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VO Klinische Psychologie (200019, 2022W)

PD Dr Dr Ricarda Nater-Mewes & PD Dr Jennifer Randerath

Aufzeichnung starten!
Wintersemester 2022/23
Semester- und Vorlesungsbeginn 1. Oktober 2022
vorlesungsfrei 2. November 2022
Weihnachtsferien 19. Dezember 2022 bis 8. Jänner 2023
Vorlesungsende 31. Jänner 2023
lehrveranstaltungsfreie Zeit
1. bis 28. Februar 2023
("Semesterferien")
Semesterende 28. Februar 2023
Dienstags: 09:45 - 11:15
Hörsaal 33 Hauptgebäude, 1.Stock, Stiege 7

Prüfungen:
1. Termin 31.01.2023 (letzter VO-Termin)
2. Termin 07.03.2023 (Beginn SoSe)
https://studieren.univie.ac.at/semesterplanung/studienjahr/

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1. Dienstag 04.10.: Was ist Klinische Psychologie? RNM
2. Dienstag 11.10.: Diagnostische Klassifikation psychischer Störungen JR
3. Dienstag 18.10.: Epidemiologische Beiträge zur KP RNM
4. Dienstag 25.10.: Kennen Sie die Grundlagen für diese VO? – Quiz mit den Online verfügbaren
Karteikarten: https://lehrbuch-psychologie-springer-com.uaccess.univie.ac.at/karteikarten/5648/1
5. Dienstag 08.11.: kurzer Überblick Therapieverfahren; Störungen im Zusammenhang mit
psychotropen Substanzen und abhängigen Verhaltensweisen I JR
6. Dienstag 15.11.: Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen und abhängigen
Verhaltensweisen II JR
7. Dienstag 22.11.: Affektive Störungen RNM
8. Dienstag 29.11.: Somatoforme Störungen und stressabhängige körperliche Beschwerden RNM
9. Dienstag 06.12.: Angststörungen I JR
10. Dienstag 13.12.: Angststörungen II JR
11. Dienstag 10.01.: Posttraumatische Belastungsstörung; Zwangsstörung RNM
12. Dienstag 17.01.: Psychotische Störungen und Schizophrenie JR
* Essstörungen in VO
13. Dienstag 24.01.: Persönlichkeitsstörungen RNM
Klinische KiJu
14. Dienstag 31.01.: 1. Prüfungstermin
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https://ufind.univie.ac.at/de/course.html?lv=200019&semester=2022W
Information
• Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung
Ziel dieser Vorlesung ist eine Einführung in das Fachgebiet der Klinischen Psychologie mit einem ersten
fundierten Einblick in wichtige Grundlagen und psychische Störungen und deren Behandlung.
Die folgenden zentralen Themen werden vermittelt:
 Grundlagen: Begriff, Gegenstandsbereiche, zentrale Paradigmen und Modelle der Klinischen
Psychologie, Klinisch-psychologischen Forschung und Forschungsbereiche
 Psychische Störungen: Klassifikation und Diagnostik, Epidemiologie, Ätiologie, Behandlung
Zudem soll ein kurzer Einblick in die Praxis der Klinischen Psychologie gegeben werden:
Tätigkeitsbereiche der Klinischen Psychologie, Ausbildung in Klinischer Psychologie und Psychotherapie
in Österreich und Deutschland

Bis auf Weiteres (Covid…) wird die VO hybrid stattfinden!


Die Einheiten dürfen nicht von Ihnen aufgezeichnet werden und von uns zur Verfügung gestellte
Aufzeichnungen dürfen nicht verbreitet werden!

https://ufind.univie.ac.at/de/course.html?lv=200019&semester=2022W

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Information
• Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel
Klausur: Schriftliche Prüfung, ausgeführt online, solange COVID-19 Gefahr gegeben ist.
Detailliertere Informationen zu Online-MC-Prüfungen in der aktuellen Situation finden Sie unter:
https://ssc-psychologie.univie.ac.at/studium/digitale-pruefungen/.
• Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab
Das in der Vorlesung vermittelte Grundlagenwissen
Es gilt der Beurteilungsschlüssel für MC-Prüfungen:
< 60%: nicht genügend (5)
61 - 70%: genügend (4)
71 - 80%: befriedigend (3)
81 - 90%: gut (2)
91 - 100%: sehr gut (1)
• Prüfungsstoff:
Folieninhalte sowie "Transfer- und Anwendungswissen"
• Literatur:
Basis-Literatur: Hoyer & Knappe. Klinische Psychologie & Psychotherapie (3. Auflage). 2020, Springer.

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1-3. Grundlagen
• Kapitel 1: Was ist Klinische Psychologie?
Definitionen, Konzepte und Modelle –
Hans-Ulrich Wittchen, Susanne Knappe und
Jürgen Hoyer, S. 3- 28
• Kapitel 2: Diagnostische Klassifikation
psychischer Störungen – Susanne Knappe
und Hans-Ulrich Wittchen, S. 29-57
• Kapitel 3: Epidemiologische Beiträge zur
Klinischen Psychologie – Katja Beesdo-
Baum, Michael Höfler, Frank Jacobi und
Hans-Ulrich Wittchen, S. 58-112

Basis-Literatur: Hoyer & Knappe. Klinische Psychologie & Psychotherapie (Auflage 3). 2020, Springer.

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1. Dienstag 04.10.: Was ist Klinische Psychologie? RNM
2. Dienstag 11.10.: Diagnostische Klassifikation psychischer Störungen JR
3. Dienstag 18.10.: Epidemiologische Beiträge zur KP RNM
4. Dienstag 25.10.: Kennen Sie die Grundlagen für diese VO? – Quiz mit den Online verfügbaren
Karteikarten: https://lehrbuch-psychologie-springer-
com.uaccess.univie.ac.at/karteikarten/5648/1
5. Dienstag 08.11.: kurzer Überblick Therapieverfahren; Störungen im Zusammenhang mit
psychotropen Substanzen und abhängigen Verhaltensweisen I JR
6. Dienstag 15.11.: Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen und abhängigen
Verhaltensweisen II JR
7. Dienstag 22.11.: Affektive Störungen RNM
8. Dienstag 29.11.: Somatoforme Störungen und stressabhängige körperliche Beschwerden RNM
9. Dienstag 06.12.: Angststörungen I JR
10. Dienstag 13.12.: Angststörungen II JR
11. Dienstag 10.01.: Posttraumatische Belastungsstörung; Zwangsstörung RNM
12. Dienstag 17.01.: Psychotische Störungen und Schizophrenie JR
13. Dienstag 24.01.: Persönlichkeitsstörungen RNM
14. Dienstag 31.01.: 1. Prüfungstermin
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https://ufind.univie.ac.at/de/course.html?lv=200019&semester=2022W
4. Quiz
• Kapitel 4: Lernpsychologische Grundlagen – Mike Rinck und Eni S. Becker, S. 113-136
• Kapitel 5: Kognitiv-affektive Neurowissenschaft: Emotionale Modulation des Erinnerns, Entscheidens
und Handelns – Thomas Goschke und Gesine Dreisbach, S. 137-188
• Kapitel 7: Biopsychologische Grundlagen – Clemens Kirschbaum, Katharina Domschke und Markus
Heinrichs , S. 213-244
• Kapitel 8: Psychopharmakologische Grundlagen –Thomas Köhler , S. 245-282
• Kapitel 9: Neuropsychologische Grundlagen – Siegfried Gauggel , S. 283-316
• Kapitel 11: Entwicklungspsychologische Grundlagen – Rolf Oerter, Mareike Altgassen und Matthias
Kliegel, S. 331-339

Basis-Literatur: Hoyer & Knappe. Klinische Psychologie & Psychotherapie (Auflage 3). 2020, Springer.

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5-13. Psychische Störungen:

• Die entsprechenden Kapitel aus Hoyer & Knappe. Klinische Psychologie & Psychotherapie (3.
Auflage). 2020, Springer.

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Fragen?
• Gerne direkt in der VO melden oder online über die Chat-Funktion

• Falls im Laufe des Semesters Fragen auftreten können Sie sich an die im
Moodle-Kurs genannten Ansprechpartner*innen wenden;
• Bei organisatorischen Fragen (zunächst) an stefan.dzever@univie.ac.at
oder nora.terhechte@univie.ac.at
• Bei inhaltlichen Fragen an ricarda.nater-mewes@univie.ac.at oder
jennifer.randerath@univie.ac.at (je nachdem, auf welche Einheit sich Ihre
Fragen beziehen)

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1. VO-Einheit Was ist Klinische Psychologie?

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Übersicht & Lernziele
1. Was ist Klinische Psychologie (und Psychotherapie)?
2. Was sind psychische Störungen?
3. Modellperspektiven der Klinischen Psychologie

-> Sie kennen Definitionen & Struktur der Klinischen Psychologie und ihre
Nachbarbereiche
-> Sie haben eine erste Definition/ Vorstellung von psychischen Störungen
-> Sie können die vier Haupt-Modellperspektiven unterscheiden und
kennen Grenzen der jeweiligen Modelle

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Übersicht & Lernziele
1. Was ist Klinische Psychologie (und Psychotherapie)?
2. Was sind psychische Störungen?
3. Modellperspektiven der Klinischen Psychologie

-> Sie kennen Definitionen & Struktur der Klinischen Psychologie und ihre
Nachbarbereiche
-> Sie haben eine erste Definition/ Vorstellung von psychischen Störungen
-> Sie können die vier Haupt-Modellperspektiven unterscheiden und
kennen Grenzen der jeweiligen Modelle

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Was ist Klinische Psychologie?


Definition:
Klinische Psychologie ist diejenige Teildisziplin der Psychologie, die sich mit psychischen Störungen und
den psychischen Aspekten somatischer Störungen und Krankheiten in der Forschung, der Diagnostik
und Therapie beschäftigt.
Dazu gehören u. a. die Themen
• Ätiologie und Bedingungsanalyse;
• Klassifikation und Diagnostik;
• Prävention, Psychotherapie und Rehabilitation;
• Epidemiologie, Gesundheitsversorgung und Evaluation.
Klinische Psychologie umfasst die Erforschung, Diagnostik und Therapie der Gesamtheit psychischer
Störungen bei Menschen aller Altersstufen.
Aufbauend auf den wissenschaftlichen Grundlagen der Psychologie mit ihren Teildisziplinen ist es ein
Charakteristikum der Klinischen Psychologie, dass sie enge Beziehungen zu vielen anderen
Wissenschaftsdisziplinen aufweist, insbesondere zur Psychiatrie, der Soziologie, den neurobiologischen
Fächern (einschließlich der Gebiete Genetik und Psychopharmakologie), der Neurologie und anderen
medizinischen Fächern.

Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1, © Springer-Verlag 2020
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Klinische Psychologie … und Psychotherapie!


Definition:
Psychotherapie, als ein Teilgebiet der Klinischen Psychologie, lässt sich definieren als:
„(…) ein bewusster und geplanter interaktionaler Prozess zur Beeinflussung von
Verhaltensstörungen und Leidenszuständen, die in einem Konsensus (möglichst zwischen
Patient*in, Therapeut*in und Bezugsgruppe) für behandlungsbedürftig gehalten werden, mit
psychologischen Mitteln (durch Kommunikation) meist verbal, aber auch averbal,
in Richtung auf ein definiertes, nach Möglichkeit gemeinsam erarbeitetes Ziel
(Symptomminimalisierung und/oder Strukturänderung der Persönlichkeit) mittels lehrbarer
Techniken auf der Basis einer Theorie des normalen und pathologischen Verhaltens.
In der Regel ist dazu eine tragfähige emotionale Bindung notwendig“
(methodenübergreifende Definition; Strotzka 1969, S. 32; hatte auch Auswirkungen auf die
Psychotherapiegesetzte in D).

Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1, © Springer-Verlag 2020
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Struktur der
Klinischen Psychologie

Nach Baumann und Perrez 2005


Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1, © Springer-Verlag 2020
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Interdisziplinäre Grundorientierung: Überschneidungs- und Nachbargebiete

Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1, © Springer-Verlag 2020
Übersicht & Lernziele
1. Was ist Klinische Psychologie (und Psychotherapie)?
2. Was sind psychische Störungen?
3. Modellperspektiven der Klinischen Psychologie

-> Sie kennen Definitionen & Struktur der Klinischen Psychologie und ihre
Nachbarbereiche
-> Sie haben eine erste Definition/ Vorstellung von psychischen
Störungen
-> Sie können die vier Haupt-Modellperspektiven unterscheiden und
kennen Grenzen der jeweiligen Modelle

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Was sind psychische Störungen? I


Definition:
Psychische Störungen sind ein klinisch bedeutsames Verhaltens- oder psychisches Syndrom oder
Muster, das bei einer Person auftritt und das mit momentanem Leiden (z. B. einem schmerzhaften
Symptom) oder einer Beeinträchtigung (z. B. Einschränkungen in einem oder in mehreren wichtigen
sozialen oder Leistungsbereichen) oder mit einem stark erhöhten Risiko einhergeht, zu sterben,
Schmerz, Beeinträchtigung oder einen tiefgreifenden Verlust an Freiheit zu erleiden.
Das Syndrom oder Muster darf nicht nur eine verständliche und kulturell sanktionierte Reaktion auf ein
Ereignis sein, wie z. B. eine normale Trauerreaktion bei Verlust eines geliebten Menschen.
Unabhängig vom ursprünglichen Auslöser muss bei der betroffenen Person eine verhaltensmäßige,
psychische, entwicklungsbezogene oder biologische Funktionsstörung zu beobachten sein.
Weder normabweichendes Verhalten (z. B. politischer, religiöser oder sexueller Art) noch Konflikte des
Einzelnen mit der Gesellschaft sind psychische Störungen, solange die Abweichung oder der Konflikt
kein Symptom einer oben beschriebenen Funktionsstörung bei der betroffenen Person darstellt.

Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1, © Springer-Verlag 2020
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Was sind psychische Störungen? II

Diagnosen psychischer Störungen sind als zeitlich begrenzte Konstrukte anzusehen, die auf
dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Forschung und Erkenntnis in einem
Konsensusverfahren von internationalen Expert*innen für einen gewissen Zeitraum festgelegt
werden.
Wann immer neue Erkenntnisse nahelegen, einzelne Störungen, Einteilungsgründe oder
Strukturen zu ändern, wird eine neuerliche Revision vorgenommen.

Derzeit international gebräuchliche Klassifikationssysteme sind:


Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen, 5. Auflage (DSM-5)
Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter
Gesundheitsprobleme, 11 Auflage (ICD-11)

-> mehr zur Diagnostik und Klassifikation in der 2. VO-Einheit

Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1, © Springer-Verlag 2020
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Aktuelles Modell mit dimensionalem, diagnoseunabhängigem


Mehrebenen-Ansatz: Research Domain Criteria (RDoC)

Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1, © Springer-Verlag 2020
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Warum ist die Beschäftigung mit psychischem Störungen


relevant?

Die 22 Hauptursachen für verlorene Lebensjahre durch Tod oder Behinderung („disability adjusted life
years“, DALY; Global Burden of Disease 2017); PS auf Platz 6 für alle Altersgruppen
Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1, © Springer-Verlag 2020
Übersicht & Lernziele
1. Was ist Klinische Psychologie (und Psychotherapie)?
2. Was sind psychische Störungen?
3. Modellperspektiven der Klinischen Psychologie

-> Sie kennen Definitionen & Struktur der Klinischen Psychologie und ihre
Nachbarbereiche
-> Sie haben eine erste Definition/ Vorstellung von psychischen Störungen
-> Sie können die vier Haupt-Modellperspektiven unterscheiden und
kennen Grenzen der jeweiligen Modelle

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 23


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Modellperspektiven in der Klinischen Psychologie

• Keine allseits akzeptierte und umfassend gültige Gesamttheorie für


psychische Störungen
• Viele Theorie und Modelle, oft nur für Teilaspekte psychischer Störungen
-> Forschung ist weiterhin sehr wichtig für das Fach

5 übergeordnete Zielsetzungen:
1. Beschreibung des interessierenden Verhaltens/ Konstruktes
2. Erklärung (regelhafte Muster & Prozesse; beeinflussende Faktoren)
3. Vorhersage (Zusammenhänge zwischen Verhaltensereignissen)
4. Beeinflussung & Kontrolle (Interventionen)
5. Reduktion von Leid & Behinderung, Verbesserung der Lebensqualität

Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1, © Springer-Verlag 2020
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Modellperspektiven in der Klinischen Psychologie

4 Hauptperspektiven:
1. (Neuro)biologische Perspektive: Ursachen psychischer Störungen in der
Funktionsweise der Gene, des Gehirns, des Nerven- und des endokrinen
Systems
2. Psychodynamische Perspektive: Ursachen des Verhaltens & psychischer
Störungen liegen in intrapsychischen (oft unbewussten) Konflikten,
Impulsen und Prozessen; frühkindliche Konflikte
3. Kognitiv-behaviorale Perspektive: Auf der Grundlage von Vulnerabilitäten &
Stress erlernte Verhaltens- und Einstellungsmuster (inkl. kognitiver Prozesse)
führen zu psychischen Störungen
4. Integrative Perspektive: Psychische Störungen als Ergebnis komplexer
Vulnerabilitäts-Stress-Interaktionen (biologische, kognitiv-affektive, soziale,
umweltbezogene und Verhaltensaspekte; entwicklungs- und zeitbezogene
Dynamik)

Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1, © Springer-Verlag 2020
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(Neuro)biologische Perspektive „Psychische Störungen sind


Hirnerkrankungen“ I

• 18. Jhd: Abkehr von Dämonisierung und


Verwahrung von „Geisteskranken“,
humanitärere Versorgungsansätze (Pinel),
medizinische Behandlungsansätze

• Griesinger 1845: „Geisteskrankheiten sind


Gehirnkrankheiten“, gleichzustellen mit
körperlichen Erkrankungen; Standardwerk
„Die Pathologie und Therapie der
psychischen Krankheiten“ (bis ins frühe 20.
Jhd);
-> physiologische Ursache muss gefunden
werden (z.B. Syphilis und „progressive
Paralyse“; 1905)

Wilhelm Griesinger (1817–1868).


Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
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(Neuro)biologische Perspektive „Psychische Störungen sind


Hirnerkrankungen“ II
Emil Kraepelin
• Begründer der modernen Psychiatrie
und Vater der psychopathologischen
Klassifikation (Dementia praecox und
manisch-depressive Psychose)
• Einführung des Begriffs „Syndrom“
(regelhaft zusammen auftretende
Gruppe von Symptomen)
• Annahme: Syndrome haben zugrunde
liegende physische Ursache
• Unterschiedliche Syndrome mit
spezifischer Genese und Verlauf
• Durch Austausch mit W. Wund
Entwicklung der experimentellen
Psychopathologie -> wissenschaftlich
begründete Psychiatrie
Emil Kraepelin (1856–1926)

Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
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(Neuro)biologische Perspektive „Psychische Störungen sind


Hirnerkrankungen“ III

Annahme: Alle psychischen


Funktionen und das Verhalten sind
direkt abhängig von der Funktion
und der anatomischen
Beschaffenheit von Gehirnzellen, -
strukturen und dem
Nervensystem.

Das traditionelle medizinische


Modell: Aus der Diagnose ergibt
sich die Therapie!
a Seine Anwendung auf
psychische Störungen
b Seine „naive“ Anwendung in
psychologischen
Störungsmodellen
Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
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(Neuro)biologische Perspektive „Psychische Störungen sind


Hirnerkrankungen“ IV
Viele neue Entwicklungen in den letzten zwei Dekaden; verstärkte interdisziplinäre
Ausrichtung, z.B. Clinical Neuroscience; Neuropsychotherapie nach Grawe (2004)
-> besseres Verständnis psychologischer Funktionen und Prozesse

Aber:
• Kritik am recht „kausalen“ Denken, dass psychische Phänomene, Verhalten und
psychopathologische Symptome allein durch neurobiologische Auffälligkeiten
erklärbar sind;
• Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Prozessen (kognitiv, affektiv,
verhaltensbezogen, psychobiologisch) werden zu wenig beachtet.

Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
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Psychodynamische Perspektive I

• Weitere Krankheiten neben dementia praecox


und manisch-depressiven Syndromen
(dysfunktionale Gedanken); keine
Strukturabnormitäten i.S.v. physiologische
Dysfunktionen
• Freud: Ursachen psychischer Störungen sind
primär intrapsychischer (und nicht biologischer)
Natur
• Psychische Störungen sind Erweiterungen
normaler Prozesse (Unbewusstsein,
Abwehrmechanismen)
• Krankheiten entstehen aus Problemen des
Unbewussten
• 2 zentrale psychodynamische Theorien des
Unbewussten
1. Unbewusstes (Primärprozess, Lustprinzip) –
Vorbewusstes - Bewusstes (Sekundärprozess)
Sigmund Freud (1856–1939)
2. Strukturtheorie: Es (Triebe)– Ich – Über-Ich
(auch Unbewusstes)
Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
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Psychodynamische Perspektive II

• Neurosen (in Abgrenzung zu Psychosen)


-> ungelöste, verdrängte frühkindliche
Konflikte, durch auslösende Situationen
reaktiviert
-> misslungene Verarbeitungsversuche/
Ersatz für verdrängte Konflikte/
Ersatzbefriedigung für Impulse
• Entwicklung der Psychoanalyse durch Freud
= Theorie & Therapie; wichtige Entwicklung
für die Behandlung von psychischen
Störungen

• Moderne Theorien, z.B.:


Objektbeziehungstheorie
Interpersonelle Konflikttheorie
-> unbewusste Phantasien und mentale
Repräsentanzen
Sigmund Freud (1856–1939)

Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1, © Springer-Verlag 2020
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Kognitiv-behaviorale Perspektive I
• Genuin psychologische Perspektive;
Entwicklung der Psychologie als
wissenschaftliches Fach
• Wundt: 1. psychologisches Labor 1879
-> sorgfältige Introspektion,
psychophysische Methoden
-> Strukturen des Bewusstseins
herausarbeiten (Strukturalismus ->
Funktionieren und Strukturen des
menschlichen Geistes)
• Um die Jhd-Wende hin zum
Behaviorismus
Wilhelm Wundt (1832–1920, 3. v. r., sitzend)
-> beobachtbares Verhalten, objektive
Methoden (Reiz – Reaktion,
Lernprozesse)
-> Vorhersage menschlichen Verhaltens
= Geburtsstunde Verhaltenstherapie;
1950er Etablierung zu einflussreichster
Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl., Therapie neben Psychoanalyse
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Kognitiv-behaviorale Perspektive II

• Psychische Störungen als Ergebnis


fehlgelaufener Konditionierungsprozesse
• Erweiterung durch Persönlichkeitsfaktoren,
biologische und genetische Faktoren
• Drei-Ebenen-Ansatz: biologische, kognitiv-
affektive, verhaltensbezogene Ebene
-> kognitiv-behavioraler Ansatz: Psychische
Störungen als das Ergebnis einer fehlerhaften
Drei-Ebenen-Modell nach Lang am Beispiel der Angst Wahrnehmung der Situationswirklichkeit
oder inadäquater Problemlösung;
Erkenntnis- und Methodeninventar der
ganzen Psychologie (Wahrnehmung,
Überzeugungen, Bewältigungserwartungen,
Kontrollerwartungen….)
-> SORKC-Modell (Kanfer & Saslow, 1979)
-> genuin psychologisches Behandlungs-
verfahren der wissenschaftlichen Psychologie
Die kognitive Trias nach Timothy Aaron Beck
Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
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Welche Perspektive ist es?

Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1, © Springer-Verlag 2020
35

Welche Perspektive ist es?

Xxx beschreibt das Störungsbild als

Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1, © Springer-Verlag 2020
36

Welche Perspektive ist es?

YY stellt eine Majore Depression fest. Diese

fiehlt eine …

Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1, © Springer-Verlag 2020
37

Welche Perspektive ist es?

ZZ kommt zu dem Ergebnis, dass es sich

Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1, © Springer-Verlag 2020
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Integrative Perspektive; biopsychosoziale & interaktionelle
Modelle

Vulnerabilitäts-Stress-Modell/ Diathese Stress-Modell psychischer Störungen


Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1, © Springer-Verlag 2020
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Modellperspektiven in der Klinischen Psychologie

Wichtig:
Keine der bislang vorliegenden Theorien ist statisch, endgültig oder
allgemeingültig.
Der Wert einiger Theorien besteht darin, dass sie aktuell zur Erklärung bestimmter
psychischer Prozesse und Verhaltensweisen wertvolle Erkenntnisfortschritte
erlauben.
Der Wert anderer Theorien liegt z. B. eher darin, dass sie in der historischen
Entwicklung eine zentrale Rolle gespielt haben.

Aus: Hoyer, J. & Knappe, S., Klinische Psychologie und Psychotherapie, 3. Aufl.,
doi.org/10.1007/978-3-662-61814-1, © Springer-Verlag 2020
Übersicht & Lernziele
1. Was ist Klinische Psychologie (und Psychotherapie)?
2. Was sind psychische Störungen?
3. Modellperspektiven der Klinischen Psychologie

-> Sie kennen Definitionen & Struktur der Klinischen Psychologie und ihre
Nachbarbereiche
-> Sie haben eine erste Definition/ Vorstellung von psychischen Störungen
-> Sie können die vier Haupt-Modellperspektiven unterscheiden und
kennen Grenzen der jeweiligen Modelle

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 40

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