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Fortbildung

Jugend-und Adoleszentenpsychiatrie: Schizophrenie

Erste Symptome bei Kindern und


Jugendlichen oft verkannt
Im Kindes- und Jugendendalter ist Schizophrenie eine vergleichsweise seltene Erkrankung. Die ersten
Symptome sind häufig unspezifische, vage inhaltliche und formale Denkstörungen und werden daher
oft als entwicklungstypisches oder impulsives Verhalten ohne Krankheitswert verkannt oder zu einem
hohen Prozentsatz anderen psychischen Krankheiten zugeordnet. Meist lassen sich bei Erstmanifesta-
tion einer psychotischen Erkrankung retrospektiv schon im Kindesalter prodromale Auffälligkeiten
explorieren. Die korrekte Diagnose einer Schizophrenie wird bei früh beginnenden Formen allerdings
um bis zu fünf Jahre zu spät gestellt.
CLAUDIA MEHLER-WEX UND S. SCHRIML, BAD KISSINGEN

Je jünger Schizophreniepatienten
bei Ersterkrankung sind, desto
schlechter ist ihre Prognose.
© Getty Images / iStockphoto

34 NeuroTraNsmiTTer 1 · 2013
Fortbildung

34 Schizophrenie 50 CME Multiple Sklerose


Erste Symptome bei Kindern Bestimmung von Antikör-
und Jugendlichen oft verkannt pern gegen JCV und IFN-β im
Therapiealltag
46 NEUROLOGISCHE KASUISTIK
Neurologisch nicht erklärbare 55 CME Fragebogen
Symptome

S chizophrenie ist durch ein übergrei-


fendes Störungsmuster verschie-
dener psychischer Bereiche wie
Wahrnehmung, Denken, Ich-Funktionen,
Affektivität, Antrieb und Psychomotorik
male Denkstörungen und werden daher
oft als entwicklungstypisches oder im-
pulsives Verhalten ohne Krankheitswert
verkannt oder zu einem hohen Prozent-
Reaktionsgeschwindigkeit, der Verbal-
gedächtnisleistungen, der exekutiven
Funktionen sowie der rezeptiven und
expressiven sprachlichen Fertigkeiten
satz anderen psychischen Krankheiten, [25]. Studien mit ereigniskorrelierten
gekennzeichnet. Bezeichnend sind episo- wie zum Beispiel dem ADS/ADHS oder Potenzialen bei Kindern mit Schizo-
disch auftretende akute Zustände mit affektiven Störungen zugeordnet (etwa phrenie bestätigten Beeinträchtigungen
klinisch besonders augenfälligen Plus- 50 % bzw. 20 – 30 % [32]). Oft lassen sich in der Fähigkeit, wichtige von unwich-
oder Produktivsymptomen einerseits (z. B. bei Erstmanifestation einer psychoti- tigen Stimuli zu unterscheiden, was mit
Wahn oder Halluzinationen) und ande- schen Erkrankung retrospektiv schon der klinisch besonders im Vordergrund
rerseits chronische Beeinträchtigungen im Kindesalter prodromale Auffällig- stehenden Reizfilterfunktionsstörung
mit persistierenden produktiven und/ keiten explorieren. Dies sind zumeist im Einklang steht. Als erste diagnose-
oder depressionsähnlichen tardiven (Mi- sprachliche oder motorische „Entwick- weisende Produktivsymptome stehen
nus-, Negativ-) Symptomen wie Affekt- lungsverzögerungen“ (verspäteter vor allem akustische Halluzinationen im
verflachung, dynamische Insuffizienz Spracherwerb und motorische „soft Vordergrund, seltener visuelle Halluzi-
verbunden mit sozialem Rückzug. Da- signs“, wie Koordinationsprobleme, bei nationen, Wahninhalte oder signifikante
durch kann nach Abklingen der Akutpha- etwa zwei Drittel der Betroffenen, oder inhaltliche Denkstörungen. Durch-
se die Lebensqualität weiterhin nachhal- muskuläre Hypotonie bei etwa einem schnittlich wird die korrekte Diagnose
tig beeinträchtigt sein (Abbildung 1). Bei Drittel), psychosoziale Reifungsdefizite, einer Schizophrenie bei früh begin-
diesen, synonym auch „Psychosen aus affektive Schwankungen mit Reizbarkeit nenden Formen um bis zu fünf Jahre zu
dem schizophrenen Formenkreis“ ge- und Ängstlichkeit, bizarres Verhalten spät gestellt.
nannten Störungen handelt es sich um und Negativsymptome wie Lust- und
schwere, tief greifende psychische Erkran- Antriebslosigkeit, Mutismus sowie Epidemiologie
kungen, die nicht nur für die Betroffenen soziales Desinteresse. Neuropsycholo- Die Lebenszeitprävalenz, also das Risi-
mit teils langjährigen Krankheitsphasen gisch imponieren Einschränkungen der ko, im Laufe des Lebens mindestens
und häufig auch mit nachfolgenden Be- Daueraufmerksamkeitsleistungen, der einmal an Schizophrenie oder einer
hinderungsbildern verbunden sind. Sie
haben auch, volkswirtschaftlich betrach-
tet, erhebliche direkte und indirekte Be- Abbildung 1
handlungskosten zur Folge. Eine frühe Symptomgruppen der Schizophrenie
Diagnosestellung und damit verbundene Plus-/Produktivsymptome
adäquate Behandlung ist regelhaft mit
Halluzinationen Inhaltliche Denkstörungen Verhaltensänderung
einer günstigeren Prognose assoziiert, was Akustische: bekannte/fremde, Wahn (flüchtige Wahnideen bis hin (z. T. selbst- oder fremd-
die detaillierte Betrachtung der mit dieser kommentierende/ beschimpfende/ zu ausgebildeten Wahnsystemen) gefährdend) und eventuell
Beziehungsideen (neutrale Gege-
häufig chronifizierenden Erkrankung imperative Stimmen, Geräusche
benheiten werden auf das Selbst
der Motorik (Katatonie)
Optische: statische oder szenische
verbundenen Implikationen für Betrof- Wahrnehmungen, veränderte bezogen)
fene, deren Angehörige und alle im the- Farb- oder Größenwahrnehmung Ich-Störungen mit Veränderungen des Affekts
Seltener olfaktorisch, gustatorisch, Beeinflussungserleben Erregungs- und Unruhe-
rapeutischen Bereich Tätigen sehr loh- -taktil (Parästhesien, bizarre zustände, Aggressivität,
nenswert erscheinen lässt. Körperwahrnehmungen) Formale Denkstörungen, ausgeprägtes Angst-/
z. B. inkohärenter Gedankengang, Glückserleben, Parathymie
Gedankenabreißen oder
Frühe Schizophrenie -blockade, Ideenflucht
Schizophrenie ist eine im Kindes- und
Jugendlichenalter – verglichen mit dem Minus-/Negativsymptome
Erwachsenen – relativ seltene Erkran- Affektverflachung, Antriebs-, Interesselosigkeit, sozialer Rückzug, kognitive Defizite bezüglich Aufmerksamkeit,
kung. Die ersten Symptome sind oftmals Konzentration und intellektueller Leistungsfähigkeit, Sprachverarmung, reduzierte Psychomotorik
unspezifische, vage inhaltliche und for-

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Fortbildung Schizophrenie

Abbildung 2 Neben den neurobiologischen Erklä-


Entwicklungshypothese der Schizophrenie mit frühem Beginn* rungsansätzen geben Kopplungsstudien
Zeitachse mit Feinkartierungen Hinweise auf po-
tenziell an der Pathophysiologie beteiligte
Genetische Schwangerschafts-,
Vorbelastung1 Geburtskomplikationen2 Gene [24]. So sind mehrere Kandidaten-
Vorgeburtlich
gene gefunden worden, die zur Expressi-
Reduktion neurotropher on von Neuroproteinen führen, die in
Faktoren3
Zusammenhang mit der Entstehung einer
schizophrenen Psychose gebracht werden,
Histomorphologische Frühe
Veränderungen Kindheit wie Dysbindin (DTNBP1), Neuregulin1
(NRG1) oder DISC1 („disrupted in schi-
Generalisierte zophrenia 1“). Diese üben einen Einfluss
Hirnatrophie
Psychosoziale auf die Signalübertragung sowie die Aus-
Freie Radikale5 Störungen der
Risikofaktoren8 bildung und den Erhalt der Struktur von
Neurotransmission Kindheit neuronalen Netzwerken aus. Zunehmen-
de Bedeutung erlangt außerdem das
Neuropsychologisch- Neurologisch-
kognitive Defizite6 sensorische Defizite7 Glutamat-Rezeptorgen GRMR3, dessen
Variante einen Stau des exzitatorischen
Jugend Botenstoffs Glutamat im synaptischen
Spalt bewirkt [28]. Des Weiteren werden
SCHIZOPHRENIE bestimmte psychosoziale Faktoren in der
frühen Kindheit verantwortlich gemacht,
die mit Schlagworten wie „high-expressed
*Detailinformationen zu den einzelnen Symptomgruppen unter www.springermedizin.de/neurotransmitter emotions“, „double-bind“ und „broken
home“ beschrieben wurden. Das Vulne-
rabilitäts-Stress-Coping-Modell ist in
psychotischen Episode zu erkranken, Ursachen dieser Hinsicht das zur Zeit am besten
liegt im weltweiten Durchschnitt etwa Die Dopamin-Überschuss-Hypothese akzeptierte ätiopathogenetische Modell,
bei 1 %. Die Erstmanifestation tritt zu- mit synaptischen Dysfunktionen im tha- welches neurobiologische und soziale
meist zwischen dem 15. und 35. Lebens- lamokortikalen System und entspre- Faktoren berücksichtigt.
jahr auf, der Erstmanifestationsgipfel chenden Störungen der Reizfiltersysteme
liegt bei Männern etwa beim 20. Le- ist die bekannteste Ursachenerklärung Entwicklungshypothese der
bensjahr, bei Frauen etwa beim 25. Le- der Schizophrenie [30]. Zu nennen ist Schizophrenie mit frühem Beginn
bensjahr. auch die Glutamat-Mangel-Hypothese, Frühkindliche Schizophrenien zeichnen
Vor dem zehnten Lebensjahr erkran- die gleichzeitig Basis ist für die Entwick- sich durch selteneres Auftreten, ein initial
ken nur 0,1–1 % aller Schizophrenen, vor lung neuer Wirkstoffe mit agonistischer eher unspezifisches Symptombild und
dem 15. Lebensjahr 4 %. Psychosen des Affinität zu NMDA- sowie den metabo- eine deutlich ungünstigere Prognose aus.
Kindesalters zeigen einen Erkrankungs- tropen Glutamatrezeptoren mGluR5 Es handelt sich somit um eine besondere
gipfel in den Altersstufen 7 – 9, Schizo- und mGluR2/3 [11, 34]. Als weiterer klinische Subgruppe mit ausgeprägt neu-
phrenien des Jugendalters zwischen dem pharmakologischer Ansatz werden Ade- robiologischer Beteiligung. So wurde
15. und 16. Lebensjahr. Zur Geschlech- nosinrezeptoren und -kinasen diskutiert, mehrfach bei Very-Early-Onset-Schizo-
terverteilung gibt es unterschiedliche da sie auf Glutamat- und Dopaminakti- phrenie (VEOS; Beginn < 13 Jahren) im
Befunde: Frühere Berichte postulierten vitäten indirekt ausgleichend-regulato- Vergleich zu älter Erkrankten bereits zu
vor dem 13. und nach dem 15. Lebensjahr rische Funktionen auszuüben scheinen Krankheitsbeginn eine signifikant stärker
eine Knaben-, um das 13. und 14. Lebens- [2]. Eine erhöhte Freisetzung von zen- ausgeprägte allgemeine Zerebralatrophie
jahr hingegen eine Mädchenwendigkeit. tralnervös membranschädigenden Radi- (vor allem Erweiterungen der Lateralven-
Dies trug der Hypothese einer hormonel- kalen durch mitochondriale Defekte trikel) nachgewiesen. Bei Early-Onset-
len Beteiligung Rechnung und stimmte wurde nachgewiesen [29]. Breite Akzep- Schizophrenie (EOS, Beginn > 13 Jahren)
mit erwachsenenpsychiatrischen Studien tanz findet die Hypothese entwicklungs- ist diese Atrophie zunächst nicht vorhan-
überein, die jenseits der Menopause ein bedingter versus degenerativer Genese den, sondern entwickelt sich sekundär,
steigendes Krankheitsrisiko für Frauen der frühen Schizophrenie (s. u.). Auch im mehrjährigen Verlauf, möglicherwei-
zeigten. Nach neueren Studien besteht Dysfunktionen inhibitorisch wirksamer, se im Sinn einer Neurodegeneration. Hi-
mittlerweile eine Tendenz zur Ausgegli- mit dem GABA-System assoziierter In- stologisch fallen bei (V)EOS Änderungen
chenheit zwischen den Geschlechtern, terneuronen im mesokortikalen System der Zytoarchitektur auf, etwa abweichen-
was auch mit der zunehmenden Bedeu- dürften eine pathophysiologische Rolle de Dendriten- oder Zellkörpermorpholo-
tung drogeninduzierter Psychosen zu- spielen, was anregt über GABAerge gien der Pyramidenzellen im präfronta-
sammenhängen dürfte. Wirkstoffe nachzudenken [1, 17]. len Kortex. Die strukturell atypischen

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Schizophrenie Fortbildung

Neuronen und kortikalen Malformatio- Tabelle 1


nen betreffen besonders die für senso- Leitsymptome der Schizophrenie (nach ICD-10)
risch integrative Prozesse verantwort-
liche Regio entorhinalis [26]. Zudem 1. Gedankenlautwerden, -eingebung, -entzug, -ausbreitung
mangelt es an neurotrophen Faktoren, 2. Kontroll- oder Beeinflussungswahn; Gefühl des Gemachten bezüglich Körperbewegungen,
die unter anderem für die Synaptogenese Gedanken, Tätigkeiten oder Empfindungen; Wahnwahrnehmungen
zuständig sind. Insgesamt geht das Mo- 3. Kommentierende oder dialogische Stimmen
dell der Entwicklungshypothese [18] von 4. Anhaltender, kulturell unangemessener oder völlig unrealistischer Wahn (bizarrer Wahn)
einer gestörten Neurogenese als primärer 5. Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität
Grundlage der Entwicklung der Schizo- 6. Gedankenabreißen oder -einschiebungen in den Gedankenfluss
phrenie aus (Abbildung 2). 7. Katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypien, Negativismus oder Stupor
Je ausgeprägter die präpsychotischen 8. Negative Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, verflachter oder inadäquater
morphologischen Befunde bei Kindern Affekt
und Jugendlichen sind, desto gravieren-
der fallen die postpsychotischen Entwick-
lungsstörungen aus. Jugendliche mit früh
manifestierter Schizophrenie entwickeln Tabelle 2
schwerere Negativsymptome und kogni- Klassifikation von Erkrankungen aus dem
tive Beeinträchtigungen sowie höhere schizophrenen Formenkreis (nach ICD-10)
Grade an chronischen funktionalen und
sozialen Einschränkungen im Vergleich — Paranoide Schizophrenie (F20.0; häufigste Schizophrenieform im Jugendalter;
zu Patienten mit Erstmanifestation der Wahnvorstellungen, oft akustische Halluzinationen, Wahrnehmungsstörungen)
Krankheit im Erwachsenenalter. Im — Hebephrene Schizophrenie (F20.1; gehäufte Prävalenz im späten Jugendalter und frühen
Sinne einer Entwicklungshypothese (Ab- Erwachsenenalter; Affektverflachung, desorganisiertes Denken, Sprachzerfahrenheit,
bildung 2) sind somit bereits pränatal unvorhersehbares und verantwortungsloses Verhalten)
induzierte zentralnervöse Entwicklungs- — Katatone Schizophrenie (F20.2; seltenere Form im Kindes- und Jugendalter, alle Alters-
störungen als grundlegender pathogene- stufen; psychomotorische Auffälligkeiten mit möglichem Wechsel zwischen Erregung und
tischer Mechanismus der VEOS anzu- stuporösen Zuständen)
nehmen. Erste klinische Korrelate sind — Bei der sehr seltenen Form der Schizophrenia simplex (F20.6) treten Negativsymptome ohne
unspezifische neuromotorische, rezeptiv eine vorhergehende Produktivsymptomatik auf. Die Differenzialdiagnose zu depressiven
sprachliche und kognitive Entwicklungs- Störungen stellt dann eine besondere Herausforderung dar. Charakteristisch sind
Negativsymptome auch bei chronifizierten Verläufen (schizophrenes Residuum; F20.5),
störungen, die im späteren Kindes- oder
welche in der Kinder- und Jugendpsychiatrie selten als solche zu erheben sind, da die
frühen Jugendalter schließlich in Denk-
Erkrankung vorwiegend erst im späten Jugendalter beginnt.
störungen und letztendlich in die psy-
chotische Erkrankung übergehen.

Diagnostik und Differenzialdiagnostik


Für die Diagnostik der Schizophrenie führen. Es gilt dabei, metabolische, ent- neoplastische oder metabolische Entglei-
gibt es aktuell keine sowohl empirisch zündliche oder neoplastische Prozesse, sungen (Elektrolytverschiebung, intraze-
belegte und gleichzeitig praxisrelevante Blutungen oder Intoxikationen oder die rebrale Blutung, Epilepsie, Enzephalitis,
Marker, die durch einfachere apparative Folgen von Substanzmissbrauch auszu- Lupus erythematodes, Schilddrüsenfunk-
Untersuchungen, wie etwa Labor oder schließen. Zusätzlich zum körperlichen tionsstörungen, Leber- und Niereninsuf-
bildgebende Verfahren standardisiert er- und neurologischen Untersuchungsbe- fizienz etc.). Bei akutem Beginn sollte eine
hoben werden können. Am viel verspre- fund sind daher ein MRT des Schädels, Borreliose ausgeschlossen werden.
chendsten als zukünftige, praktikable Laboruntersuchungen wie Blutbild, Dif- Eingedenk der Entwicklungshypo-
Screeningmethode könnten die Erkennt- ferenzialblutbild, CRP, Leber- und Nie- these der Schizophrenie ist bei frühen
nisse zu verminderten Konzentrationen renretentionswerte, TSH sowie ein Dro- Erkrankungen eine sorgfältige Anamnese
des „Brain derived neurotrophic factors“ genscreening erforderlich. Ergänzt wird zur motorischen, sprachlichen und psy-
(BDNF) in Plasma und Liquor sein [31]. die Diagnostik durch testpsychologische chosozialen Entwicklung zu erheben:
Bis dato erfolgt die Diagnosestellung kli- Untersuchungen in den Bereichen der — Gab es einen Leistungsknick oder be-
nisch gemäß den Symptomgruppen, die Exekutivfunktionen, Gedächtnisleistun- reits seit längerem Konzentrations-,
in der ICD-10 aufgelistet sind (Tabelle 1). gen und Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeits- oder Gedächtnis-
Zur Sicherung der Diagnose und zum Differenzialdiagnostisch ist psychiat- schwierigkeiten?
Ausschluss organischer Erkrankungen ist risch an Persönlichkeitsstörungen, wahn- — Waren bereits früher Auffälligkeiten
es vor allem bei der Erstmanifestation ei- hafte, affektive und schizoaffektive Stö- des Gedankengangs, unvermittelte
ner Schizophrenie wichtig, entsprechen- rungen zu denken; somatisch an hirnor- Affektschwankungen oder unvorher-
de apparative Zusatzdiagnostik durchzu- ganische Prozesse, toxische, entzündliche, sehbare Verhaltensweisen feststellbar?

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Fortbildung Schizophrenie

Tabelle 3 in Behandlung kommen, ist ein Scree-


Wichtige psychiatrische Differenzialdiagnosen der Schizophrenie ning auf psychoaktive Substanzen und
komorbide psychische und körperliche
Differenzialdiagnose Abgrenzung zur Schizophrenie Erkrankungen besonders wichtig, weil
ICD-10 diese Stoffe eine psychotische Symptoma-
Organisch bedingte Meist fulminanter Beginn; Differenzierung durch Bildgebung tik häufig auslösen. Hier ist eine sorgfäl-
Psychosen F01 – F09 tige Diagnostik und Differenzialdiagnos-
Psychosen durch Kontext mit Einnahme psychotroper Substanzen;
tik von besonderer Bedeutung, weil vor
psychotrope Substanzen Differenzierung durch Drogenscreening allem in der Prodromalphase bereits de-
F10 generative neurobiologische Prozesse
ablaufen, die für die Langzeitprognose
Schizotype Störung F21 Anomalien im Denken, Sprechen und Verhalten, kalter Affekt, des Betroffenen von erheblicher Bedeu-
paranoide Ideen; keine durchgängigen charakteristischen Schizo-
tung sind. Auch können hier therapeu-
phreniesymptome; Entwicklung und Verlauf vergleichbar mit
tische Weichen gestellt werden, die von
Persönlichkeitsstörung
hoher Tragweite für den weiteren Verlauf
Akute, vorübergehende Akuter Beginn bei belastendem Ereignis; rasche Remission sind. Unter Einbeziehung von Angehöri-
psychotische gen sollten die Betroffenen über die Er-
Störungen F23 krankung informiert werden, ohne sie
Schizoaffektive Gleichzeitiges oder abwechselndes Auftreten von affektiven mit der vorzeitigen Diagnose einer Schi-
Störungen F25 und schizophrenen Symptomen zophrenie zu belasten. Ob in dieser Pro-
Manie oder Depression Größenideen, Antriebssteigerung, Ideenflucht, Stimmenhören
dromalphase Antipsychotika gegeben
mit psychotischen Symp- oder Verarmungs-, Eifersuchts- oder Verschuldungswahn; werden sollen, ist noch Gegenstand der
tomen F30.2, F32.2 oft Ich-synthym Forschung und stark umstritten. Beson-
ders bei jungen Menschen ist die Anzahl
Akute Belastungs- Bei deutlichen Schizophreniesymptomen: besser F23-Diagnose derjenigen, die – im Nachhinein betrach-
reaktion F43.0
tet – aufgrund der Entwicklung einer
Dissoziative Störung F44 Symptome treten vor allem im Kontakt auf, weniger in unbeobach- Schizophrenie zu Recht mit Neuroleptika
teten Phasen, keine durchgängigen Denkstörungen, oft gute Kennt- behandelt werden sollten, relativ gering
nisse über das Krankheitsbild („Vorbilder“ aus Filmen oder Lektüre), [36]. Die Wirkungsbilanz scheint also
relativ geringer Leidensdruck („belle indifférence“) eher ungünstig, gemessen an den uner-
Paranoide, schizoide Übergreifendes, tiefgreifendes abnormes Verhaltensmuster mit wünschten Effekten. Andererseits kann
Persönlichkeitsstörung Beginn bereits im Kindesalter, Einschränkung der sozialen und die Prophylaxe mit Neuroleptika für die
F60, F60.1 Alltagsfunktionen; cave: ich-Dystonie und subjektiver Leidensdruck wenigen, die dann tatsächlich manifest
oft erst im Erwachsenenalter!; Persönlichkeitsstörungen sollten psychotisch würden, sehr hilfreich sein.
nicht vor dem 16. Lebensjahr diagnostiziert werden
Borderline-Persönlich- Auch hier Denkstörungen und Depersonalisations-/Derealisationser- Therapie der Schizophrenie
keitsstörung F60.3 eignisse sowie Parathymien; aber: keine durchgängige Produktivsym- Die Behandlung der Schizophrenie in
ptomatik, vor allem emotionale Labilität, Impulsivität, Beziehungsab- den unterschiedlichen Krankheitsphasen
brüche und aufmerksamkeitssuchendes Verhalten im Vordergrund ist stets multiprofessionell. In der Akut-
phase geht es vor allem um die Etablie-
Frühkindlicher Autismus Auffälligkeiten der Sprache/Kommunikation, sozialen Kontaktfähig-
rung einer therapeutischen Beziehung,
F84.0 keit sowie Stereotypien; oft Intelligenzminderung; Symptomatik ab
Information über Krankheits- und Be-
Geburt
handlungskonzepte, die Beseitigung von
Intelligenzminderung „Pfropf-Psychosen“ bei Intelligenzminderung möglich; zum Teil sehr Krankheitssymptomen, die Verhinde-
mit Verhaltensauffällig- erschwerte Diagnosestellung wegen eingeschränkter Mitteilungs- rung und Behandlung von Eigen- oder
keiten F7 fähigkeit Fremdgefährdung, die Einbeziehung von
Angehörigen und Bezugspersonen im
Einvernehmen mit den Betroffenen so-
wie die Verhinderung oder Verminde-
Die diagnostische Klassifizierung Prodromalphase oft von mehrjähriger rung sozialer Folgen der Erkrankung. Die
zeigt Tabelle 2. Wichtige differenzialdia- Dauer voraus, die erst dann in eine mehr Postakutphase soll früh durch rehabilita-
gnostische Abgrenzungen finden sich in oder weniger rasche Entwicklung akuter tive Maßnahmen vorbereitet werden.
Tabelle 3. Symptome mündet. In 30–50 % der Fälle Hierdurch wird die Festigung der thera-
zeigen sich die Vorläufersymptome eng peutischen Beziehung gefördert und das
Prodromalphase verwandt zu den Auffälligkeiten früh- Abklingen der Krankheitssymptome un-
Der vollentwickelten Psychose geht in kindlicher Entwicklungsstörungen [32]. terstützt. Es geht um Förderung der
etwa 75 % der Fälle eine präpsychotische Bei Patienten, die in der Prodromalphase Krankheitseinsicht und Behandlungs-

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Schizophrenie Fortbildung

compliance, Entwicklung von Coping- richtlicher Anordnung möglich. Eine


Strategien, Motivation zur Selbsthilfe, ärztliche gutachterliche Stellungnahme Verkehrstüchtigkeit und Beruf
Früherkennung drohender Rückfälle, ist hierzu jeweils erforderlich. unter Neuroleptika
und die Vorbereitung weiterführender Im Falle der geschlossenen Behand- Die Verkehrstüchtigkeit und Befähi-
rehabilitativer Maßnahmen. In der Re- lung sind die üblichen Sicherheitsvorkeh- gung zu Schulbesuch beziehungsweise
missionsphase stehen die Förderung so- rungen zu treffen (Prüfung des Patienten- Berufsausübung werden durch Neuro-
zialer Integration, Rückfallprophylaxe, gepäcks auf verletzungsgefährliche Gegen- leptikatherapie im Vergleich zum unbe-
-erkennung und -intervention sowie die stände, Verwahrung von psychoaktiven handelten Krankheitsstadium verbes-
berufliche Rehabilitation im Fokus. Substanzen). Einzelbetreuung oder inten- sert oder wieder hergestellt. Die Frage
sive Überwachung sind aufgrund der der Verkehrstüchtigkeit ist individuell
Akutbehandlung Handlungsunvorhersehbarkeit und Labi- zu beantworten. Das Gleiche gilt für die
Der Abklärung des eigen- oder fremdge- lität des Patienten oft unabdingbar. Eine Verrichtung bestimmter Aufgaben am
fährdenden Potenzials kommt bei zentrale therapeutische Maßnahme ist die Arbeitsplatz (z. B. Arbeit an Maschinen
schizophrenen Erkrankungen eine hoch- Reizabschirmung des Patienten, das heißt, etc.). Problematisch sind jedoch Kombi-
verantwortliche Bedeutung zu. Die Be- größere Menschenansammlungen, Lärm nationen mit Alkohol- oder Drogenkon-
sonderheit liegt darin, dass Absprache- und Unruhe sollten fern gehalten werden. sum, manche Kotherapeutika sowie
fähigkeit und Krankheitseinsicht oft Wichtig zur Entängstigung und Entlastung medikamentöse Umstellungsphasen.
nicht gegeben sind und ein informatives des Patienten sind die Zuteilung einer Für die Praxis könnte bei der Fragestel-
Gespräch aufgrund der Denkstörungen festen Bezugsperson des Pflegepersonals lung nach Verkehrstüchtigkeit unter
oder des psychosebedingten Misstrauens pro Schicht, kurze, einfache Erklärungen Neuroleptika eine Durchführung von
der Patienten nicht möglich ist. Anders des Prozedere für den Patienten und die standardisierten (Dauer-) Aufmerksam-
als bei sonstigen psychiatrischen Stö- Gewährleistung von Ruhe. keits-, Reaktions- und Konzentrations-
rungsbildern entspringen Selbst- oder tests ähnlich wie bei der Diagnostik
eines ADHS orientierend hilfreich sein.
Fremdgefährdung nicht einer intrinsi- Medikamentöse Behandlung
Es gelten ansonsten die Begutach-
schen Absicht. Der Psychiater muss des- Zu Beginn einer Psychopharmakothera-
tungsleitlinien zur Kraftfahrereignung
halb sorgfältig abwägen, ob das Ausmaß pie muss eine Aufklärung des Patienten
der BASt; 2000 (www.bast.de).
der Schizophreniesymptome noch ein beziehungsweise auch der Erziehungsbe-
Mindestmaß an verantwortungsbe- rechtigten über Wirkungen sowie Neben-
wusstem und strukturiertem Handeln wirkungen der Medikamente erfolgen.
ermöglicht, oder ob in Folge der man- Der Patient sollte, so weit als möglich, in
gelnden Selbststeuerungsfähigkeit keine den therapeutischen Entscheidungspro- Schizophrenie, vor allem in der Akutpha-
Sicherheit gegeben ist, was eine geschlos- zess einbezogen werden. Bei Minderjäh- se. Hoch- und niedrigpotente Neurolep-
sene Unterbringung erfordern würde. rigen ist immer eine Einwilligung der tika miteinander zu kombinieren ist häu-
Bei akuter, ausgeprägter Produktiv- Erziehungsberechtigten erforderlich. fig klinischer Standard, insbesondere im
symptomatik sollte grundsätzlich eine Individuelle Reaktionsmuster und Anfangsstadium der Behandlung, um eine
umgehende stationäre Aufnahme in eine unerwünschte Begleitwirkungen der An- zusätzliche Sedierung oder Anspannungs-
(kinder- und jugend-) psychiatrische tipsychotika erfordern ein hinsichtlich reduktion zu erzielen. Parallel kommen
Fachklinik erfolgen. Kann eine Fremd- Substanzwahl, Kombination, Begleitme- oft Benzodiazepine zum Einsatz. Es gelten
oder Eigengefährdung nicht ausgeschlos- dikation, Applikation und Dosierung die Empfehlungen gemäß der DGPPN-
sen werden, ist die geschlossene Unter- differenziertes Vorgehen. Die Dosierung [8] und DGKJP-Leitlinien [7] zur Be-
bringung wegen „Gefahr im Verzug“ zu ist grundsätzlich so niedrig wie möglich handlung der Schizophrenie (Tabelle 5).
initiieren. Hierzu sollten bei Minderjäh- zu wählen. Unter Beachtung von relativen Die mit dem Rezeptorprofil assoziierten
rigen die Erziehungsberechtigten inner- oder absoluten Kontraindikationen ste- erwünschten und unerwünschten Wir-
halb von 24 Stunden ab Unterbringung hen verschiedene Wirkstoffe unterschied- kungen fasst Tabelle 6 zusammen.
beim zuständigen Familiengericht einen licher Substanzklassen (Butyrophenone, Die Antipsychotika der ersten Gene-
Antrag auf geschlossene Unterbringung Phenothiazine, atypische Neuroleptika; ration („typische Neuroleptika“ wie Halo-
(§ 1631 b BGB) ihres Kindes stellen. Bei gegebenenfalls in Kombination mit An- peridol) führten durch die zerebral ubi-
Erwachsenen ist zur Abwehr akuter Eigen- tidepressiva, Mood Stabilizern, Benzodia- quitär ausgeprägte Dopamin-D2-Rezep-
oder Fremdgefährdung eine geschlossene zepinen und Antikonvulsiva) in diversen tor-Blockade zwar zu hoch potenten an-
Unterbringung in einem psychiatrischen Darreichungsformen (oral, parenteral, tipsychotischen Effekten, die auch heute
Krankenhaus auf der Rechtsgrundlage der Depot) zur Auswahl. Einschränkungen noch im Akutfall den Einsatz dieser Sub-
Unterbringungsgesetze (z. B. PsychKG = ergeben sich aus dem Zulassungsstatus stanzen rechtfertigen, jedoch häufig auch
Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnah- einzelner Medikamente (Tabelle 4). zu motorischen Nebenwirkungen (Dys-
men bei psychischen Krankheiten) der Die antipsychotische Behandlung mit kinesien) sowie zu Hyperprolactinämien.
Bundesländer beziehungsweise betreu- Dopamin-D2-Rezeptor-Antagonisten ist Die „atypischen Neuroleptika“ („second
ungsrechtliche Unterbringung gemäß §§ gemäß der Dopamin-Überschuss-Hypo- generation antipsychotics“) sind mit die-
1906 ff. BGB nach vormundschaftsge- these [3] die wesentliche Therapie der sen unerwünschten Arzneimittelwirkun-

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Fortbildung Schizophrenie

Tabelle 4 derlich macht, sowie die Kombination mit


Zulassungsstatus und Off-Label-Gebrauch von atypischen Bewegungsmangel, wodurch Adipositas-
Neuroleptika bei Minderjährigen in Deutschland (mod. nach [20]) entwicklungen zusätzlich verstärkt werden.
Generell ist die Behandlung einer
Wirkstoff Zulassung Off-Label Erkrankung aus dem schizophrenen For-
Aripiprazol Schizophrenie (ab 15 Jahren) Tics, Impulsivität menkreis sehr aufwendig. Nicht selten
sind ein oder mehrere Wechsel der neuro-
Clozapin Therapieresistente Schizophrenie
(ab 16 Jahren)
leptischen Medikation notwendig, bis
eine möglichst optimale Wirksamkeit auf
Olanzapin Keine Schizophrenie, Manie, bipolare Störung, Plus- und auch Minussymptome gegeben
paranoides Denken bei Anorexie, ist. Voreilige Wechsel sollten aber vermie-
Trichotillomanie, Psychomotorische den werden. Die Substanzen sollten aus-
Erregungszustände reichend hoch dosiert werden, sofern
Quetiapin Keine Schizophrenie, Manie, bipolare Störung, keine UAW dagegen sprechen. Eine Se-
paranoides Denken bei Anorexie, rumspiegelbestimmung kann bei der op-
selbstverletzendes Verhalten, timierten Dosiseinstellung helfen und
Impulsivität detektiert Fast Metabolizer sowie Non-
Risperidon Aggressivität bei unterdurch- Schizophrenie, Manie, Tics, Compliance. Frühestens nach drei bis vier
schnittlicher intellektueller Funkti- Stereotypien, Autoaggressivität, Wochen sollte eine Umstellung erstrebt
on (ab 5 Jahren) Autismus werden. Bisweilen helfen auch Augmen-
Ziprasidon Manie, bipolare Störung Psychomotorische Erregungszustände,
tationsstrategien, das heißt eine Kombi-
(ab 10 Jahren) Autoaggressivität
nation mit einem Zweitmedikament, zum
Beispiel einem Serotonin-Wiederaufnah-
mehemmer bei deutlicher Negativsym-
ptomatik, um über die Wechselwirkung
Tabelle 5 an ähnlichen CYP450-Enzymen eine Stei-
Empfehlungen zur Akutbehandlung der Schizophrenie gerung des Serumspiegels des Neurolep-
gemäß der Leitlinien der DGPPN [8] und DGKJP [7] tikums zu erreichen. Diese Methode kann
auch hilfreich sein, wenn man ein gut
— In der akuten schizophrenen Episode sind Antipsychotika Mittel der Wahl. antipsychotisch wirksames Medikament
— Bei der Behandlung der akuten schizophrenen Episode stellen atypische Antipsychotika erhalten will, aufgrund von Nebenwir-
aufgrund der geringeren Rate an extrapyramidal-motorischen Störungen bei vergleichbarer kungen aber zu einer Dosisreduktion
Wirksamkeit gegenüber konventionellen Antipsychotika Medikamente der ersten Wahl dar, gezwungen ist. Bei Kombinationsthera-
falls nicht der Patient selbst konventionelle Antipsychotika präferiert oder er darauf bereits pien, die trotz Empfehlung von primärer
ohne relevante Nebenwirkungen remittierte. Monotherapie durch die Leitlinien bei fast
— Eine Monotherapie mit einem Antipsychotikum ist zu bevorzugen.
50 % der Patienten angewandt werden
[35], sollte grundsätzlich ein therapeu-
— Bei krankhafter Erregung, Angst, innerer Unruhe empfiehlt sich die zeitlich befristete tisches Drug Monitoring durchgeführt
Kombination mit Benzodiazepinen. werden. Antipsychotikakombinationen
mit ähnlichen Wirkprofilen erbringen
voraussichtlich keinen Wirksamkeitszu-
gewinn, sondern bergen das Risiko ver-
gen weit weniger assoziiert, da ihre anti- liche Wirksamkeit auf die Negativsym- mehrter UAW; abzuraten ist daher von
dopaminerge Blockade geringergradig ptomatik ergibt. Ziprasidon plus Risperidon und Kombi-
und auf das für die Produktivsymptoma- Aripiprazol stellt ein Neuroleptikum nationen zwischen Clozapin, Olanzapin
tik vorrangig verantwortliche mesolim- der dritten Generation dar, welches als und Quetiapin [27].
bische System fokussiert ist. Jedoch sind dualistisch wirksamer Partialagonist und
bei den modernen Neuroleptika weitere -antagonist des D2-Rezeptors Homöosta- Studienlage bei Minderjährigen
unerwünschte Arzneimittelwirkungen, sefunktionen im Dopaminsystem ausübt. Es existieren nur sehr wenige nach dem
namentlich Gewichtszunahme und me- Die Substanz ist zudem relativ gewichts- heutigen wissenschaftlichen Standard
tabolische Nebenwirkungen wie Hyper- und stoffwechselneutral. durchgeführte Studien zu Neuroleptika
lipidämie und Diabetes mellitus, zu be- In ungünstiger Wechselwirkung zu im Kinder- und Jugendbereich [23]. Bis-
achten. Bei den atypischen Neuroleptika Neuroleptika steht der von vielen Betrof- lang wurden zur Indikation Schizophre-
ist im Gegensatz zu den klassischen Neu- fenen ausgeübte Nikotinmissbrauch, der nie nur wenige doppelblinde, randomi-
roleptika ein weiterer Vorteil die Affinität die Konzentration der Psychopharmaka sierte Studien publiziert, wobei es sich
zum serotoninergen 5-HT2-Rezeptor, wo- am Wirkort deutlich verringert und hier- zum Teil nicht um placebokontrollierte
durch sich eine den Antidepressiva ähn- durch eklatant höhere Dosierungen erfor- Untersuchungen handelt, sondern um

40 NeuroTraNsmiTTer 1 · 2013
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Schizophrenie Fortbildung

Vergleiche gegenüber anderen Neurolep- Pharmakologisch zeigte Metformin die Triglyzeride und Cholesterol steigen
tika. Eine Metaanalyse von 150 pacebo- vielversprechendsten Effekte auf zu starke vor allem unter Clozapin und Olanzapin
kontrollierten, randomisierten Studien Gewichtszunahme (z. B. 3 x 500 mg/d); an; Risperidon und Ziprasidon können
mit 20.000 vorrangig erwachsenen Pati- zielführend und daher in jedem Fall emp- die Triglyzeridspiegel mitunter senken;
enten ergab, dass die Atypika Aripiprazol, fehlenswert wäre jedoch von Beginn an Amisulprid und Aripiprazol scheinen neu-
Clozapin, Olanzapin und Risperidon bei ein Aktivierungsprogramm. Insbesonde- tral zu sein [6]. Ein ätiologischer Zusam-
Produktiv- und Negativsymptomen wirk- re Olanzapin und Clozapin können Insu- menhang zwischen Neuroleptika-Thera-
samer seien als die Typika, sonst gebe es linsekretion und Glucosetoleranz min- pie und Fettstoffwechsele-Erkrankungen
keine Überlegenheit [15]. Das Entschei- dern und auf diesem Wege sowie indirekt ist nicht eindeutig zu begründen. Regel-
dende ist aber natürlich die Ebenbürtig- über die Gewichtszunahme zu diabe- mäßige Kontrollen der Blutglukose- und
keit bei besserer Verträglichkeit. Clozapin tischen Stoffwechsellagen führen. In einer Blutfettwerte sind unbedingt zu empfeh-
zeigte die stärkste Wirksamkeit. siebenjährigen US-amerikanischen Fol- len. In Einzelfällen wird eine Umsetzung
low-up-Studie entwickelten 18,4 % der oder eine Reduktion der Medikation er-
Langzeitbehandlung mit atypischen Neuroleptika behandelten forderlich, worunter die Stoffwechselpro-
Atypische Neuroleptika, möglichst erwachsenen Patienten einen Diabetes blematik in der Regel sistiert.
monotherapeutisch, werden bei Minder- mellitus versus nur 6,6 % in der allgemei- Für Blutbild, Kreatinin, Transamina-
jährigen wegen der besseren Verträglich- nen Klinikpopulation [13]. sen, Blutdruck und Puls sind viertel- bis
keit vorgezogen [9]. Eine zuverlässige
und regelmäßige Einnahme ist Voraus-
setzung für die stabile Wirksamkeit. Ins- Tabelle 6
besondere bei Compliance-Einschrän- Wichtige erwünschte und unerwünschte Wirkungen der
kungen, Nikotingebrauch oder Kothera- Neuroleptika gemäß Rezeptorprofil [20]
peutika empfiehlt sich die regelmäßige
Antagonismus Effekte Procedere
Kontrolle des Arzneimittelserumspiegels.
Empfohlene therapeutische Bereiche Dopamin-D2- Antipsychotische Wirkung
sind in Tabelle 7 aufgeführt. Für Minder- Rezeptoren Extrapyramidal-motorische UAWs Anticholinergika/Dosisred./Umsetzung
jährige dienen diese für Erwachsene gül- Prolactinspiegelerhöhung Kontrolle/Dosisreduktion/ Umsetzung
tigen Werte orientierend; alterspezi- QTc-Verlängerung EKG-Kontrolle/Dosisreduktion/Umsetzung
fische Werte sind noch Gegenstand der Gewichtszunahme, Aktivierung/Dosisreduktion/Umsetzung
Forschung (www.tdm-kjp.de). Stoffwechselveränderungen
Es wird empfohlen, bei Gabe von M1-5- Mund- und Nasentrockenheit Befeuchtung
atypischen Neuroleptika klinische Zei- Acetylcholin- Akkommodationsstörungen Abwarten (meist vorübergehend)
chen der Hyperprolaktinämie regelmäßig Rezeptoren Obstipation Trinken, Bewegung, Ballaststoffe
aktiv abzufragen und bei Auftreten ent- Miktionsstörungen Cholinergika oder ACh-Esterase-Hemmer
sprechender Symptome den Prolaktin- Speichelfluss Anticholinergika (z. B. Pirenzepin 25–100
spiegel zu bestimmen. Unterhalb 200 ng/ Gedächtnisstörungen mg/d)
ml kann Dosisreduktion unter weiterer cave: Glaukomanfall
Kontrolle ausreichend sein oder der H1-Histamin- Sedierung, Müdigkeit Abwarten (meist vorübergehend)
Wechsel zu Aripiprazol, Quetiapin oder Rezeptor Gewichtszunahme (?) Aktivierung/Dosisreduktion/Umsetzung
Clozapin erwogen werden. Oberhalb von cave: Verstärkung anderer
200 ng/ml sind die genannten Maßnah- zentral dämpfender Wirkstoffe
men sehr dringend anzuraten [5]. In den Adrenerger Hypotonie, orthostatische Kneippen/Dihydroergotamin oder Etilefrin
größeren, auch kinder- und jugendpsy- alpha1- Dysregulation, Schwindel
chiatrischen Untersuchungen zu Olanza- Rezeptor Reflextachykardie alpha-Adrenozeptor-Antagonisten
pin, Risperidon, Clozapin, Aripiprazol Sedierung Abwarten (meist vorübergehend)
und Quetiapin kam es nicht zu klinisch Verstopfte Nase Nasentropfen
relevanten kardialen UAW (z. B. QTc- cave: Verstärkung der Wirkung
Verlängerung); dennoch sind EKG-Kon- anderer adrenerger
trollen zu empfehlen [4]. Aufgrund der alpha1-Rezeptorantagonisten
Gewichtseffekte mancher Atypika (Jah-
Serotonin- Sedierung Abwarten (vorübergehend)
resverlaufsstudien wiesen bis zu 30 %
5HT2- Appetitzunahme, Diät/Aktivierung/Umsetzung auf
Gewichtszunahmen unter Olanzapin bei
Rezeptor Gewichtszunahme Amisulprid, Ziprasidon, Aripiprazol
Jugendlichen auf [9]; Minderjährige zei-
gen durchschnittlich eine um 100 % stär- Senkung des Risikos für Auftreten
kere Gewichtszunahme als Erwachsene) extrapyramidal-motorischer
sollten Body Mass Index und Bauchum- UAWs und Prolaktin-Anstieg
fang zu den Standardkontrollen gehören.

NeuroTraNsmiTTer 1 · 2013 43
Fortbildung Schizophrenie

Tabelle 7 Die Behandlungsdauer mit Neuro-


Empfohlene therapeutische Bereiche (Plasmakonzentrationen) leptika beträgt bei Erstmanifestation min-
ausgewählter Neuroleptika für Erwachsene [14] destens ein Jahr, nach den Leitlinien der
DGKJP zwei Jahre. Bei einem Rezidiv
Wirkstoff Therapeutisch empfohlener Plasmaspiegel [ng/ml] Empfehlungsgrad sollte das Medikament für fünf Jahre ein-
Amisulprid 100–400 1 genommen werden. Absetzversuche
Aripiprazol 150–500 2 sollten immer kleinschrittig, alle zwei bis
vier Wochen über mindestens drei bis
Chlorpromazin 30–300 2
sechs Monate verteilt, unter fachärztlicher
Chlorprothixen 20–300 3 Kontrolle erfolgen. Zu schnelles Absetzen
Clozapin 350–600 1 birgt immer ein hohes Rezidiv-Risiko.
Psychoaktive Substanzen sollten strikt
Flupenthixol 1–10 2
gemieden werden. Abrupte Änderungen
Fluphenazin 1–10 1 im Nikotinkonsum beeinflussen den
Haloperidol 1–10 1 Wirkspiegel bestimmter Präparate in un-
Levomepromazin 30–160 3 vorhersehbarem Grad und sollten unbe-
dingt mit dem psychiatrischen Facharzt
Melperon 30–100 3 besprochen werden, um erforderliche
Olanzapin 20–80 1 Dosisanpassungen vornehmen zu können.
Paliperidon 20–60 2 Zur Optimierung der Rückfallverhü-
tung sollten psychoedukative Interventi-
Perazin 100–230 1
onen mit geeigneten verhaltenstherapeu-
Perphenazin 0,6–2,4 1 tischen Elementen kombiniert werden.
Pimozid 15–20 3 Das kann in Einzelbehandlungen, Grup-
Pipamperon 100–400 3
peninterventionen oder als Familienbe-
treuung geschehen. Dabei geht es darum,
Quetiapin 100–500 2 dem Patienten Informationen über seine
Risperidon 20–60 2 Erkrankung und den verschiedenen Be-
Sulpirid 200–1000 1 handlungselementen zu vermitteln, als
Grundlage kooperativer klinischer Ent-
Thioridazin 200–2000 1
scheidungsfindung und Voraussetzung
Ziprasidon 50–200 2 gesundungsförderlichen Verhaltens. Pro-
Empfehlungsgrade duktive psychotische Symptome und
1 = Sehr zu empfehlen, es wurde ein therapeutischer Bereich nachgewiesen. Denkstörungen, primäre und sekundäre
2 = Zu empfehlen, es wird ein therapeutischer Bereich aufgrund von Studien mit festen Dosierungen depressive Symptomatik, kognitive Be-
vorgeschlagen, in denen Plasmakonzentrationen unter therapeutisch effektiven Dosen bestimmt wurden.
3 = Nützlich, es wird ein therapeutischer Bereich aufgrund von pharmakokinetischen Studien im Steady state
einträchtigung, niedriger sozioökonomi-
vorgeschlagen. scher Status, Migrationsstatus, negative
Einstellungen zur Medikation und medi-
kamentöse Nebenwirkungen sind oft
Faktoren, die mit einer Ablehnung der
halbjährliche Kontrollen zu empfehlen. randomisiert-kontrollierte Studien zu empfohlenen Medikation verbunden sind.
EEG genügen vor und als Kontrolle nach Depotneuroleptika. Hier kämen am Eine tragfähige therapeutische Beziehung
Einstellung auf ein Neurokeptikum. Eine ehesten die modernen Neuroleptika Ris- mit gutem Informationsfluss und Trans-
Ausnahme stellt Clozapin dar, welches peridon und neuerdings Olanzapin als parenz der therapeutischen Entscheidun-
wegen des Agranulozytoserisikos bezie- Depotpräparat in Frage, unter sorgfäl- gen ist somit die Basis für die Compliance.
hungsweise der Ictugenität engmaschige tiger Abwägung des Nebenwirkungsrisi- Der Patient und seine Bezugsper-
Blutbild- und halbjährliche EEG-Kontrol- kos. Günstig wäre die primäre Einstel- sonen sollten die ersten Anzeichen eines
len erfordert. lung auf die orale Darreichungsform, um Rückfalls kennen: Verlust des Schlaf-
eine aussagekräftige Nutzen-Nebenwir- Wach-Rhythmus, Veränderungen von
Rezidivprophylaxe kungsbilanz ableiten zu können, und die Denken und Wahrnehmung, unvermit-
Die Wirksamkeit der antipsychotischen anschließende Umstellung auf das ent- telte Affektlabilität und Parathymie sowie
Medikamente – sowohl in der Akutphase sprechende Depot. Zumeist werden we- uneinfühlbares Verhalten. Das Umfeld
als auch in der Langzeitbehandlung – ist gen der besseren Steuerbarkeit orale sollte aufgeklärt sein über Stressoren wie
gut belegt. Depotneuroleptika können, Darreichungsformen bei Minderjäh- „expressed emotions“, Überforderung und
wie bei Erwachsenen oft gezeigt, die Re- rigen favorisiert; bei Compliance-Ein- psychosoziale Belastungsfaktoren. Ein
hospitalisierungsquote deutlich reduzie- schränkungen jedoch sind Depotgaben fester Tagesrhythmus, die Einbindung
ren [16]. Bei Minderjährigen fehlen zu erwägen. in soziale Aktivitäten sowie die angemes-

44 NeuroTraNsmiTTer 1 · 2013
Schizophrenie Fortbildung

sene Übernahme von Aufgaben fördern Maßnahmen informiert sein. Die Familie heitlich – hinsichtlich Krankheit, Schule/
die Reintegration und das Ressourcen- benötigt meist Unterstützung in der Ver- Beruf, familiärer Situation, sozialer Kom-
bewusstsein des Patienten. arbeitung der Erkrankung und der Kon- petenz, Freizeitgestaltung, Ressourcen-
sequenzen, manchmal ist ein grundle- nutzung – unterstützt werden. Für junge
Weitere therapeutische Elemente gend veränderter Lebensentwurf notwen- Erwachsene sind diese jugendtypischen
Die Pharmakotherapie soll grundsätzlich dig. Entscheidend ist daher die sozialpsy- Themen auch nach Erlangen der Volljäh-
in ein Gesamtbehandlungskonzept einge- chiatrische Begleitung hinsichtlich rigkeit noch relevant. Im stationären Set-
bettet sein, das in Abhängigkeit von einer schulisch-beruflicher Perspektivenpla- ting wäre von Vorteil, junge Patienten
differenziellen Indikation allgemeine und nung und eventuell notwendiger An- sektional zusammenzufassen, um ein al-
spezielle psychotherapeutische, sozio- schlussmaßnahmen (medizinische Reha- tershomogenes soziales Übungsfeld, den
und ergotherapeutische Maßnahmen so- bilitation, therapeutisch begleitete Wohn- Austausch mit Gleichaltrigen in einem
wie psychiatrische Behandlungspflege formen, ambulante Hilfen). ähnlichen Lebensabschnitt sowie eine
einschließt [12]. Für die Mehrzahl der Pa- möglichst motivierende und aktivierende
tienten und Angehörigen hat es sich dabei Besonderheiten bei Adoleszenten Atmosphäre zu gewährleisten, was bei
als sinnvoll erwiesen, dass auf strukturel- Patienten mit früh auftretender Schizo- Konfrontation mit wesentlich älteren,
ler Ebene verschiedene Behandlungsein- phrenie (Early-Onset-Schizophrenie) be- chronisch kranken Mitpatienten in ande-
heiten und -institutionen miteinander dürfen in vielerlei Hinsicht besonderer ren Generationen und Lebenssettings oft
vernetzt sind und innerhalb dieses Be- konzeptioneller Hilfestellung, weil sie nicht optimal möglich ist.
handlungssystems ein Team, bestehend sich in einer Lebensspanne befinden, die
aus Bezugstherapeut und Arzt, die Be- auf mehreren Ebenen wichtige Heraus- Prognose
handlung des einzelnen Patienten und forderungen bietet und in der weitrei- Die Faustregel besagt, dass ein Drittel der
seiner Angehörigen settingübergreifend chende Entscheidungen in beruflicher, Patienten gut remittiert, ein Drittel mit
übernimmt beziehungsweise koordiniert. sozialer und partnerschaftlicher Hinsicht Rezidiven zu rechnen oder gewisse Be-
In der Akutphase sind neben dem getroffen werden. Beginnend in den einträchtigungen zu erwarten hat, wäh-
Schutz des Patienten kurze, stützende 1950er-Jahren wurde der Begriff „Ent- rend ein Drittel chronisch erkrankt bleibt.
Gespräche mit klar formulierten, kom- wicklungspsychiatrie“ begründet, der in Je jünger die Patienten bei Ersterkran-
pakten Informationen hilfreich. Der Auf- Konzepte der „Adoleszentenpsychiatrie“ kung sind und je höher die genetische
bau einer Alltagsstruktur mit geordnetem gemündet ist. Hierbei wird den besonde- Belastung ist, desto mehr neurobiolo-
Tag-Nacht-Rhythmus sowie die Hinfüh- ren Implikationen Rechnung getragen, gische Dysfunktionen und Anomalien
rung zu Fortschritten in der allgemeinen die diese Patienten im Jugendlichenalter sind anzunehmen, wodurch die Progno-
Funktionsfähigkeit (Körperhygiene, Ord- und jungen Erwachsenenalter qualifiziert. se tendenziell ungünstiger einzuschätzen
nung, Integration) sind erste Schritte. Erst Beispielhaft seien hier als bedeutsame ist. Die Remissionsraten sowie die Effekt-
später, nach Bahnung durch die Medika- Themen genannt: „Schule“, „Identitätsfin- stärken der Medikation sind bei jungen
tion, sind weiterführende psychothera- dung“, „Familie/familiäre Abhängigkeit Patienten geringer, die UAW hingegen
peutische Maßnahmen indiziert, unter versus Autonomie“ „Berufsfindung und häufiger, besondere das metabolische
anderem zur Verarbeitung des meist ge- -ausbildung“, „Eigenständigkeit und -ver- Syndrom [19]. Bei Onset in der Kindheit
änderten Funktionsniveaus und der Er- antwortlichkeit“ und vieles mehr [21]. zeigten Langzeitstudien, dass im Erwach-
lebnisse in der Psychose. Die kognitive Anders als bei einem Erwachsenen senenalter nur etwa ein Fünftel der Pati-
Verhaltenstherapie ist insbesondere bei mit konstitutioniertem Umfeld, an enten selbstständig lebten beziehungs-
präpsychotischen Prodromalphasen emp- welches angeknüpft werden kann, befin- weise auf dem ersten Arbeitsmarkt inte-
fehlenswert und kann den Umgang mit det sich ein Heranwachsender ohnehin griert waren. Die Rate der Betroffenen
einer persistierenden Positivsymptomatik bereits in einer vulnerablen Entwick- mit Suizidversuchen lag bei einem Drittel.
konstruktiv unterstützen sowie dazu bei- lungsphase mit vielen Erfordernissen an Folgeerkrankungen wie Depressionen,
tragen, Rezidive zu verhüten. die persönliche Entwicklung. Eine schwe- Ängste und Substanzabusus verkompli-
Die Belastbarkeit muss behutsam re psychiatrische Erkrankung wie die zieren den Verlauf [33].
trainiert und gesteigert werden. Dies kann Schizophrenie unterbricht diese Prozesse
über computergestützte Programme mit beziehungsweise oft erscheren unerkann-
Aufgaben zur Konzentrations- und Auf- te Prodromalsymptome schon früh den LITERATUR
merksamkeitsleistung sein, über schritt- regelhaften Reifungsverlauf. Eine frühe www.springermedizin.de/neurotransmitter
weise Beschulung, arbeitstherapeutische Erkennung und Behandlung sind somit
Strategien oder Praktika. Wichtig ist ein wesentliche prognostische Faktoren. Je Prof. Dr. med. Claudia Mehler-Wex
gestuftes Vorgehen. Eine Überforderung kürzer die Hospitalisation, desto besser, Dr. med. Stefan A. Schriml
ist ebenso zu vermeiden wie eine Unter- allerdings sind zu frühe Neustarts ohne HEMERA Klinik für Seelische Gesundheit,
forderung! ausreichende Belastungserprobungen im Privatklinik für Jugendliche und
Angehörige und sonstige wichtige Vorfeld kontraproduktiv. Insofern muss junge Erwachsene
Bezugspersonen sollten über die Erkran- sehr sensibel und individuell das passende Schönbornstr. 16, 97688 Bad Kissingen
kung, ihre Therapie und unterstützende Tempo gefunden und der Patient ganz- E-Mail: mehler-wex@hemera.de

NeuroTraNsmiTTer 1 · 2013 45
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online
Abbildung 2 (Legende)
1
Zwillingsstudien zeigten bei monozygoten versus dizygoten Zwillingen Konkordanzraten von 50 versus
10%; bei schizophren erkrankten Verwandten steigt das Risiko, ebenfalls um Schizophrenie zu erkranken
(z.B. bei krankem Elternteil auf 13% versus 1% in der Allgemeinbevölkerung); wiochtige Kandidatengene
der Schizophrenie sind Chromosom 22q11 (Catecholamin-O-methyltrans-ferase), Chromosom 5q31 (In-
terleukin-Cluster), Chromosom 6p (Dysbindin-Gen), Chromosom 8q22-p21 (Neuregulin 1); von einer poly-
genetischen Verursachung muss ausgegangen werden.
2
Unspezifische prä-/perinatale Geburts-/Schwangerschaftskomplikationen, die gehäuft bei früher Schizo-
phrenie auftreten, sind: Frühgeburt, Präeklampsie, Nabelschnurkomplikationen, niedriges Geburtsge-
wicht, Asphyxie, abnormale Geburtslage, Sectio, Infektionen der Mutter in der Schwangerschaft (damit
zusammenhängend: Geburt in Frühjahrs- oder Wintermonaten).
3
Wichtige Neurotrophine sind NGF (nerve growth factor), GDNF (glial-cell-derived neurotrophic factor),
BDNF (brain-derived neurotrophic factor) sowie NT-3 und NT-6 (neurotrophin 3, 6). Zu ihren Funktionen
zählen Synapto- und Neurogenese sowie –funktion, Modulierung der Neurotransmitter-Produktion, Neu-
ronenregeneration und –protektion. Sowohl in Blut-, Liquor- als auch post mortem Untersuchungen zere-
braler Gewebsschnitte wurde bei Schizophrenie ein Mangel diverser Neurotrophine mehrfach gezeigt,
d.h. der regelrechte Aufbau der Neuroplastizität scheint primär eingeschränkt zu sein.
4
Unter anderem im präfrontalen Cortex wurden bei Schizophrenie-Kranken post mortem abweichende
Dendriten- und Zellkörpermorphologien nachgewiesen sowie beispielsweise eine veränderte Schichten-
struktur der Regio entorhinalis, was auf eine defiziente neuronale Migration im 2. Schwangerschaftsdrittel
hinweist.
5 Radikalhypothese der Schizophrenie: In mehreren Studien wurden mitochondriale Dysfunktionen bei

Schizophrenie gezeigt, wodurch es zur erhöhten Produktion freier Radikale kommt. Auch der Metabolis-
mus des überschüssigen Dopamin trägt hierzu bei. Darüber hinaus ist das antioxidative Schutzsystem bei
Schizophrenie-Patienten beeinträchtigt. Die freien Radikale oxidieren die Lipide der zerebralen Zellmem-
branen mit dem Ergebnis übergreifender Zellfunktionsverluste.
6 Defizite bei Gedächtnis, Lernen, Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit lassen oft symptomatisch an

ein Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom denken. Häufig sind auch Defizite in emotionaler


Wahrnehmung und sozialen Fähigkeiten, in Adaptations- und Abstraktionsvermögen sowie bei Problem-
lösestrategien.
7 70% der früh an Schizophrenie Erkrankten weisen prämorbide Sprach- und Bewegungsentwicklungs-

störungen auf. Studien zeigten des weiteren prämorbide Störungen der Reizverarbeitung.
8 Migration, Aufwachsen in städtischem Umfeld, Angehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit, niedriger

Intelligenz und niedriger Sozialstatus wurden als unspezifische Risikofaktoren der Schizophrenie identifi-
ziert.

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