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Untersuchungen
zur Antike und zu ihrem Nachleben
NOV 1
Karla Pollmann
Das Carmen
adversus Marcionitas
Einleitung, Text,
Übersetzung und Kommentar
VANDENHOECK&RUPRECHT GÖTTINGEN
Digitized by the Internet Archive
in 2019 with funding from
Kahle/Austin Foundation
https://archive.org/details/dascarmenadversuOOOOpoll
rs ^72. i/#
HYPOMNEMATA 96
V&R
HYPOMNEMATA
UNTERSUCHUNGEN ZUR ANTIKE
UND ZU IHREM NACHLEBEN
Herausgegeben von
Albrecht Dihle/Siegmar Döpp/Christian Habicht
Hugh Lloyd-Jones/Günther Patzig
HEFT 96
Das Carmen
adversus Marcionitas
Einleitung, Text,
Übersetzung und Kommentar
Verantwortlicher Herausgeber:
Siegmar Döpp
Pollmann, Karla:
Das Carmen adversus Marcionitas : Einleitung, Text,
Übersetzung, Kommentar / Karla Pollmann. -
Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1991
(Hypomnemata ; 96)
Zugl.: Bochum, Univ., Diss., 1990
ISBN 3-525-25195-5
NE: Carmen adversus Marcionitas; GT
D 294
I. Bibliographie . 1
Aus der christlichen Spätantike ist ein fünf Bücher (mit insgesamt 1302
Hexametern) umfassendes, in Sprache und Inhalt sehr anspruchsvolles
Gedicht eines unbekannten Verfassers überliefert, das sich gegen die
häretische Sekte der Marcioniten wendet. Nachdem das Carmen 1564
durch Georgius Fabricius ediert worden war, hat es in der Neuzeit
immer wieder Aufmerksamkeit gefunden und ist vor allem in den Jahr¬
zehnten von 1870 bis 1940 vielfach behandelt worden. In den letzten
fünfzig Jahren hat die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Carmen
jedoch stark nachgelassen. Die Gründe dafür liegen im Fehlen einer
zuverlässigen, dem heutigen Stand der Editionsphilologie entsprechen¬
den Ausgabe (auch die letzte, von R. Willems im CCL 2 verantwortete
Ausgabe aus dem Jahre 1954 bleibt ganz unbefriedigend) und in der
Schwierigkeit, das Werk zeitlich zu Fixieren: Die Datierungen bewegten
sich in dem Zeitraum vom 3. bis zum 6. Jahrhundert.
Die hier vorgelegte Arbeit unternimmt es, die Frage der Datierung zu
klären und eine verläßlichere (der einschränkende Komparativ hat
seinen Grund im Fehlen jeglicher Handschriften) Textgestaltung zu
bieten, verbunden mit einer (in der deutschen Sprache erstmaligen)
Übersetzung. Der vornehmlich philologisch — exegetische Kommentar
berücksichtigt neben Interpretationsfragen die Erörterung der Datierung
sowie das theologische und geistesgeschichtliche Umfeld. Der Entste¬
hungszeitraum des Gedichts läßt sich auf 420 — 450 eingrenzen (s. vor
allem Kapitel V).
Diese Arbeit ist im Sommersemester 1990 von der Ruhr — Universität
Bochum als Dissertation angenommen und mit einem Preis ausgezeich¬
net worden. Sie ist auf dem Boden dessen entstanden, was ich von
meinen akademischen Lehrern lernen durfte. Dafür danke ich den
Professoren K. Gaiser (f), E. Heck, R. Kannicht, E.A. Schmidt
(Tübingen); P.E. Easterling (London); E.J. Kenney, M. Reeve
(Cambridge/GB); G. Binder, S. Döpp, B. Effe, W. Geerlings, A.
Kleinlogel (Bochum) und R. Herzog (Bielefeld). Der Studienstiftung
des Deutschen Volkes gilt mein Dank für die ideelle und materielle
Förderung während meiner Studienzeit.
Bei Prof. W. Ott (Rechenzentrum Tübingen) bedanke ich mich für die
Erstellung einer kwic — Konkordanz zu dem Gedicht, die mir unzählige
Dienste geleistet hat; für die Arbeitserlaubnis im Vetus —Latina —
Institut in Beuron und im Münchener Archiv des Thesaurus Linguae
Latinae danke ich Prof. H.J. Frede und Dr. P. Flury. Prof. E. Heck
hatte die Freundlichkeit, das gesamte, für den Druck überarbeitete
Manuskript zu lesen. Zuverlässige Hilfe beim Korrekturlesen leisteten
mir C. Danier, E. Kirschfeld und K. —H. Schulz.
I. Bibliographie
Junius F.: Tertulliani opera, Franeker 1597, 515 — 542 (Text von
J. Pamelius). 277 — 281 (Im ersten Anhang mit neuer Seitenzählung:
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Bibliographie 3
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Kretschmar G.: Cerdo, RGG 1, 31957, 1631 f.
Kroll W.: Das afrikanische Latein, RhM N. F. 52, 1897,
569-590
8 Bibliographie
Schrift fehlt, ist die Beurteilung der Zuverlässigkeit des Textes bei
Fabricius an konkreten Einzelstellen reine Spekulation und hat daher zu
unterbleiben.
Nur geringe Möglichkeiten der Rektifizierung werden durch zwei
zusammengehörige Centonen geboten, die erst im letzten Jahrhundert
herausgegeben worden sind und beide Abhängigkeit vom CM verraten:
Den ersten Teil veröffentlichte A. Oxe, Versus Victorini (de lege
domini nostri Iesu Christi). Ein unedierter Cento aus dem Carmen
adversus Marcionitas, Gymn.— Progr. Krefeld 1894; in den 216
Hexametern sind rund 150 Verse, Verstehe und Junkturen hauptsäch¬
lich aus dem dritten Buch des CM entnommen. Den zweiten Teil
entdeckte und publizierte A. Mai, Victorini de nativitate, vita, passione
et resurrectione Domini carmen, Auctores Classici V, Rom 1833,
382 — 386, wo etwa 80 der 106 Hexameter vom CM abhängig sind.
Beide Gedichtteile stammen aus dem Vatic. Regin. 582 (9. —10. Jh.).
Brandes hatte bereits in den Wiener Studien 1890 auf diese "unabhän¬
gige Nebenquelle” verwiesen und einige Emendationsvorschläge für das
CM gemacht4 5 6 7, was dann von Oxe, Cento, 15 — 20 weiter fortgeführt
wurde .
Aber schon Jülicher in seiner Rezension zu Waitz von 1901, 631 und
Müller, 1936, 3—5 relativierten die textkritische Bedeutung dieser
Centonen: Da darin neben "freieren” grammatischen Konstruktionen
auch solche Vorkommen, die sich eng an der klassischen Regelgramma¬
tik orientieren, bieten Abweichungen gegenüber dem CM, das selber
grammatische Phänomene uneinheitlich handhabt, nicht immer ein
sicheres Indiz für die korrigierende Hand des Fabricius. Auch tauchen
dort manchmal offensichtliche Mängel auf, die das CM nicht bietet .
Besonders hervorzuheben ist, daß gerade wegen der kontaminierenden
Centonentechnik die Gedichte keine sichere textkritische Gewähr lei¬
sten. Zur Illustration folgendes Beispiel:
CM 1,133 sideribus caelum totumque illuminat orbem
de lege 2 sideribus caeli totum qui luminat orbem.
Dadurch, daß der Vers im Cento an den Eingang des Gedichts gerückt
ist, bot es sich für den Centonendichter an, nach dem Hauptsatz in
Vers 1 (Beschreibung der Tätigkeit Gottes) in der Art des Hymnenstils
einen Relativsatz folgen zu lassen, in asyndetischer Reihung mit einem
zweiten in Vers 3.
Im CM dagegen ist der Vers Teil einer umfangreichen Aufreihung (1,
In der Editio princeps trägt das Gedicht den Titel Q. Septimii Florentis
Tertulliani presbyteri Carthaginiensis adversus Marcionem. Da Fabrici¬
us keine Rechenschaft darüber ablegt, ob oder was für einen Titel er in
seiner Handschrift vorgefunden hat, zweifelten bereits Hückstädt 35
und daraufhin Manitius, Poesie, 154 dessen Echtheit an. Haupteinwän¬
de gegen den Singular Marcionem basieren etwa auf CM 1, 141 — 144
(Apostrophe an die 2.P.P1.) und 3, 300 — 302 (wo Marcion als abiec-
tus, also als exkommuniziert, bezeichnet wird), so daß Hückstädt 36
für den Plural Marcionitas plädiert.
Im folgenden schließen sich dieser Benennung Hilgenfeld 155, Brandes,
Oxe, Müller, Thraede, Epos, 1016 und Dattrino an. Ausdrücklich
gegen Hückstädt spricht sich Waitz 136 Anm. 5 aus; wiewohl auch er
in 4 Anm. 1 zugibt, daß die eigentlichen Adressaten des Gedichts die
Anhänger Marcions sind, befürwortet er im Titel den Singular. Denn
er geht von einer bewußten Nachahmung von Tertullians Prosaschrift
Adversus Marcionem aus, weil auch die Einteilung in fünf Bücher
dieselbe ist. Einer solchen Annahme widersprechen schon die Grob¬
struktur und das Argumentationsziel beider Werke. So fehlt im CM
gänzlich die in Tert. adv. Marc. 4 und 5 vorgenommene kritische
Auseinandersetzung mit den Schriften Marcions, die zu dem Ergebnis
gelangt, Marcions Gott sei, seinen häretischen Anstrengungen zum
Trotz, derselbe wie der der orthodoxen Kirche (4, 43, 8 frustra labora-
sti. Christus enim Iesus in evangelio tuo meus est). Dieses Argumenta¬
tionsziel wird im CM nicht angestrebt. S. dazu noch ausführlicher u.
S. 46f.
Die grobe thematische Ähnlichkeit dieser beiden Werke verursachte
aber auch die (falsche10) Zuschreibung des CM an Tertullian, so daß
dadurch nichts für die Authentizität des Singulars im Titel sowie des
Titels überhaupt bewiesen ist.
Allgemein wenden sich Kirchenschriftsteller des öfteren gegen einen
oder mehrere Vertreter einer kirchenkritischen Haltung, z.B. Ter-
11) Vgl. die grundlegende Feststellung bei Thraede, Epos, 1041 der ”notorische(n)
Unaktualität der dogmatischen Polemik im christlichen Lehr —Epos”, was er bereits
1016 speziell zum CM unter Berufung auf Holl betont. Ergänzt wird dies durch
Brox, der 284 — 286 hervorhebt, daß die antihäretische kirchliche Argumentation über
Jahre hinweg stereotyp blieb. Beide Tatsachen erschweren die zeitliche Einordnung
beträchtlich.
12) Vgl. Herzog, Bibelepik, S. XXVIf. Man glaubt, das Werk auch in einem
Lorscher Bibliothekskatalog wiederzufinden, der von Bischoff 13 — 15. 118 in die 2.
Hälfte des 9. Jahrhunderts datiert wird, nämlich bei G. Becker 111 Nr. 37 metrum
tertulliani de resurrectione. eiusdem lib. V adversus marcionem. Daß es sich bei dem
letzteren ebenfalls um ein "metrum” handelt, legt der Zusammenhang der Auflistung
in Nr. 37 nahe sowie die Tatsache, daß davor bzw. danach weitere Gedichte genannt
werden (metrum avieni, epigrammata prosperi, metrum fortunati episcopi). M. Rist,
Pseudepigraphie refutations of Marcionism, JR 22, 1942, 39 — 62 geht auf das CM
nicht ein.
13) S. S. 20f zu Isidors Erwähnung eines Gedichtes Adversus Marcionistas (sic!)
von einem Bischof Victorinus.
14) Rigaltius im Vorwort seiner Ausgabe (zit. Oehler II 782); danach Waitz 76f,
Harnack, Geschichte 2, 2, 447 und Willems 1419; anders Krüger, Gedichte, 407,
der die Autorschaft Tertullians für eine Hypothese des ersten Herausgebers hält.
15) Commentarium, 133 s.v. Tertullianus.
16 Autor
16) Vgl. Bähr 21 f. 25. Die Prosaschrift Tertullians stellt keine Neubearbeitung
eines früher von ihm verfertigten Gedichts dar. So bereits Rigaltius (zit. Oe hier II
781): disputatio fuit, non poema.
17) S. zit. Oehler III 14.
18) Für die ersten drei Kriterien s. zit. Oehler II 781 f, für das letzte Kriterium vgl.
z. B. den Hinweis bei Oehler II 792 zu CM 3, 277, s. auch Komm, ad 1. (zu dem
Problem der Bischofslisten).
19) So auch Cave 43: nullo tarnen Antiquorum testimonio, nulla ratione suffultus.
Maniüus, Poesie, 148 macht auf die fehlende Erwähnung Tertullians als Dichter bei
Hier. vir. ill. 53 aufmerksam.
20) Im Anschluß an Rigaltius ausführlicher Allix (zit. Oehler III 77); zusammenfas¬
send PL 2, 1049—1051. Allerdings ist dieses Kriterium nicht in allen Fällen stichhal¬
tig: Solche Divergenzen (z. B. Tert. anim. 57 gegen CM 3, 126—129, s. u. Komm,
ad 1.) sind bei jeweils verschiedener Autorintenüon durchaus denkbar. Man ver¬
gleiche etwa die unterschiedlich strengen Stellungnahmen Tertullians in seinen apolo¬
getischen und seinen innerkirchlichen Schriften zur Frage des christlichen Militär¬
dienstes für den Kaiser, oder Hieronymus, der sich in wissenschaftlichen Werken
gegen die Legende von Abrahams Grab auf Golgotha wendet (in Eph. 5, 14 PL 26,
559 AB; in Matth. 27, 33 PL 26, 2171), während er sie in einer privaten Korrespon¬
denz selber zum besten gibt (epist. 46, 3 CSEL 54, 332). Damit soll nicht eine
Autorschaft Tertullians als These neu gesetzt werden, sondern die relative Unsi¬
cherheit dieses Kriteriums deutlich werden.
Autor 17
Schöpfer des Gedichts akzeptiert hat, gab es doch immer wieder Ver¬
suche, das CM einer mehr oder weniger bekannten historischen Per¬
sönlichkeit zuzuordnen.
Bereits Oxe 40ff hatte eine "Affinität” zwischen Commodians Werken
und dem CM festgestellt, aufgrund ähnlicher prosodischer Besonderhei¬
ten sowie lexikalischer, stilistischer und inhaltlicher Gemeinsamkeiten.
Ihm schloß sich Holl 47f an, der (weitergehend) das CM als den ab¬
hängigen Teil bezeichnet, da "der einfache und klare Ausdruck Com¬
modians von ihm ins Dunkle und Geschraubte übertragen ist” (47).
Thraede, Epos, 1016 setzt das CM später als Commodian an, da dort
"die Position bereits antihäretisch” ist.
Umgekehrt folgert Müller 92f, sich insbesondere auf sprachliche Über¬
einstimmungen stützend, daß Commodian direkt vom CM abhängig ist.
Wie sie zu diesem Prioritätsverhältnis gelangt, führt sie nicht näher
aus.
Solche entgegengesetzten Resultate werden erzielt, wenn methodisch
fragwürdig bzw. gar nicht reflektiert wird.
Imitationen von sprachlichen Wendungen oder Gedanken bei verschie¬
denen Autoren lassen nur selten eine Schlußfolgerung bezüglich des
Prioritätsverhältnisses zu, da die entgegengesetzten Verfahren der
Diminutio und der Augmentatio möglich sind. Oft existiert auch noch
eine dritte (frühere) Fassung (im Sprachlichen z. B. Vergil), die ein
eindeutiges Abhängigkeitsverhältnis verschleiern kann, s. dazu neben
anderen Kroll, Studien, 150 — 155, Waszink S. V, Thraede, Untersu¬
chungen 2, 136. Analog zu sprachlichen Imitationen verhält es sich mit
dem Grad der Ausdifferenziertheit bei der Entfaltung eines Gedankens:
Eine knappe, andeutende Form kann sowohl eine rudimentäre gedank¬
liche Vorstufe als auch die Anspielung auf einen bekannten Zusam¬
menhang bedeuten, die der weiteren Ausbreitung — je nach Zusam¬
menhang und aktueller Aussageintention — nicht mehr bedarf. Auch
das zeitlich spätere Ansetzen einer Schrift aufgrund ihrer antihäreti¬
schen Haltung ist nicht zur Gänze zwingend, da bereits Tertullian
innerkirchliche, apologetische und antihäretische Schriften nebeneinan¬
der verfaßt hat.
Waitz 112ff endlich hat, hauptsächlich anhand sprachlicher und inhaltli¬
cher Übereinstimmungen, den Verfasser des CM mit Commodian
gleichgesetzt. Ihm gefolgt sind Harnack, Geschichte 2, 2, 443, der
auch einen Schüler Commodians als möglichen Dichter erwägt, und
Krüger, Rez. Harnack, 53.
Diese kühne These rief eine Flut von Einsprüchen hervor: Seitens der
Rezensenten Grützmacher 499, Funk 137f, Jülicher 632 und Pfeilschif-
ter 1290, in den Handbüchern von SH VIII 3, 397 und Monceaux 502;
504 und, mit einer eigenen Abhandlung, Kömgsdorfer passim, dem
Martin, Dichter, 83 beipflichtet.
Die gewichtigsten Gründe gegen Waitz sind: Zum einen divergiert die
Metrik22. Während das CM in Hexametern abgefaßt ist, die, wenn
auch mit Lizenzen, nach klassischen Prinzipien gebaut sind, läßt sich
die quasihexametrische Dichtung Commodians nicht befriedigend nach
den Regeln einer quantitierenden Metrik analysieren"3.
Des weiteren sind die von Waitz aufgeführten sprachlich —stilistischen
Kriterien viel zu allgemein. Sie sind typisch für die generelle Weiter¬
entwicklung der lateinischen Sprache in der Spätantike und stellen keine
spezifischen Besonderheiten ausschließlich des CM und der Werke
Commodians dar . Waitz führt sich also teilweise selbst ad absurdum,
indem er zu Commodian bzw. dem CM auch Parallelen aus weiteren
spätantiken Werken nennt (z.B. 106 Anm. 7 und 8; 107 Anm. 4; 111
Anm. 1).
Besonders schlagend läßt sich die Fruchtlosigkeit seines Ansatzes an¬
hand der 119f angeführten Gottesprädikationen zeigen: Zu deren weiter
Verbreitung seit dem Beginn christlich —lateinischen Schrifttums ver¬
gleiche man Braun passim sowie zu summus und omnipotens auch den
Testimonienapparat zu Mar. Victor aleth. praef. lf und Waitz selbst
106 Anm. 8. Auch aus einigen identischen Gottesprädikationen läßt
sich keine Abhängigkeit oder Identität der Autoren ableiten.
Die Kritik der zu großen Allgemeinheit und zu geringen Konzentration
der Parallelen“^ trifft auch für die Stellen des CM zu, die die Ausgabe
22) S. u. IV ausführlicher.
23) Kabell 83 mit Verweisen; zu einer einleuchtenden Beschreibung des commodi-
anischen Hexameters jüngst Norberg, Versification, 145f: Commodian las die Hexa¬
meter mit Betonung der (damals bereits beginnenden) Wortakzente, als ob er ein
Stück Prosa vor sich habe. In der eigenen Versifikation strebte er danach, den gehör¬
ten Akzente — Rhythmus umzusetzen. Das erklärt auch die häufige quantitative
Korrektheit des zweiten Hemistichs, da dort bereits in der klassischen Antike Wort¬
akzent und Versiktus Zusammenfällen.
24) Vgl. denselben Einwand gegen diese sogenannten Abhängigkeiten bei Waszink
35. Bereits Jülicher 632f konstatiert allgemein Mängel an Waitzens Methode der
Materialgegenüberstellung; treffend in seiner Kritik auch Pfeilschifter 1290. Einzige
Ausnahme bilden die thematische wie verbale Ähnlichkeiten aufweisenden Versionen
des ”tema delle seduzioni diaboliche” (Salvatore zu Comm. carm. 174) in CM 1,
9 — 28 und Comm. carm. 172—184, die ich aber nicht für beweiskräftig genug halte.
25) Ebenfalls unbefriedigend in ihrer Aussagekraft in bezug auf Abhängigkeiten
sind die Parallelen zum CM bei Manitius, Beiträge, 22 — 24. Ihre Brauchbarkeit zur
Illustration von Gedankenparallelen auch ohne direkte Abhängigkeit (etwa im Sinne
Smolaks, Apoth., S. XIII) wird damit nicht geschmälert. Auch die Parallelen zwi¬
schen dem CM und Iuvencus bei Oxe 33 sind für ein Abhängigkeitsverhältnis wenig
beweiskräftig, da Junkturen wie scelerata insania und rex inclitus viel zu allgemein
sind. Auch begeht er denselben methodischen Fehler wie nach ihm Waitz, die klassi-
Autor 19
sehe Vorlage, die er z. T. selbst in 32 Anm. 2 angibt, außer acht zu lassen, z. B.:
CM 4, 56 ~ Iuvenc. 1, 217 c Verg. Aen. 11, 166f; CM 2, 158 ~ Iuvenc. 2, 396<
Verg. Georg. 3, 460. Besonders unbefriedigend ist CM 2, 151 nuntiä (n. PL!) famä
(abl.) |, das nicht mit Verg. Aen. 9, 474 | nuntiä (f. Sg.) Famä und Iuvenc. 2, 342
I nuntiä (f. Sg.) famä zusammenstimmt. Wie S. 26 ausgeführt, sind hier Abhän¬
gigkeiten kaum aufzuzeigen.
26) Siehe wieder S. 26 mit Anm. 42 und Smolak, Agrest., 18 mit neuerer Li¬
teratur.
27) Gesta priora als ”im AT verzeichnete Taten” auch im Cento De nativitate in
Vers 1, also in ungebrochener Übernahme.
20 Autor
Im jeweiligen Kontext findet sich auch kein Hinweis auf eine bewußt
kontrastierende Imitation.
Bei inhaltlichen Ähnlichkeiten handelt es sich häufig um Topisches, z.
B. um den Topos pauca e multis, der variiert in Comm. instr. 1, 37,
35f u. ö. sowie im CM 1, 171 — 173; 3, 79 auftaucht. Zu Commodian
s. ausführlich Thraede, Untersuchungen 1, 11 — 127 und seine methodi¬
schen Reflexionen in Untersuchungen 2, 136f, wo er betont, daß mit
diesem Ansatz Abhängigkeiten nicht nachzuweisen sind.
Diese Untersuchung führt zu dem Ergebnis, daß die Anzahl der Paral¬
lelen stark eingeschränkt und ihre Bedeutung relativiert werden muß.
M. E. läßt sich aufgrund des bisher dargebotenen Materials keine posi¬
tive Aussage über ein wie auch immer geartetes Abhängigkeitsverhält¬
nis zwischen dem CM und Commodian machen28.
28) Nur mit starken Einschränkungen gilt deshalb Thraede, Epos, 1016 (was
ähnlich von ihm in Untersuchungen 1, 115 wiederholt wird): "In die Stiltradition
Commodians gehört auch das Carmen adversus Marcionitas”. Die dort aufgeführten
Stilmittel (zu deren Relativierung s. S. 26) sind auch keineswegs ausschließliche
Spezifika von Commodian und dem CM.
29) Bei Miraeus 103 ziüert unter Appendix sive libellus incerü auctoris de XII
scriptoribus ecclesisticis, qui Isidoro et Ildefonso subiici solet cap. 7; PL 83, 1083f
wird die Verfasserschaft Isidors gerechtfertigt. Vgl. Frede 407: "Eine längere (spani¬
sche) Rezension fügt Teile ein (sc. in Isid. vir. ill.), die von einem Afrikaner Mitte
des 6. Jahrhunderts stammen”.
30) Das ist C. Marius Victorinus (4. Jh.), s. Harnack, ThLZ 1, 1876, 266 und
Krüger, Geschichte, 218.
31) Korrigiert bei Harnack, ZWTh 19, 1876, 114 Anm. 4; s. auch HLL 5 (1989),
Autor 21
§ 564 Lit. 2.
32) Vgl. CSEL 16, 497f (Index Rei Metricae).
22 Metrik, Prosodie, Stil
dei ore profudit | wird das i von dei wohl konsonantisch gefaßt; zur
Dehnung des ”e” vgl. das Folgende unter Dichrona).
Dichrona:
— säbbata 2, 204. 209 gegen sabbata 2, 207
— fämes 3, 153 gegen famis 3, 40. 185
— cuius 2, 58 (wie Lucr. 1, 149, s. Bailey ad 1.) gegen die zweisilbige
Messung in 2, 60 u. ö. Dagegen folgt das CM mit der Messung cüi
(statt iarabischer oder pyrrhichischer Messung) stets dem vorseneca-
nischen Gebrauch der Synizese, wie z. B. auch Claudian und
Coripp.
-prophetica 3, 129 gegen propheta 1, 46 u. ö. Zur häufig freien
Behandlung von prü- s. Wackernagel 238-240 mit Belegen von
Ennius bis Ovid.
-deum 5, 135 gegen die einsilbige Messung in den obliquen Kasus in
2, 240 u. ö., die schon bei Plautus vorkommt. Die Längung der
ersten Silbe ist ein barbarismus per transmutationem temporis, er¬
wähnt bei Don. gramm. 4, 392, 21 K.
—ecclesia 3, 236. 291 gegen ecclesia 2, 42. 190. 194, was in der
Spätantike besonders bei Dichtern der ersten Hälfte des 5. Jh. vor¬
kommt, s. TLL, s. v. ecclesia, V 2, 32, 83ff.
Bei plaga, das je nach Quantität der ersten Silbe eine andere Bedeutung
hat, weiß der Dichter jedoch streng zu scheiden (2, 4; 3, 55 gegen 4,
13. 154), was in der karolingischen Zeit selten wurde, s. Ratkowitsch
22f.
Eine Erklärung für manche prosodischen Erscheinungen im CM ist die
gewandelte Aussprache des Lateinischen:
-Teilweise wird ae kurzgemessen (2, 51. 198; 3, 35. 108; 4, 85.
201), was sich häufiger besonders bei Cyprianus poeta findet und
sich bis ins Mittelalter fortsetzt, s. L. Müller 445 und Norberg,
Introd., 8.
-h wird, allerdings sehr selten, als Konsonant aufgefaßt in 5, 107.
142 (positionsbildend), was in der spätantiken Dichtung häufiger
vorkommt, in der quantitativen Dichtung der karolingischen Renais¬
sance jedoch wieder streng verpönt war, s. W. Meyer 1, 121. 189.
275f und Norberg, Introd., 33.
Muta cum liquida kann Position bilden40.
Die Prosodie des CM weist große Ähnlichkeiten mit der von Carm. de
resurr. auf, vgl. Waszinks Index metricus 173 — 178, was aber nicht
für Versbau und Syntax gilt. Ebenso bemerkt Waszink 36 Anm. 1
richtig, daß dem CM der für Carm. de resurr. auffallende Gebrauch
von Homoioteleuta fehlt. Der "Reim” ist also, trotz des gelegentlichen
Auftauchens, gemessen an der Verszahl für den Stil des CM nicht
konstitutiv (gegen Oxe 23f und Manitius, Poesie, 155 Anm. 2; Hexa¬
meterpaare mit reimendem Ausgang finden sich häufiger z.B. auch bei
Ovid), ebensowenig wie die Alliteration (gegen Koffmane, Kirchenla¬
tein, 159 — 163). In dieser Hinsicht ist ebenfalls problematisch Stutzen¬
berger 26 — 29, der das Auftauchen der Alliteration mit ihrem didakti¬
schen Wert gerade bei gallischen Dichtern zur Zeit des Cyprianus
poeta festzustellen glaubt.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die prosodischen Lizenzen des
CM in das historische Umfeld der Spätantike gehören, für die damalige
Praxis in der quantitierenden Metrik nicht außergewöhnlich sind, und
daß das Carmen, wenn es auch nicht als streng klassizistisch zu be¬
zeichnen ist, kaum unerklärliche Lizenzen bietet, weswegen von Ein¬
griffen in den Text, die sich allein dadurch rechtfertigen wollen, abzu¬
sehen ist, gegen Oxe 19, Müller und Willems passim.
41) Thraede, Rez., 187 auf Prudenz bezogen, und als grundsätzliches Phänomen
spätantiker Dichtung bereits bei Kroll, Studien, 154f.
Metrik, Prosodie, Stil 27
43
Lösung vom Wortlaut "schon kein ungewöhnliches Verfahren mehr” .
Dies gilt in einem viele christliche Dichter überbietenden Maße für das
CM, bei den AT —wie den NT — Paraphrasen .
Die genannten Gesichtspunkte machen eine Datierung des CM in die
erste Hälfte des 5. Jh. sehr wahrscheinlich (s. dazu ausführlicher das
folgende Kapitel).
1. Datierungsansätze
2. Lokalisierung
und plädiert deshalb für Rom; Vorbehalte dagegen auch bei Pfeilschif¬
ter 1288 und SH VIII 4, 1, 224; 508. Zuvor wies bereits Allix 85 — 87
(zit. Oehler III 77) auf die für Afrika atypische Form der Bischofsliste
in CM 3, 275ff hin.
Für Rom als Ort der Abfassung haben sich ausgesprochen Hückstädt
36 — 39, sein Rezensent Hilgenfeld 155, Koffmane, Kirchenlatein, 154,
Erhard 444 und Harnack, Geschichte 2, 2, 449 (wie schon in früheren
Äußerungen), wogegen jedoch Krüger, Rez. Harnack, 54 Zweifel an¬
meldet46.
Aus der Tatsache, daß die Handschrift, in der die beiden Centonen des
Victorinus überliefert sind, "sonst nur Stücke gallischer Herkunft ent¬
hält”, schließt Holl 52 auf die ebenfalls gallische Herkunft des
Carmen — Dichters (genauer Südfrankreich); dieselbe Lokalisierung
nehmen auch Quasten 319, Fischer, Willems 1420 (der auch die Alter¬
native Afrika offenläßt) und Frede 556 vor.
3. Beurteilung
46) Auch Harnack, Marcion, 394*f wird wieder, wegen Holls Argumenten, daran
irre und faßt spekulativ Spanien (und Rom) ins Auge.
47) S. Pfeilschifter 1288; unter der Bezeichnung Africismus s. Norden, Kunstprosa
2, 588ff (Kroll, Das afrikanische Latein, 590 äußert die veraltete These, daß es
durchaus afrikanische Dialektizismen gegeben habe, Konkreteres wegen der geringen
Materialbasis jedoch nicht feststellbar sei). So auch Ehrhard 444, der den Dichter des
CM in Rom ansiedelt: "Dem steht Oxes Beweis, daß der Verfasser von Geburt und
Bildung ein Afrikaner gewesen sei, nicht entgegen.”
48) Vgl. etwa den Fall des Agrestius (Gallier auf spanischem Bischofssitz, wodurch
in seinem Gedicht eine ungewöhnliche Kombination von Form und Inhalt zustande¬
kommt, s. Smolak, Agrest., 22). Zur Schwierigkeit, aufgrund stilistischer Erschei¬
nungen lokale Unterschiede feststellen zu wollen, s. Thraede, Studien, 7ff und Löf-
stedt, Langobard. Gesetze, 207ff, der auch die Unsicherheit von sogenannten Pro¬
vinzialismen nachweist. Im Falle des CM kommt wieder die Tatsache der Stilkonta¬
mination erschwerend hinzu; s. o. S. 18 — 21 und 26 Anm. 41.
Forschungslage/Datierung 31
Zur Widerlegung seiner Gegner bzw. zur Ausrüstung der Christen mit
Material zur Verteidigung des wahren Glaubens verfügt der Dichter
über reiche Kenntnis der christlichen Literatur, in der Prosa besonders
Tertullian, Irenäus, C. Marius Victorinus, Ambrosius, Hieronymus,
Augustin; dichterisch steht er der Tradition von Iuvencus, Prudenz,
Prosper näher als der Commodians. Die trümmerhafte Klassikerrezep¬
tion ist nur schwer einem eindeutigen Vorbild zuzuschreiben. Inhaltli¬
chen Anliegen wird vor formalen Bestrebungen der Vorrang einge¬
räumt.
Besonders zentral sind die Beziehungen zum Werk Augustins: Neben
der für die Datierung relevanten Rezeption der Civitas Dei (s. Komm,
zu 3, 14ff) sind das die Betonung des freien Willens bei der Wahl und
Ausführung des Bösen (1, 28), die Ausdeutung der Iephta —Erzählung
(s. Komm, zu 3, 117. 118) und die Gottesprädikation omnitenens (5,
202 mit Komm.), die in der christlichen Spätantike selten ist, gerade
bie Augustin jedoch einige Male vorkommt. Weniger signifikant auf¬
grund ihrer Knappheit sind 2, 144 (Rolle Adams beim Sündenfall, s.
Komm, ad 1.), 2, 146 massa ( = massa damnata ?) und 3, 8 peregre
(= peregrinatio des civis caelestis in der civitas terrena ?). Nicht an
den (späteren) Augustin schließt sich der Dichter mit seiner "gemilder¬
ten” Auffassung von der Erbsünde in 4, 43—56 an. Überhaupt ist
insgesamt die überaus eigenständige argumentative Darstellung des
Dichters hervorzuheben, was sich besonders in der reichen Typologie
und der Verknüpfung theologischer Argumente im Sinne der Widerle¬
gung des Gegners niederschlägt.
Auffallend ist ferner die häufiger auftretende Akzentuierung der beiden
Naturen Jesu Christi (4, 72; 5, 131. 196f. 2500, der die relativ vage
Terminologie bezüglich der Vermischung dieser beiden Naturen gegen¬
übersteht (1, 44 miscetur in unum; 5, 93 sociatus in uno; 5, 97
36 Theologischer Gehalt
commixtus), was auch bei Augustin noch der Fall ist, epist. 137, 2f; c.
Faust. 22, 40; serm. 291, 6; vgl. auch Ps. Prosp. carm. de prov. 464
(entstanden um 416).
Am ehesten paßt dies in die Zeit vor den Konzilen von Ephesus bzw.
Chalcedon. In 5, 172 haucht Jesus seinen Geist aus, wobei er als deus
bezeichnet wird; hierbei handelt es sich um Idiomenkommunikation.
Die Bezeichnung Christi als factor mundi in 5, 196 ist preisender
Ornat (vgl. Ps. Prosp. carm. de prov. 465f re rum creator); auch die
Formulierung in 3, 225 ecce deus Christus (vgl. Ps. Prosp. carm. de
prov. 463) darf nicht zu einer Festlegung des Carmendichters als
Modalisten verführen (schon Holl 21 Anm. 5 wendet sich dagegen);
der Ausdruck deus wird gewählt, um Christus als den Höhepunkt und
das eigentliche Ziel der vorausgehenden typologischen Kette herauszu¬
stellen und abzusetzen; neben dem engeren Kontext widerspricht dieser
Festlegung aber auch die bereits erwähnte Hervorhebung der zwei
Naturen Christi im CM. Es fehlt der Begriff persona zur Definierung
des dreifältigen Gottes; die Dreifaltigkeit insgesamt taucht nicht auf.
Orthodoxe Verhältnisbestimmung ist die Gleichewigkeit von Vater und
Sohn in 5, 201; Spiritus in 3, 68 hat die "moderne” perpetuierende
Funktion.
Die Bibelkenntnisse des Carmendichters beschränken sich nicht le¬
diglich auf die häufig gelesenen Bücher der Genesis und der Psalmen,
sondern umfassen auch den übrigen alttestamentlichen Kanon. Aus dem
NT werden ebenfalls alle Schriften berücksichtigt, besonders der sonst
im Westen eher zurückhaltend behandelte Hebräer — Brief. Kennzeich¬
nend ist eine Vorliebe für verklausulierte Anspielungen auf teilweise
entlegene Bibelstellen, was einen poeta doctus christianus ausmacht.
Die Bibelvorlage des Dichters war eine mit vertrauten altlateinischen
Lesarten vermischte Vulgata —Fassung: So steht dem hieronymiani-
schen phase in 2, 65 (s. Komm.) die altlateinische Namensform Iesus
Nave in 3, 67 (s. Komm.) gegenüber. Im Einzelfall kommt allerdings
oft die poetische Überformung hinzu, so daß die wörtliche Formulie¬
rung der Vorlage häufig nicht mehr erschlossen werden kann.
Märtyrers, die gegen Marcion gerichtet gewesen sei, als Quelle für die
Bücher 1 bis 3 des CM nachzuweisen, da der Carmen — Dichter
vollständiger daraus entnehme als Irenäus. Schon bei Loofs wurde sein
Verfahren von der Forschung kritisiert: Da viele antihäretische Schrif¬
ten gegen Marcion verlorengegangen sind, lassen sich keine eindeutigen
Quellenzuschreibungen vornehmen, zudem ist der Ansatz von Loofs
fragwürdig, aus teilweise erbaulichen Textgattungen ein geschlossenes
theologisches System entwickeln zu wollen (wobei er den fragwürdigen
Begriff ”Geistchristologie” prägt, den auch Müller verwendet, s. dazu
insgesamt ablehnend die Rezensionen von J. Lebon, RHE 26, 1930,
675 — 679 und J. Lebreton, RSR 21, 1931, 596 — 601, sowie Schnee¬
melcher 2, 212f bzw. ausführlicher die 3. Auflage, Tübingen 1964 von
Hennecke/Schneemelcher 2, 240). Dieselben Einwände lassen sich auch
gegen Müller geltend machen: Schon Bardenhewer 2, 433 wandte
gegen Waitz ein, daß Theophilus v. Antiochien als Hauptquelle des
Carmen zweifelhaft sei, da wir die Quellenschrift nicht kennen. Ebenso
machen es die bei Müller gegebenen Stellen nicht zwingend, Justin als
die Quelle des Carmen anzunehmen: Die Textbasis ist viel zu schmal,
vieles gehört zu christlichem Allgemeingut. Auch machen es das im
CM fehlende Streben, eine geschlossene Dogmatik zu entwickeln, und
die uneinheitliche Terminologie etwa für die Gottesbezeichnung unmög¬
lich, einen Begriff wie Geistchristologie zur theologischen Einordnung
des Gedichts zu verwenden.
Plausibel ist es allerdings, wegen einiger sprachlicher Anklänge den
Irenaeus Latinus als Quelle des CM anzunehmen (aufgezählt bei Müller
77 — 80; nicht zwingend sind jedoch dort ihre Folgerungen bezüglich
einer für Irenaeus und das CM gemeinsamen Justin —Quelle), wenn¬
gleich er nicht die einzige Quelle des CM gewesen sein kann, da dort
auch Elemente der Häresie angesprochen werden, die bei Irenäus nicht
Vorkommen: der christologische Doketismus und die asketischen
Grundsätze Marcions. Dagegen fehlt im CM die Vorstellung von der
"bösen Hyle", mit der der Demiurg die Welt erschaffen hat, was
Clem. str. 3, 3, 12f als marcionitisch überliefert.
Ebenso ist Victorinus von Pettaus Apokalypsekommentar (wahrschein¬
lich in der Überarbeitung des Hieronymus, jedenfalls ist keinerlei chi-
liastische Tendenz im CM festzustellen, die in der Überarbeitung von
Hieronymus ebenfalls beseitigt wurde) zwar für wenige Details ein
Anhaltspunkt, nicht jedoch für die typologischen Verflechtungen im
CM. Zu Tertullian, Ad versus Marcionem und Prudenz, Hamartigenia
s. u. S. 46f.
VII. Inhaltliche Übersicht
Buch 1
Buch 2
196-269 "Endzeit”:
196 — 214 Eschatologische Deutung der Heilstaten
Christi am Sabbat
215 — 225 Da Christus diese Taten am Körper voll¬
brachte, ist auch dies ein Beweis für die Auferste¬
hung des Leibes
226 — 239 Analogien aus der Natur für das Prinzip,
daß Vergehen die Voraussetzung für neues Werden ist
240 — 269 Zu diesem Prinzip befindet sich Paulus
nicht im Widerspruch, da caro bei ihm allegorisch zu
verstehen ist
Buch 3
272 — 302 Liste der Bischöfe Roms von Petrus bis Anicet (der
Lehrer und Hüter der christlichen Herde, die sich er¬
folgreich gegen die Irrlehrer Cerdo und Marcion be -
haupten konnten)
Buch 4
16-56 Preis der Allmacht und Liebe des Vaters, der eins ist
mit dem Sohn
16-42 Nochmalige Darlegung der orthodoxen Lehre bezüglich
des einen Gottes
43-56 Dessen Liebe erweist sich auch im "Gnadenakt” der
Sintflut
Buch 5
Das Wesen des wahren Gottes ist mit dem Eriösungswerk am Men¬
schen verknüpft
den Bücher 2 und 4 auch den größeren Versumfang hat) jeweils die
Einheit von Altem und Neuem Testament bzw. des einen Gottes
behandelt.
Darüberhinaus verbinden weitere strukturierende Verfahren das Ge¬
dicht zu einer festen Einheit. Im jeweils vorhergehenden Buch er¬
scheint ein Begriff oder Gedanke, der im nachfolgenden Buch (wört¬
lich oder paraphrasierend) aufgegriffen und weiter entfaltet wird:
1, 233f Kampf des Bösen gegen Gott durch die häretische Annahme
einer Gott überlegenen Macht / 2, 12ff Kampf des Bösen gegen Gott
durch die häretische Teilung Gottes;
2, 186 — 188. 254 enthalten das Programm für das gesamte dritte
Buch;
3 passim, besonders 250 / 4, 1 iuvenis populus liber et haeres;
4, 223 alium (sc. deum) quaerunt sub nomine ficto / 5, 31 f deus
ignotus.
Ferner wird manchmal in einer Folientechnik auf bereits benutzte
Wendungen angespielt, die nun in einem kontrastierenden Zusammen¬
hang verwendet werden: 1, 45 nova ianua vitae ( — Jesus Christus)
gegen 1, 139 nova porta gehennae ( = Marcioniten); 1, 226 vitam
non invidet ulli (sc. deus) gegen 1, 1 mens invida vitae bzw. 1, 219
causa invida vitae; 3, 102 florentes fide gentes gegen 1, 137 florentes
opibus gentes (vgl. 3, 49 florentes divitias).
Einheitsstiftend sind des weiteren Metaphern und Vorstellungen, die
sich leitmotivartig durch das gesamte Gedicht ziehen: Die Beklei¬
dungsmetapher (s. Komm, zu 1, 3), die Prophezeiung des Kommens
Christi im Alten Testament (s. Komm, zu 1, 330, das verborgene
Wirken des Teufels bzw. der Sekte (s. Komm, zu 1, 136), die Rase¬
rei und Unvernunft des Teufels bzw. der Sekte (1, 6. 111. 157; 2,
13; 3, 18; 4, 220. 224; 5, 134. 161).
Ebenso finden sich motivische "Klammern” oder Korresponsionen,
die einzelne Bücher übergreifend verketten:
Buch 1/3
— Charakterisierung des Teufels bzw. Marcions:
1, 5 tanti sceleris temerarius auctor, 1, 155 distribuit...inemendabile
crimen / 3, 301 tarn saevi criminis auctor;
1, 6 accepit maledicta merens / 3, 301 abiectus merito;
1, 26. 36 / 3, 288f;
— Kompositorische Korresponsion von 1, lff und 3, 272 ff:
Die Einreihung der Bischöfe Roms in die Kette der alttestamentli-
chen homines iusti, die ihren Glauben gegen die Irrlehrer Cerdo
und Marcion behaupten können, entspricht der Einreihung Marcions
und seiner Anhänger in den Gesamtzusammenhang der Verführung
des Menschen durch den Teufel seit Anbeginn ihrer Existenz. Da¬
durch wird Marcion vom Dichter in eben jenen Sinnzusammenhang
eingeordnet und in ihm als unterlegen erwiesen, dessen Relevanz
46 Struktur/Argumentationstechnik
Daß die Struktur des Gedichts, wie immer wieder behauptet wird
(zuletzt bei Fontaine 271 Anm. 578), vornehmlich von Tertullians
Prosaschrift Adversus Marcionem bestimmt wäre, trifft nicht zu. Die
fünf Bücher des Carmen stellen nicht eine versifizierte Epitome der
entsprechenden fünf Bücher von Tert. adv. Marc. dar. Dessen Bücher
1 und 2 leisten den Nachweis der Identität des in AT und NT ver¬
kündeten Gottes, während Buch 3 Christus als den Sohn des Schöp¬
fergottes darlegt, der als Logos die Welt erschuf. Im Carmen werden
die Themen nicht getrennt auf einzelne Bücher verteilt, sondern in
ihrer Verflochtenheit bücherübergreifend erörtert; die in adv. Marc. 4
und 5 von Tertullian geleistete kritische Analyse von Mängeln und
Widersprüchlichkeiten der marcionitischen Bibelfassung fehlt im Car¬
men gänzlich, ebenso wie die für Tertullian typischen logischen De¬
duktionen nach dem Vorbild der antiken Philosophie, z. B. zum
Struktur/Argumentationstechnik 47
Verse oben im Text nicht deutlich, was unpraktisch ist, da man nicht
bei jeder Versangabe in den textkritischen Apparat sehen möchte, ob
die Numerierung eventuell nicht die ursprüngliche ist). In 3, 161 ist
fortis (Fabricius) zu sortis bei Willems verlesen, er unterstellt jedoch
Müller, die fortis bietet, im textkritischen Apparat einen Irrtum. In 3,
163 hat Fabricius ad, nicht at wie Willems (ohne Erklärung im textkri¬
tischen Apparat). In 3, 262 hat nicht Müller subisset und Fabricius
subisse, sondern umgekehrt. In 4, 22 und 23 sind keine Angaben im
textkritischen Apparat gemacht, obgleich Willems Konjekturen späterer
Editionen übernimmt. Er übernimmt auch unkritisch prosodisch_unhalt-
bare Eingriffe seiner ^Vorgänger: 2, 78 caro töstä comedüur esca |_und
4, 158 non ümbra signäntur | von Müller, in 5, 31 | qüisnam ergo
deus nach Rigaltius, das nach nam den sonst sehr seltenen Hiat in
Kauf nimmt (zum Hiat im CM s. o. S. 25), s. auch im Komm, zu 5,
89. 211. Auch hat Willems zu großzügig und oberflächlich Änderungen
früherer Ausgaben übernommen, die z. T. unnötig bzw. spekulative
Verbesserungen sind.
In der hier vorgelegten Edition sind alle Abweichungen gegenüber
Fabricius (als der chronologisch ältesten Textfassung) im textkritischen
Apparat aufgeführt. Einheitliche, als Methode immer anwendbare Re¬
geln für falsches Abschreiben bzw. Textveränderungen durch Fabricius,
die eine Hilfe bei der Wiedergewinnung des ursprünglichen Textes
darstellen könnten, lassen sich nicht aufstellen, gegen den Versuch bei
Oxe 15. Um den Apparat zu entlasten, habe ich auf eine vollständige
Anführung aller Konjekturen sowie der in den Centonen gebotenen
Abweichungen verzichtet. Methodisch gerechtfertigt ist dies bei den
Centonen dadurch, daß diese, bedingt durch ihren intendiert konta¬
minierenden Rezeptionscharakter, keine in jedem Falle auf das CM be¬
ziehbaren Überlieferungsträger sind.
Siglenliste
Die bodenlose Ruchlosigkeit dessen, der Böses wirkt, sein dem Leben
mißgünstiger Sinn, hat die Menschen, nachdem er sie verführt und mit
nichtiger Hoffnung eingefangen hatte, ihrer Sündenlosigkeit entkleidet,
indem er sie dazu überredete, ihm den falschen Frevel zu glauben. (3)
Nicht ungestraft freilich; für die Tat nämlich empfing jener sogleich —
als Schuldiger und unbesonnener Urheber eines solch großen
Verbrechens — verdientermaßen Bannflüche. So rückte er später, des
Verstandes beraubt, weiter vor, ein äußerst verzweifelter Feind, über¬
flutete die Sinne der Menschen und tauchte sie in Dunkelheit. (9) Er
lehrte sie, den Herrn zu vergessen und von der sicheren Hoffnung
abzulassen, nichtigen Götzenbildern anzuhängen, sich eine Schar von
Gottheiten auszudenken sowie Losorakel, Deutungen von Wahrzeichen,
falsche Bezeichnungen für die Gestirne; und er lehrte sie zu glauben,
daß sie die Konstellationen von Neugeborenen sicher durch die Unter¬
suchung von Eingeweiden vorherbestimmen und zukünftige Dinge
vorhersehen könnten. (14) Diejenigen, die durch die Unverfrorenheit
der schrecklichen Zauberkunst der Abtrünnigen verführt worden waren,
trieb er dazu an, in Bewunderung des erdichteten Lehrstoffs das Leben
ungestraft für nichts zu achten und, kopfüber in verbrecherischen
Wahnsinn eingetaucht und an Blut ihre Freude habend, grausame Men¬
schenmorde anzudrohen und dann an der Verwundung am Körper eines
Mitmenschen Gefallen zu haben. (19) Auch überredete er sie dazu,
brennend und in hitziger Leidenschaft befangen die Gesetze der Natur
zu übertreten, reine Körper männlichen Geschlechts durch abscheuliche
Umarmung zu beflecken, Verkehr mit Frauen aus dem Volk zu haben,
der doch mit Befleckung verbunden und unerlaubt ist, und für ihre
Geilheit den keuschen Schoß einer Frau, der dem Familiengeschlecht
geweiht ist, zu unzüchtiger Kopulation zu gebrauchen. (25) In der
vergangenen Zeit ging er heftig zu Werke und vollbrachte solcherlei
Dinge, wobei er das Fäulnis erregende Echsengift in die dunklen Win¬
kel der Seele rinnen ließ. Nicht als ob die Menschen ihm die Schuld
daran geben könnten, denn sie folgten ihm ja aus eigenem Antrieb:
Jener überzeugte sie mit List, der Mensch führte es in freier Entschei¬
dung aus.
(29) Während er dies in einem fort durch die Jahrhunderte hindurch
hinterhältig von sich gibt und seine Intrigen verführten Herzen einflößt
— (ach!) dumm in seiner Hoffnung, er werde Gnade für sein Verbre¬
chen erlangen, da er nicht weiß, was für ein Strafurteil wegen seiner
58 I 32-67
34 loquuntur] Oe, loquentum F, locuti lege 185, locuta est Oxe, Cento,
correxit lege 185 35 audet] Oe, audens F
48 se cernere] Hü 4 Oxe 15, secernere F
Buch 1 59
hofften, und durch die Stimme der Propheten war er dem Weltkreis
wohlbekannt: Und jetzt irren diese an der offensichtlichen Schwelle
zum Tode umher und suchen den unbekannten Herrn und fallen vom
bekannten ab. (107) Deren Glaube ist falsch, falsch ihr Gott, der Lohn
nichtig, falsch seine Auferstehung, sein vollständiger Sieg über den
Tod ist falsch und seine Passion nichtig, und auch der Name Christi
("gesalbter Erlöser”) ist dann wertlos. (110) Indem sie lehren, daß
dieser einer Zauberwolke gleich gekommen ist, bekennen sie gleichzei¬
tig in ihrem Wahnsinn, daß er der Vortäuscher einer Tat ist und nicht
irgend etwas erlitten hat, daß auch das Volk der Juden ohne Verbre¬
chen ist. So soll der wahrhaftige, zu seinem Wort stehende Gott sein ?
Solche Ehren werden dem Herrn dargebracht ? Ach, ihr Elenden, die
ihr umsonst in einem unwillkommenen Tod zugrunde geht! (115) Die
ihr unter einem blinden Führer kopfüber in Gräben stürzt, ihr erhofft
— so wie im Schlaf der Reiche über das Geschenk eines Schatzes
jubelt und es mit seinen Händen festhält, da er durch eitle Hoffnung
genarrt wird — betrogen den leeren Schatten eines Geschenkes.
(119) Ah! Erhofft ihr, die todgeweihte Beute für den Rachen der
aufgeblähten Schlange, in eurem Trotz etwa anstelle des Friedens den
hinter lügnerischen Verlockungen verborgenen Tod ? Ihr wagt es, Gott
zu schmähen, der solch große Dinge erschaffen hat ? Auf dessen Erde
ihr, ohne dessen gewärtig zu sein, die Güter preist und genießt, die er
in übergroßer Vaterliebe großzügig ausgestreut hat, den Schöpfer selbst
lehnt ihr ab, während ihr seine Werke begrüßt, den Erbauer der Welt,
dessen Werke auch ihr selbst seid ? (126) Der euch Geringen große
Ehren geschenkt hat, Früchte hingesät hat, euch alle anderen Lebewe¬
sen untertan gemacht hat, der die Jahreszeiten durch die sichere Abfol¬
ge der Monate fruchtbar macht, der süße Spezereien, mannigfaltige Ge¬
tränke, üppige Düfte, liebliche Blumen und willkommene Schatten der
Haine verteilte sowie den heranwachsenden Kräutern wunderwirkende
Säfte, der die Quellen und Flüsse mit süßen Wogen verströmen läßt,
mit Sternen den Himmel und den gesamten Erdkreis erleuchtet, er, der
unermeßliche, alleinige Herr, der gerecht wie auch gut ist, aus seinem
Werk erkannt wird, vom Anblick her jedoch niemandem bekannt ist.
(136) Obgleich die Heidenvölker diesen, da sie ungebildet und mit
Irrtum überhäuft sind, aber in Reichtum blühen, mit einem anderen,
fremden Namen preisen, scheuen sie sich dennoch, wissend, den
Schöpfer zu schmähen. Keiner außer euch tut es so sehr, ihr neue
Pforte zur Hölle, die ihr in Undankbarkeit euch dafür entscheidet,
64 I 140-175
euren Herrn zu schmähen. (141) Diese grausigen Gaben des Todes hat
euch der schreckliche, abgefallene Engel durch Marcion, dessen Lehrer
Cerdo war, zukommen lassen. Und es kommt euch nicht in den Sinn,
daß der Gefallene euch verführt hat und (das ist das Letzte!) vom
Namen Christi weg hin zum Namen Marcions brachte. Sagt an, welche
einzige von den vielen Taten Gottes erregt euer Mißfallen ? Oder was
hat Gott getan, was nicht mit Lobpreis angeführt werden müßte ? (147)
Etwa jenes, daß er es zuläßt, daß ihr, seiner allzu großmütigen Geduld
unwürdig, das liebliche Tageslicht erschaut ? Was ihr Wahres und
Kurzgefaßtes lest, das beurteilt ihr falsch, was ist und was später sein
wird, das ist nach eurer Meinung früher geschehen. Was macht es da
für einen Unterschied zu glauben, daß es euren Unglaublichen gibt ?
(152) Und es ist nicht verwunderlich, wenn der Böse in seinem Li¬
stenreichtum euch Waffenlose einfing, indem er euch davon überzeug¬
te, daß es zwei Gottväter gebe (wobei doch er selbst von dem einen
einzigen verdammt ist!), daß es also Götter gebe, er, der am Anfang
alle verführte, später aber unter vielen eine verderbliche Pestseuche
verbreitete, die sich mit mannigfacher Sünde verströmte, und (unsühn-
bares Vergehen!) abscheuliche Leute, die angefüllt sind mit jedem
Wahnsinn der Zauberei, dazu überredete, daß sie sich die "Höchste
Tugend” nennen ließen, daß sie mit einer Hure Frevlerisches erdichte¬
ten, durch die Lande zogen, Flugversuche unternahmen. (160) Und bei
Valentin gibt es einen wahnsinnigen Gott, und er teilte dem Pieroma
dreißig Äonen zu und den vollkommenen Äon Bythos ("Tiefe”) als
Gottvater; er lehrte, zweimal zu taufen, wobei der Körper durch die
Flamme hindurchgeführt wird. (163) Er befahl dem Basilides zu glau¬
ben, daß es so viele Götter gebe, wie das Jahr Tage hat, und daß es
ferner auch soviele Welten gebe. Mit Marcus stritt der Teufel scharf¬
sinnig in Zahlenspekulationen und überantwortete es ihm, keusche
Jungfrauen gewaltsam zu Magierinnen zu machen, Wein in der Schale
anzubieten und ihn durch Gebete in Blut zu verwandeln. Den Hebion
überzeugte er davon, daß Christus aus menschlichem Samen geboren
ist, und er lehrte, sich zu beschneiden und sein Leben nach dem Ge¬
setz des Alten Testaments einzurichten, also unter Vernachlässigung
der neutestamentlichen Quellen die Elemente dieses Gesetzes wieder
aufzugreifen. (171) Ich will nicht die äußerste Schandtat mit Worten
ausbreiten noch alle Fälle oder alle Namen nennen. Es ist genug, mit
wenigen Andeutungen viele Grausigkeiten zu kennzeichnen und die
unaussprechlichen Menschen und die scheußlichen Werkzeuge der
Schlange, durch die er jetzt so viel Verbrecherisches feindselig spricht
66 I 176-211
und dadurch ständig bemüht ist, den Schöpfer der Welt zu schmähen.
(177) Jedoch: Zieht euren Fuß zurück aus der Höhle des grausamen
Räubers, solange noch Zeit dazu gegeben ist und der geduldige, in
seiner Vaterliebe unvergängliche Gott den Elenden alle aus Irrtum
begangenen Taten vergibt. (180) Glaubt an den wahren Gottvater, der
in Wahrheit den Erdkreis geschaffen hat, der den wahren Herrn ge¬
sandt hat, um die gefallene Menschheit zu erneuern und denjenigen,
die dem Gesetz nicht gemäß und im Strudel der Sünde versunken sind,
das durch die Propheten schon lange versprochene Heil zu bringen.
(184) Der die Gebote gegeben hat, der erläßt auch die Sünden. Der
Herr fordert hier verdientermaßen etwas ein, da er es ja zuvor als
Kredit gegeben hat, oder er verschenkt es großzügig an seine Diener,
als ob er es ihnen schuldete. Schließlich befiehlt er selbst, die in die
Irre gegangenen Völker, die die Strafe eigentlich verdienen, alle zu
taufen, nachdem er den Schuldschein durchgestrichen hat.
(189) Ferner glaubt der Mensch als Ganzes und wird als Ganzes ge¬
tauft. Er enthält sich der Nahrung oder erleidet um des Namen Christi
willen in Wahrheit Wunden, als wahrer Mensch ersteht er auf, in
Wahrheit wird der Tod besiegt verstummen; aber es wird nicht nur ein
Teil des Menschen, nämlich die Seele, unter Zurücklassung des ande¬
ren Teils von sich, die Siegespalme empfangen, die die Seele zugleich
in Verbindung mit dem Leib verdient, da sie mit dem Gefährten
Fleisch Strapazen erleidet und im Stadion kämpft. (195) Es wäre ein
großes Unrecht, daß zwei durch Fesseln vereint eine große Last tragen,
von denen der eine reich ist und der andere arm, und daß dann der
Elende verachtet wird und der Wohlhabende den Lohn bekommt. Dies
tut der Gerechte nicht, der ausgleichende Vergelter des Lohnes, sowohl
gut als auch reich, der, wie wir glauben, alles vermag, der leutselig ist
gegenüber den Undankbaren, ein Wille voll von Erbarmen. (201) Ja
vielmehr wird der Reiche alles, was der Arme entbehrt, aus eigenem
Antrieb dem Armen abgeben, dem ja die größere Bedürftigkeit an
Vergänglichem inne ist, so daß er, da ihm der Vorzug gegeben wurde,
sich seinem Mitmenschen gleichstellen kann; so ist es befohlen, zu
glauben und nicht in unerlaubter Weise den Herrn dadurch schmähen
zu wollen, daß man lehrt, daß der, weil er die Seele erweckt, als ob
sie allein den Fall erlitten hätte, sie vom Tode befreit und daß das
Vermögen zu leben für sie bestehen bleibt, erworben allein durch ihren
Verdienst, da sie sich ja tapfer bewährt hat, und daß das Fleisch, ob¬
gleich es immer am Los der für beide gemeinsamen Mühe teilhatte,
auf der Erde zurückgelassen wird und auf ewig eine Beute des Todes
ist. (210) Also hat die Seele des Menschen Gott mit ihren tapferen
Taten gefallen ? Keinesfalls vermochte sie allein ohne das Fleisch
68 I 212-242
Nachdem der Glaube zerbrochen war, als die Überläufer des Feindes
lebten und die Pestseuche auftauchte, aus Listen zusammengeballt und
verhüllt, da ersann der lügnerische Sinn des Teufels aus eigenem An¬
trieb, unter Verachtung der Gottheit, Angriffe gegen die Rechtgläubi¬
gen und war auf diesem ränkevollen Pfad verschlagen: (5) Er ver¬
mischte seine ruchlosen Worte mit den Aussprüchen der Heiligen und
säte unter den guten Samen elendes Unkraut, in der Absicht, daß da¬
durch der Grund für das Verderben völlig feststehe, indem er nämlich
seine sündigen Taten durch Gott unterschreiben lasse und so schneller
den Überredeten die Strafen anheften könne; dabei deckt er Falsches
mit Wahrem zu und verkehrt das Rauhe zu Weichem und läßt mit
einer Lanzenspitze, die durch Rosenkränze unsichtbar gemacht wurde,
schließlich die Arglosen in unvorhergesehenem Tode zugrunde gehen.
(13) Er zwang die in Wahnsinn befangenen Menschen zu solch
großem Frevel, daß sie, vom wahren Glauben losgerissen, die ewig zu
fürchtende Gottheit in Teile trennten, die erhabenen Taten Christi mit
falschem Lob umgaben und die Taten des Alten Testaments schmähten,
die ungezählten Wunder Gottes, die niemals zuvor gesehen noch gehört
noch von irgendeinem Herzen verachtet worden waren, (18) und daß
sie so blindlings ein frevlerisches Verbrechen mit Worten formulierten,
nämlich daß die beiden Testamente im Widerspruch gegeneinander
klingen, und daß sie beweisen wollten, daß die beiden Testamente von
stark unterschiedlicher inhaltlicher Bedeutung sind, daß sie die Worte
des Herrn gegen die der Propheten ausspielten, daß sie den gesamten
Stoff des Gesetzes, wie wenn er ruchlos wäre, wegstrichen und das
Leben der heiligen Väter in der Frühzeit verwarfen, die sich Gott doch
zur Freundschaft auserkoren hat für seine Gaben. (26) Von den Mar¬
cioniten wird nur ein kleinerer Teil der Schrift ohne den Anfang ange¬
nommen, nämlich von vier Evangelien ein einziges, wo es doch vier
aus einer einzigen Quelle sind. Diesen ist dennoch nur ein einziger Teil
willkommen, sie verschmähen kurzum die drei restlichen Teile und
nehmen in vielen Dingen Paulus als Gewährsmann für sich in An¬
spruch. (30) "Und gewiß doch hat sich Paulus von sich aus zu den
bedenklichsten Formulierungen verstiegen.” Denn alles, was auch
immer er über den Alten Bund gesprochen hat, erscheint ihnen mit
gutem Grund anstößig, da sie ja in ihrem Innern verstockt sind. (33)
72 II 33-68
Die Gewichtigkeit des Apostels und die Gnade des strahlenden Wortes
blendet ihren Sinn, und sie können nicht deutlich wahrnehmen: Was
durch den Geist emporgehoben wurde, halten sie in ihrer Verblendung
für fleischliche Worte. (36) Aber ihr, die ihr noch nicht unter der
Führung einer falschen Gottheit in eurem Sinn selbst verworfen und
tief bis in das Innerste des Todes vorgedrungen seid, lernt, daß von
der Quelle ein ewiger Strom entspringt, der das Holz des Lebensbau¬
mes nährt (aus Gnade zweimal je sechs Früchte) und sich auf die Erde
verströmt und in die vier Himmelsrichtungen des Erdkreises: In so
viele Richtungen fließt die eine einzige Farbe und der eine einzige
Geschmack der Quelle. (42) So hat auch die Kirche nach dem aposto¬
lischen Wort ihren Anfang genommen aus dem Leib Christi, sie, voll
der gesamten Herrlichkeit des Vaters, um das Schmutzige aufzulösen
und um das, was gesät worden und gestorben ist, wieder lebendig zu
machen. (45) Der umfassende Lehrer Paulus übergibt den Völkern das
einzige Evangelium, das sich vierfach ergießt und das er durch seinen
auserwählten Glauben empfangen hat und das ohne den Makel der
Verfälschung rein ist, und er verbot sogar den frommen Galatern, von
diesem abzuweichen, als diese durch falsche Brüder belehrt wurden,
dem alten Schatten der zukünftigen Welt zu dienen, und sie dazu über¬
redet wurden, sich zu beschneiden und den alttestamentlichen Glau¬
bensgrundlagen allein Folge zu leisten unter Aufgabe der neugewonne¬
nen Freiheit. (52) Diese Argumente wußte Paulus für die Galater
zusammenzutragen, damit sie nicht einen bescheidenen Teil des Evan¬
geliums anstelle des gesamten Schriftkörpers annähmen unter Aufgabe
des größeren Teils. (55) Und tatsächlich besteht das Evangelium nicht
aus den Worten des Buches, sondern aus Christus selbst, der auf die
Welt gesandt worden ist — wenn ihr euer Augenmerk darauf richten
wollt —, er allein, der vom Vater gekommen ist, die frohe Botschaft
mit sich tragend, dessen unermeßliche Herrlichkeit das bereits zuvor
Bezeugte erfüllt, indem er durch sein Werk klar anzeigt, wie groß der
Schöpfer des Erdkreises ist. (60) Dessen Taten, die zugleich mit Ge¬
sprochenem verbunden sind, zeichneten jene Getreuen, nämlich Mat¬
thäus, Marcus, Lucas und Johannes, unverfälscht auf, ohne etwas zu
sagen, was außerhalb der Wahrheit steht, da doch der Heilige Geist
Gottes ihnen gegenwärtig ist, ein so erhabener Lehrmeister.
(64) Dieses Paschalamm wird als Opfertier am Kreuz aufgehängt; in
seinen Weisungen für Korinth überliefert Paulus, daß dieses Pascha¬
lamm geschlachtet worden ist und daß es Leben und Gott sein wird,
was den Vätern verheißen worden war, die es zuvor für sich gewonnen
hatte. Betrachtet, was die Tapferkeit, was die Erscheinung des Pascha¬
lamms vermag. So werdet ihr sehen können, was das wahre Pascha-
74 II 69-104
76: Ex 12, 13; Hbr 11, 28 77sq: Ex 12, 7-14. 21-27 79: los 3, 7-17
80: los 5, 10 92-96: Hbr 9, 13sq; 10, 4 99: Is 1, 11; Hbr 10, 5sq
lamm ist. Damit der gläubige Vater und Prophet, dem das Pfand und
der Erbe, den Gott jenem wider die Natur geschenkt hatte, teuer war,
diesen nicht für Gott schlachtete, als er in seiner Liebe zu Gott auf die
Probe gestellt wurde, ob sie sich bewähren würde (eine große Qual!),
wurde heiliges Blut für dieses Blut gegeben: (74) Ein mit dem Haupt
in den Dornen verfangenes Lamm wird Abraham gezeigt als ein Gott
heiliges Opfertier, durch dessen Tod er gesühnt werden sollte, so wie
zum Zeichen und Pfand für das von der ägyptischen Gefangenschaft
ausgezehrte Volk die Türpfosten und der Türsturz mit Blut gekenn¬
zeichnet werden (unermeßliche Hilfe!); das Fleisch ist, wie man glaubt,
eine das Heil bezeugende Speise. (79) Josua richtete, nachdem er den
Jordan durchquert und sich des Landes bemächtigt hatte, nach dem
Gesetz freudig die Paschafeier ein und opferte das Lamm. Auch die
übrigen großen Könige und heiligen Propheten wußten genau um die
Verheißungen des sicheren Heils, und da sie voll Furcht waren, das
gewichtige Gesetz zu übertreten, feierten sie — während die eigent¬
liche Herrlichkeit erst mit dem Erscheinen der höchsten Tugend kom¬
men wird — gemäß der Ordnung das Paschafest, aber nur als ein
Abbild, das man durch einen Spiegel betrachtet.
(86) Schließlich wirst du, wenn du mit flinkem Verstand zu den
Anfängen zurückgehst, Todesschicksale als Folge von allzu frevleri-
schen Worten finden. In seiner Arglosigkeit — (ach!) bereitwillig der
Hülle des Lebens entkleidet, damit der Mensch mit den Fellen des
Lebens bedeckt werde — wird das Lamm aufgehängt und tötet die
Sünden ab und vernichtet mit seinem Blut den Tod und hüllt die Nack¬
ten ein und hegt mit seinem Vlies die Wunde. (92) Ist denn das Blut
eines Tieres mehr wert als das Blut eines Menschen, so daß es, darge¬
bracht für die Sünden, den Zorn Gottes vertilgt ? Oder vermochte denn
das Lamm, wie wenn ein Lamm wertvoller wäre, als gewaltige Hilfe
eines zahlreichen Volkes und als Schirmherr eines so großen Heils,
indem es dargeboten wurde, ein ausreichender Preis für die Erlösten zu
sein ? (97) Jedoch der allgewaltige Gott, der Schöpfer des Himmels
und der Erde, unermeßlich, lebendig, vollkommen, unvergänglich in
seinem Lichte, wird dadurch nicht besänftigt, und er freut sich auch
nicht über das Blut von Tieren. Es müßte alles Vieh geschlachtet
werden, jede Herde müßte an den Altären verbrennen, damit durch
Sühnung auch nur ein einziger wohl Gnade für seine Sünde erwirken
würde. (102) Umsonst hätte das befleckte Abbild des weisen Herrn als
schändliches Fleisch für einen so geringen Preis Ehren bereitet; son¬
dern die Hoffnung und der den Sterblichen einst verheißene Glaube,
76 II 105-140
das Abbild der erhabenen Vernunft, vollbrachte diese Werke, die vom
Vater zuvor ersonnen und in übergroßer Liebe bereitet worden waren:
(107) Daß nämlich Christus auf die Erde kommen und Mensch sein
werde. Als Johannes ihn erblickte, der erste Wegbereiter der Taufe
und zum Kreis der Propheten gehörend und gewiß auch ein gewaltiger
Gesandter des Herrn, geschickt als sicherer Vorbote und getreuer
Zeuge, kärglich in seinem Lebensunterhalt, jedoch mit erhabenem Lobe
ausgezeichnet, (112) da zeigte er denen, die schon lange das wahre
Paschalamm Gottes suchten, daß es endlich gekommen sei als Sühne
für die sündigen Taten der Menschheit, das die Vergehen von vielen
durch sein Blut sühnen soll, gegenüber den Verworfenen aufrecht und
voll Liebe, für die Eitlen der einzige Retter, mit seinem Leib ein
Mensch und seiner Lebenskraft ein Gott, damit er als geschlachtetes
Lamm uns annehme und sich selbst für uns verströme: (118) So hat es
dem Herrn gefallen, den hoffärtigen Tod seiner Rüstung zu berauben.
So wird der erbärmliche Mensch auf das Heil hoffen können. Diesen
preist Paulus als das geschlachtete Paschalamm. Es leidet nicht die
äußere Gestalt des erhabenen Herrn, einem einfältigen Vieh ähnlich,
weswegen er Lamm genannt wird, (123) sondern weil er diese Körper
mit erneuerter Wolle kleidet, gibt er vielen eine Bedeckung, aber
niemals erleidet er selbst eine Einbuße. So bedeckt der Herr durch die
Kraft des Vaters die Entblößten, die er vom Tode freikaufte, mit
seinem Lichte, das immer in jenem ist.
(127) Ferner sucht der Hirte selbst das Schaf, das er verlor. Seine
Stärke ist bereit, auf die Dornen des Weges zu treten und die rasende
Tollheit des Wolfs zu überwinden und sich der Tiere wieder zu be¬
mächtigen und sie ihm tapfer, unter Verachtung seiner Fangzähne, aus
eigenem Antrieb zu entreißen, und deshalb wirft er sich ihm als Löwe
entgegen, verhüllt mit der Haut eines Schafes und täuscht mit seiner
äußeren Erscheinung den blutigen Rachen des Räubers. (133) So sucht
Christus überall den mit Gewalt gefangengehaltenen Adam, indem er
selbst den Weg beschreitet, auf dem der Tod das Verderben bewerk¬
stelligte, und indem er alle Erinnerungsmale der Menschen der Vorzeit
durchgeht und sie einzeln durchmustert, als das eine Vorbild für alle
Vorbilder, (137) und indem er von seiner Menschwerdung im Mutter¬
leib an den feindlichen Tod zu vertreiben begann, der im Schoß zu¬
gleich mit dem Samen des Fleisches empfangen wird, und indem er in
verschwiegener Weisheit alle Lebensalter durchschritt, die Schulden der
Menschheit auf sich nahm und bereit war, alle reinzuwaschen und dem
78 II 141-175
144 reliquit] Pam, relinquit F 148 nata] Hü 6, nato F 149 debito] Pam Rig
debita F 153 mortis] Pam, mortem F 156 socia ... vita] F Rig, sociam ... vitam
Hü 6 Oxe 10 n.3;15; al. al. 161/160 ordinem versuum recte mutavit Oe
161 clarissimus] Pam, carissimus F 165 vitam] Mü (cf. 2,166.175), mortem F
reliquit] Pam, relinquit F 171 victum] Oe, fictum F
Buch 2 79
hatte. (176) Dieser Weg war die Ursache des Todes, derselbe Weg
wurde zur Ursache des Heils gemacht; jener war der Sendbote der
Hinterlist, dieser aber ist der Sendbote des Friedens; eine Verlobte
brachte dem Mann das Schicksal der Sterblichkeit, aber eine Verlobte
gebar dann auch den Löwen; eine Jungfrau fügte dem Mann Schaden
zu, aber es siegte auch ein Mann, aus einer Jungfrau geboren. (180)
Als eine Vorprägung dafür wurde aus der Seite Adams, nachdem der
Körper in den Schlaf gewiegt worden war, die Gattin genommen, die
eine Rippe des Gatten gewesen war; erwachend nannte er sie Fleisch
von seinem Fleisch und Gebein von seinem Gebein, mit weissagendem
Sinn sprechend.
(184) Wunderbarer Glaube! Paulus, verdientermaßen der zuverlässig¬
ste Gewährsmann, lehrt, daß Christus vom Himmel herab der zweite
Adam ist. Die Wahrheit selbst erstrahlt, sich ihre eigenen Vorbilder
zunutze machend. Und sie wünscht nicht, aus dem Unbekannten heraus
ihre kühnen Schritte darzutun; dies ist das Werk eines Armen, der der
eigenen Wirkkraft entbehrt. (189) Der große Paulus lehrte diese Ge¬
heimnisse, die man ihn selbst gelehrt hatte, wobei ihm natürlich deut¬
lich vor Augen stand, daß deine Zier, Kirche, in Christus besteht. Aus
der Seite seines entseelten Körpers, der hoch oben am Holze hing,
strömten Blut und Wasser. Das Blut war die Frau, das Wasser war das
neue Geschenk der Taufe, dies ist die Kirche, die wahre Mutter des
lebendigen Volkes, neues Fleisch vom Fleisch Christi und Gebein von
seinem Gebein.
(196) Der Ort ist Golgatha, einst der Schädel eines Hauptes; die
! Sprache der Väter bezeichnete früher so jenen Ort mit dem Namen;
hier ist der Mittelpunkt der Erde, hier ist das Zeichen des Sieges.
(199) Unsere Vorfahren lehrten, daß hier ein großer Knochen gefunden
wurde, wir haben erfahren, daß hier der erste Mensch begraben ist,
hier leidet Christus, von heiligem Blut wird die Erde feucht, damit der
Staub des alten Adam, vermischt mit dem Blut Christi, durch die Kraft
des rinnenden Wassers erweckt werden kann. Dies ist das eine Schaf,
das der Hirte gemäß seinem Beschluß am Sabbat lebendig aus der
Höhle der Unterwelt emporführte. (206) Daher heilte Jesus die abge¬
storbenen Glieder von allem Fleisch an Sabbaten, und er brachte das
Augenlicht eines von Geburt an Blinden, das er noch nicht verliehen
hatte, zur Vollendung, so daß er sehend wurde, und er rief einen gänz¬
lich entseelten Menschen an einem Sabbat lebendig aus seinem Grab
unter der Anwesenheit des Volkes, er selbst der Schöpfer von Neuem,
er selbst auch der gütige Wiederhersteller des Alten und somit ergän¬
zend, was fehlte, und zurückgebend, was verlorenging. Er lehrte, daß
82 II 213-248
214 facturum] Mü, facturus F 215 quid] Pam, quod F salutis] Pam, saluti F
218 revocabit] Oe, revocavit F 224 se crimine iactent] Mü, de crimine Iactent F
225 mortis] Mü, morti F 228 stringuntur] Mü, stringentur F
234 deficiunt] Pam, deijciunt (sic) F
Buch 2 83
er imstande sei, dies bei Anbruch des Heiligen Tages für diejenigen,
die hofften, er werde es tun, vollständig gemäß der getroffenen Abma¬
chung zu tun.
(215) Wie ? Wenn das Fleisch stirbt und ihm gar keine Hoffnung auf
Heil gegeben wird, was für Gründe hatte Christus dann, sich die
scheinbare Gestalt eines Menschen zu geben und Menschen zu heilen
und Sorge um das Fleisch zu haben ? Wenn er die wenigen mit ihren
Leibern erweckt, warum sollte er nicht auch alle so erwecken ? Die
Verderbnis ist fähig, einen Körper zu verflüssigen und aufzulösen, und
da wird die Kraft des Herrn nicht imstande sein, den aufgelösten
Körper wieder zu erwecken ? (221) Diejenigen, die glauben, daß ihre
Körper mit dem Tod nicht aufgelöst werden, vertrauen dem Herrn
nicht, der ihre untergetauchten Körper wieder erheben will; und sie
behaupten, daß Gott nicht das Gute leisten wolle und nicht dazu fähig
sein kann, und sie wissen nicht, mit was für einem großen Verbrechen
sie sich brüsten, indem sie es wagen, bedeutungslose Begleitumstände
des Todes der göttlichen Macht voranzustellen.
(226) Im Keim ist der Baum verborgen, und dieser spendet keine am
Baum prangenden Früchte, wenn er nicht, in Erde eingegraben, ver¬
modert. Schon ziehen sich die flüssigen Wasser zusammen; in brausen¬
der Unbiegsamkeit entstehen Felsen und werden immer bestehen, wenn
nicht eine große Kraft sie auflöst, da eine weich atmende Wärme ein¬
dringt. (231) Im zierlichen Körper eines Weinstöckchens ist eine ge¬
waltige Rebe verborgen; wenn du sie suchst, ist sie nicht da; wenn
Gott es will, sieht man, daß sie da ist. An den Bäumen verwelken
abgestorben die Blätter, an den Dornbüschen die Rose, auf den Feldern
die Keime, und kommen doch wieder lebendig hervor. (235) Diese ruft
Gott für den Menschen vor seinen Augen hervor und gibt den Dingen
eine neue Gestalt, die er doch in seiner Fülle am Anfang alle um des
Menschen willen im Überfluß geschaffen hat. Alles Nackte kommt zu
Fall, er kleidet jedes einzelne mit seinem Körper: Warum sollte er
allein den Menschen, dem er solch große Ehren reichlich austeilte,
nicht in solch umfassender Beschaffenheit zu sich rufen, den Men¬
schen, den er als Herrn über alles geschaffen hat ?
(240) Also wird dem Fleisch und dem Blut die Würdigkeit des Rei¬
ches Gottes abgesprochen, als ob Paulus im eigentlichen Sinn über das
Fleisch gesprochen hätte. Jener lehrte freilich Großes, aber die selbst¬
gefälligen Herzen glauben, daß er mit einer wörtlich gemeinten Predigt
lehre; aber er wollte, daß über die alten Taten mit der Bezeichnung
"Fleisch” und "Blut” gesprochen wird, denn er erinnerte sich seines
großen himmlischen Lehrers, der denen, die durch das Wasser der
Taufe von ihm hervorgebracht wurden, den Namen seiner Ehre
schenkte und ein Pfand von seinem Geist herabströmen ließ, so daß
die, die durch dessen Kraft erlöst worden waren, mit ihrer Erneuerung
84 II 249-269
auch den Namen von dessen Ehre erhielten. (250) Also, da ja die
Völker noch nicht durch seinen Quell wiedergeboren waren, sondern
noch mit alten Schmutzschichten bedeckt waren (dies ist die Schuld des
Todes), versagte er aufgrund der alten Angelegenheit das himmlische
Königreich und sagte, daß das Menschengeschlecht wiedergeboren
werden müsse: (254) Was vom Fleisch geboren worden ist, ist Fleisch,
was vom Geist geboren worden ist, ist Leben, das die neuen Abkömm¬
linge der alten Wurzel in Herrlichkeit verwandelt, damit nicht mehr
gesagt wird, daß der von der alten Wurzel abgelöste Körper vom
Fleisch abstamme; (257) diesen Gedankengang verfolgt Paulus, so hat
er über das Fleisch gesprochen. Schließlich sagte er, man müsse ein
Gewand überziehen, diese vergängliche Ausstattung, das sterbliche
Äußere müsse bedeckt werden, es werde kein anderer Körper verlie¬
hen, sondern zuerst werde jener waffenlose Körper von allen Seiten
gänzlich mit dem weiten Reich Gottes umgeben: (262) ”In einem Au¬
genblick wird die äußere Erscheinung verwandelt werden”, sagt er.
Wie sich die äußere Erscheinung von rotem Wachs ausdehnt und das
Gras seine eigentliche Farbe unter der gleißenden Sonne verändert, so
wird sich dasselbe Fleisch, von der strahlenden Herrlichkeit empfan¬
gend, immer in Jubel freuen und vom Tode frei sein und dabei laut
ausrufen, daß der grausame Feind des Leibes gänzlich besiegt ist,
(268) daß der Tod vom Siege des tapferen Christus verschlungen
worden ist, und es wird dabei unendliche Lobpreisungen für Gott zu
den höchsten Sternen tragen.
86 III 1-32
Schon hat sie geboren, die Mutter, die einst mit Beinamen ”die Un¬
fruchtbare” hieß, und schon freut sich das neue Volk, das von einer
Freien geboren wurde, nachdem die Sklavin verdientermaßen mit ihrem
Nachwuchs vertrieben worden war aufgrund ihres Stolzes; (4) nicht
mehr willkommen verließ sie auch die Wasser der lebendigen Quelle,
und unter glühendem Gestirn umherirrend trank sie von lauem Wasser.
Und schon können die Völker sogar Abram "Vater” rufen, die der
Stimme des Herrn auf ähnliche Weise wie dieser Folge geleistet haben
und alles zurückgelassen haben, um sich in der Fremde dem widrigen
Leben zu stellen. (9) Freue dich, o Unfruchtbare, empfange das ver¬
heißene Volk! Brich in Jubel aus und jauchze, die du zuvor mit keiner
Nachkommenschaft gesegnet warst, und über die durch die Propheten
einst der Geist gesprochen hat! Diese hat ein einziges Volk geboren,
das aus vielen Völkern besteht, seit dessen Anbeginn seine frommen
Mitglieder immer Leid erduldeten:
(14) Aus diesem stammt der gerechte ABEL, der Hirte und Aufseher
über das Vieh, den einst die Gewalttätigkeit der brüderlichen Rechten
tötete. Der aus diesem stammende ENOCH (ein in seiner äußeren
Würde ausgezeichnetes Mitglied aus der Gesamtheit) rief die von Gott
abgewichenen Völker, die dem Verbrechen anhingen, planvoll zurück,
während auf Erden die Schar der abtrünnigen Räuber wütete, damit das
frevlerische und grausame Geschlecht der Giganten die Flucht ergreife,
wobei er selbst in allem gläubig blieb. (21) Mit seinem unendlichen
Seufzen fand er bei Gott geneigtes Gehör, und verdientermaßen wurde
er aufgrund seiner Mühe entrückt und als Pfand für die Völker in
großer Ehre bewahrt. Der in seinem Ruhm vollkommene und ohne
Schuld befundene NOAH, der — wie Gott es bezeugt — in einem
abtrünnigen Volk ein Gerechter blieb, der in zweimal je fünfzig Jahren
die Arche baute, verkündete mit seinen Taten und mit seiner Stimme
den kommenden Untergang; (27) er hat sich Verdienste erworben und
wurde deshalb aus den so gewaltigen Fluten des Todes gerissen, und
mit seiner Nachkommenschaft wurde er gerettet, und es folgte ein
neues Geschlecht. Dazu gehört auch ABRAHAM, dessen Nachkommen
zu sein ihr abstreitet, der als erster unter Zurücklassung von Stamm
und Vaterland und Vater, durch die Stimme Gottes überzeugt, auszog
in fremde Königreiche, und würdig verdiente er sich so große Eh¬
renbezeigungen seitens des erhabenen Gottes, Vater zu sein den Hei-
88 III 33-68
denvölkern und den gläubigen Völkern. (34) Zusammen mit den Vä¬
tern, deren Vater er selbst ist, kündete JAKOB im voraus während der
gesamten Spanne seines Lebens durch seine Worte, Handeln, Tapfer¬
keit und Mühsal die überaus beglückenden Zeiten Christi an. (37) Auf
diesen folgt JOSEPH mit der trotz seiner Makellosigkeit so schmachbe¬
ladenen Jugend, die gegen ihn ausgesonnene Schurkerei der Kerkerhaft
und der harten Strafe, der Ruhm nach der seufzerreichen Plage und die
glückhafte Verleihung der Krone über das Königreich und die Macht,
freigebig in der Hungerszeit Brot auszuteilen. (41) Dieses so leuchtende
Abbild des Lichts, das so kennzeichnend für Christus ist, ist allen
offenbar, die einen erleuchteten Verstand besitzen, so daß sie im Spie¬
gel der Gestalt Josephs die festgegründete Hoffnung erblicken können.
(44) JUDAS selbst ist auch ein Vater, der Ahnherr eines königlichen
Geschlechts, von ihm stammen die Führer ab, aus deren Samen es
niemals an Königen fehlte, bis die Macht, die kommen sollte und auf¬
grund der Verheißung von den Völkern lange erwartet war, tatsächlich
dann auch kam. (48) Der Führer des Volkes, MOSES, der die
Schwellen des ägyptischen Königshauses zurückließ aus Geringschät¬
zung der Reichtümer, die nur eine kleine Zeit üppigen Bestand haben,
wollte lieber hart mitgenommen die Strapazen des Volkes mit darunter
gestemmtem Nacken tragen, durch keine Drohungen eingeschüchtert,
als sich Annehmlichkeiten zuzugestehen und viele Mühseligkeiten zu
erlassen, und — wunderbar aufgrund seines großen Glaubens und der
so großen Liebe — gewappnet mit der Tapferkeit Gottes vollbrachte er
großartige Taten: (55) Er beutelte das Volk der Ägypter mit Plagen
und verließ ihr Land, er richtete ihren unbeugsamen König zugrunde
und führte sein eigenes Volk zurück, er durchtrat die Fluten, tauchte
die Feinde in den Wogen unter, er machte durch das Holz das Wasser
süß, das immer bitter gewesen war, er sprach viel mit Christus — für
sein Volk offenkundig —, er, von dessen Angesicht das Licht und von
dessen Antlitz der Glanz Gottes erstrahlte; (61) das von Gott empfan¬
gene Gesetz verbreitete er durch wenige Gehilfen auf dem Erdkreis
(darin sind zuverlässige Beispiele seiner eigenen Mühen enthalten), er
schlug an den Felsen, auf Geheiß hin ließ er auch Wasserströme flie¬
ßen, und er streckte die Hände aus, damit er in diesem Zeichen den
Feind besiege. Alle Taten sprechen von Christus, alle auch nur durch
Christus. Dieser Moses, treu in seiner Pflicht und groß, kam in ruhm¬
vollem Frieden zur Ruhe. (67) Ferner aber ist JOSUA ("JESUS”) zu
nennen, der Sohn Nuns, der zuvor Auses genannt worden war (durch
seinen Namen verband sich diesen der Heilige Geist zu seinem Bun-
90 III 69-104
desgenossen): Dieser teilte den Fluß und trieb das Volk dazu an hin¬
überzugehen, er verteilte das Land an die Nachkommen, was den Vä¬
tern verheißen worden war, (71) er hielt die Sonne mitsamt dem Mond
an, bis er den Feind besiegt hatte, er vertrieb die fremden Völker und
die Nachkommenschaft der Giganten, er ließ Haine fällen, zerstörte
Altäre und Tempel von Götzenanbetern, er vollzog alle feierlichen
Handlungen mit einem nach dem Gesetz ausgerichteten Sinn; ein Bei¬
spiel des Namens Christi, ein Abbild seiner Macht. (76) Was soll ich
über die RICHTER aus diesem Volk im einzelnen sagen ? Falls deren
Leistungen auf einmal aufgeschrieben werden sollten, füllen sie wohl
zahlreiche Buchrollen mit dem Umfang der Erzählungen. Dennoch aber
erfordert es die Anordnung der Erzählungen, um das Gesamtcorpus
auszufüllen, aus vielem von dem Leben weniger zu berichten. Unter
diesen befindet sich GEDEON, der Führer eines Heerzuges, eifrig
gegenüber dem Feind, (82) nicht jedoch eifrig darin, aufgrund seiner
Tapferkeit die Königswürde für sein Familiengeschlecht zu erwerben,
und gefestigt im Glauben erbat er erregten Sinnes ein Zeichen, auf¬
grund dessen er entweder den Krieg gewinnen könne oder nicht dazu
im Stande sei, nämlich daß beim ersten Mal das Vlies, das zur Nacht
hingebreitet wurde, vom Tau feucht würde und die ganze Erde rings¬
um trocken wäre (während, wenn das Vlies unversehrt bliebe, die
Folge wäre, daß die Siegespalme der Gegner Wurzeln fassen würde)
und daß beim zweiten Mal diese selbe Erde in der Nacht von Tau
befeuchtet würde, während allein das Vlies trocken bliebe. (90) Auf¬
grund dieses Zeichens nämlich streckte er die Scharen der Plünderer
nieder, zum Kampf antretend mit dem Volk Christi, ohne viele Solda¬
ten, mit dreihundert Reitern (dieser Zahl entspricht im Griechischen
der Buchstabe Tau), bewaffnet mit Fackeln und Widderhörnern derer,
die mit dem Munde lärmend sangen. (94) Das Vlies war das Volk der
Schafe aus heiligem Samen (denn die Erde stellte die verschiedenen,
auf dem Erdkreis verstreuten Völker dar); der Tau ist das Wort, das
nährt, die Nacht ist ein Bild für den Tod, das Tau das Zeichen des
Kreuzes und das Widderhorn die Verherrlichung des Lebens und die
im Halter leuchtenden Fackeln der brennende Geist. (99) Natürlich war
dieses Zeugnis ein Abbild der Macht Gottes, daß nicht früher durch
die Engelsposaune die grausigen Schlachten des Todes überwunden
werden, als das unbelehrbare Volk der Juden verdientermaßen von
seiner Schuld verlassen worden ist und die Heidenvölker in die Herr¬
lichkeit Gottes aufgenommen werden, da sie im Glauben blühen. Ja
sogar DEBBORAH, die über jeden Ruhm hinaus größte Frau, die sich
für das Vaterland der Mühe der Kriegsführung unterzog und am Fuße
92 III 105-135
103—109: Idc 4 110-119: Idc 10-12; Hbr 11, 32 119-125: Idc 13-16
124sq: Idc 16, 28-30 126-129: 1 Sm 9sq; 28, 11 -19 131: Ps 21, 8. 17. 19
133sq: 2 Sm 7, 12sq; Ps 131, 11; Lc 1, 32; Act 2, 30
173 fontes] Pam, fontis F 184 carcere] lege 198 Pam, currere F
185 famis] Mü, fames F 186 noluerant] Pam Oe, voluerant F
188 catena] Oxe, Cento, correxlt lege 202, catenis F
190 fidus] Pam, sidus F 196 IOEL] Pam, simul F, Ioel et lege 186
Buch 3 97
seine Glieder schon im Grab geborgen worden, als ein Mann von
Räubern in einem Gemetzel hingeschlachtet und dorthinein geworfen
wurde. Sobald dieser, schon tot, die Gebeine des Elischa berührte,
kam sein Lebenslicht zurück, und er erstand wieder auf. (173)
JESAJA, der zuverlässige Prophet, dem die Quellen der Weisheit offen
stehen (ein so offensichtlicher Glaube!), verströmte mit seinem Munde
das Wort Gottes, und durch Christus ist der freigebige Wille des Va¬
ters verheißen worden, er bezeugte im voraus den Weg des Lebens
und ist durch Jesaja selbst bestätigt worden. Diesen brachte das jüdi¬
sche Volk in seinem Wahnsinn unverdientermaßen durch eine grausige
Todesart um, der zersägt am Marterholz ohne Makel aufgefunden
wurde. (179) Heilig war JEREMIAS, den die Macht des Ewigen ge¬
heißen hat, den Völkern ein Prophet zu sein, und dem sie das Zukünf¬
tige kündete; weil dieser die unrühmlichen Taten des Volkes aufzeigte
und mit prophetischer Stimme verkündete, daß das Volk in Gefangen¬
schaft geraten würde und die Abgefallenen zu Knechten würden, wenn
sie nicht bereuten, (184) trug er harte Fesseln, eingesperrt in einem
schmutzstarrenden Kerker, und im Schlamm eines Grubenverlieses
entkräftete der Hunger ausgezehrte Glieder. Aber nachdem er das, was
sie nicht hatten hören wollen, unter Beweis gestellt hatte und die Fein¬
de das besiegte Volk in Triumphzügen einherführten, da kam denn
doch endlich seine Rechte von der schrecklichen Kette frei; es steht
fest, daß der Mann weder eines natürlichen noch eines gewaltsamen
Todes gestorben ist. (190) EZECHIEL war treu ergeben, dem die
reiche Gnade des Wortes zugestanden wurde, damit er die heimlichen
Riten der Sünder betrachte, Gottes Strafgericht der Zerschmetterung
betrauere und Gnade erflehe, die zukünftige Rächung der Heiligen
durch das Blutbad schaue und den Ort des Reiches der Heiligen und
das Heil des Fleisches, und im Geiste versenkt die Schritte und Zugän¬
ge dorthin sehe. (196) HOSEA, AMOS und MICHA, JOEL,
OBADJA, JONA und NAHUM, HABAKUK, ZEPHANJA und
HAGGAI, SACHARJA, der Gewalt erleiden mußte, und der Bote
selbst, MALEACHI: Dies sind Propheten des Herrn, deren in einem
fort singender Chor auch in gleichem Maße die Krone des Ruhms als
ständiges Eigentum verdient hat. (201) Wie groß war DANIEL! Was
für ein Mann! Welch große Fähigkeit! Er überführte die falschen
Zeugen durch ihre eigene Aussage und errettete eine aufgrund eines
erfundenen Vergehens verurteilte Seele, und er löste mit seinem Mund
98 III 204-238
204 regi] lege 206, regis F 207 servatusque] lege 208 Th 353 n.2,
servatisque F cunctis] F, victor lege 208 Mü
233 raptum] Mü, raptus F missus] F, iussus Mü (cf. Act 9,6sq)
ab illo] Farn Oe, ad illud F
Buch 3 99
erster wieder auf, die einzige Hoffnung auf Heil, und er gab seinen
Jüngern ein Beispiel: Sie haben alle zugleich für den Namen Christi
auf unterschiedliche Weise unwürdige Strafen erlitten.
(242) Solche Glieder brachte die freie Mutter aus ihrem ansehnlichen
Leib hervor, weil sie niemals von den Vorschriften des Herrn abwich,
und sie wurde in ihrem Haus alt, allezeit eine von dem Herrn beson¬
ders Auserwählte, die Mißgunst und Beschwerlichkeiten für seinen
Namen erduldete. (246) Denn als Unfruchtbare — da sie ja noch nicht
des Zukünftigen sicher war, nämlich daß sie ein Volk hervorbringen
würde, das aus himmlischem Samen geboren war — ertrug sie sogar
die Verachtung und Kränkung ihrer Sklavin; jetzt aber ist die Zeit da
zu sehen, daß die einst Unfruchtbare einen Erben ihrer Freiheit gebo¬
ren hat, der dem Sohn der Sklavin nicht ähnlich ist; obgleich er aus
einem Samen des Himmels empfangen worden war, gebar sie ihn als
einen, der mit ihr durch das Schicksal der Sterblichkeit verbunden war.
(253) Es sei ferne, daß ihr mit unstatthaften Worten und unbedachter
Stimme herausragende Menschen, flammende Himmelsgestirne (die nur
durch ihre Abstammung oder Blutsverwandtschaft mit dem sündigen
Volk der Juden verknüpft sind), gänzlich alle ohne Unterschied einen
rohen Sklaven nennt oder daß irgend jemand glaubt, man müsse sagen,
daß das Volk des Herrn, das den Weisungen des Gesetzes Folge lei¬
stet, von der Gestalt eines Sklaven sei, sondern man muß sagen, daß
eitel und hirnlos der Haufen der Sünder ist, die den Verheißungen
Gottes nur mit zweiflerischer Hoffnung in ihrem Herzen einen Platz
gaben, und daß die durch die elende Süße des gegenwärtigen Lebens
Besiegten und so in ihrer eigenen Schuld Gefangenen den geschuldeten
Sklavendienst auf sich genommen haben, wenn Gott wirklich dem Volk
wegen seiner Sünde das Gesetz als Joch auferlegt hat. (264) Denn der
unbefleckte, makellose Glaube und die Freiheit sind dafür eingerichtet,
Gott zu dienen und mit ganzem Herzen anzuhangen. Deshalb haben die
gerechten Patriarchen und die heiligen Propheten ohne Fehl in ihrer
Vielzahl die zukünftige Ankunft des Herrn besungen und mit ihrem
Glauben den Gottlosen die himmlischen Anordnungen bezeugt. (269)
Zusammen mit diesen haben auch die ungeheuren Giganten, vereinigt
in der Herrlichkeit Christi, Teilhaber an der göttlichen Macht, den
Glauben gestärkt, indem sie die geheiligten Worte erfüllten und da¬
durch, daß sie das Vorhergesagte mit Taten unter Beweis stellten.
(272) Deren Jünger, die auf dem Erdkreis die Nachfolge antraten,
Männer, die aus Tugend geschmiedet und unsere Lehrer sind, haben
uns die mit Mühen verknüpften Ehren zugeteilt. Von diesen hat
102 III 275-302
PETRUS einen Großen ausgewählt, der beim Volk anerkannt war, und
befohlen, daß LINUS auf dem Stuhl, auf dem er selber gesessen hatte,
als erster Platz nehmen sollte, angesiedelt im alles überragenden Rom.
(278) Nach diesem empfing auch CLETUS selbst die Herde des
Pferchs. Als dessen Nachfolger wurde ANACLETUS durch das Los
bestimmt. Diesem folgte CLEMENS; dieser ist durch seine Apostel¬
briefe gut bekannt. Nach diesem regierte EUARISTUS ohne Fehl die
Herde. SEXTUS ALEXANDER überantwortete die Schafhürde dem
SIXTUS, der sie nach der Erfüllung seiner Amtszeit dem
TELESPHORUS übergab; dieser war herausragend und ein treuer
Märtyrer (nach jenem Sixtus ein Gefährte des Gesetzes und ein zuver¬
lässiger Lehrer), (286) als plötzlich der Gefährte eures Verbrechens,
der Vorläufer und Anstifter, nach Rom kam, Cerdo, neue Wunden
bereitend, der verworfen wurde, da er ja die Meinungen und Worte
von Gift in diebischer Heimlichkeit verstreute; deshalb erzeugte er, als
er aus der Schar der Rechtgläubigen ausgestoßen war, dieses frevleri-
sche Geschlecht unter dem Fauchen des Drachen Satan. (291) Die
Kirche in Rom war standhaft, stark in ihrer Frömmigkeit, von Petrus
gegründet, als dessen Nachfolger auch HYGINUS selbst, schon an
neunter Stelle, den Stuhl übernahm. Nach diesem kam dann PIUS, der
den Hermas durch die Abstammung zum Bruder hat, zu dem der
Engel in Hirtengestalt die überlieferten Worte gesprochen hat; (296)
und von dem "Frommen” ("Pius”) übernahm ANICETUS nach der
Ordnung das Amt, unter dem Marcion hierher kam, die neue Pest¬
seuche vom Pontos. Noch sprach er nicht die geheime Schandtat, die
unter seinem Herzen verschlossen war, allenthalben in der Öffentlich¬
keit aus, unredlich in seiner versteckten Kunst. (299) Aber nachdem er
begonnen hatte, die Pfeile des Todes hervorzuholen, wurde er verdien¬
termaßen verworfen als Verursacher eines so gräßlichen Verbrechens,
als ein von den Heiligen Ausgestoßener stand er vor aller Augen, ein
außerordentliches Mahnzeichen.
104 IV 1-32
2 dicamus] Oxe 41, dicatam F 3 docet] Th 358 n.5 Oxe 15, daret F
9 detrahere et] Hü 8 Oxe 15, detraheret F 21 perennis] Pam Rig, perenni F
22 factore creata] Riv 178sq Oe, facto recreata F Rig 23 locator] Pam, locatur F
32 per quem] F, ex quo Oxe 8 (cf. 1 Cor 8,6)
Buch 4 105
Dies wollen wir dem jungen Volk mit Recht sagen, das reich ist und
als Erbe der Freiheit ewige Hoffnung auf Ruhm besitzt: (3) Nicht wie
Gelehrte (allein Christus lehrt alles), sondern als Knechte Christi heißt
uns, die wir in ungeheurem Eifer brennen und mit der Liebe zum
Frieden gewappnet sind, die unverletzte Macht, die Masse des Krieges
von der Erde abzuziehen, hochragende Türme und grausige Mauern
der üblen und sich gegen die Heerscharen des heiligen Volkes erhe¬
benden Drohungen zu entfernen und nichtige Meinungen im Wind
aufzulösen. (10) Deshalb sprechen wir mit Fug und Recht rivalisieren¬
de Antithesen aus und strengen uns an, aus den Worten des Marcion
selbst sogar Zeichen des Heils herauszupressen, die die Gnade freige¬
big hervorströmen ließ, und das verdeckte Fangnetz des Räubers den
Heiligen offen darzulegen, damit nicht irgendein unerfahrener
Katechumene unversehens in seiner Unwissenheit und Forschheit hin¬
einfällt und darin verstrickt der himmlischen Gaben verlustig geht.
(16) Es gibt also den einen einzigen Gott für alle Sterblichen überall,
das ewige Reich, den Ursprung des unausschöpfbaren Lichtes, die
Quelle und den Trank des Lebens, von dem wir glauben, daß er von
allumfassender Weisheit ist. Er selbst brachte den Erdkreis hervor,
dessen Schoß alles umfängt. (20) Kein Raum, kein Ort hält ihn mit
seinem Umfang umschlossen; es ist keine Materie solcher Art entstan¬
den, daß sie aus eigenem Antrieb unvergänglich sei, keine Materie, die
immer Bestand haben sollte, ohne von einem Schöpfer erschaffen
worden zu sein: (23) Der Schöpfer der Himmel, der Erde, des Meeres
und der Unterwelt ist der Geist Gottes; er ist der Spender der Luft,
der Begründer, Urheber, Gott allein ist ewig, eine unermeßliche
Macht. Das Gesetz hatte dem jüdischen Volk dargelegt, daß dieser der
eine Gott ist, dessen Stimme mächtig auf dem Berg zu Moses sprach.
(28) Von jenem stammt diese Kraft, Weisheit, Herrlichkeit, das Wort,
nämlich der Sohn, das Licht, gezeugt von unermeßlichem Licht: Durch
die Stimmen der Propheten läßt Gott verkünden, daß dieser der Eine
ist. (31) Nach der Ordnung empfängt es Paulus, und gibt es so auch
selbst weiter, nämlich daß dieser der eine Vater ist, durch den alles
geschaffen worden ist, und daß dieser der eine Christus ist, durch den
106 IV 33-67
33: Col 1, 16 34: Is 45, 23; Rm 14, 11; Phil 2, 10 35: Eph 3, 15
41sq: Gal 4, llsq. 19sq 64: 1 Cor 1, 25
65: 1 Cor 10, 11; 13, 12; Col 2, 17; Hbr 8, 5; 10, 1
66sq: Lv 16, 1 — 11; Nm 19, 1—10; Hbr 9, 13sq
Gott alles geschaffen hat, vor dem sich — wie deutlich bekannt wird
- ein jedes Knie beugen wird, (35) nach dem jedes Geschlecht im
Himmel und auf Erden seinen Namen hat, der sein Volk heftig liebt
mit der höchsten Liebe der väterlichen Zuneigung, eben wie ein Vater,
und der will, daß alles Fleisch heilig lebt und daß ihm das Volk rein
ohne Verbrechen erscheine. (39) Aufgrund dieser eifrigen Liebe wahrt
er unser Heil durch das Gesetz, er ermahnt uns, gemäß dem Gesetz zu
leben, er befiehlt es, er züchtigt, und er besteht unablässig darauf. Als
derselbe Apostel Paulus seine Brüder in Galatien tadelte, schrieb er,
daß auch er selbst einen solchen liebenden Eifer habe.
(43) Zahlte also Gott den Kindern die Sünden der Vorfahren heim,
indem er in der Sintflut die Eltern zugleich mit der Nachkommenschaft
tötete sowie die schon im vierten Geschlecht vom Stamm geborenen
Enkel, obgleich er diese damals jeweils etwa 900 Jahre lang unterstütz¬
te ? Es erscheint als ein hartes Gericht, ein grausamer Urteilsspruch,
daß auch das kleine Kind, bislang unschuldig, weich, schutzlos, in
Sodom seines Lebens verlustig geht: Denn was hatte der Säugling für
Sünden begangen ? (50) Was du für grausam hältst, das ist die sittliche
Würde der göttlichen Vaterliebe. Sie löschte die Urheber des Verbre¬
chens aus, damit die Schandtat nicht von sich aus weiter anwachse,
und zugleich die Nachkommenschaft der Vorfahren, die den Sünden
Folge leisteten. (53) Aber der unschuldige Säugling büßte nicht mit
seinen Eltern ewige Strafen ab, da er unwissend ist und nicht der
Urheber eines Vergehens; sondern damit er nicht im Erwachsenen¬
alter an einem Verbrechen teilhabe, vertilgte ein zu früher Tod böse
Taten, die aus eigenem Antrieb begangen worden wären.
(57) Warum befiehlt Gott nun, daß ihm mit Tierblut geopfert wird,
und legt durch das Gesetz Zügel an, damit nicht einer im Volk abir¬
rend fehl gehe, wobei Gott mit einem unverzüglichen Tod durch
Steinigung droht, und dann wiederum straft er dies Lügen und sagt,
daß ihm diese Gaben nicht willkommen sind, indem er das Volk tadelt,
das durch die Menge der Sünde zu Boden gedrückt ist ? (62) Er selbst,
der Wahrhaftige, ordnet es an, und zugleich verwirft er es selbst, der
Gerechte ? Wenn du nach Gründen forschst, höre auf, dich in deinem
Irrtum zu bewegen; der Inhalt des Glaubens ist nämlich größer als das
Abbild der Vernunft.
(65) Betrachte durch einen Spiegel das Abbild des blitzenden Lichtes,
was das Blut des Kalbes, die Asche der Jungkuh und die beiden Böcke
bedeuten (der eine läuft weg, hinausgeschickt in die Wüste, der andere
fällt im Tempel zu Boden als ein Opfertier): (68) Denn mit dem Blut
108 IV 68-103
68-70: Ex 24, 6-8; Lv 16, 33; Hbr 9, 13. 19-21; 10, 10 71: Hbr 10, 1
80: Hbr 4, 14 82: Hbr 9, 19-21 83: Hbr 9, 15-18 85-88: Nm 19, 2-9
89-99: Hbr 7, 27; 9, 11-14. 24-28; 10, 5. 10 102sq: Mt 25, 31-46
des Kalbes, das mit Wasser vermischt ist, besprengte der Prophet
Moses das Volk und zugleich die Gefäße und die Priester und die
beschriebenen Gesetzesrollen, da ihm so vom Himmel geheißen worden
war; das bedeutet, (71) daß dies nicht die eigentliche Hoffnung ist, daß
es aber auch keine äußerliche Handlung ist, die der göttlichen Macht
entbehrt, sondern daß Christus nach dem Beispiel des Kalbes an
seinem Körper leiden werde. Dieser trug auf seinen Schultern die
harten Jochstangen der Pflugdeichsel und zerriß tapfer sein Herz mit
der Pflugschar von Eisen und goß eine Woge seines Blutes in die
Furchen der Seele. (76) Denn diese Tempelgefäße deuten auf unsere
Körper hin. Christus selbst ist der wahre Tempel Gottes, der zuvor
nicht geweiht war; denn durch sein Blut machte er sich die Menschen
zu Bundesgenossen und wollte, daß sie Priester seines Leibes seien,
während er selbst mit Recht der vollendete Priester des höchsten Vaters
ist. (81) Er heilte nicht arbeitendes Gehör, Sehvermögen und Gehver-
mögen, und er besprengte Zeugen mit Schriftworten, Zukünftiges spre¬
chend, womit er anzeigt, daß das Gesetz durch sein heiliges Blut ge¬
bunden ist.
(84) Und durch diese Jungkuh macht er die Zeremonie des Opfertie¬
res offenkundig, von dessen Blut der Levit für das Volk Opfergaben
nahm und es als erster hinter den Vorhang trug, nach Geheiß vor den
Türen des abgegrenzten Heiligtums den Körper des Opfertieres ver¬
brannte, mit dessen Asche er die verfallenen Körper reinigte. Dadurch
erfüllte unser Herr, der uns durch seinen Tod loskaufte, außerhalb des
Stadtbezirks das Gesetz (willig die Gewalt des sündigen Volkes erdul¬
dend), indem er das Prophezeite durch Taten unter Beweis stellte. (92)
Dieser reinigte in Wahrheit das Volk, das voller Befleckung war,
indem er alles hingab, gleichsam ein großzügiger Verkäufer seines
Körpers, der mit seinem Blut durch den Vorhang des Himmels trat,
welches er als der Eine für den Tod von vielen vergoß: (96) Also ziert
einen großen Priester ein heiliges Opfertier, das er in Würde besitzt
und als Vollkommener darbietet, wie nachgewiesen ist. Er hat einen
Körper, das ist das lebendige Opfertier für die Sterblichen, dieses
brachte der große Priester als einziges und würdiges Opfertier anstelle
aller anderen dar.
(100) Das Bild der beiden Böcke lehrt, daß die Menschen der zwei
Völker verworfen sind, ertraglos und beide ohne Früchte, die auch der
Herr im Evangelium nennt, wenn er nämlich sagt, daß die Böcke von
den Schafen abgesondert werden und auf der linken Seite stehen. (104)
110 IV 104-138
104-106: Apc 6, 9sq 107b: Lc 16, 19-31 112-125: Ex 25-27; 30; 36-38
116-120: Ex 37, 6-9; Hbr 9, 4-5 127. 133-135: Hbr 9sq
Der Prophet lehrt freilich, daß es einige gab, die für den Namen des
Herrn gelitten haben, daß so die Frucht das unfruchtbare Tun schlie߬
lich verhüllt hat, und daß diese verdientermaßen des Altars würdig
seien, andere aber verworfen wurden (wie der Reiche, der dem armen
Lazarus gegenüber unbarmherzig war), die in ihrer Hartherzigkeit
verstockt blieben und zurückgewiesen worden waren.
(109) Denn der in der Mitte herunterhängende Vorhang trennte beide
und hatte das eine Gebäude in zwei Teile geteilt, das Innere freilich
wurde Allerheiligstes genannt. Dort stand ein Altar und erglänzte edel
in Gold, dort waren die heiligen Bücher und die Lade mit den Geset¬
zestafeln, die mit himmelsfarbenen Schafsfellen bedeckt war, innen mit
Gold ausgekleidet, dazwischen war alles aus Holz. (116) Hier befinden
sich die Gesetzestafeln, hier ist das mit Manna gefüllte Gefäß, hier ist
der Stab Aarons, der Triebe des Nußbaums hervorbringt, während er
selbst doch gerade dem Nußbaum unähnlich ist, da er von einem
Styraxbaum abstammt. Und darüber spreizten Cherubim, vier von
derselben Gestalt, ihre Flügel und bildeten nach Geheiß ein Dach über
der Sühneplatte. (121) Nach außen hin gab es einen Vorhang, der
vordere Teil des Gebäudes war offen zugänglich, es stand vor aller
Augen ein Altar, schwer von einer dicken Eisenschicht, und ein Leuch¬
ter war da mit zweimal je drei Armen auf beiden Seiten, die durch
einen mittleren Arm verbunden waren, und ebensoviele Öllampen. Eine
Fülle von Gold erfüllte den Tempel mit Glanz.
(126) Es war nun also die vordere Front des Tempels allgemein
zugänglich und offen, und sie bezeichnete deutlich den Brauch des
Volkes, das unter dem Gesetz verweilte. In dessen Dämmerlicht leuch¬
tete ständig der eine siebenfache Geist in seiner Heiligkeit und schützte
das Volk. Dieser Leuchter aber und die lebendigen Öllampen leuchten
durch das Gesetz und die Propheten denen, die im Herzen demütig
sind, voraus. (132) Es ist überliefert, daß der Altar zu einem Typos
der Erde wurde: Hier haben die Opfer des Volkes stattgefunden, die es
immer nicht ohne Blut darbrachte, ein Leben ohne Gesetz, wobei Blut
vergossen wurde (in der Öffentlichkeit war es einst noch überall für
alle vorhanden). (136) Und dort ist der Herr für alle zum Opfertier
geworden und kennzeichnet so die gesamte Erde typologisch als Altar.
Dort hat auch der unbeschreibliche Darsteller des Neuen Bundes, der
112 IV 139-174
Jünger Johannes, - wie er selbst bezeugt - die Seelen, die für den
Namen des Herrn gelitten haben, unter einem solchen Altar gesehen,
wie sie schreiend die Rache des mächtigen Gottes für das an ihnen
verübte Blutbad forderten. (142) Dort herrscht unterdessen Ruhe unter
der Masse der Erde. In einer unbekannten Gegend gibt es einen offe¬
nen Ort, der in seinem eigenen Licht erstrahlt; dieser wird "Schoß
Abrahams” genannt, der höher als die Unterwelt gelegen ist und weit
entfernt vom Höllenfeuer, aber dennoch unterhalb der Erde: Dieser Ort
wird "Eherner Altar” genannt. An diesem Ort befindet sich, wie wir
erzählt haben, der verdunkelnde Vorhang: Dieser trennt die beiden
Teile des Gebäudes und verhüllt den einen, der dem andauernden heili¬
gen Dienst und dem Gebrauch in dieser Zeit entzogen ist. (150) Das
Gebäude ist nicht mit sich entzweit, obgleich beide Teile Gott unter¬
schiedlich lieben, es ist durch Zeit und Raum getrennt, aber durch
denselben Heilsplan verbunden: Es ist ein einziges Haus, obgleich es,
wie man sieht, durch einen Vorhang zweigeteilt ist; und als der Herr
so sehr gelitten hatte und der Vorhang entzwei gerissen war, da stan¬
den die Räume des Himmels und die vordem verborgenen Heiligtümer
offen, (155) und das einstmals zweigeteilte Haus ist zu einem einzigen
in Ewigkeit geworden. Der innere Tempel kennzeichnet das Volk, das
aufgrund des Namens Christi in himmlischer Kulthandlung eben Gottes
Aufträge ausführt. Hier geht es in Wahrheit um die eigentlichen Perso¬
nen, kein Schatten ist hier hinein verknüpft. Nach der Vollendung der
Dinge wird die überlieferte Ordnung erfüllt. (160) Beispielhaft weist
die Bundeslade durch das Holz, das mit dem Heiligen Geist verbunden
ist, auf den verehrungswürdigen Leib Christi hin. Die himmelsluftfar-
benen Felle sind das Fleisch, das nicht aus menschlichem Samen gebo¬
ren wurde und auf dem Holz ausgebreitet ist; zugleich wird im Innern
der lodernde Geist, aus goldtragender Pracht gegossen, mit jenem
Fleisch verbunden, damit das Fleisch, wenn der Frieden gegeben
worden ist, mit dem Geist vermischt lebendigen Bestand habe. (166)
Auch die goldene, angefüllte Urne enthält einen Typos für das Fleisch
des Herrn: Das Manna selbst bezeichnet offensichtlich den Herrn des
Neuen Bundes, weil es das wahre himmlische Brot ist, das vom Vater
zum Zeichen für jenen geschenkt wurde, den er den Heiligen zum
Pfand gab; in vollendeter Weise wird er dies jenen geben, die die
Bande des Friedens immer, als Liebende guter Werke, bewahrt haben.
(172) Und die beiden beschriebenen Gesetzestafeln in der Bundeslade
bedeuten, daß alles zugleich auf immer in Christus begründet ist, der
in eigener Person den Alten und den Neuen Bund vollendete, er, die
114 IV 175-211
178 sedavit] Oxe 19, sedabit F 202 prius sic] Pam Oe, si F
203 soliis] IV/, solio F 210 conflata] Mü, conflato F
Buch 4 115
8: Is 61, 6 9: Lc 6, 13; Io 6, 71
Das erste Buch dieses Gedichts hat die Aussagen des häretischen Geg¬
ners Punkt für Punkt referiert, die der Apostat frevlerischerweise er¬
sonnen und in seinem Wahnsinn verbreitet hat. Von da ausgehend
wurde auch von der Heilshoffnung des Fleisches und dem Sieg Christi
und kurz von der Art der falschen Wege gesprochen. (5) Danach legt
das folgende Buch die mit dem Heil verknüpften Geheimnisse des
Gesetzes dar und was der eine Gott in seiner Fülle im Neuen Bund
übergab. Das dritte Buch spricht von dem Geschlecht, das von der frei
geborenen Mutter geschaffen wurde, und davon, daß die Jünger durch
die Propheten und die Väter geheiligt worden sind, die du, Christus,
zweimal sechs an der Zahl, von allen ausgewählt hast; es werden die
Amtsperioden der "Ältesten” mit jeweiliger Namensnennung angeführt,
(11) und zwar bis zu dem Zeitpunkt, als der Urheber des geballten
Verbrechens auftauchte, zuerst unbekannt, ohne Gesetz umherschwei¬
fend, mit seiner Anhängerschaft exkommuniziert. Und das vierte Buch
eben erzählt, daß die verhüllten Opfergaben des Alten Gesetzes ein
Typos dessen sind, der als das Opfertier mit heiligem Samen erschie¬
nen ist, das in Wahrheit schon längst von den Frommen erwartet
worden war. (16) Dieses fünfte Buch nun löst viele Verflechtungen und
Knoten, setzt die üblen Aussagen ins Licht und alles, was verborgen
war, wobei es Argumente anführt, aber nicht ohne prophetische Bezeu¬
gung.
(19) Und obgleich wir, mit Waffen der Tapferkeit gewappnet, den
Sieg über die Feinde innehaben, hat dennoch die Schlange alles
Unstatthafte, Verunreinigte, Frevlerische, Befleckte zugleich so mit der
wahren Lehre vermischt (ein lichtloser Weg für Blinde durch die
Befleckung der Aussagen), so daß — während wir behaupten, der
Erschaffer der Welt selbst sei der alleinige Gott, der auch durch die
Stimme der Propheten gesprochen hat, und beweisen, daß es irgendei¬
nen anderen unbekannten Gott nicht gibt — (26) die Unzulänglichkeit
der Sprache kaum die Rede rein erhält, während wir dem durch man¬
nigfaltige Verbindung bekannten Gott mit Lobpreis nachkommen und
ein anderes Mal die zu späten Zeiten des unbekannten Gottes schmä¬
hen; aber es zwingen uns viele verborgene Gifte der Hinterlist, Worte
darüber zu verbreiten, obgleich unter dem Vorwurf der Doppeldeutig¬
keit.
(31) Wer ist denn nun dieser Gott, von dem ihr sagt, daß er der
wahre sei, den Völkern unbekannt, dieser Welt letztlich fremd ? Die-
120 V 33-68
34: Io 1, 11
ser, den vorher niemand kannte, kam hierher von der Höhe des Him¬
mels herab ? Wenn dies hier sein Eigentum ist, warum sucht er es
dann erst so spät auf ? Wenn es nicht sein Eigentum ist, warum raubt
er es dann wie ein Plünderer und überhäuft das Volk, das unter dem
Gesetz weilt, so oft mit vom Gesetz her unbekannten Aussagen ? (37)
Wenn er sogar kommt, um sich zu erbarmen und allen zu Hilfe zu
eilen und diejenigen wieder aufzuheben, die von dem schweren Unter¬
gang des Todes besiegt wurden, und den Lebensodem des Fleisches
von der garstigen Fessel zu lösen, durch die der innere Mensch in
Schranken gehalten wird, nachdem er ungerechterweise niedergeworfen
worden ist, wenn er also wegen all dieser Dinge gekommen ist, warum
ist er dann so spät liebend zugeneigt und aufmerksam und allezeit
huldvoll, der sich niemals zuvor überhaupt irgend jemandem gezeigt
hat, (43) der nach seiner Aussage die bis dahin nicht Beachteten sucht,
deren Anzahl er nicht kennt, er, der doch niemals erwartet wurde, der
unbekannt in die Welt gesandt wurde, als ein Hirte ein Schaf suchend,
das er zuvor nicht verloren hatte ?
(46) Er hätte dann (seines Fleisches entkleidet, gleichsam auch als
Sieger selbst Geist, wie er es immer gewesen war und als solcher auch
schon immer die Erlösung wollte) alle Seelen aus den Körpern heraus¬
treiben müssen und überall ohne Körper dem Tod entreißen und das
ausgeplünderte Fleisch auf der Erde zurücklassen müssen, an einem
einzigen bestimmten Tag gleichmäßig die Erde mit Kadavern anfüllen,
die Welt von den Seelen entvölkern und diese gen Himmel erheben
müssen. (52) Es hätte auf einmal ein Ende damit gehabt, daß bei den
Menschen Nachkommenschaft geboren wird, und danach wäre keinerlei
Sippschaft eures Geschlechts geboren worden und hätte nicht das neue
Verderben in die Welt verströmt. (55) Oder Jesus Christus hätte — da
ja, wie sich zeigt, damals nichts von diesen Dingen geschah — für das
zukünftige Geschlecht das Ende beschließen müssen, er hätte ungerühr¬
ten Herzens die Umarmungen des Beischlafs beendet, er hätte die
Männer schlaff werden lassen, Früchte ohne Abkömmling, er hätte
bewirkt, daß ihnen der Beischlaf mit dem weiblichen Geschlecht Ekel
bereitet hätte, er hätte tief im Innern die Geschlechtsteile des Fleisches
eingeschlossen; (61) es gäbe kein Verlangen danach in unserem Sinn
und auch nicht die Fähigkeit dazu, es auszuführen. Danach könnte auch
der innere Mensch, mit dem Blut verbunden, hineingeströmt dem
Fleisch anhangen und würde auf immer untergehen. Auf ewig geht das
Schaf zugrunde, — also gibt es keine Möglichkeit zur Rettung, da der
Mensch immer unter der Schuld des Todes geboren wird ? (66) Was
ist da das Werk des Hirten, wenn gelehrt wird, daß das Schaf so auf¬
gefunden wird ? Also wird das Schaf erwiesenermaßen nicht gesucht,
aber auch nicht entrissen. Nun ist der Mensch aber dazu bestimmt, wie
er es immer war, Beischlaf auszuüben, der Mensch, den die sichere
122 V 69-104
der lang erwartete, endgültige Sieg sein, den Jesus Christus durch die
Macht des Vaters bewirkte, er, zu verehren in Ewigkeit, der ein wah¬
rer Mensch geworden ist, der die erlösten Glieder der Menschen in die
Himmel trug und die Zugänge geöffnet hat, er, der reich an Hoffnung
ist. (109) Seit dem Beginn des Volkes war er in allen Zungen, darauf¬
hin vollendete er hier, wo er immer gewirkt hat, als ein Knecht auf¬
grund der väterlichen Liebe Gottes gegenüber den Menschen, als
Sichtbarer von einem Unsichtbaren gesandt, das Werk durch sein Lei¬
den.
(112) Wozu also nun die abscheulichen Meinungen ? Wozu die ver¬
lorene Schar ? Wenn nicht er selbst, der Schöpfer Gott selbst, die
Gesetze gegeben hat, er, der vom Pfad aus Ägypten den Weg durch
die Wellen hindurch fortsetzte und den Nachkommen die Wohnsitze
gab, die er einst genannt hatte, warum kommt er dann gerade zu
diesem Volk und in dieses verkündete Land (117) und sucht nicht
andere Völker oder andere Königreiche auf ? Warum hat er bereits
durch die Propheten mitgeteilt, daß er, obgleich der ganze Name vor¬
hergesagt wurde, nicht mit seinem eigentlichen gerufen worden sei ?
(120) Woher vermochte er es, die gütigen Gaben der Taufe, die von
einem anderen versprochen worden waren, gleichsam als von ihm
vollzogene kundzutun ? Dies wünschten sich diejenigen, die die Gebote
Gottes übertreten haben und in Schmutz aufgefunden wurden, und sie
erbaten Gnade bezüglich des grausamen Todes; diese Dinge sind lange
erwartet worden und aus gutem Grund eingetroffen; aber jenen, die
erkannt haben, daß das früher nur Gehörte jetzt doch erlangt worden
ist, (126) gewährt dies die wahre Hand Christi; der Vater selbst, der
Schöpfer, ermahnt ständig seit ewiger Zeit und verlangt es mit huldvol¬
ler Stimme, und was er geschaffen hat, das hegt er und bildet es und
wappnet es, und als Sieger kleidet er den schon Verachteten mit
seinem Licht, damit das Werk der Tugend unter ewigem Lobpreis
Bestand habe.
(131) Was könnte Jesus Christus als Gott denn leisten, was als
Mensch erleiden, auf daß alle es erkennen, es sehen, was die lebendige
Macht gewirkt hat ? (133) Aber da ja weder das zuvor Angekündigte
noch die erhabensten Taten die unverständigen Menschen in ihrer
Raserei davon überzeugen können, daß Gott Mensch geworden ist und
gelitten hat und nach seinem Begräbnis wieder auferstanden ist, da
mögen die beiden Richtungen der Zweifler es wenigstens lernen, der
irdischen Vernunft Glauben zu schenken, obgleich auch diese so gro¬
ßen Zeugen der Schrift es bereits seit langem in himmlischen Worten
herausrufen und erfassen. (139) Als der Herr Christus in die Welt
kam, um als Fleisch geboren zu werden zu der Zeit des römischen
"Königs” Augustus, da wurden das erste Mal aufgrund eines Erlasses
überall die Familiengeschlechter nach dem Vermögen zahlenmäßig
126 V 142-176
142 forte] F, fort. Sorte 143 legimus esse] Mü, legibus esset F
147 his] Hü 10 Mü, hunc F 148 quae] Mü, qui F 161 mentes] Mü, mentis F
163 probabant] Oxe 12 n.9 Mü, probabunt F
164 dabat] Oxe 12 n.9 Mü, dabit F mundo] Mü, mundus F Oxe 12 n.9
169 scriblita] F, scribtum est Oxe 42, scribtura fortasse (cf. Io 19,28)
Buch 5 127
tete sich zu sehen, daß der gelitten hat, den sie nun kannten. Der
Soldat trifft die entseelte Seite mit der bloßen Waffe, und es fließt das
Blut hervor, und es folgt von dort nicht weniger Wasser. (180) Dies
verbergen jene Juden nach Absprache und wollen nicht offen als dieje¬
nigen bekannt sein, die die Tat begangen haben, sondern wünschen das
Unrecht zu verhüllen. Kann also der Geist eine Umhüllung ohne tat¬
sächlichen Körper tragen und nimmt so die Strafe in Empfang und
erträgt so die gewaltsam zugefügte Wunde ? (184) Oder stirbt er und
steht auf, und es wird von daher das Blut vergossen ? Von welchem
Fleisch, wo ihr doch sagt, er habe es nicht ? Oder hat er es eher
vorgetäuscht ? Eine solche Behauptung ist eurer Meinung nach sichere
Wahrheit, obgleich ihr sie überstürzt äußert und mehr Dinge ver¬
schweigt. (188) Ist also der Glaube nicht offenbar, nicht alles festge¬
setzt ? Einen Tag bevor er leiden sollte, feierte Jesus Christus das
Paschamahl und übergab seinen Jüngern — eine erinnerungswürdige
Tat! — das zuvor genommene Brot und in gleicher Weise den Saft
vom Weinstock und sprach: ”Dies ist mein Leib und mein Blut, das
vergossen wird für euch”; er trug auf, daß dies später immer gesche¬
hen solle. (194) Gemäß welcher Beschaffenheit sind denn eurer Mei¬
nung nach Brot und Wein sein Körper mit seinem Blut ? Und was
muß bekannt werden ? Hat er durch seine Taten sich nicht als Schöp¬
fer der Welt bewiesen und daß er zugleich einen Leib trägt, der von
Fleisch und Blut ist ?
(198) Dieser ist Gott, und dieser ist wahrer Mensch, und er spricht
wahr, der seinen Anfang vom Vater hat, ein Licht gezeugt vom Licht,
und als Wort Geist, die Macht Gott Vaters in dem Bild Christi. (201)
Er war immer mit dem Vater vereint in Herrlichkeit und Ewigkeit, da
er nämlich als einziger den Worten des Alleshaltenden Folge geleistet
hat, den dieser auf Erden auserwählt hat und durch den er alles ge¬
schaffen hat: Dieser selbst ist der Sohn Gottes, er selbst der meistge-
liebte Diener. (205) Von dort hat er seine Abstammung, von dort
seinen Namen, von dort schließlich seine Herrschaft, Herr vom Herrn,
Strom von ewiger Quelle. Dieser tritt durch die heiligen Väter seit
Anbeginn der Welt in Erscheinung und nach dem Zeugnis eines jeden,
der bekennt, Gott gesehen zu haben. Die Verheißungen und die erin¬
nerungswürdigen Worte des Vaters eröffnete er von der Höhe, (210) er
führte das Volk aus der Gefangenschaft, er zerschlug das sündige Volk
der Ägypter, er selbst war die Lichtsäule und die Nebelwolke von
Starrheit, und er hat das Meer ausgetrocknet und dem Volk befohlen,
durch die Wellen zu schreiten, während die Feinde von den Wasser-
130 V 213-248
Herrn und eine teure Gestalt, (249) und er setzte sich zum Vater,
nachdem dieser die Macht des Lichts wieder empfangen hatte, er, der
durch die Herrlichkeit, mit der er gewappnet gewesen war, bis er den
Feind besiegte, mit dem Geist vereint, mit uns aber durch das Fleisch
verknüpft war. (252) Diesen, der sowohl Herr ist wie auch Christus,
sowohl König wie auch Gott, wird der Vater wieder auf die Erde
senden, wobei er ihm die Vollmacht zu richten und zu herrschen geben
wird.
XI. Kommentar
Buch 1
läßt er keine Schlüsse für die Datierung zu, daher auch die divergie¬
renden Ansätze bei Waitz 24 (”früh”) und Holl 23ff ("spät”); s. dazu
auch o. S. 35f.
45 nova ianua vitae: = Geburt Jesu, als Gegenbild zu 1, 139, wo die
Marcioniten als nova porta gehennae bezeichnet werden; zum ganzen
Vers vgl. Sedul. hymn. 1, 7f sola fuit mulier, patuit quae ianua leto:
et qua vita redit, sola fuit mulier. Die hier dichterisch umgesetzte
Antithetik basiert auf der marianischen Deutung von Gn 3, 15: Durch
Maria erfolgte eine überreiche Wiedergutmachung der Verfehlung
Evas, was auf Just. dial. 100 und Iren. 3, 22, 4 zurückgeht. Auf
dieser Ideenverflechtung beruht ein Großteil der marianischen Bildpro¬
gramme des Mittelalters; die Herstellung einer Verbindung zwischen
Maria und Eva ist für die Kunst bereits im 4. Jh. bezeugt, s. Guldan
24, der 26 — 35 die Entsprechungen zwischen künstlerischer Darstellung
und Kirchenvätern behandelt
46: Zweiheit von \6yos und eQyov wie 3, 271 und 4, 91; bereits die
homerischen Helden zeichneten sich in diesen beiden Fähigkeiten (Re¬
den und Handeln) aus, s. Hom. II. 9, 443; vgl. auch CM 3, 271 und
4, 91
48 tantum: Eine media vox für die Wiedergabe dieses Ausdrucks läßt
sich nicht Finden. In der Geburt Christi offenbarte sich sowohl seine
Menschlichkeit (durch die Niedrigkeit des Stalls) als auch seine Gött¬
lichkeit (durch die Herrlichkeit der den Hirten erscheinenden Engel), s.
Leo epist. 28, 4 (PL 54, 755-781, hier 768ff)
54 magnalia: Gr. fxeya\e7a; nach Mohrmann 3, 208 eine christliche
Erfindung, da die Bezeichnungen portentum und prodigium zu stark
mit profan — religiösen Assoziationen belegt waren. Es findet sich auch
ausschließlich in der Bibel und bei den Kirchenvätern, vgl. z.B. Aug.
conf. 13, 27, 42 magnalia miraculorum; Hymn. Ambros. 2, 38b, 20;
Sedul. hymn. 1, 59 cernunt magnalia caeci; Ven. Fort. Mart. 1, 511
60 devicta morte: Eine sehr gebräuchliche Formel, s. Waszink zu
Carm. de resurr. 188 mit paganen und christlichen Belegstellen, als
erster wohl Manil. 4, 87
61 signari: Gr. o<pQayL£eoda.L, "taufen”
68 spargere: Epexeget. Inf. zu extremum nefas; gemeint sind, was 1,
73 — 95 entfaltet wird, die Zwei — Götter — Lehre Marcions, seine Leug¬
nung der Auferstehung des Fleisches und der Leiblichkeit Christi; zur
Darlegung bei anderen Kirchenschriftstellern s. Hückstädt 15 Anm. 6
und 7
69 horrendum...loquendum: Manitius, Poesie, 155 Anm. 2 vermutet
den bewußten Bau eines Versus Leoninus und gibt weitere Parallelen;
mir scheint dies jedoch kein konstitutives Stilelement des CM zu sein,
sondern in der Morphologie des Latein begründet; im Vergleich wird
im Carm. de resurr. der dominierende Gebrauch dieser Figur deutlich
70 plebe: Im Sinne von ecclesia wie 3, 275
Kommentar zu Buch 1 137
71 terrena sequentes: Ähnlich Paul. Nol. carm. 15, 96; Mar. Victor
aleth. 2, 355
72 aggressus: Das von Oehler und Willems gebotene agressus ist im
TLL nicht aufgeführt; daher halte ich den Text von Fabricius und folge
in der Wiedergabe Müller 57 ad 1.; vgl. TLL, s. v., I 1319, 23
73 duos patres: Vgl. 1, 153; hier allgemein im Sinn von deos zu
verstehen, also nicht t. t. für ”Schöpfergott”, gegen Holl 14, der die
"ungewöhnliche Wortwahl” moniert. Es gilt insgesamt zu beachten,
daß die (theologische) Terminologie im CM nicht einheitlich gewahrt
ist, z. B. bereits 1, 74 dominus für den Schöpfer (sonst häufig Chri¬
stus bezeichnend, etwa 1, 181); zudem handelt es sich hier um eine
pointierte Kontrastformulierung zu 1, 180 vero patri und 4, 32 unum
hunc esse patrem, die die Absurdität der häretischen Zwei —Götter —
Lehre zum Ausdruck bringen soll
74 condidit orbem: Auch 1, 180; zu dieser Klausel s. Smolak, Agrest.,
87 zu Agrest. 43
75 carnem spiramine vivam: S. Smolak, Agrest., 90 "Lebenshauch im
Sinn der anima sensibilis” mit Parallelen
76 vates: Schon bei Commodian in der Bedeutung "Prophet, Lehrer”,
manchmal negativ konnotiert wie in instr. 1, 17, 1, s. Thraede, Beiträ¬
ge, 95; vgl. auch o. S. 26
81 sine nomine numen: "Reimmäßige Koordinierung”, s. mit Stellen
von Accius bis Prudenz Smolak, Apoth., 16;
numen: Auch 2, 3. 14. 36; s. Smolak, Apoth., 14f. Während der
Begriff im Plural in christlichem Kontext polemisch die Götter der
polytheistischen Religionen bezeichnet, gebrauchte ihn im Singular
bereits Lact. inst. 2, 2, 8 zur Definition der spirituellen Natur Gottes;
in der christlichen Dichtung verwendet ihn Iuvenc. 1, 22 das erste Mal
in Zusammenhang mit dem Christengott ( = vis divina)
83—85: Holl 15 bezeichnet diese Aussagen über die Lehre Marcions
als maßlose Verdrehung; m. E. dient die überspitzte Formulierung
dazu, eine Schwäche im System Marcions zu verdeutlichen, wonach
der gerechte Gott das Gericht doch vollstreckt (vgl. Tert. adv. Marc.
1, 27)
85f dulcique cruentum | ...mixtum cum melle venenum: Vgl. Lucr. 1,
936 — 942; es handelt sich hierbei um die pervertierte didaktische
Tätigkeit des Teufels (und somit auch der Häretiker), der, statt die
bittere, aber heilende Medizin durch Honig angenehmer zu machen,
diesen Honig dazu gebraucht, das tödliche Gift zu überdecken. Statt
einer Lehre des Heils (wie bei Lucrez oder im Christentum) verbreitet
er also eine Lehre des Verderbens. Es ist sehr schwer zu bestimmen,
ob es sich hierbei um eine bewußt kontrastierende Anspielung auf
Lucrez handelt, da die Textbasis sehr schmal ist; jedenfalls fehlen im
CM morphologische Archaismen, wie sie etwa bei Prudenz auftauchen.
Zudem ist die Vorstellung, daß süßer Honig gefährliches Gift überdek-
138 Kommentar zu Buch 1
ken soll, sehr verbreitet, s. Hom. Od. 10, 315ff ( = Ov. met. 14,
264ff); Ov. am. 1, 8, 104; Hier, epist. 107, 5 (u.ö., s. Otto 218 s.v.
mel Nr. 5); Sedul. c. pasch. 5, 64f; deutlich ist die Kontrastimitation
zu Lucrez bei Prosp. carm. de ingrat. 805 — 808, wo dem malus magi-
ster Pelagius vorgehalten wird, er beschmiere den Becher erst gar nicht
mit Honig, sondern reiche das bittere Gift pur; s. auch Ps. Prosp.
carm. de prov. 875f und Lact. inst. 5, 1, 10. 14; analog ist CM 2, 11
92 terris venisse: Auch 2, 107 statt Akk. der Richtung
96 ludere suasos: Ludere statt Kompositum illudere, analog mit Akk.,
vgl. Sedul. c. pasch. 1, 245 animos...ludit
97 aut: = et, s. Müller 57 zu 2, 90 — 96 mit Lit. und HSz 499 (Dis¬
junktion statt Kopulation hinter Negationen bzw. Fragen mit negativem
Sinn bereits im Altlatein), z. T. auch ähnlicher Gebrauch im Deutschen
102 perfecit: Sc. tempus vitae; zu beziehen auf qui in 1, 100
sua: Vgl. Io 1, 11 in propria venit (sc. Iesus Christus)
107 merces: PL 2, 1058 Anm. f sc. operum (nämlich von Jesus Chri¬
stus). Der Lohn, nämlich die Aussicht auf eine Erlösung, ist in der
marcionitischen Lehre nicht begründet, da Christus das Leid nur in
einem Scheinleib auf sich nahm, also gar nicht wirklich litt. Der
Argumentationsbestand dieser Passage ist aus Tert. adv. Marc. 3, 8
geschöpft
109 martyria: Hückstädt 16 Anm. 4 und Hilgenfeld 159 beziehen dies
auf die Marcioniten (zu deren Martyrien s. Tert. adv. Marc. 1, 27); es
können aber auch grundsätzlich alle Martyrien gemeint sein, ebenso
wie in 1, 190. 212, s. Holl 18f. Abzulehnen ist die Interpretation von
Waitz 12, der darin eine Anspielung auf die Gegenwart sieht, also die
Zeit der Christenverfolgungen, da es sich hier um eine rein theoreti¬
sche Ausmalung der Konsequenzen des häretischen Lehrgebäudes han¬
delt
113 verax: Wichtige Prädikation des AT —/NT —Gottes, z. B. Ps 85,
15; Io 3, 33; die Bedeutung ist hier ambivalent: Es geht um die Au¬
thentizität sowie um den moralischen Wert der Wahrhaftigkeit der
Aussagen Gottes; zum zweiten vgl. Braun 75f. 88
115 caeco duce: Vgl. Mt 23, 16 duces caeci bezogen auf Schriftgelehr¬
te und Pharisäer; eigentliches Vorbild ist Mt 15, 14, s. Otto 60; das¬
selbe Bild bei Comm. instr. 1, 37, 4 idcirco caecus caecum in fossa
reducit
in fossa ruistis: Nicht abl. sg. f., sondern PPP von fodio, = defossa
(acc. pl. n.)
119 tumidi...draconis: Vgl. für die Wendung Prud. cath. 5, 56
(draco = Standarte) und Cypr. Gail. nurn. 543
120: Ergibt nur Sinn als rhetorische Frage mit der Antwort nein, vgl.
Thelwall 323 Anm. 3
pace: Der Friede mit Gott, s. Löfstedt, Late Latin, 80
123 fruentes: Diese Konjektur von Müller hebt gut den krassen Gegen-
Kommentar zu Buch 1 139
satz zwischen Lob und Genuß des Geschaffenen einerseits und der
Schmähung des Schöpfers durch die Marcioniten andererseits hervor;
das von Fabricius gebotene ruentes ("während ihr doch zugrunde
geht”) würde lediglich nochmals den Gedanken von 1, 118 — 120 auf¬
nehmen und sich nicht so gut in den Zusammenhang fügen; pointiert
kommt der Gegensatz im Wortspiel 1, 124 zur Geltung
125 cuiusne: An Frage— oder Relativpronomina wird —ne in Sätzen
angehängt, die eine ungläubige Einwendung enthalten, s. HSz 366 mit
Stellen ab Plautus und Lit.
126 — 135: Hymnisch stilisierte Entfaltung des Waltens Gottes, der die
Welt zum Wohle des Menschen eingerichtet hat
128 mensibus anni: S. 5, 220 und dazu Smolak, Agrest., 86 zu
Agrest. 41 mit weiteren Belegen zu dieser weitverbreiteten Klausel
(zuerst Verg. georg. 1, 64) in astronomisch — chronometrischem Zu¬
sammenhang
133: Zur Textkritik s. o. S. 13f
134 iustusque bonusque: Feierlich in alter epischer Tradition, gr. —re
— re; inhaltlich ist dies ein Hieb gegen die Marcioniten, die ja zwi¬
schen dem Gott des AT (notus/iustus) und des NT (ignotus/bonus)
trennen
136 — 138: Die hierauf basierenden Datierungsversuche von Allix (zit.
Oehler 3, 78), Hückstädt 52 und Waitz 9 sind nicht fundiert; die Stelle
soll die Kritik an den Marcioniten verstärken: Selbst die zwar wohl¬
habenden, aber ungebildeten Heidenvölker erweisen Gott die gebühren¬
de Ehre, auch wenn sie das Christentum noch nicht erreicht hat (1,
137 alieno nomine). Vgl. die analoge Argumentation mit apologetischer
Intention bezüglich der ungewollten heidnischen Bezeugungen der
Existenz des einen Gottes Tert. test. anim. passim; Scap. 2, 1; apol.
17, 6; adv. Marc. 1, 7 — 10; Min. Fel. 18, 11; etwas anders akzentu¬
iert Prosp. carm. de ingr. 328 — 331, s. Huegelmeyer ad 1.
136 gentes: Zur Bedeutungsentwicklung s. Löfstedt, Late Latin, 74f
copertae: Zur Prosodie s. o. S. 24. Leitmotivartig durchzieht der Vor¬
wurf, daß der Teufel bzw. die Sekte im Verborgenen ihr Unwesen
treibt, z. T. sprachlich variiert, das gesamte Gedicht (vgl. 1, 26. 35f;
2, 1 — 12; 3, 287 — 289. 298; 4, 13; 5, 29. 83). Durch seine pia fraus
(2, 1310 weiß Christus dieser Taktik jedoch zu begegnen
138 factoremque: Zur freien, d. h. abundanten Verwendung von — que
bei verseinleitenden Wörtern vgl. HSz 476
tarnen: Nachgestellt, s. HSz 497 mit Lit.
139 gehenna: Hebräisches Lehnwort seit Tertullian, s. CCL 2, Index
rerum et locutionum, s.v., und CIL 5, 3216. Es ist auch in der Vetus
Latina und dem Vulgatatext des NT immer feminin
141 Marcionem: Hier erst nennt der Dichter namentlich das Werkzeug,
welches der Teufel nach dem Erscheinen Christi auf Erden zum Ver¬
derben der Menschheit einsetzte; für die Lehre Marcions immer noch
140 Kommentar zu Buch 1
doppelte Taufe bezeugt, s. Hückstädt 16f; dasselbe gilt für die Feuer¬
taufe, für die Holl 17 einen Erklärungsversuch unternimmt
163 Basiliden: Gnostischer Lehrer in Alexandria zur Zeit Hadrians, s.
Kretschmar, Basilides, 909f
164: Vgl. Iren. 1, 24, 3 et angelos factos esse dicunt et caelos
CCCLXV. Quapropter et tot dies habere annum secundum numerum
caelorum
165 Marco: Mit guter Begründung konjiziert Hückstädt 4 den Dativ
gegen Marcio bei Fabricius (die Verschreibung ist in diesem überge¬
ordnet antimarcionitischen Kontext gut vorstellbar); der Gnostiker und
Schüler Valentins ist nur aus Iren. 1, 13—21 bekannt. Er stellte Spe¬
kulationen über Zahlen an
166: Hückstädt 17 paraphrasiert "keusche Jungfrauen gewaltsam zu
Magierinnen zu machen", was angesichts von Iren. 1, 13, 1—3 über¬
zeugt
168 Hebion: Vgl. Reuss, Ebioniten; Hebion ist der Fiktive Stifter der
judenchristlichen Sekte der Ebioniten, die die Jungfrauengeburt leugne¬
ten (1, 168), die Beachtung des mosaischen Gesetzes als heilsnotwendig
ansahen (1, 169) und ein eigenes Evangelium besaßen ("gereinigter”
Pentateuch und Matthäus; 1, 170); er wird erwähnt etwa bei Iren. 1,
26, 2 sowie Tert. carn. 18, 1 (wo auch die orthodoxe Lehrmeinung
wiedergegeben wird: Filius ex patris dei semine, id est spiritu). Eine
ausführliche Diskussion häresiologischer Quellen zum Ebionitismus ab
Justin Findet sich bei Strecker, in Bauer 274 — 287; die historisch nicht
fundierbare Benennung eines Stifters (H)Ebion erklärt er 283 durch
eine "unreflektierte Assimilation an andere Sektengründer”, die seiner
Meinung nach auf das Syntagma Hippolyts zurückgehen
170 fontibus: Müller 58 ad 1. setzt dies mit NT gleich, wie 2, 41; hier
überspitzt für die starke Vernachlässigung des NT; TLL VI 1022 —
1027 s. v. wird dieser Wortgebrauch nicht erwähnt
elementa legis: Vgl. 2, 50; es dient als Umschreibung für das AT, s.
Müller 58 ad 1. und Lumpe 1098 mit Parallelen, da das AT die "ele¬
mentare” Voraussetzung für das Verständnis des NT ist; z. B. bedür¬
fen Hbr 5, 12 die Adressaten noch der Belehrung über die aroL\e?a ttjs
Äqxv* t&v Xojiui' tov 6eov; die von Müller hier und 44 zu 2, 25 als
Parallelen gegebenen Bibelstellen Gal 4, 3. 9 sind nicht korrekt, da
dort die Elementarmächte im antiken, physikalischen Sinn gemeint
sind, die oft auch als dämonische Potenzen verstanden wurden (wie
Sap 7, 17; 19, 17; Col 2, 8 und öfters in Rm), s. Schlier 190 — 193
mit Lit.
187f: Aus dem Präsens von iubet folgert Waitz 11, daß die "Durch¬
führung (dieses Befehls) nahe bevorstehe” und schließt, auch aufgrund
von 3, 6 — 9, auf eine Entstehungszeit für das Gedicht auf die 2. H.
des 3. Jh. Dies läßt sich bei der Allgemeinheit der Aussagen nicht
zwingend ableiten
Kommentar zu Buch 1 143
188 deleto elogio: Diese Konjektur stützt Pamelius mit dem guten
Verweis auf Col 2, 14 (durchgestrichener Schuldschein), s. PL 2, 1060
Anm. k. Dölger 129 — 140 erörtert die in ihrem Verständnis schwieri¬
gen Verse Col 2, 14f: Der Schuldschein wird von Christus an das
Kreuz geheftet; dahinter steht die Vorstellung vom Kreuz als Triumph¬
zeichen (vgl. Komm, zu 2, 167f), der Schuldschein entspricht der aus
jüdisch —apokalyptischer Tradition kommenden Schriftrolle, auf der die
Sünden der Menschheit von Engeln aufgezeichnet werden (Dölger
1380- Ferner war es bei Hinrichtungen üblich, den Verurteilungsgrund
für die Todesstrafe an das Kreuz zu heften (vgl. Mc 15, 26 bei Jesus
Christus selbst). In Col 2, 14f fließen die beiden Vorstellungen zu¬
sammen: Jesus nimmt den die Menschheit belastenden Schuldschein an
sich und gibt ihn als Grund für seine Hinrichtung an — denn er starb
schuldlos für die Sünden der Menschheit. Auf den komplexen Zusam¬
menhang wird hier nur knapp angespielt
lavari: = baptizari, wie 2, 193 lavacrum = baptismus 189 ergo:
Nicht als konkludierende Konjunktion, sondern zur lebhaften Einfüh¬
rung eines neuen Gedankenganges, s. HSz 511 und im CM auch 2,
127. 240. 250; 3, 266; 4, 16. 43. 57. 96. 126; 5, 31. 182. 188
totusque: Hier geht es weniger um die altkirchliche Sitte, den Täuf¬
ling ganz unterzutauchen, wie Waitz 18 meint, sondern das Folgende
macht deutlich, daß der Mensch in seiner Ganzheit von Leib und Seele
gemeint ist
190 abstinet: Sc. in der Nahrung (Askese), s. Tert. resurr. 8, 4
195 — 209: Zu der Versicherung, daß auch das Fleisch aufersteht, s.
Hückstädt 18 Anm. 1—3 mit Belegen bei Tertullian
195 —197: In Ps.Prosp. carm. de prov. 583—586 wird der prinzipiell
gleiche Ursprung von Armen und Reichen hervorgehoben
199 dives: Gott allein ist wahrhaft so zu nennen, s. Oxe 26 mit Anm.
2; auch 4, 93. 175; 5, 6. 108. Für diese Gottesprädikation finden sich
bei Braun und im TLL V 1, 1587 — 1592 keine Belege, obgleich sie in
der christlichen Dichtung einige Male vorkommt, z.B. Ps.Prosp. carm.
de prov. 117f. 518f; Prud. cath. 3, 83; Mar. Victor aleth. praef. 38f;
1, 38b — 40; ähnlich 3, 127. Ausgangspunkt dafür dürften Bibelstellen
wie Rm 10, 12; Eph 2, 4. 7 und 2 Cor 8, 9 sein. Bei Prud. perist. 2,
122. 171f wird mit dieser Prädikation gespielt, indem ideeller mit
materiellem Reichtum kontrastiert wird
201 —203a: Müller 58 ad 1. ist nicht ganz befriedigend, da sie anschei¬
nend in 203 locuples mit deus gleichsetzt; es handelt sich hier jedoch,
analog zu 1, 195 — 197, um das Gegensatzpaar locuples/egenus, das
gleichnishaft das Verhältnis von Seele und Körper veranschaulichen
soll. Damit entfallen auch die Überlegungen zur Textgestaltung bei Oxe
21
205f: Vgl. Müller 58 ad 1. Ihr Vorschlag, ut ( = velutsi, abhängig
von culpare) animam, quam suscitet,...liberet anhand des Textes bei
144 Kommentar zu Buch 1
30 funebat in: Dieser Text von Fabricius ist zu halten, da alle Konjek¬
turen prosodisch wie inhaltlich unbefriedigend sind und der bei Fabri¬
cius überlieferte Text einen guten Sinn ergibt. Es handelt sich hierbei
um die mit einem fingierten Einwand wiedergegebene Meinung der
Marcioniten, in deren Augen die vorhandenen Bezüge bei Paulus auf
das AT in der Tat eine "Raserei” darstellten, weswegen in ihrer Bibel¬
fassung diese Bezüge auch getilgt wurden
31 locutus: Sc. est Paulus; im CM findet sich öfters Pt. anstelle eines
Vollverbs, vgl. HSz 306. 389f. Es muß hier nicht ausschließlich auf
den Hebräer —Brief angespielt sein, wie Thelwall 331 Anm. 6 und
Koffmane, Mar. Victor., 35f meinen
31 quae...cumque: Tmesis
32 corde gravati: "In ihrem Innern verstockt”, d. h. ihnen ist die
Erkenntnis der Wahrheit verwehrt; gravare ist eine ungewöhnliche
Wortwahl, die ihre Ursache in der sprachlichen Kontaminierung zweier
Bibelstellen hat: Is 6, 10 excaeca cor populi (dieses Bild taucht 2,
33 — 35 auf)...et aures eius adgrava..., ne...corde suo intelligat sowie
Act 28, 27 incrassatum est enim cor populi huius, et auribus graviter
audierunt. Der Vers spielt auf die tendenziösen Korrekturen an, die
Marcion und seine Anhänger an den ihrer Meinung nach judaistisch
verfälschten Paulusbriefen (und auch dem Lukas — Evangelium) Vor¬
nahmen, s. Harnack, Marcion, 43 — 67
34 lumina praeducit menti: Sc. Paulus, dessen Wirkung als Erleuchte¬
ter auf die Marcioniten eine verfehlte ist (da sie dadurch geblendet
sind), während sie sonst als positiv gepriesen wird, z. B. Anthol. Gr. I
Kommentar zu Buch 2 147
credit in me, sicut scriptum est, flumina de ventre eius fluent aquae
vivae, was die Vulgata, der alexandrinischen Exegese folgend, über¬
nommen hat. In 43 ist uterus die Wiedergabe von xoiXia in Io 7, 38
(vulg. venter); vgl. zum Sprachgebrauch auch 2 Sm 7, 12f und Ps
131, 11 (G). S. auch Komm, zu 2, 191 — 195
44 sata: Oxes Textvorschlag statt fata bei Fabricius, mit gutem Ver¬
weis auf 1 Cor 15, 36 quod seminas non vivificatur, nisi prius moria-
tur
46f susceptum...evangelium: Vgl. Gal 1, 11 f; Paulus erhielt das Evan¬
gelium per revelationem Iesu Christi und nicht durch einen Menschen;
vgl. Aug. doctr. ehr. prol. 12
doctor: Als Bezeichnug für Paulus z. B. auch bei Tert. pudic. 14,
B7; Prud. ham. 506; ditt. 192; perist. 12, 24
48 Galatas: Z. B. Gal 2, 16 (keine Gerechtigkeit aufgrund von Werken
des Gesetzes) scientes autem quod non iustificatur homo ex operibus
legis nisi per Fidem Iesu Christi et non ex operibus legis propter quod
ex operibus legis non iustificatur omnis caro
49 falsi fratres: Gal 2, 4 sed propter subintroductos falsos fratres qui
subintroierunt explorare libertatem nostram quam habemus in Iesu
Christi ut nos in servitutem redigerent; gemeint sind Judenchristen, die
eine extrem gesetzestreue Haltung verlangten
50 elementa: S. o. zu 1, 170
novä libertate: Sc. vom Buchstaben des alttestamentlichen Gesetzes,
vgl. Gal 5, 1 u. ö.; nova ist hier Abi.
51 umbrae veteri: Das AT als typologische Präfiguration des NT, vgl.
Col 2, 16f u. ö.; analoge Formulierungen im CM sind bei Oxe 12
verzeichnet
52 — 54: Erst jetzt wird die Absicht des Gedankengangs ab 48 deutlich;
s. Hückstädt 21 Anm. 2 : Die Aussage ”ist gegen falsche Schlüsse
gerichtet, die die Marcioniten aus Gal. 2 zogen”, besonders aus Gal 2,
7f. Dort hat Petrus das Evangelium für die Beschnittenen, weswegen
ihn die Marcioniten als ”Mann des AT” ablehnten, s. Geerlings 63
55 atque adeo: Adeo steht hier gleichsam als Partikel zur Intensivie¬
rung der Aussage; zur Junktur atque adeo s. TLL, s. v. adeo, I 612,
58ff mit Belegen von Plautus bis in die Spätantike. Die Umschreibung
von adeo...sed bei Müller 59 ad 1. mit non tarn...quam ist etwas frei
57 bona nuntia: Hier wird mittels einer etymologischen Erklärung
evangelium von 56 wieder aufgegriffen; Oxe 25 zählt weitere Etymolo¬
gien griechischer Wörter auf. Ein solches Verfahren entspricht dem
Anspruch des Dichters auf Gelehrsamkeit (der Dichter erhebt jedoch
keinen Anspruch auf die Belehrung des Lesers, s. Komm, zu 4, 3) und
war in der patristischen Literatur sehr beliebt. Inwieweit man daraus
auf Griechischkenntnisse schließen muß oder darf, ist fraglich, da keine
allzu ausgefallenen Wörter etymologisiert werden und solche Erklärun¬
gen teilweise schon mit den frühen lateinischen Bibelübersetzungen
Kommentar zu Buch 2 149
näher erläutert; zu moles vgl. TLL, s. v., VIII 1340, 79ff (respicitur
potissimum magnitudo, gravitas, maiestas, vis), wo diese Stelle jedoch
nicht aufgeführt ist. Für imago in der Bedeutung ''wirkliches Erschei¬
nen, Gestalt” s. Müller 59 ad 1. und Hbr 10,1 umbram enim habens
lex bonorum futurorum, non ipsam imaginem rerum
85: Der Gedanke, daß im AT wie in einem Spiegel die Wahrheit in
einem Abbild erblickt werden kann, findet sich auch noch in 3, 43 und
4, 65
88: Zur Kleidermetaphorik s. o. Komm, zu 1, 3
90f aut: Abgeschwächt statt et, s. HSz 499 u. o. Komm, zu 1, 97
92 pluris: Sc. est, Gen. pretii
94 aut: = num, s. HSz 465
multae plebis: Gehört zu auxilium in 95
95 auxilium/tutela: Prädikativa zu agnus in 94
101 expiet: "Durch Aussöhnung erwirken”; die Wahl des Objekts
veniam ist ungewöhnlich, da sonst expiare in Verbindung mit negativen
religiösen Begriffen steht (z.B. ira deorum, peccata), im Sinne von
abluere (TLL V 2, s.v., 1706, 53ff),violatum reficere (ibid. 1706,
77ff) und restituere (ibid. 1707, 57ff); die beiden letzteren haben mög¬
licherweise diese Verbindung erleichtert
102 domini maculata figura: Prädikativ oder Apposition zu caro foeda
in 103
sapiens: Enallage ( = domini sapientis ...figura)
105 magnae rationis imago: Sc. Dei; vgl. Col 1, 15 imago Dei invisi-
bilis als Aussage von Jesus Christus
106 pietate: Von Gott Vater, s. u. Komm, zu 4, 36
108 apertor: = -kqwtos ecperrys (hapax legomenon)
109 apostolus: "Gesandter, Bevollmächtigter”, nicht auf die Zwölf oder
Paulus bezogen in der Bibel Io 13, 16; 2 Cor 8, 23; Phil 2, 25; Hbr
3, 1 considerate apostolum et pontificem confessionis nostrae Iesum;
anders Arator act. 2, 437 sed apostolus Adam | iam melior. Inhaltlich
analog ist Iren. 3, 11, 4 Iohannes autem et praenuntiavit...et credere in
eum suasit multis, ita ut ipse et prophetae et apostoli lucum habuerit
111 sublimi laude notatus: Nämlich von Jesus selbst, s. Thelwall 336
Anm. 1
115 reprobis probus: S. 2 Cor 13, 5 vosmet ipsos temptate si estis in
fide, ipsi vos probate, an non cognostis vos ipsos quia Christus Iesus
in vobis est nisi forte reprobi estis
116 corpore homo: Hervorhebung der Menschennatur Christi gegen
den marcionitischen Doketismus, vgl. 1, 98 — 100
vita: "Lebensprinzip”
120: Vgl. 1 Cor 5, 7 ...etenim pascha nostrum immolatus est Christus
und o. Komm, zu 2, 65
152 Kommentar zu Buch 2
u.ö. zurückgeht; es findet sich auch noch Aug. serm 84, 3 und Sedul.
hymn. 1, 61f
164 extenditque manus: Müller und im Anschluß daran Willems bieten
die Bibelparallele Prv 1, 24 qui vocavi et renuistis, extendi manum
meam et non fuit qui aspiceret. Sie ist nicht zutreffend, da inhaltlich in
den Sprüchen eine Geste des Bittens beschrieben wird, während es im
CM um die am Kreuz ausgespannten Arme Jesu geht (analog zur
entsprechenden Geste Adams, die auch bei dem alttestamentlichen Ty-
pos Moses in 3, 64 noch einmal auftaucht)
166 exuit exuvias: Fig. etym.
167f: Im Hintergrund steht, wie in 1, 188 (s. Komm, dort), Col 2,
14f, wobei hier jedoch nicht der Schuldschein an das Kreuz geheftet
wird, sondern das serpentis spolium; dies wird durch eine entsprechen¬
de Exegese von Col 2, 15 exspolians principatus et potestates traduxit
palam triumphans illos in semet ipso ermöglicht, wozu Dibelius 31 —
33. Ähnliches formuliert Ambr. in psalm. 118 serm. 21, 11 (PL 15,
1506 B) zur Erklärung des Verses exulto ego in verbis tuis, sicut qui
invenit spolia multa: ...et ut iterum cognoscas, quia spolia Christus a
diabolo, quae in Adam ille invaserat, vindicavit
167 mundi: Gegensatz zu caelum, aeternitas, in der Bedeutung "diese
Welt”, vgl. Io 14, 30 iam non multa loquar vobiscum. venit enim
princeps mundi huius et in me non habet quicquam
168 tropaeum: Das tropaeum ist ein Siegesmal griechischer Herkunft
und wurde ursprünglich dort errichtet, wo der Feind zur Flucht
(tqoto]) gezwungen wurde. An einem Baum oder zwei gekreuzten
Hölzern wurden dort die feindlichen Beutestücke aufgehängt. Aufgrund
der Form und des Siegescharakters des tropaeum übertrugen es die
Kirchenväter ab dem 2.13. Jh. auf das Kreuz Christi, z. B. Just. 1
apol. 55, 3; Orig. Jo. 20, 36; Min. Fel. 29, 7; vgl. auch Paul. Nol.
carm. 19, 654 und Rahner 377ff. Das Kreuz ist also das Zeichen des
Sieges Christi über den Satan und das Böse
169 —171: Hier wird eine inhaltliche Analogie zwischen der durch
Moses aufgehängten ehernen Schlange (Nm 21, 6 — 9) und der durch
Christus besiegten Satansschlange hergestellt. Diese Auslegung steht
dem Hauptstrom der christlichen Exegese entgegen, die, ausgehend von
der innerbiblischen Typologie in Io 3, 14f, die eherne Schlange mit
dem an das Kreuz geschlagenen Christus identifizierte, wie z. B. Barn.
12, 5f; Comm. carm. 328; Iuvenc. 2, 217ff; Ambr. in psalm. 118
serm. 6, 15 (PL 15, 12720; Aug. c. Faust. 12, 30. Wie Tert. idol. 5,
3f überliefert, bildete dies einen Angriffspunkt für die Marcioniten, die
die Widersprüchlichkeit zwischen der Anfertigung dieser Schlange und
dem Verbot, sich Bilder von Dingen zu machen und sie zu verehren
(Ex 20, 40, anprangerten. Während Tertullian dem entgegenhält, daß
die Befehle Gottes durchaus dem Buchstaben des Gesetzes widerstpre-
chen können, wird im CM die Typologie ohne nähere Erklärung ein-
Kommentar zu Buch 2 155
und dem Anfang des Mittelalters, Christiania 1890, 37): ...lateris Adae
costa in mulierem versa est, in qua Christi praefigurabatur ecclesia a
sopore passionis eius vulnerati lateris cruore formata; Caspari 340
datiert die Schrift zwischen 418 und 430, höchstwahrscheinlich stammt
ihr Verfasser aus Britannien, hielt sich zeitweilig aber auch in Sizilien
auf (Caspari 338. 342). Wiederum ist die große horizontale Beweglich¬
keit der Menschen in der Spätantike hervorzuheben, die eine lokale
Fixierung bestimmter Vorstellungen sehr erschweren. Eph 5, 31f prä-
formiert die Analogie Eva/Kirche, wozu Lit. bei Guldan 33 Anm. 38;
s. auch Komm, zu 2, 42f
193 lavacrum: Nach Koffmane, Kirchenlatein, 21 war dieser Ausdruck
im Volk für ”Taufe” sehr beliebt; s. z.B. aber auch Lact. inst. 5, 19,
34.
195 ossum: Ist gegen Hückstädt 6, der analog zu 2, 182 ossa Vor¬
schläge mit Oxe 20 als "vulgär” für os, ossis (neutr.) beizubehalten, s.
biblische Belege bei Rönsch 259 und Aug. doctr. ehr. 3, 3, der die
Form als Barbarismus verurteilt; ibid. 4, 65 erlaubt er jedoch, daß der
Prediger sie verwendet, wenn er ein Mißverständnis mit os, oris ver¬
meidet und dadurch seinen Zuhörern besser verständlich wird
196 Gölgötha: Anders Iuvenc. 4, 657 ubi ruris Golgatha nomen | und
Carm. de pascha 2 j Gölgötha Iudaei patrio cognomine dicunt. Die
Messung der Quantitäten hebräischer Namen wurde sehr frei gehand-
habt und oft der metrischen Notwendigkeit angepaßt, s. dazu allgemein
Lavarenne 76 — 78
197 patema: = Iudaea
198: Golgatha wird als der Mittelpunkt der Erde auch in Carm. de
pascha lf bezeichnet, aber ohne die biblische Etymologie
199 os: Die Golgatha — Legende spricht vom Schädel Adams, s. Holl
46 und Thelwall 339 Z 262 ”head”. Die Vorstellung vom übergroßen
Adam findet sich bereits im Bartholomäus — Evangelium 1, 21
(Schneemelcher 1, 428)
201: Zur Ortsidentität s. o. Komm, zu 2, 160
204 — 214: Eschatologische Deutung des Sabbat. So, wie Christus am
Sabbat seines Todes bereits einen Menschen erlöste und davor am
Sabbat Heilstaten vollbracht hatte, wird er am Jüngsten Tag alle, die
auf ihn hoffen, erlösen, vgl. Ambr. paenit. 2, 7, 54f. Iren. 5, 23, 2
konstruiert eine Analogie zwischen Karfreitag und dem sechsten Schöp¬
fungstag
204f: Im Kontext der Golgatha — Legende ist ovis der vetus Adam und
der pastor Christus; vgl. etwa die Version Hier, epist. 46, 3 ...ut
secundus Adam...primi Adam...peccata dilueret et tune sermo ille
apostoli compleretur "excitare qui dormis et exsurge a mortuis et inlu-
minabit te Christus” (vgl. Eph 5, 14). Aufgrund dieses Zusammen¬
hangs ist es nicht wahrscheinlich, daß das Osterereignis mit der Er¬
weckung Christi selbst gemeint ist
Kommentar zu Buch 2 157
238 fudit: TLL VI 1569, 19 umschreibt mit largiri sc. bona, opes
sim., abunde donare
239 non tantum: Thelwall 341 Anm. 5 sc. quantum primo fuerat (näm¬
lich Seele und Leib)
240 — 249: Der Verfasser verwahrt sich gegen die buchstäbliche Ausle¬
gung von 1 Cor 15, 50 ... quoniam caro et sanguis regnum Dei possi-
dere non possunt neque corruptio incorruptelam possidebit... seitens
der Marcioniten (ein Mißverständnis wird eigentlich auch durch den
Zusammenhang von 1 Cor 15, 42 — 46 vermieden); Aug. c. Faust. 16,
29 setzt caro und sanguis mit mortalitas gleich, die im Mysterium des
Endes gegen die immortalitas ausgetauscht wird. Marcion verwarf
allein von allen Gnostikern die allegorische Auslegung, s. Material bei
Hückstädt 24 Anm. 5. Geerlings 63 plädiert dennoch dafür, Marcion
stärker zu den Gnostikern zu zählen, vgl. auch Aland passim, beson¬
ders 447 und Rudolph, besonders 337 — 341; eine ausgewogene Posi¬
tion Findet sich bereits bei Hilgenfeld, Ketzergeschichte, 317f, der
hervorhebt, daß Marcion trotz seiner gnostischen Unterweisung ein
”Mann der That und des Lebens war”, dessen spezifische Leistung es
gewesen sei, eine esoterische Schullehre in das öffentliche Leben der
Kirche überführt zu haben
243 camali sermone: Sc. Paulum docere, vgl. Barn. 10, 9 Xaßüjv
Mcdimrp' TQLa doy/xara ourcos ev irvevuarL e\a\r)oev, ol 8e
xar'err/s aagxos o>s Treg'i ßQuoeuis TTQoaeöe^avTo und CM
2, 241; sermo taucht im CM dreimal auf, während verbum im Singu¬
lar sechzehnmal vorkommt; verbum nimmt ab dem 4. Jh. überhand,
zuvor war sermo vor allem für Afrika typisch. Prudenz etwa verwen¬
det die Ausdrücke synonymisch, aber verbum wesentlich häufiger. Zu
carnalis im Sinne von corporalis, temporalis, terrenus, libidinosus bei
den Kirchenvätern s. TLL, s. v., III 474, 79ff und 1 Cor 3, 1
non...loqui vobis quasi spiritalibus, sed quasi carnalibus. Es könnte
sich hier zusätzlich auch um ein Wortspiel mit caro handeln, um des¬
sen Auslegung es in diesem Zusammenhang geht
nam: Adversativ wie 3, 95; 4, 109. 189. 209; 5, 163. 244
247 pignus: S. 2 Cor 1, 22 dedit pignus Spiritus in cordibus nostris;
ähnlich Rm 8, 23 und Eph 1, 13f
250 suo: Bezogen auf Christus, das Subjekt des übergeordneten Haupt¬
verbs negavit in 252
252 ex veteri causa: Gemeint ist der Sündenfall
254 vita: Statt Io 3, 6 ex spiritu spiritus, da es mit 1 Cor 15, 51—54
kontaminiert ist; es entsteht dadurch eine mehrschichtige Aussagedi¬
mension: Analog zu der Identifizierung von spiritus mit vita steht dann
das vorausgegangene caro für Tod; vita steht als abstractum pro con-
Kommentar zu Buch 2 159
creto für die Lebenden, die ”zu der Zeit der letzten Posaune” verwan¬
delt werden
255 mutans: Attr. zu vita in 254
256 ablutum: Sc. a radice vetere
de carne: Sc. esse
vocari: Final —konsekutiver Infinitiv
262: Vgl. 1 Cor 15, 52 In momento, in ictu oculi...nos immutabimur
263f: Überzeugend faßt Müller 60 zu 264 das et als et postpositum
auf (vgl. HSz 484), also: facies dispanditur et herba mutat...; auch das
Nachstellen von Konjunktionen ist charakteristisch für das CM
263 rufae cerae: Dieselbe Bezeichnung für die Farbe von Wachs auch
Veg. mulom. 3, 15. Daß die Macht der Sonne auch Wachs zum
Schmelzen bringt, findet sich z. B. in Lucr. 6, 965 und Aug. serm.
53, 3 (Mai) velut cera sole calente soluta
268: S. 1 Cor 15, 54 absorpta est mors in victoria
160 Kommentar zu Buch 3
Buch 3
Dichter mit der nun folgenden Reihe der Gerechten bewußt gegen diese
Antithese stellt, kennzeichnet er nicht ausdrücklich
14 — 224: Die nun beginnende Typenreihe durchzieht in unterschiedli¬
cher Gewichtung der Gedanke, daß die Schuldlosen und Gerechten
Leid oder Mühsal ertragen, aufgrund ihres Glaubens jedoch verdienten
Ruhm erlangen. Die Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt, ist in
Hbr 11 thematisiert; viele der dort genannten AT — Gestalten tauchen
auch in dieser Reihe auf (ab Abel); eine ähnliche Liste, die Gottes
Herrlichkeit in der Geschichte demonstrieren soll, ist das Lob der
Väter Henoch, Noah, usw. in Sir 44ff, wo sich jedoch auch viele
andere Personen finden, die im CM nicht auftauchen, und die Akzen¬
tuierung der geschilderten Verdienste der einzelnen Gestalten manchmal
verschieden ist. Für die jeweilige Paraphrase werden die verschiedenen
AT— und NT —Vorlagen im Einzelfall unterschiedlich ausgewertet und
kombiniert. In formaler Hinsicht erinnert diese Aneinanderreihung von
Episoden an das Dittochaeon von Prudenz oder an Sedulius passim.
Auch die Exemplareihen in der Prosa (z. B. Cic. off., Ambr. off., die
christliche Paideia —Tradition) entsprechen diesem Verfahren, das sich
noch bei Drac. laud. 3 findet; zur episodischen Zuspitzung typologi-
scher Reihen vgl. auch das Dittochaeon des Prudenz und Sedul. hymn.
1.
Der Dichter rechnet hier die Typoi ab Abel zum Volk der Verheißung,
welches er also jetzt — scheinbar unter Vernachlässigung von 3, 1 — 13
— als schon vor Sara existierend auffaßt. Bruchlos ist die Chronologie
bei Aug. civ. 15, 1—3, da Gal 4, 21—31 als methodologischer
Schriftbeweis in civ. 15, 2 eingefügt ist und das Wesen der beiden in
ihrem procursus entfalteten civitates erläutern und rechtfertigen soll,
wozu Cranz passim. Der bei Augustin dargestellte "historische” Abriß
dieser civitates ab Abel bzw. Kain ist von dem dazwischengeschobenen
Schriftbeweis klar abgesetzt. Gerade die Geschichtsphilosophie Augu¬
stins jedoch erlaubt dem Carmen — Dichter eine solche kühn konta¬
minierende Überblendungstechnik: Die Verneinung der Möglichkeit,
daß innerhalb der historisch— diesseitigen Abfolge von Ereignissen
Fortschritte und qualitative Umschläge stattfinden können, die Betonung
der Außergeschichtlichkeit der Heilstat Christi und die daraus abgeleite¬
te Vorstellung einer Kirche aller Heiligen ab Abel lassen die hier
vollzogene, unmittelbare Nebeneinanderstellung von Sara und ihren
"Kindern” ab Abel überhaupt erst zu. Der Dichter nutzt also den
poetisch —fiktiven Freiraum, um die Theologie Augustins "mit anderen
Mitteln" in ihren gedanklichen Konsequenzen umzusetzten, wobei er
die bereits in der Bibel vorhandene Allegorese von Sara als der Mutter
des freien Volkes ausschöpft. Das Wort cTvitäs kann im CM aus metri¬
schen Gründen nicht verwendet werden und wird durch populus oder
gens ersetzt. Die Kombination von Gal 4, 21—31 und ecclesia ab Abel
162 Kommentar zu Buch 3
findet sich erst bei Augustin (s. o. S. 32); deren spezifisch poetische
Weiterverarbeitung setzt Augustin als den Gebenden voraus
14 huius: Wie in 3, 16 Gen. orig., abhängig von gens una in 3, 12
Abel iustus: S. Mt 23, 35. Ab dem Ende des 4. Jh. wird iustus in der
kirchlichen Literatur zu einem kennzeichnenden Titel des Christen, was
in Zusammenhang mit der nun zentral gewordenen Theodizee —Frage
steht; diese grundlegende Entdeckung bei Geerlings, besonders 61
pecudumque magister: Zum Ausdruck vgl. Liv. 1, 4, 6 magister regii
pecoris ( = Faustulus)
16 Enoch: Nicht der Sohn Kains, sondern der an siebter, also bevor¬
zugter, Stelle stehende Urvater, der durch Gott entrückt wurde, s. Gn
5, 18. 21—24; Hbr 11, 5 und Aug. civ. 15, 19. Lawlor 211 stellt die
These auf, daß das CM hier aus dem äthiopisch und griechisch überlie¬
ferten Enochbuch zitiert, besonders da Vers 19 die gleichzeitige Exi¬
stenz von (H)Enoch und den Giganten voraussetzt. Dies läßt sich aus
den biblischen Quellen nicht erschließen, während das Enochbuch dies
nahelegt. M. E. ist diese Abhängigkeit nicht eindeutig, da unsere Stelle
auch auf einer Ausdeutung von z. B. Tert. idol. 4, 2 beruhen kann
18 refugarum: Substantiv als Attribut verwendet; gemeint sind die
Gottessöhne und ihre Nachfahren, die Giganten, aus Gn 6, 4
22 translatus...pignus: Dieser Vorschlag von Thelwall 344 Anm. 3 zur
Verbesserung von translatum...pignus bei Fabricius ist grammatisch
wie inhaltlich am befriedigendsten, vgl. Sir 44, 16 Enoch placuit Deo
et translatus est in paradisum, ut det gentibus paenitentiam
29 cuius...negatis: Da die Marcioniten die Relevanz des AT für den
christlichen Glauben leugneten
33: S. o. Komm, zu 3, 6
37 foedae sine sorde iuventae: Der Text von Fabricius ist zu halten,
die Verbesserungsvorschläge sind unbefriedigend; Jiilicher 631 über¬
setzt "mit der trotz seiner Schuldlosigkeit so erbärmlichen Jugend”
41 imago: Vgl. 3, 75 Christus als imago virtutis; Ambr. in Luc. 4, 7
unterscheidet zwischen Adam (ad imaginem dei) und Jesus Christus
(imago dei)
44 Iudas: S. Mt 2, 6 et tu Bethleem terra Iuda...ex te enim exiet dux
qui reget popul um meum Israel
48 — 52: Unverständlich ist Hückstädt 25 Anm. 5: ’Tn v. 48 seq.
weicht der Verfasser von der biblischen Relation ab, indem er den
Moses aus freiem Antriebe das königliche Haus meiden läßt”
52 delicias multasque remittere poenas: Müller 60 ad 1. bietet eine
ungenügende Erklärung; es handelt sich um ein hartes Zeugma von
remittere: "Sich Annehmlichkeit zuzugestehen und viele Mühseligkeiten
zu erlassen”
57 calcavit fluctus: Moses durchquerte das rote Meer, s. Ex 14, 16 ut
gradiantur filii Israhel in medio mari per siccum; Hbr 11, 29 fide
transierunt Mare Rubrum tamquam per aridam terram; wie schon
Kommentar zu Buch 3 163
häufiger wird hier die Typologie in die Gestaltung der Aussage einge¬
schmolzen, denn der Antitypos von Moses, Jesus, schritt über das
Wasser, Mt 14, 25 venit ad eos ambulans supra mare. In der Dichtung
des 5. Jh. ist calcare der charakteristische Ausdruck für das Gehen
über das Meer, s. Prud. apoth. 664; cath. 9, 49; Sedul. c. pasch. 3,
226; Paul. Nol. carm. 22, 141, das auch die Prosa kennt, z. B. Aug.
in psalm. 138, 22. Das hier bis zur äußersten Konsequenz angewendete
Verfahren der Typologie zur Untermauerung des Beweiszieles rechtfer¬
tigt dieses dichterische Vorgehen, das sich bei Prudenz (cath. 5, 57 —
80; ham. 471 —474; psych. 650 — 662; perist. 5, 481—484; tit. hist. 9)
und Sedulius (c. pasch. 1, 136 — 147) nicht findet und auch im Mittel-
alter selten ist, s. Ohly 318f, der aus den Vorauer Büchern Moses (12.
Jh.) eine Stelle gibt, wo Gott auf dem Berg Sinai zu Moses die Worte
Christi an den Sadduzäer spricht (Mt 22, 37ff)
58: Zu dieser Typologie vgl. Tert. adv. lud. 13, 12; Or. hom. in Ex.
7, 1; Prud. ditt. 13; cath. 5, 93 — 96; Hier, epist. 122 praef.; Aug. c.
Faust. 12, 30
59 cum Christo (populo manifeste) multa locutus: Dieser Eingriff von
Thelwall 345 Anm. 4 ändert am wenigsten gegenüber dem Text bei
Fabricius (cum Christi populo...), auch ist die Aussage so nicht abun¬
dant. Moses sprach sowohl mit Gott als auch zum Volk, vgl. z. B. Ex
19. 20. 24, wobei jedoch dem Ersteren mehr Gewicht zukommt; dazu
s. weitere Bibelbelege bei Thelwall ebd., und speziell Sir 45, 3 glorifi-
cavit (sc. deus) illum (sc. Mosea) in conspectu regum et iussit illi
coram populo suo. Die Gleichsetzung des Gottes des AT mit Christus
geschieht auch 4, 174 und 5, 207ff, wobei nicht so sehr das christolo-
gisch —trinitarische Anliegen eines präexistenten Logos im Vordergrund
steht als vielmehr die Verteidigung und Affirmation der Kontinuität und
Identität des göttlichen Handelns vom AT hin zum NT
60; S. Ex 34, 29 und 2 Cor 3. Der Text bei Fabricius ist prosodisch
korrekt. Der Verdacht einer Glättung seinerseits liegt zwar nahe, aber
die Verbesserungsvorschläge anderer sind nicht befriedigend. Trotz 2
Cor 4, 6 beziehe ich die Aussage auf Moses, nicht auf Gott bzw. Jesus
Christus, da auch Moses den Abglanz Gottes auf seinen Gesicht trägt;
so kommt wiederum seine präfigurative Transparenz zur Geltung
61 per paucos: S. Hückstädt 25 "durch wenige Leute”, was einer
Präfiguration der zwölf Apostel entspricht
64 extenditque manus: Dieselbe Geste bei Adam in 2, 161 und Jesus in
2, 164; weitere Parallelen bei Hückstädt 26 Anm. 1, z. B. Tert. adv.
lud. 10, 10; Ps. Orig. ( = Greg. Ilib.) tract. 14, 4; Aug. c. Faust.
12, 30. Wiederum wird hier nicht ausdrücklich gesagt, daß dem eine
(widerlegte) Antithese Marcions entgegensteht, nämlich daß Moses mit
dieser Geste seine Feinde töte, Christus aber die Menschen erlöst habe,
vgl. Harnack, Marcion, 90
signo: Vgl. Constantins Vision des Kreuzeszeichens in Lact. mort.
164 Kommentar zu Buch 3
pers. 44, 5f und in der V. Const. 1, 26; auch CM 3, 108 das lignum
als Christi victoriae signum
66 cum laudis pace: Zur Konstruktion s. u. Komm, zu 3, 116
67: Die Namensänderung wird durch Moses vorgenommen, als sich
Josua in seinen Dienst stellt, s. Nm 13, 17 (vulg) und Tert. adv.
Marc. 3, 16; ausführlich dazu Danielou 203 — 216. B. Löfstedt, Zeno-
nis Veronensis Tractatus, CCL 22, Turnhout 1971, 76* erläutert, daß
die Namensform Iesus Nave aus der Vetus Latina und den von ihr
abhängigen Texten geläufig ist, während Hieronymus in der Vulgata
die ältere hebräische Namensform losue filius Nun einführte. Die hier
verwendete Form Iesus Nave (filius) ist kein Anhaltspunkt für einen t.
a., da auch nach der Verbreitung der Vulgata teilweise die gewohnten
Namen oder Wendungen beibehalten bzw. mit neuen Formen gemischt
wurden, was auch im CM der Fall ist (s. o. S. 36)
70 promissa patema: "Was den Vätern verheißen worden war”, ebenso
4, 43 und 5, 223
72: Eine negative Vorstellung vom Geschlecht der Giganten, wie 3, 19
im Zusammenhang mit Enoch; anders in 3, 269
76: Dasselbe Verfahren der Praeteritio in Hbr 11, 23. 33
81 —105: Die typologischen Analogien der Gedeongeschichte lassen sich
auch bei Ambr. spir. 1 prol. 7 — 9 und ähnlich vid. 3, 18f finden, bis
auf die Deutung der faces in Vers 98 als Spiritus sanctus, was indirekt
auf 1 Cor 3, 12f und Ambr. spir. 1, 14, 149 zurückzuführen ist;
insgesamt vgl. auch Or. hom. in Jud. 8, 4f und Iren. 3, 17, 3
81 acer: Davon hängt a.7ro xolvov auch 3, 82 ab
82 virtute sua: "Aufgrund seiner Tapferkeit”, vgl. Idc 8, 22f, wo
Gedeon und seinen Söhnen (gens) die Königswürde (tutela) angetragen
wird, die er aber, bescheiden trotz seiner Erfolge, ablehnt
83 excita mente: Vgl. 3, 74 legitima mente; hier ist eine Stufe der
Entwicklung zu beobachten, die im Romanischen in die Adverbialbil¬
dung auf — ment(e) mündet, s. HSz 170
85 — 89: Inhaltlich vgl. Idc 6, 36 — 40 (Doppelzeichen mit der Widder¬
wolle)
85 ut: Abhängig von petit in 3, 83; zur Nachstellung s. HSz 399, die
seit dem Altlatein möglich ist
87 hoc...mundo: Abi. abs. statt Pt. coni. zu vellus in 3, 85. Nach HSz
139ff ist diese seltene Konstruktion zum Ausdruck eines Gegensatzes
bereits ab Plautus möglich und entspricht einem appositioneilen Nach¬
trag unter Wiederaufnahme des Beziehungswortes durch ein Demon¬
strativpronomen (hoc). Zu mundum im Sinne von "trocken” s. Müller
61 ad 1. Gemeint ist, daß, falls das Fell trocken bleibt, die Feinde
siegen werden. Ein völlig anderer Vorschlag zum Verständnis des
Textes bei Thelwall 347 Anm. 7 (er konjiziert coarescere für
coalescere, was eine Kontrastformulierung zur blühenden Palme in
Ps 91, 13 (G) wäre)
Kommentar zu Buch 3 165
92 Tau: Als griechisches Zahlzeichen für 300 und als Zeichen für das
Kreuz, s. Oxe 13 und CM 3, 97a sowie Rahner 398f. 413 — 426, zu
; dieser Stelle 421. Diese Deutung war der christlichen Exegese ab der
Wende des 1. Jh. (Barn. 9, 8) vertraut und stellt eine Abwehr der
talmudischen Interpretation des Tau im Anschluß an Ez 9, 4 dar, wozu
auch F. J. Dölger, Beiträge zur Geschichte des Kreuzzeichens II, JbAC
2, 1959, 15-29, hier 15-20
95 nam: Als einleitende Partikel einer begründenden Parenthese, s.
HSz 472
97 cornu: Tert. adv. Marc. 3, 18 Christus in illo (sc. tauro) significa-
batur..., cuius cornua essent crucis extima; das Bild hat sich aber ver¬
selbständigt, da in der hier vorliegenden AT —Stelle von Widderhör¬
nern die Rede ist; auch Prud. ditt. 80 spricht von cornu crucis; zur
Bildlichkeit s. Rahner 396f
98 lychno: Dieses Wort hat eine lange poetische Tradition, s. TLL, s.
v., VII 2, 1940f ab Ennius über Lucrez, Vergil, Statius, und dient hier
der stilistischen Überhöhung. Die inhaltliche Ungenauigkeit wird des¬
halb in Kauf genommen, denn in Idc 7, 16. 19f befinden sich die
Fackeln in Krügen
100 angelica: Sc. tuba o. ä., die für das Endgericht steht; vgl. Thel-
wall 348 Z 128 ”By trump angelic”
101 populo indocili: = Die Juden, die in 3, 132 als ingratus populus
I
bezeichnet werden, wofür in 5, 151—164 die Erklärung gegeben wird
101/102: Wegen der Inkonzinnität der Konstruktion vermutet Müller
61 ad 1. einen Versausfall, was auch Willems für wahrscheinlich hält.
Hückstädt konjizierte deswegen quam indocilis populus merito sua
culpa relictus (ungenau angegeben im Apparat vom Willems). Ich halte
dies nicht für zwingend, da im Spätlatein Abi. abs. und Pt. coni. ne¬
beneinander erscheinen können, s. HSz 140
102: S. o. Komm, zu 1, 136 — 138
105 stipite sub palmae: Die Prophetin Debbora hatte ihren Sitz unter
einer Palme, s. Idc 4, 5
106 quapropter: = "Weshalb”, nach HSz 515 pronominales Adverb
zur Bezeichnung der Folge. In der biblischen Vorlage ist dieser Zu¬
sammenhang nicht so pointiert enthalten
108 Iahel: Die neueren Ausgaben vermerken diese notwendige Korrek¬
tur des von Fabricius gebotenen Baal, was keinen Sinn ergibt, nur im
Apparat; da der Name Iahel selten vorkommt, ist diese Verdrängung in
der Überlieferung erklärlich
109 extemplo: Fabricius hat exemplo, was aber abundant ist, da mit
signo in 3, 108 semantisch das Gewünschte bereits abgedeckt ist und
die Wiedergabe ”in einem (weiteren) Typos” gekünstelt wäre
femina: = Iahel, s. Idc 4, 9; betont gesetzt gegen vir in 3, 107
ligno: Der Zeltpflock, den Iahel dem feindlichen Sisara durch die
Schläfen treibt. Dieselbe Auslegung noch ausführlicher in Aug. c.
166 Kommentar zu Buch 3
Text von de lege 138, gegen viros ostendere christos bei Fabricius, mit
dem Verweis auf 1 Sm 10, 24 Et ait Samuel ad omnem populum:
certe videtis quem elegit Dominus. In dem etymologischen Dreischritt
ungere — dare chrisma — Christum soll das letzte Glied dieser Reihe
erklärt werden, vgl. Arator act. 1, 31f ...cum desuper unctos | abluit
interius Christi de nomine chrisma. Zudem ist christum doppeldeutig:
Neben der AT —Gestalt wird auch bereits auf den Gesalbten Christus
verwiesen, vgl. das Signalwort ostendere wie in 2, 74. Zur Etymologie
selbst s. o. Komm, zu 2, 57 und reiches Material im TLL, s. v. Chri¬
stus, III 1028f
129: S. 1 Sm 28, 11 — 19, wo Saul den Geist Samuels herbeischwören
läßt. Dies ist eine der Stellen, die als Argument gegen eine Verfasser¬
schaft Tertullians angeführt werden, da dieser in anim. 57 die Faktizi¬
tät dieser Beschwörung bestreitet, vgl. dazu aber auch o. S. 16 Anm.
20
131: S. Ps 21, 8 (Verlachen). 17 (Durchbohren von Händen und
Füßen). 19 (Loswurf über das Gewand)
132 ingratus populus: S. u. Komm, zu 3, 253 — 258
133 cui: Wie cuius in 3, 131 auf David zu beziehen. Das Versprechen
Findet sich im AT in 2 Sm 7, 12 und Ps 131, 11, worauf im NT in Lc
1, 32 und Act 2, 30 Bezug genommen wird
136f: S. 2 Par 29 — 31; Ezechias richtete den Kult für Jahwe wieder
ein, von dem die Judäer unter Ahab abgefallen waren
136 aemulus: D. h. mit David in seinen Tugenden wetteifernd
138 prior: Thelwall 350 Anm. 7 betont die genau eingehaltene Reihen¬
folge, da die Reformen vor dem Krieg gegen Sanherib stattfanden, s. 2
Par 32, 1
140f: Vgl. 2 Sm 20, 5 ...vidi lacrimam tuam et ecce sanavi te; die
tertio ascendes templum Domini 6 et addam diebus tuis quindecim
annos
148 tractus: Trotz 3 Rg 19, 5. 7 angelus tetigit (als Elias in der Wüste
Brot erhält und so vor dem Verhungern bewahrt wird) bietet Fabricius
mit tactus einen unbefriedigenden Text, da hier der Zusammenhang
eine Anspielung auf die Entrückung des Elias fordert (4 Rg 2, 11 ...et
ascendit Elias per turbinem in caelum). Gegen alle vorhergehenden
Ausgaben wäre es aber auch denkbar, diesen Vers noch zu der Periko-
pe über Josias zu ziehen, dessen Leichnam auf einem Wagen nach
Jerusalem gefahren wird (tractus), s. 4 Rg 23, 30. Alle anderen Ver¬
besserungsvorschläge des Textes sind sprachlich weniger befriedigend;
wegen Sir 48, 13 Helias qui in turbine tectus est wäre auch die Ver¬
besserung von tactus zu tectus zu erwägen
149f: Teilweise Analogie zu Christus, der auch wieder auf die Erde
zurückkommen wird, jedoch den Tod bereits erlitten und überwunden
hat. In Mt 11, 14 und Mc 9, 11-13 wird Johannes mit dem wieder-
168 Kommentar zu Buch 3
minus post für das CM verliert der Liber pontificalis insofern an Wert,
als er in mehreren Redaktionen entstanden ist. Die erste nahm den
Catalogus Liberianus zur Grundlage, eine Liste der Päpste bis Liberius
(352 —366), die ebenfalls die Namensdopplung enthält und auf älteren
Quellen beruht, s. Altaner/Stuiber 472 und Koep 411—413. Über die
Kontamination der Reihenfolge der Bischöfe mit der Liste bei Iren. 3,
3, 3f (der die Namensdopplung nicht kennt), s. Hückstädt 28 Anm. 1;
37 Anm. 1. 2, Duchesne I S. LXXIII, Waitz 59, Funk 138, Holl
28-31. 34.
Caspar 428 — 435 kommt zu dem Schluß, daß die Bischofsliste des CM
ursprünglich aus dem 3. Jh. stammen muß, will 434 Anm. 2 jedoch
daraus keine Schlüsse für die Datierung ziehen. Auch Koep 412 betont,
daß die im CM verwendete Bischofsliste ein hohes Alter haben muß,
da sie Linus als ersten Bischof nennt (276f Petrus... Linum primum
considere iussit) und nicht, wie später üblich, mit den Aposteln be¬
ginnt. Warum er die Liste als dem 4. Jh. zugehörig ansieht, bleibt
unklar. Die Umstellung des Clemens vor Cletus/Anacletus, die im
Catalogus Liberianus zum ersten Mal vorkommt, wird im CM nicht
vorgenommen. Eine eindeutige Quellenzuschreibung ist mithin nicht
möglich. Z. B. haben auch Optat von Mileve und Augustin Namens¬
verschiebungen gegenüber ihrer vermutlichen Vorlage, dem Catalogus
Liberianus, vorgenommen, s. Koep 413.
Die Ketzersukzession ist innerhalb der Bischofsliste andeutungsweise in
der Abfolge Cerdo/Marcion enthalten, die genealogische Fortpflanzung
des Bösen innerhalb der Ketzer spielt also eine im Vergleich zu 1,
152 — 170 geringere Rolle. In anderer Hinsicht bedient sich unser Dich¬
ter jedoch der traditionsgeschichtlichen Argumentation zum Erweis der
unverfälschten orthodoxen Lehre in zweifacher Weise: Das eine Argu¬
mentationsziel ist es zu zeigen, daß die Häresie nicht über ihre Schul¬
häupter (Häresiarchen) hinaus historisch zurückgehen kann, also ihre
Lehre von Menschen bzw. vom Teufel stammt. Daher werden Cerdo
und Marcion jeweils bestimmten römischen Bischöfen zugeordnet, was
ihren zeitlichen Abstand zum Leben Jesu deutlich macht.
Zum anderen wird im Gegenzug die direkte und ununterbrochene
Sukzessionsreihe der Orthodoxen aufgeführt, durch die über die Apo¬
stel für die Kirche ein unmittelbarer Anschluß an Jesus Christus ge¬
währleistet ist. Wie Fellermayr 295 — 298, bes. 296, ausführt, haben
die Bischofslisten sich aus der apostolischen Sukzession heraus entwik-
kelt und wurden mit Vorliebe zur Bekämpfung von Häresien eingesetzt,
da dadurch gleichzeitig die historische Dynamik und die dogmatische,
unveränderliche Tradition berücksichtigt werden konnten. Die Bischöfe
wurden als gegenwärtige Garanten und Verantwortliche für das unver¬
änderliche Glaubensgut angesehen, s. Fellermayr 274 und 289 — 301.
Auf der anderen Seite galten die Apostel als die Nachfolger der Patri¬
archen und Propheten, was anhand der Exegese von Ps 45, 17 pro
Kommentar zu Buch 3 173
patribus tuis nati sunt tibi filii; constitues eos principes super omnem
terram entwickelt wurde (z.B. von Origenes, s. Feilermayr 61 Anm. 1
mit Lit.)•
Im dritten Buch des CM findet sich nun eine konsequente Aneinander¬
knüpfung dieser beiden Traditionsglieder zu einer kontinuierlichen Ket¬
te, wodurch die Falschheit der Häresie gleichzeitig durch ihre Tradi-
tionslosigkeit und Entfernung von Jesus Christus sowie durch ihre
Abstammung vom Teufel gebrandmarkt wird. Vorbereitet wird eine
solche umfassende Sichtweise etwa durch Ambr. Abr. 2, 8, 48 (CSEL
32, 1, 601), wo betont wird, daß es allein der Glaube(nsgehorsam) ist,
der eine (geistige) Verwandtschaft mit Abraham (erst bei Augustin:
Abel!) herstellt und an den einmal gegebenen Segenszusagen Anteil
gewährt, s. Fellermayr 64; vgl. auch Hil. in Matth. 2, 3 (PL 9, 925
C) non... successio carnis, sed fidei hereditas. Dahinter steht eine
Geschichtstheologie, die die Einheit der Heils— und Unheilsgeschichte
auch in der Ketzerbekämpfung zum Ausdruck bringt
277 maxima Roma: Abi. zu locatum in 276; nicht Roma, sondern
Petrus ist das Subjekt zu iussit. Die Sukzession wird eigens betont, da
die Marcioniten Petrus als den Gesetzgeber für die Beschnittenen ab¬
lehnten, s. o. Komm, zu 2, 52 — 54
285 post illum: D. h. Sixtum; die Nominative beziehe ich auf
Telesphorus; nach Iren. 1, 27, 1 und 3, 4, 3 kam Cerdo unter Hygin,
dem achten Bischof, nach Rom; da in 3, 293 Hygin ausdrücklich als
neunter Bischof bezeichnet wird, ist eine Verschiebung denkbar. Wenn
man mit Müller 62 zu 3, 286 die Nominative auf Hygin bezieht,
nimmt man einen unbefriedigenden Anakoluth in Kauf. Widersprüch¬
lich und ungenügend ist auch Hückstädt 7f. 27
290 sacrilegum genus: = Marcion (und damit seine Anhänger)
genuit: Subjekt ist Cerdo, der Lehrer Marcions
dracone: Steht für den Teufel, wie auch in 1, 119. 171; 2, 143. 171;
5, 230. Zu weiteren umschreibenden Bezeichnungen für den Teufel s.
Waitz 25 Anm. 1. Der Vers bildet einen Kontrast zu Apc 12, lff.
Dort will eine Frau den Weltherrscher gebären, den ein Drache, der
vor ihr steht, zu verschlingen droht (Apc 12, 9 draco ille—qui vocatur
Diabolus et Satanas qui seducit Universum orbem). Hier nun kommt
eine "Ausgeburt an Frevel” zur Welt, und das Fauchen des Drachens
dient zur beifälligen Untermalung. Teilweise wurden in der kirchlichen
Literatur auch Häretiker selbst als Drachen bezeichnet, s. Merkelbach
240
291: Zur Funktion der Häresie, die Standhaftigkeit der Rechtgläubigen
zu erproben, s. Brox 265. 274f
295 cui: In der Schrift Hermae Pastor erscheint dem Hermas ein Engel
in der Gestalt eines Hirten und offenbart ihm religiöse Wahrheiten.
Das bei Fabricius überlieferte quia würde bedeuten, daß der Verfasser
Hermas hier mit seinem Werk bzw. dessen Hauptperson, dem Engel,
174 Kommentar zu Buch 3
Buch 4
I über: D. h. der populus iuvenis ist Teil des populus novus, der von
der Freien Sara abstammt
3f: Sachlich liegt Mt 23, 10 nec vocemini magistri, quia magister
vester unus est Christus zugrunde. Ähnliches findet sich Barn. 1, 8; 4,
8f und Comm. instr. 2, 12, 1—3. 18, 15. 22, 15. Weitere Belege zu
dieser Solidaritätstopik bei Thraede, Datierung, 95 Anm. 47 und guter
Überblick bei Normann passim. Im CM wird Christus als doctor und
magister in 4, 231 bezeichnet (Stellen bei Prudenz s. Lavarenne 357),
ein Titel, der auch Paulus zugestanden wird, s. o. Komm, zu 2, 46,
was gut zu den dogmatischen Erörterungen des Lehrgedichts paßt. Die
zunehmende Intellektualisierung des Christentums ab dem 4. Jh. be¬
wirkte eine erneute Hervorhebung dieser Tradition, vgl. z. B. Augu¬
stin, De Magistro
10 aemulamenta: Hapax legomenon; es ist eine Anspielung auf die
Schrift Marcions, s. PL 2, 1077 Anm. a "antitheseis”, vgl. Tert. adv.
Marc. 2, 28, 1 adversus Marcionem antitheses aemulas faciam (ähnlich
ibid. 4, 24, 4), eine Taktik, derer sich der Dichter bereits bedient hat,
s. o. Komm, zu 2, 176 — 179
II ipsius ex verbis: Damit ist nicht die Heilige Schrift oder nur der
Schriftkanon Marcions gemeint; das letztere würde gar nicht stimmen,
da im CM ja auch das von Marcion verworfene AT und der
Hebräer— Brief für die Argumentation hinzugezogen werden; es wird
also hier keine Vorgehensweise analog zu der von Iren. 1, 27, 4 ange¬
kündigt. Gemeint sind vielmehr die schriftlichen Einwände Marcions,
vornehmlich die Antithesen, von denen sich der Carmen — Dichter eine
herausgreift (bezogen auf die Opfervorschriften in 4, 57 — 62), um
anhand ihrer Widerlegung ”Heil aus ihr herauszupressen”
monumenta salutis: = Monumenta salutaria, vgl. Waszink zu Carm.
de resurr. 66 mit Parallelen
12 ignotus: Wieder einmal Anwendung des rhetorisch —forensischen
Kampfmittels der retorsio criminis; nicht der wahre Christengott ist
ignotus, sondern der Stifter der marcionitischen Häresie, da er sich
nicht auf AT —Schriften stützt (sine lege)
14 rudis: = catechumenus, vgl. Rönsch 336f
16 ergo: Zur lebhaften Einführung eines neuen Gedankenganges, s. o.
Komm, zu 1, 189
deus cunctis mortalibus unus: Zwei chiastisch gestellte Kontrastbe¬
griffspaare AbBa; die Vorstellung ist sehr beliebt, ähnlich etwa bereits
Tert. Scap. 2, 1; auch CM 2, 136
18 fons vitae, potus: Zwei Gottesprädikationen, die aus der biblischen
Bildlichkeit entstanden sind, vgl. Ps 35, 9 ex torrente deliciarum
176 Kommentar zu Buch 4
tuarum potabis eos, ibid. 10 apud te est fons vitae und Prv 18, 4 aqua
profunda, ... torrens redundans, fons sapientiae. Zur begrifflichen
Unterscheidung von fons und fluvius ( = hier: potus) in bezug auf
Jesus Christus vgl. Primas, in apoc. 5, 22 (CCL 92, 300) fons eo,
quod in se incommutabilis maneat, fluvius, quod ad satietatem sancto-
rum se largiter et iugiter praebeat
sapientia creditus omni: Bezüglich dieses Textes von Fabricius wurden
von Rigaltius bis Müller viele unbefriedigende und unnötige Verbesse¬
rungsvorschläge gemacht. Zur Konstruktion vgl. z. B. Ov. epist. 20,
105 (Dörrie) fera creditus (sc. Actaeon) und allgemein TLL IV 1139,
51 ff; zu sapientia omni im Sinne von sapientia omnium rerum s. TLL
IX 613, 70ff. Diese Bedeutung findet sich bereits bei Tert. adv. Marc.
2, 15, 3 omnis prudentia dei, was Thörnell 55 mit ”die vollkommene
Voraussicht Gottes” wiedergibt; hier also ”der für allumfassend weise
gehalten wird”, vgl. Col 2, 3 in quo (sc. Deo) sunt omnes thesauri
sapientiae et scientiae absconditi
19 protulit: Auch in 4, 222, der Ausdruck charakterisiert die Schöp¬
fungstätigkeit Gottes, s. Smolak, Agrest., 84 zu Agrest. 38
21f: Vgl. Iuvenc. prol. 1—5, wo Gott die Zeit als Vergänglichkeits¬
faktor erschafft. Zu diesen Versen s. auch o. S. 35
23 infemi: "Unterwelt”, spätestens ab Prop. 2, 1, 37, s. TLL, s. v.,
VII 1, 1371, 35ff und 1372, 70ff für den christlichen Gebrauch ab der
Vetus Latina
locator: — creator, s. TLL VII 2, 2, 1556, 41 und Cypr. Gail. gen.
1 principio dominus caelum terramque locavit
24 spiritus: Hier zur Benennung des Schöpfergottes; allgemein läßt sich
bei christlichen Dichtern eine uneinheitliche, nicht immer streng dog¬
matische Terminologie beobachten, was seinen Grund unter anderem
auch in der poetischen Zielsetzung hat. Zudem ist der Ausdruck hier
beeinflußt von Gn 1, 2 terra autem erat inanis...et spiritus Dei fereba-
tur super aquas
28f: Beliebte Reihung, vgl. Sedul. c. pasch. 1, 312f
30 clamitat esse: Sc. deus filium; außer den Ankündigungen eines
Messias im AT vgl. Gal 3, 16
34 — 36: Häufung von Relativsätzen, die alle auf deus in 33 zu bezie¬
hen sind. Dieser Gebrauch ist der Umgangssprache entlehnt und dient
dem Ausleben der Affekte, s. HSz 694. 821
34 curvare: Inf. praes. statt inf. fut., was in der Spätantike häufiger
vorkommt, auch nach Verba sentiendi, s. HSz 358; inhaltlich vgl. die
Ankündigungen Is 45, 23; Rm 14, 11; Phil 2, 10
fatetur: In passiver Bedeutung schon bei Cic. leg. agr. 2, 57 (ager)
qui publicus esse fateatur
35 patria: Ungewöhnliche Wortwahl bei der Wiedergabe von Eph 3,
15 e£ ov iraoa irargLa iv oupaj'ois xai ein yrjs ovoiia^eraL (vulg.
paternitas). Nach Jülicher 633 gibt es keinen weiteren Beleg für diesen
Kommentar zu Buch 4 177
lichem Kontext Tert. Scap. 3, 2 und z.B. bei Hieronymus, Gregor von
Tours vereinzelt vorkommt, s. TLL, s. v., III 587, 58 — 78 (sub Noe)
45 gente quarta: S. Ex 20, 5 und Dt 5, 9 (Gott nimmt bis in das dritte
und vierte Glied Rache an einem Geschlecht)
46: Gott gewährte den Patriarchen seine Gunst jeweils etwa 900 Jahre,
da die meisten von ihnen, von Adam bis Noah, je zwischen 900 und
950 Jahre alt wurden, vgl. Gn 5, 4f; 9, 28f
49 — 56: Zur Datierung s.S. 31. Zur Umstrittenheit der Erbsündelehre
im 4./5. Jh. s. Gross 246 — 254. 291. Vgl. die (retrospektiv gesehen)
orthodoxen Erörterungen über die Schuldhaftigkeit der Seele ab der
Geburt des Menschen bei Prud. apoth. 900 — 923, der jedoch (noch?)
nicht auf die Problematik früh verstorbener Kinder eingeht. Eine ande¬
re Haltung als im CM findet sich Comm. instr. 2, 6, 4f (von Kindern,
die vom hostis gefangen werden) Nec quidem excuso: ob delicta forte
parentum | fuere promeriti, ideo Deus tradidit illos. Auffallend ist die
Übereinstimmung des CM mit Ps. Prosp. carm. de prov. 839 — 847
52 soboles: Bei Fabricius statt suboles; zur Schreibung von o statt u im
Zuge biblischer Tradition s. Rönsch 464, der aber selbst 454 Anm.l
auf die unsichere handschriftliche Gewähr solcher Erscheinungen auf¬
merksam macht. Z. T. archaisierend findet sich diese Schreibung auch
auf Inschriften, s. Leumann 63
57 — 61: Der Dichter greift hier anhand eines Punktes den Argumenta¬
tionsansatz der Marcioniten auf, die in bestimmten Vorschriften und
Aussagen des AT einen Widerspruch zum NT zu sehen meinten. Im
folgenden sucht er diese Einwände durch die typologische Auslegung
der entsprechenden AT —Stellen zu entkräften, eine Vorgehensweise,
die bereits in Buch 3 besonders konsequent zur Anwendung kam.
Legitimiert wird sie dadurch, daß sie bereits im NT vorkommt, und
zwar gerade bei dem marcionitischen Gewährsmann Paulus (im Gala¬
ter— und Hebräer— Brief; der Galater — Brief war im Gegensatz zum
Hebräer— Brief in den Kanon Marcions aufgenommen worden). Zudem
ist die Typologie durch ihre Anschaulichkeit gut für dichterische Zwek-
ke geeignet, s. Kirsch, Altes und Neues, 395 und ders., Strukturwan¬
del, 49. 51 (allerdings sehr allgemein). So kommt ihr auch große
Wirkungsmächtigkeit zu, z. B. zog sich die typologische Verbindung
Adam/Jesus Christus durch das ganze Mittelalter, s. Auerbach 19 — 24.
Für die bis Vers 201 durchgeführten komplizierten und anspruchsvollen
Typologien in Anlehnung an Hbr 9 und 11 lassen sich bei den Kir¬
chenvätern keine befriedigenden Prosavorbilder finden; auch innerhalb
der christlichen Dichtung stellt unsere Passage einen Sonderfall dar.
Denkbar wäre als Vorbild bzw. Quelle Origenes, dessen Hebräer¬
brief—Kommentar jedoch verloren ist. Greer 7 — 64, der sich mit der
Behandlung des Hebräerbriefes in den erhaltenen Schriften des Orige¬
nes beschäftigt, enthält keinen Anhaltspunkt. Die spätere griechische
Exegese rekurrierte auf den Hebräerbrief für dogmatische, hauptsäch-
Kommentar zu Buch 4 179
205 sub igne: Gemeint ist der den Thron Gottes umgebende Regenbo¬
gen (Apc 4, 3 iris), der gerne mit der Vorstellung ”Feuer” in Verbin¬
dung gebracht wird, so z. B. in Gn 9, 13 statuam, inquit (sc. Deus),
arcum meum in nubibus, ne iam aquam timeatis sed ignem; Victorin.
Poetov. apoc. 4, 3 Iris autem circum solium ardentem colorem habet;
Amm. 20, 11, 26 umoris spiramina ...disiecta...igneum orbem irimque
conformant
207 intus et exterius: Zu dieser Lage der Augen vgl. Apc 4, 6
quattuor animalia plena oculis ante et retro
209 nam: = "Ferner”, wie in 4, 189
vitreum mare: Subjekt, sc. significat aus 208
dona lavacri: Vgl. Victorin. Poetov. apoc. 4, 6 mare vitreum simile
crystallo donum baptismi
212 pavimentum: = trepidatio; gemeint ist das Weltgericht. Es handelt
sich hierbei um eine kühne Übertragung des Begriffs (m. W. ohne
weitere Parallelen), die durch die etymologische Verknüpfung unter¬
stützt worden sein könnte, die noch belegt ist bei Isid. orig. 10, 230
pavidus est, quem vexat trepidatio mentis, habet cordis pulsationem,
cordis motum. nam pavere ferire est, unde et pavimentum.
213 sibi anticipare volentes: "Indem sie für sich einen Vorsprung zu
gewinnen suchen” (nämlich durch das Verrichten guter Werke aus dem
Glauben heraus bzw. durch rechtzeitige einsichtige Reue und Umkehr);
vgl. Müller 66f zu 211—214
222 protulit: S. o. Komm, zu 4, 19
231 doctoris magistri: Kontrastierender Rückbezug zum Anfang des
Buchs (4, 3); doctor ist hier adjektivisch gebraucht; zur Adjektivierung
von Substantiven s. HSz 157 — 159
232 monumenta: = admonitio
186 Kommentar zu Buch 5
Buch 5
hatte die Stelle richtig paraphrasiert; der Eingriff von Müller (deperiit)
ist prosodisch unhaltbar
90 veterem hostem: = caro = homo exterior; ein marcionitischer
Ausdruck, der nach Hückstädt 32 Anm. 1 sonst nicht überliefert ist;
die Wendung wird auch gern zur Umschreibung des Teufels gebraucht,
wie Comm. carm. 181
92 vetus homo: S. Rm 6, 6 ...quia vetus homo noster simul crucifixus
est ut destruatur corpus peccati ut ultra non serviamus peccato; der
Begriff vetus homo findet sich auch in Col 3, 9 und Eph 4, 22
95: So bereits Arist. Pol. 1, 1254 b
96 ipse...idem: Pleonastischer Gebrauch von Pronomina seit Tertullian,
s. Hoppe, Syntax, 104; idem steht für ein verstärktes is ( = "eben
der”), HSz 188
97 paret: = apparet, wie auch in CM 5, 11. 14. 207, aber nicht in 1,
57, wie Oxe 48 s. v. pareo möchte; Subjekt ist spiritus, dazu prädika¬
tiv homo
101 evacuari: Die Konjektur von Oxe ist aus sprachlich — inhaltlichen
Gründen notwendig, da evacuare intransitiv nicht belegt ist, s. TLL V
2, s.v., 983 — 986 (womit auch ibid. 983, 21 f die auf diesen Vers
bezogene dubia interpretatio entfällt); die Kurzmessung des auslauten¬
den i beim inf. pass, findet sich im CM öfter, s. 1, 13; 2, 258. 259.
260. 261; 5, 101, immer im zweiten Hemistich
109 principio gentis: Es handelt sich um das neue Volk, das von Sara
abstammt, vgl. 3, 12f
110 ubi semper opus: Sc. Iesus Christus perfecit; gegen die Marcioni-
ten gerichtet, die meinten, daß Christus einen bis dahin unbekannten
Gott offenbart habe, während die Ereignisse in der Welt vor seinem
Erscheinen von dem anderen Gott, nämlich dem Schöpfergott, be¬
stimmt wurden
111 visus ab inviso: S. Iren. 3, 16, 6 invisibilis visibilis factus est und
CM 1, 135 pater invisibilis, 3, 229. 233 filius visibilis. Da nach helle¬
nistischem Verständnis die Sichtbarkeit des Wortes zugleich auch seine
Wandelbarkeit und Inferiorität bedeutete, bestand die Gefahr der subor-
dinatianischen Interpretation, weswegen bis zum Ende des 4. Jh. die
Sichtbarkeit des Sohnes mehr und mehr umgangen wurde, vgl. jedoch
z. B. Prud. apoth. 80f Latet os patris illud | unde deus qui visibilem
se praestitit olim. Ich vermute eine Beeinflussung durch liturgisch —
meditative Formeln, die in der Messe weitertradiert wurden und von da
aus den dichterischen Ausdruck beeinflußten, wodurch teilweise Kolli¬
sionen mit der weiterentwickelten, begrifflich ausdifferenzierteren
"aktuellen” Theologie in Kauf genommen wurden
122 mandata dei transgressi: transgredi wird hier, wie im Griechischen
7raQaßaLveiv, metaphorisch gebraucht, z. B. auch Nm 5, 6; Dt 17, 2,
als "Christianismus” für peccatores; ähnlich Prosp. carm. de ingr. 4
mandatum transgrederentur; s. Smolak, Agrest., 93 zu Agrest. 48;
190 Kommentar zu Buch 5
stens teilweise als authentisch anerkannten (148, was aber nicht für die
Juden gilt)
humana astutia nisa: Abi. abs.
148 probantes: Sc. sunt; vgl. z.B. 5, 27f
149 inquirant: Absoluter Gebrauch, "Nachforschungen anstellen”
vel: = et, wie öfters
151 Iudaei: Hückstädt 32 Anm. 3 "Es ist auffällig, daß unser Dichter
hier plötzlich von den Juden spricht” ist unzutreffend; erstens sind die
Juden schon öfter einbezogen worden (z. B. in 3, 253 —263; 4, 101;
5, 135), zum anderen dient ihre Erwähnung hier der rhetorischen
Zuspitzung: Der Dichter stellt die beiden äußersten Pole des Irrglau¬
bens nebeneinander, da die Juden die Göttlichkeit von Jesus Christus
leugnen, die Marcioniten aber seine Menschlichkeit; vgl. auch Brox
289f, daß der Judaismus als eine der "Mutter —Häresien” oder als der
"Prototyp” von Häresien galt; zum Verfahren der polaren Nebeneinan¬
derstellung von Häresien vgl. Sedul. c. pasch. 1, 322f | Rursus: ego
atque Pater unum sumus. Arrius unum | Debet scire sumusque
Sabellius esse fatendum. |
fatentur: Passiv wie in 4, 34, "von denen es zutage liegt”; falsch ist
die Paraphrase bei Hückstädt 32 "Zwar geständen die Juden ein...”,
während Thelwall 378 Anm. 4 bereits das Passiv hat
152 detrectantes ardent: Gräzismus, in dem der Begleitumstand mit
dem Vollverb ausgedrückt wird, s. schon Verg. georg. 2, 510 gaudent
perfusi und vgl. HSz 364
155 sine semine: Vgl. z.B. Aug. epist. 102, 2 qui nulla seminis condi-
tione natus est (sc. Christus) u. ö.
162: Relativische Verschränkung
165 camis membra: Sc. hominum; vgl Rm 6, 13 ...sed exhibete vos
Deo...et membra vestra arma iustitiae Deo; 19 ...ita nunc exhibete
membra vestra servire iustitiae in sanctificationem; carnis ist vom
Dichter hinzugefügt, um wiederum die Bedeutung des Fleisches im
Erlösungszusammenhang hervorzuheben
166 praetextatus: In diesem Zusammenhang bizarre Wahl eines altrö¬
mischen Begriffs; s. Mt 27, 28 et exuentes eum chlamydem coccineam
circumdederunt ei
palmarum: = manuum, im Gegensatz zu 1, 193; 3, 87, wo palma
"victoria” bedeutet. In der Bibel ist von Geißelung und Stockschlägen
die Rede, s. Mt 27, 26. 30 (vgl. Jes 50, 6)
167f spinis innexa corona | compungit caput: Vgl. vom Lamm in 2, 74
connexus capite spinis
169 scnbllta: In der ersten Wortsilbe wird muta cum liquida als posi¬
tionsbildend behandelt, gegen PL 2, 1088 Anm. b "penultima contra
naturam correpta”. Im TLL X 2 fase. III 358, 46 ist die Stelle mit
dem Zusatz "contextu obscuro” aufgefühit. Bereits Fabricius referiert
verschiedene Auslegungen (zit. bei Hückstädt 33 Anm. 2), entweder
192 Kommentar zu Buch 5
Iesum viso terrae motu et his quae fiebant timuerunt valde dicentes
”vere dei filius erat iste”
178 aperto: "Entblößt, blank”
180 illi: = Iudaei
182: Eine Anspielung auf den von den Marcioniten verfochtenen Do-
ketismus
189 — 193: Eine detailgenaue Schilderung der Abendmahlsszene; beson¬
ders die Worte Jesu in 192f sind nahezu wörtlich aus der Bibel über¬
nommen, im Gegensatz zu der sonst recht kühnen Paraphrasierungs¬
technik im CM. Dies hängt mit dem dichterischen Ehrgeiz zusammen,
das göttliche Wort Jesu Christi in den Hexametern möglichst authen¬
tisch wiederzugeben. Ähnliches ist in der Vulgata —Übertragung des
Hieronymus zu beobachten, der die wörtliche Rede Gottes enger an
den Originaltext anlehnt und unter Zulassung von mehr Verstößen
gegen das klassische Latein übersetzt
189 ante diem quam cum pateretur: = ante diem quo passus est, Oxe
21; antequam steht hier in Tmesis und fungiert als Präposition (gr.
ttqlv), s. Svennung, Untersuchungen, 395. Lc 22, 15 Et ait illis:
desiderio desideravi hoc pascha manducare vobiscum antequam patiar.
Die Formulierung ist von der Liturgie beeinflußt, s. H. Lietzmann,
Das Sacramentarium Gregorianum nach dem Aachener Urexemplar,
Liturgiegeschichtliche Quellen 3, Münster/W. 1921 (Ndr. 1958), 3 die
Ausdrucksweise 1, 24 qui pridie quam pateretur accepit panem in
sanctas ac venerabiles manus suas...
194 creatura: Synonyme im TLL IV 1117, 51 conditio, factura, gene-
ratio, opus. In eine ähnliche Richtung gehen auch Thelwall 380 Z 262
("created elements”) und Müller 69 ad 1. ("natura”), gegen Oxe 47 s.
v. creatura ("corpus, caro”); vgl. CM 5, 246
196 factorem: Prud. apoth. 667 ; ham. 338 u. ö. wird der Sohn als
Schöpfer bezeichnet; manchmal bemüht sich Prudenz aber auch, "der
aktuellen Theologie gerecht zu werden”, Smolak, Apoth., 19. Zudem
kann man diese Formulierung damit rechtfertigen, daß sie hier wieder¬
um die Identität des einen Gottes gegen die Häresie der Marcioniten
bekräftigen soll; auch steht im Hintergrund die (orthodoxe) Vorstel¬
lung, daß Gott durch den Logos die Welt erschuf (z.B. Io 1, 3 und
Col 1, 16). Es ist also auch bei dieser Stelle problematisch, Schlüsse
für eine Datierung abzuleiten, wie es z.B. Waitz 23 tut; s. dazu auch
o. S. 36
198 verumque locutus: S. 5, 154
201: Verfehlt ist Waitz 21, der in dieser Formulierung die Logoslehre
des 3. Jh. wiederzuFinden glaubt. Richtig hebt dagegen Holl 22f her¬
vor, daß die Gleichewigkeit von Vater und Sohn besonders in der
Auseinandersetzung mit Arius bedeutsam war und danach zum festen
Bestand christologischer Prädikationen gehörte; ein zwingender Anhalt
für die Datierung läßt sich daraus jedoch nicht ableiten
194 Kommentar zu Buch 5
Abhängigkeitsverhältnis 17
Adressat des CM 48. 49f
Antihäretische Argumentationsstrategie 48 — 50
Archaisierendes 26
Augustin (Bezüge zum CM) 32. 35
Bibelkenntnisse 36
Bibelparaphrase 27f
Bibelvorlage 19. 36
Binnenprooimion 186
Bischofsliste 171 — 173
Centonen aus dem CM 13
Chiasmus 43. 44f. 175
Commodian und das CM 18-20
"Dichtung und Dogma” 48-50
Etymologien 183
— griechische 148f. 166f
— hebräische 149
Golgotha — Legende 16. 156
Hebräerbrief im CM 178f
Imitatio 18 — 20. 27. 157
Juden (ambivalente Haltung zu) 170f. 191
Ketzerkatalog 49. 141
Lobschema senior puer 153
Marcioniten 29f. 32f. 34
CI. Marius Victorius 21
Neo — Marcionitismus 32. 35
PrioritätsVerhältnis s. AbhängigkeitsVerhältnis
Prosper 22. 46
Quellen des CM 36f
Rezeption von Paganem 21. 27
Soteriologie 43. 44
Textkritische Kriterien 23. 26. 51. 53
Traditionsgeschichtliches Argument 45f. 171 — 173
Typologie 50. 161f. 162f
— der ehernen Schlange 154f
— des Holzes 153f
— der Opferung Isaaks 150
— des Schuldscheins am Kreuz 143. 154
— der Seitenwunde Christi 147f. 155f
Verbalinspiration 149
198 Bibelstellen
2. Bibelstellen im CM
Rg
Gn 3, 17f: 3, 151-160
2, 10: 2, 40f 4, lf: 3, 151-160
2, 21-23: 2, 180-183 4, 2-6: 3, 161-169
3, 14f: 1, 6a 4, 2, 11: 3, 148. 160
4-49:3, 14-47 4, 13, 20f: 3, 170-172
12, 1-5: 3, 7 4, 18: 3, 136-139
16: 3,242-250 4, 20, 5f: 3, 140f
16f: 3, 1-13 4, 23: 3, 142-147
17, 5: 3, 6 Par
18: 3, 242-250 2, 29-32: 3, 136-139
21: 3, 1-13 2, 34, 5: 3, 142-147
Ex Esr
2f: 3, 48-64 1, 7f: 3, 215-218
12, 7-14: 2, 77f Idt
12, 13: 2, 76 5, 15: 3, 58
12, 21 -27: 2, 77f Ps
13, 21 f: 5, 211 21, 8: 3, 131
15, 23-25: 3, 58 21, 17: 3, 131
16, 13-26: 5, 215f 21, 19: 3, 131; 5, 166-170
17, 1-7: 5, 215f 68, 22: 5, 169
24, 6-8: 4, 68-70 104, 40f: 5, 215f
25-27:4, 122-125 131, 11: 3, 133f
30: 4, 122-125 Prv
34, 29: 3, 60 21, 1: 5, 143
36-38:4, 122-125 Sap
37, 6-9: 4, 116-120 14, 24-28: 1, 21-24
Lv Sir
16, 1-11: 4, 66f 38, 5: 3, 58
16, 33: 4, 68-70 44: 3, 14-47
Nm 48: 3, 151-160. 161-169
13, 17: 3, 67 48, 15: 3, 170-172
19, 1-10: 4, 66f 48, 19-25: 3, 136-139
19, 2-9: 4, 85-88 48, 23: 3, 140f
21, 6-9: 2, 169-171 49, 1 -3: 3, 142-147
Dt Is
34, 5: 3, 66 I, 11: 2, 99
los 7, 14: 5, 118f
3f: 3, 69 8, 8: 5, 118f
3, 7-17: 2, 79 II, lf: 4, 161. 180
5, 10: 2, 80 38, 5: 3, 140f
Idc 45, 23: 4, 34
4: 3, 103-109 50, 6: 5, 166-170
6f: 3, 81-102 54, 1: 3, 9f
10-12:3, 110-119 57, 1: 3, 11-13
13-16:3, 119-125 61, 6: 5, 8
16, 28-30: 3, 124f Ier
Sm 1, 5: 3, 179-188
1, 9f: 3, 126-129 2, 5f: 3, 179-188
1, 28, 11 -19: 3, 126-129 5, 15: 3, 179-188
2, 7, 12f: 3, 133f 23, 5f: 5, 118f
Bibelstellen 199
3. Wortliste
(In Auswahl; es fehlen die meisten Präpositionen und Pronomina sowie esse, et u.a.)
aeneus s. ahenus
Aaron 4,117 aequari 1,202
abiectus (ptz) 1,70;3,171.301 ;4,107 aequus 1,83.198
abire 4,67 aer 4,24
ablutor 3,221.222 aerius 4,162
ablutus 2,256 aetas 2,139.155;4,55;5,75
abesse 3,253 aeternus 1,242 ;3,180;4,2.17.127.222.
Abr(ah)am 3,6.29;4,144 236;5,127
abrumpere 2,14;4,74 aevus 1,160,5,106.201
abstinere 1,190 afferre 1,183; 4,176
accipere 1,6;2,26.117.249;3,61.141; affirmare 4,225
5,71.191 Aggaeus 3,197
acer 2,187;3,81 aggressus (ptz) 1,7
acervatus 5,11 aggressus,us 1,72
acervus 3,90 agitare 5,175
acetum 5,169 agmen 3,81.289;4,8
acquirere 3,82 agnomen 5,80
actum, i 1,210 agnoscere 5,125.132
actus,us 3,36.141 ;4.105 agnus 2,64.74.80.89.94.112.116.120.
acute 1,165 122 ;4,114
Adam 2,133.161.185.202;5,230 ahenus 4,122.146
adeo (adv) 2,55;4,153 ait 1,83.92;5,192
adesse 5,68 ala 4,193.195.198
adferre s. afferre ales 1,216
adfigere 2,168 Alexander 3,282
adflictus (ptz) 3,50 alias (adv) 5,28.75
adflictus.us 3,192 alienus 1,102.137;2,187;4,107;5,32.43.
adhibere 5,98 117.121
adhuc 4,48 aliger 4,206
adire 5,68 alius 1,80;2,260;4,107.223;5,25.117.121
aditus.us 3,195;5,108 alter 1,18.196;3,28;4,67;5,117
adiuvare 4,46 altus 2,191;3,158;4,70.145.182.203;
adlegere 2,51 5,33.209
admittere 5,151.181 amare 1,18
adolere 3,147 amarus 3,56.153;4,178
adspicere 2,171 amator 4,171
adstare 2,174 ambitus 4,20
adtollere 5,51 ambo 4,101.148:5,137.162
adtribuere 1,142 amens 3,112;5,2
adultera.ae 3,24 amicitia 1,43;2,25
adulterium 5,79 amittere 1,170;4,224;5,45
adultus 4,55 amoenus 1,241
advenire 3,287 amor 2,72;3,53.164.226;4,5.36.150;5,78
adventus.us 3,267 Arnos 3,196
adversum (adv) 2,20 amplius (adv) 1,7
aedis 4,110.121 Anacletus 3,279
aeger 1,224 anceps 5,30
Aegyptus.i 5,114 angelicus 2,151 ;3,100.295
aemulamentum 4,10 angelus 2,150;3,198;5,223
aemulus 3,136 anguis 2,169
202 Wortliste
Albrecht Dihle
Die Vorstellung vom Willen in der Antike
(Sammlung Vandenhoeck). 1985. 178 Seiten, Paperback
Albrecht Dihle
Die Goldene Regel
Eine Einführung in die Geschichte der antiken und frühchristlichen
Vulgärethik. (Studienhefte zur Altertumswissenschaft 7). 1962. 135 Sei¬
ten, broschiert
64 LUDWIG BRAUN: Scenae suppositiciae oder Der falsche Plautus • 1980. 208 S.
65 ECKART MENSCHING: Caesar und die Germanen im 20. Jahrhundert • 1980. 129 S.
66 WOLFGANG FAUTH: Eidos Poikilon ■ 1981. 205 S.
67 PETER KUSSMAUL: Pragmaticum und Lex • 1981. 102 S.
68 CARROLL MOULTON: Aristophanic Poetry • 1981. 152 S.
69 DIMITRIOS Z. NIKITAS: Eine byzantinische Übersetzung von Boethius.»De hypoteticis
syllogismis« 1982. 207 S.
70 ERWIN SONDEREGGER: Simplikios: Über die Zeit • 1982. 197 S.
71 PETER KARAVITES: Capitulations and Greek interstate Relations • 1982. 142 S.
72 BERND SEIDENSTICKER: Palintonos Harmonia ■ 1982. 277 S.
73 CHRISTIAN HABICHT: Studien zur Geschichte Athens in hellenistischer Zeit • 1982. 215 S.
74 ROBERT RENEHAN: Greek lexicographical Notes. Second series • 1982. 143 S.
75 KONRAD HELDMANN: Die Niederlage Homers im Dichterwettstreit mit Hesiod • 1982. 1001
76 RICHARD WHITAKER: Myth and Personal Experience in Roman Love-Elegy • 1983. 174 S.
77 ROBERT J. BALL: Tibullus the Elegist • 1983. 253 S.
78 DEBORAH H. ROBERTS: Apollo and his Oracle in the Oresteia • 1984. 136 S.
80 JANE W. CRAWFORD: M. Tullius Cicero: The Lost and Unpublished Orations ■ 1984. X, 324
81 AGATHE THORNTON: Homer's Iliad: its Composition and the Motif of Supplication
1984. 182 S.
82 GIAN A. CADUFF: Antike Sintflutsagen • 1985. 308 S.
83 GLENN W. MOST: The Measures of Praise: Structure and Function in Pindar's Second Pythiai
and Seventh Nemean Ödes • 1985. 235 S.
84 WOLFRAM AX: Laut, Stimme und Sprache • 1986. 290 S.
85 HARVEY RONALD SCODEL: Diaeresis and Myth in Plato's Statesman • 1987. 174 S.
86 JENS-UWE SCHMIDT: Adressat und Paraineseform • 1986. 143 S.
87 MALCOLM HEATH: Political Comedy in Aristophanes • 1987. 61 S.
88 CHRISTOPHER K. CALLANAN: Die Sprachbeschreibung bei Aristophanes von Byzanz
1987. 143 S.
89 DENNIS P. KEHOE: The Economics of Agriculture on Roman Imperial Estates in North Afria
1988. XVII, 281 S.
90 PETER BING: The Well-Read Muse • 1988. 163 S.
91 HARVEY YUNIS: A New Creed: Fundamental Religious Beliefs in the Athenian Polis and
Europidean Drama • 1988. 188 S.
92 JÜRGEN LEONHARDT: Dimensio syllabarum • 1990. 296 S.
93 GEBHARD LÖHR: Das Problem des Einen und Vielen in Platons ‘Philebos’ • 1990. 272 S.
94 JOHANNES SCHWIND: Arator-Studien ■ 1990. 257 S.
95 THEODOR EBERT: Dialektiker und frühe Stoiker bei Sextus Empiricus • 1991. 374 S.
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ISBN 3-525-25195-5
DATE DUE / DATE DE RE■TOUR