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Collegium  Metaphysicum

Herausgeber / Editors

Thomas Buchheim (München) · Friedrich Hermanni (Tübingen)


Axel Hutter (München) · Christoph Schwöbel (Tübingen)

Beirat / Advisory Board

Johannes Brachtendorf (Tübingen) · Jens Halfwassen (Heidelberg)


Douglas Hedley (Cambridge) · Johannes Hübner (Halle)
Anton Friedrich Koch (Heidelberg) · Friedrike Schick (Tübingen)
Rolf Schönberger (Regensburg) · Eleonore Stump (St. Louis)

1
Friedrich Hermanni

Metaphysik
Versuche über letzte Fragen

2., unveränderte Auflage

Mohr Siebeck
Friedrich Hermanni, geboren 1958; Doppelstudium der Ev. Theologie und der
Philosophie; Promotion im Fach Philosophie und Habilitation im Fach Systemati-
sche Theologie; seit 2006 o. Professor für Systematische Theologie an der Universität
Tübingen und kooptiert an der dortigen Fakultät für Philosophie; Mitglied der
Schelling-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

1. Auflage 2011, Studienausgabe 2012.


2., unveränderte Auflage 2017.

e-ISBN PDF 978-3-16-155286-1


ISBN 978-3-16-155220-5
ISSN  2191-6683 (Collegium Metaphysicum)
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-
bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.
dnb.de abrufbar.

© 2017  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de


Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver-
wertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustim-
mung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfälti-
gungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbei-
tung in elektronischen Systemen.
Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Garamond Antiqua gesetzt
und auf alterungs­beständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden.
Vorwort zur 2. Auflage

Durch das anhaltende Interesse, das dieses Buch bei Lesern findet, wird
eine zweite Auflage erforderlich.
In der ersten Auflage hatte das Buch keine Widmung. Im Nachhinein
sei es dem Andenken von Volker Drehsen († 2013) gewidmet, dem guten
Freund und liberalen Theologen, der für Metaphysik allerdings nur ein
Stirnrunzeln übrig hatte.
Dem Verlag Mohr Siebeck und insbesondere Frau Dr. Warnke-De No-
bili danke ich für die gute Zusammenarbeit.

Friedrich Hermanni, im Mai 2017


Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur 2. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V


Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

Erster Teil:  Der letzte Grund und der Gottesgedanke

Erstes Kapitel:  Das kosmologische Argument . . . . . . . . . . . 15


§  1 Die Kalam-Version . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
§  2 Die Thomas-Version . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
§  3 Die Leibniz-Version . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

Zweites Kapitel:  Das ontologische Argument . . . . . . . . . . . 43


§  4 Anselms Argument und der logische Einwand . . . . . . . . 44
§  5 Descartes, Leibniz und der Einwand gegen
die Denkbarkeit Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
§  6 Der Einwand Kants . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
§  7 Ein gültiges ontologisches Argument . . . . . . . . . . . . . 59

Drittes Kapitel:  Das teleologische Argument . . . . . . . . . . . 67


§  8 Die Feinabstimmung und ihre Erklärungsbedürftigkeit . . 68
§  9 Eine endgültige physikalische Theorie . . . . . . . . . . . . 72
§  10 Die Viele-Welten-Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
§  11 Die Planungshypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

Zweiter Teil:  Gott, Freiheit und Übel

Viertes Kapitel:  Das Wesen der menschlichen Freiheit . . . . . . 93


§  12 Ein Konsequenzargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
VIII Inhaltsverzeichnis

§  13 Freiheit und Zufall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99


§  14 Ein kompatibilistischer Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . 103
§  15 Eine Komplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
§  16 Ehrliche Lutheraner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

Fünftes Kapitel:  Das Theodizeeproblem . . . . . . . . . . . . . . 116


§  17 Die Unvereinbarkeitsthese und ihre Kritik . . . . . . . . . . 117
§  18 Die Lösung des logischen Theodizeeproblems . . . . . . . . 124
§  19 Die Unlösbarkeit des empirischen Theodizeeproblems . . . 133

Dritter Teil:  Einheit und Zukunft der Person

Sechstes Kapitel:  Das Leib-Seele-Problem . . . . . . . . . . . . . 147


§  20 Kritik des Dualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
§  21 Kritik des Physikalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
§  22 Ein heterodoxer Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

Siebtes Kapitel:  Tod und Auferstehungshoffnung . . . . . . . . . 167


§  23 Das Standardmodell von Tod und Auferstehung . . . . . . . 168
§  24 Das Verhältnis zu Platon und zum Neuen Testament . . . . 172
§  25 Die Ganztodtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
§  26 Kritik der materialistischen Auferstehungsdeutung . . . . . 179
§  27 Das Gedächtnis Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

Vierter Teil:  Die Wahrheit der Religionen

§  28 Die religionstheologischen Antwortmöglichkeiten . . . . . 192


§  29 Kritik der pluralistischen Religionstheologie . . . . . . . . . 195
§  30 Hegels kritischer Inklusivismus . . . . . . . . . . . . . . . . 203

Veröffentlichungsnachweise der Vorfassungen . . . . . . . . . . . 215


Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
Einleitung

Metaphysik ist der Versuch, letzte Fragen mit Hilfe der Vernunft zu be-
antworten. Solche Fragen betreffen die Welt als ganze, den Grund der
Welt und den Platz des Menschen in der Welt. Sie stellen sich unvermeid-
lich ein, können aber durch die Einzelwissenschaften nicht beantwortet
werden. Gewiss halten die Antworten, welche die Metaphysik gegeben
hat, in vielen Fällen einer kritischen Prüfung nicht stand. Ebenso wenig
überzeugend sind jedoch ältere und neuere Programme, welche die Me-
taphysik grundsätzlich verabschieden wollen. Denn sie beruhen stets auf
Voraussetzungen, die ihrerseits von metaphysischer Art sind. Der Ver-
nunft stellt sich am Ende deshalb nicht die Frage, ob sie überhaupt Meta-
physik betreiben will, sondern nur, in welcher Weise. Im kritischen Ge-
spräch mit der Geschichte der Metaphysik und ihren gegenwärtigen
Gestalten unternimmt das vorliegende Buch den Versuch, die folgenden
Fragen im Zusammenhang zu beantworten: Was ist der Grund für das
Dasein und Sosein der Welt, und in welchem Verhältnis steht dieser
Grund zum Gedanken Gottes? Worin besteht das Wesen der mensch-
lichen Freiheit, und was hat es mit den Übeln auf sich, die der Mensch tut
und die ihm widerfahren? In welcher Beziehung stehen die seelischen
Zustände des Menschen zu seinen körperlichen, und was darf der Mensch
über seinen Tod hinaus hoffen, wenn er etwas hoffen darf? Wie ist das
Verhältnis zwischen den Antworten einzuschätzen, welche die Weltreli-
gionen auf diese Fragen gegeben haben? Um dem Leser von vornherein
offenzulegen, was ihn erwartet, skizziere ich einleitend den gedank-
lichen Weg des vorliegenden Buches und die Ergebnisse, zu denen er
führt.
Im Zentrum des ersten Teils steht die Grundfrage der Metaphysik,
warum überhaupt etwas wirklich ist und nicht vielmehr nichts. Diese
Frage ist dem Verdacht ausgesetzt, ihre Beantwortung prinzipiell auszu-
schließen und deshalb keine sinnvolle Frage zu sein. Denn weil jeder
Versuch, sie zu beantworten, auf etwas hinauszulaufen scheint, das be-
reits wirklich ist, scheint sich die Frage stets von Neuem einzustellen
2 Einleitung

und mithin fragwürdig zu sein. Dieser Schein trügt allerdings. In den


beiden ersten Kapiteln wird eine zweistufige Antwort vorgeschlagen, die
zu keiner Wiederholung der Frage führt und sie deshalb von dem Zweifel
entlastet, abwegig zu sein.
Das erste Kapitel widmet sich der eingeschränkten Frage, warum es
Wirkliches gibt, das auch nicht sein kann, also der Frage nach dem Grund
des Kontingenten. Auf der Suche nach einer Antwort werden die drei
Versionen des kosmologischen Argumentes, die in der Geschichte der
Metaphysik im Wesentlichen entwickelt wurden, einer kritischen Prü-
fung unterzogen. Die sogenannte Kalam-Version, die seit der arabischen
Scholastik bis in unsere Tage kontrovers diskutiert wird, beruht auf der
Annahme, die Welt sei nicht anfangslos ewig, sondern besitze eine end-
liche Vergangenheit. Daraus schließt sie mit Hilfe des Prinzips, dass al-
les, was zu existieren beginnt, eine Ursache seiner Existenz hat, auf eine
ewige Weltursache zurück. Diese Version des kosmologischen Argu-
mentes ist, wie wir sehen werden, schon deshalb zum Scheitern verur-
teilt, weil sich die Frage, ob die Welt ewig ist oder nicht, weder durch
apriorische Argumente noch durch die heutige Physik entscheiden lässt.
Von der philosophischen Unentscheidbarkeit dieser Frage ging bereits
Thomas von Aquin aus. Er vertrat das kosmologische Argument deshalb
in einer Version, welche die Ewigkeit der Welt einräumt. Dennoch wird
sich herausstellen, dass auch seine Version misslingt, weil sie auf zweifel-
haften Annahmen über das aktuell Unendliche und den Regress ins Un-
endliche beruht. Erst die dritte Version des kosmologischen Argumentes,
die auf Leibniz und Samuel Clarke zurückgeht und in der angloamerika-
nischen Gegenwartsphilosophie auf einiges Interesse stößt, scheint einer
kritischen Prüfung standzuhalten. Dieser Version zufolge kann der zu-
reichende Grund des Kontingenten nur in etwas gefunden werden, das
notwendigerweise existiert. Denn selbst wenn die Reihe der kontin-
genten Dinge (Welt) ins Unendliche zurückginge und wenn sich jedes
Element der Reihe durch andere Elemente erklären ließe, wäre nicht er-
klärt, warum es überhaupt Kontingentes gibt. Dafür muss es jedoch eine
Erklärung geben, wenn der Satz vom zureichenden Grund gilt, wonach
alles einen Grund dafür hat, warum es überhaupt ist und warum so und
nicht anders. Zwar ist dieser Satz nicht logisch notwendig, weil er be-
stritten werden kann, ohne in einen Widerspruch zu geraten, gleichwohl
ist von seiner Gültigkeit auszugehen. Denn er ist nicht nur ein funda-
mentales Prinzip unseres Vernunftgebrauches, sondern hat sich bislang
auch ausnahmslos bewährt.
Einleitung 3

Aus der Antwort auf die eingeschränkte Frage nach dem Grund des
Kontingenten ergeben sich die Anschlussfragen, welches Wesen notwen-
digerweise existiert und warum es nicht nicht existieren kann. Die Me-
taphysik hat diese Frage durch das ontologische Argument zu beantwor-
ten versucht, das im zweiten Kapitel untersucht wird. Dem ontologischen
Argument zufolge ist Gott das Wesen, das notwendigerweise existiert,
da Existenz in seinem Fall zum Begriff gehöre. Denn weil Existenz eine
Vollkommenheit sei, könne sie Gott als höchst vollkommenem Wesen
unmöglich fehlen. Gegen dieses Argument sind in der Geschichte der
Metaphysik eine Reihe von Einwänden vorgebracht worden, die, wie der
sogenannte logische Einwand und der Einwand gegen die Widerspruchs-
freiheit des Gottesgedankens, nicht stichhaltig sind. Anders steht es mit
dem Einwand Kants, der sich gegen das Existenzverständnis richtet, das
im ontologischen Argument vorausgesetzt wird. Nach Kant ist Existenz
keine Vollkommenheit, d. h. kein begrifflicher Gehalt, durch den ein Ge-
genstand charakterisiert wird. Von Gott zu sagen, er existiere, bedeutet
nicht, er habe neben seinen anderen Eigenschaften auch noch die Eigen-
schaft zu existieren. Es bedeutet vielmehr, dass es ein Wesen gibt, auf das
der Gottesbegriff mit allen darin enthaltenen Bestimmungen zutrifft.
Wenn Existenz jedoch kein begrifflicher Gehalt ist, dann misslingt die
klassische Form des ontologischen Argumentes. Zudem kann das not-
wendig Existierende dann nicht deshalb notwendig sein, weil Existenz
ein Element seines Begriffs wäre. Dies bedeutet freilich nicht, dass ein
notwendig Existierendes unmöglich und die Rede davon sinnlos sind,
wie Hume und andere geschlossen haben. Denn durch das kosmolo-
gische Argument sind seine Wirklichkeit und daher auch seine Möglich-
keit erwiesen. Worin aber liegt der Grund für seine notwendige Exis-
tenz, wenn er nicht darin liegen kann, dass Existenz zu seinem Begriff
gehört? Als Antwort auf diese Frage schlage ich eine andere Form des
ontologischen Argumentes vor, die zugleich in der Lage ist, die Grund-
frage der Metaphysik zu beantworten. Diese Form beruht auf der plato-
nisch inspirierten und zu begründenden Annahme, dass das Gute von
sich aus nach Sein strebt, und zwar in dem Grade, in dem es gut ist. Da-
her hat das summum bonum, dasjenige also, was im höchsten Maße sein
soll, die größtmögliche Tendenz, wirklich zu sein, und existiert mithin
notwendigerweise. Mit anderen Worten: Es kann nicht nicht sein, weil es
unbedingt sein soll. Diese Form des ontologischen Argumentes, für die
ich eintrete, ist der Versuch, dem Gedanken eines notwendig Existie-
renden, der sich bei der Frage nach dem letzten Grund des Kontingenten
4 Einleitung

unvermeidlich einstellt, unter Bedingungen des kantischen Existenzver-


ständnisses eine widerspruchsfreie Bedeutung zu geben. Mehr ist von
einem ontologischen Argument aber billigerweise nicht zu verlangen.
Denn das Notwendige ist wirklich, wenn es möglich ist.
Das dritte Kapitel geht von der Frage nach dem Grund des Daseins zu
derjenigen nach dem Grund des Soseins der Welt über. Es konzentriert
sich dabei auf das Problem, das in der gegenwärtigen Debatte um das
teleologische Argument, soweit sie seriös ist, im Mittelpunkt der Auf-
merksamkeit steht: Wie ist die Tatsache zu erklären, dass viele Parameter
unseres Universums, zum Beispiel die Stärken der Grundkräfte und die
Massen der Elementarteilchen, Werte besitzen, deren geringfügige Ver-
änderung die Entstehung von Leben, wie wir es kennen, ausgeschlossen
hätte? Als Erklärung für diese Feinabstimmung des Universums, die
nicht nur eine geringe Ausgangswahrscheinlichkeit hat, sondern auch
erklärungsbedürftig ist, hoffen manche Physiker auf eine endgültige
physikalische Theorie, gleichsam eine physica triumphans. Sie soll alle
Elementarteilchen und Grundkräfte vereinheitlichen sowie die Werte
aller Parameter vorschreiben, die derzeit der Erfahrung entnommen
werden müssen. Andere glauben, die lebensfreundlichen Parameterwer-
te unseres Universums ließen sich am besten durch eine Viele-Welten-
Hypothese erklären. Denn wenn hinreichend viele Universen synchron
oder diachron existieren, die sich durch ihre Parameterwerte voneinan-
der unterscheiden, sind in einem oder mehreren dieser Universen Werte
zu erwarten, die für die Entstehung des Lebens günstig sind. Sollte eine
dieser beiden Erklärungen zutreffen, dann wäre die Feinabstimmung
unseres Universums nicht länger ein Argument für eine intelligente
Weltursache, die an der Entstehung von Leben interessiert ist. Dennoch
bliebe die Planungshypothese auch in diesem Fall unverzichtbar. Denn
dann stünde man, wie sich zeigen wird, vor dem Befund einer Feinab-
stimmung zweiter Ordnung, der seinerseits erklärungsbedürftig wäre
und sich nur durch die Planungshypothese plausibel erklären ließe. Das
dargelegte teleologische Argument ist freilich nicht in der Lage, die in-
telligente Weltursache in quantitativer, qualitativer und modaler Hin-
sicht näher zu bestimmen, und kann deshalb nicht im engeren Sinne als
Argument für die Existenz Gottes gelten. Diesen Mangel teilt es mit al-
len teleologischen Argumenten, die von empirischen Einzelbefunden
ausgehen. Um ihm abzuhelfen, müsste das teleologische Argument ent-
weder durch das kosmologische und ontologische ergänzt oder in jener
neuen, alle Erfahrung umfassenden Form entwickelt werden, die der
Einleitung 5

späte Schelling als positive Philosophie bezeichnet. Dieser Form zufolge


ist die Existenz Gottes durch empirische Bestätigung der Erwartungen
zu erweisen, die sich aus dem Gottesbegriff der reinen Vernunft für die
natürliche und geschichtliche Gesamtverfassung der Welt ergeben.
Der zweite Teil befasst sich mit der menschlichen Freiheit, den Übeln
in der Welt und dem Verhältnis, in dem beide zum Gottesgedanken ste-
hen. Dabei folgt aus meinem Verständnis der Freiheit, dass das Theodi-
zeeproblem, soweit es überhaupt lösbar ist, nicht durch eine Free-Will-
Defense gelöst werden kann.
Was aber ist das Wesen der menschlichen Freiheit und wie steht es um
ihre Vereinbarkeit mit dem Determinismus? Das vierte Kapitel versucht
beide Fragen zu beantworten. Trotz der Komplexität der Freiheitsdebat-
te ist unstrittig, dass freie Handlungen sowohl von fremdbestimmten als
auch von zufälligen zu unterscheiden und daher als selbstbestimmte
Handlungen zu verstehen sind. Strittig ist dagegen, ob und in welchem
Sinne alternative Handlungsmöglichkeiten bestehen müssen, damit eine
Handlung frei ist. Ich werde zeigen, dass es für Handlungen nicht not-
wendig ist, unter denselben äußeren und inneren Bedingungen auch an-
ders ausfallen zu können, um frei zu sein. Weil viele Freiheitstheoretiker
vom Gegenteil ausgehen, halten sie Freiheit und Determinismus fälsch-
licherweise für unvereinbar. Zwar gehören alternative Möglichkeiten
konstitutiv zur Freiheit, aber nur in dem Sinne, dass der Handelnde nicht
von sich aus tätig geworden wäre, wenn die Handlung seinen Wünschen
und Überzeugungen widersprochen hätte. Alternative Möglichkeiten
solcher Art werden jedoch durch das kompatibilistische Verständnis von
Freiheit, das ich vorschlage, nicht ausgeschlossen. Ihm zufolge sind
Handlungen dann und nur dann frei, wenn sie nicht zufällig geschehen,
wenn sie nicht unter äußerem oder innerem Zwang erfolgen und wenn
die Überzeugungen und Wünsche, in denen sie gründen, nicht manipu-
liert wurden. Positiv ausgedrückt: Freie Handlungen sind von Wünschen
und Überzeugungen bestimmt, die zum individuellen Charakter einer
Person, ihrem Selbst, gehören. Gegen dieses Konzept, das die Vereinbar-
keit der Freiheit mit dem Determinismus gewährleistet, könnten Inkom-
patibilisten einwenden, dass es eine notwendige Bedingung der Freiheit
außer Acht lässt. Muss ein Akteur seinen individuellen Charakter nicht
entweder selbst hervorgebracht haben oder beliebig verändern können,
damit die Handlungen, die ihm entspringen, frei und zurechenbar sind?
Darauf ist zu antworten, dass diese zusätzliche Anforderung an Freiheit
nicht nur in einen unendlichen Regress führen würde und deshalb uner-
6 Einleitung

füllbar wäre, sondern auch auf einem Missverständnis beruht. Wer sie
aufstellt, übersieht die Unhintergehbarkeit des Selbst, die in subjektiver
und vielleicht auch in objektiver Hinsicht besteht. Subjektiv unhinter-
gehbar ist das Selbst, weil es nicht sinnvollerweise als Ergebnis von
Fremdbestimmung betrachtet werden kann. Denn die Möglichkeit von
Fremdbestimmung besteht nur unter Voraussetzung des Selbst. Zudem
könnte das Selbst auch in objektiver Hinsicht unhintergehbar sein, weil
es womöglich nicht durch die Vergangenheit der Welt determiniert ist,
sondern diese Vergangenheit seinerseits determiniert. Das wäre dann der
Fall, wenn Gott im Entwurf der möglichen Welt, zu der wir gehören, die
früheren Weltzustände an die späteren und speziell an den Charakter der
Personen angepasst hätte, die in den späteren eingeschlossen sind. Diese
teleologische Deutung des Determinismus mag ungewohnt sein, sie wird
aber durch die Überlegungen zur Feinabstimmung (Kap.  3) nahegelegt.
Das fünfte Kapitel widmet sich dem Problem, vor dem die theistische
Überzeugung, dass ein allmächtiger und vollkommen guter Gott exis-
tiert, angesichts der Übel steht. Um Konfusionen zu vermeiden, muss
zwischen zwei Teilen dieses Problems, einem logischen und einem empi-
rischen Theodizeeproblem, unterschieden werden. Das logische Theo-
dizeeproblem besteht darin, ob die Annahmen, dass es Übel in der Welt
gibt und dass ein allmächtiger und vollkommen guter Gott existiert, im
Verhältnis des Widerspruchs stehen. Das ist zweifellos nicht der Fall.
Denn selbst ein allmächtiges Wesen könnte einen moralisch zureichenden
Grund haben, Übel nicht zu verhindern. Dieser Grund läge vor, wenn
die Zulassung der Übel in logisch notwendiger Weise mit größeren Gü-
tern verknüpft wäre. Worin könnten solche Güter bestehen? Analytische
Religionsphilosophen haben versucht, diese Frage mit der sogenannten
Free-Will-Defense zu beantworten, was freilich zum Scheitern verur-
teilt ist. Denn Freiheit im inkompatibilistischen Sinne hat nicht den er-
forderlichen Wert, um die Zulassung von Übeln zu rechtfertigen; Frei-
heit im kompatibilistischen Sinne dagegen ist mit der Zulassung von
Übeln nicht logisch notwendig verknüpft. Zur Lösung des logischen
Theodizeeproblems schlage ich deshalb eine No-Better-World-Defense
vor. Sie hat die Aufgabe, zweierlei nachzuweisen: (1) Es ist logisch not-
wendig, anzunehmen, dass ein theistischer Gott eine unübertrefflich
gute Welt schaffen und daher alle Übel verhindern würde, ohne welche
die Welt besser wäre. (2) Eine unübertrefflich gute Welt ist nicht notwen-
digerweise übelfrei gut. Daher ist es logisch möglich, anzunehmen, die
wirkliche Welt sei unübertrefflich gut und unter den faktischen Übeln
Einleitung 7

gebe es keine, ohne die sie besser wäre. Wenn beides zutrifft, dann steht
fest, dass und auf welche Weise allein der Theismus mit der Faktizität
von Übeln in der Welt vereinbar ist. Aus dieser Lösung des logischen
Theodizeeproblems ergibt sich das empirische. Es besteht darin, ob die
Annahme, die Welt sei unübertrefflich gut, nicht nur logisch möglich,
sondern auch empirisch plausibel ist. Gibt es unter den faktischen Übeln
nicht augenscheinlich solche, ohne welche die Welt besser wäre? Ist es
deshalb nicht unwahrscheinlich, dass jener theistische Gott existiert, der
eine unübertrefflich gute Welt schaffen und solche Übel verhindern
würde? Ich werde zeigen, dass diese Fragen empirisch weder bejaht noch
verneint werden können, weil ihre Beantwortung unsere empirischen
Erkenntnismöglichkeiten überschreitet. Eine Antwort würde nämlich
nahezu Allwissenheit voraussetzen, um erstens den gesamten (mithin
auch zukünftigen) Verlauf der wirklichen Welt halbwegs zu überblicken,
um zweitens jenen veränderten Verlauf in etwa zu kennen, der sich aus
einer Verhinderung faktischer Übel ergäbe, und um drittens im Besitz
einer rational verbindlichen Axiologie zur vergleichenden Bewertung
möglicher Welten zu sein.
Der dritte Teil geht den beiden Fragen nach, in welchem Verhältnis die
Seele des Menschen zu seinem Körper steht und was er über seinen Tod
hinaus hoffen darf, wenn überhaupt Grund zur Hoffnung besteht. Die
Reihenfolge der Kapitel ergibt sich aus dem Umstand, dass die Beant-
wortung der zweiten Frage von der Beantwortung der ersten abhängt.
Das sechste Kapitel wendet sich gegen die dualistischen und physika-
listischen Lösungen des Leib-Seele-Problems, die in der gegenwärtigen
Philosophie des Geistes in der Regel vertreten werden, und unterbreitet
einen Gegenvorschlag. Jede überzeugende Lösung muss drei gut be-
gründeten Prinzipien gerecht werden: (1) dem methodisch sinnvollen
und empirisch bewährten Prinzip der Erklärungsgeschlossenheit des
Physischen, wonach zur Erklärung physikalisch beschriebener Vorgän-
ge keine anderen als wiederum physikalisch beschriebene in Frage kom-
men; (2) dem Prinzip der Erklärungsrelevanz des Mentalen, demzufolge
mentale Zustände für die Erklärung unseres Verhaltens und Handelns
von Bedeutung sind; (3) dem Prinzip der explanatorischen Irreduzibili-
tät des Mentalen, wonach eine erklärende Zurückführung mentaler Zu-
stände auf physische oder funktionale vor unüberwindlichen Schwierig-
keiten steht. Nun werden die üblichen Versionen des Dualismus und
Physikalismus diesen drei Prinzipien nicht gleichermaßen gerecht. Der
interaktionistische Dualismus verletzt das erste, der epiphänomenalisti-
8 Einleitung

sche Dualismus und der eliminative Materialismus das zweite und die
physikalistische Identitätstheorie das dritte (und streng genommen auch
das zweite) Prinzip. Ich schlage deshalb eine andere Lösung vor. Sie in-
tegriert alle drei Prinzipien, indem sie eine nicht-physikalistische Iden-
titätstheorie mit einem epistemischen Parallelismus verbindet. Dieser
Lösung zufolge sind Leib und Seele bzw. physische und mentale Zu-
stände in dem Sinne identisch, dass dasselbe, was das Wesen des einen
ist, auch das Wesen des anderen ausmacht. Dasjenige, worin beide iden-
tisch sind, ist ein zugrunde liegendes Drittes, nämlich die Person und
ihre Zustände. Dieses Dritte erscheint in doppelter Gestalt, weil es aus
zwei unterschiedlichen Perspektiven erfahren und beschrieben wird:
aus der Perspektive der dritten Person als komplexe Einheit physischer
Prozesse mit physikalisch geschlossenem Erklärungsprofil, aus der Per-
spektive der ersten Person dagegen als Akteur mit bestimmten mentalen
Zuständen und Kompetenzen, die sein Handeln bestimmen. Kurzum,
Leib und Seele verhalten sich zueinander und zur Person in derselben
Weise, wie sich Morgenstern und Abendstern zueinander und zur Ve-
nus verhalten. Diese Lösung des Leib-Seele-Problems ergänzt die frei-
heitstheoretischen Überlegungen des vierten Kapitels, weil sie durch
Integration des zweiten Prinzips sicherstellt, dass eine notwendige Be-
dingung für die Möglichkeit von Freiheit erfüllt ist. Denn nur wenn
mentale Zustände überhaupt für die Erklärung von Handlungen rele-
vant sind, können Handlungen von Wünschen und Überzeugungen be-
stimmt sein, die zum individuellen Charakter des Handelnden gehören
und deshalb frei sind.
Aus der vorgeschlagenen Lösung des Leib-Seele-Problems zieht das
siebte Kapitel die Konsequenzen für das Verständnis des Todes und die
Denkbarkeit seiner Überwindung. Das Standardmodell der christlichen
Eschatologie hat die biblische Auferstehungshoffnung mit der plato-
nischen Annahme verknüpft, der Tod sei die Trennung der unsterblichen
Seele vom Leib. Nach dem Tod, so nahm man an, existiere die Seele in
einem leiblosen Zwischenzustand, bis sie am Jüngsten Tag mit dem auf-
erweckten Leib wiedervereint werde. Die Rezeption des platonischen
Leib-Seele-Dualismus schien notwendig, um das Problem der diachro-
nen personalen Identität zu lösen, vor dem die Auferstehungshoffnung
steht. Denn nur die kontinuierliche Existenz der Seele schien die Identi-
tät der Auferweckten mit den Verstorbenen gewährleisten zu können.
Nun sprechen jedoch gewichtige Gründe gegen die dualistische Annah-
me, die Seele sei eine vom Körper abtrennbare Substanz. Daher wird
Einleitung 9

man annehmen müssen, dass der Tod das Ende des ganzen Menschen ist.
Im Rahmen dieses Todesverständnisses ist die Hoffnung über den Tod
hinaus offenbar nur dann vernünftig, wenn sie sich auf eine radikal ver-
standene Auferstehung der Toten beziehen lässt, die den ganzen Men-
schen betrifft. Dies wiederum setzt voraus, dass die den Tod übergrei-
fende personale Identität ohne eine unsterbliche Seele gedacht werden
kann. Wodurch könnte sie aber stattdessen verbürgt sein? In jüngerer
Zeit wird diese Frage häufig mit dem Hinweis auf das Gedächtnis Gottes
beantwortet, in dem der Mensch nach seinem Tod weiterlebt. Denn da-
durch sei die Kontinuität sichergestellt, von der die personale Identität
der Auferweckten mit den Verstorbenen abhängt. Um diesen anamne-
tischen Vorschlag plausibel zu machen, stelle ich zwei Überlegungen an.
Im ersten Schritt wird die Vermutung, die Verstorbenen blieben im gött-
lichen Gedächtnis präsent, durch ein wahrheitstheoretisches Argument
gestützt. Es besagt, dass ein umfassendes und ewiges Gedächtnis die
notwendige Bedingung für die Wahrheitsfähigkeit von Aussagen über
die Vergangenheit ist. Der zweite Schritt verteidigt die Annahme der
identitätsstiftenden Leistung des göttlichen Gedächtnisses gegen den so-
genannten Verdopplungseinwand, der in den Debatten über diachrone
personale Identität eine wichtige Rolle spielt. Die eschatologische Versi-
on dieses Einwandes geht von der logischen Möglichkeit aus, dass Gott
eine in seinem Gedächtnis präsente Person zweimal zu einem neuen
selbstständigen Leben erweckt. Nun kann eine Person, wie wir sehen
werden, mit keiner künftigen identisch sein, die einen möglichen Dop-
pelgänger hat. Folglich ist es unmöglich, dass irgendein Auferweckter
mit einem Verstorbenen identisch ist. Erfreulicherweise beruht dieser
Einwand auf einer falschen Voraussetzung. Denn weil jede Person ein-
malig ist und weil sie dem anamnetischen Vorschlag zufolge in ihrer Ein-
maligkeit im göttlichen Gedächtnis weiterlebt, kann sie unmöglich
zweimal auferweckt werden. Das siebte Kapitel kommt deshalb zu dem
Ergebnis, dass die Überwindung des Todes auch unter Bedingungen ei-
ner nicht-dualistischen Lösung des Leib-Seele-Problems denkbar ist.
Der vierte Teil befasst sich mit der Frage, wie die Wahrheitsansprüche
der Religionen und ihr Verhältnis zu beurteilen sind. Wer der Meinung
ist, religiöse Wahrheitsansprüche seien nicht generell unberechtigt, hat
idealtypisch drei Antwortmöglichkeiten. Der Exklusivismus hält die
Wahrheitsansprüche nur einer Religion für berechtigt und bestreitet die
aller anderen. Angesichts der historischen Zusammenhänge und der in-
haltlichen Parallelen zwischen den Religionen ist freilich schwer zu se­
10 Einleitung

hen, warum eine von ihnen diese Ausnahmestellung haben sollte. Für
den Inklusivismus sind die Wahrheitsansprüche mehrerer Religionen
berechtigt, im höchsten Maße aber nur die einer einzigen. In seiner dog-
matischen Version setzt der Inklusivismus die Wahrheit der eigenen Re-
ligion fraglos voraus und beurteilt die anderen Religionen nach ihrer
Nähe zur eigenen. Wenn andere Religionen ebenso verfahren, ergibt sich
eine Vielheit von Inklusivismen, die sich unvermittelt gegenüberstehen.
Der Pluralismus nimmt an, die Wahrheitsansprüche mehrerer Religi-
onen seien im höchsten Maße berechtigt. Nach John Hick gehören alle
Weltreligionen zu dieser Gruppe. Denn weil sie gewisse soteriologische
und ethische Kriterien erfüllten, seien sie auf die transzendente Wirk-
lichkeit als Ursache zurückzuführen. Diese Transzendenz übersteigt
nach Hick jedoch unsere Vorstellungskraft. Daher seien die konkur-
rierenden Vorstellungen, die sich die Weltreligionen von ihr bilden, ohne
Ausnahme unzutreffend. Verschiedenen Religionen höchste Geltung
zuzuschreiben, hat somit den Preis, ihre Unterschiede aus der Wahrheit
der Religion auszuschließen. Die Schwierigkeiten, vor denen die genann-
ten Modelle stehen, werden durch ein Modell vermieden, das Hegel und
Schelling entwickelt haben. Beide vertreten einen kritischen Inklusivis-
mus, der die Religionen nicht am externen Maßstab einer bestimmten
Religion misst, sondern am Begriff der Religion, der allen Religionen
zugrunde liegt und in dem ihre Vielheit gründet. Bei Hegel, auf den ich
mich beschränke, ergibt sich der Begriff der Religion aus zwei Annah-
men. Erstens ist Religion das endliche Bewusstsein vom Unendlichen.
Zweitens muss das Unendliche dieses Bewusstsein als Moment einschlie-
ßen. Denn stünde es ihm als ein ganz Anderes gegenüber, wäre es seiner-
seits endlich. Folglich ist Religion das Bewusstsein, in dem der göttliche
Geist durch Vermittlung des menschlichen von sich weiß. In diesem Be-
griff der Religion liegt der Grund für die Vielheit der Religionen. Weil es
dem Geist nämlich widerspricht, von Natur aus ein angemessenes Be-
wusstsein von sich zu haben, muss er einen Prozess durchlaufen, um sich
adäquat zu erkennen. Dieser Prozess ist die Geschichte der Religionen,
in der das, was Religion ihrem Begriff nach ist, dem religiösen Bewusst-
sein zunehmend deutlich wird. Von einem Rückgriff auf Hegels kri-
tischen Inklusivismus würde die gegenwärtige Debatte gewiss profitie-
ren. Dabei wären freilich einige Revisionen erforderlich. Sie beträfen vor
allem das Bild der Religionsgeschichte, die offenbar nicht als universale,
kontinuierlich zu Höherem fortschreitende Folge von Religionstypen
aufgefasst werden kann.
Einleitung 11

Den Plan für das vorliegende Buch hatte ich schon lange gefasst. Vor-
fassungen der Kapitel sind an verschiedenen Stellen erschienen und wur-
den in größerem oder geringerem Maße überarbeitet. Für hilfreiche Dis-
kussionen danke ich Thomas Buchheim, Axel Hutter, Anton Friedrich
Koch, Friedrike Schick und Christoph Schwöbel. Dank gebührt außer-
dem dem Verlag Mohr Siebeck, vor allem Georg Siebeck und Bernd Vill-
hauer, für die gute Zusammenarbeit sowie Stefan Brender, Juliane Klein,
Sarah Caroline Prang und Christoph Schmidt für ihre Hilfe bei der Er-
stellung der Druckvorlage.
Erster Teil

Der letzte Grund und der Gottesgedanke


Erstes Kapitel

Das kosmologische Argument

Als Galilei im Jahre 1610 den Nachthimmel durch ein Fernrohr betrach-
tete, entdeckte er, dass der Planet Jupiter von einigen Monden umkreist
wird. Diese Jupitermonde sind für das Auge normalerweise nicht sicht-
bar. Wenn man sie aber zuvor durch ein Teleskop erblickt hat, lassen sie
sich danach unter günstigen Umständen auch mit bloßem Auge wahr-
nehmen. Ähnlich möchte es mit dem Verhältnis zwischen Glaube und
Vernunft bestellt sein.1 Ohne den Glauben, den der Hebräerbrief als
Nichtzweifeln am Unsichtbaren (Hebr. 11, 1) versteht, bleibt für die Ver-
nunft manches im Dunkeln. Wenn sie jedoch zuvor durch das Fernrohr
des Glaubens geblickt hat, kann sie danach zuweilen auch mit eigenen
Augen sehen, was ihr von sich aus verborgen war. Wahrer Glaube jeden-
falls hält das mit Zuversicht für möglich und scheut daher keine An-
strengung, das, was er glaubt, in vernünftige Einsicht zu überführen. Ob
dies auch im Falle des Glaubens an das Geschaffensein des Kosmos und
die Existenz seines Schöpfers gelingt, ist eine strittige Frage, die im Rah-
men der Debatte um Erfolg oder Misserfolg eines kosmologischen Got-
tesbeweises diskutiert wurde und wird.
Ein kosmologischer Gottesbeweis geht von der Existenz oder von sehr
allgemeinen Merkmalen der Welt aus und schließt mit Hilfe des Kausal-
prinzips oder des Satzes vom zureichenden Grund auf Gott zurück.
Durch seinen empirischen Ausgangspunkt unterscheidet er sich von
einem ontologischen und durch die Unbestimmtheit seiner Erfahrungs-
basis von einem teleologischen Beweis.2 Viele bedeutende Theologen
und Philosophen der Antike, des Mittelalters und der Neuzeit, sowohl
griechische und arabische wie jüdische und christliche, haben den kos-

1
  Vgl. F. W. J. Schelling, Philosophie der Offenbarung, in: F. W. J. Schelling,
Sämmtliche Werke, hrsg. von K. F. A. Schelling, 1. Abt.: 10 Bde. (= SW I–X), 2. Abt.:
4 Bde. (= SW XI–XIV), Stuttgart/Augsburg 1856–1861, Bd.  X III, 137.
2
  Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 591 f., B 619 f. und A 605, B 633, in: I.
Kant, Werke in zehn Bänden, hrsg. von W. Weischedel, Sonderausgabe Darmstadt
1981 (= Werke), Bd.  4, 528 und 538.
16 Erstes Kapitel:  Das kosmologische Argument

mologischen Beweis in dieser oder jener Version vertreten. Dazu gehö-


ren, um nur wenige zu nennen, Aristoteles, Al-Ghazalí, Maimonides,
Anselm von Canterbury, Thomas von Aquin, Spinoza und Leibniz.
Trotz schwerwiegender Einwände, zumal derjenigen von Hume und
Kant, besitzt der kosmologische Beweis bis heute eine bemerkenswerte
Unverwüstlichkeit. Zwar wird er im kontinentaleuropäischen Denken
der Gegenwart häufig wie ein toter Hund behandelt, den man nicht mehr
tritt, aber in der angloamerikanischen Theologie und Religionsphiloso-
phie der letzten Jahrzehnte hat er beispielsweise in Frederick Copleston,
Richard Taylor, Hugo Meynell, Richard Swinburne und William Craig
eine Reihe neuer Verteidiger gefunden.3
Idealtypisch lassen sich drei Versionen des Beweises unterscheiden.
Für die erste, die sogenannte Kalam-Version ist die Annahme charakte-
ristisch, dass die Welt nur eine endliche Vergangenheit haben kann. Die
zweite und dritte Version dagegen räumen beide die Möglichkeit einer
unendlichen Vergangenheit der Welt ein. Sie unterscheiden sich jedoch
dadurch, dass die zweite Version (wie schon die erste) das Kausalprinzip,
die dritte Version dagegen den Satz vom zureichenden Grund in An-
spruch nimmt. Im Folgenden werde ich diese drei Versionen erörtern
und zu dem Ergebnis kommen, dass zwar die erste und zweite, nicht
aber die dritte Version misslingt. Bei allen drei Versionen handelt es sich
um deduktive Argumente, also solche, bei denen die Konklusionen un-
möglich falsch sein können, wenn die Prämissen wahr sind. In jüngster
Zeit wurden zusätzlich auch induktive kosmologische Argumente ins
Spiel gebracht, die hier aber außer Acht bleiben werden.

 Vgl. B. Russell/F. C. Copleston, »The Existence of God. A debate between


3

Bertrand Russell and Father F. C. Copleston, S. J.«, in: J. Hick (ed.), Classical and
Contemporary Readings in the Philosophy of Religion, Englewood Cliffs/New Jer-
sey second edition 1970, 282–301 (deutsch: »Die Existenz Gottes. Eine Diskussion
zwischen Bertrand Russell und Pater F. C. Copleston, S. J.«, in: B. Russell, Warum
ich kein Christ bin, Reinbek bei Hamburg 1968, 179–206); R. Taylor, Metaphysics,
Englewood Cliffs/New Jersey 2.  Aufl. 1974, 102–120; H. A. Meynell, The Intelli­
gible Universe. A Cosmological Argument, Totowa/New Jersey 1982; R. Swinburne,
Die Existenz Gottes, Stuttgart 1987, 151–174; W. L. Craig, The Kalam Cosmological
Argument, London/Basingstoke 1979; W. L. Craig, The Cosmological Argument
from Plato to Leibniz, London/Basingstoke 1980; W. L. Craig/Q. Smith, Theism,
Atheism, and Big Bang Cosmology, Oxford 1995.
§  1  Die Kalam-Version 17

§  1  Die Kalam-Version

In der arabischen Theologie des Mittelalters wurde die Kalam-Version


des kosmologischen Gottesbeweises entwickelt, die ihren Namen der
Bezeichnung für die arabische Scholastik verdankt.4 Diese Version, die
in das jüdische und christliche Denken des Mittelalters Eingang fand
und in der heutigen angloamerikanischen Theologie und Religionsphi-
losophie erneut heftig diskutiert wird, beruht auf der Annahme, die Welt
sei nicht anfangslos ewig, sondern besitze eine endliche Vergangenheit.
Ob sie als gelungener Gottesbeweis gelten kann, war schon im Mittelal-
ter strittig: Im arabischen Denken standen sich Al-Ghazalí und Aver-
roes, im jüdischen Denken Saadja ben Josef und Maimonides und im
christlichen Denken Bonaventura und Thomas von Aquin als Befür-
worter und Kritiker gegenüber.
Die Kalam-Version schließt wie folgt: 1. Alles, was zu existieren be-
ginnt, hat eine Ursache seiner Existenz (Kausalprinzip). 2. Nun hat aber
das Universum zu existieren begonnen.  3. Also hat das Universum eine
Ursache seiner Existenz.5 Ein weiterer Schritt der Argumentation soll
dem Nachweis dienen, dass es sich bei dieser Ursache nur um ein perso-
nales Wesen, mithin um Gott handeln kann.
Wie ist dieses Argument zu beurteilen? Die erste Prämisse, wonach
alles, was entsteht, eine Ursache seiner Existenz besitzt, wird durch un-
sere Erfahrung ständig bestätigt. Sie scheint deshalb wahr zu sein, auch
wenn David Hume zu Recht darauf hinweist, dass die Vorstellung eines
unverursachten Existenzbeginns keinen Widerspruch einschließt. 6 Da-
gegen ist der Untersatz, wonach das Universum irgendwann begonnen
hat zu existieren, höchst begründungsbedürftig. Ich werde zwei der
wichtigsten Argumente für die endliche Vergangenheit der Welt, ein em-
pirisches und ein apriorisches, kritisch prüfen.

4
  Vgl. Craig, The Kalam Cosmological Argument und ders., The Cosmological
Argument from Plato to Leibniz, Kapitel 3 und 4 (48–157).
5
  Vgl. Craig, The Kalam Cosmological Argument, 63, und J. P. Moreland, »The
Kalam Cosmological Argument«, in: M. Peterson/W. Hasker/B. Reichenbach/D.
Basinger (eds.), Philosophy of Religion. Selected Readings, New York/Oxford
2.  Aufl. 2001, 196–209, hier: 197 f.
6
 Vgl. D. Hume, Ein Traktat über die menschliche Natur, Bd.  1, hrsg. von R.
Brandt, Hamburg 1989, 106–110 (Buch I, Teil  III, Abschnitt 3), vgl. dazu kritisch
G. E. M. Anscombe, »›Whatever Has a Beginning of Existence Must Have a Cause‹:
Hume’s Argument Exposed«, Analysis 34 (1974), 145–151.
18 Erstes Kapitel:  Das kosmologische Argument

1.  Das empirische Argument


Dieses Argument ist neueren Datums und stützt sich auf die Entde-
ckung, dass das Universum sich ausdehnt. 1922 leitete der russische Ma-
thematiker und Atmosphärenphysiker Alexander Friedmann aus Ein-
steins Allgemeiner Relativitätstheorie das Modell eines expandierenden
Universums ab, das wenige Jahre später durch den amerikanischen As-
tronomen Edwin Hubble empirisch bestätigt wurde. Hubble machte
sich eine einfache Eigenschaft von Lichtwellen zunutze: Wenn sich ihre
Quelle vom Empfänger entfernt, sinkt die Frequenz, mit der die Licht-
wellen empfangen werden. Das sichtbare Licht wird dadurch rötlicher.
Nun stellte Hubble bei der Untersuchung des Lichts anderer Galaxien
eine systematische Rotverschiebung fest und bestätigte dadurch die von
Friedmann vorausgesagte Expansion des Universums. Wenn sich das
Universum aber ausdehnt, muss es zu früheren Zeiten kleiner und dich-
ter gewesen sein. Die Expansion des Universums legt sogar die Annah-
me nahe, es sei vor etwa 15 Mrd. Jahren aus einem punktförmigen Zu-
stand von unendlicher Dichte entstanden. Diese Urknalltheorie und
damit die Vorstellung von einer endlichen Vergangenheit des Univer-
sums stieß freilich seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts bei einer
Reihe von Kosmologen auf Widerstand, schmeckte sie doch, wie Ste-
phen Hawking sich ausdrückt, »allzusehr nach göttlichem Eingriff.«7
1970 jedoch schien sich die Debatte endgültig zugunsten der Urknall-
theorie zu entscheiden. Denn in diesem Jahr konnten Roger Penrose und
Stephen Hawking beweisen,8 dass das Universum vor begrenzter Zeit
aus einer Anfangssingularität entstanden sein muss, falls die Schwerkraft
stets als anziehende Kraft wirkt, wie die Allgemeine Relativitätstheorie
behauptet.9 Da man davon glaubte ausgehen zu dürfen, war man in den
70er Jahren weithin überzeugt, dass das Universum nicht ewig ist, son-
dern einen Anfang besitzt. William Lane Craig konnte deshalb in seinem
brillanten Buch The Kalam Cosmological Argument von 1979 mit Beru-

7
  St. W. Hawking, Eine kurze Geschichte der Zeit. Die Suche nach der Urkraft des
Universums, Reinbek bei Hamburg 24.  Aufl. 2001, 67.
8
  Vgl. St. W. Hawking/R. Penrose, »The Singularities of Gravitational Collapse
and Cosmology«, Proceedings of the Royal Society of London, Series A 314 (1970),
529–548.
9
  Der Penrose-Hawking-Beweis setzt zudem voraus, dass das Universum genü-
gend Materie enthält, was aber der Fall zu sein scheint.
§  1  Die Kalam-Version 19

fung auf den Stand der modernen Kosmologie für die Gültigkeit der Ka-
lam-Version plädieren.10
Unglücklicherweise legte der amerikanische Teilchenphysiker Alan
Guth kurze Zeit später die sogenannte Inflationstheorie vor, welche die
kosmologische Forschung revolutionierte.11 Sie postuliert, dass das frühe
Universum eine kurze Phase beschleunigter, »inflatorischer« Expansion
durchlaufen hat, sich damals also mit zunehmender und nicht wie heute
mit abnehmender Geschwindigkeit ausdehnte. Diese Inflationstheorie
war nötig, um bestimmte Eigenschaften des Universums zu erklären,
nämlich seine enorme Größe, seine Flachheit und extreme Gleichför-
migkeit, die von der herkömmlichen Urknalltheorie nicht erklärt werden
konnten. Der springende Punkt der Inflationstheorie besteht darin, dass
die Gravitationskraft zeitweilig abstoßende, nicht anziehende Wirkung
gehabt haben muss, wenn sich das Universum für kurze Zeit mit rasch
zunehmender Geschwindigkeit ausgedehnt hat. Falls es aber unter Be-
dingungen hoher Dichte zu einer gravitativen Abstoßung kommt, wird
der von Penrose und Hawking geführte Beweis, dass das Universum vor
begrenzter Zeit aus einer Anfangssingularität entstanden ist, hinfällig.
Wenn die Inflationstheorie, die heute von vielen Kosmologen geteilt
wird, zutrifft, dann ist also die Frage, ob das Universum eine endliche
Vergangenheit hat oder nicht, physikalisch erneut offen. Nach John Bar-
row sind für die vorinflationäre Geschichte des Universums verschie-
dene Möglichkeiten denkbar, die mit dem, was wir derzeit über das Uni-
versum wissen, allesamt in Einklang stehen.12 In einigen Modellen hat
das Universum immer schon existiert, in anderen hat es zu einem be-
stimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit zu existieren begonnen.
Eine dritte, raffinierte Denkmöglichkeit hat Stephen Hawking entwi-
ckelt13 und in seinem Bestseller A Brief History of Time einer größeren
Öffentlichkeit vorgestellt. Die Suche nach einer Quantentheorie der
Gravitation, die zwar noch nicht vorliegt, von der man aber schon weiß,
welche Eigenschaften sie haben müsste, führte ihn zu einem Modell der
10
  Vgl. Craig, The Kalam Cosmological Argument, 111–130.
11
  Vgl. A. Guth, The Inflationary Universe. The Quest for a New Theory of Cos­
mic Origins, Reading/Massachusetts 1997 (in diesem Buch hat Guth seine Arbeit
von 1981 auf den neuesten Stand gebracht). Vgl. zur Inflationstheorie auch unten
§  10.
12
  Vgl. J. Barrow, Der Ursprung des Universums. Wie Raum, Zeit und Materie
entstanden, München 2000, 108 f.
13
  Vgl. J. B. Hartle/St. W. Hawking, »Wave function of the Universe«, Physical
Review D 28 (1983), 2960–2975.
20 Erstes Kapitel:  Das kosmologische Argument

Raumzeit, in dem sich die Zeitkoordinate nicht mehr von den Raumko-
ordinaten unterscheidet. In diesem Modell können Raum und Zeit eine
gemeinsame Fläche bilden, die zwar endlich groß ist, aber weder Anfang
noch Ende besitzt – ähnlich wie die Oberfläche einer Kugel. Sollte die
Raumzeit derart beschaffen sein, hätte das nach Hawking weitreichende
Konsequenzen für die Rolle Gottes. »Wenn das Universum einen An-
fang hatte, können wir von der Annahme ausgehen, daß es durch einen
Schöpfer geschaffen worden sei. Doch wenn das Universum [.  .  .] wirk-
lich keine Grenze und keinen Rand hat, dann hätte es auch weder einen
Anfang noch ein Ende: Es würde einfach sein. Wo wäre dann noch Raum
für einen Schöpfer?«14 Hawking hat betont, dass das Modell einer end-
lichen Raumzeit ohne Grenze »nur ein Vorschlag«15 ist. Ob das Modell
zutrifft, lässt sich erst entscheiden, wenn daraus empirisch überprüfbare
Voraussagen abgeleitet werden. Davon ist man allerdings weit entfernt.
Eines scheint indes sicher zu sein: Der derzeitige Erkenntnisstand der
Kosmologie taugt nicht für eine Neufassung der Kalam-Version des kos-
mologischen Beweises.

2.  Das apriorische Argument


Aussichtsreicher als das dargelegte empirische Argument für die end-
liche Vergangenheit der Welt scheint ein apriorisches zu sein, das im ara-
bischen Denken des Mittelalters entwickelt, von Bonaventura aufge-
nommen und durch Kant berühmt wurde. Es ist das folgende: 16 Wenn
die Welt keinen Anfang hätte, dann müsste bis zu jedem beliebigen Zeit-
punkt eine Ewigkeit abgelaufen und damit eine aktuell unendliche Reihe
aufeinander folgender Weltzustände durchschritten worden sein. Nun
kann aber eine aktuell unendliche Reihe nicht durch sukzessive Synthe-
sis, also nicht Schritt um Schritt, vollständig durchlaufen werden. Daher
ist es unmöglich, dass bis zu jedem beliebigen Moment unendlich viele
aufeinander folgende Weltzustände vergangen sind, und folglich muss
die Welt einen Anfang haben. Dieses Argument ist meines Erachtens
korrekt und triumphiert über seine neueren Kritiker.17 Es ist in der Tat
nicht erkennbar, wie der heutige Tag oder irgendein Tag in der Vergan-

14
 Hawking, Eine kurze Geschichte der Zeit, 179.
15
  Ebd., 174.
16
  Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 426, B 454 (Werke 4, 414).
17
 Craig, The Kalam Cosmological Argument, 191–199, hat die neueren Einwände
zusammengestellt und überzeugend zurückgewiesen.
§  1  Die Kalam-Version 21

genheit erreicht werden könnte, wenn zuvor eine aktuell unendliche


Zahl von Tagen hätte kommen und gehen müssen.
Die Unmöglichkeit einer unendlichen Vergangenheit der Welt wurde
in der neueren Debatte durch ein Gedankenexperiment illustriert, das
als »Tristram-Shandy-Paradoxie« bezeichnet wird.18 Tristram Shandy,
Titelheld des berühmten Romans von Lawrence Sterne, schreibt seine
Autobiographie so langsam, dass er ein Jahr benötigt, um die Ereignisse
eines einzigen Tages aufzuzeichnen. Offenkundig wird er bei diesem
Schreibtempo immer mehr in Verzug geraten und seine Autobiographie
nie fertig stellen können, sofern er keine Tage auslässt. Würde sich daran
etwas ändern, wenn er von Ewigkeit her sein Buch schriebe? Einerseits
muss diese Frage bejaht werden. Denn wenn Tristram seit unendlich lan-
ger Zeit schreibt, dann ist die Zahl der vergangenen Tage und die der
vergangenen Jahre gleich groß, nämlich unendlich. Daher lässt sich je-
dem Tag ein Jahr zuordnen, in dem dieser Tag aufgezeichnet wurde. Mit-
hin hat Tristram sein Werk vollendet. Genau das aber kann andererseits
nicht der Fall sein. Denn wenn er ein Jahr braucht, um einen einzigen
Tag aufzuzeichnen, kann er beispielsweise mit dem Kapitel über den
heutigen Tag noch nicht fertig sein. Das Gedankenexperiment führt also
zu einem Widerspruch, und dieser Widerspruch muss in der Vorstellung
einer unendlichen Vergangenheit stecken; denn gegen den Gedanken,
dass jemand seine Autobiographie mit besagtem Tempo schreibt, ist lo-
gisch nichts einzuwenden.
Kann demnach als gesichert gelten, dass die Welt einen Anfang hat?
Dieser Schluss wäre vorschnell. Kant würde den Vertretern des Kalam-
Argumentes entgegenhalten, dass sich nicht nur die endliche, sondern
auch die unendliche Vergangenheit der Welt durch Widerlegung des Ge-
genteils beweisen lässt und die Vernunft daher in eine Antinomie gerät.
Sein Argument für die Ewigkeit der Welt ist bekanntlich das folgende: 19
Wenn die Welt einen Anfang hätte, müsste ihr eine Zeit vorangegangen
sein, in der sie nicht existierte, also eine leere, ereignislose Zeit. Nun

18
  Vgl. D. A. Conway, »Possibility and Infinite Time: A Logical Paradox in St.
Thomas’ Third Way«, International Philosophical Quarterly 14 (1974), 201–208, und
W. L. Craig, »The Finitude of the Past and the Existence of God«, in: ders./Q. Smith,
Theism, Atheism, and Big Bang Cosmology, Oxford 1995, 3–76, hier: 33 f. Die von Q.
Smith vorgetragene Kritik dieses Argumentes geht meines Erachtens an der Sache
vorbei, vgl. Q. Smith, »Infinity and the Past«, in: W. L. Craig/Q. Smith, Theism,
Atheism, and Big Bang Cosmology, Oxford 1995, 77–91, hier: 85–88.
19
  Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 427, B 455 (Werke 4, 415).
22 Erstes Kapitel:  Das kosmologische Argument

kann aber in einer leeren Zeit nichts entstehen. Denn da sich die Teile
einer solchen Zeit nicht voneinander unterscheiden, gibt es keinen
Grund, warum die Welt eher zu diesem als zu jenem Zeitpunkt entstan-
den sein sollte. Also kann sie keinen Anfang haben, sondern muss eine
unendliche Vergangenheit besitzen.
Gegen dieses Argument wird häufig eingewandt, es verstehe die Zeit
als eine unwandelbare Bühne, auf der sich Ereignisse abspielen können
oder auch nicht.20 Der Vorstellung einer absoluten, von den Ereignissen
unabhängigen Zeit sei aber durch die Relativitätstheorie der Garaus ge-
macht worden, und daher sei Kants Rede von einer ereignislosen Zeit
obsolet. Dieser Hinweis ist durchaus berechtigt. Auch die theologische
Tradition von Augustinus bis Schleiermacher hatte aus gutem Grund an-
genommen, dass die Welt nicht in der Zeit, sondern zusammen mit der
Zeit geschaffen wurde.21 Die Zeit ist demzufolge eine Eigenschaft des
Universums und hat vor dessen Beginn nicht existiert.
Durch diesen Einwand ist Kants Argument indes nicht erledigt. Denn
es lässt sich reformulieren, ohne die Vorstellung einer leeren Zeit in An-
spruch zu nehmen, in der das Universum nicht existiert hat. Das Argu-
ment würde dann wie folgt lauten: Nehmen wir an, die Welt habe vor 15
Mrd. Jahren begonnen zu existieren. Wäre dieser Zeitpunkt für ihre Ent-
stehung geeigneter als ein späterer Zeitpunkt? Offenkundig nicht! Nun
gibt es aber stets einen zureichenden Grund dafür, warum etwas zu die-
sem und nicht zu einem späteren Zeitpunkt entsteht. Folglich kann zwar
innerhalb der Welt etwas zu existieren beginnen, die Welt selbst aber
muss eine unendliche Vergangenheit haben. Meines Erachtens ist auch
dieses Argument korrekt, falls der Satz vom zureichenden Grund, auf
den ich in §  3 zurückkomme, zutrifft. Wer immer noch zweifelt, möge
bedenken, dass die Annahme eines Anfangs der Zeit schon aus begriff-
lichen Gründen problematisch ist, weil der Begriff des Anfangs den eines
Vorher zu implizieren scheint.
Resümee: Die Frage, ob die Welt anfangslos ewig ist oder nicht, lässt
sich mit logischen Mitteln nicht entscheiden. Zudem ist sie derzeit auch

20
  Vgl. z. B. B. Kanitscheider, Kosmologie. Geschichte und Systematik in philoso­
phischer Perspektive, Stuttgart 3.  Aufl. 2002, 440.
21
  Vgl. A. Augustinus, De civitate dei – Vom Gottesstaat, 2 Bde., übersetzt von W.
Thimme, eingeleitet und erläutert von C. Andresen, Zürich/München 2.  Aufl. 1978,
XI, 6, und F. Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der
evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, 2 Bde., hrsg. von M. Redeker,
Berlin 7.  Aufl. 1960, Bd.  I, 198–203 (§  41).
§  2  Die Thomas-Version 23

empirisch ungeklärt. Daher kann die Kalam-Version nicht als gelungener


kosmologischer Beweis gelten.

§  2  Die Thomas-Version

Zu den bekanntesten Lehrstücken der mittelalterlichen Theologie gehö-


ren die »Fünf Wege«, auf denen Thomas von Aquin in seiner Summa
Theologiae die Existenz Gottes zu beweisen versucht. Die drei ersten
Wege sind kosmologische Argumente, wobei mir das dritte, auf das ich
mich konzentrieren werde, das interessanteste zu sein scheint. Thomas
schreibt:
»Der dritte Weg ist von dem Möglichen und Notwendigen hergenommen und
verläuft so: [1] Wir finden nämlich unter den Dingen solche, welche die Mög-
lichkeit haben zu sein und nicht zu sein, da sich einiges findet, das entsteht und
vergeht und infolgedessen die Möglichkeit hat, zu sein und nicht zu sein. Es ist
aber unmöglich, daß alles von dieser Art sei, weil das, was möglicherweise nicht
sein kann, auch einmal nicht ist. Wenn also alles die Möglichkeit hat, nicht zu
sein, dann muß es eine Zeit gegeben haben, in der überhaupt nichts war (ali-
quando nihil fuit in rebus). Wenn dies aber wahr ist, dann wäre auch jetzt nichts,
weil das, was nicht ist, nur anfängt zu sein durch etwas, was ist. Wenn also (ein-
mal) nichts Seiendes war, dann war es auch unmöglich, daß etwas zu sein anfing,
und so wäre nun nichts: was offenbar falsch ist. Also ist nicht alles Seiende nur
Mögliches, sondern es muß auch etwas Notwendiges unter den Dingen geben.
[2] Jedes Notwendige aber hat die Ursache seiner Notwendigkeit entweder von
anderswoher oder nicht. Es ist aber nicht möglich, daß es ins Unendliche bei den
notwendigen Dingen gehe, die eine Ursache ihrer Notwendigkeit haben, wie
dies auch bei den Wirkursachen nicht möglich ist, wie (oben) bewiesen. Also ist
es notwendig, etwas anzunehmen, das an sich notwendig (per se necessarium)
ist und die Ursache seiner Notwendigkeit nicht von anderswoher hat, sondern
das vielmehr Ursache der Notwendigkeit für die anderen Dinge ist. Dies nennen
alle Gott.«22

Dieser Beweis unterscheidet zwischen dem Möglichen und dem Not-


wendigen und verläuft in zwei Hauptschritten. Während im ersten
Schritt von der Existenz von Dingen, die sein und auch nicht sein kön-

22
  Thomas von Aquin, Summa Theologiae, 5 Bde., Madrid 3.  Aufl. 1961–1965 (=
STh), I, q. 2, a. 3, c; Übersetzung im Wesentlichen nach Thomas von Aquin, Die
Gottesbeweise in der »Summe gegen die Heiden« und der »Summe der Theologie«,
lat.-dt., Text mit Übersetzung, Einleitung und Kommentar hrsg. von H. Seidl, Ham-
burg 3.  Aufl. 1996, 55 und 57.
24 Erstes Kapitel:  Das kosmologische Argument

nen, auf die Existenz von notwendig Seiendem geschlossen wird, soll im
zweiten Schritt gezeigt werden, dass es unter den notwendigen Dingen
eines geben muss, das von sich selbst her notwendig ist und das von allen
Gott genannt wird. Sehen wir uns diese beiden Schritte im Einzelnen
an.

1.  Der erste Beweisschritt


Dieser Schritt geht von der Tatsache aus, dass es Dinge gibt, die entste-
hen und vergehen und die daher sowohl sein als auch nicht sein können.
Nun kann aber nicht alles Seiende von dieser Art sein. Folglich muss es
etwas geben, das notwendigerweise existiert. Den Untersatz dieses
Schlusses begründet Thomas durch folgende Gedankensequenz:
(a) Mit Aristoteles23 nimmt er an, dass Seiendes, das auch nicht sein
kann, zu irgendeinem Zeitpunkt tatsächlich nicht ist. Kritiker haben
schon diese Annahme bestritten. Weshalb sollte etwas, das nicht sein
kann, nicht dennoch zufälligerweise immer existieren? Schließlich gibt
es zahllose unverwirklichte Möglichkeiten.24 Wahrscheinlich aber meint
Thomas mit einem Ding, das auch nicht sein könnte, nicht ein logisch
kontingentes, sondern einfach ein vergängliches.25 Damit wäre die
Schwierigkeit behoben; denn von einem vergänglichen Ding gilt defini-
tionsgemäß, dass es irgendwann nicht mehr existiert.26 (b) Aus der ersten
Annahme, wonach Vergängliches früher oder später tatsächlich vergan-
gen sein wird, schließt Thomas auf eine zweite, weitaus problematischere:

23
  Vgl. Aristotle, On the heavens, I and II, gr.-engl., ed. and translated by St. Leg-
gatt, Warminster 1995, I, 12, 281a 28 ff.
24
  Zu diesem Einwand vgl. A. Kenny, The Five Ways. St. Thomas Aquinas’ Proofs
of God’s Existence, London 1972, 58–63.
25
  Für diese Interpretation spricht zweierlei. Erstens geht der dritte Gottesbeweis
des Maimonides, der die unmittelbare Vorlage für Thomas’ dritten Weg bildet, von
vergänglichen Dingen aus und versucht nachzuweisen, dass es nicht ausschließlich
vergängliche Dinge geben kann (vgl. Maimonides, Führer der Unschlüssigen, Buch 2,
übersetzt und hrsg. von A. Weiss, Hamburg 2.  Aufl. 1972, 30 f.). Zweitens werden an
der Parallelstelle in der Summa contra gentiles Dinge, die sein und nicht sein können,
mit solchen identifiziert, die dem Entstehen und Vergehen unterworfen sind: »Vide-
mus in mundo quaedam quae sunt possibilia esse et non esse, scilicet generabilia et
corruptibilia.« (Thomas von Aquin, Summe gegen die Heiden (= ScG), 1. Bd., Buch
I, lat.-dt., hrsg. und übersetzt von K. Albert/P. Engelhardt, Darmstadt 3.  Aufl. 1994,
cap. XV [S.  62]).
26
  Vgl. M. Bouyges, S. J., »Exégèse de la ›tertia via‹ de saint Thomas d’Aquin«,
Revue de Philosophie 3 (1932), 113–146, hier: 132–138.
§  2  Die Thomas-Version 25

Wenn alle Dinge vergänglich wären, dann müsste es »eine Zeit gegeben
haben, in der überhaupt nichts war (aliquando nihil fuit in rebus).« Ge-
meint ist offenbar Folgendes: Wenn jedes Ding vergänglich wäre, dann
würde irgendwann der Zeitpunkt kommen, an dem alle Dinge zugleich
vergangen wären und mithin gar nichts existierte. Dieser Zeitpunkt
müsste sogar schon in der Vergangenheit eingetreten sein, falls die Welt
von Ewigkeit her bestünde.27 (c) Wenn aber in der Vergangenheit alle
Dinge aufgehört hätten zu existieren, würde auch heute nichts existie-
ren. Denn das, was nicht existiert, beginnt nur zu existieren durch etwas
anderes, das bereits existiert (Kausalprinzip). (d) Nun existiert aber heu-
te zweifellos etwas. Folglich können nicht alle Dinge vergänglich sein.
Vielmehr muss es außer den vergänglichen Dingen auch etwas notwen-
dig Seiendes geben.
Um die Annahme zu widerlegen, es gäbe ausschließlich vergängliche
Dinge, geht Thomas interessanterweise von einer ewigen Vergangenheit
der Welt aus. Zwar war er aus offenbarungstheologischen Gründen der
Auffassung, die Welt besitze einen zeitlichen Anfang, aber er hielt diese
Auffassung, durch welche die Erfolgsaussichten eines kosmologischen
Argumentes deutlich steigen würden, für philosophisch nicht demon­
strierbar.28 Deshalb führte er den kosmologischen Beweis in einer Versi-
on, die im Unterschied zur Kalam-Version die Ewigkeit der Welt ein-
räumt.
Diese thomasische Version ist freilich schon in ihrem ersten Schritt
einem schwerwiegenden Einwand ausgesetzt: Aus der Annahme, dass
jedes Ding vergänglich ist und daher irgendwann vergangen sein wird,
folgt nämlich keineswegs, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt alle
Dinge zugleich vergangen sein werden und dass dieser Zeitpunkt im Fal-
le der Ewigkeit der Welt schon eingetreten sein muss.29 Daraus, dass mir

27
 So interpretieren zu Recht auch F. C. Copleston, Aquinas, Harmondsworth
1975, 124; Kenny, The Five Ways, 57, 63 f., und Craig, The Cosmological Argument
from Plato to Leibniz, 187–189.
28
  Vgl. Thomas von Aquin, In quattuor libros Sententiarum, in: S. Thomae Aqui­
natis Opera Omnia, hrsg. von R. Busa, Bd.  1, Stuttgart-Bad Cannstatt 1980 (= Sent.),
II, d. 1, q. 1, a. 5; Thomas von Aquin, Summe gegen die Heiden (= ScG), 2. Bd., Buch
II, lat.-dt, hrsg. und übersetzt von K. Albert/P. Engelhardt, Darmstadt 2.  Aufl. 1992,
cap.  38; STh I, q. 46, a. 2.
29
  Dieser Einwand wird beispielsweise vorgebracht von Kenny, The Five Ways, 56
und 63; W. Rowe, The Cosmological Argument, Princeton/London 1975, 42 f.; J. L.
Mackie, Das Wunder des Theismus. Argumente für und gegen die Existenz Gottes,
übersetzt von R. Ginters, Stuttgart 1985, 142, und A. Kreiner, »Philosophische Kri-
26 Erstes Kapitel:  Das kosmologische Argument

im Laufe meines Lebens jedes einzelne Haar einmal ausfallen wird, folgt
ja auch nicht, dass ich eines Tages ohne Haare dastehen werde. Denn
möglicherweise überschneiden sich meine Haare in ihrer Verweildauer
stets derart, dass es nie zu einer Glatze kommt. Dasselbe könnte auch bei
vergänglichen Dingen der Fall sein. Wenn sich die Zeitstrecken, in denen
sie existieren, stets überlappen würden, käme es nie zu einer Lücke, in
der überhaupt nichts existiert.
Die Triftigkeit dieses Einwands hängt meines Erachtens von der An-
zahl der vergänglichen Dinge ab. Falls es ausschließlich vergängliche
Dinge gibt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwann eine Existenzlü-
cke entsteht, weil sich die vergänglichen Dinge in ihrer zeitlichen Erstre-
ckung einmal nicht überschneiden, durch zwei Faktoren bedingt: Die
Wahrscheinlichkeit einer Existenzlücke steigt proportional mit der Dau-
er der Zeit, die vergeht, und umgekehrt proportional mit der Anzahl der
vergänglichen Dinge. Wenn nun die Welt eine unendliche Vergangenheit
besäße und wenn die Anzahl der vergänglichen Dinge jederzeit begrenzt
wäre, dann hätte schon in der Vergangenheit eine Existenzlücke eintre-
ten müssen. Um sein Argument aufrechtzuerhalten, müsste Thomas da-
her sicherstellen, dass eine unendliche Anzahl simultan existierender
vergänglicher Dinge unmöglich ist. Nun glaubte er in der Tat, die Exis-
tenz einer aktuell unendlichen Menge ausschließen zu können.30 Wo-
möglich hat er sich aber in diesem Punkt geirrt. Die moderne, auf Georg
Cantor zurückgehende Mengenlehre hat einen widerspruchsfreien Be-
griff des aktuell Unendlichen entwickelt und dadurch mindestens dessen
Möglichkeit nachgewiesen. In welchem Verhältnis diese Theorie des ak-
tuell Unendlichen zur Wirklichkeit steht, ist eine in der heutigen Mathe-
matik höchst umstrittene Frage.31 Solange sie nicht geklärt ist, kann aber
auch der erste Teil des thomasischen Beweises nicht als gelungenes Ar-
gument gelten.

tik der Religion«, in: St. Grätzel/A. Kreiner, Religionsphilosophie, Stuttgart/Weimar


1999, 117–162, hier: 122. Nach A. Plantinga, »The Cosmological Argument«, in:
ders., God and other Minds. A Study of the Rational Justification of Belief in God,
Ithaca/London 1990, 3–25, misslingen die Versuche, diesen Einwand zurückzuwei-
sen.
30
  Vgl. z. B. STh I, q. 7, a. 4.
31
  Vgl. dazu Craig, »The Finitude of the Past and the Existence of God«, 16–23.
§  2  Die Thomas-Version 27

2.  Der zweite Beweisschritt


Im zweiten Schritt wird von der Existenz irgendeines notwendig Sei-
enden auf die Existenz eines Seienden geschlossen, das von sich selbst her
notwendig ist, und zwar wie folgt: (a) Es muss etwas notwendig Seiendes
geben. (b) Jedes notwendig Seiende hat seine notwendige Existenz ent-
weder durch eine äußere Ursache oder von sich selbst her. (c) Nun kann
aber die Reihe der notwendigen Dinge, deren notwendige Existenz äu-
ßerlich verursacht ist, nicht bis ins Unendliche reichen. (d) Also muss es
ein Seiendes geben, das von sich selbst her notwendigerweise existiert
und das von allen Gott genannt wird.
Zur Menge der notwendigen Dinge rechnet Thomas erstens das von
sich selbst her Notwendige, das heißt Seiendes, dessen Existenz anzu-
nehmen logisch notwendig ist. Zweitens sollen zu dieser Menge Dinge
gehören, deren Existenz einerseits notwendig, andererseits aber bedingt
und daher, logisch betrachtet, kontingent ist. Um welche Dinge handelt
es sich, und in welchem Sinne gelten auch sie als »notwendig«? Wie wir
sahen, versteht Thomas unter den Dingen, die auch nicht sein können,
die vergänglichen Dinge. Mit notwendigen Dingen dagegen meint er of-
fensichtlich die unvergänglichen, und in diesem Sinne betrachtet er nicht
nur Gott als notwendig, sondern auch viele von Gott geschaffene Dinge,
nämlich die Himmelskörper, die Engel und die menschlichen Seelen.32
Schon durch seine Einteilung des Notwendigen reizt der zweite Be-
weisschritt zum Widerspruch. Die Behauptung, jede notwendige, das
heißt unvergängliche Entität existiere entweder durch eine äußere Ursa-
che oder logisch notwendigerweise, scheint nämlich eine unvollständige
Disjunktion zu sein. Könnte es nicht eine unvergängliche Urmaterie ge-
ben,33 deren Existenz weder verursacht noch logisch notwendig ist?
Könnten nicht alle vergänglichen Dinge aus dieser ursachelosen und lo-
gisch kontingenten Urmaterie entstehen und sich wieder in sie auflösen?

32
 Vgl. ScG II, 30; STh I, q. 44, a. 1, obi. 2 und ad 2; STh I, q. 50, a. 5, ad 3; STh I,
q. 75, a. 6, c und ad 2; STh I–II, q. 93, a. 4, obi. 3 und ad 3.
33
  Thomas nimmt eine Urmaterie an, die weder entsteht noch vergeht, weil sie bei
jedem Entstehen und Vergehen vorausgesetzt ist (vgl. z. B. Sent. II, d. 1, q. 1, a. 5, obi.
1 und ad 1; STh I, q. 104, a. 4, c), und auch nach heutigem Wissensstand scheint den
vergänglichen Dingen eine unvergängliche Materie-Energie zugrunde zu liegen.
Denn nach dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik kann innerhalb eines ge-
schlossenen Systems Energie weder erzeugt noch vernichtet, sondern nur transfor-
miert werden, und der speziellen Relativitätstheorie zufolge sind Masse und Energie
bekanntlich äquivalent (e=mc2).
28 Erstes Kapitel:  Das kosmologische Argument

Und könnte es daher zur Erklärung der vergänglichen Dinge nicht über-
flüssig sein, eine logisch notwendige Entität anzunehmen? Um diese
Möglichkeiten auszuschließen, hätte Thomas den Satz vom zureichenden
Grund in Anspruch nehmen müssen, wonach es für alles einen Grund
gibt, dass es ist und nicht vielmehr nicht ist. Denn daraus folgt zwin-
gend, dass die Existenz jedes Existierenden entweder in einem anderen
oder in ihm selbst gründet. Eine unvergängliche Urmaterie, die im Falle
ihrer Existenz sicher nicht logisch notwendigerweise existiert, könnte
dann nicht der letzte Grund der Dinge sein.
Der zweite Beweisschritt ist freilich noch in anderer Hinsicht anfecht-
bar. Thomas behauptet, die Kette der unvergänglichen Dinge, die eine
Ursache ihrer Unvergänglichkeit haben, könne nicht bis ins Unendliche
reichen. Zur Begründung verweist er den Leser auf sein im »zweiten
Weg« gegebenes Argument, das wie folgt lautet:
»Es ist aber nicht möglich, daß die Wirkursachen ins Unendliche gehen, weil bei
allen geordneten Wirkursachen das Erste Ursache des Mittleren, und das Mitt-
lere Ursache des Letzten ist, sei es daß das Mittlere mehreres oder nur eines ist.
Ist aber die Ursache entfernt worden, dann wird auch die Wirkung entfernt.
Wenn es also kein Erstes in den Wirkursachen gibt, wird es kein Letztes und
auch kein Mittleres geben. Wenn aber die Wirkursachen ins Unendliche gehen,
wird es keine erste Wirkursache geben, und so wird es weder eine letzte Wir-
kung noch mittlere Wirkursachen geben: was offenbar falsch ist.«34

Im Text ist einschränkend von (hierarchisch) »geordneten« Ursachen die


Rede, weil anders verknüpfte Ursachen nach Thomas sehr wohl ins Un-
endliche reichen können. So ist es beispielsweise »nicht unmöglich, dass
ein Mensch von einem Menschen gezeugt wird und so fort ins Unend-
liche.«35 Wenn dagegen ein Stein von einem Stock bewegt wird und der
Stock von der Hand, dann liegt nach Thomas eine Kausalreihe vor, bei
der ein unendlicher Regress ausgeschlossen ist.36 Bei Kausalreihen dieses
zweiten Typs sind, anders als bei solchen des ersten Typs, nachgeordnete
Ursachen just in ihrer kausalen Tätigkeit von vorgeordneten abhängig
und wirken daher gleichzeitig mit ihnen. Der Akt, durch den der Vater
34
  STh I, q. 2, a. 3, c, Übersetzung nach Thomas von Aquin, Die Gottesbeweise in
der »Summe gegen die Heiden« und der »Summe der Theologie«, 55. Um einen un-
endlichen Regress in der Reihe der bewegenden und bewegten Dinge auszuschlie-
ßen, stützt sich Thomas in ScG I, 13 auf drei aristotelische Argumente, von denen er
in der Summa Theologiae aber nur das zweite, oben zitierte übernimmt.
35
  STh I, q. 46, a. 2, ad 7 (Übersetzung von F. H.).
36
  Vgl. ebd.; zur Unterscheidung der beiden Typen von Kausalreihen vgl. auch
ScG II, 38 (zu 5).
§  2  Die Thomas-Version 29

den Sohn zeugt, verursacht nicht den Zeugungsakt des Sohnes, noch er-
folgen beide Akte zur selben Zeit. Der Stock dagegen wird von der Hand
dazu bewegt, den Stein zu bewegen, und beide bewegen daher simul-
tan.
Nun ist die Kette der unvergänglichen Dinge, deren Unvergänglich-
keit verursacht ist, nach Thomas offenbar eine Kausalreihe des zweiten
Typs, also eine hierarchisch geordnete. Ein Glied dieser Kette verursacht
demnach nicht nur die unvergängliche Existenz des nächsten Gliedes,
sondern auch die kausale Tätigkeit, durch die das nächste Glied, solange
es noch nicht das letzte ist, die unvergängliche Existenz des übernächs-
ten bewirkt. Als hierarchisch geordnete Kausalreihe kann jedoch die
Kette der unvergänglichen Dinge, deren Unvergänglichkeit verursacht
ist, nach Thomas nicht ins Unendliche zurückreichen. Warum das un-
möglich ist, soll aus dem zitierten Argument hervorgehen, das, ange-
wandt auf unseren Fall, Folgendes besagt: In der hierarchisch geordneten
Kausalkette unvergänglicher Dinge hängen die Existenz und die exis-
tenzverursachende Tätigkeit jedes nachgeordneten Gliedes vom ersten
Glied ab. Würde diese Kette ins Unendliche zurückreichen, dann gäbe es
kein erstes Glied und daher auch keine nachgeordneten Glieder. Nun
gibt es aber ein unvergängliches Ding, dessen unvergängliche Existenz
verursacht ist.37 Folglich kann die hierarchisch geordnete Kausalkette
unvergänglicher Dinge nicht unendlich lang sein.
Diese thomasische Argumentation ist unzureichend, weil sie das Pro-
blem nicht löst, sondern lediglich verschiebt. Zweifellos kann eine Kette,
in der die Existenz und die Wirksamkeit der nachgeordneten Glieder
von einem ersten Glied abhängen, nicht ins Unendliche zurückreichen,
weil es ohne ein erstes Glied, mithin im Falle der Unendlichkeit der Ket-
te, überhaupt keine Glieder gäbe. Wieso aber muss eine hierarchisch ge-
ordnete Kausalkette stets eine sein, in der die nachgeordneten Glieder
von einem ersten Glied abhängen? Warum könnten nicht ausnahmslos
alle Glieder anderen nachgeordnet sein? Auf diese Fragen bleibt Thomas
dem Leser die Antwort schuldig. Dass hierarchisch geordnete Kausal-
ketten nicht ohne erstes Glied auskommen, ist eine Annahme, die er
nicht begründet, sondern lediglich voraussetzt.

37
  Bei dieser Prämisse handelt es sich um das thomasische Zugeständnis, dass das
unvergänglich existierende Ding, zu dem der erste Beweisschritt gelangte, eines sein
könnte, dessen Existenz äußerlich verursacht und nicht logisch notwendig ist. Ohne
dieses Zugeständnis wäre der zweite Beweisschritt überflüssig.
30 Erstes Kapitel:  Das kosmologische Argument

Nun wird zu Thomas’ Gunsten manchmal erwidert, diese Annahme


sei der Begründung gar nicht bedürftig, vielmehr unmittelbar gewiss
und dürfe daher berechtigterweise vorausgesetzt werden.38 Niemand sei
schließlich so verrückt zu glauben, ein Zug könnte unendlich viele Wag-
gons haben, von denen jeder vom vorherigen gezogen würde, und sich
daher unter Umständen auch ohne Lokomotive bewegen. Ebenso un-
plausibel sei die Vorstellung, eine Uhr könnte unter Umständen auch
ohne Triebfeder funktionieren, weil sie unendlich viele Zahnräder besit-
zen und ein jedes vom vorgeordneten bewegt werden könnte.
Dieser Erwiderung ist zweierlei entgegenzuhalten. Erstens ist das
Prinzip, wonach in hierarchisch geordneten Kausalketten die Wirksam-
keit der nachgeordneten Glieder von einem ersten abhängt, meines Er-
achtens nur bezogen auf Ketten mit begrenzt vielen Gliedern unmittel-
bar gewiss. Es ist offenkundig, dass eine Uhr ohne Triebfeder nicht
funktionieren kann, wenn sie endlich viele Zahnräder hat. Ob dasselbe
auch für eine Uhr mit unendlich vielen Zahnrädern gelten würde, ist
dagegen keineswegs offenkundig. Wer das behauptet, verwechselt eine
unendliche Kausalreihe mit einer zwar unüberschaubar langen, aber
dennoch endlichen. Zweitens kann aus der unmittelbaren Gewissheit,
die ein Prinzip bezogen auf alle endlichen Reihen oder Mengen besitzt,
nicht geschlossen werden, dass es auch auf unendliche zutrifft, wie fol-
gendes Beispiel zeigt. Evidentermaßen gilt für alle endlichen Mengen der
Grundsatz: Wenn X eine Teilmenge von Y ist, dann können die Ele-
mente von X und Y nicht in eine Eins-zu-Eins-Entsprechung gebracht
werden. Auf unendliche Mengen dagegen trifft dieser Grundsatz nicht
zu. Obgleich nämlich zum Beispiel die Menge der Primzahlen eine Teil-
menge der Menge der natürlichen Zahlen bildet, lassen sich die Elemente
der einen Menge denen der anderen eineindeutig zuordnen. Ebenso
könnte auch das Prinzip, dass in hierarchisch geordneten Kausalketten
alle nachgeordneten Glieder ohne ein erstes Glied unwirksam sind, be-
zogen auf unendliche Ketten ungültig sein, wiewohl es bezogen auf alle
endlichen Ketten unmittelbar gewiss ist. Kurzum: Ob dieses Prinzip für
alle hierarchisch geordneten Kausalketten gilt, bleibt zweifelhaft, da
Thomas dessen allgemeine Gültigkeit weder begründet noch berechtigt
ist, sie als unmittelbar gewiss vorauszusetzen.

38
  Für die unmittelbare Gewissheit der Annahme scheinen in seltener Eintracht
beispielsweise Craig, The Cosmological Argument from Plato to Leibniz, 289, und
Mackie, Das Wunder des Theismus, 144 f., plädieren zu wollen.
§  3  Die Leibniz-Version 31

Resümee: Thomas’ »dritter Weg« scheitert schon im ersten Beweis-


schritt. Man muss nämlich keineswegs annehmen, dass irgendwann gar
nichts existieren würde, wenn es ausschließlich vergängliche Dinge gäbe.
Zudem ist auch der zweite Beweisschritt problematisch. Denn Thomas
kann weder die Möglichkeit einer unendlichen Kausalkette ausschließen
noch die Möglichkeit, dass es sich beim ersten Glied der Kette um eine
unvergängliche Urmaterie handelt.

§  3  Die Leibniz-Version

Die dritte Version des kosmologischen Gottesbeweises wurde von Leib-


niz und Samuel Clarke, dem engsten Vertrauten Newtons,39 entwickelt
und im 20. Jahrhundert beispielsweise von Frederick Copleston und
Richard Taylor erneut vertreten. Sie schließt aus dem Dasein kontin-
genter Dinge und aus dem Satz vom zureichenden Grund auf die Exis-
tenz eines Seienden, das notwendigerweise existiert und bei dem es sich
um Gott handeln soll. Leibniz argumentiert wie folgt: 40
Zweifellos existieren Dinge, die den Grund ihres Daseins nicht in sich
selbst haben, also logisch kontingent sind. Die Reihe aller kontingenten
Dinge ist die Welt. Nun gibt es aber für alles, was existiert, einen zurei-
chenden Grund, warum es überhaupt existiert und warum auf diese statt
auf andere Weise. Daher hat auch die Welt einen zureichenden Grund
ihres Daseins und Soseins. Dieser Grund ist aber nicht innerhalb der
Welt zu finden. Denn auch wenn die Existenz jedes kontingenten Dinges
durch ein anderes verursacht ist und wenn daher die Reihe aller kontin-
genten Dinge ins Unendliche zurückreicht, ist noch nicht verständlich,

39
  Vgl. S.  Clarke, A Demonstration of the Being and Attributes of God and other
Writings, ed. by E. Vailati, Cambridge 1998. Clarkes Argument wird in der ausge-
zeichneten Untersuchung von Rowe, The Cosmological Argument detailliert analy-
siert.
40
 Variationen dieses Beweises finden sich in mehreren leibnizschen Schriften,
vgl. G. W. Leibniz, »De rerum originatione radicali«, in: Die philosophischen Schrif-
ten von Gottfried Wilhelm Leibniz, hrsg. von C. I. Gerhardt, 7 Bde., Hildesheim/
New York 1978 (= GP), Bd.  V II, 302–308, hier: 302 f.; ders., Die Theodizee, übersetzt
von A. Buchenau, Hamburg 2.  Aufl. 1968 (= Theodizee), 100 (§  7); G. W. Leibniz,
Principes de la Nature et de la Grace, fondés en raison/Vernunftprinzipien der Natur
und der Gnade – Monadologie, franz.-dt., hrsg. von H. Herring, Hamburg 2.  Aufl.
1982, 14 f. (Vernunftprinzipien, §  8) und 42 f. (Monadologie, §§  37 f.).
32 Erstes Kapitel:  Das kosmologische Argument

warum es überhaupt eine Welt gibt und warum gerade diese und keine
andere. Leibniz schreibt:
»Stellen wir uns vor, das Buch über die Elemente der Geometrie sei ewig gewe-
sen, immer sei eines vom anderen abgeschrieben worden, so leuchtet ein, dass –
wenn auch der Grund für das gegenwärtige Buch in dem früheren, von dem es
abgeschrieben ist, aufgezeigt werden kann – man doch, wenn man auch auf noch
so viele Bücher zurückgeht, nirgends zu einem vollständigen Grunde gelangen
wird. Denn man kann sich immer wundern, warum es seit aller Zeit solche Bü-
cher gegeben hat, warum überhaupt Bücher und warum in dieser Weise ge-
schriebene. Was von den Büchern gilt, gilt auch für die verschiedenen Zustände
der Welt; der folgende ist nämlich gewissermaßen aus dem vorhergehenden ab-
geschrieben (wenn auch nach gewissen Gesetzen des Wechsels). Man wird da-
her, wie weit man auch auf frühere Zustände zurückgeht, niemals in den Zustän-
den einen vollständigen Grund finden, warum überhaupt eine Welt und warum
eine solche besteht.«41

Selbst wenn die Welt eine unendliche Vergangenheit besitzen sollte, hat
sie also den Grund ihres Daseins und Soseins nicht in sich selbst und ist
mithin auch als ganze kontingent. Daher muss es einen von der Welt
unterschiedenen Grund für die Welt geben. Dieser außerweltliche Grund
der Welt aber muss, damit er zureichend ist, ein notwendiges Wesen sein,
das den Grund seines Daseins in sich selbst enthält.
Diese dritte Version des kosmologischen Beweises unterscheidet sich
sowohl von der Kalam-Version als auch von derjenigen, die Thomas von
Aquin vertrat. Anders als die Kalam-Version räumt sie die Möglichkeit
einer unendlichen Vergangenheit der Welt ein. Im Unterschied zur Tho-
mas-Version dagegen nimmt sie zum einen den Satz vom zureichenden
Grund in Anspruch und schließt zum anderen nicht auf ein erstes Glied
in einer Kette von Ursachen, sondern auf einen letzten Grund der ge-
samten Ursachenkette. Ob die dritte Version als gelungen gelten kann,
hängt im Wesentlichen von der Beantwortung dreier Fragekomplexe ab.
(1) Wäre mit der Erklärung jedes einzelnen kontingenten Dinges auch
die ganze Reihe der kontingenten Dinge zureichend erklärt, sodass die
Erklärung der Welt ohne einen außerweltlichen Grund auskäme? (2) Ist
der Satz vom zureichenden Grund gültig, und darf er auf die Welt als
ganze angewendet werden? (3) Ist ein notwendig existierendes Wesen

41
  Leibniz, »De rerum originatione radicali«, GP VII, 302; Übersetzung im We-
sentlichen nach G. W. Leibniz, »Über den ersten Ursprung der Dinge«, in: ders.,
Fünf Schriften zur Logik und Metaphysik, übersetzt und hrsg. von H. Herring,
Stuttgart 1966, 39–50, hier: 39.
§  3  Die Leibniz-Version 33

überhaupt denkbar, und ist man gegebenenfalls berechtigt, es mit Gott


zu identifizieren?

1.  Zur immanenten Erklärung der Welt


In Humes Dialogen über natürliche Religion wird gegen den kosmolo-
gischen Gottesbeweis eingewandt, dass die zureichende Erklärung für
die unendliche Reihe der kontingenten Dinge nicht außerhalb, sondern
innerhalb dieser Reihe zu finden ist. Cleanthes, einer der Gesprächspart-
ner, erläutert seinen Einwand wie folgt: »Wenn ich dir die besonderen
Ursachen jedes einzelnen in einer Ansammlung (collection) von zwan-
zig Materieteilen zeigte, so würde mir deine weitere Frage nach der Ur-
sache aller zwanzig sehr unvernünftig erscheinen. Diese zwanzig sind
zureichend erklärt mit der Erklärung der Ursache aller Teile.«42 Dassel-
be gilt nach Cleanthes auch für die unendliche Reihe der kontingenten
Dinge: Ihre Existenz wäre zureichend erklärt, wenn die Existenz jedes
einzelnen kontingenten Dinges durch die kausale Wirksamkeit eines an-
deren erklärt wäre. Zur Erklärung der Welt als ganzer sei es daher über-
flüssig, ein notwendig existierendes Wesen außerhalb der Welt anzu-
nehmen. Dieser Einwand gegen die von Leibniz und Clarke entwickelte
Form des kosmologischen Argumentes wurde im 20. Jahrhundert durch
Paul Edwards erneuert. Edwards schreibt:
»Angenommen, ich sehe eine Gruppe von fünf Eskimos an der Ecke Sixth Ave-
nue und 50th Street stehen und möchte erklären, warum die Gruppe nach New
York kam. Eine Nachforschung ergibt Folgendes: Eskimo Nr.  1 mochte die ex-
treme Kälte in der Polarregion nicht und entschied sich, in ein wärmeres Klima
zu ziehen. Nr.  2 ist der Ehemann von Eskimo Nr.  1. Er liebt sie von Herzen und
möchte nicht ohne sie leben. Nr.  3 ist der Sohn von Eskimo 1 und 2. Er ist zu
klein und zu schwach, um sich seinen Eltern zu widersetzen. Nr.  4 sah eine An-
zeige in der New York Times, in der ein Eskimo für das Fernsehen gesucht wird.
Nr.  5 ist Privatdetektiv, engagiert von der Pinkerton-Agentur, um ein Auge auf
Eskimo Nr.  4 zu werfen. Nehmen wir an, dass wir nun im Falle jedes Einzelnen
der fünf Eskimos erklärt haben, warum er oder sie in New York ist. Dann fragt
jemand: ›Gut und schön, aber was ist mit der Gruppe als ganzer; warum ist sie
in New York?‹ Das wäre offenkundig eine absurde Frage. Es gibt keine Gruppe
über die fünf Mitglieder hinaus; und wenn wir erklärt haben, warum jedes der
fünf Mitglieder in New York ist, haben wir ipso facto erklärt, warum die Grup-
pe dort ist. Ebenso absurd ist es, nach der Ursache der Reihe als ganzer zu fra-

42
 D. Hume, Dialogues concerning natural religion, ed. with commentary by
N.  Pike, New York/London 1985, 79 (Übersetzung von F. H.).
34 Erstes Kapitel:  Das kosmologische Argument

gen, sofern sich diese Frage von der nach den Ursachen der einzelnen Elemente
unterscheiden soll.«43

Cleanthes und Edwards nehmen an, der Grund für die Existenz der Welt
sei nicht außerhalb, sondern innerhalb der Welt zu finden, und stützen
sich dafür auf die beiden folgenden, gleichermaßen unplausiblen Prin-
zipien:
(a) Wenn die Existenz jedes einzelnen Elements einer Reihe erklärt ist,
dann ist auch die Existenz der Reihe als ganze erklärt.
(b) In der unendlichen Reihe der kontingenten Dinge (Welt) ist jedes
Element der Reihe durch die kausale Wirksamkeit anderer Elemente
zureichend erklärt.44
Offenkundig trifft das erste Prinzip nicht auf alle Reihen zu. Schon bei
Reihen mit endlich vielen Elementen ist es nicht immer absurd, über die
Erklärungen der einzelnen Elemente hinaus nach einer Erklärung des
Ganzen zu fragen. Wenn in einer Bibliothek zehn Bücher als Gruppe
zusammenstehen, dann ist mit den Erklärungen, warum jedes einzelne
Buch in der Bibliothek vorhanden ist, nicht notwendigerweise auch die
Existenz der Gruppe erklärt. Denn das Dasein dieser Gruppe könnte
einen zusätzlichen Grund haben, etwa den, dass sie von jemandem als
Semesterapparat zusammengestellt wurde. Das erste Prinzip, das dem
Cleanthes-Edwards-Einwand zugrunde liegt, ist zwar in Fällen gültig,
in denen die Verbindung von Elementen zu einer Reihe lediglich durch
gedankliche Operationen zustande kommt, nicht aber in solchen, in de-
nen diese Verbindung einen objektiven Grund hat.45
Gänzlich unzutreffend ist das Prinzip schließlich dann, wenn es sich
um eine Reihe handelt, in der jedes Element der Reihe durch ein anderes
Element verursacht ist, und die deshalb (sofern keine Kausalschleife vor-
liegt) unendlich viele Elemente hat. Ein Gedankenexperiment Humes

43
  P. Edwards, »The Cosmological Argument« (1959), wieder abgedruckt in: B. A.
Brody (ed.), Readings in the Philosophy of Religion. An Analytic Approach, Engle-
wood Cliffs/New Jersey 1974, 71–83, hier: 78 (Übersetzung von F. H.).
44
  Vgl. ebd., 80 f., wo Edwards auch dieses zweite Prinzip ausdrücklich in An-
spruch nimmt.
45
  So zu Recht auch W. F. Vallicella, »The Hume-Edwards Objection to the Cos-
mological Argument«, Journal of Philosophical Research XXII (1997), 423–443, hier:
426 f. Vallicella unterscheidet zwischen »causal« und »noncausal (logical)« collec-
tions und weist darauf hin, dass nur bei logical collections mit der Erklärung aller
einzelnen Elemente auch die Ansammlung als ganze erklärt ist.
§  3  Die Leibniz-Version 35

variierend,46 nehme man an, Bücher würden sich wie Organismen fort-
pflanzen, jedes Buch sei durch ein anderes gezeugt und die Reihe der
Bücher reiche daher bis ins Unendliche zurück. Außerdem sei einen Mo-
ment lang angenommen, die Existenz jedes Buchs sei durch den Hinweis
auf die Zeugungstätigkeit eines anderen zureichend erklärt. Obgleich
man in diesem Falle für die Existenz jedes einzelnen Buchs eine zurei-
chende Erklärung hätte, wäre damit die Existenz der Buchreihe keines-
wegs erklärt. Denn da die Erklärung eines einzelnen Buchs stets auf die
Existenz eines anderen Bezug nähme, würde die Summe der Einzeler-
klärungen die Frage offen lassen, warum es überhaupt Bücher gibt und
warum ausgerechnet diese merkwürdigen natürlichen Bücher.47
Ebenso unplausibel wie das erste ist auch das zweite Prinzip, auf dem
der Cleanthes-Edwards-Einwand beruht. Für praktische Zwecke mag es
genügen, Elemente der unendlichen Reihe kontingenter Dinge durch die
kausale Wirksamkeit anderer Elemente dieser Reihe zu erklären. Erklä-
rungen solcher Art sind aber, da sie Kontingentes immer nur auf Kontin-
gentes zurückführen, unvollständig und daher im strikten, theoretischen
Sinne des Wortes unzureichend.
Kurzum: Der Cleanthes-Edwards-Einwand gegen den kosmolo-
gischen Beweis ist nicht stichhaltig, weil mit der Erklärung jedes kontin-
genten Dinges durch die Wirksamkeit eines anderen weder die unend-
liche Reihe der kontingenten Dinge noch irgendein Element dieser Reihe
vollständig erklärt wäre.

2.  Zur Gültigkeit des Satzes vom zureichenden Grund


Der Satz, dass es für alles einen Grund gibt, warum es überhaupt ist und
warum so und nicht anders, lässt sich nicht ohne Zirkel begründen.
Denn jede Begründung müsste ihn wieder in Anspruch nehmen.48 Zu-
dem lässt er sich bestreiten, ohne dadurch in einen Widerspruch zu gera-

46
  Vgl. Hume, Dialogues concerning natural religion, 35.
47
  Auch nach W. Rowe trifft das erste Prinzip, das dem Cleanthes-Edwards-Ein-
wand zugrunde liegt, nicht auf unendliche Ansammlungen zu, in denen die Existenz
jedes Elements der Ansammlung durch die kausale Wirksamkeit eines anderen Ele-
ments erklärt wird. Irrigerweise glaubt Rowe aber, dieses Prinzip gelte für alle end-
lichen Ansammlungen. Zudem stellt er das zweite Prinzip nicht in Frage (vgl. Rowe,
The Cosmological Argument, 154–157).
48
  Vgl. A. Schopenhauer, Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden
Grunde, §  14, in: ders., Werke in zehn Bänden (Zürcher Ausgabe), editorische Mate-
rialien von A. Hübscher, Zürich 1977 (= Werke), Bd.  V, 37 f.
36 Erstes Kapitel:  Das kosmologische Argument

ten, und ist daher nicht logisch notwendig. Gleichwohl machen wir be-
ständig Gebrauch von diesem Satz und scheinen dazu durch die Natur
unserer Vernunft genötigt zu sein. Richard Taylor nennt den Satz vom
zureichenden Grund deshalb zu Recht eine »presupposition of reason
itself«.49 Auch wenn wir für vieles keine Erklärung besitzen, gehen wir
wie selbstverständlich davon aus, alles gehe mit rechten Dingen zu und
sei bei hinreichender Kenntnis erklärbar.
Theorien, die das bestreiten, sind deshalb für unsere Vernunft unbe-
friedigend und fordern ihren Widerstand heraus. Ein berühmtes Beispiel
sind die Auseinandersetzungen um die Quantenmechanik in den zwan-
ziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Nach der Kopenhagener Deutung
gibt es für quantenmechanische Einzelereignisse, etwa dafür, wann ein
radioaktives Atom zerfällt, keinen Grund, auch keinen verborgenen.
Deshalb traf sie bei Physikern wie Einstein oder Schrödinger auf ener-
gischen Widerspruch. Bei den harten Diskussionen mit Nils Bohr soll
Schrödinger einmal ausgerufen haben: »Wenn es doch bei dieser ver-
dammten Quantenspringerei bleiben soll, dann bedauere ich, mich je-
mals mit der Atomtheorie abgegeben zu haben!«50 Entsprechend schrieb
Einstein an Max Born: »Die Quantenmechanik ist sehr achtung-gebie-
tend. Aber eine innere Stimme sagt mir, daß das doch nicht der wahre
Jakob ist. Die Theorie liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten bringt
sie uns kaum näher. Jedenfalls bin ich überzeugt, daß der nicht wür-
felt.«51 Vielleicht wird Einstein damit Recht behalten. Das Unbehagen an
einem würfelnden Gott hat jedenfalls zu Deutungen der Quantenme-
chanik geführt, die mit dem Satz vom zureichenden Grund vereinbar
sind.52

49
 Taylor, Metaphysics, 105. Dass es für alles irgendeinen Grund gibt, ist nach
Taylor ein Prinzip, »which all men, whether they ever reflect upon it or not, seem
more or less to presuppose« (ebd.).
50
  W. Heisenberg, Schritte über Grenzen. Gesammelte Reden und Aufsätze, Mün-
chen 1971, 64.
51
  »Aus dem Briefwechsel Einsteins mit Max und Hedwig Born« (Brief Einsteins
vom 4. Dezember 1926), in: M. Born, Physik im Wandel meiner Zeit, Braunschweig
4.  Aufl. 1966, 289–299, hier: 294.
52
 Beispielsweise hat Hugh Everett die sogenannte Viele-Welten-Deutung der
Quantenmechanik (vgl. B. S. DeWitt/N.  Graham [eds.], The Many-Worlds Inter­
pretation of Quantum Mechanics, Princeton/New Jersey 1973) entwickelt. Zur ver-
gleichenden Bewertung der Kopenhagener Deutung und der Viele-Welten-Deutung
vgl. unten §  10.
§  3  Die Leibniz-Version 37

Der Satz vom zureichenden Grund scheint ein fundamentales Prinzip


unseres Vernunftgebrauchs zu sein, ein Prinzip, das die durchgängige
Erkennbarkeit des Wirklichen unterstellt und deshalb die »Grundlage
aller Wissenschaft«53 ist. Aber besitzt es auch objektive Gültigkeit? Da es
sich in allen bisherigen Fällen bewährt hat, wird man davon mit einigem
Recht ausgehen dürfen. Schon Leibniz hat bemerkt:
»Ich habe häufig aufgefordert, mir einen Beleg gegen dieses gewaltige Prinzip
vorzubringen, irgend einen unbestrittenen Fall, in dem es versagt, – man hat dies
jedoch niemals getan und wird es niemals tun. Dagegen gibt es eine Unendlich-
keit von Fällen, in denen es zutrifft; oder vielmehr: es trifft in allen bekannten
Fällen zu, in denen man es angewandt hat. Daraus muß man vernunftgemäß und
gemäß der Maxime der Experimental-Philosophie, die a posteriori vorgeht, den
Schluß ziehen, daß es auch für die unbekannten Fälle gilt, oder für solche, die
durch seine Anwendung erst zu unserer Kenntnis kommen werden; – selbst
wenn es nicht außerdem aus reiner Vernunft, d. h. a priori, gerechtfertigt wür-
de.«54

Nun räumen einige Kritiker des kosmologischen Beweises durchaus ein,


dass der Satz vom zureichenden Grund für die Dinge innerhalb der Welt
ausnahmslose Gültigkeit besitzt. Dadurch sei man allerdings nicht be-

53
 Schopenhauer, Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grun­
de, §  4 (Werke V, 16).
54
  Leibniz’ fünftes Schreiben, in: G. W. Leibniz, Hauptschriften zur Grundlegung
der Philosophie, Bd.  I, hrsg. von E. Cassirer, Hamburg 3.  Aufl. 1966, 213 f. Dem zi-
tierten Text zufolge lässt sich der Satz vom zureichenden Grund nicht nur durch
empirische, sondern auch durch apriorische Erwägungen rechtfertigen. Möglicher-
weise greift Leibniz damit auf seine frühere Ansicht zurück, wonach der Satz vom
zureichenden Grund aus dem fundamentalen Prinzip folgt, dass in jedem wahren
Satz das Prädikat im Subjekt enthalten und daher jede Wahrheit analytisch ist. So
heißt es beispielsweise in einem Brief an Arnauld vom Juni 1686: »[.  .  .] für die Ver­
knüpfung der Termini einer Aussage muß doch stets eine bestimmte Grundlage vor­
handen sein, die sich in ihren Begriffen vorfinden muß. Dies ist mein großes Prinzip,
mit dem, wie ich glaube, alle Philosophen einverstanden sein müssen, und von dem
jenes populäre Axiom, daß nichts sich ereignet, ohne daß sich ein Grund angeben
läßt, warum es eher so als anders erfolgt, nur ein Folgesatz ist.« (Leibniz an Arnauld,
Juni 1686, in: G. W. Leibniz, Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie,
Teil  II, hrsg. von E. Cassirer, Hamburg 1996, 400). Wie der späte Leibniz diese ana-
lytische Wahrheitstheorie und ihre Beziehung zum Satz vom zureichenden Grund
einschätzt, ist schwer zu beurteilen und in der Sekundärliteratur durchaus umstrit-
ten. Klar ist jedenfalls, dass Leibniz auch in seiner Spätzeit meinte, der Satz vom
zureichenden Grund lasse sich auf apriorische Weise rechtfertigen. Ob das zutrifft,
kann dahingestellt bleiben. Denn schon die dargelegten empirischen Überlegungen
sprechen für die Annahme, dass der Satz vom zureichenden Grund objektive Gültig-
keit besitzt.
38 Erstes Kapitel:  Das kosmologische Argument

rechtigt, diesen Satz auch auf die Welt als ganze anzuwenden. Diese Ein-
schränkung, für die beispielsweise John Leslie Mackie und John Clay-
ton55 plädieren, ist prima facie wenig plausibel. Ohne gewichtige er-
kenntnistheoretische Zusatzargumente, etwa kantischer Art, ist es völlig
willkürlich, die Anwendung des Satzes vom zureichenden Grund auf
das zu beschränken, was weniger ist als das Ganze.56 Der Schreibtisch,
an dem ich sitze, hat zweifellos einen Grund für seine Existenz. Daran
würde sich auch dann nichts ändern, wenn die ganze Welt nur aus die-
sem Schreibtisch bestünde. Warum aber sollte eine einfache Welt eines
Grundes für ihre Existenz bedürfen, nicht jedoch die komplexe Welt, in
der wir leben?
In seiner BBC-Debatte mit Frederick Copleston hat Bertrand Russell
behauptet, es sei aus logischen Gründen unsinnig, den Begriff der Ursa-
che auf das Universum als Ganzes anzuwenden.
»Ich kann erläutern, worin meines Erachtens Ihr Fehlschluß besteht. Jeder
Mensch, der existiert, hat eine Mutter; und mir scheint, Ihr Argument lautet,
daß deshalb die Menschengattung eine Mutter haben muß; aber offensichtlich
hat die Menschengattung keine Mutter – das ist eine andere logische Sphäre.«57

Zu einem anderen logischen Bereich gehört die Menschengattung nach


Russell deshalb, weil sie kein konkreter, sondern ein abstrakter Gegen-
stand ist, nämlich eine Menge oder Klasse, deren Elemente die existie-
renden menschlichen Individuen sind. Mithin hat die Menschengattung
keine Mutter; denn Mengen, Zahlen und andere abstrakte Entitäten be-
sitzen keine Existenzursachen. Nun trifft Letzteres zwar zu, aber gleich-
wohl ist Russells Analogie irreführend. Beim Universum als Ganzem
handelt es sich nämlich ebenso wie bei seinen Teilen um eine konkrete
Entität, die zeitlich strukturiert und Gegenstand empirischer Wissen-
schaft ist. Nach der Ursache oder dem Grund dieses Ganzen zu fragen,
ist deshalb keineswegs ein Kategorienfehler, wie Russell glaubt.58
55
  Vgl. Mackie, Das Wunder des Theismus, 136, und J. Clayton, »Gottesbeweise
III. Systematisch/Religionsphilosophisch«, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd.
XIII, 740–784, hier: 750.
56
  So zu Recht auch Taylor, Metaphysics, 105 f.
57
 Russell/Copleston, »The Existence of God«, 289 (Übersetzung von F. H.).
Ebenso wie Russell argumentieren auch J. D. Barrow, The World within the World,
Oxford 1988, 227, und Kanitscheider, Kosmologie, 460.
58
  So zu Recht auch R. M. Gale, On the nature and existence of God, Cambridge
1996, 250 f. W. Rowe nimmt dagegen mit Russell an, die Welt als Ansammlung aller
abhängigen Dinge sei eine abstrakte Entität, im Unterschied zu Russell hält er den
kosmologischen Gottesbeweis jedoch deshalb nicht für erledigt. Denn zwar sei die
§  3  Die Leibniz-Version 39

3.  Zur Möglichkeit eines Ens necessarium


Viele Kritiker des kosmologischen Beweises haben die Möglichkeit eines
notwendig existierenden Wesens bestritten,59 und zwar aus folgendem
Grund: Ein Ens necessarium müsste eines sein, dessen Existenz zu leug-
nen ein Widerspruch in sich selbst wäre, weil Existenz ein Element sei-
nes Begriffs ist. Nun kann aber jedes Wesen ohne Widerspruch als nicht-
existierend gedacht werden. Folglich ist ein notwendig existierendes
Wesen nicht widerspruchsfrei denkbar und mithin unmöglich.
Bei Kant ist dieser Einwand eng mit seiner Kritik des ontologischen
Beweises verknüpft. 60 Der ontologische Beweis versucht bekanntlich zu
demonstrieren, dass es in einem Fall, nämlich in dem des höchst voll-
kommenen Wesens, sehr wohl widersprüchlich ist, die Existenz zu be-
streiten. Denn da das höchst vollkommene Wesen definitionsgemäß alle
Vollkommenheiten besitzt und da Existenz eine Vollkommenheit ist,
existiert es notwendigerweise und kann mithin nicht ohne Widerspruch
als nicht-existierend gedacht werden. Eben diese Verknüpfung zwischen
dem Gedanken des Ens perfectissimum und dem des Ens necessarium
wird nun auch im kosmologischen Argument hergestellt, allerdings in
umgekehrter Richtung. Das kosmologische Argument schließt nämlich
nicht nur auf ein notwendig existierendes Wesen, sondern versucht zu-
gleich nachzuweisen, dass dieses Wesen nur das vollkommenste, also
Gott, sein kann. Nach Kant könnte dieser zweite Beweisschritt des kos-
mologischen Argumentes allerdings nur dann gelingen, wenn auch der
ontologische Beweis gelänge. Denn dem kosmologischen Argument zu-
folge kann es sich beim notwendig existierenden Wesen einzig und allein
um das vollkommenste handeln. Wenn das aber zuträfe, dann müsste
sich aus dem Begriff des vollkommensten Wesens auch schließen lassen,
dass es notwendigerweise existiert. Dieser Schluss jedoch, also der onto-
logische Beweis, misslingt nach Kant, weil Existenz kein reales Prädikat,
mithin keine Vollkommenheit ist und daher auch dem Wesen, das alle
Vollkommenheiten besitzt, durchaus fehlen kann. Wenn aber das voll-
kommenste Wesen ebenso wie jedes andere ohne Widerspruch als nicht-

Frage nach der Ursache des Universums als einer abstrakten Menge sinnlos, nicht
aber die Frage, warum diese Menge die Elemente hat, die sie hat, statt gar keine zu
haben (vgl. Rowe, The Cosmological Argument, 129–144).
59
  Vgl. z. B. Hume, Dialogues concerning natural religion, 77; Russell/Copleston,
»The Existence of God«, 284–287.
60
  Vgl. zum Folgenden Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 592–614, B 620–642
(Werke 4, 529–544).
40 Erstes Kapitel:  Das kosmologische Argument

existierend gedacht werden kann, dann scheint ein notwendig existie-


rendes Wesen in der Tat nicht widerspruchsfrei denkbar und daher un-
möglich zu sein.
Durch diese Kritik des ontologischen und kosmologischen Argu-
mentes gerät man freilich in ein Dilemma. Kant schreibt:
»Es findet sich hier nun das Befremdliche und Widersinnische, daß der Schluß
von einem gegebenen Dasein überhaupt, auf irgend ein schlechthinnotwendiges
Dasein, dringend und richtig zu sein scheint, und wir gleichwohl alle Bedin-
gungen des Verstandes, sich einen Begriff von einer solchen Notwendigkeit zu
machen, gänzlich wider uns haben.«61

Einerseits besteht ein »Bedürfnis unserer Vernunft, zur Existenz über-


haupt irgend etwas Notwendiges (bei dem man im Aufsteigen stehen
bleiben könne) anzunehmen [.  .  .].«62 Denn ohne ein notwendig existie-
rendes Wesen gäbe es für das Zufällige keinen zureichenden Grund sei-
ner Existenz, und ohne einen zureichenden Grund wäre jene durchgän-
gige Erkennbarkeit des Seins zerstört, die in den menschlichen Erkennt-
nisbemühungen unterstellt wird. Andererseits sind wir nach Kants
Ansicht nicht in der Lage zu verstehen, worum es sich beim notwendig
existierenden Wesen eigentlich handelt. Denn jedes Wesen lässt sich nach
Kant ohne Widerspruch als nicht-existierend denken. Selbst das Voll-
kommenste würde, wenn es existierte, nur zufälligerweise existieren. 63
Dieses Dilemma lässt sich meines Erachtens nur auf zwei Weisen ver-
meiden. (a) Entweder man nimmt an, ein notwendig existierendes Wesen
könne in der Tat ausschließlich ein solches sein, bei dem die Existenz ein
Element seines Begriffs ist. In diesem Fall muss man mit Hume und Rus-
sell aus dem nicht-prädikativen Charakter von Existenz schließen, dass
ein Ens necessarium unmöglich und die Rede davon sinnlos ist. 64 Wenn
es aber unmöglich ist, dann kann der Satz vom zureichenden Grund
nicht gültig sein. Denn aus diesem Satz und aus der Annahme, dass et-
61
  Ebd., A 592, B 620 (Werke 4, 529).
62
  Ebd., A 603, B 631 (Werke 4, 536).
63
  Vgl. ebd., A 613, B 641 (Werke 4, 543) die berühmte Stelle über die unbedingte
Notwendigkeit als Abgrund der menschlichen Vernunft.
64
  Bei Hume heißt es: »The words, therefore, necessary existence have no meaning;
or, which is the same thing, none that is consistent.« (Dialogues concerning natural
religion, 77). Entsprechend bemerkt Russell: »The word ›necessary‹, it seems to me,
is a useless word, except as applied to analytic propositions, not to things.« (Russell/
Copleston, »The Existence of God«, 284 f.). Kant hingegen ist in diesem Punkt zu-
rückhaltender, weil es ohne ein notwendig Existierendes keinen letzten Grund des
Kontingenten gäbe.
§  3  Die Leibniz-Version 41

was Kontingentes existiert, würde die Wirklichkeit und damit auch die
Möglichkeit eines notwendig existierenden Wesens folgen. (b) Oder –
und darin besteht die zweite Lösungsmöglichkeit – man geht von der
Gültigkeit des Satzes vom zureichenden Grund aus. In diesem Fall ergibt
sich aus der Existenz des Kontingenten, dass ein Ens necessarium defini-
tiv wirklich und daher auch möglich ist. Wenn es aber möglich, d. h. wi-
derspruchsfrei denkbar ist, dann muss es eines sein, bei dem die Existenz
kein Teil seines Begriffs ist. Denn andernfalls wäre es, da Sein kein reales
Prädikat ist (vgl. §  6), unmöglich.
Von diesen beiden einander ausschließenden Lösungsmöglichkeiten
scheint mir die zweite die richtige zu sein. Denn während man, wie wir
sahen, mit einigem Recht von der Gültigkeit des Satzes vom zureichenden
Grund ausgehen darf, ist keineswegs gewiss, dass ein Wesen nur dann
ein notwendig existierendes sein könnte, wenn sein Begriff die Existenz
als Teilbestimmung einschließen würde. Wenn aber der Satz vom zurei-
chenden Grund gültig ist, dann steht die Möglichkeit eines Ens necessa-
rium unverrückbar fest. Aus dem nicht-prädikativen Charakter von
Existenz folgt dann nicht die Unmöglichkeit eines notwendig Existie-
renden, sondern vielmehr die Art seiner Möglichkeit: Es muss eines sein,
das nicht nicht existieren kann, obgleich die Existenz nicht als Element
in seinem Begriff enthalten ist.
Diese Überlegungen genügen, um jenen Einwand gegen das kosmolo-
gische Argument zurückzuweisen, der die Möglichkeit eines Ens neces-
sarium bestreitet. Sie werfen allerdings die Anschlussfrage auf, worum
es sich bei einem notwendig existierenden Wesen, dessen Existenz kein
Teil seines Begriffs ist, eigentlich handelt. Zur Beantwortung dieser Fra-
ge werde ich im nächsten Kapitel die Annahme vertreten, dass mögliche
Wesenheiten oder Essenzen eine Tendenz besitzen, wirklich zu sein, und
dass die Stärke dieser Tendenz dem Grad ihrer Vollkommenheit ent-
spricht. Sollte das zutreffen, dann hätte die höchst vollkommene Essenz,
also jene, der keine Vollkommenheit fehlt und der jede Vollkommenheit
im höchsten Grad zukommt, die größtmögliche Tendenz, wirklich zu
sein. Sie würde daher notwendigerweise existieren, obgleich Existenz
kein Element ihres Begriffs wäre.
Resümee: Die dritte Version des kosmologischen Beweises hat hohe
Erfolgsaussichten, weil die Einwände, die sich auf die Notwendigkeit
einer transzendenten Erklärung der Welt als ganzer, auf die Gültigkeit
des Satzes vom zureichenden Grund und auf die Denkbarkeit eines not-
wendig existierenden Wesens beziehen, nicht stichhaltig sind.
42 Erstes Kapitel:  Das kosmologische Argument

Zum Schluss eine Bemerkung über das Verhältnis des kosmologischen


Beweises zum Glauben und zum Unglauben. Meine Überlegungen ha-
ben zu dem Ergebnis geführt, dass das Geschaffensein der Welt und die
Existenz ihres Schöpfers nicht nur im Glauben gewiss, sondern auch im
Denken nicht unplausibel sind. Wenn das aber der Fall ist, warum ist das
Dasein des Schöpfers dann alles andere als eine allgemein geteilte Über-
zeugung? Eine einleuchtende, schon von Anselm von Canterbury vorge-
schlagene Erklärung lautet: Der Atheismus ist kein schlichter Denkfeh-
ler, der sich mit Argumenten leicht ausräumen ließe. Er ist vielmehr eine
Torheit, ein tief verwurzelter tragischer Irrtum, eine Lebensform, die
dem Menschen gleichsam zur zweiten Natur geworden ist. Deshalb muss
Gott sich dem Menschen zunächst im Glauben verständlich machen, da-
mit seine Wirklichkeit auch im Denken einsichtig werden kann. Und
deshalb konnten die drei vorgeführten Versionen des kosmologischen
Gottesbeweises nur im Bereich der abrahamitischen Religionen entwi-
ckelt werden, die auf dem Boden des biblischen Schöpfungsglaubens ste-
hen. Ohne jenen selbstverständlichen Umgang mit der Wirklichkeit
Gottes, welcher der Glaube ist, würde die Einsicht in seine Wirklichkeit
schwerlich gesucht und gefunden. Die Gebetsform, in die Anselm seinen
Gottesbeweis einbettet, ist deshalb sachgemäß und keine entbehrliche
religiöse Stilisierung.
»Ich versuche nicht, Herr, Deine Tiefe zu durchdringen«, schreibt er unmittel-
bar vor dem Beweis, »denn auf keine Weise stelle ich ihr meinen Verstand gleich;
aber mich verlangt, Deine Wahrheit einigermaßen einzusehen, die mein Herz
glaubt und liebt. Ich suche ja auch nicht einzusehen, um zu glauben, sondern ich
glaube, um einzusehen. Denn auch das glaube ich: ›wenn ich nicht glaube, werde
ich nicht einsehen‹.«65

Die Erkenntnis der Wirklichkeit Gottes setzt demnach den gläubigen


Umgang mit seiner Wirklichkeit voraus, freilich in anderem Sinne, als
man gelegentlich annimmt. Die im Glauben gesuchte und von Gott ge-
schenkte Einsicht steht für sich selbst, ohne Voraussetzungen inhalt-
licher Art in Anspruch zu nehmen, die sich nicht auch vernünftigerweise
verstehen.

65
  Anselm von Canterbury, Proslogion, lat.-dt. Ausgabe von F. S. Schmitt, Stutt­
gart-Bad Cannstatt 2.  Aufl. 1984, 83 und 85.
Zweites Kapitel

Das ontologische Argument

Wer verstanden hat, was Gott ist, muss auch annehmen, dass Gott ist.
Und wer die Existenz Gottes leugnet, hat gar nicht begriffen, wovon die
Rede ist. Nur ein Tor kann dem Psalmisten zufolge auf den Gedanken
kommen: Es ist kein Gott.1 Dass der Atheismus schon aus begrifflichen
Gründen eine Torheit ist, soll durch den berühmtesten aller Gottesbe-
weise gezeigt werden, der seit Kant der ontologische heißt. Er ist der
denkwürdige Versuch, allein vom Begriff Gottes, also unabhängig von
Erfahrung, auf Gottes Existenz zu schließen. Ob dieser Versuch gelingt,
darüber herrscht seit annähernd tausend Jahren ein Streit, an dem sich
fast alle bedeutenden Theologen und Philosophen beteiligt haben. Die
Liste mit den Vertretern und diejenige mit den Kritikern des ontolo-
gischen Beweises enthält gleichermaßen illustre Namen. Auf der ersten
Liste finden sich Namen wie Anselm von Canterbury, Bonaventura,
Duns Scotus, Descartes, Spinoza, Leibniz und Hegel; auf der zweiten
Liste solche wie Thomas von Aquin, Ockham, Gassendi, Hume, Kant,
Schelling und Karl Barth. Im 20. Jahrhundert hat der ontologische Be-
weis in Norman Malcolm, Charles Hartshorne und Alvin Plantinga
neue Verteidiger gefunden, während er in der europäischen Theologie
und Philosophie zumeist kritisiert, fideistisch uminterpretiert oder
schlicht ignoriert wurde.2

1
  Vgl. Psalm 14, 1 und 53, 2.
2
 Aus der umfangreichen Sekundärliteratur seien nur einige Titel genannt: D.
Henrich, Der ontologische Gottesbeweis. Sein Problem und seine Geschichte in der
Neuzeit, Tübingen 2.  Aufl. 1967; J. Hick/A. C. McGill (eds.), The Many-Faced Ar­
gument. Recent Studies on the Ontological Argument for the Existence of God, Lon-
don/Melbourne 1968; J. Rohls, Theologie und Metaphysik. Der ontologische Gottes­
beweis und seine Kritiker, Gütersloh 1987; M. M. Olivetti (Hg.), L’argomento onto­
logico (Archivio di Filosofia 58), Padova 1990; W. Röd, Der Gott der reinen Vernunft.
Die Auseinandersetzung um den ontologischen Gottesbeweis von Anselm bis Hegel,
München 1992; G. Hindrichs, Das Absolute und das Subjekt. Untersuchungen zum
Verhältnis von Metaphysik und Nachmetaphysik, Frankfurt a. M. 2008.
44 Zweites Kapitel:  Das ontologische Argument

Im Folgenden werde ich zwei Versionen des ontologischen Argu-


mentes erörtern, nämlich erstens die klassische, von Anselm und Des-
cartes vertretene Version und zweitens eine Version, die ich im Anschluss
an Leibniz entwickle. Außerdem wird von den drei wichtigsten Einwän-
den gegen das ontologische Argument die Rede sein, und zwar vom so-
genannten logischen Einwand, vom Einwand, der die Denkbarkeit Got-
tes bezweifelt, und schließlich vom Einwand Kants. Es wird sich zeigen,
dass der erste Einwand definitiv falsch ist, dass sich der zweite ausräu-
men lässt und dass durch den dritten zwar die klassische Version des
ontologischen Argumentes widerlegt wird, nicht aber die von mir vorge-
schlagene. Bei dieser Version handelt es sich vielmehr, so lautet meine
These, um ein gültiges Argument.

§  4  Anselms Argument und der logische Einwand

Wenn alle theologischen und philosophischen Schriften des Mittelalters


verloren gegangen wären, bis auf drei, dann wäre zu wünschen, dass An-
selms Proslogion zu diesen dreien gehören würde. Das zweite und dritte
Kapitel des Proslogion enthalten eine der tiefsinnigsten Überlegungen
der Theologiegeschichte, eben den ontologischen Beweis für die Exis-
tenz Gottes und die Undenkbarkeit seiner Nichtexistenz.
Dieser Beweis hat die Form eines indirekten Argumentes, das heißt, er
erreicht sein Ziel, indem er die atheistische Gottesleugnung ad absurdum
führt. Zunächst bestimmt Anselm Gott als »etwas, über dem nichts
Größeres gedacht werden kann (aliquid quo nihil maius cogitari pos-
sit).«3 Diese Bestimmung ist sicher eine zutreffende Bezeichnung des
Gottes der Bibel, zumal sie die biblische Götzenkritik fortführt und ein
Kriterium bietet, um zwischen dem wahren Gott und den falschen Göt-
tern zu unterscheiden. Gleichwohl ist sie nicht biblischen, sondern sto-
ischen Ursprungs.4 Augustin hat sie übernommen, leicht modifiziert
3
  Anselm von Canterbury, Proslogion 2 (Schmitt I, 101, 5). Anselm wird zitiert
nach S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia, Tomus I (Vol. I–II), To-
mus II (Vol. III–VI), hrsg. von F. S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt 2.  Aufl. 1984 (=
Schmitt, die nachfolgende römische Zahl nennt das Volumen, die nachfolgenden ara-
bischen Zahlen nennen die Seiten und die Zeilen). Übersetzung nach der lat.-dt.
Ausgabe von Schmitt.
4
  Nach L. A. Seneca, L. Annaei Senecae ad Lucilium Naturalium Quaestionum
libri VIII, hrsg. von A. Gercke (Leipzig 1907), Nachdruck Stuttgart 1970, lib. I
praef., 5, besitzt Gott eine »magnitudo [.  .  .], qua nihil maius cogitari potest«.
§  4  Anselms Argument und der logische Einwand 45

und als eine zwischen Christen und Manichäern unstrittige Regel ver-
wendet, an der sich jede Gottesvorstellung messen lassen muss.5 Weil die
Bezeichnung Gottes als etwas, über dem nichts Größeres gedacht wer-
den kann, noch diesseits bestimmter Gottesvorstellungen steht, ist sie
für Anselm ein geeigneter Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung
mit dem Atheismus.
Nach Anselm versteht der Atheist den Ausdruck »etwas, über dem
nichts Größeres gedacht werden kann«, denn anderenfalls könnte er
nicht die Existenz des Wesens bestreiten, auf das sich der Ausdruck be-
zieht. Was er aber versteht, das ist in seinem Verstand, nämlich als Be-
wusstseinsgegenstand. Freilich wird der Atheist behaupten, ein Wesen,
über dem nichts Größeres gedacht werden kann, sei ausschließlich im
Bewusstsein und nicht in der bewusstseinsunabhängigen Wirklichkeit.
Durch eben diese Behauptung, besagtes Wesen besitze nur ein intramen-
tales, kein extramentales Sein, verwickelt er sich aber in einen Wider-
spruch. Denn angenommen, ein Wesen, über dem nichts Größeres ge-
dacht werden kann, sei ausschließlich im Bewusstsein, so kann doch
zumindest gedacht werden, dass es auch in Wirklichkeit ist. Nun ist ein
Wesen, wenn es sowohl im Bewusstsein als auch in Wirklichkeit ist, grö-
ßer, als wenn es nur im Bewusstsein ist. Für Anselm ist Sein offenbar
eine intensive Größe, die wie Kraft, Licht oder Wärme einer größeren
oder geringeren Stärke fähig ist. Ebenso wie das Sonnenlicht heller ist als
das Licht einer Lampe, so besitzt etwas, das im Bewusstsein und in
Wirklichkeit ist, nach Anselm »mehr« Sein als etwas Entsprechendes,
das nur im Bewusstsein ist. Es liegt auf der Hand, dass es unter dieser
Voraussetzung widersprüchlich ist anzunehmen, etwas, über dem nichts
Größeres gedacht werden kann, sei nur im Bewusstsein. Denn wenn es
nur im Bewusstsein wäre, dann ließe sich etwas Größeres denken. »Es
existiert also ohne Zweifel ›etwas, über dem Größeres nicht gedacht wer-
den kann‹, sowohl im Verstande als auch in Wirklichkeit.«6
Dieses Ergebnis von Proslogion 2 wird in Proslogion 3 durch eine nä-
here Bestimmung der Existenzweise Gottes präzisiert. Gott muss nicht
nur als existierend, sondern er muss auch als notwendigerweise existie-

5
  A. Augustinus, De moribus ecclesiae catholicae et de moribus Manichaeorum
libri duo, in: Sancti Aureli Augustini Opera 6/7, hrsg. von J. B. Bauer (CSEL 90),
Wien 1992, 1–156, lib. II, 11, 24, bestimmt Gott als etwas, »quo esse aut cogitari
melius nihil possit«.
6
  Anselm von Canterbury, Proslogion 2 (Schmitt I, 102, 2 f.), Übersetzung nach
der lat.-dt. Ausgabe von Schmitt.
46 Zweites Kapitel:  Das ontologische Argument

rend gedacht werden. Anselms Argument ist wiederum ein indirektes


und lautet wie folgt:
»Es läßt sich denken, daß es etwas gibt, das als nichtexistierend nicht gedacht
werden kann – was größer ist, als was als nichtexistierend gedacht werden kann.
Wenn deshalb ›das, über dem Größeres nicht gedacht werden kann‹, als nicht­
existierend gedacht werden kann, so ist eben ›das, über dem Größeres nicht ge-
dacht werden kann‹, nicht das, über dem Größeres nicht gedacht werden kann;
was sich nicht vereinbaren läßt. So wirklich also existiert ›etwas, über dem Grö-
ßeres nicht gedacht werden kann‹, daß es als nichtexistierend auch nicht gedacht
werden kann.«7

Es kann nicht entschieden genug betont werden, dass Anselm in Proslo­


gion 2 und 3 beansprucht, allein durch Vernunft die Existenz Gottes und
die Undenkbarkeit seiner Nichtexistenz zu beweisen. Wer die Existenz
Gottes leugnet, vertritt nach Anselm eine in sich widersprüchliche und
daher im höchsten Maße irrationale Position. Es gehört deshalb zu den
merkwürdigsten Tatsachen in der Theologiegeschichte des 20. Jahrhun-
derts, dass sich Karl Barth bei seiner Wende zu einer antirationalisti-
schen Offenbarungstheologie ausgerechnet auf Proslogion 2 und 3 stützt.
In seinem 1931 erschienenen Anselmbuch habe man es, schreibt Barth
im Vorwort zur zweiten Auflage, »wenn nicht mit dem, so doch mit
einem sehr wichtigen Schlüssel zum Verständnis der Denkbewegung zu
tun [.  .  .], die sich mir dann eben in der ›Kirchlichen Dogmatik‹ mehr und
mehr als die der Theologie allein angemessene nahegelegt hat.«8 Das
theologische Programm Anselms, das seinem eigenen, in der Kirchlichen
Dogmatik durchgeführten Programm als Vorbild dient, zielt nach Barth
nicht darauf, die Wahrheit von Glaubenssätzen allgemeinverbindlich zu
beweisen. Statt um rationale Theologie gehe es Anselm vielmehr um den
Nachweis, dass zwischen den Sätzen des Credos, deren Wahrheit aus-
schließlich durch Offenbarung sichergestellt sei, ein innerer, folgerich-
tiger Zusammenhang besteht.9 Auch in Proslogion 2 und 3 solle nicht
etwa die Existenz Gottes vernünftig bewiesen, sondern lediglich eine
geoffenbarte und geglaubte Wahrheit durch eine andere verständlich ge-

7
  Ebd., 3 (Schmitt I, 102, 6–103, 2), Übersetzung nach der lat.-dt. Ausgabe von
Schmitt.
8
  K. Barth, Fides quaerens intellectum. Anselms Beweis der Existenz Gottes im
Zusammenhang seines theologischen Programms (1931), hrsg. von E. Jüngel/I. U.
Dalferth, Zürich 2.  Aufl. 1986, 6.
9
  Vgl. ebd., 24–27, 40 ff., 53–71.
§  4  Anselms Argument und der logische Einwand 47

macht werden, nämlich die geoffenbarte Existenz Gottes durch seinen


geoffenbarten Namen.10
Diese offenbarungstheologische Lesart ist aus einer Reihe von Grün-
den unhaltbar, wie insbesondere Franciscus Salesius Schmitt, der be-
deutendste Anselm-Forscher des 20. Jahrhunderts, gezeigt hat.11 Sie
wird zum Beispiel eindeutig widerlegt durch das Gebet, mit dem An-
selm seinen Beweis abschließt. »Dank Dir, guter Herr, Dank Dir, daß
ich das, was ich zuvor durch Dein Geschenk geglaubt habe, jetzt durch
Deine Erleuchtung so einsehe, daß ich, wollte ich es nicht glauben, daß
Du existierst, es nicht nicht einsehen könnte.«12 Nach Anselm ist der
Glaube zwar notwendig für die Einsicht, weil er durch die Bestimmung
Gottes als etwas, über dem nichts Größeres gedacht werden kann,
gleichsam den Kompass liefert, um zur Einsicht zu gelangen; die gefun-
dene Einsicht aber ist nicht nur für den Gläubigen, sondern für jeden
Vernünftigen verbindlich. Umdeutungsversuche, die das Proslogion als
Offenbarungstheologie oder gar wie Anselm Stolz13 als Mystik verste-
hen, erfüllen einen leicht durchschaubaren Zweck: »Sie ersparen das
Eingeständnis, daß man mit den christlichen Denkern gebrochen hat,
die sich noch den Nachweis zugemutet haben, das Christentum sei Erbe
und Überwindung der griechischen Philosophie.«14
Antirationalistischen Umdeutungen zum Trotz besteht die dem Be-
weisanspruch Anselms allein angemessene Frage darin, ob Proslogion 2
und 3 einer vernünftigen Prüfung standhalten. Bereits Anselms erster
Kritiker, der Mönch Gaunilo, hat diese Frage verneint. Nach Gaunilo
gestattet die Regel, dass von dem Inhalt eines Begriffs nicht auf seinen
Umfang geschlossen werden kann, keine Ausnahme. Selbst dann, wenn

10
  Vgl. ebd., 75–80.
11
  Vgl. F. S. Schmitt, »Einführung«, in: Anselm von Canterbury, Proslogion, lat.-
dt. Ausgabe von F. S. Schmitt, 9–65, hier: 35–52. Für die Kritik an Barths Anselm-
buch vgl. auch zum Beispiel H. Scholz, »Der Anselmische Gottesbeweis (1950/1951)«,
in: ders., Mathesis Universalis. Abhandlungen zur Philosophie als strenger Wissen­
schaft, hrsg. von H. Hermes/F. Kambartel/J. Ritter, Darmstadt 1961, 62–74, hier:
63 ff.
12
  Anselm von Canterbury, Proslogion 4 (Schmitt I, 104, 5–7), Übersetzung nach
der lat.-dt. Ausgabe von Schmitt.
13
  Vgl. A. Stolz, »Zur Theologie Anselms im Proslogion«, Catholica 2 (1933), 1–
24.
14
  K. Flasch, »Einleitung«, in: Anselm von Canterbury/Gaunilo von Marmou-
tiers, Kann Gottes Nicht-Sein gedacht werden? Die Kontroverse zwischen Anselm
von Canterbury und Gaunilo von Marmoutiers, lat.-dt., übersetzt, erläutert und
hrsg. von B. Mojsisch, Mainz 1989, 7–48, hier: 23.
48 Zweites Kapitel:  Das ontologische Argument

Wirklichsein zum Begriff gehört, wie im Falle Gottes, muss dem Begriff
nicht etwas Wirkliches entsprechen. Etwas, über dem nichts Größeres
gedacht werden kann, mag nur als existierend gedacht werden können,
gleichwohl ergibt sich aus dem Inhalt dieses Gedankens nichts über sei-
nen Gegenstandsbezug.15 Denn anderenfalls könnte, meint Gaunilo,
auch die Existenz des Vortrefflichsten jeder beliebigen Art bewiesen
werden. Man stelle sich beispielsweise eine Insel vor, die vortrefflicher ist
als alle anderen (möglichen) Inseln.16 Nun ist es vortrefflicher, in der
Vorstellung und in Wirklichkeit als nur in der Vorstellung zu sein. Also
existiert die (denkbar) vortrefflichste Insel auch in Wirklichkeit. Denn
wäre sie nur in der Vorstellung, dann ließe sich eine vortrefflichere vor-
stellen, nämlich eine ihr entsprechende Insel, die auch in Wirklichkeit
existiert. Würde jemand so argumentieren, schreibt Gaunilo, »nähme ich
entweder an, er erlaube sich einen Scherz, oder ich wäre unschlüssig,
wen ich für törichter halten sollte, mich, wenn ich ihm beipflichtete, oder
ihn, wenn er glaubte, für das wesentliche Sein dieser Insel auch nur ir-
gendwie einen sicheren Beweis erbracht zu haben«.17 Nach Gaunilo
steckt im Existenzbeweis der (denkbar) vortrefflichsten Insel und in An-
selms Gottesbeweis derselbe Fehler: Beide Beweise verwechseln die nur
vorgestellte mit der wirklichen Existenz. Zwar gehört die Bestimmung
der Existenz zum Begriff Gottes und zum Begriff einer maximal vor-
trefflichen Insel, aber diese Existenz ist eben nur eine gedachte und nicht
die Existenz der Sache selbst.
Dieser Einwand, den ich mit Dieter Henrich den logischen nenne, ist
in der Geschichte der Metaphysik unzählig oft wiederholt worden, und
er wird noch heute, zum Beispiel von John Leslie Mackie oder Wolfgang
Röd, als der entscheidende betrachtet.18 Trotzdem ist er definitiv falsch,
weil sonst alle Folgerungen aus Begriffen eingeschränkt werden müss-
ten. Beispielsweise dürfte man aus dem Begriff des Junggesellen nicht
mehr schließen, dass alle Junggesellen unverheiratet sind. Man müsste
vielmehr sagen: Nur innerhalb unserer Vorstellungen sind alle Jungge-
sellen unverheiratet, außerhalb unserer Vorstellungen aber möglicher-

15
  Vgl. Gaunilo, Quid ad haec respondeat quidam pro insipiente (= Pro Insipiente)
5 (Schmitt I, 127, 25–128, 13).
16
  Vgl. ebd. 6 (Schmitt I, 128, 14–32).
17
 Ebd. (Schmitt I, 128, 28–30), Übersetzung nach: Anselm von Canterbury/
Gaunilo von Marmoutiers, Kann Gottes Nicht-Sein gedacht werden?, 77.
18
  Vgl. Mackie, Das Wunder des Theismus, 78 ff., 85 f., 88 f.; Röd, Der Gott der
reinen Vernunft, 37, 65.
§  4  Anselms Argument und der logische Einwand 49

weise nicht. Wir können uns Junggesellen nur als unverheiratet denken,
aber wer weiß, in Wirklichkeit ist vielleicht doch der eine oder andere
Junggeselle verheiratet. Offenkundig ist dieser Vorbehalt absurd. Eben-
so absurd ist der logische Einwand gegen den ontologischen Beweis, und
zwar deshalb, weil er sich in einen Widerspruch verwickelt. Wenn Gott
nur als existierend gedacht werden kann, kann nicht zugleich gedacht
werden, dass er möglicherweise nicht existiert.19 Dasselbe gilt auch für
die vortrefflichste aller möglichen Inseln. Natürlich misslingt der Exis-
tenzbeweis dieser Insel, aber der Fehler des Beweises ist ein anderer als
der, den Gaunilo diagnostiziert. Worin er besteht, wird im nächsten Ab-
schnitt deutlich werden.
In der Kirchlichen Dogmatik glaubt übrigens auch Karl Barth, dass
sich die cartesische Version des ontologischen Beweises mit Hilfe des
logischen Einwands widerlegen lasse.20 Dieser Irrtum ist sicher verzeih-
lich, da selbst Denker wie Thomas von Aquin oder David Hume den
logischen Einwand als stichhaltig betrachtet haben. Weniger verzeihlich
ist es aber, wenn Barth in seiner Untersuchung von 1931 suggeriert, für
Anselm selbst gelte der ontologische Beweis nur innerhalb der Grenzen
des logischen Einwands. Nach Barth soll in Proslogion 2 und 3 lediglich
bewiesen werden, dass der Gedanke, Gott existiere nicht oder nicht not-
wendigerweise, dem geoffenbarten Namen Gottes widerspricht. Die
wirkliche, nicht nur gedachte Existenz Gottes sei für Anselm dagegen
eine im Denken nicht einholbare Offenbarungswahrheit, die allein im
Glauben gewiss sei.21 Dieser offenbarungstheologisch angepasste An-
selm hat mit dem wirklichen Anselm des 11. Jahrhunderts nicht das Ge-
ringste zu tun. Er ist ein Produkt der barthschen Phantasie, ersonnen,
um den Begründer der rationalen Theologie und alle, die sich auf ihn
berufen, zum Schweigen zu bringen. Sollte Barth im Himmel auf den
Bischof von Canterbury treffen, wird er einiges zu hören bekommen.

19
  Mit demselben Argument wird der logische Einwand auch von Kant in einer
wenig bekannten Notiz zurückgewiesen (vgl. Kant’s gesammelte Schriften, hrsg.
von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Band  X VII, Dritte Abtheilung:
Handschriftlicher Nachlaß, Band  I V: Metaphysik, Erster Theil, Berlin/Leipzig 1926,
Nr.  3706 [S.  240 f.]).
20
  Vgl. K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik, Bd.  III: Die Lehre von der Schöpfung,
1. Teil, Zürich 4.  Aufl. 1970, 409 ff.
21
  Anders als so lassen sich Barths Ausführungen über die Konklusionen der an-
selmischen Beweise wohl kaum verstehen, vgl. Barth, Fides quaerens intellectum,
131 f. und 146 f.
50 Zweites Kapitel:  Das ontologische Argument

§  5  Descartes, Leibniz und der Einwand gegen


die Denkbarkeit Gottes

Neben dem logischen Einwand haben Gaunilo und Thomas von Aquin
noch einen weiteren Einwand gegen den ontologischen Beweis vorge-
bracht. In Anknüpfung an die respektable Tradition der negativen Theo­
logie bestreiten sie die Denkbarkeit jenes unüberbietbar großen Wesens,
von dem im anselmischen Beweis die Rede ist. Nach Gaunilo hat der
Ausdruck »das, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann«,
gar keine Bedeutung (significatio), weil er sich auf kein bestimmtes We-
sen beziehen lässt. Wenn man aber nicht einmal versteht, um was für ein
Wesen es sich beim unüberbietbar großen handeln soll, dann ist der an-
selmische Beweis von vornherein zum Scheitern verurteilt.22 Denn er
setzt voraus, dass das, über dem Größeres nicht gedacht werden kann,
ein Gegenstand im Bewusstsein des Toren ist. Aus demselben Grund
misslingt Anselms Beweis auch nach Thomas von Aquin. Zwar ist Got-
tes Sein mit seinem Wesen identisch,23 aber wir können sein Sein nur aus
seinen Wirkungen, nicht aus seinem Wesen erschließen, weil Letzteres
für uns unbegreiflich ist.24 Durch Anselms Vorschlag, Gott als das zu
denken, über dem kein Größeres denkbar ist, wird lediglich definito-
risch festgelegt, dass Gottes Dasein zu seinem Wesen gehört, ohne ver-
ständlich zu machen, welches Wesen unüberbietbar groß ist und inwie-
fern ihm notwendigerweise das Dasein zukommt. Aus Definitionen
dürfen aber nur dann Schlüsse gezogen werden, wenn das Definierte
denkbar ist.
In seiner Antwort auf Gaunilo hat Anselm versucht, die Zweifel an der
Denkbarkeit des unüberbietbar großen Wesens auszuräumen, indem er
dieses Wesen näher bestimmt. Unüberbietbar groß ist dasjenige, das am
Ende jener gedanklichen Bewegung steht, die von weniger großen Gü-
tern zu immer größeren aufsteigt.25 Durch diese (im Proslogion noch
verworfene26) Gleichsetzung des Wesens, über dem Größeres nicht ge-
22
  Vgl. Gaunilo, Pro Insipiente 4 (Schmitt I, 126, 29–127, 24).
23
  Vgl. Thomas von Aquin, STh I, q. 3, a. 4; ders., ScG I, cap.  22.
24
 Vgl. STh I, q. 2, a. 1c; ScG I, cap.  11.
25
  Vgl. Anselm, Quid ad haec respondeat editor ipsius libelli 8 (Schmitt I, 137, 6–
138, 3).
26
 Nach Proslogion 15 (Schmitt I, 112, 12–17) ist das, über das hinaus nichts Grö-
ßeres gedacht werden kann, etwas Größeres, als gedacht werden kann, weil Letzte-
res denkbar sei. Es liegt auf der Hand, dass diese Argumentation aufgrund ihrer
Selbstwidersprüchlichkeit unhaltbar ist.
§  5  Descartes, Leibniz und der Einwand gegen die Denkbarkeit Gottes 51

dacht werden kann, mit dem denkbar Größten, hat Anselm den Weg
eingeschlagen, der in der neuzeitlichen Metaphysik konsequent beschrit-
ten wird.
Descartes’ Version des ontologischen Beweises definiert Gott nicht
mehr als das unüberbietbar große, sondern als das höchst vollkommene
Wesen (Ens summe perfectum) und schließt wie folgt: Gott ist das höchst
vollkommene Wesen, dasjenige, das alle Vollkommenheiten besitzt. Nun
ist Existenz eine Vollkommenheit. Also existiert Gott.27 Dieser Beweis
scheint gegen den Einwand von Gaunilo und Thomas immun zu sein,
weil er die Frage beantwortet, um welches Wesen es sich beim unüber-
bietbar großen eigentlich handelt. Aber der Schein trügt; in Wahrheit
verschiebt sich das Problem lediglich. Ebenso wie das unüberbietbar
große könnte auch das Wesen, das alle Vollkommenheiten besitzt, un-
denkbar sein.
Descartes erläutert die Schwierigkeit an einem Beispiel aus der Geo-
metrie,28 wie es typisch ist für die rationalistische Metaphysik der frühen
Neuzeit, welche die Mathematik als methodisches Ideal betrachtete. An-
genommen, ein Kreis wird als eine ebene und geschlossene Kurve defi-
niert, deren Punkte gleich weit vom Mittelpunkt entfernt sind und in die
sich alle vierseitigen Figuren einzeichnen lassen. Aus der Definition
folgt, dass auch ein Rhombus, da er eine vierseitige Figur ist, in einen
Kreis eingezeichnet werden kann. Offenkundig ist diese Folgerung aber
falsch, und zwar deshalb, weil sie auf einer widersprüchlichen Definition
des Kreises beruht. Dasselbe Problem könnte auch beim ontologischen
Beweis bestehen. Vielleicht ist ein Wesen, zu dessen Definition es gehört,
alle Vollkommenheiten zu besitzen, ebenso undenkbar wie ein Kreis, in
den sich alle vierseitigen Figuren sollen einzeichnen lassen. Dies könnte
aus zwei Gründen der Fall sein; entweder, weil Vollkommenheiten als
mögliche Bestimmungen oder weil sie als notwendige Bestimmungen
nicht durchgängig miteinander verträglich sind. Im ersten Fall, auf den
sich Descartes’ Beispiel bezieht, könnte ein Wesen gar nicht alle Voll-
kommenheiten besitzen. Im zweiten Fall dagegen könnte es zwar alle
Vollkommenheiten besitzen, aber nicht alle notwendigerweise, das heißt,

27
  Vgl. R. Descartes, Meditationes de prima philosophia, V, 7–11; ders., Rationes
Dei existentiam & animae a corpore distinctionem probantes, more geometrico dis­
positae, Axiom X et Propositio I, beides in: Œuvres de Descartes, publiées par Ch.
Adam/P. Tannery (= AT), Bd.  VII, Neuaufl. Paris 1996, 65–68 und 166 f.; ders.,
Principia Philosophiae, Pars I, 14 (AT VIII, 1, Neuaufl. Paris 1996, 10).
28
 Vgl. Meditationes V, 11 (AT VII, 67 f.).
52 Zweites Kapitel:  Das ontologische Argument

nicht jede Vollkommenheit könnte zu seiner Definition gehören.29 Dieses


letztere Problem, das sich insbesondere in Bezug auf die Existenz stellt,
kann durch folgendes Beispiel verdeutlicht werden.
Der Mann im Mond ist eine Figur, die in zahlreichen ätiologischen
Sagen, aber auch in Romanen, wie etwa dem von Wilhelm Hauff, thema-
tisiert wird. Ursprünglich handelt es sich bei dieser Figur um eine my-
thische Deutung der Mondflecken als Gestalt eines Mannes, der zur
Strafe für Diebstahl, Fluchen oder Sonntagsfrevel auf den Mond ver-
bannt wurde. Niemand wird glauben, dass es in der wirklichen Welt und
nicht nur in Phantasiewelten einen Mann im Mond gibt, auch wenn es
zweifellos Männer gibt, die hinter dem Mond leben, und solche, die man
am liebsten zum Mond schießen würde. Diese Zweifel an der Existenz
des Mannes im Mond scheinen sich indes durch eine Definition leicht
ausräumen zu lassen. Dazu muss man lediglich den Begriff »Supermann
im Mond« bilden und diesen Supermann als ein Wesen definieren, das
alle Eigenschaften des Mannes im Mond hat und das außerdem existiert.
Aus dieser Definition folgt, dass der Satz »Ein Supermann im Mond exis-
tiert« ein analytischer Satz ist, und analytische Sätze sind bekanntlich
notwendigerweise wahr. Nun ist unser Supermann zweifellos ein Mann
– und was für einer! Folglich gibt es tatsächlich einen Mann im Mond.
Offensichtlich ist dieser Existenzbeweis fehlerhaft, aber wo steckt der
Fehler? Gaunilo und Thomas würden sagen, aus der Definition des Su-
permannes im Mond könne lediglich auf seine gedachte, nicht aber auf
seine wirkliche Existenz geschlossen werden. Diese Diagnose führt in-
des, wie ich im letzten Abschnitt gezeigt habe, zu völlig absurden Kon-
sequenzen. In Wahrheit lässt sich aus dem »Begriff« des Supermannes im
Mond überhaupt nichts schließen, weil der »Begriff« aus folgendem
Grund widersprüchlich ist: Der Mann im Mond ist ein Wesen, das so-
wohl als existierend als auch als nicht-existierend gedacht werden kann.
Die Existenz kann daher nicht zu seinem Begriff gehören. Nun wurde
der Supermann im Mond als Mann im Mond definiert, der existiert, also
als ein Wesen, zu dessen Begriff die Existenz einerseits gehört, aber an-
dererseits auch nicht gehören kann. Das ist jedoch ein Widerspruch.
Derselbe Fehler steckt in all jenen Beweisen, die aus dem Begriff des

29
 Die beiden Probleme sind sorgfältig voneinander zu unterscheiden, was bei
Descartes leider nicht geschieht. Modallogisch ausgedrückt, besteht das erste Pro-
blem darin, ob ein Wesen in irgendeiner möglichen Welt alle Vollkommenheiten be-
sitzt, das zweite darin, ob ihm in jeder möglichen Welt, zu der es gehört, alle Voll-
kommenheiten zukommen.
§  5  Descartes, Leibniz und der Einwand gegen die Denkbarkeit Gottes 53

Vollkommensten irgendeiner Art auf dessen Existenz schließen und mit


denen der ontologische Beweis verglichen wurde, um ihn ad absurdum
zu führen. Der Existenzbeweis der vollkommensten Insel misslingt
nicht deshalb, weil die in ihrem Begriff vermeintlich enthaltene Existenz
nur eine gedachte, keine wirkliche ist, wie Gaunilo und viele andere
glauben; er misslingt vielmehr, weil Existenz überhaupt nicht zum Be-
griff einer Insel gehören kann. Denn jede Insel, und mag sie noch so
vollkommen sein, kann als nicht-existierend gedacht werden.
Descartes’ Beispiel vom Kreis und mein Beispiel vom Supermann im
Mond zeigen, dass die Definition Gottes als Wesen, das alle Vollkom-
menheiten, mithin auch die Vollkommenheit der Existenz besitzt, aus
zwei Gründen widersprüchlich sein könnte. Erstens könnte der Begriff
eines solchen Wesens dadurch einen Widerspruch enthalten, dass nicht
jede Vollkommenheit mit jeder anderen vereinbar ist. Dies wäre dann
der Fall, wenn irgendeine Vollkommenheit eine Bestimmung enthielte,
die durch eine andere Vollkommenheit negiert würde. Ein Wesen, das
die eine besitzt, könnte dann die andere nicht besitzen. »Macht korrum-
piert«, sagt Lord Acton, »totale Macht korrumpiert total.«30 Würde
Macht stets schlecht machen, dann könnte ein allmächtiges Wesen nicht
zugleich vollkommen gut sein. Mit dem cartesischen Gott verhielte es
sich dann so wie mit einem Kreis, in den alle vierseitigen Figuren sollen
eingezeichnet werden können. Der Begriff eines so beschaffenen Kreises
ist widersprüchlich, weil er Bestimmungen enthält, die ausschließen,
dass sich ein Rhombus in ihn einzeichnen lässt.
Zweitens könnte der Begriff eines höchst vollkommenen Wesens da-
durch widersprüchlich sein, dass zwar alle Vollkommenheiten miteinan-
der vereinbar sind, dass sie aber nicht alle zur Definition eines Wesens
gehören können. Dies wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn der Begriff
irgendeiner Vollkommenheit enthalten würde, dass einem Wesen, dem
sie notwendigerweise zukommt, die Existenz nicht notwendigerweise
zukommen kann. Mit dem cartesischen Gott verhielte es sich dann so
wie mit dem Supermann im Mond. Die Definition dieses Supermannes
ist nämlich widersprüchlich, weil ein Mann im Mond sich als existierend
und als nicht-existierend denken lässt und die Existenz daher nicht zu
seinem Begriff gehören kann.

30
  Brief an Mandell Creighton vom 5. April 1887, in: J. E. E. Dalberg-Acton, Es­
says on Freedom and Power, selected, and with an introduction by G. Himmelfarb,
Boston/Massachusetts second printing 1949, 364 (Übersetzung von F. H.).
54 Zweites Kapitel:  Das ontologische Argument

Descartes vermochte keines der beiden Probleme auf überzeugende


Weise zu lösen.31 Daher bemängelt Leibniz zu Recht, dass Descartes die
Möglichkeit eines höchst vollkommenen Wesens nicht gewährleistet.
Leibniz selbst hat dagegen eine brillante Überlegung entwickelt,32 die als
Lösung des ersten Problems gedacht ist, aber auch als Lösung des zwei-
ten verstanden werden kann.
Um nachzuweisen, dass jede Vollkommenheit mit jeder anderen ver-
einbar ist, bestimmt Leibniz Vollkommenheiten, also Eigenschaften wie
Allmacht, Allwissenheit oder vollkommene Güte, als Qualitäten, die
einfach und rein positiv sind. Einfach ist eine Qualität, wenn sie sich
nicht aus mehreren Qualitäten zusammensetzt, und rein positiv, wenn
sie im höchsten Grade sachhaltig und generisch umfassend ist, das heißt,
wenn sie einen Sachgehalt weder negiert noch in gradueller oder gene-
rischer Hinsicht begrenzt. Als einfache und rein positive Qualitäten las-
sen sich Vollkommenheiten nicht in gedankliche Elemente auflösen.
Denn gedanklich auflösbar sind nur solche Qualitäten, die entweder
komplex oder die graduell oder generisch eingeschränkt sind. Eine kom-
plexe Qualität ist gedanklich in einfache Qualitäten teilbar, aus denen sie
zusammengesetzt ist. Bei einer graduell begrenzten Qualität kann zwi-
schen der Qualität selbst und der Einschränkung ihres höchsten Grades,
bei einer in generischer Hinsicht begrenzten Qualität zwischen Gattung
und artbildender Differenz unterschieden werden.
Aus dieser Charakterisierung der Vollkommenheiten ergibt sich zwin-
gend, dass jede Vollkommenheit mit jeder anderen vereinbar ist, und
zwar durch einen indirekten Beweis, der das Gegenteil widerlegt. Wenn
irgendeine Vollkommenheit A mit irgendeiner anderen Vollkommenheit
B unvereinbar wäre, dann müsste der Satz »A ist unvereinbar mit B« lo-
gisch notwendig sein. Nun sind logisch notwendige Sätze entweder evi-
dent oder beweisbar, besagter Satz ist jedoch keines von beidem. Evident
könnte er nur sein, wenn A = non-B oder B = non-A wäre, was aber un-
möglich ist, weil Vollkommenheiten rein positive Qualitäten sind. Eben-
so wenig lässt sich die Annahme, dass die Vollkommenheit A mit der

31
  Sein einziger, meines Erachtens freilich misslungener Lösungsversuch findet
sich in der Responsio Authoris ad primas Objectiones (AT VII, 118 f.).
32
  Vgl. zum Folgenden G. W. Leibniz, »Quod Ens Perfectissimum existit«, GP
VII, 261 f. Vgl. außerdem ders., »Demonstratio quod Ens perfectissimum sit possibi-
le«, Beilage I, in: W. Janke, »Das ontologische Argument in der Frühzeit des Leib-
nizschen Denkens (1676–78). Studien und Quellen zum Anfang der Leibnizschen
Ontotheologie«, Kant-Studien 54 (1963), 259–287, hier: 283 f.
§  5  Descartes, Leibniz und der Einwand gegen die Denkbarkeit Gottes 55

Vollkommenheit B unvereinbar ist, beweisen. Beweisbar könnte sie nur


dann sein, wenn eine dieser Vollkommenheiten in gedankliche Elemente
auflösbar wäre oder wenn beide Vollkommenheiten es wären. Denn nur
dann wäre es möglich, dass A die Negation von B oder B die Negation
von A als Bestandteil enthielte oder dass A die Bestimmung C als Ele-
ment einschließen würde und B die Bestimmung non-C. Da Vollkom-
menheiten aber irreduzible Qualitäten sind, scheiden alle diese Möglich-
keiten aus. Folglich ist durch Widerlegung des Gegenteils bewiesen, dass
Vollkommenheiten durchgängig miteinander vereinbar sind.
Offenkundig muss dieser Beweis nur geringfügig modifiziert werden,
um auch das zweite Problem zu lösen, das heißt, um zu zeigen, dass ein
Wesen nicht nur alle Vollkommenheiten besitzen, sondern auch notwen-
digerweise besitzen kann. Denn auch als notwendige Bestimmungen
könnten sich Vollkommenheiten nur dann ausschließen, wenn sie keine
rein positiven Qualitäten wären oder wenn sie sich gedanklich in Be-
standteile auflösen ließen.
Bertrand Russell, der gewiss nicht in Verdacht steht, ein Freund der
Theologie zu sein, hielt den dargelegten leibnizschen Beweis der Mög-
lichkeit eines höchst vollkommenen Wesens für gültig,33 und ich kenne
keinen triftigen Grund, ihm darin zu widersprechen.34 Gleichwohl lässt
sich nach Russell von der Möglichkeit eines höchst vollkommenen We-
sens nicht auf seine Existenz schließen, weil Existenz gar keine Voll-
kommenheit ist. Damit ist ein neues Problem angesprochen, das im fol-
genden Abschnitt behandelt werden soll.

33
  Vgl. B. Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, with an Ap-
pendix of Leading Passages, with a new Introduction by J. G. Slater, London 2.  Aufl.
1992, 174.
34
  Der sich auf den späten Wittgenstein berufende Einwand (vgl. zum Beispiel
N.  Malcolm, »Anselm’s Ontological Arguments«, in: ders., Knowledge and Certain­
ty. Essays and Lectures, Englewood Cliffs/New Jersey 1965, 141–162, hier: 159; Röd,
Der Gott der reinen Vernunft, 117 f.), dass Bestimmungen nie im absoluten Sinne
einfach sein können, sondern immer nur relativ auf ein bestimmtes Sprachspiel, ist
nicht haltbar. Denn er beruht auf jenem selbstwidersprüchlichen Sprachspielrelati-
vismus, der den allgemeinen Anspruch erhebt, dass kein Sprachspiel allgemeine An-
sprüche erheben darf.
56 Zweites Kapitel:  Das ontologische Argument

§  6  Der Einwand Kants

Bislang habe ich zwei Einwände gegen den ontologischen Beweis behan-
delt, den logischen Einwand und den Einwand, der die Denkbarkeit
Gottes bezweifelt. Thema dieses Abschnitts ist ein dritter Einwand, der
meist mit dem Namen Kants verbunden wird und sich gegen das Seins-
und Existenzverständnis richtet, das im ontologischen Beweis vorausge-
setzt wird.
Für Anselm und Descartes ist Existenz eine Bestimmung, durch die
dasjenige, dem sie zukommt, größer bzw. vollkommener wird und die
deshalb dem unüberbietbar großen oder höchst vollkommenen Wesen
nicht fehlen kann. Diese Deutung von Existenz, die weder Gaunilo noch
Thomas in Frage stellen, wird meines Wissens erstmals in der frühen
Neuzeit explizit bestritten, nämlich durch den französischen Naturfor-
scher und Philosophen Petrus Gassendi (1592–1655). Im Rahmen seiner
Einwände gegen Descartes’ Meditationen bemerkt Gassendi, dass »we-
der bei Gott noch bei irgendeinem anderen Dinge das Dasein eine Voll-
kommenheit [ist], sondern das, ohne welches es keine Vollkommenheiten
gibt. Denn was nicht existiert, hat weder Vollkommenheit noch Unvoll-
kommenheit, und was existiert und eine Reihe von Vollkommenheiten
hat, hat nicht das Dasein als noch eine besondere Vollkommenheit, als
eine unter den übrigen, sondern als das, wodurch es selbst wie die Voll-
kommenheiten existierend ist«.35 Gassendi begründet seine Kritik mit
einem interessanten Hinweis auf den Sprachgebrauch.36 Die Annahme,
Dasein sei eine Vollkommenheit oder Eigenschaft, widerspricht der Ver-
nunft der natürlichen Sprache, in der zwar von der Wirklichkeit von Ei-
genschaften, nicht aber von existierender Existenz die Rede sein kann.
Gassendis Einwand stößt bei Descartes auf völliges Unverständnis. »Hier
verstehe ich nicht«, schreibt er in seiner Replik, »von welcher Art nach
Deiner Ansicht das Dasein der Dinge sein soll, und warum es nicht eben-
so wie die Allmacht als eine Eigenschaft bezeichnet werden kann, da man
doch die Bezeichnung Eigenschaft für jedes beliebige Attribut oder für

35
  P. Gassendi, »Objectiones Quintae« (AT VII, 323), Übersetzung nach: R. Des-
cartes, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie mit sämtlichen Einwän­
den und Erwiderungen, übersetzt und hrsg. von A. Buchenau, Hamburg 1972, 297.
36
  Vgl. ebd. Ausführlicher hat P. Gassendi seine Kritik des ontologischen Argu-
mentes in seiner Disquisitio metaphysica seu dubitationes et instantiae adversus Re­
nati Cartesii Metaphysicam et responsa, lat.-franz., hrsg. von B. Rochot, Paris 1962,
490–507, dargelegt.
§  6  Der Einwand Kants 57

alles das, was über ein Ding ausgesagt werden kann, setzen kann«.37 Wie
Gassendi beruft sich auch Descartes auf den Sprachgebrauch, genauer
gesagt, auf die grammatische Struktur von Existenzsätzen. Existenz sei
eine Eigenschaft von Gegenständen, meint er, weil sie ebenso wie All-
macht von einem Gegenstand ausgesagt werden kann, das heißt in einem
Urteil der Form »A existiert« als Prädikat verwendet wird.
Es ist keine andere als eben diese Überlegung, die nach Kant den ent-
scheidenden Irrtum darstellt, der dem ontologischen Beweis zugrunde
liegt. Denn sie verwechselt grammatische Prädikate mit semantischen
oder, wie Kant sich ausdrückt, »logische« Prädikate, die einen Gegen-
stand nicht näher bestimmen, mit »realen« Prädikaten, durch die das ge-
schieht. Das berühmte Diktum der Kritik der reinen Vernunft, in dem
Kant sein Existenzverständnis zusammenfasst, lautet: »Sein ist offenbar
kein reales Prädikat, d. i. ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Be-
griffe eines Dinges hinzukommen könne. Es ist bloß die Position eines
Dinges, oder gewisser Bestimmungen an sich selbst.«38 Damit wird zwei-
erlei gesagt. Erstens ist das Wort »existieren« kein Prädikat im Sinne
eines begrifflichen Gehalts, durch den ein Gegenstand charakterisiert
wird. Zwar wird es, wie in dem Satz »Gott existiert«, als grammatisches
Prädikat verwendet, aber es spielt eine andere Rolle als das Prädikat »all-
mächtig sein« in »Gott ist allmächtig«. Denn während im zweiten Satz
bestimmt wird, was Gott ist, gibt der erste Satz keine Auskunft darüber,
mit was für einem Subjekt man es zu tun hat. Die Aussage »Gott exis-
tiert« besagt nicht, dass Gott neben anderen Eigenschaften wie Allmacht
und vollkommener Güte auch noch die Eigenschaft besitzt zu existieren.
Was aber besagt sie dann? Dem zweiten Teil des kantischen Diktums
zufolge wird in einer Existenzaussage nicht der Subjektbegriff näher be-
stimmt, sondern der diesem Subjekt entsprechende Gegenstand gesetzt.
»Gott existiert« bedeutet, dass es ein Wesen gibt, auf das der Gottesbe-
griff mit allen darin enthaltenen Prädikaten zutrifft.
Für seine nicht-prädikative Auffassung von Existenz gibt Kant eine
einfache und einleuchtende Begründung. Wenn Existenz ein sachhal-
tiges Prädikat wäre, dann wäre es grundsätzlich ausgeschlossen, Begriffe
auf Gegenstände anzuwenden. Denn da den Gegenständen dann ein
Sachgehalt zukäme, der den Begriffen der Gegenstände fehlt, würde et-
37
 Descartes, »Responsio Authoris ad quintas Objectiones« (AT VII, 382 f.),
Übersetzung nach: Descartes, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie
mit sämtlichen Einwänden und Erwiderungen, 350.
38
 Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 598, B 626 (Werke 4, 533).
58 Zweites Kapitel:  Das ontologische Argument

was anderes existieren, als im Begriff gedacht wird. Zu welch absurden


Konsequenzen die Annahme führt, das Wirkliche sei aufgrund seines
Wirklichseins sachhaltiger als das Mögliche, erläutert Kant an einem von
Johann Bering39 übernommenen Beispiel: Man denke sich den Begriff
von hundert Talern und jemanden, der den Gegenstand dieses Begriffs
besitzt. Wie viele Taler sind dann in seinem Besitz? Wenn die Sachhaltig-
keit eines Möglichen durch Existenz vergrößert würde, müsste man
schließen, dass er mehr als hundert Taler besitzt. Leider ist das nicht der
Fall. Hundert mögliche Taler werden dadurch, dass sie wirklich und in
jemandes Besitz sind, nicht im Geringsten vermehrt; es bleiben, Gott
sei’s geklagt, hundert Taler.
Dass das Wort »existieren« grammatisch als Prädikat verwendet wird,
obgleich es, semantisch betrachtet, keines ist, gehört nach Kants 1763
erschienener Schrift Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demons­
tration des Daseyns Gottes zu jenen »Unrichtigkeiten«, die »jede mensch-
liche Sprache« aufgrund der »Zufälligkeiten ihres Ursprungs«40 hat.
Kants Kritik der cartesischen Form des ontologischen Argumentes ist
deshalb im Kern eine Sprachkritik, mit Wittgenstein gesprochen, »ein
Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer
Sprache«.41 Existenzsätze der Form »A existiert« erwecken den falschen
Anschein, als würde irgendeinem A die Eigenschaft der Existenz zuge-
sprochen. Dieser Anschein wird vermieden, wenn »A existiert« in den
Satz umformuliert wird »Es gibt etwas, auf das der Begriff von A zu-
trifft«. Es ist »kein völlig richtiger Ausdruck zu sagen: Ein Seeeinhorn ist
ein existierend Tier, sondern umgekehrt, einem gewissen existierenden
Seetiere kommen die Prädikate zu, die ich an einem Einhorn zusammen
gedenke«.42 Dass Existenzsätze diese und keine andere Bedeutung ha-
ben, zeigt sich nach Kant an der Art und Weise, wie ihre Wahrheit über-
prüft wird. Wer den Satz »See-Einhörner existieren« prüfen will, unter-
sucht nicht mögliche See-Einhörner daraufhin, ob einigen von ihnen die
Eigenschaft der Existenz zukommt, sondern ob es unter den existie-
renden Tieren solche gibt, auf die der Begriff »See-Einhorn« zutrifft.

39
  Vgl. Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, 120.
40
 Kant, Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseyns
Gottes, A 7 (Werke 2, 632).
41
 L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Frankfurt a. M. 1971, 79
(Teil  I, Nr.  109).
42
 Kant, Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseyns
Gottes, A 7 (Werke 2, 632).
§  7  Ein gültiges ontologisches Argument 59

Kant entwickelt eine Existenzauffassung, die im 20. Jahrhundert von


Gottlob Frege, Bertrand Russell, Willard van Orman Quine und ande-
ren vertreten wird und derzufolge »existieren« nie als genereller Termi-
nus, sondern stets als Existenzquantor verstanden werden muss, also
durch den Ausdruck »Es gibt etwas, das.  .  .« zu interpretieren ist.43 Ob-
gleich diese Deutung von Existenz eine Reihe von Fragen aufwirft, die
noch nicht abschließend geklärt sind,44 ist sie meines Erachtens korrekt.
Wenn das aber der Fall ist, dann ist das von Anselm und Descartes ver-
tretene ontologische Argument widerlegt. Denn es setzt fälschlicherwei-
se voraus, dass Existenz eine sachhaltige Bestimmung ist und die Sach-
haltigkeit dessen vergrößert, dem sie zukommt.

§  7  Ein gültiges ontologisches Argument

Wenn Existenz kein sachhaltiges Prädikat ist, dann ist die klassische
Form des ontologischen Argumentes zum Scheitern verurteilt. Kant be-
ansprucht freilich nicht nur, die Ungültigkeit bestimmter Formen des
ontologischen Argumentes, sondern dessen prinzipielle »Unmöglich-
keit«45 nachgewiesen zu haben. Dieser weitergehende Anspruch wäre
dann und nur dann berechtigt, wenn jede mögliche Form des ontolo-
gischen Argumentes eine prädikative Deutung von Existenz vorausset-
zen müsste. Ich werde im Folgenden zeigen, dass dies nicht der Fall ist,
und eine andere, meines Erachtens gültige Form des ontologischen Ar-
gumentes entwickeln, die der kantischen Kritik nicht ausgesetzt ist.
Jede Version des ontologischen Argumentes muss durch eine Betrach-
tung des Wesens Gottes zeigen, dass das Dasein mit diesem Wesen ver-
knüpft ist. Nun kann ein A mit einem B auf zweifache Weise verknüpft
sein. Im ersten Fall ist A mit B derart verknüpft, dass die Negation dieser
Verknüpfung zu einem Widerspruch führt. So schließt der Begriff »Jung-
geselle« die Bestimmung »unverheiratet« ein, weshalb es widersprüch-
lich ist, von einem Junggesellen zu behaupten, er sei verheiratet. Sätze
vom Typ »Junggesellen sind unverheiratet« sind notwendigerweise wahr,

43
  Vgl. den klassischen Aufsatz von B. Russell, »On Denoting«, Mind 14 (1905),
479–493, sowie W. V. O. Quine, »On what there is«, in: ders., From a Logical Point
of View, Cambridge/Massachusetts 2.  Aufl. 1961, 1–19.
44
 Vgl. den kurzen Überblick bei E. Tugendhat/U. Wolf, Logisch-semantische
Propädeutik, Stuttgart 1983, 193–200.
45
 Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 592, B 620 (Werke 4, 529).
60 Zweites Kapitel:  Das ontologische Argument

weil sie durch Auflösung ihrer Termini in identische Sätze überführbar


sind. Im zweiten Fall dagegen ist A mit B so verknüpft, dass die Vernei-
nung ihrer Verknüpfung zu keinem Widerspruch führt. Dass Nietzsche
unverheiratet war, stimmt zwar, aber nicht deshalb, weil es widersprüch-
lich wäre anzunehmen, er sei verheiratet gewesen, sondern weil es dafür
einen zureichenden Grund gab, unter anderem vielleicht seine Ansicht,
ein verheirateter Philosoph gehöre in die Komödie46 – was so abwegig
nicht ist, wenn man an die Philosophenfrauen von Xanthippe bis Elfrie-
de Heidegger denkt. Sätze wie »Nietzsche war unverheiratet« sind wahr,
obgleich sie nicht durch Auflösung ihrer Termini in identische Sätze
überführbar sind. Ein B kann einem A demnach auf zweierlei Weise zu-
kommen: entweder aufgrund des Prinzips vom zu vermeidenden Wider-
spruch oder aufgrund des Prinzips vom zureichenden Grund.
Nun kann das Wesen Gottes mit seinem Dasein offenkundig nicht auf
die erste Weise verknüpft sein, wenn Dasein kein Sachgehalt ist. Denn da
die Analyse des Gottesbegriffs in diesem Fall nicht auf das Dasein als
eines der Elemente dieses Begriffs stoßen wird, ist der Satz »Gott exis-
tiert« nicht in einen identischen Satz überführbar. Damit ist allerdings
noch nicht ausgeschlossen, dass das Wesen Gottes mit seinem Dasein auf
die zweite Weise verknüpft sein könnte. Auch wenn aufgrund des nicht-
prädikativen Charakters von Existenz diejenigen Formen des ontolo-
gischen Argumentes zum Scheitern verurteilt sind, die sich wie die car-
tesische Form am Satz vom zu vermeidenden Widerspruch orientieren,
könnte ein ontologisches Argument gelingen, das sich stattdessen am
Satz vom zureichenden Grund orientiert. Die unter Bedingungen der
kantischen Kritik entscheidende Frage lautet demnach: Könnte es sein,
dass Gottes Wesen der zureichende Grund seines Daseins ist, ohne dass
Dasein ein Element seines Begriffs ausmacht?
Aber kann überhaupt in dem, was etwas ist, der Grund dafür liegen,
dass es ist? Ein solcher Begründungszusammenhang zwischen dem Was-
Sein von etwas und seinem Dass-Sein besteht zumindest im Bereich des
vernünftigen Handelns angesichts von Alternativen. Angenommen, ein
Akteur hat mehrere, einander ausschließende Möglichkeiten zu handeln,
und er entschließt sich, eine dieser Möglichkeiten zu verwirklichen.
Wenn sein Entschluss ein überlegter ist, dann liegt der Grund dafür, so

46
 Vgl. F. Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, dritte Abhandlung, Nr.  7, in:
ders., Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden, hrsg. von G.
Colli/M. Montinari, München/Berlin/New York 1988 (= KSA), Bd.  5, 350 f.
§  7  Ein gültiges ontologisches Argument 61

und nicht anders zu handeln, darin, dass ihm die ergriffene Möglichkeit
irgendwie besser erschien als die anderen. Bei überlegtem Handeln ge-
ben Möglichkeiten durch das, was sie sind oder zu sein scheinen, näm-
lich mehr oder weniger erstrebenswert, einen mehr oder weniger starken
Grund dafür ab, sie zu verwirklichen. Innerhalb menschlicher Praxis
kann also aus dem, was eine Möglichkeit ist, folgen, dass sie wirklich
wird, ohne dass ihre Wirklichkeit ein Bestandteil ihres Was-Seins ist.
Ist dieser Begründungszusammenhang zwischen dem Wesen und der
Wirklichkeit von Möglichkeiten geeignet, ein ontologisches Argument
zu entwickeln? In derjenigen Form, in der dieser Zusammenhang im Be-
reich vernünftigen Handelns besteht, ist er es natürlich noch nicht. Zwar
ist es richtig, dass der Grund für die Verwirklichung einer Handlungs-
möglichkeit in dem liegt, was sie ist oder zu sein scheint, und dass eine
Möglichkeit umso mehr Grund abgibt, verwirklicht zu werden, je er-
strebenswerter sie erscheint. Richtig ist aber auch: Eine Handlungsmög-
lichkeit als solche, so erstrebenswert sie auch sein mag, ist kein zurei-
chender Grund für ihre Verwirklichung. Denn einen mehr oder weniger
starken Grund, verwirklicht zu werden, bieten Handlungsmöglichkeiten
nur dann, wenn bereits etwas anderes wirklich ist, nämlich ein Akteur,
der diese Möglichkeiten hat. Nur durch die Wirklichkeit eines Willens,
der für Einsichten empfänglich ist, und nur als Motiv dieses Willens be-
sitzen Handlungsmöglichkeiten eine ihrem wirklichen oder vermeint-
lichen Wert entsprechende Aktualisierungstendenz. Ohne ein Hand-
lungssubjekt kann demnach keine Rede davon sein, dass im Wesen eines
Möglichen der Grund für seine Wirklichkeit liegt und dass die Stärke
dieses Grundes dem Vollkommenheitsgrad des Möglichen entspricht.
Oder etwa doch? Könnte das Mögliche nicht auch unabhängig von et-
was anderem, das bereits wirklich ist, eine Kraft haben, wirklich zu wer-
den? Und könnte diese Kraft nicht umso stärker sein, je vollkommener
das Mögliche ist? Präzisieren wir die Frage: Aristoteles unterschied zwei
Hauptbedeutungen von »möglich«.47 Erstens wird dasjenige möglich ge-
nannt, was nicht notwendigerweise falsch ist. In diesem Sinne ist zum
Beispiel auch anderswo im Weltall intelligentes Leben möglich. Zweitens
wird der Ausdruck »möglich« gebraucht, um einem Gegenstand ein
Können, ein Vermögen oder eine Fähigkeit zuzuschreiben, zum Beispiel
47
  Vgl. Aristoteles’ Metaphysik, 1. Halbbd.: Bücher I–VI, gr.-dt., in der Überset-
zung von H. Bonitz, neu bearbeitet, mit Einleitung und Kommentar hrsg. von H.
Seidl, gr. Text in der Edition von W. Christ, Hamburg 1978, Buch V, Kapitel 12
(1019b 27 ff.).
62 Zweites Kapitel:  Das ontologische Argument

wenn man sagt: Armin Hary war es möglich, die hundert Meter in zehn
Sekunden zu laufen. Besitzt vielleicht das, was im ersten Sinne möglich
ist, auch eine Möglichkeit im zweiten Sinne? Darf man annehmen, dass
alles, was aufgrund der Widerspruchsfreiheit seines Begriffs möglicher-
weise wirklich ist, zugleich ein Vermögen hat, wirklich zu werden, und
zwar ein Vermögen, das keines anderen bedarf, um tätig zu sein?
Spinoza vertrat diese Ansicht und entwickelte auf ihrer Basis ein onto-
logisches Argument. Im Anschluss an den elften Lehrsatz des ersten
Teils seiner Ethik schreibt er: »Nicht existieren können ist ein Unvermö-
gen, existieren können dagegen ein Vermögen (posse existere potentia
est)«. Aus diesem Grundsatz aber lässt sich a priori auf die Existenz
Gottes schließen. »Denn da existieren können ein Vermögen ist, so folgt,
daß je mehr Realität der Natur eines Dinges zukommt, es um so mehr
Kraft aus sich hat, um zu existieren. Daher muß das absolut unendliche
Seiende oder Gott aus sich ein absolut unendliches Vermögen zu existie-
ren haben, und er muß darum absolut existieren.«48 Im Unterschied zum
ontologischen Argument Descartes’ kommt Spinozas Argument ohne
eine prädikative Deutung von Existenz aus und ist daher dem kantischen
Einwand nicht ausgesetzt.49 Leider gibt Spinoza keine Begründung für
die entscheidende Voraussetzung, dass Wesenheiten oder Möglichkeiten
für sich selbst, also ohne einen Akteur, der diese Möglichkeiten hat, eine
ihrem Realitätsgrad entsprechende Tendenz besitzen, wirklich zu wer-
den. Er hält diese Voraussetzung für »selbstverständlich (per se no-
tum)«50 , was sie natürlich keineswegs ist.
Eine plausible Begründung dafür, dass auch außerhalb menschlicher
Handlungspraxis alles Mögliche danach strebt, wirklich zu sein, und
zwar mit einer seinem jeweiligen Vollkommenheitsgrad entsprechenden
48
  B. de Spinoza, Die Ethik, lat.-dt., revidierte Übersetzung von J. Stern, Nach-
wort von B. Lakebrink, Stuttgart 1977 (= Ethik), Pars I, Propositio XI, Aliter et
Scholium (S.  26 ff.). In einem Brief an Simon de Vries bemerkt Spinoza: »Der zweite
Beweis, dem ich den Vorzug gebe, ist der: je mehr Attribute ich einem Wesen zuer-
kenne, um so mehr muß ich ihm auch Existenz zuerkennen [.  .  .].« (B. de Spinoza,
Briefwechsel, Übersetzung und Anmerkungen von C. Gebhardt, hrsg., mit Einlei-
tung, Anhang und erweiterter Bibliographie von M. Walther, Hamburg 3.  Aufl.
1986, 9. Brief [S.  39]).
49
  Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass Spinozas Beweis durch seinen Theo-
riekontext zu Konsequenzen führt, die mit dem Schöpfungsgedanken nicht verein-
bar sind. Denn da das höchst vollkommene Wesen nach Spinoza mit der Gesamtheit
aller Wesen identisch ist, ist sein ontologischer Beweis ein Argument für die Selbst-
aktualisierung der Welt.
50
 Spinoza, Ethik, Pars I, Propositio XI, Aliter (Übersetzung von F. H.).
§  7  Ein gültiges ontologisches Argument 63

Intensität, findet sich dagegen bei Leibniz. Seine Begründung geht von
der berühmten Frage aus, warum überhaupt etwas wirklich ist und nicht
vielmehr nichts. Diese Frage erlaubt offenkundig keine Antwort, die auf
etwas Wirkliches verweist, denn dann würde sie sich erneut einstellen.
Wenn aber kein Wirkliches der Grund dafür sein kann, dass überhaupt
etwas wirklich ist, und wenn es dafür gleichwohl einen Grund gibt, muss
dieser Grund im Möglichen, das noch nicht wirklich ist, gefunden wer-
den. Läge nicht schon im Möglichen als solchem eine Tendenz, wirklich
zu sein, dann wäre überhaupt nichts wirklich.51 Unter welchen Umstän-
den aber kann man sagen, ein Mögliches als solches sei auf Wirklichkeit
aus? Offenbar dann, wenn in ihm der Anspruch liegt zu existieren, wenn
es eines ist, das sein soll, etwas intrinsisch Gutes. Die Frage, warum
überhaupt etwas ist, scheint sich demnach nur durch die Annahme be-
antworten zu lassen, dass ein Mögliches aufgrund seines intrinsischen
Gutseins nach Wirklichkeit strebt.
Nun ist aber nicht alles, was möglich ist, das heißt alles, dessen Begriff
keinen Widerspruch einschließt, auch wirklich. Denn nicht jedes Mög-
liche kann mit jedem anderen Möglichen zusammen wirklich sein, zu
einem Tyrannenmörder Brutus »passt« zum Beispiel kein republikanisch
gesinnter Cäsar. Warum aber ist dasjenige, was wirklich ist, wirklich
und nicht etwas anderes, das an seiner Stelle wirklich sein könnte? Auch
die Antwort auf diese Frage kann letztlich nur im Möglichen gefunden
werden. Dass anstelle des Wirklichen nicht etwas anderes wirklich ist,
lässt sich nur durch die unterschiedliche Intensität erklären, mit der die
möglichen Dinge oder Wesenheiten auf Wirklichkeit aus sind.52 Der
Grund für die unterschiedliche Stärke ihres Wirklichkeitsstrebens wie-
derum muss in dem liegen, worin sich die Wesenheiten voneinander un-
terscheiden. Sie unterscheiden sich aber ausschließlich durch ihre Sach-

51
  »Nisi in ipsa Essentiae natura esset quaedam ad existendum inclinatio, nihil
existeret [.  .  .]«, schreibt Leibniz in »Veritates absolute primae«, GP VII, 194. Am
ausführlichsten entwickelt Leibniz seine Lehre vom Existenzstreben der Möglich-
keiten in »De rerum originatione radicali«, GP VII, 302–308; vgl. außerdem zum
Beispiel das Manuskript GP VII, 289 ff.; Principes de la Nature et de la Grace, fondés
en Raison, §  10 (GP VI, 603); Monadologie, §§  54 f. (GP VI, 616).
52
  Die Annahme, »gewisse Wesenheiten hätten diese Tendenz [zu existieren], an-
dere hätten sie nicht«, scheidet nach Leibniz als Erklärung aus. Denn dies hieße »et-
was ohne Grund sagen, da im allgemeinen die Existenz auf jede Wesenheit in glei-
cher Weise bezogen scheint.« (»Veritates absolute primae«, GP VII, 194 f., Überset-
zung nach G. W. Leibniz, Kleine Schriften zur Metaphysik – Opuscules Metaphysiques,
hrsg. und übersetzt von H. H. Holz, Darmstadt 1985, 177 und 179).
64 Zweites Kapitel:  Das ontologische Argument

haltigkeit, also dadurch, welche Sachgehalte ihnen zukommen und in


welchem Maße sie ihnen zukommen. Folglich ist ein mögliches Ding
oder eine Wesenheit umso mehr auf Existenz aus, je sachhaltiger, das
heißt, traditionell gesprochen, je vollkommener oder besser es ist.
Es liegt auf der Hand, dass sich aus dieser Annahme ein ontologisches
Argument ergibt, das sich von demjenigen Anselms und Descartes’ un-
terscheidet. Wenn Wesenheiten eine Tendenz besitzen, wirklich zu sein,
und wenn die Stärke dieser Tendenz ihrem Vollkommenheitsgrad ent-
spricht, dann besitzt das höchst vollkommene Wesen, das heißt jenes,
dem keine Vollkommenheit fehlt und dem alle Vollkommenheiten im
höchsten Grade zukommen, die größtmögliche Tendenz, wirklich zu
sein. Größtmöglich aber verdient nur dasjenige Bestreben genannt zu
werden, das unfehlbar sein Ziel erreicht. Folglich existiert Gott, weil sein
Wesen der zureichende Grund seines Daseins ist.
Auf den ersten Blick scheint damit freilich »zuviel« bewiesen zu wer-
den. Denn aus der Annahme, dass alles Mögliche eine seinem Vollkom-
menheitsgrad entsprechende Tendenz besitzt, wirklich zu werden,
scheint zu folgen, dass sich nicht nur der absolut vollkommene Gott,
sondern auch die relativ vollkommenste Welt, das heißt diejenige, welche
die anderen möglichen Welten an Vollkommenheit übertrifft, kraft eines
immanenten Prinzips selbst aktualisiert. Die Annahme eines göttlichen
Schöpfungsaktes wäre demnach überflüssig, um die Existenz der Welt
zu erklären. Diese Konsequenz, die von einer Reihe von Leibniz-Inter-
preten in der Tat gezogen wird, darunter zum Beispiel Bertrand Russell
und Arthur O. Lovejoy53 , ist indes nicht haltbar. Denn gegen die Lehre,
dass alle Möglichkeiten auf Wirklichkeit aus sind, könnte man Folgendes
einwenden: Da nur dasjenige, was bereits Sein besitzt, nach etwas stre-
ben kann und da die Möglichkeiten oder Essenzen vor und abgesehen
von ihrer Verwirklichung nur irreale Fiktionen sind, können sie gar nicht
nach Wirklichkeit streben. Leibniz beantwortet diesen Einwand mit der
Annahme Augustins, derzufolge Gott nicht nur der Grund für das
Wirklichsein des Wirklichen, sondern auch der Grund für das Möglich-
sein des Möglichen ist. Auch vor und abgesehen von ihrer Verwirkli-
chung besitzen die Möglichkeiten ein Sein, nämlich dadurch, dass sie
von Gott gedacht werden. Aufgrund dieses Gedachtseins drängen sie

53
  Vgl. A. O. Lovejoy, The Great Chain of Being. A Study of the History of an
Idea, New York 1960, 177–180; Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of
Leibniz, XI.
§  7  Ein gültiges ontologisches Argument 65

sich dem vollkommen guten göttlichen Willen zur Verwirklichung auf,


und zwar umso stärker, je vollkommener sie sind.54 Die Lehre vom Exis-
tenzstreben der Möglichkeiten ist also keine Alternative zum Schöp-
fungsgedanken, sondern dessen Interpretation – eine Interpretation, die
klarstellt, dass die Welt ihre Existenz dem vollkommen guten Willen
Gottes und nicht der Laune einer absoluten Willkürmacht verdankt.
Damit scheint sich allerdings unser ursprüngliches Problem erneut
einzustellen. Als Interpretation des Schöpfungsglaubens scheint die
Lehre vom Existenzstreben der Möglichkeiten für eine Neufassung des
ontologischen Argumentes nicht mehr geeignet zu sein. Denn wenn Es-
senzen nur dann eine Tendenz besitzen, wirklich zu werden, wenn etwas
anderes bereits wirklich ist, nämlich der göttliche Verstand und Wille,
scheint in dem, was etwas ist, niemals der zureichende Grund dafür lie-
gen zu können, dass es ist. Ist diese Konsequenz zwingend? Keineswegs!
Das, was vom Wesen aller von Gott unterschiedenen Dinge gilt, kann
vom Wesen Gottes nicht gelten, und zwar aus einem einfachen Grund.
Wenn das Wesen Gottes nicht auf Wirklichkeit aus wäre, ohne dass et-
was anderes wirklich ist, und wenn die der höchsten Vollkommenheit
seines Wesens entsprechende Tendenz, wirklich zu sein, nicht unfehlbar
ihr Ziel erreichen würde, dann gäbe es keinen zureichenden Grund da-
für, dass überhaupt etwas wirklich ist und nicht vielmehr nichts. Folg-
lich muss man annehmen, dass in Gottes Wesen der zureichende Grund
seines Daseins liegt.
Diese Version des ontologischen Argumentes, für deren Gültigkeit ich
plädiere, unterscheidet sich von den Versionen Anselms und Descartes’
in dreifacher Hinsicht. Anders als die cartesische Version benötigt sie
eine empirische Prämisse, deren Wahrheit allerdings unbestreitbar ist,
nämlich dass überhaupt etwas wirklich ist und nicht vielmehr nichts.
Zweitens setzt sie im Unterschied zum Argument Anselms und Des-
cartes’ die Gültigkeit des Satzes vom zureichenden Grund voraus, dem-
zufolge es für alles einen zureichenden Grund gibt, dass es überhaupt ist
und dass es so ist, wie es ist. Diese Voraussetzung ist, wie wir im ersten
Kapitel (vgl. §  3) gesehen haben, keineswegs trivial. Um die beiden ersten

54
  Vgl. Leibniz, »De rerum originatione radicali«, GP VII, 304 f.; Essais de Théo­
dicée, §  201 (GP VI, 236). Ähnlich interpretieren auch H. Poser, Zur Theorie der
Modalbegriffe bei G. W. Leibniz, Studia Leibnitiana Supplementa, Bd.  V I, Wiesba-
den 1969, 61–66; A. Heinekamp, Das Problem des Guten bei Leibniz, Kantstudien
Ergänzungshefte, Bd.  98, Bonn 1969, 192–194; D. Blumenfeld, »Leibniz’s Theory of
the Striving Possibles«, Studia Leibnitiana 5 (1973), 163–177.
66 Zweites Kapitel:  Das ontologische Argument

Unterschiede zusammenzufassen, kann man auch schlicht sagen, die von


mir vorgeschlagene Version des ontologischen Argumentes brauche das
kosmologische Argument als Vorlauf. Der dritte und entscheidende Un-
terschied zu den Versionen Anselms und Descartes’ besteht schließlich
darin, dass die dargelegte Version nicht die von Kant kritisierte prädika-
tive Deutung von Existenz voraussetzt. Im Gegenteil, Kants Annahme,
dass Existenz kein Sachgehalt ist und deshalb nicht zur Sachhaltigkeit
eines Wesens gehören kann, folgt aus der Lehre vom Existenzstreben der
Wesenheiten. Denn das, was strebt, ist von dem, wonach es strebt, unter-
schieden, sonst würde es nicht danach streben. Dieses Verständnis von
Existenz als das, worauf Essenzen aus sind, steht aber nicht nur auf dem
Boden der kantischen Einsicht, sondern beantwortet auch die von Kant
nicht hinreichend geklärten Fragen, was Existenz denn sei und in wel-
chem Verhältnis sie zur Sachhaltigkeit von etwas stehe, wenn sie selbst
kein Sachgehalt ist.
Halten wir abschließend das Ergebnis der beiden ersten Kapitel fest:
Zweifellos gibt es kontingente Dinge, also solche, die zwar existieren, die
aber den Grund ihrer Existenz nicht in sich selbst haben. Wenn der Satz
vom zureichenden Grund gilt, muss es deshalb etwas geben, das den zu-
reichenden Grund der kontingenten Dinge bildet und das den Grund für
seine eigene Existenz in sich selbst hat, also ein notwendig existierendes
Wesen. Dies wird, wie wir sahen, durch das kosmologische Argument
demonstriert. Nun kann aber dieses notwendig existierende Wesen nicht
deshalb notwendig sein, weil Existenz ein Element seines Begriffs ist.
Denn Sein ist, wie Kant gezeigt hat, kein reales Prädikat. Also muss sich
das notwendig existierende Wesen auf eine andere Weise denken lassen.
Aber wie? Mir scheint, dass diese Frage nur eine Antwort zulässt: Man
muss annehmen, dass Wesenheiten auf Existenz aus sind und dass die
Stärke dieses Existenzstrebens dem Grad ihres Gutseins entspricht.
Daraus aber folgt, dass das Wesen, das im höchsten Maße sein soll, das
höchste Gut, die größtmögliche Tendenz hat, wirklich zu sein und des-
halb (moralisch) notwendigerweise existiert. Das dargelegte ontolo-
gische Argument ist im Grunde nichts anderes als ein Vorschlag, dem
Gedanken des notwendig existierenden Wesens unter kantischen Bedin-
gungen eine widerspruchsfreie Bedeutung zu geben. Dies genügt für ein
ontologisches Argument. Denn wenn ein notwendiges Wesen möglich
ist, dann ist es auch wirklich.
Drittes Kapitel

Das teleologische Argument

Zu Beginn von Alan Smithees Film Das zeitweilige Überleben des Harry
Hanson findet sich der Titelheld gefesselt und an einen Spielautomaten
angeschlossen. Er weiß, dass ihn ein tödlicher Stromstoß treffen wird,
wenn am Ende des Spiels nicht eine bestimmte Zahlenkombination auf
dem Display des Automaten erscheint. Nun erscheint diese Kombinati-
on tatsächlich, und Harry fragt sich verblüfft, wie sein Überleben zu
erklären ist. Wurde der Spielautomat manipuliert? Oder waren schon
viele arme Teufel mit der Höllenmaschine verkabelt, sodass irgendje-
mand irgendwann überleben musste? Oder arbeitet der Automat nach
Prinzipien, die nur eine Zahlenkombination zulassen? Plötzlich kommt
Harry auf eine ganz andere Idee: Vielleicht verlangt die Kombination,
die sein Leben rettete, gar keine Erklärung. Denn sie ist nicht unwahr-
scheinlicher als jede andere, und irgendeine musste schließlich im Dis-
play erscheinen. Zudem ist sie, weil er bei keiner anderen überlebt hätte,
die einzige, die zu beobachten er erwarten konnte. Als sich Harry mit
dieser Antwort gerade zufrieden geben will, beginnt ein neues Spiel.
Diesmal hat er weniger Glück – und damit endet Harrys Leben und
Smithees Film.
Cineasten wissen, dass es keinen Alan Smithee gibt; der Namen ist nur
ein Pseudonym für Regisseure, die sich ihrer Filme schämen. In unserem
Fall ist es noch schlimmer: Es gibt nicht einmal den Film. Wer passende
Zitate braucht, muss manchmal welche erfinden. Und passend ist die
Szene allemal, weil sie unserer Situation im Universum gleicht. Wäre das
Universum nicht von einer extrem unwahrscheinlichen Zahlenkombina-
tion bestimmt, dann gäbe es uns nicht. Im Folgenden werde ich diesen
Befund zunächst darlegen und begründen, warum er eine Erklärung
verlangt. Danach werden die drei möglichen Erklärungen erwogen: die
gesuchte endgültige Theorie der Physik, die Vermutung, dass viele Wel-
ten mit unterschiedlichen Zahlenkombinationen existieren, und die An-
nahme göttlicher Planung.
68 Drittes Kapitel:  Das teleologische Argument

§  8  Die Feinabstimmung und ihre Erklärungsbedürftigkeit

Nahezu die gesamte Materie unseres Universums besteht aus vier Arten
von Elementarteilchen (Protonen, Neutronen, Elektronen und Neutri-
nos), die sich durch vier Grundkräfte (Gravitation, Elektromagnetis-
mus, starke und schwache Wechselwirkung) gegenseitig beeinflussen.
Die Masse dieser Teilchen, die Stärke der Grundkräfte und weitere Para-
meter werden von der Elementarteilchenphysik durch theoretisch nicht
vorausgesagte, experimentell festgestellte Zahlen charakterisiert, die in
vielen Fällen delikate Werte haben. Denn der für die Entstehung von
Leben geeignete Wertbereich, in den die Parameter fallen, ist verglichen
mit dem Wertbereich, in den sie nach gegenwärtigem Erkenntnisstand
der Physik fallen könnten, oft sehr schmal. Geringfügige Veränderungen
der Parameterwerte würden deshalb die Entstehung von Leben, wie wir
es kennen, ausschließen. Einige wenige Beispiele seien genannt1 :
Ein berühmtes Beispiel für die Feinabstimmung der elektromagne-
tischen und der starken Wechselwirkung ist die Herstellung von Koh-
lenstoff und Sauerstoff. Würden nicht hinreichend große Mengen beider
Elemente durch Kernfusion in Sternen produziert, wäre kohlenstoffba-
siertes Leben nicht möglich. Genügend Kohlenstoff und Sauerstoff ent-
stehen in Sternen aber nur dann, wenn die Stärken der elektromagne-
tischen und der starken Wechselwirkung in einen schmalen Wertbereich
fallen. Würde die Intensität der starken Kraft um 0,5% oder die der elek-
tromagnetischen Kraft um 4% verändert, entstünde in Sternen entweder
zu wenig Kohlenstoff oder zu wenig Sauerstoff.2
Für die Entstehung kohlenstoffbasierten Lebens genügt es freilich
nicht, dass hinreichende Mengen beider Elemente erzeugt werden, sie
müssen auch durch Explosionen von Sternen als Supernovae über die
Galaxie verteilt werden. Diese Verteilung aber setzt voraus, dass die In-

1
  Für die detaillierte Darlegung des Gesamtbefundes vgl. J. D. Barrow/F. J. Tip-
ler, The Anthropic Cosmological Principle (1986), Oxford/New York 1996; J. Leslie,
Universes, London/New York 1989, 25–65; J. Gribbin/M. Rees, Ein Universum
nach Maß. Bedingungen unserer Existenz, Frankfurt a. M./Leipzig 1994, 241–267; L.
Smolin, Warum gibt es die Welt? Die Evolution des Kosmos, München 1999, 46–57,
131–140; M. Rees, Just Six Numbers. The Deep Forces that Shape the Universe, Lon-
don 2000; R. Collins, »Evidence for Fine-Tuning«, in: N. A. Manson (ed.), God and
Design. The Teleological Argument and Modern Science, London/New York 2003,
178–199.
2
  Vgl. Leslie, Universes, 35 f.; Gribbin/Rees, Ein Universum nach Maß, 244–247;
Collins, »Evidence for Fine-Tuning«, 184 f.
§  8  Die Feinabstimmung und ihre Erklärungsbedürftigkeit 69

tensität der schwachen Wechselwirkung präzise adjustiert ist. Wäre sie


etwas stärker oder schwächer, dann hätten die Neutrinos nicht die rich-
tigen Eigenschaften, um ihre entscheidende Funktion bei einer Superno-
va-Explosion zu erfüllen.3
Ebenso wie die Parameter der Kraftstärken müssen auch die der Teil-
chenmassen in einen schmalen Bereich von Werten fallen, wenn Leben,
wie wir es kennen, möglich sein soll. Das vielleicht bekannteste Beispiel
ist die Differenz zwischen der Protonen- und der Neutronenmasse. Im
Interesse des Lebens muss die Masse des Neutrons die des Protons um
genau den faktischen Wert übersteigen. Wären Neutronen nur um 1:700
schwerer als sie sind, könnten Sterne ihren Wasserstoff nicht zu Helium
verbrennen, weil dann kein Deuterium produziert würde, das für diese
Verbrennung nötig ist. Ohne Helium aber entstünden nicht durch wei-
tere Nukleosynthese die für Leben erforderlichen schweren Elemente.4
Auf die Erfordernisse des Lebens scheint auch der Wert der sogenann-
ten kosmologischen Konstante (Lambda) abgestimmt zu sein, die man
sich als Energiedichte des Vakuums vorstellen kann und die bei posi-
tivem Wert als repulsive, den Raum ausdehnende Kraft wirkt. Den Mes-
sungen zufolge liegt der Wert von Lambda geringfügig über Null, ob-
gleich typische Berechnungen der Quantenfeldtheorie einen hohen Wert
erwarten lassen, der unsere Existenz ausschließen würde. Denn bei
einem hohen positiven Wert würde das Universum zu schnell expandie-
ren, um Galaxien, Sterne, Planeten und Leben hervorbringen zu können,
bei hohem negativem Wert dagegen würde es rasch kollabieren und
ebenfalls kein Leben entstehen.5
Diese und viele weitere Beispiele zeigen, dass die Ausgangswahr-
scheinlichkeit für ein lebensermöglichendes Universum unseres Typs
verschwindend gering ist. Zur Veranschaulichung stelle man sich eine
komplexe Maschine vor, von der unser Universum produziert wurde.
Wenn diese Maschine für jeden der vielen Parameter, dessen Wert durch
die theoretische Physik nicht festgelegt ist, einen Schieberegler besäße,
dann hätte sie bei den meisten Positionsveränderungen eines Reglers an-
stelle unseres Universums eine Welt ohne Leben hervorgebracht.
Nun hat man eingewandt, dass bezogen auf alle logisch möglichen
Universen der Anteil derjenigen, die für Leben geeignet sind, keineswegs
3
  Vgl. Gribbin/Rees, Ein Universum nach Maß, 250–253; Smolin, Warum gibt es
die Welt?, 137 f.
4
  Vgl. Leslie, Universes, 39 f.; Collins, »Evidence for Fine-Tuning«, 186 f.
5
  Vgl. Collins, »Evidence for Fine-Tuning«, 180–182, 196 Fußnote 11.
70 Drittes Kapitel:  Das teleologische Argument

gering sein muss. Vielleicht kann in den meisten möglichen Universen,


die sich von unserem durch ihre Basisgesetze oder durch ein gänzlich an-
deres Set von Parameterwerten unterscheiden, irgendeine Form von Le-
ben entstehen. 6 Gewiss ist dieser Fall nicht auszuschließen, er spräche
aber nicht gegen die Annahme, dass die Ausgangswahrscheinlichkeit für
ein lebensfreundliches Universum unseres Typs sehr gering ist. John
Leslie hat das durch folgende Analogie illustriert7 : An einer Hauswand
sitzen Fliegen, in einigen Bereichen jeweils nur eine einzige, während an-
dere Bereiche mit Fliegen überfüllt sind. Wenn nun irgendeine Fliege von
einem Pfeil getroffen wird, ist die Ausgangswahrscheinlichkeit, dass er
eine vereinzelt sitzende Fliege trifft, sehr gering. Entsprechendes gilt für
das Universum: Wir wissen nicht, wie hoch unter allen logisch möglichen
Universen der Anteil derjenigen ist, die für Leben geeignet sind. In den-
jenigen möglichen Universen jedoch, die sich in der »Nähe« unseres Uni-
versums befinden, weil sie durch dieselben Basisgesetze bestimmt wer-
den und sich »lediglich« durch einzelne Parameterwerte unterscheiden,
kann, wie wir sehr wohl wissen, nur im Ausnahmefall Leben entstehen.
Dass in diesem lokalen Bereich möglicher Universen ausgerechnet das­
jenige wirklich wird, in dem Leben entstehen kann, ist deshalb, im Vor-
hinein betrachtet, extrem unwahrscheinlich.
Aber ist es auch erklärungsbedürftig? Aus folgendem Grund könnte
man geneigt sein, die Frage zu verneinen: Die Konstellation von Parame-
terwerten, die in unserem Universum besteht, hat zwar eine geringe Aus-
gangswahrscheinlichkeit, aber sie ist nicht geringer als die jeder anderen
möglichen Konstellation. Nun hielte man, wenn das Universum Parame-
terwerte hätte, die Leben ausschließen würden, sicher keine Erklärung
für nötig – abgesehen davon, dass es niemanden gäbe, der Erklärungen
verlangen könnte. Daher ist auch die lebensfreundliche Konstellation
von Parameterwerten in unserem Universum nicht erklärungsbedürftig.
Das Universum, mag man denken, gleicht einem Lotteriespiel: Wer ge-
winnt, sollte keine Fragen stellen. Denn seine Losnummer hatte keine
geringere Chance als eine andere, und irgendeine musste schließlich ge-

6
  Vgl. G. Fulmer, »A Fatal Logical Flaw in Anthropic Principle Design Argu-
ments«, International Journal for Philosophy of Religion 49 (2001), 101–110; ähnlich
schon Mackie, Das Wunder des Theismus, 225.
7
  Vgl. Leslie, Universes, 17 f., 53; ders., »The Prerequisites of Life in our Universe«,
in: W. L. Craig (ed.), Philosophy of Religion. A Reader and Guide, Edinburgh 2002,
114–129, hier: 124 f.
§  8  Die Feinabstimmung und ihre Erklärungsbedürftigkeit 71

zogen werden. Hätte eine andere oder gar keine gewonnen, würde er sich
auch nicht wundern.
Diese scheinbar plausible Argumentation ist indes irreführend, weil
bei einer Konstellation von Ereignissen, die eine geringe Ausgangswahr-
scheinlichkeit hat, zwei Arten von Fällen zu unterscheiden sind. In Fäl-
len der ersten Art wären wir, wenn die Konstellation zufälligerweise
einträte, nicht überrascht, während Fälle der zweiten Art uns erstaunen
und deshalb nach einer Erklärung verlangen ließen. Nicht überraschend
wäre es beispielsweise, wenn ein Affe auf einer Schreibmaschine eine
bestimmte, semantisch bedeutungslose Folge von 15 Zeichen tippen
würde. Würde er aber stattdessen den Satz »Ich heiße Oskar« schreiben,
wären wir erstaunt, obgleich diese Sequenz von ebenfalls 15 Zeichen
(Leerzeichen eingerechnet) keine geringere Ausgangswahrscheinlichkeit
hat als die erste. 8 Worin besteht der Unterschied? Im Fall der semantisch
bedeutungslosen Zeichenfolge würden wir annehmen, sie sei in dem
Sinne zufällig, dass die Zusammenstellung der Zeichen keinen besonde-
ren Grund hat, auch wenn es für jedes einzelne Zeichen einen Grund
geben mag. Bei dem Satz »Ich heiße Oskar« hingegen würden wir eine
zufällige Zusammenstellung bezweifeln. Denn andere und durchaus na-
heliegende Annahmen, die von einem besonderen Grund für die Zusam-
menstellung ausgehen, machen die Buchstabenfolge wahrscheinlicher,
zum Beispiel die Vermutung, der Affe sei dressiert worden. Solche An-
nahmen, die zugleich naheliegend wären und Erklärungskraft hätten,
lassen sich für die semantisch bedeutungslose Zeichenfolge nicht aufstel-
len. Erklärende Annahmen wären in diesem Fall ähnlich abwegig wie
die, der Affe habe mit Hilfe einer speziellen Verschlüsselungsmethode
eine geheime Nachricht für seinen Pfleger verfasst. Nun gehört die le-
bensermöglichende Konstellation von Parameterwerten in unserem
Universum offenbar zu der zweiten Art von Fällen. Obgleich sie keine
geringere Ausgangswahrscheinlichkeit hat als eine bestimmte, ebenfalls
sehr unwahrscheinliche Konstellation von Parameterwerten, die Leben
ausschließen würde, ist sie im Unterschied zu dieser erklärungsbedürf-
tig. Denn wir wären, wenn die lebensfreundliche Konstellation zufälli-

8
 W. L. Craig, »The Teleological Argument and the Anthropic Principle«, in:
ders./M. S. McLeod (ed.), The Logic of Rational Theism, Lewiston/New York,
Queenston/Ontario 1990, 127–153, hier: 142, glaubt irrtümlicherweise eine seman-
tisch sinnvolle Sequenz von Zeichen habe eine geringere Ausgangswahrscheinlich-
keit als eine bestimmte, semantisch sinnlose mit gleicher Zeichenzahl.
72 Drittes Kapitel:  Das teleologische Argument

gerweise zustande käme, erstaunt, weil es erwägenswerte Annahmen


gibt, die sie erklären könnten.9
Drei bedenkenswerte, einander nicht durchgängig ausschließende,
wenn auch konkurrierende Erklärungsvorschläge sollen, wie gesagt, in
den folgenden Abschnitten behandelt werden: das Programm einer end-
gültigen physikalischen Theorie (Theory of Everything), die Viele-
Welten-Hypothese und die Planungshypothese.10 Ein vierter Erklä-
rungsvorschlag hingegen, der sich auf das sogenannte anthropische
Prinzip stützen würde, wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Diesem logisch notwendigen Prinzip zufolge muss das beobachtete Uni-
versum so beschaffen sein, dass es die Existenz von Beobachtern zulässt.
Damit wird die Frage, warum das Universum lebensfreundliche Para-
meterwerte hat, aber offenkundig nicht beantwortet, es sei denn, das
Prinzip würde in einer subjektiv-idealistischen Version vertreten. In sei-
ner unbestreitbaren Normalversion besagt es lediglich Folgendes: Wenn
das Universum von uns beobachtet wird, dann hat es notwendigerweise
die delikaten Parameterwerte, ohne die wir nicht existieren würden. Es
erklärt aber nicht, dass das Universum die delikaten Werte hat, die not-
wendig sind, damit wir existieren und es beobachten können. Immerhin
beantwortet das anthropische Prinzip eine andere Frage, die sich im
Rahmen der Viele-Welten-Hypothese stellt: Warum beobachten wir kei-
ne Universen, deren Parameterwerte von denen unseres Universums ab-
weichen?

§  9  Eine endgültige physikalische Theorie

In Humes Dialogen über natürliche Religion bemerkt Philo, der die Rol-
le des unbekümmerten Skeptikers spielt:

9
  Eine ähnliche Begründung für die Erklärungsbedürftigkeit bestimmter Ereig-
nisse mit geringer Ausgangswahrscheinlichkeit gibt Peter van Inwagen, Metaphy­
sics, Boulder/Colorado, Oxford second edition 2002, 152 f. Van Inwagens Begrün-
dung ist allerdings weniger allgemein und erfasst deshalb nicht alle Fälle von Ereig-
nissen mit geringer Ausgangswahrscheinlichkeit, die eine Erklärung verlangen.
10
  Wir werden sehen, dass die Planungshypothese mit einer endgültigen physika-
lischen Theorie und mit allen Versionen der Viele-Welten-Hypothese kompatibel ist.
Diejenigen Versionen der Viele-Welten-Hypothese hingegen, die eine zufällige Fest-
legung der Parameterwerte eines Universums annehmen, sind mit einer endgültigen
physikalischen Theorie nicht vereinbar.
§  9  Eine endgültige physikalische Theorie 73
»Und wäre ich genötigt, ein bestimmtes einzelnes Weltsystem zu verteidigen
(was ich nie freiwillig tun würde), so erachte ich keines für annehmbarer als das,
welches der Welt ein ewiges, ihrem Wesen angehöriges Prinzip der Ordnung
[.  .  .] zuschreibt. [.  .  .] Jedes Ding ist sicher durch stetige unverletzliche Gesetze
beherrscht. Und wäre das innere Wesen der Dinge uns offengelegt, wir würden
ein Schauspiel sehen, wovon wir jetzt keine Vorstellung haben können. Anstatt
die Ordnung der natürlichen Dinge zu bewundern, würden wir deutlich sehen,
daß es ihnen absolut unmöglich war, selbst im kleinsten Stück eine andere Ge-
staltung zuzulassen.«11

Ähnliche Ansichten vertreten Physiker, die auf eine endgültige physika-


lische Theorie hoffen,12 gleichsam eine physica triumphans. Sie soll alle
Elementarteilchen und Grundkräfte, einschließlich der Gravitation, ver-
einheitlichen und alle Parameterwerte vorschreiben, die bislang der Er-
fahrung entnommen werden müssen. Die delikaten Werte für die Stär-
ken der Grundkräfte, für die Massen der Elementarteilchen oder für die
kosmologische Konstante, die für die Entstehung des Lebens erforder-
lich sind, wären im Rahmen dieser endgültigen Theorie physikalisch
notwendig und daher, für sich betrachtet, keiner weiteren, etwa teleolo-
gischen Erklärung bedürftig.
Nun hat die Physik auf dem Weg zu einer einheitlichen Beschreibung
aller Grundkräfte und Elementarteilchen zwar bedeutende Fortschritte
erzielt, ohne allerdings die Notwendigkeit basaler Parameterwerte ein-
zusehen. Durch das Standardmodell der Elementarteilchenphysik, das
in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelt wurde, ist es ge-
lungen, die starke und schwache Wechselwirkung mit der elektromagne-
tischen in einem gewissen Grade zu vereinheitlichen. Eine endgültige
physikalische Theorie liefert das Standardmodell jedoch nicht, weil es
die Gravitation nicht einbeziehen kann und die Werte vieler Parameter
offenlassen muss. Mit dem Ziel, diese Schwäche zu überwinden, ist in
den 80er Jahren die String-Theorie angetreten. Sie gilt bis heute als aus-
sichtsreichster Kandidat für eine einheitliche Beschreibung aller Ele-
mentarteilchen und Grundkräfte. Allerdings besteht kein Grund anzu-
nehmen, dass die String-Theorie zu jener eindeutigen Vorhersage der
Parameterwerte des Standardmodells führen wird, die ihr bisher miss-
11
 Hume, Dialogues concerning natural religion, 59 f., vgl. auch 79; Übersetzung
nach D. Hume, Dialoge über natürliche Religion, hrsg. von G. Gawlick, Hamburg
5.  Aufl. 1980, 57.
12
  Vgl. z. B. St. Weinberg, Dreams of a Final Theory, New York 1992 sowie kri-
tisch R. B. Laughlin, Abschied von der Weltformel. Die Neuerfindung der Physik,
München/Zürich 3.  Aufl. 2007.
74 Drittes Kapitel:  Das teleologische Argument

lang.13 Viele Physiker verabschieden sich deshalb inzwischen von der


Vorstellung, diese Werte seien aus irgendeiner fundamentalen Theorie
ableitbar. Hätten sie Recht, wäre eine andere Erklärung erforderlich.
Nehmen wir jedoch für einen Moment an, der Traum von einer end-
gültigen physikalischen Theorie würde sich eines schönen Tages erfül-
len. In diesem Fall müssten die Parameter zwar ihre faktischen Werte
annehmen, die Theorie selbst wäre aber wie jede andere physikalische
Theorie logisch kontingent. Ein Beispiel mag das illustrieren: Physiker,
die von einer endgültigen Theorie träumen, erwarten, dass die Quanten-
mechanik ein irreduzibles Element dieser Theorie sein wird.14 Nun ist
die Annahme, das Universum werde statt durch die Prinzipien der
Quantenmechanik durch diejenigen der Newtonschen Mechanik be-
stimmt, zwar nicht korrekt, aber durchaus widerspruchsfrei. Folglich
wäre auch eine physica triumphans nicht logisch notwendig, weil im
Universum auch andere Theorien gelten könnten.15
Wäre die faktische Geltung einer logisch nicht notwendigen endgül-
tigen Theorie, die lebensfreundliche Parameterwerte impliziert, erklä-
rungsbedürftig? Eine Erklärung hielte man dann für erforderlich, wenn
die Ausgangswahrscheinlichkeit für ihre Geltung geringer wäre als die
Ausgangswahrscheinlichkeit für die Geltung einer Theorie, welche die
Entstehung von Leben ausschließt. Dies wiederum wäre unter zwei Be-
dingungen der Fall: Zum einen müsste unter den Theorien, die im Uni-
versum gelten könnten, der Anteil derjenigen, die Leben verhindern,
größer sein als der Anteil endgültiger Theorien, die Leben ermöglichen.
Zum anderen dürften einige von den Theorien, die das Entstehen von
Leben ausschließen, der im Universum geltenden physica triumphans an
Einfachheit und Eleganz nicht nachstehen. Beide Bedingungen scheinen
aus folgendem Grund erfüllt zu sein: Die Parameterwerte unseres Uni-
versums lassen die Entstehung von Leben nur deshalb zu, weil sie vielen
präzisen Anforderungen gerecht werden, die allem Anschein nach unab-
hängig voneinander sind. Daher ist erstens zu erwarten, dass die Zahl
von Theorien, die Leben, wie wir es kennen, verhindern, größer ist als
die Zahl endgültiger Theorien, die derartiges Leben zulassen. Wegen der

13
  Zu der durch das Standardmodell erreichten Vereinheitlichung sowie zu den
Ambitionen und Schwächen der String-Theorie vgl. im Einzelnen Smolin, Warum
gibt es die Welt?, 58–89.
14
  Vgl. z. B. St. Weinberg, »A Universe with No Designer«, Annals of the New
York Academy of Sciences 950 (2001), 169–174, hier: 170 f.
15
  Vgl. dazu auch Leslie, Universes, 93–95.
§  9  Eine endgültige physikalische Theorie 75

komplexen Anforderungen für lebensfreundliche Parameterwerte ist es


zweitens plausibel,16 dass zumindest einige der Theorien, die Leben aus-
schließen, nicht weniger einfach und elegant sind als unsere physica tri-
umphans, welche die Entstehung von Leben erlaubt. Kurzum: Im Vor-
hinein betrachtet, wird man die Wahrscheinlichkeit, dass diese physica
triumphans im Universum gilt, geringer einschätzen als die Wahrschein-
lichkeit für die Geltung einer Theorie, die Leben verhindert. Wenn un-
sere physica triumphans aber dennoch im Universum gelten würde, dann
wäre das aus demselben Grund erklärungsbedürftig wie der vom Affen
getippte Satz »Ich heiße Oskar« im obigen Beispiel: Wir wären erstaunt,
wenn die endgültige und lebensfreundliche Theorie, obgleich ihre Gel-
tung, im Vorhinein betrachtet, unwahrscheinlicher ist als die ihrer le-
bensunfreundlichen Konkurrenten, zufälligerweise im Universum gel-
ten würde. Denn die Planungshypothese wäre eine naheliegende An-
nahme, welche die Auswahl erklären könnte.
Humes unbekümmerter Skeptiker irrt demnach. Auch wenn »das in-
nere Wesen der Dinge uns offengelegt« wäre, weil wir eine endgültige
Theorie entdeckt hätten, die keine anderen als die faktischen Parameter-
werte zulässt, würden wir dennoch »die Ordnung der natürlichen Dinge
[.  .  .] bewundern« und nach einer Erklärung suchen.
Käme neben der Planungshypothese auch die Viele-Welten-Hypothe-
se als naheliegende Erklärung in Betracht? Im vorliegenden Fall müsste
eine Viele-Welten-Hypothese behaupten, dass die lebensfreundliche
physica triumphans deshalb im Universum gilt, weil es für (fast) jede
Theorie ein wirkliches Universum gibt, in dem sie gilt. Aus heutiger na-
turwissenschaftlicher Sicht ist diese Annahme indes wenig plausibel. Im
Rahmen der modernen Physik sind, wie wir im nächsten Abschnitt se­
hen werden, sehr wohl Mechanismen vorstellbar, die viele wirkliche
Universen erzeugt haben könnten, in denen unterschiedliche Konstella-
tionen von Parameterwerten gelten. Jeder dieser Mechanismen setzt al-
lerdings die Geltung einer fundamentalen Theorie voraus. Die Vermu-
tung hingegen, es könnte einen übergeordneten Mechanismus für die
Erzeugung vieler wirklicher Universen geben, in denen unterschiedliche
fundamentale Theorien gelten, ist aus der Sicht heutiger Physik eine Ad-
hoc-Annahme, für die nicht das Mindeste spricht. Ohne die Vorstellbar-
keit eines derartigen Mechanismus jedoch verletzt die Annahme einer
Pluralität wirklicher Universen, in denen unterschiedliche fundamentale

  Ebenso argumentiert van Inwagen, Metaphysics, 153–155.


16
76 Drittes Kapitel:  Das teleologische Argument

Theorien gelten, Ockhams wohlbegründete Forderung nach ontolo-


gischer Sparsamkeit.17 Die Entdeckung einer physica triumphans wäre
daher zugleich ein Triumph des teleologischen Argumentes.

§  10  Die Viele-Welten-Hypothese

In Humes Dialogen über natürliche Religion schlägt Philo zwei Formen


der Viele-Welten-Hypothese vor, mit denen sich die Ordnung der Welt
auf naturalistische statt teleologische Weise erklären lassen soll. Was den
Anschein planender Intelligenz erweckt, könnte, so der erste, epikure-
isch inspirierte Vorschlag, aus einer zugleich beständigen und willkür-
lichen Bewegung resultieren, die den Elementarteilchen natürlicherwei-
se innewohnt. Denn wenn die Zahl der Teilchen und mithin die ihrer
möglichen Konstellationen begrenzt sind, muss sich nach hinreichend
langer Zeit auch eine Konstellation ergeben, wie sie in unserer Welt be-
steht.18 Philos zweiter, durch Hesiod angeregter Erklärungsvorschlag
folgt aus der Annahme, die Welt sei Tieren und Pflanzen ähnlicher als
den Produkten menschlicher Kunst. Wenn ähnliche Wirkungen auf ähn-
liche Ursachen zurückgehen, wird die Welt daher eher durch Zeugung
oder Wachstum entstanden als der göttlichen Vernunft entsprungen
sein. Vielleicht ist sie aus einem der Samen hervorgegangen, die von an-
deren Welten erzeugt und ins unendliche Chaos ausgestreut wurden,
und womöglich erzeugt sie auch ihrerseits die Samen neuer Welten, die
ihr ähnlich sind.19
Entsprechend wird in der gegenwärtigen Debatte häufig angenom-
men, die lebensfreundliche Konstellation der Parameterwerte im Uni-
versum, die eine verschwindend geringe Ausgangswahrscheinlichkeit
besitzt und nach Erklärung verlangt, lasse sich statt durch göttliche Pla-
nung ebenso gut oder besser durch eine Vielzahl wirklicher Universen

17
  Metaphysische Versionen der Viele-Welten-Hypothese, denen zufolge alle lo-
gisch möglichen Welten (D. Lewis) oder alle mathematisch konsistenten Strukturen
(M. Tegmark) nicht durch einen physikalischen Mechanismus, sondern von sich
selbst her wirklich sind, müssen im gegenwärtigen Kontext außer Betracht bleiben;
vgl. D. Lewis, On the Plurality of Worlds, New York 1986 und M. Tegmark, »Is ›the
Theory of Everything‹ Merely the Ultimate Ensemble Theory?«, Annals of Physics
270 (1989), 1–51.
18
  Vgl. Hume, Dialogues concerning natural religion, 69–73.
19
  Vgl. ebd., 61–66.
§  10  Die Viele-Welten-Hypothese 77

erklären.20 Abgesehen von Lee Smolins Theorie der natürlichen kosmo-


logischen Auslese, auf die wir noch zu sprechen kommen, ist der Grund-
gedanke stets mit dem in Philos erstem Vorschlag identisch: Wenn hin-
reichend viele Universen synchron oder diachron existieren, die sich
durch ihre Parameterwerte voneinander unterscheiden, sind in einem
oder mehreren dieser Universen Werte zu erwarten, welche die Entste-
hung von Leben zulassen. Dass wir Universen mit anderen Werten nicht
beobachten, sollte uns dabei nicht erstaunen. Denn durch das anthro-
pische Prinzip wird die Beobachtung auf Universen eingeschränkt, in
denen Beobachter existieren können. Die delikaten Parameterwerte des
Universums mögen als Resultat göttlicher Absicht erscheinen. In Wahr-
heit aber könnten sie, ähnlich wie die komplexen Organismen, das
Ergebnis von zufälliger Variation und Selektion sein, die sich im Falle
des Multiversums allerdings auf die Auswahl des Beobachtbaren be-
schränkt.

1.  Versionen der Hypothese


Von den neueren, in der Physik ernsthaft erwogenen Versionen einer
Viele-Welten-Hypothese, welche die Parameterwerte unseres Univer-
sums ähnlich zu erklären versuchen wie Philos erster Vorschlag, sollen
drei behandelt werden: das Oszillationsmodell, die Viele-Welten-Deu-
tung der Quantenmechanik und das inflationäre Viele-Welten-Szena-
rio.
Dem Oszillationsmodell zufolge wird die Expansion des Universums
durch die Gravitationskraft zunehmend gebremst und schlägt schließ-
lich in eine Kontraktion um: Das Universum fällt mit steigender Ge-
schwindigkeit in sich zusammen und endet in einem Big Crunch, dem
Gegenstück zum Big Bang. Dieser Endknall löst einen erneuten Urknall
aus, durch den ein neues Universum entsteht, das seinerseits in einem
Big Crunch endet usw. Wenn nun in jedem neuen Zyklus die Parameter-

20
  Vgl. z. B. Leslie, Universes, 1 f., 54 f., 57, 148 f., 164, 198; J. J. C. Smart, Our Place
in the Universe. A Metaphysical Discussion, Oxford/New York 1989, 166–178; B.
Kanitscheider, Im Innern der Natur. Philosophie und moderne Physik, Darmstadt
1996, 120–127; D. Parfit, »Why anything? Why this?«, London Review of Books 22
(1998), 24–27; M. Rees, »Other Universes. A scientific perspective«, in: N. A. Man-
son (ed.), God and Design. The Teleological Argument and Modern Science, Lon-
don/New York 2003, 211–220; van Inwagen, Metaphysics, 156–162; G. Oppy, Ar­
guing about Gods, Cambridge/New York 2006, 200–228.
78 Drittes Kapitel:  Das teleologische Argument

werte ohne Einfluss der vorherigen Zyklen in zufälliger Weise festgelegt


werden, wie John Wheeler, der bekannteste Vertreter des Modells, an-
nimmt,21 dann kommt nach hinreichend vielen Zyklen ein Universum
zustande, dessen Werte für die Entstehung des Lebens geeignet sind. Ob
das Oszillationsmodell zutrifft, hängt von mehreren Faktoren ab. Bei-
spielsweise müsste neben der sichtbaren genügend dunkle Materie im
Universum vorhanden sein, damit die Gravitationskraft eine Kontrakti-
on bewirkt. Weil das nach derzeitigen Schätzungen aber nicht der Fall
ist, rechnen die meisten Astrophysiker mit einer dauerhaften Expansion,
die sich womöglich sogar beschleunigt.
Eine andere Version der Annahme, dass viele Universen existieren, ist
die realistische Deutung der Quantenmechanik, die Hugh Everett III.
bereits in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts vorgeschlagen
hat und die mittlerweile als ernsthafte Alternative zur üblichen Kopen-
hagener Deutung gilt. Nach der Kopenhagener Deutung sind Quan­
tensysteme, solange sie nicht beobachtet werden, als Überlagerungen
möglicher Systemzustände mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten
zu verstehen und durch ein mathematisches Konstrukt, die sogenann-
te Wellenfunktion, zu beschreiben. Werden sie aber beobachtet, dann
bricht die Wellenfunktion zusammen und einer unter den möglichen
Zuständen wird zufälligerweise zum wirklichen. Aus dem irrealen Ne-
bel von Wahrscheinlichkeiten stellt die Beobachtung also eine eindeutige
Realität her. Nach der Viele-Welten-Deutung22 hingegen ist die Wellen-
funktion kein mathematisches Konstrukt, sondern eine objektive Reali-
tät. Daher sind alle Zustände eines Systems, die quantenmechanisch
möglich sind, auch wirklich, und zwar jeder in seinem eigenen Univer-
sum. Beobachtungen stellen die Wirklichkeit nicht her, sondern stellen
lediglich klar, in welchem Zweig des Multiversums sich der Beobachter
befindet. So gesehen, sind die delikaten Parameterwerte in unserem Uni-
versum nicht länger rätselhaft. Denn wenn für alle Parameterwerte, die
unter den Bedingungen des Big Bang physikalisch möglich sind, Uni-
versen existieren, in denen sie gelten, dann muss es auch ein Universum
mit den lebensfreundlichen Werten geben, die unsere Existenz ermög­
lichen.

21
 Vgl. Ch. W. Misner/K. S. Thorne/J. A. Wheeler, Gravitation, San Francisco
1973, 1196–1217.
22
  Vgl. B. S. DeWitt/N.  Graham (eds.), The Many-Worlds Interpretation of Quan­
tum Mechanics.
§  10  Die Viele-Welten-Hypothese 79

Die realistische Deutung der Quantenmechanik wird von Physikern


und Philosophen oft mit der Begründung abgelehnt, dass die Annahme
weiterer, nicht beobachtbarer Universen, zu denen sie führt, das Gebot
ontologischer Sparsamkeit (Ockham’s Razor) verletzt.23 In anderer Hin-
sicht ist die Viele-Welten-Deutung allerdings einfacher als die Kopenha-
gener, weil sie ohne die prinzipielle Trennung zwischen physikalischem
System und Beobachter auskommt, die problematisch erscheint. Denn
ist der Beobachter nicht seinerseits ein physikalisches System, das von
den Regeln der Quantenmechanik bestimmt wird? Die Forderung nach
Sparsamkeit der Prinzipien führt demnach zu keiner eindeutigen Ent-
scheidung zwischen den beiden Deutungen der Quantenmechanik mit
der größten Anhängerschaft, und leider lässt sich die Entscheidung, zu-
mindest derzeit, auch experimentell nicht herbeiführen. Weil beide Deu-
tungen zudem in Anwendungsfragen die gleichen Antworten geben,
lassen die meisten Physiker das grundsätzliche Problem auf sich beru-
hen. »Quantenmechaniker«, schreibt John Polkinghorne, »sind im
Durchschnitt nicht philosophischer als Automechaniker.«24
Eine dritte Version der Viele-Welten-Hypothese ergibt sich zwanglos
aus der sogenannten Inflationstheorie, die Alan Guth 1980 vorgeschla-
gen hat.25 Die Inflationstheorie gehört heute zum Standardmodell der
Kosmologie, weil sie bestimmte Eigenschaften des Universums in ele-
ganter Weise erklärt, die in der herkömmlichen Urknalltheorie entweder
gar nicht oder nur durch eine ihrerseits erklärungsbedürftige Feinab-
stimmung der Ausgangsbedingungen erklärt werden können. Dazu ge-
hören die globale Homogenität und lokale Inhomogenität der Materie-
verteilung, die Flachheit des Raums und die Seltenheit exotischer Teil-
chen, die als magnetische Monopole bezeichnet werden. Im inflationären
Szenario hat eine Region durch die Zustandsänderung eines Quanten-
feldes irgendwann begonnen, sich in extrem schneller, exponentieller
Weise zu einer Größe auszudehnen, verglichen mit der unser sichtbares
Universum winzig erscheint. Weil sich der Raum durch die Expansion

23
  Vgl. z. B. die polemischen Äußerungen von R. Swinburne, »Argument from the
Fine-Tuning of the Universe«, in: J. Leslie (ed.), Physical Cosmology and Philosophy,
New York 1990, 154–173, hier: 171.
24
  J. C. Polkinghorne, The quantum world, London/New York 1984, 33 (Über-
setzung von F. H.).
25
  Vgl. A. Guth, The Inflationary Universe. Einen guten Überblick bietet der Ar-
tikel A. Guth/P. J. Steinhardt, »Das inflationäre Universum«, Spektrum der Wissen­
schaft, Juli 1984, 80–94.
80 Drittes Kapitel:  Das teleologische Argument

abkühlt, kommt es nach Guth an verschiedenen Raumstellen zu einem


Phasenübergang: Ähnlich wie bei der Abkühlung von Wasserdampf
Tröpfchen gebildet werden, entstehen an diesen Stellen »Tröpfchen«-
Universen. In jedem von ihnen wird die Energie des Quantenfeldes in ein
heißes und dichtes System von Elementarteilchen umgewandelt, in den
Zustand also, den die herkömmliche Urknalltheorie als Ausgangszu-
stand betrachtet. Die weitere Entwicklung der Universen, von denen das
Unsrige nur eines ist, entspricht denn auch dem bekannten Muster: Nach
einem Big Bang expandieren sie mit »normaler« Geschwindigkeit und
kühlen zunehmend ab. Weil der Raum zwischen ihnen aber weiterhin
exponentiell anwächst, kollidieren sie in der Regel nicht und können sich
daher getrennt entwickeln. Nun könnten die Parameterwerte in jedem
dieser Universen auf zufällige Weise und daher unabhängig voneinander
aus dem Set physikalisch möglicher und gleich wahrscheinlicher Werte
ausgewählt worden sein.26 Wenn das zutrifft und wenn hinreichend viele
Universen erzeugt werden, wie die Theorien einer chaotischen Inflation
annehmen, dann müssen die Parameter in irgendeinem Universum auch
die lebensfreundlichen Werte besitzen, die wir beobachten.
Ob eine inflationäre Expansion tatsächlich stattgefunden und zu Uni-
versen mit unterschiedlichen Werten geführt hat, lässt sich derzeit nicht
abschließend beurteilen und kann nur durch weitere Forschung ent-
schieden werden. Es wäre ein Irrtum zu glauben, die inflationäre Version
der Viele-Welten-Hypothese ließe sich mit Hinweis auf Ockham’s Ra-
zor zurückweisen. Denn wenn ein physikalischer Mechanismus bekannt
ist, der Universen erzeugen kann, ist es einfacher anzunehmen, er sei
mehrmals statt nur einmal tätig.

2.  Die Erklärungskraft der Versionen


Je mehr Universen existieren, die sich durch ihre Parameterwerte von-
einander unterscheiden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die
Parameter in irgendeinem Universum lebensfreundliche Werte anneh-
men. Steigt damit zugleich die Wahrscheinlichkeit für lebensfreundliche
Werte in unserem Universum, und bestätigen die beobachteten Werte
deshalb umgekehrt die Viele-Welten-Hypothese?

26
 Leslie, Universes, 75–78, und R. Collins, »Design and the Many-Worlds Hypo-
thesis«, in: Craig (ed.), Philosophy of Religion, 130–148, hier: 133 f., zeigen, dass und
auf welche Weise dieser Fall im Rahmen der gegenwärtigen Physik denkbar ist.
§  10  Die Viele-Welten-Hypothese 81

Betrachten wir, um die Frage zu beantworten, einen vergleichbaren


Fall: In einem Kasino geht jemand zu einem Tisch, an dem mit zwei
Würfeln gespielt wird. Beim ersten Wurf, den er beobachtet, fallen beide
Würfel auf Sechs. Darf er diese Beobachtung als einen Hinweis werten,
dass an dem Tisch schon viele Male gewürfelt wurde, weil mit der Häu-
figkeit des Würfelns die Wahrscheinlichkeit für einen Sechser-Pasch
steigt? Offenkundig nicht! Durch häufiges Würfeln wird es zwar wahr-
scheinlicher, bei irgendeinem Wurf eine doppelte Sechs zu erzielen, das-
selbe gilt aber auch für Würfe mit allen anderen Resultaten. Daher ist die
Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmter Wurf zu einem Sechser-Pasch
führt, von der Häufigkeit des Würfelns unabhängig. Ob nur einmal oder
viele Male gewürfelt wird, die Wahrscheinlichkeit ist bei jedem einzel-
nen Mal gleich und beträgt, wenn die Würfel nicht gezinkt sind, 1:36.
Dasselbe gilt mutatis mutandis für den kosmologischen Befund: Die
Existenz vieler Universen, deren Parameterwerte jeweils auf zufällige
Weise aus dem Set der physikalisch möglichen und gleich wahrschein-
lichen Werte ausgewählt werden, erhöht nicht die Wahrscheinlichkeit
für lebensfreundliche Werte in unserem Universum. Daher sind die be-
obachteten Werte keine Bestätigung für Versionen der Viele-Welten-
Hypothese, die von einer derartigen Festlegung der Parameterwerte aus-
gehen. Dieser Einwand, der auf Ian Hacking27 zurückgeht, betrifft frei-
lich, wie nun gezeigt werden soll, nicht alle Versionen.
(a) Das von John Wheeler entwickelte Oszillationsmodell ist offen-
kundig außerstande, die lebensfreundlichen Parameterwerte in unserem
Universum zu erklären. Denn nach Wheeler haben frühere Universen
keinen Einfluss auf die Festlegung der Parameterwerte in einem spä-
teren. Wheelers Universen haben wie die Würfel in dem obigen Beispiel
kein »Gedächtnis«. Dieselbe Erklärungslücke bleibt in der inflationären
Version, weil sie ebenfalls voraussetzt, dass die Parameterwerte eines
Universums unabhängig von anderen Universen festgelegt werden. Die
lebensfreundlichen Werte in unserem Universum bestätigen deshalb die
inflationäre Version ebenso wenig, wie das Würfeln eines Sechser-
Pasches in meinem Büro die Annahme belegt, die Kollegen in anderen
Büros seien auch mit Würfeln beschäftigt.
Einige Philosophen und Physiker haben den Einwand zurückgewie-
sen, weil er das anthropische Prinzip außer Acht lässt, das unsere Beob-

27
  Vgl. I. Hacking, »The Inverse Gambler’s Fallacy: the Argument from Design.
The Anthropic Principle Applied to Wheeler Universes«, Mind 76 (1987), 331–340.
82 Drittes Kapitel:  Das teleologische Argument

achtung auf ein lebensfreundliches Universum einschränkt.28 Denn


wenn diese Einschränkung berücksichtigt wird, würden die Modelle
von Wheeler und Guth, so glauben sie, durch die Feinabstimmung in
unserem Universum sehr wohl bestätigt. Zur Begründung dienen ver-
gleichbare Fälle wie die folgenden: 29 Wer einen Film sieht, in dem ein
Golfball mit einem einzigen Schlag ins Loch befördert wird, hat Grund
zur Annahme, vor diesem Schlag seien zahlreiche andere, dem Publikum
später aber vorenthaltene Schläge gefilmt worden. Ebenso darf man aus
dem Zeitungsbericht über einen glücklichen Lottomillionär schließen,
dass viele andere, in dem Bericht allerdings nicht erwähnte Spieler bei
der Lottoziehung weniger oder gar kein Glück hatten. Nun entsprechen
diese Fälle aber, so wird behauptet, dem kosmologischen Befund. Daher
sei man auch berechtigt, unsere Beobachtung eines lebensfreundlichen
Universums als Bestätigung für die Modelle von Wheeler und Guth zu
werten.
Erreicht diese Argumentation ihr Beweisziel? Offenbar nicht! Denn
zwischen den beiden Analogiefällen und unserer Situation im Univer-
sum besteht ein entscheidender Unterschied. Je mehr Golfschläge ge-
filmt werden, desto wahrscheinlicher ist es, einen perfekten Schlag zu
filmen. Mit der Anzahl der gefilmten Schläge steigt aber, weil das Film-
material selektiert wird, zugleich die Wahrscheinlichkeit, dass wir im
fertigen Film einen perfekten Schlag sehen. Zwischen unserer Beobach-
tung eines Universums mit lebensfreundlicher Konstellation von Para-
meterwerten und der Anzahl existierender Universen, deren Konstella-
tionen zufällig und unabhängig voneinander festgelegt werden, besteht
hingegen kein probabilistischer Zusammenhang. Natürlich ist die Exis-
tenz irgendeines lebensfreundlichen Universums umso wahrschein-
licher, je mehr Wheeler- oder Guth-Universen existieren. Die Wahr-
scheinlichkeit jedoch, dass wir dieses lebensfreundliche Universum be-
obachten, steigt dadurch trotz des anthropischen Prinzips nicht im
Geringsten. Denn wir sind keine im Schlaf begriffenen unkörperlichen
Seelen, die darauf warten, dass irgendein Big Bang ein passendes Univer-
sum hervorbringt, in dem wir verkörpert werden, die Augen aufschlagen

28
  Vgl. J. Leslie, »No Inverse Gambler’s Fallacy in Cosmology«, Mind 97 (1988),
269–272; Leslie, Universes, 142–144; P. J. McGrath, »The Inverse Gambler’s Fallacy
and Cosmology – A Reply to Hacking«, Mind 97 (1988), 265–268; M. A. B. Whita-
ker, »On Hacking’s Criticism of the Wheeler Anthropic Principle«, Mind 97 (1988),
259–264; Oppy, Arguing about Gods, 223–227.
29
  Die beiden Analogiefälle entnehme ich aus Oppy, Arguing about Gods, 225.
§  10  Die Viele-Welten-Hypothese 83

und die Feinabstimmung seiner Parameterwerte beobachten. Es gehört


vielmehr zu unserer Identität, Teil eines Universums zu sein, das aus
einem bestimmten Big Bang entstanden ist. Kein anderer Big Bang kann
deshalb ein Universum erzeugen, in dem wir existieren, auch wenn dort
Wesen leben mögen, die uns zum Verwechseln ähnlich sind.30
(b) Der Einwand Hackings trifft demnach auch dann auf die Modelle
von Wheeler und Guth zu, wenn das anthropische Prinzip berücksich-
tigt wird. Auf andere Versionen der Viele-Welten-Hypothese hingegen,
die in der gegenwärtigen Physik diskutiert werden, ist er aus dem fol-
genden Grund nicht anwendbar: 31 Der Einwand setzt voraus, dass die
Parameterwerte von Universen jeweils zufällig aus dem Set der physika-
lisch möglichen und gleich wahrscheinlichen Werte ausgewählt und
Universen folglich durch ihre Herkunft aus einem bestimmten Big Bang
individuiert werden; denn bei einer derartigen Auswahl können die Pa-
rameterwerte und alle anderen Beschaffenheiten in zwei oder mehr Uni-
versen identisch sein. Diese Voraussetzung für die Anwendbarkeit des
Hacking-Einwandes ist zwar in den Modellen von Wheeler und Guth
erfüllt, nicht aber in der Viele-Welten-Deutung der Quantenmechanik
und in dem evolutionären Modell eines Multiversums, das Lee Smolin
vorgeschlagen hat.
Nach der Viele-Welten-Deutung entstehen die verschiedenen Uni-
versen aus demselben Big Bang,32 weshalb sie nicht durch ihre Herkunft
individuiert werden. Vielmehr sind sie ausschließlich durch die mehr
oder weniger großen Unterschiede ihrer Beschaffenheiten voneinander
getrennt, etwa durch unterschiedliche Werte, welche die Parameter in
ihnen annehmen. Wenn die Parameterwerte eines Universums aber zu
seinen Identifikationsmerkmalen gehören, ist die Frage, warum unser
Universum diejenigen Werte hat, die wir messen, leicht zu beantworten.

30
  Ähnlich argumentiert auch R. White in seinem brillanten Aufsatz »Fine-Tu-
ning and Multiple Universes«, in: N. A. Manson (ed.), God and Design. The Teleolo­
gical Argument and Modern Science, London/New York 2003, 229–250, hier: 235–
238 und 244, gegenüber den von McGrath, »The Inverse Gambler’s Fallacy and Cos-
mology«, angeführten Analogiefällen.
31
  White, »Fine-Tuning and Multiple Universes«, 232 f., glaubt dagegen irrtümli-
cherweise, alle Versionen seien von dem Einwand betroffen. Einen Überblick über
die neuere Debatte bietet N.  Bostrom, Anthropic Bias. Observation Selection Effects
in Science and Philosophy, New York/London 2002, 11–41.
32
  Anders liegt der Fall natürlich, wenn die Viele-Welten-Deutung mit den Mo-
dellen von Wheeler und/oder Guth kombiniert wird, wogegen in logischer Hinsicht
nichts spricht.
84 Drittes Kapitel:  Das teleologische Argument

In diesem Falle lautet die Antwort nämlich schlicht: weil es ansonsten


nicht unser Universum wäre. Die Viele-Welten-Deutung der Quanten-
mechanik ist also, im Unterschied übrigens auch zur Kopenhagener
Deutung, in der Lage, die Feinabstimmung in unserem Universum zu
erklären und wird durch diese Feinabstimmung deshalb bestätigt.
Auch in Smolins Theorie einer natürlichen Auslese von Universen,33 in
der Philos zweiter Vorschlag, seine Zeugungs- und Wachstumshypothe-
se, in wissenschaftlicher Form zurückkehrt, ist die Anwendungsbedin-
gung für Hackings Einwand nicht erfüllt. Denn in Smolins Modell er­
geben sich die Parameterwerte von Universen zwar zufällig, aber sie
werden aus einem Set möglicher Werte mit extrem ungleichen Wahr-
scheinlichkeiten ausgewählt. Nach Smolin können Universen durch ihre
Schwarzen Löcher, die beim Kollaps kompakter Sterne entstehen, neue
Universen erzeugen. Denn bevor die Sternenmasse unendlich dicht zu-
sammengepresst wird und eine Singularität entsteht, führen Quantenef-
fekte womöglich zu einem Rückprall, durch den die Kontraktion in eine
Expansion umschlägt. Auf diese Weise werden hinter den Horizonten
Schwarzer Löcher neue Universen geboren, die ihrerseits durch Schwar-
ze Löcher Nachkommen erzeugen. Der Big Bang, durch den unser Uni-
versum entstand, ist nichts anderes als der Rückprall in dem Schwarzen
Loch, zu dem ein Stern unseres Vorgänger-Universums kollabiert ist.
Smolin nimmt nun an, dass bei jedem Rückprall die Parameterwerte in
zufälliger Weise festgelegt werden. Die Werte werden dabei freilich stets
nur so geringfügig verändert, dass sich die Fähigkeit eines Universums,
Schwarze Löcher zu erzeugen, nur wenig von der Fähigkeit seines Vor-
gänger-Universums unterscheidet. Daher kommt es, ähnlich wie in der
Evolution des Lebens, zu einer natürlichen Auslese von Merkmalen.
Denn wenn die Anzahl der Nachkommen, die ein Universum erzeugt,
von seinen Parameterwerten abhängt, dann dominieren nach hinrei-
chend langer Zeit diejenigen Universen, deren Werte für die Produktion
von Schwarzen Löchern besonders geeignet sind. Nun ist unser Univer-
sum aber mit hoher Wahrscheinlichkeit ein typischer Fall. Folglich lie-
fert Smolins Modell eine Erklärung für die Parameterwerte unseres Uni-
versums.
Das Modell sagt voraus, dass sich die meisten Veränderungen der Pa-
rameterwerte unseres Universums ungünstig auf seine Fähigkeit auswir-
ken würden, Schwarze Löcher hervorzubringen. Diese Voraussage hat

33
  Vgl. Smolin, Warum gibt es die Welt?, insbesondere 93–140 und 361–388.
§  11  Die Planungshypothese 85

sich zwar mehrfach bestätigt, aber ein Urteil über Smolins Modell wäre
dennoch verfrüht. Ob es zutrifft, muss eine Quantentheorie der Gravi-
tation entscheiden, die zurzeit noch nicht vorliegt. Denn weil durch die
Horizonte Schwarzer Löcher keine Signale nach außen dringen, lässt
sich nur durch diese Theorie klären, was in ihnen tatsächlich passiert.

§  11  Die Planungshypothese

1.  Die Unvermeidlichkeit der Planungshypothese


Die Planungshypothese liefert eine mögliche Erklärung für die Feinab-
stimmung unseres Universums und wird durch diese Feinabstimmung
deshalb bestätigt. Denn wenn die Parameterwerte unseres Universums
durch einen intelligenten Akteur festgelegt werden, der an der Entste-
hung von Leben interessiert ist, sind lebensfreundliche Werte zu erwar-
ten. Dies bedeutet freilich nicht, dass die Planungshypothese nur mit der
Viele-Welten-Deutung der Quantenmechanik und dem Modell von
Smolin konkurriert, die Modelle von Wheeler und Guth hingegen keine
ernsthaften Konkurrenten darstellen. Gewiss, die beiden letzten Model-
le sind nicht in der Lage, die Parameterwerte unseres Universums zu
erklären. Wenn sie sich aber aus anderen, davon unabhängigen Gründen
aufdrängen würden, müsste man wider Erwarten annehmen, die deli-
katen Werte seien in der Tat durch einen Zufallsgenerator festgelegt wor-
den. Weil die Feinabstimmung unseres Universums in diesem Fall gar
keine Erklärung zuließe, würde sie auch die Planungshypothese nicht
länger bestätigen.
Folgt aus dieser Theorielage, dass die Planungshypothese überflüssig
wäre, wenn eine der dargestellten Versionen der Viele-Welten-Hypothe-
se zutreffen würde? Keineswegs! Denn dann läge ein Befund vor, der
eine Erklärung erfordern würde und sich nur durch die Planungshypo-
these plausibel erklären ließe. Zur Begründung genügt eine exempla-
rische Betrachtung der inflationären und der evolutionären Version.
Damit eine Inflation stattfinden, an verschiedenen Stellen des Raumes
enden und an mindestens einer Stelle zu einem lebensfreundlichen Uni-
versum führen kann, muss eine fundamentale Theorie34 gelten, die kom-

34
  Diese fundamentale Theorie ist natürlich keine physica triumphans im Sinne
von §  9. Denn wenn sie alle Parameterwerte vorschriebe, wäre sie mit der inflatio-
nären Version der Viele-Welten-Hypothese nicht vereinbar.
86 Drittes Kapitel:  Das teleologische Argument

plexe Anforderungen erfüllt. Sie muss beispielsweise sicherstellen, dass


die positive Energiedichte, die dem Raum durch ein Quantenfeld verlie-
hen wird, eine Expansion des Raumes bewirkt und dass die Energie des
Quantenfeldes bei sinkender Temperatur in normale Massenenergie um-
gewandelt werden kann.35 Welchen Status hätte diese fundamentale The-
orie? Zweifellos wäre sie nicht logisch notwendig; denn an ihrer Stelle
könnten Theorien gelten, die eine Inflation verhindern würden. Im Rah-
men der newtonschen Gravitationstheorie zum Beispiel kann die posi-
tive Energiedichte des Raumes nicht zu seiner Expansion führen. Zudem
wäre die Geltung der fundamentalen Theorie aus folgendem Grund er-
klärungsbedürftig: 36 Weil die Theorie komplexe Anforderungen erfüllen
muss, um die Entstehung von Leben in irgendeinem Universum zu ge-
währleisten, hat ihre Geltung keine größere Ausgangswahrscheinlich-
keit als die ihrer lebensunfreundlichen Konkurrenten. Nun ließe sich
ihre Geltung aber im Unterschied zu der ihrer Konkurrenten durch eine
naheliegende Annahme erklären. Daher wären wir erstaunt, wenn die
lebensfreundliche Fundamentaltheorie zufälligerweise gelten würde.
Eine Viele-Welten-Hypothese zweiter Ordnung käme als naheliegende
Erklärung allerdings nicht in Betracht; denn wir kennen keinen phy­
sikalischen Mechanismus für die Erzeugung verschiedener Universen,
in denen unterschiedliche fundamentale Theorien gelten. Dagegen wäre
die Annahme, dass die wirklichkeitsbestimmende Fundamentaltheorie
durch einen intelligenten und an der Entstehung von Leben interessier-
ten Akteur in Geltung gesetzt wird, eine naheliegende Erklärung und
mangels Alternativen sogar die einzig naheliegende.
Zu demselben Ergebnis führt eine Betrachtung von Smolins evolutio-
närer Version der Viele-Welten-Hypothese. Wenn sie zuträfe, müsste

35
  Vgl. dazu im Einzelnen Collins, »Design and the Many-Worlds Hypothesis«,
135 f.
36
  Van Inwagen, Metaphysics, 160, nimmt dagegen an, dass die fundamentale The-
orie (the »set of laws of hyperphysics«), die zur Entstehung verschiedener Welten
führen würde, die einzig mögliche Theorie wäre und ihre Geltung deshalb keine
Erklärung erforderte. Diese Annahme ist allerdings ein Irrtum, weil die fundamen-
tale Theorie aus dem genannten Grund (vgl. auch van Inwagens eigene Überle-
gungen, ebd., 153–155 und 165, Anmerkung 4) keineswegs die einzig mögliche wäre.
Wenn an ihrer Stelle aber auch andere, lebensunfreundliche Konkurrenztheorien
gelten könnten, dann würde die Geltung der lebensfreundlichen Fundamentaltheo-
rie, und zwar auch nach van Inwagens Kriterium für die Erklärungsbedürftigkeit
bestimmter Befunde (vgl. ebd., 152 f.), eine Erklärung erfordern. Van Inwagens Ein-
wand gegen das teleologische Argument ist deshalb nicht triftig.
§  11  Die Planungshypothese 87

eine Quantentheorie der Gravitation gelten, die den Rückprall in Schwar-


zen Löchern und eine geringfügige Veränderung der Parameterwerte bei
jedem Rückprall gewährleistet. Diese Quantentheorie würde deshalb
auf Dauer zur Dominanz von Universen führen, deren Parameterwerte
nicht nur für die Produktion von Schwarzen Löchern, sondern auch für
die Entstehung von Leben bestens geeignet sind. Nun wäre diese Quan-
tentheorie ebenfalls nicht logisch notwendig, da an ihrer Stelle Theorien
gelten könnten, welche die Entstehung von Leben ausschließen würden.
Zudem wäre ihre Geltung erklärungsbedürftig. Denn weil sie wiederum
keine größere Ausgangswahrscheinlichkeit hätte als die Geltung lebens-
unfreundlicher Konkurrenztheorien, sich im Unterschied dazu aber
durch eine naheliegende Annahme erklären ließe, wären wir erstaunt,
wenn die lebensfreundliche Theorie zufälligerweise gelten würde. Als
naheliegende Erklärung ihrer Geltung käme aus den genannten Grün-
den ebenfalls keine Viele-Welten-Hypothese zweiter Ordnung, sondern
nur die Planungshypothese in Frage.
Schon in Humes Dialogen über natürliche Religion hat Demea be-
hauptet, die Viele-Welten-Hypothese führe zur Planungshypothese zu-
rück und könne sie daher nicht ersetzen. Gegen Philos Vermutung, die
Welt sei nicht göttlicher Vernunft entsprungen, sondern aus einem der
Samen entstanden, die von anderen Welten erzeugt und ausgestreut wur-
den, wendet er ein: »[W]enn die Welt die Eigenschaften einer Pflanze
hätte und die Samen neuer Welten in das unendliche Chaos ausstreuen
könnte, so würde dieses Vermögen nur ein weiterer Beweis für die Ab-
sicht in ihrem Urheber sein.«37 Darauf hat Philo entgegnet, dass der gött-
liche Urheber der Welt, die andere Welten erzeugen kann, seinerseits
durch andere Götter erzeugt sein könnte: Wenn jemand »meine Hypo-
these einen Schritt weiter führen und Absicht oder Vernunft folgern
[will] aus dem großen Prinzip der Zeugung, worauf ich mich stütze, so
kann ich mit besserem Recht dieselbe Freiheit in Anspruch nehmen, sei­
ne Hypothese einen Schritt weiter zu führen und göttliche Zeugung und
Theogonie aus seinem Vernunftprinzip zu folgern.«38 Mit diesem Hin-

37
 Hume, Dialogues concerning natural religion, 64 f., Übersetzung nach Hume,
Dialoge über natürliche Religion, 62.
38
 Hume, Dialogues concerning natural religion, 66, Übersetzung nach Hume,
Dialoge über natürliche Religion, 63 f. Zum unbestimmten Ergebnis des »physiko-
theologischen« Argumentes vgl. auch Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 620–630,
B 648–658; ders., Kritik der Urteilskraft, A 395–405, B 400–410 (Werke 4, 548–555;
Werke 8, 560–567).
88 Drittes Kapitel:  Das teleologische Argument

weis auf die Möglichkeit vieler, unvollkommener und erzeugter Götter


illustriert Philo die Unbestimmtheit des Resultates, zu dem das teleolo-
gische Argument führt. Davon soll abschließend die Rede sein.

2.  Die Unbestimmtheit der Planungshypothese


Von den lebensfreundlichen Parameterwerten unseres Universums lässt
sich entweder unmittelbar oder über die Vermittlung von Prinzipien, die
diese Werte notwendigerweise vorschreiben oder in mindestens einem
Universum sicherstellen, auf die Existenz einer intelligenten und an der
Entstehung von Leben interessierten Weltursache schließen. Das teleo-
logische Argument ist allerdings nicht in der Lage, diese Weltursache in
quantitativer, qualitativer und modaler Hinsicht näher zu bestimmen.
Die Annahme vieler Götter erklärt die lebensfreundlichen Parameter-
werte nicht weniger gut als die Annahme eines einzigen Gottes. »Eine
große Anzahl Menschen«, bemerkt Philo, »vereinigt sich zum Bau eines
Hauses oder eines Schiffes, zur Gründung einer Stadt oder zur Bildung
eines Staates; warum sollten nicht verschiedene Gottheiten sich zur Er-
findung und Bildung einer Welt verbinden?«39 Dasselbe gilt in qualita-
tiver Hinsicht: Die Erklärungskraft der Planungshypothese wird nicht
im Geringsten vermindert, wenn dem Welturheber Eigenschaften wie
Allmacht, Allwissenheit oder vollkommene Güte fehlen, welche die Tra-
dition Gott zugeschrieben hat. Er könnte die Welt zum Beispiel deshalb
geschaffen haben, weil er wie ein Ethologe das Verhalten von Lebewesen
erforschen will und dazu auf Experimente angewiesen ist. In diesem Fal-
le aber wäre sein Wissen begrenzt; denn ein allwissendes Wesen würde
die Ergebnisse von Experimenten im Voraus kennen und müsste sie folg-
lich nicht durchführen. Auch die Existenzweise des Welturhebers wird
durch das teleologische Argument nicht festgelegt. Er könnte notwendi-
gerweise oder bloß faktisch existieren und im zweiten Falle immer schon
gewesen oder irgendwann entstanden sein. Vielleicht ist er inzwischen
sogar verstorben, und seine Werke haben ihn ebenso überlebt wie die
Pyramiden ihre Erbauer.
Verschiedene Versionen der Planungshypothese sind demnach in dem-
selben Maße geeignet, die Parameterwerte unseres Universums zu erklä-
ren. Auch ein Vergleich ihrer Ausgangswahrscheinlichkeiten würde,

39
 Hume, Dialogues concerning natural religion, 51, Übersetzung im Wesent-
lichen nach Hume, Dialoge über natürliche Religion, 49.
§  11  Die Planungshypothese 89

wenn sie sich in der üblichen Weise bestimmen ließen, zu keiner Ent-
scheidung führen. Natürlich ist es am einfachsten anzunehmen, die Welt
sei von einem einzigen, höchst vollkommenen Gott geschaffen worden,
der von Ewigkeit zu Ewigkeit existiert. Die Ausgangswahrscheinlichkeit
einer Hypothese bemisst sich jedoch nicht nur am Grad ihrer Einfach-
heit, sondern auch an unserem Hintergrundwissen von dem, was norma-
lerweise der Fall ist. Nun wissen wir aber ansonsten von keinem Wesen,
das alle zum Bau einer Welt erforderlichen Eigenschaften in sich verei-
nen oder ewig existieren würde. Gemessen an unserem Hintergrundwis-
sen, wäre es deshalb naheliegender anzunehmen, die Eigenschaften seien
auf viele Götter mit endlicher Lebenszeit verteilt.40
Ein teleologisches Argument, das von empirischen Einzelbefunden
wie den Parameterwerten unseres Universums auf die Wirklichkeit einer
intelligenten Weltursache zurückschließt, führt zu einem unbestimmten
Ergebnis. Diese Unbestimmtheit ließe sich nur durch eine invertierte
und alle Erfahrung umfassende Version des Argumentes vermeiden.
Statt von einzelnen Beschaffenheiten der Welt würde sie von einem
wohlbestimmten Begriff der Weltursache ausgehen und die Existenz
dieser Ursache durch Vorhersage der faktischen Gesamtbeschaffenheit
der Wirkung nachweisen. Eine derart anspruchsvolle Version des teleo-
logischen Argumentes hat der späte Schelling ausgearbeitet und als »po-
sitive Philosophie« bezeichnet.41 Nach Schelling ist die Wirklichkeit
Gottes allein durch empirische Bestätigung der Erwartungen zu bewei-
sen, die sich aus dem Gottesbegriff der reinen Vernunft für die Verfas-
sung der natürlichen und geschichtlichen Welt ergeben. Der teleologische
Gottesbeweis wird damit zu einem umfassenden und bis auf Weiteres
nicht abschließbaren Projekt. Er ist, schreibt Schelling,
»nicht bloß der Anfang oder ein Theil der Wissenschaft (am wenigsten irgend
ein an die Spitze der Philosophie gestellter syllogistischer Beweis), er ist die gan-
ze Wissenschaft, nämlich die ganze positive Philosophie, – diese ist nichts ande-
res als der fortgehende, immer wachsende, mit jedem Schritt sich verstärkende
Erweis des wirklich existirenden Gottes, und weil das Reich der Wirklichkeit,
in welchem er sich bewegt, kein vollendetes und abgeschlossenes ist [.  .  .], so ist

40
 Vgl. Hume, Dialogues concerning natural religion, 52, sowie zur Frage der
Ewigkeit des Welturhebers 43 f. und 73.
41
  Vgl. Th. Buchheim, Eins von Allem. Die Selbstbescheidung des Idealismus in
Schellings Spätphilosophie, Hamburg 1992, 106 f.; vgl. auch die lehrreichen Ausfüh-
rungen Buchheims über die Aufgabe der positiven Philosophie, ebd., 17–23.
90 Drittes Kapitel:  Das teleologische Argument

auch der Beweis nie abgeschlossen, und darum auch diese Wissenschaft nur Phi-
lo-sophie.«42

42
 Schelling, Philosophie der Offenbarung, SW XIII, 131.
Zweiter Teil

Gott, Freiheit und Übel


Viertes Kapitel

Das Wesen der menschlichen Freiheit

In John Miltons Paradise Lost debattieren gefallene Engel über Prädesti-


nation, göttliches Vorherwissen und die Freiheit des Willens. »And
[they] found no end in wand’ring mazes lost«1, schreibt Milton gleich-
sam als Warnung für jeden, der das Freiheitsproblem aufwirft. Denn es
ist in der Tat ein Labyrinth, in dem sich nach Leibniz auch die mensch-
liche Vernunft nur zu oft verirrt hat.2 Jüngstes Beispiel sind die Hobby-
Metaphysiker, die aus Ergebnissen der Hirnforschung abenteuerliche
Konsequenzen ziehen. Sich damit zu befassen, wäre allenfalls im Blick
auf die Frage interessant, warum ein allmächtiger und gütiger Gott die-
sen Unsinn zulässt. Selbst ein Leibniz wüsste darauf freilich keine spezi-
elle Antwort. Im Folgenden bleiben die neuerlichen Konfusionen daher
zugunsten klassischer Fragen außer Acht, die sich beim Freiheitsthema
eingestellt haben: Was ist eigentlich Freiheit und welche Momente gehö-
ren zu ihrem Begriff? In welchem Verhältnis steht sie zu den Konzepten
einer deterministisch verfassten Welt, eines allwissenden Gottes und ei-
ner Gnade, von der allein das Heil abhängt? Und schließlich: Können
geschaffene Personen diejenige Freiheit besitzen, die nötig ist, um für
Handlungen verantwortlich zu sein? Als Antwort werde ich einen Kom-
patibilismus vorschlagen, der die Einsichten des Inkompatibilismus be-
wahrt, ohne die Freiheit allerdings mit dem Zufall zu verwechseln und
die Grenze zwischen menschlicher und göttlicher Freiheit zu verwi-
schen. Was sich hinter dieser Ankündigung verbirgt, soll in fünf Ab-
schnitten deutlich werden.

1
  J. Milton, Paradise Lost, ed. by G. Teskey, New York/London 2005, 42 (Buch II,
Zeile 561).
2
 Vgl. G. W. Leibniz, Essais de Théodicée sur la Bonté de Dieu, la Liberté de
l’Homme et l’Origine du Mal, Preface sowie Discours preliminaire, §  24, 25 (GP 6,
29 und 65).
94 Viertes Kapitel:  Das Wesen der menschlichen Freiheit

§  12  Ein Konsequenzargument

In der heutigen Freiheitsdebatte spielt das sogenannte Konsequenzargu-


ment, mit dem die Unvereinbarkeit von Freiheit und Determinismus
nachgewiesen werden soll, eine zentrale Rolle. Die fast kanonische Ver-
sion, in der Peter van Inwagen dieses Argument entwickelt hat,3 lautet
im Kern wie folgt: Wenn der Determinismus wahr ist, sind unsere Hand-
lungen Konsequenzen von Naturgesetzen und eines Weltzustandes in
ferner Vergangenheit. Nun können wir beides nicht beeinflussen. Folg-
lich können wir unter den gegebenen Umständen auch nicht anders han-
deln, als wir es tun. Weil das aber notwendig ist, um frei zu handeln, sind
Freiheit und Determinismus unvereinbar.
Diesem Konsequenzargument entspricht ein ähnlich gebautes theolo-
gisches Argument, in dem das Vorauswissen Gottes an der Stelle des
vergangenen Weltzustandes und die Unfehlbarkeit seines Wissens an der
Stelle der Naturgesetze steht. Auch aus Gottes unfehlbarem Vorauswis-
sen unseres Handelns scheint zwingend zu folgen, dass wir keine Frei-
heit besitzen. »Wenn Gott vorhergewusst hat, dass Judas ein Verräter
sein werde«, schreibt Luther, »wurde Judas notwendigerweise ein Verrä-
ter, und es lag nicht in der Hand des Judas [.  .  .], anders zu handeln oder
den Willen zu ändern«.4 Denn »wie hat Judas seinen Willen ändern kön-
nen, wenn das unfehlbare Vorherwissen Gottes feststeht? Hat er etwa
das Vorherwissen Gottes ändern und fehlbar machen können?«5 In der
Tat scheint beides unmöglich zu sein. Einerseits konnte Judas offenbar
nicht so handeln, dass der Inhalt des göttlichen Vorherwissens ein ande-
rer gewesen wäre. Denn dieses Wissen ist ein Teil der Vergangenheit; was
aber vergangen ist, steht unabänderlich fest. Andererseits war Judas auch
nicht fähig, Gott irren zu lassen, indem er anders handelte, als Gott an-
genommen hatte. Denn als höchst vollkommenes Wesen kann sich Gott
nicht irren. Wenn Judas aber die vorausgehenden Überzeugungen Got-
tes weder beeinflussen noch falsifizieren konnte, konnte er auch deren
Folgen, zu denen sein Verrat gehört, nicht verhindern. Folglich hat Judas
nicht frei gehandelt; denn frei ist eine Handlung nur dann, wenn sie un-
ter denselben Umständen auch hätte unterlassen werden können. 6

3
  Vgl. P. van Inwagen, An Essay on Free Will, Oxford 1983, 55–105.
4
  M. Luther, De servo arbitrio, in: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamt­
ausgabe (= WA), Abt.1, Bd.  18, Weimar 1908, 715, Zeile 18–20.
5
  Ebd., 721, Zeile 8–9.
6
  In der neueren Religionsphilosophie wurde das theologische Konsequenzargu-
§  12  Ein Konsequenzargument 95

Ist dieses theologische Konsequenzargument zwingend, und muss


man deshalb entweder die Freiheit des Menschen oder Gottes untrüg-
liches Wissen um die Zukunft bestreiten? Prüfen wir die wichtigsten
Strategien, das Dilemma zu vermeiden. Die erste Strategie wurde von
Boethius7 entwickelt und wird bis heute von vielen Autoren verfolgt.8 Sie
wendet sich gegen die Voraussetzung des Konsequenzargumentes, dass
Gott unsere zukünftigen Handlungen als zukünftige weiß, sein Wissen
um die Zukunft also temporalistisch als Vorauswissen zu verstehen ist.
Nach Boethius kennt Gott zukünftige Handlungen vielmehr in dersel-
ben Weise, in der wir gegenwärtige kennen, weil das zeitlich Differente
dem ewigen Wissen Gottes zeitlos gegenwärtig ist. Wenn sein Wissen
aber keinen zeitlichen Index hat und unseren künftigen Handlungen
mithin nicht zeitlich vorausgeht, sind diese Handlungen durch sein Wis-
sen nicht schon festgelegt, ehe sie ausgeführt werden. Daher können sie
frei sein und dennoch ewig und unfehlbar von Gott gewusst werden.
Ist das Problem damit gelöst? Keineswegs! In Wahrheit verschiebt es
sich lediglich. Ein zeitloses göttliches Wissen um die Zukunft legt unse-
re zukünftigen Handlungen zwar nicht im Voraus fest, aber es setzt vor-
aus, dass sie auf andere Weise festgelegt sind. Denn unter welchen Um-
ständen können die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Welt,
obwohl sie nicht gleichzeitig sind, dem Wissen dennoch in zeitloser
Gleichzeitigkeit präsent sein? Offenbar nur dann, wenn die Zustände, in
denen sich die Welt zu verschiedenen Zeiten befindet, derart aufeinander
abgestimmt sind, dass jeder beliebige Weltzustand jeden vergangenen
und künftigen eindeutig festlegt. Denn nur in diesem Fall sind einem
vollkommenen Wissen mit dem Zustand der Welt zu einer Zeit zugleich

ment meines Wissens zuerst von N.  Pike, »Divine Omniscience and Voluntary Ac-
tion«, The Philosophical Review 74 (1965), 27–46, mit wünschenswerter Klarheit
entwickelt. Vgl. außerdem z. B. J. M. Fischer (ed.), God, Foreknowledge, and Free­
dom, Stanford 1989; L. T. Zagzebski, The Dilemma of Freedom and Foreknowledge,
New York/Oxford 1991; L. T. Zagzebski, »Recent Work on Divine Foreknowledge
and Free Will«, in: R. Kane (ed.), The Oxford Handbook of Free Will, Oxford/New
York 2002, 45–64.
7
  Vgl. Boethius, Trost der Philosophie – Consolatio philosophiae, lat.-dt., hrsg. und
übersetzt von E. Gegenschatz/O. Gigon, München/Zürich 1990, 3. p. bis 6. p. (236–
275).
8
  Vgl. z. B. Anselm von Canterbury, De concordia praescientiae et praedestinatio­
nis et gratiae dei cum libero arbitrio, in: ders., Freiheitsschriften, lat.-dt., übersetzt
und eingeleitet von H. Verweyen, Freiburg i.B. 1994, 270 ff.; Thomas von Aquin,
STh, z. B. I, q.14, a.9; E. Stump/N.  K retzmann, »Eternity«, The Journal of Philoso­
phy 78 (1981), 429–458.
96 Viertes Kapitel:  Das Wesen der menschlichen Freiheit

die Weltzustände zu allen anderen Zeiten gegenwärtig. Wenn sich die


vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Weltzustände aber wech-
selseitig determinieren, wie ihre zeitlose Gleichzeitigkeit im Wissen vor-
aussetzt, dann können wir unter denselben Umständen nicht anders
handeln, als wir tatsächlich handeln. Daher scheint Gottes unfehlbares
Wissen um die Zukunft auch dann mit unserer Freiheit unvereinbar zu
sein, wenn es eternalistisch verstanden wird.
Eine zweite Strategie, die Vereinbarkeit beider nachzuweisen, geht auf
Wilhelm von Ockham9 zurück und erfreut sich in der analytischen Reli-
gionsphilosophie großer Beliebtheit.10 Ockhamisten bestreiten die Prä-
misse des Konsequenzargumentes, dass wir Gottes Vorherwissen nicht
beeinflussen können. Zu diesem Zweck unterscheiden sie zwischen zwei
Arten von Vergangenheit. Eine »harte« Vergangenheit kann zu keiner
späteren Zeit eine andere gewesen sein, als sie war. Eine »weiche« Ver-
gangenheit dagegen hätte eine andere sein können, wenn später anderes
passiert wäre. Nehmen wir die Amtszeit von Gerhard Schröder als Bun-
deskanzler, um diese Unterscheidung zu illustrieren. Seine Ernennung
im Jahre 1998 ist eine harte Vergangenheit, weil es zu keiner späteren
Zeit falsch sein kann zu sagen, diese Ernennung habe im Jahre 1998 statt-
gefunden. Anders steht es mit der Tatsache, dass Schröder sieben Jahre
vor seinem Abschied zum Kanzler ernannt worden ist. Zwar bezieht sich
diese Tatsache ebenfalls auf das Jahr 1998, aber sie hing von späteren
Ereignissen ab. Sie wäre zum Beispiel nie eine Tatsache gewesen, wenn
Schröder die Wahl 2002 verloren hätte. Demnach ist diese Tatsache eine
weiche Vergangenheit. Für Ockhamisten ist nun auch Gottes unfehl-
bares Vorherwissen unseres Handelns eine weiche Vergangenheit, weil
der Inhalt dieses Vorherwissens davon abhängt, dass wir nicht anders
gehandelt haben, als wir es taten. Denn hätten wir anders gehandelt, hät-
te Gott, weil er unfehlbar ist, immer schon anderes vorhergewusst. Zwar
können wir Gottes tatsächliches Vorherwissen nicht verändern, aber wir
hätten bewirken können, dass der Inhalt seines Vorherwissens von jeher
9
  Vgl. W. Ockham, The Tractatus de Praedestinatione et de Praescientia Dei et de
Futuris Contingentibus of William Ockham, ed. by Ph. Boehner, St. Bonaventure/
New York 1945, 12 f., 101, 116 f. Eine englische Übersetzung findet sich in W. Ock-
ham, Predestination, God’s Foreknowledge, and Future Contingents, translated,
with Notes and Appendices, by M. M. Adams/N.  K retzmann, Indianapolis second
edition 1983, 46 f., 92, 113.
10
  Vgl. z. B. M. M. Adams, »Is the Existence of God a ›Hard‹ Fact?«, The Philoso­
phical Review 76 (1967), 492–503; A. Plantinga, »On Ockham’s Way Out«, Faith
and Philosophy 3 (1986), 235–269.
§  12  Ein Konsequenzargument 97

ein anderer gewesen wäre. Obgleich Gott unser faktisches Handeln un-
fehlbar vorherwusste, hätten wir deshalb, meinen Ockhamisten, auch
anders handeln können und waren der Freiheit keineswegs beraubt.11
Diese ockhamistische Strategie ist zweifellos subtil. Dennoch führt sie
nicht zum gewünschten Ergebnis, weil wir auch dann, wenn Gottes un-
fehlbares Vorherwissen eine weiche Vergangenheit ist, nicht unter den­
selben Umständen anders handeln können, als wir es tun. Denn erstens
hätte Gott, wenn wir anders handeln würden, immer schon anderes vor-
hergewusst. Daher wäre die Vergangenheit von jeher eine andere gewe-
sen, und wir hätten mithin unter anderen Umständen gehandelt als im
faktischen Fall. Modallogisch ausgedrückt: Die mögliche Welt, in der
wir anders handeln als in der wirklichen, ist bis zum Zeitpunkt des Han-
delns nicht mit der wirklichen identisch, weil der Inhalt des göttlichen
Vorherwissens ein anderer ist. Zweitens kann sich die Vergangenheit der
einen Welt von der Vergangenheit der anderen nicht ausschließlich durch
Gottes Vorherwissen unterscheiden. Denn unter welchen Umständen
kann unfehlbar vorhergewusst werden, was die Zukunft bringt? Offen-
bar nur dann, wenn das Spätere aus dem Früheren ableitbar ist. In diesem
Fall aber muss unserem faktischen Handeln eine andere Vergangenheit
vorausgehen als dem kontrafaktischen. Wenn Gott unser Handeln un-
fehlbar vorherweiß, können wir daher nicht unter denselben Umständen
anders handeln, als wir es tun. Folglich ist auch die zweite Strategie, dem
Konsequenzargument zu entgehen, erfolglos.
Eine dritte denkbare Strategie setzt statt beim Zukunftswissen Gottes
bei der menschlichen Freiheit an, um die Vereinbarkeit beider nachzu-
weisen. Mit Berufung auf Harry Frankfurt12 wird jetzt die Prämisse des
Konsequenzargumentes bestritten, dass wir nur dann frei handeln, wenn
wir auch anders hätten handeln können. Raffiniert konstruierte Fälle
wie der folgende belegen nach Frankfurt indes das Gegenteil: Angenom-
men, ein skrupelloser Neurochirurg namens Black will, dass Mrs. Jones
ihren verhassten Mann umbringt. Um den Mord sicherzustellen, im-
plantiert er während einer Operation heimlich ein Gerät in ihr Gehirn,
das er nur aktivieren muss, damit die Frau in seinem Sinne entscheidet
und handelt. Es wäre ihm allerdings lieber, wenn sie den Entschluss aus

11
  Dasselbe gilt mutatis mutandis für unser gegenwärtiges und zukünftiges Han-
deln.
12
 Vgl. H. G. Frankfurt, »Alternate possibilities and moral responsibility«, in:
ders., The importance of what we care about. Philosophical essays, Cambridge 1988,
1–10.
98 Viertes Kapitel:  Das Wesen der menschlichen Freiheit

freien Stücken fassen und ausführen würde. Deshalb wartet er ab und


aktiviert das Gerät dann und nur dann, wenn sie im Begriff ist, sich an-
ders zu entscheiden, als er will. Nehmen wir an, er hat Glück: Sie ent-
schließt sich selbst zum Mord und begeht ihn, sodass er nicht eingreifen
muss. Daher ist ihre Handlung frei, obgleich sie nicht anders entscheiden
und handeln konnte. Denn hätte sie es versucht, wäre Black aktiv gewor-
den. Wenn Freiheit aber nicht an alternative Handlungsmöglichkeiten
geknüpft ist, wird sie durch das unfehlbare Zukunftswissen Gottes und
dessen deterministische Voraussetzungen nicht ausgeschlossen.
Gelingt demnach zumindest die dritte Strategie, das Konsequenzar-
gument zu unterlaufen? Offenbar nicht; denn wiederum wird das Pro-
blem nicht gelöst, sondern bloß verschoben. Fälle wie der geschilderte
mögen die Annahme widerlegen, dass wir nur dann frei handeln, wenn
wir auch anders hätten handeln können.13 Zu diesem Zweck aber müssen
sie alternative Möglichkeiten in einem anderen Sinne zulassen. Zwar
konnte Mrs. Jones unter den gegebenen Umständen nicht vermeiden, ih-
ren Mann umzubringen, aber es hing von ihr ab, ob sie es selbstständig
oder als Folge von Blacks Eingreifen tat. Würde auch diese Alternative
ausgeschlossen, dann könnte ihre tatsächliche, von Black unbeeinflusste
Tat nicht als freie und zurechenbare Handlung gelten. Um frei zu han-
deln, müssen wir vielleicht nicht zu einer anderen Handlung fähig sein,
aber wir müssen vermeiden können, aus eigener Initiative zu handeln.14
In einem weiten Sinne von Handeln, in dem schon das Ergreifen der
Handlungsinitiative als Handlung gilt, ist Freiheit daher sehr wohl an
alternative Handlungsmöglichkeiten geknüpft. Wenn Gott aber unfehl-
bar weiß, wie wir handeln werden, sind wir auch in diesem Sinne nicht
in der Lage, unter denselben Umständen anders zu handeln, als wir es
tun. Folglich ist das Konsequenzargument auch durch die dritte Strate-
gie nicht zu erschüttern.

13
  Vgl. dagegen z. B. D. Widerker, »Libertarianism and Frankfurt’s Attack on the
Principle of Alternative Possibilities«, The Philosophical Review 104 (1995), 247–
261.
14
  Ähnlich argumentiert z. B. auch B. Guckes, Ist Freiheit eine Illusion? Eine me­
taphysische Untersuchung, Paderborn 2003, 97–101, gegen Frankfurt, sie zieht dar-
aus aber einen inkompatibilistischen Schluss.
§  13  Freiheit und Zufall 99

§  13  Freiheit und Zufall

Muss man aus den bisherigen Überlegungen schließen, dass Gottes Zu-
kunftswissen und unsere Freiheit unverträglich sind? Dieser Schluss
wäre zwingend, wenn Freiheit nicht nur an alternative Handlungsmög-
lichkeiten gebunden wäre, sondern auch voraussetzen würde, dass wir
unter denselben äußeren und inneren Umständen anders handeln kön-
nen, als wir es tun. Daher stellt sich die Frage, wie das Prinzip alternati-
ver Handlungsmöglichkeiten zu verstehen ist.
Um sie zu beantworten, gehe ich von einem Vorverständnis von Frei-
heit aus, das mit allgemeiner Zustimmung rechnen kann. Trotz der
Komplexität der Freiheitsdebatte ist unstrittig, dass freies Handeln von
zwei anderen Weisen des Handelns unterschieden werden muss. Einer-
seits ist es offenbar von fremdbestimmtem Handeln abzugrenzen, einem
Verhalten beispielsweise, zu dem man gezwungen wird. Andererseits
sind freie Handlungen nicht mit zufälligen zu verwechseln, also solchen,
die ohne Grund, gleichsam »aus heiterem Himmel«, geschehen und da-
her unverständlich sind. Wenn sich Freiheit aber sowohl von Fremdbe-
stimmung als auch von Unbestimmtheit oder Zufall unterscheidet, kann
sie nur als Selbstbestimmung aufgefasst werden. Wie ist vor dem Hinter-
grund dieses unstrittigen Freiheitsverständnisses das umstrittene Prin-
zip alternativer Handlungsmöglichkeiten zu deuten?
Viele Freiheitstheoretiker gehen von einer engen Lesart aus. Sie glau-
ben, eine Handlung sei nur dann selbstbestimmt, wenn der Akteur unter
denselben äußeren und inneren Umständen auch anders hätte handeln
können. Wer nämlich unter identischen Umständen nicht anders han-
deln kann, der handelt nach ihrer Ansicht fremdbestimmt und daher
nicht frei. Hätten sie Recht, dann wären Freiheit und Determinismus
inkompatibel, weil alternative Möglichkeiten in diesem Sinne innerhalb
einer deterministisch verfassten Welt nicht bestehen können. Inkompa-
tibilisten, die von der Wirklichkeit menschlicher Freiheit ausgehen, die
sogenannten Libertarier also, müssen deshalb zeigen, dass der Determi-
nismus falsch15 und damit auch ein unfehlbares Wissen Gottes um unse-

15
 Zu diesem Zweck genügt es nicht, auf die Quantenmechanik zu verweisen.
Denn erstens ist die orthodoxe indeterministische Deutung der Quantenmechanik
strittig (zur Kopenhagener Deutung und zur Viele-Welten-Deutung der Quanten-
mechanik vgl. oben §  10). Zweitens ist unklar, ob sich die Indeterminiertheit von der
mikrophysikalischen Ebene auf die Makro-Ebene des Handelns übertragen würde,
vgl. dazu beispielsweise T. Honderich, »Determinism as True, Both Compatibilism
100 Viertes Kapitel:  Das Wesen der menschlichen Freiheit

re zukünftigen Handlungen ausgeschlossen ist. Aber nicht nur das, sie


müssen außerdem plausibel machen, dass indeterminierte Handlungen,
weil sie indeterminiert sind, selbstbestimmt sein können. Prima facie
leuchtet das allerdings nicht ein. Denn wenn eine Handlung nicht deter-
miniert ist, kann sie unter denselben äußeren und inneren Bedingungen,
also auch bei identischen Wünschen und Überzeugungen des Akteurs
geschehen oder nicht geschehen. Ob sie geschieht, scheint deshalb eine
Sache des Zufalls zu sein. Nun sind aber Handlungen, die zufällig ge-
schehen, nicht vom Akteur selbst bestimmt und folglich nicht frei. Li-
bertarier haben deshalb ein ernstes Problem. Sie müssen die kontraintu-
itive Annahme begründen, dass die Freiheit einer Handlung durch ihren
indeterminierten Charakter nicht ausgeschlossen, sondern in bestimm-
ten Fällen ermöglicht wird. Zu diesem Zweck haben sie zwei Strategien
entwickelt.
Die erste Strategie ist das Konzept der Akteurskausalität, das von
Roderick Chisholm, Richard Taylor und anderen vertreten wird. Nach
Chisholm sind freie und moralisch zurechenbare Handlungen weder
unverursacht und zufällig noch durch äußere oder innere Ereignisse
determiniert. Statt durch Ereignisse werden sie vielmehr durch den Han-
delnden selbst verursacht und sind mithin Fälle eines besonderen, von
Ereigniskausalität unterschiedenen Typs von Verursachung, eben der
Akteurskausalität. Wenn jemand frei handelt, verursacht er die Hand-
lung oder ein für die Handlung wesentliches Ereignis, ohne in diesem
Verursachen wiederum verursacht zu sein. Wie der Gott des Aristoteles
ist er deshalb nach Chisholm ein »erster, seinerseits unbewegter Bewe-
ger«.16 Bei der Verursachung einer freien Handlung können die Wünsche
und Überzeugungen des Handelnden zwar insofern eine Rolle spielen,
als sie ihn geneigt machen, aber solche Gründe sind nie hinreichend, um
die Verwirklichung alternativer Handlungsmöglichkeiten auszuschlie-
ßen. Vielmehr hätte der Akteur, wenn er frei handelt, unter denselben
äußeren Bedingungen und bei gleicher Lage der Gründe auch anders
handeln können.
Durch diese Deutung des Prinzips alternativer Möglichkeiten gerät
das Konzept der Akteurskausalität indes mit einem konstitutiven Mo-
ment des Freiheitsbegriffs in Konflikt. Offenkundig ist eine Handlung

and Incompatibilism as False, and the Real Problem«, in: R. Kane (ed.), The Oxford
Handbook of Free Will, Oxford/New York 2002, 461–476.
16
 R. M. Chisholm, »Human Freedom and the Self«, in: G. Watson (ed.), Free
Will, Oxford 1982, 24–35, hier: 32.
§  13  Freiheit und Zufall 101

nur dann vom Handelnden selbst bestimmt, wenn die Gründe des Han-
delnden den Ausschlag geben, welche Handlungsmöglichkeit er ergreift.
Nun ist aber ein freier Akteur im Sinne Chisholms an diese Gründe
nicht gebunden. Er kann sich ebenso über sie hinwegsetzen, ohne dazu
durch Gründe höherer Ordnung bestimmt zu sein. Zwar handelt er ge-
legentlich in Übereinstimmung mit seinen Gründen, aber nie aus ihnen.
Wenn aber die Gründe des Akteurs nicht erklären, warum er auf die eine
statt auf die andere Weise handelt, ist nicht einzusehen, wieso er sein
Handeln selbst bestimmt. Der Hinweis auf einen geheimnisvollen, an
Gründe nicht gebundenen Akteur gibt darüber nicht den geringsten
Aufschluss. Das Konzept der Akteurskausalität ist also erfolglos, weil es
ihm nicht gelingt, selbstbestimmte Handlungen von zufälligen zu unter-
scheiden.
Diese Schwierigkeit hat zur Entwicklung von libertarischen Freiheits-
theorien anderer Art geführt, die keinen besonderen, von Ereigniskausa-
lität unterschiedenen Kausalitätstyp voraussetzen. Auch sie gehen davon
aus, dass Handlungen nur dann frei sein können, wenn sie unter densel-
ben äußeren und inneren Umständen anders hätten ausfallen können.
Denn ansonsten wären sie, so wird behauptet, fremdbestimmt und daher
nicht frei. Libertarische Theorien der zweiten Art fordern außerdem,
dass freie Handlungen aus Motiven des Handelnden erfolgen müssen,
denen keine stärkeren Motive entgegenstehen. Anderenfalls wären sie
nämlich unverständlich, daher nicht von zufälligen Begebenheiten zu
unterscheiden und somit ebenfalls nicht frei. Libertarische Konzepte,
die auch die zweite Anforderung an freie Handlungen stellen, werden als
Theorien teleologischer Intelligibilität17 bezeichnet und in der gegen-
wärtigen Debatte von David Wiggins, Robert Kane und anderen vertre-
ten. Um nachzuweisen, dass indeterminierte Handlungen zugleich aus
Motiven verständlich und daher frei sein können, wurden mehrere Sze-
narien vorgeschlagen, die ich an einem Beispiel illustriere. Angenom-
men, Oskar ist der pflichtbewusste Bürgermeister einer Kleinstadt. Er
hat kurzfristig zu entscheiden, ob die noch verbliebenen Haushaltsmittel
der Stadt für die erforderliche Sanierung des Kindergartens oder für den
Ausbau einer überlasteten Umgehungsstraße eingesetzt werden, und er
entscheidet zugunsten des Kindergartens. Libertarier des zweiten Typs
haben behauptet, Oskars Entscheidung sei dann frei, wenn sie auf eine

17
  Vgl. G. Watson, »Introduction«, in: ders. (ed.), Free Will, Oxford 1982, 1–14,
hier: 11.
102 Viertes Kapitel:  Das Wesen der menschlichen Freiheit

der folgenden Weisen zustande kommt. Im ersten Szenario18 sprechen


die entscheidungsrelevanten Gründe, die Oskar bewusst sind, eindeutig
für die Sanierung des Kindergartens und determinieren deshalb die Ent-
scheidung unseres pflichtbewussten Oskar. Zugleich gibt es Gründe, die
ihn bestimmt hätten, anders zu entscheiden, wenn sie ihm bewusst ge-
worden wären. Aber diese Gründe wurden ihm zufälligerweise nicht
bewusst. Es hätte demnach unter denselben äußeren und inneren Um-
ständen geschehen können, dass sich Oskar für den Ausbau der Straße
entscheidet. Gleichwohl ist seine faktische Entscheidung aus den ihm
bewussten Gründen erklärbar und insofern nicht zufällig. Durch die-
ses erste Szenario wird deutlich, dass auch indeterminierte Handlun-
gen selbstbestimmt sein könnten. Dennoch liefert der Fall kein Argu-
ment für die weitergehende libertarische Annahme, nur indeterminierte
Handlungen kämen als selbstbestimmte in Frage. Der selbstbestimmte
Charakter von Oskars Entscheidung kann nicht davon abhängen, dass
das Bewusstwerden von Gründen, die zu einer anderen Entscheidung
geführt hätten, indeterminiert ist. Denn indeterminierte Ereignisse wer-
den von Oskar nicht kontrolliert.
Im Unterschied zum ersten Szenario befindet sich Oskar im zweiten19
in einer Konfliktsituation, weil ihm gute und gleich starke Gründe für
beide Alternativen bewusst sind. Indeterminiert ist nun, welches Set von
Gründen entscheidungs- und handlungswirksam wird. Wiederum hätte
Oskars Entscheidung unter denselben Umständen auch anders ausfallen
können, und wiederum ist seine faktische Entscheidung nicht völlig
willkürlich, weil sie Gründen entspricht, denen keine stärker gewichte-
ten entgegenstehen. Doch anders als das erste Szenario liefert das zweite
nicht einmal einen Fall von indeterminiertem Handeln, das womöglich
selbstbestimmt ist. Denn es ist zwar nicht zufällig, dass sich Oskar ent-
weder für die Sanierung des Kindergartens oder den Ausbau der Straße
entscheidet, statt die Haushaltsmittel etwa beim örtlichen Hunderennen
zu verwetten. Es liegt ihm aber nicht näher, die eine anstelle der anderen
Entscheidung zu fällen. Folglich ist seine Entscheidung zwischen den Al-
ternativen rein zufällig und daher nicht selbstbestimmt.
Libertarische Freiheitstheorien sind also zum Scheitern verurteilt.
Entweder sind sie gänzlich außerstande, indeterminierte Handlungen
18
  Vgl. D. C. Dennett, Brainstorms. Philosophical Essays on Mind and Psychology,
Cambridge/Massachusetts 1978, 286–299.
19
 Vgl. D. Wiggins, »Towards a Reasonable Libertarianism«, in: T. Honderich
(ed.), Essays on Freedom of Action, London 1973, 31–61.
§  14  Ein kompatibilistischer Vorschlag 103

von zufälligen Begebenheiten zu unterscheiden, wie sich im Falle der


Akteurskausalität und des zweiten Szenarios zeigte. Oder sie bleiben
wie im ersten Szenario zumindest den Nachweis schuldig, dass Hand-
lungen indeterminiert sein müssen, um womöglich selbstbestimmt zu
sein. Damit ist die Ausgangsfrage dieses Abschnitts beantwortet: Für
selbstbestimmte und mithin freie Handlungen ist es nicht notwendig,
unter denselben Umständen auch anders ausfallen zu können.

§  14  Ein kompatibilistischer Vorschlag

Sind demnach kompatibilistische Freiheitstheorien im Recht, die Frei-


heit und Determinismus für vereinbar halten, und ist menschliche Frei-
heit deshalb auch nicht durch das unfehlbare Zukunftswissen Gottes
bedroht? Dieser Schluss wäre voreilig. Denn der libertarische Verdacht,
dass in einer deterministisch verfassten Welt alle Handlungen fremdbe-
stimmt wären, ist noch nicht definitiv ausgeräumt. Zwar ist es keine not-
wendige Bedingung von Freiheit, unter denselben Umständen anders
handeln zu können, aber dennoch gehören alternative Möglichkeiten
konstitutiv zur Freiheit. Falls diese Möglichkeiten im Rahmen des De-
terminismus nicht gegeben sein können, folgt aus den bisherigen Über-
legungen, dass Freiheit a priori ausgeschlossen ist. Denn wenn sie durch
den Indeterminismus nicht ermöglicht und durch den Determinismus
unmöglich wird, dann kann sie, egal wie die Welt beschaffen sein mag,
nicht bestehen.
Ein kompatibilistisches Freiheitskonzept hat offenbar nur dann Aus-
sicht auf Erfolg, wenn nachgewiesen wird, dass innerhalb einer determi-
nistisch verfassten Welt nicht alle Handlungen fremdbestimmt sein müs-
sen und alternative Möglichkeiten im freiheitsrelevanten Sinn bestehen
können. Der folgende Vorschlag erfüllt meines Erachtens diese Bedin-
gungen. Er besagt, dass Freiheit mit genau drei Formen von Fremdbe-
stimmung unverträglich ist und dass unter deterministischen Vorausset-
zungen die Möglichkeit von Handlungen besteht, die auf keine der drei
Weisen fremdbestimmt sind.
Die erste Form von Fremdbestimmung, durch die Freiheit ausge-
schlossen wird, ist äußerer Zwang. Unter äußerem Zwang steht jemand,
wenn er nicht tut, was er will, oder tut, was er nicht will, weil ihm die
Verwirklichung alternativer Handlungsmöglichkeiten von anderen ver-
wehrt wird. Ein typisches Beispiel ist der Pilot, der mit vorgehaltener
104 Viertes Kapitel:  Das Wesen der menschlichen Freiheit

Pistole dazu gebracht wird, die Flugroute zu ändern. Äußerer Zwang ist
eine, allerdings nicht die einzige mit Freiheit unverträgliche Form von
Fremdbestimmung, wie klassische Kompatibilisten fälschlich anneh-
men. Nach ihrer Ansicht ist jemand schon dann frei, wenn sein Handeln
von seinem Willen abhängt und daher weder zufällig noch äußerlich
erzwungen ist. David Hume etwa definiert Freiheit als »eine Macht zu
handeln oder nicht zu handeln, je nach den Entschließungen des Wil­
lens«.20 Diese Freiheit wird nach Hume erstens »einem jeden allgemein
zugestanden, der nicht ein Gefangener in Ketten ist«21, also keinen äuße-
ren Zwängen unterliegt, und sie genügt zweitens, um jemanden zu Recht
für sein Handeln moralisch verantwortlich zu machen. Damit verkennt
Hume, dass es neben dem äußeren Zwang zwei weitere Formen von
Fremdbestimmung gibt, durch die Freiheit und Verantwortung ausge-
schlossen werden.
Die zweite Form ist der innere Zwang. Innerlich gezwungen handelt
jemand, wenn sein Handeln durch die Macht einer Neigung oder Abnei-
gung bestimmt wird, die ihm nicht erlaubt, anders zu handeln, und von
der er nicht möchte, dass sie handlungswirksam ist. Einen Fall dieser Art
von Unfreiheit hat Paulus in Röm 7 vor Augen:
»Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt.
Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. Denn das Gute,
das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.
Wenn ich aber tue, was ich nicht will, so tue nicht ich es, sondern die Sünde, die
in mir wohnt.« (Vers 18–20)

Nach Maßstäben des klassischen Kompatibilismus müsste »sein« Tun als


frei gelten, weil es nicht äußerlich erzwungen ist. Diese Einschätzung ist
jedoch abwegig. Denn der Sünder wider Willen ist ebenso einer fremden
Macht ausgeliefert wie der von Terroristen bedrohte Pilot. Moderne
Kompatibilisten haben den inneren Zwang daher zu Recht als eine wei-
tere Form von Fremdbestimmung anerkannt, die mit Freiheit und Ver-
antwortung unverträglich ist.22
Sie irren allerdings, wenn sie glauben, damit sei Freiheit schon hinrei-
chend charakterisiert. Um frei zu sein, genügt es nicht, aus Gründen zu
20
 D. Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, hrsg. von J.
Kulenkampff, Hamburg 11.  Aufl. 1984, 113.
21
 Ebd.
22
  Vgl. z. B. H. G. Frankfurt, »Freedom of the will and the concept of a person«,
in: ders., The importance of what we care about. Philosophical essays, Cambridge
1988, 11–25, besonders 17–19.
§  14  Ein kompatibilistischer Vorschlag 105

handeln, von denen man möchte, dass sie handlungswirksam sind. Denn
Handlungen können auch dann fremdbestimmt sein, wenn sich der
Handelnde mit den Gründen, aus denen er handelt, in Übereinstimmung
befindet. Die dritte Form der Fremdbestimmung ist eine verdeckte, weil
sie im Unterschied zum äußeren und inneren Zwang vom Handelnden
nicht registriert wird. Auf verdeckte Weise wird jemand fremdbestimmt,
wenn »seine« Identifikation mit den handlungswirksamen Gründen
durch Manipulation zustande kommt und daher Merkmalen wider-
spricht, die für ihn charakteristisch sind. Typische Beispiele sind Fälle
von »Gehirnwäsche« oder Hypnose, in denen jemand aus den Gründen,
aus denen er handelt, auch handeln möchte, obgleich er sie verabscheuen
würde, wenn er nicht manipuliert wäre. Anders als der bedrohte Pilot
und der Sünder wider Willen weiß er sich keiner fremden Macht ausge-
liefert, ist aber dennoch fremdbestimmt. Kompatibilistische Konzepte,
die ausschließlich die subjektive Perspektive berücksichtigen und Frei-
heit als Harmonie des Handlungssubjekts mit seinen handlungswirk-
samen Gründen verstehen, greifen deshalb zu kurz.23
Den bisherigen Überlegungen zufolge ist eine Handlung dann und
nur dann in einem für moralische Verantwortung hinreichenden Sinne
frei, wenn sie weder zufällig erfolgt noch auf eine der drei Weisen fremd-
bestimmt ist. Freie Handlungen sind vielmehr von Überzeugungen und
Wünschen bestimmt, die zum individuellen Charakter einer Person,
ihrem »Selbst«, gehören. Das Selbst, von dem hier die Rede ist, unter-
scheidet sich von dem intelligiblen Selbst im Sinne Kants, dessen Kausa-
lität nicht von empirischen Bedingungen abhängt und ausschließlich
durch das moralische Gesetz bestimmt wird. Denn Kants Lehre vom
intelligiblen Selbst und seiner Kausalität aus Freiheit ist bekanntlich mit
einer schweren moralphilosophischen Hypothek belastet. Wenn näm-
lich selbstbestimmtes Handeln stets ein Handeln aus Pflicht wäre,24
könnten Handlungen, die aus Neigung erfolgen, seien sie nun pflichtge-
mäß oder pflichtwidrig, nicht frei sein und dem Subjekt deshalb auch
nicht moralisch zugerechnet werden. Um diese, auch für Kantianer
schwer annehmbare Konsequenz zu vermeiden, verstehe ich das Selbst,
von dem freie Handlungen abhängen, als Inbegriff derjenigen Merkmale,
die für den individuellen Charakter einer Person konstitutiv sind. Wel-

23
  Vgl. auch Guckes, Ist Freiheit eine Illusion?, 112 f., 120–122.
24
  Vgl. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 98 (Werke 6, 82); ders.,
Kritik der praktischen Vernunft, A 52 f. (Werke 6, 139).
106 Viertes Kapitel:  Das Wesen der menschlichen Freiheit

che Anforderungen diese personalen Merkmale erfüllen müssen und


welche nicht, soll in den nächsten Abschnitten geklärt werden.
Zuvor jedoch sind die beiden Fragen zu beantworten, in welchem
Sinne alternative Möglichkeiten konstitutiv zur Freiheit gehören und ob
das skizzierte Freiheitskonzept alternative Möglichkeiten in diesem
Sinne zulässt. Die Frankfurt-Fälle mögen zeigen, dass eine Handlung
auch dann frei sein kann, wenn der Akteur nicht anders handeln konnte.
Dennoch ist Freiheit an alternative Möglichkeiten in einem anderen Sinn
gebunden: Um frei zu handeln, muss der Handelnde nämlich davon Ab-
stand nehmen können, die Handlung selber zu initiieren (vgl. §  12). Nur
weil Mrs. Jones es hätte vermeiden können, von sich aus die Urheberin
des Mordes zu sein, kann ihr Mord als freie und moralisch zurechenbare
Handlung gelten. Wie ist dieses Vermeidenkönnen, insofern es eine not-
wendige Bedingung der Freiheit bildet, zu interpretieren? Offenbar
nicht in dem Sinn, dass die Frau unter exakt denselben äußeren und in-
neren Umständen fähig gewesen sein muss, den Mord entweder selbst
oder nicht selbst einzuleiten. Denn dann wäre es bloßer Zufall und nicht
durch ihre personalen Merkmale bestimmt, welche Möglichkeit sie er-
greift (vgl. §  13). Die für Freiheit konstitutive Fähigkeit eines Akteurs,
eine Handlung nicht von sich aus initiieren zu müssen, ist vielmehr in
einem konditionalen Sinne zu verstehen. Sie besteht darin, dass er ver-
mieden hätte, selbst der Initiator der Handlung zu sein, wenn sie seinen
personalen Merkmalen widersprochen hätte. Nun wird ein Unterlassen-
können in diesem Sinn aber offenkundig nicht dadurch ausgeschlossen,
dass die Handlung durch die personalen Merkmale des Akteurs deter-
miniert ist. Folglich lässt das skizzierte Verständnis von Freiheit diejeni-
gen alternativen Möglichkeiten zu, die für Freiheit konstitutiv sind. Da-
mit ist zugleich die Vereinbarkeit menschlicher Freiheit mit dem Zu-
kunftswissen Gottes und seinen deterministischen Voraussetzungen
gewährleistet. Auch wenn Gott unfehlbar weiß, wie jemand handeln
wird, weil er die Gründe kennt, die dieses Handeln determinieren, kann
der Handelnde gleichwohl alternative Möglichkeiten im konditionalen
Sinne haben. Denn um bei anderen personalen Merkmalen nicht aus ei-
gener Initiative zu handeln, muss er nicht fähig sein, die Vergangenheit
und das göttliche Zukunftswissen zu beeinflussen.
§  15  Eine Komplikation 107

§  15  Eine Komplikation

Gegen das vorgeschlagene Verständnis von Freiheit lässt sich Folgendes


einwenden: Auch wenn jemand durch seine personalen Merkmale zu
einer Handlung bestimmt wird und die Handlung im Fall anderer per-
sonaler Merkmale nicht selbst initiieren würde, kann er dennoch fremd-
bestimmt sein. Denn es ist eine weitere, vierte Form von Fremdbestim-
mung denkbar, behauptet der Einwand, die im skizzierten Frei­heits­
verständnis unberücksichtigt blieb. Fremdbestimmt ist ein Akteur
nämlich auch dann, wenn er die personalen Merkmale, die sein Handeln
bestimmen, weder selbst hervorgebracht hat noch beliebig verändern
konnte.
Nehmen wir Luthers Auftritt beim Wormser Reichstag von 1521 als
Beispiel. Auf die Frage des kaiserlichen Orators, ob er seine Irrtümer
widerrufen wolle, antwortete Luther bekanntlich:
»Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift oder einsichtige Vernunftgründe
widerlegt werde [.  .  .], bin ich durch die von mir angeführten Schriftworte be-
zwungen. Und solange mein Gewissen in Gottes Worten gefangen ist, kann und
will ich nichts widerrufen, weil es unsicher ist und die Seligkeit bedroht, etwas
gegen das Gewissen zu tun.«25

Wenn das entwickelte Verständnis von Freiheit zutrifft, war Luthers


Verhalten frei und moralisch zurechenbar. Denn seine Verweigerung des
Widerrufs war durch sein Gewissen determiniert, und zudem hätte er
widerrufen, falls er durch Schriftworte oder Vernunftgründe widerlegt
worden wäre. Inkompatibilisten fordern allerdings mehr. Für Robert
Kane etwa ist Luthers standhafte Weigerung nur dann frei und mora-
lisch zurechenbar, wenn er diejenige Art von Person, die sein Handeln in
Worms bestimmte, durch frühere selbstbestimmte Entscheidungen und
Handlungen geworden ist.26 Damit wird menschliche Freiheit und Ver-
antwortung an eine Bedingung geknüpft, die Luther selbst aus gutem
Grund für unerfüllbar hielt. Um frei und für Handlungen verantwort-
lich zu sein, die durch seinen individuellen Charakter bestimmt werden,
müsste der Handelnde, so glauben Inkompatibilisten, alternative Mög-

25
  Luther, WA, Abt. 1, Bd.  7, Weimar 1897, 838 (Übersetzung nach M. Brecht,
Martin Luther. Sein Weg zur Reformation 1483–1521, Stuttgart 2.   Aufl. 1983,
438 f.).
26
  Vgl. R. Kane, The Significance of Free Will, New York/Oxford 1996, 77 f., so-
wie ders., A Contemporary Introduction to Free Will, New York/Oxford 2005, 82 f.
108 Viertes Kapitel:  Das Wesen der menschlichen Freiheit

lichkeiten in Bezug auf seine handlungsbestimmenden Charakterzüge


besitzen.27 Dies wiederum scheint auf zwei Weisen denkbar zu sein. Ent-
weder hat es irgendwann in seiner Macht gestanden, die handlungsbe-
stimmenden Züge seines Charakters zu erwerben oder nicht zu erwer-
ben, oder er fand diese Charakterzüge zwar vor, hat sie aber akzeptiert,
obgleich er sie hätte ändern können.
Auf den ersten Blick scheint auch die klassische deutsche Philosophie
diese weitergehende Anforderung an menschliche Freiheit und Verant-
wortung gestellt zu haben. Nach Schellings Freiheitsschrift muss das
Wesen einer Person ihr Handeln bestimmen, wenn die Zuschreibung
von Verantwortung berechtigt sein soll. Dieser Umstand allein genügt
indes nicht. Denn wäre das handlungsbestimmende Wesen eine der Per-
son vorgegebene Verfassung, dann könnte sie für die Handlungen, die
daraus entspringen, nicht verantwortlich sein. Verantwortlich ist sie
vielmehr nur dann, wenn ihr Wesen durch eine Tat zustande kommt.
Schelling schreibt:
»Wäre jenes Wesen ein todtes Seyn und in Ansehung des Menschen ein ihm bloß
gegebenes, so wäre, da die Handlung aus ihm nur mit Nothwendigkeit folgen
kann, die Zurechnungsfähigkeit und alle Freiheit aufgehoben. Aber eben jene
innere Nothwendigkeit ist selber die Freiheit, das Wesen des Menschen ist we-
sentlich seine eigne That«.28

Schelling versteht diese intelligible Tat, die auch Kant und Schopenhau-
er29 postuliert haben, freilich nicht als einen bewussten und vom Wesen
der Person bestimmten Akt. Weil sie nämlich das Bewusstsein und We-
sen erst konstituiert, muss sie beidem vorangehen.30 Mit einer intelligi­
blen Tat in diesem Sinne ist deshalb, so könnte man meinen, in moralphi-
losophischer Hinsicht nichts gewonnen. Denn wie kann eine Tat, die

27
  Vgl. z. B. Chisholm, »Human Freedom and the Self«, 25; Th. Nagel, The View
from Nowhere, New York/Oxford 1986, 118 f., 123, 126; G. Strawson, »Conscious-
ness, Free Will, and the Unimportance of Determinism«, Inquiry 32 (1989), 3–27,
hier: 10; ders., »The Bounds of Freedom«, in: R. Kane (ed.), The Oxford Handbook
of Free Will, Oxford/New York 2002, 441–460, hier: 453–458.
28
 Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen
Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände (= Freiheitsschrift), SW
VII, 385.
29
  Vgl. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, A 175 (Werke 6, 223); ders., Die
Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, B 6 f., 48 (Werke 7, 667 und
694); Schopenhauer, Preisschrift über die Freiheit des Willens, Werke VI, 131–139.
30
  Vgl. Schelling, Freiheitsschrift, SW VII, 386, und ders., Philosophie der Mytho­
logie, SW XI, 462.
§  15  Eine Komplikation 109

dem Wesen der Person vorhergeht und ihr mithin nicht zurechenbar ist,
die Verantwortung für Handlungen begründen, die aus diesem Wesen
folgen?
Neuere Freiheitstheoretiker scheinen daher mit Recht höhere Ansprü-
che zu stellen: Damit ein Handelnder frei und für sein Handeln verant-
wortlich ist, scheint es von ihm selbst abhängen zu müssen, welchen
handlungsbestimmenden Charakter er besitzt. Dieser Charakter müsste
deshalb seinerseits durch selbstbestimmtes Handeln entweder hervorge-
bracht oder zumindest in beliebigem Grade veränderbar sein. Wie leicht
einzusehen ist, liegt aber weder das eine noch das andere im Bereich des
Möglichen. Im ersten Fall wird unterstellt, der Akteur habe seinen hand-
lungsbestimmenden Charakter durch selbstbestimmtes Handeln erwor-
ben. Dieses charakterbestimmende Handeln könnte aber nur dann
selbstbestimmt sein, wenn der Handelnde einen Charakter zweiter Ord-
nung besäße, durch den es bestimmt würde. Denn anderenfalls wäre es
entweder fremdbestimmt oder zufällig. Nun müsste der Charakter zwei-
ter Ordnung seinerseits durch selbstbestimmtes Handeln zustande kom-
men, wenn sich das Ausgangsproblem nicht erneut einstellen soll. Daher
wäre ein Charakter dritter Ordnung erforderlich, der dem Handelnden
ebenfalls nicht vorgegeben sein dürfte. Kurzum: Die Annahme, der
Handelnde habe seinen handlungsbestimmenden Charakter selbstbe-
stimmt hervorgebracht, führt in einen Regress. Dasselbe gilt im zweiten
Fall, in dem der Akteur diesen Charakter zwar vorfindet, ihn aber
gleichsam »von außen« betrachtet und in selbstbestimmter Weise entwe-
der bestätigt oder in beliebigem Maß verändert. Kant etwa rechnet, weil
er vom Sollen auf das Können schließt, mit der Möglichkeit einer Ge­
sinnungsrevolution, in der ein Mensch »den obersten Grund seiner Ma-
ximen, wodurch er ein böser Mensch war, durch eine einzige unwan­
delbare Entschließung umkehrt (und hiermit einen neuen Menschen
anzieht)«.31 Nun kann die Umkehrung des handlungsbestimmenden
Charakters aber nur dann selbstbestimmt sein, wenn der Akteur wie-
derum einen Charakter höherer Ordnung besitzt, durch den er bestimmt
wird. Daher führt auch der zweite Fall in einen Regress. Dieser Regress
ließe sich nur dann vermeiden, wenn der Mensch wäre, was er nicht sein
kann: eine causa sui. In Jenseits von Gut und Böse bemerkt Nietzsche:

31
 Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, B 54 f. (Werke
7, 698).
110 Viertes Kapitel:  Das Wesen der menschlichen Freiheit

»Die causa sui ist der beste Selbst-Widerspruch, der bisher ausgedacht worden
ist, eine Art logische Nothzucht und Unnatur: aber der ausschweifende Stolz
des Menschen hat es dahin gebracht, sich tief und schrecklich gerade mit diesem
Unsinn zu verstricken. Das Verlangen nach ›Freiheit des Willens‹, in jenem me-
taphysischen Superlativ-Verstande, wie er leider noch immer in den Köpfen der
Halb-Unterrichteten herrscht, das Verlangen, die ganze und letzte Verantwor-
tung für seine Handlungen selbst zu tragen und Gott, Welt, Vorfahren, Zufall,
Gesellschaft davon zu entlasten, ist nämlich nichts Geringeres, als eben jene
causa sui zu sein und, mit einer mehr als Münchhausen’schen Verwegenheit, sich
selbst aus dem Sumpf des Nichts an den Haaren in’s Dasein zu ziehn.«32

Halten wir zweierlei fest: Erstens kann der Mensch seinen handlungsbe-
stimmenden Charakter weder selbstbestimmt hervorbringen noch in
selbstbestimmter Weise bestätigen oder beliebig umwandeln. Folglich
könnte er zweitens keine Freiheit besitzen, falls Freiheit an eine der bei-
den Möglichkeiten gebunden wäre. Für Theoretiker, die diese Verbin-
dung herstellen und Selbstverursachung allenfalls Gott zuschreiben, ist
menschliche Freiheit und Verantwortung deshalb unmöglich. Das klas-
sische Beispiel dieses freiheitstheoretischen Impossibilismus, den gegen-
wärtig z. B. Thomas Nagel und Galen Strawson vertreten,33 ist Spinoza.
Nach Spinoza wird dasjenige frei genannt, »das nur aus der Notwendig-
keit seiner eigenen Natur heraus existiert und nur durch sich selbst zum
Handeln bestimmt wird«.34 Frei in diesem Sinne ist aber ausschließlich
die all-eine, göttliche Substanz,35 welche die immanente Ursache aller
anderen Dinge ist. Der Mensch dagegen ist unfrei, weil er keine selbstge-
nügsame Substanz, sondern nur deren Folge ist. Er verdankt seine Exis-
tenz nicht sich selbst und wird in seinem Wirken durch von außen er-
regte Affekte bestimmt.36

32
 F. Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zu­
kunft, KSA V, 35.
33
  Vgl. Nagel, The View from Nowhere, 113–124; Strawson, »The Bounds of Free-
dom«, 441–460.
34
 Spinoza, Ethik, I, Def. 7.
35
  Vgl. ebd., I, Lehrsatz 17, Zusatz 2.
36
  Vgl. ebd., I, Lehrsatz 28 und 32 sowie II, Lehrsatz 49 Anm.  und III, Lehrsatz 2
Anm.
§  16  Ehrliche Lutheraner 111

§  16  Ehrliche Lutheraner

In seinem berühmten Gespräch mit Jacobi hat sich Lessing zur Position
Spinozas bekannt und sie mit der lutherischen verknüpft. Auf Jacobis
emphatische Verteidigung der Willensfreiheit antwortet er ironisch:
»Sie drücken sich beinah so herzhaft aus, wie der Reichstagsschluß zu Augs-
burg; aber ich bleibe ein ehrlicher Lutheraner, und behalte ›den mehr viehischen
als menschlichen Irrtum und Gotteslästerung, daß kein freier Will sei,‹ worein
der helle reine Kopf Ihres Spinoza sich doch auch zu finden wußte.«37

Müssen Lutheraner, wenn sie konsequent sind, demnach einen Impossi-


bilismus vertreten und die Möglichkeit menschlicher Freiheit und Ver-
antwortung bestreiten? Orientieren wir uns bei der Beantwortung dieser
Frage an Luthers De servo arbitrio. Nach Luther besitzt allein Gott einen
freien Willen im strikten Sinn; denn nur er ist in jeder Hinsicht durch
sich selbst bestimmt und weder in seinem Sein durch andere Mächte be-
dingt noch in seinem Wollen und Handeln durch sie beschränkt.38 Dem
Menschen diesen freien Willen zuzuschreiben, hieße deshalb, ihm »die
Gottheit selbst beizulegen, eine Gotteslästerung, wie sie größer nicht
sein kann.«39 Damit soll nun keineswegs die Fähigkeit des Menschen be-
stritten werden, in dem Bereich, der ihm unterstellt ist,40 Handlungsal-
ternativen zu unterscheiden und zwischen ihnen zu wählen.41 Freiheit in
diesem begrenzten Sinne erhebt ihn nach Luther vielmehr über das Tier,
begründet seine geschöpfliche Sonderstellung und macht ihn tauglich,
vom Geist Gottes ergriffen zu werden.42 Sie besteht allerdings nicht in
dem Vermögen und Vorrecht des Menschen, grundlose und unverständ-
liche Entscheidungen zu treffen, was ihn nicht eben auf günstige Weise
vom Esel Buridans unterschiede. Denn freie Entscheidungen gründen
nach Luther im Charakter und den Motiven des Handelnden, die ihrer-
seits vom Willen Gottes abhängen.43 Zwar kann der Mensch über den

37
  F. H. Jacobi, Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Men­
delssohn. Auf der Grundlage der Ausgabe von K. Hammacher und I.-M. Piske bear-
beitet von M. Lauschke, Darmstadt 2000, 34.
38
  Vgl. Luther, De servo arbitrio, WA, Abt.  1, Bd.  18, 617, 636 f., 662, 664, 712.
39
  Ebd., 636, Zeile 31 f.
40
  Vgl. ebd., 638, 672, 781.
41
  Vgl. ebd., 664 f., 776, 780.
42
  Vgl. ebd., 636, 780.
43
  Vgl. Luthers Deutung der Weigerung Pharaos, das Volk Israel ziehen zu lassen,
ebd., 710–714.
112 Viertes Kapitel:  Das Wesen der menschlichen Freiheit

Gebrauch seines Geldes und über manches andere frei entscheiden, aber
auch diese Entscheidungen werden, wie Luther ausdrücklich hinzusetzt,
»durch den freien Willen Gottes allein gelenkt, wohin auch immer es ihm
gefallen mag.«44 Bezogen auf die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit,
die dem Menschen in einem begrenzten Bereich eingeräumt ist, vertritt
Luther also eine kompatibilistische Position.
Damit ist die Frage, ob ehrliche Lutheraner dem Menschen Verant-
wortung zuschreiben können, allerdings nicht beantwortet. Denn in
entscheidender Hinsicht besitzt der Mensch nach Luther eben keinen
freien Willen. Zwar werden seine Handlungen oft durch seinen Willen
bestimmt, aber dieser Wille ist in zweifacher Weise seiner selbst nicht
mächtig. Erstens ist seine Grundorientierung, sein sittlicher Charakter,
kein Resultat seiner freien Wahl, sondern immer schon entschieden. Lu-
ther vergleicht den menschlichen Willen deshalb mit einem Lasttier, das
entweder von Gott oder vom Satan geritten wird.45 Nach dem Sündenfall
ist der Wille in allem, was er im Einzelnen will, unwillkürlich durch die
Abkehr von Gott und die Selbstliebe bestimmt. Dies folgt nach Luther
aus dem Erlösungswerk Christi. Denn wenn der menschliche Wille sei-
nen sittlichen Charakter selbst wählen könnte und daher grundsätzlich
jenseits von Gut und Böse stünde, wäre er gar nicht erlösungsbedürftig.46
Zweitens fehlt dem menschlichen Willen die Macht, den sittlichen Cha-
rakter zu verändern, in dem er sich vorfindet und der allen einzelnen
Willensakten zugrunde liegt. Von der Selbstsucht, die ihn nach dem
Sündenfall unwillkürlich bestimmt, kann er nur dadurch befreit werden,
dass Gott seinen Geist verleiht. Wenn das geschieht, ist er wiederum au-
ßerstande, die Grundrichtung seiner Tätigkeit umzukehren. Weder der
Wille des gottverlassenen noch der des geisterfüllten Menschen ist also
nach Luther fähig, seinen sittlichen Charakter zu verändern.47 Aber muss
die Möglichkeit nicht zumindest im Fall der Umwandlung vom Bösen
ins Gute bestehen, weil sonst das moralische Gesetz, durch das sie gefor-
dert ist, sinnlos wäre? Mit Berufung auf Paulus bestreitet Luther zu
Recht diesen Schluss vom Sollen aufs Können, den Erasmus und später

44
  Ebd., 638, Zeile 8 f.
45
  Vgl. ebd., 635.
46
  Vgl. ebd., 779 f.
47
  Vgl. ebd., 634 f. Das trifft nach Luther auch auf Adam vor dem Fall zu, vgl. F.
Hermanni, »Luther oder Erasmus. Der Streit um die Freiheit des menschlichen Wil-
lens«, in: F. Hermanni/P. Koslowski (Hgg.), Der freie und der unfreie Wille. Philo­
sophische und theologische Perspektiven, München 2004, 165–187, hier: 170.
§  16  Ehrliche Lutheraner 113

Kant gezogen haben. Denn das Gesetz hat auch dann einen Sinn, wenn
es dem Menschen kein Können anzeigt, sondern eine Unfähigkeit
erschließt, die ihm ansonsten verborgen bliebe, und damit die Notwen-
digkeit der Gnade offenbart.48 Zudem ist es, nach Kants eigenem Ein­
geständnis, für uns unbegreiflich, wie ein im Grunde seiner Maximen
verdorbener Mensch seine sittliche Selbstbesserung zustande bringen
kann.49
Nach Luther kann der Mensch also die Grundrichtung seines Wol-
lens, seinen sittlichen Charakter, weder wählen noch zum Guten um-
wenden. Denn wäre er dazu fähig, dann hinge es nicht ausschließlich von
göttlicher Gnade ab, ob er dem Bösen entrinnt. Die Lehre vom unfreien
Willen, die sich oben schon aus anderen Gründen nahelegte, ist für Lu-
ther unverzichtbar, weil sie aus dem »sola gratia« notwendig folgt.
Nun scheint diese Lehre aber Konsequenzen zu haben, die schwer an-
nehmbar sind. Wie kann der Mensch, wenn er in Bezug auf seinen sitt-
lichen Charakter keine alternativen Möglichkeiten besitzt, für Hand-
lungen verantwortlich sein, die durch diesen Charakter bestimmt sind?
Und wie kann Gott gut und gerecht sein, wenn er Menschen dennoch
für ihre Sünden zur Verantwortung zieht? Diese Fragen gehören nach
Luther zu den undurchdringlichen Rätseln, die sich erst im Lichte der
Herrlichkeit auflösen.50 So lange wollten die meisten evangelischen Theo­
logen freilich nicht warten. Um die Verantwortung des Menschen zu
begreifen, meinten sie, mit Luthers Lehre von der Unfreiheit des Willens
und der Alleinwirksamkeit der Gnade brechen zu müssen.51 Muss ein
ehrlicher Lutheraner demnach umgekehrt die Denkbarkeit menschlicher
Verantwortung preisgeben und sich wie Lessing zum Spinozismus be-
kennen?
Dazu wäre er verpflichtet, wenn die Verantwortung für Handlun-
gen voraussetzen würde, dass der Handelnde seinen handlungsbestim­
men­den Charakter wählen oder über dessen Umwandlung entscheiden

48
  Vgl. Luther, De servo arbitrio, WA, Abt. 1, Bd.  18, 673–683.
49
  Vgl. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, B 49 f., 54,
59 f. (Werke 7, 695, 698, 702).
50
  Vgl. Luther, De servo arbitrio, WA, Abt. 1, Bd.  18, 784 f.
51
  Schon Melanchthon hat dem Menschen die Freiheit zugeschrieben, das allge-
meine Gnadenangebot Gottes annehmen oder ablehnen zu können, vgl. Ph. Me-
lanchthon, Loci praecipui theologici von 1559, in: Melanchthons Werke in Auswahl,
hrsg. von R. Stupperich, II. Bd., 1. Teil, Gütersloh 1952, 236–252 (De humanis viri-
bus seu de libero arbitrio); II. Bd., 2. Teil, Gütersloh 1953, 592–602 (De praedestina-
tione).
114 Viertes Kapitel:  Das Wesen der menschlichen Freiheit

könnte. Wer diese unerfüllbare Bedingung aufstellt, übersieht indes die


subjektive und möglicherweise auch objektive Unhintergehbarkeit des
Selbst. Ich kann den Kernbestand meines eigenen Selbst nicht als etwas
von mir Unterscheidbares betrachten, das auch ganz anders sein könnte
und auf das mich eine fremde Macht festgelegt hätte. Denn diese
Betrachtung beruht auf der selbstwidersprüchlichen Vorstellung, ich
könnte ein anderer sein und im Kern dennoch ich selbst bleiben. Gewiss
kann ich bestimmte Züge an mir selbst als äußerlich und fremd erfahren.
Doch diese Erfahrung ist nur auf dem Hintergrund anderer Züge mög-
lich, die mir unmittelbar vertraut sind und in unveräußerlicher Weise zu
mir selbst gehören. Auch wenn das, was mich ausmacht, durch vorausge-
hende genetische und soziale Faktoren bestimmt ist, kann ich es nicht
sinnvollerweise als etwas mir Aufgezwungenes verstehen. Denn es gibt
nichts, dem es aufgenötigt sein könnte. In diesem Sinn ist das Wesen des
Menschen allerdings, wie Schelling sich ausdrückt, »seine eigne That«.52
Daher rechnen sich Menschen ihre charakterbestimmten Handlungen
zu, obgleich sie ihren handlungsbestimmenden Charakter weder wählen
noch umwandeln können.
Aber das tun sie, mag man einwenden, zu Unrecht. In objektiver Hin-
sicht ist der Charakter nämlich sehr wohl hintergehbar, wenn er durch
die Vergangenheit der Welt und die Naturgesetze determiniert ist. In-
nerhalb einer deterministisch verfassten Welt können Menschen folglich
selbst für ihre charakterbestimmten Handlungen unmöglich verant-
wortlich sein.
Dieser Schluss ist indes vorschnell, und zwar aus folgendem Grund:
Angenommen, zwischen einem früheren Zustand der Welt und einem
späteren Weltzustand, der Personen einschließt, besteht wirklich ein De-
terminationszusammenhang. Was aber hieße das? Es hieße lediglich,
dass beide in einer Weise aufeinander abgestimmt sind, die es ermög­-
licht, von jedem der beiden auf den jeweils anderen zu schließen. Damit
bleibt offen, welcher der beiden sich gegebenenfalls am anderen ausrich-
tet; denn Determinationsverhältnisse sind symmetrische Ableitungsbe-
ziehungen zwischen Begriffen und deshalb nicht mit asymmetrischen
Kausalverhältnissen identisch.53 Nun ist es denkbar, dass Gott im Ent-

52
 Schelling, Freiheitsschrift, SW VII, 385.
53
  Im Kontext der Freiheitsdebatte haben Th. Buchheim, Unser Verlangen nach
Freiheit. Kein Traum, sondern Drama mit Zukunft, Hamburg 2006, 75 f., und A. F.
Koch, Wahrheit, Zeit und Freiheit. Einführung in eine philosophische Theorie, Pa-
derborn 2006, 155, jüngst auf diesen Unterschied hingewiesen.
§  16  Ehrliche Lutheraner 115

wurf der möglichen Welt, zu der wir gehören, den früheren Weltzustand
an den späteren und speziell an den Charakter der Personen angepasst
hat, die im späteren eingeschlossen sind. Der Determinationszusam-
menhang zwischen beiden hätte dann, wie der christliche Schöpfungs-
glaube annimmt, eine teleologische Ausrichtung. In diesem Fall aber
wären wir berechtigt, uns als verantwortliche Akteure zu verstehen, ob-
gleich sich im Prinzip zeigen ließe, dass wir unter der Voraussetzung des
früheren Weltzustandes und der Naturgesetze genau die Personen mit
den Charakteren werden mussten, die wir geworden sind. Denn in der
möglichen Welt, die Gott verwirklicht hat, wären wir es immer schon
gewesen, und zwar in einer nun auch objektiv unhintergehbaren Weise.
So gesehen, behalten die libertarischen Freiheitstheorien, die auch end-
lichen Personen ein Vermögen absoluter Spontaneität zuschreiben, eine
gewisse Berechtigung. Libertarier sollten allerdings einräumen, dass
diese Personen keine weltlosen Subjekte sind, die gleichsam »von außen«
auf die Welt einwirken können. Vielmehr sind sie, um einen anderen ehr-
lichen Lutheraner zu zitieren, Spiegel der Welt, in der sie leben.54 Und
Miltons Engel? Wenn sie glauben, es sei notwendig, ein Gott zu sein, um
schuldig zu werden, sind sie in der Tat »in wand’ring mazes lost«.

  Vgl. Leibniz, Monadologie, §§  56, 57 (GP 6, 616).


54
Fünftes Kapitel

Das Theodizeeproblem

Keine andere Erfahrung hat die Überzeugung, dass ein allmächtiger, all-
wissender und vollkommen guter Schöpfergott existiert, in ähnlich radi-
kaler Weise in Frage gestellt wie die Erfahrung des Schlechten in der
Welt. In klassischer Weise wurde die Schwierigkeit, vor der der Theis-
mus angesichts der Übel steht, bereits von Epikur formuliert:
»Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht, oder er kann es und
will es nicht, oder er kann es nicht und will es nicht, oder er kann es und will es.
Wenn er nun will und nicht kann, so ist er schwach, was auf Gott nicht zutrifft.
Wenn er kann und nicht will, dann ist er mißgünstig, was ebenfalls Gott fremd
ist. Wenn er nicht will und nicht kann, dann ist er sowohl mißgünstig wie auch
schwach und dann auch nicht Gott. Wenn er aber will und kann, was allein sich
für Gott ziemt, woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht
weg?«1

Zu dieser Frage werde ich im Folgenden einen Antwortvorschlag ma-


chen, der zwischen zwei Teilen des Theodizeeproblems, einem logischen
und einem empirischen Teil, unterscheidet. Das logische Theodizee-
problem ist, so meine ich, im theistischen Sinne lösbar, und zwar durch
eine Konzeption, die man als No-Better-World-Defense bezeichnen
kann. Anders steht es mit dem empirischen Theodizeeproblem: Aus
prinzipiellen erkenntnistheoretischen Gründen ist es weder im theisti-
schen noch im theismuskritischen Sinne lösbar und muss deshalb offen-
bleiben.

1
 Epikur, Von der Überwindung der Furcht. Katechismus, Lehrbriefe, Spruch­
sammlung, Fragmente, übersetzt und mit einer Einführung und Erläuterungen ver-
sehen von O. Gigon, München 1991, 136.
§  17  Die Unvereinbarkeitsthese und ihre Kritik 117

§  17  Die Unvereinbarkeitsthese und ihre Kritik

Das logische Theodizeeproblem ist ein Problem der Vereinbarkeit zwi-


schen verschiedenen Annahmen. Es besteht darin, ob die drei folgenden
Annahmen zugleich wahr sein können:
(1) Es gibt Übel in der Welt.
(2) Gott existiert, und er ist vollkommen gut.
(3) Gott existiert, und er ist allmächtig und allwissend.
Das Problem stellt sich in verschiedenen Versionen, weil mehrere Arten
von Übeln zu unterscheiden sind, welche die vollkommene Güte und
Allmacht Gottes in Frage zu stellen scheinen. Die erste Art des Übels ist
dasjenige, was getan wird, mithin das Böse oder die Sünde (malum mo-
rale), während die zweite Art in demjenigen Übel besteht, das einem
widerfährt, also in Leiden und Schmerz (malum physicum). Damit sind
die Arten der Übel freilich noch nicht erschöpft, denn zwischen dem
Handeln und dem Widerfahren kann ein Missverhältnis bestehen, das
ein Übel eigener Art bildet. Diese dritte Art des Übels besteht in der
Störung des angemessenen Zusammenhangs zwischen Tun und Ergehen
und umfasst das Wohlergehen des Bösen und das üble Ergehen des
Schuldlosen. Das Hiobbuch konzentriert sich am Beispiel seines Titel-
helden auf diese dritte Art des Übels und damit auf eine besondere Form
des Theodizeeproblems, auf die Frage nämlich, ob und gegebenenfalls
auf welche Weise das Leiden eines Unschuldigen mit der vollkommenen
Güte eines Gottes vereinbar ist, der die Macht besitzt, dieses Übel zu
verhindern. Die Faszination des Hiobbuches besteht nicht zuletzt darin,
dass fast alle Möglichkeiten, mit dem Theodizeeproblem umzugehen,
durchgespielt werden.

1.  Versionen der Unvereinbarkeitsthese


Worin bestehen diese Möglichkeiten? Grundsätzlich sind zwei Positi-
onen, eine kompatibilistische und eine inkompatibilistische denkbar,
die beide in unterschiedlichen Versionen vertreten werden können.
Kompatibilisten sind der Meinung, dass die Existenz der Übel und die
eines allmächtigen, allwissenden und vollkommen guten Gottes sich
nicht gegenseitig ausschließen. Inkompatibilisten hingegen, zu denen
sowohl Hiob als auch seine Freunde gehören, nehmen das Gegenteil an
und müssen deshalb schließen, dass mindestens eine der Annahmen (1)
118 Fünftes Kapitel:  Das Theodizeeproblem

bis (3) falsch ist. Aber auf welche der Annahmen sollte verzichtet wer-
den?
Die Preisgabe der Annahme (1) kommt nicht in Frage, weil die gene-
relle Leugnung von Übeln in der Welt aus folgendem Grund unhaltbar
ist: Wenn es in Wahrheit gar keine Übel gäbe, würden sich die meisten
von uns täuschen, weil sie glauben, es gäbe welche. Nun ist aber auch die
Täuschung ein Übel, ein Erkenntnis-Übel nämlich. Demnach sind ent-
weder die Tatbestände, die wir üblicherweise für Übel halten, tatsächlich
Übel oder es ist ein Übel, sie dafür zu halten. Folglich lässt sich die Exis-
tenz von Übeln, mithin die Wahrheit der Annahme (1), nicht ohne Wi-
derspruch bestreiten.2
Wer behauptet, die Annahmen (1) bis (3) seien unvereinbar, muss des-
halb entweder auf die Annahme (2) oder (3) oder auf beide verzichten.
Besonders in den beiden vergangenen Jahrhunderten hat man häufig die
letztere, also atheistische Konsequenz gezogen. »Die einzige Entschul-
digung Gottes ist, daß er nicht existiert«, heißt jenes Bonmot Stendhals,
um das ihn Nietzsche beneidete.3 Dasselbe kommt in Georg Büchners
Drama Dantons Tod zum Ausdruck:
»Schafft das Unvollkommne weg, dann allein könnt ihr Gott demonstrieren,
Spinoza hat es versucht. Man kann das Böse leugnen, aber nicht den Schmerz;
nur der Verstand kann Gott beweisen, das Gefühl empört sich dagegen. Merke
dir es, Anaxagoras, warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das leises-
te Zucken des Schmerzes und rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riß
in der Schöpfung von oben bis unten.«4

2
  Ähnlich hat bereits Augustin argumentiert: Zweifellos fürchten wir uns und
dasjenige, was wir fürchten, ist ein Übel. Angenommen, es gibt gar keine Übel, dann
hat unsere Furcht, die als Tatsache nicht zu bestreiten ist, gar keinen Grund. Eine
grundlose Furcht aber wäre sinnlos und damit selbst ein Übel. »Entweder also ist da
ein Übel, das wir fürchten, oder das schon ist ein Übel, daß wir uns fürchten.« (A.
Augustinus, Confessionum libri XIII, in: Sancti Aureli Augustini Opera 1/1, hrsg.
von P. Knöll [CSEL 33], Prag/Wien/Leipzig 1896 [= Conf.], VII 5, 7; Übersetzung
nach A. Augustinus, Confessiones – Bekenntnisse, lat.-dt., eingeleitet, übersetzt und
erläutert von J. Bernhart, München 4.  Aufl. 1980, 315).
3
  Vgl. F. Nietzsche, Ecce homo, »Warum ich so klug bin«, 3 (KSA 6, 286). Das
Bonmot lässt sich in Stendhals Werken m.W. nicht nachweisen, vermutlich handelt es
sich um eine mündliche Äußerung. Nietzsche kannte es offenbar aus P. Alberts Buch
über die französische Literatur des 19. Jahrhunderts, vgl. P. D’Iorio, »Beiträge zur
Quellenforschung«, Nietzsche-Studien 21 (1992), 398–400, hier: 400.
4
  G. Büchner, Dantons Tod. Ein Drama, in: ders., Werke in einem Band, Dort-
mund 1982, 7–68, hier: 44. Vgl. auch das berühmte Kapitel »Die Auflehnung«, in:
F. M. Dostojewskij, Die Brüder Karamasow, aus dem Russischen übertragen von H.
§  17  Die Unvereinbarkeitsthese und ihre Kritik 119

Natürlich ist die atheistische Bestreitung der Existenz Gottes nicht die
einzig mögliche Konsequenz aus der unterstellten Unvereinbarkeit der
Annahmen (1) bis (3), denn diese Unvereinbarkeit besagt lediglich, dass
eine der Annahmen falsch sein muss. Da die Preisgabe der Annahme (1)
nicht in Frage kommt, bleiben zwei Positionen übrig, die zwar beide den
Theismus ablehnen, zugleich aber den Atheismus unterlaufen, nämlich
die Einschränkung der göttlichen Güte oder der göttlichen Macht. Ent-
weder hält man an der Allmacht Gottes fest, dann können Liebe und
Güte allenfalls eine Seite Gottes sein, neben der es noch eine andere,
dunkle Seite gibt.5 Oder man hält an der vollkommenen Güte Gottes
fest, dann kann er keine grenzenlose Macht besitzen. Im ersten Fall muss
man einen internen Dualismus zwischen der Potenz der Güte und einer
anderen ihr in Gott gegenüberstehenden Potenz in Kauf nehmen. Im
Grenzfall wird der Grund der Welt sogar zu einem moralisch indiffe-
renten Wesen wie bei Spinoza oder – wie bei Schopenhauer – zu einer
Art allmächtigem Teufel. Im zweiten Fall, der Entmächtigung Gottes,
muss man einen externen Dualismus zwischen Gott und einer außer ihm
bestehenden Macht annehmen, im Grenzfall sogar die völlige Ohnmacht
Gottes.
Beide Varianten des Dualismus können auf eine lange Tradition zu-
rückblicken, und ihre »Lösung« des Theodizeeproblems gleicht der rabi-
aten Therapie, Kopfschmerzen durch Abschlagen des Kopfes zu »hei-
len«. Ein interner Dualismus, der Gottes Güte einschränkt oder bestrei-
tet, wird beispielsweise von Hiob im Dialog mit seinen Freunden
vertreten. Aus der Tatsache seines unschuldigen Leidens schließt Hiob
nicht auf die Ohnmacht oder die Nichtexistenz Gottes, sondern auf sei-
ne Ungerechtigkeit und Grausamkeit. 6 »Den Schuldlosen und den Schul-
digen«, so klagt er, »bringt er [Gott] (gleichermaßen) um. Wenn die Gei-
ßel plötzlich tötet, spottet er über die Verzweiflung der Unschuldigen.
Die Erde ist in die Hand eines Frevlers gegeben.« (Hi 9, 22 ff.) Diese und

Ruoff/R. Hoffmann, Zürich 1974, 319–332 (Buch 5, Kap.  4), sowie A. Camus, Der
Mensch in der Revolte. Essays, Reinbek bei Hamburg 1969, 22 ff.
5
  Vgl. W. Dietrich/Chr. Link, Die dunklen Seiten Gottes, Bd.  1: Willkür und Ge­
walt, Neukirchen-Vluyn 4.  Aufl. 2002; Bd.  2: Allmacht und Ohnmacht, Neukir-
chen-Vluyn 2000.
6
 Vgl. H. Spieckermann, »Die Satanisierung Gottes. Zur inneren Konkordanz
von Novelle, Dialog und Gottesreden im Hiobbuch«, in: I. Kottsieper/J. van Oor-
schot/D. Römheld/H. M. Wahl (Hgg.), ›Wer ist wie du, Herr, unter den Göttern?‹
Studien zur Theologie und Religionsgeschichte Israels, FS für O. Kaiser, Göttingen
1994, 431–444.
120 Fünftes Kapitel:  Das Theodizeeproblem

andere Stellen, an denen Gott als Despot erscheint, der sich willkürlich
über das Recht hinwegsetzt, oder gar als grausamer, im menschlichen
Leid sich austobender Sadist (vgl. Hi 16, 9–14), haben freilich nicht nur
behauptenden, sondern auch auffordernden Sinn. Sie sollen Gott offen-
bar bis aufs Äußerste provozieren, sich womöglich doch noch als gut
und gerecht zu erweisen. Zu einem internen Dualismus tendiert auch die
Theologie des späten Augustin; denn dort kehrt der zuvor verworfene
extern-manichäische Dualismus intern in der Gestalt der unbegreif-
lichen absoluten Souveränität zurück, mit welcher der verborgene Gott
einige zum Heil und die meisten zum Unheil prädestiniert. Eine Ein-
schränkung der Güte Gottes liegt ebenso in der Annahme des spätmit-
telalterlichen Voluntarismus, der göttliche Wille sei nicht an die Gesetze
des Guten und Gerechten gebunden, in Luthers Unterscheidung zwi-
schen Deus absconditus und Deus revelatus und in Böhmes Spekulation
über eine Grimmschicht in Gott. Böhmes Lehre ist später in Schellings
Unterscheidung zwischen Gott selbst und dem Grund in Gott sowie in
Heideggers Rede von jenem strittigen Sein eingegangen, in dem gleicher-
maßen »das Heile und das Grimmige [.  .  .] wesen«.7
Ebenso wie der interne Dualismus in Gott hat auch der externe Dua­
lismus zwischen Gott und anderen Mächten eine lange Tradition. Solche
Konzepte finden sich antik und mittelalterlich bei Empedokles, bei Pla-
ton, im Manichäismus, in der Apokalyptik, in der Gnosis und in der
Kabbala. Neuzeitlich wird der externe Dualismus im französischen
Sprachraum von P. Bayle erwogen, nach dem Erdbeben von Lissabon
von Voltaire als einzig mögliche »Lösung« des Theodizeeproblems ver-
treten und von Rousseau – nach anfänglicher Ablehnung – in seiner Leh-
re von der ewigen Koexistenz zwischen einem göttlich-aktiven und
einem materiell-passiven Prinzip aufgenommen. Im englischen Sprach-
raum hat J. St. Mill8 eine partielle Entmächtigung Gottes vorgeschlagen,
die dann bei W. James9 gegen den pantheistischen Monismus der schot-
tischen Idealisten gewendet wird.

7
  M. Heidegger, Über den Humanismus, Frankfurt a. M. 8.  Aufl. 1981, 49.
8
  Vgl. J. St. Mill, »Die Nützlichkeit der Religion«, in: ders., Drei Essays über Re­
ligion. Natur – Die Nützlichkeit der Religion – Theismus, auf der Grundlage der
Übersetzung von E. Lehmann, neu bearbeitet und mit Anmerkungen und einem
Nachwort versehen von D. Birnbacher, Stuttgart 1984, 63–107, besonders 102 f.
9
  Vgl. W. James, The Varieties of Religious Experience. A Study in Human Nature,
London/New York/Bombay/Calcutta 1912, 131 f.
§  17  Die Unvereinbarkeitsthese und ihre Kritik 121

In den ideengeschichtlichen Zusammenhang der Entmächtigung Got-


tes gehört auch die Lehre vom leidenden Gott, die von der theologischen
Tradition als Irrlehre zurückgewiesen wurde, seit dem 19. Jahrhundert
aber eine erstaunliche Karriere gemacht hat und in der protestantischen
Theologie des 20. Jahrhunderts fast zu einer neuen Orthodoxie gewor-
den ist. Im Hiobbuch dagegen kommt die Annahme einer Macht, die
Gott gegenübersteht und die göttliche Macht beschränkt, an keiner Stel-
le in Betracht. Weder Hiob und seine Freunde noch Gott selbst bestrei-
ten, dass Gott der letzte Urheber von Hiobs Leiden ist und fähig gewe-
sen wäre, es zu verhindern. Auch in der Rahmenerzählung wird kein
externer Dualismus erwogen. Der Satan, mit dem Gott wettet, ist kein
»prä-manichäischer Gegenspieler Gottes«, sondern lediglich eine »Prü-
fungsinstanz in Gottes Auftrag«.10 Die aktive Rolle, die der Satan im Fall
Hiob spielt, entlastet den Herrn deshalb nicht im Geringsten von seiner
Verantwortung für Hiobs Unglück. Ebenso wenig zielt die bekannte
Passage, in der Gott gegen Gott angerufen wird (Hi 19, 25 ff.), auf einen
äußeren Dualismus zwischen Schöpfer- und Erlösergott, wie Ernst
Bloch gemeint hat.11 Die Pointe besteht vielmehr darin, dass der Gott, an
den sich Hiob als Löser und Anwalt wendet, derselbe ist, auf den sein
Unglück zurückgeht.

2.  Kritik der Unvereinbarkeitsthese und Lösungsaussicht


Die bisher betrachteten »Lösungen« des Theodizeeproblems setzen vor-
aus, dass die Existenz der Übel und die Existenz eines zugleich allmäch-
tigen und vollkommen guten Gottes sich gegenseitig ausschließen. Trifft
diese gemeinsame Voraussetzung zu? Theismuskritiker begründen die
Unvereinbarkeit der Annahmen (1) bis (3) durch folgende Zusatzannah-
men, in denen die Allmacht Gottes und seine vollkommene Güte näher
bestimmt werden:
(4) Ein vollkommen guter Gott würde jedes Übel verhindern, das er
verhindern könnte.

10
  J. Ebach, »Die Welt, ›in der Erlösung nicht vorweggenommen werden kann‹ (G.
Scholem) oder: Wider den ›Trug für Gott‹ (Hi 13, 7)«, in: W. Oelmüller (Hg.), Lei­
den (Kolloquien zur Gegenwartsphilosophie, Bd.  9), Paderborn/München/Wien/
Zürich 1986, 20–27, hier: 22 f.
11
  Vgl. E. Bloch, Atheismus im Christentum. Zur Religion des Exodus und des
Reichs, Frankfurt a. M. 2.  Aufl. 1989, 156–159.
122 Fünftes Kapitel:  Das Theodizeeproblem

(5) Ein allmächtiger Gott könnte jedes Übel verhindern, das er verhin­
dern wollte.
Aus diesen Zusatzannahmen schließen Theismuskritiker,12 dass es keine
Übel gäbe, wenn ein zugleich allmächtiger und vollkommen guter Gott
existieren würde. Folglich müsse mindestens eine der drei ersten Annah-
men falsch sein.
Ist diese Argumentation zwingend? Keineswegs! Denn eine ihrer Prä-
missen, nämlich die Annahme (4), trifft nicht zu.13 In der Tat würde ein
vollkommen guter Gott nach Möglichkeit jedes Übel verhindern, aller-
dings nur dann, wenn keine moralisch hinreichenden Gründe dagegen
sprächen. Von welcher Art wären diese Gründe? Im Allgemeinen ist man
zur Zulassung von Übeln, die man verhindern könnte, dann berechtigt
oder sogar verpflichtet, wenn durch deren Verhinderung Güter verloren
gingen, deren Wert den Unwert dieser Übel übersteigt. Diese allgemeine
moralische Regel muss im Falle eines theistischen Gottes allerdings ein-
geschränkt werden. Denn ein allmächtiger und allwissender Gott wäre
anders als menschliche Akteure an keinerlei Regeln gebunden, durch die
Übel mit größeren Gütern faktisch verknüpft sind. Aufgrund seiner All-
macht und Allwissenheit wäre er vielmehr in der Lage, diese Güter zu
verwirklichen, ohne die Übel in Kauf zu nehmen. Der Zusammenhang
zwischen Übeln und größeren Gütern müsste vielmehr logisch notwen­
dig sein, sodass es logisch unmöglich wäre, diese Güter zu realisieren,
ohne die Übel zuzulassen oder zu bewirken. Nur in diesem Fall hätte
auch ein allmächtiger und allwissender Gott, weil ihm nichts logisch Un-
mögliches zugeschrieben werden kann, einen moralisch hinreichenden
Grund, Übel nicht zu verhindern. Die Annahmen (1) bis (3) sind dem-
nach dann und nur dann vereinbar, wenn folgende Annahme zutrifft:
(6) Es ist logisch möglich, dass die Übel vom allmächtigen und vollkom­
men guten Gott deshalb nicht verhindert werden, weil ihre Zulas­
sung mit größeren Gütern und/oder der Abwesenheit größerer Übel
in logisch notwendiger Weise verknüpft ist.

12
  Vgl. z. B. J. L. Mackie, »Evil and Omnipotence«, Mind 64 (1955), 200–212, wie-
der abgedruckt in: M. M. Adams/R. M. Adams (eds.), The Problem of Evil, Oxford
1990, 25–37, und N.  Hoerster, »Zur Unlösbarkeit des Theodizee-Problems«, Theo­
logie und Philosophie 60 (1985), 400–409.
13
  So zu Recht auch N.  Pike, »Hume on Evil«, The Philosophical Review 72 (1963),
180–197, wieder abgedruckt in: M. M. Adams/R. M. Adams (eds.), The Problem of
Evil, Oxford 1990, 38–52.
§  17  Die Unvereinbarkeitsthese und ihre Kritik 123

Jeder Theodizeeversuch, der nicht von vornherein zum Scheitern verur-


teilt sein soll, muss die Annahme (6) zugrunde legen, und er wird unter-
schiedlich ausfallen, je nachdem wie das Gut näher bestimmt wird, um
dessentwillen Gott die Übel in Kauf nehmen musste.
Mit welchem Gut aber könnte die Zulassung der Übel in der Welt in
logisch notwendiger Weise verknüpft sein, sodass auch ein allmächtiger
Gott dieses Gut nicht ohne die faktischen Übel hätte verwirklichen kön-
nen? Der einzig nennenswerte Antwortversuch, der in der Gegenwart
unternommen wird, ist die in der analytischen Religionsphilosophie ent-
wickelte Free-Will-Defense.14 Ihr zufolge hätte Gott die faktischen Übel
nicht verhindern können, ohne die Freiheit von Geschöpfen einzuschrän-
ken oder aufzuheben, deren Wert den Unwert der Übel übersteigt.
Diese Free-Will-Defense scheitert freilich schon als Lösung des lo-
gischen Theodizeeproblems, das sich angesichts des moralisch Bösen
stellt (von den physischen Übeln ganz zu schweigen), und zwar aus fol-
gendem Grund: Für die Vertreter der Free-Will-Defense besteht der
Wert der Freiheit darin, dass nur Wesen, die sie besitzen, zurechnungs-
fähige Wesen sind und nur Handlungen, die aus ihr entspringen, im mo-
ralischen Sinne gut sein können. Zugleich nehmen sie an, der Wert der
Freiheit sei an ihren indeterministischen Charakter geknüpft. Nun habe
ich im vierten Kapitel (vgl. besonders §  13) gezeigt, dass die letztere An-
nahme nicht zutrifft. Die Zurechnungsfähigkeit von Menschen und die
moralische Qualität ihres Handelns werden nicht durch das Vermögen
gewährleistet, Entscheidungen ohne zureichenden Grund zu treffen,
sondern allein durch Freiheit im Sinne vernünftiger Selbstbestimmung.
Wenn aber diejenige Freiheit, die einen Wert besitzt, den Determinismus
nicht ausschließt, sondern als vernünftige Selbstbestimmung ein be-
stimmter Typ von Determination ist, dann ergibt sich eine für die Free-
Will-Defense ruinöse Konsequenz. Denn in diesem Fall hätte ein all-
mächtiger Gott, der das handlungsbestimmende Selbst vernünftiger
Wesen kennt, ausschließlich solche Vernunftwesen aktualisieren kön-
nen, von denen er wusste, dass sie ihre Freiheit nie missbrauchen. Auf

14
  Vgl. z. B. A. Plantinga, »The Free Will Defence«, in: M. Black (ed.), Philosophy
in America, London 1965, 204–220; A. Plantinga, »God, Evil, and the Metaphysics
of Freedom«, in: ders., The Nature of Necessity, Oxford 1974, 164–195; ders., »The
Problem of Evil«, in: ders., God, Freedom, and Evil, Michigan 1991, 7–64; R. Swin-
burne, »The Free Will Defence«, in: M. M. Olivetti (Hg.), Teodicea oggi? (Archivio
di Filosofia 56), Padova 1988, 585–596; R. Swinburne, Die Existenz Gottes, 243–308;
ders., Providence and the Problem of Evil, Oxford 1998.
124 Fünftes Kapitel:  Das Theodizeeproblem

diese Weise hätte er das moralisch Böse und dessen leidvolle Konse-
quenzen verhindern können, ohne jene kreatürliche Freiheit einzu-
schränken oder aufzuheben, die einen Wert besitzt. Der moralisch hin-
reichende Grund, der diesen Gott berechtigen könnte, das malum mora-
le zuzulassen, kann folglich nicht darin bestehen, Freiheit im Sinne
vernünftiger Selbstbestimmung ermöglichen zu wollen.15 Die Free-Will-
Defense befindet sich demnach in einer ausweglosen Lage. Die indeter-
ministisch verstandene Freiheit, die sie in Anspruch nimmt, besitzt nicht
den erforderlichen Wert, um die göttliche Zulassung von Übeln zu recht-
fertigen, die mit dieser Freiheit verknüpft sind. Freiheit im Sinne ver-
nünftiger Selbstbestimmung hingegen besitzt zwar einen hohen Wert;
um sie zu ermöglichen, müsste ein theistischer Gott aber keine mora-
lischen Übel zulassen.16
Zur Spezifikation der Annahme (6) soll deshalb im Folgenden ein an-
derer Vorschlag gemacht werden, den ich als No-Better-World-Defense
bezeichne. Er besagt: Es ist logisch möglich, dass die Übel von einem
allmächtigen, allwissenden und vollkommen guten Gott deshalb nicht
verhindert werden, weil sie logisch notwendige Elemente der von ihm
geschaffenen unübertrefflich guten Welt sind und weil die Existenz die-
ser Welt ihrer Nichtexistenz vorzuziehen ist.

§  18  Die Lösung des logischen Theodizeeproblems

1.  Die Tradition optimistischer Weltdeutung


Kants »Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus« (1759),
der wenige Monate nach Voltaires Candide ou l’Optimisme erschien, be-
ginnt mit den denkwürdigen Worten:
»Seitdem man sich von Gott einen geziemenden Begriff gemacht hat, ist viel-
leicht kein Gedanke natürlicher gewesen, als dieser, daß, wenn er wählt, er nur
das Beste wähle. Wenn man vom Alexander sagte: Daß er glaubte nichts getan
zu haben, so lange für ihn noch etwas zu tun übrig war, so wird sich dieses mit
einer unendlich größeren Richtigkeit von dem gütigsten und mächtigsten unter
allen Wesen sagen lassen. Leibniz hat auch damit nichts Neues vorzutragen ge-
15
 Ähnlich argumentiert auch Mackie, Das Wunder des Theismus, 263 f. und
273 ff.
16
  Zur detaillierten Kritik an der Free-Will-Defense vgl. F. Hermanni, Das Böse
und die Theodizee. Eine philosophisch-theologische Grundlegung, Gütersloh 2002,
292–314.
§  18  Die Lösung des logischen Theodizeeproblems 125
glaubt, wenn er sagte: Diese Welt sei unter allen möglichen die beste, oder wel-
ches eben so viel ist: der Inbegriff alles dessen, was Gott außer sich hervor ge-
bracht hat, ist das Beste, was nur hervor zu bringen möglich war; sondern das
Neue bestand nur in der Anwendung, um bei den Schwierigkeiten, die man von
dem Ursprunge des Bösen macht, den Knoten abzuhauen, der so schwer aufzu-
lösen ist.«17

Dass die Welt unübertrefflich gut sein muss, wenn sie von einem voll-
kommenen Gott geschaffen wurde, ist in der Tat keine absurde Neue-
rung zu Beginn des 18. Jahrhunderts, vielmehr eine seit langem gewon-
nene, wenn auch oft bestrittene Einsicht der theologischen und philoso-
phischen Tradition. Bekanntlich schließt schon die Priesterschrift ihren
Bericht vom Sechs-Tage-Werk Gottes mit der zusammenfassenden, su-
perlativischen Billigungsformel: »Und Gott sah alles an, was er gemacht
hatte, und siehe, es war sehr gut.« (Gen 1, 31) Auch die alttestament-
lichen Schöpfungspsalmen (vgl. Ps 8, 19, 104, 139) würden Jahwe wohl
kaum für die Vollkommenheit seiner Werke preisen, wenn sie annäh-
men, er hätte die Welt vollkommener machen können. Entsprechend hat
nach Platons Timaios der gute, von aller Missgunst freie Weltbaumeister
(demiurgos) einen Kosmos geschaffen, der »ihm möglichst ähnlich« ist
und daher »das seiner Natur nach schönste und beste Werk« darstellt.
Denn »dem Besten war es weder noch ist es gestattet, etwas anderes als
das Schönste zu tun.«18 In dieses Loblied, das der Timaios auf den Kos-
mos singt, stimmt Plotin, der Gründer der neuplatonischen Schule, ein,
um sich von der Dämonisierung der Welt im spätantiken Gnostizismus
abzugrenzen. Die Forderung nach einer übelfrei guten Welt erscheint
ihm unbillig, weil sie den Abbildcharakter der Welt verkennt. Trotz aller
Widrigkeiten kann man sich nämlich »ein Abbild der oberen Welt, wel-
ches schöner wäre als dieser Kosmos, [.  .  .] nicht vorstellen.«19
Augustin hat diese (neu-)platonische Weltdeutung mit dem biblischen
Schöpfungsglauben verknüpft. Die Welt ist für ihn in einer unübertreff-

17
  Kant, »Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus«, A 3 (Werke 2,
587).
18
 Platon, Timaios, 29e–30b (Übersetzung nach Platon, Werke in acht Bänden,
gr.-dt., Sonderausgabe, hrsg. von G. Eigler, Darmstadt 1990 [= Werke], Bd.  7, 37 und
39); vgl. auch 29a und 92c.
19
 Plotin, Πρὸς τοὺς γνωστικούς – Gegen die Gnostiker (Enn. II 9), in: Plotins
Schriften, übersetzt von R. Harder, Neubearbeitung mit gr. Lesetext und Anmer-
kungen fortgeführt von R. Beutler/W. Theiler, Bd.  III: Die Schriften 30–38 der
chronologischen Reihenfolge, (a) Text und Übersetzung, Hamburg 1964, 104–161,
hier: 115 (Enn. II 9, 4).
126 Fünftes Kapitel:  Das Theodizeeproblem

lichen Weise vollkommen, weil sie von einem Gott geschaffen wurde,
der das summum bonum ist. Zwar sind die einzelnen Dinge nicht »im
höchsten Maße gleich und unveränderlich gut; [.  .  .] aber die Gesamtheit
aller Dinge [ist] sehr gut (valde bona), weil in der Gesamtheit die bewun-
dernswerte Schönheit des Weltalls besteht.«20 Hätte aber Gott nicht doch
eine bessere Welt schaffen können, wenn er anstelle der Dinge, die nicht
in maximaler Weise gut sind, andere, bessere geschaffen hätte? Augustin
hat diese Frage mit folgender Begründung verneint: Alle besseren Dinge,
von denen sich die mit den göttlichen Ideen verbundene menschliche
Vernunft eine wahre Vorstellung bilden kann, sind von Gott tatsächlich
erschaffen worden, auch wenn der Mensch sie nicht sinnlich wahr-
nimmt.21 Hätte Gott aber anstelle der weniger guten Dinge die Zahl der
besseren vergrößert, dann wäre die Welt insgesamt schlechter. Denn de-
ren unübertrefflicher Wert besteht nach Augustin gerade darin, die ver-
schiedenen Stufen der Vollkommenheit zu enthalten.22
Die Liste der Autoren, die annehmen, Gott habe aufgrund seiner
höchsten Vollkommenheit eine unübertrefflich gute Welt geschaffen und
die Übel nicht verhindert, weil sie konstitutiv zu diesem höchsten abge-
leiteten Gut gehören, ließe sich mühelos verlängern. Im islamischen
Denken wurde diese Annahme von Al-Gazali (1059-1111), dem bedeu-
tendsten sunnitischen Theologen, vertreten und bis ins 19. Jahrhundert
kontrovers diskutiert.23 Im christlichen Mittelalter findet sie sich bei-
spielsweise bei Abaelard und Ulrich von Straßburg, einem Ordensbru-
der des Thomas von Aquin,24 und in der Neuzeit etwa bei N.  Malebran-
che25 und G. W. Leibniz.26

20
  A. Augustinus, Enchiridion ad Laurentium de fide et spe et caritate, in: Aurelii
Augustini Opera 13/2, hrsg. von E. Evans (CCL 46), Turnhout 1969 (S.  21–114), 3,
10; Übersetzung nach A. Augustinus, Das Handbüchlein, übertragen und erläutert
von P. Simon, Paderborn 1984.
21
  Vgl. A. Augustinus, De libero arbitrio libri tres, hrsg. von W. M. Green, in:
Aurelii Augustini Opera 2/2 (CCL 29), Turnhout 1970, S.  211–321 (= de lib. arb.), III
5, 13 f.
22
  Vgl. ebd., III 9, 24–26.
23
  Vgl. E. L. Ormsby, Theodicy in Islamic Thought. The Dispute over al-Ghazali’s
›Best of all Possible Worlds‹, Princeton/New Jersey 1984.
24
  Vgl. Ulrich von Straßburg, De summo bono, Liber 2, Tractatus 1–4, hrsg. von
A. de Libera, Hamburg 1987, tract. 3, cap.  3 : »De bono universi« (S.  51–54).
25
  Vgl. N.  Malebranche, Entretiens sur la métaphysique et sur la religion, IX, §§
VIII–X, in: Œuvres de Malebranche, Tomes XII–XIII, édité par A. Robinet, Paris
1965, 208–215.
26
  Zum Begriff der bestmöglichen Welt vgl. T. Ramelow, Gott, Freiheit, Welten­
§  18  Die Lösung des logischen Theodizeeproblems 127

2.  Die No-Better-World-Defense


Durch Anwendung dieser in der theologischen und philosophischen
Tradition entwickelten Weltdeutung lässt sich das logische Theodizee-
problem lösen. Um nachzuweisen, dass sich die Existenz von Übeln und
die Existenz eines theistischen Gottes nicht gegenseitig ausschließen,
vertrete ich folgende Annahme:
(7) Wenn die Welt von einem allmächtigen, allwissenden und vollkom­
men guten Gott geschaffen wurde, dann ist sie in unübertrefflicher
Weise gut. Die Übel in der Welt sind in diesem Fall konstitutive Be­
standteile ihres unübertrefflichen Gutseins, und Gott hat daher ei­
nen moralisch hinreichenden Grund, sie zuzulassen.
Die Begründung dieser Annahme kann durch einen Schluss gegeben
werden, der die Absurdität des Gegenteils beweist. Angenommen, die
von einem theistischen Gott geschaffene Welt wäre nicht unübertrefflich
gut und es wäre eine andere, bessere Welt möglich. In diesem Fall hätte
Gott eine unübertrefflich gute Welt entweder nicht schaffen können
oder nicht schaffen wollen, oder er hätte nicht erkannt, welche von den
möglichen Welten unübertrefflich gut ist. Dies aber widerspricht dem
Begriff des theistischen Gottes. Denn aufgrund seiner Allmacht kann er
jede mögliche Welt schaffen, aufgrund seiner vollkommenen Güte will
er eine möglichst gute Welt schaffen und aufgrund seiner Allwissenheit
erkennt er den Gütegrad aller möglichen Welten. Daher muss die Welt
unübertrefflich gut sein, wenn sie von einem theistischen Gott geschaf-
fen wurde.
Wenn aber keine bessere Welt möglich ist als die von einem theisti-
schen Gott geschaffene, müssen die Übel in dieser Welt unverzichtbare
Bestandteile ihrer unübertrefflichen Güte sein. Denn durch das Fehlen
eines dieser Übel wäre die Welt nicht mehr dieselbe, sondern eine andere,
die entweder schlechter wäre als die geschaffene oder zwar deren Gü-
tegrad erreichen würde, dafür aber andere Nachteile hätte. Folglich hät-
te ein theistischer Gott einen moralisch hinreichenden Grund, um die
Übel in der Welt nicht zu verhindern, und daher sind die Annahmen (1)

wahl. Der Ursprung des Begriffs der besten aller möglichen Welten in der Metaphy­
sik der Willensfreiheit zwischen Antonio Peres S. J. (1599–1649) und G. W. Leibniz
(1646–1716), Leiden/New York/Köln 1997; S. K. Knebel, »Necessitas moralis ad
optimum. Zum historischen Hintergrund der Wahl der besten aller möglichen
Welten«, Studia Leibnitiana 23 (1991), 3–24.
128 Fünftes Kapitel:  Das Theodizeeproblem

bis (3) zweifellos logisch miteinander vereinbar. Die leichtfertige Be-


hauptung, eine theologische Alternative zum Theismus oder gar der
Atheismus sei wegen der Existenz der Übel ein Gebot der Logik, zeugt
gleichermaßen von gedanklicher Naivität und einer geradezu rührenden
Unkenntnis der Problemgeschichte.
Um Missverständnissen und vorschnellen Einwänden vorzubeugen,
sind einige Erläuterungen der Annahme (7) und ihrer Begründung ange-
bracht:
Unter einer »möglichen Welt« verstehe ich die Menge aller Sachver-
halte, die synchron und diachron zusammenbestehen können. Ein Sach-
verhalt ist das, was den Inhalt einer Proposition ausmacht und von dem
man sagen kann, dass er besteht oder nicht besteht. Zwei mögliche Welten
unterscheiden sich durch mindestens einen Sachverhalt, der in der einen
Welt eingeschlossen und in der anderen ausgeschlossen ist. Unter »wirk-
licher« Welt verstehe ich entsprechend die Gesamtheit aller Sachverhalte,
die bestehen, bestanden haben und bestehen werden, also alles, was der
Fall ist, war und sein wird.27 Unter Voraussetzung dieser Definitionen
gibt es zwar eine Mehrzahl möglicher Welten, von denen aber nur eine
wirklich sein kann. Denn angenommen, zwei mögliche Welten würden
existieren, dann würde mindestens ein Sachverhalt zugleich bestehen
und nicht bestehen – was unmöglich ist. Wenn dagegen in der theolo-
gischen und philosophischen Tradition zwischen einer diesseitigen und
einer jenseitigen Welt oder zwischen der jetzigen und der kommenden
Welt oder Weltzeit unterschieden wird oder wenn in der modernen Kos-
mologie von vielen Welten die Rede ist, die nebeneinander oder nachein-
ander existieren (vgl. §  10), dann wird der Ausdruck in einem engeren
Sinne gebraucht. Diese »Welten« sind Teil der einen »Welt« in dem von
mir definierten weiteren Sinne des Wortes.
Mit Bedacht wird die Welt, die ein theistischer Gott schaffen würde,
als unübertrefflich gute, nicht als bestmögliche Welt bezeichnet. Damit
bleibt offen, ob es eine Mehrzahl wertmaximaler möglicher Welten gibt
oder – wie Leibniz glaubte – nur eine einzige, die dann zugleich die
beste aller möglichen wäre. Denn eine Entscheidung zugunsten einer
der beiden Alternativen ist aus dem theistischen Gottesbegriff allein
nicht ableitbar, sondern erst durch Hinzuziehung des Satzes vom zurei-
27
  Diese Definitionen orientieren sich terminologisch an L. Wittgenstein, Tracta­
tus logico-philosophicus, in: ders., Werkausgabe, Bd.  1, Frankfurt a. M. 1989, 7–85,
hier: 11. Zum Begriff der »möglichen Welt« vgl. auch A. Plantinga, »Worlds, Books,
and Essential Properties«, in: ders., The Nature of Necessity, Oxford 1974, 44–69.
§  18  Die Lösung des logischen Theodizeeproblems 129

chenden Grund. Anders als Leibniz hielt Augustin offenbar mehrere


wertmaximale Welten für möglich, von denen die wirkliche nur eine
ist.28 Letztere gleicht darin einem Gedicht,29 das auf einzigartige Weise
vollkommen ist, ohne dass es Sinn hätte zu sagen, es sei das beste aller
möglichen Gedichte. Die Übel dieser Welt sind deshalb nach Augustin
zwar konstitutiv für ihre unübertreffliche Güte und wurden deshalb
von Gott zugelassen oder bewirkt, sie sind aber keine notwendigen Ele-
mente anderer wertmaximaler möglicher Welten,30 die dafür freilich an-
dere Defizite haben.
Wenn die Welt, die ein theistischer Gott schaffen würde, als unüber-
trefflich gut qualifiziert wird, dann wird sie in ein bewertendes Verhält-
nis zu anderen möglichen Welten gesetzt, ohne das Verhältnis zwischen
den verschiedenen Zuständen der geschaffenen Welt zu bestimmen. Aus
dem unübertrefflichen Gutsein einer Welt folgt daher nicht, dass der
Vollkommenheitsgrad eines bestimmten Weltzustandes nicht durch
denjenigen eines späteren überboten oder unterboten werden könnte.
Unter gewissen Voraussetzungen kann vielmehr auch eine wertmaxima-
le Welt schlechter oder besser werden, als sie es zu einem früheren Zeit-
punkt gewesen ist. Ein Rückschritt, wie er beispielsweise in der traditio-
nellen Lehre vom Sündenfall unterstellt wird, ist mit dem Begriff einer
unübertrefflich guten Welt dann vereinbar, wenn dieser Rückschritt Gü-
ter ermöglicht, die ohne ihn nicht möglich wären. In der christlichen
Tradition wurde die Sünde Adams deshalb bekanntlich als »Felix Cul-
pa« verstanden. Die Wertmaximalität, die einer Welt im Vergleich mit

28
  Nach Augustinus, de lib. arb., III 9, 26 f.; 11, 32 f.; 12, 35, kann sich die geschaf-
fene Welt aufgrund der indeterministisch verstandenen Willensfreiheit vernünftiger
Geschöpfe in verschiedene Richtungen entwickeln. Welcher durchgängig bestimm-
ten möglichen Welt die wirkliche entspricht, ist daher nicht prädeterminiert, son-
dern entscheidet sich erst durch die faktisch eingeschlagene Richtung. Angesichts
der faktischen Entwicklung hat Gott geeignete Maßnahmen ergriffen, um trotz des
menschlichen Freiheitsmissbrauchs das unübertreffliche Gutsein der Welt zu ge-
währleisten, und Entsprechendes hätte er laut Augustin auch im Fall jeder anderen
möglichen Entwicklung getan. »Wohin sich auch unsere Betrachtung wenden mag,
stets findet sie Gott, den besten Schöpfer und gerechtesten Lenker (conditorem op-
timum et administratorem iustissimum) aller Wesen, unaussprechlichen Lobes wür-
dig« (ebd., III 12, 35, Übersetzung nach A. Augustinus, Theologische Frühschriften:
Vom freien Willen – Von der wahren Religion, lat.-dt., übersetzt und erläutert von
W. Thimme, Zürich/Stuttgart 1962).
29
  Vgl. A. Augustinus, De musica, in: Patrologiae cursus completus. Series Latina
32, S.  1081–1192, Buch VI 11, 29: »Carmen universitatis«.
30
  Vgl. nochmals Augustinus, de lib. arb., III 9, 26.
130 Fünftes Kapitel:  Das Theodizeeproblem

anderen möglichen Welten zukommt, schließt ebenso wenig aus, dass es


innerhalb dieser Welt einen Vollkommenheitsfortschritt geben könnte.
Denn zu ihrer unübertrefflichen Güte gehören möglicherweise Werte,
die so beschaffen sind, dass sie nicht von Beginn an und auf einen Schlag
verwirklicht werden können. Ein Wert dieser Art ist beispielsweise die
sittliche Vollkommenheit, die man per definitionem nicht natürlicher-
weise besitzen, sondern nur durch eine Entwicklung mühsam erwerben
kann. Das bekannte Bonmot »Optimisten glauben, unsere Welt sei die
beste aller möglichen, und Pessimisten fürchten, dies sei wahr«31 ist zwar
geistreich, beruht aber auf der falschen Voraussetzung, innerhalb der
bestmöglichen Welt sei ein Fortschritt zum Besseren unmöglich.

3.  Entkräftung zweier Einwände


Trotz dieser Erläuterungen hat die vorgeschlagene No-Better-World-
Defense mit Einwänden zu rechnen. Die zwei wichtigsten Einwände sol-
len deshalb im Folgenden dargelegt und entkräftet werden.
(a) Der erste Einwand besagt, dass für einen theistischen Gott keines-
wegs die Notwendigkeit besteht, eine unübertrefflich gute oder die best-
mögliche Welt zu schaffen. Denn wenn Gott sie schaffen müsste und
keine andere Welt schaffen oder das Schaffen unterlassen könnte, wäre er
seiner Freiheit beraubt. Die wirkliche Welt wäre in diesem Falle notwen-
dig, jede andere unmöglich und die vergleichende Qualifizierung der
wirklichen Welt als einer wertmaximalen oder als der besten unter den
möglichen Welten daher hinfällig. Folglich muss die Welt nicht unüber-
trefflich gut oder die bestmögliche sein, wenn sie von einem theistischen
Gott geschaffen wurde.
Dieser Einwand beruht auf einem modallogischen Missverständnis
und einem verfehlten, indifferentistischen Begriff der göttlichen Frei-
heit. Aufgrund seiner Allmacht kann ein theistischer Gott jede mögliche
Welt aktualisieren und die von ihm aktualisierte ist daher nicht logisch
notwendig, sondern kontingent. Gleichwohl wird er aufgrund seiner
Allwissenheit und vollkommenen Güte zweifellos eine unübertrefflich
gute Welt zur Aktualisierung auswählen, entweder die bestmögliche
oder, falls mehrere wertmaximale Welten möglich sind, eine von diesen.
Zur Verwirklichung einer unübertrefflich guten Welt besteht für einen

31
 Dieses Bonmot geht zurück auf J. B. Cabell, The Silver Stallion, New York
1926, Kap.  26.
§  18  Die Lösung des logischen Theodizeeproblems 131

theistischen Gott demnach sehr wohl eine logische, allerdings keine mo-
ralische Alternative. Denn wenn Gott eine schlechtere Welt schüfe, als er
schaffen könnte, widerspräche er seiner vollkommenen Güte und würde
sich selbst untreu. Die unverbrüchliche Treue zu sich selbst aber ist keine
Restriktion der göttlichen Freiheit, sondern ihr Wesen. Falls es eine
Mehrzahl von wertmaximalen möglichen Welten gibt, ist die Schöpfung
der wirklichen übrigens nicht einmal moralisch notwendig, wie Leibniz
annahm. Denn die vollkommene Weisheit und Güte Gottes würde die
Wahl der zu schaffenden Welt in diesem Fall zwar auf die Menge der
wertmaximalen Welten einschränken, zugunsten einer bestimmten Welt
aber entschiede sich Gott ohne weiteren Grund. Die geschaffene und
unübertrefflich gute Welt würde dann auf einer glücklichen Verbindung
zwischen einem absoluten göttlichen Entschluss und jener moralischen
Notwendigkeit beruhen, welche die »Seele« der göttlichen Freiheit aus-
macht.
Der erste Einwand ist zumeist mit der voluntaristischen Annahme
verknüpft, dass das Kriterium für »gut« allein im absoluten, an keine
Wertmaßstäbe gebundenen Willen Gottes liegt. Gott müsse daher nicht
eine von den möglichen Welten aktualisieren, die, gemessen an diesen
Maßstäben, unübertrefflich gut sind. Als Manifestation des göttlichen
Willens sei die geschaffene Welt vielmehr per definitionem gut. Dieser
theologische Voluntarismus gehört zu jenen Scheinlösungen des Theo-
dizeeproblems, die in Wahrheit den theistischen Rahmen zerstören, in-
nerhalb dessen das Problem sich stellt. Denn wenn jeder beliebige, folg-
lich auch ein moralisch ruchloser Entschluss gut wäre, sofern er von
Gott getroffen würde, verlöre die Rede von der vollkommenen Güte
Gottes ihre Bedeutung. Gott wäre dann nichts weiter als ein zur All-
macht gelangter Despot, der kein Vertrauen verdient und auf Verehrung
keinerlei Anspruch hätte. Über die voluntaristische Verteidigung des
Schöpfergottes bemerkt Kant treffend: »Diese Apologie, in welcher die
Verantwortung ärger ist als die Beschwerde, bedarf keiner Widerlegung;
und kann sicher der Verabscheuung jedes Menschen, der das mindeste
Gefühl für Sittlichkeit hat, frei überlassen werden.«32
(b) Dem zweiten Einwand zufolge ist es logisch unmöglich, dass eine
unübertrefflich gute oder die bestmögliche Welt etwas Schlechtes ein-
schließt. Denn jede mögliche Welt W, die ein Übel enthält, ist schlechter

32
  Kant, »Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee«,
A 201 (Werke 9, 109); vgl. auch Leibniz, Theodizee, §§  177 ff.
132 Fünftes Kapitel:  Das Theodizeeproblem

als eine mögliche Welt W*, die dieses Übel nicht enthält und ansonsten
mit W identisch ist. Über jeder möglichen und nicht übelfreien Welt ist
daher eine andere möglich, die besser ist als sie. Folglich muss eine un­
übertrefflich gute oder die bestmögliche Welt übelfrei gut sein, und um-
gekehrt kann es sich bei der wirklichen Welt, da in ihr Schlechtes vor-
kommt, unmöglich um eine wertmaximale oder die wertoptimale mög-
liche Welt handeln.
Auch dieser Einwand ist nicht stichhaltig, wie die folgenden Überle-
gungen zeigen. Der Einwand nimmt an, es gebe zu jeder möglichen Welt
W, die einen schlechten Sachverhalt einschließt, eine mögliche Welt W*,
die ihn ausschließt und ansonsten mit W identisch ist. Aus dieser An-
nahme folgt jedoch nicht, dass es zu jeder möglichen und nicht übel-
freien Welt eine bessere gibt. Vielmehr kann eine mögliche Welt W gera-
de aufgrund eines schlechten Sachverhaltes einen höheren Gesamtwert
besitzen als eine mögliche Welt W*, die diesen Sachverhalt ausschließt
und ansonsten mit W identisch ist. Es ist das Verdienst von R. Chisholm,
auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht zu haben.33 Man betrachte
folgende Sachverhalte:
(A) Jemand glaubt (ob zu Recht oder zu Unrecht, sei dahingestellt), dass
ein anderer schwer erkrankt ist.
(B) Jemand ist über etwas, das er glaubt, glücklich oder jedenfalls nicht
unglücklich.
(C) Jemand ist über etwas, das er glaubt, unglücklich.
Nun ist es offenbar intrinsisch gut, glücklich zu sein, intrinsisch schlecht,
unglücklich zu sein, und intrinsisch wertneutral, etwas zu glauben oder
zu vermuten. Gleichwohl ist es intrinsisch besser, über die schwere
Krankheit, von der man jemand anderen betroffen glaubt, unglücklich
als darüber glücklich oder nicht unglücklich zu sein. Demnach kann
eine Verbindung von Sachverhalten (A+C), die einen schlechten Sach-
verhalt (C) enthält, einen höheren Gesamtwert besitzen als diejenige
Verbindung (A+B), in welcher der schlechte Sachverhalt durch den ihm
entgegengesetzten guten oder wertneutralen (B) ersetzt wird. Da eine

33
 Vgl. R. M. Chisholm, »The Defeat of Good and Evil« (1968/69), in: M. M.
Adams/R. M. Adams (eds.), The Problem of Evil, Oxford 1990, 53–68. Ähnliche
Überlegungen wurden bereits angestellt von G. E. Moore, Principia Ethica, London
1903 (deutsch: G. E. Moore, Principia Ethica, aus dem Englischen übersetzt und
hrsg. von B. Wisser, Stuttgart 1970), und J. Wisdom, »God and Evil«, Mind 44 (1935),
1–20.
§  19  Die Unlösbarkeit des empirischen Theodizeeproblems 133

mögliche Welt oben als eine Verbindung aller Sachverhalte definiert


wurde, die synchron oder diachron zusammenbestehen können, trifft
dasselbe auch auf mögliche Welten zu.
Falls zu einer unübertrefflich guten Welt Werte gehören, die notwen-
digerweise Übel voraussetzen, zur Folge haben oder als Elemente be­
inhalten, kann sie nicht übelfrei gut sein. Werte dieser Art sind beispiels-
weise Tugenden wie Mut, Tapferkeit oder jene leidende Anteilnahme
am wirklichen oder vermeintlichen Unglück anderer, die man Mitleid
nennt.

§  19  Die Unlösbarkeit des empirischen Theodizeeproblems

Um gedankliche Konfusionen zu vermeiden, muss zwischen zwei Teilen


des Theodizeeproblems, einem logischen und einem empirischen Teil,
sorgfältig unterschieden werden. Während das logische Problem lösbar
ist, lässt sich das empirische Problem, wie wir sehen werden, nicht auflö-
sen. Das logische Problem besteht darin, ob es angesichts der Übel wi-
dersprüchlich ist anzunehmen, dass ein allmächtiger, allwissender und
vollkommen guter Gott existiert. Dies ist offenkundig nicht der Fall.
Denn es ist mit logischen Mitteln nicht auszuschließen, dass die wirk-
liche Welt unübertrefflich gut ist und dass es unter den Übeln mithin
keines gibt, ohne das sie besser wäre. Ein allmächtiger und allwissender
Gott könnte daher durchaus einen moralisch hinreichenden Grund ha-
ben, die Übel zuzulassen oder zu bewirken.
Aus dieser Lösung des logischen Theodizeeproblems ergibt sich das
empirische Theodizeeproblem. Es lautet: Die Annahme, dass die Welt
durch Verhinderung faktischer Übel nicht optimierbar ist, mag keinen
Widerspruch enthalten, empirisch scheint sie aber wenig plausibel zu
sein. Gibt es unter den faktischen Übeln nicht augenscheinlich solche,
ohne die die Welt besser wäre? Ist es deshalb nicht unwahrscheinlich,
dass jener theistische Gott existiert, der zweifellos eine unübertrefflich
gute Welt geschaffen und solche Übel verhindert hätte? Dieses Problem
stellt sich in mindestens zwei Formen, weil ein theistischer Gott Übel
auf mindestens zweifache Weise verhindern könnte. Erstens könnte er
die Gesetze, die an der Entstehung von Übeln beteiligt sind, zeitweise
außer Kraft setzen (Wunder), und zweitens könnte er die Welt statt
durch die an der Entstehung von Übeln beteiligten durch andere Ge-
setze ordnen. Diese beiden Formen des empirischen Theodizeeproblems,
134 Fünftes Kapitel:  Das Theodizeeproblem

die sich daraus ergeben, dass ein theistischer Gott Übel durch zeitweilige
Suspension oder durch Substitution von Gesetzen verhindern könnte,34
werde ich im Folgenden behandeln. Zuvor ist aber noch eine allgemeine
Überlegung angebracht. Sie betrifft die notwendigen Voraussetzungen,
die erfüllt sein müssten, um das empirische Theodizeeproblem in me-
thodisch sicherer Weise zu klären.

1.  Kriterien der Weltbewertung


Der empirische Einwand gegen den Theismus stützt sich auf die als plau-
sibel beanspruchte Annahme, dass die wirkliche Welt nicht unübertreff-
lich gut und eine bessere Welt möglich ist. Um diese Annahme in
begründeter Weise vertreten oder bestreiten zu können, müssten min-
destens zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Man müsste erstens über
verbindliche Kriterien verfügen, anhand derer der Wert möglicher
Welten zu bemessen wäre. Worin könnten sie bestehen? In den verschie-
denen Traditionen und Richtungen der Ideengeschichte wurden insge-
samt sechs diskutable kriteriologische Vorschläge für die Bewertung
möglicher Welten entwickelt. Eine mögliche Welt W besitzt einen hö-
heren Wert als eine mögliche Welt W*, so nahm man an, wenn unter
sonst gleichen Umständen mindestens einer der folgenden Sätze zu-
trifft:
(a) W enthält eine größere Formen- und Artenvielfalt als W*.35
(b) W ist anders als W* eine von Gesetzen durchgängig bestimmte Welt,
oder W ist von einfacheren Gesetzen bestimmt als W*.
(c) In W ist das Verhältnis zwischen den Freuden und Leiden, die emp-
findungsfähige Wesen erfahren, günstiger als in W*.
(d) W schließt vernünftige Wesen ein, die moralisch signifikante Ent-
scheidungen treffen können, und in W* fehlen Wesen dieser Art.36
34
  Dies gilt auch für moralische Übel. Denn aus dem kompatibilistischen Ver-
ständnis menschlicher Freiheit, das im vierten Kapitel entwickelt wurde, folgt, dass
sich moralisch zurechenbare Handlungen im Prinzip aus der Beschreibung der Cha-
raktere und Motive der Handelnden sowie aus allgemeinen Verknüpfungsregeln
(Gesetzen) zwischen solchen Handlungen und den ihnen zugrunde liegenden Cha-
rakteren und Motiven erklären lassen.
35
  Vgl. dazu die klassische Studie von Lovejoy, The Great Chain of Being.
36
  Der theismuskritische Empirismus von D. Hume über J. St. Mill bis in die neu-
ere angloamerikanische Debatte bemisst den Wert der Welt zumeist ausschließlich
am dritten Kriterium. Demgegenüber insistieren die Vertreter der Free-Will-De­
fense wie vor ihnen schon Kant auf der überragenden Bedeutung des vierten Krite-
§  19  Die Unlösbarkeit des empirischen Theodizeeproblems 135

(e) In W ist das Verhältnis zwischen den moralisch guten und bösen
Entscheidungen, die vernünftige Wesen treffen, günstiger als in W*.
(f) In W ist die Verknüpfung zwischen der Sittlichkeit vernünftiger We-
sen und dem Maß an Glück und Unglück, das sie erfahren, gerechter
als in W*.37
Nehmen wir für einen Moment an, diese oder andere Kriterien würden
sich als verbindlich oder rational zwingend erweisen und es ließe sich
zudem die Vollständigkeit der Kriterienliste sicherstellen. Selbst in die-
sem Fall könnte der Wert, den die wirkliche Welt W im Vergleich mit
einer möglichen Welt W* besitzt, nur dann bestimmt werden, wenn eine
weitere, zweite Voraussetzung erfüllt wäre. Inwiefern?
Eine vergleichende Gesamtbewertung von W und W* müsste alle Kri-
terien, nach denen sich der Wert einer möglichen Welt bemisst, berück-
sichtigen. Nun ist nicht auszuschließen, dass einige dieser Kriterien sich
anders als proportional zueinander verhalten oder gar im Verhältnis der
Gegenläufigkeit stehen. Wenn das der Fall ist – und bei den genannten
Kriterien ist es offenkundig der Fall –, dann können Vergleiche zwischen
dem Wert von W und dem von W*, die unterschiedliche Bewertungskri-
terien zugrunde legen, zu gegensätzlichen Ergebnissen führen. Ceteris
paribus ist beispielsweise eine mögliche Welt, die keine Raubtiere ein-
schließt, gemessen am dritten Kriterium (Verhältnis von Freud und Leid)
vielleicht besser, gemessen am ersten (Artenvielfalt) dagegen zweifellos
schlechter als die wirkliche Welt. Um abschließend und eindeutig ent-
scheiden zu können, ob eine mögliche Welt W* besser oder schlechter ist
als die wirkliche, müsste man folglich ein alle Kriterien umfassendes und
ihr relatives Gewicht bestimmendes Prinzip besitzen. Man müsste, an-
ders gesagt, über eine einheitliche Bewertungsfunktion verfügen, aus der
sich alle Umrechnungsfaktoren zwischen den an verschiedenen Krite-
rien bemessenen Werten ergäben, eine Funktion, mit der sich etwa er-

riums (vgl. z. B. J. Hick, Evil and the God of Love (1966), Nachdruck der 3.  Aufl.
1985, London 1993, 167 f., 256 f., 308). Kant resümiert seine diesbezüglichen Überle-
gungen mit den Worten: »[.  .  .] die Existenz vernünftiger Wesen unter moralischen
Gesetzen, kann also allein als Endzweck vom Dasein einer Welt gedacht werden.«
(Kritik der Urteilskraft, A 418, B 423 [Werke 8, 576]).
37
  Am sechsten Kriterium, dem der Gerechtigkeit, wurde die Welt bekanntlich
von Hiob über Augustin bis Kant bemessen. Nach Kant macht »Glückseligkeit,
ganz genau in Proportion der Sittlichkeit (als Wert der Person und deren Würdigkeit
glücklich zu sein) ausgeteilt, das höchste Gut einer möglichen Welt« aus (Kritik der
praktischen Vernunft, A 199 [Werke 6, 239]).
136 Fünftes Kapitel:  Das Theodizeeproblem

mitteln ließe, wie viel Leiden von Beutetieren die Existenz von Raubtie-
ren wert ist. Eine verbindliche Kriteriologie, die diesen Ansprüchen ge-
nügen würde, liegt nicht vor, und man darf skeptisch sein, ob endliche
Vernunftwesen mit je eigenen Präferenzstrukturen und individuell »ge-
färbten«, rational nicht restlos einholbaren Werturteilen in der Lage
sind, sie zu entwickeln.38
Die klassische Metaphysik von Augustin über Thomas bis Leibniz
konnte auf eine Kriteriologie dieser Art verzichten, weil sie ihre Über-
zeugung von der unübertrefflichen Güte der wirklichen Welt statt auf
einen Vergleich mit anderen möglichen Welten auf die als gesichert gel-
tende Existenz eines theistischen Gottes stützte. Unverzichtbar ist eine
solche Kriteriologie dagegen, wenn man die Begründungslogik umkeh-
ren und in methodisch einigermaßen sicherer Weise zeigen will, dass ein
theistischer Gott wahrscheinlich nicht existiert, weil eine bessere Welt
als die wirkliche allem Anschein nach möglich ist. Mangels einer ausge-
arbeiteten Theorie über die vergleichende Bewertung möglicher Welten
bewegen sich daher sowohl der empirische Einwand gegen den Theismus
wie die theistischen Versuche, ihn auf empirischem Wege zu entkräften,
auf höchst unsicherem Terrain.
Trotz ihrer kriteriologischen Unsicherheit wären freilich empirische
Versuche, den relativen Gesamtwert der wirklichen Welt zu bestimmen,
nicht gänzlich abwegig, wenn sie nicht wegen notorischer Überschrei-
tung menschlicher Erkenntnisgrenzen prinzipiell zum Scheitern verur-
teilt wären. Dieses prinzipielle Misslingen nachzuweisen, ist Aufgabe
der beiden folgenden Abschnitte, in denen die beiden Formen des empi-
rischen Theodizeeproblems behandelt werden.

2.  Optimierung durch Wunder?


Die erste Form des empirischen Theodizeeproblems besteht darin, ob
der Untersatz des folgenden Schlusses zutrifft.39

38
  Die moderne Spiel- und Entscheidungstheorie umgeht dieses Problem dadurch,
dass der Wert von etwas an den Stellen bemessen wird, die es auf den Präferenzlisten
verschiedener Individuen einnimmt. Markt und Demokratie fungieren insofern als
letzte Entscheidungsinstanzen über die Güte eines Gegenstands.
39
  In präzisester Weise wird diese Variante des empirischen Einwands von R. K.
Perkins, Jr., »An Atheistic Argument from the Improvability of the Universe«, Noûs
17 (1983), 239–250, entwickelt.
§  19  Die Unlösbarkeit des empirischen Theodizeeproblems 137

(8) Ein theistischer Gott würde eine unübertrefflich gute Welt schaffen
und daher alle Übel verhindern, ohne die die Welt besser wäre.
(9) Nun gibt es unter den faktischen Übeln augenscheinlich solche, ohne
die die Welt besser wäre, wenn sie durch Suspension der an ihrer
Entstehung beteiligten Gesetze (Wunder) verhindert würden. Die
wirkliche Welt ist daher offenbar nicht unübertrefflich gut.
(10) Folglich existiert ein theistischer Gott wahrscheinlich nicht.
Um den zwischen Theisten und Theismuskritikern strittigen Untersatz
zu prüfen, stelle man sich zunächst die mögliche Welt W* vor, die aktuell
wäre, wenn Gott alle in der wirklichen Welt W eingeschlossenen Übel
durch Wunder ausschließen würde. Diese mögliche Welt W* unterschei-
det sich von der wirklichen nicht nur durch das Fehlen von Übeln, son-
dern auch in mehreren anderen wertrelevanten Hinsichten.
(a) Die Arten des Lebendigen, die wir kennen, sind bekanntlich das
Ergebnis einer Entwicklung, die im Wesentlichen auf dem Wechselspiel
von Mutation, Rekombination und adaptiver Selektion beruht und mit-
hin das Leiden und den frühzeitigen Tod vergleichsweise weniger gut
angepasster Individuen und Arten voraussetzt.40 Die Evolution des Le-
bens käme daher wohl kaum über die ersten Stufen hinaus, wenn alle
diese Übel durch zeitweilige Suspension der an ihrer Entstehung betei­
ligten Gesetze verhindert würden. Die mögliche Welt W* enthält des-
halb weniger Arten von Lebendigem als die wirkliche Welt W und
schließt insbesondere die einzige uns bekannte Art vernünftiger und
moralisch zurechnungsfähiger Lebewesen, den Menschen, aus.41
(b) Aber selbst wenn die mögliche Welt W* Menschen einschließen
würde, was nicht der Fall ist, wären diese nicht in der Lage, ihre Welt zu
erkennen und planvoll zu gestalten, und zwar aus folgendem Grund: Um
alle in der wirklichen Welt vorkommenden Übel durch Wunder zu ver-
hindern, müsste Gott die an ihrer Entstehung beteiligten Gesetze so oft
außer Kraft setzen, dass von einem gesetzlich geregelten Zusammenhang
zwischen Ereignissen nicht mehr die Rede sein könnte. Nun ist die Welt
für erkenntnisfähige Subjekte aber nur dann erkennbar, wenn ihr Ereig-
nisverlauf durch allgemeine Regeln bestimmt ist. Die Erkennbarkeit der
Welt ist wiederum eine notwendige Voraussetzung für ein zweckratio-
nales Handeln dieser Subjekte. In einer theoretisch völlig undurchsich-

40
  Vgl. H. Mohr, »Leiden und Sterben als Faktoren der Evolution«, in: W. Böhme
(Hg.), Das Übel in der Evolution und die Güte Gottes, Karlsruhe 1983, 9–25.
41
  Zu diesem Ergebnis kommt auch J. Hick, Evil and the God of Love, 306.
138 Fünftes Kapitel:  Das Theodizeeproblem

tigen Welt, in der sich ständig Wunder ereignen, sind daher zweckratio-
nale, mithin auch moralisch qualifizierbare Handlungen unmöglich,
weil die Akteure nicht wissen, welche Konsequenzen ihre Handlungen
haben und welche Handlungen nötig sind, um einen vorgestellten Zweck
zu verwirklichen. Zu Recht bemerkt F. R. Tennant :
»It cannot be too strongly insisted that a world which is to be a moral order must
be a physical order characterised by law or regularity. [.  .  .] The theist is only
concerned to invoke the fact that law-abidingness [.  .  .] is an essential condition
of the world being a theatre of moral life. Without such regularity in physical
phenomena there could be no probability to guide us: no prediction, no pru-
dence, no accumulation of ordered experience, no pursuit of premeditated ends,
no formation of habit, no possibility of character or of culture. Our intellectual
faculties could not have developed. [.  .  .] And without rationality, morality is im-
possible [.  .  .].«42

Gemessen an den oben genannten Kriterien für eine vergleichende Be-


wertung möglicher Welten, ist es daher mehr als zweifelhaft, ob eine
bessere Welt entstünde, wenn Gott alle in der wirklichen Welt einge-
schlossenen Übel durch Wunder ausschließen würde.
Nun genügen diese Überlegungen nicht, um die zur Debatte stehende
Annahme (9) zurückzuweisen. Denn ein Theismuskritiker würde ent-
gegnen, dass ein theistischer Gott nicht vor der Alternative stünde, ent-
weder alle faktischen Übel oder keines von ihnen durch Wunder zu ver-
hindern. Stattdessen könnte er durch gelegentliche Suspension von Ge-
setzen die schlimmsten Übel verhindern, ohne die gesetzliche Verfassung
der Welt grundsätzlich aufheben und die durch sie bedingten Güter aus-
schließen zu müssen. Folglich sei eine bessere Welt als die wirkliche
allem Anschein nach möglich.43 Einige wenige Wunder, schreibt D.
Hume,
»regelmäßig und weise in den Weltlauf eingeflochten, würden das Aussehen der
Welt umgestalten und dennoch den Lauf der Natur nicht mehr zu stören oder
die menschliche Lebensführung zu beirren scheinen, als die gegenwärtige Ein-

42
  F. R. Tennant, Philosophical Theology, Vol. II: The World, the Soul, and God,
Cambridge 1937, 199 f. Dieser Argumentation haben sich u. a. B. R. Reichenbach,
»Theodicy for Natural Evils«, in: ders., Evil and a Good God, New York 3.  Aufl.
1995, 87–120, hier: 103–107, D. Basinger, Divine Power in Process Theism: A Philo­
sophical Critique, Albany 1988, 64, und A. Kreiner, Gott im Leid. Zur Stichhaltig­
keit der Theodizee-Argumente, Freiburg/Basel/Wien 1997, 335 f., angeschlossen.
43
  So argumentieren z. B. Theismuskritiker wie E. H. Madden/P. H. Hare, Evil
and the Concept of God, Springfield/Illinois 1968, 55, und G. Streminger, Gottes
Güte und die Übel der Welt. Das Theodizeeproblem, Tübingen 1992, 70 f.
§  19  Die Unlösbarkeit des empirischen Theodizeeproblems 139
richtung der Dinge, wo die Ursachen verborgen und veränderlich und zusam-
mengesetzt sind. Ein paar kleine Striche am Gehirn des Caligula in seiner Ju-
gend hätten aus ihm vielleicht einen Trajan gemacht; eine Welle, ein wenig höher
als die übrigen, hätte Cäsar und sein Glück auf dem Grunde des Meeres begra-
ben und damit einem erheblichen Teile der Menschheit die Freiheit zurückgeben
können.«44

Kurzum: Da die Welt durch gelegentliche, das Schlimmste verhütende


Wunder offenbar verbessert werden könnte, existiert der theistische
Gott, der eine unübertrefflich gute Welt schaffen würde, wahrscheinlich
nicht.
Diese scheinbar plausible Replik des Theismuskritikers ist aus fol-
gendem Grund nicht triftig: Dass die wirkliche Welt W schlechter ist als
die mögliche Welt W*, die aktuell wäre, wenn bestimmte in W einge-
schlossene Übel durch Wunder ausgeschlossen würden, wäre nur dann
offensichtlich, wenn sich W* lediglich durch Abwesenheit besagter Übel
von W unterschiede und ansonsten mit ihr identisch wäre. Diese Voraus-
setzung, auf die sich die Plausibilität der These, durch gelegentliche
Wunder ließe sich die Welt optimieren, im Wesentlichen stützt,45 ist aber
nicht erfüllt. Denn wenn in W eingeschlossene Ereignisse durch mo-
mentane Suspension von Gesetzen verhindert würden, käme es aufgrund
veränderter Antezedenzbedingungen und der ansonsten unangetasteten
gesetzlichen Struktur der Welt zu einer – möglicherweise sogar erheb-
lichen – Veränderung des gesamten zukünftigen Ereignisverlaufs.46
Schon in nichtlinearen physikalischen Teilsystemen der Welt können,
wie die moderne Chaostheorie lehrt, minimalste Änderungen ihrer

44
 Hume, Dialogues concerning natural religion, 98 (Übersetzung nach Hume,
Dialoge über natürliche Religion, 96).
45
  Vgl. z. B. die entscheidende Bemerkung bei Perkins, Jr., »An Atheistic Argu-
ment from the Improvability of the Universe«, 243: »The universes A and P, then,
contain exactly the same events, except that P, if actualized, would contain an event
E’ k [.  .  .] which would be slightly less painful than the corresponding event Ek in A.
Otherwise the histories of A and P do not differ.« A steht bei Perkins für die wirk-
liche Welt und P soll für eine mögliche Welt stehen, die besser ist als A und die ein
theistischer Gott anstelle von A aktualisieren könnte. Da P aber aus dem im Haupt-
text genannten Grund keine mögliche Welt ist, misslingt Perkins’ Theismuskritik.
46
  Vgl. Leibniz, Theodizee, §§  9 und 249. Übrigens hat Leibniz in den §§  211–214
anhand eines mathematischen Beispiels gezeigt, dass der Teil eines optimalen Ganzen
nicht notwendigerweise der, für sich betrachtet, optimale Teil ist. Dieser Grundsatz
gilt nur bei einem gleichförmigen Ganzen und ist folglich auf das ungleichförmige
Weltganze nicht anwendbar. Im Fall der Welt ist deshalb nicht auszuschließen, dass
Teilverbesserungen zu Verschlechterungen des Ganzen führen.
140 Fünftes Kapitel:  Das Theodizeeproblem

Antezedenzbedingungen zu einem höchst unterschiedlichen Verhalten


dieser Systeme führen. Aufgrund unserer prinzipiell unvollständigen
Kenntnis der Antezedenzbedingungen47 sind daher weder der künftige
Ereignisverlauf der wirklichen Welt W noch derjenige der möglichen
Welt W* mit Sicherheit voraussagbar, geschweige denn unter Wertge-
sichtspunkten vergleichbar. Folglich überschreiten sowohl die theismus-
kritische Annahme, dass die Welt besser wäre, wenn einige Übel durch
Wunder ausgeschlossen würden, als auch die theistische Gegenannahme
die Grenzen unserer empirischen Erkenntnismöglichkeiten. Mithin ist
das empirische Theodizeeproblem in seiner ersten und, wie der folgende
Abschnitt zeigen wird, auch in seiner zweiten möglichen Form nicht
entscheidbar.

3.  Optimierung durch andere Gesetze oder Parameterwerte?


Die zweite Form des empirischen Theodizeeproblems besteht darin, ob
der Untersatz des folgenden Schlusses zutrifft.
(11) Ein theistischer Gott würde eine unübertrefflich gute Welt schaffen
und daher alle Übel verhindern, ohne die die Welt besser wäre.
(12) Nun gibt es unter den faktischen Übeln augenscheinlich solche, ohne
die die Welt besser wäre, wenn sie durch Substitution der an ihrer
Entstehung beteiligten Gesetze verhindert würden. Die Welt ist da­
her offenbar nicht unübertrefflich gut.
(13) Folglich existiert ein theistischer Gott wahrscheinlich nicht.
Die Annahme (12) ist die allgemeine Form einer Reihe von konkreten
theismuskritischen Optimierungsvorschlägen, die sich entweder auf die
Konstitution von Lebewesen oder deren widrige Umwelt beziehen. Die
Welt wäre besser, so behauptet ein gängiger Vorschlag des ersten Typs,
wenn psychische mit physischen Zuständen gesetzlich so verknüpft wä-
ren, dass Bedürfnisse und Verletzungen des Körpers statt wie faktisch
als unangenehm und schmerzhaft lediglich als weniger angenehm emp-
funden würden.
»Alle Lebewesen könnten beständig in einem Zustand der Lust sein und, ge-
drängt durch irgendeine der Notwendigkeiten der Natur, z. B. Durst, Hunger,

47
 Diese prinzipielle Unvollständigkeit folgt aus den in der Quantenmechanik
entdeckten unüberschreitbaren Grenzen unserer möglichen Annäherung an physi-
kalische Phänomene im Messprozess.
§  19  Die Unlösbarkeit des empirischen Theodizeeproblems 141
Ermüdung, könnten sie statt Schmerz eine Verminderung der Lust fühlen, wo-
durch sie bewogen würden, den Gegenstand zu suchen, der für ihre Erhaltung
notwendig ist. Der Mensch verfolgt Lust ebenso eifrig, wie er Schmerz vermei-
det, wenigstens könnte er so beschaffen sein. Es scheint daher völlig möglich,
das Geschäft des Lebens ohne Schmerz in Gang zu halten.«48

Anderen Vorschlägen zufolge würde die Welt besser, wenn an die Stelle
faktischer Naturgesetze solche träten, die den Prozentsatz ungünstiger
und deshalb leiderzeugender Mutationen verringern49 oder Umweltwid-
rigkeiten wie Erdbeben, Wirbelstürme, Flutkatastrophen etc. ausschlie-
ßen würden.50 Schon Alfons X., der Weise, König von Kastilien und
León (1252–1282), soll angesichts der Umständlichkeiten des ptolemä-
ischen Weltsystems bemerkt haben, Gott hätte ihn bei der Schöpfung zu
Rate ziehen sollen, um etwas Besseres zustande zu bringen.51
Der Plausibilitätsanspruch der Annahme (12) stützt sich wie schon
derjenige der Annahme (9) auf folgende Voraussetzung: Die wirkliche
Welt W und die mögliche Welt W*, die aktuell wäre, wenn gewisse in W
eingeschlossene Übel durch Substitution von Gesetzen ausgeschlossen
würden, sind – abgesehen von der Präsenz dieser Übel in W und ihrer
Absenz in W* – identisch oder weitgehend ähnlich. Diese Vorausset-
zung, durch Substitution von Gesetzen sei eine regionale Verbesserung
der Welt möglich, ohne ihren gesamten Ereignisverlauf und ihre Ge-
samtstruktur zu verändern, trifft aus demselben Grund nicht zu, der
bereits im letzten Abschnitt ausschlaggebend war: Wenn an die Stelle

48
 Hume, Dialogues concerning natural religion, 97 (Übersetzung nach Hume,
Dialoge über natürliche Religion, 94 f.). Dieselbe Überlegung bildet den Kern der
von P. Draper, »Pain and Pleasure: An Evidential Problem for Theists«, Nous 23
(1989), 331–350, entwickelten Theismuskritik. Hick, Evil and the God of Love,
303 f., macht zu Recht darauf aufmerksam, dass Humes Vorschlag keineswegs zur
Abschaffung von Unlust und Schmerz, sondern lediglich zu einer zwar kontrast­
ärmeren, aber wiederum angenehme und unangenehme Empfindungen umfassenden
Empfindungsskala führen würde. Denn ob eine Empfindung angenehm oder unan-
genehm ist und in welchem Grad sie es ist, ergibt sich erst aus ihrer Beziehung zu
anderen, vergleichsweise angenehmeren und unangenehmeren Empfindungen.
49
  Vgl. Madden/Hare, Evil and the Concept of God, 55 f.
50
  Vgl. G. S. Kane, »The Failure of Soul-Making Theodicy«, International Journal
for Philosophy of Religion 6 (1975), 1–22, hier: 6 f. Für die genannten und weitere
Optimierungsvorschläge vgl. außerdem z. B. Hume, Dialogues concerning natural
religion, 98–102; H. J. McCloskey, God and Evil, The Hague 1974, 93–95; Q. Smith,
»An Atheological Argument from Evil Natural Laws«, International Journal for
Philosophy of Religion 29 (1991), 159–174.
51
  Diese Bemerkung Alfons’ wird kolportiert und kommentiert bei Leibniz, Theo­
dizee, §  193, und Schelling, Freiheitsschrift, SW VII, 397.
142 Fünftes Kapitel:  Das Theodizeeproblem

eines in der wirklichen Welt geltenden Gesetzes G ein Gesetz G* träte,


würde schon ein einziger Anwendungsfall von G* die Antezedenzbe-
dingungen aller späteren Ereignisse verändern und daher zu einer Verän-
derung des gesamten künftigen Ereignisverlaufs führen. Da jeder weitere
Anwendungsfall von G* den Abweichungsgrad der Antezedenzbedin-
gungen vergrößern würde und da in einem »chaotischen« System schon
nahezu identische Antezedenzbedingungen à la longue zu gänzlich ver-
schiedenem Systemverhalten führen können, wäre diese Veränderung
des Ereignisverlaufs möglicherweise erheblich. Nun sind der ursprüng-
liche und der veränderte Ereignisverlauf aufgrund unserer prinzipiell
beschränkten Kenntnis ihrer Antezedenzbedingungen nicht prognosti-
zierbar und folglich einer vergleichenden Bewertung nicht zugänglich.
Betrachten wir abschließend die Frage, ob die Welt besser wäre, wenn
anstelle von Gesetzen lediglich die in unserem Universum geltenden Pa-
rameterwerte, die an der Entstehung von Übeln beteiligt sind, durch an-
dere ersetzt würden. Für die Beantwortung dieser Frage ist an den empi-
rischen Befund zu erinnern, der im dritten Kapitel (vgl. §  8) dargelegt
wurde. Die naturwissenschaftliche Kosmologie des 20. Jahrhunderts hat
anhand einer Vielzahl von Beispielen nachgewiesen, dass die Entstehung
von Leben, wie wir es kennen, nur durch eine verblüffend präzise Fein-
abstimmung unseres Universums möglich war. Bereits kleinste Modifi-
kationen von Parameterwerten hätten die Bio- und Anthropogenese ver-
eitelt. Nun besitzt ein mögliches Universum, das weniger oder gar keine
Formen von Leben und keine moralischen Akteure einschließt, gemes-
sen an dem ersten und vierten der oben genannten Bewertungskriterien,
einen geringeren Wert als das unsrige. Folglich verliert auch die Annah-
me, durch Veränderung von Parameterwerten sei eine Optimierung der
Welt möglich, ihre empirische Plausibilität.
Die Feinabstimmung unseres Universums kann allerdings ebenso we-
nig als empirischer Beleg für dessen unübertreffliche Güte in Anspruch
genommen werden, und zwar aus zwei Gründen. Erstens besagt der kos-
mologische Befund lediglich Folgendes: Diejenigen möglichen Uni-
versen, die sich von unserem Universum nicht durch ihre Basisgesetze,
sondern nur durch einzelne Parameterwerte unterscheiden, enthalten
mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Formen von Leben und sind des-
halb, gemessen am ersten und vierten Kriterium, schlechter als das uns-
rige.52 Damit bleiben aber die Fragen offen, ob sich nicht in anderen

52
  Natürlich würde ein vergleichendes Werturteil, das sich ausschließlich am Kri-
§  19  Die Unlösbarkeit des empirischen Theodizeeproblems 143

möglichen Universen, die durch andere Basisgesetze oder durch ein


gänzlich anderes Set von Parameterwerten bestimmt werden, Leben ent-
wickeln könnte53 und wie sich der Gesamtwert dieser Universen zu dem
unseres Universums verhält. Zweitens ist unser Universum womöglich
nur eines unter vielen zeitlich parallelen und aufeinanderfolgenden Uni-
versen (vgl. §  10), mithin nur ein Teil der gesamten Wirklichkeit. Wenn
das der Fall ist, dann wäre man, selbst wenn feststünde, dass Leben aus-
schließlich unter den in unserem Universum gegebenen Voraussetzungen
möglich ist, nicht berechtigt, auf die unübertreffliche Güte der Gesamt-
wirklichkeit zu schließen. Denn aus der Optimalität eines Teils folgt
nicht die Optimalität des Ganzen.
Die mit dem theistischen Gottesbegriff notwendig verknüpfte An-
nahme, dass der Wert der wirklichen Welt durch den Wert keiner ande-
ren möglichen Welt übertroffen wird, ist auf empirischem Wege nicht
widerlegbar, aber eben auch nicht begründbar. Letzteres würde, wie
Kant bei seiner Kritik des teleologischen Gottesbeweises treffend be-
merkt, »in mir selbst Allwissenheit voraussetzen, um die Zwecke der
Natur in ihrem ganzen Zusammenhange einzusehen, und noch oben ein
alle andere mögliche Plane denken zu können, mit denen in Vergleichung
der gegenwärtige als der beste mit Grunde beurteilt werden müßte.«54
Folglich ist das empirische Theodizeeproblem im Unterschied zum lo-
gischen weder in theistischem noch in theismuskritischem Sinn ent-
scheidbar und muss deshalb offenbleiben. Bezogen auf dieses Problem,
kann der Theist nur jene leidenschaftliche Rückfrage an Gott stellen, die
den todkranken Romano Guardini dem Bericht von Walter Dirks zufol-
ge bewegt hat:

terium der hedonistischen Gesamtbilanz von Universen orientiert, also am dritten


oben genannten Kriterium, und das unserem Universum eine negative Gesamtbi-
lanz bescheinigt, anders ausfallen. S. Weinberg berichtet von einem in Moskau kur-
sierenden Witz, »demzufolge das anthropische Prinzip erklärt, warum das Leben so
traurig ist. Es gibt sehr viel mehr Möglichkeiten für ein trauriges als für ein glückli-
ches Leben; das anthropische Prinzip verlangt nur, daß die Naturgesetze die Exis-
tenz von intelligenten Wesen erlauben, nicht aber, daß diese Wesen Spaß haben.« (St.
Weinberg, Der Traum von der Einheit des Universums, aus dem Amerikanischen
von F. Griese, München 1995, 229, Anmerkung*).
53
  Darauf macht J. Leslie, »Anthropic Principle, World Ensemble, Design«, Ame­
rican Philosophical Quarterly 19 (1982), 141–151, aufmerksam. »Maybe possible
worlds include millions of ways of producing life without use of any mechanisms
familiar to us.« (ebd., 143).
54
 Kant, Kritik der Urteilskraft, A 404, B 408 (Werke 8, 566).
144 Fünftes Kapitel:  Das Theodizeeproblem

»Der es erlebt, wird es nicht vergessen, was ihm der alte Mann auf dem Kran-
kenlager anvertraute. Er werde sich im letzten Gericht nicht nur fragen lassen,
sondern auch selber fragen; er hoffe in Zuversicht, daß ihm dann der Engel die
wahre Antwort nicht versagen werde auf die Frage, die ihm kein Buch, auch die
Schrift selber nicht, die ihm kein Dogma und kein Lehramt, die ihm keine
›Theo­dizee‹ und Theologie, auch die eigene nicht, habe beantworten können:
Warum, Gott, zum Heil die fürchterlichen Umwege, das Leid der Unschul-
digen, die Schuld?«55

Schlussbemerkung: Wie jede Theodizee wird auch die von mir vorge-
schlagene No-Better-World-Defense mit einem Vorwurf rechnen müs-
sen, der zuerst von Schopenhauer, später vor allem von der Kritischen
Theorie erhoben wurde und der inzwischen zum festen Bestandteil der
deutschsprachigen Theodizeedebatte gehört. Theodizeen gelten »nicht
bloß als eine absurde, sondern auch als eine wahrhaft ruchlose Den-
kungsart [.  .  .], als ein bitterer Hohn über die namenlosen Leiden der
Menschheit.«56 Sie gelten als zweifelhaftes Unternehmen, sich hinter
dem Rücken der Leidenden mit Gott zu versöhnen. Solche moralischen
Verwerfungen wären dann und nur dann berechtigt, wenn zuvor auf
theoretischer Ebene gezeigt würde, dass es unter den faktischen Übeln
solche gibt, die ein theistischer Gott verhindert hätte und die deshalb
gegen dessen Existenz sprechen. Da in der deutschsprachigen Gegen-
wartsdebatte aber kaum nennenswerte Anstrengungen unternommen
werden, diesen Nachweis zu erbringen, liegen den mit großer Selbstver-
ständlichkeit erhobenen Verharmlosungsvorwürfen offenbar theorieex-
terne Motive zugrunde. Es gehört hierzulande zum guten Ton, Theorien
des Bösen, die dessen Sinnlosigkeit nicht für ausgemacht halten, von
vornherein als sinnlose und böse Theorien zu diskreditieren. Einer the-
oriescheuen moralischen Überheblichkeit dieser Art ist mit Argumenten
nicht beizukommen. Daher bleibt nur zu hoffen, dass sie sich auf Dauer
von selbst erledigt.

55
  E. Biser, Interpretation und Veränderung. Werk und Wirkung Romano Guar­
dinis, Paderborn/München/Wien/Zürich 1979, 132 f.
56
  A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung I, 4. Buch, §  59 (Werke II,
407 f.).
Dritter Teil

Einheit und Zukunft der Person


Sechstes Kapitel

Das Leib-Seele-Problem

Wer sich in der gegenwartsphilosophischen Debatte über das Leib-See-


le-Problem orientiert, bemerkt schnell, dass er es im Wesentlichen mit
zwei Konfessionen zu tun hat. Die kleinere Konfession, die allerdings
stolz auf eine lange, ehrwürdige Tradition zurückblicken kann, ist der
Dualismus. Anhänger dieser Glaubensrichtung bekennen gemeinsam,
dass es in der Welt neben dem Physischen auch Nicht-Physisches gibt,
entweder nicht-physische Dinge, Seelen genannt, oder zumindest men-
tale Zustände, die nicht mit physischen identisch sind. Sie sind sich frei-
lich uneinig, ob das Nicht-Physische mit dem Physischen in Wechsel-
wirkung steht, wie die Interaktionisten glauben, oder ob es nur eine
unwirksame Begleiterscheinung des Physischen ist, der Schaum gewis-
sermaßen auf den Wellen des Biochemischen, wie die Epiphänomenalis-
ten behaupten. Die jüngere, dafür größere Konfession ist der Materialis-
mus oder Physikalismus, der sich mit den modernen Wissenschaften im
Bunde sieht. Mitglieder dieser Glaubensgemeinschaft sind überzeugt,
dass es keine anderen Dinge und Zustände gibt als physische, wobei die
radikalen Physikalisten mentale Zustände für bloße Artefakte der All-
tagspsychologie halten, während die moderateren die Existenz mentaler
Zustände zwar anerkennen, sie aber mit physischen identifizieren.
Diese beiden gleichsam orthodoxen Positionen in der gegenwärtigen
Philosophie des Geistes, den Dualismus und den Physikalismus, werde
ich im ersten und zweiten Abschnitt meiner folgenden Überlegungen
behandeln und als nicht überzeugend zurückweisen. Im dritten Ab-
schnitt werde ich dann einen heterodoxen Gegenvorschlag zur Bewälti-
gung des Leib-Seele-Problems unterbreiten.

§  20  Kritik des Dualismus

In aller Regel gehen wir davon aus, dass unsere Wünsche, Überzeu-
gungen und Empfindungen zu den Gründen für unser Verhalten und
148 Sechstes Kapitel:  Das Leib-Seele-Problem

Handeln gehören. Der Wunsch, beim Abschied zu grüßen, kann je-


manden veranlassen zu winken und eine Überzeugung ihn dazu bewe-
gen, sie zu äußern. Die epiphänomenalistische Annahme, mentale Ereig-
nisse und Zustände seien kausal unwirksame Begleiterscheinungen von
Gehirnprozessen, widerspricht zu offenkundig unseren Intuitionen, um
irgend glaubhaft zu erscheinen. Zudem ist sie, worauf Karl Popper hin-
gewiesen hat,1 mit dem Darwinismus nicht vereinbar. Wenn unser Be-
wusstsein Resultat einer Evolution ist, in der die natürliche Auslese eine
entscheidende Rolle gespielt hat, dann müssen mentale Zustände für un-
ser Verhalten und Handeln relevant sein; denn anderenfalls könnten sie
die Überlebenschancen bewusstseinsfähiger Wesen nicht erhöhen und
daher keinen Selektionsvorteil bieten.2
Von dieser Wirksamkeit des Mentalen auf das Physische oder, genauer
gesagt, von der Wechselwirkung zwischen Mentalem und Physischem,
die der Epiphänomenalismus leugnet, geht die bekannteste und histo-
risch einflussreichste Version des Dualismus aus, nämlich der interakti-
onistische Dualismus. Nun versteht aber der Interaktionismus das Men-
tale als etwas Nicht-Physisches und gerät dadurch in eine ernste Schwie-
rigkeit. Genau besehen, besteht das Problem nicht darin, dass die kausale
Einwirkung eines unkörperlichen Geistes oder nicht-physischer Zu-
stände auf die physische Welt die Energieerhaltungsgesetze der Physik
verletzen würde, wie häufig zu lesen ist.3 Denn der erste Hauptsatz der

1
  Vgl. K. R. Popper/J. C. Eccles, Das Ich und sein Gehirn, München/Zürich 1982,
102–105.
2
  F. Jackson, »Epiphenomenal Qualia«, Philosophical Quarterly 32 (1982), 127–
136, der einen epiphänomenalistischen Eigenschaftsdualismus verteidigt, hat er­
widert (vgl. ebd., 133 f.), die darwinsche Theorie besage lediglich, dass evolutionär
herausgebildete Eigenschaften entweder selbst überlebensdienlich oder Begleiter-
scheinungen von überlebensdienlichen Eigenschaften seien. Auf gewisse mentale
Eigenschaften aber könne Letzteres zutreffen. Diese Replik ist m. E. wenig plausibel,
weil sie in folgendes Dilemma führt: (a) Entweder kann der Epiphänomenalist die
naheliegende Annahme vertreten, mentale Eigenschaften seien kontingente Begleit-
erscheinungen von überlebensdienlichen physischen Eigenschaften. In diesem Fall
bliebe die Entwicklung des Bewusstseins evolutionstheoretisch ein Rätsel. Denn
dann wäre die Evolutionstheorie prinzipiell außerstande zu erklären, warum phy-
sische Eigenschaften mit ihren mentalen Begleiterscheinungen selektiert wurden
statt ohne sie. (b) Oder der Epiphänomenalist kann annehmen, mentale Eigen-
schaften seien notwendige Begleiterscheinungen von überlebensdienlichen phy-
sischen Eigenschaften. In diesem Fall würde er eine Ad-hoc-Annahme bilden, die
allein dazu dient, eine evolutionstheoretische Erklärung des Bewusstseins nicht aus-
zuschließen, für die aber keine weiteren, unabhängigen Gründe sprechen.
3
  Vgl. z. B. G. Vollmer, Was können wir wissen?, Bd.  2 : Die Erkenntnis der Natur.
§  2 0  Kritik des Dualismus 149

Thermodynamik besagt zwar, dass in einem geschlossenen System die


Energie konstant bleibt und nur in andere Formen transformiert, nicht
erzeugt oder vernichtet werden kann, aber er verbietet keine offenen
Systeme. Die interaktionistische Annahme einer Einwirkung nicht-phy-
sischer Ereignisse und Zustände auf die physische Welt widerstreitet da-
her nicht den Erhaltungsgesetzen der Physik, sondern erst dem zusätz-
lichen Prinzip, dass zur Erklärung physikalisch beschriebener Vorgänge
nur andere physikalisch beschriebene Vorgänge in Frage kommen. Nun
ist dieses Prinzip der Erklärungsgeschlossenheit der physischen Welt
erstens eine methodisch sinnvolle Maxime empirischer Forschung, weil
es gleichsam die Funktion des elektrischen Hasen in einem Hunderen-
nen hat, in dem die Wissenschaft den Hund spielt. Zweitens hat sich das
Prinzip bisher auch ausnahmslos bewährt. Dem Interaktionismus ist es
bislang nicht gelungen, überzeugende empirische Belege für die von ihm
vorausgesagten Lücken in den physikalischen Kausalabläufen neurophy-
siologischer Vorgänge zu liefern.4 Sollte sich daran nichts ändern, kann
der interaktionistische Dualismus aus empirischer Perspektive wohl
kaum als eine akzeptable Lösung des Leib-Seele-Problems gelten.
Der Dualismus scheint demnach vor der Alternative zu stehen, entwe-
der an Pest oder an Cholera zu sterben. In seiner epiphänomenalistischen
Version verletzt er das Prinzip der Erklärungsrelevanz des Mentalen und
in seiner interaktionistischen Version das Prinzip der Erklärungsge-
schlossenheit der physischen Welt.5 Eine überzeugende Lösung des
Leib-Seele-Problems wird in der Lage sein müssen, beiden Prinzipien
gerecht zu werden, ohne dadurch andere unüberwindliche Schwierig-
keiten zu schaffen.

Beiträge zur modernen Naturphilosophie, Stuttgart 2.  Aufl. 1988, 87; D. C. Dennett,
Philosophie des menschlichen Bewußtseins, Hamburg 1994, 55; A. Beckermann,
Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes, Berlin/New York 2.  Aufl.
2001, 51 f. Zu Recht haben dagegen E. Averill/B. F. Keating, »Does Interactionism
Violate a Law of Classical Physics?«, Mind 90 (1981), 102–107, darauf hingewiesen,
dass der Interaktionismus den Erhaltungsgesetzen der Physik keineswegs wider-
spricht.
4
  Zu gegenteiligen Behauptungen vgl. z. B. D. M. MacKay, »Selves and Brains«,
Neuroscience 3 (1978), 599–606.
5
 Durch ihren rein epistemischen Charakter unterscheiden sich diese beiden
Prinzipien von denen der kausalen Geschlossenheit des Physischen und der Wirk-
samkeit des Mentalen auf das Physische. Der Grund für die vorsichtigere, episte-
mische Fassung der Prinzipien wird unten in §  22 deutlich werden.
150 Sechstes Kapitel:  Das Leib-Seele-Problem

Bevor ich dem weiter nachgehe, muss ein modallogisches Argument


geprüft werden, das beansprucht, den dargelegten Schwierigkeiten zum
Trotz eine zwingende Begründung für den Dualismus zu liefern. Dieses
Argument wurde von Descartes entwickelt und ist gegenwartsphiloso-
phisch in variierter Form von Saul Kripke und Richard Swinburne er-
neuert worden. 6 Kripkes Argument, auf das ich mich beschränke, ver-
sucht den Dualismus durch Widerlegung des Gegenteils zu demonstrie-
ren und lässt sich als Sequenz von drei Gedankenschritten verstehen.
(a) Identitätsaussagen, in denen auf beiden Seiten des Gleichheitszei-
chens bestimmte Ausdrücke verwendet werden, sind notwendigerweise
wahr, wenn sie überhaupt wahr sind. Dazu gehören psychophysische
Identitätsbehauptungen, z. B. »Schmerz ist ein Gehirnzustand vom Typ
N«, ebenso wie beispielsweise die Aussage der statistischen Mechanik
»Wärme ist die mittlere kinetische Energie von Molekülen«. Denn bei
den verwendeten Ausdrücken »Schmerz«, »Gehirnzustand vom Typ
N«, »Wärme« und »mittlere kinetische Energie von Molekülen« handelt
es sich um starre Designatoren, d. h. um Ausdrücke, die sich unter allen
denkbaren Umständen auf dasselbe Objekt beziehen. Wenn aber die
Ausdrücke »Schmerz« und »Gehirnzustand vom Typ N« in allen mög-
lichen Welten denselben Referenten haben, dann ist die Behauptung,
Schmerz sei ein Gehirnzustand vom Typ N, in allen möglichen Welten,
also notwendigerweise wahr, wenn sie überhaupt wahr ist. Soweit der
erste und meines Erachtens überzeugende Schritt von Kripkes Argu-
ment.
(b) Nun kann man sich, fährt Kripke fort, keine Umstände vorstellen,
in denen Wärme und mittlere kinetische Energie von Molekülen nicht
identisch sind. Wer glaubt, sich das vorstellen zu können, stellt sich näm-
lich in Wahrheit Situationen vor, in denen jemand Wärme empfindet,
obgleich es kalt ist, oder Kälte empfindet, obgleich es warm ist. Der trü-
gerische Schein, es könne Umstände geben, in denen Wärme nicht mit
der mittleren kinetischen Energie von Molekülen identisch ist, entsteht
6
  Vgl. R. Descartes, Meditationes de prima philosophia, lat.-dt., auf Grund der
Ausgabe von A. Buchenau neu hrsg. von L. Gäbe, Hamburg 2.  Aufl. 1977, 140 (Med.
VI, Abschnitt 9); Kripke und Swinburne haben ihr Argument mehrfach dargelegt,
vgl. z. B. S. A. Kripke, »Identity and Necessity«, in: M. Munitz (ed.), Identity and
Individuation, New York 1971, 135–164 (dt. Teilübersetzung: S. A. Kripke, »Aus:
Identität und Notwendigkeit«, in: M. Pauen/A. Stephan [Hgg.], Phänomenales Be­
wusstsein – Rückkehr zur Identitätstheorie?, Paderborn 2002, 83–90), und R. Swin-
burne, The Evolution of the Soul, revised edition Oxford 1997, 145–160 und 322–
332.
§  2 0  Kritik des Dualismus 151

nach Kripke deshalb und allein deshalb, weil wir Wärme durch ihre zu-
fällige Eigenschaft herausgreifen, als Wärme empfunden zu werden.
Ganz anders verhält es sich beim Schmerz. Es ist keine zufällige Eigen-
schaft meines Schmerzes als Schmerz empfunden zu werden. Das, was
als Schmerz empfunden wird, ist vielmehr auch Schmerz. Während man
sich die Nichtidentität von Wärme und mittlerer kinetischer Energie von
Molekülen nicht klar und deutlich vorstellen kann, kann man sich nach
Kripke deshalb sehr wohl einen Gehirnzustand vom Typ N ohne
Schmerz und Schmerz ohne einen Gehirnzustand vom Typ N klar und
deutlich vorstellen. Denn demjenigen, der sich das vorstellt, indem er
sich beispielsweise ein fremdes Lebewesen denkt, das Schmerzen emp-
findet, ohne Gehirnzustände vom Typ N zu besitzen, kann nicht erwi-
dert werden, er stelle sich in Wahrheit nur eine Situation vor, in der
Schmerz zwar empfunden werde, in der aber gar kein Schmerz vorliege.
Da diese Täuschung ausgeschlossen ist und da man sich nach Kripke nur
auf diese Weise über die Vorstellbarkeit einer Nichtidentität täuschen
kann, ist klar und deutlich vorstellbar, dass Schmerz nicht mit einem
Gehirnzustand vom Typ N identisch ist. Soweit der zweite, meines Er-
achtens problematische Schritt von Kripkes Argument.
(c) Nun ist dasjenige, was klar und deutlich vorgestellt werden kann,
auch objektiv möglich. Daher gibt es eine mögliche Welt, in der Schmerz
nicht mit einem Gehirnzustand vom Typ N identisch ist. Folglich muss
die Annahme, Schmerz sei ein Gehirnzustand vom Typ N, falsch sein.
Denn wäre sie wahr, dann wäre sie notwendigerweise, d. h. in allen mög-
lichen Welten wahr.
Es hat einige Versuche gegeben, dieses Argument und die entspre-
chenden Argumente von Descartes und Swinburne zu widerlegen. So
wurde beispielsweise gegen den dritten Schritt von Kripkes Argument
eingewandt, etwas könne auch dann objektiv unmöglich sein, wenn es
klar und deutlich vorgestellt werden kann.7 Diesem Einwand möchte ich
mich schon deshalb nicht anschließen, weil er mit hohen, vielleicht zu

7
  Vgl. J. Levine, »On Leaving Out What It’s Like«, in: M. Davies/G. W. Hum-
phreys (eds.), Consciousness. Psychological and Philosophical Essays, Oxford, Cam­
bridge/Massachusetts 1993, 121–136, hier: 122–124. Eine andere, auf Überlegungen
von Th. Nagel zurückgehende Kritik an Kripke findet sich bei Ch. S. Hill, »Imagina-
bility, Conceivability, Possibility and the Mind-Body Problem«, Philosophical Stu­
dies 87 (1997), 61–85 (dt. Übersetzung: Ch. S. Hill, »Vorstellbarkeit, Denkbarkeit,
Möglichkeit und das Leib-Seele Problem«, in: M. Pauen/A. Stephan [Hgg.], Phäno­
menales Bewusstsein – Rückkehr zur Identitätstheorie?, Paderborn 2002, 184–207).
152 Sechstes Kapitel:  Das Leib-Seele-Problem

hohen Kosten verbunden ist. Kripkes Fehler ist vielmehr in seinem zwei-
ten Gedankenschritt zu suchen, und zwar in seiner Annahme, es gebe
nur einen möglichen Grund, sich über die Vorstellbarkeit einer Nicht­
identität zu täuschen. Kommen wir noch einmal auf sein Wärmebeispiel
zurück. Über lange Zeit hielt man Wärme für eine eigene Substanz,
nämlich für Wärmestoff, und glaubte daher, sich vorstellen zu können,
sie sei nicht mit der Bewegung von Teilchen eines beliebigen Stoffs iden-
tisch. Dieser Irrtum über die Vorstellbarkeit der Nichtidentität von
Wärme und Teilchenbewegung beruhte offenkundig nicht darauf, dass
man Wärme mit der Empfindung von Wärme verwechselte. Für diesen
damaligen Irrtum war vielmehr eine falsche Annahme über die physika-
lische Natur der Wärme verantwortlich. Die Täuschung, man könne sich
die Nichtidentität von Wärme und der Bewegung von Teilchen vorstel-
len, kann somit nicht nur einen, sondern mindestens zwei Gründe ha-
ben, nämlich entweder das irrtümliche Herausgreifen der Sache durch
ihre subjektive Empfindung oder ein unzulänglicher Begriff der Sache
selbst. Nun behauptet Kripke zu Recht, dass man sich über die Vorstell-
barkeit der Nichtidentität von Schmerz mit einem Gehirnzustand vom
Typ N nicht auf die erste Weise täuschen kann. Denn das, was als
Schmerz empfunden wird, ist wie gesagt auch Schmerz. Aber womög-
lich hat man einen unzulänglichen Begriff von der Natur des Schmerzes,
wenn man glaubt, sich Schmerz ohne einen Gehirnzustand vom Typ N
vorstellen zu können. Solange aber diese Irrtumsmöglichkeit nicht aus-
geschlossen ist, ist nicht gewährleistet, dass man über eine klare und
deutliche Vorstellung der Nichtidentität des Schmerzes und eines be-
stimmten Gehirnzustandes verfügt. Folglich ist Kripkes modallogisches
Argument für den Dualismus selbst dann nicht stichhaltig, wenn aus der
klaren und deutlichen Vorstellung von etwas seine objektive Möglichkeit
folgt. Derselbe Einwand lässt sich auch gegen Descartes ins Feld führen.
Denn sein Argument beruht auf der zweifelhaften Voraussetzung, dass
ich klar und deutlich einsehe, allein mit der Eigenschaft des Denkens
ohne alle körperlichen Eigenschaften existieren zu können.8

8
  Nach Peter Strawson ist besagte Voraussetzung sogar mehr als zweifelhaft, weil
einem Subjekt nur dann Bewusstseinszustände zugeschrieben werden können, wenn
ihm auch körperliche Eigenschaften zugeschrieben werden. Zu diesem Ergebnis ge-
langt Strawson durch eine Überlegung, die er wie folgt zusammenfasst: »Es könnte
nicht die Rede davon sein, die eigenen Bewußtseinszustände oder Erfahrungen ir-
gendeinem Subjekt zuzuschreiben, wenn man nicht bereit und in der Lage wäre,
Bewußtseinszustände oder Erfahrungen anderen Individuen zuzuschreiben, die
§  21  Kritik des Physikalismus 153

§  21  Kritik des Physikalismus

Physikalistische Vorschläge zur Lösung des Leib-Seele-Problems gehen


im Unterschied zum Dualismus davon aus, dass es in der Welt keine an-
deren Dinge und Zustände gibt als physische. Die interessanteste und
aussichtsreichste Form des Physikalismus ist meines Erachtens die soge-
nannte Identitätstheorie, auf die ich mich deshalb im Folgenden kon-
zentriere. Sie wird ihrerseits in zwei Versionen vertreten. Die klassische
Identitätstheorie, die Ende der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts von Ullin
T. Place und J. J. C. Smart entwickelt wurde,9 behauptet, dass alle men-
talen Zustände eines bestimmten Typs mit neuronalen Zuständen eines
bestimmten Typs identisch sind, z. B. alle Schmerzzustände mit der Rei-
zung von C-Fasern (Typenidentitätstheorie). Mentale und neuronale
Typen von Zuständen sollen in genau dem Sinne miteinander identisch
sein wie Blitze mit elektrischen Entladungen oder Temperatur mit der
mittleren kinetischen Energie von Molekülen. Ebenso wie sich diese
physikalischen Identitätsaussagen empirisch bestätigt haben, werde sich
deshalb auch die Hypothese einer psychophysischen Typenidentität à la
longue empirisch bestätigen.
Nun steht die klassische Identitätstheorie unter anderem vor dem
Problem der multiplen Realisierung mentaler Zustände. Könnten zwei
mentale Zustände desselben Typs nicht durch zwei physische Zustände
unterschiedlichen Typs realisiert werden? Warum sollten beispielsweise
Zustände der Freude, auch wenn sie beim Menschen mit neuronalen

demselben logischen Typ angehören wie das Subjekt, dem man die eigenen Bewußt-
seinszustände zuschreibt. Voraussetzung dafür, daß man sich selbst als Subjekt der-
artiger Prädikate betrachtet, ist, daß man auch andere als Subjekte derartiger Prädi-
kate betrachtet. Dies wiederum ist nur möglich unter der Voraussetzung, daß man
imstande ist, verschiedene Subjekte für derartige Prädikate, d. h. verschiedene Indi-
viduen des besagten Typs voneinander zu unterscheiden und zu identifizieren. Dies
wiederum hat zur Voraussetzung, daß die besagten Individuen, einschließlich einem
selbst, einem ganz bestimmten einzigartigen Typ zugehören: der Art nämlich, daß
man jedem Individuum dieses Typs sowohl Bewußtseinszustände als auch körper-
liche Eigenschaften zuschreibt oder zuschreiben kann.« (P. F. Strawson, Einzelding
und logisches Subjekt [Individuals]. Ein Beitrag zur deskriptiven Metaphysik, aus
dem Englischen übersetzt von F. Scholz, Stuttgart 2003, 133 f.).
9
  Vgl. U. T. Place, »Is Consciousness a Brain Process?«, The British Journal of
Psychology 47 (1956), 44–50 (dt. Übersetzung: U. T. Place, »Ist Bewusstsein ein Ge-
hirnprozess?«, in: M. Pauen/A. Stephan [Hgg.], Phänomenales Bewusstsein – Rück­
kehr zur Identitätstheorie?, Paderborn 2002, 73–82); J. J. C. Smart, »Sensations and
Brain Processes«, The Philosophical Review 68 (1959), 141–156.
154 Sechstes Kapitel:  Das Leib-Seele-Problem

Zuständen eines bestimmten Typs identisch sind, nicht bei anderen Le-
bewesen durch andere physische Zustände realisiert werden? Um dieses
Problem zu umgehen, wurde eine schwächere Version der Identitäts­
theorie entwickelt. Sie lässt offen, ob Typen mentaler und physischer
Zustände miteinander identisch sind, und behauptet lediglich, dass jeder
bestimmte mentale Zustand von einem bestimmten physischen Zustand
realisiert wird (Tokenidentitätstheorie).10 Diese schwächere Version
wird vor allem im Funktionalismus vertreten, der mentale Zustands­
typen nicht mit physischen, sondern mit abstrakteren, funktionalen Zu-
standstypen identifiziert und annimmt, ein funktionaler Zustandstyp
könne durch verschiedene Arten von physischen Zuständen realisiert
werden. Als Realisierung von Schmerzempfindungen können demnach
alle Arten von physischen Zuständen gelten, die gewisse Funktionen er-
füllen, indem sie zum Beispiel durch Verletzungen verursacht werden,
Vermeidungsbestrebungen in Gang setzen und Abneigungen gegen ge-
wisse Umstände hervorrufen. Wenn aber Typen von mentalen Zustän-
den mit funktionalen Zustandstypen identisch sind, die unterschied-
liche physische Realisierungen erlauben, dann könnten wir auch, wie
Hilary Putnam schreibt, »aus Schweizer Käse bestehen und es würde
uns nichts ausmachen.«11
Wie ist diese psychophysische und psychofunktionale Identitätstheo-
rie einzuschätzen? Oben wurde gesagt, eine überzeugende Lösung des
Leib-Seele-Problems müsse dem Prinzip der Erklärungsgeschlossenheit
der physischen Welt und dem Prinzip der Erklärungsrelevanz des Men-
talen Rechnung tragen, ohne dadurch andere unüberwindliche Schwie-
rigkeiten zu schaffen. Auf den ersten Blick scheint die physikalistische
Identitätstheorie diese Anforderungen zu erfüllen. Trivialerweise wird
sie wie jede andere Form des Physikalismus dem ersten Prinzip gerecht.
Denn wenn es keine anderen Ereignisse und Zustände gibt als physische,
dann sind alle physischen Ereignisse und Zustände, falls sie überhaupt
erklärbar sind, durch andere physische Ereignisse und Zustände erklär-

10
  Ned Block hat indes gezeigt, dass sich das Problem der multiplen Realisierung
mutatis mutandis auch bei einer Tokenidentitätstheorie stellt, vgl. N.  Block, »Trou-
bles with Functionalism«, in: C. W. Savage (ed.), Perception and Cognition. Issues in
the Foundations of Psychology (Minnesota Studies in the Philosophy of Science,
Vol.  9), Minneapolis 1978, 261–325.
11
  H. Putnam, »Philosophy and our mental life«, in: ders., Mind, Language, and
Reality (Philosophical Papers, Vol.  2), Cambridge 1975, 291–303, hier: 291 (Überset-
zung von F. H.).
§  21  Kritik des Physikalismus 155

bar. Im Unterschied aber zu anderen Formen des Physikalismus und zur


epiphänomenalistischen Version des Dualismus beansprucht die Identi-
tätstheorie zudem, das Prinzip der Erklärungsrelevanz des Mentalen
berücksichtigen zu können, und zwar ohne dadurch wie der Interaktio-
nismus die Erklärungsgeschlossenheit des Physischen zu bestreiten. Sie
behauptet nämlich, dass mentale Ereignisse und Zustände kraft ihrer
Identität mit physischen andere physische Ereignisse und Zustände ver-
ursachen können. Anders gesagt: Obgleich die physische Welt kausal
geschlossen ist, sollen mentale Ereignisse und Zustände deshalb phy-
sische bewirken können, weil sie selbst eine Teilmenge physischer Ereig-
nisse und Zustände sind. Der Wunsch, mit einem Freund zu sprechen,
kann mich veranlassen, zum Telefon zu greifen, weil dieser Wunsch
durch einen Zustand meines Gehirns realisiert wird.
Nun wird gelegentlich eingewandt, so verstanden verkomme das Prin-
zip der Erklärungsrelevanz des Mentalen zu einer bloßen Façon de par-
ler und in Wahrheit laufe die Identitätstheorie auf einen Epiphänomena-
lismus hinaus.12 Denn ein mentaler Zustand sei nicht als solcher physisch
wirksam, sondern nur kraft seiner Identität mit einem physischen, für
die Wirksamkeit dieses physischen Zustands aber sei es irrelevant, mit
einem mentalen identisch zu sein. Dieser Einwand ist meines Erachtens
unberechtigt. Denn er setzt offenbar voraus, dass bestimmte physische
Zustände nur zufälligerweise mit mentalen identisch sind, daher unter
geeigneten Umständen auch ohne die mentalen auftreten können und
dennoch die gleichen Wirkungen erzielen. Das von Kripke entwickelte
und oben dargelegte Argument zeigt indes, dass physische Zustände mit
mentalen notwendigerweise identisch sind, falls sie mit ihnen überhaupt
identisch sind. Folglich scheint die physikalistische Identitätstheorie
auch dem Prinzip der Erklärungsrelevanz des Mentalen Rechnung zu
tragen.13
Trotzdem ist sie keine überzeugende Lösung des Leib-Seele-Problems,
weil sie vor einer allem Anschein nach unüberwindlichen Schwierigkeit
steht. Dies zeigt sich, sobald man nach den Bedingungen fragt, unter
denen man berechtigt wäre, mentale Zustände mit neuronalen zu identi-
fizieren. Zur Begründung der physikalistischen Identitätstheorie würde

12
  Vgl. z. B. Popper/Eccles, Das Ich und sein Gehirn, 118–120; Th. Zoglauer, Geist
und Gehirn. Das Leib-Seele-Problem in der aktuellen Diskussion, Göttingen 1998,
198–200.
13
  Freilich wird sie diesem Prinzip nur in einem eingeschränkten Sinne gerecht,
wie ich unten in §  22 zeigen werde.
156 Sechstes Kapitel:  Das Leib-Seele-Problem

es nicht genügen, wenn man stabile Korrelationen zwischen mentalen


und neuronalen Zustandstypen fände. Denn diese psychophysischen
Korrelationen könnten ebenso gut als Belege für einen parallelistischen
und epiphänomenalistischen Dualismus in Anspruch genommen wer-
den, ja selbst für einen Interaktionismus, der davon ausgeht, dass neuro-
nale Prozesse notwendige Bedingungen für mentale sind.14 Die Wahr-
heitsansprüche der physikalistischen Identitätstheorie wären vielmehr
erst dann berechtigt, wenn mentale Zustände durch physische erklärt
und auf diese zurückgeführt werden könnten. »So folgern wir«, schreibt
Ullin T. Place,
»daß Blitze nichts anderes sind als die Bewegung elektrischer Ladungen, weil
wir wissen, daß die Bewegung elektrischer Ladungen in der Atmosphäre, so wie
sie auftritt, wenn von Blitzen berichtet wird, genau jene Arten visueller Reize
hervorruft, die einen Beobachter dazu führen würden, von einem Blitz zu be-
richten. [.  .  .] Wenn diese Überlegungen zutreffen, dann bedeutet dies, daß wir
zur Begründung der Identität von Bewußtsein und bestimmten Gehirnprozes-
sen zeigen müßten, daß die introspektiven Beobachtungen, von denen ein Sub-
jekt berichtet, durch genau diejenigen Prozesse erklärt werden können, von de-
nen wir wissen, daß sie in seinem Gehirn aufgetreten sind.«15

Die von Place geforderte Erklärung steht indes bis heute aus, und man-
ches spricht dafür, sie sei sogar prinzipiell nicht durchführbar. »Man
muß [.  .  .] notwendig zugestehen«, bemerkt bereits Leibniz in seiner Mo­
nadologie, »daß die Perzeption und das, was von ihr abhängt, aus mecha­
nischen Gründen, d. h. aus Figuren und Bewegungen, nicht erklärbar
ist.«16 Um sein bekanntes Gedankenexperiment zu variieren, stelle man
sich ein tätiges menschliches Gehirn derart vergrößert vor, dass man
hineintreten und sich darin umsehen könnte. Bei der Besichtigung seines
Inneren würde man zwar viele in Kausalbeziehungen stehende physische
Dinge wie Neuronen, Nervenzellen und Synapsen zu Gesicht bekom-
men, nach Leibniz aber nichts, woraus eine Überzeugung oder eine
Empfindung zu erklären wäre. Der Versuch, Mentales auf Physisches
zurückzuführen, mit dessen Gelingen die physikalistische Identitätsthe-
orie steht und fällt, ist mit einer Reihe von Schwierigkeiten konfrontiert.

14
  So zu Recht Popper/Eccles, Das Ich und sein Gehirn, 133; vgl. auch M. Carri-
er/J. Mittelstrass, Geist, Gehirn, Verhalten. Das Leib-Seele-Problem und die Philo­
sophie der Psychologie, Berlin/New York 1989, 56 f.
15
  Place, »Ist Bewusstsein ein Gehirnprozess?«, 79.
16
 Leibniz, Principes de la Nature et de la Grace, fondés en raison/Vernunftprin­
zipien der Natur und der Gnade – Monadologie, 33 (Monadologie, §  17).
§  21  Kritik des Physikalismus 157

Eine der Schwierigkeiten, die durch die Arbeiten von Thomas Nagel,
Joseph Levine und David J. Chalmers ins Zentrum der Aufmerksamkeit
gerückt ist, besteht darin, den subjektiven oder qualitativen Charakter,
der mit mentalen Zuständen wie Farbempfindungen oder Schmerzen
verknüpft ist, die Tatsache nämlich, dass es so und so ist, sich in derar-
tigen Zuständen zu befinden, naturwissenschaftlich zu erklären.17
Levine hat gezeigt, dass sich psychophysische Identitätsbehauptungen
wie »Schmerz ist mit der Reizung von C-Fasern identisch« von Identi-
tätsaussagen in der Physik und Chemie, beispielsweise von der Aussage
»Wasser ist identisch mit H2O«, grundsätzlich unterscheiden. Denn
während chemische Erkenntnisse über H2O sämtliche Eigenschaften
von Wasser verständlich machen können, ist die Neurobiologie zu einer
vollständigen Erklärung mentaler Zustände prinzipiell nicht in der Lage.
Der Grund für diesen Unterschied ist folgender: Unser Alltagsbegriff
von Wasser erschöpft sich im Wissen um dessen typische kausale Eigen-
schaften: Wasser ist der Stoff, der bei Raumtemperatur flüssig ist, bei 100
°C verdampft, bei 0 °C gefriert usf. Nun kann die Chemie zeigen, dass
H2O genau diejenigen kausalen Rollen spielt, die unseren Alltagsbegriff
von Wasser ausmachen. Daher ist man berechtigt, Wasser mit H2O zu
identifizieren. Um Identitätsaussagen wie die angeführte zu rechtferti-
gen, ist also eine erklärende Reduktion notwendig, die im ersten Schritt
das zu reduzierende Phänomen durch sein typisches Verhalten bestimmt
und im zweiten Schritt den zugrunde liegenden Mechanismus namhaft
macht, der besagtes Verhalten realisiert.18 Diese Form der Reduktion, die
als einzige das zu Reduzierende aus einem zugrunde Liegenden erklärt
und daher zu Identitätsaussagen berechtigt, ist nun bei mentalen Zustän-
den wie Farbempfindungen und Schmerzen zum Scheitern verurteilt.
Denn unser Begriff von solchen mentalen Zuständen umfasst klarerwei-
se mehr als die kausalen Rollen, die sie bei der Vermittlung zwischen

17
  Vgl. Th. Nagel, »What is it like to be a bat?«, Philosophical Review 83 (1974),
435–450 (dt. Übersetzung: Th. Nagel, »Wie es ist, eine Fledermaus zu sein?«, in: P.
Bieri [Hg.], Analytische Philosophie des Geistes, Bodenheim 2.  Aufl. 1993, 261–275);
J. Levine, »Materialism and Qualia: The Explanatory Gap«, Pacific Philosophical
Quarterly 64 (1983), 354–361 (dt. Übersetzung: J. Levine, »Materialismus und Qua-
lia. Die explanatorische Lücke«, in: M. Pauen/A. Stephan [Hgg.], Phänomenales
Bewusstsein – Rückkehr zur Identitätstheorie?, Paderborn 2002, 91–102); Levine,
»On Leaving Out What It’s Like«; D. J. Chalmers, »Das Rätsel des bewußten Erle-
bens«, Spektrum der Wissenschaft, Februar 1996, 40–47; ders., The Conscious Mind.
In Search of a Fundamental Theory, New York/Oxford 1996.
18
  Vgl. Levine, »On Leaving Out What It’s Like«, 132.
158 Sechstes Kapitel:  Das Leib-Seele-Problem

Umweltreizen und Verhaltensreaktionen spielen. Dazu gehört vielmehr


ebenso, und zwar wesentlich, der subjektive oder qualitative Charakter
dieser Zustände, das heißt der Umstand, dass es für ein Subjekt so und so
ist, sich in ihnen zu befinden. »In dem Maße« aber, schreibt Levine zu
Recht, »in dem unser Begriff des qualitativen Charakters ein Element
enthält, das nicht durch Merkmale seiner kausalen Rolle erfasst wird, in
dem Maße wird es sich dem explanatorischen Netz einer physikalisti-
schen Reduktion entziehen.«19 Wenn es jedoch prinzipiell unmöglich ist,
mentale Zustände vollständig auf physische zurückzuführen, und dies
scheint in der Tat der Fall zu sein, dann ist die physikalistische Identi-
tätstheorie, die einen explanatorischen Reduktionismus impliziert, nicht
aufrechtzuerhalten.
Die von Physikalisten gehegte Hoffnung, die Erklärungslücke werde
sich auf Dauer dadurch schließen lassen, dass wissenschaftliche Erkennt-
nisfortschritte unsere alltagspsychologischen Begriffe in geeigneter Wei-
se verändern und für eine erklärende Reduktion »in Form« bringen,20
kann ich nicht teilen. Denn das würde voraussetzen, dass unsere Begriffe
von Schmerz, Furcht oder Vergnügen dereinst ausschließlich die kausalen
Rollen umfassen, die diese mentalen Zustände spielen. Ein so verstande-
nes und auf physische Zustände womöglich vollständig zurückgeführtes
»Vergnügen« wäre aber keines mehr, weil es zu einem Vergnügen essen-
tiell gehört, von einem Subjekt als vergnüglich empfunden zu werden.
Gott sei Dank besteht jedoch kein Anlass zu befürchten, irgendein noch
so bedeutender wissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt könne uns oder
künftigen Generationen auf diese Weise den Spaß am Vergnügen verder-
ben.

19
  Ebd., 134 (Übersetzung F. H.).
20
  Dieser Weg, die Erklärungslücke auf Dauer zu überwinden, schwebt M. Pauen,
Grundprobleme der Philosophie des Geistes. Eine Einführung, Frankfurt a. M.
3.  Aufl. 2002, 199–210, vor. Vgl. auch ders., »Gründe, Ursachen und das phänome-
nale Bewusstsein. Unlösbare Probleme für den Physikalismus?«, in: F. Hermanni/
Th. Buchheim (Hgg.), Das Leib-Seele-Problem. Antwortversuche aus medizinisch-
naturwissenschaftlicher, philosophischer und theologischer Sicht, München 2006,
139–161. Ähnliche frühere Vorschläge hat Karl Popper nicht zu Unrecht als »Schuld-
scheinmaterialismus« bezeichnet (vgl. Popper/Eccles, Das Ich und sein Gehirn,
130–132).
§  22  Ein heterodoxer Vorschlag 159

§  22  Ein heterodoxer Vorschlag

Vertreter der physikalistischen Identitätstheorie sind gezwungen anzu-


nehmen, dass eine vollständige Erklärung mentaler Zustände durch phy-
sische grundsätzlich möglich ist, auch wenn sie bisher misslang. Nun
sprechen aber die oben genannten Gründe für die prinzipielle Unmög-
lichkeit, diese Erklärungslücke zu schließen. Folglich wird man die phy-
sikalische Identitätstheorie aufgeben müssen. Welche Konsequenzen soll
man aus diesem Scheitern ziehen? Radikale Physikalisten wie Paul M.
und Patricia S.  Churchland 21 haben aus der Nichterklärbarkeit mentaler
Zustände durch physische geschlossen, dass es gar keine mentalen Zu-
stände gibt. Dieser eliminative Materialismus, der mentale Zustände für
bloße Artefakte einer fehlgeleiteten Alltagspsychologie hält, ist freilich
eine absurde Position. Denn wenn er wahr wäre, könnte niemand von
seiner Wahrheit überzeugt sein, weil es dann gar keine Überzeugungen
gäbe. Ist aber umgekehrt jemand von seiner Wahrheit überzeugt, dann
muss er falsch sein.
Frank Jackson hat dagegen aus der Unmöglichkeit, das Wissen um den
qualitativen Charakter mentaler Zustände aus naturwissenschaftlichem
Wissen um Gehirnzustände und deren Eigenschaften abzuleiten, eine
dualistische Konsequenz gezogen. Er schlägt vor, die qualitativen Züge
mentaler Zustände, etwa die Qual der Eifersucht oder die Schmerzhaf-
tigkeit des Schmerzes, als kausal unwirksame Begleiterscheinungen ge-
wisser Gehirnzustände zu betrachten.22 Auch dieser epiphänomenalisti-
sche Dualismus ist indes, wie wir sahen, wenig plausibel, weil er nicht
nur unseren alltagsweltlichen Intuitionen widerspricht, sondern auch
eine evolutionstheoretische Erklärung mentaler Zustände ausschließt.
Halten wir das Zwischenergebnis der bisherigen Überlegungen fest:
Ein Vorschlag zur Lösung des Leib-Seele-Problems scheint nur dann
aussichtsreich zu sein, wenn er mit drei Prinzipien vereinbar ist. Dem
ersten Prinzip zufolge kommen für die Erklärung physikalisch beschrie-
bener Vorgänge nur andere physikalisch beschriebene Vorgänge in Be-

21
  Vgl. z. B. P. M. Churchland, A Neurocomputational Perspective: The Nature of
Mind and the Structure of Science, Cambridge/Massachusetts 1989; ders., The Engi­
ne of Reason, the Seat of the Soul. A Philosophical Journey into the Brain, Cam­
bridge/Massachusetts 1995; P. S.  Churchland, Neurophilosophy: Toward a Unified
Science of the Mind-Brain, Cambridge/Massachusetts 1986.
22
 Vgl. F. Jackson, »Epiphenomenal Qualia«, und ders., »What Mary didn’t
know«, The Journal of Philosophy 83 (1986), 291–295.
160 Sechstes Kapitel:  Das Leib-Seele-Problem

tracht. Das zweite Prinzip besagt, dass mentale Zustände wie Überzeu-
gungen, Empfindungen und Willensakte Gründe für unser unabsicht-
liches Verhalten und für unsere Handlungen sein können. Nach dem
dritten Prinzip schließlich ist es nicht möglich, mentale Zustände voll-
ständig durch physische zu erklären. Nun werden aber weder die Versi-
onen des Dualismus noch die des Physikalismus, welche die gleichsam
orthodoxen Positionen in der gegenwärtigen Philosophie des Geistes bil-
den, diesen drei Prinzipien gleichermaßen gerecht. Der Interaktionismus
verletzt das Prinzip der Erklärungsgeschlossenheit der physischen Welt,
der Epiphänomenalismus dasjenige der Erklärungsrelevanz mentaler
Zustände und die physikalistische Identitätstheorie ist mit dem Prinzip
der Irreduzibilität mentaler Zustände auf physische unvereinbar. Folg-
lich wird man sich nach einer heterodoxen Lösung für das Leib-Seele-
Problem umsehen müssen, die allen drei Prinzipien Rechnung trägt.
Unter diesen Umständen läge es nahe, jene klassischen Konzeptionen
der abendländischen Philosophie, die sich sowohl vom Dualismus wie
vom Physikalismus unterscheiden, erneut in Augenschein zu nehmen.
Dabei kämen innerhalb der neuzeitlichen Philosophie insbesondere zwei
Positionen in Betracht. Zum einen der von Leibniz entwickelte objektive
Idealismus oder Mentalismus, den Kant in seiner praktischen Philoso-
phie modifiziert und den eine Reihe von Nachkantianern, darunter
Schopenhauer, vertreten. Danach ist die naturwissenschaftlich beschreib­
bare Welt der Atome, Organismen und Gehirne die äußere Erscheinung
einer zugrunde liegenden mentalen Wirklichkeit. Lohnender Gegen-
stand einer kritischen Rückbesinnung wäre zum anderen die von Spino-
za, später von Schelling und im 20. Jahrhundert von Bertrand Russell
vorgeschlagene Identitätstheorie, die im Unterschied zur neueren physi-
kalistischen ontologisch neutral ist. Sie versteht das Physische und das
Mentale als verschiedene Attribute, Potenzen oder theoretische Kons-
truktionen ein und derselben fundamentalen Wirklichkeit. So reizvoll es
wäre, diesen beiden neuzeitlichen Konzeptionen im Einzelnen nachzu-
gehen, muss darauf im gegenwärtigen Zusammenhang verzichtet wer-
den. Ohne die theoriegeschichtlichen Hintergründe näher darzulegen,
werde ich stattdessen gleichsam auf eigene Faust eine Lösung für das
Leib-Seele-Problem vorschlagen. Dieser Vorschlag umfasst zwei Teile,
nämlich erstens eine nicht-physikalistische Identitätstheorie und zwei-
tens einen epistemischen Parallelismus. Was ist damit gemeint?
(1) Im Gegensatz zum Dualismus geht die nicht-physikalistische Iden-
titätstheorie davon aus, dass mentale und physische Zustände eins sind.
§  22  Ein heterodoxer Vorschlag 161

Näherhin behauptet sie, jeder konkrete mentale Zustand sei mit einem
konkreten physischen Zustand identisch, lässt aber dahingestellt, ob
mentale und physische Zustandstypen zu identifizieren sind. Denn wo-
möglich können sich verschiedene Lebewesen in einem mentalen Zu-
stand desselben Typs befinden, z. B. in einem Schmerzzustand, aber in
physischen Zuständen unterschiedlichen Typs. Insoweit stimmt die
nicht-physikalistische Identitätstheorie, die ich vorschlage, mit der oben
dargelegten schwächeren Version der physikalistischen (Tokenidenti-
tätstheorie) noch gänzlich überein.
Der Unterschied ergibt sich erst durch eine andere Deutung der Iden-
titätsbeziehung. Diese Differenz lässt sich an den beiden Identitätsaussa-
gen »Wasser ist H2O« und »Der Verfasser des Buches ›Die soziale Frage
des 19. Jahrhunderts‹ ist der größte Fan von Schalke 04« illustrieren, in
denen das Wort »ist« offenbar unterschiedliche Bedeutungen hat. In der
ersten Aussage meint »ist« augenscheinlich »ist nichts anderes als«. Da-
her kann der Satz »Wasser ist H2O« sinngemäß durch den Ausdruck
»und sonst nichts« ergänzt werden. Im zweiten Satz dagegen wäre diese
Ergänzung gleichermaßen unsinnig wie boshaft. Denn gemeint ist sicher
nicht, der Autor des besagten Buches, nämlich der Bochumer Sozialethi-
ker Günter Brakelmann, sei nichts anderes als der größte Anhänger des
traditionsreichen Gelsenkirchener Fußballclubs. Die zweite Identitäts-
aussage besagt vielmehr: Ein und dieselbe Person, eben Günter Brakel-
mann, ist das eine und, wenngleich in anderer Hinsicht, auch das andere.
Nun nehmen die Vertreter der physikalistischen Identitätstheorie an,
mentale Zustände seien mit physischen oder neuronalen Zuständen in
genau dem Sinne identisch, wie Wasser mit H2O und Blitze mit elek-
trischen Entladungen in der Atmosphäre identisch sind. Das Wort »ist«,
sofern es in psychophysischen Identitätsaussagen vorkommt, hat für sie
also die Bedeutung »ist nichts anderes als« oder »ist sonst nichts als«.23
Demgegenüber verstehe ich dieses »ist« im zweiten, nicht-reduktionisti-
schen Sinne, sodass psychophysische Identitätsaussagen die Bedeutung
haben: Ein und dasselbe, was dieser konkrete mentale Zustand ist, ist aus
anderer Perspektive auch dieser konkrete physische Zustand.
In der Einleitung seiner Freiheitsschrift beklagt Schelling, Identität
werde häufig als »Einerleiheit« oder »unvermittelter Zusammenhang«
missverstanden.24 Dieses Missverständnis liege auch dem französischen

  Vgl. z. B. Place, »Ist Bewusstsein ein Gehirnprozess?«, 75–79.


23

 Schelling, Freiheitsschrift, SW VII, 341.


24
162 Sechstes Kapitel:  Das Leib-Seele-Problem

Materialismus des 18. Jahrhunderts zugrunde, für den seelische Zustän-


de nichts anderes als materielle sind und der als Vorläufer der heutigen
physikalistischen Identitätstheorie gelten kann. Der Satz »Die Seele ist
identisch mit dem Leib« werde dort so ausgelegt:
»die Seele sey materiell, Luft, Aether, Nervensaft u. dgl., denn das Umgekehrte,
daß der Leib Seele [.  .  .] sey, ob es gleich ebenso gut aus dem Satze zu nehmen ist,
wird wohlbedächtig bei Seite gesetzt. Solche Mißverständnisse, die, wenn sie
nicht absichtlich sind, einen Grad von dialektischer Unmündigkeit vorausset-
zen, über welchen die griechische Philosophie fast in ihren ersten Schritten hin-
aus ist, machen die Empfehlung des gründlichen Studiums der Logik zur drin-
genden Pflicht.«25

Entsprechend schlage ich vor, die Identität zwischen Leib und Seele und
zwischen physischen und mentalen Zuständen in dem Sinne zu verste-
hen, dass dasselbe, welches das Wesen des einen ist, auch das Wesen des
anderen ausmacht. Dasjenige, worin beide identisch sind, ist demnach
ein ihnen zugrunde liegendes Drittes, das von den beiden identifizierten
Relaten zu unterscheiden und nicht wie in der physikalistischen Identi-
tätstheorie mit einem der Relata, nämlich dem Physischen, schlechthin
gleichzusetzen ist.
In struktureller Hinsicht ähnelt dieser Vorschlag dem von David J.
Chalmers. Nach Chalmers ist bewusstes Erleben (conscious experience)
ein fundamentaler Wesenszug der Welt, der sich mit Mitteln der Neuro-
wissenschaften nicht vollständig erklären lässt. Ein mentaler Zustand
und der ihm entsprechende Gehirnzustand seien vielmehr »als unter-
schiedliche Aspekte eines einzigen Informationszustands [zu] betrach-
ten, der gleichzeitig durch physische Verarbeitung und als bewußtes Er-
lebnis realisiert wird.«26 Zur Kennzeichnung des zugrunde liegenden
Dritten scheint mir freilich der einseitig objektivistische Begriff der In-
formation wenig geeignet. Denn dadurch verwandelt sich vermutlich die
ursprüngliche Erklärungslücke zwischen neurobiologischem und phä-
nomenalem Wissen zu einer zwischen Informationstheorie und Alltags-
psychologie. Warum sollte der subjektive Charakter mentaler Zustände

25
 Ebd., 342. Der Satzanfang »Bei solchen Mißverständnissen« wurde um der
grammatischen Korrektheit willen durch »Solche Mißverständnisse« ersetzt. Dass
Schelling sich an dieser Stelle auf den französischen Materialismus, insbesondere auf
P. H. T. Baron d’Holbach, Système de la nature ou des loix du monde physique & du
monde moral, London 1770, bezieht, ist der Parallelstelle in den Stuttgarter Privat­
vorlesungen, SW VII, 444 f., zu entnehmen.
26
  Chalmers, »Das Rätsel des bewußten Erlebens«, 47.
§  22  Ein heterodoxer Vorschlag 163

aus informationalen Zuständen besser zu erklären sein als aus neuro-


nalen? Da zur Bezeichnung des Dritten, worin Leib und Seele sowie
physische und mentale Zustände identisch sind, keine geeigneten Aus-
drücke zur Verfügung stehen, sollte man auf eine Kennzeichnung viel-
leicht verzichten. Wer sich dazu nicht entschließen kann, möge annähe-
rungsweise von »Personen« und »personalen Zuständen« sprechen. Er
sollte allerdings bedenken, dass es eine Unterbestimmung des Persona-
len ist, von ihm zu sagen, es sei gleichermaßen durch Prädikate be-
schreibbar, die sich auf physische, und durch solche, die sich auf mentale
Zustände beziehen.27 Denn wenn der Ausdruck »mentale Zustände« alle
Formen subjektiven Erlebens einschließt, dann sind auch Lebewesen,
die wohl kaum als Personen gelten können, durch beide Arten von Prä-
dikaten beschreibbar. »Auch Rotkehlchen«, bemerkt Robert Spaemann,
»haben vermutlich eine ›Innenseite‹.«28
(2) Soviel zum ersten, ontologischen Teil meines Vorschlages, nun
zum zweiten, erkenntnistheoretischen Teil, den ich als epistemischen
Parallelismus bezeichne. Dasjenige, was dem Mentalen und dem Phy-
sischen als Identisches zugrunde liegt – die Person und ihre Zustände,
wenn man so will – erscheint in doppelter Gestalt, weil es aus zwei ver-
schiedenen Perspektiven erfahren wird. Aus der Perspektive der ersten
Person, durch die jeder einen privilegierten, für andere zunächst ver-
schlossenen Zugang zu sich selbst hat, werden personale Zustände als
Wünsche, Überzeugungen und Empfindungen erlebt und können psy-
chologisch beschrieben werden. Aus der Perspektive der dritten Person
dagegen, die prinzipiell jedem offen steht, erscheinen sie als physische
oder neuronale Zustände und können naturwissenschaftlich beschrie-
ben werden. Wie der römische Gott Janus haben die Person und ihre
Zustände gleichsam ein doppeltes Gesicht. Von »außen« zeigen sie sich
als Körper und körperliche Zustände, von »innen« als Seele und seelische
Zustände, wenn diese räumlichen Metaphern erlaubt sind. Die Natur-
wissenschaft und die Psychologie befassen sich mit demselben, die Psy-
chologie freilich, wie es aus subjektiver, die Naturwissenschaft dagegen,
wie es aus intersubjektiver Perspektive erscheint.29

27
  Dies wendet H. G. Frankfurt, »Willensfreiheit und der Begriff der Person«, in:
ders., Freiheit und Selbstbestimmung, hrsg. von M. Betzler/B. Guckes, Berlin 2001,
65–83, hier: 65, zu Recht gegen P. Strawsons Analyse des Personenbegriffs ein.
28
  R. Spaemann, Personen. Versuche über den Unterschied zwischen ›etwas‹ und
›jemand‹, Stuttgart 2.  Aufl. 1998, 9.
29
  Vgl. B. Russell, The Analysis of Mind (1921), London/New York 1971, 307.
164 Sechstes Kapitel:  Das Leib-Seele-Problem

Diesem Parallelismus der Erfahrung und Beschreibung entspricht ein


Parallelismus der Erklärung. Nehmen wir beispielsweise einen Zustand,
der aus naturwissenschaftlicher Perspektive als bestimmte neuronale
Aktivität erscheint und aus subjektiver Perspektive als Entschluss, zum
Zahnarzt zu gehen. Dieser Zustand erlaubt, je nachdem wie er erfahren
und beschrieben wird, eine naturwissenschaftliche und eine psycholo-
gische Erklärung. Wird er als mentaler Zustand beschrieben, dann kann
er aus anderen mentalen Zuständen erklärt werden, zu denen leider häu-
fig die Empfindung von Zahnschmerzen gehört. Wird er dagegen als
neuronale Aktivität beschrieben, dann kann er aus anderen neuronalen
Aktivitäten erklärt werden, in vielen Fällen unter anderem aus dem Feu-
ern von C-Fasern, dem naturwissenschaftlichen Pendant zum Zahn-
schmerz. Derselbe Zustand lässt also eine neurowissenschaftliche und
eine psychologische Erklärung zu, wobei die neurowissenschaftliche der
psychologischen keineswegs vorzuziehen ist; denn sie ist an eine objek-
tivierende Perspektive gebunden, auf die sich die subjektive schwerlich
wird zurückführen lassen. Dennoch besteht ein Unterschied. Während
jeder physikalisch beschriebene Vorgang im Prinzip aus anderen physi-
kalisch beschriebenen erklärt werden kann, scheint das bei mentalen Zu-
ständen nicht der Fall zu sein. Man denke beispielsweise an Zustände der
Euphorie nach dem Genuss von Alkohol oder der Einnahme von Anti-
depressiva. Die Welt des physikalisch Beschriebenen scheint demnach
eine geschlossene, die des psychologisch Beschriebenen dagegen eine un-
abgeschlossene Welt zu sein.30 Soviel zum epistemischen Parallelismus.
Der skizzierte zweigliedrige Vorschlag zur Bewältigung des Leib-See-
le-Problems hat gegenüber den üblichen Positionen, die in der gegenwär-
tigen Philosophie des Geistes vertreten werden, den Vorteil, alle drei
genannten Prinzipien gleichermaßen zu berücksichtigen. Im Unter-
schied zum Interaktionismus wird er erstens dem Prinzip der Erklä-
rungsgeschlossenheit des Physischen gerecht, der methodisch sinnvollen

30
  Anders müsste man womöglich urteilen, wenn die panpsychistische Behaup-
tung, jeder physische Vorgang besitze eine psychische oder protopsychische Innen-
seite, zuträfe. Zur Kritik dieser Position, die in jüngerer Zeit von dem Biologen
Bernhard Rensch vertreten wurde (vgl. B. Rensch, Biophilosophie, Stuttgart 1968;
ders., Das universale Weltbild, Frankfurt a. M. 1977; ders., Gesetzlichkeit, psycho­
physischer Zusammenhang, Willensfreiheit und Ethik, Berlin 1979), siehe Popper/
Eccles, Das Ich und sein Gehirn, 98–101, sowie V. Hösle, »Encephalius. Ein Ge-
spräch über das Leib-Seele-Problem«, in: F. Hermanni/Th. Buchheim (Hgg.), Das
Leib-Seele-Problem. Antwortversuche aus medizinisch-naturwissenschaftlicher,
philosophischer und theologischer Sicht, München 2006, 107–136.
§  22  Ein heterodoxer Vorschlag 165

und empirisch bewährten Annahme also, dass zur Erklärung physika-


lisch beschriebener Vorgänge auf keine anderen als wiederum physika-
lisch beschriebene zurückgegriffen werden muss.
Zweitens kann das vorgeschlagene Konzept dem Prinzip der Verhal-
tens- und Handlungswirksamkeit des Mentalen Rechnung tragen, das
vom Epiphänomenalismus und, genau genommen, auch von der physi-
kalistischen Identitätstheorie verletzt wird. Denn im Rahmen der physi-
kalistischen Identitätstheorie können mentale Zustände kraft ihrer Iden-
tität mit physischen zwar als Ursachen für andere physische Vorgänge
und Zustände gelten, nicht aber als Gründe für menschliche Handlungen
im eigentlichen Sinne. Betrachten wir den Wunsch, einen vorüberge-
henden Spaziergänger zu grüßen. Dieser Wunsch ist der physikalisti-
schen Identitätstheorie zufolge einzig und allein durch den neuronalen
Zustand wirksam, der ihn realisiert. Daher ist er, streng genommen, kein
möglicher Grund für die Grußhandlung selbst, sondern nur für einen an
sich bedeutungslosen Komplex physischer Ereignisse, zu dem die Bewe-
gung des Armes, das Verdrängen von Luft und das Heben einer Kopfbe-
deckung gehören mögen. Im Rahmen des skizzierten Vorschlages dage-
gen kann der Wunsch sehr wohl als handlungswirksam gelten. Denn
diesem Vorschlag zufolge ist derselbe zugrunde liegende innere Zustand
je nach Perspektive als Wunsch oder als neuronale Aktivität beschreib-
bar und dasselbe äußere Geschehen als Handlung oder als Folge phy-
sischer Ereignisse, wobei die Handlung gleichsam die Seele, die phy-
sische Ereignisfolge den Leib des Geschehens ausmacht. Nun entspricht
der zweifachen Beschreibung eine zweifache Erklärung. Folglich kann
der Wunsch zu den Gründen der Grußhandlung und die neuronale Ak-
tivität zu den Ursachen des physischen Ereigniskomplexes gerechnet
werden. Mein heterodoxer Vorschlag unterscheidet sich deshalb vom
Epiphänomenalismus und von der physikalistischen Identitätstheorie
darin, dass auf seiner Grundlage menschliche Freiheit möglich ist.
Nebenbei bemerkt, erinnert die physikalistische Deutung der Wirk-
samkeit des Mentalen an die Lehre des Anaxagoras, von der sich So­krates
im Phaidon enttäuscht zeigt. Zwar behaupte Anaxagoras zunächst, die
Vernunft (nous) sei die Ursache von allem, bei der Erklärung der einzel-
nen Dinge und Handlungen aber verfahre er rein mechanistisch. Nach
diesem Erklärungsmuster sei Sokrates’ gegenwärtige Situation als Ge-
fangener durch die Beschaffenheit seines Körpers zu erklären, seine sit-
zende Haltung beispielsweise dadurch, dass dieser Körper aus Knochen,
Gelenken und Sehnen besteht und daher zum Sitzen eingerichtet ist. Der
166 Sechstes Kapitel:  Das Leib-Seele-Problem

eigentliche Grund bleibe damit freilich unberücksichtigt. Er bestehe


nämlich darin, dass,
»weil es den Athenern besser zu sein schien, mich zu verurteilen, deshalb auch
mir besser schien, hier sitzen zu bleiben, und gerechter, auszuharren und die mir
auferlegte Strafe zu erdulden. Denn, beim Hunde, schon längst, glaube ich we-
nigstens, wären diese Sehnen und Knochen in Megara oder bei den Böotern, von
der Vorstellung des Besten getragen, hätte ich es nicht für gerechter und schöner
gehalten, statt zu fliehen und davonzulaufen, jede vom Staate verhängte Strafe
auf mich zu nehmen.«31

Sokrates unterscheidet zwischen mechanistischen Erklärungen, die bei


physikalisch beschriebenen Ereignissen und Zuständen am Platze sind,
und der Erklärung von Handlungen, die in Begriffen von Motiven, Ab-
sichten, Vernunftgründen und Entschlüssen zu erfolgen hat.
Drittens und letztens wird das Konzept, das ich vorschlage, dem Prin-
zip der Irreduzibilität mentaler Zustände auf physische gerecht, das zu
bestreiten die physikalistische Identitätstheorie gezwungen ist. Denn
wenn Leib und Seele, wenn körperliche und seelische Zustände perspek-
tivische Erscheinungen eines Dritten sind, das man als Person bezeich-
nen könnte, dann verbietet sich die Annahme, das eine lasse sich voll-
ständig durch das andere erklären. Reduktionsprogramme dieser Art
wären dann ähnlich abwegig wie der Versuch, die Erscheinung der Venus
als Morgenstern auf ihre Erscheinung als Abendstern zurückzuführen.
»Gleichzeitigkeit«, schreibt Thomas Mann, »ist die Natur und Seinsart aller
Dinge, ineinander vermummt erscheinen die Wirklichkeiten, und nicht weniger
ist der Bettler ein Bettler, weil möglicherweise ein Gott sich in ihn verstellt. Ist
nicht der Strom ein Gott, von Stiergestalt oder auch von der eines bekränzten
Mannweibes mit doppelartiger Brust, hat er das Land nicht geschaffen, und
nährt er es nicht? Das hindert nicht ein sachliches Verhalten zu seinem Wasser,
nüchtern gleich diesem: man trinkt’s, man befährt es, man wäscht sein Leinen
darin, und nur das Wohlgefühl, das man empfindet beim Trinken und Baden,
mag einer Mahnung an höhere Gesichtspunkte gleichkommen. Zwischen Ir-
dischem und Himmlischem ist die Grenze fließend, und nur ruhen zu lassen
brauchst du dein Auge auf einer Erscheinung, damit es sich breche ins Doppel-
sichtige.«32

31
 Platon, Phaidon, 98e–99a; Übersetzung nach Platon, Phaidon oder von der
Unsterblichkeit der Seele, nach der Übersetzung von F. Schleiermacher, neu durch-
gesehen, Stuttgart 1973, 97 f.
32
  Th. Mann, Joseph und seine Brüder, Bd.  2, Frankfurt a. M. 1986, 902.
Siebtes Kapitel

Tod und Auferstehungshoffnung

In den Anfangspassagen des Phaidon begrüßt Sokrates seinen unmittel-


bar bevorstehenden Tod als »Loslösung und Absonderung«1 der un-
sterblichen Seele vom Leib. Sein Gesprächspartner Kebes, ein Sympathi-
sant der pythagoreischen Schule, entgegnet daraufhin:
»Das, was du über die Seele gesagt hast, das bietet den Menschen Anlaß zu vie-
len Zweifeln, ob die Seele nämlich nicht nach ihrer Trennung vom Körper nir-
gends mehr ist, sondern am Todestag des Menschen umkommt und zugrunde
geht, ob sie, sobald sie sich vom Körper löst und ihn verläßt, wie ein Hauch oder
Rauch schnell zerstiebt und weggeblasen wird und dann nirgends mehr ist.«2

Die uralte Befürchtung, die Seele werde beim Tode »von den Winden
verweht«3 , vermag uns Heutigen kein sokratischer Schwanengesang
leicht auszureden; zu gründlich ist die Rede von der Seele und ihrer Un-
sterblichkeit neuzeitlich in Misskredit geraten. Die neuere evangelische
Theologie mochte deshalb die biblische Auferstehungshoffnung durch
keine Unsterblichkeitslehre trüben. Der Abschied vom Platonismus
scheint allerdings in eine theologische Aporie zu führen. Denn ohne eine
unsterbliche Seele, die zwischen Tod und Auferweckung vermittelt,
scheint die personale Identität der künftig Auferweckten mit den gegen-
wärtig Lebenden undenkbar zu werden. Diese Identität ist aber, bei aller
erhofften Verwandlung des gegenwärtigen Lebens, für den Auferste-
hungsglauben konstitutiv. Im Choral »Jesus, meine Zuversicht« (1653)
heißt es daher: »Dieser meiner Augen Licht / wird ihn, meinen Heiland,
kennen, / ich, ich selbst, ein Fremder nicht, / werd in seiner Liebe bren-
nen; / nur die Schwachheit um und an / wird von mir sein abgetan.«4

1
 Platon, Phaidon, 67d (Werke 3, 34); Übersetzung nach Platon, Werke. Überset­
zung und Kommentar, I 4, Phaidon, Übersetzung und Kommentar von Th. Ebert,
Göttingen 2004, 25.
2
 Ders., Phaidon, 70a (Werke 3, 44), Übersetzung nach: Platon, Werke. Überset­
zung und Kommentar, I 4, Phaidon, 28.
3
 Ders., Phaidon, 84b (Werke 3, 94), Übersetzung von F. H.
4
  Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die Evangelisch-Lutherischen Kirchen
168 Siebtes Kapitel:  Tod und Auferstehungshoffnung

Meine folgenden Überlegungen gliedern sich in fünf Abschnitte. The-


ma der ersten drei Abschnitte ist die klassische christliche Auferste-
hungslehre und der Gegenentwurf in der neueren evangelischen Theolo-
gie, die sogenannte Ganztodtheorie, der ich mich anschließen werde. Im
vierten und fünften Abschnitt gehe ich der Frage nach, ob und auf wel-
che Weise sich die personale Identität der künftig auferweckten mit den
jetzt lebenden Menschen auch ohne eine unsterbliche Seele denken
lässt.

§  2 3  Das Standardmodell von Tod und Auferstehung

Wie Platon verstand auch die christliche Theologie den Tod als Tren-
nung einer immateriellen (Geist-)Seele vom Leib. Nach dem Tod exis-
tiert die Seele in einem unkörperlichen Zwischenzustand, bis Gott den
Körper am Jüngsten Tag auferweckt, ihn verherrlicht und mit der Seele
wiedervereinigt. Über mehr als eineinhalb Jahrtausende hat sich dieses
Standardmodell den unzähligen theologischen Kontroversen fast voll-
ständig entzogen. Nicht einmal die Reformation, Luther nicht und am
wenigsten Calvin, hat in dieser Hinsicht mit der altkirchlichen und mit-
telalterlichen Theologie gebrochen. Innerhalb des Standardmodells gab
es allerdings gewichtige theologische Differenzen, von denen zwei ge-
nannt werden sollen.

1.  Der Charakter des Zwischenzustandes


Umstritten war erstens der nähere Charakter des Zustandes der Seele
zwischen Tod und Auferweckung.5 In dem Bewusstsein, erst nach der
allgemeinen Auferstehung der Toten entscheide sich das endgültige Ge-
schick, verstand man die unkörperliche Existenzweise zunächst als ei-
nen Wartezustand, in dem die Seelen ihrer künftigen Seligkeit oder Ver-
dammnis harren. Dieser vorläufige Charakter des Zwischenzustandes
trat in der mittelalterlichen Theologie zurück. Als Papst Johannes XXII.
im Jahre 1331 die altkirchliche Auffassung vertrat, erntete er stürmischen

in Bayern und Thüringen, hrsg. von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern,


München o.J., 924.
5
 Zur Entwicklung und Beurteilung der Lehre vom Zwischenzustand vgl. die
lehrreichen Ausführungen von P. Althaus, Die letzten Dinge, Gütersloh 4.  Aufl.
1933, 135–152.
§  2 3  Das Standardmodell von Tod und Auferstehung 169

Protest. Sein Nachfolger, Benedikt XII., brachte den inzwischen herr-


schenden theologischen Konsens zum Ausdruck, indem er 1336 die An-
nahme zum Dogma erhob, die Seelen der Gläubigen und Getauften wür-
den »sogleich nach ihrem Tod« und schon »vor der Wiederannahme ihrer
Leiber und dem allgemeinen Gericht«6 im Himmel der seligmachenden
Schau Gottes teilhaftig. Im Gegensatz zu Luther ist die altprotestan-
tische Orthodoxie, allen voran Johann Gerhard,7 dieser Auffassung im
Wesentlichen gefolgt. Sie bereitete damit der Aufklärungstheologie den
Boden, welche die biblische Auferstehungshoffnung zugunsten der Leh-
re von der Unsterblichkeit der Seele gänzlich preisgab und einen bis heu-
te spürbaren Einfluss auf die christliche Frömmigkeit ausübte. Die Ver-
nunft kann, schreibt Kant in seiner Religionsschrift, »weder ein Interesse
dabei finden, einen Körper«, den man »im Leben nie recht lieb gewonnen
hat, in Ewigkeit mit zu schleppen, noch kann sie es sich begreiflich ma-
chen, was diese Kalkerde, woraus er besteht, im Himmel, d. i. in einer
andern Weltgegend soll«.8 In dem Maße, in dem der vorläufige Charakter
des Zwischenzustands der Seele theologiegeschichtlich zurücktrat, ver-
lor die Auferstehungshoffnung ihr Gewicht und konnte daher in der
Aufklärung von der platonischen Unsterblichkeitslehre völlig ver­schlun­
gen werden. Als hätte er die Entwicklung vorausgesehen, bemerkte Lu-
ther in einer Tischrede: »Das muss eine närrische Seele sein, wenn die im
Himmel wäre, dass sie des Leibes begehren wollte!«9
Luther selbst vertrat dagegen im Anschluss an die einschlägigen neu-
testamentlichen Stellen die Hypothese vom Seelenschlaf, wonach sich
die Seele zwischen Tod und Auferweckung in einem tiefen, traumlosen
Schlaf befindet. »Denn gleich wie der nicht weiß, wie ihm geschieht, wer
einschläft und kommt zu Morgen unversehens, wenn er aufwacht. Also
werden wir plötzlich auferstehen am Jüngsten Tage, dass wir nicht wis-
sen, wie wir in den Tod und durch den Tod kommen sind.«10 Um die
Auferweckung als entscheidende Voraussetzung seligen und unseligen

6
  Konstitution »Benedictus Deus«, 29. Januar 1336, in: H. Denzinger, Enchiridi­
on symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum, hrsg. von P.
Hünermann, Freiburg i.B./Basel/Rom/Wien 38.  Aufl. 1999 (= DH), 1000 (S.  406).
7
  Vgl. Althaus, Die letzten Dinge, 144–146.
8
 Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, A 183, B 192 f.
Fußnote (Werke 7, 794).
9
  Luther, WA, Abt. 2, Bd.  5, Weimar 1919, Nr.  5534 (S.  219); Anpassung an heutige
Schreibweise.
10
  Luther, WA, Abt. 1, Bd.  17/2, Weimar 1927, 235; Anpassung an heutige Schreib-
weise.
170 Siebtes Kapitel:  Tod und Auferstehungshoffnung

Lebens verstehen zu können und um ihren ganzheitlichen Sinn, ihre Be-


deutung für Leib und Seele, zu gewährleisten, hat sich Luther also inner-
halb des Standardmodells am weitesten vom Platonismus entfernt. Wäre
dieses Modell überhaupt haltbar, dann sprächen übrigens neben theolo-
gischen Gründen auch die heutigen Erkenntnisse über die enge Verknüp-
fung seelischer Tätigkeiten und Regungen mit körperlichen Zuständen
für die Seelenschlafhypothese. Bei analytischen Religionsphilosophen,
die einen Leib-Seele-Dualismus vertreten, erfreut sie sich deshalb erneu-
ter Aufmerksamkeit.11

2.  Gründe der Unsterblichkeit


Die zweite Frage, die im Rahmen des Standardmodells unterschiedlich
beantwortet wurde, betrifft den Grund für die Fortexistenz der Seele
nach dem Tod und die entsprechende Beurteilung von Unsterblichkeits-
beweisen. Ist die Seele kraft ihrer eigenen Natur unsterblich, wie Platon
meinte, oder verdankt sie ihr Überleben dem Willen Gottes? Frühe
christliche Theologen wie Justin und Tatian haben in kritischer Ausein-
andersetzung mit Platon aus dem Geschaffensein der Seele geschlossen,
sie sei an sich sterblich und bestehe nur durch den Willen Gottes fort.12
Schon für Tertullian und Origenes dagegen gehört die Unsterblichkeit
zur »Substanz« der Seele,13 worin ihnen die mittelalterliche Theologie in
der Regel gefolgt ist.14 Das 5. Laterankonzil hat deshalb die neuaristote-
lische Lehre, dass die menschliche Seele aus Sicht der natürlichen Ver-
nunft sterblich sei, auch wenn ihre Unsterblichkeit als geoffenbarte
Wahrheit geglaubt werden müsse, scharf verurteilt.15 Hintergrund dieses

11
 Vgl. z. B. Swinburne, The Evolution of the Soul, chap.  15 (298–312), und M.
Peterson/W. Hasker/B. Reichenbach/D. Basinger, Reason and Religious Belief. An
Introduction to the Philosophy of Religion, New York/Oxford 3.  Aufl. 2003, 202 f.
12
  Vgl. Justin, Dialogus, 5 f., in: E. J. Goodspeed (Hg.), Die ältesten Apologeten.
Texte mit kurzen Einleitungen, Neudruck der 1.  Aufl. von 1914, Göttingen 1984, 97 f.;
Tatianus, Oratio ad graecos, 13, in: Goodspeed (Hg.), Die ältesten Apologeten, 280 f.
13
  Vgl. Tertullian, De anima, XIV, 1 und XXII, 2, in: Tertullian, Über die Seele –
Über die Seele (De anima), Das Zeugnis der Seele (De testimonio animae), Vom Ur­
sprung der Seele (De censu animae), eingeleitet, übersetzt und erläutert von J. H.
Waszink, Zürich/München 1980, 75 und 98; Origenes, Vier Bücher von den Prin­
zipien, hrsg., übersetzt, mit kritischen und erläuternden Anmerkungen versehen von
H. Görgemanns/H. Karpp, Darmstadt 1976, III, 1, 13 (S.  509); IV, 4, 9 (S.  813–819).
14
  Vgl. z. B. Thomas von Aquin, STh I, q. 75, a. 6.
15
  Vgl. die Bulle »Apostolici regiminis«, 19. Dezember 1513, DH 1440 f. (S.  482 f.).
§  2 3  Das Standardmodell von Tod und Auferstehung 171

Konflikts war die unterschiedliche Auslegung von Aristoteles’ umstrit-


tener Schrift De Anima. Im Gegensatz zu christlichen Aristotelikern
wie Thomas von Aquin hat vor allem der italienische Renaissancephilo-
soph Pietro Pomponazzi16 die Auffassung vertreten, für Aristoteles sei
auch die Geistseele sterblich, weil sie nicht ohne sinnliche Vorstellungen
und daher nicht ohne Körper auskomme. Interessanterweise teilte Lu-
ther diese Aristotelesdeutung. Er spottete deshalb über die Konzilsent-
scheidung, die sich für die Unsterblichkeit der Seele, die nach Luther nur
im Glauben gewiss ist, ausgerechnet auf Aristoteles stützte.17 Entspre-
chend nahm auch die lutherische Orthodoxie an, die Unsterblichkeit der
Seele sei nicht in ihrer Natur, sondern in dem biblisch geoffenbarten
Willen Gottes begründet18 und daher aus der Natur der Seele nicht be-
weisbar.
In der Tat hat sich kein einziger dieser Beweise als stichhaltig erwiesen.
Nehmen wir beispielsweise den berühmten, auf Platon19 zurückgehenden
Unsterblichkeitsbeweis aus der Einfachheit der Seele. Er lautet: Weil die
Seele immateriell, mithin unausgedehnt ist und daher keine Teile besitzt
und weil etwas nur durch Auflösung in Teile zugrunde gehen kann, muss
die Seele unsterblich sein. Die Schwäche dieses Argumentes ist offen-
kundig. Kant hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Seele, wenn man
sie als »einfache Natur« betrachten dürfte, zwar nicht »durch Zertei­
lung«, wohl aber »durch allmähliche Nachlassung (remissio) ihrer Kräf-
te [.  .  .] in nichts verwandelt werden könne.«20 Die Regel, dass Einfaches
nicht zugrunde gehen kann, scheint übrigens nicht einmal für physische
Gegenstände zu gelten. Elektronen beispielsweise können durch Zusam-
menstoß mit Positronen vernichtet werden, obwohl sie in der heutigen
Physik als einfach gelten. Aus der Fragwürdigkeit des vorgeführten und
anderer Unsterblichkeitsbeweise ergibt sich eine wichtige Konsequenz
für das Standardmodell: Falls es überhaupt vertretbar wäre, spräche
manches dafür, den Grund für die Fortexistenz der Seele nicht in ihrer
Natur, sondern in der erhaltenden Tätigkeit Gottes zu suchen.

16
  Vgl. P. Pomponazzi, Abhandlung über die Unsterblichkeit der Seele, lat.-dt.,
übersetzt und mit einer Einleitung hrsg. von B. Mojsisch, Hamburg 1990.
17
  Diese Deutung der einschlägigen Lutherstellen ist allerdings umstritten, vgl.
dazu A. Ahlbrecht, Tod und Unsterblichkeit in der evangelischen Theologie der Ge­
genwart, Paderborn 1964, 33–44.
18
  Vgl. die Belegstellen bei Althaus, Die letzten Dinge, 90.
19
  Vgl. Platon, Phaidon, 78b–80e (Werke 3, 70–80).
20
 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 414 (Werke 4, 350 f.).
172 Siebtes Kapitel:  Tod und Auferstehungshoffnung

§  24  Das Verhältnis zu Platon und zum Neuen Testament

In welchem Verhältnis steht das Standardmodell, das in der christlichen


Theologie trotz der genannten Differenzen lange Zeit unstrittig war, zu
Platon einerseits und zum Neuen Testament andererseits?

1.  Das Verhältnis zu Platon


Schon früh hat die christliche Theologie den Auferstehungsglauben mit
der platonischen Annahme verknüpft, dass die menschliche Seele eine
vom Körper abtrennbare Substanz ist, die beim Tode nicht zugrunde
geht.21 Gleichwohl hat sie sich in mindestens dreifacher Hinsicht von
Platons Unsterblichkeitslehre und der ihr zugrunde liegenden Anthro-
pologie abgegrenzt.
Erstens verstand die christliche Theologie die menschliche Seele, un-
geachtet ihrer Unsterblichkeit, als etwas Geschaffenes, während Platon
sie für ewig und göttlich hielt.22 Der platonische Gedanke der Präexis-
tenz der Seele wurde deshalb entweder gar nicht rezipiert oder, wie im
Fall von Origenes, alsbald zurückgewiesen.23 Zweitens konnte die christ-
liche Theologie nicht der platonischen Annahme folgen, der Körper sei
das Grab oder der Kerker der Seele24 und diese das eigentliche mensch-
liche Selbst. Christlich verstanden, gehört der Körper ebenso zur guten
Schöpfung Gottes wie die Seele und erst deren Verbindung macht den
Menschen aus. In seinem Traktat über die Auferstehung schreibt Pseu-
dojustin:

21
  Ob auch Aristoteles dieser Meinung war, ist sehr fraglich. Aus seiner Annah-
me, dass die denkende Seele, der Nous, womöglich vom Körper abtrennbar ist (vgl.
Aristoteles, Über die Seele, gr.-dt., mit Einleitung, Übersetzung und Kommentar
hrsg. von H. Seidl, Hamburg 1995, I, 1, 403a3–12; II, 2, 413b24–29; III, 4, 429b2–5),
folgt nämlich nicht die Unsterblichkeit der menschlichen Einzelseele. Nach der
Deutung von Averroes, die allerdings von christlichen Aristotelikern bestritten
wurde, ist der Nous, der sich beim Tode vom Körper trennt, nichts Individuelles und
daher geht das menschliche Individuum ebenso wie jedes andere beseelte Wesen
beim Tode zugrunde.
22
  Vgl. Platon, Phaidon, 79d-80b (Werke 3, 76 und 78); Politeia, 611e (Werke 4,
844).
23
  Vgl. die Anathematismen gegen Origenes auf der Synode von Konstantinopel
543, DH 403 und 410 (S.  189 f.).
24
  Vgl. Platon, Gorgias, 493a (Werke 2, 404); Phaidon, 82e (Werke 3, 88); Kratylos,
400c (Werke 3, 450).
§  24  Das Verhältnis zu Platon und zum Neuen Testament 173
»Was ist denn der Mensch, wenn nicht das aus Seele und Leib bestehende ver-
nunftbesitzende Lebewesen? Die Seele ist doch nicht für sich allein Mensch?
Nein, sondern [nur] die Seele des Menschen. Es dürfte doch nicht etwa der Leib
›Mensch‹ genannt werden? Nein, vielmehr wird er ›Leib des Menschen‹ genannt.
Wenn also keines von diesen beiden für sich allein Mensch ist, sondern das, [was]
aus der Verflechtung beider [besteht], Mensch genannt wird, Gott aber den
Menschen zu Leben und Auferstehung berufen hat, [dann] hat er ihn nicht teil-
weise, sondern ganz [dazu] berufen, [und] das heißt: die Seele und den Leib.«25

Mit dieser zweiten Abgrenzung gegen Platon hängt eine dritte eng zu-
sammen. Weil der Mensch als Vereinigung von Seele und Leib verstan-
den wurde, richtete sich die christliche Hoffnung letztendlich auf die
Auferstehung der Toten, bei der die Seele mit dem Leib wiedervereinigt
und der leiblose Zwischenzustand beendet wird. Zwar ging auch Platon
von Wiederverkörperungen der Seele aus, aber die körpergebundene
Existenzweise der Seele erschien ihm als unvollkommener Zustand, den
es durch tugendhaftes Leben endgültig zu überwinden gilt.26 Die christ-
liche Theologie dagegen hat die eschatologische Vollendung des Men-
schen von jeher als körperliche Erneuerung gedacht, auch wenn der vor-
läufige Charakter des unkörperlichen Zwischenzustands der Seele theo-
logiegeschichtlich zeitweise in den Hintergrund trat.
Um Platons Lehre von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele
christlich rezipieren zu können, waren demnach einschneidende Modi-
fikationen erforderlich. Warum aber erschien es der christlichen Theolo-
gie überhaupt notwendig, die biblische Auferstehungshoffnung mit der
platonischen Unsterblichkeitslehre zu verknüpfen? Die Antwort liegt
auf der Hand und wurde bereits angedeutet. Zum Auferstehungsglauben
gehört untrennbar die Annahme, dass die künftig Auferweckten trotz
aller erhofften Verwandlung mit den jetzt Lebenden beziehungsweise
den Verstorbenen identisch sind. Nun scheint diese zeitübergreifende
personale Identität aber vorauszusetzen, dass der Mensch beim Tode
nicht ganz und gar zugrunde geht. Die theologische Tradition glaubte
deshalb, mit Platon von einer unsterblichen menschlichen Seele ausgehen
zu müssen, die auch zwischen Tod und Auferweckung existiert und wel-
che die Identität der Person im Keim bewahrt.

25
 Pseudojustin, Über die Auferstehung, 8, in: M. Heimgartner, Pseudojustin –
Über die Auferstehung, Text und Studie, Berlin/New York 2001, 121.
26
  Vgl. Platon, Phaidon, 76e-77d und 80e-83e (Werke 3, 66–68 und 80–92).
174 Siebtes Kapitel:  Tod und Auferstehungshoffnung

2.  Das Verhältnis zum Neuen Testament


Gibt es für dieses Standardmodell schon im Neuen Testament erste An-
haltspunkte? In Bezug auf die Paulusbriefe ist diese Frage eher zu ver-
neinen. Paulus richtet seine Hoffnung auf die in naher Zukunft erwar-
tete Wiederkunft Christi, bei der die Toten auferstehen und zusammen
mit den Lebenden verwandelt werden.27 Ebenso erwartet er allerdings,
durch seinen Tod zu Christus zu gelangen. »Ich habe Lust, aus der Welt
zu scheiden und bei Christus zu sein«, heißt es bekanntlich in Phil 1, 23.
Wie passt beides zusammen? Die ältere Forschung verstand die zitierte
Bemerkung und ähnliche im 2. Korintherbrief (2Kor 5, 1–10) entwick-
lungsgeschichtlich, nämlich als zunehmende Anpassung der jüdisch-
apokalyptischen Eschatologie an eine hellenistische Unsterblichkeits-
lehre, was schon deshalb wenig plausibel ist, weil Paulus auch im Phi­
lipperbrief und dem als spät geltenden Römerbrief auf die baldige
Wiederkunft Christi und die damit verbundene Auferstehung der Toten
hofft.28 Die beiden Zukunftsaussagen scheinen sich demnach für Paulus
nicht gegenseitig auszuschließen. Aber wie hat er sie zusammengedacht?
Ist er wie die spätere christliche Theologie von einem leiblosen Zustand
zwischen Tod und Auferweckung ausgegangen? Der schwer verständli-
che Abschnitt 2Kor 5, 1–10 ist oft in diesem Sinne verstanden worden.29
Paulus bringe dort zunächst seine Sehnsucht zum Ausdruck, bis zur
Parusie zu leben und als Lebender mit dem Geistleib »überkleidet« zu
werden, um jenem leiblosen Zwischenzustand zu entgehen, der im Fall
vorzeitigen Sterbens sein Los wäre (V. 2–4). Die Furcht vor dem »Nackt-
sein« der Seele werde aber schließlich durch die Zuversicht überwogen,
schon im Zwischenzustand näher bei Christus zu sein als im irdischen
Leib (V. 5–8). Nun ist diese Interpretation allerdings mit erheblichen
Schwierigkeiten belastet und wird deshalb von vielen Exegeten aus
gutem Grund abgelehnt.30 Soll man daraus schließen, dass die beiden
27
  Vgl. 1Thess 4, 13–17; 1Kor 15, 51 f.
28
  Vgl. Phil 1, 6. 10; 2, 16; 3, 11. 20 f.; 4, 5 und Röm 13, 11. Zur Frage eines ver-
meintlichen Wandels der paulinischen Zukunftshoffnung vgl. A. Lindemann, »Pau-
lus und die korinthische Eschatologie. Zur These von einer ›Entwicklung‹ im pau­
linischen Denken«, in: ders., Paulus, Apostel und Lehrer der Kirche. Studien zu Pau­
lus und zum frühen Paulusverständnis, Tübingen 1999, 64–90.
29
  Vgl. z. B. H. Lietzmann, An die Korinther I [und] II, Tübingen 4.  Aufl. 1949,
117–122; O. Cullmann, Unsterblichkeit der Seele oder Auferstehung der Toten? Ant­
wort des Neuen Testaments, Stuttgart 2.  Aufl. 1963, 56–59.
30
  Vgl. z. B. Chr. Wolff, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther (Theolo-
gischer Handkommentar zum Neuen Testament, Bd.  V III), Berlin 1989, 102 f., 105 f.,
§  24  Das Verhältnis zu Platon und zum Neuen Testament 175

eschatologischen Aussagereihen bei Paulus unverbunden nebeneinander


stehen? Oder sind sie vielleicht durch die Annahme vermittelt, die To-
desstunde falle mit der künftigen Auferweckung zusammen, weil unse-
re Zeitbegriffe jenseits des Todes ihre Gültigkeit verlieren? 31 Im letzte-
ren Fall hätte Luther die paulinische Auffassung getroffen, als er schrieb:
»[.  .  .] hier muss man die Zeit aus dem Sinn tun und wissen, dass in jener
Welt nicht Zeit noch Stund sind, sondern alles ein ewiger Augen-
blick«.32
Mit mehr Recht als auf Paulus könnte sich ein Vertreter des Standard-
modells vielleicht auf das lukanische Doppelwerk berufen. Lukas nimmt
offenbar an, dass sich das Pneuma eines Menschen beim Tode von sei-
nem Körper trennt und sogleich ins Paradies, den himmlischen Aufent-
haltsort der Gerechten, aufgenommen werden kann. Dies lässt sich aus
dem Kreuzeswort Jesu »Vater, ich befehle meinen Geist in Deine Hän-
de!« (Lk 23, 46; vgl. Ps 31, 6), aus der Bitte des sterbenden Stephanus
»Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!« (Apg 7, 59) sowie aus Jesu Zusage
an den Schächer »Heute wirst Du mit mir im Paradies sein« (Lk 23, 43)
entnehmen. Entsprechend scheint Lukas die Auferweckung als Wieder-
vereinigung des Pneumas mit dem Körper zu verstehen; denn bei der
Auferweckung der Tochter des Jairus heißt es: »Und ihr Geist kam wie-
der, und sie stand sogleich auf« (Lk 8, 55).33 Zu diesem Befund passt das
Gleichnis Lk 16, 19–31, in dem der arme Lazarus sogleich nach seinem
Tod von den Engeln in Abrahams Schoß getragen wird, während sich der
Reiche an einem Ort der Pein wiederfindet. Dabei ist vermutlich an ei-
nen vorläufigen, keinen endgültigen Zustand gedacht.34 Ebenso wie bei
Lukas wird übrigens auch in der Johannesoffenbarung ein Zustand zwi-
schen Tod und Auferweckung vorausgesetzt. In Kap.  6 , 9 f. fordern die

109–113, und E. Gräßer, Der zweite Brief an die Korinther, Kap.  1, 1–7, 16 (Ökume-
nischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament, Bd.  8 /1), Gütersloh/Würz-
burg 2002, 184, 186–191, 197, 201.
31
  So interpretiert z. B. M. Reiser, »›Wir alle müssen erscheinen vor dem Richter-
stuhl Christi‹ (2 Kor 5, 10). Bilder des Jüngsten Gerichts bei Paulus«, Erbe und Auf­
trag 75 (1999), 456–468, hier: 460 und 462.
32
  Luther, WA, Abt. 1, Bd.  10/3, Weimar 1905, 194; Anpassung an heutige Schreib-
weise.
33
  Da dieser Text von der Auferstehung in ein Leben handelt, das wiederum dem
Tode entgegengeht, ist allerdings fraglich, ob man ihn in unserem Zusammenhang
überhaupt zu Rate ziehen darf.
34
 So auch W. Wiefel, Das Evangelium nach Lukas (Theologischer Handkom-
mentar zum Neuen Testament, Bd.  III), Berlin 1988, 299.
176 Siebtes Kapitel:  Tod und Auferstehungshoffnung

Seelen der »geschlachteten« Märtyrer Gott auf, ihnen endlich Recht zu


verschaffen und sich für sie zu rächen.35
Nach Darstellung der älteren Jesusüberlieferung scheint Jesus dagegen
nicht von einem Überleben seiner Seele beim Tode ausgegangen zu sein.
Denn seine Todesfurcht in Gethsemane (Mk 14, 33 f.), die sich von der
ruhigen Gelassenheit des Sokrates so drastisch unterscheidet, hatte ihren
Grund wohl nicht allein in der Erwartung des ungleich grausameren
Todes am Kreuz, sondern auch in dem illusionslosen Bewusstsein, nach
Leib und Seele zu sterben.36

§  25  Die Ganztodtheorie

Einst hat Johannes Calvin die Ansicht, dass beim Tode »der ganze
Mensch umkäme und die Seelen also samt den Leibern auferstehen wür-
den« als »viehische[n] Irrtum«37 verworfen. Seit Beginn des 20. Jahrhun-
derts dagegen ist eben diese Ansicht in der evangelischen Theologie zur
beherrschenden geworden. Die Väter der sogenannten Ganztodtheorie,
die später von vielen evangelischen Theologen übernommen und weiter-
entwickelt wurde, waren Adolf Schlatter, Carl Stange und Paul Althaus.
Im Gegenzug zur platonischen Unsterblichkeitslehre und ihrer Rezepti-
on im Standardmodell nehmen sie an, dass sich die Seele eines Menschen
beim Tode nicht etwa von seinem Körper trennt und fortexistiert, son-
dern vielmehr mit ihm zugrunde geht.
»Indem der Tod uns entleibt«, schreibt Paul Althaus, »entgeistet er uns auch.
Sterben heißt mehr, als daß dem Geiste sein Organ, zu empfangen und zu han-
deln, genommen wird; es heißt, daß er selber sich genommen wird. Im Tode
werden wir uns ganz genommen. Darum graut uns vor dem Sterben, weil es auf
uns zukommt als das Ende unserer gesamten Lebendigkeit. Leib und Seele
›schwinden‹ (Ps. 73, 26). In der Sprache der Kirchenlieder: Auch ›das Herz‹ ›zer-
bricht‹, nicht nur der Leib. Von uns aus gesehen ist der Tod Sinken ins Boden-
lose, Ausgang in das Nichts.«38

35
  Vgl. auch Offb 20, 4.
36
  Vgl. O. Cullmann, Unsterblichkeit der Seele, 22–31.
37
  J. Calvin, Unterricht in der christlichen Religion – Institutio christianae religi­
onis, nach der letzten Ausgabe übersetzt und bearbeitet von O. Weber, Neukirchen-
Vluyn 6.  Aufl. 1997, III, 25, 6 (S.  671).
38
 Althaus, Die letzten Dinge, 80. Entsprechend haben sich auch A. Schlatter und
C. Stange geäußert, vgl. z. B. A. Schlatter, Jesu Gottheit und das Kreuz, Gütersloh
§  25  Die Ganztodtheorie 177

Für diesen Bruch mit der theologischen Tradition hat Althaus zwei
Gründe geltend gemacht. Erstens stehe die Vorstellung vom Fortleben
der Seele nach dem Tod im Gegensatz zum biblischen Verständnis des
Todes als Gericht über den sündigen Menschen (Röm 6, 23).39 Zweitens
sei sie nicht mit dem biblischen Verständnis der Auferstehung verträg-
lich, wonach Gott den ganzen Menschen und nicht nur seinen Leib auf-
erweckt.40 Diese beiden Argumente für die Ganztodtheorie sind sicher
bedenkenswert, allerdings nicht zwingend. Sie sind es schon deshalb
nicht, weil das Standardmodell den Gerichtscharakter des Todes keines-
wegs ausschließen muss und weil zumindest Luthers Version des Stan-
dardmodells, seine Hypothese vom Seelenschlaf, dem ganzheitlichen
Sinn biblischer Auferstehungshoffnung ebenfalls Rechnung trägt.
Die eigentliche Schwierigkeit des Standardmodells und der plato-
nischen Unsterblichkeitslehre ist eine andere. Sie besteht darin, dass bei-
de einen Dualismus voraussetzen, der die Seele des Menschen als eine
von seinem Körper unterschiedene und abtrennbare immaterielle Sub­
stanz versteht. Dieser Substanzdualismus entspricht aber wohl kaum der
biblischen Gesamtsicht menschlicher Existenz, auch wenn einzelne bib­
lische Texte, etwa die zitierten Stellen bei Lukas, in eine andere Richtung
zu deuten scheinen. Zudem ist der Substanzdualismus aus einer Reihe
von Gründen, von denen nur zwei genannt seien, wenig plausibel (vgl.
oben §  20).
Erstens gibt es für die Annahme einer Seelensubstanz keine empirische
Rechtfertigung, wie insbesondere Hume und Kant gezeigt haben. Zwar
können einzelne seelische Zustände Gegenstand unserer Erfahrung wer-
den, nicht aber jene Seelensubstanz, die ihnen als Träger zugrunde liegen
soll. Zu Recht bemerkt Hume:
»Ich meines Teils kann, wenn ich mir das, was ich als ›mich‹ bezeichne, so un-
mittelbar als irgend möglich vergegenwärtige, nicht umhin, jedesmal über die
eine oder die andere bestimmte Perzeption zu stolpern, die Perzeption der Wär-
me oder Kälte, des Lichtes oder Schattens, der Liebe oder des Hasses, der Lust
oder Unlust. Niemals treffe ich mich ohne eine Perzeption an und niemals kann
ich etwas anderes beobachten als eine Perzeption.«41

2.  Aufl. 1913, 61; C. Stange, Luther und das sittliche Ideal, Gütersloh 1919, 31 f.; ders.,
Die Unsterblichkeit der Seele, Gütersloh 1925.
39
  Vgl. Althaus, Die letzten Dinge, 81 f., 87, 91, 104, 107.
40
  Vgl. ebd., 91, 107 f. Fußnote, 116, 148.
41
 Hume, Ein Traktat über die menschliche Natur, Bd.  1, 326.
178 Siebtes Kapitel:  Tod und Auferstehungshoffnung

Diese Kritik einer substantialistischen Deutung der Seele ist von Kant
aufgenommen und durch gewichtige Argumente vertieft worden. Unse-
re inneren Vorstellungen sind zwar kein bloßes Bündel isolierter Ein­
zelerlebnisse, wie Hume glaubte, vielmehr gehören sie durch das »Ich
denke«, das »alle meine Vorstellungen begleiten können [muss]«42 , zu
einem einheitlichen Bewusstsein. Aber dieses »Ich denke« ist lediglich
ein logisches Einheitsprinzip und kann nicht als selbstständiges Wesen,
als Seelensubstanz, aufgefasst werden. Denn um die Substanzkategorie
anwenden zu dürfen, wäre sinnliche Anschauung erforderlich, die uns
im Falle des »Ich denke« aber gerade fehlt.43 Die Annahme einer Seelen-
substanz beruht nach Kant demnach auf einer unberechtigten Verding-
lichung des transzendentalen Selbstbewusstseins.
Der zweite Grund, der gegen einen Leib-Seele-Dualismus spricht, be-
trifft die Schwierigkeit, eine immaterielle Seele als Ursache körperlicher
Zustände zu betrachten. Diese Betrachtungsweise widerstreitet nämlich
dem Prinzip, dass zur Erklärung physikalisch beschriebener Vorgänge
nur andere physikalisch beschriebene Vorgänge in Frage kommen. Nun
ist dieses Prinzip der Erklärungsgeschlossenheit der physischen Welt
zum einen eine methodisch sinnvolle Maxime empirischer Forschung.
Zum anderen hat sich dieses Prinzip bisher ausnahmslos bewährt. Den
Vertretern des Leib-Seele-Dualismus ist es bislang nicht gelungen, über-
zeugende empirische Belege für die von ihnen vorausgesagten Lücken in
den Kausalabläufen neurophysiologischer Vorgänge zu liefern.
Diese und andere Schwierigkeiten, mit denen der Leib-Seele-Dualis-
mus belastet ist, sowie der biblische Gesamtbefund sprechen für die
Ganztodtheorie. Wenn der Mensch keine von seinem Körper abtrenn-
bare Seele besitzt, dann wird man davon ausgehen müssen, dass er beim
Tod ganz und gar zugrunde geht. Die Konsequenzen, die sich daraus für
die Zukunftshoffnungen des Menschen ergeben, liegen auf der Hand;
denn offenkundig sind weder die platonische Unsterblichkeitslehre noch
das Standardmodell christlicher Individualeschatologie mit der Einsicht
verträglich, dass die Seele des Menschen untrennbar mit seinem Leib
verknüpft ist und daher gemeinsam mit ihm stirbt. Dasselbe gilt für jene
Formen des Reinkarnationsglaubens, die eine vom Körper abtrennbare
individuelle Seele des Menschen voraussetzen.44 Wenn der Mensch wirk-
42
 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 131 (Werke 3, 136).
43
  Vgl. ebd., B 407 f. (Werke 4, 346 f.).
44
  Zu den verschiedenen Versionen der Reinkarnationslehre vgl. J. Hick, Death
and Eternal Life (1976), Louisville/Kentucky 1994, 297–396.
§  26  Kritik der materialistischen Auferstehungsdeutung 179

lich nach Leib und Seele stirbt, ist die Hoffnung über den Tod hinaus nur
dann nicht illusionär, wenn sie sich auf eine radikal verstandene Aufer-
stehung der Toten beziehen lässt, bei welcher der ganze Mensch von
Gott neu geschaffen wird.
Diese radikale Auferstehungshoffnung, die ihre Erfüllung ganz und
gar auf Gott setzt, steht allerdings vor dem eingangs erwähnten Pro-
blem. Ohne eine Seele, die auch zwischen Tod und Auferweckung exis-
tiert und die personale Identität keimhaft bewahrt, scheint die Selbigkeit
der Auferweckten mit denen, die einst gelebt haben, ausgeschlossen zu
sein.45 An diesem Problem ändert sich auch dann nichts, wenn man an-
nehmen wollte, dass der Tod eines Menschen mit seiner Auferweckung
zeitlich zusammenfällt, weil vor Gott »tausend Jahre wie ein Tag sind«
(Ps 90, 4; 2Petr 3, 8). Denn in diesem Fall bestünde zwischen Tod und
Auferweckung zwar kein zeitlicher, wohl aber ein sachlicher Bruch.
Steht die christliche Zukunftshoffnung demnach vor einem unange-
nehmen Dilemma? Muss sie in ihrer radikalen Form am Identitäts-
problem scheitern, nachdem sie in ihrer platonisierenden Standardversi-
on am Leib-Seele-Problem gescheitert war? Meines Erachtens kann die-
se Frage mit guten Gründen verneint werden, wie nun gezeigt werden
soll.

§  26  Kritik der materialistischen Auferstehungsdeutung

Die personale Identität der künftig auferweckten mit den jetzt lebenden
beziehungsweise den verstorbenen Menschen ist eine Annahme, die zum
Kern der Auferstehungshoffnung gehört. »Dies Verwesliche muss anzie-
hen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche die Unsterblichkeit«,
schreibt Paulus in 1Kor 15, 53. Dem christlichen Auferstehungsglauben
zufolge will Gott uns zwar ganz neu schaffen, aber er will es eben an uns
tun. Wenn die Lehre vom Ganztod des Menschen zutrifft – und dies
scheint der Fall zu sein –, ist die zeitübergreifende Identität einer Person

45
  Selbst evangelische Theologen haben deshalb in jüngerer Zeit dafür plädiert,
die Ganztodtheorie aufzugeben, vgl. z. B. Th. Mahlmann, »Auferstehung der Toten
und ewiges Leben«, in: K. Stock (Hg.), Die Zukunft der Erlösung. Zur neueren Dis­
kussion um die Eschatologie, Gütersloh 1994, 108–131, und Chr. Henning, »Wirklich
ganz tot? Neue Gedanken zur Unsterblichkeit der Seele vor dem Hintergrund der
Ganztodtheorie«, Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilo­
sophie 43 (2001), 236–252.
180 Siebtes Kapitel:  Tod und Auferstehungshoffnung

allerdings nicht durch die Fortexistenz ihrer Seele nach dem Tod sicher-
gestellt. Wodurch aber könnte sie stattdessen gewährleistet sein? Ich
möchte zwei Antwortversuche erörtern, nämlich erstens einen materia-
listischen, den ich zurückweisen, und zweitens einen anamnetischen,
den ich verteidigen werde.
Zunächst zum materialistischen Lösungsvorschlag. Bedeutende christ-
liche Theologen wie Augustin, Thomas von Aquin oder Calvin haben
angenommen, dass für die im Eschaton bewahrte Identität einer Person
neben der Fortexistenz ihrer Seele nach dem Tod noch etwas Weiteres
erforderlich ist: Gott muss ihren Auferstehungsleib aus denselben oder
einigen von denselben materiellen Bestandteilen schaffen, die schon ih-
ren irdischen Leib ausgemacht haben.46
»Damit numerisch derselbe Mensch aufersteht«, schreibt Thomas von Aquin,
»ist es außerdem notwendig, daß seine wesentlichen Teile numerisch dieselben
sind. Würde also der Körper des auferstehenden Menschen nicht aus diesem
Fleisch und diesen Knochen bestehen, aus denen er jetzt zusammengesetzt ist,
so würde es sich beim Auferstehenden nicht um numerisch denselben Menschen
handeln.«47

Ein Vertreter der Ganztodtheorie könnte sich diese zweite Forderung,


diejenige der materiellen Identität, zu eigen machen. Er könnte behaup-
ten, dass diese Forderung nicht nur erfüllbar ist, sondern dass ihre tat-
sächliche Erfüllung auch genügen würde, um die personale Identität si-
cherzustellen. Wie wäre dieser Vorschlag einzuschätzen?
Gewiss könnte ein allmächtiger Gott dafür sorgen, dass zwischen den
materiellen Bestandteilen des irdischen Leibes, obgleich sie sich nach
dem Tod zerstreuen und neue Verbindungen eingehen, und denen des
Auferstehungsleibes eine Identität oder mindestens eine Teilidentität be-
steht. Die christliche Theologie hat sich in diesem Zusammenhang schon
früh mit dem »Kannibalenproblem« befasst. Ein bedauernswerter
Mensch wird von einem Kannibalen gefressen, und Gott will beide am
Jüngsten Tag auferwecken. Welchem Auferstehungsleib ordnet er dieje-
nigen materiellen Bestandteile zu, die zum irdischen Leib des einen wie
des anderen gehört haben? Nach Augustin werden sie dem Auferste-

46
  Vgl. Augustinus, Das Handbüchlein, XXIII, 88 f.; Augustinus, De civitate dei
– Vom Gottesstaat, XXII, 20 f.; Thomas von Aquin, Summe gegen die Heiden (=
ScG), 4. Bd., Buch IV, lat.-dt., hrsg., übersetzt und mit einem Nachwort versehen
von M. H. Wörner, Darmstadt 1996, cap.  81, 84, 85; Calvin, Institutio christianae
religionis, III, 25, 7.
47
  Thomas von Aquin, ScG IV, cap.  84.
§  26  Kritik der materialistischen Auferstehungsdeutung 181

hungsleib derjenigen Person zugeschlagen, zu deren irdischem Leib sie


zuerst gehört haben.48 Zwischen den materiellen Bestandteilen der ir-
dischen und der verherrlichten Leiber bestünde demnach zuweilen nur
eine Teilidentität, wie später übrigens auch Thomas von Aquin gemeint
hat.49 Athenagoras, einer der frühen christlichen Auferstehungstheolo-
gen, nahm dagegen an, dass jeder Auferstehungsleib aus sämtlichen kör-
perlichen Elementen geschaffen werden kann, die schon den irdischen
Leib der entsprechenden Person ausgemacht haben. Denn die für Kanni-
balen nicht bestimmte Nahrung, nämlich Menschenfleisch, könne von
ihrem Organismus gar nicht assimiliert werden.50 Man mag solche Spe-
kulationen für müßig halten, wird aber zugeben müssen, dass es einem
allmächtigen Gott möglich ist, den Auferstehungsleib aus materiellen
Elementen zu schaffen, die mit denen des irdischen Leibes völlig oder
teilweise identisch sind.
Für unser Problem ist damit allerdings nichts gewonnen. Denn die
Verwirklichung dieser Möglichkeit gewährleistet keineswegs die zeit­
übergreifende personale Identität, wie das folgende Gedankenexperi-
ment zeigt: Angenommen, Gott versammelt am Jüngsten Tag alle Atome,
aus denen mein Körper derzeit besteht, und schafft aus ihnen einen Auf-
erstehungsleib. Zugleich macht er aus dem gänzlich anderen Set von
Atomen, die vor dreißig Jahren meinen Körper bildeten, einen zweiten
Auferstehungsleib. Wenn nun die zeitübergreifende Identität einer Per-
son durch die Selbigkeit ihrer körperlichen Bestandteile gewährleistet
würde, dann könnte jemand am Jüngsten Tag zu mir sagen: »Gestatten,
Friedrich Hermanni, ich bin du.« Natürlich ist diese Szene absurd. Denn
zu unserem Begriff von Person gehört offenbar, dass eine bestimmte
Person nur mit einer einzigen Person in der Vergangenheit und Zukunft
identisch sein kann und umgekehrt. Folglich misslingt der skizzierte
Versuch unseres Ganztodtheoretikers, die Identität der von Gott aufer-
weckten mit den jetzt lebenden Menschen verständlich zu machen.
Der materialistische Vorschlag zur Lösung des Identitätsproblems
kann allerdings so modifiziert werden, dass er dem Verdopplungsein-
wand nicht mehr ausgesetzt ist. In dieser modifizierten Form findet er

48
  Vgl. Augustinus, Das Handbüchlein, XXIII, 88; De civitate dei – Vom Gottes­
staat, XXII, 20.
49
  Vgl. Thomas von Aquin, ScG IV, cap.  81 [zu 5]; zur Kritik der thomasischen
Lösung des Kannibalenproblems vgl. Swinburne, The Evolution of the Soul, 300.
50
  Vgl. Athenagoras, Legatio and De Resurrectione, gr.-engl., ed. and translated
by W. R. Schoedel, Oxford 1972, De Resurrectione, 5 ff.
182 Siebtes Kapitel:  Tod und Auferstehungshoffnung

sich bei Peter van Inwagen.51 Nach van Inwagen wird die zeitübergrei-
fende Selbigkeit einer Person nicht durch materielle Identität, sondern
durch materielle und kausale Kontinuität konstituiert.52 Zum Beispiel ist
ein heute achtzigjähriger Mann mit einem jungen Mann im Jahre 1950
dann und nur dann identisch, wenn sich sein Körper bruchlos aus dem
des jungen Mannes entwickelt hat. Dasselbe gilt nach van Inwagen auch
für einen Menschen, den Gott am Jüngsten Tag auferweckt. Damit er
mit einem jetzt lebenden identisch ist, muss zwischen ihren Körpern
eine materielle und kausale Kontinuität bestehen. Aus der Wahrheit des
christlichen Auferstehungsglaubens muss man nach van Inwagen des-
halb schließen, dass Gott auf irgendeine Weise unseren toten Körper
wenigstens teilweise bewahrt, um ihn bei der Auferstehung der Toten
mit neuem Fleisch zu überkleiden. Aber wie soll das zugehen? Zerfällt
unser Körper nach dem Tod nicht allem Anschein nach in seine Bestand-
teile, sodass die Kette materieller und kausaler Kontinuität unwiderruf-
lich zerbricht? Nach van Inwagen muss dieser Anschein täuschen, wenn
der christliche Auferstehungsglaube wahr ist. Wider allen Augenschein
wird Gott vielmehr unseren Leichnam irgendwie vor seiner Auflösung
schützen.
»Vielleicht nimmt Gott beim Tode eines jeden Menschen seinen Leichnam fort
und ersetzt ihn durch ein Scheinbild (simulacrum), das verbrannt wird oder
verfault. [.  .  .] Vielleicht nimmt er auch nur die ›Kernperson‹, also das Gehirn und
das zentrale Nervensystem, oder Teile davon fort, um sie sicher aufzubewah-
ren.«53

Was soll man von diesen Überlegungen halten? Um die Möglichkeit un-
serer eschatologischen Identität zu gewährleisten, erzählt van Inwagen
eine Geschichte, die einigermaßen bizarr ist. Zudem wird Gott in sei-
nem Szenario zu einem Genius malignus, der uns über den wahren Ver-
lauf der Dinge, nämlich über das Schicksal des Leichnams, täuscht. Van

51
  Vgl. P. van Inwagen, »The Possibility of Resurrection«, International Journal
for Philosophy of Religion 9 (1978), 114–121; ders., »Dualism and Materialism:
Athens and Jerusalem?«, Faith and Philosophy 12 (1995), 475–488.
52
  Auch nach P. Geach, God and the Soul, South Bend/Indiana second edition
1969, IX und 26–29, ist für die den Tod übergreifende Identität einer Person eine
Eins-zu-Eins-Relation materieller Kontinuität zwischen ihrem irdischen Leib und
ihrem Auferstehungsleib notwendig. Im Unterschied zu van Inwagen vertritt Geach
allerdings keine materialistische Auferstehungsdeutung, sondern die thomasische
Version des Standardmodells.
53
  Van Inwagen, »The Possibility of Resurrection«, 121 (Übersetzung von F. H.).
§  26  Kritik der materialistischen Auferstehungsdeutung 183

Inwagen glaubt allerdings, sich auf 1Kor 15 berufen zu können.54 Auch


Paulus gehe von einer materiellen Kontinuität zwischen irdischem und
verherrlichtem Leib aus, wenn er in V. 36 ff. schreibt: »Was du säst, wird
doch nicht lebendig, wenn es nicht (zuvor) stirbt; und was du säst, ist
nicht der künftige Leib, sondern ein nacktes Korn, etwa von Weizen
oder einem anderen (Gewächs). Gott aber gibt ihm einen Leib, wie er
will, und jeder Samenart ihren besonderen Leib.« Gewiss meint Paulus
mit dem »nackten Korn« keine immaterielle Seele, die den Tod überlebt
und bei der Auferstehung einen geistlichen Leib erhält, wie ein Vertreter
des Standardmodells interpretieren würde.55 Ebenso wenig aber nimmt
er an, Gott werde einen Teil des Leichnams auf wundersame Weise vor
dem Verfall schützen, um ihn am Jüngsten Tag mit einem neuen Leib zu
bekleiden, wie van Inwagen glaubt. Denn in V. 50 wendet sich Paulus
ausdrücklich gegen ein materialistisches Verständnis der Auferstehungs-
hoffnung, das ihm vielleicht von seinen korinthischen Gegnern unter-
stellt wurde: »Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht ererben.«
Van Inwagens materialistische Deutung der Auferstehung ist aber
nicht nur in biblisch-theologischer, sondern auch in philosophischer
Hinsicht unhaltbar. Ein von Gott bewahrter Leichnam würde keines-
wegs die Identität zwischen einer auferweckten Person und einer jetzt
lebenden sicherstellen, und zwar aus folgendem Grund: Wenn beim Tod
an die Stelle des menschlichen Organismus der Leichnam tritt, dann
handelt es sich nicht etwa um die Fortexistenz desselben Körpers, bei
dem nur die Eigenschaft des Lebendigseins durch die des Totseins er-
setzt wäre. Vielmehr besteht zwischen beiden ein substantieller Bruch.
Der tote Körper eines Menschen ist kein menschlicher Körper, ja im Un-
terschied zum Organismus nicht einmal ein Körper, sondern lediglich
ein zusammenhangloses Aggregat vieler anorganischer Körper. Nun ist
aber eine Person für einen Materialisten wie van Inwagen nichts anderes
als ein bestimmter menschlicher Organismus. Folglich kann ein Leich-
nam, der sich von diesem Organismus substantiell unterscheidet, nicht
für die zeitübergreifende personale Identität aufkommen und daher
nicht die Rolle übernehmen, welche die unsterbliche Seele im Standard-
modell gespielt hat. Zu Recht unterscheidet auch unser Sprachgebrauch
sehr genau zwischen der Leiche und dem Verstorbenen. Eine gute Ant-
wort auf die Frage, wie man begraben werden möchte, wäre deshalb im-

  Vgl. van Inwagen, »Dualism and Materialism«, 480 f.


54

  So z. B. Mahlmann, »Auferstehung der Toten und ewiges Leben«, 128.


55
184 Siebtes Kapitel:  Tod und Auferstehungshoffnung

mer noch diejenige, die einst Sokrates gab: »Wie immer ihr wollt [.  .  .],
vorausgesetzt, ihr bekommt mich zu fassen und ich bin euch nicht ent-
wischt.«56

§  27  Das Gedächtnis Gottes

Die bisherigen Überlegungen haben zu folgendem Ergebnis geführt:


Weil der Mensch nach Leib und Seele stirbt, ist die personale Identität
der Auferweckten mit den jetzt Lebenden beziehungsweise den Verstor-
benen nicht durch die kontinuierliche Existenz einer Seele sichergestellt,
die sich beim Tod vom Körper trennen würde. Ebenso wenig kann diese
Identität durch die materielle Kontinuität zwischen dem irdischen und
dem verherrlichten Leib oder durch die Selbigkeit ihrer materiellen Be-
standteile gewährleistet werden. Weder der Seele noch dem Leib des
Menschen kommt eine den Tod übergreifende Kontinuität zu, die seine
personale Identität am Jüngsten Tag verbürgen könnte. Aber wodurch
könnte sie stattdessen verbürgt sein? In der neueren evangelischen Theo­
logie wird diese Frage häufig mit dem Hinweis auf das Gedächtnis Got-
tes beantwortet. Zwar geht der Mensch im Tode ganz und gar zugrunde,
aber in der göttlichen Erinnerung lebt er weiter. Aus diesem Grund kön-
nen die am Jüngsten Tage Auferweckten mit denen, die ihrem Tod entge-
gengehen, identisch sein. Indem unsere Lebensgeschichte dem ewigen
Gott gegenwärtig bleibt, wird der garstige Graben zwischen Tod und
Auferweckung, sei er nun zeitlicher oder sachlicher Art, überbrückt.
Das Gedächtnis Gottes übernimmt also die Rolle, die im Standardmo-
dell der unsterblichen Seele des Menschen und in einem christlichen Ma-
terialismus seinem Körper zugeschrieben wird. Es schafft jene Kontinu-
ität, von der die den Tod übergreifende personale Identität des Menschen
abhängt.
Dieser Vorschlag zur Lösung des Identitätsproblems, den man als
anamnetischen bezeichnen könnte, scheint mir aussichtsreich zu sein.
Um ihn plausibel zu machen, werde ich zwei Überlegungen anstellen.
Im ersten Schritt soll die naheliegende Vermutung, die Verstorbenen
blieben im Gedächtnis Gottes präsent, durch ein Argument gestützt
werden. Damit wäre allerdings noch nicht viel gewonnen, wenn nicht

56
 Platon, Phaidon, 115c (Werke 3, 196), Übersetzung nach: Platon, Werke. Über­
setzung und Kommentar, I 4, Phaidon, 81.
§  27  Das Gedächtnis Gottes 185

ebenfalls gezeigt werden könnte, dass die göttliche Erinnerung in der


Tat die personale Identität zwischen den Auferstandenen und den Ver-
storbenen stiften kann. Im zweiten Schritt soll deshalb ein Einwand ge-
gen die identitätsstiftende Rolle des göttlichen Gedächtnisses ausgeräumt
werden. Dies ist auch deshalb nötig, weil die Gefahr besteht, dass der
Gedanke vom Weiterleben des Menschen in der Erinnerung Gottes die
Auferstehungshoffnung ersetzt, statt ihre Voraussetzung zu bilden. Lei-
der erlag die neuere evangelische Theologie zuweilen dieser Gefahr und
wiederholte damit auf ihre Weise die Fehlentwicklung der Aufklärungs-
theologie, in der die Auferstehungshoffnung von der ihr zugedachten
Voraussetzung, der platonischen Unsterblichkeitslehre, verschlungen
wurde.

1.  Die Gegenwart in Gottes Gedächtnis


Gibt es Gründe für die Annahme, dass unsere Lebensgeschichte dem
ewigen Gott gegenwärtig bleibt? Im Alten Testament wird der Tod be-
kanntlich als Trennung von Gott, dem Ursprung des Lebens, beklagt.
Die Toten gelten als die, »derer du nicht mehr gedenkst / und die von
deiner Hand geschieden sind« (Ps 88, 6).57 An vereinzelten Stellen findet
sich allerdings die Gewissheit des Gegenteils, so in Ps 139, 8: »Führe ich
gen Himmel, so bist du da; / bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist
du auch da.«58 Das Neue Testament steht in dieser Tradition. Paulus ist
»gewiss, dass weder Tod noch Leben [.  .  .] uns scheiden können von der
Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist« (Röm 8, 38 f.). Zugegeben, diese
und andere biblische Texte59 sprechen nicht von einem Weiterleben des
Menschen in der Erinnerung Gottes. Auf welche andere Weise aber soll
man sich die fortdauernde Beziehung Gottes zu den Verstorbenen und
noch nicht Auferweckten denken, wenn der Mensch im Tode ganz und
gar zugrunde geht? 60

57
  Vgl. Ps 6, 6; 30, 10; Jes 38, 11. Nach der Deutung von F. Crüsemann dagegen
kommt in Ps 88 keine grundsätzliche Distanz Gottes zu den Toten zum Ausdruck,
vgl. F. Crüsemann, »Rhetorische Fragen!? Eine Aufkündigung des Konsenses über
Psalm 88: 11–13 und seine Bedeutung für das alttestamentliche Reden von Gott und
Tod«, Biblical Interpretation 11, 3/4 (2003), 345–360.
58
  Vgl. Ps 73, 23 ff.; Hi 19, 25.
59
  Vgl. z. B. 1Thess 5, 10; Röm 14, 8.
60
  Nach P. Althaus geht der »christliche Glaube [.  .  .] nicht von [der] Unsterblich-
keit der Seele, sondern von der ›Unsterblichkeit‹, Unaufhebbarkeit des personhaften
Gottesverhältnisses« aus (Althaus, Die letzten Dinge, 109).
186 Siebtes Kapitel:  Tod und Auferstehungshoffnung

Ein bedenkenswertes Argument für die bleibende Gegenwart unserer


Lebensgeschichte in Gottes Gedächtnis hat Hans Jonas entwickelt. 61 Jo-
nas geht von der schwer bestreitbaren Annahme aus, dass Aussagen über
Vergangenes wahr oder falsch sind. Nun kann eine Aussage aber nur
dann wahr oder falsch sein, wenn sie sich auf etwas bezieht, das irgend-
wie ist. Über das, was ganz und gar nicht ist, können keine wahrheitsfä-
higen Sätze gebildet werden. Wenn es beispielsweise keine Engel geben
sollte, wäre der Satz »Engel haben Genitalien« weder wahr noch falsch,
sondern sinnlos. Folglich muss auch das Vergangene, obgleich es unwi-
derruflich dahin ist, noch auf irgendeine Weise präsent sein. Wie aber ist
das möglich? Ist die Vergangenheit vielleicht insofern präsent, als man
sie bei Kenntnis aller Naturgesetze aus dem gegenwärtigen Stand der
Dinge eindeutig und vollständig erschließen könnte? Oder ist sie viel-
leicht gar nicht vergangen, weil die Zeit eine Illusion ist? Jonas weist bei-
de Vermutungen aus gewichtigen Gründen zurück. Aber auf welche an-
dere Weise könnte die Vergangenheit gegenwärtig sein, sodass Aussagen
über sie wahrheitsfähig sind? Nach Jonas bleibt nur eine mögliche Ant-
wort. Man muss annehmen, dass sie in einem Gedächtnis präsent ist,
und zwar in einem umfassenden und ewigen Gedächtnis, weil alle Aus-
sagen über Vergangenes auf ewig wahr oder falsch bleiben. Nun ist dieses
Gedächtnis aber ohne ein Subjekt, das gedenkt, gar nicht vorstellbar.
Daher muss es seinen Sitz im Geist Gottes haben.
Gewiss ließen sich gegen diesen Gedankengang Einwände erheben,
denn er enthält explizite und implizite Voraussetzungen, die bestritten
werden könnten. 62 Das mag der Grund sein, warum Jonas sein Argu-
ment nicht als Beweis versteht, sondern ihm lediglich eine gewisse Plau-
sibilität zuschreibt. Das Gedächtnis Gottes, in dem die vergangene Le-
bensgeschichte eines Menschen gegenwärtig bleibt, hat bei Jonas aller-
dings nicht die Aufgabe, die personale Identität zu stiften, die das irdische
und das kommende Leben dieses Menschen übergreift. In seinem Auf-
satz »Unsterblichkeit und heutige Existenz« hat Jonas vielmehr die
Hoffnung auf ein erneuertes Leben der Person jenseits ihres Todes als

61
  Vgl. zum Folgenden H. Jonas, »Vergangenheit und Wahrheit. Ein später Nach-
trag zu den sogenannten Gottesbeweisen«, in: ders., Philosophische Untersuchungen
und metaphysische Vermutungen, Leipzig 1992, 173–189.
62
  Begründungsbedürftig sind vor allem die von Jonas vorausgesetzte Adäquati-
onstheorie der Wahrheit und seine implizite Annahme, dass die drei genannten
Möglichkeiten für die Präsenz des Vergangenen eine vollständige Disjunktion bil-
den.
§  27  Das Gedächtnis Gottes 187

unzeitgemäß zurückgewiesen. 63 Einige evangelische Theologen der Ge-


genwart und der jüngeren Vergangenheit scheinen ähnlich zu denken.
Sie scheinen die ewige Gegenwart unseres vergangenen Lebens im Ge-
dächtnis Gottes mit der Auferstehung der Toten identifizieren zu wol-
len. 64 Damit würde die christliche Zukunftshoffnung indes entscheidend
verkürzt. Denn sie bezieht sich zweifellos auf ein neues leibliches Leben
vor und mit Gott, nicht nur auf die bleibende Gegenwart des vergan-
genen Lebens in seiner Erinnerung. »Hoffen wir allein in diesem Leben
auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen«, heißt es
in 1Kor 15, 19. Die Rede vom Weiterleben in Gottes Erinnerung kann in
der christlichen Theologie nicht an die Stelle der Auferstehungshoffnung
treten, sondern nur die Aufgabe haben, die personale Identität der Auf-
erweckten mit den jetzt Lebenden beziehungsweise den Verstorbenen
verständlich zu machen. 65 Diese Aufgabe aber kann sie in der Tat erfül-
len, wie nun im angekündigten zweiten Schritt gezeigt werden soll.

2.  Die Identität der Auferweckten und der Verdopplungseinwand 66


Gegen meine Behauptung, die göttliche Erinnerung könne die identi-
tätsstiftende Rolle übernehmen, die im Standardmodell der unsterb-
63
  Vgl. H. Jonas, »Unsterblichkeit und heutige Existenz« (engl. Fassung 1962), in:
ders., Zwischen Nichts und Ewigkeit. Drei Aufsätze zur Lehre vom Menschen, Göt-
tingen 2.  Aufl. 1987, 44–62, hier: 47–49.
64
  Vgl. z. B. K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik, Bd.  III: Die Lehre von der Schöp­
fung, 2. Teil, Zollikon-Zürich 1948, 714–780, und E. Jüngel, Tod, Stuttgart 2.  Aufl.
1983, 148–154. Nach T. Koch, »›Auferstehung der Toten‹. Überlegungen zur Gewiß-
heit des Glaubens angesichts des Todes«, Zeitschrift für Theologie und Kirche 89
(1992), 462–483, hier: 470–478, sind die Ausführungen Barths in der Tat in diesem
Sinne zu deuten; anders interpretiert G. Oblau, Gotteszeit und Menschenzeit. Escha­
tologie in der Kirchlichen Dogmatik von Karl Barth, Neukirchen-Vluyn 1988, 156
und 170 f.
65
  Auch W. Pannenberg hat dem Gedenken Gottes diese Funktion zugeschrieben.
Vgl. W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd.  III, Göttingen 1993, 652; ders.,
»Fortschritt und Vollendung der Geschichte, Weiterleben nach dem Tode und Auf-
erstehung des Menschen im Christentum«, in: P. Koslowski (Hg.), Fortschritt, Apo­
kalyptik und Vollendung der Geschichte und Weiterleben des Menschen nach dem
Tode in den Weltreligionen, München 2002, 103–113, hier: 111.
66
 In der Debatte der analytischen Philosophie um die diachrone Identität der
Person spielt der Verdopplungseinwand eine wichtige Rolle. Er wurde meines Wis-
sens zuerst von B. Williams, »Personenidentität und Individuation« (engl. Fassung
1956/57), in: ders., Probleme des Selbst. Philosophische Aufsätze 1956–1972, Stutt­
gart 1978, 7–36, hier: 18 f., erhoben, und zwar mit dem Ziel, Lockes These von der
identitätsstiftenden Leistung der Erinnerung ad absurdum zu führen. Meine fol-
188 Siebtes Kapitel:  Tod und Auferstehungshoffnung

lichen menschlichen Seele zugedacht war, ließe sich Folgendes einwen-


den: Angenommen, eine bestimmte Person, nennen wir sie Oskar, bleibt
nach ihrem Tod in Gottes Geist gegenwärtig, und Gott erweckt sie am
Jüngsten Tag aus seinem Geist zu einem neuen leiblichen Leben. Nun
scheint ein allmächtiger Gott den in seinem Gedächtnis präsenten Os-
kar aber auch ein zweites Mal auferwecken zu können. Wenn er das täte,
in welcher Beziehung würden dann die beiden auferweckten Oskars,
Oskar 1 und Oskar 2, zum verstorbenen Oskar stehen? Ist nur einer
von beiden Oskar? Sind sie es beide? Oder ist es vielleicht keiner von
beiden? Prüfen wir die Möglichkeiten. Man wird nicht annehmen wol-
len, ausschließlich Oskar 1 sei mit Oskar identisch; denn sein berech-
tigter Anspruch, der verstorbene Oskar zu sein, ist nicht größer als der
von Oskar 2. Sind demnach beide Oskar? Auch diese Annahme kommt
nicht in Frage. Denn die zeitübergreifende personale Identität ist offen-
bar eine eineindeutige Relation. Eine Person kann nur mit einer einzigen
künftigen Person identisch sein und umgekehrt (Eineindeutigkeitsprin-
zip). Es bleibt mithin nur eine Antwort übrig: Weder bei Oskar 1 noch
bei Oskar 2 handelt es sich um Oskar. Wenn Gott den in seinem Ge-
dächtnis bewahrten Oskar zweimal auferwecken würde, dann hätte er
kurioserweise gar nicht Oskar auferweckt, sondern zwei neue Personen
geschaffen.
Nun mag man entgegnen, dass Gott nicht so frivol wäre, Oskar zwei-
mal aufzuerwecken, obwohl er es als Allmächtiger könnte. Er werde es
gewiss nur einmal tun, weshalb der auferweckte Oskar mit dem verstor-
benen identisch sei. Dieser Versuch, das Verdopplungsproblem zu lösen,
der in der angloamerikanischen Debatte z. B. von John Hick und Ste-
phen T. Davis67 unternommen wird, misslingt allerdings. Denn schon
die bloße, gar nicht verwirklichte Möglichkeit, auch Oskar 2 aufzuerwe-
cken, schließt aus, dass der auferweckte Oskar 1 der verstorbene Oskar
ist. Der Grund ist dieser: Wenn ein auferweckter Mensch mit dem ver-
storbenen Oskar identisch wäre, dann wäre er notwendigerweise, das
heißt unter allen möglichen Umständen, mit ihm identisch. Es ist absurd
anzunehmen, seine Identität mit Oskar hinge davon ab, wer sonst noch
auferweckt wird (Intrinsitätsprinzip). Genau davon aber wäre sie abhän-
gig, falls die Möglichkeit bestünde, dass neben Oskar 1 auch Oskar 2

genden Ausführungen beanspruchen lediglich, die auf die göttliche Erinnerung be-
zogene Variante dieses Einwandes zu widerlegen.
67
  Vgl. J. Hick, Death and Eternal Life, 290–293; St. T. Davis, »The Resurrection
of the Dead«, in: ders. (ed.), Death and Afterlife, London 1989, 119–144, hier: 139 f.
§  27  Das Gedächtnis Gottes 189

auferweckt wird. Denn würden beide auferweckt, dann wäre keiner von
beiden der verstorbene Oskar. Folglich ist es schon durch die bloße Mög-
lichkeit, Oskar zweimal aufzuerwecken, unmöglich, dass irgendein Auf-
erweckter der verstorbene Oskar ist. Wenn Gott den in seinem Geist
aufbewahrten Oskar zweimal auferwecken kann, dann nützt es gar
nichts, es nur einmal zu tun: Es wird in keinem Fall Oskar sein. 68
Muss man daraus schließen, dass das Weiterleben in Gottes Erinne-
rung doch nicht die personale Identität eines auferweckten mit einem
verstorbenen Menschen gewährleisten kann und die christliche Aufer-
stehungshoffnung daher illusionär ist? Keineswegs! Denn der Verdopp-
lungseinwand gegen die identitätsstiftende Rolle der göttlichen Erinne-
rung beruht auf einer falschen Voraussetzung. In Wahrheit besteht nicht
einmal die logische Möglichkeit, Oskar mehrfach aufzuerwecken, und
zwar aus folgendem Grund: Wie jede andere Person ist Oskar einmalig,
weil er durch seine unverwechselbare Lebensgeschichte konstituiert
wird. Wenn es wirklich Oskar ist, der nach seinem Tod in Gottes Ge-
dächtnis bleibt, kann er daher unmöglich mehrfach auferweckt werden.
Wäre das möglich, dann hätte sich Gott nicht an Oskar in seiner biogra-
phischen Einmaligkeit erinnert, sondern nur an allgemeine Züge, die er
mit anderen teilt. Folglich kann das Gedächtnis Gottes sehr wohl die
Aufgabe übernehmen, die im Standardmodell der unsterblichen mensch-
lichen Seele zugedacht war. Es stellt sicher, dass am Jüngsten Tag die
Toten auferweckt und nicht stattdessen neue Personen geschaffen wer-
den.
Schlussbemerkung: Die Hoffnung über den Tod hinaus ist mit lo-
gischen Mitteln nicht zu widerlegen. Aber ist sie auch wahr? Nachdem
Sokrates im Phaidon sein drittes Argument für die Unsterblichkeit der
Seele entwickelt hat, entgegnet ihm Simmias skeptisch:
»Mir scheint [.  .  .], daß ein sicheres Wissen über solche Dinge in diesem Leben
entweder unmöglich oder doch ungemein schwierig ist, daß es aber andererseits
ein Zeichen von großer Bequemlichkeit ist, die dazu vorliegenden Ansichten
nicht auf alle Weise zu untersuchen und damit etwa aufzuhören, bevor man sie
68
  Die Annahme von J. Hick und St. T. Davis, die Identität von Oskar 1 mit Oskar
hinge davon ab, ob Gott seine Möglichkeit, auch Oskar 2 aufzuerwecken, unver-
wirklicht lässt, führt zu absurden Konsequenzen. Wenn sie wahr wäre, bestünde
z. B. die merkwürdige Möglichkeit, dem auferweckten Oskar sein Auferstehungsle-
ben durch die Auferweckung von Oskar 2 zu nehmen. Zudem könnte es ihm durch
die Vernichtung von Oskar 2 zurückgegeben werden, was nicht weniger seltsam ist;
vgl. J. Perry, A Dialogue on Personal Identity and Immortality, Indianapolis 1978,
33–36.
190 Siebtes Kapitel:  Tod und Auferstehungshoffnung

nicht in jeder Hinsicht geprüft hat. Denn man muß hier zu einer der folgenden
Alternativen kommen: Entweder von anderen in Erfahrung zu bringen oder
selber herauszufinden, was die Wahrheit ist, oder aber, wenn das unmöglich ist,
sich wenigstens an die beste und am schwierigsten zu widerlegende menschliche
Meinung zu halten und darauf wie auf einem Floß die Fahrt durchs Leben zu
wagen, solange wie sich nicht die Möglichkeit bietet, auf einem Gefährt von
größerer Sicherheit, auf einem göttlichen Wort, das Leben geschützter und ge-
fahrloser zu durchreisen.«69

Auf dieses göttliche Wort, das verlässlicher ist als menschliche Mei-
nungen, verweist Jesus die Sadduzäer, die bekanntlich die Auferweckung
der Toten bestritten haben: »Dass aber die Toten auferstehen, habt ihr
das nicht im Buch des Mose gelesen, in der Geschichte vom Dornbusch,
in der Gott zu Mose sprach: ›Ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks
und der Gott Jakobs‹? Er ist doch nicht ein Gott der Toten, sondern der
Lebenden« (Mk 12, 26 f.).

69
 Platon, Phaidon, 85c–d (Werke 3, 96 und 98); Übersetzung (mit geringen Ab-
weichungen) nach: Platon, Werke. Übersetzung und Kommentar, I 4, Phaidon, 48.
Vierter Teil

Die Wahrheit der Religionen

Die Rede des Paulus auf dem Areopag in Athen, von der im 17. Kapitel
der Apostelgeschichte berichtet wird, beginnt mit den berühmten Wor-
ten: »Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stü-
cken sehr verehrt. Ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer
angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbe-
kannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt.«
(Vers 22 f.) Dieser Gott, so fährt Paulus fort, ist der Schöpfer und Herr
der Welt, der nicht in Tempeln wohnt und keinen Kultus nötig hat. Die
Menschen wurden mit der Bestimmung geschaffen, dass sie ihn »suchen
sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist
nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und
sind wir; wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines
Geschlechts.« (Vers 27 f.) Die Areopagrede liest sich fast wie der Ent-
wurf eines religionstheologischen Programms, das mit zwei Grundan-
nahmen operiert. Nach der ersten Annahme kann sich der Mensch durch
die Religion deshalb auf Gott beziehen, weil er in Gott lebt und webt,
und nach der zweiten bezieht er sich in den anderen Religionen unwis-
send auf jenen Gott, der in der christlichen Religion bekannt ist. Genau
diese beiden programmatischen Annahmen hat der bedeutendste Religi-
onsphilosoph der Moderne, nämlich Hegel, zu einer eindrucksvollen
inklusivistischen Theorie der Religionen ausgearbeitet. Im dritten Teil
meiner folgenden Überlegungen werde ich Hegels Theorie vorstellen
und für ihre Aktualisierung plädieren. Denn durch ihre Erklärungskraft
ist sie, wie mir scheint, den religionstheologischen Entwürfen unserer
Tage überlegen, zumal der pluralistischen Religionstheologie, die im
zweiten Teil behandelt und als nicht überzeugend zurückgewiesen wer-
den soll. Zunächst aber werde ich in einem ersten, kurzen Teil erwägen,
welche religionstheologischen Optionen überhaupt möglich sind.
192 Vierter Teil: Die Wahrheit der Religionen

§  28  Die religionstheologischen Antwortmöglichkeiten

Die Religionstheologie befasst sich mit der Frage, wie die Wahrheitsan-
sprüche der Religionen und ihr Verhältnis zu beurteilen sind. Seit gut
zwei Jahrzehnten ist es üblich geworden, zwischen drei prinzipiell mög-
lichen Antworten auf diese Frage zu unterscheiden. Ein religionstheolo-
gischer Exklusivismus nimmt an, dass die Wahrheitsansprüche nur einer
Religion berechtigt sind, und bestreitet die aller anderen Religionen. Für
einen religionstheologischen Inklusivismus dagegen sind die Wahrheits-
ansprüche mehrerer Religionen berechtigt, in höchstem Maße aber nur
die einer einzigen. Nach Auffassung eines religionstheologischen Plura­
lismus schließlich sind die Wahrheitsansprüche von mehr als einer Reli-
gion in höchstem Maße berechtigt. Nun erschöpft diese Einteilung of-
fenkundig nicht jede mögliche Antwort. Deshalb wird das Dreierschema
häufig durch die Hinzunahme einer vierten, religionskritischen oder na­
turalistischen Option erweitert, wonach die Wahrheitsansprüche keiner
einzigen Religion berechtigt sind.
Gegen diese Klassifikation möglicher Antworten und gegen ihre Voll-
ständigkeit sind eine Reihe von Einwänden erhoben worden.1 Die beiden
wichtigsten hat Andreas Grünschloß in seiner Auseinandersetzung mit
Perry Schmidt-Leukel vorgebracht.2 Der erste Einwand ergibt sich aus
dem Umstand, dass nicht nur die Gesamtansprüche von Religionen auf
vierfache Weise in Beziehung gesetzt werden können, sondern auch ihre
Teilansprüche. Nun mag eine Religionstheologie, je nachdem welche
Teilansprüche sie vergleichend bewertet, zu unterschiedlichen Urteilen
kommen. Wenn sie beispielsweise die Ansprüche verschiedener Religi-
onen auf Vermittlung von Heil, auf Erkenntnis der letzten Wirklichkeit
oder auf den gültigen Moralkodex untersucht, mag sie in der einen Hin-
sicht exklusivistisch, in der anderen inklusivistisch und in der dritten
pluralistisch urteilen. In solchen Fällen ergeben sich für die Verhältnis-
bestimmung von Religionen als Gesamtheiten Mischpositionen, die kei-

1
  Vgl. P. Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen. Eine christliche und pluralistische
Theologie der Religionen, Gütersloh 2005, 75–87.
2
 Vgl. P. Schmidt-Leukel, »Zur Klassifikation religionstheologischer Modelle«,
Catholica 47 (1993), 163–183; A. Grünschloß, Der eigene und der fremde Glaube.
Studien zur interreligiösen Fremdwahrnehmung in Islam, Hinduismus, Buddhismus
und Christentum, Tübingen 1999, 21–27. Vgl. zu den beiden Einwänden außerdem
M. Hüttenhoff, Der religiöse Pluralismus als Orientierungsproblem. Religionstheo­
logische Studien, Leipzig 2001, 31–37, 68–70, 75 f.
§  28  Die religionstheologischen Antwortmöglichkeiten 193

ner der vier Antwortmöglichkeiten eindeutig zuzuordnen sind. Folglich


ist das übliche Viererschema bezogen auf die Gesamtansprüche von Re-
ligionen unvollständig, auch wenn es in Bezug auf einzelne Aspekte
vollständig zu sein scheint.
Nach dem zweiten Einwand ist aber selbst das nicht der Fall, weil ne-
ben den vier Optionen eine fünfte besteht, die Grünschloß als »inferio-
ristische« Position bezeichnet hat. Eine inferioristische Haltung nimmt
derjenige ein, für den die eigene Religion entweder insgesamt oder in
gewisser Hinsicht einer anderen oder mehreren anderen Religionen un-
terlegen ist. Zu Recht hat Schmidt-Leukel entgegnet,3 dass der Inferio-
rismus keine zusätzliche Antwortmöglichkeit darstellt, wenn die Opti-
onen des Viererschemas standpunktunabhängig definiert werden. Denn
dann vertritt ein gemäßigter Inferiorist, der die Ansprüche nur einer an-
deren Religion für im höchsten Maße berechtigt hält, eine inklusivisti-
sche Position und ein radikaler, der mehreren anderen Religionen höchs-
te Geltung zuschreibt, eine pluralistische Position. Zudem darf bezwei-
felt werden, ob jemand in Bezug auf seine eigene Religion insgesamt
überhaupt eine inferioristische Haltung einnehmen kann. In diesem Fal-
le wäre er nämlich mindestens innerlich bereits zu der anderen Religion
konvertiert, auch wenn ein äußerer Übertritt nicht zustande kommen
mag. Dennoch wird man zugeben müssen, dass im Blick auf bestimmte
Aspekte der eigenen Religion nicht selten andere Religionen für überle-
gen gehalten werden; denn ansonsten hätte die gängige Aufforderung,
von anderen Religionen zu lernen, keinen Sinn.
Neben diesen beiden Einwänden könnte man noch einen dritten erhe-
ben, der freilich nicht auf eine Erweiterung der religionstheologischen
Antwortmöglichkeiten zielt, sondern auf ihre Verringerung. Er geht von
der Tatsache aus, dass die Weltreligionen sich selbst in aller Regel entwe-
der exklusivistisch oder inklusivistisch verstehen, was im Falle des
Christentums aus der klassischen Trinitätslehre und Christologie folgt.
Nun widersetzt sich aber ein religionstheologischer Pluralismus dem üb-
lichen exklusivistischen oder inklusivistischen Selbstverständnis der
Weltreligionen, auch dem der eigenen. Entsprechend bestreitet er die
Annahmen, auf denen dieses Selbstverständnis beruht, zum Beispiel die
christliche Vorstellung, dass Jesus in einem nicht nur metaphorischen
Sinne der inkarnierte Gott ist, oder die Ansicht hinduistischer und bud-

3
  Vgl. P. Schmidt-Leukel, Theologie der Religionen. Probleme, Optionen, Argu­
mente, Neuried 1997, 79 (Anm.  42), 82 f., sowie ders., Gott ohne Grenzen, 68 f.
194 Vierter Teil: Die Wahrheit der Religionen

dhistischer Mystiker, die letzte Wirklichkeit auf direkte, unvermittelte


Weise zu erfahren.4 Daher sind aus Sicht eines religionstheologischen
Pluralismus die Wahrheitsansprüche, welche die Weltreligionen de facto
erheben, keineswegs im höchsten Maße berechtigt. Genau genommen,
vertreten pluralistisch gesinnte Christen, Hinduisten oder Buddhisten
zwar nicht im Verhältnis zueinander, wohl aber gegenüber den Weltreli-
gionen in ihrer faktischen Gestalt, auch gegenüber der eigenen, eine in-
klusivistische Position. Für einen normalsterblichen Andersgläubigen
besteht praktisch kein Unterschied, ob ihm die Höchstgeltung seiner
Überzeugungen durch ein katholisch-inklusivistisch oder ein pluralis-
tisch verstandenes Christentum bestritten wird. Man könnte den Plura-
lismus deshalb als eine Version des Inklusivismus begreifen5 und die vier
religionstheologischen Antwortmöglichkeiten auf drei einschränken.6
Trotzdem mag es sinnvoll sein, am üblichen Viererschema festzuhalten.
Denn andernfalls würden die erheblichen theologischen Differenzen
zwischen einem Inklusivismus, der sich in den Bahnen des traditionellen
Selbstverständnisses der eigenen Religion bewegt, und einem neuen In-
klusivismus, der dieses Selbstverständnis modifiziert, unnötig verdeckt.
Freilich ist das Viererschema, wie die beiden ersten Einwände zeigen,
nicht vollständig, weil bei der Verhältnisbestimmung von Religionen als
Gesamtheiten Mischpositionen möglich sind und weil man bei der ver-
gleichenden Beurteilung von Einzelaspekten eine inferioristische Hal-
tung einnehmen kann.
In den beiden folgenden Abschnitten wird ausschließlich vom Plura-
lismus und Inklusivismus die Rede sein. Deshalb soll am Ende dieses
Abschnitts zumindest die wichtigste Schwierigkeit erwähnt werden, vor
welcher der Exklusivismus steht. Um seine Annahme zu begründen,
dass die Wahrheitsansprüche aller Religionen, abgesehen von denen der

4
  Vgl. J. Hick, The Rainbow of Faiths. Critical Dialogues on Religious Pluralism,
London 1995, 42 f. und 112 f.
5
  Vgl. Grünschloß, Der eigene und der fremde Glaube, 281; A. Feldtkeller »Inter-
religiöser Dialog und pluralistische Religionstheologie – ein Traumpaar?«, Ökume­
nische Rundschau 49 (2000), 273–286, hier: 282–284.
6
  Mein Einwand lässt sich nicht durch die Behauptung entkräften, er verwechsle
einen religionstheologischen Inklusivismus mit einem hermeneutischen, demzufol-
ge neue Einsichten stets in den eigenen Verständnishorizont inkludiert werden und
der deshalb allen religionstheologischen Positionen eigen ist (vgl. Schmidt-Leukel,
Gott ohne Grenzen, 73 und 78 f.). Denn gegenüber der faktischen Gestalt der Welt-
religionen vertritt der Pluralist aus den genannten Gründen zweifellos einen religi­
onstheologischen Inklusivismus.
§  29  Kritik der pluralistischen Religionstheologie 195

eigenen, unberechtigt sind, müsste der Exklusivismus eine überzeu-


gende naturalistische Theorie der anderen Religionen entwickeln. Man
mag aus gutem Grund an den Erfolgsaussichten dieses Unternehmens
zweifeln, aber nehmen wir für einen Moment dennoch an, es würde ge-
lingen. In diesem Falle hätte der Exklusivismus sein Ziel erreicht, falls er
die eigene Religion von der naturalistischen Erklärung ausnehmen
könnte. Nun ist aber schwer zu sehen, wie die Sonderbehandlung der
eigenen Religion gerechtfertigt werden kann, ohne willkürlich zu ver-
fahren; denn selbst bei zentralen Glaubensannahmen bestehen verblüf-
fende Ähnlichkeiten zwischen den Religionen.7 Angesichts dieser Paral-
lelen scheint der Exklusivismus deshalb vor der selbstzerstörerischen
Alternative zu stehen, entweder die naturalistische Erklärung auch auf
die eigene Religion anzuwenden oder die Wahrheitsansprüche anderer
Religionen anzuerkennen, sei es auf inklusivistische oder pluralistische
Weise.

§  29  Kritik der pluralistischen Religionstheologie

Die pluralistische Religionstheologie nimmt an, dass die Wahrheitsan-


sprüche von mehr als einer Religion im höchsten Maße berechtigt sind.
Zu diesen Religionen gehören nach Meinung der meisten Pluralisten
nicht nur das Christentum und Judentum oder die abrahamitischen Re-
ligionen insgesamt, sondern auch gewisse Formen des Hinduismus,
Buddhismus oder Taoismus. Die bekannteste und vielleicht anspruchs-
vollste Version der pluralistischen Religionstheologie hat der englische
Theologe und Religionsphilosoph John Hick entwickelt. Auf sie werde
ich mich deshalb im Folgenden konzentrieren.8

7
  Beispielsweise hat M. Hüttenhoff, »Die Möglichkeit einer am Rechtfertigungs-
gedanken orientierten pluralistischen Theologie der Religionen«, in: Chr. Danz/
U. H. J. Körtner (Hgg.), Theologie der Religionen. Positionen und Perspektiven
evangelischer Theologie, Neukirchen-Vluyn 2005, 121–150, die bemerkenswerten
Parallelen zwischen dem evangelischen Glauben an einen rechtfertigenden Gott und
der indischen Bhakti-Frömmigkeit hervorgehoben.
8
  Unter den zahlreichen Publikationen, in denen Hick seine religionstheologische
Position dargelegt hat, vgl. vor allem J. Hick, An Interpretation of Religion. Human
Responses to the Transcendent, New Haven 1989, dt. Übersetzung: ders., Religion.
Die menschlichen Antworten auf die Frage nach Leben und Tod, übersetzt von C.
Wilhelm, bearbeitet und mit einem Vorwort versehen von A. Kreiner, München
1996; Hick, The Rainbow of Faiths.
196 Vierter Teil: Die Wahrheit der Religionen

1.  Der religionstheologische Grundgedanke John Hicks


Hicks religionstheologischer Grundgedanke lässt sich als Sequenz von
vier Schritten verstehen.
(a) Im ersten Schritt wird das Prinzip der Glaubwürdigkeit religiöser
Erfahrung dargelegt.9 Nach Hick ist es für den, der religiöse Erfah-
rungen macht, durchaus rational, seinen Erfahrungen zu trauen und ent-
sprechende Glaubensüberzeugungen zu bilden, so lange keine angemes-
senen Gründe vorliegen, an der Verlässlichkeit dieser Erfahrungen zu
zweifeln. Ein allgemeiner Grund solcher Art bestünde dann, wenn eine
naturalistische Interpretation der Welt einschließlich der Religion einer
religiösen Interpretation vernünftigerweise vorzuziehen wäre. Dies trifft
aber nach Hick nicht zu, wie er durch eine kritische Auseinandersetzung
mit den naturalistischen Religionstheorien von Freud und Durkheim so-
wie durch einen Vorschlag zur Lösung des Theodizeeproblems zu zei-
gen versucht.10 In den vielen Fällen, in denen auch keine konkreten
Gründe zum Misstrauen vorliegen, ist man deshalb auf der Grundlage
seiner religiösen Erfahrungen berechtigt, an das zu glauben, was man
erfährt, auch wenn nicht zwingend auszuschließen ist, dass man sich da-
mit im Irrtum befindet.
(b) Im zweiten Gedankenschritt kommt die Schwierigkeit zur Spra-
che, in die das Prinzip der Glaubwürdigkeit religiöser Erfahrung zu füh-
ren scheint. Auf der Basis ihrer spezifischen religiösen Erfahrung gelan-
gen Menschen verschiedener Traditionen nämlich zu Glaubensüberzeu-
gungen, die sich gegenseitig auszuschließen scheinen. Die personalen
Götter und die impersonalen Absoluta, an die sie glauben, können offen-
bar nicht alle existieren, zumindest nicht jene, die wie Jahwe, der dreiei-
nige Gott, Allah, Brahman oder Shunyata als die einzige letzte Wirk-
lichkeit betrachtet werden. Muss man daraus schließen, dass entweder
keine oder höchstens eine der großen Weltreligionen wahr sein kann und
dass religiöse Erfahrung deshalb mitnichten zur Ausbildung von Glau-
bensüberzeugungen berechtigt? Keineswegs! Vielmehr ist es nach Hick
sehr wohl möglich, trotz der Vielheit religiöser Wahrheitsansprüche an
dem Prinzip der Glaubwürdigkeit religiöser Erfahrung festzuhalten.

9
 Vgl. ders., An Interpretation of Religion, 210–230, sowie Hicks frühes Buch
Faith and Knowledge. A Modern Introduction to the Problem of Religious Know­
ledge, New York 1957.
10
 Vgl. ders., An Interpretation of Religion, 111–125; im Detail hat Hick seine
»Soul-Making-Theodicy« in seinem Buch Evil and the God of Love entwickelt.
§  29  Kritik der pluralistischen Religionstheologie 197

(c) Dies nachzuweisen, ist Aufgabe der »pluralistischen Hypothese«,


die den dritten und entscheidenden Schritt des Gedankengangs bildet.11
In Anlehnung an Kants Erkenntnistheorie unterscheidet Hick zwischen
der transzendenten Wirklichkeit (dem »Realen«) an sich und dieser
Wirklichkeit, wie sie in den verschiedenen Religionen auf unterschied-
liche Weise erfahren und vorgestellt wird (dem »Realen« für uns). Das
Reale an sich soll jenseits der Reichweite aller unserer Begriffe, ausge-
nommen der formalen, liegen, weil es grenzenlos und unendlich ist.12
»Man kann von ihm also nicht sagen, daß es Eines oder Viele sei, Person oder
Sache, bewußt oder unbewußt, absichtsvoll oder nicht absichtsvoll, Substanz
oder Prozeß, gut oder böse, liebend oder hassend. Keiner der beschreibenden
Begriffe, die im Bereich der menschlichen Erfahrung gelten, kann buchstäblich
auf die unerfahrbare Wirklichkeit zutreffen, die diesem Bereich zugrunde
liegt.«13

Um die transzendente Wirklichkeit an sich als den Urgrund der religi-


ösen Erfahrungen und Vorstellungen postulieren zu können, ist Hick
gleichwohl gezwungen, sie auf dreifache Weise zu charakterisieren. Ers-
tens existiert sie, zweitens steht sie dem menschlichen Bewusstsein als
Anderes gegenüber und drittens wirkt sie auf das Bewusstsein ein und
erzeugt dadurch Informationen.14 Diese Informationen werden durch
die Kategorien und Begriffe, die dem menschlichen Bewusstsein zu Ge-
bote stehen, strukturiert und dadurch in religiöse Erfahrung umgewan-
delt. Die beiden grundlegenden Kategorien sind nach Hick der Begriff
der Gottheit, der in den theistischen Traditionen vorherrscht, und der
Begriff des Absoluten, der die nicht-theistischen Traditionen prägt.
Wenn die Informationen durch den Begriff der Gottheit geordnet wer-
den, dann erfährt der Mensch die transzendente Wirklichkeit als perso-
nales Wesen, werden sie dagegen durch den Begriff des Absoluten struk-

11
  Vgl. ders., An Interpretation of Religion, 233–251; ders., The Rainbow of Faiths,
11–30; ders., »A Philosophy of Religious Pluralism«, in: ders., Problems of Religious
Pluralism, New York 1985, 28–45.
12
  Auch P. Schmidt-Leukel, der die strikte Unterscheidung zwischen der trans-
zendenten Wirklichkeit an sich und den religiösen Vorstellungen von ihr als »ent-
scheidende Grundlage einer pluralistischen Religionstheologie« (Schmidt-Leukel,
Gott ohne Grenzen, 206) bezeichnet, schließt aus der Unendlichkeit der transzen-
denten Wirklichkeit an sich auf ihre Unbegreiflichkeit (vgl. ebd., 200–209).
13
 Hick, An Interpretation of Religion, 350; Übersetzung nach Hick, Religion.
Die menschlichen Antworten auf die Frage nach Leben und Tod, 375 f.; vgl. auch
S.  246 in der englischen Ausgabe sowie ders., The Rainbow of Faiths, 27 f.
14
  Vgl. z. B. ders., An Interpretation of Religion, 167 und 244.
198 Vierter Teil: Die Wahrheit der Religionen

turiert, dann als nicht-personales. Die tatsächliche religiöse Erfahrung


ist freilich komplexer. Denn neben den beiden grundlegenden, kultur­
übergreifenden Kategorien werden weitere kulturspezifische angewandt,
um die Informationen zu ordnen. Dadurch entstehen die verschiedenen
personalen Götter und impersonalen Absoluta, die man aus den Weltre-
ligionen kennt.
Durch diese pluralistische Hypothese ist es nach Hick möglich, am
Prinzip der Glaubwürdigkeit religiöser Erfahrung festzuhalten, obgleich
auf Grundlage der Erfahrung eine Vielheit von Vorstellungen gebildet
wird, die sich als buchstäblich wahre Beschreibungen der transzendenten
Wirklichkeit an sich gegenseitig ausschließen. Denn die Eigenschaften,
die der höchsten Wirklichkeit in den Religionen zugeschrieben werden,
verdanken sich den kulturübergreifenden und kulturspezifischen Ord-
nungsleistungen des menschlichen Bewusstseins und kommen der trans-
zendenten Wirklichkeit an sich nicht zu. Dennoch sind die personalen
und impersonalen höchsten Wesen, die in den Weltreligionen erfahren
werden, keine bloßen Projektionen, sondern authentische Manifestatio-
nen. Denn sie entstehen durch die Wirkung der transzendenten Wirk-
lichkeit auf das menschliche Bewusstsein. Solange keine konkreten
Gründe zum Misstrauen vorliegen, sind religiöse Erfahrungen daher
nach Hick durchaus glaubwürdig und berechtigen zur Ausbildung von
Glaubensüberzeugungen.
(d) Die bisherige Skizze könnte zu dem Missverständnis führen, als
würde nach Hick jede beliebige Religion ein Höchstmaß an heilshafter
Erkenntnis der transzendenten Wirklichkeit vermitteln. Dies ist jedoch
nicht der Fall. Daher muss im vierten Schritt das Kriterium nachgetra-
gen werden, an dem Hick Religionen misst. Wie gelangt er zu diesem
Kriterium und worin besteht es?15 Hick geht von seiner eigenen christli-
chen Erfahrung aus16 und ist auf ihrer Basis davon überzeugt, dass der
christliche Gott eine authentische Manifestation der transzendenten
Wirklichkeit ist, keine bloße Erfindung des Menschen. Er sieht sich dar-
in durch die heilschaffende Wirksamkeit dieses Gottes bestätigt, und
zwar aus folgendem Grund: Der christliche Gott ruft im Gläubigen eine
Umwandlung aus der Selbstzentriertheit in die Zentriertheit auf die
göttliche Wirklichkeit hervor, die an spirituellen Früchten und solchen

15
  Vgl. zu Hicks Kriterium vor allem ebd., 299–342.
16
 Der christliche Ausgangspunkt Hicks wird z. B. in ders., The Rainbow of
Faiths, 50, deutlich.
§  29  Kritik der pluralistischen Religionstheologie 199

der Nächstenliebe abzulesen ist. Nun ist diese Umwandlung samt ihrer
Früchte nach Hick nicht nur eine angemessene Reaktion auf den christ-
lichen Gott, sondern auch auf die transzendente Wirklichkeit an sich. Sie
soll daher verbürgen, dass im christlichen Gott tatsächlich die transzen-
dente Wirklichkeit erfahren wird. Aber wieso, so könnte man einwen-
den, ist diese Reaktion auch der transzendenten Wirklichkeit an sich
angemessen? Schließlich lässt sich über sie nichts aussagen, abgesehen
davon, dass sie existiert und auf das menschliche Bewusstsein wirkt.
Nach Hick kann diese Frage nur durch einen Glaubenszirkel beantwor-
tet werden.17 Einerseits ist die Überwindung der menschlichen Selbst-
zentriertheit, die sich in tätiger Nächstenliebe äußert, deshalb eine ange-
messene Reaktion auf das Reale an sich, weil der christliche Gott, der sie
bewirkt, als authentische Manifestation der transzendenten Wirklich-
keit geglaubt wird. Andererseits erweist sich dieser Gott umgekehrt da-
durch als authentische Manifestation, dass er jene heilshafte Umwand-
lung und deren moralische Früchte erzeugt, die sich im Glauben als an-
gemessene Reaktion auf die transzendente Wirklichkeit an sich darstellen.
Hick gewinnt also sein soteriologisches und ethisches Kriterium zur Be-
wertung der Religionen, hinter dem unschwer das jesuanische Doppel-
gebot der Gottes- und Nächstenliebe zu erkennen ist, aus dem christli-
chen Glauben.18
Nun zeigt sich aber, dass die Götter und Absoluta, an welche die An-
hänger der anderen großen Weltreligionen auf der Basis ihrer religiösen
Erfahrungen glauben, ebenfalls eine Umwandlung des Menschen aus der
Selbstzentriertheit in die Zentriertheit auf die geglaubte Wirklichkeit
hervorrufen, die nach allem, was wir wissen, keine geringeren spiritu-
ellen und moralischen Früchte trägt. Daher muss man den Glaubenszir-
kel auf diese Religionen ausdehnen19 und auch ihre Götter und Absoluta
als authentische Manifestationen der transzendenten Wirklichkeit be-
trachten. Vorstellungen von höchsten Wesen dagegen, die ihre Gläubigen
nicht aus der Selbstzentriertheit herausführen und statt Mitleid und Lie-
be Gleichgültigkeit und Hass in ihnen erzeugen, können nicht als au-

17
  Vgl. ders., An Interpretation of Religion, 248 und 352 f., sowie ders., The Rain­
bow of Faiths, 78 f.
18
  Ebenso interpretiert auch Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen, 241–243 und
253.
19
  Hick spricht in The Rainbow of Faiths, 75, von einem »expanded circle of faith«.
Für die Ausweitung des Glaubenszirkels auf die impersonalen Absoluta vgl. ders.,
An Interpretation of Religion, 278 f.
200 Vierter Teil: Die Wahrheit der Religionen

thentische Manifestationen anerkannt werden.20 Soweit der religionstheo­


logische Grundgedanke Hicks.

2.  Kritische Überlegungen


Gegen diese Konzeption sind eine Reihe von Einwänden erhoben wor-
den, die auf Missverständnissen beruhen und die Hick deshalb problem-
los zurückweisen konnte. Gleichwohl ist seine pluralistische Hypothese
aus mindestens drei Gründen keine überzeugende Theologie der Reli­
gionen.
Erstens ist es mehr als zweifelhaft, ob die transzendente Wirklichkeit
an sich, die sich in den personalen Göttern und impersonalen Absoluta
der Weltreligionen manifestieren soll, überhaupt existieren kann. Wie
wir sahen, trifft nach Hick keiner unserer Begriffe, abgesehen von for-
malen, auf die transzendente Wirklichkeit an sich zu. Das soll nicht nur
für Prädikate gelten, die sich konträr gegenüberstehen, etwa gut und
böse oder liebend und hassend, sondern auch für kontradiktorisch ent-
gegengesetzte Prädikate. Das Reale an sich ist nach Hicks ausdrückli-
cher Meinung zum Beispiel weder absichtsvoll noch nicht-absichtsvoll,
weder personal noch nicht-personal und weder Schöpfer noch Nicht-
Schöpfer der Welt.21 Nun widerspricht diese Annahme aber dem plausib-
len Prinzip der durchgängigen Bestimmung allen Existierenden. Ihm
zufolge kommt allem, was existiert, von jedem Paar einander kontradik-
torisch entgegengesetzter Prädikate entweder das eine oder das andere
zu.22 Darin unterscheidet sich Existierendes von allgemeinen Begriffen,
unter die es fällt. Der Allgemeinbegriff »Mensch« etwa enthält zwar die
Bestimmung »vernünftig«, aber keine der beiden sich widersprechenden
Bestimmungen »verheiratet« und »nicht-verheiratet«. Ein existierender
Mensch wie Sokrates dagegen muss entweder verheiratet oder nicht-ver-
heiratet, entweder stumpfnasig oder nicht-stumpfnasig sein, also von
allen Eigenschaften, die sich kontradiktorisch gegenüberstehen, entwe-
der die eine oder die andere besitzen. Gewiss ist es in vielen Fällen nicht
sinnvoll zu fragen, ob etwas Existierendes die eine oder die andere von
zwei entgegengesetzten Eigenschaften besitzt, zum Beispiel ob die Emp-
findung einer grünen Wiese selbst grün oder nicht-grün ist. Wer ernst-
20
  Vgl. ebd., 339; ders., The Rainbow of Faiths, 79.
21
  Vgl. ders., An Interpretation of Religion, 246, 350; ders., The Rainbow of Faiths,
64.
22
  Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 571–573, B 599–601 (Werke 4, 515 f.).
§  29  Kritik der pluralistischen Religionstheologie 201

haft so fragen würde, wüsste nicht einmal, mit welcher Art von Gegen-
stand er es bei Empfindungen zu tun hat, und könnte es auch durch die
richtige Antwort nicht erfahren. Das bedeutet freilich keineswegs, dass
einem Existierenden in solchen Fällen beide Eigenschaften fehlen, son-
dern vielmehr, dass ihm eine von beiden notwendigerweise zukommt.
Weil Empfindungen keine physischen Gegenstände sind und deshalb
nicht grün oder andersfarbig sein können, sind sie notwendigerweise
nicht-grün. Kurzum, alles, was existiert, ist durchgängig bestimmt und
unterscheidet sich dadurch von Allgemeinbegriffen. Nun ist aber Hicks
transzendente Wirklichkeit an sich nicht durchgängig bestimmt. Folg-
lich kann sie nicht existieren, sondern nur ein Allgemeinbegriff sein, und
zwar ein hochabstrakter.
Mein zweiter Einwand bezieht sich auf Hicks grundlegende Unter-
scheidung zwischen dem endlichen Subjekt und der transzendenten
Wirklichkeit an sich, die dem Subjekt gegenüberstehen und auf das Sub-
jekt wirken soll. Diese Unterscheidung ist schwerlich mit der pluralisti-
schen Annahme vereinbar, dass die großen Weltreligionen gleichwertig
sind.23 Denn während theistische Religionsformen die Unterscheidung
teilen mögen, wird sie in nicht-theistischen gerade bestritten. So ver-
steht beispielsweise eine der bedeutendsten Richtungen des Hinduis-
mus, der advaitische Vedanta, Brahman als nicht-personales Absolutes,
mit dem alles, auch das wahre Selbst des Menschen, der Atman, iden-
tisch ist. Das von Brahman getrennte, empirische Selbst dagegen ist ein
Trugbild, einem bösen Traum ähnlich, aus dem zu erwachen Erlösung
bedeutet. Vergleichbare monistische Annahmen wurden auch im Maha-
yana-Buddhismus vertreten. Für Nagarjuna (um 200 n. Chr.) etwa, den
bedeutendsten Vertreter der Shunyavada-Schule, ist allein das Leere
(shunya) wahrhaft wirklich, während die endlichen Dinge und Subjekte
nur eine Scheinrealität besitzen. Sub specie aeternitatis sind sie mit dem
Leeren eins, auch wenn sie sich in ihrer Verblendung für unterschieden
halten. Durch seine pluralistische Hypothese fordert Hick nun vom
Hinduismus und Buddhismus, solche monistischen Annahmen aufzu-
geben, sich die strikte Unterscheidung zwischen dem endlichen Subjekt
und der transzendenten Wirklichkeit anzueignen und deshalb konse-
quent zwischen der transzendenten Wirklichkeit an sich und ihrer Er-

23
  Ähnlich argumentiert auch K. E. Yandell, Philosophy of Religion. A contempo­
rary introduction, London/New York 1999, 72 f.
202 Vierter Teil: Die Wahrheit der Religionen

scheinung für uns zu differenzieren.24 Damit ergreift er einseitig Partei


für nicht-monistische Traditionen, die durch ihre Gegenüberstellung
von Gott und Welt mit diesen Unterscheidungen keine grundsätzlichen
Schwierigkeiten haben. Zwar mutet die pluralistische Religionstheolo-
gie auch ihnen schmerzhafte Modifikationen zu, aber die Frage, in wel-
chem Verhältnis das endliche Subjekt zur unendlichen Wirklichkeit
steht, ob beide getrennt oder auf irgendeine Weise eins sind, betrifft den
fundamentalen Unterschied zwischen den Weltreligionen, der allen an-
deren Unterschieden zugrunde liegt. Eine Religionstheologie, die in
dieser entscheidenden Frage den nicht-monistischen Traditionen eine
angemessenere Einsicht zubilligt, kann unmöglich alle großen Weltre­
ligionen für gleichwertig halten, sondern allenfalls die nicht-monisti-
schen. Soweit der zweite Einwand, durch den die pluralistische Religi-
onstheologie zwar nicht widerlegt, wohl aber in ihrem Anwendungsbe-
reich deutlich eingeschränkt wird.25
Mein dritter Einwand schließlich bestreitet, dass die transzendente
Wirklichkeit an sich, die als Urgrund der religiösen Erfahrungen in den
Weltreligionen postuliert wird, unendlich und grenzenlos ist, wie Hick
annimmt.26 Da sie dem endlichen Bewusstsein als das ganz Andere und
Unbegreifliche gegenübersteht, hat sie am endlichen Bewusstsein ihre
Grenze und ihr Drüben. Folglich ist sie ebenso endlich wie dieses Be-
wusstsein, und wir haben es bei ihr gerade nicht mit dem Höchsten zu
tun. Das Jenseits ist auch nur ein Diesseits, weil das Diesseits sein Jen-
seits ist. Wenn Gott das ist, über das hinaus nichts Größeres gedacht
werden kann, dann ist die transzendente Wirklichkeit an sich nicht etwa
der »Gott über dem Gott des Theismus«,27 sondern bloß ein weiterer
Götze. Wie aber muss das Verhältnis des Unendlichen zum endlichen
Bewusstsein bestimmt werden, wenn es ihm nicht als unbegreifliches
Jenseits gegenüberstehen kann? Ich werde auf diese Frage im nächsten
Abschnitt zurückkommen, in dem eine kritisch-inklusivistische Alter-
native zur pluralistischen Religionstheologie erwogen werden soll.
Wenn die von Hick entwickelte pluralistische Hypothese aus den ge-
nannten Gründen unhaltbar ist, kann auch das Prinzip der Glaubwür-
digkeit religiöser Erfahrung, aus dem sie erschlossen wurde, nicht zu-

24
  Vgl. Hick, An Interpretation of Religion, 291–295.
25
 Vgl. Hüttenhoff, Der religiöse Pluralismus als Orientierungsproblem, 255 f.,
259.
26
  Vgl. z. B. Hick, An Interpretation of Religion, 237 f.
27
  P. Tillich, Der Mut zum Sein, Berlin/New York 1991, 137.
§  30  Hegels kritischer Inklusivismus 203

treffen. Nach diesem Prinzip ist es vernünftig, auf der Basis seiner ei­
genen religiösen Erfahrungen an einen personalen Gott oder ein im-
personales Absolutes zu glauben, sofern keine angemessenen Grün-
de vorliegen, seinen Erfahrungen zu misstrauen. Hick begründet das
Glaubwürdigkeitsprinzip damit, dass die Welt mehrdeutig ist, also mit
dem gleichen theoretischen Recht naturalistisch oder religiös gedeutet
werden kann. Nun trifft diese Mehrdeutigkeit aber nach Hick auch auf
die religiöse Erfahrung zu. Auch sie kann religiös oder religionskritisch
interpretiert werden. Wenn das aber zutrifft, dann ist jemand durch die
religiöse Erfahrung, die er macht, vernünftigerweise nicht berechtigt, an
das zu glauben, was er erfährt. Wenn die Welt einschließlich der Religion
wirklich mehrdeutig wäre, dann wäre religiöse Erfahrung kein geeig-
netes Mittel diese theoretische Pattsituation zugunsten des Gottesglau-
bens aufzulösen. Die vernünftige Reaktion wäre dann vielmehr die Ur-
teilsenthaltung, der Agnostizismus. Unter den Bedingungen einer mehr-
deutigen Welt ist Hicks Prinzip der Glaubwürdigkeit religiöser Erfahrung
ein Freibrief zur intellektuellen Willkür, eine Maxime des blanken Dezi-
sionismus. Kein Wunder also, dass dieses Prinzip zu einer Religionstheo­
logie führt, die unhaltbar ist.

§  30  Hegels kritischer Inklusivismus

Eine aussichtsreiche Theologie der Religionen sollte zwei Qualitäten


vereinen: den Blick für die Vielheit und den spezifischen Charakter der
religiösen Phänomene einerseits und die Kraft zu einer systematischen
Gesamtdeutung andererseits. Eben diese Qualitäten aber besitzen die
Religionsphilosophien Hegels und Schellings in einem Maße, das in der
Gegenwart seinesgleichen sucht. Zu einer Zeit, in der sich die Kennt-
nisse über außereuropäische Religionen und Kulturen, zumal die ägyp-
tische, indische und chinesische, rasant erweiterten, entwickelten Hegel
und der späte Schelling je auf ihre Weise eine Philosophie der Religi-
onen, welche die Ergebnisse der zeitgenössischen religionswissenschaft-
lichen Forschung in eine einheitliche Theorie zu integrieren vermochte.
Es gibt deshalb Grund zur Vermutung, dass von einem Rückgriff auf
Hegel und Schelling innovative Impulse für die gegenwärtige religions-
theologische Debatte ausgehen können. Die folgenden Überlegungen
konzentrieren sich auf die religionstheologische Aktualität Hegels, ob-
gleich der Spätphilosophie Schellings ebenso große Aufmerksamkeit ge-
204 Vierter Teil: Die Wahrheit der Religionen

bührte.28 Dabei befasse ich mich erstens mit Hegels Begriff der Religion
und zweitens mit dem kritischen Inklusivismus, der sich daraus ergibt.
In beiden Zusammenhängen werden die Vorteile zur Sprache kommen,
die Hegels Konzeption gegenüber der pluralistischen Religionstheologie
unserer Tage besitzt.

1.  Hegels Begriff der Religion


Die pluralistische Religionstheologie unterscheidet zwischen dem religi-
ösen Bewusstsein des Menschen und jener transzendenten oder unend-
lichen Wirklichkeit an sich, die außerhalb des religiösen Bewusstseins
liegt und daher unbegreiflich ist. Diese Unterscheidung ist, wie wir sa-
hen, mit dem Begriff der unendlichen Wirklichkeit nicht vereinbar.
Wenn nämlich das Unendliche dem endlichen Bewusstsein als unbe-
greifliches Jenseits gegenüberstünde, hätte es am endlichen Bewusstsein
seine Grenze. Es wäre dann in Wahrheit gar nicht unendlich, sondern
ebenso endlich wie dieses Bewusstsein. Der Versuch, das Unendliche als
das ganz Andere des Endlichen, als Nicht-Endliches, zu bestimmen,
misslingt, weil das Unendliche dadurch ein Drüben hat und mithin ein
Endliches bleibt. »Wir haben nicht das, was wir wollen«, schreibt Hegel,
»wir haben nur ein Endliches an diesem Unendlichen.«29 Durch den Ge-
gensatz des Endlichen und Unendlichen verschwindet also paradoxer-
weise der Unterschied zwischen beiden.
Wie aber soll man ihr Verhältnis stattdessen bestimmen? Hegels Ant-
wort lautet: Das Unendliche ist dasjenige, was sich selbst und das End-
liche umfasst. Um wahrhaft unendlich zu sein, muss es die endliche Welt
im Allgemeinen und das endliche Bewusstsein im Besonderen als we-
sentliches Moment einschließen.
Das »wahrhaft Unendliche, welches sich selbst als Endliches setzt, greift zu-
gleich über sich als [auch] sein Anderes über und bleibt darin, weil es sein Ande­
res ist, in der Einheit mit sich. Ist aber das Eine, Unendliche nur als das Nicht-
28
 Zur religionstheologischen Aktualität Schellings vgl. meinen Artikel »Die
Wahrheit der Religionen und das Christentum. Schellings Philosophie der Mytholo-
gie und die religionstheologische Debatte der Gegenwart«, in: R. Kirste/P. Schwar-
zenau/U. Tworuschka (Hgg.), Wegmarken zur Transzendenz (Religionen im Ge-
spräch, Bd.  8), Balve 2004, 340–344.
29
  G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, in: ders., Werke
in zwanzig Bänden, auf der Grundlage der »Werke« von 1832–1845, neu edierte Aus-
gabe, Redaktion: E. Moldenhauer/K. M. Michel, Frankfurt a. M. 1969–1971 (=
Werke), Bd.  16, 179.
§  30  Hegels kritischer Inklusivismus 205
Viele, Nicht-Endliche bestimmt, so bleibt es jenseits des Vielen und Endlichen,
und so bleibt das Viele des Endlichen selbst gleichfalls für sich stehen, ohne sein
Jenseits erreichen zu können.«30

Das Unendliche ist also nur dann wahrhaft unendlich und zugleich vom
Endlichen unterschieden, wenn es die in sich differenzierte Einheit sei-
ner selbst und des Endlichen ist.
Aus diesem Begriff des Unendlichen lässt sich mit Hilfe einer Prämis-
se, die ich zusätzlich einführen möchte, Hegels Begriff der Religion ab-
leiten. Bei der Zusatzprämisse handelt es sich um die vorläufige Bestim-
mung von Religion als Bewusstsein einer höheren, unendlichen Wirk-
lichkeit. Diese Bestimmung trägt dem Umstand Rechnung, dass der
Glaube an Gott in einer Reihe von Religionen keine oder nur eine unter-
geordnete Rolle spielt. Das Bewusstsein einer höheren, unendlichen
Wirklichkeit dagegen scheint ein konstitutives Element von Religion zu
sein, ohne das sich die anderen Elemente, die sich in den Religionen fin-
den, die Annahmen über die Beschaffenheit der Welt, die Vorschriften,
Gebräuche und Verhaltensweisen, die Feste und Institutionen usf.,
schwerlich als »religiöse« qualifizieren lassen. Gemessen an diesem vor-
läufigen Verständnis von Religion, können die großen säkularen Ideolo-
gien, für die das Unendliche keine Wirklichkeit besitzt, trotz mancher
Analogien nicht im eigentlichen Sinne als Religionen gelten.
Aus beiden Prämissen zusammen ergibt sich Hegels Begriff der Reli-
gion. Der ersten Prämisse zufolge muss das endliche Bewusstsein des
Unendlichen ein wesentliches Moment des Unendlichen sein. Nach der
zweiten Prämisse ist Religion das endliche Bewusstsein einer höheren,
unendlichen Wirklichkeit. Wenn beides zutrifft, muss man annehmen,
dass Religion ein wesentliches Moment des Unendlichen ist. Sie ist dem-
nach keine bloß subjektive Angelegenheit des Menschen, sondern das
Bewusstsein, welches das Unendliche durch die Vermittlung des Men-
schen von sich selbst hat. Dieser Begriff der Religion lässt sich konkreti-
sieren, sobald man der Frage nachgeht, was das Unendliche eigentlich ist,
wenn es konstitutiv zu ihm gehört, sich im menschlichen Bewusstsein
seiner selbst bewusst zu sein. Die Antwort liegt auf der Hand: Es ist
Geist.
Denn »der Geist ist dies: sich zu manifestieren, für den Geist zu sein. Der Geist
ist für den Geist, und zwar nicht nur auf äußerliche, zufällige Weise, sondern er
ist nur insofern Geist, als er für den Geist ist; dies macht den Begriff des Geistes

30
  Ebd., 178.
206 Vierter Teil: Die Wahrheit der Religionen

selbst aus. Oder, um es mehr theologisch auszudrücken, Gott ist Geist wesent-
lich, insofern er in seiner Gemeinde ist. Man hat gesagt, die Welt, das sinnliche
Universum, müsse Zuschauer haben und für den Geist sein, – so muß Gott noch
viel mehr für den Geist sein.«31

Durch die Bestimmung des Unendlichen als Geist lässt sich der Begriff
der Religion näherhin so fassen: Wenn Religion der Ort ist, an dem sich
der menschliche Geist auf das Unendliche, mithin auf den absoluten
Geist, bezieht, und wenn es konstitutiv zum absoluten Geist gehört, im
endlichen Geist von sich zu wissen, dann ist Religion nichts anderes als
das »Wissen des göttlichen Geistes von sich durch Vermittlung des end­
lichen Geistes.«32 Gewiss, auf den ersten Blick erscheint Religion als
bloß subjektive Tätigkeit, in der sich das menschliche Bewusstsein zu
einem wirklichen oder vermeintlichen Unendlichen verhält. Nun ist
dieses Unendliche, der absolute Geist, aber jene Fülle, die das mensch-
liche Bewusstsein des Unendlichen einschließt. Folglich ist Religion,
genau besehen, »ein Erzeugnis des göttlichen Geistes, nicht Erfindung
des Menschen, sondern Werk des göttlichen Wirkens und Hervorbrin-
gens in ihm«.33 Kurzum, Religion ist »das Selbstbewußtsein des absolu­
ten Geistes.«34
Dieser spekulative Begriff der Religion mag im Kontext heutiger De-
batten ungewohnt sein, aber was ist die Alternative? Wenn Religion
nichts anderes als eine Orientierungsleistung des menschlichen Geistes
wäre, wenn der göttliche Geist in ihr nicht am Werk sein würde, wäre sie
von Gott verlassen.35 Man müsste sie dann mit Karl Barth als Gottlosig-
keit oder »Unglaube« beurteilen.36 Denn wie sollte der menschliche
Geist zum Unendlichen gelangen, wenn nicht das Unendliche selbst, der
göttliche Geist, im menschlichen Geist zu sich käme? »Der Mensch weiß
nur von Gott«, schreibt Hegel, »insofern Gott im Menschen von sich
selbst weiß«.37

31
  Ebd., 52 f.; zu Hegels Begriff des Geistes vgl. näherhin ders., Enzyklopädie der
philosophischen Wissenschaften III, §§  381–384, 553–555 (Werke 10, 17–32, 366 f.).
32
 Ders., Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, Werke 16, 198.
33
  Ebd., 40.
34
  Ebd., 197 f.
35
  So zu Recht auch V. Hösle, Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität
und das Problem der Intersubjektivität, ungekürzte Studienausgabe, Hamburg
1988, 645.
36
  Vgl. K. Barth, Die kirchliche Dogmatik, Bd.  I : Die Lehre vom Wort Gottes, 2.
Halbbd., Zollikon-Zürich 5.  Aufl. 1960, §  17 (S.  304–397).
37
 Hegel, Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes, Werke 17, 480.
§  30  Hegels kritischer Inklusivismus 207

Hegels Begriff der Religion lässt sich als Alternative zum Religionsbe-
griff verstehen, den Schleiermacher fast zeitgleich in seiner Glaubensleh­
re entwickelt hat.38 Im Unterschied zur älteren Theologie stimmen beide
darin überein, dass Gott und das religiöse Bewusstsein nicht voneinan-
der zu trennen sind. Während aber Schleiermacher Gott von der Religi-
on her versteht, begreift Hegel die Religion von Gott her. Schleiermacher
geht von der Religion bzw. von der Frömmigkeit aus, die ihm als Gefühl
schlechthinniger Abhängigkeit gilt, und bestimmt Gott in Beziehung
auf dieses Gefühl, nämlich als das im Gefühl »mitgesetzte Woher«39 un-
seres Daseins. Nach Hegel dagegen führt die Bestimmung des Unend-
lichen als jenes absoluten Geistes, zu dem es konstitutiv gehört, für den
Geist zu sein, gerade umgekehrt zur Religion. Nicht zu Unrecht be-
fürchtet Hegel, dass in Schleiermachers bewusstseinstheoretischem An-
satz der Gottesgedanke verloren geht; denn Gott wird dort in Abhängig-
keit von dem begriffen, was vorgibt, sich von ihm abhängig zu fühlen.
Nach Hegel kann Gott nicht als Moment des religiösen Bewusstseins
gedeutet werden, sondern das religiöse Bewusstsein ist vielmehr als Mo-
ment des absoluten Geistes zu begreifen, dem es widerspräche, bei sich
zu bleiben, statt in seiner Gemeinde zu sein.
Die bisherigen Überlegungen erhellen den ersten von drei Vorteilen,
den die hegelsche Religionsphilosophie verglichen mit der pluralisti-
schen Religionstheologie besitzt: Sie kann erklären, warum es überhaupt
Religion gibt. Der religionstheologische Pluralismus nimmt an, dass die
transzendente oder unendliche Wirklichkeit an sich unbegreiflich und
keiner unserer Begriffe, abgesehen von formalen, auf sie anwendbar ist.
Wenn das zutrifft, dann darf man ihr keine Eigenschaft beilegen, die
verständlich machen könnte, wieso sie sich im menschlichen Bewusst-
sein manifestiert, statt mit sich allein zu bleiben. Für die pluralistische
Religionstheologie ist Religion deshalb eine nackte Tatsache, die man
nur zur Kenntnis nehmen, aber nicht begreifen kann. Nach Hegel dage-
gen kann das Unendliche dem endlichen Bewusstsein nicht als Jenseits
gegenüberstehen, weil es sonst seinerseits ein Endliches wäre. Um wahr-
haft unendlich zu sein, muss es vielmehr das endliche Bewusstsein als
wesentliches Moment einschließen und daher als absoluter Geist begrif-
fen werden. Denn weil es für den absoluten Geist konstitutiv ist, von sich

38
 Schleiermachers Glaubenslehre erschien im Jahre 1821, in dem Hegel sein ers-
tes Kolleg über Religionsphilosophie hielt.
39
 Schleiermacher, Der christliche Glaube, Bd.  I, §  4, 4 (S.  28).
208 Vierter Teil: Die Wahrheit der Religionen

zu wissen, setzt er sich als endlichen Geist, um im endlichen Geist zum


Bewusstsein seiner selbst zu gelangen. Im Unterschied zur pluralisti-
schen Religionstheologie kann Hegels Lehre vom absoluten Geist also
verständlich machen, warum Menschen Religion besitzen.

2.  Hegels Deutung der Religionen


Der skizzierte Begriff der Religion liegt nach Hegel allen positiven Reli-
gionen zugrunde. Weil das Bewusstsein einer höheren, unendlichen
Wirklichkeit für jede Religion konstitutiv ist und weil dieses Unendliche
aus den genannten Gründen als absoluter Geist verstanden werden muss,
der das menschliche Bewusstsein vom Unendlichen einschließt, sind alle
Religionen Gestalten des absoluten Geistes. Hegel ist daher weit davon
entfernt, einen religionstheologischen Exklusivismus zu vertreten, den
er vielmehr als seicht zurückweist. In der Einleitung seiner Religionsphi­
losophie heißt es programmatisch:
»Aber wir dürfen uns die Sache nicht so leicht machen und sie so oberflächlich
fassen, daß wir diese religiösen Vorstellungen und Gebräuche als Aberglauben,
Irrtum und Betrug verwerfen [.  .  .]. Das höhere Bewußtsein ist vielmehr, den
Sinn, das Wahre und den Zusammenhang mit dem Wahren, kurz das Vernünf­
tige darin zu erkennen. Es sind Menschen, die auf solche Religionen verfallen
sind; es muß also Vernunft darin und in aller Zufälligkeit eine höhere Notwen­
digkeit sein. Diese Gerechtigkeit müssen wir ihnen widerfahren lassen, denn das
Menschliche, Vernünftige in ihnen ist auch das Unsere, wenn auch in unserem
höheren Bewußtsein nur als Moment. Die Geschichte der Religionen in diesem
Sinne auffassen heißt, sich auch mit dem versöhnen, was Schauderhaftes, Furcht-
bares oder Abgeschmacktes in ihnen vorkommt, und es rechtfertigen.«40

Anders als der Exklusivismus nimmt Hegel an, dass der göttliche Geist
in allen Religionen wirksam ist und von sich weiß. Wenn das aber zu-
trifft, warum verstehen die Religionen das Unendliche dann nicht durch-
gängig als absoluten Geist und das Bewusstsein vom Unendlichen als
dessen Moment? Warum haben sie vielmehr höchst unterschiedliche
Vorstellungen von der unendlichen Wirklichkeit, vom endlichen Subjekt
und von der Beziehung zwischen beiden? Hegel beantwortet diese Frage
mit dem naheliegenden Hinweis, dass die Religionen über das, was sie

40
 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, Werke 16, 82. Zur The-
se, die Religionen seien Priesterbetrug, die sich mit einem religionstheologischen
Exklusivismus, der die eigene Religion ausnimmt, gut verträgt, vgl. auch ebd., 102,
sowie ders., Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I, Werke 18, 83.
§  30  Hegels kritischer Inklusivismus 209

eigentlich sind, zumeist kein hinreichendes Bewusstsein haben. Zwar


sind sie alle Gestalten des absoluten Geistes, aber sie verstehen sich selbst
in der Regel anders. Diese Unterscheidung zwischen dem Selbstver-
ständnis der Religionen und dem, was sie an sich sind, ist keine Beson-
derheit der hegelschen Religionsphilosophie, sondern ein unverzicht-
bares Element aller religionstheologischen Modelle. Sie wird ebenfalls
angewandt, wenn der Exklusivismus die Wahrheitsansprüche bestreitet,
die andere Religionen erheben, oder wenn sich die pluralistische Religi-
onstheologie gegen die Überlegenheitsansprüche wendet, die gewöhn-
lich zum Selbstverständnis der Religionen gehören. Die Besonderheit
der hegelschen Konzeption besteht vielmehr darin, dass sie im Unter-
schied zu den religionstheologischen Modellen der Gegenwart in der
Lage ist, die Differenz zwischen dem Fürsichsein der meisten Religionen
und ihrem Ansichsein auf die unendliche Wirklichkeit selbst zurückzu-
führen. Inwiefern? Das wahrhaft Unendliche ist nach Hegel der absolute
Geist. Nun widerspricht es aber der »Natur des Geistes«, dass er von
Natur aus und gleichsam auf einen Schlag ein angemessenes Bewusstsein
von sich selbst hat. Denn die Natur des Geistes ist Freiheit, er ist, schreibt
Hegel, »nur das, wozu er sich macht.«41 Um sich adäquat zu erkennen,
muss der absolute Geist einen Prozess durchlaufen, und dieser Prozess
zunehmender Selbsterkenntnis ist die geschichtliche Abfolge der Religi-
onen. Aus der Natur des absoluten Geistes ist daher verständlich, wa­
rum in der Geschichte der Religionen für geraume Zeit ein Unterschied
zwischen dem besteht, was sie an sich sind, und dem, was ihnen bewusst
ist. Im Fortgang von einer Religion zu einer späteren wird dieser Unter-
schied freilich zunehmend minimiert. Die Vorstellungen, die sich die
Religionen vom Unendlichen und von sich selbst machen, werden suk-
zessiv an das angepasst, was beide eigentlich sind, nämlich der absolute
Geist und sein Bewusstsein von sich selbst.
Hegels Theorie der Religionsgeschichte, die den größten Teil seiner
religionsphilosophischen Vorlesungen umfasst, kann im Rahmen mei-
ner Skizze natürlich nicht im Detail vorgeführt werden.42 Einige wenige
Bemerkungen müssen genügen. Jede Religion ist endliches Bewusstsein

41
 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, Werke 16, 263.
42
  Zur Darstellung und kritischen Würdigung von Hegels Behandlung der außer-
christlichen Religionen vgl. R. Leuze, Die außerchristlichen Religionen bei Hegel,
Göttingen 1975; St. Dunning, »Particularity not Scandalous: Hegel’s Contribution
to Philosophy of Religion«, in: D. Kolb (ed.), New Perspectives on Hegel’s Philoso­
phy of Religion, Albany/New York 1992, 143–158; L. Dupré, »Transitions and Ten-
210 Vierter Teil: Die Wahrheit der Religionen

von einer höheren, unendlichen Wirklichkeit. Aus gutem Grund be-


trachtet Hegel eine Religion deshalb stets unter zwei Gesichtspunkten:
Wie versteht sie das Unendliche und welches Selbstverständnis hat das
endliche Subjekt in dieser Religion? Beides gehört untrennbar zusam-
men. Denn die Vorstellung, die der Mensch vom Unendlichen hat, ent-
spricht derjenigen, die er von sich selbst hat.43 Auf der ersten Stufe der
Religionsgeschichte,44 zu der Hegel die chinesische, indische und bud-
dhistische Religion rechnet, wird die unendliche Wirklichkeit pantheis-
tisch bestimmt. Sie gilt als die allgemeine, substantielle Macht, die das
Wesen aller Dinge bildet und allein wahrhaft wirklich ist. Entsprechend
versteht sich das endliche Subjekt als nichtiger Schein. Den Übergang
zur zweiten Stufe bilden die persische, syrische und ägyptische Religion.
Auf dieser zweiten Stufe wird die unendliche Wirklichkeit nicht mehr
als bestimmungslose Substanz, sondern als freie Subjektivität vorgestellt,
wenn auch in unzulänglicher Weise. Hierher gehören nach Hegel die jü-
dische und griechische sowie die römische Religion, die aber im Grunde
nur eine Fortentwicklung der griechischen ist. Im Judentum gilt das Un-
endliche als der eine, hoch über die Welt erhabene Herr, sodass sich das
endliche Subjekt als Diener verstehen muss – gewiss eine einseitige Cha-
rakterisierung, die schon dem alttestamentlichen Zeugnis von der Nähe
Gottes und dem Gedanken eines doppelseitig verpflichtenden Bundes-
schlusses nicht gerecht wird.45 Auch die griechische Religion stellt das
Unendliche als Subjekt vor, freilich nicht als erhabenes, sondern als we-
sentlich menschliches, beschränktes und deshalb als eine Vielheit von
Göttern. Die jüdische und die griechische Religion leiden nach Hegel an
einem komplementären Mangel. Im Unterschied zur jüdischen erlaubt
die griechische Religion dem endlichen Subjekt zwar, sich als frei zu ver-

sions in Hegel’s Treatment of Determinate Religion«, in: D. Kolb (ed.), New Per­
spectives on Hegel’s Philosophy of Religion, Albany/New York 1992, 81–92.
43
  Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, Werke 16, 83.
44
  Im Folgenden richte ich mich nach der Freundesvereinsausgabe (Werke 16 und
17), in welcher der Teil über außerchristliche Religionen in zwei Abschnitte geglie-
dert ist. In seinen vier Kollegien hat Hegel selbst mal eine dichotomische (1824), mal
eine trichotomische Einteilung (1821, 1827 und 1831) vorgezogen. Auch die Reihen-
folge, in der die außerchristlichen Religionen behandelt werden, ändert sich, was
insbesondere im Falle der jüdischen Religion auffallend ist, vgl. dazu G. W. F. Hegel,
Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Teil  2 : Die bestimmte Religion, neu
hrsg. von W. Jaeschke, Hamburg 1994.
45
  So zu Recht H. J. Schoeps, »Die außerchristlichen Religionen bei Hegel«, Zeit­
schrift für Religions- und Geistesgeschichte 7 (1955), 1–34, hier: 31.
§  30  Hegels kritischer Inklusivismus 211

stehen, weil es in seinen Göttern vollkommen bei sich ist, aber keiner
dieser Götter kann der Grund aller Dinge sein, der im Judentum als
Herr verehrt wird.
Diese Einseitigkeiten sind nach Hegel in der christlichen Religion
überwunden. Die Vorstellung von einem menschlichen, aber beschränk­
ten Gott in der griechischen Religion und von einem erhabenen, aber
vom Menschen getrennten Schöpfer und Herrn in der jüdischen werden
im Gedanken des dreieinigen Gottes aufgehoben, der alles geschaffen
hat, der Mensch wurde und starb und der in seiner Gemeinde gegen­
wärtig ist. Das, was alle Religionen an sich sind, nämlich Gestalten des
absoluten Geistes, der sich als endlichen Geist setzt und durch den end-
lichen Geist von sich weiß, wird in der christlichen Trinitätslehre zum
Inhalt der religiösen Vorstellung. Zwar liegt dieser Begriff der Religion
allen Religionen zugrunde, doch in den außerchristlichen Religionen
kommt er noch nicht in der Totalität seiner drei Momente zum Bewusst-
sein. Erst in der christlichen Religion ist der »Begriff der Religion [.  .  .]
sich selbst gegenständlich geworden«.46 Aus diesem Grund kennzeichnet
Hegel das Christentum als die »absolute« oder »vollendete« Religion.47
Gemessen an der üblichen Einteilung religionstheologischer Modelle
in exklusivistische, inklusivistische und pluralistische, vertritt Hegel
zweifellos einen christlichen Inklusivismus; denn die außerchristlichen
Religionen sind
»als wesentliche, wenn auch als untergeordnete Momente, die der absoluten
Wahrheit nicht fehlen dürfen, [.  .  .] in der unsrigen [christlichen, F. H.] enthalten.
Wir haben es also in ihnen nicht mit einem Fremden, sondern mit dem Unsrigen
zu tun, und die Erkenntnis, daß es so sei, ist die Versöhnung der wahrhaften
Religion mit der falschen.«48

Dieser Inklusivismus ist im Unterschied zu inklusivistischen Konzepten


älterer und neuerer Zeit freilich kein dogmatischer, der die Wahrheit der
eigenen Religion bloß voraussetzt, die anderen Religionen nach der Nähe
zur eigenen bemisst und der deshalb von anderen Religionen mit glei-
chem dogmatischem Recht zurückgewiesen werden kann. Vielmehr
handelt es sich um einen kritischen Inklusivismus, weil er alle Religionen

46
 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, Werke 16, 87; vgl. ders.,
Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, Werke 17, 187.
47
  Ebd., 185 und 187.
48
 Ders., Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, Werke 16, 81.
212 Vierter Teil: Die Wahrheit der Religionen

danach bewertet, in welchem Maße sie dem Begriff der Religion gerecht
werden, der ihnen zugrunde liegt.49
Die umfassende philosophische Deutung der Religionen, auf die He-
gel seinen Inklusivismus stützt, verdient Bewunderung, zumal die da-
mals verfügbaren Quellen in der Regel hinreichend berücksichtigt wur-
den.50 Hegel vorzuwerfen, er zwänge die Vielheit der Religionen in die
spanischen Stiefel seiner Systematik, ist deshalb abwegig. Gleichwohl
wären bei einer Aktualisierung der hegelschen Konzeption einige Re­
visionen erforderlich. Sie beträfen erstens das Bild der einzelnen Reli­
gionen, namentlich der orientalischen, das sich durch die religionsge-
schichtliche und religionswissenschaftliche Forschung inzwischen ver-
ändert hat. Dabei wäre auch die innere Entwicklung der Religionen, der
Hegel wegen der mangelnden Erkenntnisse zu Beginn des 19. Jahrhun-
derts wenig Beachtung schenkte,51 gebührend zu berücksichtigen. Zwei­
tens müssten die von Hegel nicht behandelten Religionen einbezogen
werden, zumindest solche, die in ihrer Bedeutung den behandelten nicht
nachstehen, etwa die babylonisch-assyrische Religion, der japanische
Schintoismus und vor allem der Islam, auf den Hegel leider nur beiläufig
eingegangen ist.52 Drittens schließlich wäre Hegels Annahme aufzuge-
ben, dass die hierarchische Ordnung, in der die Religionen stehen, wenn
man sie am Kriterium ihrer Angemessenheit zum Begriff der Religion
misst, den Etappen einer universalen, kontinuierlich zu Höherem fort-
schreitenden Religionsgeschichte entspricht. Denn zum einen sind Reli-
gionen nur in wenigen Fällen historisch auseinander hervorgegangen;
zum anderen könnte eine historisch frühere Religion durchaus einer
sachlich späteren Stufe angehören.53 Selbstverständlich kommt eine
Neuauflage des hegelschen Programms nicht ohne den Gedanken aus,
49
 Für den Bezug der hegelschen Religionsphilosophie zur aktuellen religions­
theologischen Debatte vgl. auch R. Leuze, »Viele Religionen – eine Wahrheit?«, in:
Ch. Danz/F. Hermanni (Hgg.), Wahrheitsansprüche der Weltreligionen. Konturen
gegenwärtiger Religionstheologie, Neukirchen-Vluyn 2006, 29–40; H. Nagl-Doce-
kal/W. Kaltenbacher/L. Nagl (Hgg.), Viele Religionen – eine Vernunft? Ein Disput
zu Hegel, Wien/Berlin 2008.
50
  Zu diesem Ergebnis kommt die sorgfältige Studie von Leuze, Die außerchrist­
lichen Religionen bei Hegel, 237 f. Wenig überzeugend ist dagegen Leuzes Behaup-
tung (vgl. ebd., 244), Hegel habe seinen Begriff der Religion aus der christlichen
Gotteslehre abgeleitet. Träfe das zu, dann wäre die Deutung des Christentums als
der vollendeten Religion ein bloßer Zirkelschluss.
51
  Vgl. die von Leuze, ebd., 240, angeführten Beispiele.
52
  Vgl. nochmals Leuze, ebd., 240 f.
53
 Selbst Hegel durchbricht die Entsprechung von historischer und sachlicher
§  30  Hegels kritischer Inklusivismus 213

dass der Geist nur durch eine geschichtliche Entwicklung ein zuneh-
mendes Bewusstsein seiner selbst gewinnt. Aber diese Entwicklung
vollzieht sich offenbar nicht in einer vermeintlichen Universalgeschichte
der Religion, sondern in einer Vielzahl von Partialgeschichten.54
Eine Aktualisierung des hegelschen Inklusivismus würde, so scheint
mir, die religionstheologische Debatte der Gegenwart voranbringen.
Denn neben dem Vorteil, der im letzten Abschnitt genannt wurde, be-
sitzt er gegenüber der pluralistischen Religionstheologie noch mindes-
tens zwei weitere. Erstens ist Hegels Konzeption in der Lage, nicht nur
die Existenz der Religion, sondern auch die Vielheit der Religionen auf
die höhere, unendliche Wirklichkeit zurückzuführen, auf die sie sich be-
ziehen. Denn die unendliche Wirklichkeit ist, recht verstanden, der ab-
solute Geist. Nun gehört es aber wesentlich zum absoluten Geist, durch
das religiöse Bewusstsein des Menschen von sich zu wissen, und dieses
Wissen kann er nur durch eine geschichtliche Entwicklung erlangen.
Folglich muss es verschiedene Gestalten von Religion geben. Aus dem
Begriff der Religion als Selbstbewusstsein des absoluten Geistes ist also
verständlich, warum Religion nur in der Mehrzahl vorkommen kann.
Für die pluralistische Religionstheologie dagegen ist sowohl die Exis-
tenz der Religion als auch die Vielheit der Religionen eine Tatsache, die
der transzendenten Wirklichkeit an sich äußerlich bleibt. Denn da diese
Transzendenz alle menschlichen Begriffe übersteigt, kann man ihr keine
Qualitäten zuschreiben, die erklären würden, warum sie sich überhaupt
im menschlichen Bewusstsein manifestiert und warum in vielfacher Ge-
stalt. Statt auf die unendliche Wirklichkeit führt die pluralistische Reli-
gionstheologie die Vielheit der Religionen auf die Vielheit der Kulturen
zurück. Aber sind Kulturen wirklich solche zunächst religionsunabhän-
gigen Größen, die sie sein müssten, damit in ihrer Verschiedenheit die
Verschiedenheit der Religionen gründen könnte? Wird die Identität ei-
ner Kultur nicht vielmehr umgekehrt durch eine bestimmte Deutung des
Unendlichen konstituiert, die alle anderen Gestaltungen des mensch-
lichen Geistes beseelt?
Zweitens erlaubt die hegelsche Konzeption, die Vorstellungen der Re-
ligionen vom Unendlichen als zutreffende Beschreibungen gelten zu las-
sen. Zwar sind sie einseitige Bestimmungen des absoluten Geistes, der in

Ordnung, wenn er z. B. die ältere ägyptische Religion der jüngeren buddhistischen
sachlich überordnet.
54
  Vgl. W. Jaeschke, Hegel-Handbuch. Leben – Werk – Schule, Stuttgart/Weimar
2003, 464–467.
214 Vierter Teil: Die Wahrheit der Religionen

der Totalität seiner Momente erst in der vollendeten Religion bewusst


wird, aber solche, die wesentlich zu ihm gehören. Nach Hegel ist es
durchaus wahr, wenn die orientalischen Religionen das Unendliche als
allgemeine, substantielle Macht verstehen oder wenn die griechische Re-
ligion dem Göttlichen menschliche Züge beilegt, freilich nicht die ganze
Wahrheit. Für die pluralistische Religionstheologie dagegen trifft keine
einzige religiöse Vorstellung auf die unendliche Wirklichkeit zu, da diese
Wirklichkeit dem Bewusstsein unbegreiflich ist. Außer im phänome-
nalen Sinne existiert für die pluralistische Religionstheologie weder
Jahwe noch Allah oder die heilige Trinität, weder Brahman noch die
ewige Buddhanatur – ein hoher Preis für die angenommene Gleichwer-
tigkeit der Weltreligionen. Oder sollte man sagen Gleichunwertigkeit?
Immerhin erinnert der »Respekt«, den die pluralistische Religionstheo-
logie den Weltreligionen entgegenbringt, an jenen abstrakten Gerechtig-
keitssinn, der niemandem ein Gut gönnt, um zu vermeiden, dass die Gü-
ter ungleich verteilt sind. Hegel hingegen gönnt jedem das Seine, er ist
groß im Geltenlassen. Sollte das nicht Grund genug sein, auf ihn zu-
rückzugreifen?
Veröffentlichungsnachweise der Vorfassungen

Kap.  1: »Der letzte Grund. Überlegungen zum kosmologischen Gottesbe-


weis«, Philosophisches Jahrbuch 112 (2005), 411–429.
Kap.  2 : »Der ontologische Gottesbeweis«, Neue Zeitschrift für Systematische
Theologie und Religionsphilosophie 44 (2002), 245–267.
Kap.  3: »Das wohltemperierte Universum. Ein teleologisches Argument«,
Theologische Literaturzeitung 135 (2010), 391–406.
Kap.  4 : »Gott, Freiheit und Determinismus«, Neue Zeitschrift für Systemati­
sche Theologie und Religionsphilosophie 50 (2008), 16–36.
Kap.  5 : Das Böse und die Theodizee. Eine philosophisch-theologische Grundle­
gung, Gütersloh 2002, 239–334.
Kap.  6 : »Das-Leib-Seele-Problem. Ein heterodoxer Lösungsvorschlag«, in: F.
Hermanni/Th. Buchheim (Hgg.), Das Leib-Seele-Problem. Antwort­
versuche aus medizinisch-naturwissenschaftlicher, philosophischer und
theologischer Sicht, München 2006, 163–179.
Kap.  7: »Vom Winde verweht. Die christliche Hoffnung auf die Auferstehung
der Toten«, in: P. Koslowski/F. Hermanni (Hgg.), Endangst und Erlö­
sung 1, München 2009, 139–159.
Kap.  8 : »Der unbekannte Gott. Plädoyer für eine inklusivistische Religions-
theologie«, in: Chr. Danz/F. Hermanni (Hgg.), Wahrheitsansprüche
der Weltreligionen. Konturen gegenwärtiger Religionstheologie, Neu-
kirchen-Vluyn 2006, 149–169.
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Personenregister

Abaelard, P.  126 Bernhart, J.  118


Abraham  42, 175, 190, 195 Betzler, M.  163
Adam  112, 129 Beutler, R.  125
Adam, Ch.  51 Bieri, P.  157
Adams, M. M.  96, 122, 132 Birnbacher, D.  120
Adams, R. M.  122, 132 Biser, E.  144
Ahlbrecht, A.  171 Black, M.  123
Albert, K.  24 f. Bloch, E.  121
Albert, P.  118 Block, N.  154
Alexander der Große  124 Blumenfeld, D.  65
Alfons X.  141 Boehner, Ph.  96
Al-Ghazalí  16 f., 126 Boethius, A. M. S.  95
Althaus, P.  168 f., 171, 176 f., 185 Böhme, J.  120
Anaxagoras  118, 165 Böhme, W.  137
Andresen, C.  22 Bohr, N.  36
Anscombe, G. E. M.  17 Bonaventura  17, 20, 43
Anselm von Canterbury  16, 42–51, Bonitz, H.  61
55 f., 59, 64–66, 95 Born, H.  36
Aristoteles  16, 24, 28, 61, 100, 170– Born, M.  36
172 Bostrom, N.  83
Arnauld, A.  37 Bouyges S. J., M.  24
Athenagoras 181 Brakelmann, G.  161
Augustin, A.  22, 44 f., 64, 118, 120, Brandt, R.  17
125 f., 129, 135 f., 180 f. Brecht, M.  107
Averill, E.  149 Brender, St.  11
Averroes  17, 172 Brody, B. A.  34
Brutus 63
Barrow, J. D.  19, 38, 68 Buchenau, A.  31, 56, 150
Barth, K.  43, 46 f., 49, 187, 206 Buchheim, Th.  11, 89, 114, 158, 164
Basinger, D.  17, 138, 170 Büchner, G.  118
Bauer, J. B.  45 Buridan, J.  111
Bayle, P.  120 Busa, R.  25
Beckermann, A.  149
Benedikt XII.  169 Cabell, J. B.  130
Bering, J.  58 Caligula 139
236 Personenregister

Calvin, J.  168, 176, 180 Draper, P.  141


Camus, A.  119 Dunning, St.  209
Cantor, G.  26 Dupré, L.  209
Carrier, M.  156 Durkheim, E.  196
Cäsar, J.  63, 139
Cassirer, E.  37 Ebach, J.  121
Chalmers, D. J.  157, 162 Ebert, Th.  167
Chisholm, R. M.  100 f., 108, 132 Eccles, J. C.  148, 155 f., 158, 164
Christ, W.  61 Edwards, P.  33–35
Churchland, P. M.  159 Eigler, G.  125
Churchland, P. S.  159 Einstein, A.  18, 36
Clarke, S.  2, 31, 33 Empedokles 120
Clayton, J.  38 Engelhardt, P.  24 f.
Cleanthes 33–35 Epikur  76, 116
Colli, G.  60 Erasmus von Rotterdam  112
Collins, R.  68 f., 80, 86 Evans, E.  126
Conway, D. A.  21 Everett III., H.  36, 78
Copleston S. J., F. C.  16, 25, 31, 38–
40 Feldtkeller, A.  194
Craig, W. L.  16–21, 25 f., 30, 70 f., 80 Fischer, J. M.  95
Creighton, M.  53 Flasch, K.  47
Crüsemann, F.  185 Frankfurt, H. G.  97 f., 104, 106, 163
Cullmann, O.  174, 176 Frege, G.  59
Freud, S.  196
Dalberg-Acton, J. E. E.  53 Friedmann, A.  18
Dalferth, I. U.  46 Fulmer, G.  70
Danton, G.  118
Danz, Chr.  195, 212 Gäbe, L.  150
Darwin, Ch.  148 Gale, R. M.  38
Davies, M.  151 Galilei, G.  15
Davis, St. T.  188 f. Gassendi, P.  43, 56 f.
De Libera, A.  126 Gaunilo von Marmoutiers  47–53, 56
De Vries, S.  62 Gawlick, G.  73
Demea 87 Geach, P.  182
Dennett, D. C.  102, 149 Gebhardt, C.  62
Denzinger, H.  169 Gegenschatz, E.  95
Descartes, R.  43 f., 49–54, 56–60, 62, Gercke, A.  44
64–66, 150–152 Gerhard, J.  169
DeWitt, B. S.  36, 78 Gerhardt, C. I.  31
D’Holbach, P. H. T.  162 Gigon, O.  95, 116
Dietrich, W.  119 Ginters, R.  25
D’Iorio, P.  118 Goodspeed, E. J.  170
Dirks, W.  143 Graham, N.  36, 78
Dostojewskij, F. M.  118 Gräßer, E.  175
Personenregister 237
Grätzel, St.  26 Hübscher, A.  35
Green, W. M.  126 Hünermann, P.  169
Gribbin, J.  68 f. Hüttenhoff, M.  192, 195, 202
Griese, F.  143 Hume, D.  3, 16 f., 33–35, 39 f., 43, 49,
Grünschloß, A.  192–194 72 f., 75 f., 87–89, 104, 122, 134,
Guardini, R.  143 f. 138 f., 141, 177 f.
Guckes, B.  98, 105, 163 Humphreys, G. W.  151
Guth, A.  19, 79 f., 82 f., 85 Hutter, A.  11

Hacking, I.  81–84 Isaak 190


Hammacher, K.  111
Harder, R.  125 Jackson, F.  148, 159
Hare, P. H.  138, 141 Jacobi, F. H.  111
Hartle, J. B.  19 Jaeschke, W.  210, 213
Hartshorne, Ch.  43 Jahwe  125, 196, 214
Hary, A.  62 Jairus 175
Hasker, W.  17, 170 Jakob 190
Hauff, W.  52 James, W.  120
Hawking, St. W.  18–20 Janke, W.  54
Hegel, G. W. F.  10, 43, 191, 203–214 Janus 163
Heidegger, E.  60 Johannes XXII.  168
Heidegger, M.  120 Jonas, H.  186 f.
Heimgartner, M.  173 Judas 94
Heinekamp, A.  65 Jüngel, E.  46, 187
Heisenberg, W.  36 Justin 170
Henning, Chr.  179
Henrich, D.  43, 48, 58 Kaiser, O.  119
Hermanni, F.  112, 124, 158, 164, 181, Kaltenbacher, W.  212
212 Kambartel, F.  47
Hermes, H.  47 Kane, G. S.  141
Herring, H.  31 f. Kane, R.  95, 100 f., 107 f.
Hesiod 76 Kanitscheider, B.  22, 38, 77
Hick, J.  10, 16, 43, 135, 137, 141, 178, Kant, I.  3 f., 15 f., 20–22, 38–40, 43 f.,
188 f., 194–203 49, 56–60, 62, 66, 87, 105, 108 f.,
Hill, Ch. S.  151 113, 124 f., 131, 134 f., 143, 160, 169,
Himmelfarb, G.  53 171, 177 f., 197, 200
Hindrichs, G.  43 Karpp, H.  170
Hiob  117, 119, 121, 135 Keating, B. F.  149
Hoerster, N.  122 Kebes 167
Hoffmann, R.  119 Kenny, A.  24 f.
Holz, H. H.  63 Kirste, R.  204
Honderich, T.  99, 102 Klein, J.  11
Hösle, V.  164, 206 Knebel, S. K.  127
Hubble, E.  18 Knöll, P.  118
238 Personenregister

Koch, A. F.  11, 114 Manson, N. A.  68, 77, 83


Koch, T.  187 McCloskey, H. J.  141
Kolb, D.  209 f. McGill, A. C.  43
Körtner, U. H. J.  195 McGrath, P. J.  82 f.
Koslowski, P.  112, 187 McLeod, M. S.  71
Kottsieper, I.  119 Melanchthon, Ph.  113
Kreiner, A.  25 f., 138, 195 Mendelssohn, M.  111
Kretzmann, N.  95 f. Meynell, H. A.  16
Kripke, S.  150–152, 155 Michel, K. M.  204
Kulenkampff, J.  104 Mill, J. St.  120, 134
Milton, J.  93, 115
Lakebrink, B.  62 Misner, Ch. W.  78
Laughlin, R. B.  73 Mittelstrass, J.  156
Lauschke, M.  111 Mohr, H.  137
Lazarus 175 Mojsisch, B.  47, 171
Leggatt, St.  24 Moldenhauer, E.  204
Lehmann, E.  120 Montinari, M.  60
Leibniz, G. W.  2, 16 f., 25, 30–33, 37, Moore, G. E.  132
43 f., 50, 54 f., 63–65, 93, 115, 124, Moreland, J. P.  17
126–129, 131, 136, 139, 141, 156, Mose 190
160 Münchhausen, H. C. F. Freiherr
Leslie, J.  68–70, 74, 77, 79 f., 82, 143 von 110
Lessing, G. E.  111, 113 Munitz, M.  150
Leuze, R.  209, 212
Levine, J.  151, 157 f. Nagarjuna 201
Lewis, D.  76 Nagel, Th.  108, 110, 151, 157
Lietzmann, H.  174 Nagl, L.  212
Lindemann, A.  174 Nagl-Docekal, H.  212
Link, Chr.  119 Newton, I.  31, 74, 86
Locke, J.  187 Nietzsche, F.  60, 109 f., 118
Lovejoy, A. O.  64, 134
Lukas  175, 177 Oblau, G.  187
Luther, M.  94, 107, 111–113, 115, 120, Ockham, W. von  43, 76, 79 f., 96 f.
168–171, 175, 177 Oelmüller, W.  121
Olivetti, M. M.  43, 123
MacKay, D. M.  149 Oppy, G.  77, 82
Mackie, J. L.  25, 30, 38, 48, 70, 122, Origenes  170, 172
124 Ormsby, E. L.  126
Madden, E. H.  138, 141
Mahlmann, Th.  179, 183 Pannenberg, W.  187
Maimonides, M.  16 f., 24 Parfit, D.  77
Malcolm, N.  43, 55 Pauen, M.  150 f., 153, 157 f.
Malebranche, N.  126 Paulus  104, 112, 174 f., 179, 183, 185,
Mann, Th.  166 191
Personenregister 239
Penrose, R.  18 f. Schelling, F. W. J.  5, 10, 15, 43, 89 f.,
Peres S. J., A.  127 108, 114, 120, 141, 160–162, 203 f.
Perkins Jr., R. K.  136, 139 Schelling, K. F. A.  15
Perry, J.  189 Schick, F.  11
Peterson, M.  17, 170 Schlatter, A.  176
Philo  72, 76 f., 84, 87 f. Schleiermacher, F.  22, 166, 207
Pike, N.  33, 95, 122 Schmidt, Ch.  11
Piske, I.-M.  111 Schmidt-Leukel, P.  192–194, 197, 199
Place, U. T.  153, 156, 161 Schmitt, F. S.  42, 44–48, 50
Plantinga, A.  26, 43, 96, 123, 128 Schoedel, W. R.  181
Platon  3, 8, 16 f., 25, 30, 120, 125, Schoeps, H. J.  210
166–173, 176–179, 184 f., 190 Scholem, G.  121
Plotin 125 Scholz, F.  153
Polkinghorne, J. C.  79 Scholz, H.  47
Pomponazzi, P.  171 Schopenhauer, A.  35, 37, 108, 119,
Popper, K. R.  148, 155 f., 158, 164 144, 160
Poser, H.  65 Schröder, G.  96
Prang, S. C.  11 Schrödinger, E.  36
Pseudojustin  172 f. Schwarzenau, P.  204
Putnam, H.  154 Schwöbel, Ch.  11
Pythagoras 167 Scotus, D.  43
Seidl, H.  23, 61, 172
Quine, W. V. O.  59 Seneca, L. A.  44
Shandy, T.  21
Ramelow, T.  126 Siebeck, G.  11
Redeker, M.  22 Simmias 189
Rees, M.  68 f., 77 Simon, P.  126
Reichenbach, B.  17, 138, 170 Slater, J. G.  55
Reiser, M.  175 Smart, J. J. C.  77, 153
Rensch, B.  164 Smith, Q.  16, 21, 141
Ritter, J.  47 Smithee, A.  67
Robinet, A.  126 Smolin, L.  68 f., 74, 77, 83–86
Rochot, B.  56 Sokrates  165–167, 176, 184, 189, 200
Röd, W.  43, 48, 55 Spaemann, R.  163
Rohls, J.  43 Spieckermann, H.  119
Römheld, D.  119 Spinoza, B. de  16, 43, 62, 110 f., 118 f.,
Rousseau, J.-J.  120 160
Rowe, W.  25, 31, 35, 38 f. Stange, C.  176 f.
Ruoff, H.  119 Steinhardt, P. J.  79
Russell, B.  16, 38–40, 55, 59, 64, 160, Stendhal 118
163 Stephan, A.  150 f., 153, 157
Stephanus 175
Saadja ben Josef  17 Stern, J.  62
Savage, C. W.  154 Sterne, L.  21
240 Personenregister

Stock, K.  179 Van Oorschot, J.  119


Stolz, A.  47 Verweyen, H.  95
Strawson, G.  108, 110 Villhauer, B.  11
Strawson, P. F.  152 f., 163 Voltaire  120, 124
Streminger, G.  138
Stump, E.  95 Wahl, H. M.  119
Stupperich, R.  113 Walther, M.  62
Swinburne, R.  16, 79, 123, 150 f., 170, Waszink, J. H.  170
181 Watson, G.  100 f.
Weber, O.  176
Tannery, P.  51 Weinberg, St.  73 f., 143
Tatian 170 Weischedel, W.  15
Taylor, R.  16, 31, 36, 38, 100 Weiss, A.  24
Tegmark, M.  76 Wheeler, J.  78, 81–83, 85
Tennant, F. R.  138 Whitaker, M. A. B.  82
Tertullian 170 White, R.  83
Teskey, G.  93 Widerker, D.  98
Theiler, W.  125 Wiefel, W.  175
Thimme, W.  22, 129 Wiggins, D.  101 f.
Thomas von Aquin  2, 16 f., 21, 23– Wilhelm, C.  195
32, 43, 49–52, 56, 95, 126, 136, Williams, B.  187
170 f., 180–182 Wisdom, J.  132
Thorne, K. S.  78 Wisser, B.  132
Tillich, P.  202 Wittgenstein, L.  55, 58, 128
Tipler, F. J.  68 Wolf, U.  59
Trajan 139 Wolff, Ch.  174
Tugendhat, E.  59 Wörner, M. H.  180
Tworuschka, U.  204
Xanthippe 60
Ulrich von Straßburg  126
Yandell, K. E.  201
Vailati, E.  31
Vallicella, W. F.  34 Zagzebski, L. T.  95
Van Inwagen, P.  72, 75, 77, 86, 94, Zoglauer, Th.  155
182 f.
Sachregister

Absolute, das  196–201, 203 Brahman  196, 201, 214


Absolute Spontaneität  115 Buddha 214
Agnostizismus 203 Buddhismus (s. a. Religion, Reli­
Akteurskausalität  100 f., 103 gionen)  192, 195, 201, 210, 213
Allah  196, 214
Allmacht Gottes  54, 56 f., 88, 117, Causa sui  109 f.
119, 121 f., 127, 130 f., 181, 188 Chaostheorie  139 f., 142
Alltagspsychologie  147, 159, 162 Christentum (s. a. Religion, Reli­
Allwissenheit  7, 54, 88, 117, 122, 127, gionen)  47, 191, 193–195, 211 f.
130, 143 Christologie 193
Alternative Möglichkeiten s. Prinzip Christus  174, 185, 187
alternativer Möglichkeiten
Anfangssingularität  18 f., 84 Darwinismus 148
Antezedenzbedingungen  139 f., 142 Designatoren, starre  150
Anthropisches Prinzip  72, 77, 81–83, Determinismus (s. a. Freiheit, Frei-
143 heitstheorien, Prinzip alternativer
Apostelgeschichte  175, 191 Möglichkeiten)  5 f., 94, 99, 103,
Artenvielfalt  134 f. 123
Atheismus  42 f., 45, 118 f., 128 – Definition 114
Auferstehung, Auferweckung  8 f., – teleologische Deutung des  6, 115
167–190 Diachrone personale Identität (s. a.
– Auferstehungsleib 180–182 Erinnerung Gottes, Gedächtnis
– materialistische Auferstehungs- Gottes, Seele)  8 f., 167 f., 173, 179–
deutung 179–184 189
– radikale Auferstehungshoffnung – durch das Gedächtnis Gottes  9,
9, 179 184–189
Ausgangswahrscheinlichkeit (s. a. – durch Fortdauer der Seele  8 f.,
Wahrscheinlichkeit)  4, 69–72, 74, 167 f., 173, 179 f., 183 f., 188
76, 86–89 – durch materielle Identität  180–182,
184
Bewusstsein (s. a. Geist, mentale – durch materielle und kausale
Zustände, Selbstbewusstsein)  10, Kontinuität 182–184
45, 50, 108, 148, 152, 178, 197–199, – Eineindeutigkeitsprinzip 188
202, 204–209, 211, 213 f. – Intrinsitätsprinzip 188
Big Bang s. Urknall – Lockes These  187
242 Sachregister

– Verdopplungseinwand  9, 181, 187– Evolution, Evolutionstheorie (s. a.


189 Viele-Welten-Hypothese)  84, 137,
Dualismus (s. a. Parallelismus) 148, 159
– epiphänomenalistischer  7 f., 147– – Mutation  77, 137, 141
149, 155 f., 159 f., 165 – Selektion  77, 84, 137, 148
– externer 119–121 Ewigkeit der Welt (s. a. Vergangen-
– interaktionistischer  7, 147–149, heit, Welt)  2, 20 f., 25
155 f., 160, 164, 178 Existenz
– interner  119 f. – als Vollkommenheit/als reales
– modallogisches Argument für den Prädikat  3, 39–41, 51–53, 55–57,
150–152 59 f., 62, 66
– parallelistischer 156 – durchgängige Bestimmung jedes
– Substanzdualismus  177 f. Existierenden 200
– Existenz mentaler Zustände  147,
Elementarteilchen  4, 68, 73, 76, 80 159
Empfindung  200 f. – Existenz und Begriff  3, 5, 39–41,
Endgültige physikalische Theorie 43–45, 48, 52 f., 57–59, 63, 66, 89
(s. a. Planungshypothese, Viele- – Existenz von Übeln  117 f., 121,
Welten-Hypothese)  4, 67, 72–76, 127 f.
85 – Existenzlücke 26
– Ausgangswahrscheinlichkeit – Existenzursache  2, 17, 27–29, 31,
der  74 f. 33–35, 38, 40, 66
– Erklärungsbedürftigkeit der  4, – Existenzweise Gottes  45, 88
74 f. – existieren können als Vermögen  62
– Erklärungskraft der  4, 73 – Kants Existenzverständnis  3 f., 39,
– logische Kontingenz der  74 57–59, 66
Endliches  204 f., 207 – Unterscheidung zwischen gedach­
Energieerhaltungsgesetze  148 f. ter und wirklicher Existenz  48 f.,
Ens necessarium (s. a. Existenz, 52 f.
notwendig Existierendes)  39–41 Existenzstreben der Wesenheiten/
Epiphänomenalismus s. Dualismus Möglichkeiten (s. a. Möglichkeit)
Erinnerung Gottes (s. a. diachrone 3, 41, 62–66
personale Identität, Gedächtnis – als Interpretation des Schöpfungs-
Gottes)  184 f., 187–189 glaubens 65
Erkenntnisgrenzen  136, 140 – aufgrund des Gutseins  3, 63
Erklärungsbedürftigkeit  68, 71 f., 86 – im Grad des Gutseins  3, 41, 62–64,
Erklärungsgeschlossenheit des 66
Physischen  7, 149, 154 f., 159 f., 164, Exklusivismus, religionstheolo-
178 gischer  9, 192, 194 f., 208 f.
Erklärungslücke  81, 158 f., 162 Expansion des Universums  18 f., 77–
Erklärungsrelevanz des Mentalen  7, 80, 84, 86
149, 154 f., 160, 165 Explanatorische Irreduzibilität des
Eschatologie  8, 174, 178 Mentalen  7, 160, 166
Sachregister 243
Farbempfindung 157 – Konzept der Akteurskausalität
Feinabstimmung  4, 6, 68–72, 79, 82– 100–103
85, 142 – Theorien teleologischer Intelligibi-
– Ausgangswahrscheinlichkeit lität 101–103
der  4, 69 f. Fremdbestimmung (s. a. Freiheit)  5 f.,
– der Differenz zwischen Protonen- 99, 101, 103–105, 107, 109
und Neutronenmasse  69 – als äußerer Zwang  5, 103 f.
– der elektromagnetischen und – als innerer Zwang  5, 104 f.
starken Wechselwirkung  68 – als verdeckte Fremdbestimmung  5,
– der kosmologischen Konstante  69 105
– der schwachen Wechselwirkung  69 Fundamentale Theorie (s. a. Pla-
– Erklärungsbedürftigkeit der  4, nungshypothese, Viele-Welten-
70–72 Hypothese)  74–76, 85–87
– Feinabstimmung zweiter Ordnung – als Grundlage der Viele-Welten-
4 Hypothese  75, 85–87
– kein Beleg für die unübertreffliche – Ausgangswahrscheinlichkeit
Güte der Welt  142 einer  86 f.
Felix Culpa  129 – erklärt durch Planungshypothese
Free-Will-Defense s. Theodizee 85–87
Freiheit, göttliche  93, 110 f., 130 f., – Erklärungsbedürftigkeit einer  86 f.
209 – logische Kontingenz einer  86 f.
Freiheit, menschliche (s. a. Determi- Funktionalismus (s. a. Physikalismus)
nismus, Freiheitstheorien, Impos- 154
sibilismus, Prinzip alternativer
Möglichkeiten, Theodizee, Verant- Ganztodtheorie  168, 176–181
wortung)  1, 5 f., 8, 93–115, 123 f., Gedächtnis Gottes (s. a. diachrone
129, 134, 139, 165 personale Identität, Erinnerung
– als Harmonie des Subjekts mit Gottes)
seinen handlungswirksamen – als Bedingung der Wahrheitsfähig-
Gründen 105 keit von Aussagen über die
– als Selbstbestimmung  5, 99, 100– Vergangenheit  9, 186
103, 105, 107, 109 f., 123 f. – als Stiftung diachroner personaler
– Freiheitsmissbrauch  123, 129 Identität  9, 184–189
– unterschieden von Zufall und Gefühl schlechthinniger Abhängig-
Fremdbestimmung  5, 93, 99–105 keit 207
– Verhältnis zum Determinismus  5, Gehirn, Gehirnforschung Gehirn-
93 f., 99 f., 103, 106 prozess, Gehirnzustand (s. a.
Freiheitstheorien, kompatibilis- Neurowissenschaften)  93, 97, 139,
tische  5 f., 93, 104 f., 134 148, 150–152, 155 f., 159 f., 162, 182
– klassischer Kompatibilismus  104 Geist (s. a. Bewusstsein, Gott,
– Luthers Kompatibilismus  112 Selbstbewusstsein, Trinität)
– moderner Kompatibilismus  104 f. – absoluter/göttlicher  10, 111 f., 186,
Freiheitstheorien, libertarische  99– 188 f., 205–209, 211, 213
103, 115 – Begriff des  10, 205–209, 213
244 Sachregister

– endlicher/menschlicher  10, 148, – theistischer  6 f., 122, 124, 127–131,


175 f., 206, 208, 211, 213 133 f., 136–140, 143 f.
– Geistleib  174, 183 – Wesen Gottes  50, 59 f., 64 f.
– Geistseele  168, 171 – würfelnder 36
Gemeinde  206 f., 211 Götter  44, 87–89, 191, 196, 198–200,
Genius malignus  182 210 f.
Gesetze  32, 70, 73, 94, 114 f., 120, Gottesliebe 199
133–135, 137–143, 148 f., 186, 199 Götzenkritik 44
– Substitution von Gesetzen  133 f., Gravitation  18 f., 68, 73, 77 f., 85–87
140–142 Grund (s. a. Satz vom zureichenden
– Suspension von Gesetzen  133 f., Grund)
137–139 – der Welt  1, 4, 31 f., 34, 38, 119, 211
Gewissen 107 – des Kontingenten  2 f., 28, 31 f.,
Glaube 40 f., 66, 211
– Glaube und Einsicht/Vernunft  15, – des notwendig Existierenden  3, 32,
42, 46 f., 49, 171, 196, 198, 203 66
– Glaubenszirkel 199 – des Wirklichen überhaupt  1, 3,
– Schöpfungsglaube  15, 42, 65, 115, 60 f., 63–66
125 – moralisch hinreichender  6, 122,
Glaubwürdigkeit religiöser Erfah- 124, 127, 133
rung  196, 198, 202 f. Grundkräfte  4, 68, 73
Gnade  93, 113 Güte Gottes  57, 88, 117, 119–122,
Gnosis, Gnostizismus  120, 125 127, 130 f.
Gott (s. a. Allmacht Gottes, Allwis-
senheit, Geist, Güte Gottes, Heil  93, 120, 144, 192
Schöpfer, Trinität, Zukunftswissen Hinduismus (s. a. Religion, Reli­
Gottes) gionen)  193–195, 201
– als etwas, über dem nichts Hintergrundwissen 89
Größeres gedacht werden kann Hiobbuch  117, 119–121
44–48, 50, 202 Höchstes Gut s. summum bonum
– als Grund für das Möglichsein des Hoffnung (s. a. Auferstehung)  7, 9,
Möglichen 64 173 f., 179, 186, 189
– als Grund für das Wirklichsein des
Wirklichen 64 Identität (s. a. diachrone personale
– als höchst vollkommenes Wesen  3, Identität, nicht-physikalistische
39, 41, 51, 53–56, 62, 64, 89, 94 Identitätstheorie, Physikalismus)
– Denkbarkeit Gottes  44, 50–56 83, 156, 161 f.
– Deus absconditus  120 Identitätsaussagen  150, 153, 157, 161
– Deus revelatus  120 Identitätstheorie s. nicht-physikalis-
– dreieiniger  196, 211 tische Identitätstheorie, Physikalis­
– inkarnierter 193 mus
– leidender 121 Impossibilismus (s. a. Freiheit,
– Name Gottes  47, 49 Freiheitstheorien)  103, 110 f., 113
Sachregister 245
Individueller Charakter Kontingentes, kontingente Dinge
– als Bedingung der Selbstbestim- (s. a. Grund)  2 f., 24, 27, 31–35, 41,
mung  5, 8, 105, 111, 123 66
– Definition  105 f. Korintherbriefe  174 f., 179, 183, 187
– kein möglicher Gegenstand der Körper (s. a. Leib, Leib-Seele-Pro-
Selbstbestimmung  5 f., 107–110, blem, Seele)  7 f., 140, 163, 165, 167–
112–114 169, 171 f., 175–178, 180–184
– objektive Unhintergehbarkeit des Kosmologie  19 f., 79, 128, 142
Selbst  6, 114 f. Kosmologische Konstante  69, 73
– subjektive Unhintergehbarkeit des Kosmologisches Argument  2–4, 15 f.,
Selbst  6, 114 42
Inferiorismus, religionstheolo- – deduktive Versionen  16
gischer  193 f. – induktive Versionen  16
Inflationstheorie  19, 77, 79–81, 85 f. – Kalam-Version  2, 16–23
Informationstheorie 162 – Leibniz-Version  2, 31–41
Inklusivismus, religionstheologi­ – Thomas-Version  2, 23–31
scher  10, 191–195, 202–204, 211– – Verhältnis zum ontologischen
213 Argument  15, 39, 66
– christlicher 211 Kulturen  203, 213
– dogmatischer  10, 211
– kritischer  10, 202–204, 211 Leben  4, 9, 61, 68–71, 73–75, 77 f.,
Inkompatibilismus (s. a. Freiheit, 84–88
Freiheitstheorien)  5 f., 93 f., 98 f., Leib (s. a. Körper, Leib-Seele-
107 Problem, Seele)  8, 162 f., 165–170,
Intelligible Tat  108 f., 114 173 f., 176–184
Interaktionismus s. Dualismus Leib-Seele-Problem (s. a. Dualismus,
Islam (s. a. Religion, Religionen)  126, Körper, Leib, nicht-physikalisti-
212 sche Identitätstheorie, Physikalis-
mus, Seele)  7–9, 147, 149, 153–155,
Jahwe  125, 196, 214 159 f., 164, 179
Jenseits  202, 204 f., 207 Leichnam  182 f.
Jesusüberlieferung 176 Lukasevangelium  175, 177
Johannesoffenbarung 175 Lust  140 f., 174, 177
Judentum (s. a. Religion, Religionen)
195, 210 f. Malum (s. a. Übel)  117, 124
Jüngster Tag  8, 168 f., 180–184, 188 f. Manichäismus  45, 120 f.
Manifestation, authentische  198–200
Kabbala 120 Materialismus (s. a. Physikalismus)
Kausalprinzip (s. a. Satz vom 8, 147, 158 f., 162, 184
zureichenden Grund)  15–17, 25 Mathematik  26, 51
Kausalreihe, Kausalkette  28–31 Menge  26 f., 30, 38 f., 68, 128, 131
Konsequenzargument (s. a. Freiheit, Mentale Zustände (s. a. Bewusstsein,
Freiheitstheorien) 94–98 Erklärungsrelevanz des Mentalen,
246 Sachregister

explanatorische Irreduzibilität des No-Better-World-Defense s.


Mentalen, Seele) Theodizee
– evolutionstheoretische Erklärung Notwendig Existierendes/Seiendes
mentaler Zustände  148, 159 (s. a. ens necessarium, Existenz)  3,
– im Verhältnis zu funktionalen 23–25, 27 f., 32 f., 39–41, 45 f., 64–
Zuständen  7, 154 66
– im Verhältnis zu physischen
Zuständen  7 f., 147–149, 153–166 Objektiver Idealismus  160
– kausale Rollen mentaler Zustände Ockham’s Razor  76, 79 f.
157 f. Offenbarung, Offenbarungstheo­
– multiple Realisierung mentaler logie  25, 46 f., 49
Zustände  153, 161 Ontologisches Argument  3 f., 15,
– qualitativer/subjektiver Charakter 39 f., 43–66
mentaler Zustände  157–159, 162 – Einwand gegen die Denkbarkeit
– Zuschreibung mentaler Zustände Gottes  3, 44, 50–56
152 f. – Einwand Kants  3, 39 f., 44, 56–59,
Metaphysik  1–3, 48, 51, 136 62, 66
– Grundfrage der  1, 3, 63 – gültige Version  3, 44, 59–66
Mögliche Welten (s. a. Welt)  6, 52, 64, – klassische Version  3, 39, 44–46, 51,
76, 97, 115, 127–143, 150 f. 56, 59 f.
– Definition  128, 133 – logischer Einwand  3, 44, 47–49, 56
Mögliches  23, 58, 61–64 – offenbarungstheologische Lesart
Möglichkeit (s. a. Existenzstreben der 46 f.
Wesenheiten/Möglichkeiten, – Unterschiede der gültigen von der
Prinzip alternativer Möglichkeiten) klassischen Version  65 f.
– als Vermögen  61 f. – Vertreter und Kritiker  43
– als Widerspruchsfreiheit  61 f.
– objektive  151 f. Panpsychismus 164
Monismus  120, 201 Paradies 175
Multiversum (s. a. Viele-Welten- Parallelismus, epistemischer (s. a.
Hypothese)  77 f., 83 Dualismus)  8, 160, 163 f.
Mystik  47, 194 Parameterwerte (s. a. Feinabstim-
mung)  4, 68–78, 80–85, 87–89,
Nächstenliebe 199 140, 142 f.
Naturalismus  76, 192, 195 f., 203 – Ausgangswahrscheinlichkeit der
Naturwissenschaft  163 f. 4, 69 f.
Negative Theologie  50 – Erklärungsbedürftigkeit der  4,
Neurowissenschaften (s. a. Ge- 70–72
hirn)  162, 164 – experimentell festgestellt  68 f., 73 f.
Newtonsche Mechanik  74, 86 Paulusbriefe 174
Nicht-physikalistische Identitätsthe- Person, personale Merkmale, perso-
orie (s. a. Leib-Seele-Problem)  8, nale Zustände (s. a. diachrone per-
160 f. sonale Identität)  5 f., 8 f., 93, 105–
Sachregister 247
109, 114 f., 135, 161, 163, 166, 173, – logische/grammatische  57 f.
179, 180–183, 186–189, 197 – reale/semantische  39–41, 57–59, 66
– Begriff der  8 f., 163, 181, 188 Präferenzen 136
– Einmaligkeit der  9, 189 Priesterbetrug 208
Perspektive der dritten Person  8, 163 Prinzip alternativer Möglichkeiten
Perspektive der ersten Person  8, 163 (s. a. Determinismus, Freiheit,
Perzeption  156, 177 Freiheitstheorien)
Philipperbrief 174 – alternative Möglichkeiten als
Philosophie des Geistes  7, 147, 160, notwendige Bedingung der
164 Freiheit  5, 98 f., 103, 106
Physica triumphans s. endgültige – enge Lesart des  5, 99–103, 106
physikalische Theorie – Frankfurts Kritik und Kritik an
Physikalismus (s. a. nicht-physikalis- Frankfurt  97 f., 106
tische Identitätstheorie)  7, 147, – in Bezug auf den individuellen
153–155, 160 Charakter  107 f.
– eliminativer Materialismus  8, 147, – konditionale Deutung des  5, 106
159 Psychologie 163
– Funktionalismus 154
– Identitätstheorie  8, 153–162, 165 f. Qualität (s. a. Vollkommenheiten)
– Tokenidentitätstheorie  154, 161 54 f.
– Typenidentitätstheorie  153 f., 156 Quantenmechanik  74, 85, 140
Planungshypothese  4, 67, 72, 85–90 – Kopenhagener Deutung  36, 78 f.,
– als Erklärung der endgültigen 84
physikalischen Theorie  75 – Quantenmechanik und Freiheit  99
– als Erklärung der Feinabstimmung – Viele-Welten-Deutung  36, 77–79,
4, 72, 85 83–85, 99
– als Erklärung der Feinabstimmung
zweiter Ordnung  4 Rationale Theologie  46, 49
– als Erklärung einer fundamentalen Reduktion, Reduktionismus  157 f.,
Theorie 85–87 166
– Ausgangswahrscheinlichkeit der Reinkarnationsglaube 178
verschiedenen Versionen  88 f. Relativitätstheorie  18, 22, 27
– Erklärungskraft der verschiedenen Religion (s. a. Buddhismus, Christen-
Versionen 88 tum, Hinduismus, Islam, Juden-
– Unbestimmtheit der  4, 88 f. tum, Schintoismus, Taoismus)  9 f.,
– Unvermeidlichkeit der  4, 85–88 191–196, 198, 203–214
Platonismus  167, 170 – ägyptische  203, 210, 213
Pluralismus, religionstheologischer – babylonisch-assyrische 212
10, 191–202, 204, 207–209, 211, – Begriff der  10, 204–209, 211–213
213 f. – chinesische  203, 210
Positive Philosophie  5, 89 – griechische  210 f., 214
Prädestination  93, 120 – indische  203, 210
Prädikate  37, 39–41, 57–60, 62, 66, – persische 210
153, 163, 200 – römische 210
248 Sachregister

– syrische 210 Schöpfungsglaube s. Glaube


– vollendete  211 f., 214 Schwarze Löcher  84 f., 87
Religionen  1, 9 f., 191–203, 205, 208– Schwerkraft s. Gravitation
214 Seele, seelische Zustände (s. a.
– abrahamitische  42, 195 Bewusstsein, diachrone personale
– als Gestalten des absoluten Geistes Identität, Ganztodtheorie, Geist,
208 f., 211 Leib-Seele-Problem, mentale Zu-
– außerchristliche 209–211 stände)
– Geschichte der  10, 208–210, 212 f. – Abtrennbarkeit vom Körper  8,
– Gleichwertigkeit der  201 f., 214 167 f., 172, 175–178, 184
– innere Entwicklung der  212 f. – Einzelseele  172, 178
– Kriterium der Bewertung der – Geistseele  168, 171
198 f., 212 – im Verhältnis zum Körper/zu
– Selbstverständnis der  193 f., 209 körperlichen Zuständen  1, 7 f., 147,
– Vielheit der  10, 196, 198, 203, 212 f. 162 f., 166, 170, 172 f., 178
– Wahrheitsansprüche der  9 f., 192, – Präexistenz der  172
194–196, 209 – Seelenschlaf  82, 169 f., 177
Religionsphilosophie  16 f., 94, 96, – Seelensubstanz  170, 177 f.
123, 203, 207–209, 212 – Unsterblichkeit der  8 f., 27, 167–
Religionstheologie (s. a. Exklusivis- 174, 176–180, 183–185, 187–189
mus, Inklusivismus, Pluralismus) – Wiedervereinigung mit dem
191 f., 195, 202–204, 207–209, 213 f. Körper  8, 168, 173, 175
Römerbrief 174 – Wiederverkörperung der  173
Rotverschiebung 18 – Zwischenzustand der  8, 168 f.,
173 f.
Sadduzäer 190 Sein  3, 41, 45, 56 f., 64, 66, 120
Satan  112, 119, 121 – als intensive Größe  45
Satz vom zureichenden Grund (s. a. – Erkennbarkeit des Seins  40
Grund)  2, 15 f., 22, 28, 31 f., 35–38, Selbst s. individueller Charakter
40 f., 60, 65 f., 128 f. Selbstbestimmung s. Freiheit
– als Prinzip unseres Vernunftge- Selbstbewusstsein (s. a. Bewusstsein,
brauchs  2, 36 f. Geist, mentale Zustände)  178, 206,
– Anwendbarkeit auf das Ganze  38 213
– apriorische Rechtfertigung  37 Selbstzentriertheit  198 f.
– empirische Rechtfertigung  2, 37 Seligmachende Schau  169
Schintoismus (s. a. Religion, Religi- Shunyata 196
onen) 212 Singularität s. Anfangssingularität
Schluss vom Sollen auf das Können Sittliche Vollkommenheit  130
109, 112 f. Soul-Making-Theodicy s. Theodizee
Schmerz (s. a. Übel)  117 f., 140 f., Sprachspielrelativismus 55
150–154, 157–159, 161, 164 Standardmodell der christlichen
Scholastik  2, 17 Eschatologie  8, 168, 170–172, 174–
Schöpfer  15, 20, 42, 116, 121, 129, 179, 182–184, 187, 189
131, 191, 200, 211
Sachregister 249
Standardmodell der Elementarteil- – Ganztodtheorie  168, 176–180
chenphysik  73 f. – Tod am Kreuz  176
String-Theorie  73 f. – Todesstunde 175
Subjekt, endliches  201 f., 208, 210 Transzendente Wirklichkeit an
Substanz, Substanzkategorie  8, 110, sich  10, 197–201, 204, 207, 213
152, 170, 172, 177 f., 197, 210 – als unendlich  197, 202
Summum bonum  3, 66, 126, 135 – unterschieden vom endlichen
Subjekt  201, 204
Taoismus (s. a. Religion, Religionen) Trinität, Trinitätslehre (s. a. Geist,
195 Gott)  193, 211, 214
Teleologisches Argument  4, 15, 67, Tristram-Shandy-Paradoxie 21
76, 86, 143
– im Ausgang von Einzelbefunden Übel (s. a. Schmerz, Tod, Verhinde-
4, 89 rung von Übeln, Zulassung von
– umfassende Version des  4, 89 Übeln)  1, 5–7, 91, 116–118, 121–
– unbestimmtes Ergebnis des  4, 88 f. 124, 127–129, 131–134, 137–142, 144
Theismus  7, 116, 119, 128, 134, 136, – als Bedingung der unübertreff-
202 lichen Güte der Welt  126 f.
– Alternativen zum Theismus  119– – Arten von Übeln  1, 117
121, 128 – Erkenntnis-Übel 118
– Theismuskritik  116–118, 121 f., – Krankheit 132
134, 136–141, 143 – Leiden  117, 119, 121, 123, 134,
– theistische Traditionen  197 136 f., 144
Theodizee – Leugnung von Übeln  118
– Free-Will-Defense  5 f., 123 f., 134 – Missverhältnis zwischen Handeln
– No-Better-World-Defense  6, 116, und Widerfahren  117, 119 f.
124, 127–133, 144 – moralisch Böses  104, 112 f., 117 f.,
– Soul-Making-Theodicy 196 123–125, 134 f., 144, 197, 200
Theodizeeproblem  5–7, 116–144, 196 – Unglück  121, 132 f., 135
– empirisches  6 f., 116, 133–144 Unendliche, das  10, 62, 202, 204–
– logisches  6 f., 116 f., 123–133 210, 213 f.
Theologie  16 f., 23, 43, 46, 49 f., 55, – aktuell Unendliches  2, 21 f., 26
120 f., 144, 167 f., 170, 172–174, 176, – als absoluter Geist  205–209, 213
180, 184 f., 187, 200, 203, 207 – als dreieiniger Gott  211
Theory of Everything s. endgültige – als erhabener Herr  210 f.
physikalische Theorie – als freie Subjektivität  210
Thermodynamik  27, 149 – als substantielle Macht  210, 214
Tod (s. a. Übel)  1, 7–9, 137, 167–170, – als Vielheit von Göttern  210
172–177, 179 f., 182–186, 188 f. Unendliche Reihe  2, 20, 27–35
– als Ende des ganzen Menschen  9, Unendlicher Regress  2, 5, 23, 28, 109
167, 176, 178 f., 184 f. – bei notwendigen Dingen  23, 27–29
– als Gericht  177 – bei Wirkursachen  23, 28
– als Trennung der Seele vom Unmöglichkeit, objektive  151
Körper  8, 167 f., 172 f., 175 f., 184 Unsterblichkeit s. Seele
250 Sachregister

Unsterblichkeitsbeweise (s. a. Seele) – als Erklärung einer fundamentalen


170 f. Theorie  86 f.
Unsterblichkeitslehre (s. a. Seele)  167, – evolutionäre Version  77, 83–86
169, 172–174, 176–178, 185 – Formen bei Hume  76 f., 84
Unvergängliche Dinge  27–29 – Grundgedanke der  77
Urknall, Urknalltheorie  18 f., 77–80, – Hacking-Einwand  81, 83 f.
82–84 – inflationäre Version  77, 79–83,
Urmaterie  27 f., 31 85 f.
– metaphysische Versionen  76
Verantwortung  93, 104 f., 107–115, – Oszillationsmodell  77 f., 81 f., 85
121, 131 – Viele-Welten-Deutung der
Vergangenheit (s. a. Zeit)  6, 25 f., Quantenmechanik  36, 77–79, 83–
94 f., 97, 106, 114, 181 85, 99
– Aussagen über die  9, 186 – Viele-Welten-Hypothese zweiter
– endliche Vergangenheit der Welt  2, Ordnung  86 f.
16–22, 25 Vollkommenheiten (s. a. Existenz,
– Präsenz der  186 f. Qualität)  3, 39, 41, 51–56, 64 f.,
– unendliche Vergangenheit der Welt 125 f., 130
(s. a. Ewigkeit der Welt)  2, 16–22, – Definition von Vollkommenheit
25 f., 32 54
– weiche und harte Vergangenheit – Vereinbarkeit der  51–55
96 f. Voluntarismus  120, 131
Vergängliches, vergängliche Dinge Vorstellbarkeit einer Nichtidentität
24–28, 31 (s. a. Identitätsaussagen)  151 f.
Verhinderung von Übeln (s. a. Übel,
Zulassung von Übeln)  6 f., 94, 117, Wahrheit  10, 42, 46, 58, 159, 186, 191,
121–124, 126 f., 133, 144 211, 214
– durch Substitution von Gesetzen – analytische Wahrheitstheorie  37
133 f., 140–142 – Wahrheitsansprüche der Religi-
– durch Substitution von Parameter- onen  9 f., 192–196, 209
werten 142 – Wahrheitsfähigkeit von Aussagen
– durch Suspension von Gesetzen 9, 186
133 f., 137–140 Wahrscheinlichkeit (s. a. Ausgangs-
Vernunft  1 f., 5, 15, 21, 36 f., 40, 46, wahrscheinlichkeit)  26, 75, 78, 80–
56, 76, 87, 89, 93, 126, 165, 169 f., 82, 84, 142
208 Wärme  45, 150–152, 177
Viele-Welten-Hypothese (s. a. fun- Wellenfunktion 78
damentale Theorie, Planungshypo- Welt (s. a. Ewigkeit der Welt, mögli-
these)  67, 72, 76–85, 87, 143 che Welten, Vergangenheit, Viele-
– als Erklärung der Feinabstim- Welten-Hypothese)  1, 5–7, 15–17,
mung  4, 76–78, 80–84 21 f., 25 f., 33, 37 f., 41 f., 52, 64 f., 69,
– als Erklärung einer endgültigen 76, 87–89, 93, 95, 97, 99, 103, 110,
physikalischen Theorie  75 f. 114–119, 123–143, 147–149, 153–
Sachregister 251
155, 160, 162, 164, 174 f., 178, 191, – unübertrefflich gute  6 f., 124–134,
196, 200, 202–206, 210 136 f., 139 f., 142 f.
– als abstrakte oder konkrete Enti- – Weltzustände  6, 20, 32, 94–96,
tät  38 f. 114 f., 129
– bestmögliche  125 f., 128, 130–132 Wunder  133, 136–140
– Definition  2, 31, 34, 128
– Erkennbarkeit der  37, 40, 137 Zahlen  21, 26, 30, 38, 68
– gesetzlich bestimmte  73, 134, 137– Zeit (s. a. Vergangenheit)  20–23, 25 f.,
139 29, 95 f., 175, 186
– Grund ihres Daseins  1, 4, 31 f., 34, Zufall  93, 99–103, 106, 110
38 Zufälliges s. Kontingentes
– Grund ihres Soseins  1, 4, 31 f. Zukunftswissen Gottes  95–99, 103,
– Kriterien der Weltbewertung  7, 106
134–136, 138, 142 f. – bedingt durch Determinismus  95–
– Mehrdeutigkeit der  196, 203 97
– Möglichkeit einer besseren – Verhältnis zur menschlichen
Welt  6 f., 126 f., 132–143 Freiheit 94–98
– Notwendigkeit der  130 – Vorherwissen Gottes  93–97
– optimistische Weltdeutung  124– – zeitloses  95 f.
126 Zulassung von Übeln (s. a. Übel,
– Selbstaktualisierung der  62, 64 Verhinderung von Übeln)  6, 122–
– übelfreie  6, 125, 132 f., 137 124, 127, 129, 133

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