Schwer zu sagen, was Beschewliew sich
unter tocharisch gedacht haben mag. Man hat κανα? und κανα, βοιλας und
βοιλα nebeneinander. Aber daß συβιγη yabyu sein könne, braucht wohl
nicht widerlegt zu werden. Das Richtige wird im folgenden Abschnitt
gegeben.
4
In Kültegins Grabschrift stehen sich Sad und yabyu gegenüber (E 14),
ähnlich wie auf unserem Denkmal Sad und yabäg. Der zweite Bestandteil des
zuletzt genannten Titels: bäg begegnet auch als ß a y und in dem griechisch
geschriebenen ßayavos oder βαγαινος der bulgarischen Inschriften 1 . Es
ist zu lesen als bayan oder bayän, demnach als bay vermehrt um das Suffix
-an oder -än, das in ärän und oylan vorliegt2. Die Vokalharmonie ist in bayän
ebensowenig durchgeführt wie in yabäg selbst3. Bay, bäg geht, wie anerkannt,
17 The Oriental Elements in the Vocabulary of the Oldest Russian E p o s (1951)
56f.
18 So schon bei G. Moravcsik, Byzantinoturcia 2 2 , 330.
1 G. F e h i r in: Archaeolog. Hungar. 7, 145; 146; 154; J. Marquart, Chronol. d. alt-
türk. Inschrift. 40 A n m . 1 ; vgl. 2; 26; Marquart hat A b h G G W . N . F . 19, 1, 71 in Toup-
ξάθος ein türkSad erkannt.
2 A . v. Gabain, a. Ο. 61 § 56; ώ λ α ν η ς auf der Grabschrift eines Komnenen in K o n i a :
P. W i t t e k in: B y z a n t . 10, 5 o 6 f . ; H.Gregoire, ebenda 515. O. Szemer£nyi erinnert an die
mittelpersische Anrede smäx bagän (beispielsweise im A y ä t k ä r - i zarerän). D a n n müsse
man in bayan kein türkisches Formans suchen. V g l . noch W . Eilers in: Z D M G . 90,
1 6 0 f . ; zu soghd. βγ"η W . B. Henning, ebenda I 9 7 f .
3 Vergleichbare Fälle bei W . B a n g in: Musion 36, 198 A n m . 4.
13- S P R A C H D E N K M Ä L E R 309
auf iranisches baga- zurück4. In den soghdischen Briefen I I — V I I I werden
Höhergestellte mit den Titeln βγw xwt *w „βαγό-Herr" beehrt8. Die Herrscher
der Hephthaliten nennen sich auf ihren Münzen σρι ßocyo = Sri bagö8. Der
letzte Herrscher (aßtn) von Usrüsana mußte in dem Prozeß, der ihm 218
H./840 gemacht wurde 7 , zugeben, daß die Briefe seiner Untertanen die her-
kömmliche Adresse trugen: „ A n den Gott der Götter, von seinem Diener
Ν. N., Sohn des Ν. N . " Das Herrschaftsgebiet der afSin von Usrüsana
reichte von Djizak bis Chogend und den oberen Lauf des Zarafsän, umfaßte
also Teile der Sogdiane; dort ist der Titel aßtn auch in späterer Zeit noch
belegt8. Die Verbindung der Formel9, die dem aßln gegenüber angewandt
w u r d e , m i t d e m 'L ßyw xwt'w. . . pySt MN xypd ßntk „ a n den G o t t h e r r n . . .
geschrieben von seinem Diener . . . " der alten soghdischen Briefe ist augen-
fällig. Nur daß der aßtn nicht einfacher bäg, sondern ein bäglär bäg war 10 .
Die türkischen Bulgaren sind die Fortsetzer von Attilas Hunnen ge-
wesen. Da ist die Feststellung wichtig, daß die Hunnen in der gleichen Über-
lieferung stehen. Priskos 11 erzählt, wie sehr es die Hunnen verdrossen habe,
daß von römischei Seite Theodosios II. als Gott, Attila aber nur als Mensch
angesprochen wurde. Dazu stimmt, daß Kuridachos dem Auftrag, sich an
den Hof Attilas zu begeben, mit der Wendung sich entzieht, daß es für einen
Menschen schwer sei, vor das Antlitz eines Gottes zu treten. Sei es schon
nicht möglich, die Sonnenscheibe anzuschauen, wieviel weniger dann, ohne
Schaden sein Auge auf den größten der Götter zu richten18. Man sieht: auch
4
W. Bang in: Mus^on 38, 34.
5
H. Reichelt, D. soghd. Handschriftenreste d. Brit. Mus. 2, 1 3 f . ; doch vgl. W. B.
Henning in: B S A S . 1948, 604 Anm. 2.
β
Η. Junker in: S B A W . 1930, 645f. Zu russ. stribogs S. Pirchegger in: Ztschr. slaw.
Philol. 1947, 3 1 1 f.
7
Zum Folgenden Jabari, ann. 3, 1310, i 8 f . ; E . G. Browne, A Literary Hist, of
Persia 1, 333 (den Hinweis verdanke ich J . Fück); Ε . Herzfeld, D. Malereien von Sa-
marra 85.
8
W. Barthold in: Enc. Isl. i 1 , 188; J . Marquart, D. Chronologied.alttürk. Inschr.
6 1 ; 72.
9
fabari, 1. c. 1 3 1 1 , 1.
10
Zu vergleichen ist, worauf mich P. Thieme hinweist, die Bedeutungsentwicklung
von altind. deva-, das im klassischen Sanskrit einfach „König" bedeuten kann. Über
soghd. ßypwr als Bezeichnung des chinesischen Kaisers: W. B. Henning in: B S O A S .
10, 94 Anm. 2; 1 1 , 736.
11
Bei Konstant. Porph., 1. c. 1, 123, 24t.
12
Priskos bei Konst. Porph., 1. c. 1, 130, 2of. Daß die Akaziren Hunnen waren,
betont mit Recht E . A. Thompson, A History of Attila and the Huns 1 1 ; 44; 76; 94 f.
Vgl. Altheim-Stiehl, Ein asiatischer Staat 1 (1954), 2 8 4 ^ und oben 1, 276f.; 4, 274t.
310 DIE WENDUNG ZUM WESTEN UND IHRE GEGENSTRÖMUNG
Attila wurde als „ G o t t " , demnach als baga- oder bäg von seinen Untertanen
betrachtet und angeredet. Wenn er als μέγιστος τ ω ν θεών bezeichnet wird,
so kann es kaum anders verstanden werden als jenes „Gott der Götter", das
die Untertanen des afsln von Usrüsana an die Spitze ihrer Schreiben
setzten. Auch Attila war ein bäglär bäg. E s ist wertvoll zu wissen, daß
man zu seiner Zeit noch den Doppelsinn des iranischen Lehnwortes,
das „ G o t t " und gleichzeitig den Titel eines Höhergestellten bedeutete,
gekannt hat.
Yabäg wurde zuvor als der „Herr der Bogenschützen" gedeutet. Auf
einer der hephthalitischen Münzen erscheint die Pehlevi-Legende ypgv', die
man als yabyu, aber auch als yaßayö13 lesen kann. Im Alttürkischen konnte
daraus, mit Schwund des Vokals in mittlerer offener Silbe 14 und Ersatz von
auslautendem -o durch -w lfi , yabyu werden. So standen yabäg und yabyu
nebeneinander. O. Szemerenyi (brieflich) erinnert daran, daß im Ostirani-
schen der Nom. baga > βαγ, der Akkus, bagam > ßayu geworden ist. Dann
vertritt yabäg den Nom., yabyu den Akkus. Man wird dieser schlagenden Er-
klärung zustimmen.
Die hephthalitischen Münzen, die auch den türkischen Titel tigin geben1®,
haben außerdem die Form l o n y o erhalten. Sie ist bezeichnenderweise zu-
sammen mit τορκο, also dem Türkennamen, überliefert 17 . Hier ist α vor u/o
der folgenden Silbe zu ο umgelautet 1 8 ; ρ statt b ist pseudohistorische Schrei-
bung wie in dem zuvor genannten ypgv'. Auch die Orchon-Inschriften geben
in solcher Schreibung Rom mit pur'im wieder 1 ', und ebenso ist der Perser-
name in der Form bäröäkär zu erklären 20 . E s liegt zugrunde eine pseudohi-
storische Schreibung prcan = färzän21, mit Ersatz des anlautenden p durch
bM. Also *färzäk-är, Zusammensetzung aus einem mitteliranischen und
einem alttürkischen Bestandteil wie yabäg oder yabyu.
Über die Verehrung der Sonne bei den Hunnen: A. Alföldi, La royaut£ double des
Turcsin: Ilme Congr. Türed'hist. S. 12 d. Sep.-Abdr.; oben 1, 2i3f,; 2, 275.
18 H. Junker, a. O. 653.
14 A. v. Gabain, a. O. 44 § 15 Ende.
1 7 H. Junker, a. O. 665.
1 8 A. v. Gabain, a. O. 49 § 22.
21 Η. Junker, a. Ο. 648.
Inschriften zur Genüge bekannt ist9. Vor dem ersten Titel steht ζητκωη. Eine
Erklärung hat sich bisher nicht finden lassen. Beschevliew's Ansicht, es handele
sich um einen Titel, ist, wie immer, ohne Anhalt; Wenedikow glaubte einen
Eigennamen zu erkennen. Entsprechend sieht er auch in τωρτωυνα Ζ. 6—7
einen Eigennamen, Beschewliew einen Titel. Aber zweifellos liegt ein Kasus
vor; liest man (wie man muß) turtuna, so könnte es sich um den Dativ der
besitzanzeigenden Endung der 3. Person Singularis(-|-wa, +nä) handeln10. Es
bleibt turt, das nichts anderes sein kann als tört. Mahmüd al-Kä§gari sagt,
gegenüber trt sei die Aussprache twrt besser11. Damit kann er nur turt
gemeint haben. Bestätigung erbringt das folgende πίλε. Wenedikows Deu-
tung bedarf keiner Widerlegung. Es handelt sich um die bekannte Post-
position : zur lautlichen Gestalt vergleiche man bilän neben birlä, qumanisch
bile neben birle12; Konstruktion mit dem Dativ ist bei birlä nicht belegt, aber
bei Postpositionen sonst häufig: körn yörügkä iyä „der richtigen Definition
zufolge 13 "; tämir qap'iyqa tägi „bis zum Eisernen Tor 1 4 "; ilig bägkä utru
„dem König gegenüber" 16 .
Eine zweite Möglichkeit, die vermutlich vorzuziehen ist, wäre turt-\-u-\-na
mit auslautendem α statt ϊ 1β Turtuni ließe sich als Akkusativ verstehen, mit
dem birlä verbunden wird: sizni birlä „mit euch".
Also turtuna(-'i) bilä „zusammen mit den Vier". Was ist damit gemeint ?
Voran geht eine Aufzählung von Gegenständen mit Zahlenangaben, die in
vier Posten geordnet sind. Eine entsprechende, gleichfalls in vier Posten
zusammengefaßte Aufzählung folgt. Wie zum icirgü boila solche vier gehören,
so auch zum zupan. Es sind seine,, Vier", mit denen zusammen er genannt wird.
Inden Aufzählungen erscheint jeweils zweimal das WortKUire. Wenedikow
hat darin richtig kübä „Ringpanzer, Panzer" erkannt. Die Schreibung π für b
war soeben in πίλε = bilä begegnet. Wenedikow erinnert darüber hinaus an
zwei protobulgarische Inschriften, in deren einer es heißt, daß mit Bagatur,
Sohn des Bagainos, λοράκηα ή ν όμοΟ νγ', κασίδισ μέ17. Auch die zweite
• Dazu I. Dujöev in: Acta orient. Hung. 3, 167f.; oben 4, 39 Anm. 36.
10 A. v. Gabain, Alttürk. Gramm.2 98.
u 1, 286, II.
12 K. Grenbech, Kuman. Wörterb. 59 f.
J. J. Reiske's Kommentar.
19 Anders Theophan. 490 Bonn: λωρ{κια und τάς κασσίδας καΐ ττάντα τά άρματα
21 K. Grenbech, a. O. 158.
Anm. 4.
25 Berliner Ausstell, chines. Kunst Nr. 277.; oben 2, 6if.; 267; 282.
Die Inschrift bestätigt, wenn es dessen noch bedurft hätte, die grund-
sätzliche Richtigkeit der Deutung, die gegenüber den Inschriften von Nagy-
Szent-Miklos und Schumen vorgetragen wurde. Es handelt sich in allen
Fällen um türkische Sprachdenkmäler. Es bestätigt sich aber noch ein
Weiteres. Es war zuvor vorausgesetzt worden, daß die Vokalharmonie in
den Runeninschriften nicht zum Ausdruck gekommen sei. Dabei wurde
offen gelassen, ob eine ältere Form der Schrift vorlag, die diese Harmonie
nicht zum Ausdruck brachte, oder ob die Sprache der Türkbulgaren sie nicht
mehr besaß. Deutlich war nur soviel, daß ϊ die Neigung besaß, neutral zu
werden und den Unterschied von palataler und velarer Färbung unbeachtet
zu lassen. Die neue Inschrift gestattet, einiges schärfer zu fassen.
Zunächst ist, ebensowenig wie in der Inschrift des Buila und Butaul, i
und ϊ unterschieden. Es stehen χωυμσχη, τωυλσχη, αλχαση und χλωιβρην
neben εστρυγην. Aber darüber hinaus ist die Vokalharmonie gestört in
Fällen wie βουλε und εστρωγην; das läßt sich amlliqin und yabäg auf der
Inschrift von Schumen zur Seite stellen. Aber während in diesen Fällen
daran erinnert werden konnte, daß es sich um Komposita handelte, kommt
dies nur für εστρωγην, nicht aber für βουλε in Frage. Es darf demnach als
84 W. Beschewliew, a. O. 73.
13- SPRACHDENKMÄLER 317
DIE PROTO-BULGAREN
Wer nach den sprachlichen Resten der Hunnen und Awaren sucht, muß
sich mit Namen und Glossen zufriedengeben. Allein von den Proto-Bulga-
ren sind zusammenhängende Sprachdenkmäler bewahrt; auch was sich
von Chazaren (oben i, 174) und Petschenegen (oben i, 273) 1 erhalten
hat, läßt sich nicht vergleichen. Die soeben behandelten Denkmäler sind
umfassend genug, um über die eigne türkische Sprache hinaus die der hun-
nischen und awarischen Vorgänger (wenn es dessen noch bedarf) zu bestä-
tigen. Sie gestatten, eine Entwicklung abzulesen, die man bei Hephthaliten
und Hunnen erschließen muß.
Die türkische Runenschrift ist nicht vom hunnischen Muttervolk der
Hephthaliten geschaffen worden. Diese Feststellung muß ausdrücklich ge-
macht werden. So bedeutungsvoll die Erforschung der hephthalitischen Ge-
schichte und Kultur für den Gesamtbereich des Hunnischen geworden sein
mag, im vorliegenden Fall läßt sich keinerlei Anhaltspunkt erkennen. Die
früher vertretene Ansicht, das runische Alphabet habe sich aus dem älteren
soghdischen entwickelt2, hat sich nicht bestätigt. Vielmehr haben sich
die Runen, wenn unsere Darlegungen zutreffen, aus der armazischen
Spielart der aramäischen Schrift (zusammen mit dem dort eingedrungenen
Pärsik) gebildet (oben 1, 268f.). Von diesem Ursprungsort aus hat das Neue
den Weg zu Chazaren und Osttürken (am Talas, im Siebenstromland und
am oberen Jenissei, an Orchon und Selenga) einerseits, zu den europäischen
Hunnen (oben 1, 2 8 3 ! ) und Proto-Bulgaren andererseits eingeschlagen.
Bei diesen hat sich Runisches nicht nur in den Aufschriften des Schatzes
von Nagy-Szent-Miklos und des Reliefs von Schumen erhalten, sondern
darüber hinaus in den Inschriften von Homor6dkaracsony (oben 1, 280I)
und Kalugerica (oben 1, 260). Doch schon frühzeitig (oben 1, 258) trat dem
1
Vgl. noch Κ. H. Menges in: Byzantion 17 (1944—45), 2$6f.
2
F. Altheim, Literatur und Gesellschaft 1 (194g), 195f.
14- DIE PROTO-BULGAREN 319
das Vulgärgriechische zur Seite, bedeutsam darum, weil sich damit nicht nur
in der äußeren, sprachlichen Form der Wechsel ergab, sondern auch
in der inneren. E s sei an früher Gesagtes (oben i , 282) erinnert. Die vul-
gärgriechischen Tatenberichte erzählen ausschließlich von Kämpfen und
Siegen gegen Byzanz. Sie sollten von der Bevölkerimg gelesen werden, denen
die Auseinandersetzung galt: von den griechisch sprechenden Bewohnern
der Donauprovinzen des byzantinischen Reiches. Hingegen wandte sich die in
türkischer Sprache abgefaßte, in Runen geschriebene Inschrift von Homo-
rodkaracsony an solche, die an der Grenze des bulgarischen und awa-
rischen Herrschaftsbereiches angesiedelt waren und Türkisch sprachen. Sie
wandte sich an diese nicht nur in der ererbten Sprache, sondern mittels der
ererbten Vorstellungswelt. Der im runischen Bruchstück festgestellte Ver-
gleich aus dem Tierleben, der für die einstmalige Reichsbevölkerung wenig
besagte, wirkte um so mehr auf einstmalige Nomaden gleich den Proto-Bul-
garen und Awaren. Schwerlich ist Zufall, daß man einer ähnlichen Äuße-
rung in hephthalitischem Mund begegnet (oben 1, 281).
Diese Gegensätzlichkeit in den Formen der Äußerung mußte jedoch in
zunehmendem Maß der Angleichung weichen. Schon in der Inschrift von
Kalugerica stand Vulgärgriechisches neben Türkischem in runischer Schrift.
Die Boila-Butaul-Schale des Schatzes von Nagy-Szent-Miklos gibt einen
türkischen Text in griechischer Schrift; zwei weitere Stücke weisen dem
Türkischen in Runen neben der griechischen Beschriftung einen fast ver-
schwindenden Raum zu. Auch innerlich beginnt sich die türkische Sprache
zu zersetzen. Denn nicht anders kann verstanden werden, wenn festgestellt
werden mußte, daß die Vokalharmonie gestört ist. Deutlich erkennt man,
daß das Ererbte sich im Rückzug befindet. Die Inschrift von Catalar gibt
ihre türkische Datierung bereits in griechischer Umschrift (oben 1,259), und
ähnlich — Griechisches neben Türkischem, aber beides in griechischem Al-
phabet — wird man sich die Vorlage der altbulgarischen Königsliste (oben 1,
258 f.) zu denken haben. Türkisches in griechischer Schrift bietet die Säule von
Bjal brjag. Doch während in Catalar und in der Königsliste sich die Datie-
rung im zwölfjährigen Tierkreiszyklus noch von allem, was in der vulgär-
griechischen Fassung begegnet, scheidet, ist in Bjal brjag die Angleichung
erneut einen Schritt vorangetrieben. Der Inhalt des dort Mitgeteilten stimmt
in allem Wesentlichen mit zwei weiteren, diesmal vulgärgriechischen In-
schriften überein. Inhaltlich nimmt das Türkische keine Sonderstellung mehr
ein.
320 D I E W E N D U N G Z U M W E S T E N UND I H R E GEGENSTRÖMUNG
Eine Episode besonderer Art spiegelt die lateinische Inschrift aus Pres-
law, die W. Nikolaew3 veröffentlicht hat. Sie ist unter Boris gesetzt und ent-
stammt jener Etappe der christlichen Mission, da man mit Rom unter-
handelte4. Dementsprechend spricht sie die Anerkennung der päpstlichen
Hoheit, vermutlich unter Nikolaus I., aus. In der Folge kam man auf die
damit aufgetauchte Möglichkeit nicht mehr zurück; sie verschwand
dennoch nicht ganz aus dem geschichtlichen Gespräch8. Wer die zuvor ge-
gebene Ubersetzung von Rabban Saumä's Gesandtschaftsbericht gelesen
hat (oben 3, igof.), wird beeindruckt worden sein durch das Ubermaß der
Verehrung, das der „uigurische Mönch" (oben 3, 212) dem päpstlichen
Stuhl und seinem Inhaber entgegenbringt. Solche Haltung fällt um so mehr
ins Gewicht, als dieser Mann, der im nestorianischen Glauben im fernen
Asien aufwuchs, wenig Gelegenheit haben konnte, sich ein einigermaßen zu-
treffendes Bild zu verschaffen. Wie immer man zu verstehen hat, Rab-
ban Saumä fügt sich einem Gesamtstreben ein, das fast überall bei diesen
Türkvölkern entgegentritt.
Die sprachliche Entwicklung allein liefert ein Bild, das alle wesentlichen
Züge enthält. Gleichwohl soll versucht werden, dem das eine oder andere
hinzuzufügen und jenes Bild zu bereichern.
Der Schatz von Nagy-Szent-Mikl6s wurde zuvor mehrfach herangezogen,
nicht nur wegen seiner Aufschriften, sondern auch um seiner kunstge-
schichtlichen Bedeutung willen. Zunächst erwies er sich als Ausdruck dessen,
was man sich gewöhnt hat, als nachsasanidische Kunst zu bezeichnen1. Da
die in Frage kommenden Stücke nicht unter den Sasaniden entstanden
sind2, konnten ihre spätsasanidischen Formbestandteile nur als ererbtes Gut
verstanden werden, das die Proto-Bulgaren aus ihrer nordost-iranischen oder
3 In: Izwestija des Bulgar. Archäol. Instit. 1950, 122!.
4 Dazu G. Eldarow in: Ostkirchliche Studien 10 (1961), 3f.
5 A . Angyal, Slawische Barockwelt (1961) 82, verweist auf „den Hofdichter des
päpstlichen Roms, den Verfasser der Bulgheria convertita, Francesco Bracciolini, der
die Bekehrung der heidnischen Bulgaren zu einem großangelegten, mit zauberhaft -
-romantischen Elementen reichlich gewürzten Epos gestaltete, wo in den Kampfszenen
fast ganz Osteuropa aufzieht". A n g y a l verweist auf die Untersuchung S. Baumgarten's
in: L ' E u r o p a Orientale 1934, 342—346.
1 Dazu Altheim-Stiehl, Finanzgeschichte der Spätantike 308 f.
daß der auf dem Goldkrug Nr. 2 erscheinende mythische Jäger den Triumph des m y -
14 · D I E PROTO-BULGAREN 321
21 Altheim, Hunnen V
322 DIE WENDUNG ZUM WESTEN UND IHRE GEGENSTRÖMUNG
willigen, mittels einer neugebauten Brücke die Donau zu überqueren und ihm
derart den Zutritt zu den römischen Grenzprovinzen zu verschaffen. Was
man von dem ältesten Hoflager der Proto-Bulgaren weiß, ist, daß es gleich
dem hunnischen von einem ττερικλέισμα έκ ξύλων συγκειμένων umgeben
war6. Die Erdhütten der einfachen und Handwerkerbevölkerung, die man in
der äußeren und inneren Stadt Pliska aufgedeckt hat, spiegeln nicht die
Wohnweise der proto-bulgarischen Herren, sondern der unterworfenen und
in der neuen Hauptstadt zusammengetriebenen Unterworfenen.
Von solchen Einzelheiten abgesehen, ergeben die Baudenkmäler der eng
beieinander liegenden Städte Madara, Pliska und Preslav ein einheitliches
Bild. Wie immer Pliska zu Beginn des 8. Jahrhunderts ausgesehen haben
mag, jene neue Stadt, die seit der Niederbrennung der älteren durch Nike-
phoros 8 1 1 entstand, trug ein verändertes Gepräge6. Der Steinbau herrschte
vor, und der Sachlage nach mußte sich dieser nach spätantiken und byzan-
tinischen Vorbildern richten. Noch im 9. Jahrhundert entstanden die große
Basilika und die erste Hofkirche, im Mittelpunkt der Stadt gelegen. Gleich-
zeitig erhob sich die dritte, aus Ziegeln errichtete Stadtmauer. Weitere
Bauten gehören ans Ende des Jahrhunderts, und noch im 10., als die Haupt-
stadt bereits nach Preslav verlegt war, mag die Kirche am Kleinen Palast,
mögen andere Gotteshäuser in der äußeren Stadt errichtet worden sein7.
Preslav's Architektur sodann trägt Züge, die bei dieser späteren Gründung
kaum überraschen dürften. Erst unter Krum's Nachfolgern erbaut, erlebte
es seine Blüte unter Zar Simeon; in das zweite Viertel des 10. Jahrhunderts
wird die Masse der Kirchen und Klöster fallen, also in eine Zeit, da man von
einer Bedeutung der türkischen Herrenschicht kaum noch sprechen darf 8 .
Im einzelnen ist das Bild so, wie man es erwarten muß. An den Be-
festigungen Madara's hat man die antike Form des propugnaculum beob-
achtet9. Dieses kehrt in ausgestalteter und veränderter Form in Pliska
wieder10, und auch bei den Toren und Palästen Preslav's zeigt sich die Nach-
wirkung spätantiker Vorbilder11. Während an der profanen Bauweise
5
H. Grigoire in: Byzantion n , 423; vgl. Priskos in: Exc. de legat. 133, 26f. Un-
richtig F. Vämos in: Semin. Kondak. 5, 134f.
6
St. Stancev in dem von W. Beschewliew und J. Irmscher herausgegebenen
Sammelwerk „Antike und Mittelalter in Bulgarien" (i960) 219f.
7
St. Stancev, a. O. 263.
8
St. Stancev, a. O. 263 f.
9
St. Stancev, a. O. 220.
10
St. Stancev, a. O. 223.
11
St. Stancev, a. O. 2 2 5 ! ; 235.
14- D I E P R O T O - B U L G A R E N 323
Pliska's sich feststellen läßt, wie schwer die Auseinandersetzung mit den
übernommenen Formen fiel und wie sehr man mit der eignen Unerfahren-
heit zu kämpfen hatte 12 , konnte man sich bei allem Kirchlichen an das
halten, was das zeitgenössische Byzanz darbot13. Schon in Pliska und vor
allem in Preslav ist dieser Anschluß unverkennbar.
Ererbte Formen werden allenfalls im Kunsthandwerk14 bewahrt.
Es handelt sich um eine nationale Besonderheit: βουλγαρικά ζωνάρια
werden den ζωνάρια λιτά entgegengesetzt16; jene waren nach noma-
discher Art mit Metallplaketten besetzt1®. Sonst aber beginnen sich auch
auf diesem Gebiet die byzantinischen Muster durchzusetzen17.
3
Der Untersuchung der spätsasanidischen Kultur und ihrer Einwirkung
auf Hephthaliten, Awaren und Proto-Bulgaren wurde in diesem Werk
größerer Raum zugewiesen. Dadurch gelang, die besondere Stellung der
europäischen Hunnen, die allein mit der frühsasanidischen Stufe in Berüh-
rung kamen, schärfer abzuheben; dieselbe Untersuchung hat erlaubt, den
Nachfolgern dieser Hunnen und den Hephthaliten in ihrer Spätzeit die ge-
bührende geschichtliche Stellung zuzuweisen. Die zeitweise Zuordnung
aller hephthalitisch-hunnischen Stämme endlich zu den verschiedenen Pha-
sen der iranischen Nachbarkultur hat einen Vorgang erkennen lassen, der
andernfalls sich nicht mit gleicher Deutlichkeit abgezeichnet hätte: den Ver-
lust der kulturellen Formen, die man aus dem Osten mitgebracht hatte, zu-
gunsten solcher, die man im spätantiken und christlichen Europa vorfand.
An anderem Orte wurde nachgewiesen, daß die Goten in diesem Uber-
gang aus dem iranischen oder, wenn man es vergröbernd so ausdrücken
darf: aus dem asiatischen Kulturbereich in den europäischen den Hunnen
vorausgegangen waren1. Nach Aufzeigung der starken iranischen Einflüsse,
denen die Goten in Südrußland erlagen (oben i, 306f.), treten Tat und ge-
12
St. Stancev, a. O. 232.
13
St. Stancev, a. O. 238; 243f.
14
St. Stancev, a. O. Taf. 39 Abb. 38.
16
R. Goossens in: Byzantion 10, 754f.; vgl. K. Wessely in: Mittl. Slg. Pap. Erz-
herzog Rainer 6, 1 1 4 f . ; βουλγαρικ[οϋ . . .] καρτα[λαμίου. Über die Gürtel der Awaren
oben S. 206 Anm. 74; Gürtel aus Gold: oben 2, 100; vgl. 276.
16
N. Maurodinow, a. O. 184t.
17
St. Stancev, a. O. 261.
1
Zum Folgenden F. Altheim, Niedergang der Alten Welt 1 (1952), 123f.
21·
324 D I E W E N D U N G ZUM W E S T E N UND I H R E GEGENSTRÖMUNG
schichtliche Stellung Wulfila's in neues Licht. Man hat in ihm den Missionar
erblickt, auch den Sprachschöpfer und -gestalter. Oder man hat hinter dem
Arianismus seines Meß- und Taufbekenntnisses die Tiefen germanischen
Schicksalsglaubens aufgespürt. Eines aber hat man übersehen. In der Tätig-
keit des Mannes, der neben seiner Muttersprache Griechisch und Lateinisch
kannte, verkörpert sich zugleich die Wendung zur spätantiken Welt. Sie
war — dies hat die Betrachtung der kulturellen Bedingungen, die in Erma-
narich's Reich obwalteten, erhärtet — keineswegs selbstverständlich. An
der berühmten Goldschale des Schatzes von Pietrossa, die sich gewissen
Werken des sarmatischen Kunsthandwerks, aber auch der Götterwelt der
Küsän zuordnet 2 , ersieht man, daß Iranisches auch in die religiösen Vor-
stellungen der Goten eindrang. Wulfila's Wendung vollzog sich im Gegen-
satz zu dem, was vorangegangen war, und bestimmte die Zukunft. Eine
Seite des Codex argenteus in Uppsala umfaßt im Bild das Ausmaß der Span-
nungen. Der kaiserliche Purpur des Pergaments; silberne und goldene
Schrift, der griechischen nachgebildet; aber darunter die gemalten Nischen-
reihen, den iranischen Einschlag von einst verkörpernd 3 .
Den Goten sind Attila's Hunnen gefolgt. Es sei daran erinnert, wie
gering die Spuren des Schamanismus oder des Tierstils sind, die sich bei
ihnen noch feststellen lassen (oben i , 2iyi.). Nicht einmal der Gebrauch der
Trommel, Ausrüstungsstück aller mittelasiatischen Nomaden (oben 2, 6 i f . ;
267; 282), läßt sich beobachten; das tympanum war bei ihnen durch die tuba
ersetzt (oben 1, 220). Attila's Werben um die Kaisertochter, seinen unwider-
stehlichen Drang nach Westen, der zur Niederlage auf den Katalaunischen
Feldern führte, mag man im gleichen Sinn deuten. Die Musterung der hun-
nischen Hinterlassenschaft im Donauraum hat das Bild bestätigt. Hinzu-
gekommen sind die Proto-Bulgaren, bei denen sich der Übergang aus dem
iranischen Kulturbereich in den spätantiken und byzantinischen in seinen
Stufen feststellen ließ. Man faßt einen Vorgang, dem (mit gewissen Aus-
nahmen wie den Awaren) die einzelnen Wellen der ersten türkischen Wan-
derungen früher oder später anheimgefallen sind.
Bisher wurde erörtert, wie sich Früh- und Spätsasanidisches auf die
Geschichte der Hephthaliten, der Hunnen und ihrer Nachfolger ausgewirkt
haben; wie man diese Formen angenommen und wie man sie wieder abge-
stoßen habe. Jetzt muß die umgekehrte Frage gestellt werden. Nicht, ob
sich aus dem sasanidischen Vorbild etwas für die Geschichte der türkischen
Nomaden ergebe, sondern ob aus dieser sich für jenes Vorbild einiges er-
mitteln lasse. In erster Linie geht es dabei um das, was hier als nachsasa-
nidisch bezeichnet wurde. Also um die Nachwirkung der spätsasanidischen
Kultur zu einer Zeit, da das Reich der Sasaniden nicht mehr bestand.
„Nachsasanidisch" ist ursprünglich ein von Kunstgeschichte geprägter
Begriff gewesen. Er war geschaffen worden, um bestimmte künstlerische
Äußerungen in dem gewaltigen Raum zwischen dem Sösöin von Nara und
Nagy-Szent-Miklos, dem tülünidischen Ägypten und dem mittleren Jenissei
zu erfassen. Aber wie diese Äußerungen von sehr verschiedenen Völkern
ausgingen und nicht weniger verschiedenen Gebieten hervortraten, so war
das ihnen scheinbar Gemeinsame, eben der nachsasanidische Stil, in jedem
Fall von anderer Art. Eine Scheidimg muß vor allem zwischen dem Heimat-
land der Sasaniden und dem, was außerhalb lag, vorgenommen werden.
Anders gewendet: dem Bereich, da man den Stil geschaffen hatte, und dem
anderen, da er lediglich übernommen worden war.
In Iran läßt sich das Weiterleben und, wenn man will, die Wiederbele-
bung der sasanidischen Kunst nicht trennen von anderen Erscheinungen des
geschichtlichen Lebens. In dasselbe 9. Jahrhundert, da die Kunst ihre Nach-
blüte erlebte, fällt eine Renaissance des zarathustrischen Schrifttumes, und
wenig später wird Firdüsi's Epos geschaffen. Auch die Bewegung der Su-
'ubiya wird man von dem bisher Angeführten nicht scheiden. Sie mag sich auch
in anderen Ländern geäußert haben. In Iran jedenfalls trat sie am stärksten
und nachhaltigsten hervor. Und wie man dort überall auf die Zeiten des
sasanidischen Glanzes, besonders unter den beiden Chusrö, zurückgriff, so
tat man dies auch auf philosophisch-theologischem Gebiet. Wir zweifeln
nicht daran, daß, seitdem einmal die philosophischen Bestrebungen Chus-
rö's I. Anösarväxi erschlossen sind, die enge Verbindimg aller der Suubiya
parallel laufenden Bewegungen — gemeint sind die mu'tazila4, das damit
zusammenhängende Studium der al-'ulüm al-kadtma5 und die Äußerungen
der ihwänu s-safä — mit jener Strömung sich herausstellen wird. Man be-
findet sich angesichts einer Bewegung, darin sich alle Betätigungen ira-
nischen Wesens vereinen. Der muslimischen Eroberung gegenübergestellt,
suchte dieses zu sich selbst zurückzufinden, indem es auf seine große Ver-
V I L L E S , CAMPAGNES ET ROUTES
DE LA ROMANIA ORIENTALE
sation qui prit son depart au lendemain de la fondation des principautes rou-
maines.
L'histoire ancienne de la Dacie, qui constitue «la meilleure introduction ä
la naissance, au developpement et ä la persistance de la romanite danubienne»5,
presente d£s le I e r millenaire av. J.-C. le tableau de la grande expansion
getique. Chasses par les Cimmeriens, les Geto-Daces, habitants des -daua6, se
repandirent aux abords du V e siecle dans l'espace est-europeen, qu'ils
parsemerent de leurs etablissements, des bords de la Baltique jusqu'en Asie
Mineure et de l'Adriatique jusqu'ä Chersonese, en Crimee7. Deux siecles plus
tard une nouvelle vague d'envahisseurs, les Celtes, submergerent le terri-
toire danubien. Bien qu'une ceinture de -dunum suive le cours de fleuve,
suggerant presque un systeme d'occupation, les fondateurs n'en disparurent
pas moins dans la masse des autochtones8. La getisation des Celtes facilita
la penetration romaine mais, en meme temps, celle-ci en effa9a les traces
linguistiques9.
Les etablissements geto-daces entre iooo et 300 av. J.-C., tels qu'ils ont
ete mis έ. jour par les fouilles sont constitues par des agglomerations de chau-
mi6res10, bäties sur des hauteurs 11 et soigneusement fortifiees12. Ces -daua,
caracteristiques de la region nord-danubienne — ailleurs elles n'ent sont que
1 1 cf.thrace -bria < i. -e. *uer «lieu eleve», J. Pokorny, Indogerm. E t y m . Wört. s. v.
M. Macrea, Procesul separärii ora§ului de sat la Daci, dans: Studii referate privind
istoria Rominiei, Bucure^ti, 1954, 1 p. 119 ss. Au sud du Danube il 6tait 6galement
avanc6, cf. D. P. Dimitrov, Seuthopolis, Antiquity 25 (1961) pp. 91—102.
15. V I L L E S , CAMPAGNES ET ROUTES 329
le prolongement — constituent line survivance de l'epoque prehistorique
la plus reculee; elles continuent, ä beaucoup d'egards, les anciens
etablissements neolithiques13. On en denombre 40 (ou 51), dont 28
(ou 29) en Dacie14. II ne reste dans la toponymie actuelle qu'un seul nom
sür, Plovdiv en Bulgarie, et deux — tres douteux — Turda et Deva en
Roumanie 16 .
Laissant de cöte1® les noms de lieux formes avec - p a ra17 qui semblent etre
caracteristiques de la region au sud du Danube, bien que nous ayons un
Porolissum en Dacie, passons ä l'examen d'une des plus interessantes sur-
vivances pre-romaines, le roumain cätun «hameau».
La premiere18 attestation du mot remonte au X I e siecle; eile se trouve
chez Kekaumenos 19 sous la forme κατοΟυα. La plupart des etymologies20 ne
13 V. Pärvan, Getica, pp. 454, 470—473. D. Berciu dans: Istoria Romtniei, Bucu-
Thraker, Sitzungsber., Akad. Berlin, hist. cl. 131, p. 70; V. Pärvan, Getica, p. 240 ä
272; V. Georgiev, Les unites ethniques anciennes de la peninsule balkanique d'apräs la
toponymie, Sofia, 1961, pp. 5—8 (tirage-ä-part de: Linguistique balkanique III, 1).
15 S. Pu^cariu expliquait Turda < *Tur(r)idaua, Dacoromania 4 (1924—1926)
p. 1353. N. Dräganu s'y est oppose, Romänii, pp. 478—479. Cf. aussi S. Pop, Die
Toponymie Siebenbürgens, dans: Siebenbürgen, Bucure^ti, 1943, 1 pp. 323—324 (pour);
R. Sindou, loc. cit. 312—313 (contre). — La conjecture de S. Pu§cariu semble se veri-
fier par des attestations relevees ricemment: Castrum. Turda (en 1075), Turdavdr (en
1394), K. Horedt, Contributii la istoria Transilvaniei In secolele I V — X I I I , Bucure§ti
1958, p. 133. Ces deux formes pourraient etre la traduction de l'hypothetique *Tur(r)i-
daua.
19 On ne peut pas discuter non plus — et notre conclusion n'en souffrira pas — les
Ν. Jokl explique l'alb. katund par le verbe ndin «tendre»: Katun. Zur Geschichte eines
Balkanwortes, Indogerm. Forsch. 33 (1913) pp. 420—433. C. Jirecek le met en rapport
avec l'it. cantone : Geschichte der Serben, Gotha, 1911, 1 p. 156. I. Peisker se prononce
pour une origine touranienne en citant les exemples suivants: turc kutun, kirghize
kotan, kalmouk chotton, tartare kotun. cf. Die Abkunft der Rumänen, Graz, 1913 pp. 179,
203—204, lä-dessus Al. Philippide, Orig. Rom. 2 pp. 703—704. Κ. Treimer a pense ä
un terme «avare-proto-bulgare» sans apporter de preuves, Slavia 3 (1924 —1925) p.450.
330 D I E W E N D U N G ZUM W E S T E N UND I H R E GEGENSTRÖMUNG
2 p. I I I .
22 O. Densusianu, Cuvinte referindu-se la locuin^e primitive, Grai §i suflet, 7 (1937)
pp. 40—44·
23 J. Pokorny, Indogerm. Etym. Wört. s. v. kat-. Cf. les toponymes: κατ-αρβ-άτης,
rents ou qu'elles aient fait l'emprunt ä des dates diverses (cf. R. Sindou, loc. cit. p. 313).
Cela ci. plus forte raison itant donn^ que certaines formes prösentent la Variante -ο-
(chotton, kotun). Or le passage i. -e. -δ- > -a- est une isoglosse thrace bien documents.
Cf. P. Kretschmer, Einleitung in die Geschichte der griechischen Sprache, Göttingen,
1896, p. 221; V. Georgiev, Albanisch, Dakisch-Mysich und Rumänisch, Ling, balk, 2
(i960) pp. 5—9, 14; D. Decev, Charakteristik der thrakischen Sprache, ibid. p. 201. —
Les emprunts turcs präcitis refletent ce flottement du vocalisme.
2β P. Naert, La situation linguistique de l'aünou. I. Ai'nou et indo-europ6en, Lund,
1958, p. 198. — Un chainon intermödiaire serait constitu6 par les dialectes ossfetes qui
15. VILLES, CAMPAGNES E T ROUTES 331
i . - e . *qatun, *qotun, *qotan
I
t
a'inou kotan
4-
thrace *qatona ?
formes balkaniques
1
I
dial. it. merid.
28 M. D. Gäzdaru suggfere (loc. cit. p. 165) de mettre en rapport ces formes avec
33 Selon Μ. S. Dragomir, Vlahii p. 114, il n'y a jamais exists que sous forme d'em-
prunt daco-roumain.
34 Th. Capidan, Raporturile albano-romane, Dacoromania 2 (1921—1922) p. 465.
35 Pour l'ltalie n^ridionale l'etymologie: turc katan (G. Rohlfs, Etym. Wörterb.
ä 286.
15. V I L L E S , C A M P A G N E S E T R O U T E S 333
E t y m . Wörterb. s. v.
4 1 Cf. la carte A L R I 1580: S. Pop, Sinonimele cuväntului tärg in lumina geografiei
impossibility pour tärg < *terg, 2° il n'y a pas eu de contact entre le dace et les Slaves
et les racines apparenties n'ont pu etre captees. Les deux objections tombent: i ° un
ά roumain peut provenir, surtout dans les mots pre-romains, d'autre chose que d'un
a -)- n. cf. bale, bar, brau, näpärcä et les exemples albanais paralleles pelh, berr, bres,
neperke. Le couple roum. targ, alb. treg est tout ä fait regulier et l'on peut postuler un
*terg commun, 2 0 Le contact entre les Thraces non-romanises et les Slavo-Bulgares au
nord et au sud du Danube, a 6t6 possible — et, partant, toutes sortes de rapports lingui-
stiques directs — puisque les premiers ont surv6cu au moins jusqu'au V I e siöcle. Cf. ci-
dessus4p. 148 ss. Sans trop picher d'audace on peut supposer—avec V . Pärvan et G. G.
Mateescu — que le phoneme d(i) existait dans la langue dace, ce qui expliquerait les
inconsequences 6pigraphiques; pour transcrire certains noms, p. ex. Burebista, on hisite
entre \j, ou, 01. Enfin, il y aurait meme l'attestation d'un *trag dans le latin de Dacie:
Castra Tragana, Table Peuting. V I I , 5, station sur la route de Drobeta que l'on «cor-
rige», peut-etre & tort, en Castra Traiani! L a derivation d'un adjectif latin ä partir d'un
mot indigene n'est pas exceptionelle, surtout dans la nomenclature geographique, cf.
Dacia maluensis < dace *mal «colline». En conclusion, le roumain targ < dace *trag,
avec m6tath£se, a toutes les chances d'etre la bonne Etymologie.
43 Μ. Rostovtzev, Storia economica e sociale dell'Impero Romano, Firenze, 1946,
278—281. Pour la Mesie cf. A. Möcsy, Untersuchungen zur Geschichte der römischen
Provinz Moesia Superior, Acta Arch. Hung. 11 (1959) pp. 283—307, surtout le §3: Die
334 D I E WENDUNG ZUM W E S T E N UND IHRE GEGENSTRÖMUNG
Μ. Macrea, dans: Istoria Rominiei, Bucure$ti, i960, I pp. 370—396. En ce qui concerne
les deux derniers ouvrages on fera toutes reserves sur le point de vue qui stigmatise
Taction de l'Empire comme une «exploitation colonialiste» et monte en ipingle «la
lutte contre l'occupation romaine». II en est de meme des theories de MM. E. Petrovici
et E. Seidel, qui tiennent de la fantaisie pure, cf. E. Lozovan, Marginalia Romano-
Slavica, Romance Philology 14 (1961) pp. 314—327.
47 Comme en Afrique, oü l'on rencontre: Colonia Marciana Traiana Thamugadi
(fondle en 100 ap. J.-C., un an avant la premifere guerre dacique), ciuitas Nybgeniorum,
Turris Tamalleni, ciuitas Thubursicitana. P. Romanelli, op. cit. — II y a un sens pro-
15- V I L L E S , C A M P A G N E S E T ROUTES 335
Rominiei 1 p. 167.
68 Pour ne pas mentionner les toponymes celtiques, tel Nouiodunum (supra n. 9),
Arrubium, etc.
5 9 R. Vulpe, Hist. Dob. pp. 49—50. — Nous entendons ä la fois toponyme termine
par ce suffixe et ensemble architectural d£sign£ comme tel. Ceci pour ^carter l'objection
de Μ. R. Sindou, loc. cit. p. 312 η. 1.
6 0 V. Pärvan, Penetration hellenique et hellenistique dans la valine du Danube,
Acad£mie Roumaine, Bull. Sect. Hist. 10 (1923) 25 p. — La ville de Tomes, comme Olbia
d'ailleurs, avait au d£but de notre ere un caractere mixte. Cf. Sc. Lambrino, Tomis, cit£
g r 6 c o ^ t e chez Ovide, dans: Ouidiana (id. Ν. I. Herescu), Paris, 1958, pp. 279—390.
E. Lozovan, Ovide, agonothete de Tomes, Revue et. lat. 39 (1961) pp. 172—181. Quant
ä la thfese pri-etablie sur la lutte des indigenes, allies aux Grecs pontiques, contre«l'oppres-
sion romaine», elle n'a pour eile, en guise d'argument, qu'un certain «Zeitgeist». Cf.
Em. Condurachi, Coloniile grece?ti din Pontul stäng §i lupta lor impotriva cutropirii
romane, Bui. $t. Acad. R. P. R. 2 (1950) pp. 67—76.
15. V I L L E S , C A M P A G N E S E T R O U T E S 337
61 R. Vulpe, Hist. Dob. pp. 25, 64 ss. V. Pärvan, Dacia pp. 102—109. D. M. Pip-
pidi, Histria Callatis !n sec. I I I — I I 1. e. n. dans: Contrib. ist. pp. 13—44. Sc. Lam-
brino, D^cret d'Histria en l'honneur d'Agathoclfes, Revue des Etudes roumaines 5 — 6
(1957—1958) pp. 180—217.
92 V. Pärvan, I primordi della civiltä romana alle foci del Danubio, Ausonia 10
487—489.
84 R. Vulpe, Hist. Dob. pp. 194—195. Al. Philippide, Orig. Rom. 1 pp. 59—60.
cundini de la Scythie Mineure, dans: Melanges J. Marouzeau, Paris, 1948, pp. 319—346.
ββ R. Vulpe, Hist. Dob. p. 196.
22 Altheim, Hunnen V
338 D I E W E N D U N G ZUM WESTEN U N D I H R E GEGENSTRÖMUNG
73
Cette interpretation appartient ä V. Pärvan, Contrib. ep. p. 96. L'objection de
Μ. R. Sindcra, loc. cit. p. 315, d'aprfes qui la «terre battue» des campagnes a pu etre
appelie pauimentum tombe si Ton pense qu'il ne s'agit pas d'un seul exemple de degra-
dation s£mantique mais de tout un systfeme lexical.
74
S. Pu§cariu, Lb. rom. p. 273.
75
Ci-dessus 2 p. 229.
76
Ibid. p. 201.
77 Castellum a έίέ gardi en serbe: Kostolac. En roumain de Transylvanie la forme
cofteiu est revenue par la filifere hongroise, kostüy qui repr&ente le mot latin de Pan-
nonie, dont la persistance ne fait plus dedoute.Cf.D. Pais,Survivances slavo-hongroises
du castellum romain, Acta Ling. Hung. 4 (1954) pp. 269—286, ibid. 7 (1957) Ρ· 4°3· Bib-
liographie. Voir aussi N. Iorga, Hist. Roum. 2 pp. 60, 183, qui avait eu cette intuition.
78
Zum Balkanlatein, Zeitsch. rom. Phil. 50 (1930) pp. 529—530.
79
S o u s H a d r i e n il y a v a i t u n n(umerus) burg(ariorum) et ueredario(rum) Dacise
inf(erioris): CIL III 13. 795—96. Cf. Η. Mihäescu, Limba latinä in provinciile dunärene
ale Imperiului roman, Bucure§ti, i960, pp. 192—193.
80
G. Serra, Contribute alia storia dei derivati di burgus: Borgale, Borgaria, Bor-
goro, Fil. Romanza 5 (1958) pp. 1—48.
22·
340 D I E WENDUNG ZUM W E S T E N UND I H R E GEGENSTRÖMUNG
81 Cf. E . Lozovan, Revue int. d'onom. 11 (1959) pp. 312—313. Cf. aussi 1'objection
parallfele africain. Cf. J . Baradez, Vue airienne de l'organisation romaine dans le sud
alg6rien. Fossatum Africse, Paris, 1949. Retenons la difinition de l'auteur: «Le fossatum
(obstacle proprement dit, riseau de guet et forts d'appui) etait 6tabli immidiatement en
bordure d'une zone depopulation», p. 259. Cf. Cod. Theod. 7, 15, 1. — Hernac, le fils d'At-
tilaa precisement rencontre au nord de la Scythie Mineure des Fossatisi (Iordanes, Get.266)
qui n'itaient que les habitants romans retranchis dans leurs« fosses». Cf. F. Altheim, ci-
dessus ι p. 18 n. 5. Cette suggestion setrouvedija chez N. Iorga, Hist. Roum. 2 p. 282.
87 S. Pu^cariu, Studii istroromane, Bucureyti, 1922, 2 pi. I V fig. 7. Les tranchöes
autour de Raguse sont appelöes pösat en serbocroate. P. Skok, art. cit. — En 1633,
l'architecte Antonius de Ville signale en Istrie pres de Pola la localite roumaine Sato :
Descriptio portus et urbis Polae, Venetiis p. 11. Lä-dessus, D. Gäzdaru, Cug. Rom. 6
(1957—!95 8 ) ΡΡ- 1 0 6 — n o .
15. V I L L E S , C A M P A G N E S E T ROUTES 341
88 Comme en Albanie oü, souvent, les kytet (ciuitas) romaines sont appelies en
serbo-croate Gradina ou Gradac. G. Stadtmüller, Historia 3 (1954—1955) P· 239 n. 4.
88 I. Iordan, Nume de locuri romäne§ti in Republica Populara Romanä, Bucure§ti,
91 I. Iordan, Rum. Top. pp. 92, 152, 172; Nume pp. 159—160. Les premieres
attestations sont rassembl^es par N. Dräganu, Romänii pp. 267—268. II exprime des
doutes sur 1'Etymologie Satmar < Sat(ul) Mare attest6 en 1213 sous la forme Zotmar,
Zathmar. La proposition de G. Weigand, Balkanarchiv 4 (1928) pp. 179—180: saxon
Sakmar > roum. Satmar est ä ^carter; le sens du passage est inverse. Cf. aussi I. Iordan,
Nume p. 160 n. 3.
92 Th. Capidan, Top. macido-roum. p. 102.
91 Nous entendons par «thracisme» un retour aux formse mentis et aux techniques
d'avant la conquete. Cela est visible dans certains toponymes et, surtout, dans la po-
terie, les armes et les maisons des I I I e — V e siecles, semblables aux exemples de l'ipoque
342 DIE WENDUNG ZUM WESTEN UND IHRE GEGENSTRÖMUNG
le volume 2 p. 238. Cf. de plus: K. Horedt, Avarii in Transilvania, dans Contrib. ist.
Trans, pp. 61—108. Le chapitre respectif de Istoria Romlniei, 1 pp. 714—722, contient
au moins une inadvertence. L'appel transmis par Michel le Syrien «sortez, semez et
moissonnez» ne doit pas etre attribui aux Avars mais aux Slaves. Le texte est clair cf.
F. Altheim ci-dessus 1 pp. 88—89. — Pour les Bulgares cf. D. Simonyi, Die Bulgaren
des 5. Jahrhunderts im Karpathenbecken, Acta Arch. Hung. 10 (1959) pp. 227—250.
Le röle des Slaves en Dacie est pr£sent£ de fa^on exagörie par Mme M. Cornea dans
Istoria Rominiei, 1 pp. 728—755. Comment peut-on conclure, si rapidement, des quel-
ques lettres isolies conserves ä l'itat fragmentaire sur le mur d'un atelier de Bucov
que «la population roumaine de cette r£gion avait adopts l'^criture slave et la langue
officielle slave d£s le X e siecle» ? (p. 747).
99 Voir l'attitude des chroniqueurs byzantins ä l'6gard des Bulgares et des Slaves.
affermit les appellatifs apparentes (*terg, *trag, *trügü) ou qu'elle les tra-
duisit (cetate, *daua, gradüte). Les autres agglom6rations humaines (grad,
seliSte) ne montrent pas un commencement d'urbanisation ni l'organisation
defensive de l'habitat.
Apr£s les combats que les Hongrois livrerent aux Roumains, k partir du
X e si£cle, pour la conquete de la Transylvanie 1 1 1 , la vie de cette province
resta encore pendant quelque temps dominee par la Campagne. Habitants de
la steppe — comme les Slaves — les Hongrois n'avaient pas non plus les
moyens de developper une vie citadine d£s leur installation en Dacie Tra-
jane 112 . Ce sera lä le röle des colons allemands — hospites regis — appeles au
XIIe si0cle par le roi Geza II pour la d6fense du territoire. D e leur patrie mo-
sello-rh6nane, les «Saxons» apport£rent le systeme de l'organisation urbaine
qui, au cours des si£cles, devait faire täche d'huile et etre emprunte ä la fois
par les Hongrois et par les Roumains 1 1 3 . E n reconnaissant le röle que les
«Saxons» ont joue dans la fondation des villes transylvaines on η'εηΐένβ
aucun argument k la continuit6 latine en Dacie 1 1 4 . Pour qui connait le carac-
t£re dominant de la vie roumaine — l'habitat rural — le fait n'a rien d'6ton-
dere a feudalismului maghiar in Transilvania, dans: Contrib. ist. Trans., pp. 109—131.
A corriger pp. 1 1 1 — 1 1 3 : les prisäci «lignes de fortification en bois» (hong, gyepü,
hungaro-lat. indagines) ne sont pas slaves (l'itymon de l'appellatif 1'est, certes, mais
cela ne change rien ä la question). N. Dräganu a d i j ä remarquö, Romänii p. 233, que
les premiferes attestations possMent un phon6tisme roumain.
1 1 2 Cf.: «Le Hongrois n'itait pas un peuple bätisseur de villes, la forme de vie
nomade apportie par lui d'Orient et continuie dans la 'puszta' i t ait tout l'opposö de la
vie urbaine». L. Makkai, Villes de Transylvanie, Budapest, 1940, p. 7.
1 1 3 T. Morariu, Das Deutschtum, in Siebenbürgen, dans: Siebenbürgen, 1 p. 71
ä 90. St. Manciulea, Die Städte Siebenbürgens, ibid. pp. 1 3 7 — 1 5 1 . Si l'on admet,
avec G. Kisch, une continuity germanique en Dacie du temps des G^pides jusqu'ä la
colonisation «saxone», il faut supposer que les Germains ont men£ pendant des siecles
la meme vie rurale que la population romane de Dacie car la toponymie ne fournit
aucun indice ä l'appui d'une vie urbaine germanique ä date ancienne. Cf. Germanische
Kontinuität in Siebenbürgen, dans: V o m Leben und Wirken der Romanen, Jena-
Leipzig, 1936, pp. 137—147.
1 1 4 Cf. L. Makkai, op. cit. p. 6: «Les Roumains, arrives plus tard, n'ont pas une
nant: il n'y a pas de villes roumaines anciennes parce que les habitants du
pays ont continue de vivre de fa£on anonyme ä la Campagne et sont venus
tres tard ä la vie urbaine 116 . On peut distinguer en Transylvanie les couches
toponymiques suivantes: i ° roumaine, laplus ancienne, comprenantlesnoms
des montagnes et des cours d'eau, a. l'exclusion des noms de villes 116 , 2° alle-
mande, comportant les noms des agglomerations urbaines et rurales plus de-
veloppees: -bürg, -stadt, -markt, -häusen, -hütten, -iorf, 3°hongroise, qui, dans
la majorite des cas n'est que la traduction ou l'adaptation des appellatifs
allemands ou roumains: -vor, -vdrhely, -falva.
Le nom «saxon» de la Transylvanie — Siebenbürgen — reflete la pre-
miere etape de re-urbanisation de la province. Les attestations les plus ancien-
nes datent du X I I I e siecle, et, vraisemblablement, l'on a affaire ä une tra-
duction des diplömes hungaro-latins: terra Septem urbium, terra septem ca-
strorum; l'adaptation slave correspondante est: Sedmihradsko, Sedmo-
gradska117. Les toponymes «saxons» sont normalement lies aux etablisse-
ments des colons; aujourd'hui encore la region habitee par eux depasse ra-
rement celle qui fut occupee par leurs ancetres; en revanche il subsiste peu
de chose des anciennes fortifications. On ne saurait enumerer ici tous les
noms de lieux «saxons»118. Selon la statistique dressee par Sever Pop 1 1 9 le
suffixe-ior/appar ait dansi30 noms de lieux,-burgdans28,-stadtdans8,-markt
dans 7. Ilyauraitä. ajouter les noms apparentes ä Siedler et Niederlassung, qui
montrent clairement le caract£re de colonies des etablissements «saxons»:
Sedhr, Durhs, Burglos120. Parfois le toponyme roumain comporte une legere
adaptation phonetique: Bdrgäu< Burgaum, ou une modification de structure,
1 1 5 Sur la Situation dimographique: K. Horedt, Considera^ii asupra situatiei demo-
grafice a Transilvaniei In Evul Mediu timpuriu, dans: Contrib. ist. Trans, pp. 41—47.
St. Pascu, Die mittelalterliche Dorfsiedlungen in Siebenbürgen, dans: Nouvelles 6tudes
d'histoire, Bucure§ti, i960, 2 pp. 135—148 + 1 carte.
1 1 6 Cette terminologie ne sera pas itudiee ici. Quelques toponymes urbains anciens
ostforsch. 6 (1941) pp. 576—614. W. Scheiner, Die Ortsnamen im mittleren Teile des
südlichen Siebenbürgen, Balkanarchiv 2 (1926) pp. 1 — 1 1 2 ; 3 (1927) pp. 113—172.
I. Borcia, Deutsche Sprachelemente im Rumänischen, Jahresb. Inst. rum. Sp. Leipzig 10
(1904) pp. 219—239.
1 1 9 Top. Sieb. p. 333.
l'abandon du suffixe par exemple: Fel}a < Felsendorf, Fr Aua < Frauen-
dorf122. La fortune des toponymes „saxons" a ete relativement restreinte;
confines surtout en Transylvanie, ils ne se sont pas generalises et con-
stituent une couche bien distincte. Mais les „Saxons" n'ont pas eu lemono-
pole de la defense du territoire; des toponymes comme Cetatea-de-Baltä,
Cetäfile, etc., pour ne plus parier des nombreuses Prisäci123 montrent claire-
ment l'organisation defensive des Roumains de Transylvanie 124 . Les docu-
ments hungaro-latins de 1427 consignent leurs obligations militaires 126 .
Les toponymes hongrois constituent une adaptation ou une traduction
des noms «saxons»; parfois il n'y a que changement de suffixe: -vdr ä la place
de -stadt, -vdsdrhely ä la place de -markt et -falva ä. la place de -dorf. On en
arrive ainsi ä avoir des series trilingues: Petersdorf, Peterfalva, Petrifäläu,
etc. 126 . Dans beaucop de cas la filiere de l'emprunt n'apparait pas claire-
ment; on ne peut pas toujours dire avec certitude que tel nom est la traduc-
tion de tel autre et non pas inversement. Le recours aux archives hongroises
ne tranche pas la question car les fonctionnaires qui les ont constituees ont
pu prendre toutes les liberies d'adaptation. Bien plus, le prestige de l'admi-
nistration etait tel que meme les habitants des villages roumains se voyaient
obliges d'adopter des noms qui n'etaient pas les leurs. Enfin, le chiffre des
toponymes hongrois ne peut nous fournir aucun indice sur le nombre des
conquerants; le montant des premiers n'a pas de rapport avec celui des se-
conds 127 . Dans ces conditions l'histoire de chaque toponyme doit etre faite
separ6ment et les donnees linguistiques proprement dites doivent etre
P a y e e s par l'archeologie et l'ethnographie. Dans certains cas l'analyse seule
suffit pour tracer la filiation. Ainsi Chitfäläu rend evidemment un Kisfalud,
mais notre equation s'arrete ici. Le dernier terme n'est-il pas, ä son tour, la
traduction d'un Sätuc ? On ne saurait le dire. De meme Timifoara provient
de Temesvdr, sax. Temesburg, mais l'ancien Tamasidaua128 n'explique-t-il
128 Sa localisation en Moldavie möridionale, plutöt que dans le Banat, n'est pas
du tout certaine, ci. V. Pärvan, Getica, pp. 240, 267, 286, 750.
348 D I E W E N D U N G ZUM W E S T E N U N D I H R E GEGENSTRÖMUNG
pas, k son tour, la forme hongroise? Le cas de Abrudfalva est clair: l'on a
ajout6 un suffixe au pre-romain Abrudia9. En dehors de -falva, qui ne corres-
pond pas toujours ä la realite ethnique, l'on doit reconnaitre la grande for-
tune de -vdros > roum. ora$. C'est le nom commun, de diffusion giner ale, d6-
signant la «ville». II est Ιΐέ au processus d'urbanisation qui commen9a au
lendemain de la fondation des principautes, accomplie, ne l'oublions pas, par
des Gmigrants roumains d'au-delä des Carpathes. Vraisemblablement ora§ a
6vinc6 tärg, qui couvrait autrefois une aire plus grande que l'actuelle 130 . On
retrouve -vir, -vdrad et -vdrhely dans les toponymes suivants: roum. Oradea-
Mare < hong. Nagy-Vdrad, sax. Grossvardein\ roum. Sighifoara < hong. Se-
gesvdr, sax. Schässburg; roum. Hunedoara < hong. Hunyadvdr, sax. Eisen-
markt, Eisenstadt', roum. Odorheiul Säcuiesc < hong. SzSkelyudvdrhely131. De
plus, on rencontre le hong. szdttds „habitation, hameau" dans SälajetSälägeni.
La toponymie allemande et hongroise de la Transylvanie est essentielle-
ment une toponymie urbaine. En döpit de l'6tat detiriore dans lequel les
toponymes roumains nous ont 6te transmis par l'administration hongroise
leur nombre est trois fois sup6rieur aux noms de lieux etrangers132. Ajoutons,
enfin, que les conclusions de l'ethnographie montrent que le village roumain
est du type le plus archa'ique — «dissocie» ou «agglomere» — tandis que les
villages allemands et hongrois accusent un caractere recent, de colonisa-
tion — «geometrique»133. La conquete hongroise de la Transylvanie, puis
sa colonisation par les populations «saxonnes» ont, d£s le haut Moyen-Age,
amorce une nouvelle urbanisation qui s'est developp6e assez rapidement. Au
debut, les Roumains ne participerent pas aux nouvelles formes de vie et
continuerent, pendant longtemps, ä mener leur existence rurale traditionelle.
Tournons-nous maintenant du cöte des principautes de Valachie et de
Moldavie. Leur fondation «officielle» aux X I I I e — X I V e sifecles, ä la suite de
la «descente» de seigneurs transylvains — selon les sources historiques ren-
forc6es par la tradition — ne contredit pas l'existence, avant cette date, d'une
vie roumaine dans ces regions134. Non seulement des groupements politiques
129 Selon nous (supra η. n 6 ) : obryza «coupelle» utilisie dans la fonte de 1'or.
130 S. Pop, Sin. cuv. tärg, p. 9 et la carte A L R I 1580.
1 3 1 S. Pop, Top. Sieb. p. 327. Γ. Iordan, Nume, pp. 265—266.
tion de Dridu» aux caractferes bien d£finis. Cf. C. Daicoviciu, Gh. Stefan, dans: Istoria
Romlniei, 1 p. 785.
15- VILLES, CAMPAGNES ET ROUTES 349
Trad it ia istoricä despre intemeierea statelor romäne§ti, Bucure§ti, 1945, p. 230 ss.
Α Suceava existe la preuve archeologique de l'existence d'une population avant la
fondation de l'etat; eile se trouvait meme ä un Stade avance d'urbanisation. Cf. M. D.
Matei, Unele probleme !n legäturä cu inceputurile vietii orä§ene§ti la Suceava, Stud,
cercet. ist. veche 11 (i960) pp. 107—124.
137 C. C. Giurescu, Ist. Rom. 2, 2 pp. 431, 443.
138 G. Diaconu, Ο moldavskix krepostjax X I V — X V vv. («Sur les forteresses mol-
daves des X I V e — X V e siecles»), Dacia n. s. 3 (1959) pp. 535—552. Sur les fortifications
de la cit£ de terre de Bärlad, X V e siecle, cf. M. D. Matei, Date noi in legäturä cu cetatea
de pämint de la Birlad, Stud, cercet. ist. veche 10 (1959) pp. 117—134.
Α Cetatea Neamtului les caracteres architecturaux ne sont pas bien definis; il y a
une rencontre des styles ginois et polono-baltique. Cf. N. Constantinescu, Date noi Sn
legäturä cu Cetatea Neamtului, Stud, cercet. ist. veche 11 (i960) pp. 81—105.
Une description suggestive des fortifications de Suceava a et6 faite par Gelälzäde
Mustafa: fabaqät al-mamälik ve daragät al-masälik. Traduction: Ν. Beldiceanu,
G. Zerva Soc. Acad. Dacorom. Acta Hist. 1 (1959) p. 52.
138 C. C. Giurescu, Ist. Rom. 2, 2 p. 538.
140 Ibid. pp. 455—465.
350 D I E WENDUNG ZUM WESTEN UND I H R E GEGENSTRÖMUNG
141
R. Vulpe, Hist. Dob. p. 409. M. Sc. Lambrino a eu l'ambilitö de me faire part
des details suivants au sujet des fouilles de Razelm, dirigies en 1939 par Gr. Avakian:
«J'ai vu apparaitre au cours des fouilles une riche ceramique byzantine imaillie et
orn6e de dessins en couleurs. Je n'ai vu nulle part ailleurs dans notre Dobroudja une
ciramique aussi riche et vari6e. Faisant par la suite des recherches, mais seulement sur
la base des souvenirs, j'ai constats que cette ceramique nous faisait descendre au moins
jusqu'au X l l e siecle. Au cas oü ces matiriaux seraient publics ils constitueraient un
point de repfere supplimentaire pour la carte archöologique et historique de votre ötude»
(Lisbonne, le 30 novembre 1958). Ν. B. Nous n'avons pas connaissance de la publication
de ce materiel; il semble que son inventeur l'a άέροβέ ä la Residence Royale de Gala^i.
Des objets byzantins du X I I e siecle — ceramique, orfdvrerie, monnaies -— iden-
tiques k ceux de Dinogetia avancent jusqu'en Transylvanie n^ridionale. II existe deux
trisors importants, enfouis en 1150 ä Straja et ä Fägära§. Cette pinetration, que l'on
peut mettre en rapport avec la «route du sei» Bretcu-Poiana-Bärbo§i, montrerait non
seulement une döpendance ^conomique et culturelle mais peut-etre aussi des
rapports politiques. Cf. G. Bakö, Contributii la istoria Transilvaniei de sud-est in
secolele X I - X I I I , Stud, cercet. ist. veche 12 (1961) pp. 113—119.
142
Cf. E. Lozovan, La toponymie roumaine dans les cartes et les portulans Ita-
liens, Revue int. d'onom. 13 (1961) pp. 185—192.
148
Parmi les matiriaux non-publi6s de Razelm il y avait aussi deux trisors moni-
taires du X I V e sifecle, de Mircea et de Petru al Mu;atei (communication de Μ. Sc. Lam-
brino).
144
R. Vulpe, Hist. Dob. p. 385 ss.
145
V. Georgiev, Die Herkunft der Namen der größten Flüsse der Balkanhalb-
insel, Ling. balk, ι (1959) p. 12.
148
Constatin Porphiroginfete, De adm. imp. 9.
147
C. C. Giurescu, Ist. Rom. 2, 2 pp. 428—432.
15. V I L L E S , CAMPAGNES E T R O U T E S 351
I
neo-grec καλύβα
I
formes daco-roum. et balkan.
colibä, koliba
\
mac6do-roum..,
cälivä formes sud-est europeennes
La survie du terme dans la haute montagne est tres plausible; les «hut-
tes» y ont toujours existe meme au temps ou tout le pays connaissait une
intense urbanisation. Reste ä expliquer comment le phonetisme est de-
meurö inchange. Peut-etre les Thraces non-romanises ont-ils transmis le mot
directement aux Bulgares, ou ä un autre peuple, qui l'ont par la suite gene-
ralise dans les Balkans. Dans cette hypothese les «lois» phonetiques rou-
maines n'entrent pas en ligne de compte. II se pourrait done que les colibasi
des montagnes de Bran et les cälivari des pentes escarpees d'Albanie corres-
pondent aux antiques καλυβϊταί. Le sud-est europeen a change plusieurs
fois de visage, eux, ils n'ont pas bouge.
La terminologie des «routes» se presente comme une serie parallfele ä
celle des «villes». L'examen du reseau routier de la Romania Orientale158
156
Ibid. p. 59.
166
Oberhummer, R. E . s. v. Kabyle. N. Iorga, Hist. Roum. 1, 1 p. 72.
167
L'etymologie collegia «agrupaeiön de chozas pastoriles» proposie par Μ. Al.
Cioränescu, Diet. etim. rum. 2259, est bizarre. D'ailleurs l'auteur rejette systemati-
quement tous les mots du substrat.
158
M. J . - J - Hatt, op. cit. p. 94, a remarque au sujet de la Gaule que les routes ro-
maines desservaient mal la partie occidentale du pays ce qui eut pour risultat une
15. VILLES, CAMPAGNES ET ROUTES 353
nous 6claire, ä bien des £gards, sur la conquete militaire et spirituelle accom-
plie par Rome dans la r6gion danubienne, aussi bien que sur sa decheance.
L'idee est „dans l'air"; on y a fait maintes fois allusion 169 , mais on ne l'a pas
appliqu6e avec consequence 180 . Tel auteur affirmait de fa£on peremptoire
que «la cause premiere et decisive de la diversite des peuples et de la diver-
sfti des races, c'est la route que les peuples ont suivie. C'est la route qui cree la
race et qui cree le type social. La diversite de ces routes explique la diversite
des peuples d'Occident et ce qu'on appelle trop commodement le genie na-
tional de chacun d'entre eux» l e i . Meme si l'on £carte cette ambitieuse gSne-
ralisation on ne saurait nier le röle de «haute spiritualite» du reseau rou-
tier162. Selon qu'il se trouve sur une «grande route» ou en dehors d'elle, un
peuple est entraine dans le courant d'une civilisation ou il en reste
exclu 163 . C'est ainsi qu'eut lieu sur «la route de la soie» la rencontre du
monde indien et de l'hellenisme, d'oü est sorti le syncretisme greco-
bouddhique qui fit, par la suite, la conquete morale et artistique de la
Haute Asie1®4.
biano nella prima etä del ferro, Ephemeris Dacoromana, 3 (1925) pp. 58—109.
II existe une deuxifeme direction de p6nitration, S.-N. On trouve des £p£es myci-
niennes en Transylvanie. K. Horedt, Siebenbürgen und Mykenä, dans: Nouv. et.
d'hist. 2 pp. 31—44.
ιβ8 y p^rvan, Getica, p. 606. Ch. Picard, Les voies terrestres du commerce hall-
stattien, Latomus 19 (i960) pp. 4091—428.
1 , 8 Sir Mortimer Wheeler, Rome beyond the imperial frontiers, London, 1955,
chap. 3, carte 2.
170 V. Pärvan, loc. cit.
din Muntenia cu Republica romani, Stud, cercet. numis. 2 (1958). D. Tudor, Oltenia,
pp. 23—27.
15. VILLES, CAMPAGNES ET ROUTES 355
Carpathes, resties un peu k l'ecart, ont echu en partage aux marchands
grecs 1 ' 2 .
Ce n'est que la conquete militaire des deux provinces qui a άοηηέ le
signal d'une activity febrile, tant sur le plan de l'urbamsme que sur celui du
n6goce. Les premieres routes du littoral pontique datent des Flaviens 1 7 3 ,
Celles de Dacie, de Trajan meme 1 7 4 . Elles ont constitui un έΐέηιεηΐ essentiel
de la romanisation, car, par leur intermediate, les provinces danubiennes
ont 6t6 reliees & l'Italie et au reste de l'Empire 1 7 ® d'une manure sure et ra-
pide. L a remarque d'Aurelius Victor est pertinente: [A Traiano est] iter
conditum per feras gentes, quo facile ab usque Pontico mart in Galliam per-
17β
meatur (De Caes. 13) . Les trois principales art6res 177 sont les suivantes:
I. Viminacium-Tibiscum, II. Dierna-Porolissum, III. Drubeta-Apulum.
Ces routes strat6giques, compl6t£es ult6rieurement par un reseau secondaire,
ont vraisemblablement έΐέ trac0es par Trajan en personne 178 . II serait exa-
VII et VIII.
1 7 8 R. Paribeni, Optimus Princeps, Messina, 1927, I p. 319. Une sc&ne de la Co-
lonne Trajane reprisente des legionnaires en train de construire une route. Cf. C. Ci-
chorius. Die Reliefs der Trajanssäule, Berlin, 2 pp. 257—261. Ceci est confirm6 par Dion
Cassius (Epit. 71, 3): les 16gionnaires itaient rompus ä. la construction des ponts et
des routes. La route Philippopolis-Noum portait le nom de Trajan. La designation
actuelle, qui n'est qu'une traduction, Trojanska p&teka, apparatt en 601. Cf. C. Jireöek,
Die Heerstraße von Belgrad nach Constantinopel und die Balkanpässe, Praha, 1877,
p. 157. Sur la uia Egnatia voir Strabon (7, 7, 4).
23·
D I E
356 W E N D U N G ZUM W E S T E N U N D I H R E GEGENSTRÖMUNG
g6r6 de croire que l'importance müitaire de la Dacie prenait le pas sur l'eco-
nomique179. La mainmise par Trajan sur le tresor des rois daces, aussi bien
que l'essor qu'il a imprime aux exploitations aurif£res des montagnes tran-
sylvajnes ont permis un veritable redressement έοοηοη^υε de l'Empire k
une 6poque de crise aigue180. Mais cela n'etait que l'aboutissement d'un long
processus de penetration. D6s 180 av. J.-C. les marchands italiques avaient
avance dans rillyricum, la Pannonie et les Mesies181. Aprfes la conquete, le
trafic s'est vite d6veloppe pour atteindre le maximum aux I I e — I I I e si£cles
ap. J. C.18a. La presence en Dacie de marchands originaires de regions assez
eloignees -— Bithynie, Galatie, Syrie — d'une part, et l'etablissement de
commerijants daces k Salona183, Nendinum et Mythil&ie, montrent un rayon-
nement dans toutes les directions184. Le trafic, k travers la Dalmatie, arri-
vaitjusqu'enAfrique 185 . L'importance economique de laDacie 18e explique done
l'extension rapide du reseau routier, lequel est — du point de vue qui nous
occupeici—l'instrument de la romanisation et de Γ integration linguistique.
Voyons maintenant la terminologie de la «route» et sa posterit6 dans les
langues romanes. Par rapport k l'indoeuropeen, qui ne connaissait que le
gue, le latin a developpe un vocabulaire assez varie des voies de communi-
cations, qui suit de pr£s les etapes de la civilisation romaine. II y a les termes
pastoraux (callis), ruraux (semita, actus, limes, trames, uia, agger, strata, de-
uerticulum) et urbains (uicus, cliuus, fundula, angiportus, peruium, seals)187.
1 , 9 P. Charlesworth, Les routes et le trafic commercial dans l'empire romain, Paris,
1938, p. 181.
180 J. Carcopino, Un retour k l'impirialisme de conquete: l'or des Daces, dans: Les
184 V. Christescu, op. cit. pp. 125, 129. — Selon Diodore (3, 34, 7) un vaisseau
ötait capable de couvrir la distance qui sipare la Miotide de l'Ethiopie en 24 jours. Certes,
il s'agit la d'un «record»,maisilprouvequelescommunications rapides dtaient possibles.
185 O. Densusianu, Hist. 1. roum. 1 pp. 208—213. — A Leptis Magna il y avait une
curia dacica. P. Romanelli, op. cit. p. 328 η. 1. N. Gostar, Curia dacica intr'o inscriptie
din Leptis Magna, dans: Omagiu lui C. Daicoviciu, Bucure§ti, i960, pp. 259—265.
188 II y a lä un point de vue qui a toujours 6t6 accepts et amplement άένείορρέ par
Quelque-uns seulement parmi ces termes ont έίέ gard6s dans les langues ro-
manes et encoreleur diffusion n'est-elle pas generale188. Certains comportent un
changement semantique notable189. Enfin, quelques innovations constituent
des ph6nom£nes regionaux: strata, rupta uia et calciata1β0.
Les seuls termes latins191 design ant la «route», gard£s par le roumain
sont cattis > cale et carraria > cärare192. Tous les autres ont disparu et le
fait n'a rien d'etonnant. A l'exception de ma193, evinc6e peut-etre par
l'homophonie avec vie < uinea «vigne», les designations li£es έ. un niveau
de vie superieur184 ont έίέ abandonees k la suite de la reconversion sociale.
Plus de platea ni de camtninus19B, lä oü les Romans dechus reviennent k 1'exi-
stence rurale et pastorale; les «sentiers» pour les moutons et les charriots
188
Cliuus (REW 1993); iter (REW 4555); limes (REW 5048); semita (REW 7813);
frames (REW 8848); uia (REW 9295). II n ' y pas de monographie onomasiologique dans
chacune des langues romanes. Ci. seulement: A. Griera, Algunas designaciones del
concepto «via» en catalin, Via Domitia (Toulouse) 1 (1954) pp. 1—4.
188
Uicus, uiculus (REW 9316, 9318). A classer ici le sens sp6cial du roum. plai
< plagius (REW 6564) «sentier de montagne» dont le d^veloppement n'a pu avoir lieu
que dans un milieu pastoral. Voir la carte ALR I 803, chez: S. Pop, Problfemes de g^o-
graphie linguistique, Revue des i t u d e s indo-europ^ennes 1 (1938) p. 73, carte 8. — On
retrouve cet appellatif dans lä toponymie de la Pologne miridionale: Runa-Plaj, Plaj,
Plajek. S. t u k a s i k , Pologne et Roumanie, Paris 1938, pp. 260—261. Pour les Mac&lo-
Roumains cf. Th. Capidan, Top. macido-roum. p. 99. — N. Iorga, Hist. Roum. 2 p.
411 n. 1., citait l'attestation de Theophanes (έά. Bonn p. 549) — π λ ά γ ι α — et ίηνο-
quait le terme midio-latin plagse. L'influence des iormes savantes est peu probable
dans le cas d ' u n mot si populaire.
1,0
R E W 8291, 7452. J . Vannirus, Calciata et calcipetra, Arch. lat. med. aevi 18
(1943—1944) pp. 5—24. A. Dauzat, chaussie, Fr. mod. 9 (1941) pp. 41—45. La route
Lycostoma-Möncastro est appel6e strata en 1450 (A. Delatte, Les portulans grecs,
Lifege-Paris, 1947, P· 2 3 2 ) · Mais le mot roum. stradä ne peut remonter au bas-latin
pontique; son phon^tisme est italien (par l'mtermidiaire ηέο-grec ?).
191
On pourrait mentionner aussi chei < clauis «gorges, cafion»: V. Buescu, Rev.
6t. roum. 5—6 (1957—1958) pp. 146—152, mais le sömantisme est assez äloigne de
notre thfcme. II en est de meme des nombreuses clausuree balkaniques, gr. κλεισούρα
macido-roum. clisurä.
1,2
R E W 1520, 1718. — ALR I I n. s. carte 408. — Ailleurs dans la Romania ces
termes apparaissent dans les regions pastorales, en Italie p. ex.: via carale, G. Serra,
Lineamenti di una storia linguistica dell'Italia medioevale, Napoli, 1954, 1 Ρ· Γ 75·
193
Encore vivante au VI e sifecle, si le toponyme Βία (Hsemus) mentionn6 par
Procope (De ®d. 4, 11) la reflfete.
181
Ou bien la terminologie des professions a b a n d o n e e s et qui se röveiait sans
objet. Voir, p. ex., la disparition des mots lids k la peche et k la vie maritime: E. Lozovan,
Autour des rapports pontico-m£diterran<;ens, Bollettino dell'Atlante ling. med. 2—3
(i960—1961).
184
Κάμινος est attests en Mac6doine, Procope, De eed. 4, 4.
358 D I E WENDUNG ZUM WESTEN UND IHRE GEGENSTRÖMUNG
suffisent 198 . Le roman tardif rugau1 ne put plus se frayer un chemin jusque
dans les r6gions orientales; il s'arreta dans la p6ninsule balkanique: alb. rouge,
gr. £ούγα, mac6do-roum. arugä, ce dernier avec le sens specialise de «entree
de l'enclos oil l'on trait les brebis». De meme le mot bas-latin pontique
carubius «siue uia», comme il est defini dans les actes de P£ra198, reste con-
ίΐηέ k la langue artificielle des transactions commerciales.
Les faits linguistiques qui precedent ne prenent tout leur relief que si on
les εοηείάέΓβ en rapport avec les realites humaines et g6o-physiques de la
region danubienne; toute conclusion historique qui les negligerait risquerait
d'etre incomplete, voire fausse ä certains egards. Le relief du sud-est euro-
ρέεη est eloquent par lui-meme. La peninsule, ouverte vers le nord, offre
deux grandes portes d'invasion: les plaines de Pannonie et de Scythie Mi-
neure199. Les routes longitudinales ont toujours joue un röle militaire; les
envahisseurs qui les ont utilis6es ont riussi k y prendre pied. Par contre, les
routes transversales ont peu servi k la penetration etrang^re200. Le grand
probteme des peuples conqu6rants a ete l'occupation des points stratigiques:
les values et les noeuds routiers. La voie Morava-Marica-Constantinople,
la uia militaris des itineraires romains, la carski put des documents serbes,
la Stambouljol de l'empire ottoman, resta pendant des si£cles la plus impor-
tante de la region. En somme, la lutte pour la possession de Sirmium, Singi-
dunum, Naissus et Serdica fut la lutte meme pour la domination de la penin-
sule. Malheureusement il n'y pas que les invasions que cette r6gion eut k
affronter; elle dut aussi subir les consequences morales des rivalit6s et des
m6sententes des deux parties de l'Empire. Aux destructions mat6rielles
s'ajout^rent les devastations spirituelles. Ce fut pendant de longs si£cles «le
schisme dans l'äme» selon l'expression de Μ. Arnold J. Toynbee. Theotmar,
evfique de Salzbourg rdsumait ainsi la situation dans sa lettre au pape Jean I X :
Communis gemitus et generalis dolor angustat quos Germania et tota tenet
Norica, quod unitas Ecclesix diuiditur scissura201. La longue lutte pour
la possession de l'lllyricum, au point de vue administratif ou ecclesiasti-
source est A. Forcellini, Lex. tot. lat., s. v. drotno: «item locus in quo exercitationis
causa aurigse currebant». Voir aussi Du Cange, Gloss, lat. s. v. dromus «via, sernita».
La citation (anno 1144, Vetus Notitia sub Rogerio Rege Sicilise) n'est pas concluante
pour nous.
210 C. Diculescu, Elemente vechi grece§ti din limba romtnä, Dacoromania 4 (1924
119—122. Al. Rosetti, M£langes, p. 347. Th. Capidan, Top. mac6do-roum. p. 71.
213 L. Niederle, Manuel, 2 pp. 245—251.
214 J. Cvijid, op. cit. p. 85. La pinötration de Raguse s'itend jusqu'ä Bra§ov qui
Mais malheureusement l'dtude de la langue des inscriptions ne peut nous aider. Voir
15- V I L L E S , C A M P A G N E S E T ROUTES 361
les conclusions de Μ. Η. Mihäescu, op. cit. pp. 268—269. L a dislocation est done un
phdnomfene de civilisation qui dchappe, pour le moment, aux precisions linguistiques.
Voir, toutefois, M. Deanovic, Remarques sur le systfeme phonologique de l'istro-
roman, Bull. Soc. Ling. Paris 48 (1952) pp. 79—83.
2 1 7 F. Lot, La fin du monde antique, p. 257. — E. Kornemann, Polis und Vrbs,
(1633—1691): «les villes [i. e. nos] presques toutes ont 6t6 fondles par des Saxons».
Lk-dessus, contra, sans arguments scientifiques cf. B. Cämpina et Μ. Berza, dans:
Istoria Rominiei, Bucure?ti, 1962, 2 p. 289.
220 P. Romanelli, op. cit. p. 662. — Ce nous est un devoir de rappeler ici le souvenir
D I E SCHLACHT BEI D E N
BUSTA G A L L O R U M 552 η. CHR.
Innerhalb der gotischen Geschichte ist die Frage der örtlichkeit des
Treffens vom Frühsommer des Jahres 552 n. Chr., jener Schlacht zwischen
König Totila und Narses, die den Untergang der ostgotischen Herrschaft in
Italien einleitete, von besonderem Interesse.
Schon ein erstmalig 1957 erfolgter Besuch des betreffenden Gebietes
ließ erkennen, daß die folgenschwere Begegnung nicht nächst dem heutigen
Gualdo Tadino stattgefunden hat. Bei Prokop 4, 29 lesen wir:
ή τε 'Ρωμαίων στρατιά Ναρσοΰ ήγουμένου (ού) π ο λ λ ω ύστερον έν
τ ω δρει καΐ αύτοί τ ω Άπεννίνω ένστρατοπεδευσάμενοι Ιμενον, σταδίους
έκατόν μάλιστα τ ο ΰ τ ω ν έναντίων στρατοπέδου διέχοντες έν χωρίω
όμαλω μέν λόφους δέ άγχιστά π η περιβεβλημένφ πολλούς, ίνα δή ποτέ
στρατηγουντα Ρωμαίων Κάμιλλον τ ω ν Γάλλων όμιλον διαφθεΐραι
μάχη νενικηκότα φασί. φέρει δέ καΐ είς έμέ μαρτύριον τ ο υ ipyou τούτου
τήν προσηγορίαν ό χώρο? καΐ διασφζει τ η μνήμη τ ω ν Γάλλων τ ό
πάθος, Βουσταγαλλώρων καλούμενος, βοϋστα γάρ Λατίνοι τά έκ
της πύρας καλουσι λείψανα, τύμβοι τε τ η δε γεώλοφοι τ ω ν νεκρών
έκείνων παμπληθεΐς είσιν. —
Zunächst verwechselt unser Gewährsmann offenkundig verschiedene
historische Geschehnisse; er verbindet Camillus' Namen mit einem weit spä-
teren geschichtlichen Ereignis.
Der Römerfeldherr ist zweifellos eins mit M. Furius Camillus, der sechs-
mal Konsulartribun und angeblich fünfmal Diktator gewesen ist 1 . Prokops
Hinweis auf den glänzenden Waffenerfolg der Römer kann sich jedoch nur
auf die Geschehnisse während des dritten Samnitenkrieges beziehen; auf
die 295 am Ostabhang des picenischen (märkischen) Apennin bei Sentinum
(in agro Sentinati), im Gebiete des heutigen Sassoferrato, geschlagene
Schlacht. Den Berichten der antiken Historiker sind genaue topographische
1 Livius, 4, 58—61; 5, 1—24, 32; Plutarch, Cam., 5, 12; Diodor, 14, 93.
364 BEILAGE
cisa saxa, am Ausgang der Antike Petra Pertusa (Gola del Furlo; Furlo)
genannt, bis Pitinum Mergens (Acqualagna), wo der Candigliano und der
von Süden aus der Gegend des Passes von ad Aesim oder ad Ensem (Scheggia)
kommende Burano (die antiken Namen beider Gewässer sind unbekannt)
zusammenfließen.
Die Via Flaminia folgt dem Burano bis ad Calem (Cagli) — 51 km von
Fano — an dessen linkem Flußufer, dann fast ausnahmslos auf der rechten
Flußseite. Nach Überquerung des Apennin auf der umbrischen Seite bei ad
Aesim oder ad Ensem herabsteigend, betritt sie ein schlauchförmiges Tal,
das sich in nahezu 40 km Entfernung bis Nuceria Camellaria (Nocera Umbra)
erstreckt. Fast in der Mitte dieses Tides liegt an einer Straßenkreuzung Hel-
villum (Fossato di Vico). Ein Seitental des Clasius (Chiascio) mit Iguvium
(Gubbio) führt zum oberen Tiber, ein Paß nach Fabriano, weiter über Aesis
(Jesi) zur Adria.
H. Nissen sagt: „In dem Tal liegt der Vicus Helvillum, Station der Via
Flaminia, ungefähr an der Stelle des heutigen Sigillo". (Von Sigillo führt ein
kleiner Paß südlich des M. Cucco auf die picenische Seite des Apennin).
E. Bormann (CIL X I 2/1) setzt Helvillum mit Fossato di Vico gleich. Hier
liegt für H. Nissen und, in offenkundiger Abhängigkeit von ihm, auch für
Philipp das Schlachtfeld, wo Totila den auf der flaminischen Straße an-
rückenden Narses erwartete. Zugleich auch der Ort, wo Camillus die von der
Zerstörung Roms heimkehrenden Kelten ereilt und vernichtet haben soll,
also Busta Gallorum. Wenn der bisherige Verlauf der modernen Flaminia
der antiken Via Flaminia entsprach, so trifft dies einige wenige Kilometer
ober- und unterhalb des heutigen Gualdo Tadino nicht zu. In einer Ent-
fernung von 1.75 km finden wir die Via Flaminia antica, heute ein Feldweg,
westlich von Gualdo Tadino.
Etwa bei Gaifana, an die 10 km südlich Gualdo Tadinos, vereinigt sie sich
wieder mit der modernen Flaminia. Im weiteren Verlauf berührt sie Foligno,
Spoletium (Spoleto), Terni und betritt links vom Tiber durch die Porta
Flaminia die ewige Stadt.
Prokop 4, 29 sagt: ή τε 'Ρωμαίων στρατιά ΝαρσοΟ ηγουμένου (ού)
π ο λ λ ω ύστερον έν τ ω όρει καΐ αύτοί τ ω Άττεννίνω ένστρατοπεδευσάμενοι
Ιμενον. Es verlautet nichts, woraus man schließen könnte, Narses habe
nach Umgehung des Furlopasses die Via Flaminia wieder betreten. Dies aber
wird von H. Nissen (a. 0. 392) und auch von Philipp (im bezüglichen RE-
Abschnitt) behauptet. Diese Deutung allerdings wird verständlich ange-
366 BEILAGE
sichts dessen, daß wie bereits erwähnt, H. Nissen Busta Gallorum, bei
Fossato di Vico ansetzt.
Die bequeme Via Flaminia zu verlassen, nötigte den Byzantiner das
durch die Goten gesperrten Intercisa saxa oder Petra Pertusa. Demgemäß
bog er, wie schon angeführt, nach links (von der Via Flaminia) ab.
Es ist kaum wahrscheinlich, daß Narses die Flaminische Straße bis Forum
Sempronii benützte und erst dort von der Straße nach links abbog, um über
Pergola in den Apennin zu gelangen. Beträgt doch die Entfernung von Fo-
rum Sempronii bis zur stark befestigten Petra Pertusa wenig mehr denn
6 römische Meilen (etwa 10 km). Aus Narses' Verhalten wird allerdings
offenkundig, daß ihm daran gelegen war, rasch an den Apennin heranzu-
kommen. Diese Tatsache gestattet den Schluß, daß Narses über Fanum
Fortunae hinausmarschierte, also tatsächlich nach links abgebogen war, und
auf einer Strecke von 14 km längs der Adria bis Marotta zog, dann nach
rechts abbiegend die Küste verließ.
Diese heute noch bestehende Cesaner-Straße (sie läuft mit der Via Fla-
minia fast parallel) verbindet das heutige Marotta mit S. Lorenzo in Campo,
dem damaligen Suasa. Suasa seinerseits war durch andere Straßen mit Sen-
tinum und Alba Picena verbunden.
Von dieser örtlichkeit aus war der Apennin sowohl entlang des Cesano
als auch durch das Tal der Nevola erreichbar. Eine Überquerung der engen
Schlucht des Bellisio, entschied man sich entlang des Cesano zu marschieren,
war gewiß nicht ohne Schwierigkeiten zu bewältigen. Deshalb zog der Feld-
herr sicherlich die bequemere Straße vor, die dem Tal der Nevola folgend,
über Nidastore, Cabernardi in die Nähe von Sentinum führte.
Das heutige Sassoferrato — 18 km von Pergola auf der Straße nach Fa-
briaxio — stammt von der antiken umbrischen Stadt Sentinum ab. Die aus
dem XII. Jahrhundert stammende Kirche Santa Croce wurde größtenteils
aus dem Material des antiken Sentinum erbaut. Sentinum lag rund 2 km
südlich vom heutigen Sassoferrato, 100 m östlich von der Straßenkreuzung.
Die zunächst genau in nordsüdlicher Richtung bis Molinaccio führende Straße
und Bahnlinie biegt bei der genannten örtlichkeit nach Osten und gelangt
im Süden nach Fabriano, im Norden nach Sassoferrato. Bei der oben er-
wähnten Kreuzung führt die nach Westen abzweigende Straße nach Sch6g-
gia. Unmittelbar lehnte sich Sassoferrato im Osten an das Flüßchen
Marena und befand sich etwa 450 m von einer Schlinge des Sentino im
Westen.
SCHLACHT BEI DEN BUSTA GALLORUM 367
Zur Topographie des antiken Tadinum schreibt E . Bormann 4 : „ . . . Ita
Holstenioa. i643ruderaTadiniantiquiabincolis monstrata sunt in colle paulo
post plus M. passus distanti ab oppido Gualdo (tum in abbatia Gualdi descripsit
titulum n. 5666) atque ipse loco supra laudato de his rebus rettulit . . . "
Nach Η. Nissen* lag Tadinum 7 Milien (10,37 km) von Helvillum, i 1 ^ Milien
(2,22 km) vom heutigen Gualdo Tadino bei der Kirche S. Maria Tadina. In
sichtlicher Abhängigkeit von Bormann und Nissen ergänzt Philipp': „Ta-
dinae lag also in der Nachbarschaft Iguvium-Gubbio, etwa eine Meile
(1,48 km) nördlich vom heutigen Gualdo Tadino nahe der Kirche S. Maria
Tadina."
In der 1624 erschienenen „Italia antiqua" des Philipp Clüver heißt es:
„Alluebat autem Tadinas fluviolus Rasina et via Flaminia per eam ducebat,
quae ex vico Gaifana recta eo tendit, et post per planiciem sub Fossato per-
git Svillum . .
Tadinum erhob sich auf der Gualdesischen Ebene am Fuße des Apennin
beiderseits der Via Flaminia, einem Platz, der noch heute Tadino (im Volks-
munde Taino) genannt wird. Den kleinen Hügel umfließt im Süden, Westen
und Nordwesten ein Wässerlein, Räsina, und im Osten begrenzt ihn die von
Gaifana kommende Via Flaminia antica, heute ein Feldweg. Bei wieder-
holten Bereisungen besuchte ich das bäuerliche Anwesen, das sich auf dem
Hügel befindet, und konnte die steinernen Zeugen, Überreste des antiken
Tadinum, in Augenschein nehmen. Diese örtlichkeit führt heute den Namen
Casa Bellucci. Sie liegt, gemessen vom Zentrum des heutigen Gualdo Ta-
dino 2,82 km (Luftlinie), 4,35 km (Straße) in südwestlicher Richtimg, und
nicht, wie Philipp irrtümlich angibt, nördlich, von Gualdo Tadino. Die von
Nissen und Philipp wohl zur genaueren Bestimmung der örtlichkeit er-
wähnte Kirche, Chiesa di S. Maria Tadino, besteht nicht mehr7.
Damit steht fest, daß Tadinum mit dem heutigen Gualdo Tadino nicht
eins ist.
Aus Prokop 4, 29 erfährt man, daß Totila dicht bei einem Dorf Taginae
(Tadinae) lagerte, Narses in einer Entfernung von 100 Stadien (18,35 km)
bei den Busta Gallorum. Nach Rückkehr der von Narses in das Lager des
Gotenkönigs — also nach Tadinae — ausgesandten Unterhändler, deren
* E . Bormann, C I L X I 2/1 (1901), 997f.
* H . Nissen, Italische L a n d e s k u n d e 2, 1 (1902), 392 f.
« R E . 8 (1932). i 9 9 9 f ·
7 R . Guerrieri, Storia Civile ed Ecclesiastica del Comune di Gualdo T a d i n o (1933),
394 ff·
368 BEILAGE
Er beruft sich auf das auf Seiten der Römer stehende Recht, dem Gott seinen
Beistand nicht versagen könne. Totila, der König, entstamme der Hefe
des Volkes, und die Tollkühnheit der Goten müsse als Wahnsinn bezeichnet
werden. Die von Delbrück angegebene Stärke des byzantinischen Heeres,
zu der sich auch F. Schneider (a. 0. 36) bekennt, dürfte allerdings zu niedrig
sein.
Wenn nunmehr die Festlegung der örtlichkeit der Schlacht vom Sommer
552 n. Chr. erörtert wird, sollen zunächst die einzelnen Theorien erwähnt
werden. Die älteren italienischen Historiker behaupteten, daß Totila in der
Nähe von Brescello — nordöstlich von Parma — am rechten Ufer des Po in
der Provinz Emilia sein Leben ausgehaucht habe. Andere wieder verlegten
den Schauplatz der Schlacht nach Toscana, nächst Poppi (am Arno, öst-
lich von Florenz) im Gebiet von Casentino, wo ein kleiner Bach namens
Teggina fließt. Der Tod soll den verwundeten Gotenkönig nach einigen in
Caprese — ebenfalls in der Toscana — in der Nähe der Tiberquellen ereilt
haben. Auch urbinatisches Gebiet längs der Via Flaminia zwischen Cagli und
Acqualagna wurde für die Schlacht in Anspruch genommen. Laut Alberti
wäre der schwerverwundete König nach Caprese di Toscana, nach Baldi in
die Gegend von Carpesso (lies Caspessa) bei Montevecchio im Distrikt von
Fossombrone gelangt. Valsecchi verlegt das Schlachtfeld zwischen Cittä di
Castello und Borgo San Sepolcro. Für Balbo ist die örtlichkeit in der Nähe
von Gubbio und für Acquacotta nächst Castelraimondo zu suchen; der
König starb in Capriglia, unweit von Esanatoglia.
Ostausgang der Schlucht befindet, setzen konnte, hätte er damit die Gola di
Frasassigesperrt, und die Goten wären so wie Narses bei der gesperrten Petra
Pertusa außerstande gewesen, diese Schlucht zu passieren. Dies bildet das
Hauptargument gegen S. Fuchs. E s soll indessen nicht bestritten werden,
daß die tatsächlichen topographischen Verhältnisse von bestechender Aus-
sage sind.
Über die vom Autor erwähnte vergoldete Wangenklappe eines gotischen
Spangenhelmes — seiner Meinung nach handelt es sich um ein Spolium aus
der Gotenschlacht — konnte ich weder im Museum von Fabriano noch im
Museum in Ancona etwas in Erfahrung bringen. Dafür fand ich aber dort
den Spangenhelm von Roccascalegna. Dieser Helm (Invent. Nr. 133),
wurde 1922 gefunden und von G. Moretti in Notizie degli Scavi 1928, 4 7 1 bis
478 veröffentlicht.
Bei den Untersuchungen des Kirchberges von Morken, wo sich unter
der St. Martinskirche das reich ausgestattete Grab eines fränkischen Herren
aus der Zeit um 600 n. Chr. befand, kam unter anderem auch ein Spangen-
helm zutage, der dem Helm von Roccascalegna ähnelt. Der Morkener-Helm
stammt aus einer oberitalienischen Werkstatt. Münzbildern entnimmt man,
daß solche Helme von den Goten in Italien getragen wurden. Nach J . Werner
entstammen alle diese Helme ostgotischen Werkstätten, die noch über das
Ende der Gotenherrschaft in Betrieb gewesen sein dürften. Demnach ist der
Spangenhelm von Roccascalegna sicherlich ostgotischer Herkunft 18 .
Da bei den ostgermanischen Stämmen ein Brauch, den Toten Beigaben,
vor allem von Waffen, mitzugeben, nicht bestand, stellt der Spangenhelm von
Roccascalegna eine Besonderheit dar. So erwähnt E . Behmer 17 in seiner
Studie über das völkerwanderungszeitliche germanische Schwert aus Italien
nur 3 Stücke, und zwar zwei aus Nocera Umbra (Prov. Perugia) im Museo
Nazionale Romano und ein aus der Lombardei stammendes Schwert unbe-
kannten Fundortes. Dies steht im Gegensatz zu den außerordentlich er-
giebigen Funden in Deutschland, vor allem aber in Dänemark. Gemeint sind
die Moorfunde der Eisenzeit. So die Funde aus den Mooren auf Fünen und
entlang der ganzen jütischen Ostküste von Angeln bis Vendsyssel, die als
Kriegsbeute auf dem Moor niedergelegt wurden. Von diesen Funden sind
fünf von bedeutendem Umfang: Vimose bei Odense (Hauptmasse aus dem
2. und 3. Jahrhundert), Kragehul bei Assens (der größte Teil aus dem 4. und
u
K. Böhmer, Das Grab eines fränkischen Herren aus Morken im Rheinland (1959).
17
E. Behmer, Das zweischneidige Schwert d. germ. Völkerwanderungszeit (1939).
374 BEILAGE
Nach dem Mißlingen des Angriffes gab es nur noch regellose Flucht. Es
ist kaum anzunehmen, daß Totila in der Lage war, im Lager nächst Tadinae
eine stärkere Besatzung zurückzulassen, und es ist zweifelhaft, ob diese aus
vollwertigen Kriegern bestand. Selbst wenn es um das gotische Lager noch
einmal zu einem kurzen Gefechte gekommen sein sollte (und nur um ein
solches kann es sich handeln), ist nicht angängig, diese Schlacht in die tadi-
natischen Gefilde zu verlegen. Sie begann und endete bei den Busta Gallo-
rum, was auch Guerrieri nicht bestreitet. Im weiteren Verlaufe seiner Aus-
führungen kommt der Autor auf die zweifellos starke Lokaltradition der
tadinatischen Bevölkerung zu sprechen.
Zwischen der Bahnstation und dem Orte Gualdo Tadino, eine Entfer-
nung von etwa 1300 m, befindet sich halbwegs ein kleines Kirchlein, Chiesa
di S. Maria di Rote presso Gualdo Tadino, das im Jahre 1647 errichtet wurde.
Den zweiten Namen, Madonna delle Rotte (rotta bedeutet vernichtet,
zerbrochen), mit den Ereignissen von 552 n. Chr. in Zusammenhang zu
bringen (Madonna delle Rote; delle ruote = von den Rädern) und Rotte von
Ruote abzuleiten, erscheint auch Guerrieri zu gewagt.
In enger Abhängigkeit von Guerrieri vermeint Romano Maurizi in dem
Räume zwischen der Bahnstation und Gualdo Tadino das Schlachtfeld zu
erblicken. Dabei könnte der Platz, an dem S. Maria di Rote sich erhebt, falls
es zur Erinnerung an diesen Kampf errichtet wurde, das Zentrum oder die
örtlichkeit des Höhepunktes des Kampfes bezeichnet haben.
Der Hügel Colbassano soll jene Erhebung sein, die Narses durch einen
Überraschungsangriff in seinen Besitz gebracht hatte. Doch die örtlichen
Gegebenheiten stehen im Gegensatz zu den Angaben unserer Quelle, weist
doch Prokop ausdrücklich auf ein von Schroffen umschlossenes hügeliges
Terrain hin. Davon kann aber bei dieser Ebene, die sich in rund 2 km Breite
bei Gualdo Tadino hinzieht, und an deren Rändern das Gelände sanft an-
steigt, keine Rede sein. Vielleicht dürfen wir in jenem Platz, an dem heute
das Kirchlein steht, den Ort erblicken, an dem sich das Lager der Goten be-
fand, dessen Eroberung in der Überlieferung der tadinatischen Bevölkerung
ihren Niederschlag fand.
Wenn R. Maurizi glaubt, daß Narses die bei Fossombrone abzweigende
über Pergola, Sassoferrato nach Fabriano führende Straße benützte, um
nach Umbrien zu gelangen, wird man dem schwerlich zustimmen. Es wurde
zuvor ausgeführt, daß die stark befestigte Petra Pertusa, die sich in der
Hand der Goten befand, in nächstei Nähe dieser Straßenkreuzung liegt.
376 BEILAGE
lände verlocken ließ, läßt sich daraus ersehen, daß Prokop nichts über eine
Uberquerung des Apennin verlautet.
Narses war, von Ravenna kommend, zunächst auf der Via Flaminia bis
Fanum Fortunae marschiert, dort von der Via Flaminia links abgebogen
und an der Adria entlang nach Marotta gezogen. Ab der heutigen Marotta
benützte er die Cesanerstraße nach Suasa (S. Lorenzo) und gelangte schließ-
lich durch das Tal der Nevola über Nidastore, Cabernardi in das Gebiet
nächst Sentinum. Die topographischen Daten, die Prokop vom Lager der
Kaiserlichen überliefert, lassen sich tatsächlich auf ein Gelände etwa 5 km
nördlich vom heutigen Sassoferrato anwenden. Diese Ebene bei der Eisen-
bahnstation Monterosso's, Serragualdo, wird von einem kleinen Hügel be-
herrscht, an dessen Fuß ein Flüßchen und eine Straße ihren Weg nehmen.
Die Erhebung führt den Namen Colcanino (Colliscaninus), und das Wässer-
lein heißt Sanguerone (Sangineus). Seitens der Einheimischen wurden diese
beiden Namen immer dahingehend gedeutet, daß sie auf eine heftige, blutige
Schlacht zurückzuführen seien. Denkt man an die Schilderung Prokops,
mit welcher Erbitterung um den Besitz dieses Hügels gerungen wurde, dann
erscheint der Vergleich mit im Kampfe ineinander verbissener Hunde (collis-
caninus) nicht mehr abwegig. Daß die Krieger beider Parteien ihre im
Kampfe erlittenen Verwundungen im nahen, nur wenig Wasser führenden
Flüßchen zu versorgen bestrebt waren, ist nahehegend; ebenso, daß sich
davon das Wasser tatsächlich leicht rot färbte.
Gleich allen anderen hier angeführten örtlichkeiten, die für das Treffen
von 552 n. Chr. in Frage kamen, wurde auch die Ebene von Serragualdo
mehrmals besucht. Wenn wir uns zur Meinung Dott. Don Alberico Pagnanis
bekennen, dann aus der Überzeugung, daß vor allem die topographischen
Daten Prokops, letztlich die einzigen Anhaltspunkte, am besten mit dem
Gelände der Ebene von Serragualdo in Ubereinstimmung gebracht werden
können.
SCHLUSS
DER H Y M N U S ΑΚΑΘΙΣΤΟΣ
Roman and Byzantine Periods (1914) 99; vgl. J. -P. Migne, Pairologia Graeca 92 (1865)
1353: 'Ακάθιστο; δέ είρηται, διότι όρθοστάτην τότε iräs ό λαός κατά τήν νύκτα
έκεΐνην τάν ΰμνον τ η τοΰ Λόγου ΜητρΙ ίμελψαν; Κ. Krumbacher, Gesch. d.
Byzantin. Lit. (1897)2 Handb. d. klass. Altertumswiss. 9, 1, 671 f.; G.G.Meersseman,
Der Hymnus Akathistos im Abendland (Freiburg/Schweiz 1958), in: Spicilegium Fri-
burgense 2, 36; H.-G. Beck, Kirche u. theol. Lit. im Byzant. Reich (1959) in: Byzantin.
Handb. 2, 1 (— Handb. d. Altertumswiss. 12, 2, 1) 427.
2 H.-G. Beck, a. O. 427 (vgl. ebenda 265).
s K. Krumbacher a. O.
4 So das Synaxar bei Migne, a. Ο. 1348; vgl. E. A. Sophocles, a. Ο.; H.-G. Beck, a. Ο.
427 (ders. gibt jedoch, ebenda, 255, den 4. Sonnabend d. Fastenzeit an. Einzelne Ab-
schnitte des Hymnus werden tatsächlich an diesem sowie auch am ersten, zweiten und
dritten Fastensonnabend gesungen: vgl. E. Wellesz, The Acathistos Hymn [Copen-
hagen 1957] i n : Monumenta Musicae Byzantinae Transcripta 9, XV).
.* Cod. Sinait. 925: μη [vi] τ ω αύτφ κ£· κονδ[άκιον] ets τό[ν] εϋαγγΐλισμόν τή$
ϋττ[ερ]αγία5 Θεοτόκου: — ήχος ττλ[öcyios] Δ. Der Vorbericht zur lat. Akathistos-
Fassung (G. G. Meersseman, a. O. 38 f.; 101 ff.) weist die Einsetzung der jährlichen Aka-
thistosfeier am Verkündigungsfest Mariens dem Patriarchen Germanos I. (715—730) zu.
Anlaß sei die Befreiung Konstantinopels i. J. 718 gewesen.
' Bei Migne, a. O. 1348—53; desgl. den von F. Combefis (1648) herausgegebene
Bericht (vgl. Migne, ebenda 1353—72).
DER HYMNUS ΑΚΑΘΙΣΤΟΣ 379
G. Ostrogorskij, a. O. 80, gibt demgegenüber die Jahreszahl 678 an. Auf Fragen zeitlichen
Ansatzes kann in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden.
• K. Krumbacher, a. O. 959f.; G. Ostrogorskij, a. O. 1 0 3 ! ; Α. A. Vasiliev, a. O. 236.
10 τ ή ίπτερμάχω σ τ ρ α τ η γ ώ τ ά νικητήρια . . .
1 1 Μ. Huglo, L'ancienne version latine de l'hymne Acathiste, in: Le Mus£on, 64,
die Legende von Romanos' Weihnachtslied (K. Krumbacher, a. O. 663; H.-G. Beck,
a. O. 425) überhaupt in Erwägung gezogen werden. Im Synaxar ist, worauf E. Wellesz,
a. Ο. X X I I , mit Recht hinweist, keineswegs von spontaner Komposition, sondern
allein davon die Rede, daß der Akathistos g e s u n g e n wurde.
13 A. Baumstark, in: Β. Z. 16 (1907), 656ff.; H.-G- Beck, a. O. 427; 431; G. G.
14 H . - G Beck, a. Ο. 427.
15 Vgl. Ε . Wellesz, a. Ο. X X I ; H . - G . Beck, a. Ο. A n m . 3.
16 P. de Meester, L'inno acatisto, stud, storico-letterario, in: Bessarione, Ser. 2,
5 — 6 (1905); hierzu Besprechung v o n P . Maas, in: Β . Z. 14 (1905), 6 4 3 — 6 4 7 ; P . F . K r y -
piakiewicz, De hymni acathisti auctore, in: Β . Z. 18 (1909), 357·—382; E . Wellesz, a. O.
X X — X X X I I I ; G . G. Meersseman, a. O. 3 7 f . ; H . - G . Beck a. O.
17 K . Krumbacher, a. O. 672.
18 G. G. Meersseman, a. O .
» H . - G . Beck, a. O.
20 So A . Lauriotes, Ό 'Ακάθιστος ύμνος (1893). Die im folgenden gegebene Uber-
sicht folgt hauptsächlich W . Wellesz, a. O.
21 P . Maas, a . O. 644.
D E R H Y M N U S ΑΚΑΘΙΣΤΟΣ 381
ή συγκατάβαση·
ουδ ΰπέμεινε μείωσιν.
άνω γ ά ρ ή ν,
καΐ κάτω ήν·
καΐ πανταχού
und knüpft an diesen Hinweis die Feststellung, daß Romanos von allen dog-
matischen Fragen am meisten ein der Christologie gelegen sei22. Gleichzeitig
ließe sich „ein ganz unzweifelhafter Zusammenhang zwischen Romanos und
dem Verfasser des Akathistos . . . aus dem . . . Lied des Romanos auf Mariae
Verkündigung erschließen", das „ nicht nur denselben Refrain wie die Lang-
strophen des Akathistos, sondern auch, freilich nur im letzten Abschnitt der
ersten Strophe, ähnliche χαιρετισμοί" aufweist23.
Endlich fand Beachtung, daß Carlo del Grande24 die Worte χαίρε, τ ω ν
Αθηναίων τάς πλοκάς διασπώσα der i?Ao-Strophe des Akathistos auf die
i. J. 529 von Iustinian geschlossene Akademie zu Athen bezog. Das frag-
liche Jahr sei daher terminus ante quem. E. Wellesz 25 fügte hinzu, der ge-
nannte Vers atme den gleichen Geist wie Strophe 18 von Romanos' Pfingstlied:
Ti φυσώσι καΐ βαμβαίνουσιν οί "Ελληνες;
ΤΙ φαντάζονται πρός "Αρατον τόν τρισκατάρατον;
ΤΙ πλανώνται πρός Πλάτωνα . . .
3
Welche B e w e i s k r a f t eignet indessen den beigebrachten Belegen?
Wer vermöchte zu entscheiden, ob die oben an erster Stelle vermerkte
Anweisung des Codex Corsinianus 366, — wenn sie sich tatsächlich auf den
Akathistos bezieht — auf Romanos selbst zurückgeht. O h n e Klärung
solchen Sachverhalts aber kommt ihr lediglich zweitrangige Bedeutung, nur
bekräftigender Wert für den Fall zu, daß Romanos' Verfasserschaft durch
andere, überzeugende Beweisgründe hinreichend gesichert erschiene.
Ähnliches gilt für die gleichfalls oben erwähnte Angabe des Codex Thessa-
lonicensis Blataion 41, fol. 193, der sich beim besten Willen nicht mehr ent-
nehmen läßt, als daß Romanos' Verfasserschaft bereits recht früh e r w o g e n
wurde. Eine derartige Nachricht mag unter Umständen unbestreitbaren
22 Ders., ebenda, 15 (1906) i f f .
23 Ders., ebenda 14 (1905), 645.
24 C. del Grande, L'Inno Acatisto in onore della Madre di Dio (Firenze 1948) 18.
« a. O. X X I X f .
382 SCHLUSS
Wert besitzen, doch muß man sich fragen, weshalb sie, wenn sie hinsichtlich
der Urheberschaft Sergios' kein Vertrauen verdient, im Hinblick auf Roma-
nos glaubwürdiger sein soll. Mehr noch: in Umkehrung der hier nachgezeich-
neten Versuche, alles für Romanos' Autorschaft Sprechende zu sammeln und
geltend zu machen, ließe sich hervorheben, daß die fragliche Äußerung
neben Romanos ja auch S e r g i o s als Dichter des Hymnus in Betracht zieht.
Kaum mehr Gewicht dürfte den angeführten Entsprechungen zwischen
Romanos' „echten" Kontakien, deren Verfasserschaft gesichert ist, und dem
hier zur Erörterung stehenden Lied beizumessen sein. Daß der Hymnus den
Standpunkt orthodoxer Christologie einnimmt, spricht mitnichten notwendi-
gerweise für einen bestimmten, auf diesen Zweig christlicher Theologie sein
Hauptaugenmerk richtenden Verfasser26, vielmehr ist keineswegs undenk-
bar, daß die betreffenden Worte lediglich Feststehendes wiederholen.
So gesehen, könnten die hier angehenden Zeilen auch heute niederge-
schrieben worden sein. Verläßliche Auskunft über die Abfassungszeit des
Liedes dürfte sich ihnen demnach schwerlich abgewinnen lassen.
Nicht viel anders verhält es sich mit den übrigen Berührungen: selbst
ein sich so entschieden für Romanos als den Verfasser des Akathistos
äußernder Gelehrter wie E. Wellesz bezeichnet es als Aufgabe des byzanti-
nischen Melodos, sich so eng wie möglich an liturgische Gegebenheit und Über-
lieferung zu halten27 und — wie der Ikonenmaler — seinen Vorbildern so
eng wie möglich zu folgen, so daß seine Größe sich lediglich in seiner „Hand-
schrift", seiner Art der Behandlung des Vorgegebenen offenbaren kann.
Daraus folgt, daß man von vornherein mit der Wiederkehr feststehender,
formelhafter Wendungen zu rechnen hat, die zwischen den einzelnen Werken
byzantinischer Dichtung zu zahlreichen und weitgehenden Übereinstim-
mungen führen müssen, deren Vorhandensein mithin hinsichtlich der Ver-
fasserfrage in Einzelfällen weniger Gewicht besitzt, als unter anderen Um-
ständen zu erwarten wäre.
Es bleibt die Berufung auf Romanos' Meisterschaft28. Wer es indessen
damit bewenden läßt, sei mit in völlig anderem Zusammenhang gegen
26 N o c h weniger aber dafür, daß eine Erstfassung des H y m n u s gar in die Zeit vor
d. J. 432, vielleicht bis auf die T a g e der Apollinarischen Häresie (2. H . d. 4. Jh.) zurück-
gehen müsse. Vgl. die Auseinandersetzung bei E . Wellesz, a. Ο. X X V I ff.
" a. Ο. X X I X u. X X X I I f.
28 Ebenda. — Sucht man sich ein einheitliches Bild der bisherigen Erörterung der
Verfasserfrage unter den Befürwortern v o n Romanos' Autorschaft zu verschaffen,
so muß befremden, daß einmal v o m Zusammentreffen mehrerer (nachträglich zu
D E R H Y M N U S ΑΚΑΘΙΓΓΟΣ 383
4
Beachtenswerter scheinen demgegenüber auf den ersten Blick die aus den
Worten des Akathistos über die athenischen Redner und dem vermeint-
lichen Zusammenhang der fraglichen Stelle mit Romanos' Pfingstlied ge-
zogenen Schlüsse. E. A. Sophocles30 vermißte „the slightest allusion" auf ein
der Abfassung des Hymnus gleichzeitiges Geschehen. In der Tat könnte die
Stelle, enthielte sie wirklich eine das Bestehen der Akademie vorausset-
zende Anspielung, diese Lücke ausfüllen. Indessen hegen, wie eingehende
Betrachtung lehrt, die erforderlichen Voraussetzungen auch hierfür nicht vor.
Obwohl zunächst nicht einleuchtet, womit sich der Verfasser der Phaino-
mena jenes vernichtende Urteil zugezogen hat, das Romanos' Pfingstlied
über ihn verhängt, fällt die Antwort hierauf keineswegs schwer: ohne Zweifel
handelt es sich um nichts anderes als um Auswüchse später, im Dienste reli-
giöser Polemik stehender Redekunst. Eben deshalb wird man den Aussage-
wert derartiger Äußerungen mit Zurückhaltung zu beurteilen haben, doch
steht nichts der Annahme im Wege, daß die Worte des Pfingstliedes wirklich
mit einem Seitenblick auf die Akademie niedergeschrieben wurden. Ähnliches
könnte für unsere Akathistos-Stelle zutreffen, ohne daß der Hymnus freilich
deshalb noch zur Zeit des Bestehens der Akademie verfaßt worden sein muß.
Vielmehr ist keineswegs auszuschließen, daß auch ein später entstandenes
Lied ehemalige oder zeitgenössische, wirkliche oder vermeintliche Gegner
Christi ebenso als „Athener" (vielleicht im Sinne von „Klug-" oder „Schönred-
ner") bezeichnet, wie bei Prokop von Kaisareia, der allerdings Romanos' Zeit-
genosse war, „hellenisch'' als metonymischer Ausdruck für „heidnisch" steht 31 .
5
Einen besseren Ansatz zur zeitlichen Einordnung könnte demgegenüber
die /o/a-Strophe des Hymnus gewähren. In ihr ist — sinngemäß — davon
die Rede, daß mit Christi Erscheinen der Niedergang des Zarathustrismus
besiegelt sei. Dabei erscheinen Feuerkult und iranische Welt in so selbstver-
ständlichem Zusammenhang, daß der Abschnitt v o r dem Eindringen des
Islam verfaßt worden sein dürfte. Zwar erwähnt auch der zugrundeliegende
evangelische Bericht3® μάγοι, eine Bezeichnung, die von vornherein mit
Zarathustrismus und Feuerkult zusammengehört, doch hebt er solchen Zu-
sammenhang — ganz im Gegensatz zum Akathistos — keineswegs hervor.
Der Dichter des Hymnus hatte demnach wenig Veranlassung, über Matthäus'
Erzählung von den Magiern aus dem Morgenlande hinausgehend, in aus-
führlichster Weise auf Iranisches zu sprechen zu kommen, hätte er nicht vor-
aussetzen dürfen, daß Derartiges im allgemeinen Bewußtsein lebte und dem-
zufolge verstanden wurde. Solches indessen durfte er namentüch erwarten,
32 a. O. 38 Anm. 1.
33 Χαίρε, των άλιέων τά$ σαγήνας πληρούσα.
34 Letzteres wohl die bekannteste Fassung: άττό τ ο υ vöv άνθρωποι/ς ίση ζ ω γ ρ ώ ν ;
vgl. Matth. 13, 47 : · · · ώμοΐα έστίν ή βασιλεία τ ω ν ουρανών σαγήνη βληθεΐστ] «Ις τ ή ν
θάλασσαν.
3 5 Vgl. Act. 17, 16ff.
3 · Matth. 2, ι — 1 2 .
D E R H Y M N U S ΑΚΑΘΙΣΤΟΣ 385
vitets A k a d . Hand. 73 (Stockholm 1951) 68; vgl. H. P . L'Orange, Studies on the Ico-
nography of Cosmic Kingship, Inst, for Sammenlignende Kulturforskning, A. Foreles-
ninger 23 (Oslo 1953) 1 1 4 — 1 1 8 . Der Einschätzung Chusrö's durch die Christen ent-
spricht die durch islamische Autoren: auch dies gehört in gewissem Sinne zu jener
„Parallelität zwischen den Geschehnissen um Mohammed und denen u m Herak-
leios", die F. Altheim u. R . Stiehl, a. O. 159 hervorheben. Chusrö, der das an ihn gerich-
tete Schreiben des Propheten zerrissen hatte (hierzu: F . Altheim-R. Stiehl, a. O. 151 u.
163ff.), andererseits eine Neuausgabe d. A v e s t a u. Zand anfertigen ließ (J. R y p k a ,
Iran. Literaturgesch. [Lpzg., 1959] 39), galt f a b a r i (Th. Nöldeke, Übers. [1879] 356) als
Herrscher frevlen Mutes, voller Rücksichtslosigkeit gegen Gott, als Verächter der Men-
schen, der gering schätzte, was kein verständiger und umsichtiger König geringschätzt. —
Wie weit solches in volkstümlicher Überlieferung fortwirkte, zeigt eine Begebenheit,
die Sir John Malcolm, Hist, of Persia ι (1815) 185 f. Anm., berichtet. Danach habe ein
Perser erklärt, der K a r a su, welcher früher das umliegende Land bewässerte, habe sich
vor Entsetzen über den Frevel des Sasanidenkönigs, der die Fetzen des zerrissenen
Schreibens Mohammeds seinen Fluten überantwortet habe, in sein heute tief einge-
schnittenes B e t t zurückgezogen und gelte seit jenem Ereignis als verflucht. Ein anderes
Bild Chusrö's zeichnen iranische Erzählungen, deren Lieblingsgegenstand die Liebe des
Königs zu seiner Musikerin und späteren Gattin Sirin ist. Hier ist Nizämi's Dichtung
Husrn u Slrln zu nennen, die noch heute Stoff für Filmdrehbücher und tadäikische
Musikdramen liefert (Jiri Cejpek, Die iran. Volksdichtg., bei J. R y p k a , a. O. 524 u. 538).
40 F . Altheim-R. Stiehl, a. O. 79; V . F . Büchner, in: Enzyklop. d. Islam, 4 (1934)
25 Alheim, Hunnen V
386 SCHLUSS
43
Georgios Pisides brandmarkt ihn als „Feuervergötzer" (ττυραολάτρης).
Bemerkenswert erscheint in solchem Zusammenhang, daß mit Chusrö's
Niedergang, doch keineswegs mit seinem Tod, das Feuer des Zarathustris-
mus erlischt. Ein einziger Funke bleibt übrig, genug, den Frevler zu ver-
brennen44.
6
Findet sich hier die Deutung jener Verse unserer Akathistos-Strophe, die
Maria feiern, weil sie den „Ofen der Betrügerei ausgelöscht" und, „Retterin
vor dem Aberglauben der Barbaren, der Feueranbetung ein Ende bereitet"
habe? 4 5 Wirklich erlosch noch vor Chusrö Aßarvez' Tode eines der „drei
großen Feuer des Reiches" 46 , mehr noch: „das Hauptfeuer von Iran . . .
das in siebenhundert Jahren nie erloschen war und von dem das heilige
Feuer zu allen anderen Feuerheiligtümern Irans getragen werden muß,
wenn irgendwo eine Erneuerung nötig war oder ein neuer Tempel gegründet
wurde" 4 7 .
43 Her. i, 14 u. ebenda 181. Ein Hinweis J . M. Quercis hierauf (Migne, a. O. 1334)
verhallte ungehört im Streit um die Entstehung des Akathistos. J . M. Querci war freilich
der Meinung, den Nachweis führen zu können, daß Pisides Verfasser des Akathistos sei.
Indessen muß gesagt werden, daß, was beim gegenwärtigen Stand der Unter-
suchung des Hymnus zugunsten solcher Auffassung angeführt werden kann, nicht
hinreicht, solchen Nachweis auch nur einigermaßen überzeugend zu erbringen, obwohl
wie das Folgende zeigen wird, Anzeichen vorhanden sind, daß der Akathistos eher in
Pisides' als in Romanos' Zeit gehört. — Bei Pisides' Durchmusterung, deren Ergebnisse
gleichfalls im folgenden mitgeteilt werden, stand mir dankenswerterweise Herr cand.
phil. H. Lauterbach, Berlin, der sich eingehend mit Pisides beschäftigt hat, zur Seite.
44 Pis., Her. 2, 228ff.:
feu royal'' (Α. Christensen, a.0.166) zu Gangak (Siz), dem angebl. Geburtsort Zarathustras
in ÄSurbaiyän, wohl Taht-i Sulaimän: Th. Nöldeke, fabari-Ubers. 100 Anm. 1;
J . Ruska, in: Enzyklop. d. Islam, 4 (1934), 4I5> s · v · Shiz; E. F. Schmidt, Flights over
Ancient Cities of Iran (1940) 73 u. Taf. 87ff.; L.-I. Ringbom, a. O. 86ff. Uber die sich
aus Theophanes' lückenhaftem Text ergebenden Schwierigkeiten des genauen An-
satzes des fraglichen Tempels z. Zt. Chusrö's I I . : E. Gerland, Die pers. Feldzüge d.
KaisersHerakleios, in: Β. Z., 3 (1894), 353f. und ebenda Anm. 3; V. Minorsky, Roman
and Byzantine Campaigns in Atropatene, in: BSOAS. 11/2 (1944), 248ff. Letzter
setzt nicht al-Siz, sondern al-Birka (Mas'üdi murüg 4, 74) mit Taht-i Sulaimän gleich
und spricht unter Berufung auf Mas'üdi, a. O., von einer Übertragung des Feuers dort-
hin durch Chusrö I. Anöäarvän.
D E R H Y M N U S ΑΚΑΘΙΣΤΟΣ 387
Die Zerstörung dieses Heiligtums fällt in das Jahr 62448. Es ist nicht
unwahrscheinlich, daß sie als Vergeltung und gleichsam als Gegengewicht
zur Einnahme Jerusalems und Chusrö's Kreuzesraub aufgefaßt wurde49.
Über solche Erwägungen hinaus finden sich in der Tat Anhaltspunkte
dafür, daß das genannte Ereignis wirklich im Akathistos seinen Nieder-
schlag fand. Zunächst handelt es sich hierbei um weitere Berührungen mit
Pisides, die sich jedoch, wie sich zeigen wird, in einem entscheidenden Punkte
von jenen Übereinstimmungen einzelner Akathistos-Stellen mit den Hymnen
anderer byzantinischer Dichter, von denen oben die Rede war, unterscheiden.
Noch einmal geht es um Feuerverehrung, richtiger: um deren Ende.
Pisides {Her. 2, 222) spricht davon in einem Vers :
απηλλάγη y a p και τό πΰρ μολυσμάτων,
der bis in den Wortlaut (άπηλλάγη—άπαλλάττουσα) folgender Akathistos-
Zeile ähnelt: Χαίρε, φλογός παθών άπαλλάττουσα, in der freilich, um mit
der lateinischen Fassung zu sprechen, von der flamma vitiorum die Rede ist
(G. G. Meersseman, a. a. 0 . 1 1 2 ) — eine Gedankenverbindung allerdings, die
von der im Vers zuvor anklingenden πυρσολατρεία ausgelöst ward.
Unter den vitia spielen in unserer Akathistos-Strophe βορβόρου εργα
(cent opera nach d. lat. Fassung) eine offenbar nicht untergeordnete Rolle.
Man fragt sich, was die christliche Tugend der Mäßigkeit oder vielmehr das
ihr widerstreitende Laster der Schwelgerei mit den drei Weisen aus dem
Morgenland zu tun habe. Wieder wird man auf Chusrö Aßarvez verwiesen.
Pisides vergleicht ihn mit Belsazar, der nach Daniels bekannter Erzählung
während eines zum Gelage ausartenden Mahles jenen Frevel beging, welcher
ihn Krone und Leben kosten sollte. ΤΤαροίνει δυσσεβώς ό Χοσρόης50 dürfte
der auffällig an Ciceros Anwürfe gegen Antonius erinnernde Ton politischer
Propaganda jener Zeit sein, die sogar Eingang in den kirchlichen Hymnus
gefunden haben muß: nur Bezug auf Chusrö Aßarvez leiht, nachdem
dieser derart gekennzeichnet ward, der Wendung ή του βορβόρου ρυομένη
των έργων, die ohne solchen Bezug leeres Spiel mit dem vorangehenden
48
E . Gerland, a. O.; G. Ostrogorskij, a. O. 6 1 ; H. P. L'Orange, a. O. 1 9 ; K . Krum-
bacher, a. O. 947.
49
Zur Auffassung jenes Krieges als eines Kampfes zwischen Jerusalem und 5iz-
Gangak: L.-I. Ringbom, a. O. 4 3 5 f f . (bes. 438ff.).
50
Dan. 5 ; vgl. Pis., Her. 1, 3off.:
γιγαντιςί: δέ καΐ τυραννήσαι θέλει (sc. 6 Χοσρόης)
καΐ τάν ιτρό π ά ν τ ω ν είκονίζει Βαλτάσαρ.
χραίνων τ ά Θεία τ ω μολυσμω τή$ μέθη;-
25*
388 SCHLUSS
ZUM E R S T E N B A N D
ZUM Z W E I T E N B A N D
ZUM D R I T T E N BAND
S. 9. Bei den Hephthaliten in Merw gab es noch um 650 Schamanen. Denn Chron.
min. 1,35, i f · Guidi erzählt von einem regulus (malkönä), den „Priester, Diener der
Dämonen" (kumre pallähai l-iede), begleiteten. Sie verstanden die Verdunkelung des
Himmels durch Wolken, Winde, Donner und Blitz hervorzurufen.
S. 28. Zu den Terrakotten vom Afrasyäb, dieAnahita darstellen, Α.M. Mandelstam
in: Iskusstwo Tadiiskogo naroda (1961) 1 4 3 f .
S. 33. Bücherkisten (kimtar) bei Makrizi, hitat 1, 45, 9; dazu P. Kahle in: ZDMG.
N. F . 14 (1935), 350 Anm. 2; syr. kmtryn κάμπτριον C. Brockelmann, Lexic. Syriac. 2
672 1.
S. 36 Zeile 18. Histoire d' Ahoudemmeh 33, I 2 f . Nau.
S. 57f. Dazu G. Widengren in: Orientalia Suecana 1 (1952), 69f., wo die Mas'üdi-
Stelle übersehen ist. Der von Widengren S. 78 genannte „Faghänis" oder Fuyänis
ist ein qayan oder qapyan, *qavqan mit + ° i : A. v. Gabain, Alttürk. Gramm. 2 (1950) 63
§ 64; oben i, 207 t.
S. 83. Zu πλήρωμα P. Hadot in: Rev. £ t . Grecques 74 (1961), 433.
S. 98 Zeile 23 f. Zu Bar?aumä's Verfahren vgl. die Vita des Märütä PO. 3, 1, 67
Zeile 2 f. E r erhielt die Erlaubnis, die Lehre von den zwei Naturen (die nestorianische)
einzuführen, im 27. Jahre Peröz' (beginnend 24. Juli 483).
S. 103 Zeile 18 und Anm. 4. Tailasän vgl. Berüni, chron. 159, 2 Sachau und die
zugehörige Figur.
S. 109. In den letzten Jahren Yazdgard's I I I . bekehrte Elias, Metropolit von Merw,
viele Türken und solche anderen Stammes: Chron. min. 1,34, I 2 f . Guidi.
396 ANHANG
ZUM V I E R T E N B A N D
Get. 191 werden Aetius' Streitkräfte aufgezählt, diese als auxiliares bezeichnet.
Die Reihe beginnt mit den Franken und endet mit riparioli briones HPV, was auch
Paulus Diaconus und Fredegar haben. Dem schließt sich an: quondam milites Romani,
tunc vero iam in numero auxiliarium exquisiti. Während also die übrigen, meist Ger-
manen, von Anfang an unter den auxiliares rangierten, waren die zuletzt genannten
erst nachträglich dazu „ausgewählt" worden, vorher aber milites Romani gewesen.
Mommsen gibt Ripari Olibriones, wovon die letzten sonst unbekannt sind, aber mit
Sicherheit den Namen der heutigen Insel Oteron, nördlich der Garonne-Mündung,
tragen. Ripari konkurriert, wollte man es als Ripuarii deuten, mit zu den Anfang ge-
nannten Franci, will sagen: deren Gesamtheit. Denn andernfalls müßte zu Anfang von
Salii gesprochen werden. Das Land zwischen der unteren Loire und Garonne bildete
die Aquitania secunda, die 418 den Westgoten übereignet worden war. Die Ripari oder
Riparii wären dann ripenses, riparenses oder ripensis militia (oben 2, i6f.) gewesen, die
das Südufer der Garonne gegen die nördlich sitzenden Westgoten deckten und bis zu
der Insel Oliron hinüberreichten. Als ripensis militia waren die Ripari Olibriones eben
milites Romani. Nachdem die Westgoten in der Folge auch auf das Südufer der Garonne
übergriffen, wurde die Stellung auf der Insel unhaltbar. Die Grenzer lösten sich
aus den Stellungen und wurden als auxiliares Bestandteil des mobilen Heeres. Es ist
der Vorgang, den man nach Aufgabe des dazischen Brückenkopfes erstmals beobachtet.
Die Stammabteilungen der dortigen Legionen, aus den aufgegebenen Provinzen heraus-
gezogen, vermehrten den Bestand von Aurelians Feldheer, das gegen Palmyra zog
(F. Altheim, Niedergang der Alten Welt 2 [1952], egf.; i65f.; 348f.).
S. 306 Anm. 3. Dazu A. W. Zbrnewa in: Po sledam drewnich kultur (1954) 97f.
S. 332 f. Eine Darstellung des Lebens und Wirkens Papst Leo's I, gibt die Encyclica
Aeterna Dei sapientia (Osservatore Romano 9.—10. 12. 1961) in ihrem ersten Teil.
Sämtliche einschlägigen Zeugnisse sind dort mit Quellenangabe angeführt.
S. 340. Keimzelle des Rumänentums: Daicoviciu-Petrovici-Stefan in: Nouvelles
fitudes d'Histoire, X I Congres des Sciences Histor., Stockholm i960, 91 f.
ZUM F Ü N F T E N B A N D
S. 3 f. Zwei neue Fassungen der großen Inschrift von Surx Kotal veröffentlicht
έ . Benveniste in: Journ. Asiat. 1961, 113f.
S. 5f. Zu ßopyo W. Brandenstein in: Indo-Iranian Journ. 5 (1962), 233f.
S. g6f. Zu den neuen Bruchstücken Zenon's von Kition schreibt R. Pannwitz
unter dem 27. 4. 62: „Wie würdig und noch in der Art der älteren Griechen! Und die
Auffassung der Seele!"
S. 107. Zu διασαφεϊν sei die Stelle aus J.-B. Chabot, Documenta ad origines
Monophysitarum illustrandas 11, 20 hinzugefügt. Der Brief des Patriarchen Theodosios
von Alexandreia an den Patriarchen Severus von Antiocheia wird von einer Reihe
namentlich Genannter überbracht, die den Auftrag haben: da-nhawwön b-kälä hayyä
l-hasyülak d-kul (kwly) b-hubbak tie (C. Brockelmann, Lexic. Syriac. 2 824 r.) nä.
S. 169. Der Inschrift Ryckmans 535 hat H. StJ. B. Philby seinen letzten Aufsatz
gewidmet, in: Mus6on 73 (i960), 395f.
S. 175. Unter den monotheistischen Inschriften in sabäischer Sprache, die G. Ryck-
mans in: Miscellanea Alberti de Meyer 1 (1946), 194f. zusammengestellt hat, erscheint
b'l smyn „Herr des Himmels" RfiS. 3383 (S. 196) von 378 n. Chr.; RfiS. 5085 (S. 197)
von 445 n. Chr.; dann b'l smyn w'rt}n „Herr des Himmels und der Erde" CIH. 540
NACHTRÄGE 399
(S. 198) von 450 n. Chr. Dazu aus monophysitischen Texten allähä d-kul und mamlek
'al hälen d-ba-imayyä w-al hälen da-b-ar'ä: J.-B. Chabot, a. O. 15, 23 und 16, 22 f.
S. 201. Zum Bogenschützen auf der Goldkanne 2 des Schatzes von Nagyszent-
miklös Z. K ä d i r in: Folia Archaeol. 1961, 1 1 7 I
Weitere Nachträge
Zu 1, 230f. Jüngste Äußerung zur Frage: R. Hauschild, Uber die frühesten Arier
im alten Orient. Berichte über d. Verhandl. d. Sachs. Akad. zu Leipzig, Philol.-histor.
Klasse 106 Heft 6 (1962).
Zu 2, 175. Einem Hinweis E.Merkel's wird die Kenntnis einer Anzahl gleichzeitiger
Inschriften verdankt, darin Genitiv und Dativ ohne syntaktischen Grund wechseln.
OGIS. 17 Άθηνςί Σωτείρς* Νίκη καΐ βασιλέως Πτολεμαίου, wozu W. Dittenberger be-
merkt: „dativi et genetivi coniunctio mira, neque omnino casus secundus hue quadrat"
(mit beigefügter Begründung). OGIS. 87 ύιτέρ βασιλέως Πτολεμαίου καΐ βασιλίσσης
'Αρσινόης . . . καΐ Πτολεμαίω, τ ω υΐω αύτών. Hier verweist Dittenberger, wie auch sonst,
auf Nr. 17. OGIS. 198,5 σύν τοις φίλοις καΐ συναττοδήμοις . . . καΐ κεντωρ(ωσι. . . καΐ
των ιταιδαρίω ν μου πάντων κτλ. Weitere Beispiele finden sich unter „genetivus et dativus
confusi" 2, 728 r. zusammengestellt. Es liegt also kein Grund vor, in der Bilinguis von
Kandahar ττατρί und μητρί als Dativi commodi zu verstehen und sie von των πρεσ-
βυτέρων zu trennen. Vielmehr sind alle drei von ένήκοοι abhängig, und es ist auch hier
ein Wechsel vom Genitiv zum Dativ eingetreten.
Zu 5, 23. M. Mayrhofer verweist unter dem 26. 6. 62 auf eine Besprechung J. Mor-
genstierne's in: Journ. Asiat. 1961, 248f., wo es von Abaew's mythologischen Etymo-
logien heißt: ,,il serait malgrö tout possible d'en sauver l'une ou l'autre, comme par
exemple celle de aevdiu< *apadaiva-, meme si ,on n'obtient rien d'intelligible'".
Zu 5, 188. Aus einem längeren Brief F. Rundgren's (unter dem 30. 6. 62) sei an-
geführt: ,,säriya .Pfeiler', das Fraenkel, Aram. Fremdwörter 223 mit .Balken'
wiedergibt, aber 11 als ,Säule' faßt, aus aram. Säritä .Balken'".
Zu 5, 188. Rundgren im gleichen Brief weist auf die Möglichkeit von Reimbildung
hin. Hebr. Nah(h)üm (var. Nähüm)-Habaqqüq habe in den L X X Ναογμ-Αμβακογμ er-
geben, dem im Äthiop. Nähöm-Snbäqöm gefolgt seien. Auch im Koptischen gebe es
AMBAKOOM, vgl. Miscellaneous Coptic Texts ed. Ε. Α. Wallis Budge (1915) 178.
Zu 5, 190 Anm. 15 bemerkt Rundgren an gleicher Stelle: „Doresse ist vielleicht
etwas mager. Sie haben hier zur Verfügung: 1. al-Hamdäni, al-Iklil, 8. Buch: tnä
ξαα fi dikri kusüri l-yamani S. 5 f. Ich verwende die Ausgabe von Anastäs Märi 1-Kar-
mali, Bagdad 1931, wo ich übrigens im Miftäh al-muglak dieses Buches S. 378 al-balk
bi-ma'nä r-ruhäm finde, was für Ihr ablak vielleicht von Interesse sein kann. 2. D. H.
Müller, Die Burgen und Schlösser Südarabiens nach dem Iklil des Hamdäni (SBW.
Bd. 94 und 97)." Dazu aus einem Brief vom 4. 7. 62: „Nuwayri 1 S. 385 (ed. Däral-
-kutub 1923) können Sie mit Erfolg auf S. 190 Ihres fünften Bandes anführen, da hier
der Name al-ablak al-fard erklärt wird".
Zu 5, 200. Der königliche surädik unter Hormizd I. wird von Berüni, Chron.
208, 22 Sachau unter Berufung auf ein manichäisches Werk erwähnt.
Zu 5, 244. Der Güte Α. I. Charsekin's verdanken wir Α. A. Frejman's neueste Ver-
öffentlichung über die soghdischen Briefe vom Berge Muy: Opisanie, Publikacii i
Issledowanie Dokumentow s Gory Mug (1962).
Zu 5, 314. Für die buccellarii sei auf L. V i r a d y in: Acta Antiqua Hung. 9 (1961),
352 verwiesen.
Zu 5, 398. Zur ripensis militia L. Värady, a. O. 368; 372.
DRUCKFEHLER-VERZEICHNIS
20 Altheim, H u n n e n V
ABBILDUNGSTEIL 403
404 ABBILDUNGSTEIL
Abb. 4. Angehöriger der Beni Amer, Nachkommen der Blemyer, an der Tränke.
A u f n . Lusvardi, A s m a r a .
ABBILDUNGSTEIL 407
Abb. 5. Angehöriger der Beni Amcr, Nachkommen der Blcmyer. Aufn. Lusvardi,
Asmara.
408 ABBILDUNGSTEIL
Cro v v N
Abb. 8. Inschriften des Schatzes von Nagy-Szent-Miklös: Tasse 9—10. Nach Arch.
Ertes. 1950, 34 f.
ABBILDUNGSTEIL 411
412 ABBILDUNGSTEIL
Abb. ίο. Chinesische Keramik. Aus Taxt-i Abü Xasr, Siräz. Courtcsv Metropolitan
Museum, Xew York.
ABBILDUNGSTEIL 413
ibb. ι ι. Chinesische Keramik. Aus Xesäpür. Courtesy Metropolitan Museum, New York.
414 ABBILDUNGSTEIL
Abb. 12. Weißer Jagdfalke (Ausschnitt). Ming, datiert 1536. Aufn. Ruth Stiehl.
\1>1). 13. Berittener Nomade. Ton mit kalter Hernahm«;. T'anj;. Herlin, Kunsthandel.
Λιιίη. Kutb Stiehl.
416 ABBILDUNGSTEIL
27 Λ It h e i ηι, I L u m i c n V
418 ABBILDUNGSTEIL
ABBILDUNGSTEIL 419
420 ABBILDUNGSTEIL
ABBILDUNGSTEIL 421
422 ABBILDUNGSTEIL
A b b . 21. S p ä t a w a r i s c h e r G ü r t e l b e s c h l a g . A u s Madaras, U n g a r n .
424 ABBILDUNGSTEIL
A b b . 23. A w a r i s e h e G ü r t e l s c h l i e O e n . A u s M i c h e l s d o r f . A u f n . H . G l a s s n e r .
426 ABBILDUNGSTETL
Abb. 20. Bodhisatva. Kisenguß. China, 11. Jahrh. Berlin, KunsthancU']. Aufn. E. Traut-
mann-Nehring.
ABBILDUNGSTEIL 429
läifäuh.
Sucegv'a Bofosam
ν &^want-gardedeMunderic
fdeJlbWÄt V jii/V. ~ J· l
/ksiuiyjkl
Legende
Valiums avec If Josse au S
R. Vulpe
Abb. 28. Karte zum Beitrag E. Lozovan's.
ABBILDUNGSTEIL 431
Λ1
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\Λη·ιι.
flrftuolf-
Abb. 30. Ausschnitt aus F 123 della Carta d'Italia ,,Gualdo Tadino" des Istituto
gcografico militare 1:25000. Eingezeichnet die Lage des antiken und spätantiken
,,Tadinae tf , der Verlauf der Via Flaminia antica und umrandet „ L e Rotte", die ver-
mutete Örtlichkeit des Höhepunktes der Schlacht von 552.
ABBILDUNGSTEIL 433
Abb. 32. V i a Flaminia antica in ihrem heutigen Zustand. Aufgenommen mit dem
Bliek gegen Norden v o m Kreuzungspunkt 467, F 1 2 3 della C a r t a d ' I t a l i a „ G u a l d o
T a d i n o " , Scala di 1 : 2 5 0 0 0 (Istituto geografico militare).
ABBILDUNGSTEIL 485
Abb. 34. Der 1922 bei Roccascalegna gefundene Spangenhelm (Museo Nazionalc delle
Marche, Ancona).
ABBILDUNGSTEIL 437
• tresors
(B.MITREA)
Zone de
A ^ ^ ^ i * / ^ / on
direchion de
rep//
Α LR / 15BO
TÄRG "foire"
d'apres S.POP
29 Altheim, Hunnen V
ι. GESCHICHTLICHES R E G I S T E R
Megasthenes 235. 235 Anm. 15 54. 56. 57. 58. 60. 61. 62. 63. 64. 65.
Melito von Sardes 107 66. 67. 74. 75. 76. 77. 81. göf. 100. 218
Meropius 160. 163. 164 Sahrbaräz 204
Metrodorus 160 Salmän 196. 199
Modestus, Mönch 140 t. 213 Samo 278
Narses 363—377 Sarkaä 205
Nearchos 235 Seng huei, Soghder 238
Nestorios 144. 145. 146 Sergios, Patriarch Konstantinopels 380.
Nezak 261 382
Numenios 49 Severus b. al-Mukaffa* 143 Anm. 1
— von Antiocheia 398
Orestes 28 — von Synnada 145. 152 f.
Origenes 100—109 Severianus von Gabala 144
Pachomios 158 Anm. 184 Severinus 267 Anm. 6
Paria 27 f. Severus von Synnada 144
Parmenides 88 Sextus Empiricus 222
Paulus, Apostel 148—152, 220 Sirin 3 8 5 A n m . 3 9 . 3 9 7
— der Perser 223 Sokrates 220. 223
Petrus 153 Sozomenos 162.162 Anm. 13.165 Anm. 25
Philolaos 41. 42. 56. 61. 65
Theodoros von Alexandreia 175
Philonikos, Pythagoraer 32
Theodosios von Alexandreia 398
Piaton 44. 45 f. 49 Anm. 1. 53.64.66.68 bis
Theodotos von Ankyra 144
71. 90. 96. 220. 223
Theophilos 165. 165 Anm. 21
Plotin 47 f. 49 Anm. 1. 50. 51. 54. 57. 66 f.
Theophrast 60 f. 63. 95 f. 97
68. 70
Thomas, Apostel 159
Pompeius Falco, Q. 355 Anm. 174
Timotheos I., nestorianischer Katholikos
Porphyrios 32. 40. 48f. 49 Anm. 1. 50. 56.
147
62. 63. 67-f 95. 96. 100—109. 139. 220.
223 Uranios, Philosoph 196. 222
Priskos 185. 268. 269 f. Väspuhr 199. 202 f.
Proklos von Kyzikos 144 Vitalianus 364
Prokopios 126
Wadebah, König von Aksüm 169
Ptolemaeus 221. 222
Pyrrhon 222 Wulfila 324
Pythagoras 32—71. 96. 220 Xenophanes 96
Romanos 379 Anm. 12. 380. 381—383. Yazdin, „Zöllner" 213
386 Anm. 43 — , Vorsteher der Zehnten der Länder 212 f.
Rufinus 158—162. 165. 168. 169 Zacharias, Patriarch von Jerusalem 140
Rustam, Reichsfeldherr 200. 257 Zarathustra 139. 195. 196
Sabriäö", Katholikos 212 Zenon, Eleat 46. 87 f. 96
Sämir dü-Raidän 169 — Pythagoreer 32
Sahrastäni 32—40. 45. 47. 49. 51. 52. 53. — , Stoiker 96—100. 398
Iran, iranisch 142 t. 161. 222. 229. 238. Ostgoten 186. 273. 276t. 363. 373
243. 254. 255. 270. 270 Anm. 15. 274. Osseten 17—19
275. 277. 285. 288. 290. 294f. 324. 325. Österreich 276. 277. 278. 279. 280. 281.
326. 384. 386. 394. 397 282. 287. 288. 291 Anm. 58
Italien 171. 273. 355. 364. 373 Ostrom, Oströmer, oströmisch 126. 140.
Japan 231. 232. 233 182. 185 f. 187. 285
Juden, jüdisch 140. 229. 230 Osttürken 139. 227. 245. 314. 318
Jütland, jütisch 373 Özbeken 294 f.
Truppenteile
Sachen
Chronologie
Inkrustation 138 f. 207. 209. 209 Anm. 101 Palast Attilas 268. 269—272
277 Pancsova, Funde 275
Pangikant, Fresken 205 Anm. 64. 207
Jerusalem, Heiliges Grab 140 Anm. 80. 246. 315
— , Konstantinskirche 140 Pics-Üszög, Reflexbögen 276
— , Tempel 191 Pertica 289. 289 Anm. 53
— , salomonischer Palast 191 Pfeilerkapitäle 142
Jutäs, awarischer Friedhof 290 Pfetten i88f.
Ka'ba 187—189. 190 Pietrossa, Schatz 324
Kairo, Moschee Ahmed's b. Tülün 142 Pliska (Aboba), Paläste 285
Kasr Ibrim, Basilika 189. 190 Porzellan 228
al-Katä'i', al-maidän 142 Purpur 210
Kerbschnitt 285
Keszthöly, Friedhof 273. 287 Qyzil, Fresken 257. 259
Kiskunhalds, Fürstengrab 276
Kopeni, Goldschatz 259. 321 Raab, Grabfunde 275. 287. 288
Kragehul bei Assens, Funde 373 f. Roccascalegna, Spangenhelm 373
Kreislappenranke 284. 288. 290. 291. 292 Riegelköpfe 188
Krungl bei Mitterndorf, Fund 284 Riemenzungen, awarische 275. 284! 286.
Kumenberg, Awaren-Ring 278 288. 289
„Ringe", awarische 278. 279
Laa an der Thaya, Fürstengrab 276f. Risano-Kapsel 211. 211 Anm. 123
Langhölzer 188 f. Rundbogenfries 270 Anm. 15
L6va, Fürstengrab 276
Linz-Zizlan, Friedhof 291 Säbeltaschen, magyarische 274
San'a, Kirche 189
Madara, Felsrelief 195. 259. 285
Sandorf (Csüny), Friedhof 281. 287
Marmor, farbiger 189
Sar MaSad, Relief 248
Martinowka-Kultur 284
Sarvistän, Palst 198
Millefiori-Glas 211
Schädeldeformation, künstliche 275. 275
Mindszent, Grabfunde 275. 287
Morken, Spangenhalm 373 Anm. 29 ^
Mosonszentjänos, awarischer Friedhof Seidenweberei, Seidenhandel 209. 210.
227. 230f. 234—242. 244. 354
280. 281. 287. 290
Silberschalen, sasanidische 203. 205. 205
Mosaik 189
Anm. 64. 208. 209. 229. 254. 258
Muy, Lederschild 257. 259
Sino-sibirische (südostsibirische) Kunst
Nachsasanidische Kunst 320—326 251. 281. 284
Nagy-Szent-Miklös, Schatz 257—259. 285. Sösöin von Nara 205 Anm. 63. a n , 227.
286. 293—304. 320. 325. 399 231. 250. 325
— , Datierung des Schatzes 285. 294. 298. Spiegel, chinesische 227. 229
303 Stampflehm 245
— , Grabfunde 275 Stara-Zagora, Tierreliefs 285
Noin Ula, Gräber 237 Staurothek P. Morgan 211 Anm. 123
Nydam in Sundeved, Funde 374 Steinbau mit Holzeinlagen 187—191
Stockwerkhäuser 188
Ohrringe in Körbchenform 277 Stuckornamentik 142
„Ordos-Tiere", Ordos-Bronzen 268. 274. Sutton Hoo, Schiffsgrab 211
275. 284. 286 Szeged-Nagyszöksös, Grabfund 272
öskü, awarischer Friedhof 290 Szentes-Nagyhegy, Grabfund 289 f.
REGISTER 457
Philosophie
Abstraktion (άφαίρεσι<;), abstrakt 34. 39. Einsicht 72. 74. 75. 76. 77. 81
52. 67 Einssein 33. 34. 37. 45. 46. 48. 5 1 . 67
Acht (Zahl) 35 Eleaten 88. 96f.
άγαθόυ 48. 49 Anm. 1. 68 f. Elemente 42. 50. 53. 54. 56. 58. 61. 62.
αΙών, Aion 33. 48 f. 65. 67
Akademie in Athen 381 Embryo 42. 92. 93
Akzidenzen 51. 56 f. 63 iv 4 1 . 48. 49. 5 1 . 55f., 5 7 . 58. 62. 68
άπειρον 57 Erster Grundstoff (Ολη νοητή) 57
αρετή 44- 49 Anm. 1. 69. 76. 83. 95 ευθυμία 74
άρχή 34· 36f. 49· 5»· 5*· 5» Ewigkeit, ewig 48 f. 50. 5 1 . 62. 86
Art 34. 46. 4 7 f. 50. 52. 5 7 . 58. 70
Askese 74. 79 Figuren, geometrische 41. 43. 44. 47. 53.
Atmen 41. 42. 48. 52. 64. 91 54· 64
Atome 73. 75. 76. 79. 8of. 85f. 87—91. 94 Fixsterne 56. 91
Atomwirbel (άνά/κη) 90 f. Form 38. 39. 52. 56. 57. 58. 67. 85. 89
αύτόματον go Freude 37 f. 39. 40. 60. 65. 66. 74. 77. 79.
83· 94· 97
βασιλικός 98. ιοο Fünf 35. 55
Bewegung 37· 47· 53· 56. 5 8 · 6 4 · 6 5· 6 9·
73· 75- 88. 9 ΐ Gattungen 34. 47 f. 48. 50. 52. 57. 58. 70
Gebärmutter 92 f.
consensus ιοιί. Gegenerde 56
δημιουργό? 47· 49- 64. 69 Geist, geistig 37. 44 f. 54. 59. 61. 62. 67.
Demokratie 83 77· 79
Determinismus 75· 77· 78· 83 f. Geistwesen 39
Drei 34 f. 36. 48. 52 f. 54. 56. 58. 59 Gemessenes 36. 38
Dreieck 41. 43. 48. 53. 54. 58 Genealogie 87
δυάξ 53- 55 Gerade 3 4 ! 36. 42. 53. 54 f.
δύναμη 51. 57. 58. 62. 64 Gerechtigkeit 43 f.
Gesang 60. 63
Ebenen (Flächen) 41. 47. 53 Gezähltes 33. 34. 36. 37. 38. 52. 56
Είδη 57 Goldener Schnitt 59
είδωλα, imagines 75. 85 f. Gott, Götter, göttlich 39. 40. 44. 45. 46.
E i n s 3 4 . 4 5 f. 4 9 . 5 1 f. 5 3 . 5 4 . 5 5 . 5 8 . 5 9 . 7 0 . 8 7 48. 49. 5 9 . 6 4 . 68—-71. 82. 8 3 ! 8 5 — 8 7 . 9 0
30 Altheim, Hunnen V
458 REGISTER
Mythos, mythisch 44 f. 64
Ideen 46. 48. 49. 50. 70
i h w ä n u s-safä 325
Natur, natürlich 36. 37. 40. 47. 48. 50. 51.
i n t e r m u n d i a8 5
54. 56. 58. 59. 67. 73. 78. 80. 81. 83.
Individuum, Individualität 46. 47. 70. 74. 86. 90. 94
80 Naturgesetze 38. 43. 44. 49. 50. 51. 61. 62.
Intervalle, harmonische 42f. 47. 66 63. 68. 82. 86. 91
Ισονομία 42 Neun 35 f.
Neupiatonismus, Neuplatoniker 40.45. 46.
l c a d a r i y a 326 48f. 49 Anm. 1. 52. 56. 59. 61. 64. 65.
κακοθιγίη 73 66. 67. 68. 196
Katharsis, kathartisch 65 Neupythagoreer 40. 47. 48. 53. 59
Körper, körperlich 36. 37. 38. 39. 40. 41. νοητόν 57
43f· 45· 47· 48· 5°· 52· 53· 54· 55- 56. Nous, göttlicher 47. 48. 49. 5of. 52. 55.
58. 59. 60. 61. 63. 65. 67. 73. 81. 85. 56f. 58. 59. 60. 61. 62. 64. 65. 67. 70. 85
94· 97- 98 Orphiker, orphisch 62 Anm/i
Kosmopolitismus 44. 83
Kosmos, kosmisch 47. 48. 51. 57. 61. 63. Peripatos 95
66. 69. 70. 71. 76. 78f. 83. 86. 89. 90. Person 34. 48. 57
91· 93· 94· 96 Planeten 43. 47. 56. 61. 62. 66
Kreisende Zahlen 35. 55 ττνεϋμα 62
Kubikzahl 54 πόροι 87. 94
Primzahlen 54
Leben 42. 44. 45. 50. 62. 73. 74. 79. 86 προαιώνιος 48 f.
Lebewesen, Entstehung der 42. 46. 58. 61. Proportion 37. 4 3 ! 54. 58. 59. 62. 63. 65.
91—93 66. 67. 69
Leere, leer (πόροι) 41. 42. 43. 8i. 87f. 94
πρώτη Ολη 57
Leib 73. 75
Pythagoreer 41. 42. 59. 94. 96
Licht 38. 39. 52. 62
πνθμήν 43
λόγοι σπερματικοί 67
λόγος 37. 67. 72. 74. 75. 78—82. 86. 87. Quadratzahl 43. 54
88. 94
Lust (Unlust) 73. 74. 78 Rang, Rangordnung 34. 38. 40. 52. 55. 56.
λύπη 95. 98 61 f.
REGISTER 459
Same 41. 42. 58. 92 f. 94 Unbegrenztes 41, 57
Schöpfer, Schöpfung, schöpferisch 33. 34. Unbewegter Beweger 95
36. 37. 45. 48. 49. 51. 52. 57. 60. 72 Ungerade 3 4 ! 36. 41. 42. 52f. 5 4 !
Schwingung (ιταλμό$) 73. 75. 8o. 81. 82. Ureinheit, Ureines 41. 42. 45 f. 48. 51. 52.
86. 87. 89. 94 64
Sechs 35. 55 Ursprung der Welt 39
Seele 36. 37. 38. 39. 40. 44. 47. 48. 50. 53. Urteilskraft 37. 45. 47. 55. 58. 74
55· 56. 57· 58. 60. 61. 62. 63. 64. 66. 67.
Verbindungen 39. 58. 63. 64. 65
70. 73. 74. 75. 78. 80. 81. 82. 83. 85. 86.
Vernunft 47. 48
89. 94· 95· 97—99
Verstand 34. 36. 37. 38. 39. 40. 48. 49. 51.
Sein, seiende Dinge, Seiendes 34. 36. 37.
55. 58. 62. 64. 66. 67. 72. 79. 85. xoo
39· 43- 44· 46· 47· 4». 49- 51 • 52· 53· 54·
Vier 34f. 36. 43. 52. 53f. 56. 58. 60
57. 58. 68f. 70. 86. 88
Vollendung, Vollendetes 37 f. 39. 58. 73
Sieben 35. 36
Sinnenwelt 46. 48. 50. 57. 58. 62. 70 Wahrnehmungstheorie 93 t.
Skeptiker 222. 223 Welt, Welten 37. 38. 39. 42. 44. 45. 47.
σφαΐρος g6 48. 49. 50. 51. 52. 54. 57. 61. 62. 64.
Spiel 197 65. 66. 67. 68. 69. 70. 85. 86. 87. 89. 91
σωφροσύνη 74 Weltjahr 66
Sprache 37 f. 60 Weltseele 49. 50 f. 62. 64. 66. 69
Stoa 83. 95. 96f. Weltuntergang 65 f. 67
Stoff 38. 42. 50. 52. 75. 90 Weltzeit 33
στοιχείο ν 53 Wiederkehr, periodische (zyklische) 55. 66
Substanz 36. 56 t. Wirklichkeit (Akt) 39
Symmetrie 43. 67. 74. 89 Ολη νοητή 57
Teilhabe 34. 37. 45. 46f. 57t. Zahl, Zahlen, zahlenmäßig 33. 33—38.
Tetragramm (τετρακτύξ) 35. 53f. 55.56.58 41—45. 47f. 49. 51· 52· 54· 55· 57· 58.
Tetrahedron 41. 43. 54. 56. 58. 60 59—61. 62. 64. 65. 67. 69
Theologie, negative 46. 68—71 Zehn 35. 36. 54. 56
βυμόξ, έτπβυμία 72. 98 Zeit 33. 48. 50. 64
Töne 37f. 39. 42 f. 44. 48. 56. 59—61· 65. Zentralfeuer 56
66. 67. 94. Zufälligkeiten 36. 39
Traurigkeit 38. 60. 63 Zugrundegehen (Ursprung) der Welt 39.
Tugenden, tugendhaft 43. 72. 74. 76. 82. 5°· 65 f.
83 Zwei 34f. 36. 48. 51. 52f. 54· 55· 5 8
Tiere
2. P H I L O L O G I S C H E S REGISTER
i t h a h s a n ü n 394 n i k ä t ö r auwänä 6
Iranische M u n d a r t e n
Anm. 2 μολιζο 4· 5· 6
sarmat. BaySoSoaavos 16 μαλο 7^· Ι Ο
ßayo 26of. avest. mat 4
ßayoAayyo 4. 4 Anm. 5 f. μιιρο, μιυρο ίο. ι 6
ßapyo 398 avest. n a m r a - , mittelpers. narm 214
mittelpers. b ä z d ä r 201 Anm. 30 soghd. m z y n 4
soghd. $ y p w r 309 Anm. 10 νεισανο μαο 3. 7f. 10
soghd. ßyw xwt'w 309
οαδο, ΟΑΔΟ 3· Anm. 3
Cöbtn ( S ö b i n ) ,* C ö ß e y ä n 1 3 6 f . 200 Anm. οανινδο 5^·
21, vgl. 15 οισττοανο 4 Anm.
'Ορώντας 2ΐ
Ö<1 16 f. ωσογδομαγγο 5
Ηρακιλο 9 ΤΤαραλάται ι6
P a r i a 27
parth. γazn, neupers. g a n z , gang 214 ττιδο ι8
G u l ä i g i r d2 5 0 TTopoyorro 4· 7
mittelpers. gunäh 250
mittelpers. g u r ä z ,varäz, γουράζ 249 f. S a d a g a r i i 27
G u s a n ( y ) a z d ä d , Gusnöe 250 neupers. ία/ 214
sak. s ä l y a 5
neupers. istabra 214 soghd. S a r a y 238 f.
parth. nhwdr 248f. neupers. säräh 238 f. 240
REGISTER 463
neupers. sarä(i) 214 tr < hr 16
neupers. Sarbäl 214 altpers. vistarbara- 208 A n m . 89
Σαροατο g mittelpers. sangiwel, neupers. zangbll 229
σαρλ[ο 5
mittelpers. sater 213 f. mittelpers. tanbür, tubul 314
σοε 8
σταδο 2o mittelpers. ypgv' 310
' Tocharisch'
Griechisch
rumän. Abrttd 346 Anm. 116. 348 rumän. collegia 352 Anm. 157
rumän. a cutropi 339 rumän. Constanfa (Κωνστάντιο) 350
rumän. a se scalda 339 rumän. Cozia 349
rumän. Ataki 351 crinitus Hunnus 255
altfranz. cuivre 396 f.
rumän. Babadag 351 daco-rumän. curie 341
rumän. Bälgrad 344
rumän. Bärgäu 340. 346 -dava 328t. 333. 336. 339. 344. 345. 351.
rumän. Βάτοι (Beroe) 350 361
-basta 329 Anm. 16 rumän. Deva 329
rumän. Bistrifa 349 -dizos 329 Anm. 16
rumän. Borgale 339 Anm. 80 rumän. Dobrogea 340
rumän. Borgaria 339 Anm. 80 rumän. Drästor (Durostorum) 350
rumän. Borgoro 339 Anm. 80 rumän. drum (δρόμος, δροϋμος, bulg.
-bria 328 Anm. 1 1 . 329 Anm. 16 drum, alb. dhrom) 359 f. 361
burgus, burgarius 339 f. 339 Anm. 79 und -dunum 328
80
fossatum 328 Anm. 12. 3 4 0 ! 340 Anm. 85
rumän. Calachioi (Capidava) 351 bis 87. 344. 361
rumän. cale (callis) 357. 361 alban. fSat 340 Anm. 85
rumän. cälivä (καλύβα) 352 rumän. Gala(i 351
mazed.-rumän. cälivä, rumän. colibä 352 rumän. Gäi&lui (lalomifa) 351
rumän. Cälivili-mari, La-cälive 352 mazed.-rumän. G&rdetsu 344
rumän. Camena (Petra) 350 mazed.-rumän. Gardik'i 344
canabae 334 rumän. St. Gheorghe 351
capitatio 256 rumän. grädiste, gradiste 341. 341 Anm. 88.
rumän. Caracal 351 344· 345· 346
rumän. cärare (carraria) 357. 361
rumän. han, La-hani 351
carubius 358
rumän. Härsova (Carsium) 350
casatus 335
rumän. hoarä (χώρα) 351
castellum 339. 339 Anm. 77
rumän. Horodiste 344
rumän. Castru, Cästrie, Castri, Castrizi rumän. Hunedoara 348
34*· 351 indagines 345 Anm. 1 1 1
Castrum 3 3 4 . 3 3 5 . 3 4 1 . 3 5 1 rumän. Isaccea 351
Caucalandensis locus 342 iugatio 256
rumän. Cernavoda (Axiopolis) 350
rumän. cetate 340JE. 344. 345. 347 κατουνα, rumän. cätun und Verwandte
rumän. Cetäfuia 341 329—332
rumän. chei (clavis) 357 Anm. 191
rumän. Chilia 351 Noviodunum 328 Anm. 9. 336 Anm. 58
rumän. Chisfäläu 347
rumän. Cisnädie 349 rumän. Obad 351
civitas 334 Anm. 47. 335. 34of. 341 Anm. rumän. Odorheiul Sacuiesc 348
88. 344. 361 rumän. Oltina (Altina) 350
mazed.-rumän. clisura (κλεισούρα) 357 rumän. Oradea-Mare 348
Anm. 191 rumän. oras 348
rumän. colibasi, alban. cälivari 352 rumän. Otaci 351
REGISTER 465
rumän. pämänt 339. 339 Anm. 73 sericum 234 f. 235 Anm. 11
-apra 329 seta 234 f.
rumän. P&rgäresti 340 rumän. sat 340 f. 340 Anm. 85 und 87
rumän. Valea P&rgarului 340 rumän. Sighisoara 348
rumän. Pirgos, Purgo 340 rumän. Slatina 349
rumän. plai (plagius, πλάγια) 357 Anm. rumän. strada (strata) 357 Anm. 190
189 rumän. Stravico {Histria) 350
Plovdiv 329 rumän. Sucevifa 349
rumän. Pobrata 349 rumän. Suhoarä 351
Porolissum 329
rumän. prtsäci 345 Anm. m . 347 Tamasidava 347 f.
Tumän. Putna 349 rumän. t&rg, *terg 332 f. 333 Anm. 42
rumän. Tärgoviste 343
quasi 26 rumän. T&rgsorul 343
vorröm. *qatona 361 rumän. T&rgul 343
ruga, alb. rouge, griech. ρούγα, mazed.- tenda 335. 341
rumän. arugä 358 vor.-röm. *terg, *trag, *trag, *trugu 343.
345· 361
rumän. Säcele 341
rumän. Tismana 349
rumän. Sälaj, Sälägeni 348
mazed.-rumän. Tsitate, La-tsitate 341
rumän. Säliste, seliSte 344. 344 Anm. 108.
rumän. Tulcea 351
345 rumän. Turda 329. 329 Anm. 15
Sarmizegetusa 335. 335 Anm. 49. 341 rumän. Turtucaia 35 t
rumän. Satmar 341 Anm. 91
rumän. Satnoieni 341 rumän. Vicina 351
rumän. Salsista 341 vicus 337. 339
rumän. Sätuc 347 mazed.-rumän. Vilardi 344
rumän. Satu-Nou 341 Viminacium 328 Anm. 12
rumän. Satu-Vechi 341 -vissos 329 Anm. 16
Türksprachen
Grammatisches
GESCHICHTE DER H U N N E N
Band I: Von den Anfängen bis zum Einbruch in Europa
Mit Beiträgen von Robert Göbl, Hans-Wilhelm Haussig, Ruth Stiehl und
Erika Trautmann-Nehring.
Mit 16 Abbildungen. X, 463 Seiten. 1959. Ganzleinen
Band I I : Die Hephthaliten in Iran
In Zusammenarbeit mit Ruth Stiehl.
Mit Beiträgen von Zelik I. Jampolski, Eugen Lozovan, Feodora Prinzessin
von Sachsen-Meiningen, Erika Trautmann Nehring.
Mit 7 Abbildungen. I X , 329 Seiten, i960, i960. Ganzleinen
Band I I I : Kampf der Religionen
In Zusammenarbeit mit Ruth Stiehl.
Mit Beiträgen von Konstantin G. Cereteli, Norbert Reiter, Erika Traut-
mann-Nehring und Walter Wüst.
Mit 4 Abbildungen. VIII, 322 Seiten. 1961. Ganzleinen
Band I V : Die europäischen Hunnen
Mit Beiträgen von Eugen Lozovan, Ruth Stiehl und Erika Trautmann-
Nehring.
Mit 8 Abbildungen. VIII, 388 Seiten. 1962. Ganzleinen
RÖMISCHE GESCHICHTE
4 Bände. 2., verbesserte Auflage.
RÖMISCHE R E L I G I O N S G E S C H I C H T E
2 Bände. 2., umgearbeitete Auflage.