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Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin

zum freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken

Lukas Radbruch1, Urs Münch2, Bernd-Oliver Maier3, Oliver Tolmein4, Bernd Alt-Epping5,
Claudia Bausewein6, Gerhild Becker7, Maria Bullermann-Benend8, Axel Doll9, Katja
Goudinoudis10, Ulrich Grabenhorst11, Katrin Imbierowics12, Constantin Klein13, Anne Letsch14,
Sabine Mehne15, Andreas Müller16, Christof Müller-Busch17, Friedemann Nauck18, Wiebke
Nehls19, Gerald Neitzke20, Christoph Ostgathe21, Mathias Pfisterer22, Annette Riedel23,
Traugott Roser24, Raymond Voltz25, Stephan von Haehling26, Heiner Melching27
1
Klinik für Palliativmedizin, Universitätsklinikum Bonn
2
DRK Kliniken Berlin Westend
3
Medizinische Klinik III, St. Josefs-Hospital Wiesbaden
4
Kanzlei Menschen und Rechte, Hamburg
5
Klinik für Palliativmedizin, Universitätsmedizin Göttingen
6
Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin, Klinikum der Universität München, LMU München
7
Klinik für Palliativmedizin; Universitätsklinikum Freiburg
8
Klinik Praxis für Ernährungstherapie, Schwerpunkt Onkologie und Palliative Care, Cappeln
9
Zentrum für Palliativmedizin; Uniklinik Köln
10
Zentrum für Ambulante Hospiz- und PalliativVersorgung München Land, Stadtrand und
Landkreis Ebersberg, München
11
Praxis Alte Badeanstalt, Viersen
12
Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Bonn
13
Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin, Klinikum der Universität München, LMU München

Klinik für Hämatologie und Onkologie, Campus Benjamin Franklin, Charité –


14

Universitätsmedizin Berlin
15
Darmstadt
16
Landesverband für Hospizarbeit und Palliativmedizin Sachsen, Dresden
17
Berlin
18
Klinik für Palliativmedizin, Universitätsmedizin Göttingen
19
Klinik für Pneumonologie, Helios Klinikum Emil von Behring, Berlin
20
Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin, Medizinische Hochschule
Hannover
21
Palliativmedizinische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen
22
Klinik für Geriatrische Medizin und Zentrum für Palliativmedizin am Agaplesion
Elisabethenstift, Darmstadt
23
Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege, Hochschule Esslingen
24
Seminar für Praktische Theologie und Religionspädagogik, Westfälische Wilhelms
Universität Münster
25
Zentrum für Palliativmedizin; Uniklinik Köln
26
Klinik für Kardiologie und Pneumologie, Universitätsmedizin Göttingen, Göttingen und
Deutsches Zentrum für Herz- und Kreislaufforschung, Standort Göttingen
27
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, Berlin

Stand 7.2.2019
Zusammenfassung
Der Entschluss zum freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken (FVET) wird von
Patient*innen mit unerträglichem anhaltendem Leid als selbstbestimmte Entscheidung
getroffen, um das Sterben zu beschleunigen. Dieser Entschluss sollte genau so wie jede
andere Form eines Sterbewunsches bei Palliativpatient*innen vom Behandlungsteam1
wahrgenommen und respektiert werden. FVET ist nicht als Suizid zu bewerten, kann aber
auch nicht als Therapieverzicht eingeordnet werden. Vielmehr ist der FVET als eigene
Handlungskategorie (sui generis) zu betrachten.

Der Entschluss eines Menschen zum FVET kann komplexe und herausfordernde Probleme
im Umgang mit den Patient*innen, den Zugehörigen oder den Mitarbeitenden in der Hospiz-
und Palliiativversorgung zur Folge haben. Eine ethisch sensible und reflektierte Abstimmung
unter allen Beteiligten ist zu Beginn der Begleitung erforderlich. Bei vielen Patient*innen
muss diese Abstimmung als kontinuierlicher Prozess im Verlauf wiederholt werden.

Vom Behandlungsteam sollten Informationen über den zu erwartenden Verlauf und über
mögliche Symptome und Komplikationen angeboten werden. Maßnahmen zur
Symptomkontrolle, insbesondere zur Behandlung von Mundtrockenheit, Verwirrtheit und zum
Umgang mit den geäußerten Wünschen nach Essen und Trinken, sollten zur Verfügung
stehen.

Einleitung
Freiwilliger Verzicht auf Essen und Trinken (FVET) – auch als Sterbefasten oder freiwilliger
Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF) bezeichnet – ist in den Fokus medizin-
ethischer Debatten gerückt. Auslöser für kontroverse Positionen ist dabei insbesondere die
Frage, ob es sich hierbei um eine suizidale Handlung handelt oder nicht. Die Erörterung
dieser Frage war und ist Thema vielfältiger Publikationen und teilweise widersprüchlicher
Stellungnahmen (Bickhardt und Hanke 2014, Ivanovic et al. 2014, Simon und Hoekstra 2015,
Wax et al. 2018). Die Verknüpfung dieser Frage mit Modellen praktischer Konsequenzen für

1Als Behandlungsteam werden die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen verstanden, die in die


Betreuung und Begleitung der Patient*innen eingebunden sind. Dies kann zum Beispiel das
multiprofessionelle Team der Palliativstation sein, oder das Pflegeteam in einer stationären
Pflegeeinrichtung in Kooperation mit dem Hausarzt, oder Hausarzt in Kooperation mit Pflegedienst
und ehrenamtlichem Hospizdienst in der häuslichen Versorgung.
2
die Palliativversorgung und -begleitung befeuert eine emotional und teils ideologisch
aufgeladene Diskussion, da jeder Versuch einer Antwort auch direkt einen Kommentar zum
Selbstverständnis der Palliativversorgung und zum Umgang mit Sterbewünschen innerhalb
der Palliativversorgung darstellt. Neben den unmittelbaren Fragen zur Einordnung von FVET
wird praktisch gleichzeitig die Präzedenzdiskussion für den methodenunabhängigen Umgang
der Palliativversorgung mit Selbsttötungsabsichten und -handlungen neu angefacht.

Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, der wissenschaftlichen


Fachgesellschaft der Palliativversorgung in Deutschland, sieht vor diesem Hintergund
dringlichen Bedarf, ethisch reflektiert und wissenschaftlich basiert Stellung zu beziehen und
damit zu einem gesellschaftlichen Konsens beizutragen. Neben der Chance, damit einen
Beitrag zur Versachlichung der aktuellen wissenschaftlichen und politischen Diskussion zu
leisten, wollen wir betroffenen Menschen – sowohl den direkt betroffenen Menschen und
ihren Zugehörigen2 als auch den in der allgemeinen und spezialisierten Palliativversorgung
Tätigen – einen Leitfaden zur Reflexion und Orientierung bieten.

Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin hat eine erste
Positionsbestimmung mit den Vorstandsmitgliedern und externen Sachverständigen
(darunter einer Patientenvertreterin) bei einer Klausurtagung im September 2018
vorgenommen. Von einem Redaktionskomitee wurde darauf aufbauend das Positionspapier
formuliert. Das Positionspapier wurde in zwei schriftlichen Runden mit den Teilnehmern der
Klausurtagung und weiteren Sachverständigen, mit denen eine breite medizinische,
juristische und ethische Expertise abgedeckt wurde, konsentiert. Der Vorstand der
Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin hat die vorliegende Version im April 2019 als
Positionspapier verabschiedet.

Der Fokus dieses Positionspapiers liegt auf Patient*innen mit lebensbedrohlichen oder
lebenslimitierenden Erkrankungen. Die Inhalte des Positionspapiers sind nicht ohne weiteres
auf andere Gruppen übertragbar, zum Beispiel auf alte, multimorbide oder gebrechliche
Menschen ohne schwere Erkrankungen oder gesunde Menschen, die des Lebens müde
sind.

Es ist nicht geboten, einen schwerkranken Menschen, der durch Verzicht auf Essen und
Trinken seinen Tod herbeiführen möchte, gegen seinen Willen zu ernähren. Eine
Behandlung ohne Einwilligung würde den Straftatbestand der Körperverletzung erfüllen
(Tolmein und Radbruch 2017). Wesentlich ist hier, dass der oder die Betroffene aus freiem
Willen handelt und nicht durch eine krankhafte Essstörung (beispielsweise Anorexia
nervosa) oder eine andere psychiatrische Grunderkrankung in der Entscheidungsfähigkeit
eingeschränkt ist. Wenn es sich nicht um Patient*innen mit einer lebensbedrohlichen
Erkrankung handelt, sondern zum Beispiel um alte oder gebrechliche Menschen mit
Lebensüberdruss, kann die Bewertung der Entscheidungsfähigkeit besonders schwierig sein.

Es ist deshalb auch keine strafbare Handlung, den freiwilligen Verzicht auf Essen und
Trinken von Palliativpatient*innen medizinisch zu begleiten und gegebenenfalls die
erforderliche Basisversorgung zur Linderung von Durst- und Hungergefühlen zu leisten
(Tolmein und Radbruch 2017). Die behandelnden Ärzt*innen unterlassen hier eine von
Patient*innen ausdrücklich abgelehnte medizinische Behandlung (Ernährung und
Flüssigkeitszufuhr über Sonde oder durch Infusionslösungen). Es wird hier keine Beihilfe

2 Zugehörige umfasst die Angehörigen und andere Bezugspersonen der Patient*innen


3
zum Suizid geleistet, sondern es werden im Rahmen der Palliativversorgung belastende
Symptome gelindert.

Definitionen
Für das Positionspapier wird die folgende Arbeitsdefinition festgelegt (nach (Ivanovic et al.
2014)):

Beim freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken (FVET) entschließt sich eine
entscheidungsfähige Person aufgrund unerträglichen anhaltenden Leidens freiwillig
und bewusst, auf Essen und Trinken zu verzichten, um den Tod frühzeitig
herbeizuführen.
Die Bezeichnung „Freiwilliger Verzicht auf Essen und Trinken“ wird bewusst bevorzugt
gegenüber der Bezeichnung „Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit“, weil das
Essen und Trinken mehr umfasst als nur die Zufuhr von Flüssigkeit und Nährstoffen. Dazu
gehören auch der Genuss beim Essen und Trinken, unter Umständen aber auch damit
verbundene Belastungen bei fortgeschrittenen Erkrankungen. Anders herum umfassen die
Begriffe Nahrung und Flüssigkeit auch eine künstliche Zufuhr, die eine medizinische
Intervention darstellt. Der Verzicht auf Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr über einen
enteralen oder parenteralen Zugangsweg oder der Abbruch einer laufenden Zufuhr über
diesen Weg ist deshalb eine Form der Therapiebegrenzung, und die Intervention soll bei
fehlender medizinischer Indikation oder Ablehnung durch Patient*innen unterlassen oder
beendet werden.

Die Bezeichnung „Freiwilliger Verzicht auf Essen und Trinken“ (FVET) entspricht der
Bezeichung „voluntary stopping eating and drinking (VSED)“ in der englischen Literatur.

FVET ist abzugrenzen von Verzicht auf Essen und Trinken infolge von Appetitmangel oder
Übelkeit und Brechreiz bei einer weit fortgeschrittenen Erkrankung, bei der die vorrangige
Motivation des Erkrankten darin liegt, die mit der Nahrungsaufnahme verbundenen
Belastungen zu vermeiden.

Die Arbeitsdefinition beinhaltet die Begründung der Entscheidung für FVET aufgrund von
unerträglichem anhaltendem Leiden. Bei Patient*innen mit lebensbedrohlichen oder
lebenslimitierenden Erkrankungen kann solches Leid durch körperliche Symptome, aber
auch durch psychische oder existentielle Belastungen verursacht sein. Die Definition bezieht
sich dabei auf eine subjektive und holistische Perspektive für die Unerträglichkeit des
Leidens (wenn die Patient*in sagt, dass es unerträglich ist) und weniger auf die objektive und
messbare Perspektive (die Behandelnden / Beobachter*innen können von außen
nachvollziehen, wie unerträglich das Leiden ist) (Bozzaro und Schildmann 2018).

Freiwilliger Verzicht auf Essen und Trinken ist keine Form des Suizids.
FVET ist von einigen Autor*innen als eine Form des Suizids eingestuft worden. Von diesen
Autoren wurde eine breite Definition für Suizid gewählt, z.B. “Suizid ist die beabsichtigte und
freiwillige Handlung einer Person, die die physikalische Natur der Handlung versteht und mit
ihr das Ergebnis der Selbstzerstörung erzielen will“ (suicide is the willful and voluntary act of
a person who understands the physical nature of the act, and intends by it to accomplish the
result of self-destruction), und danach FVET als Unterform des Suizids bewertet (Jox et al.
2017). Wolfersdorf fasst „Die Summe aller Denk- und Verhaltensweisen von Menschen oder
Gruppen von Menschen, die in Gedanken, durch aktives Handeln, Handeln lassen oder
passives Unterlassen den eigenen Tod anstreben bzw. als möglichen Ausgang einer

4
Handlung in Kauf nehmen“ unter dem Begriff der Suizidalität zusammen (Woltersdorf und
Etzersdorfer 2011).

Nach dieser Auslegung müssten aber auch viele andere Handlungen von Patient*innen in
der Palliativversorgung als Suizid bewertet werden. Nach der Definition von Wolfersdorf und
Etzersdorfer wäre auch jede Form von Verzicht auf oder Verlangen des Abbruchs von
lebenserhaltenden Therapien als suizidale Handlung einzustufen. Eine solche Gleichsetzung
von Therapieverzicht oder -abbruch mit Suizid ist aber aus juristischer und ethischer Sicht
abzulehnen.

FVET weist eine Reihe von Merkmalen auf, die den freiwilligen Verzicht auf Essen und
Trinken deutlich von einem Suizid unterscheiden. FVET beendet das Leben nicht durch
einen äußeren Eingriff. Es werden vom Sterbewilligen keine tödlich wirkenden Substanzen
zugeführt noch wird anderweitig Gewalt angewendet. FVET bewahrt die körperliche Integrität
und erhält die Selbstbestimmung. Das durch FVET herbeigeführte Sterben geschieht nicht
abrupt, es reißt nicht aus dem Leben, sondern zieht sich über einen nicht frei bestimmbaren
Zeitraum. Es verbleibt die Möglichkeit des Abbruchs des Verzichts bzw. der
Wiederaufnahme von Essen und Trinken über einen längeren Zeitraum.

Diese Kennzeichen des Sterbens sind auch bei einem Abbruch einer lebenserhaltenden
Behandlung zu finden. Allerdings sind Essen und Trinken keine (medizinischen)
Behandlungen, damit ist auch der FVET kein Behandlungsabbruch (ein Unterlassen der
Behandelnden). Die Entscheidung von Patient*innen für FVET ist aber der Entscheidung von
Patient*innen für einen Behandlungsabbruch verwandt.

FVET ist als Handlung sui generis einzustufen.


Die wesentlichen Unterschiede gegenüber dem Suizid und gegenüber einem
Behandlungsabbruch sprechen dafür, FVET als eigene Handlungskategorie zu bewerten.

In der Todesbescheinigung kann aufgrund dieser Bewertung als Todesursache ein


natürlicher Tod eingetragen werden. Bei FVET laufen die normalen physiologischen
Vorgänge beim Sterben ab. Anders als bei Gewalteinwirkung oder Vergiftung tritt der Tod
aufgrund dieser natürlichen Abläufe ein.

Ethische Entscheidungsfindung

Die Entscheidung zum FVET trifft die entscheidungsfähige Patient*in.


Essen und Trinken ist keine medizinische Behandlung, deshalb kann weder für die
Weiterführung noch für den Verzicht auf Essen und Trinken eine medizinische Indikation
gestellt werden. Die Entscheidung über FVET liegt deshalb allein bei der Patient*in. Eine
Aufklärung oder partizipative Entscheidungsfindung ist nicht notwendig und auch nicht
sinnvoll.

Bei relevanten psychiatrischen Grunderkrankungen kann die Entscheidung zum Verzicht auf
Essen und Trinken auf krankheitsbedingten Einschränkungen der Urteilsfähigkeit beruhen
und ist dann eben keine freie Entscheidung der Patient*innen. Bei Patient*innen mit Anorexia
nervosa ist z.B. typisch, dass sie mit dem Verzicht nicht ihr Leben beenden wollen, sondern
krankheitsbedingt ein anderes (unangemessenes) Körperbild anstreben und die Gefahr
eines lebensbedrohlichen Untergewichts nicht erkennen

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Vom Behandlungsteam sollte geprüft werden, ob der Entschluss zum Verzicht auf Essen und
Trinken mit dem Ziel erfolgt, aufgrund unerträglichen anhaltenden Leidens den Tod frühzeitig
herbeizuführen oder ob er in Appetitmangel oder anderen gastrointestinalen Symptomen als
Folge der Grunderkrankung begründet ist.

In Einrichtungen, die durch die Pflegeversicherung (SGB XI) finanziert werden, gilt der
Nationale Expertenstandard des Deutschen Netzwerkes für Qualitätsentwicklung in der
Pflege „Ernährungsmanagement zur Sicherung und Förderung der oralen Ernährung in der
Pflege“ (2017) als Qualitätsstandard. Die Zielsetzung des Standards ist wie folgt definiert:
„Bei jedem Patienten/Bewohner mit pflegerischem Unterstützungsbedarf ist die orale
Nahrungsaufnahme entsprechend seinen Bedürfnissen und seinem Bedarf gesichert und es
wird einer drohenden oder bestehenden Mangelernährung entgegengewirkt“ (S. 21). Da
beim FVET explizit und bewusst das Bedürfnis geäußert wird keine Nahrung mehr
aufzunehmen, besteht für die Einrichtungen daher keine Notwendigkeit, die Maßnahmen des
Standards (Assessment, Ernährungsberatung etc.) anzubieten oder den Standard
umzusetzen. Zu FVET macht der Standard keine weiterführenden Angaben.

Die Entscheidung von Patient*innen zum FVET sollte vom Behandlungsteam wie jede
andere Form eines Sterbewunsches abgeklärt werden.
Die Entscheidung sollte vom Behandlungsteam wahrgenommen und respektiert werden.
Dies gilt insbesondere, wenn in Einzelfällen die Entscheidung von Mitarbeiter*innen zunächst
nicht nachvollzogen werden kann, zum Beispiel, weil das Ausmaß des subjektiven Leidens
von Patient*innen vom Behandlungsteam in Frage gestellt wird.

Vom Behandlungsteam sollte mit ausreichender Zeit und Tiefe nachgefragt werden, was für
Patient*innen so unerträglich ist, dass der Sterbewunsch ausgelöst wurde. Hierzu können
körperliches oder psychisches Leiden, aber auch Ungewissheit oder soziales Leid, wie zum
Beispiel Einsamkeit oder das Bedürfnis niemand zur Last zu fallen, gehören. Wodurch wurde
die Entscheidung noch beeinflusst? Wurden Zugehörige über diesen Sterbewunsch
informiert oder sollten diese informiert werden? Welche Haltung haben Zugehörige zu dieser
Entscheidung?

Es sollte überprüft werden, ob Maßnahmen der Palliativversorgung (zum Beispiel zur


Symptomlinderung auf somatischer, psychischer, sozialer und spiritueller Ebene)
ausreichend angeboten worden sind und wie effektiv diese Maßnahmen waren. Gibt es zu
dem jeweiligen Zeitpunkt für die Patient*in Alternativen zu dieser Entscheidung? Ist der/die
Betroffene über sämtliche Möglichkeiten palliativmedizinischer Versorgung – einschließlich
der Option einer palliativen Sedierung – ausreichend informiert worden?

Die Entscheidung zur Versorgung von Patient*innen, die sich zum FVET entschlossen
haben, muss vom Behandlungsteam geprüft werden.
Die Entscheidungsfindung beim FVET ist aus der Perspektive des Behandlungsteams oft
ethisch komplex und manchmal herausfordernd. Der Entschluss der entscheidungsfähigen
Patient*innen zum FVET sollte vom Behandlungsteam nicht in Frage gestellt werden. Diese
Entscheidung liegt alleine bei den Patient*innen und sollte vom Behandlungsteam akzeptiert
und respektiert werden. Jedoch ist im Behandlungsteam zu prüfen, wieweit der Entschluss
zur FVET die Behandlung beeinflussen kann. So können Umstellungen in den
Applikationswegen der Medikation erforderlich werden, wenn Patient*innen nichts mehr oral
zu sich nehmen wollen.

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Grundsätzlich ist FVET unabhängig von der Form der Versorgung, Patient*innen müssen bei
FVET nicht stationär behandelt werden. In Einzelfällen können Patient*innen aber eine
Versorgung in einer spezialisierten Palliativversorgung fordern, weil sie Angst vor
begleitenden Symptomen haben und sich nur mit der spezialisierten Palliativversorgung
(SAPV, Palliativstation, stationäres Hospiz) ausreichend sicher fühlen, um mit dem FVET zu
beginnen. In diesem Fall sollte das Behandlungsteam prüfen, ob bzw. welche medizinischen
oder pflegerischen Probleme in der Versorgung erwartet werden, welche ethischen oder
moralischen Probleme es in der Behandlung und Begleitung der Patient*in bei allen oder
einzelnen Mitarbeiter*innen gibt und ob ein Konsens zur Behandlung gefunden werden kann.

Hierzu ist es unter anderem sinnvoll, auch die Prioritäten und Präferenzen von Patient*innen
zu Themen wie kardiopulmonale Reanimation (CPR), invasive Beatmung,
Katecholamintherapie, Antibiotikagabe oder anderen lebenserhaltenden
Behandlungsmaßnahmen zu erfassen. Es sollte festgelegt werden, welche der
medikamentösen und nicht-medikamentösen Behandlungsmaßnahmen mit dem Beginn des
FVET für die Patient*innen (noch) indiziert sind. So ist zum Beispiel zu fragen, ob die Zufuhr
von Flüssigkeit als Behandlung von deliranten Zuständen als eine Maßnahme zur
Symptomkontrolle gewünscht wird, auch wenn dadurch die Dauer des FVET vielleicht
verlängert wird. Instrumente wie Gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte
Lebensphase oder Patientenverfügungen können hierzu hilfreich sein, sollten aber stets auf
ihre Aktualität und Übereinstimmung mit dem aktuellen Willen von Patient*innen überprüft
werden.

Für diese Diskussion bieten sich Instrumente wie Fallkonferenzen oder ethische
Fallbesprechungen an. Wenn der FVET außerhalb der spezialisierten Palliativversorgung
erfolgt, sollten für diese Diskussion Palliativexpert*innen hinzugezogen werden.

Ebenfalls muss die Fähigkeit von Patient*innen zur Entscheidungsfindung eingeschätzt


werden. Dies sollte anhand standardisierter Kriterien erfolgen (analog den Kriterien
Handlungsfähigkeit, Einsichtsfähigkeit und Urteilsfähigkeit für die Bewertung der
Einwilligungsfähigkeit in eine medizinische Behandlung):

1. Die Patient*in kann ihrem Willen Ausdruck verleihen (Handlungsfähigkeit).

2. Die Patient*in kann die relevanten Informationen verstehen (Einsichtsfähigkeit).

3. Die Patient*in kann die Konsequenzen der zu treffenden Entscheidung verstehen und
überblicken (Urteilsfähigkeit).

Sollten Zweifel bestehen, ob die Patient*in die Tragweite der Entscheidung richtig
einschätzen kann oder ob eine behandlungsbedürftige Depression oder eine andere die freie
Willensbildung beeinträchtigende psychische Erkrankung vorliegt, sollte
psychotherapeutische oder psychiatrische Expertise hinzugezogen werden.

Wenn eine Behandlung in der spezialisierten Einrichtung vom Behandlungsteam abgelehnt


wird, sollten Patient*innen über die Gründe und über andere Leistungserbringer in
erreichbarer Nähe informiert werden.

Es sollte akzeptiert werden, wenn einzelne Teammitglieder sich aus ethischen oder
moralischen Gründen nicht an der Begleitung des Menschen beim FVET beteiligen wollen.
Gleichzeitig sollte sichergestellt werden, dass eine kontinuierliche Betreuung der Patientin
gesichert ist.

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Information und Aufklärung
Informationen über FVET und Begleitung bei FVET sollte Teil der Hospiz- und
Palliativversorgung sein
Von Seiten der Ärzt*innen oder des Behandlungsteams sollten Patient*innen und
Zugehörigen Informationen zum FVET zur Verfügung gestellt werden. Dies hat aber den
Charakter einer allgemeinen Information und ist nicht als Aufklärung über eine
Behandlungsoption zu verstehen.

Die Information über FVET sollte die selbstbestimmte Entscheidung der Patient*innen in den
Vordergrund stellen. Jede Form von Beeinflussung sollte vermieden werden, auf keinen Fall
sollte bei Patient*innen oder Zugehörigen der Eindruck entstehen, dass vom
Behandlungsteam Druck in Richtung FVET ausgeübt würde.

Zur Information über FVET gehört auch die Aufklärung über mögliche Symptome wie
Mundtrockenheit, Durst oder Verwirrtheit und deren Behandlungsmöglichkeiten.
Patient*innen und Zugehörige befürchten das Auftreten von Hunger und Durst und sollten
über die Häufigkeit und Intensität dieser Symptome und über die Behandlungsmöglichkeiten
bei FVET informiert werden. Sie sollten ebenso über weitere möglicherweise auftretende
Symptome und Komplikationen, wie zum Beispiel Verwirrtheit, aufgeklärt werden.

Wo immer Sorgen bezüglich Belastungen und Leid am Lebensende bestehen, sollten diese
angesprochen werden.

Der Entscheidungsprozess sollte mit den Zugehörigen der Patient*in erörtert werden.
Falls die Zugehörigen einer Patient*in nicht bei dem Informationsgespräch zugegen sind,
sollte die Patient*in um Erlaubnis gebeten werden, die Absprachen über die Begleitung beim
FVET diesen Personen mitzuteilen.

Mit Zustimmung der Patient*in sollten die Zugehörigen über die klinische Situation, über den
zu erwartenden Verlauf und über mögliche Symptome oder Komplikationen unterrichtet
werden. Oft kann es hilfreich sein, einen Teil dieses Gespräches gemeinsam mit der
Patient*in und den Zugehörigen zu führen, aber auch Raum zu lassen für die Sorgen der
Zugehörigen ohne Beisein der Patient*in.

Falls die Patient*in einen Einbezug der Zugehörigen ablehnt, sollten die Gründe dafür
exploriert werden, und die Patient*in gegebenenfalls ermutigt werden, diese Entscheidung zu
überdenken. Zuweilen beinhaltet das auch die Notwendigkeit, der Patient*in zu erläutern,
dass das Vorenthalten von Informationen Zugehörige belasten kann.

Wenngleich Familienangehörige in Deutschland kein Vetorecht gegenüber der Entscheidung


der Patient*innen haben, gilt doch in einigen Kulturen die Zustimmung der Familie als
notwendige oder zumindest wünschenswerte Behandlungsvoraussetzung. Falls unter diesen
Bedingungen die Familie dem Behandlungsplan für die Symptomkontrolle nicht zustimmt,
sollte das Behandlungsteam

1. den Familienangehörigen ausreichend Informationen übermitteln, damit diese die


klinische Situation und das Leiden der Patient*innen besser verstehen,

2. die Patient*innen und die Familie durch Gespräche mit allen Beteiligten unterstützen
und eine Lösung finden, die von allen akzeptiert werden kann, und

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3. der Familie ausreichend psychologische und seelsorgerische Unterstützung anbieten,
um eventuell vorhandene Schuld- und Schamgefühle zu thematisieren, die die
Trauersituation erschweren können.

Zugehörige benötigen Informationen und Begleitung


FVET kann belastend für die Zugehörigen sein. Die Zugehörigen sollten ermutigt werden, bei
der Patient*in zu verweilen, zumal die Gelegenheit des Verabschiedens hilfreich beim
Umgang mit dem Verlust sein kann. Auch bei stationärer Behandlung ist emotionale und
physische Intimität zu gewährleisten. Besuchsbeschränkungen sollten (auch für Kinder)
minimiert werden.

Das Behandlungsteam hat die Aufgabe, die Zugehörigen umfassend zu unterstützen. Dazu
gehört es, die Sorgen der Zugehörigen anzuhören und Trauer, physische oder psychische
Belastung und Schuldgefühle wahrzunehmen. Dazu gehört außerdem die Beratung der
Zugehörigen, wie sie für die Patient*innen eine Hilfe sein können, zum Beispiel durch
Anwesenheit, durch Reden oder Berühren, Mundpflege oder Schaffen einer für die Patient*in
wohltuenden Atmosphäre (zum Beispiel durch Bereitstellen von Lieblingsmusik, Düften,
Vorsingen bekannter Lieder, Gebet oder Vorlesen).

Die Zugehörigen von Patient*innen mit FVET bedürfen kontinuierlicher Informationen zum
Wohlergehen der Patient*innen und zum zu erwartenden weiteren Verlauf. Diese
Informationen sollten vom Behandlungsteam regelmäßig angeboten werden, einschließlich
der aktuellen klinischen Situation, der Symptomlast und der zu erwartenden Veränderungen.
Zugehörige sollten rechtzeitig auf das Einsetzen des Sterbeprozesses hingewiesen werden.

Zugehörige bedürfen häufiger Rückversicherung, dass andere Behandlungsoptionen in


ausreichendem Maße versucht worden sind und dass der FVET jederzeit abgebrochen
werden kann, wenn die Patient*in dies wünscht.

Nach dem Versterben einer Patient*in sollte den Zugehörigen Gelegenheit zum Kontakt mit
dem Behandlungsteam gegeben werden, um ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen und
verbleibende Bedenken zur Behandlung in den letzten Lebenstagen zu besprechen.

Eine kontinuierliche Begleitung der Behandelnden ist erforderlich


Die Behandlung und Begleitung von Patient*innen mit FVET kann auch für Mitarbeiter*innen
im Behandlungsteam außerordentlich belastend sein. Dies ist umso häufiger zu beobachten,
wenn im Vorfeld Uneinigkeit bezüglich der Angemessenheit der Behandlung bestand und
wenn der Prozess sehr protrahiert verläuft.

Das Behandlungsteam sollte sich dieses Belastungspotenzials bewusst sein. Alle


Mitarbeiter*innen im Behandlungsteam müssen die Begründung für FVET und die
Behandlungsziele verstanden haben. Diese sollten möglichst bei Teamsitzungen und
Fallkonferenzen dargestellt werden, sowohl vor als auch nach Beginn des FVET, um die
sachlich-professionellen und die emotionalen Probleme einer solchen Entscheidung zur
Begleitung zu diskutieren und – falls erforderlich – Verfahrensabläufe vor Ort zu verbessern.

Die Teambelastungen können entschärft werden, indem das Team in den


Entscheidungsfindungsprozess einbezogen wird. Multiprofessionelle Teambesprechungen
geben der Gruppe oder dem Einzelnen Gelegenheit, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen.
Diese Einbeziehung erfordert eine Kultur der Sensibilität gegenüber den emotionalen
Belastungen im Rahmen der Behandlung und Begleitung.

9
Durchführung
Patient*innen können nur auf Essen oder sowohl auf Essen als auch auf Trinken
verzichten.
Patient*innen können sich allein zum Verzicht auf Essen entscheiden oder zum Verzicht auf
Essen und Trinken. Manche Patient*innen versuchen jede Form von Flüssigkeitszufuhr zu
vermeiden, andere Patient*innen nehmen noch geringe Resttrinkmengen zu sich, zum
Beispiel, um Medikamente einnehmen zu können oder um Mundtrockenheit zu lindern.

Die Entscheidung über Art und Umfang von FVET trifft die Patient*in und diese Entscheidung
sollte nicht vom Behandlungsteam beeinflusst werden. Informationen über den zu
erwartenden zeitlichen Verlauf und über mögliche Symptome und Komplikationen bei der
gewählten Form von FVET sollten Patient*innen und Zugehörige angeboten, aber
selbstverständlich nicht aufgedrängt werden.

Beim vollständigen Verzicht auf Essen und Trinken ist davon auszugehen, dass die
Lebenserwartung nur wenige Tage (3 – 7 Tage, selten auch länger) beträgt. Beim alleinigen
Verzicht auf Essen, nicht aber auf Trinken, ist von einer längeren Lebenserwartung von vier
bis sechs Wochen auszugehen. Die Überlebenszeit wird allerdings von vielen Faktoren wie
zum Beispiel Ernährungszustand, Hydrationsstatus, Organfunktionsstörungen von Herz,
Lunge oder Niere oder dem Vorliegen von Fieber oder Infekten beeinflusst.

Zur Linderung des Durstgefühls sollten Maßnahmen zur Behandlung von


Mundtrockenheit angeboten werden.
Patient*innen und Zugehörige haben meist Angst vor dem Verhungern oder Verdursten. Das
Durstgefühl ist bei FVET eher von der Mundtrockenheit als vom Flüssigkeitsstatus abhängig.
Gute und regelmäßige Mundpflege kann deshalb das Durstgefühl deutlich lindern oder sogar
verhindern (Bickhardt und Hanke 2014). In älteren Studien wurde kein Zusammenhang von
Flüssigkeitsaufnahme und Durstgefühl bei Palliativpatient*innen beschrieben (Burge 1993,
Burge 1996). In einer systematischen Übersicht wurde keine Linderung des Durstgefühls
unter parenteraler Flüssigkeitszufuhr beschrieben (Good et al. 2014). Das Behandlungsteam
sollte Maßnahmen zur Mundpflege anbieten und Patient*innen und Zugehörige in diesen
Maßnahmen schulen, so dass sie diese auch selbst durchführen können.

Bei der Durchführung der Mundpflege durch Zugehörige oder Behandlungsteam ist zu
beachten, dass der Mund zu den Intimzonen des Menschen gehört und insbesondere bei
Patient*innen mit Bewusstseinstrübung, wie sie im Verlauf von FVET vorkommen kann, ein
behutsames und einfühlendes Vorgehen notwendig ist. Die Auswahl und Anwendung von
Mundpflegemitteln ist häufig mehr durch persönliche Erfahrungen und Vorlieben als durch
Kenntnisse über Wirkmechanismen der Mundpflegemittel bestimmt (Deutsche Gesellschaft
für Palliativmedizin 2014).

Bei der Behandlung von Mundtrockenheit können Maßnahmen zur Anregung des
Speichelflusses oder zur Mundbefeuchtung eingesetzt werden (Deutsche Gesellschaft für
Palliativmedizin 2014, Furness et al. 2013). Mögliche verstärkende Faktoren wie zum
Beispiel Soor oder andere Erkrankungen der Mundschleimhaut oder Medikamente (zum
Beispiel Anticholinergika, Analgetika, Antiemetika) sollten erfasst und wenn möglich beseitigt
werden.

Die Anregung des Speichelflusses kann über gefrorene Ananasstückchen, saure


Fruchtbonbons (Zitrone), Kaugummis (Minze) oder saure Tees (zum Beispiel Malve,
Hagebutte) erfolgen, ebenso über eine Aromalampe mit Zitronenöl.
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Zur Mundpflege können alle gewünschten oder zur Biographie der Patient*innen passenden
Flüssigkeiten in wässrigen, öligen oder sahnigen Zubereitungen, als süße, herzhaft-salzige,
saure Produkte, mit und ohne Alkohol verwendet werden.

Die Mundbefeuchtung kann durch Mundspülen oder Auswischen erfolgen. Flüssigkeiten,


insbesondere kalte Getränke, können mit einem Zerstäuber aufgesprüht werden. Manche
Patient*innen bevorzugen das Lutschen von Eiswürfeln oder zerstoßenem Eis, was jedoch
zur Aufnahme kleiner Flüssigkeitsmengen führt. Mundpflegelösungen (zum Beispiel
Panthenollösung) oder Mundbalsam oder therapeutische Kräuteröle können hilfreich sein.
Jede Flüssigkeit lässt sich darüber hinaus so hauchzart und luftig aufschäumen, dass kein
Schluckakt ausgelöst wird. Jedoch werden sehr wohl Duft und Geschmack des Produktes
intensiv wahrgenommen und eine sanfte Mundbefeuchtung mit der gewünschten
Geschmacksrichtung - ob nun Lebensmittel oder Mundpflegeprodukt - wird erzielt.

Auch das Befeuchten der Raumluft kann Mundtrockenheit lindern. Eine Lippenpflege
(Befeuchtung oder Lippenbalsam) kann bereits zu einer effektiven Linderung der
Mundtrockenheit beitragen.

Bei extremer Mundtrockenheit können Borken und Beläge beseitigt werden mit fetthaltigen
Substanzen wie Sahne, Speiseeis, Olivenöl, Butter oder Pflege-Öl. Zunge, Wangentaschen
und Gaumen können mit Brausepulver oder Vitaminbrausetabletten benetzt werden.
Rosenhonig kann zum Aufweichen benutzt werden. Das Kauen harter Speisen wie zum
Beispiel Brotrinde oder Wurst führt zur mechanischen Entfernung der Borken und Beläge,
wird aber für Patient*innen, die auf Essen verzichten wollen, in aller Regel nicht in Frage
kommen.

Wenn sich das Durstgefühl trotz intensiver Behandlung der Mundtrockenheit nicht
ausreichend lindern lässt, kann mit der Patient*in besprochen werden, ob sie unter
Fortsetzen des Verzichts auf Essen wieder - eventuell mit kleinen Mengen - zu trinken
beginnen will, bei dann entsprechend längerem zeitlichen Verlauf bis zum Tod.

Eine Behandlung des Hungergefühls ist bei der Mehrzahl der Patient*innen nicht
erforderlich.
Das Hungergefühl ist an den Appetit gebunden, der beim Fasten, aber auch bei PEG-
Ernährung oft innerhalb von wenigen Tagen verschwindet (Bickhardt und Hanke 2014).
Unklar ist allerdings, ob das Hungergefühl bei manchen Patient*innen auch von genetischen
Faktoren abhängt (Michalsen et al. 2009). Bei gesunden Probanden wurden beim Fasten
positive Effekte auf Stimmung und Vigilanz und eine Linderung von Depression und Angst
berichtet (Fond et al. 2013, Nair und Khawale 2016).

Eine symptomatische Behandlung des Hungergefühls ist deshalb selten erforderlich. Die
Medikation sollte überprüft werden, insbesondere die Indikation für Medikamente mit
appetitsteigernder Wirkung wie Steroide, Cannabinoide oder Progesteronderivate wie
Megesterol. Wenn möglich sollten diese Medikationen nach Absprache mit der Patient*in
beendet werden.

Im Verlauf von FVET kann Verwirrtheit auftreten und sollte symptomatisch behandelt
werden.
Im Verlauf von FVET kommt es in der Regel zu einer zunehmenden Reduktion des
Bewusstseinsniveaus. Dies kann sich als zunehmende Schläfrigkeit der Patient*in äußern,
die sich letztendlich von der Somnolenz bis zum Koma vertieft. Die

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Bewusstseinsveränderung kann sich aber auch als Verwirrtheit äußern, mit Störungen der
Aufmerksamkeit und des Denkens.

Zur Erfassung und Behandlung von Verwirrtheit bei FVET gelten die Empfehlungen der S3-
Leitlinie Palliativmedizin für Patient*innen mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung
(Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin 2019):

• Die Symptome eines Delirs sollen so früh wie möglich erkannt werden: u. a. rascher
Beginn und fluktuierender Verlauf, Bewusstseinsstörung, Störung der
Aufmerksamkeit und des Denkens, gestörter Tag-Nacht-Rhythmus.
• Das Team sollte in der Früherkennung eines Delirs bei Sterbenden und dem verbalen
und nonverbalen Umgang mit deliranten Patient*innen geschult sein/werden.
• Sterbende mit deliranter Symptomatik sollten durch folgende Allgemeinmaßnahmen
begleitet werden: ruhige und orientierungsfördernde Umgebung, Sturzprophylaxe,
ruhige Kommunikation und Kontinuität in der Betreuung.
• Bei Sterbenden mit einem Delir und der Notwendigkeit einer medikamentösen
Behandlung kann Haloperidol, ggf. in Kombination mit einem Benzodiazepin zur
Therapie des Delirs eingesetzt werden.

Bei FVET sollte zusätzlich überlegt werden, ob eine (eventuell zeitlich befristete)
Flüssigkeitszufuhr sinnvoll sein kann als Maßnahme zur Linderung der Verwirrtheit.
Allerdings ist nicht sicher, wie effektiv eine Flüssigkeitszufuhr zur Symptomlinderung ist. Eine
systematische Übersichtsarbeit zeigte in einigen Studien signifikante Effekte der
Flüssigkeitsgabe auf einige Outcome-Parameter wie Halluzinationen, Myoklonus und
nächtliches Delir, aber diese Studienlage war nicht eindeutig, und die Autor*innen
schlussfolgern, dass es keinen signifikanten Vorteil der Flüssigkeitsgabe bei
Palliativpatient*innen gibt (Good et al. 2014).

Im Einzelfall sollte vor oder möglichst bald nach Beginn von FVET mit der Patient*in
abgesprochen werden, ob beim Auftreten eines Delirs eine Flüssigkeitszufuhr (zum Beispiel
über einen parenteralen Zugang) als Maßnahme zur Symptomlinderung versucht werden soll
oder ob er lieber darauf verzichten möchte, um nicht den FVET zu unterbrechen oder zu
verlängern. Eine solche Entscheidung kann von der Patient*in auch in der
Patientenverfügung festgelegt werden.

Eine Beratung und Prophylaxe kann auch für andere Symptome bei FVET erforderlich
werden.
Im Verlauf von FVET kann es durch die zunehmende Dehydration zu erhöhter Sturzgefahr
durch Schwäche und Schwindel kommen. Eine Beratung zur Sturzprävention sollte
angeboten werden. Die Dehydration kann außerdem zu Beginn von FVET zu starker
Obstipation führen, daher sollte, ähnlich wie beim Fasten, eine rektale Abführmaßnahme mit
den Patient*innen abgewogen werden.

Durch den Verzicht auf Nahrung kann es zu einer ausgeprägten Kachexie kommen. Dadurch
wird wiederum die Dekubitusgefahr am Gewebe über Knochenvorsprüngen erhöht. Bei
zunehmender Kachexie sollten entsprechende präventive Maßnahmen angeboten werden,
um zusätzliche Schmerzen durch Gewebeschäden zu reduzieren.

Die Reduktion von vorhandener Energie führt zu vermehrter Schwäche und Müdigkeit.
Diesem Ruhebedürfnis sollte ausreichend Raum gegeben und die Aktivitäten darauf
abgestimmt werden. Medikamentöse und nichtmedikamentöse Maßnahmen zur

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Verringerung von Schwäche und Müdigkeit können angeboten werden, allerdings sollte
vorher mit der Patient*in geklärt werden, ob eine Behandlung überhaupt gewünscht wird,
oder Müdigkeit (beziehungsweise Sedierung, Schläfrigkeit) sogar als wohltuend empfunden
wird (Cuhls et al. 2017).

Essen und Trinken sollten bei FVET weiter angeboten werden, Art und Umfang des
Angebotes sollte mit der Patient*in abgesprochen werden.
Ebenso sollte mit der Patient*in vor oder möglichst bald nach Beginn von FVET darüber
gesprochen werden, ob oder in welchem Umfang weiterhin Essen und Trinken angeboten
werden sollen.

Von einigen Autoren wird empfohlen, dass auf jeden Fall ständig Wasser oder auch Essen in
Reichweite stehen müssten, um der Betroffenen die Möglichkeit zu geben, ihren Entschluss
jederzeit revidieren zu können (Bickhardt und Hanke 2014).

Für manche Patient*innen kann die Anwesenheit von Essen und Trinken aber durch den
Anblick oder Geruch eher zu einer Belastung werden. Für diese Patient*innen kann es
besser sein, nur auf Nachfrage Essen und Trinken zur Verfügung zu stellen.

Im Verlauf von FVET sollten Äußerungen der Patient*in, die auf Unsicherheiten im
Fortsetzen von FVET hinweisen, vom Behandlungsteam wahrgenommen und respektiert
werden. In solchen Situationen ist eine sensible Kommunikation mit der Patient*in –
eventuell auch mit den Zugehörigen – erforderlich, um keinen unangemessenen Einfluss auf
eine mögliche Entscheidung der Patient*in zum Fortsetzen oder zum Abbrechen von FVET
zu nehmen. Falls erforderlich, können Fallkonferenzen oder ethische Fallbesprechungen
sinnvoll sein, um diese sensible Kommunikation zu fördern und Unsicherheiten im
Behandlungsteam zum weiteren Vorgehen zu klären.

Medikation und andere Maßnahmen sollten im Verlauf von FVET überprüft und
angepasst werden.
Bei Patient*innen mit FVET sollten im weiteren Verlauf analog zu den Empfehlungen zur
Sterbephase in der „Erweiterten S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht
heilbaren Krebserkrankung“ (Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin 2019) Medikamente
und andere Maßnahmen, die nicht dem Therapieziel der bestmöglichen Lebensqualität
dienen, in Abwägung von Indikation, Nutzen und Belastung nicht verordnet oder, falls sie im
Vorfeld verordnet wurden, abgesetzt werden. Dazu können zum Beispiel Medikamente wie
Antibiotika, Antidepressiva, Antikoagulantien, Chemotherapeutika, Diuretika, Insuline,
Kardiaka, Kortison, Laxantien, Sauerstoff oder Blutprodukte gehören. Ebenso können
Maßnahmen wie Lagerung zur Konktraktur- oder Dekubitusprophylaxe,
Pneumonieprophylaxe oder Thromboseprophylaxe beendet werden.

Bei Patient*innen mit insulinpflichtigem Diabetes kann eine individuelle Anpassung der
Insulindosis notwendig sein, um Hypoglykämien zu vermeiden.

Wenn Patient*innen mit FVET eine symptomlindernde Medikation nicht mehr oral aufnehmen
wollen oder die Medikation bei zunehmendem Bewusstseinsverlust nicht mehr oral
aufgenommen werden kann, sollte auf einen anderen Applikationsweg umgestellt werden.
Eine ausreichend wirksame Schmerztherapie (z.B. transdermal, subkutan) mit Opioiden
kann auch in der Sterbephase weiter geführt werden.

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Überwachung, Erfassungsinstrumente und Dokumentation sollten im Verlauf an die
Therapieziele angepasst werden.
In der Begleitung von Patient*innen mit FVET sollte vom Behandlungsteam festgelegt
werden, wie und welche Parameter zur Überwachung des Behandlungserfolges gemessen
und dokumentiert werden sollen.

Analog zu den Empfehlungen zur Sterbephase in der S3-Leitlinie Palliativmedizin für


Patient*innen mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung (Deutsche Gesellschaft für
Palliativmedizin 2019) sollten Messung und Dokumentation von Blutdruck, Puls,
Atemfrequenz, Blutzucker, Sauerstoffsättigung und Körpertemperatur, wenn kein Nutzen im
Hinblick auf Symptomlinderung besteht, beendet werden.

Sinnvoll ist die Erfassung der Symptomlast, vor allem von Schmerzen, Luftnot, Verwirrtheit,
Angst und Mundtrockenheit, sowie des Bewusstseinsniveaus (Wach, Somnolent, Sopor,
Koma). Wenn immer möglich sollten die Symptome als subjektive Selbsterfassung durch die
Patient*in erfasst werden. Wenn dies bei bewusstseinsgetrübten Patient*innen nicht möglich
ist, sollte eine Fremdeinschätzung durch die Zugehörigen oder durch das Behandlungsteam
erfolgen.

Schlussfolgerung
Der Entschluss einer entscheidungsfähigen Patient*in durch freiwilligen Verzicht auf Essen
und Trinken aus dem Leben zu scheiden, ist Ausdruck von Selbstbestimmung und vom
Behandlungsteam als Sterbewunsch wahrzunehmen und zu respektieren.

Der Entschluss einer Patient*in zum FVET kann das Behandlungsteam vor
Herausforderungen stellen, zum Beispiel hinsichtlich der von Patient*innen oder Zugehörigen
erwarteten Maßnahmen zur Symptomkontrolle oder wenn das subjektiv empfundene Leid
zur Begründung des Entschlusses zum FVET von einzelnen Mitarbeitenden nicht
nachvollzogen werden kann. Im Verlauf von FVET können Probleme auftreten, wenn
Symptome oder Komplikationen zu übermäßigen Belastungen von Patient*innen oder
Zugehörigen führen oder im Behandlungsteam und/oder bei Zugehörigen Zweifel auftreten,
wieweit die Patient*in den Entschluss noch aufrecht halten möchte.

FVET erfordert deshalb ein sensibles und selbstkritisches Vorgehen im Behandlungsteam,


um mit herausfordernden Situationen umgehen zu können. Eine ethisch sensible und
reflektierte Abstimmung unter allen Beteiligten ist auf jeden Fall zu Beginn der Begleitung
erforderlich. Bei vielen Patient*innen muss diese Abstimmung aber im Verlauf wiederholt
werden und ist deshalb mehr als kontinuierlicher Prozess zu betrachten denn als einmalige
Entscheidung.

Mit einem solchen Vorgehen kann der freiwillige Verzicht auf Essen und Trinken bei
Patient*innen mit unerträglichem anhaltenden Leid dem Prinzip der Selbstbestimmung
gerecht werden und als ein Ausruck von Würde verstanden werden.

Danksagung
Wir danken Volker Lipp und dem Arbeitskreis Ethik der Deutschen Gesellschaft für
Palliativmedizin für die kritische Beteiligung an der Diskussion in der Entwicklung des
Positionspapiers.

Literatur
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eigene Handlungsweise. Deutsches Ärzteblatt 111(14): A590-2.
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