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HUMPERDINCK

HÄNSEL UND GRETEL


SUNGTEXT

1. Vorspiel GRETEL GRETEL


Erstes Bild: Daheim Still, Hänsel, denk daran, was Vater sagt, 3. So recht! Und willst du nun nicht mehr
Kleine, dürftige Stube. Im Hinrergrund eine wenn Mutter manchmal so verzagt: klagen,
niedrige Tür,daneben ein kleines Fenster “Wenn die Not aufs höchste steigt, so will ich dir auch ein Geheimnis sagen!
mit Aussicht in den Wald. Links ein Herd mit Gott der Herr die Hand euch reicht!”
einem Rauchfang darüber. An den Wänden HÄNSEL
hängen Besen in verschiedenen Größen. HÄNSEL Ein Geheimnis? Wird wohl was Rechtes
Jaowhl, das klingt recht schön und glatt, sein!
Erste Szene aber leider wird man Davon nicht satt!
Hänsel, an der Tür mit Besenbinden, Grelel Ach, Gretel, wi lang ist’s doch schon her, GRETEL
am Herd mit Strumpfstricken beschäftigt, daß wir nichts Gut’s geschmauset mehr? Ja, hör nur, Brüderchen, darfst dich schon
sitzen einander gegenüber. Eierfladen und Butterwecken, freun!
kaum weiß ich noch, wie die tun Guck hier in den Topf: Milch ist darin,
GRETEL schmecken. die schenkte uns heute die Nachbarin.
2. Suse, liebe Suse, was raschelt im Stroh? dem Weinen nahe Die Mutter kocht uns, kehrt sie nach Haus,
Die Gänse gehen barfuß und haben kein' Ach, Gretel, ich wollt’… gewiß einen leckeren Reisbrei daraus!
Schuh'!
Der Schuster hat's Leder, kein' Leisten GRETEL HÄNSEL
dazu, halt ihm den Mund zu Reisbrei! Hei!
drum kann er den Gänslein auch machen Still! Nicht verdrießlich sein! tanzt im Zimmer umher
kein'... Gedulde dich fein, sieh freundlich drein! Reisbrei, Reisbrei, herrlicher Brei!
Dies lange Gesicht – hu, welcher Graus! Gibt’s Reisbrei, da ist Hänsel dabei!
HÄNSEL Siehst ja wie der leibhaftige Griesgram aus! Wie dick ist der Rahm auf der Milch, laß
unterbrechend Sie nimmt einen Besen zur Hand. schmecken!
Ei, so geh’n sie halt berfuß! Griesgram, hinaus, fort aus dem Haus! er leckt den Rahm vom Finger.
Ich will dich lehren, Herrjemine, den möcht’ ich ganz
GRETEL Herz zu beschweren, verschlecken!
fortfahrend Sorgen zu mehren,
…Schuh! Freuden zu wehren! GRETEL
Griesgram, Griesgram, Wie, Hänsel, naschen? Schämst du dich
HÄNSEL greulicher Wicht, nicht?
Eia popeia, das ist eine Not! griesiges, grämiges, Galgengesicht! Sie gibt ihm eins auf die Finger und stellt
Wer schenkt mir einen Dreier für Zucker Packe dich, trolle dich, schäbiger Wicht! den Topf auf den Tisch.
und Brot? Fort mit den Fingern, du naschhafter
Verkauf ich mein Bettlein un leg’ mich aufs HÄNSEL Wicht!
Stroh, faßt mit an den Besen Und jetzt an die Arbeit zurück, geschwind,
sticht mich keine Feder und beißt mich Griesgram, hinaus… daß wir beizetien fertig sind!
kein… Kommt Mutter heim, und wir taten nicht
GRETEL recht,
GRETEL Griesgram, hinaus! dann weißt du, geht’s den Faulpelzen
unterbrechend Fort aus dem Haus! schlecht!
Ei, wie beißt mich den Hunger! Knurrt auch der Magen,
werd’nicht verzagen HÄNSEL
HÄNSEL nicht darnach fragen, Arbeiten? Wo denkst du hin,
…Floh! schnell dich verjagen! danach steht mir nicht der Sinn.
wirft seine Arbeit fort und steht auf Immer mich plagen! Fällt mir nicht ein,
Ach, käm’doch die Mutter nun endlich HÄNSEL jetzt laß uns tanzen und fröhlich sein.
nach Haus! …halt’s nicht mehr aus!
Immer mich plagen, GRETEL
GRETEL Hungertuch benagen, Tanzen! Tanzen! Das war’ auch mir eine
erhebt sich muß ja verzagen, Lust!
Ach ja, auch ich halt’s kaum noch vor kann’s nicht ertragen! Dazu ein Liedchen aus voller Brust!
Hunger aus! Was uns die Muhme gelehrt zu singen:
BEIDE Tanzliedchen soll jetzt lustig erklingen!
HÄNSEL Griesgram, Griesgram, greulicher Wicht, klatscht in die Hände.
Seit Wochen nichts als trocken Brot: griesiges, grämiges Galgengesicht! 4. Brüderchen, komm, tanz mit mir,
ist das ein Elend, potz schwere Not! Packe dich, trolle dich, schäbiger Wicht! beide Händchen reich’ ich dir,

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einmal hin, einmal her, HÄNSEL MUTTER


rund herum, es ist nicht schwer! Geh weg von mir, geh weg von mir, Was ist das für eine Geschichte!
ich bin der stolze Hans!
HÄNSEL Mit kleinen Mädchen tanz’ ich nicht, GRETEL
versucht’s, jedoch ungeschickt das ist mir viel zu dumm! Der Hänsel…
Tanzen sol lich armer Wicht,
Schwesterchen, und kann es nicht; GRETEL HÄNSEL
darum zeig mir, wie es Brauch, Geh, stolzer Hans, geh, dummer Hans, Der Gretel…
daß ich tanzen lerne auch! ich krieg’ dich doch herum!
Tra la la, la la la, GRETEL
GRETEL tra la la, la la la, …er wollte…
Mit den Füßchen tapp tapp tapp, Drehe dich herum, mein lieber Hänsel,
mit den Hänchen klapp klapp klapp, dreh dich doch herum, mein lieber Hans! HÄNSEL
einmal hin, einmal her, …ich sollte…
rund herum, es ist nicht schwer! HÄNSEL
Ach, Schwesterlein, ach Gretelein, MUTTER
HÄNSEL du hast im Strumpf ein Loch! tritt ein, schnallt ihre Kiepe ab und setzt sie
Mit den Füßchen tapp tapp tapp, nieder.
mit den Hänchen klapp klapp klapp, GRETEL Wartet, ihr ungesogenden Wichte!
einmal hin, einmal her, Ach, Brüderlein, ach, Hänselein, Nennt ihr das Arbeit, johlen und singen?
‘rum, es ist nicht schwer! du willst mich hänseln noch? Wie auf der Kirmes tanzen und springen?
Mit bösen Buben tanz’ ich nicht, Indes die Eltern vom frühen Morgen
GRETEL das wär’ mir viel zu dumm! bis in die Nacht sich mühen und sorgen.
Ei, das hast du gut gemacht! gibt Hänsel einen stoß
Ei, das hätt’ ich nicht gedacht! HÄNSEL Daß Dich! Laßt sehn, was habt ihr
Seht mir doch den Hänsel an, Nicht böse sein, lieb’ Schwesterlein, beschickt?
wie der tanzen lernen kann! ich krieg’ dich doch herum! Wie Gretel? Den Strumpf nicht fertig
Mit dem Köpfchen nick nick nick, gestrickt?
mit den Fingerchen tick tick tick, GRETEL dann HÄNSEL Und du, du Schlingel, in all den Stunden
einmal hin, einmal her, Tra la la, tra la la, nicht mal die wenigen Besen gebunden?
rund herum, es ist nicht schwer! drehe dich herum, mein lieber Hänsel, Ihr unnützes Volk, den Stock will ich holen
dreh dich doch herum, mein lieber Hans! und euch den Faulpelz weidlich versohlen!
HÄNSEL Tanz lustig, heßa! Lustig tanz, In ihrem Eifer, die Kinder zu fangen, stößt
Mit dem Köpfchen nick nick nick, laß dich’s nicht gereun! sie dem Milchtopf vom Tisch, der klirrend
mit den Fingerchen tick tick tick, Und ist der Strumpf auch nicht mehr ganz… zu Boden fällt.
einmal hin, einmal her, die Mutter strickt dir’n neu’n! Jesses! Nun auch den Topf noch
‘rum, es ist nicht schwer! zerbrochen!
HÄNSEL weinend
GRETEL Tra la la, tra la la,… Was nun zum Abend kochen?
Brüderchen, nun gib mal acht, Sie betrachtet ihren mit Milch begossenen
was die Gretel weiter macht! GRETEL Rock.
Laß uns Arm in Arm verschränken, Drehe dich herum, mein lieber Hänsel! IHänsel kichert verstohlen.
unsre Schrittchen paarweis lenken! Was, Bengel, lachst mich noch aus?
Komm…! HÄNSEL Sie jagt Hänsel mit dem Stock. Er entwischt
faßt Hänsel unter den Arm Tra la la, tra la la! durch die Tür.
Wart! Kommt nur den Vater nach Haus!
HÄNSEL GRETEL mit plötzlicher Heftigkeit einen Korb von
Ich liebe Tanz und liebe Fröhlichkeit, Dreh dich doch herum, mein lieber Hänsel! der Wand reißend und ihn Gretel in die
bin nicht gern allein… Sie singen weiter, fassen sich an den Hand drückend
Händen und tanzen schneller und schneller 6. Marsch! Fort in den Wald!
GRETEL, dann HÄNSEL umher, bis sie das Gleichgewicht verlieren Dort sucht mir Erdbeeren! Wird es bald?
Ich bin kein Freund von Leid und und übereinanderfallen. Plötzlich geht die Sie treibt auch Gretel zur Stube hinaus und
Traurigkeit, Tür auf, und die Mutter tritt ein. droht den sich furchtsam umschauenden
und fröhlichw will ich sein! Kindern mit dem Stock.
Ich liebe Tanz und liebe Fröhlichkeit, Zweite Szene Und bringt ihr den Korb nicht voll bis zum
bin nicht gern allein… Die Kinder erblicken ihre Mutter und Rand,
Ich bin kein Freund von Leid und springen schnell vom Boden auf. so hau’ ich euch, daß ihr fliegt an die
Traurigkeit, Wand!
und fröhlich will ich sein! MUTTER Die Kinder laufen in den Wald. Die Mutter
mit einer Kiepe auf dem Rücken setzt sich erschöpft an den Tisch.
GRETEL 5. O Holla! Da liegt nun der gute Topf in scherben!
tanzt um Hänsel herum und gibt ihm einen Ja, blinder Eifer
Stoß HÄNSEL bringt immer verderben!
Tra la la, la la la, Himmel! Herrgott, wirf Geld herab!
Tra la la, la la la, Nichts hab’ ich zu leben,
Drehe dich herum, mein lieber Hänsel, GRETEL kein Krümchen den Würmern zu essen zu
dreh dich doch herum, mein lieber Hans! Die Mutter! geben!
Komm her zu mir, komm her zu mir, Kein Tröpfchen im Topfe, kein Krüstchen
zum Ringelreigentanz! HÄNSEL im Schrank,
Die Mutter! schon lange nur Wasser zum trank!
den Kopf in die Hand stützend

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Müde bin ich, müde zum Sterben! VATER BEIDE


Herrgott, wirf… Geld herab. Auch gut! …die Besenbinder!
Sie legt den kopf auf den Arm und schläft sich zu seinem Kober wendend Der Vater setzt die Kümmelplasche and den
ein. So ehn wir, wenn’s beliebt, Mund, halt jedoch plötzlich inne.
was er für heut’ zu schmausen gibt.
Dritter Szene VATER
MUTTER 9. Doch halt, wo bleiben die Kinder?
VATER Höchst einfach ist das Speisregister, Hänsel, Gretel, wo steckt der Hans?
Von fern der Abendschmaus, zum Henker ist er!
7. Ral la la la, ral la la la, Teller leer, Keller leer, MUTTER
heißa, Mutter, ich bin da! und im Beutel ist gar nichts mehr! Wo steckt er?
Ral la la la, ral la la la, verlegen die Achseln zuckend
bringe Glück und Gloria! VATER Ja, wüßte man’s!
etwas näher Ral la la la, ral la la la, Doch das weiß ich klar wie Tag,
Ach, wir armen, armen Leute! lustig Mutter, bin auch noch da, daß der Topf zu scherben brach.
Alle Tage so wie heute: bringe Glück und Gloria!
in dem Beutel ein großes Loch, Er nimmt den Kober und packt aus. VATER
und im Mage nein größ’res noch. Schau, Mutter, wie gefällt dir dies Futter? Was? Der neue Topf entzwei?
Ral la la la, ral la la la,
Hunger ist der bester Koch! MUTTER MUTTER
Ral la la la, ral la la la, Mann, Mann, was she’ ich? Speck und Und am Boden quoll der Brei!
Hunger ist der bester Koch! Butter,
Er betritt die Stube. Er trägt einen Kober Mehl und Würste… VATER
auf dem Rücken und ist sehr fröhlich. hilft ihm beim Auspacken Donnerkeil! So haben die Rangen
Ja, ihr Reichen könnt euch laben, …so viel Eier, wieder Unfug angefangen?
wir, die nicht zu essen haben, Mann, die sind jetzunder teuer!
nagen, ach, ganze Woch’, Bohnen, Zwiebeln, und …Herrje! MUTTER
sieben Tag’ an einem Knoch’! gar ein Viertelpfund Kaffee! Unfug viel und Arbeit keine
Ral la la la, ral la la la, Der Vater kehrt den kober vollends um; ein hatten sie getrieben hier alleine,
Hunger ist der bester Koch! Haufen Kartoffeln rollt auf die Erde. Dann hörte schon draußen sie johlen,
Ral la la la, ral la la la, faßt er die Mutter am Arm und tanzt mit ihr hopsen und springen wie wilde Fohlen,
Hunger ist der bester Koch! in der Stube umher. ja, da wußt’ ich nicht, wo mir stand der
setzt den Kober ab Kopf…
Ja, ja, der Hunger kocht schon gut, VATER
sofern er kommandieren tut; Ral la la la, ral la la la, VATER
allein, was nützt der Kommandeur, ral la la la la, hopsassa, Und vor Zorn…
fehlt euch im Topf die Zubehör? heute woll’n wir lustig sein!
Ral la la la, ral la la la, MUTTER
Kümmel ist mein Leiblokör! MUTER … und vor Zorn…
Ral la la la la, ral la la la la, Ral la la la…
Er schwankt tänzelnd zur schlafenden VATER, dann BEIDE lachend
Mutter und gibt ihr einen derben Schmatz. BEIDE …zerbracht der Topf!
Mutter, schau, was ich bescher’! Ral la la la, ral la la la la,
heute woll’n wir lustig sein! VATER
MUTTER Na, Zornmütterchen, nimm mir’s nicht
sich die Augen reibend VATER krumm:
Ho ho! Wer spek-spekta-kelt mir da im Ja, hör nur, Mütterchen, wie’s geschah! solche Zorntöpfe find’ ich recht dumm!
Haus… Er setzt sich, während die Mutter die Doch sag, wo mögen die Kinderchen sein?
und ra la la la-kelt aus dem Schlaf mich Eßwaren wegräumt, Feuer im Herd macht,
heraus? Eier in die Pfanne schlägt, usw. MUTTER
8. Drüben hinter’m Herrenwald, Meinethalben am Ilsenstein!
VATER da gibt’s prächt’ge Feste bald:
I wo! Das tolle Tier im Magen hier, Kirmes, Hochzeit, Jubiläum, VATER
das bellte so, das glaube mir! Böllergeknall und groß’Tedeum! entsetztI
Ral la la la, ral la la la. Mein Geschäft kommt nun zur Blüte, Am Ilsenstein! Ei, juckt dich das Fell?
Hunger ist ein Tolles Tier. dessen froh sei dein Gemüte! I einen Besen von der Wand holend
Ral la la la, ral la la la, Wer will feine Feste feiern,
beißt und kratzt, das glaube mir! der muß kehren, schrubben und scheuern; MUTTER
bot drum meine Waren aus Den Besen, den laß nur an seiner Stell’!
MUTTER zog damit von Haus zu Haus:
So, so! Das tolle Tier, es ist wohl schier “Kauft Besen! Kauft Besen! Gute Feger, VATER
stark angezecht, das glaube mir! feine Bürsten, Spinnejäger!” läßt den Besen fallen und ringt die Hände.
Sieh, da verkauft’ ich massenweise 10. Wenn sie sich verirrten im Walde dort,
VATER meine Waren zu dem höchsten Preise! in der Nacht ohne Stern’ und Mond!
Nun ja! ‘s war heut’ ein heiterer Tag, Schnell nun her mit Topf und Pfanne,
fandst du nicht auch, lieb’ Weib? her mit Schüssel, Kessel und Kanne, MUTTER
Er versucht sie zu küssen. Vivat hoch… O Himmel!

MUTTER MUTTER VATER


Ach, geh! Du weißt, nicht leiden mag ich Vivat hoch… Kennst du nicht den schauerlich düstern
Wirtshaus-Zeitvertreib! Ort,

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weiß nicht, daß die Böse dort wohnt? VATER andere Hand und läßt sich gleichsam
nimmt die Kümmelflasche vom Tisch. huldigend
MUTTER He, Alte, wart doch! Nimm mich mit! auf die Knie vor ihr nieder. in diesem
Die Böse? Wen meinst du? Wir wollen ja beide zum Hexenritt! Augenblick
ertönt der Ruf eines Kuckucks.
VATER 12. Hexenritt
Die Kusperhexe! Orchestervorspiel zum zweiten Bild HÄNSEL
15. Kuckuck, Kuckuck, Eierschluck!
MUTTER Zweites Bild: Im Wald
Die Knusperhexe? GRETEL
Der Vater nimmt den Besen wieder zur Erste Szene Kuckuck, kuckuck, Erbelschluck!
Hand. Tiefer Wald. Im Hintergrund der von Sie nimmt eine Beere aus dem Körbchen
Mein! Sag doch, was soll den der Besen? dichten Tannen umgebene Ilsenstein. und schiebt sie Hänsel in den Mund, der
Rechts eine mächtige Tanne, darunter sitzt die schlürft, als trinke er ein Ei aus.
VATER Gretel auf einer moosbedeckten Wurzel
Der Besen, der Besen, und windet einen Kranz von Hagebutten; HÄNSEL
was macht man damit, neben ihr liegt ein Blumenstrauß. Links Hoho! Das kann ich auch! Gib nur acht!
was macht man damit? abseits im Gebüsch Hänsel, nach Erdbeeren nimmt einige Beeren und läßt sie Gretel in
Es reiten drauf, es reiten drauf die Hexen! suchend. Abendrot. den Mund rollen
11. Eine Hex’, steinalt, haust tief im Wald, Wir machen’s, wie der Kuckuck schluckt,
vom Teufel selber hat sie Gewalt. GRETEL wenn er in fremde Nester guckt!
Um Mitternacht, wenn niemand wacht, 13. Ein Männlein steht im Walde ganz still Der Kuckuck ruft abermals. Es beginnt zu
dann reitet sie aus zur Hexenjagd! und stumm, dämmern.
Zum schornstein hinaus, es hat von lauter Purpur ein Mäntlein um.
auf dem Besen, o Graus, Sagt, wer mag das Männlein sein, HÄNSEL
über Berg und Kluft, das da steht im Wald allein, greift wieder zu
über Tal und Schluft, mit dem purpurroten Mäntelein? Kuckuck, Erbelschluck!
durch Nebelduft, Das Männlein steht im Walde auf einem
im Sturm durch die Luft: Bein GRETEL
Ja, so reiten, ja, so reiten, und hat auf seinem Kopfe Schwarz ebenfalls
juchheißa, die Hexen! Käpplein klein. Kuckuck, Erbelschluck!
Sagt, wer mag das Männlein sein,
MUTTER das da steht auf einem Bein, HÄNSEL
Entsetzlich! Doch die Knusperhex’? mit dem kleinen schwarzen Käppelein? Trinkst die fremden Eier aus!
Sie halt das Hagebuttenkränzchen in die
VATER Höhe und betrachtet es von allen Seiten. GRETEL
Ja, bei Tag, o Graus, Kuckuck, schluck, schluck!
zum Hexenschmaus HÄNSEL Hänsel läßt sich eine Handvoll Beeren in
im Kmisper-Knasper-Knusperhaus, kommt hervor und schwenkt jubelnd sein den Mund rollen.
die Kinderlein, Körbchen. Sammelst Beeren schön zu Hauf!
Armsünderlein, 14. Juchhe!
mit Zauberkuchen lockt sie hinein! Mein Erbelkörbchen ist voll bis oben! HÄNSEL
Doch übel gesinnt, Wie wird die Mutter den Hänsel loben! Kuckuck, gluck, gluck!
ergreift sie geschwind
das arme Kuchen knuspernde Kind. GRETEL
in den Ofen, hitzhell, GRETEL Schluckst sie, Schlauer, selber auf!
schiebt’s die Hexe blitzschnell, steht auf
dann kommen zur Stell’, Mein Kränzel ist auch schon fertig! Sieh! HÄNSEL
gebräunet das Fell, So schön wie heute ward’s noch nie! Kuckuck, schluck, schluck!
aus dem Ofen, aus demo fen Sie will Hänsel den Kranz auf den Kopf Sie warden immer übermütiger und raufen
die Lebkuchenkinder! setzen sich schließlich um die Beeren. Hänsel trägt
den Sieg Davon und setzt den korb vollends
MUTTER HÄNSEL an den Mund, bis er leer ist. Inzwischen ist
Und die Lebkuchenkinder? barsch abwehrend es immer dunkler geworden.
Buben tragen doch so was nicht!
VATER paßt nur für ein Mädchengesicht! GRETEL
Sie warden gefressen! setzt ihr den Kranz auf entreißt ihm den Korb
Hei, Gretel, fein’s Mädel! Ei, der Daus! Hänsel, was hast du getan? O Himmel!
MUTTER Siehst ja wie die Waldkönigin aus! Alle Erben gegessen, du Lümmel!
Van der Hexe? Wart nur, dich trifft ein Strafgericht!
GRETEL Denn die Mutter, die spaßt heute nicht!
VATER She’ ich wie die Waldkönigin aus,
Von der Hexe! so reich mir auch den Blumenstrauß! HÄNSEL
Ei was, stell dich doch nicht so an!
MUTTER HÄNSEL Du, Gretel, du hast’s ja selber getan!
händeringend gibt ihr den strauß
O Graus! Hilf, Himmel! Die Kinder! Waldkönigin mit Zepter und Kron’, GRETEL
Ich halt’s nicht mehr aus! da, nimm auch die Erbeln, doch nasch nicht komm, wir woollen rasch neue suchen!
läuft aus dem Haus Davon!
Er gibt ihr das korbchen voll Erdbeeren in
die

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HÄNSEL Die Kinder schmiegen sich erschrocken Laß uns den Abendsegen beten!
Im Dunkeln wohl gar, unter Hecken und aneinander. Sie knien nieder und falten die Hände.
Buchen?
Man sieht ja nicht Blatt, nicht Beere mehr! GRETEL BEIDE
Er wird schon dunkel ringsumher! Ist jemand da? 18. Abends, will ich schlafen gehn,
vierzehn Engel um mich stehn:
GRETEL ECHO zwei zu Meinen Häupten,
Ach, Hänsel, Hänsel, was fangen wir an? Ja!... Ja!... zwei zu Meinen Füßen,
Was haben wir törigen Kinder getan? Die Kinder schaudern zusammen. zwei zu meiner Rechten,
Wir durften hier nicht so lange säumen! zwei zu meiner Linken,
GRETEL zweie, die mich decken,
HÄNSEL Hast du’s gehört? ‘s rief leise “Ja”. zweie, die mich wecken,
Horch, wie es rascht in den Bäumen! Hänsel, sicher ist jemand nah! zweie, die mich weisen
Weißt du, was der Wald jetzt spricht? Ich furcht’ mich, ich furcht’ mich! O wär’ zu Himmels Paradeisen!
“kindlein, kindlein,” fragt er, “fürchtet ihr ich zu Haus! Sie sinken ins Moos zurück und
euch nicht?” Wie sieht der Wald so gespenstig aus! schlummern, Arm in Arm verschlungen,
Er späht unruhig umher. alsbald ein. Völlige Dunkelheit.
16. Gretel, ich weiß den Weg nicht mehr! HÄNSEL
Gretelchen, drücke dich fest an mich, Dritte Szene
GRETEL ich halte dich, ich schütze dich! 19. Plötzlich dringt von oben her ein heller
O got, was sagst du? Den Weg nicht mehr? Dichter Nebel steigt auf und verhüllt den Schein durch den Nebel, der sich
Hintergrund gänzlich. wolkenförmig zusammenballt und die
HÄNSEL Gestalt einer zur Mitte der Bühne her ab
sich mutig stellend GRETEL führenden Treppe annimmt. Vierzehn
Was bist du für ein furchtsam’ Wicht! Da kommen weiße Nebelfrauen! Engel, die kleinsten voran, die größten
Ich bin ein Bub und fürcht’mich nicht! Sieh, wie sie winken und drohend schauen! zuletzt, schreiten paarweise, während das
Sie kommen, sie kommen, sie fassen uns Licht an Helligkeit zunimmt, in
GRETEL an! Zwischenräumen die Wolkentreppe herab
Ach, Hänsel, gewißgeschieht un sein Leid! Vater! Mutter! Ah!... und stellen sich, der Reihenfolge des
Sie eilt entsetzt unter die tanne und Abendegens entsprechend, um die
HÄNSEL verbirgt sich, auf die Kie stürzend, hinter schlafenden kinder auf das erst Paar zu
Ach, Gretel, geh, dei doch gescheit! Hänsel. in diesem Augenblick zerreißt links Häupten, das zweite zu Füßen, das dritte
der Nebel; ein kleines graues Männchen, rechts, das vierte links; dann verteilen sich
GRETEL mit einem säckchen auf dem Rücken, das fünfte und sechste Paar zwischen die
Was schimmert den dort in der erscheint. überigen Paare, so daß der Kreis der Engel
Dunkelheit? vollständig geschlossen wird. Zuletzt tritt
HÄNSEL das siebente Paar in den Kreis und nimmt
HÄNSEL Sieh, dort das Männschen, Schwesterlein! als “Schutzengel” zu beiden Seiten der
Das sind die Birken im Weißen Kleid. Was mag das für ein Männlein sein? Kinder Platz, während die überigen sich die
Hände reichen, einen feierlichen Reigen um
GRETEL Zweite Szene die Gruppe aufführen und sich zu einem
Und dort, was grinset daher vom Sumpf? malerischen Schlußbild ordnen.
SANDMANN
HÄNSEL nähert sich mit freundlichen Gebärden den CD2
D… d… das ist… ein glimmender kindern, die sich allmählich beruhigen, und
Weidenstumpf. wirft ihnen während des folgenden Sand in 1. Vorspiel
die Augen.
GRETEL 17. Der kleine Sandmann bin ich, s-t! Drittes Bild: Das Knusperhäuschen
hastig und gar nichts Arges sinn’ ich, s-t!
Was für ein wunderlich Gesicht euch kleinen lieb’ ich innig, s-t! Erste Szene
macht er soeben, siehst du’s nicht? bin euch gesinnt gar mining, s-t! Wie am Schluß des zweiten Bildes. Der
Aus diesem Sack zwei Körnelein Hintergrund noch von Nebel verhüllt, der
HÄNSEL euch Müden in die Äugelein; sich während des folgenden langsam hebt.
sehr laut die fallen dann von selber zu, Die Engel sind verschwunden. Früher
Ich mach’ dir ‘ne Nase! Hörst du’s, du damit ihr schlaft in sanfter Ruh’! Morgen. Das Taumännchen erscheint und
Wicht? und seid ihr brav und fein geschlafen ein: schüttelt au seiner Glockenblume
dann wachen auf die Sterne, Tautropfen auf die schlafenden Kinder.
GRETEL aus hoher Himmelsferne
ängstlich gar holde Träume bringen euch die TAUMANN
Da…sieh! das Lichtchen, es kommt immer Engelein! 2. Der kleine Taumann heiß’ ich,
näh’r! Drum träume, träume, Kindchen, träume, und mit der Sonne reis’ ich,
gar holde Träume bringen euch die von Ost bis Westen weiß ich,
HÄNSEL Engelein! wer faul ist und wer fleißig,
Irrlichtchen hüpfet wohl hin und her! geht ab kling! klang! kling! klang!
Gretel, du mußt beherzter sein! Ich komm’ mit goldenem Sonnenschein
Wart, ich will einmal tüchtig schrein! HÄNSEL und srahl’ in eure Äugelein
Er ruft durch die hohlen Hände. schlaftrunken und weck’ mit kühlem Taue,
Wer da? Sandmann war da! was schläft auf Flur und Aue.
Dann springet auf, wer munter in früher
ECHO GRETEL Morgenstunde,
Er da! ebenso den sie hat Gold im Munde,

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drum auf, ihr Schläfer, erwachet! HÄNSEL GRETEL


Der lichte Tag schon lachet, Freilich! ‘s war wunderschön! Die Englein? Ja, so wird es wohl sein!
drum auf, ihr Schläfer, erwacht, erwacht! Und dorthin sah ich sie gehen.
eilt singend Davon HÄNSEL
Zweite Szene Ja, Gretel, sie laden freundlich un sein!
GRETEL Hänsel wendet sich dem Hintergrund zu. In Komm, wir knuspern ein wenig vom
öffnet die Augen, richtet sich halb auf und diesem Augenblick zerreißt der letzte Häuschen!
blickt verwundert um sich, während Hänsel Nebel, und anstelle des Tannengehölzes
sich auf die andere Seite dreht, um erscheint glitzernd im Sonnenaufgang das BEIDE
weiterzuschlafen. Knusperhäuschen am Ilsenstein. Links Ja, knuspern wir,
3. Wo bin ich? Wach’ ich? Ist e sein Traum? Davon in einiger Entfernung befindet sich ja, knuspern wir,
Hier lieg’ ich unterm Tannanbaum! ein Backofen, diesem rechts gegenüber ein wie zwei Nagemäuschen!
Hoch uin den Zweigen, da lispelt es leise, großer Käftig, beide mit dem Sie hüpfen Hand in Hand in den
Vöglein singen so süße Weise. Knusperhäuschen durch einen Zaun von Hintergrund, bleiben wieder stehen und
Wohl früh schon waren sie aufgewacht Kuchenmännern verbunden. schleichen dann vorsichtig auf Zehenspitzen
und haben ihr Morgenliedchen an das Häuschen heran. Nach einigem
dargebracht. GRETEL Zögern bricht Hänsel and der rechten Kante
Ihr lieben Vöglein, guten Morgen! 4. Bleib stehn! Bleib stehn! ein Stück Kuchen heraus.
Sieh da, der faule Siebenschläfer!
Wart nur, dich weck’ ich! HÄNSEL Dritte Szene
bückt sich zu Hänsel nieder O Himmel, welch Wunder ist hier STIMME AUS DEM HÄUSCHEN
Ti-re-li-re-li, geschehn? 7. Knusper, knusper Knäuschen,
‘s ist nicht mehr früh! Nein, so was hab’ ich mein Tag’ nicht wer knuspert mir am Häuschen?
Ti-re-li-re-li, gesehn!
‘s ist nicht mehr früh! Beide blacken wie verzaubert auf das HÄNSEL
Die Lerche hat gesungen Knusperhäuschen. läßt erschrocken das Stück Kuchen fallen.
und hoch sich aufgeschwunden. Hast du’s gehört?
aufspringend GRETEL
Ti-re-li-re-li… 5. Wie durftet’s vondorten, GRETEL
o schau nur diese Pracht! zaghaft
HÄNSEL Von Kuchen und Torten Der Wind!
ist während des Liedes erwacht, reibt sich ein Häuschen gemacht…
die Augen und stimmt gleichfalls HÄNSEL
aufspringend munter in Gretels Weise ein. BEIDE Der Wind!
Ki-ke-ri-ki! …mit Fladen und Torten
‘s ist noch früh! ist’s hoch überdacht, BEIDE
Ki-ke-ri-ki! die Fenster wahrhaftig Das himmlische Kind!
‘s ist noch früh! wie Zucker so blank,
Ja, hab’s wohl vernommen, Rosinen gar saftig GRETEL
der Morgen ist gekommen. den Giebel entlang, hebt das Stück Kuchen wieder auf und
Ki-ke-ri-ki! und – traun! rings zu schaun versucht es.
reckt sich gar ein Lebkuchenzaun! Hm!
Mir ist so wohl, ich weiß nicht wie! O herrlich Schlößchen,
So gut wie heute schlief ich noch nie! wie bist du schmuck und fein! HÄNSEL
Welch’ Waldprinzeßchen Wie schmeckt das!
GRETEL mag wohl da drinnen sein?
Doch höre nur! Hier unterm Baum Ach, war’ doch zu Hause GRETEL
hatt’ ich ‘nen wunderschönen Traum! die Waldprinzessin fein, läßt ihn kosten
sie lade zum Schmause Da hast du auch was!
HÄNSEL bei Kuchen und Wein,
Richtig! Auch mir träumte was! zum herrlichsten Schmause HÄNSEL
uns beide freundlich ein, Hei!
GRETEL uns freundlich ein, uns freundlich ein!
Mir träumte, ich hör’ ein Rauschen und BEIDE
Klingen HÄNSEL Hei! Hei! Hei! Hei!
wie Chöre der Engel, ein himmlisches 6. Alles bleibt still, nichts regt sich da O köstlicher Kuchen, wie schmeckst du
Singen. drinnen! nach mehr;
Licht Wölkchen in rosigem Schein Komm, laß uns hineingehn! mir ist ja, als wenn ich im Himmel schon
wallten und wogten ins Dunkel hinein. war’!
Siehe, helle ward’s mit einem Male, GRETEL
lichtdurchflossen vom Himmelsstrahle; ihn erschrocken zurückhaltend HÄNSEL
eine golden Leiter sah ich sich neigen, Bist du bei Sinnen? Ach, wie das schmeckt!
Engel herniedersteigen, Junge, wie magst du so dreist nur sein?
gar holde Englein mit goldenen Flügelein. Wer weiß, wer da drin wohl im Häuschen GRETEL
fein? ‘s ist gar zu lecker!
HÄNSEL
Vierzehn müssen’s gewesen sein! HÄNSEL HÄNSEL
O sieh nur, sieh wie das Häuslein uns lacht! Wie süß!
GRETEL Ha! Die Englein haben’s uns hergebracht!
Hast du dies alles den auch gesehen? GRETEL
Wie köstlich!

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HÄNSEL Ihr kommt mich besuchen? Das ist nett! HEXE


Ha… Ihr lieben Kinder, so rund und fett! Ja, liebe Kinder, Hören und Sehn
wird euch bei diesem Vergnügen vergehn!
GRETEL HÄNSEL
Wie süß!... Wer bist du, Garstige? Laß mich los! HÄNSEL
Ei, meine Augen und Ohren sind gut,
HÄNSEL HEXE haben wohl acht, was Schaden mir tut!
…wie lecker! Na, Herzchen, zier dich nicht erst groß! Gretel, trau nicht dem glaißenden Wort!
Wißt den, daß euch vor mir nicht graul! Komm, Schwesterchen, wir laufen fort!
GRETEL 8. Ich bin Rosine Leckermaul, Er hat sich allmählich von der Schlinge
Vielleicht gar wohnt hier ein Zuckerbäcker! höchst menschenfreundlich stets gesinnt, befreit und will mit Gretel fortlaufen; sie
unschuldig wie ein kleines Kind, warden von der Hexe zurückgehalten, die
HÄNSEL drum hab’ ich die kleinen Kinder so lieb, gebieterisch ihren Zauberstab gegen die
ruft so lieb, so lieb, ach!... zum Aufessen lieb! beiden erhebt.
He! Zuckerbäcker, nimm dich in acht! Sie streichelt die Kinder
Ein Loch wird der jetzt vom Mäuslein HEXE
gemacht! HÄNSEL 9. Halt!
bricht ein großes Stück aus der Wand barsch abwehrend Sie macht mit dem Stab die Gebärde des
Geh, bleib mir doch aus dem Gesicht! Hexenbannes.
STIMME AUS DEM HÄUSCHEN Hörst du! Ich mag dich nicht! Die Bühne verfinstert sich.
Knusper, knusper Knäuschen, stampft mit dem Fuß auf Hokuspokus, Hexenschuß!
wer knuspert mir am Häuschen? Rühr dich, und dich reißt der Fluß!
HEXE Nicht mehr vorwärts, nicht zurück,
HÄNSEL und GRETEL Haha, haha, hahaha! bann’ dich mit dem bösen Blick!
Der Wind, der Wind, Was seid ihr für leckere Teufelsbrätchen, Kopf steh starr di rim Genick!
das Himmlische Kind! besonders du, mein herziges Mädchen! neue Gebärde; die Spitze des Stabes
Der obere Teil der Haustür öffnet sich leise, Kommt, kleine Mäuslein, beginnt zu leuchten
und der Kopf der Knusperhexe erscheint. kommt in mein Häuslein! Hokuspokus, nun kommt Jokus!
Die Kinder bemerken die Hexe nicht und Ihr sollt’s gut bei mir haben, Kinder, schaut den Zauberknopf!
schmausen lustig weiter. will drinnen köstlich euch laben! Äuglein, stehe still im Kopf!
Schokolade, Torten, Marzipan, Nun zum Stall hinein, du Tropf!
GRETEL Kuchen, gefüllt mit süßer Sahn’, Hokuspokus, bonus Jokus,
Wart, du näschiges Mäuschen, johannisbrot und Jungfernleder, malus lokus, hokuspokus!
gleich kommt die Katz’ aus dem Häuschen! und Reisbrei, auf dem Ofen steht er, Sie führt den starr auf den Knopf
Rosinen und Feigen blickenden Hänsel zum Stall und schließt
HÄNSEL und Mandeln und Datteln sich zeigen: hinter ihm die Gittertür, während Gretel
Knuspre nur zu, ‘s ist alles im Häuschen euer eigen, regungslos dasteht. Die Bühne erhellt sich
und laß mich in Ruh’! ja, alles euer eigen! wieder.
10. Nun Gretel, sei vernünftig und nett!
GRETEL HÄNSEL Der Hänsel wird nun balde fett.
entreißt ihm ein Stück Kuchen. Ich geh’ nicht mit dir, garstige Frau! Wir woollen ihn, so ist’s am besten
Nicht so geschwind, mit süßen Mandeln und Rosinen mästen.
Herr Wind, Herr Wind! GRETEL Ich geh’ ins Haus und hole sie schnell,
Du bist gar zu freundlich! du, rühre dich nicht von der Stell’!
HÄNSEL Sie droht grinsend mit dem Finger und geht
nimmt es ihr wieder ab HEXE ins Haus.
Himmlisches Kind, Schau, schau! Schau, wie schlau!
ich nehm’, was ich find’! Ihr Kinder, ich mein’s ja so gut mit euch, GRETEL
ihr seid ja bei mir wie im Himmelreich! starr und unbeweglich
GRETEL Kommt, kleine Mäuslein! Hu! Wi emir vor der Hexe graut!
Ha ha ha ha ha ha… Kommt in mein Häuslein!
Sie lachen beide hell auf. Während des Ihr sollt’s gut bei mir haben, HÄNSEL
letzten Gesprächs ist die Tür des Häuschens will drinnen köstlich euch laben… Gretel! Pst! Sprich nicht so laut!
aufgegangen, und die Hexe tritt von den Sie will Hänsel fortziehen Sie hübsch gescheit und gib fein acht
Kindern unbemerkt heraus und schleicht auf jedes, was die Hexe macht!
behutsam auf sie zu. Rasch wirft sie dem GRETEL Zum Schein tu alles, was sie will…
ahnungslosen Hänsel, eben in dem So sprich: Was willst du meinem Bruder da kommt sie schon zurück – pst! Still!
Augenblick, als die Kinder lachen, einen tun?
Strick um den Hals. HEXE
HEXE kommt hervor, überzeugt sich, daß Gretel
HEXE I nun… Ich will ihn füttern und nudeln noch still steht, und halt Hänsel aus einem
Hihi, hihi, hihihi! mit allerhand vortrefflichen Sachen, Korb Mandeln und Rosinen hin.
Die Kinder blacken sich erschrocken um. ihn zart und wohlschmeckend Machen. Nun, Jüngelchen,
Und ist er dann recht zahm und brav ergötze dein Züngelchen!
HÄNSEL und fügsam und geduldig wie ein Schlaf, steckt Hänsel eine Rosine in den Mund
Laß los! Wer bist du? Laß mich los! dann, Hänsel, ich sag’s dir’s ins Ohr: Friß, Vogel, oder stirb –
Dir steht eine große Freude bevor! Kuchen-Heil dir erwirb!
HEXE wendet sich Gretel zu und entzaubert sie
die Kinder and sich ziehend HÄNSEL mit einem Wacholderbusch
Engelchen! So sag’s, doch laut und nicht ins Ohr: Hokuspokus, Holderbusch!
Und du, mein Bengelchen! Welche große Freude steht mir bevor? Schwinde, Gliederstarre, husch!

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Gretel rührt sich wieder. 12. Auf! Wach auf, mein Jüngelchen, Gretel zaudert
Nun, wieder kregel, süßes Kleinchen, zeig mir dein Züngelchen!
rühr mir geschwind die runden Beinchen! Hänsel steckt die Zunge heraus. HÄNSEL
Geh, mein Püppchen, flink und Frisch, Schlicker, schlecker! aus dem Stall schleichend
decke drinnen hübsch den Tisch! Lecker, lecker! Schwesterlein, hüt dich fein!
Schüsselchen, Tellerchen, Messerchen, Kleines leckeres Schlingelchen,
Gäbelchen, zeig mir dein Fingerchen! GRETEL
Serviettchen für mein Schnäbelchen; Hänsel steckt ein Stöckchen heraus. sich ungeschickt stellend
Nun mach alles recht hurtig und fein, Jemine! O je! Ei, wie fang’ ich’s an,
sonst sperr’ ich dich auch in den Stall Wie ein Stöckchen, o weh! daß ich komme dran?
hinein! Bübchen, deine Fingerchen
Kichernd droht sie Gretel, die eilig im Haus sind elende Dingerchen! HEXE
verschwindet. Mädel! Gretel! Mußt dich nur eben
Gretel erscheint in der Tür. ein bißchen heben.
HEXE Bring Risonen und Mandeln her, Kopf vorgebeugt –
zu Hänsel, der sich schlafend stellt Hänsel meint, es schmeckt nach mehr! ‘s ist kinderleicht!
Der Lümmel schläft ja, nun sieh mal an, Gretel springt ins Haus und kehrt mit einem
wie doch die Jugend schlafen kann! Körbchen zurück. HÄNSEL
Na, schlaf nur brav, du gutes Schaf, Gretel am Kleid zurückhaltend, hinter ihr
bald schläfst du deinen ew’gen Schlaf! GRETEL versteckt
Doch erst die Gretel muß mir dran, Da sind die Mandeln! Schwesterlein, hüt dich fein!
mit dir, mein Mädel, fang’ich an; Sie stellt sich, während Hänsel von der Hexe
bist so niedlich, zart und rund, gefüttert wird, hinter sie und macht gegen GRETEL
wie gemacht für Hexenmund! Hänsel die Entzauberungsgebärde mit dem Bin gar so dumm,
Sie öffnet den Ofen und reicht hinein. Wacholderbusch. nimm mir’s nicht krumm!
Der Teig ist gar, wir können voran Machen. Hokuspokus, Holderbusch, Drum zeig mir eben:
hei wie im Ofen die Scheite krachen! schwinde, Gliederstarre, husch! wie soll ich mich den heben?
Sie schiebt noch ein paar Scheite nach und Hänsel wird wieder beweglich
reibt sich schmunzelnd die Hände. HEXE
Ja, Gretelchen, HEXE ungeduldig
wirst bald ein Brätelchen! Sich rasch umwendend Kopf vorgebeugt,
Schau, schau! Schau, wie schlau! Was sagtest du, mein Gänselchen? ‘s ist kinderleicht!
Sollst gleich in’ Backofen hucken Sie will es ihr zeigen; während sie sich
und nach den Lebkuchen gucken. GRETEL vorbeugt und mit halbem Körper
Bist du dann drin – schwaps, Meint’ nur: Wohl bekomm’s, mein hineinkriecht, geben Hänsel und Gretel ihr
geht die Tür – klaps! Hänselchen! von hinten einen heftigen Stoß, so daß sie
Dann ist fein Gretelchen vollends hineinfliegt, und schlagen dann
mein Brätelchen! HEXE rasch die tür zu.
Das Brätlein, das soll sich verwandeln schwerhörig
in Kuchen mit Zucker und Mandeln; He? HÄNSEL und GRETEL
im Zauberofen mein ihr nach spottend
wirst du ein Lebkuchen fein! GRETEL “und bist du dann drin – schwaps!
Schau, schau, wie schlau! lauter Geht die Tür – klaps!”
Hihi, hihi, hihihi, usw. Wohl bekomm’s, mein Hänschelchen! Du bist dann statt Gretelchen
In wilder Freude ergreift sie einen Besen ein Brätelchen!
und reitet ausgelassen auf ihn ums Haus. HEXE Sie fallen sich jubelnd in die Arme, fassen
11. Hurr hopp hopp hopp, bemerkt Hänsels Entzauberung nicht sich an den Händen und tanzen
Galopp, Galopp, Hihihi! Mein gutes Tröpchen, 13. Juchhei! Nun ist die Hexe tot,
mein Besengaul, da steck dir was ins Kröpfchen! mausetot, und aus die Not!
nurr hopp, nit faul! steckt Gretel eine Rosine in den Mund Juchhei! Nun ist die Hexe still,
So wie ich’s mag Friß, Vogel, oder stirb – mäuschenstill, Kuchen gibt’s die Füll’!
am lichten Tag, Kuchen-Heil dir erwirb! Nun ist zu End’ der graus, Hexengraus,
spring kreuz und quer Sie öffnet die Backofentür; Hänsel gibt und der Spuk ist aus!
ums Häuschen her! Gretel lebhafte Zeichen. Ja,… laßt uns fröhlich sein,
Bei dunkler Nacht, tanzen im Feuerschein,
wenn niemand wacht, HÄNSEL halten im Knusperhaus
zum Hexenschmaus leise die Stalltür öffnend herrlichsten Freudenschmaus!
am Schornstein raus! Schwesterlein, hüt dich fein! Hei! Juchhei, juchhei!
Aus fünf und sechs, Sie umfassen sich und tanzen miteinander
so sagt die Hex’, HEXE zum Knusperhaus, wo sie alle Herrlichkeiten
mach sieb’ und acht, Gretel gierig betrachtend in Besitz nehmen. Im Hexenofen knistert es
so ist’s vollbracht, Wie wässert mir das Mündchen gewaltig, die Flamme schlägthoch empor;
und neun ist eins, nach diesem süßen Kindchen! es folgt ein starker Krach, und der Ofen
und zehn ist keins, Komm, Gretelchen, stürzt donnerend zusammen. Hänsel und
und vie list nichts, Zuckermädelchen! Gretel fallen vor Schreck zu Boden; dann
die Hexe spricht’s! Sollst in dem Backofen hucken blacken sie erstaunt um sich. Ihre
So reitet sie und nach den Lebkuchen gucken, Verwunderung steigt aufs höchste, als sie
bis morgens früh! sorgfältig schaun – ja, die Kinder bemerken, deren Kuchenhülle
Brr…! Besen! Hüh! ob sie schon braun da, inzwischen abgefallen ist.
Sie steigt vom Besen, hinkt zu Hänsel und oder ob’s zu früh –
kitzelt ihn mit einem Zweig wach. ‘s ist kleine Müh!

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Vierte Szene
HÄNSEL ALLE
GRETEL Die Englein haben’s im Traum gesagt, Wenn die Not aufs höchste steigt,
Da, sieh nur die vielen Kinderlein! in stiller Nacht, Gott der Herr die Hand uns reicht!
was nun so herrlich der Tag Die Kinder tanzen einen frohen Reigen um
HÄNSEL hat wahr gemacht. die Gruppe.
Wo mögen die hergekommen sein?
HÄNSEL und GRETEL
DIE KUCHENKINDER Ihr Englein die uns so true bewacht
ganz leise und unbeweglich bei Tag und Nacht,
14. Erlöst, befreit, habt Lob und Dank für all die Pracht,
für alle Zeit! die uns hier lacht,
die uns so wonnig lacht!
GRETEL Habt Lob und Dank,
Geschlossen sind ihre Äugelein; habt Dank für all die Pracht!
sie schlafen und singen doch so fein!
KINDER
KINDER habt Lob und Dank für all die Pracht!
O rühre mich an, die uns hier lacht,
daß ich erwachen kann! die uns so wonnig lacht!
Habt Dank, euer Leben lang!
HÄNSEL Drum Lob und Dank sei euch
Rühr du sie doch an, für all die Pracht,
ich trau’ mir’s nicht! die un shier lacht!
Aus dem Hintergrund ertönt die Stimme
GRETEL des Vaters.
Ja, streicheln wir dies hübsche Gesicht!
Sie streichelt das nächste Kind, das die Letzte Szene
Augen öffnet und lächelt.
VATER
KINDER Ral la la la, ral la la la,
O rühr auch mich, auch mich rühr an, wären doch unsre Kinder da!
daß ich die Äuglein öffnen kann! Ral la la la, tra la la la la -
Gretel geht streichelnd zu den übrigen 15. Juch! Ei, da sind sie ja!
Kindern, die lächelnd die Augen öffnen,
ohne sich zu rühren; endlich ergreift hänsel HÄNSEL und GRETEL
den Wacholderzweig. Vater! Mutter!

HÄNSEL MUTTER
Hokuspokus, Holderbusch! Kinderchen!
Schwinde, Gliederstarre, husch!
Die Kinder springen auf und bilden einen VATER
Reigen um Hänsel und Gretel. Da sind ja die armen Sünderchen!
Frohe Umarmung. Unterdes haben zwei
MÄDCHEN Knaben die Hexe als Großen Lebkuchen aus
Habt Dank… den Trümmern des Zauberofens gezogen.

JUNGEN ALLE
…euer Leben Lang! Hei!

MÄDCHEN VATER
…euer Leben lang! Kinder, schaut das Wunder an,
wie die Hexe hexen kann,
ALLE wie sie hart, knusperhart,
Die Hexerei is nun vorbei; selber nun zum Kuchen ward!
nun singen und springen wir froh und frei!
Kommt Kinderlein, zum Ringelreihn ALLE ANDEREN
reicht alle euch die Händchen fein! Schaut, o schaut das Wunder an,
wie die Hexe hexen kann,
MÄDCHEN und JUNGEN wie sie hart, knusperhart,
Drum singt und springt, selber nun zum Kuchen ward!
drum tanzt und singt,
daß laut der Jubelruf durchdringt den VATER
Wald, Merkt des Himmels Strafgericht:
und rings erschallt von Lust der Wald! böse Werke dauern nicht!
Wenn die Not aufs höchste steigt,
JUNGEN Gott der Herr sich gnädig zu uns neigt!
Habt Dank! Ja, wenn die Not aufs höchste steigt,
Gott der Herr die Hand uns reicht!
MÄDCHEN
Habt Dank!

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Engelbert Humperdinck 1854–1921


Hänsel und Gretel
Märchenoper in three acts · Libretto by Adelheid Wette
after the Grimm brothers’ Hänsel und Gretel
Setting: Ilsenstein woods
Hänsel............................................................................INGEBORG SPRINGER
Gretel ..........................................................................................RENATE HOFF
Peter, a broom-maker ....................................................................THEO ADAM
Gertrud, his wife.................................................................GISELA SCHRÖTER
Die Knusperhexe (The Witch) ................................................PETER SCHREIER
Sandmännchen (Sandman) / Taumännchen (Dew Fairy) ....RENATE KRAHMER

Members of the Dresdner Kreuzchor


Staatskapelle Dresden
Otmar Suitner

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