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VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 1


VO Klinische Psychologie (200019, 2022W)
Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen und
abhängigen Verhaltensweisen
PD Dr Dr Ricarda Nater-Mewes & PD Dr Jennifer Randerath

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1. Dienstag 04.10: Was ist Klinische Psychologie? RNM
2. Dienstag 11.10: Diagnostische Klassifikation psychischer Störungen JR
3. Dienstag 18.10: Epidemiologische Beiträge zur KP RNM
4. Dienstag 25.10: Kennen Sie die Grundlagen für diese VO? – Quiz mit den Online verfügbaren
Karteikarten: https://lehrbuch-psychologie-springer-com.uaccess.univie.ac.at/karteikarten/5648/1
5. Dienstag 08.11: Überblick Therapieverfahren JR
6. Dienstag 15.11: Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen und abhängigen
Verhaltensweisen JR
7. Dienstag 22.11: Affektive Störungen RNM
8. Dienstag 29.11: Somatoforme Störungen und stressabhängige körperliche Beschwerden RNM
9. Dienstag 06.12: Angststörungen I JR
10. Dienstag 13.12: Angststörungen II JR
11. Dienstag 10.01: Posttraumatische Belastungsstörung; Zwangsstörung RNM
12. Dienstag 17.01: Psychotische Störungen und Schizophrenie JR
13. Dienstag 24.01: Persönlichkeitsstörungen RNM
14. Dienstag 31.01: 1. Prüfungstermin

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https://ufind.univie.ac.at/de/course.html?lv=200019&semester=2022W
Literatur
Hoyer & Knappe. Klinische Psychologie & Psychotherapie (Auflage 3). 2020, Springer.
Vor allem:
• Kapitel 44

Vokabelheft
Psychiatrie

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Übersicht und Lernziele
Psychotische Störungen / Schizophrenie
1. Wie werden psychotische Störungen / Schizophrenie heute
klassifiziert?
2. Welche Erklärungsmodelle gibt es, und was sind Risikofaktoren?
3. Wie werden die psychotische Störungen / Schizophrenie
diagnostiziert?
4. Welche Behandlungsansätze gibt es?

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Was verstehen Sie unter „Schizophrenie“ ?

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ein Schizophrener hat keine verschiedene Persönlichkeiten,
sondern Veränderungen im Denken, Fühlen und Verhalten.
Die Verwechslung entsteht, weil „schizo“ übersetzt „ich
spalte“ heißt und „phren“ soviel wie Geist

Charakteristisches Störungsmuster der Schizophrenie


→fast alle psychische Funktionen sind betroffen,
→Bewusstsein und Orientierung sind hingegen meistens nicht beeinträchtigt.
→Bei voller Symptomausprägung stehen Störungen der folgenden Funktionen im Vordergrund:

a. Neuropsychologische Funktionen (z.B. Konzentration und Aufmerksamkeit)

b. Inhaltliches (z.B. Wahn) und formales Denken (z.B. desorganisiert)

c. Ich-Funktionen (z.B. Gefühl der Gedankeneingebung/Gedankenausbreitung)

d. Wahrnehmung (Halluzinationen)

e. Intentionalität (z.B. Apathie) und Antrieb (Steigerung oder Minderung),

f. Affektivität (z.B. Angst, negative Stimmung)


Lincoln & Heibach, Psychosen, 2017
g. Psychomotorik (auffällige Bewegungen/Starre) Hoyer & Knappe, Kap. 44

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Es kann auch sehr gescheite Personen treffen, die in den
psychotischen Episoden Einbußen im Denken erfahren können

Berühmtheiten mit Psychosen


Beispiel: John Forbes Nash, 1928-2015
US-amerikanischer Mathematiker, der besonders in den Bereichen Spieltheorie
(Nobelpreis 1994 für Arbeiten aus den 50ern) und Differentialgeometrie sowie
auf dem Gebiet der partiellen Differentialgleichungen arbeitete
• Nach einem vielversprechenden Start seiner mathematischen Karriere
erkrankte Nash mit dreißig Jahren an Schizophrenie. Er erlebte während der
nächsten 20 Jahre häufige Rückfälle und war immer wieder in Kliniken und
brachte zwischen 1966 und 1996 keinerlei Publikationen heraus. Nash
erholte sich zu Beginn der 1990er Jahre. → Während er anfangs den
Studenten durch merkwürdige Botschaften auffiel, die er hinterließ, fiel den
Mathematikern in Princeton Anfang der 1990er Jahre zunehmend auf, dass Abb. 44.3 John F. Nash Jr.
er Teile seiner alten Problemlösungsfähigkeiten wiedergewonnen hatte (© Thomas
Frey/dpa/picture alliance)
• Seine Geschichte ist 2001 durch den Spielfilm A Beautiful Mind bekannt
geworden. In der Verfilmung sind viele Einzelheiten frei erfunden.

https://www.nobelprize.org/prizes/economic-sciences/1994/nash/biographical/
https://de.wikipedia.org/wiki/John_Forbes_Nash_Jr.
Hoyer & Knappe, Kap. 44
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Epidemiologische
Befunde

Abb. 3.10 Psychische Störungen nach Prävalenz (und in Klammern die geschätzte Anzahl betroffener Personen in Europa, in
Millionen; Wittchen et al. 2011, © 2011, with permission from Elsevier). Trotz höherer Prävalenz kann die Anzahl
betroffener Personen in einzelnen Fällen geringer ausfallen als bei Störungen mit geringerer Prävalenz, weil sich die
Schätzungen bei den einzelnen Störungen auf unterschiedliche Altersgruppen beziehen können

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Epidemiologie
Abb. 44.11
10-Jahres-Follow-up von
ursprünglich 532 Inzidenzfällen
von psychotischen Störungen in
Großbritannien.
Von den Probanden waren zu
diesem Zeitpunkt 46 % seit 2
Jahren symptomfrei,
-> ein gutes Outcome (d. h. keine
psychotische Episode) war
häufiger als ein ungünstigeres
Outcome (d. h. Bestehen einer
akuten psychotischen Episode
nach 10 Jahren).
(Morgan et al. 2014, reproduced
with permission of Cambridge
University Press)

Hoyer & Knappe, Kap. 44


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+/- Symptomatik
- Die Negativsymptomatik beschreibt eine Verminderung oder einen Verlust von
Funktionen oder Erleben im Vergleich zu Gesunden. Hierzu zählen die Verminderung von
Mimik und Gestik sowie der Verlust von Freude und Motivation.

die 5 grossen A:

Verminderte Expressivität
– Alogie: Armut des Sprachinhalts, Hemmung, verzögerte Reaktion.
– Affektverflachung: Reduktion des Affektausdrucks wie verminderte Mimik und Gestik (z. B. monotone
Stimme und neutraler Gesichtsausdruck unabhängig der Situation)

Vermindertes Erleben
– Anhedonie: Freudverlust, insbesondere Defizit in antizipatorischer Freude, Reduktion in der Ausübung
von lustvollen Aktivitäten.
– Asozialität: Reduktion von sozialer Initiative und Wunsch nach engen Kontakten.
– Avolition: Reduktion der Initiierung und Persistenz in zielgerichteter und zweckgebundener Aktivität
(z. B. Erledigung von Pflichten).
Hoyer & Knappe, Kap. 44
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+/- Symptomatik
+ Die Positivsymptomatik beschreibt eine Steigerung des Erlebens im Vergleich zu Gesunden.
Hierzu gehören Halluzinationen, Wahn, desorganisiertes Denken und grob desorganisiertes
Verhalten oder gestörte Motorik.

Hoyer & Knappe, Kap. 44


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+/- Symptomatik im Verlauf
Merke: je mehr Symptome, desto mehr “at risk” eine Psychose zu entwickeln,
jedoch: Mehrzahl der Risikopersonen entwickeln keine psychotische Störung

Prodromalphase: Symptome als Vorboten, z.B.


Unspezifische Symptome wie Ängste, Reizbarkeit
oder aber psychosenahe Symptome

Abb. 44.10 Schematische Darstellung der frühen Phasen von psychotischen Störungen wie Schizophrenie. Häufigkeit,
Art und Schwere der Positiv- und Negativsymptomatik kann genutzt werden, um zwischen den einzelnen Risikostadien
zu differenzieren. (Nach Keshavan et al. 2011, © 2011, with permission from Elsevier)
Hoyer & Knappe, Kap. 44
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Sinnestäuschungen
• Halluzinationen sind Erfahrungen, die wahrnehmungsähnlich sind, aber ohne eine entsprechende
externale Reizquelle auftreten. Dieser Vorgang entzieht sich der Kontrolle der Person und wird in
Intensität und Qualität wie eine normale Wahrnehmung erlebt (APA 2015). Prinzipiell kann jede
Sinnesmodalität hierbei eine Rolle spielen. Besonders charakteristisch für die Schizophrenie sind
jedoch auditive Halluzinationen in Form von Stimmenhören (Abb. 44.5; Exkurs).

→ Wahrnehmung ohne entsprechende Reizquelle:


• Stimmenhören (Phoneme)
• Hören von Geräuschen (Akoasmen)
• Optische Halluzinationen
• Körperhalluzinationen (Coenästhesien): Taktiles Wahrnehmen oder Störungen des Leibempfinden
• Geruchs- und Geschmackshalluzinationen

Hoyer & Knappe, Kap. 44


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Beispiele für verbale auditive Halluzinationen
→ häufig kommentierend oder befehlend

Abb. 44.5 Hoyer & Knappe, Kap. 44

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(Stimmenhören) nicht unbedingt klinisch relevant!
z.B. sogar vorteilhaft in spirituellen Kontexten als Gabe

Beispiele von Merkmalen auditiver verbaler


Halluzinationen mit oder ohne Bedarf von Behandlung

Abb. 44.6 Ausschnitt von Merkmalen auditiver verbaler Halluzinationen, die mit oder ohne Bedarf von
Behandlung auftreten. (Adaptiert aus Johns et al. 2014) Hoyer & Knappe, Kap. 44

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Beispiel des Kontinuums von auditiven Halluzinationen

Halluzinationsähnliche Erfahrungen
umfassen z.B. Phänomene im
Übergang zw. Schlaf- und
Wachzustand, z.B. Interpretation von
Schatten als Objekte

Abb. 44.8 (Mod. nach Schlier et al. 2017, © 2017, with permission from Elsevier) Hoyer & Knappe, Kap. 44

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Beispiel des Kontinuums von paranoiden Gedanken.
Abb. 44.9 Während die unterste breite Stufe an
Ideen/Überzeugungen häufig vorkommt ist die
oberste, wahnnahe Ebene vergleichsweise selten
(Freeman et al. 2005, reproduced with permission of Cambridge
University Press)

Studie UK:
•ca. 5% stark bedrohliche Sorge, dass
ein Komplott gegen sie geschmiedet
wird
•ca. 10-30% berichteten
mittelgradig bedrohliche
Häufigkeit

Verfolgungsgedanken
•ca. 30-40%
Überzeugung, dass
negative
Kommentare über
sie im Umlauf
waren

Hoyer & Knappe, Kap. 44

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Unterscheidung Denkstörungen: inhaltlich / formal
Inhaltliche Denkstörungen: Die Inhalte des Denkens sind verändert.
• Wahn wird als eine unveränderbare Überzeugung definiert, die unabhängig von gegenteiliger
Evidenz fest bestehen bleibt (APA 2015). Es gibt unterschiedliche Arten von Wahn, besonders
charakteristisch für die Schizophrenie ist der Verfolgungswahn.
Bizarr: wenn die Überzeugung unmöglich wahr sein kann und nicht z.B. aus kulturellen
Hintergründen ableitbar ist, häufig magisch-mystische Einschläge

Formale Denkstörungen: Störungen des Gedankenablaufs, zeigen sich in sprachlichen


Äusserungen
• Geschwindigkeit
• Kohärenz/Zusammenhang
• Stringenz/Schlüssig

➢Führt oft zu einer erschwerten Exploration

Hoyer & Knappe, Kap. 44

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Beispiele für wahnhafte Gedanken

Wahnwahrnehmung falls Rauschen


Beziehungswahn (hier: bizarr) in der Leitung real – sonst
Akoasmen (Halluzination),
Verfolgungswahn (hier: nicht bizarr)

Grössenwahn (hier: bizarr)

Abb. 44.4 Verfolgungswahn (hier: nicht bizarr) Hoyer & Knappe, Kap. 44

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Konkretismus: "Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“ Was bedeutet das? Der Patient
kann auf Nachfrage hin keine Transfer/Abtsraktionsleistung erbringen
Neologismen: Wortneubildungen/zusammensetzungen

Unterscheidung Denkstörungen: inhaltlich / formal


Inhaltliche Denkstörungen: Die Inhalte des Denkens sind verändert.
• Wahn wird als eine unveränderbare Überzeugung definiert, die unabhängig von gegenteiliger
Evidenz fest bestehen bleibt (APA 2015). Es gibt unterschiedliche Arten von Wahn, besonders
charakteristisch für die Schizophrenie ist der Verfolgungswahn.

Formale Denkstörungen: Störungen des Gedankenablaufs, zeigen sich i.d.R. in


sprachlichen Äusserungen (z.B. Denkhemmung/verlangsamung, Desorganisiertes Denken,
Konkretismus, Neologismen, Grübeln)
• Geschwindigkeit
• Kohärenz/Zusammenhang
• Stringenz/Schlüssigkeit

➢Führt oft zu einer erschwerten Exploration

Hoyer & Knappe, Kap. 44

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Alogie: Eine Denkverarmung (verlangsamt und inhaltsarm), auf
die aus der Beobachtung von Rede und Sprachverhalten
geschlossen wird

Beispiel für Alogie / Denk- bzw. Sprachverarmung


Alogie Normales Sprechen

Haben Sie gut geschlafen? Haben Sie gut geschlafen?


Nein Nein, ich bin mehrfach aufgewacht
Konnten Sie nicht einschlafen, durchschlafen Weshalb sind Sie mehrfach aufgewacht?
oder sind sie früher wach geworden? Ich musste 2mal zur Toilette, und dann war es
Nicht durchschlafen schwierig, wieder einzuschlafen.

Hat Sie etwas vom Durchschlafen abgehalten?


Ich musste mal.
Wie oft?
2 mal
Gelang es Ihnen wieder schnell einzuschlafen?
Nein
➢ Patient antwortet eher zögerlich und wortkarg.
➢ Der/die UntersucherIn empfindet die Gesprächsführung i.d.R. als mühsam
➢ Ursachen: Denk- und Ausdrucksstörungen / gestörte kognitive Kommunikationsfähigkeit

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Seite 22
Beispiele für Desorganisiertes Denken
Assoziationslockerung Vermehrung von Einfällen, Das Ziel des Denkens kann auf Grund von
/ Ideenflucht gedanklichen Assoziationen oder äussere Reize häufig wechseln oder verloren
gehen ,”vom Hölzchen aufs Stöckchen”
Vorbeireden / Verfehlen des Themas, obwohl die Fragestellung verstanden wurde. Z.B.
Danebenreden Warum sind Sie gestern in die Klinik gekommen? “Die chinesische Mauer ist
über 5000 km lang” Erinnern Sie sich noch an meine Frage? “Ja, Sie wollten
wissen, warum ich gestern in die Klinik gekommen bin”
Zerfahrenheit/ Z.B. Warum sind Sie gestern in die Klinik gekommen? “Gestern nachmittag bin
Inkohärenz ich in die Klinik gekkommen, weil während des Semesters der Psychologiekurs
stattfindet, und am Ende der Strasse steht ein Stopschild.”
Gesperrt/Gedanken- Plötzlicher grundloser Abbruch eines sonst flüssigen Gedankenganges /
abreissen Sprechvorgangs
Perseveration Haftenbleiben an zuvor gebrauchten Worten oder Angaben, die nun nicht
mehr sinnvoll sind

➢ Patient antwortet nicht zielgerichtet.


➢ Der/die UntersucherIn empfindet die Exploration i.d.R. als mühsam
➢ Ursachen: Denk- und Ausdrucksstörungen / gestörte kognitive Kommunikationsfähigkeit

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Beispiele für grob desorganisiertes Verhalten
Beispiele: i.d.R. im Rahmen akuter psychotischer Episoden
• Ein Patient wirft Gegenstände aus dem Fenster, stellt die Möbel durcheinander oder
sammelt in sinnlos erscheinender Weise Gegenstände auf, um sie an anderer Stelle
wieder zu verteilen
→Solch desorganisiertes Vh kommt seltener vor als Wahn oder Halluzinationen, tritt aber
häufig in Kombination mit einem Wahnerleben auf (z.B. sammeln aller
Wohnungsgegenstände vor der Wohnungstür, die mit dem Bösen infiziert wurden)
• Veränderung / Vernachlässigung der äusseren Erscheinung wie z.B. eine exzentrische
Aufmachung, oder wenn ein Patient bei sommerlichen Temperaturen 4 Pullis und 2
Jacken übereinander anzieht
→Treten vergleichsweise etwas häufiger auf, charakteristisch für die schizotype Störung

➢ die Handlungen der Betroffenen wirken auf BeobachterInnen ziellos oder bizarr.

(Beispiel aus Lincoln & Heibach, Psychosen, 2017, S. 8)

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Katatonie: unnatürliche und stark verkrampften Haltungen bzw. Verhaltensweisen des ganzen
Körpers bzw. der Person: hypokinetische (Zuwenig) und hyperkinetische (Zuviel) Phänomene

Beispiele Bewegungsstörungen / Katatonie


Bewegungsstereotypien: scheinbar sinnlose und stereotype Bewegungen
Wenn Frau F im Gespräch unter Druck gerät, sie z.B. wieder unter
Gedankenabreissen leidet oder sie von sehr belastenden Themen spricht,
legt sie ihren Kopf häufig von einer Seite auf die andere, sodas eine Art
fliessende Bewegung entsteht. Ihre selbst fällt dies nicht auf.
https://en.wikipedia.org/w
iki/Catatonia
In seltenen Fällen kommt es auch zur Verminderung von Bewegungen, die
Person nimmt z.B. eine steife Haltung an – in sehr seltenen Fällen kommt
es zum katatonen Stupor – der völligen Bewegungslosigkeit

Andere psychomotorische Auffälligkeiten, wie Auf- und Abgehen,


Schaukelbewegungen oder andauerndes Fusswippen, entspringen einer
starken motorischen Unruhe (können aber auch auf die Medikation
zurückzuführen sein, -> Nebenwirkungen)

➢ die Bewegungen der Betroffenen wirken auffällig.


(Beispiel aus Lincoln & Heibach, Psychosen, 2017, S. 8)
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Kognitive Symptome bei primären psychotischen
Störungen
Beeinträchtigungen in einem der folgenden Bereiche (ICD 11):
• Verarbeitungsgeschwindigkeit,
• Aufmerksamkeit/Konzentration,
• Orientierung,
• Urteilsvermögen,
• Abstraktionsvermögen,
• verbales oder visuelles Lernen und
• Arbeitsgedächtnis.
Die kognitive Beeinträchtigung ist nicht auf eine neurologische Entwicklungsstörung, ein Delirium oder
eine andere neurokognitive Störung oder auf die direkten Auswirkungen einer Substanz oder eines
Medikaments auf das zentrale Nervensystem, einschließlich Entzugserscheinungen, zurückzuführen.
Idealerweise sollte die Verwendung dieser Kategorie auf den Ergebnissen lokal validierter,
standardisierter neuropsychologischer Bewertungen beruhen, auch wenn solche Messungen nicht in
allen Einrichtungen verfügbar sind

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Beispiel: Ablauf einer klassischen „Beads-Aufgabe“ zur Erfassung des
voreiligen Schlussfolgerns

Jumping to Conclusion Bias: potenziell wahnrelevanter Bias,


Zusammenhänge mit Wahnsymptomatik
→ aber nicht ausreichend noch nötig für Entwicklung /
Aufrechterhaltung der Symptomatik

Abb. 44.17
Ichstörungen bei primären psychotischen Störungen
Hierzu gehören:
• Derealisation (d. h. die Umwelt erscheint fremdartig, unwirklich, verzerrt),
• Depersonalisation (d. h. der Patient selbst kommt sich fremdartig, unwirklich, verzerrt vor)
• Gedankeneingebung, Gedankenausbreitung und Gedankenentzug (d. h. die eigenen
Gedanken fühlen sich von außen eingegeben oder entzogen bzw. sich unkontrollierbar
nach außen ausbreitend an).
• Fremdbeeinflussungserleben: manche Patienten fühlen sich auch in ihren Handlungen,
Zielen oder Gefühlen von außen beeinflusst.
Fallbeispiel: Ich-Störungen (S. 954)
Frau M. berichtet, dass sie oft den Eindruck habe, dass ihre Gedanken für jedermann hörbar seien. Meist kämen ihr die
Gedanken auch sehr fremd vor, so als seien sie von jemand anderem. Sie sei daher sehr ängstlich und schäme sich
schnell. Auf dem Weg zur Therapie habe sie z. B. einen jungen Mann gesehen und es sei ihr ein Gedanke eingegeben
worden „Er ist attraktiv“. Als er sie daraufhin angeschaut habe, habe sie sich bestätigt gesehen, dass er es gehört habe.
Dies war ihr dann sehr unangenehm, sie habe schnell nach unten geschaut und zum Glück bald darauf aussteigen
können. Sie habe Angst, Menschen mit diesen unkontrollierbaren Gedanken zu nahe zu treten und versuche daher oft,
das Denken zu vermeiden. Dies führe zu starker Anspannung.
Hoyer & Knappe, Kap. 44

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 28


Psychose - Fallbeispiel

Vielleicht entdecken Sie im folgenden Fallbeispiel Hinweise auf Symptome?


Notieren Sie sich die Symptome, die Ihnen auffallen.

Siehe Fallbeispiel Hoyer & Knappe, Kap. 44, S. 948

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 29


Diagnostische Kriterien ICD 11

https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html
Die ICD-11 ist seit ihrem Inkrafttreten am 01.01.2022 grundsätzlich einsetzbar. Die hier gezeigte Version ist eine erste
Version einer deutschen Übersetzung, die auch unter Verwendung automatisierter Übersetzungsverfahren erstellt
wurde. Diese Version befindet sich in einem bereits begonnenen kontinuierlichen Qualitätssicherungsprozess.
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 30
Avolition → Antriebsstörung
Sanktionieren → im Sinne von billigen (kulturell nicht unüblich sind)
Diagnostische Kriterien ICD 11

6A2.... Wichtig
Schizophrenie oder andere primäre psychotische Störungen sind durch erhebliche
Beeinträchtigungen der Realitätsprüfung und Verhaltensänderungen gekennzeichnet, die
sich in
Positivsymptomen wie anhaltenden Wahnvorstellungen, anhaltenden Halluzinationen,
desorganisiertem Denken (typischerweise als desorganisierte Sprache), grob
desorganisiertem Verhalten und Erfahrungen von Passivität und Kontrolle,
Negativsymptomen wie abgestumpftem oder flachem Affekt und Avolition
sowie psychomotorischen Störungen äußern.
Die Symptome treten mit ausreichender Häufigkeit und Intensität auf, um von den
erwarteten kulturellen oder subkulturellen Normen abzuweichen.
Diese Symptome treten nicht als Merkmal einer anderen psychischen Störung oder
Verhaltensstörung auf (z. B. einer Stimmungsstörung, eines Delirs oder einer Störung
aufgrund von Substanzkonsum). Die Kategorien in dieser Gruppierung sollten nicht dazu
verwendet werden, den Ausdruck von Ideen, Überzeugungen oder Verhaltensweisen zu
klassifizieren, die kulturell sanktioniert sind.
https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 31
6A40 Katatonie: gleichzeitiges Auftreten mehrerer Symptome verminderter, gesteigerter oder
abnormaler psychomotorischer Aktivität in Verbindung mit einer anderen psychischen Störung
Diagnostische Kriterien ICD 11 Wichtig
6A20 Schizophrenie
Schizophrenie ist durch Störungen in mehreren mentalen Modalitäten gekennzeichnet, einschließlich
+ des Denkens (z. B. Wahnvorstellungen, Desorganisation in der Form des Denkens),
+ der Wahrnehmung (z. B. Halluzinationen),
+ der Erfahrung des Selbst (z. B. die Erfahrung, dass die eigenen Gefühle, Impulse, Gedanken oder das
Verhalten unter der Kontrolle einer externen Kraft stehen),
(+/-)der Kognition (z. B. Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit, des verbalen Gedächtnisses und der sozialen
Kognition),
- des Willens (z. B. Motivationsverlust),
- des Affekts (z. B. abgestumpfter Gefühlsausdruck) und
+ des Verhaltens (z. B. Verhalten, das bizarr oder zwecklos erscheint, unvorhersehbare oder
unangemessene emotionale Reaktionen, die die Organisation des Verhaltens stören).

Psychomotorische Störungen, einschließlich Katatonie*, können vorhanden sein.

Anhaltende Wahnvorstellungen, anhaltende Halluzinationen, Denkstörungen und Erfahrungen von


Einflussnahme, Passivität oder Kontrolle gelten als Kernsymptome.
Die Symptome müssen mindestens einen Monat lang bestanden haben, damit die Diagnose
Schizophrenie gestellt werden kann. Substanzen: Alkohol, Cannabis, Amphetamine etc.
Die Symptome sind nicht Ausdruck eines anderen Gesundheitszustands (z. B. eines Hirntumors) und sind
nicht auf die Wirkung einer Substanz oder eines Medikaments auf das zentrale Nervensystem (z. B.
Kortikosteroide) zurückzuführen, auch nicht auf einen Entzug (z. B. Alkoholentzug).
https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 32
Diagnostische Kriterien ICD 11
6A20 Schizophrenie Wichtig

Symptome: mindestens 2, davon > 1 Positivsymptom länger als 1 Monat

Unterschieden werden:
• 6A20.0 Schizophrenie, erste Episode
• 6A20.1 Schizophrenie, mehrfache Episoden mit substantieller Remission zwischen
den Episoden
• 6A20.2 Schizophrenie, kontinuierlich (Kriterien waren fast während des gesamten
Krankheitsverlaufs über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr vorhanden)

https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 33
Diagnostische Kriterien ICD 11
6A21 Schizoaffektive Störung
Bei der schizoaffektiven Störung handelt es sich um eine episodische Störung, bei der die diagnostischen
Voraussetzungen einer Schizophrenie und einer manischen, gemischten oder mittelschweren bzw.
schweren depressiven Episode innerhalb derselben Krankheitsepisode erfüllt sind, entweder gleichzeitig
oder innerhalb weniger Tage nacheinander.

Die Hauptsymptome der Schizophrenie (z. B. Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Desorganisation des


Denkens, Erfahrungen von Einflussnahme, Passivität und Kontrolle) werden von typischen Symptomen
→einer mittelschweren oder schweren depressiven Episode (z. B. gedrückte Stimmung,
Interessenverlust, verminderte Energie),
→einer manischen Episode (z. B. ein extremer Stimmungszustand, der durch Euphorie, Reizbarkeit oder
Expansivität gekennzeichnet ist; gesteigerte Aktivität oder ein subjektives Erleben von gesteigerter
Energie)
oder
→einer gemischten Episode
begleitet.
Psychomotorische Störungen, einschließlich Katatonie, können vorhanden sein.
Die Symptome müssen seit mindestens einem Monat andauern.
Die Symptome sind nicht Ausdruck einer anderen Erkrankung (z. B. eines Hirntumors) und nicht auf die
Wirkung einer Substanz oder eines Medikaments auf das zentrale Nervensystem (z. B. Kortikosteroide)
zurückzuführen, auch nicht auf einen Entzug (z. B. Alkoholentzug).
https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html
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Dauerhaft oder episodisch
Diagnostische Kriterien ICD 11 > 2 Jahre
6A22 Schizotype Störung
Die schizotypische Störung ist gekennzeichnet durch ein dauerhaftes (d. h. für die Funktionsweise der
Person über einen Zeitraum von mindestens mehreren Jahren charakteristisches) Muster von
Exzentrizitäten* in Verhalten, Aussehen und Sprache, begleitet von kognitiven und
wahrnehmungsbezogenen Verzerrungen, ungewöhnlichen Überzeugungen und Unbehagen in
zwischenmenschlichen Beziehungen sowie einer oft eingeschränkten Fähigkeit dazu.

Zu den Symptomen können eingeschränkter oder unangemessener Affekt und Anhedonie* gehören.

Paranoide Ideen, Beziehungsideen (ähnlich Beziehungswahn*) oder andere psychotische Symptome,


einschließlich Halluzinationen in jeder Modalität, können auftreten,
sind jedoch nicht von ausreichender Intensität oder Dauer (nicht länger als 1 Monat), um die
diagnostischen Anforderungen einer Schizophrenie, schizoaffektiven Störung oder wahnhaften Störung
zu erfüllen.

Die Symptome verursachen Leiden oder Beeinträchtigungen in persönlichen, familiären, sozialen,


schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.

Exzentrisch: Absonderlich/Verschroben
Anhedonie: Unfähigkeit, Freude und Lust zu empfinden
Beziehungswahn: wahnhaftes Beziehen von Ereignissen auf die eigene Person (z.B. wird von der Nachbarin
eigenartig gemustert oder zu früh abfahrenden / verpassten Bus als wichtige Botschaft deuten, etc.)
https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html
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Diagnostische Kriterien ICD 11
6A23 Akute vorübergehende psychotische Störung
Eine akute und vorübergehende psychotische Störung ist durch das akute Auftreten psychotischer
Symptome gekennzeichnet, die ohne ein Prodromalstadium* auftreten und innerhalb von zwei Wochen
ihren maximalen Schweregrad erreichen.
Typisch: Schneller, heftiger Einbruch, z.B. führt schnell zu Problemen bzgl. Arbeit/Umfeld, aber bei Remission wieder o.k.
Zu den Symptomen können Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Desorganisiertes Denken, Ratlosigkeit
oder Verwirrung sowie Störungen des Affekts und der Stimmung gehören.
Kennzeichnend währenddessen zudem: Abwesenheit von Negativsymptomatik (z.B. Affektverflachung, etc.)

Katatonieähnliche psychomotorische Störungen können vorhanden sein.


Die Symptome ändern sich typischerweise schnell, sowohl in ihrer Art als auch in ihrer Intensität, von Tag
zu Tag oder sogar innerhalb eines einzigen Tages.
Die Dauer der Episode beträgt nicht mehr als drei Monate und liegt meist zwischen einigen Tagen und
einem Monat.
Die Symptome sind nicht Ausdruck einer anderen Erkrankung (z. B. eines Hirntumors) und sind nicht auf
die Wirkung einer Substanz oder eines Medikaments auf das zentrale Nervensystem (z. B.
Kortikosteroide) zurückzuführen, auch nicht auf einen Entzug (z. B. Alkoholentzug).
Prodromalsymptome: Psychose-Frühzeichen (z.B. Rückzug aus sozialen Bindungen, verminderte Lebensfreude
und Leistungsfähigkeit, Ausbildung oder Beruf können nicht mehr wie früher bewältigt werden, Ängste oder
Depressionen, Nervosität, Ängstlichkeit und Unruhe → siehe auch Fallbeispiel)
https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 36
Dermatozoenwahn: Vorstellung, dass
sich Lebewesen auf, in oder unter der
Haut befinden und sich bewegen
Diagnostische Kriterien ICD 11
6A24 Wahnhafte Störung
Eine wahnhafte Störung ist durch die Entwicklung von Wahnvorstellungen oder einer Reihe damit
zusammenhängender Wahnvorstellungen gekennzeichnet,
die in der Regel mindestens drei Monate und oft viel länger anhalten,
ohne dass eine depressive, manische oder gemischte Stimmungsphase vorliegt.

Die Wahnvorstellungen sind von Person zu Person unterschiedlich, aber in der Regel innerhalb einer
Person stabil, sie können sich im Laufe der Zeit weiterentwickeln (Beispiele: Verfolgungs-, Grössen-,
Eifersuchts-, Liebeswahn oder Hypochondrischer Wahn)

Andere charakteristische Symptome der Schizophrenie (d. h. deutliche und anhaltende Halluzinationen,
Negativsymptome, desorganisiertes Denken oder das Erleben von Einfluss, Passivität oder Kontrolle) sind
NICHT vorhanden,
obwohl verschiedene Formen von Wahrnehmungsstörungen (z. B. Halluzinationen, Illusionen,
Verwechslungen von Personen), die thematisch mit den Wahnvorstellungen zusammenhängen, dennoch
mit der Diagnose vereinbar sind (z.B. taktile Halluzinationen bei Dermatozoenwahn*)

Abgesehen von Handlungen und Einstellungen, die direkt mit der Wahnvorstellung oder dem
Wahnsystem zusammenhängen, sind Affekt, Sprache und Verhalten in der Regel nicht beeinträchtigt.

Die Symptome sind nicht Ausdruck einer anderen Erkrankung (z. B. eines Hirntumors) und sind nicht auf
die Wirkung einer Substanz oder eines Medikaments auf das zentrale Nervensystem (z. B.
Kortikosteroide) zurückzuführen, auch nicht auf Entzugserscheinungen (z. B. Alkoholentzug).
https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 37
Im Gegensatz zu ICD: im ICD gibt es die 6-Monats Regel nicht.

Diagnostische Kriterien DSM V Schizophrenie


zwei oder mehr Hauptsymptome, die im unbehandelten Zustand an den meisten Tagen einer einmonatigen
Zeitspanne bestehen. Weniger ausgeprägte Symptome oder Einschränkungen (z. B. Leistungseinbußen)
müssen für mindestens 6 Monate vorhanden sein (APA 2015).
A. Zwei oder mehr der folgenden Symptome, jedes bestehend für einen erheblichen Teil einer
einmonatigen Zeitspanne (oder kürzer, wenn erfolgreich behandelt). Mindestens eines der Symptome muss
(1), (2) oder (3) sein. 1. Wahn. 2. Halluzinationen. 3. Desorganisierte Sprechweise (z. B. Zerfahrenheit). 4.
Grob desorganisiertes oder katatones Verhalten. 5. Negativsymptome [z. B. verflachter Affekt].
B. Soziale/berufliche Leistungseinbußen.
C. Zeichen des Störungsbildes (…) für [≥6 Monate] (…); floride Symptome (A-Kriterium) über 1 Monat (oder
weniger, falls erfolgreich behandelt). Prodromale und residuale Perioden können ausschließlich durch
Negativsymptome gekennzeichnet sein, Symptome des A-Kriteriums können sich zudem abgeschwächt
manifestieren (seltsame Überzeugungen, ungewöhnliche Wahrnehmungserlebnisse).
D. Ausschluss von Schizoaffektiver und Affektiver Störung, d.h. keine Major Depression und keine manische
oder gemischte Episode gleichzeitig mit den floriden Symptomen der Schizophrenie. Falls eine affektive
Episode aufgetreten ist, war ihre Gesamtdauer im Verhältnis zu floriden/residualen Phasen nur kurz.
E. Ausschluss von Substanzeinfluss und medizinischen Krankheitsfaktoren.
F. Bei einer vorherigen Autismus-Spektrum-Störung oder einer Kommunikationsstörung mit Beginn im
Kindesalter wird die zusätzliche Diagnose gestellt, wenn ≥ 1 Monat (oder weniger, falls erfolgreich
behandelt) ausgeprägte Wahnphänomene oder Halluzinationen zusätzlich zu den anderen Symptomen der
Schizophrenie vorhanden waren. Hoyer & Knappe, Kap. 44
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 38
Übersicht und Lernziele
Psychotische Störungen / Schizophrenie
1. Wie werden psychotische Störungen / Schizophrenie heute
klassifiziert?
2. Welche Erklärungsmodelle gibt es, und was sind Risikofaktoren?
3. Wie werden die psychotische Störungen / Schizophrenie
diagnostiziert?
4. Welche Behandlungsansätze gibt es?

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 39


Risikofaktoren
▪ Schätzungen einer hohen Heredität (Schätzungen: 40-80%) bedeuten nicht, dass ausschließlich Gene
verantwortlich für die Entstehung der Störung sind. Die Werte sind vielmehr so zu interpretieren, dass
bei einer gleichen Umwelt genetische Unterschiede einen starken Erklärungswert haben. Es ist
wahrscheinlich, dass eine Kombination aus diversen Risikogenen in der Interaktion mit zahlreichen
relevanten Umwelteinflüssen auf die Entstehung wirkt.
▪ Traumatische Ereignisse in der Vorgeschichte sind ein stabiler Risikofaktor für die Entwicklung
psychotischer Symptome. Dieser Faktor hängt mit psychotischen Symptomen in klinischen,
subklinischen und repräsentativen Bevölkerungsgruppen zusammen (Prävalenzen erlebter Traumata
bei Psychose-Betroffene um 80%)
ZUDEM:
▪ Life Events: es wirken kritische Lebensereignisse (aber nicht außergewöhnliche z.B. Wohnortswechsel)
als begünstigend, vermutet wird eine Interpretation der Ereignisse als weniger kontrollierbar und
schlechter zu bewältigen
▪ Bei psychotischen Störungen besteht vermutlich eine erhöhte Neigung mit starkem Affekt auf
alltägliche Stressoren zu reagieren. Dies konnte den Anstieg in der psychotischen Symptomatik in
Folge von Stress erklären. Weitere Studien müssen untersuchen, welche Faktoren (z. B. Traumata,
kritische Lebensereignisse oder bestimmte Gene) für diese Anfälligkeit maßgeblich verantwortlich sind.
▪ Zusammenhang mit Social defeat: chronische Erfahrung niedrigerer Stellung oder sozialem Ausschluss
▪ Zusammenhang mit Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen (z.B. niedriges Geburtsgewicht,
Plazentaablösungen, Notkaiserschnitt)
Hoyer & Knappe, Kap. 44

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 40


Ganz wesentlich hängt der antipsychotische Wirkmechanismus der
Transmittersysteme eingesetzten Medikation mit der Blockade postsynaptischer
Dopaminrezeptoren vom Typ D2 zusammen

• erste Variante der Dopaminhypothese: Überfunktion der dopaminergen Transmission im


zentralen Nervensystem von Personen mit psychotischen Störungen aufgrund eines
Überangebots des Neurotransmitters
Neuere Studien:
• einzelne Neurotransmittersysteme können psychotische Störungen nicht umfassend
erklären.
• wahrscheinlich, dass eine komplexe Interaktion von Unter- und Überaktivierungen
neuronaler Knotenpunkte besteht (Crossley et al. 2016).
• Es wird davon ausgegangen, dass auch bei den beteiligten Neurotransmittern (neben
Dopamin und Glutamat z. B. auch GABA und Serotonin) ein vielschichtiges Wechselspiel
aus neurochemischen Effekten zugrunde liegt. Die genauen Mechanismen und deren
klinische Relevanz müssen noch weiter ergründet werden.

Hoyer & Knappe, Kap. 44

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 41


Transmittersysteme: Dopamin
Unter dem Einfluss multiper Faktoren (z. B. Genetik, Stress, Drogen) kommt es zu einer erhöhten striatalen
Dopaminfreisetzung, die zur „aberranten Salienz“ als Grundlage für die Entstehung von psychotischen
Symptomen führt. Die meisten aktuell verfügbaren Antipsychotika greifen in diesen Prozess über die
Blockade postsynaptischer Dopaminrezeptoren ein.

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 42


Quelle Abbildung 11.3 : https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-59038-6_11#Fig3
Dopamin wird auch Prolaktostatin oder PIH (Prolactin-Inhibiting Hormone) genannt.

Transmittersysteme: Dopaminerge Bahnen im Gehirn


Nach der Dopamin-Hypothese sind die
Positivsymptome der Schizophrenie auf eine
Hyperaktivität in mesolimbischen Projektionen
zurückzuführen,

während eine verminderte dopaminerge


Neurotransmission in mesokortikalen Projektionen
für die Negativsymptome und die kognitiven
Störungen verantwortlich sein soll.

Nebenwirkungen von Antipsychotika:


Eine zu starke Hemmung des dopaminergen
nigrostriatalen Systems kann zu motorischen
Störungen, wie Parkinsonismus führen.

Durch eine dopaminerge Blockade in der


Hypophyse kann es zu einer erhöhten Prolactin-
Freisetzung kommen.
Quelle Abbildung: https://www.arzneimitteltherapie.de/heftarchiv/2004/12/aripiprazol-pharmakodynamik-und-pharmakokinetik-
eines-antipsychotikums-mit-neuem-wirkungsmechanismus.html

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath


Seite 43
Transmittersysteme
• erste Variante der Dopaminhypothese: Überfunktion der dopaminergen Transmission im
zentralen Nervensystem von Personen mit psychotischen Störungen aufgrund eines
Überangebots des Neurotransmitters
Neuere Studien:
• einzelne Neurotransmittersysteme können psychotische Störungen nicht umfassend
erklären.
• wahrscheinlich, dass eine komplexe Interaktion von Unter- und Überaktivierungen
neuronaler Knotenpunkte besteht (Crossley et al. 2016).
• Es wird davon ausgegangen, dass auch bei den beteiligten Neurotransmittern (neben
Dopamin und Glutamat z. B. auch GABA und Serotonin) ein vielschichtiges Wechselspiel
aus neurochemischen Effekten zugrunde liegt. Die genauen Mechanismen und deren
klinische Relevanz müssen noch weiter ergründet werden.
Viele Antipsychotika der 2. Generation (auch „atypische Antipsychotika“ genannt) wirken stärker über die Blockade
der Rezeptoren anderer Neurotransmittersysteme, wie etwa serotonerger, noradrenerger, histaminerger und
muscarinischen Acetylcholinrezeptoren. Antipsychotika der 2. Generation haben insgesamt weniger
extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen als Antipsychotika der 1. Generation.
Hoyer & Knappe, Kap. 44

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 44


Glutamat ist der bedeutendste exzitatorische Neurotransmitter im zentralen Nervensystem und
steht damit in enger Beziehung zu neuronaler Aktivität. Glutamaterge Rezeptoren sind beteiligt bei
sensorischer Informationsübertragung, Lernen, Gedächtnis und synaptischer Plastizität. Über- als
auch Unterfunktion des NMDA Rezeptors kann zytotoxisch wirken und Interneurone zerstören
Transmittersysteme
Möglicher Zusammenhang zwischen Veränderungen der glutamatergen, GABAergen und dopaminergen
Neurotransmission nach Heinz und Schlagenhauf (2010).
B. Demgegenüber steht
eine verminderte
Dopaminfreisetzung im
präfrontalen Cortex
mit
Hochregulierung von
Dopamin-D1-Rezeptoren,
woraus wiederum eine
Störung der Funktion
präfrontaler glutamaterger
Neuronen resultiert

A. Eine Unterfunktion glutamaterger präfrontaler-subkortikaler Projektionen (grüner


Pfeil) führt zu einer verminderten Aktivierung GABAerger Interneurone (inhibierend)
und dadurch zu einer Disinhibtion dopaminerter Neurone im Mittelhirn.
https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-59038-6_11
https://link.springer.com/article/10.1007/s00115-003-1593-3
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 45
Kognitive Verzerrung / Denkstile Jemand anders hindert mich daran,
erfolgreich zu sein

Sich in andere
hineinversetzen
https://nobaproject.com/modules/theory-

können
of-mind

Schwarz-weiss
Ich, die Welt, die Zukunft sind schlecht Jumping to Conclusion Bias ->
Zusammenhang mit Wahn in
zahlreichen Studien belegt

Abb. 44.30 (Moritz und Woodward 2007, adapted with permission from Wolters Kluwer Health, Inc.) Hoyer & Knappe, Kap. 44

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 46


Subtraktionskontraste der neuronalen Aktivierung während auditiv-
verbaler versus visueller Halluzinationen

Abb. 44.15. a Die Kontraste von auditiven im Vergleich zu visuellen Halluzinationen zeigen signifikante Aktivität in Sprech-
und Sprachverarbeitungsarealen (z. B. Gyrus temporalis superior, Wernicke-Areal, Teile des Broca-Areals).
b Für visuelle im Vergleich zu auditiven Halluzinationen zeigt sich signifikante Aktivität in visuellen Verarbeitungsregionen
(z. B. Gyrus lingualis, Okzipitalkortex, Cuneus). (Aus Zmigrod et al. 2016, mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)

Hoyer & Knappe, Kap. 44


VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 47
Regionale Unterschiede im Gehirnvolumen von Probanden
mit Schizophrenie und gesunden Kontrollprobanden

Erweiterte Ventrikel

Verminderung
der Substanz

Abb. 44.14 (in Effektstärken Cohen’s d und 95 %-Konfidenzintervall; korrigiert für Alter, Geschlecht und
intrakranielles Volumen, bei intrakraniellem Volumen für Alter und Geschlecht). Daten aus 15 querschnittlichen
Studien aus der ganzen Welt; insgesamt 4568 Teilnehmer. Wichtige relevante Einflussfaktoren auf die
veränderten Volumina waren Alter, „duration of untreated psychosis“ und Medikation. (van Erp et al. 2016)
Hoyer & Knappe, Kap. 44
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 48
Dysregulation des Stressystems / HHNA Achse
• Bei psychotischen Störungen wird ein erhöhtes
physiologisches Stresslevel in Form von dysregulierter
Kortisolausschüttung und verminderter
parasympathischer Aktivität gefunden
➢nachdem der Stressor weg ist, ist die Herzrate weiter
erhöht und die Herzratenvariabilität weiterhin
vermindert im vgl. zu Gesunden. Das spricht für eine
verminderte Anpassungsfähgkeit (Castro et al. 2008)
➢Metaanalyse: auch ohne Anwesenheit eines Stressors
ist die parasympathische Aktivität vermindert (Clamor,
2016)
Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse:
Geringe beziehungsweise kurz andauernde Erhöhungen der Glukokortikoidsekretionen (Minuten bis Stunden) führen zu
einer adaptiven psychophysiologischen Antwort im Sinne einer Fight-or-Flight-Reaktion („Eustress“ bzw. „guter Stress“),
die mit einer verbesserten hippocampusvermittelten Lern- und Gedächtnisleistung, Aufmerksamkeitsleistung und
Immunfunktion einhergeht.
Hohe beziehungsweise lang andauernde Glukokortikoiderhöhungen (über Wochen oder Monate mehrere Stunden
täglich) führen zu einer dysfunktionalen Stressreaktion („Distress“ bzw. „schlechter Stress“) mit Defiziten im Bereich
Lernen und Gedächtnis sowie eingeschränkter Immunfunktion
Hoyer & Knappe, Kap. 44
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 49
Bio-Kognitive-Psycho-Soziale Modelle
Neuere ätiologische Modelle der Schizophrenie berücksichtigen biologische, kognitive
und psychosoziale Faktoren.
Der Determinismus der frühen biologischen Modelle gilt als überholt. Stattdessen gibt es
zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass soziale Faktoren sowohl kognitive Schemata als auch
biochemische Prozesse verändern und so ein Teufelskreis entsteht.
Weitere Forschung wird benötigt, um ein besseres Verständnis für die Interaktionen von
psychologischen, physiologischen und neurobiologischen Veränderungen bei der
Symptomentstehung zu erlangen.
Ein Vulnerabilitäts-Stress-Modell für psychotische Symptome

Abb. 44.18. (Nuechterlein und Dawson 1984, by permission of Oxford University Press)
Hoyer & Knappe, Kap. 44
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 51
Vereinfachte Darstellung eines kognitiven Modells
der Positivsymptomatik

z.B. Unruhe/Arousal + Am Baum im Garten


wird zum ersten mal ein Gesicht entdeckt:
Das sieht aus wie ein Asserirdischer, das
müssen Ausserirdische eingeschnitzt haben,
ich spüre, sie wollen mir damit eine
Nachricht senden

Abb. 44.19, wie in Garety et al. (2001, reproduced with permission of Cambridge University Press) diskutiert
Das „Sociodevelopmental-Cognitive Model“.
Durch genetische, entwicklungsbedingte und
psychosoziale Faktoren wird das dopaminerge System
sensibilisiert.
Zudem entstehen aus psychosozialen Risiken
psychose-nahe kognitive Verzerrungen.

1. Das Auftreten von akutem psychosozialem Stress trifft auf das bereits sensibilisierte dopaminerge System.

5. Diese hat erneuten akuten Stress zur Folge und ein Teufelskreis entsteht.

4. und es kann eine


psychotische Episode
entstehen.

2. Dadurch wird die Stimulusverarbeitung beeinflusst. 3. Verstärkt durch die kognitiven Verzerrungen wird eine
paranoide Interpretation der Umwelt begünstigt

Hoyer & Knappe, Kap. 44


VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 53
Abb. 44.20 (Howes und Murray 2014, reprinted from The Lancet, ©
2014, with permission from Elsevier)
Übersicht und Lernziele
Psychotische Störungen / Schizophrenie
1. Wie werden psychotische Störungen / Schizophrenie heute
klassifiziert?
2. Welche Erklärungsmodelle gibt es, und was sind Risikofaktoren?
3. Wie werden die psychotische Störungen / Schizophrenie
diagnostiziert?
4. Welche Behandlungsansätze gibt es?

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 54


Diagnostik
➢Wie bei anderen Störungen auch: Strukturierte Interviews, z.B.
➢SCID: Strukturiertes Klinisches Interview für DSMV Störungen
➢PSYRATS: Psychotic Symptom Rating Scale
➢CAINS: Clinical Assessment Interview of Negative Symptoms

➢PANSS (Fremdbeurteilung)

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 55


Diagnostik: Kognitive Einbussen

https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/038-009
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 56
Übersicht und Lernziele
Psychotische Störungen / Schizophrenie
1. Wie werden psychotische Störungen / Schizophrenie heute
klassifiziert?
2. Welche Erklärungsmodelle gibt es, und was sind Risikofaktoren?
3. Wie werden die psychotische Störungen / Schizophrenie
diagnostiziert?
4. Welche Behandlungsansätze gibt es?

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 57


Behandlung: Psychotherapie
Es gibt eine breite Palette psychotherapeutischer Interventionen, die für die Behandlung
der vielfältigen Probleme von Menschen mit einer psychotischen Störung geeignet sind.
Hierzu gehören:
➢individualisierte psychotherapeutische Interventionen (z.B. KVT)
➢Familieninterventionen (z.B. Psychoedukation)
➢Fertigkeitentrainings (z.B. Metakognitives Training, Soziales Kompetenztraining)

Welche Intervention bei welchem Patienten zum Einsatz kommt, sollte das Ergebnis einer
sorgfältigen Diagnostik sein.
Die Behandlungsleitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) empfehlen
in erster Linie eine kognitive Verhaltenstherapie (zur Reduktion der Symptomatik) sowie
psychoedukative Familieninterventionen mit Fertigkeitentrainings, wenn der Betroffene
mit seiner Familie zusammenlebt (und alle einverstanden mit dem Einbezug in die
Therapie sind; Lincoln et al. 2019). Diese Empfehlungen werden auch durch die etwa
zeitgleich erschienene S. 3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und
Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) gestützt (DGPPN 2019).
Hoyer & Knappe, Kap. 44

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 58


Behandlung S3 Leitlinie, Psychotherapeutische und psychosoziale
Interventionen
Psychoedukation
Kognitive Verhaltenstherapie

https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/038-009
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 59
Behandlung: KVT
Wesentliches Ziel der kognitiven Verhaltenstherapie bei psychotischen Störungen ist es,
psychotische Positivsymptomatik wie Wahn und Halluzinationen sowie die mit ihnen
verbundene Belastung zu reduzieren und das Funktionsniveau der Patienten zu steigern.
Dies geschieht durch
• den Aufbau von Verständnis für die Entstehung der eigenen Störung,
• durch die Entlastung der Patienten mittels einer entpathologisierenden Haltung der
Therapeuten,
• durch eine Erhöhung der Denkflexibilität und
• durch eine Korrektur dysfunktionaler Selbstbewertungen, Annahmen und
Copingstrategien.
• Zudem werden die Fähigkeiten von Patienten geschult, Symptome oder ihre ersten
Anzeichen („Frühwarnzeichen“) zu erkennen und rechtzeitig auf diese zu reagieren zu
können.

Hoyer & Knappe, Kap. 44

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 60


Behandlung: KVT

Abb. 44.29 Ergebnisse der 18-Monats-Follow-up-Untersuchung der ersten randomisiert-kontrollierten


Studie, die KVT ohne die Einnahme von Neuroleptika untersuchte. Dargestellt sind die Anzahl der
Probanden mit den jeweiligen prozentualen Veränderungen auf der PANSS Gesamtskala. (Nach Morrison
et al. 2014b, reprinted from The Lancet, © 2014, with permission from Elsevier)
Behandlung:
Beispiel eines
individuellen
Störungsmodells
im Rahmen des
kognitiven
Vulnerabilitäts-
Stress-Modelles

Abb. 44.24. (Mod. nach Lincoln und Beck 2014, republished with permission of John
Wiley and Sons, © 2014; permission conveyed through Copyright Clearance Center, Inc.) Hoyer & Knappe, Kap. 44

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 62


Behandlung: Beispiel Arbeit mit Wahnüberzeugungen

Hoyer & Knappe, Kap. 44


VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 63
Behandlung S3 Leitlinie, Psychotherapeutische und psychosoziale
Interventionen
Metakognitives Training

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 64


Behandlung: kognitive Verzerrung / Denkstile, die im MKT
bearbeitet werden

Abb. 44.30 (Moritz und Woodward 2007, adapted with permission from Wolters Kluwer Health, Inc.) Hoyer & Knappe, Kap. 44

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 65


Metakognitives Training (MKT)
Stärkung der metakognitiven Kompetenz (d.h. der
Fähigkeit, ungünstige Denkstile und Bewertungen zu
erkennen und zu korrigieren) zur Prophylaxe
→ Ca. acht Trainingseinheiten (Modulen) für 3-10 Personen
→ Betroffenen werden Denkverzerrungen und einseitige
Problemlösestile spielerisch vor Augen geführt, die
einzeln oder in der Gesamtheit die Entwicklung von
falschen Überzeugungen bis hin zum Wahn begünstigen
→ bisheriges Problemlöseverhalten kritisch reflektieren,
verändern und die Inhalte des Trainings im Alltag
umzusetzen.

Die Beispiel-Übung soll helfen zu verdeutlichen, dass voreilige


Schlussfolgerungen, die trotz fehlender Informationen gefällt
werden, oft falsch sind
Materialien dazu per Anmeldung erhältlich unter:
https://clinical-neuropsychology.de/metakognitives_training_psychose/

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 66


Behandlung
• Es wurden in Metaanalysen positive Effekte von neuropsychologischen Trainings auf die
Positivsymptomatik gefunden
Charakteristische Trainingsbereiche sind:
◦ Visuomotorik
◦ Aufmerksamkeit
◦ Gedächtnis
◦ Sprache
◦ Rechnerisches Denken
◦ Exekutivfunktionen

• positive Effekte in einigen empirischen Studien von Sporttherapie auf Positiv-, Negativ-
Symptomatik sowie kognitive Defizite

Hoyer & Knappe, Kap. 44

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 67


Behandlung: Medikation
Seit der Entdeckung der Neuroleptika (auch: Antipsychotika) in den 1950er Jahren stellt
die Gabe von Psychopharmaka eine wichtige Säule der Behandlung psychotischer
Störungen dar. In allen gängigen Behandlungsleitlinien wird medikamentöse Behandlung
für die Akuttherapie und auch als Rezidivprophylaxe empfohlen.

Hoyer & Knappe, Kap. 44

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 68


"KKP"-Empfehlungen (Klinischer Konsensus-Punkt): trotz umfassender Forschung
beruhen immer noch viele Bereiche in der Diagnostik, Behandlung und Versorgung bei
Schizophrenie im Sinne einer "Guten Klinischen Praxis" auf klinischem Konsens ->
weiterhin wissenschaftliche Überprüfung notwendig
Behandlung S3 Leitlinie,
M1: Muskarinische Acetylcholinrezeptoren - parasympathisches NS / Kreislauf
Medikation α1: Adrenorezeptoren - Wirkung von Adrenalin und Noradrenalin; H1: Histamin

Rezeptorbindungen -> Wirkung & Nebenwirkung

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 69


https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/038-009
Prolaktin: Hormon, das Milchfluss auslöst
Agranulozytose: schwere
EPMS: Extrapyramidale Motorische Symptome ( Parkinsonismus oder
Störung der Blutbildung (zu
choreatische Bewegungen)
wenig weiße Blutkörperchen)
Akathisie: Bewegungs-/Sitzunruhe
Maligne Neuroleptika-Syndrom
Behandlung S3Dyskinesien: unwillkürliche Bewegungen, z.B. Augenrollen
(selten): Nierenversagen,
QTZ-Verlängerung im EKG: erhöhtes Risiko für Herzrhythmusstörung
Leitlinie, Orthostat. Dysreg.: Störung des Kreislaufsystems
Lungenembolie
Medikation: Transaminasenanstieg: deutet auf Leberschädigung
Nebenwirkungen

Seite 70
Behandlung, Medikation: (Neben)wirkungen
am Beispiel Siehe auch: https://psychiatrietogo.de/tag/clozapin/ mit
hilfreichem Video zu Neuroleptika von Dr. Jan Dreher
Zu bedenken: Medikamente
sind sinnvoll bei Betrachtung
der Symptome und deren
Auswirkungen.
Aber genauso wichtig ist es,
Nebenwirkungen zu kennen
und für das eingesetzte
Medikament nachzuschlagen
→ Akzeptanz
→ Keine wahllose Vergabe
→ PsychologInnen:
Symptome erfassen und
versuchen zuzuordnen /
Teamarbeit

(atypisches Neuroleptikum) blockiert zum einen wie ein typisches Neuroleptikum in


relevantem Ausmaß die Dopamin-D2-Rezeptoren (EPMS weniger als bei typischen NL, da selektiver),
und zum anderen wie viele atypische Neuroleptika den Serotonin-5HT2A-Rezeptor. Es verursacht nur in
geringem Maße Gewichtszunahme und Müdigkeit, entsprechend seiner nur geringen, aber vorhandenen
Aktivität am Histamin H1-Rezeptor.

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 71


Behandlung S3 Leitlinie, Medikation

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 72


Einige wichtige Begriffe

Positiv vs. Negativ-Symptomatik

Wahn Inhaltliche vs. formale Denkstörungen


Alogie
Affektverflachung
Halluzinationen Avolition
Desorganisiertes Denken Asozialität
Desorganisiertes Verhalten Anhedonie
Katatonie
Bewegungsstereotypien
Derealisation
Schizophrenie Kognition Depersonalisation
Schizoaffektive Störungen Gedankenentzug
Schizotype Störung Gedankenausbreitung
Akute vorübergehende psychotische Störung Fremdbeeinflussungserleben
Wahnhafte Störung Gedankeneingebung

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 73


Ab 11.00
Zeit für die Evaluation
(bis 18.01, 11.00)
Danke vorab für Ihre Teilnahme!

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 74


1. Dienstag 04.10: Was ist Klinische Psychologie? RNM
2. Dienstag 11.10: Diagnostische Klassifikation psychischer Störungen JR
3. Dienstag 18.10: Epidemiologische Beiträge zur KP RNM
4. Dienstag 25.10: Kennen Sie die Grundlagen für diese VO? – Quiz mit den Online verfügbaren
Karteikarten: https://lehrbuch-psychologie-springer-com.uaccess.univie.ac.at/karteikarten/5648/1
5. Dienstag 08.11: kurzer Überblick Therapieverfahren; Störungen im Zusammenhang mit
psychotropen Substanzen und abhängigen Verhaltensweisen I JR
6. Dienstag 15.11: Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen und abhängigen
Verhaltensweisen II JR
7. Dienstag 22.11: Affektive Störungen RNM
8. Dienstag 29.11: Somatoforme Störungen und stressabhängige körperliche Beschwerden RNM
9. Dienstag 06.12: Angststörungen I JR
10. Dienstag 13.12: Angststörungen II JR
11. Dienstag 10.01: Posttraumatische Belastungsstörung; Zwangsstörung RNM
12. Dienstag 17.01: Psychotische Störungen und Schizophrenie JR
13. Dienstag 24.01: Persönlichkeitsstörungen RNM
14. Dienstag 31.01: 1. Prüfungstermin
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 75
https://ufind.univie.ac.at/de/course.html?lv=200019&semester=2022W
Empfehlungen für das vertiefende/stützende
Selbststudium
Begriffe zum Psychiatrischen Befund Vertiefungsmöglichkeit/Wiederholung
https://www.amdp.de/material/online-test/
Gelegenheit, wichtige psychopathologische Begriffe aus der Praxis zu üben.
Referenz für die Terminologie ist das AMDP-System.

Informationen (engl.) zum Phänomen Stimmenhören (siehe auch Hoyer,


S.943)
Vertiefungsmöglichkeit/Wiederholung

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 76


Vertiefungsmöglichkeit

Epidemiologie

Van der Werf 2012, Beginn üblich zw. 20-29


Jahren (v.a. Männer)
Frauen: 2. Gipfel 30-39 in anderen Studien
später und wird dann in Zusammenhang mit
der Menopause diskutiert
https://www.researchgate.net/publication/233938209_Systematic_re
view_and_collaborative_recalculation_of_133_693_incident_cases_of
_schizophrenia

Hoyer & Knappe, Kap. 44

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 77


Missverständnisse bezüglich
des Störungsbegriffs

der „Schizophrenie“ halten sich


hartnäckig in der Allgemeinbevölkerung

Lernhilfe/Wiederholung
➢ Heisst eigentlich so viel wie
Gespaltenes Zwerchfell – der durch
Eugen Bleuler 1908 geprägte Begriff
sollte die Denk- und Sprachstörungen
und den inadäquaten Affekt
beschreiben

Abb. 44.1 . © erzaehlmirnix


Hoyer & Knappe, Kap. 44
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 78
Lernhilfe/Wiederholung
Innerhalb der heutigen Vorlesung:
Übersicht einiger differenzialdiagnostischer Aspekte der Schizophrenie

Tab. 44.2 First 2017, Teil 1 Hoyer & Knappe, Kap. 44

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite


Lernhilfe/Wiederholung
Vorlesungsthemen übergreifend:
Übersicht einiger differenzialdiagnostischer Aspekte der Schizophrenie

Tab. 44.2 First 2017, Teil 2 Hoyer & Knappe, Kap. 44

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite


Vertiefungsmöglichkeit

Diagnostische Kriterien ICD 11


Es gibt die Möglichkeit bei primären psychotischen Störungen, die Störung
noch weiter zu spezifizieren,
a. Verlauf
b. um anzuzeigen, dass bestimmte Symptome einen bedeutsamen Teil der
aktuellen klinischen Präsentation darstellen (in der vergangenen Woche)
• 0. Positivsymptome
• 1. Negativsymptome
• 2. depressive oder Stimmungssymptome
• 3. manische Stimmungssymptome
• 4. Psychomotorische Symptome,
• 5. Kognitive Symptome

c. Einschätzung des Schweregrades von nicht vorhanden, leicht-, mittel,


schwergradig bzw. nicht spezifiziert (siehe bei Bedarf auch Vertiefungsmaterial)

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 81


Vertiefungsmöglichkeit
Diagnostische Kriterien ICD 11
6A21 Schizoaffektive Störung

Unterschieden werden:
• 6A21.0 Schizoaffektive Störung, erste Episode (in der die diagnostischen
Anforderungen für eine schizoaffektive Störung oder Schizophrenie erfüllt waren)
• 6A21.1 Schizoaffektive Störung, mehrfache Episoden mit substantieller Remission
zwischen den Episoden
• 6A21.2 Schizoaffektive Störung, kontinuierlich (Kriterien waren fast während des
gesamten Krankheitsverlaufs über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr
vorhanden)

https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 82
Vertiefungsmöglichkeit
Diagnostische Kriterien ICD 11
6A23 Akute vorübergehende psychotische Störung

Unterschieden werden:
• 6A23.0 Akute vorübergehende psychotische Störung, erste Episode (in der die
diagnostischen Anforderungen für eine schizoaffektive Störung oder Schizophrenie
erfüllt waren)
• 6A23.1 Akute vorübergehende psychotische Störung, mehrfache Episoden, ->
Individuen haben in der Vergangenheit bereits ähnliche Episoden erlebt

Zwischen Episoden: Volle Remission > 3 Monate

https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 83
Vertiefungsmöglichkeit
Diagnostische Kriterien ICD 11
6A24 Wahnhafte Störung

Unterschieden werden:
• 6A24.0 Wahnhafte Störung, gegenwärtig symptomatisch
• 6A24.1 Wahnhafte Störung, in Teilremission (Symptome haben sich so weit
gebessert, dass die diagnostischen Voraussetzungen für die Störung seit
mindestens einem Monat nicht mehr erfüllt sind, aber einige klinisch bedeutsame
Symptome verbleiben, die mit Beeinträchtigungen in Funktionen einhergehen oder
nicht einhergehen können
• 6A24.2 Wahnhafte Störung, in Vollremission (Die Symptome haben sich so weit
zurückgebildet, dass keine signifikanten Symptome mehr vorhanden sind)

https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 84
Möglichkeit der weiteren Charakterisierung zusätzlich über Codierung 6A25

Diagnostische Kriterien ICD 11


6A25 Symptomatische Manifestationen primärer psychotischer Störungen (bei bestehender Diagnose)
um anzuzeigen, dass bestimmte Symptome einen bedeutsamen Teil der aktuellen klinischen
Präsentation darstellen (in der vergangenen Woche)
• 6A25.0 Positivsymptome bei primären psychotischen Störungen
anhaltende Wahnvorstellungen, anhaltende Halluzinationen (am häufigsten verbale, auditive

Vertiefungsmöglichkeit/Wiederholung
Halluzinationen), desorganisiertes Denken (formale Denkstörungen wie lose Assoziationen,
Gedankenentgleisungen oder Inkohärenz), grob desorganisiertes Verhalten (Verhalten, das bizarr,
zwecklos und nicht zielgerichtet erscheint) und das Erleben von Passivität und Kontrolle (das
Erleben, dass die eigenen Gefühle, Impulse oder Gedanken unter der Kontrolle einer externen
Kraft stehen). Die Bewertung sollte auf der Grundlage des Schweregrads der positiven Symptome
in der vergangenen Woche erfolgen
• 6A25.1 Negativsymptome bei primären psychotischen Störungen
eingeschränkter, abgestumpfter oder flacher Affekt, Alogie oder Spracharmut, Avolition
(allgemeine Antriebslosigkeit oder fehlende Motivation, sinnvolle Ziele zu verfolgen), Asozialität
(vermindertes oder fehlendes Engagement für andere und Interesse an sozialer Interaktion) und
Anhedonie (Unfähigkeit, Freude an normalerweise angenehmen Aktivitäten zu empfinden). Um
als negative psychotische Symptome eingestuft zu werden, sollten die relevanten Symptome
nicht ausschließlich auf eine Behandlung mit antipsychotischen Medikamenten, eine depressive
Störung oder eine wenig stimulierende Umgebung zurückzuführen sein und nicht eine direkte
Folge eines positiven Symptoms sein (z. B. Verfolgungswahn, der eine Person aufgrund von Angst
vor Schaden sozial isoliert).
https://icd.who.int/browse11/l-m/en#/http%3a%2f%2fid.who.int%2ficd%2fentity%2f1358754380
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 85
Möglichkeit der weiteren Charakterisierung zusätzlich über Codierung 6A25

Diagnostische Kriterien ICD 11


6A25 Symptomatische Manifestationen primärer psychotischer Störungen (bei bestehender Diagnose)
...
• 6A25.2 Depressive Symptome bei primären psychotischen Störungen
bezieht sich nur auf depressive Stimmungssymptome, d. h. auf eine depressive Stimmung, wie sie

Vertiefungsmöglichkeit/Wiederholung
von der betroffenen Person angegeben wird (Niedergeschlagenheit, Traurigkeit) oder sich in
Form von Anzeichen manifestiert (z. B. weinerliches, niedergeschlagenes Aussehen). Wenn nur
nicht-stimmungsbezogene Symptome einer depressiven Episode vorliegen (z. B. Anhedonie,
psychomotorische Verlangsamung), sollte dieser Deskriptor nicht verwendet werden.
• 6A25.3 Manische Symptome bei primären psychotischen Störungen
bezieht sich auf gehobene, euphorische, reizbare oder expansive Stimmungszustände,
einschließlich rascher Wechsel zwischen verschiedenen Stimmungszuständen (d. h.
Stimmungslabilität), die mit erhöhter Energie oder Aktivität einhergehen, wenn diese eine
erhebliche Abweichung von der typischen Stimmung und dem Energie- oder Aktivitätsniveau der
Person darstellen

https://icd.who.int/browse11/l-m/en#/http%3a%2f%2fid.who.int%2ficd%2fentity%2f1358754380
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 86
Möglichkeit der weiteren Charakterisierung zusätzlich über Codierung 6A25

Diagnostische Kriterien ICD 11


6A25 Symptomatische Manifestationen primärer psychotischer Störungen (bei bestehender Diagnose)
...
• 6A25.4 Psychomotorische Symptome bei primären psychotischen Störungen
Zu den psychomotorischen Symptomen gehören psychomotorische Unruhe oder übermäßige

Vertiefungsmöglichkeit/Wiederholung
motorische Aktivität, die sich in der Regel durch zweckloses Verhalten wie Zappeln, Umhergehen,
Herumfuchteln, Unfähigkeit, still zu sitzen oder zu stehen, Ringen mit den Händen usw. äußert,
psychomotorische Retardierung oder eine sichtbare allgemeine Verlangsamung von Bewegungen
und Sprache sowie katatonische Symptome wie Erregung, Körperhaltung, wächserne Flexibilität,
Negativismus, Mutismus oder Stupor. Liegt ein vollständiges Katatonie-Syndrom vor, sollte dies
separat diagnostiziert werden.
• 6A25.5 Kognitive Symptome bei primären psychotischen Störungen
Kognitive Symptome bei primären psychotischen Störungen beziehen sich auf kognitive
Beeinträchtigungen in einem der folgenden Bereiche: Verarbeitungsgeschwindigkeit,
Aufmerksamkeit/Konzentration, Orientierung, Urteilsvermögen, Abstraktionsvermögen, verbales
oder visuelles Lernen und Arbeitsgedächtnis. Die kognitive Beeinträchtigung ist nicht auf eine
neurologische Entwicklungsstörung, ein Delirium oder eine andere neurokognitive Störung oder
auf die direkten Auswirkungen einer Substanz oder eines Medikaments auf das zentrale
Nervensystem, einschließlich Entzugserscheinungen, zurückzuführen. Idealerweise sollte die
Verwendung dieser Kategorie auf den Ergebnissen lokal validierter, standardisierter
neuropsychologischer Bewertungen beruhen, auch wenn solche Messungen nicht in allen
Einrichtungen verfügbar sind.
https://icd.who.int/browse11/l-m/en#/http%3a%2f%2fid.who.int%2ficd%2fentity%2f1358754380
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 87
Möglichkeit der Bestimmung des Schweregrads zusätzlich über Codierung 6A25

Diagnostische Kriterien ICD 11 Vertiefungsmöglichkeit


6A25 Symptomatische Manifestationen primärer psychotischer Störungen (bei bestehender Diagnose)
Severity Anchor points
None XS8H No significant symptoms from the respective domain have been present during the past week.
Mild XS5W Symptoms in the domain have been present during the past week, but these are minimal in number or
(leichtgradig) do not have a substantial degree of impact. Everyday functioning is not affected by these symptoms, or
is affected only minimally. No significant negative social or personal consequences have occurred as a
consequence of the symptoms. The symptoms may be intermittent and show fluctuations in severity,
and there may be periods during which the symptoms are absent. Compared to other individuals with
similar symptoms, the severity of symptoms in the domain is in the mildest third.
Moderate XS0T A greater number of symptoms in the domain have been present during the past week or a smaller
(mittelgradig) number of symptoms that have a substantial degree of impact. Everyday functioning may be moderately
affected by the symptoms. There are negative social or personal consequences of the symptoms, but
these are not severe. Most of the symptoms are present the majority of the time. Compared to other
individuals with similar symptoms, the severity of symptoms in the domain is in the middle third.
Severe XS25 Many symptoms in the domain have been present during the past week, or a smaller number that have
(schwergradig) a severe or pervasive degree of impact (i.e., they are intense and frequent or constant). Everyday
functioning is persistently impaired due to the symptoms. There are serious negative social or personal
consequences. Compared to other individuals with similar symptoms, the severity of symptoms in the
domain is in the most severe third.
Severity Symptoms from the respective domain have been present during the past week, but it is not possible to
Unspecified make a severity rating based on the available information.

https://icd.who.int/browse11/l-m/en#/http%3a%2f%2fid.who.int%2ficd%2fentity%2f1358754380
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath
Seite 88
Vertiefungsmöglichkeit/Wiederholung

Diagnosestellung eine Herausforderung

Bei
• ausgeprägten manischen Störungen mit Wahnsymptomen,
• bei schwerer depressiver Symptomatik mit psychotischen Erleben wie Halluzinationen
• oder auch bei depressiver Symptomatik im Rahmen einer Schizophrenie oder schizoaffektiven
Störung
• sowie bei starker Negativsymptomatik
kann eine entsprechende Differenzialdiagnose innerhalb der psychotischen Störungen oder zwischen
den verschiedenen psychischen Störungen schwierig werden.
➢ Oft bringt erst die Verlaufsbeobachtung Klarheit, da zusätzliche Informationen (z. B.
symptomfreie Phasen, Dauer der Symptomatik) nötig sind, um eine korrekte Einstufung
vorzunehmen

Hoyer & Knappe, Kap. 44

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 89


Lernhilfe/Wiederholung

Behandlung Antipsychotikum: Dopaminerge


Systeme, Nebenwirkungen

Rezeptorbindungen -> Wirkung & Nebenwirkung

➢ Dopaminerge Bahnen im Gehirn werden bei der Therapie mit Neuroleptika in ihrer Aktivität gebremst.
Source: Abbildung Clozapin – Psychiatrie to go
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 90
Vertiefungsmöglichkeit
Akutphase (Wochen bis 3 Monate)

Behandlung S3 Leitlinie, Akutphase

Therapieziele:
• Etablierung einer therapeutischen Beziehung
• Aufklärung über Krankheits- und Behandlungskonzepte
• Beseitigung oder Verminderung der Krankheitserscheinungen und der
krankheitsbedingten Beeinträchtigung
• Verhinderung und Behandlung von Selbst- und Fremdgefährdung
• Einbeziehung von Angehörigen, Bezugspersonen und anderen Beteiligten im
Einvernehmen mit den Betroffenen
• Verhinderung oder Verminderung sozialer Folgen der Erkrankung
• Motivation zur Selbsthilfe
• Vorbereitung der postakuten Stabilisierungsphase durch Einleitung rehabilitativer
Maßnahmen

https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/038-009

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 91


Vertiefungsmöglichkeit Postakute Stabilisierungsphase (etwa 3 bis 6 Monate)
Adhärenz: Einhaltung, der gemeinsam von Patienten und Behandler gesetzten
Therapieziele im Rahmen des Behandlungsprozesses

Behandlung S3 Leitlinie, postakute Stabilisierungsphase


Therapieziele :
• Festigung der therapeutischen Beziehung
• Stabilisierung bei Remission und Abklingen der psychopathologischen Symptome
• Behandlung kognitiver und sozialer Defizite sowie weiterer Negativsymptomatik
• Förderung von Partizipation, Krankheitseinsicht und Adhärenz
• Intensivierte Aufklärung über Krankheits- und Behandlungskonzepte
• Verstärkte Einbeziehung der Angehörigen und Bezugspersonen in Aufklärung,
Rezidivprävention und Behandlung, im Einvernehmen mit den Betroffenen
• Früherkennung drohender Rückfälle
• Suizidprophylaxe
• Entwicklung individueller Coping-Strategien
• Harmonisierung von Konflikten in Familie und Umwelt
• Verständniserarbeitung der individuellen Bedeutung der Erkrankung (Sinngebung)
Stabilisierung und Erweiterung sozialer Kontakte
• Vorbereitung und Weiterführung rehabilitativer Maßnahmen
• Motivation zur Selbsthilfe
https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/038-009

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 92


Stabile (partielle) Remissionsphase (Monate bis Jahre)
Vertiefungsmöglichkeit

Behandlung S3 Leitlinie, postakute Stabilisierungsphase


Therapieziele:
• Aufrechthaltung der therapeutischen Beziehung
• Förderung sozialer (Re-)Integration/Teilhabe
• Rezidivprophylaxe, Rezidivfrüherkennung und Rezidivfrühintervention
• Suizidprophylaxe
• Verbesserung der Lebensqualität
• Berufliche Rehabilitation
• Motivation zur Selbsthilfe

https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/038-009

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 93


Vertiefungsmöglichkeit

Psychoedukation
Link zu psychoedukativem Heft,
ein Wegbegleiter für Betroffene
und Angehörige

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 94


Vertiefungsmöglichkeit

Psychoedukation
Link zu psychoedukativem Heft, ein Wegbegleiter für Betroffene und Angehörige

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 95


Vertiefungsmöglichkeit

Behandlung: Beispiel für einen aufrechterhaltenden Teufelskreis von


katastrophisierenden Bewertungen bei auditiven verbalen
Halluzinationen

Abb. 44.27. Auslösender Faktor im blauen Kasten. Emotionen wie Angst können hierbei vom
Therapeuten validiert und in die therapeutische Arbeit einbezogen werden
Hoyer & Knappe, Kap. 44
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 96
Vertiefungsmöglichkeit

Behandlung: Beispiel Teufelskreis der


Negativsymptomatik

Abbb. 44.28
Hoyer & Knappe, Kap. 44
VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 97
Vertiefungsmöglichkeit

Behandlung: Interventionen der „dritten Welle“ der Verhaltenstherapie


in der Behandlung psychotischer Störungen

➢ Metakognitives Training gibt es für verschiedene


Denkverzerrungen, so auch bei z.B.
Depressionsrelevanten Denkverzerrungen (D-MKT)
https://clinical-neuropsychology.de/mkt-os/

Tab. 44.4. (Aus Mehl et al. 2017, © 2017, with permission from Elsevier)
Vertiefungsmöglichkeit

Alternative Behandlung: Beispiel Soteria Konzept (seit 70er)


Im Gegensatz zur stationären Unterbringung werden die Betroffenen im Soteria-Konzept in kleinen
Gruppen in einer wohnlichen Einrichtung engmaschig betreut, gemeindezentriert, in einem
respektvollen, sicheren sozialen Umfeld bevor sie wieder ein selbständiges Leben außerhalb beginnen.
Die Verschreibung von Neuroleptika erfolgt eher zurückhaltend.
Ziele, u.a.:
• Betroffenen das Leben mit psychotischen Episoden durch minimales Eingreifen, aber mit Hilfe
maximaler Unterstützung so angenehm wie möglich zu machen.
• Erhaltung von persönlicher Autonomie und Mitverantwortung fü die Gruppe (z.B. gemeinsames
Einkaufen, Kochen, Putzen, Wäsche waschen oder im Garten arbeiten).
• Symptomatik zu verstehen und ihr eine individuelle Bedeutung zuzuschreiben.
• Das therapeutische Setting ist klein, entspannend und reizkontrolliert – und dabei so „normal“ wie
möglich.
Calton et al. (2008) fassen drei randomisiert-kontrollierte Studien zum Soteria-Konzept zusammen. Die
Autoren schlussfolgern, dass durch die Soteria-Behandlung – auch bei niedriger
Psychopharmakotherapie – vergleichbare und in einzelnen Bereichen sogar bessere Ergebnisse erzielt
werden können als durch die Standardbehandlung → die initialen Kosten jedoch vergleichsweise hoch
sind (bisher an wenigen Kliniken, v.a. in D).
Hoyer & Knappe, Kap. 44

VO Klinische Psychologie, Nater-Mewes & Randerath Seite 99

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