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Palliative Care und Forschung

Martin W. Schnell · Christian Schulz-Quach


Christine Dunger Hrsg.

Entscheidungsfindung
von professionellen
Mitarbeitern in der
Palliative Care
Zwei randomisiert-kontrollierte Studien
Palliative Care und Forschung

Reihe herausgegeben von


Martin W. Schnell, Institut für Ethik und Kommunikation,
Private Universität Witten/Herdecke GmbH, Witten, Deutschland
Christian Schulz-Quach, IoPPN, King’s College London, London, UK
Christine Dunger, Witten, Deutschland
Palliative Care ist eine interprofessionelle, klinisch und kommunikativ aus-
gerichtete Teamleistung, die sich an Patienten und deren Angehörige richtet. Bei
der Versorgung eines Palliativpatienten geht es nicht nur um die Behandlung
krankheitsbedingter Symptome, sondern vor allem auch um Zuwendung an die
Adresse eines Patienten, um die Schaffung geeigneter Versorgungsangebote,
um die Unterstützung von Familien und um konkrete Mitverantwortung. Über
die Erfahrungswelten von Palliativpatienten in Deutschland gibt es nur wenige
Erkenntnisse. In diesem Bereich besteht ein Forschungsbedarf, der sich auf Sach-
themen wie die subjektiven Sichtweisen von Patienten und Angehörigen, auf
Interaktionen am Lebensende, auf Lebenswelten des Sterbens und nicht zuletzt
auf soziale Strukturen von Versorgungseinheiten bezieht. Diese und andere
Sachthemen können durch qualitative und sozialwissenschaftliche Forschungs-
methoden erschlossen werden, die in Deutschland bislang nur sehr selten im
Bereich der Erforschung von Palliative Care eingesetzt werden. Die Reihe
Palliative Care und Forschung möchte mithelfen, diesen Mangel im deutschen
Sprachraum zu beseitigen.

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/11108


Martin W. Schnell · Christian Schulz-Quach ·
Christine Dunger
(Hrsg.)

Entscheidungsfindung
von professionellen
Mitarbeitern in der
Palliative Care
Zwei randomisiert-kontrollierte
Studien
Hrsg.
Martin W. Schnell Christian Schulz-Quach
IEKG, Fakultät für Gesundheit Division of Psychosocial Oncology
Universität Witten/Herdecke Princess Margaret Cancer Centre
Witten, Deutschland Toronto, ON, Kanada

Christine Dunger
Institut für Ethik und Kommunikation
Private Universität Witten/Herdecke
Witten, Nordrhein-Westfalen
Deutschland

ISSN 2625-2708 ISSN 2625-2716 (electronic)


Palliative Care und Forschung
ISBN 978-3-658-32166-6 ISBN 978-3-658-32167-3 (eBook)
https://doi.org/10.1007/978-3-658-32167-3

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Planung/Lektorat: Stefanie Eggert


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Vorwort

Palliative Care ist eine interprofessionelle, klinisch und kommunikativ aus-


gerichtete Teamleistung, die sich an Patienten und deren Angehörige richtet. Bei
der Versorgung eines Palliativpatienten geht es nicht nur um die Behandlung
krankheitsbedingter Symptome, sondern vor allem auch um Zuwendung an die
Adresse eines Patienten, um die Schaffung geeigneter Versorgungsangebote, um
die Unterstützung von Familien und um konkrete Mitverantwortung. Manchmal
sind diese interpersonalen und sozialen Hilfeleistungen in einem entsprechenden,
ambulanten oder stationären Setting die einzige Leistung, die von der Palliativ-
versorgung am Lebensende noch erbracht werden kann.
Über die Erfahrungswelten von Palliativpatienten und Hospizgästen in
Deutschland gibt es nur wenige Erkenntnisse. In diesem Bereich besteht ein
Forschungsbedarf, der sich auf Sachthemen wie die subjektiven Sichtweisen von
Patienten und Angehörigen, auf Interaktionen am Lebensende, auf Lebenswelten
des Sterbens und nicht zuletzt auf soziale Strukturen von Versorgungseinheiten
bezieht.
Diese und andere Sachthemen können durch qualitative, quantitative und
andere Forschungsmethoden, die im weitesten Sinne sozialwissenschaftlich aus-
gerichtet sind, erschlossen werden. Obgleich diese Methoden auch in Deutsch-
land vermehrt Eingang in die Forschungslandschaft erhalten haben, sind die
besondere Perspektive und entsprechende Studien weiterhin zu fördern.
Die Buchreihe Palliative Care und Forschung möchte diesen Prozess unter-
stützen. Zu diesem Zweck bietet jeder Band der Reihe:

• die Darstellung einer qualitativ bzw. sozialwissenschaftlich ausgerichteten


Methode
• eine wissenschaftstheoretische Reflexion dieser Methode

V
VI Vorwort

• eine Studie, die die Erschließungskraft der Methode im Bereich Palliative


Care bei der Arbeit vorstellt und die damit zugleich Wissen über bestimmte
Aspekte der Erfahrungswelten von Palliativpatienten präsentiert
• die Kommentierung ausgewählter Primär- und Sekundärliteratur zur dar-
gestellten Methode

Diese Buchreihe richtet sich an: Forscher, Nachwuchswissenschaftler, evidenz-


basiert arbeitende Versorger (Ärzte, Pflegende, Therapeuten), Studierende im
Bereich von Palliative Care.
****
Im Mittelpunkt des durchlebten und begleiteten Lebensendes von Patienten
steht unter anderem eine spezielle Diversität. Damit ist eine Besonderheit jener
sozialen Beziehungen gemeint, die es nur am Lebensende gibt, weil sie das
Lebensende selbst ausmacht: ein Mensch wird auf absehbare Zeit versterben und
damit die Welt verlassen, die anderen, ihn begleitenden Menschen (Angehörige,
Heilberufler, freiwillige Helfer) werden weiterleben und das Sterben des Ver-
sterbenden organisieren. Diese Diversität zeigt sich als eine Asymmetrie von
Lebensbeendigung und Fortleben innerhalb derer die Welt als gemeinsam
geteilter Lebensraum langsam versinkt (vgl. dazu: M.W. Schnell/Chr. Schulz:
Basiswissen Palliativmedizin, 3. Aufl. 2020, Springer Verlag: Berlin/Heidelberg,
Kap. 3). Bereits erschienen ist ein Fotoband „30 Gedanken zum Tod“ (Martin W.
Schnell/Christian Schulz, Berlin 2016), der die Problematik aus künstlerischer
Sicht betrachtet.
Diversität als ein wesentlicher Aspekt des Lebensendes ist allen Forschungen,
die der Palliativversorgung, dem Tod, den Angehörigen eines Sterbenden, den
Mitglieder eines Palliative Care Teams, den Bürgern eines Hospizes gelten,
gegenwärtig. Ihn berücksichtigt auch der Editionsplan der Buchreihe „Palliative
Care und Forschung“.

Band Hrsg./Autoren Titel Methode Erschienen


1 Schnell/Schulz/ Der Patient am Lebens- Qualitative Inhalts- 2013
Kolbe/Dunger ende analyse
2 Schnell/Schneider/ Sterbewelten Ethnografie 2014
Kolbe
3 Schnell/Schulz/ Palliative Care und Hospiz Grounded Theory 2015
Heller/Dunger
4 Schnell/Schulz/ Junge Menschen sprechen Typologie 2016
Kuckartz/Dunger mit sterbenden Menschen
Vorwort VII

Band Hrsg./Autoren Titel Methode Erschienen


5 Schnell/Schulz/ Ärztliche Wert- Faktorieller Survey 2017
Atzmüller/Dunger haltungen gegenüber
nichteinwilligungsfähigen
Patienten
6 Schnell/Schulz- 30 Gedanken zum Tod Framework Ana- 2018
Quach/Dunger lysis
7 Schnell/Dunger/ Pflege bei Atemnot am Rahmenanalyse 2019
Schulz-Quach Lebensende
8 Schnell/Dunger/ Behandlungsabbruch am Eine Grounded 2019
Schulz-Quach Lebensende Theory

Der hier nun vorliegende Band 9 („Entscheidungsfindung von professionellen


Mitarbeitern in der Palliative Care“) befasst sich mit einer ethisch relevanten
Problematik, die sich aus der Beachtung der Tatsache, dass ich selbst sterblich
bin, ergibt.
Professionelle Mitarbeiter der Palliative Care müssen schwierige ethisch
relevante Entscheidungen verantworten. Die Werthaltung, die in den Ent-
scheidungen zur Geltung kommt, ist davon anhängig, ob sich die Mitarbeiter ihrer
eigenen Sterblichkeit bewusst sind. Diese Annahme, die der Terror-Management-
Theory entstammt, wird anhand der Problematik der Tötung auf Verlangen durch
die Methode der randomisiert-kontrollierten Studie untersucht.
Bei der Studie handelt es sich um eine bislang nur elektronisch zur Verfügung
gestellte Dissertation. Mit diesem Buch werden Bestandteile in einem Fachverlag
veröffentlicht, die im Wesentlichen auf dem Originalmanuskript beruhen.
Für ihre unverzichtbare Mithilfe bei der Erstellung des Manuskripts bedanken
wir uns bei Lukas Nehlsen und Gabriel Biering vom Lehrstuhl für Sozialphilo-
sophie und Ethik im Gesundheitswesen der Universität Witten/Herdecke.

Im Juli 2020 Martin W. Schnell


Christian Schulz-Quach
Christine Dunger
Inhaltsverzeichnis

1 Randomisiert-kontrollierte Studien im Licht der


Wissenschaftstheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Martin W. Schnell und Christine Dunger
2 Was ist eine randomisierte kontrollierte Studie?. . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Katharina Fetz
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen
Mitarbeitern in der Palliative Care – zwei randomisierte
kontrollierte Studien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
Eileen C. Reppert und Christian Schulz-Quach
4 Die randomisiert kontrollierte Studie – eine kommentierte
Literaturliste. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
Franziska Anushi Jagoda

IX
Randomisiert-kontrollierte Studien im
Licht der Wissenschaftstheorie 1
Martin W. Schnell und Christine Dunger

Zusammenfassung

Wissenschaftstheorie ist eine Reflexion auf die Bedingungen der Möglich-


keiten und deren Grenzen, durch die methodisch verfahrende Forschungen
empirische Wahrheit, Sinn und Bedeutung hervorbringen. Diese Definition
ist im Ausgang von Pierre Bourdieu und Arbeiten zum „medizinischen
Feld“ im Anschluss an Bourdieu (Schnell 2005, 2009) gebildet. Sie zeigt
zugleich, dass es sich bei wissenschaftstheoretischen Überlegungen nicht
um eine abstrakte Theorie handelt, die ohne Bezug zur Forschungspraxis
auskommt. Vielmehr werden theoretische Überlegungen genutzt, um die
fachspezifischen Methoden zu reflektieren. Nach einer Skizze des wissen-
schaftstheoretischen Grundverständnisses qualitativer Forschung, werden
Eigenarten der randomisiert-kontrollierten Studie als quantitatives Forschungs-
design mit analytisch-logischem Paradigma betrachtet. Es ergeben sich daher
andere Annahmen über erkenntnistheoretische Zusammenhänge, notwenige
Maßnahmen zur Planung sowie Umsetzung des Studiendesigns und Güte-
kriterien als in der qualitativen Forschung. Auf diese Aspekte wird eingegangen.

M. W. Schnell (*)
Universität Witten/Herdecke, Witten, Deutschland
E-Mail: Martin.Schnell@uni-wh.de
C. Dunger
Private Universität Witten/Herdecke, Witten, Deutschland
E-Mail: christine.dunger@uni-wh.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 1
M. Schnell et al. (Hrsg.), Entscheidungsfindung von professionellen
Mitarbeitern in der Palliative Care, Palliative Care und Forschung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-32167-3_1
2 M. W. Schnell und C. Dunger

Wissenschaftstheorie ist eine Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeiten


und deren Grenzen, durch die methodisch verfahrende Forschungen empirische
Wahrheit, Sinn und Bedeutung hervorbringen. Diese Definition ist im Ausgang
von Pierre Bourdieu und Arbeiten zum „medizinischen Feld“ im Anschluss
an Bourdieu (Schnell 2005, 2009) gebildet. Sie zeigt zugleich, dass es sich bei
wissenschaftstheoretischen Überlegungen nicht um eine abstrakte Theorie
handelt, die ohne Bezug zur Forschungspraxis auskommt. Vielmehr werden
theoretische Überlegungen genutzt, um die fachspezifischen Methoden zu
reflektieren.
Da die in Forschung zur Versorgung am Lebensende eingesetzten Methoden
der empirischen Sozialforschung vielfältig sind, können auch verschiedene
wissenschaftstheoretische Ansätze differenziert werden. Gemäß dieser
Perspektive soll zunächst der Zusammenhang von Selbstinterpretation und
sozialen Strukturen in der qualitativen Forschung betrachtet werden. Vor diesem
Hintergrund wird dann speziell auf die Eigenarten randomisiert-kontrollierter
Studien eingegangen.

1.1 Selbstinterpretationen und soziale Strukturen


in der qualitativen Forschung

Qualitativ ausgerichtete Forschungen dienen dem Versuch, Zugänge zu


subjektiven Sichtweisen von Akteuren zu erhalten. Konkrete und bisweilen
dichte Beschreibungen sollen besser in der Lage sein, verständlich machen zu
können, wie z. B. Menschen mit chronischen Krankheiten leben als dieses durch
standardisierte Befragungen möglich wäre. Qualitative Forschungen sind näher
dran (Flick et al. 2003: S. 17 und 19)!
Harold Garfinkel, einer der Nestoren der qualitativen Soziologie, hebt hervor,
dass die Gegenstandsnähe dadurch erreicht wird, dass die wissenschaftlichen
Beschreibungen vom „Standpunkt des Mitgliedes“ (Garfinkel 1962: S. 189)
jener Alltagswelt erfolgen, die aktuell gerade beschrieben werden soll. Mit
anderen Worten: Wer wissen möchte, ob eine Krankenschwester Respekt für ihre
Patienten empfindet, frage sie einfach danach!
Der Vorteil der qualitativen Forschung besteht darin, dass anerkannt wird, dass
die Selbstinterpretationen von Akteuren zur Konstitution einer sozialen Reali-
tät hinzugehören. Durch diese Anerkennung kann Forschung ihren Probanden
zusätzlich eine gewisse Mündigkeit ermöglichen, da die Probanden (etwa durch
die Verwendung von in-vivo codes) quasi selbst zur Sprache kommen, nicht von
rein äußerlichen Kategorien bevormundet werden und somit auch nicht hinter
1 Randomisiert-kontrollierte Studien im Licht 3

einer Expertensprache verschwinden. Vor allem dann nicht, wenn außer der
Forschung niemand sonst den Probanden eine Stimme verleiht.
Der Nachteil einer bestimmten qualitativen Forschung, die sich zu stark einem
Subjektivismus nähert, kann darin bestehen, dass sie die „Illusionen der persön-
lichen Meinung“ (Pierre Bourdieu) nicht durchschaut. Eine Krankenschwester
hat nicht nur deshalb Respekt vor kranken Menschen, weil sie grundsätzlich
„alle Patienten liebt“, sondern weil ihr gar nichts anderes übrig bleibt. In ihrer
Arbeit ist sie – im Unterschied zum Arzt – einer permanenten Ansprechbarkeit
ausgesetzt. Die Selbstinterpretation der Schwester, „für ihre Patienten da zu
sein“ macht aus der Not, nämlich ohnehin „da sein“ zu müssen, eine Tugend. Die
Tugend, dass Pflegende per se „Anwälte des Patienten“ sind, ist eine Illusion oder
stellt sich sehr häufig als eine solche heraus (Schnell 2012).
Um den Illusionen des gesunden Menschenverstandes entkommen zu können,
bedarf es einer Objektivierung der subjektiven Sicht der Welt, die von Akteuren
vertreten wird (Bourdieu 1970: S. 41). Diese Objektivierung geschieht durch
einen Bruch mit der alltäglichen Sicht der Welt, wie Gaston Bachelard hervorhebt
(Bachelard 1974: S. 19).
Eine objektivierende Betrachtung der sozialen Welt sieht, wie Emile
Durkheim sagt, Individuen als Tatsachen an. Diese Betrachtungsweise ist der
Feind der Selbstinterpretation des Ich (Alain Touraine)! Die objektivierende Ana-
lyse glaubt dem Ich nicht, wenn es sagt, dass es seine Patienten respektiere, weil
es sie liebe. Sie sucht nach tieferliegenden Gründen, die dem Bewusstsein ver-
borgen bleiben und findet soziale Strukturen, wie Dienstpläne, Teamkultur auf
der Station oder Hierarchien, die es nahelegen, dass sich Pflegende als „Anwälte
des Patienten“ bezeichnen. Vor allem dann, wenn ihnen sonst kaum eine bedeut-
same Stellung im Krankenhaus eingeräumt wird.

1.2 Reflexion auf soziale Umstände als ein


Gütekriterium

Innerhalb der qualitativen Forschung zählt die Sichtbarmachung der sozialen


Umstände unter denen der Forscher geforscht hat, als ein weiteres Güte-
kriterium. Eine solche Selbstreflexion auf soziale Umstände ist erstens sinnvoll,
weil der qualitativ Forschende weder unabhängig von seinem Objekt ist, wie
dieses beim Laborforscher, der ein Reagenzglas schwenkt, der Fall sein mag,
noch freischwebend über ihm rangiert. Er ist vielmehr ein Teil seines Unter-
suchungsobjekts. Der Psychologe gehört einem Milieu an, der Soziologe ist ein
4 M. W. Schnell und C. Dunger

Teil der Gesellschaft, der Historiker ist ein Teil der Geschichte. Die Reflexion ist
zweitens sinnvoll, um in der Forschung der „Illusion unmittelbarer Evidenz oder
der unbewussten Universalisierung einer singulären Erfahrung“ (Bourdieu et al.
1991: S. 83 f.) zu entkommen.

Übersicht
Die Illusion unmittelbarer Evidenz!
Ein Forscher führt ein Interview mit einem Gymnasiallehrer. Der Lehrer
berichtet über seine Studentenzeit, die Anfänge im Beruf, die Familien-
gründung, über Hobbies und Freunde. Der Forscher tritt mit dem Lehrer
problemlos in ein tiefes Gespräch ein und glaubt, als Interviewer unmittel-
bar, also ohne vertiefende Interpretationsarbeit, an die Erfahrungen seines
Gesprächspartners herankommen zu können. – Das ist eine Illusion, da der
Forscher verkennt, dass er und sein Gesprächspartner sich nur deshalb „so
gut verstehen“, weil sie beide demselben sozialen Raum entstammen. Auch
der Forscher hat studiert und ist erst nach dem 25. Lebensjahr in einen
Beruf eingestiegen und versteht daher, was der Lehrer meint, wenn dieser
sagt, dass man „anfangs ohne viel Geld glücklich gewesen und nur mit dem
Rucksack in den Süden gefahren“ sei.
Eine völlig andere Erfahrung hätte der Forscher gemacht, wenn er eine
Person vom anderen Ende des sozialen Raums, also etwa einen Bürger-
kriegsmigranten von einem fernen Kontinent, als Gesprächspartner
angetroffen hätte.

Ein Instrument zur Vermeidung der Illusion unmittelbarer Evidenz und


problematischer Universalisierungen ist die Reflexion auf die sozialen Umstände
des Forschens etwa durch eine „Soziologie der Soziologie“ (Bourdieu 1985:
S. 50). In dieser von Bourdieu im Ausgang von Husserl bezeichneten Reflexion
wird das Erkenntnissubjekt selbst zum Gegenstand gemacht. Es erkennt dann,
dass es als Akademiker auch innerhalb von Forschung eine andere soziale Nähe
zu einem Lehrer als zu einem Migranten haben kann und dass diese Nähe nicht
„intuitiv“ oder „unmittelbar“ zustande kommt, sondern der Stellung im sozialen
Raum zu verdanken ist.
Die qualitative Forschung ist dem Verdacht bloßer Meinungsmache aus-
gesetzt. Forscher sammeln Zitate und versuchen damit Thesen zu belegen! Die
Anwendung von Gütekriterien kann helfen, diesen Verdacht zu entkräften.
1 Randomisiert-kontrollierte Studien im Licht 5

1.3 Subjektivismus/Objektivismus

Der Nachteil einer rein objektivierenden Betrachtung, die sich auf die
Beschreibung sozialer Umstände beschränken würde, kann darin bestehen, dass
sie soziale Strukturen als autonome handlungsfähige Größen betrachtet (ähn-
lich wie dieses die Neurobiologie mit dem menschlichen Hirn tut), die Akteure
wie Marionetten durch das Schauspiel einer sozialen Welt dirigieren. Die Selbst-
sicht von Personen, die die qualitative Forschung in den Mittelpunkt ihrer
Bemühungen rückt, würde dadurch entwertet werden.

In der Qualitativen Forschung gilt es, Subjektivismus und Objektivis-


mus zu vermeiden! Eine empirisch verfahrende Wissenschaft sollte daher
den Zusammenhang zwischen Selbstinterpretationen von Akteuren und
sozialen Strukturen, innerhalb derer sich Akteure bewegen, sprechen und
handeln, nicht aus dem Blick verlieren.

1.4 Daten – was ist das eigentlich?

„Everything is data!“ Dieser bekannte Slogan taucht immer wieder in


Forschungshandbüchern auf. Danach seien alle Informationen, denen ein
Forscher während seiner Forschung begegnet, Daten und als solche auswert-
bar. Dem steht allerdings die Tatsache gegenüber, dass Forschung methodisch
verfährt und dass Methoden selektiv ansetzen. Meist, fast immer, werden nicht
alle Informationen als Daten behandelt, sondern nur bestimmte (Kuckartz 2012,
S. 41 f.). Entweder, das von Probanden Gesagte oder das Geschriebene oder
das Getane oder die sie umgebenden Strukturen usw. Methoden sind selektiv
angelegt, weil sie aus den verfügbaren Informationen meist nur bestimmte als
Daten herauspräparieren und dann auswerten. Auch Methodentriangulationen
ermöglichen keine definitive Totalerhebung, sondern nur weiter gefasste Daten-
sätze. Selektivität kann auch hier nicht grundsätzlich umgangen werden. Es gibt
demnach nicht Daten schlechthin, sondern aus dem Pool vieler Informationen
werden bestimmte Informationen als Daten ausgewählt und bearbeitet. Die
übrigen Informationen werden in das thematische Feld geschoben, wie Aron
Gurwitsch sagen würde, oder gänzlich als irrelevant unbeachtet gelassen. Als Bei-
spiel dafür kann die Regelung von Transkriptionen gelten.
6 M. W. Schnell und C. Dunger

Übersicht
Auszug aus der Transkription eines Interviews durch eine Studierende in
einer forschungspraktischen Übung.
Interviewer: „Mich würde noch interessieren [eine Uhr schlägt], was
Sie in dieser Situation [ein vorbeifahrendes Auto ist im Hintergrund zu
hören] getan haben.
Arzt: „Als der Patient auf unsere Station [ein Auto hupt] kam, haben wir
ihn sofort [Kindergeschrei] untersucht. ….“
Bewertung durch den Dozenten: Das Schlagen der Uhr und die Geräusche
im Hintergrund mögen sich faktisch während des Interviews ereignet
haben und daher auch auf dem Tonband zu hören sein, sie sind aber für die
Forschung selbst unwichtig und müssen daher nicht transkribiert und aus-
gewertet werden. Das Schlagen der Uhr hat auf die Erinnerung des Arztes
offenbar keinen Einfluss und definitiv auch nicht auf die zurückliegende
Behandlung des Patienten, die für die Forschungsfrage allein relevant ist.

Wie werden aus Informationen nun Daten? Durch Unterscheidungen! Die


meisten Methoden zur Datenerhebung treffen solche Unterscheidungen explizit,
indem sie sich auf bestimmte Informationen als Datenquellen ausrichten. Das
Gesagte im Unterschied zur Hintergrundatmosphäre oder das Gesagte im Unter-
schied zum Getanen oder das Getane im Unterschied zum Geschriebenen oder
das Geschriebene im Unterschied zu sozialen Interaktionen usw. Als Datenträger
treten dabei auf: der Text (enthält Gesagtes), das Protokoll (enthält Beobachtetes),
das Strukturreview (enthält institutionelle Daten) usw.
Die Durchführung einer Unterscheidung bedeutet, dass bestimmte
Informationen als Daten aufgefasst und behandelt werden, andere aber nicht. Für
diese Auffassung und Behandlung können drei Faktoren maßgeblich sein: die
Bestimmung einer Relevanz der Informationen für die Fragestellung, die Totalität
einer Institution, in der die Studie stattfindet und die Daten gewonnen werden und
das Gewicht impliziten Wissens der Teilnehmer bzw. der Informationsgeber.

Für die Auffassung und Behandlung bestimmter Informationen als Daten


können drei Faktoren maßgeblich sein:
1. die Bestimmung einer Relevanz,
2. die Totalität einer Institution,
3. das Gewicht impliziten Wissens
1 Randomisiert-kontrollierte Studien im Licht 7

1 Die Unterscheidung, die bestimmte Informationen zu Daten und andere zu


Nichtdaten macht, erfolgt entlang dessen, was Alfred Schütz als das Problem
der Relevanz (Schütz 1971) bezeichnet: etwas wird als bedeutsam thematisiert
oder legt sich als bedeutsam auf, anderes rückt zur Seite oder wird dahin
geschoben. Die Entstehung einer entsprechenden Scheidelinie kann als ein-
facher und reversibler Schnitt geschehen. Eine einfache Operation in dieser
Hinsicht ist die Zusammenfassung.
Ein Arzt hat einen zehnstündigen Nachtdienst hinter sich und wird im Nach-
gang gebeten, davon zu berichten. Vor dem Hintergrund, dass die erlebte Zeit
(der 10 h dauernde Dienst) und die erzählte Zeit (der fünfminütige Bericht
über diesen Dienst) nicht identisch sind, kann die Zusammenfassung das
Relevante darbieten und damit Irrelevantes unthematisiert lassen. Weil das,
was als relevant gilt, relativ ist, kann es vorkommen, dass der Interviewer
Anderes für wichtig als der Arzt erachtet und daher nach- und weiterfragt.
Komplex wird die Aufgabe, das als relevant Bestimmte in Begriffen zu
fixieren, wenn es als solches sprachfern verfasst ist. Von der Philosophie und
der Psychologie der Landschaft (Georg Simmel, Kurt Lewin) ist darauf hin-
gewiesen worden, dass Stimmungen und Atmosphären eine soziale Situation
maßgeblich prägen können, es aber schwierig sei, sie aussagekräftig zu
erfassen (Böhme 1995). Wie erfasst man eine Atmosphäre als Datensatz?
Die Entstehung jener Scheidelinie kann in den Sektoren des Gesundheits-
wesens aber auch weniger harmlos geschehen, da es besonders hier viele,
zumindest potenziell totale Institutionen gibt.
2 Als totale Institution bezeichnet Ervin Goffman eine soziale Ordnung, wenn
es 1. eine Gruppe von Schicksalsgenossen gibt, die 2. die meiste Zeit ihres
Alltags zusammen an einen Ort verbringen und dabei 3. einheitlichen Regeln
und 4. einem institutionellen Plan unterworfen sind (Goffman 1961: S. 17).
Eine totale Institution tendiert dazu, eine Binnenmoral auszubilden, eine
eigene Zeitlichkeit, ja eine eigene Lebenswelt zu bilden. Zu denken ist an das
Militär, die Schule, das Internat, aber auch an das Krankenhaus, das Alten-
und Pflegeheim.
In einer Untersuchung über die soziale Wirklichkeit in einem Krankenhaus der
Regelversorgung konnten Forscher zeigen, dass das Krankenhaus eine in sich
geschlossene Welt bildet. In der Institution existieren fast keine Anzeichen
dafür, dass eine Außenwelt existiert. Im Aufenthaltsraum kleben im Juli noch
Osterhasen an den durchsichtigen Scheiben. Das Krankenhaus als Institution
hat sich vom Kalender der öffentlichen Zeit abgekoppelt und bezieht sich nur
auf sich selbst. Ein solcher Selbstbezug kann die Entstehung einer totalen
Institution begünstigen.
8 M. W. Schnell und C. Dunger

In einer totalen Institution ist die Scheidelinie zwischen Relevantem und


Nichtrelevantem durchaus problematisch. Michel Foucault zeigt dieses am
Beispiel der Psychiatrie. „Man weiß, dass man nicht das Recht hat, alles zu
sagen, dass man nicht bei jeder Gelegenheit von allem sprechen kann, dass
schließlich nicht jeder beliebige über alles beliebige reden kann.“ (Foucault
1977: S. 7) Das heißt, dass hier nur bestimmte Informationen als Daten (etwa
durch das Sagen in einem Interview) auftreten können und dass die Scheide-
linie zwischen Gesagtem und Nichtgesagtem durch Macht, also auf eine nicht
harmlose Weise, gezogen wird! Das Nichtgesagte kann möglicherweise aber
auch wichtig sein. Wenn man es als Datensatz gewinnen möchte, kann sich
die Forschung wohl nicht nur auf das Gesagte als Quelle des Wissens beziehen
(Schnell 2006). Meist interessieren sich Forschungen nur für das Gesagte,
Explizite und Offenbare.
3 Der Blick auf die Genese des Gesagten, das dann in Interviews und Texten
als Datensatz fixiert werden kann, ist nicht nur hinsichtlich der Beachtung von
Prozessen der Macht in totalen Institutionen wichtig, sondern immer dann,
wenn es auf die Unterscheidung zwischen Gesagtem und Nichtgesagtem
ankommt. Das ist häufig schon bei elementaren Beschreibungen der Fall, in
denen implizites Wissen zur Geltung gelangt.

Übersicht
Die Krankenschwester geht in das Zimmer des Patienten, gibt ihm die
Hand, spricht kurz mit ihm und geht wieder
Auf die Frage eines Interviewers, was sie im Zimmer des Patienten
gemacht habe, sagt sie: „Nichts besonderes. Ich war auf meiner Runde und
habe kurz reingesehen.“
Auf die weitergehende Frage, wie es um die aktuelle Verfassung
des Patienten stehe, kann sie über Atmung, Gesichtsfarbe, Puls,
Temperatur und die Wünsche des Kranken bestens Auskunft geben.
Diese Informationen hat sie aus dem kurzen Gespräch und der Berührung
gewonnen
Auf die abschließende Frage, wie es ihr gelinge, diese Informationen
über den Patienten ohne Fieberthermometer und ohne Stethoskop zu
erhalten, antwortet sie: „Das macht die Erfahrung.“
Implizites Wissen ist ein stummes, verkörpertes, leibliches Können und
Vermögen, das praktisch wirksam ist, aber meist ungesagt bleibt
1 Randomisiert-kontrollierte Studien im Licht 9

Das implizite Wissen ist eine Herausforderung für die wissenschaftstheoretische


Reflexion, weil es sich in gewisser Hinsicht der Thematisierung widersetzt, aber
dennoch in der Praxis höchst wirksam ist und eine Unterscheidung zwischen
Gesagtem und Nichtgesagtem mitbedingt (Schnell 2010, Schnell und Schulz 2010).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass in der qualitativen Forschung


gilt, die Genese von Daten kritisch zu betrachten! Eine empirische ver-
fahrende Wissenschaft sollte den Zusammenhang zwischen dem, was
sich als Gesagtes und Getanes zeigt und dem, was nicht in dieser oder in
einer anderen Weise auftritt, im Blick behalten. Dazu gehört nicht nur,
die eigene, subjektive Sichtweise und Rolle im Forschungsprozess zu
reflektieren, sondern auch die dargestellten Möglichkeiten und oftmals
unbewussten Grenzen von Datenerhebungsverfahren zu berücksichtigen.
Reflexivität und Offenheit setzen sich zudem in den verschiedenen Ana-
lysemethoden fort, wie an anderer Stelle der Buchreihe thematisiert wird.
Beidem liegt ein qualitatives Verständnis von Forschung zugrunde, dem ein
hermeneutisch-geisteswissenschaftliche Paradigma zugrunde liegt.

1.5 Eigenarten randomisiert-kontrollierter Studien

Nach dieser Skizze des wissenschaftstheoretischen Grundverständnisses qualitativer


Forschung, kommen wir nun zu den Eigenarten der randomisiert-kontrollierten
Studie (RCT englisch: randomized controlled trial) als quantitatives Forschungs-
design. Hierbei ist zunächst festzuhalten, dass einer RCT ein analytisch-logisches
Paradigma zugrunde liegt (vgl.: Schnell et al. 2018). Damit ergeben sich andere als
etwa in der qualitativen Forschung übliche Annahmen über erkenntnistheoretische
Zusammenhänge, notwenige Maßnahmen zur Planung sowie Umsetzung des
Studiendesigns und ebenfalls andere Kriterien zur Einschätzung der Güte von
Studienergebnissen. Auf diese Aspekte wird im Folgenden und im Kap. 2 des vor-
liegenden Bandes eingegangen. Zur Orientierung werden nun kurz Kernaspekte der
wissenschaftstheoretischen Position des kritischen Rationalismus aufgezeigt.

1.6 Abgrenzung und Wiederlegbarkeit

Quantitative Forschungsmethoden wie sie in den empirischen Sozialwissen-


schaften umgesetzt werden, haben ihre wissenschaftstheoretische Begründung
im kritischen Rationalismus. Als Reaktion auf das Wissenschaftsverständnis und
10 M. W. Schnell und C. Dunger

Gegenposition zum Erkenntnismodell des logischen Empirismus, entwickelte


Karl Popper die wissenschaftstheoretische Position, in deren Mittelpunkt das
Abgrenzungskriterium und die Falsifikation stehen (vgl.: Stier 1999, Schnell et al.
2018).
Zentraler Aspekt des kritischen Rationalismus ist, dass wissenschaftliche
Aussagen (Hypothesen oder Theorien) an der Erfahrung überprüfbar sein, aber
auch an ihr scheitern können müssen. Dieses Abgrenzungskriterium bezieht sich
auch auf die Gültigkeit wissenschaftlicher Aussagen. So müssen die genutzten
Begriffe und die Sachverhalte, die diese beschreiben, einen empirischen Bezug
haben. Ein wissenschaftlicher Satz ist somit synthetisch (widerspruchsfrei und
logisch möglich), nicht metaphysisch (beschreibt erfahrbare Inhalte) und aus-
gezeichnet (bezieht sich auf die menschliche Welt, vgl.: Popper 1994). Zudem
müssen wissenschaftliche Aussagen widerlegbar sein, d. h. falsifizierbar. Aus
dieser Falsifizierbarkeit wissenschaftlicher Sätze ergibt sich wiederum, dass
wissenschaftliche Aussagen nicht aus der Empirie, sprich aus den Erfahrungen
her entstehen und induktiv abgeleitet werden können. Diese Position vertrat der
logische Empirismus, entwickelt im Wiener Kreis, für dessen Vertreter wissen-
schaftliche Beobachtungen ohne theoretische Vorannahmen möglich und der
einzige Weg zur (theoretischen) Beschreibung der Welt war. Popper wandte sich
dagegen, indem er argumentierte, dass wissenschaftliche Aussagen nur so lange
als wahr gelten können, bis sie widerlegt würden. Dabei sei es vollkommen egal,
wie viele Beweise es für ihre Gültigkeit gäbe. Popper schreibt dazu „Bekannt-
lich berechtigen uns noch so viele Beobachtungen von weißen Schwänen nicht zu
dem Satz, dass alle Schwäne weiß sind.“ (Popper 1994, S. 3).
Diesem Induktionsproblem begegnete er mit einem deduktiven Vorgehen,
d. h. aufgestellte Theorien werden an der Empirie widerlegt, werden im Rahmen
einzelner Untersuchungen getestet. Nur so lassen sich fehlerhafte Elemente der
Theorien ausschließen und der Wahrheitsgehalt der Theorien steigern.
Es kann in diesem Sinne jedoch niemals davon ausgegangen werden, dass es
jemals möglich wäre die Wirklichkeit so darzustellen, wie sie sich tatsächlich dar-
stellt. In den Sozialwissenschaften, stärker als in den Naturwissenschaften, sind
Aussagen stark von Raum, Zeit und dem Kontext abhängig. Somit erreichen sie
niemals dieselbe Reichweite wie Naturgesetze. Findet eine Untersuchung statt,
stellt sich zudem die Frage, an was die Theorie tatsächlich getestet wird. Die
Antwort, dass wissenschaftliche Aussagen mit den erhobenen Daten konfrontiert
werden, bedeutet auch, dass sie zu keiner Zeit mit der Realität selbst verglichen
werden. Datensätze sind jedoch fehleranfällig, aus vielerlei Gründen und auch
in der quantitativen Forschung. Diesen Fehlermöglichkeiten versucht man bei-
spielsweise mit einer kritischen Auseinandersetzung bezüglich der genutzten
1 Randomisiert-kontrollierte Studien im Licht 11

Forschungsmethoden, der Angemessenheit und Zuverlässigkeit von Instrumenten,


aber auch über die Art und Weise der Kommunikation von Forschungsergeb-
nissen entgegenzuwirken. So sollte nicht davon gesprochen werden, dass tatsäch-
lich ein Beweis für die Fehlerhaftigkeit einer Theorie gefunden wäre. Vielmehr
geht es um die Bewährung einer Theorie, die mehr oder weniger gelingt (vgl.:
Stier 1999).
Ein weiterer Aspekt quantitativer Forschung ist die immer wieder geforderte
Objektivität der Forschenden und der Ausschluss von Werturteilen. Differenziert
betrachtet, kann diese Objektivität nicht für die Motivation von Forschenden
oder die Dissemination von Ergebnissen gelten, das heißt für den Entdeckungs-
zusammenhang oder den Verwertungszusammenhang (vgl.: Stier 1999). Für den
Begründungszusammenhang des methodischen Vorgehens muss dieser Anspruch
jedoch gelten und wird daher, im Sinne der Standardisierung, als Gütekriterium
angesehen.
Aus den genannten Grundannahmen resultieren ganz praktische Aspekte
der quantitativen Forschungsmethoden. Neben dem genannten standardisierten
Vorgehen ergeben sich aus der möglichen Fehlerhaftigkeit von Daten und
der Argumentation um die Bewährung, nicht Festschreibung der Anwendung
stochastischer Methoden im Rahmen der statistischen Berechnungen. Und auch
die Falsifizierung hat einen direkten Einfluss auf die statistischen Testverfahren.
Diese basieren darauf, dass eine Nullhypothese gegen eine Hypothese aufgestellt
wird. Die Überprüfung dieser Hypothesen ist eine Falsifikation, bei der es darum
geht, die Nullhypothese abzulehnen und so die Alternativhypothese, mit einer
festgelegten Wahrscheinlichkeit, annehmen zu können.
Es zeigt sich also deutlich, dass qualitative und quantitative Forschungs-
methoden grundsätzlich verschiedene Annahmen über die Wirklichkeit und
darüber wie wissenschaftlich Erkenntnis generiert werden kann haben. Im
Folgenden wird nun auf Besonderheiten randomisiert-kontrollierte Studien ein-
gegangen. Ausgangspunkt ist eine historische Betrachtung.

1.7 James Lind und seine randomisierte kontrollierte


Studie an skorbutkranken Matrosen

RCTs sind eine Art von Experiment. Als klassisches Beispiel gilt in wissen-
schaftshistorischer Hinsicht der Versuch des schottischen Arztes James Lind
(1716–1764). Lind war der (bekannteste/erste) Pionier der Bordhygiene und ent-
deckte, aufgrund eines Experiments, die Therapie von Skorbut durch Zitronen-
saft. Für seinen Versuch teilte er zwölf skorbutkranke Matrosen in sechs
12 M. W. Schnell und C. Dunger

Gruppen ein. Alle erhielten dieselbe Diät. Die erste Gruppe bekam außerdem ein
Quart (einen knappen Liter) Apfelwein täglich. Gruppe zwei nahm 25 Tropfen
Schwefelsäure ein, Gruppe drei sechs Löffel voll Essig. Gruppe vier trank ein
halbes Pint (knapp ein Viertel Liter) Seewasser täglich. Die Gruppe fünf aß zwei
Apfelsinen und eine Zitrone täglich. Die letzte Gruppe bekam eine Gewürzpaste
sowie Gerstenwasser. Obwohl die Behandlung von Gruppe fünf abgebrochen
werden musste, als nach sechs Tagen die Früchte ausgingen, zeigten sich deut-
liche Ergebnisse. Zu diesem Zeitpunkt war einer der Matrosen bereits wieder
dienstfähig und der andere beinahe erholt. Bei den übrigen Versuchsteilnehmern
zeigte sich nur in der ersten Gruppe (Apfelwein) ein gewisser Effekt der
Behandlung (vgl.: Tshisuaka 2005).
In diesem Versuchsaufbau wird bereits ein ethisches Problem deutlich,
welches mit dieser Art von Experiment verbunden sein kann. Da Interventions-
und Kontrollgruppen nicht dieselben Gaben erhalten, entsteht die Gefahr, dass die
Gruppen, nicht gleich gut versorgt werden, sodass eine Gruppe schlechter gestellt
ist. In der medizinischen Forschung ist das Problem der Ungleichversorgung zu
beachten und vom Forscher zu lösen. Auch Ethikkommissionen achten darauf.
Schließlich bestehen beide Versuchsgruppen aus Probanden, die vulnerabel sind.
In manchen Fällen muss daher aus ethischen Gründen (z. B. Unzumutbarkeit
einer Placebo-Behandlung bei schwerer Erkrankung) auf eine Randomisierung
bei der Einteilung in Interventions- und Kontrollgruppe verzichtet werden (vgl.:
Fangerau 2006).

1.8 Randomisierung und Kontrolle

RCTs können seit den Tagen von James Lind untersuchen, wie wirksam
Behandlungen im Rahmen der randomisiert-kontrollierten Studie sind. Die
Begriffe Randomisierung und Kontrolle sind wichtig, da sie den Versuchsauf-
bau beschreiben. Zunächst werden die Probanden auf eine Kontroll- oder Inter-
ventionsgruppe verteilt. Randomisierung bedeutet nun, dass die Zuordnung zu
einer Kontrollgruppe nach dem Zufallsprinzip erfolgt.
Die Randomisierung verfolgt damit einen doppelten Zweck. Einmal soll der
Hawthorne-Effekt ausgeschlossen werden. Demnach verändern Probanden ihr
natürliches Verhalten, weil sie wissen, dass sie an einer Studie teilnehmen und
unter Beobachtung stehen. Dies kann zu verzerrenden Einschätzungen führen.
Weiterhin liegt ein Zweck der Randomisierung darin, auch eine verzerrende
1 Randomisiert-kontrollierte Studien im Licht 13

Einflussnahme des Forschers auf die Zuordnung einer Behandlung und dadurch
auf die Studienergebnisse auszuschließen. Dazu muss die Anzahl der zu unter-
suchenden Personen ausreichend groß sein.
Kontrolliert ist die Studie, wenn die Resultate der Interventionsgruppe mit
denen der Kontrollgruppe (ohne Intervention) verglichen werden (vgl.: Polit et al.
2004, S. 178 ff.). RCTs haben somit das Ziel, die Wirksamkeit einer Intervention
eindeutig festzustellen. Dafür wird in der Grundstruktur immer die vermeintlich
wirksame oder bessere Intervention im Vergleich zu einer Standardbehandlung
betrachtet.

1.9 RCTs als Garanten für Eindeutigkeiten

RCTs gelten in der medizinischen Forschung als das beste Studiendesign, um bei
einer eindeutigen Fragestellung eine eindeutige Aussage zu erhalten und somit
eine Kausalität zu belegen. Aufgrund der Eindeutigkeit von RCTs wird auch vom
„Goldstandard“ der Studienplanung bzw. des Forschungsdesigns gesprochen.
RCTs sind jedoch an keine Disziplin gebunden. Sie werden auch in anderen
Fächern als der Medizin, z. B. in der Psychologie oder der Ökonomie, eingesetzt
(vgl.: Leichsenring und Rüger 2004). Vertreter der Evidenzbasierung betonen
die Wichtigkeit von RCTs als beste Grundlage zum empirischen Nachweis der
Wirksamkeit von Behandlungen und somit auch, um patientenorientierte Ent-
scheidungen treffen zu können (vgl.: Kabisch et al. 2011). Im deutschsprachigen
Bereich kommt dem ungarischen Arzt Ignaz Phillip Semmelweis (1818–1865)
die Erstautorenschaft für die Einführung der „systematischen klinischen
Beobachtung“ in die medizinische Forschung (1848) zu (vgl.: Celine 1977).
Zu berücksichtigen ist jedoch, dass eine Umsetzung dieses Goldstandards nur
möglich ist, da bestimmte andere Optionen ausgeschlossen werden. Diese starke
Fokussierung ist aufgrund der Standardisierung und mit Blick auf die Vermeidung
von Fehlern notwendig und stellt eine Exklusion von Alternativen dar.
Zunächst erfolgen Exklusionen auf der Sachebene. Bei seltenen Krank-
heiten fehlen oft die notwendigen Patientenzahlen, die für eine RCT notwendig
wären. Nicht selten werden im RCT stark selektionierte Patienten (z. B. Hoch-
risikopatienten) untersucht, sodass eine Übertragung auf andere Populationen
manchmal unmöglich ist. Weiterhin kommt es zu Exklusionen im Bereich der
Evidenz. Die positive Vagheit (Husserl), die in qualitativ ausgerichteten Studien
notwendig vorkommt, weil Erfahrungen und ihre Bewertungen selten völlig
14 M. W. Schnell und C. Dunger

eindeutig sind, wird ebenfalls ausgeschlossen. Husserl spricht davon, dass „das
Subjektiv-Relative (eine) Evidenzquelle (ist und) nicht etwa … ein irrelevanter
Durchgang … für alle objektive Bewährung.“ (Husserl 1976, 129) Eindeutigkeit
ist von RCTs erzielbar, indem diese Evidenzquelle und mir ihr alle Mehrdeutig-
keiten systematisch ausgeschlossen werden.

1.10 RCTs als Experimente auf der Basis statistischer


Testverfahren

RCTs sind kontrollierte Experimente auf der Basis statistischer Testverfahren.


„Für ein klassisches Experiment, auch RCT genannt, müssen die drei Voraus-
setzungen Manipulation, Kontrolle und Randomisierung erfüllt sein.“ (Branden-
burg 2007, S. 81; vgl. dazu auch das Kapitel „Was ist eine randomisiert
kontrollierte Studie?“ in der vorliegenden Publikation). Neben den erwähnten
Exklusionen auf der Sach- und der Evidenzebene ist das statistische Testver-
fahren ein Garant für die Eindeutigkeit, die ein RCT ermöglicht.
Der statische Test zielt auf Signifikanz und die Ausschaltung von Fehler-
quellen (im Rahmen einer Fehlertoleranz von zumeist 5 %); er führt zu der
Einsicht, ob sich Interventions- und Kontrollgruppe hinsichtlich bestimmter
Merkmale unterscheiden oder nicht unterscheiden.
Dem Signifikanztest wird eine Powerberechnung zugrunde gelegt. Sie
bestimmt, wie groß N (=Anzahl der Probanden) sein soll, damit die Eindeutig-
keit des Ergebnisses nicht durch zu viele oder zu wenige Probanden vermeintlich
erkannt oder verkannt wird. Wenn möglich, bezieht man sich auf eine Grund-
gesamtheit (vgl.: Kromrey 1986, S. 130 ff.).

Die Onkologie befasste sich früher nur mit der Behandlung von Tumoren
und der Bekämpfung von durch Tumorwachstum bedingtem Schmerz.
Inzwischen ist deutlich, dass auch der Mensch, der erkrankt ist, der Für-
sorge bedarf. In der Unterdisziplin der Psychoonkologie geht es heute um
die Begleitung und Beratung tumorerkrankter Patienten hinsichtlich der
Fragen nach Lebensqualität und Lebensperspektive. Damit Ärzte die Auf-
gaben der Psychoonkologie erfüllen können, besuchen sie eine Schulung
der kommunikativen Kompetenzen. Es soll sichergestellt werden, dass
Ärzte nicht nur zufällig ihre Patienten gut begleiten und beraten, sondern
als Folge der Schulung. Zu diesem Zweck muss überlegt werden, wie viele
Probanden der Grundgesamtheit aller zur Verfügung stehenden Onkologen
1 Randomisiert-kontrollierte Studien im Licht 15

der Interventionsgruppe (Durchlaufen der Schulung) und wie viele in der


Kontrollgruppe (Durchlaufen keiner besonderen Schulung) zugeordnet
werden sollen.

1.11 Hypothesen

RCTs werden somit durchgeführt, um die Gültigkeit von Hypothesen (über die
Wirksamkeit einer Intervention) zu ermitteln. Sofern bereits Forschungsergeb-
nisse vorliegen, können diese Hypothesen formuliert werden (z. B.: Die psycho-
onkologische Schulung führt zur Verbesserung der kommunikativen Kompetenz
im Bereich des Zuhörens). Man spricht hier von einem hypothesenüberprüfenden
Experiment. Hypothesengenerierend ist es hingegen, wenn das Experiment aller-
erst ermöglicht, eine Hypothese aufzustellen. Insofern spricht man auch von
„multiplem Testen“ (ebd., S. 160).

1.12 Wahrheiten

Die Wissenschaftshistorie kennt Wissenschaften, die ihre Gegenstände so


erkennen wollen, wie sie von Natur aus sind und Wissenschaften, die auf die
technisch-instrumentelle Weltveränderung und –kontrolle abzielen (vgl.: Tetens
2013). Herbert A. Simon unterscheidet in diesem Sinne zwischen Wahrheiten,
die (in der Natur) vorgefunden und Wahrheiten, die (vom Menschen) selbst
gemacht werden (vgl.: Simon 1990). Gerade am „Experiment zeigt sich am deut-
lichsten der Umschlag von der Natürlichkeit der Wahrheit, …, zur Technizität
der Wahrheit.“ (Blumenberg 2015, S. 46) Da der Forscher in der experimentellen
Forschung „eher eine aktiv wirkende als einen passiv beobachtende“ (Polit et al.
2004, S. 178) Person ist, gehört die Wahrheit von RCTs durchaus in den Bereich
der Wissenschaften vom Künstlichen. Gleichwohl ist die externe Validität von
RCTs möglichweise eingeschränkt, weil die selbst gemachten Wahrheiten unter
„Experimentalbedingungen“ mit hoch motivierten Probanden entstehen, „aber
nicht unter Alltagsbedingungen“ (Behrens und Langer 2004, S. 193), die häufig
mehrdeutig sind und die Eindeutigkeit einer randomisiert-kontrollierten Studie
nicht zulassen.
16 M. W. Schnell und C. Dunger

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Was ist eine randomisierte kontrollierte
Studie? 2
Katharina Fetz

Zusammenfassung

Randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) sind allgemein als Goldstandard


klinischer Forschung anerkannt. Dieses Kapitel gibt eine allgemeine Einführung
in randomisiert-kontrollierte Studien, die wichtigsten Designs und Arten der
Randomisierung und Verblindung. Es werden pragmatische RCTs als Alternative
zu klassischen RCTs im klinischen Setting vorgestellt. Abschließend werden die
wichtigsten Guidelines zu RCTs und entsprechende Checklisten vorgestellt.

In der klinischen Praxis finden vielerlei Strategien Anwendung, um Patienten best-


möglich zu behandeln. Im Sinne der evidenzbasierten Medizin stellt sich hier stets
die Frage nach der Wirksamkeit spezifischer Methoden und Behandlungsweisen.
Um diese Art Wirksamkeit nachzuweisen, müssen bestimmte Voraussetzungen
gegeben sein: Eine Gruppe von Patienten erhält eine bestimmte Behandlungsweise
(Interventionsgruppe) und wird verglichen mit einer Gruppe von Patienten, die diese
Behandlungsweise nicht erhalten (Kontrollgruppe). Dabei ist es wichtig, dass sich
diese beiden Gruppen (Interventionsgruppe vs. Kontrollgruppe) nicht systematisch
hinsichtlich anderer Merkmale als der Intervention unterscheiden. Denn dann könnte
ein Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen nicht mehr einwandfrei auf die
Intervention zurückgeführt werden. Um dies zu gewährleisten müssen Patienten,
die in eine Studie zur Wirksamkeit einer bestimmten Intervention eingeschlossen

K. Fetz (*)
Lehrstuhl Forschungsmethodik und Statistik in der Psychologie, Universität Witten/
Herdecke, Witten, Deutschland
E-Mail: katharina.fetz@uni-wh.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 19
M. Schnell et al. (Hrsg.), Entscheidungsfindung von professionellen
Mitarbeitern in der Palliative Care, Palliative Care und Forschung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-32167-3_2
20 K. Fetz

Abb. 2.1: Evidenzpyramide verschiedener Forschungsdesigns und Studienarten

werden sollen, zufällig (randomisiert) zu der Interventions- und Kontroll-


gruppe zugeordnet werden. Aus diesem Ansatz ergibt sich das Studiendesign der
randomisiert-kontrollierten Studie (englisch randomized controlled trial; RCT). Es
ist allgemein anerkannt, dass RCTs in der Evidenzhierarchie ganz oben angesiedelt
sind, nur übertroffen von systematic reviews und Metaanalysen (siehe Abb. 2.1).
Unter den Primärstudienarten hat dieses Design das höchste Ausmaß an Aus-
sagekraft in Hinblick auf Kausalzusammenhänge (interne Validität). Nur durch
die Gewährleistung einer zufälligen Verteilung der Patienten zu Interventions-
und Kontrollgruppe kann in diesem Kontext von einer Kausalität der Behandlung
(Intervention) in Hinblick auf einen primären Endpunkt (beispielsweise
Behandlungsziel, Symptomlast oder Lebensqualität) ausgegangen werden. Auf-
grund dessen wird der klinische RCT als Goldstandard für die Erforschung der
Effektivität bestimmter medizinischer Interventionen angesehen. Die wichtigsten
Fachbegriffe im Kontext von RCTs sind in der Infobox 2.1 dargestellt.

2.1 Studiendesign: Parallel-RTCs, Crossover-RCTs


und Cluster-randomisierte Studien

Es gibt unterschiedliche Arten von RCTs. In der Regel wird im Kontext von
RCTs zwischen dem Parallel-Design und dem Crossover-Design unterschieden.
Bei dem Paralleldesign gibt es zwei oder mehr Untersuchungsbedingungen, bei-
spielsweise Interventionsgruppe und Kontrollgruppe.
2 Was ist eine randomisierte kontrollierte Studie? 21

Infobox 2.1 Wichtige Begriffe im Kontext von RCTs und deren Bedeutung
Evidenz Kommt von dem englischen Wort „evidence“ und bezieht sich darauf,
ob die Befunde aus einer klinischen Studie sich bewähren oder wider-
legt werden.
Randomisierung Zufällige Zuteilung von Patienten zu Interventions- und Kontroll-
gruppe
Interne Validität Ausmaß, zu dem eine Veränderung im Endpunkt ausschließlich auf
die Intervention zurückzuführen ist
Externe Validität Ausmaß, zu dem die in der Studie gefundenen Ergebnisse
generalisierbar sind auf andere Settings oder Patientengruppen
Verblindung Nichtwissen darum, welcher Patient in der Interventionsgruppe und
welcher in der Kontrollgruppe ist
Endpunkt Nach Intervention bzw. Kontrollintervention
wird das Auftreten vordefinierter Interventionsziele (Endpunkte)
gemessen

Parallel-Design
Intervention
Endpunkt

Randomisierung Endpunkt
Kontrolle

Crossover-Design
Intervention Endpunkt Intervention
Endpunkt

Randomisierung
Endpunkt
Kontrolle Endpunkt washout Kontrolle

Abb. 2.2 Schematischer Vergleich von Parallel-Design und Crossover-Design

Jeder Patient wird einer dieser Untersuchungsgruppen zufällig zugeteilt und


erhält nur die der Untersuchungsgruppe entsprechende Behandlung. Danach
werden die Endpunkte gemessen und die Untersuchungsgruppen miteinander ver-
glichen (siehe Abb. 2.2).
22 K. Fetz

Tab. 2.1 Vor- und Nachteile von Crossover- und Paralleldesign im Vergleich in Bezugauf
Palliative Care
Crossover-Design
Vorteile Nachteile
Bietet eine gute Einschätzung der Zufrieden- Risiko, dass Patienten und Untersucher
heit mit der Intervention bei Patienten und die Intervention erkennen, wenn es zu
Untersucher Sedierung oder Nebenwirkung durch die
Behandlung kommt
Bietet die Beste Beurteilung von komplexen Risiko, dass sich die Symptome verändern
und multiplen Effekten einer Intervention bevor die Intervention abgeschlossen ist
(Intervention und Placebo beim gleichen
Patienten)
Geeignet zur Erfassung von Kurzzeiteffekten Weniger gut geeignet für die Untersuchung
einer Intervention von Langzeiteffekten
Höhere statistische Testpower im Vergleich Risiko, dass Restwirkungen die Analyse
zum Paralleldesign untauglich machen
Parallel-Design
Vorteile Nachteile
Geeignet für die Erforschung von Wirk- Schwierigkeit identische Populationen in
stoffen mit einer langen Wirkdauer oder Interventions- und Kontrollgruppe abzu-
einem langanhaltenden Effekt bilden
Reduziert das Risiko, dass Patienten und Geringere statistische Testpower im Ver-
Untersucher die Intervention erkennen bei gleich zum Crossover Design (es werden
Medikamenten mit sedierenden Effekten größere Stichproben benötigt)
oder hohen Nebenwirkungen
Geeignet zur Erfassung von wichtigen Lang- Gefahr, dass Kurzzeiteffekte der Inter-
zeiteffekten einer Intervention vention nicht erfasst werden
Einfachheit des Designs Gefahr geringer Verschlechterungen des
kognitiven Status oder Sedierung in der
Interventionsgruppe
Einbußen bei der Erfassung der Zufrieden-
heit mit der Intervention bei Patienten und
Untersucher möglich

Bei einem Crossover-Design dient jeder Patient sich selbst als Kontroll-
gruppe. Das bedeutet, dass er alle Untersuchungsbedingungen durchläuft.
Zunächst werden die Patienten zur Interventions- und Kontrollgruppe zufällig
zugeteilt und die Endpunkte gemessen. Danach vergeht eine vorab definierte Zeit
ohne Intervention (washout Periode). Im Anschluss werden die Patienten zu der
2 Was ist eine randomisierte kontrollierte Studie? 23

jeweils anderen Bedingung zugeteilt und die Endpunkte erneut gemessen (siehe
Abb. 2.2). Die Reihenfolge, in der die Patienten die Untersuchungsbedingungen
erhalten muss dabei jedoch auch zufällig verteilt werden, um den Einfluss mög-
licher Reihenfolgeeffekte möglichst gering zu halten. Ein solches Design kann
bei Interventionen eingesetzt werden, die keine dauerhafte Wirkung haben, etwa
eine bestimmte Schmerzmedikation bei chronischen Schmerzzuständen. Für
dauerhafte Endpunkte wie etwa Genesung oder Versterben ist dieses Design
jedoch nicht geeignet.
Eine Übersicht der wesentlichen Vor- und Nachteile von Crossover- und
Paralleldesigns in Bezug auf das Palliative Care Setting (Mazzocato et al. 2001)
sind in Tab. 2.1 zu finden.
Eine weitere Kategorie sind sogenannten Cluster-randomisierte Studien
(CRT). Bei CRTs werden nicht die einzelnen Patienten, sondern Patienten-
gruppen oder ganze Gesundheitseinrichtungen (z. B. Palliativstationen, Hospize)
einer oder mehreren Interventions- und Kontrollgruppen zugewiesen (Müllner
2002). Das kann dann sinnvoll sein, wenn die Intervention nicht auf individueller
Patientenebene untersucht werden soll, sondern auf Ebene einer Region oder ver-
schiedener Gesundheitseinrichtungen. Beispiele sind hier die Erforschung von
Behandlungsleitlinien oder die Evaluation neuer Versorgungsformen (Lorenz
et al. 2018). Die stratifizierte Zuteilung bei CRTs ist schematisch in Abb. 2.3 dar-
gestellt.

2.2 Stichprobengröße und Testpower

Um einen vermuteten positiven Effekt einer Intervention in einem RCT auch bei
der statistischen Auswertung finden zu können, ist es sehr wichtig sich bereits bei
der Planung der Studie Gedanken über die Stichprobengröße zu machen. Dies
wurde bereits in Kapitel 1 angeführt. Nicht ohne Grund wird es empfohlen, vorab
eine entsprechende Fallzahlenkalkulation und Testpoweranalyse durchzuführen
(Schulz und Grimes 2006).
Die Fallzahlenkalkulation ist wichtig, um ein falsch positives oder falsch
negatives Ergebnis zu vermeiden und die Testpower zu erhöhen. Relevant sind in
diesem Kontext die folgenden Termini:

1 Typ I- oder α-Fehler: Die Wahrscheinlichkeit, einen statistisch signifikanten


Unterschied zu entdecken, wenn die verglichenen Therapien in Wirklich-
keit gleich wirksam sind, z. B. die Chance, ein falsch-positives Ergebnis zu
erzielen.
24 K. Fetz

Abb. 2.3: Schematische Darstellung von Cluster-randomisierten Design

2 Typ II- oder β-Fehler: Die Wahrscheinlichkeit, einen statistisch signifikanten


Unterschied nicht zu entdecken, wenn in Wahrheit ein Unterschied einer
bestimmten Größe existiert, z. B. die Chance, ein falsch-negatives Ergebnis zu
erzielen.
3 Power (1 – β): Die Wahrscheinlichkeit, einen statistisch signifikanten Unter-
schied nachzuweisen, wenn tatsächlich ein Unterschied einer bestimmten
Größe vorliegt (Schulz und Grimes 2005, 2006)

Für die Berechnung der Stichprobengröße ist es zunächst wichtig vorab klar zu
definieren, was der primäre Endpunkt der Studie ist und welche Hypothese dies-
bezüglich aufgestellt wird. Hier ist zu unterscheiden zwischen binären (ja vs.
nein, krank vs. gesund, lebendig vs. tot) und quantitativen Endpunkten (etwa die
Verminderung der subjektiven Symptomlast auf einer Likert-Skala). Formeln
zur einfachen Berechnung der Stichprobengröße bei binären Endpunkten finden
sich in allen gängigen Lehrbüchern. In der klinischen Praxis haben wir es in der
Regel jedoch mit quantitativen Endpunkten zu tun, etwa den Punktwerten auf
einer Likert-Skala. Eine händische Berechnung der Fallzahlen ist dann nicht
sinnvoll, es empfiehlt sich, auf eine entsprechende Software zurückzugreifen.
Ein einfach handhabbares, kostenfreies Programm für die Vorabberechnung
2 Was ist eine randomisierte kontrollierte Studie? 25

von Stichprobengrößen und Testpower ist beispielsweise G-Power1 (Faul et al.


2007). Mit Hilfe von G-Power können unter Angabe des geplanten statistischen
Tests, der alpha-Fehlerwahrscheinlichkeit und der Testpower die notwendige
Stichprobengröße berechnet werden.
Die Ergebnisse sollten im Studienprotokoll dokumentiert werden. Eine nach-
trägliche Berechnung von Fallzahlen oder das Verändern von Parametern ist
weder sinnvoll noch gewinnbringend. Auch eine nachträgliche Änderung des
primären Endpunkts im Verlauf der Studie ist nicht empfehlenswert.

2.3 Einschluss von Patienten und Randomisierung

Der Einschluss der Patienten sollte nach vorab klar definierten Ein- und Ausschluss-
kriterien erfolgen. Generell gilt dabei, dass ein breites Spektrum von Patienten ein-
geschlossen werden sollte, welches möglichst repräsentativ für das interessierende
Patientenkollektiv ist. Dies ist wichtig, damit innerhalb der Studie eine mög-
lichst gute externe Validität erreicht werden kann. Externe Validität bezeichnet
das Ausmaß, zu dem in der jeweiligen Studie gefundene Ergebnisse generalisiert
werden dürfen. Eingeschlossen werden, sollten nur Patienten, die für die Teilnahme
geeignet, über die Studienziele und Behandlungsweisen aufgeklärt und ihr schrift-
liches Einverständnis zur Studienteilnahme abgegeben haben (WHO 2002).
Nach dem Einschluss der Patienten in die Studie müssen diese zufällig zu den
Versuchsgruppen (Interventions- und Kontrollgruppe) zugeteilt werden. Diesen
Prozess nennt man Randomisierung. Zielsetzung der Randomisierung ist es,
dass sich die Gruppen möglichst nicht systematisch unterscheiden und dass die
zufälligen und systematischen Störfaktoren sich möglichst gleich auf alle Unter-
suchungsgruppen verteilen.
Mit der randomisierten Zuteilung zu den Versuchsgruppen soll ein hohes Maß
an interner Validität erreicht werden. Interne Validität meint hier das Ausmaß
zu dem die Unterschiede zwischen der Interventions- und Kontrollgruppe allein
auf die Manipulation in der Studie, also die Intervention zurückzuführen sind.
Nur wenn die Gruppen sich ausschließlich hinsichtlich der Behandlungsweise
unterscheiden, dürfen Unterschiede hinsichtlich der Endpunkte kausal auf die
Behandlungsweise zurückgeführt werden. Ist dies nicht der Fall könnte ein Effekt
auch durch andere Faktoren als die Behandlungsweise entstanden sein.

1Freiverfügbar zum Download via: https://www.psychologie.hhu.de/arbeitsgruppen/all-


gemeine-psychologie-und-arbeitspsychologie/gpower.html (Stand 2020).
26 K. Fetz

Hier spielt auch die Stichprobengröße eine entscheidende Rolle, denn bei
kleinen Stichproben kann es auch trotz einer Randomisierung zu systematischen
Gruppenunterschieden kommen (Mad et al. 2008). Darüber hinaus sollte die
randomisierte Gruppenzuteilung nicht für die anderen in die Studie involvierten
behandelnden Personen vorhersehbar sein. Im Fachjargon wird dies auch als
allocation concealment bezeichnet, was so viel bedeutet wie Geheimhaltung der
Gruppenzuteilung (Schumacher und Schulgen-Kristiansen 2013). Eine Zuteilung
der Patienten nach geradem oder ungeradem Geburtsdatum wäre aus diesem
Grund beispielsweise nicht zu empfehlen.

2.3.1 Arten von Randomisierung

Es gibt unterschiedliche Ansätze die Patienten zufällig auf die Interventions- und
Kontrollgruppe zu verteilen. Bei der einfachen Randomisierung gibt es keine
Beschränkungen der Erzeugung der zufälligen Zuweisung zu Interventions- und
Kontrollgruppe, dies kann durch Münzwurf, Tabellen mit zufällig generierten
oder durch bestimmte Software umgesetzt werde. Ein Beispiel für eine einfache
Randomisierung mit Zufallszahlen ist in Infobox 2.2 dargestellt.
Infobox 2.2 Beispiel für eine einfache Randomisierung mit Zufallszahlen; in Anlehnung
an Müllner (2002)
Benötigt werden: Liste mit Zufallszahlen (z. b. mit Excel generiert): Anzahl der
Patienten, die randomisiert werden sollen
1.Schritt: Den Gruppen werden Zahlen zugeteilt und eine Zufallsliste von
Zahlen erstellt. Wenn eine der Zahlen in der Zufallsliste auftaucht,
wird der Patient der jeweiligen Gruppe zugeteilt. Die Zufallszahlen
0–4 gehören beispielsweise zur Interventionsgruppe; die Zahlen 5–9
zur Kontrollgruppe.
2. Schritt: Anschließend wählt man auf der Liste mit den Zufallszahlen einen
zufälligen Punkt und liest die Zahlen nacheinander (horizontal auf-
oder abwärts oder vertikal links oder rechts), bis man zum Beispiel
20 Patienten erhoben hat. In der Liste der Zufallszahlen sollte die
Null vor dem Komma ignoriert werden.
3. Schritt: Jetzt werden nacheinander die Patienten zu den Gruppen zugeteilt.
Patient 1 kommt in die Interventionsgruppe, weil die erste Zahle
eine 2 ist und zwischen 0 und 4 liegt. Dies wird für alle Patienten
durchgeführt. Die Patienten 1, 2, 3, 4, 7, 8, 12, 14, 15, 16, 18 werden
folgerichtig der Interventionsgruppe zugeordnet und die Patienten 5,
6, 9, 10, 11, 13, 17, 19, 20 zu der Kontrollgruppe.
2 Was ist eine randomisierte kontrollierte Studie? 27

Neben der einfachen Randomisierung gibt es weitere, komplexere


Randomisierungsverfahren. Bei der Wahl des Verfahrens sollte man die
individuellen Vor- und Nachteile jeder Methode abwägen. Ein wesentlicher
Nachteil der einfachen Randomisierung ist beispielsweise, dass insbesondre bei
kleinen Stichproben die Anzahl von Patienten pro Gruppe deutlich variieren kann.
Die Blockrandomisierung stellt sicher, dass in allen Behandlungsgruppen
gleich viele Patienten sind. Das hat den Vorteil einer besseren Vergleichbar-
keit der Gruppen. Die stratifizierte Randomisierung ist vor allem dann von
Interesse, wenn mehrere Kliniken oder Gesundheitseinrichtungen an einem RCT
beteiligt sind. Man kann mit dieser Methode sicherstellen, dass in jeder Klinik
alle Behandlungsweisen gleich häufig angewendet werden (Schumacher und
Schulgen-Kristiansen 2013). Sie bietet sich an, wenn man sichergehen will, dass
wichtige Subgruppen (z. B. Diagnosegruppen) gleichermaßen in allen Unter-
suchungsgruppen enthalten sind, oder wenn man vermutet, dass die Intervention
in bestimmten Gruppen (z. B. verschiedene Geschlechter) anders wirkt (Müllner
2002).

2.4 Verblindung

Im Anschluss an die Randomisierung kann die eigentliche RCT Studie beginnen.


Eine weitere Maßnahme, um mögliche Fehlerquellen zu eliminieren ist die
sogenannte Verblindung. Verblindung bedeutet in diesem Kontext „blind“ sein
gegenüber der Gruppenzuteilung der Patienten, also nicht zu wissen welche
Patienten in der Interventionsgruppe und welche in der Kontrollgruppe sind. Je
nachdem wie viele Personen und Personengruppen hier in Unkenntnis sind,
spricht man von (Einfach-) Blindstudie, Doppelblindstudie oder sogar von
Dreifachblindstudie. RCTs ohne Verblindung werden auch als „offen“ bezeichnet.
Verblindung hat den Zweck über die Randomisierung hinaus weitere mög-
liche Fehlerquellen innerhalb des RCTs zu vermindern, die auf die Kenntnis der
Gruppenzuteilung zurückzuführen sind. Dies ist vor allem dann relevant, wenn
die subjektive Bewertung von Patienten und Behandelnden das Ergebnis beein-
flussen kann. Gerade in der Palliative Care sind besonders häufig Konstrukte
wie Schmerz, Depression oder Lebensqualität primäre oder sekundäre End-
punkte klinischer Forschung, die nicht direkt und unverfälscht gemessen werden
können (Addington-Hall et al. 2008). Deshalb ist der Verblindung ein besonderes
Augenmerk zu schenken (Mazzocato et al. 2001). Wissen die Patienten beispiels-
weise, dass sie in der Interventionsgruppe sind, kann dies dazu führen, dass sie
versuchen sich entsprechend der Hypothese zu verhalten, dass die Intervention
28 K. Fetz

wirkt und möglicherweise Endpunkte wie Symptomschwere besser einschätzen.


Gleichermaßen kann dieses Wissen bei den Behandelnden dazu führen, dass die
Patienten in der Interventionsgruppe klinisch besser einschätzen, wenn sie sich
erhoffen, dass die Behandlungsweise gut wirkt.
Um also systematische Fehlerquellen wie diese Erwartungseffekte zu
minimieren sollte der höchstmögliche Grad an Verblindung gewählt werden.
In einer einfachen Blindstudie sind in der Regel die Patienten verblindet, in der
Doppelblindstudie sowohl Patienten als auch Behandelnde. Theoretisch kann man
darüber hinaus auch noch die Personen verblinden, die die Studie auswerten.
Oftmals ist es im klinischen Setting aus praktischen Gründen nicht möglich
eine optimale Verblindung durchzuführen. Ist dies der Fall, sollte dies expliziert
dokumentiert, begründet und ggf. kritisch evaluiert werden.

2.5 Analyseansätze: Intention to treat vs.


per protocol

In klinischen RCTs kann es dazu kommen, dass nicht alle in die Studie ein-
geschlossenen Patienten die Studie entsprechend des Studienprotokolls durch-
laufen. Dies kann dadurch zu Stande kommen, dass die Teilnahme frühzeitig
beendet wird (Dropout). Ferner kann es vorkommen, dass Patienten aus
praktischen Gründen nicht die Behandlungsweise erhalten, zu der sie originär
zugeteilt waren. Dies kann trotz Randomisierung dazu führen, dass systematische
Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen entstehen. Ein Ansatz um
dem entgegenzuwirken ist die intention to treat Analysemethode. Das bedeutet,
dass die Patienten bei der Auswertung in ihrer ursprünglich zugeteilten
Gruppe verbleiben, egal ob sie zwischendurch ausgeschieden oder eine andere
Behandlung als geplant erhalten haben.
Das Gegenteil ist bei der per protocol Analyse der Fall: Hier wird ent-
sprechend dessen ausgewertet, was tatsächlich stattgefunden hat. Ist ein Patient
aus der Studie ausgeschieden, wird er nicht in die Analyse miteinbezogen. Hat
ein Patient aus der Kontrollgruppe die Intervention erhalten, wechselt er bei der
Auswertung in die Interventionsgruppe, und andersrum.
Die Entscheidung über das Analysevorgehen zwischen intention to treat vs per
protocol hat unmittelbaren Einfluss auf die Studienergebnisse. Während bei der
per protocol Auswertung Effekte der Intervention tendenziell überschätzt werden,
sind sie bei der intention to treat Methode eher abgeschwächt (Porta et al.
2007). Um die Studienergebnisse entsprechend dessen einordnen zu können, ist
es wichtig, dass in jedem RCT beschrieben wird welche Patienten die Studie
2 Was ist eine randomisierte kontrollierte Studie? 29

verließen und dies entsprechend in die Berechnung einer Effektgröße mit ein-
kalkuliert wird (Hopewell et al. 2020).

2.6 Grenzen von RCTs

Auch wenn RCTs der Goldstandard zur Erforschung der Wirksamkeit


medizinischer Interventionen sind, haben sie Grenzen und Nachteile. Häufig
wird kritisiert, dass die im klassischen RCT-Design geforderten idealtypischen
Bedingungen im klinischen Setting nicht einwandfrei übertragbar sind. Durch
die strenge Definition von Ein- und Ausschlusskriterien kann es ferner zu einer
Beeinträchtigung der externen Validität der Ergebnisse kommen. Das bedeutet,
dass die Übertragung auf andere Patientenpopulationen beeinträchtigt sein kann.
Weitere Grenzen der RCTs wurden bereits in Kapitel 1 besprochen.

2.7 Ein Kompromiss: Pragmatische RCTs

Oftmals können im klinischen Setting nicht die idealen Bedingungen eines


klassischen RCTs gewährleistet werden. Ein Ansatz, um dennoch qualitativ hoch-
wertige Forschung zu betreiben sind sogenannte pragmatische RCTs (Schwartz
und Lellouch 1967). Sie stellen einen Kompromiss zwischen klassischen RCTs
und Beobachtungsstudien/ Kohortenstudien dar. Pragmatische RCTs fokussieren
in einem stärkeren Maße auf die externe Validität, also die Generalisierbarkeit der
Studienbefunde und liefern auf diesem Wege Grundlagen für praktisch-klinischen
Empfehlungen. Pragmatische RCTs dienen häufig der Evaluation komplexer
Interventionen (Hotopf 2002) und werden vor allem zur Untersuchung nicht-
pharmakologischer Interventionen eingesetzt (Boutron et al. 2016).
Pragmatische RCTs sind im Grunde genommen klinische RCTs, die durch
die folgenden Merkmale gekennzeichnet sind: Die Ein- und Ausschlusskriterien
sind sehr weit gefasst, sodass ein breites Spektrum vom Patienten (Alter,
Geschlecht, Diagnose, Ethnie) eingeschlossen werden kann. Häufig werden sie
in Gesundheitseinrichtungen ohne universitär-akademische Anbindung als Multi-
centerstudie durchgeführt (Donner-Banzhoff 2009). Die Intervention wird so
definiert, dass sie in die Routineversorgung eingebunden werden kann, weitere
Behandlungen bleiben jedoch den Ärzten überlassen. Möglicherweise wird dabei
nicht mit Placebos gearbeitet und nicht verblindet, die Randomisierung wird
jedoch nach besten Möglichkeiten geheim gehalten (Hotopf 2002).
30 K. Fetz

Pragmatische RCTs sind von explanatorischen (erklärenden), klassischen


RCTs abzugrenzen, bei denen vor allem auf eine Maximierung der internen
Validität abgezielt wird (Donner-Banzhoff 2009; Sox und Lewis 2016).
Pragmatisch und explanatorisch sind dabei aber keine dichotomen Kategorien, im
Sinne von eine Studie ist entweder explanatorisch oder pragmatisch, sondern die
Begriffe sind viel mehr als Endpunkte eines Kontinuums zu verstehen (Thorpe
et al. 2009). Tab. 2.2 gibt hier einen Überblick über die wesentlichen Unter-
schiede zwischen explanatorischen und pragmatischen RCTs.
Pragmatische RCTs haben jedoch auch einige methodologische Nachteile. Sie
erhöhen zwar die externe Validität (Generalisierbarkeit) von Studienergebnissen,
dies geht jedoch auf Kosten der internen Validität, also dem Ausmaß, zu dem Unter-
schiede zwischen einer Interventions- und Kontrollgruppe allein auf die Inter-

Tab 2.2 Unterschiede zwischen explanatorischen und pragmatischen RCTs Aus dem
Englischen übersetzt und angepasst in Anlehnung an Schwartz und Lellouch (1967).
Explanatorischer RCT Pragmatischer RCT
Fragestellung Wirkt die Intervention unter idealen Wirkt die Intervention, wenn sie im
Bedingungen? klinischen Alltag angewandt wird?
Setting Ideales Setting Alltägliches Setting im Kranken-
Gute Ressourcen haus/ anderen Gesundheitsein-
richtungen
Patienten/ Stark selektive Einschlusskriterien Wenig Beschränkungen beim Ein-
Probanden Häufiger Ausschluss von Probanden, schluss bis auf die interessierende
die sich nicht an das Studien- Indikation
protokoll halten oder anderweitig zu
weit abweichen
Intervention Strikte Umsetzung der Intervention Flexible Anwendung der Inter-
Abweichungen stark überwacht vention so wie es in der Praxis
umgesetzt werden würde
Endpunkte Häufig kurzzeitige Surrogatpara- Wichtige, häufig lebensver-
meter oder Prozessmaße ändernde Langzeit- Endpunkte
Direkte Relevanz für Patienten,
Geldgeber, die Öffentlichkeit und
Behandelnde
Praxis- Indirekt: wenig Bestrebung, dass das Direkt: Das Studiendesign ist
Relevanz Studiendesign zum üblichen Setting auf die Rahmenbedingungen der
passt, in dem die Intervention Praxis abgestimmt, in der die
angewendet wird. Intervention angewendet wird,
um Behandlungsempfehlungen zu
entwickeln
2 Was ist eine randomisierte kontrollierte Studie? 31

vention zurückzuführen sind. Dies kann zur Konsequenz haben, dass der Einfluss
systematischer Fehlerquellen größer ist und dass Effekte der Intervention kleiner
ausfallen. Bei einer großen Zahl von Zentren und Patienten kann es außerdem
vermehrt zu drop out und Abweichungen vom Studienprotokoll kommen. Daher
empfiehlt es sich, bei der Analyse das intention to treat Verfahren zu wählen um
systematische Fehlerquellen möglichst gering zu halten (Donner-Banzhoff 2009).
Pragmatische RCTs gewinnen als Kompromiss zwischen Beobachtungs-
studien und klassischen RCTs zunehmend an Bedeutung, insbesondere für die
Evaluation von komplexen Interventionen und Gesundheitsangeboten (Hotopf
2002). Sie stellen einen vielversprechenden Ansatz dar, um qualitativ hoch-
wertige Forschung im klinischen Alltag möglich zu machen und so bestimmte
Behandlungsangebote und Therapien zu verbessern.

2.8 Qualitätsstandards für RCTs

Um die Qualität wissenschaftlicher Publikationen von RCTs in Fachjournalen


zu stärken und zu vereinheitlichen wurden die CONSORT Richtlinien entwickelt
(Moher et al. 2004). CONSORT ist ein Acronym und steht für Consolidated
Standards of Reporting Randomized Controlled Trials. Die Richtlinie soll bei
der Planung, Durchführung, Auswertung und Veröffentlichung von RCTs als
Orientierung dienen. Wesentliche Elemente der Richtlinie sind eine Check-
liste mit Informationen, die in der jeweiligen Publikation beinhaltet sein sollten,
sowie ein Flussdiagramm, zur Einschätzung der Ein- und Ausschlüsse von
Patienten, zur besseren Beurteilung eines eventuellen Stichproben-Bias, sowie der
Generalisierbarkeit (externe Validität) der Forschungsergebnisse. Die Checkliste
ist in Tab. 2.3 dargestellt.
Da sich gezeigt hat, dass die Verwendung der Richtlinie die Qualität
publizierter RCTs verbessert (Moher et al. 2004), ist es mittlerweile üblich, dass
Fachjournale eine entsprechende Darstellung über die CONSORT Checkliste
und das Flussdiagramm für die Publikation von RCTs voraussetzen. Auch für
pragmatische RCTs wurde eine entsprechend erweiterte CONSORT-Checkliste
entwickelt (Zwarenstein et al. 2008). Um RCTs auf dem Kontinuum zwischen
explanatorisch und pragmatisch zu verorten wurde das PRECISE-2 (PRagmatic
Explanatory Continuum Indicator Summary) Tool vorgeschlagen (Thorpe et al.
2009; Loudon, Kirsty et al. 2015.). Es kann in diesem Kontext ergänzend zur
CONSORT-Checkliste verwendet werden.
32 K. Fetz

Tab. 2.3 CONSORT 2010 Checkliste für randomisierte Studien


Abschnitt Nr. Beschreibung Seite
Titel und Zusammen- 1a Kennzeichnung im Titel als randomisierte Studie
fassung
1b Strukturierte Zusammenfassung von Studien-
design, Methoden, Resultaten und Schluss-
folgerungen (siehe auch CONSORT für
Abstracts)
Einleitung
Hintergrund und Ziele 2a Wissenschaftlicher Hintergrund und Begründung
der Studie
2b Genaue Fragestellung oder Hypothesen
Methoden
Studiendesign 3a Beschreibung des Studiendesigns (z. B. parallel,
faktoriell), einschließlich Zuteilungsverhältnis
der Patienten zu den Gruppen
Wichtige Änderungen der Methoden nach
Studienbeginn (z. B. Eignungskriterien) mit
Gründen
Probanden / Patienten 4a Eignungskriterien der Probanden/Patienten
Umgebung und Ort der Studiendurchführung
Intervention / 5 Durchgeführte Interventionen in jeder Gruppe
mit präzisen Details, einschließlich wie und
wann die
Behandlung Interventionen durchgeführt wurden, um eine
Replikation der Studie zu ermöglichen
Endpunkte 6a Vollständig definierte, primäre und sekundäre
Endpunkte (früher „Zielkriterien“ genannt),
einschließlich wie und wann sie erhoben wurden
Änderungen der Endpunkte nach Studienbeginn
mit Angabe der Gründe
Fallzahlbestimmung 7a Wie wurde die Fallzahl berechnet?
Falls zutreffend, Erklärung aller Zwischenana-
lysen und Abbruchkriterien
Randomisierung
Erzeugung der 8a Methode zur Generierung der Zufallszuteilung
Behandlungsfolge

(Fortsetzung)
2 Was ist eine randomisierte kontrollierte Studie? 33

Tab. 2.3 (Fortsetzung)


Abschnitt Nr. Beschreibung Seite
8b Art der Randomisierung; Details jedweder
Restriktionen (z. B. Blockbildung, Blockgröße)
Mechanismen der Geheim- 9 Mechanismen zur Umsetzung der Zuteilungs-
haltung der Behandlungs- sequenz (z. B. sequenziell nummerierte
folge Behälter) und
Beschreibung aller Schritte zur Geheimhaltung
der Sequenz bis zur Interventionszuordung
Durchführung 10 Wer führte die Zufallszuteilung durch, wer nahm
die Teilnehmer in die Studie auf und wer teilte
die Teilnehmer den Interventionen zu?
Verblindung 11a Falls durchgeführt, wer war bei der Inter-
ventionszuordnung verblindet? (z. B. Teil-
nehmer, Ärzte, Therapeuten, diejenigen, die die
Endpunkte beurteilen)
11b Falls relevant, Beschreibung der Ähnlichkeit der
Interventionen
Statistische Methoden 12a Statistische Methoden, die zum Vergleich der
Gruppen hinsichtlich primärer und sekundärer
Endpunkte eingesetzt wurden
12b Methoden, die für zusätzliche Analysen ein-
gesetzt wurden, wie Subgruppenanalysen,
adjustierte Analysen
Ergebnisse
Ein- und Ausschlüsse 13a Für jede Gruppe Anzahl der Studienteilnehmer,
die randomisiert zugeteilt wurden, die die
geplante Intervention erhielten und die hinsicht-
lich des primären Endpunkts analysiert wurden
13b Für jede Gruppe Zahl der Studienausscheider
und Ausschlüsse nach Randomisierung mit
Angabe von Gründen
Aufnahme/Rekrutierung 14a Zeitraum der Rekrutierung und Nach-
beobachtung
14b Warum die Studie endete oder gestoppt wurde
Patientencharakteristika zu 15 Eine Tabelle demografischer und klinischer
Studienbeginn (baseline Charakteristika für jede Gruppe
data)

(Fortsetzung)
34 K. Fetz

Tab. 2.3 (Fortsetzung)


Abschnitt Nr. Beschreibung Seite
Anzahl der ausgewerteten 16 Für jede Gruppe, Anzahl der Teilnehmer, die in
Probande/ Patienten die Analyse eingeschlossen wurde und Angabe,
ob diese der Anzahl der ursprünglich zugeteilten
Gruppen entsprach
Ergebnisse und Schätz- 17a Für jeden primären und sekundären Endpunkt
methoden Ergebnisse für jede Gruppe und die geschätzte
Effektgröße sowie ihre Präzision (z. B. 95%
Konfidenzintervall)
17b Für binäre Endpunkte wird empfohlen, sowohl
die absoluten als auch die relativen Effektgrößen
anzugeben
Zusätzliche Analysen 18 Resultate von weiteren Analysen, einschließlich
Subgruppenanalysen und adjustierten Ana-
lysen mit Angabe, ob diese präspezifiziert oder
exploratorisch durchgeführt wurden
Schaden 19 Alle wichtigen Schäden (früher „unerwünschte
Wirkungen“ genannt) innerhalb jeder Gruppe
(siehe auch CONSORT für Schäden (harm))
Diskussion
Limitierungen 20 Studienlimitierungen mit Angabe zu potenzieller
Verzerrung, fehlender Präzision und, falls
relevant, Multiplizität von Analysen
Generalisierbarkeit 21 Generalisierbarkeit (externe Validität, Anwend-
barkeit) der Studienergebnisse
Interpretation 22 Interpretation konsistent mit den Ergebnissen,
Abwägung des Nutzens und Schadens, Berück-
sichtigung anderer relevanter Evidenz
Andere Informationen
Registrierung 23 Registrierungsnummer und Name des Studien-
registers
Protokoll 24 Wo das vollständige Protokoll eingesehen
werden kann, falls verfügbar
Finanzierung 25 Quellen der Finanzierung und anderer Unter-
stützung (wie Lieferung von Medikamenten),
Rolle des Geldgebers
2 Was ist eine randomisierte kontrollierte Studie? 35

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Faktoren zur Entscheidungsfindung
bei professionellen Mitarbeitern in der 3
Palliative Care – zwei randomisierte
kontrollierte Studien

Eileen C. Reppert und Christian Schulz-Quach

Zusammenfassung

Die Terror Management Theorie (TMT) besagt, dass eine effektive


Bewältigung der Angst vor dem eigenen Tod auf zwei Mechanismen beruht:
der kulturellen Weltanschauung und dem Selbstwertgefühl. Bei Bewusst-
werden der eigenen Sterblichkeit (Mortalitätssalienz; MS) ist die Identifikation
mit der Ingroup entscheidend, da sie die kulturelle Weltsicht eines Menschen
repräsentiert. Die TMT legt nahe, dass Menschen nach Induktion von MS
folglich Mitglieder ihrer Ingroup positiver bewerten.
Es wurden zwei randomisierte kontrollierte Studien entworfen und mit
Mitarbeitern der Palliative Care (Studie 1) und Medizinstudenten (Studie 2)
durchgeführt. Die Studienteilnehmer beurteilten eine fiktive Fallvignette,
in der eine Ärztin aufgrund von „Tötung auf Verlangen“ verurteilt wird. Sie
wurden gebeten, ein Ordnungsgeld für dieses Vergehen festzulegen. Als
Hypothese wurde überprüft, ob ein niedrigeres Strafmaß von den Studien-
teilnehmern erwartet werden könnte, die zuvor an ihre eigene Sterblichkeit
erinnert wurden. Die Hypothese beruht auf der Annahme, dass die Ärztin als
Mitglied der Ingroup angesehen wird.

E. C. Reppert (*)
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Düsseldorf, Deutschland
E-Mail: eileen-reppert@gmx.de
C. Schulz-Quach
Princess Margaret Cancer Centre, Toronto, Kanada
E-Mail: christian.schulz-quach@uhn.ca

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 37
M. Schnell et al. (Hrsg.), Entscheidungsfindung von professionellen
Mitarbeitern in der Palliative Care, Palliative Care und Forschung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-32167-3_3
38 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

3.1 Einleitung

3.1.1 Palliative Care

Palliative Care wird von der World Health Organization (WHO) als ein Ansatz
definiert, der die Lebensqualität von Patienten und deren Familien verbessert,
die Problemen begegnen, die mit lebensbedrohenden Krankheiten einhergehen.
Dies wird laut WHO Definition geleistet, durch die Prävention und Befreiung von
Leiden mittels früher Identifikation, einwandfreier Einschätzung und Behandlung
von Schmerzen und anderen Problemen der physischen, psychosozialen und
spirituellen Art (World Health Organization 2002).
Die frühere WHO Definition hatte die Relevanz der Palliative Care für
Patienten betont, die nicht auf kurative Therapien ansprechen (World Health
Organization 1990). Diese Aussage könnte so aufgefasst werden, als sei Palliative
Care auf die letzten Abschnitte der Behandlung beschränkt (Sepúlveda et al.
2002). Heute wird jedoch weitläufig anerkannt, dass die Grundsätze der Palliative
Care so früh wie möglich angewendet werden sollten, wenn eine chronische,
letztendlich tödliche Krankheit diagnostiziert wird. Diese veränderte Denkweise
rührt von der Erkenntnis her, dass Probleme am Lebensende ihren Ursprung in
einem früheren Zeitpunkt des Krankheitsverlaufs haben (Sepúlveda et al. 2002).
Symptome, die nicht behandelt werden wenn sie aufkommen, sind in den letzten
Lebenstagen schwierig zu bewältigen (Sepúlveda et al. 2002).
Der Ansatz der WHO zum Thema Palliative Care hat sich auch insofern
erweitert, dass Schmerzlinderung zwar immer noch ein wichtiger Bestandteil ist,
aber bei Weitem nicht der einzige. Die physischen, emotionalen und spirituellen
Bedürfnisse eines Patienten werden als ebenso wichtig angesehen (Sepúlveda
et al. 2002).
Eine zusätzliche Ergänzung stellt die Tatsache dar, dass nicht mehr nur
die Patienten bedacht werden, sondern auch das Wohl und die Gesundheit der
Familienmitglieder und Betreuer der Patienten. Diese Berücksichtigung geht über
den Zeitraum der Fürsorge für die Patienten hinaus und schließt Überlegungen
dahin gehend ein, ob diejenigen, die den Verlust erlitten haben, Hilfe oder Seel-
sorge benötigen (Sepúlveda et al. 2002).
Im Malteser Magazin (Zeller 2015) heißt es, dass „Palliative Care“ sich
nicht ins Deutsche übersetzen lässt. Da geht es „um Achtsamkeit, Sorge, liebe-
volle Zuwendung, schmerzlindernde Medizin und vieles mehr für Schwer-
kranke und sterbende Menschen […] unter Einbezug sowie Unterstützung ihrer
Angehörigen. Für all das steht dieser einfache englische Ausdruck“ (Zeller 2015).
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 39

Diese Ansicht vertreten auch Bollig et al. in ihrem 2010 in der Zeitschrift für
Palliativmedizin veröffentlichten Artikel: nach einer Fokusgruppendiskussion
mit multiprofessionellen Experten aus dem Bereich Palliative Care schließen sie,
dass „Palliativmedizin“ einen Teilbereich der „Palliative Care“ darstellt und die
Begriffe nicht synonym verwendet werden sollten (Bollig et al. 2010). Während
„Palliativmedizin“ das ärztliche Fachgebiet bezeichnet, handelt es sich bei
„Palliative Care“ um einen interdisziplinären/interprofessionellen Überbegriff,
der bisher nicht treffend ins Deutsche übersetzt werden konnte (Bollig et al.
2010). Die Mehrzahl der Fokusgruppenteilnehmer spricht sich dafür aus, den
englischen Begriff im Deutschen unübersetzt zu verwenden (Bollig et al. 2010).
Die interprofessionelle Zusammenarbeit im Team stellt einen elementaren
Bestandteil der Palliative Care dar (Schnell und Schulz-Quach 2019). Je
nach Bedarf können an der Patientenversorgung Vertreter der folgenden zehn
Professionen beteiligt sein (s. Abb. 3.1): Pflege, Medizin, Physiotherapie,
sonstige Therapie (z. B. Ergo-, Musik-, Kunst-, Logo- oder Atemtherapie), Ehren-
amt, Seelsorge, Sozialarbeit, Psychologie/ Psychoonkologie/ Psychotherapie,
Pharmazie und Hauswirtschaft (Schnell und Schulz-Quach 2019).

3.1.1.1 Geschichte der Palliative Care


Die Anfänge der Palliative Care werden meist auf die 1960er und 1970er Jahre
datiert und sind untrennbar mit dem Namen Cicely Saunders verbunden. Die
britische Ärztin, Krankenschwester und Sozialarbeiterin Cicely Saunders hat

Abb. 3.1 Palliative Care Team


40 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

1967 in London das „St. Christopherus Hospice“ eröffnet und gilt damit als
Gründerin der modernen Hospizbewegung (Zech 1994).
Es gibt aber vereinzelte historische Darstellungen, die weiter zurück-
blicken und laut derer schon im Mittelalter die Rede von palliativer Krankheits-
behandlung ist, die ihrerseits auf eine noch ältere, antike Begrifflichkeit hinweist
(Stolberg 2008).
Die alten abendländischen Hospize und Hospitäler werden als Vorläufer der
heutigen Sterbehospize angesehen, dienten aber nicht primär der Versorgung
unheilbar Kranker oder Sterbender (Stolberg 2007). Ärztliche Fallgeschichten
des 16. Jahrhunderts zeigen dann die konkrete Anwendung einer „Cura palliativa“
auf einzelne Patienten, die als manchmal unverzichtbare Alternative zu einer
radikalen, kurativen Therapie vorgestellt wird (Stolberg 2008). Und schon als das
Hospital Ende des 18. Jahrhunderts zu einer primär kurativen Einrichtung wurde,
ließen sich Krankenhäuser nachweisen, die primär der Versorgung Todkranker
und Sterbender dienten (Stolberg 2008).
Stolberg (2007) stellt zusammenfassend fest, dass die Palliative Care auf eine
jahrhundertealte Tradition zurückblicken kann. Die palliativmedizinische Ver-
sorgung wird, aufbauend auf vereinzelte antike Äußerungen, seit dem 16. und
17. Jahrhundert in der Literatur als eigenständige Form ärztlichen Handelns
beschrieben und ihre praktische Anwendung speziell beim Sterbenden ab dem 18.
und 19. Jahrhundert ausführlich dargestellt (Stolberg 2007).
In Tab. 3.1 werden ausgewählte Meilensteine der Entwicklung von Palliative
Care in Deutschland hervorgehoben (nachKlaschik 2008; Schnell und Schulz-
Quach 2019; Radbruch 2019).
Im Jahre 2019 gab es in Deutschland über 250 stationäre Hospize und
345 Palliativstationen (Radbruch 2019). Insgesamt haben über 12.000 Ärztinnen
und Ärzte die Zusatzbezeichnung Palliativmedizin und mehr als 30.000 Pflegende
die Weiterbildung Palliative Care (Radbruch 2019).

3.1.1.2 Grundsätze von Bundesärztekammer und Bundestag


zur ärztlichen Sterbehilfe
Die Bundesärztekammer veröffentlicht seit 1979 Richtlinien zur ärztlichen
Sterbebegleitung, die in unregelmäßigen Abständen entsprechend den Ent-
wicklungen in der Medizin (z. B. Palliativmedizin) und Rechtsprechung über-
arbeitet werden (Bundesärztekammer 2011). In der aktuellsten Überarbeitung
dieser Grundsätze, welche 2011 veröffentlicht wurde, heißt es u. a.:
„Aufgabe des Arztes ist es, unter Achtung des Selbstbestimmungsrechtes des
Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen
sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen. Die ärztliche
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 41

Tab. 3.1 Palliative Care in Deutschland


Jahr Ereignis
Ende der 1960er erster Kontakt deutscher Ärzte und Seelsorger zu britischen Hospizen
1983 erste Palliativstation (Uni Köln)
1986 erstes stationäres Hospiz („Haus Hörn“, Aachen)
1994 Gründung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP)
1996 erster Kongress der DGP (Köln)
1999 erster Lehrstuhl für Palliativmedizin (Uni Bonn)
2000 erste deutschsprachige Zeitschrift für Palliativmedizin
2002 Gesetz zur Förderung ambulanter Hospizdienste (§39a Abs. 2 SGB V)
2003 Einführung Zusatzbezeichnung „Palliativmedizin“
2005 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD: „Hospizarbeit und
Palliativmedizin wollen wir stärken, um Menschen ein Sterben in
Würde zu ermöglichen“
2007 Gesetzliche Regelung der spezialisierten ambulanten Palliativver-
sorgung (§37b und §132d SGB V)
2009 Palliativmedizin als Pflichtfach im Medizinstudium
2010 „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen“
2011 Nationales Hospiz- und Palliativregister der DGP
2015 S. 3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren
Krebserkrankung
Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§217 StGB)
Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in
Deutschland (HPG)
2017 DGP führt Zertifizierung für Palliativstationen ein

Verpflichtung zur Lebenserhaltung besteht daher nicht unter allen Umständen. Es


gibt Situationen, in denen sonst angemessene Diagnostik und Therapieverfahren
nicht mehr angezeigt und Begrenzungen geboten sind […]. Unabhängig von
anderen Zielen der medizinischen Behandlung hat der Arzt in jedem Fall für eine
Basisbetreuung zu sorgen. Dazu gehören u. a. menschenwürdige Unterbringung,
Zuwendung, Körperpflege, Lindern von Schmerzen, Atemnot und Übelkeit
sowie Stillen von Hunger und Durst […]. Ein offensichtlicher Sterbevorgang soll
nicht durch lebenserhaltende Therapien künstlich in die Länge gezogen werden.
Darüber hinaus darf das Sterben durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden
einer begonnenen medizinischen Behandlung ermöglicht werden, wenn dies dem
42 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Willen des Patienten entspricht. Dies gilt auch für die künstliche Nahrungs- und
Flüssigkeitszufuhr. Die Tötung des Patienten hingegen ist strafbar, auch wenn sie
auf Verlangen des Patienten erfolgt. Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbst-
tötung ist keine ärztliche Aufgabe“ (Bundesärztekammer 2011).
Auch in der Politik ist das Thema ärztlich assistierter Suizid in den ver-
gangenen Jahren wiederholt Gegenstand von Diskussionen. Im November 2015
beschließt der Bundestag das „Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen
Förderung der Selbsttötung“. Das Strafgesetzbuch wird um §217 erweitert, in
dem es heißt: „ (1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines Anderen zu fördern,
diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder ver-
mittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt
und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten Anderen ist oder diesem
nahesteht.“ (BGBl. I S. 2177). Ziel des Gesetzes ist es, assistierten Suizid in
organisierter Form zu verhindern (Tolmein et al. 2017). Dieser Paragraf wird im
Februar 2020 vom Bundesverfassungsgericht als mit dem Grundgesetz nicht ver-
einbar und nichtig erklärt (§217 Absatz 1 und 2 StGB), da das Recht auf selbst-
bestimmtes Sterben auch die Freiheit beinhalte, sich das Leben zu nehmen und
dafür Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen (Bundesverfassungsgericht, 2020).

3.1.1.3 Die DGP zu ärztlich assistiertem Suizid


Auf dem 114. Deutschen Ärztetag im Jahre 2011 wurde der §16 „Beistand
für Sterbende“ der (Muster-)Berufsordnung für Ärzte folgendermaßen neu
formuliert: „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde
und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen
und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbst-
tötung leisten.“ (Nauck et al. 2014). Es ist aber Angelegenheit der Bundes-
ärztekammern, inwieweit sie diese Änderungen der (Muster-) Berufsordnung
umsetzen. Es gibt daher in den verschiedenen Landesärztekammern unterschied-
liche Entscheidungen dahin gehend, ob der neue Satz „Sie dürfen keine Hilfe zur
Selbsttötung leisten“ übernommen wird oder nicht (Nauck et al. 2014).
Aus dieser Uneinheitlichkeit ergeben sich auch Unklarheiten bezüglich berufs-
rechtlicher Konsequenzen und Handlungsunsicherheiten aufseiten der Ärzte,
wenn ein Patient trotz palliativmedizinischer Behandlung den Wunsch nach
ärztlich assistiertem Suizid äußert (Nauck et al. 2014). Es bleibt zu klären, ob
Sterbehilfe in Form des assistierten Suizids zu den Aufgaben der Palliativmedizin
gehören könnte. In ethischer Hinsicht stellt sich die Frage, wie aus dem Sterbe-
wunsch eines Patienten ein Anrecht dieses Patienten auf die Suizidassistenz eines
Arztes erwachsen kann.
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 43

Da die folgenden Begriffe in Diskussionen um das Thema Sterbehilfe oft


falsch verwendet werden, wird von der DGP in Anlehnung an die Vorschläge
des Deutschen Ethikrates aus dem Jahr 2006 eine einheitliche Terminologie vor-
geschlagen:
Der Suizid ist der Akt der vorsätzlichen Selbsttötung und in Deutschland straf-
rechtlich nicht verboten (Nauck et al. 2014).
Von Tötung auf Verlangen ist die Rede, wenn der Getötete von jemandem aus-
drücklich und ernsthaft verlangt hat, ihn zu töten (Nauck et al. 2014). Die Tötung
auf Verlangen ist in Deutschland verboten und stellt einen Straftatbestand inner-
halb der Tötungsdelikte dar (Nauck et al. 2014). Es kann eine Freiheitsstrafe von
sechs Monaten bis zu fünf Jahren verhängt werden (§216 Absatz 1 StGB).
(Bei-)Hilfe zum Suizid liegt vor, wenn jemand einem Menschen, der sich
selbst tötet, dabei Hilfe leistet, indem er ihn beispielsweise zu einer Sterbehilfe-
organisation im Ausland fährt, ihm Medikamente besorgt oder einen Becher mit
einer tödlichen Substanz auffüllt. Im Gegensatz zur Tötung auf Verlangen, muss
der Mensch mit dem Sterbewunsch den entscheidenden Akt des Suizids selbst
durchführen, indem er z. B. das Medikament nimmt oder das tödliche Getränk
trinkt (Nauck et al. 2014). Beihilfe zum Suizid ist in Deutschland strafrechtlich
nicht verboten (Nauck et al. 2014).
Beim ärztlich assistierten Suizid handelt es sich zunächst einmal ebenfalls um
Beihilfe zum Suizid. Da Beihilfe zum Suizid in Deutschland strafrechtlich nicht
verboten ist, kommt es beim ärztlich assistierten Suizid darauf an, inwieweit ent-
sprechende Formulierungen in den Berufsordnungen der Landesärztekammern
Sanktionen für Ärzte zur Folge haben (Nauck et al. 2014). Die (Muster-) Berufs-
ordnung schlägt vor, den ärztlich assistierten Suizid zu untersagen (Nauck et al.
2014).
Therapiezieländerungen/Therapieverzicht/Therapieabbruch/Sterben lassen:
das Unterlassen, Begrenzen oder Abbrechen lebenserhaltender Maßnahmen ist in
Deutschland nicht strafbar, wenn es dem Willen des Patienten entspricht (Nauck
et al. 2014). Der Patient kann auf künstliche Ernährung, Flüssigkeitszufuhr,
Medikamentengabe, Beatmung, Intubation, Dialyse und Reanimation verzichten
bzw. diese Maßnahmen abbrechen. Der Behandlungsabbruch am Lebensende und
die Beziehung zwischen kurativer und palliativer Behandlung werden in Band 8
dieser Buchreihe im Detail betrachtet. (Schnell et al. 2019).
Bei der palliativen Sedierung kommt es zum überwachten Einsatz von
Medikamenten, die das Bewusstsein reduzieren oder ausschalten. Hierbei
soll in ethisch akzeptabler Weise das Leiden des Patienten gelindert werden,
wenn dieses durch keine anderen Mittel zu beherrschen ist (Nauck et al.
2014). Die palliative Sedierung hat das Ziel der Symptomlinderung, nicht der
44 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Beschleunigung des Todeseintritts (Nauck et al. 2014). Das gilt generell für die
Behandlung am Lebensende: durch die Nebenwirkungen der stark wirksamen
Medikamente, die zur Symptomkontrolle nötig sein können, kann der Eintritt
des Todes beschleunigt werden. Handlungsleitend ist hier aber grundsätzlich die
Linderung der Symptome und nicht die Beschleunigung des Todes (Nauck et al.
2014). Dies ist in Deutschland berufsrechtlich zulässig (Nauck et al. 2014).
Die DGP macht in ihren Reflexionen darauf aufmerksam, dass schwerkranke
Menschen, die den Wunsch zu sterben äußern, häufig vielmehr unter schweren
Symptomen wie Angst, Schmerzen und Luftnot leiden, als dass sie tatsächlich
ihren eigenen Tod herbeiwünschen (Nauck et al. 2014). Sie sehnen sich oft nur
das Ende einer unerträglichen Situation herbei (Nauck et al. 2014). Sich respekt-
voll mit Todeswünschen von Patienten auseinanderzusetzen und dem Patienten
gegenüber Offenheit zu signalisieren über diese zu sprechen, gehört also auf
jeden Fall zu den ärztlichen Aufgaben und kann eine große Entlastung für den
Patienten darstellen (Nauck et al. 2014).
Aus der Sicht des Vorstandes der DGP gehört es nicht zum Grundverständ-
nis der Palliativmedizin, Beihilfe zum Suizid zu leisten oder konkrete Anleitung
zur Suizidplanung anzubieten. Während vor dem Hintergrund des Urteils des
Bundesverfassungsgerichts zum Verbot des §217 StGB vom Februar 2020
(s. Abschn. 3.1.1.2 Grundsätze von Bundesärztekammer und Bundestag zur ärzt-
lichen Sterbehilfe) über die ärztlichen Pflichten während der Sterbebegleitung
diskutiert wird, gilt nach wie vor, was Nauck et al. bereits im Jahre 2014
formulierten: Die Palliativmedizin hat einen lebensbejahenden Ansatz und bietet
„Hilfe beim Sterben, jedoch nicht Hilfe zum Sterben“ an (Nauck et al. 2014).

3.1.2 Grundlagen der Terror Management Theorie (TMT)

Ernest Becker hat dargelegt, dass „Ichbewusstsein“ die wichtigste Eigenschaft


ist, die Menschen von anderen Tieren unterscheidet (Becker 1962). Ichbewusst-
sein bedeutet, dass Menschen sich darüber im Klaren sind, dass sie lebendig sind.
Es bedeutet aber gleichzeitig die Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit, da alles
was lebt, einschließlich eines jeden Menschen, schlussendlich stirbt (Kierkegaard
1957). Das Verstehen der Unabwendbarkeit des eigenen Todes birgt das ständige
Potenzial, überwältigende Angst auszulösen (terror) (Solomon et al. 2004), da es
im Konflikt mit dem biologischen Selbsterhaltungstrieb steht.
Die Menschen haben dieses existenzielle Dilemma gelöst, indem sie
kulturelle Weltsichten entwickelt haben: menschengemachte Weltanschauungen,
die von Individuen in einer Gruppe geteilt werden (Solomon et al. 2004).
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 45

Kulturelle ­ Weltanschauungen beinhalten Erklärungen bezüglich der Ent-


stehung des Universums, Vorschriften für angemessenes Verhalten und eine
Garantie der Sicherheit für diejenigen, die sich an die Verhaltensvorschriften
halten. Die Sicherheit besteht darin, symbolische oder wörtliche Unsterblich-
keit zu erlangen. Symbolische Unsterblichkeit kann erreicht werden, indem
etwas erschaffen wird, was nach dem eigenen Tod weiterhin besteht: z. B.
eigene Kinder, neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder Kunstwerke. Wörtliche
Unsterblichkeit wird durch den Glauben an die Jenseitigkeit des Todes, z. B. als
Bestandteil vieler Religionen, gesichert (Solomon et al. 2004). Lifton hat sich
genauer mit diesem Thema befasst und fünf Modi der Immortalität beschrieben
(1979): Der biologische Modus wird durch das Fortbestehen der eigenen
Familie verkörpert, wobei der Mensch in seinen Nachkommen weiterlebt. Der
religiöse oder theologische Modus besteht aus dem Glauben an ein Leben nach
dem Tod. Der kreative Modus bedeutet Immortalität durch das Erschaffen über-
dauernder Kunstwerke, Literatur, Wissenschaft oder auch durch bescheidenere
Einflüsse auf die Menschen um einen herum. Der vierte Modus bezieht sich auf
die Natur und basiert auf der Vorstellung, dass die natürliche Umgebung eines
Menschen, die zeitlich und räumlich unbegrenzt ist, erhalten bleiben wird. Der
experientiell-transzendente Modus ist vollkommen abhängig von einem über-
sinnlichen Zustand, der so intensiv und allumfassend ist, dass Zeit und Tod
­verschwinden.
Abgesehen von der Entwicklung von und dem Leben gemäß kultureller Welt-
anschauungen, spielt auch das persönliche Selbstwertgefühl des Einzelnen eine
wichtige Rolle dabei, die Angst vor dem eigenen Tod zu mindern: Menschen
müssen davon überzeugt sein, ein wichtiger Bestandteil einer sinnerfüllten Welt
zu sein (Solomon et al. 2004). Selbstwertgefühl ist dabei abhängig von der
kulturellen Weltanschauung, weil es im direkten Zusammenhang damit steht,
wie sehr sich ein Individuum an die Maßstäbe seines Kulturkreises hält. Eigen-
schaften und Verhaltensweisen, die das Selbstwertgefühl steigern, können je nach
Kulturkreis unterschiedlich sein, da die sinngebenden Aspekte der verschiedenen
Kulturkreise und deren Weltanschauungen sich deutlich unterscheiden können.
Die Existenz von und Konfrontation mit Menschen anderer Überzeugungen kann
eine Bedrohung darstellen. Wenn nämlich die eigene Weltsicht infrage gestellt
wird, indem man auch die Ansichten anderer Menschen für gültig erklärt, wird
die Todesangst freigelegt, die vorher durch die Überzeugung von der eigenen
kulturellen Weltanschauung gemildert wurde (Solomon et al. 2004).
Effektive Angstbewältigung (terror management) angesichts der eigenen
Sterblichkeit beruht zusammenfassend auf erstens dem Vertrauen auf eine sinn-
gebende Auffassung der Realität (kulturelle Weltanschauung) und zweitens
46 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

dem Glauben daran, dass man den Anforderungen entspricht, die diese Weltan-
schauung mit sich bringt (Selbstwertgefühl) (Solomon et al. 2004).

3.1.2.1 Geschichte der TMT


Ernest Becker hat in seinen zahlreichen Veröffentlichungen in den 1960er und
1970er Jahren versucht, einen stichhaltigen Bericht darüber zu verfassen, welche
die motivationstechnischen Hintergründe des menschlichen Verhaltens darstellen.
Dabei strebte er an, eine große Anzahl vorherrschender Theorien und Forschungs-
ergebnisse aus verschiedenen psychologischen Disziplinen zu vereinen (Solomon
et al. 2004). Seine Ideen wurden zu seiner Zeit weitreichend abgelehnt. Solomon,
Greenberg und Pyszcynski stießen in den frühen 1980er Jahren zufällig auf
Beckers Werke und begannen, auf ihrer Grundlage die TMT zu entwickeln.
Aber auch ihre Ideen wurden vorerst unter dem Einwand zurückgewiesen, dass
sie nicht getestet werden könnten. So begannen die Bemühungen, die TMT
empirisch zu prüfen (Solomon et al. 2004). Die folgenden beiden von der TMT
abgeleiteten Hauptaussagen wurden zuerst untersucht und in einer Reihe von
Studien überprüft:
Self-esteem as anxiety buffer hypothesis: vorübergehend erhöhtes oder ver-
anlagungsbedingt hohes Selbstwertgefühl reduziert selbstberichtete Angst als
Reaktion auf existenzielle Bedrohungen (Greenberg et al. 1993, 1992).
Mortality salience hypothesis: wenn Menschen ihre eigene Sterblichkeit
bewusst wird, spricht man von Mortalitätssalienz (MS). Als Reaktion auf diese
Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit erhöht sich das Bedürfnis, durch den
Glauben an die eigene Weltanschauung beschützt zu werden. Nachdem MS
ausgelöst wurde, zeigten Studienteilnehmer gesteigerte Zuneigung gegenüber
Personen, die ihre Weltanschauung teilen und gesteigerte Feindseligkeit gegen-
über Personen mit anderen Weltanschauungen (z. B. Greenberg et al. 1990).
Diese überspitzte Bewertung von gleichartigen und andersartigen Mitmenschen
im Anschluss an MS wird als „worldview defense“ bezeichnet (Solomon et al.
2004). Über 270 Studien unterstützen diese Hypothese (Burke et al. 2010). Bis
auf wenige Ausnahmen wird dabei worldview defense nach MS Induktion gegen-
über denjenigen gezeigt, die die gesetzliche oder kulturelle Moral überschreiten,
die patriotische Identifikation verletzen, aber auch die soziale Zugehörigkeit
infrage stellen (Greenberg et al. 1997).
Die beiden Hypothesen können folgendermaßen verknüpft werden: worldview
defense im Anschluss an MS Induktion ist deutlich erniedrigt, oder sogar auf-
gehoben, bei Personen mit hohem Selbstwertgefühl (Arndt and Greenberg 1999).
Das erste Experiment bei dem die TMT eingesetzt wurde, hat 22
amerikanische Amtsrichter eingeschlossen (Rosenblatt et al. 1989). ­Innerhalb
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 47

eines P­ersönlichkeitsfragebogens waren bei der Hälfte der Richter zwei


Triggerfragen zum eigenen Tod und Sterben eingebettet, um MS auszulösen.
Anschließend wurde allen Richtern ein Fall vorgelegt, in dem eine Prostituierte
verhaftet wurde und sie über die Höhe der Kaution entscheiden sollten. Richter
in der Kontrollgruppe legten eine durchschnittliche Kaution von 50 $ fest, was
zu der Zeit des Experiments einem typischen Strafmaß bei Prostitution entsprach.
In der Versuchsgruppe wurde mit durchschnittlich 450 $ eine deutlich höhere
Summe gewählt. Prostitution verletzt laut der Autoren das moralische Empfinden
des durchschnittlichen Amerikaners und somit ihre Weltanschauung, weshalb
Richter, die an ihre Sterblichkeit erinnert wurden, im Rahmen der worldview
defense eine deutlich höhere Kaution veranlassten (Rosenblatt et al. 1989). Die
Wissenschaftler hatten bei diesem Versuch Richter gewählt, da diese explizit
darin ausgebildet sind, rationale und einheitliche Entscheidungen zu treffen, die
einzig auf dem vorliegenden Beweismaterial in Bezug auf existierende Gesetze
beruhen (Solomon 2008).
Die TMT wurde im Verlauf der letzten 30 Jahre seit ihrer Entstehung von
mehreren Autoren kritisiert und hinterfragt. Ausführungen hierzu finden sich im
Diskussionsteil.

3.1.2.2 Kognitiver Ablauf des Terror Managements


Laut Arndt et al. (2004) ist einer der beachtenswertesten Beiträge der kognitiven
Psychologie zum Verständnis existenzieller Prozesse die Erstellung eines
Modells, nach welchem mentale Repräsentationen (d. h. affektbesetzte innere
Vorstellungen) über assoziative Netzwerke verbunden sind. Diese Verbindungen
bilden und manifestieren sich häufig außerhalb der bewussten Wahrnehmung. Die
grundlegende Annahme ist, dass Informationen im Gedächtnis, auf bewusstem
oder unbewusstem Wege, innerhalb eines Netzes von miteinander verbundenen
Gedanken oder Erkenntnissen gespeichert werden. Bestimmte Gedanken können
daher andere Gedanken aktivieren oder bahnen, ihr Vorhandensein im Arbeits-
gedächtnis und somit auch ihren Einfluss auf die Informationsverarbeitung
erhöhen (Arndt et al. 2004). Annahmen kognitiver Abläufe wie dieser beruhen
auf der „Schema Theorie“ von Piaget, die beschreibt, dass jede Information im
menschlichen Gehirn mit einer Handlung verknüpft wird und das Handeln auf
Grundlage so geformter Handlungsschemata mit der Erwartung bestimmter
Konsequenzen einhergeht (Piaget 1971). Piaget zeichnet die kognitive kind-
liche Entwicklung von Reflexschemata über Hand-Augen-Koordination bis zu
komplexeren Schemata für Sprache und abstraktes Denken auf (Piage 1971).
Seine Sicht steht dabei im Einklang mit Neissers Auffassung, laut der aktuelle
sensorische Eingaben (Inputs) im Rahmen handlungsorientierter Wahrnehmung
48 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

durch antizipatorische Schemata gesteuert werden (Neisser 1976). Diese


Schemata definiert Neisser als Pläne für das Wahrnehmungshandeln (1976).
Die Assoziation zwischen unbewusstem Terror und symbolischen Werten
bildet sich folgendermaßen (Solomon et al. 2004): Neugeborene erfahren
zunächst noch bedingungslose Liebe, aber mit der Zeit wird diese elterliche
Zuneigung abhängig davon, ob das Kind ein bestimmtes erwünschtes Verhalten
zeigt und andere unerwünschte Verhaltensweisen unterlässt. So setzen Kinder
früh erwünschtes Verhalten mit einem sicheren Gefühl und unerwünschtes Ver-
halten mit Angst und Unsicherheit gleich, aufgrund der Vorstellung, von den
Eltern verlassen zu werden. Diese Gefühle und.
die Erfüllung ihrer Anforderungen werden später von der persönlichen
Beziehung mit den Eltern auf den Kulturkreis übertragen, wenn Kinder verstehen,
dass ihre Eltern weder unfehlbar noch unsterblich sind (Solomon et al. 2004).
Auf diese Weise wird eine Verbindung hergestellt zwischen Todesgedanken und
Gedanken, die auf Sinn und Bedeutung hinweisen. Kinder lernen den Zusammen-
hang zwischen Linderung der Angst und dem Gefühl für Sinn, welcher von einer
symbolischen Welt abgeleitet wird (Arndt et al. 2004).
Im Laufe der Entwicklung nimmt das Wissen um die eigene Sterblichkeit
einen prominenten und tief verankerten Platz innerhalb eines größeren Netzwerks
von Wissensstrukturen ein, welches aus Überzeugungen besteht, die dem Selbst-
schutz dienen. Der Abb. 3.2 ist die genaue Funktionsweise dieses auf den Tod
bezogenen Netzwerks zu entnehmen.
Zusammengefasst lässt sich der Ablauf folgendermaßen darstellen: Gedanken
an den Tod können durch eine Vielzahl von Situationen hervorgerufen werden
(Arndt et al. 2004). Durch Aktivierung des kognitiven Netzwerks werden dann
zwei Abwehrsysteme eingeschaltet: die proximale und distale Abwehr. Die
proximale Abwehr wird auch als direkte Abwehr bezeichnet und die distale auch
als symbolische. Todesgedanken passieren zunächst die proximale Abwehr, bei
welcher Bedrohungen durch rationale Strategien minimiert und letztlich aus
dem aktuellen Fokus der Aufmerksamkeit entfernt werden. Das führt dazu, dass
Todesgedanken anfangs schwer zugänglich sind. Später steigt diese Zugänglich-
keit außerhalb der bewussten Wahrnehmung, wodurch das symbolische System
eingeschaltet wird und jene Überzeugungen aktiviert werden, welche die Welt mit
Sinn und Bedeutung füllen. Durch das gesteigerte Bewusstwerden dieser Über-
zeugungen lösen unbewusste Todesgedanken dann die distale Abwehr aus: auf
Erfahrung beruhende, indirekte Strategien, um das Vertrauen in die kulturelle
Weltanschauung zu stärken. Nach erfolgreicher Beteiligung der symbolischen
Abwehr wird die relative psychologische Gelassenheit wiederhergestellt (Arndt
et al. 2004).
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 49

Abb. 3.2 Kognitiver Ablauf des Terror Managements (nach Arndt et al. 2004)

Passend zu diesem Modell konnte in Studien gezeigt werden, dass MS


Effekte nicht auftreten, wenn Teilnehmer sich rational mit Informationen (Todes-
gedanken) auseinandersetzen, dafür aber, wenn die Informationsverarbeitung
intuitiver erfolgt (Simon et al. 1997).
Im Folgenden soll auf die einzelnen Elemente des kognitiven Ablaufs des
Terror Managements ausführlich eingegangen werden (vgl. Abb. 3.2).
50 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Provokation von Todesgedanken: In Studien wurde deutlich, dass zur


Provokation von Todesgedanken diverse Stimuli genutzt werden können, auf-
grund der hohen Empfindlichkeit von Menschen, was dieses Thema anbelangt
(Arndt et al. 2004). Ursprünglich wurde zur MS Induktion ein Fragebogen
entworfen, bei welchem Studienteilnehmer zwei offene Fragen beantworten
mussten: „Bitte beschreiben Sie kurz die Emotionen, die der Gedanke an Ihren
eigenen Tod in Ihnen auslöst.“ und „Bitte notieren Sie so spezifisch wie mög-
lich, was Sie denken, was mit Ihnen passiert, wenn Sie körperlich sterben.“
(Rosenblatt et al. 1989). Es hat sich aber herausgestellt, dass auch unbewusste
oder subtile Erinnerungen an die eigene Sterblichkeit (außerhalb der bewussten
Wahrnehmung) als Trigger verwendet werden können (Arndt et al. 2004). So
konnte beispielsweise das unbewusste Ausgesetztsein von Studienteilnehmern
gegenüber den Wörtern „death“ oder „dead“ die Zugänglichkeit zu mit dem
Tod verwandten Gedanken erhöhen. Derselbe Effekt wurde durch die räumliche
Nähe zu einem Bestattungsinstitut erzielt (Pyszczynski et al. 1996). Aber nicht
nur Stimuli, die offensichtlich mit dem Tod verknüpft sind, rufen auf den Tod
bezogene Bedenken hervor, sondern auch eine Vielzahl anderer Situationen. Das
gilt besonders für Situationen, die einen Zusammenbruch der psychologischen
Angstdämpfer bedeuten (Arndt et al. 2004). Die Mechanismen, die normaler-
weise die Zugänglichkeit zu Todesgedanken minimieren, können veranlagungs-
bedingt (z. B. Neurotizismus (Goldenberg et al. 1999)) oder situationsgebunden
(z. B. Beziehungsprobleme in Erinnerung rufen; enge Beziehungen fungieren als
Angstdämpfer (Mikulincer et al. 2002)) beeinträchtigt sein. Trigger müssen also
nicht im offensichtlichen Zusammenhang mit dem Tod stehen.
Direkte Abwehr: Die ersten Hinweise darauf, dass Menschen eine Form von
direkter Abwehr als Reaktion auf explizite Provokation von Todesgedanken
nutzen, lieferten Studien, in denen herausgefunden wurde, dass die Zugäng-
lichkeit zu Todesgedanken direkt nach einer Auseinandersetzung mit dem Tod
gering ist. Zu diesem Zeitpunkt zeigt sich auch keine worldview defense. Die
Zugänglichkeit zu Todesgedanken und worldview defense erhöht sich jedoch,
wenn die Studienteilnehmer mit einer Verzögerung oder Ablenkung konfrontiert
wurden, z. B. dem Vervollständigen eines harmlosen Wortsuche-Rätsels
(Greenberg et al. 1994). Wie aber funktioniert diese direkte Abwehr, die den
Zugriff auf Todesgedanken anfänglich erschwert? Eine der offensichtlicheren
Reaktionen, um Todesgedanken aus dem aktuellen Aufmerksamkeitsschwer-
punkt zu entfernen ist es, die Situation zu verlassen, die Besorgnis bezüglich
des eigenen Todes auslöst. Unter Umständen ist dies aber nicht möglich (Arndt
et al. 2004). Ein anderer psychologischer Mechanismus, der verwendet wird, um
ungewollte Gedanken nicht zu denken, ist Verleugnung. Zur Verleugnung werden
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 51

a­usreichende mentale Ressourcen zur Verarbeitung benötigt. Wenn Studien-


teilnehmern diese Ressourcen genommen wurden, indem sie eine elfstellige
Nummer auswendig lernen sollten, konnte eine erhöhte Zugänglichkeit zu Todes-
gedanken und worldview defense schon direkt nach MS Induktion nachgewiesen
werden (Arndt et al. 1997b). Ein weiterer Abwehrmechanismus um sich mit der
bewussten Wahrnehmung von Tod auseinanderzusetzen, ist die Verleugnung der
eigenen Betroffenheit (Arndt et al. 2004). Während eingesehen wird, dass andere
Menschen jederzeit sterben könnten, bildet sich dabei eine „nicht ich, nicht jetzt“-
Reaktion (Chaplin 2000). Dieser Abwehrmechanismus hat auch zur Folge, dass
Verletzlichkeit gegenüber jenen Risikofaktoren geleugnet wird, die mit einem
frühen Tod assoziiert werden (z. B. mangelnde Bewegung, ausgedehntes Sonnen-
baden).
Bewusste Gedanken an den Tod bewirken das direkte Bestreben, die
Bedrohung zu minimieren, die das Bewusstwerden der eigenen Sterblichkeit dar-
stellt. Die beschriebenen Formen der Abwehr, wie z. B. Verdrängung, auf die zu
diesem Zweck zurückgegriffen werden, sind aber unnötig, sobald Gedanken an
den Tod kein bewusstes Problem mehr darstellen (Greenberg et al. 2000). Wenn
es um TMT geht, liegt der Fokus der Forschung darauf, wie Gedanken, die den
Tod betreffen auf einem unbewussten Level funktionieren.
Symbolische Abwehr: Die unbewusste Auseinandersetzung mit Gedanken zum
Thema Tod und Sterben, wie sie z. B. nach Verzögerung und Ablenkung auftritt,
ruft die symbolische/distale Abwehr auf den Plan. Die distale Abwehr führt bei-
spielsweise zum Streben nach Selbstbewusstsein und aggressiven Reaktionen
gegenüber denjenigen, welche die eigenen symbolischen Überzeugungen infrage
stellen (d. h. worldview defense). In einer Studie gaben Teilnehmer, unabhängig
von der Relevanz von Fitness für ihr Selbstbewusstsein, während der direkten
Abwehrphase eine erhöhte Absicht an, mehr zu trainieren. Nach einer Ver-
zögerung zeigte sich aber nur bei den Teilnehmern ein erhöhtes Trainingsvor-
haben, bei denen Fitness relevant für das Selbstbewusstsein war (Arndt et al.
2004). Ein ähnlicher Effekt wurde in einer anderen Studie im Zusammenhang mit
Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor nachgewiesen: direkt im Anschluss an
MS Induktion befürworteten Studienteilnehmer Sonnencreme mit hohem Licht-
schutzfaktor. Nach einer Verzögerung war eine geringere Unterstützung von
sicherem Sonnenschutz bei denjenigen zu sehen, für die gebräuntes Aussehen
eine wichtige Rolle für das Selbstbewusstsein spielte (Routledge et al. 2004).
In einer weiteren Studie wurden amerikanische Teilnehmer subliminal mit den
Wörtern „death“ (Versuchsgruppe) oder „field“ (Kontrollgruppe) konfrontiert,
die für kurze Zeit (43 oder 28 MS) auf einem Computerbildschirm präsentiert
wurden. Bei Teilnehmern in der Versuchsgruppe, bei denen Todesgedanken
52 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

getriggert wurden, war ein erhöhter pro-American bias zu sehen. Wenn das
Triggerwort allerdings so lange gezeigt wurde, dass es bewusst wahrgenommen
werden konnte, trat keine sofortige Erhöhung der worldview defense auf (Arndt
et al. 1997a).
Reduktion der Zugänglichkeit zu Todesgedanken: Abschließend wurde
bewiesen, dass eine dauerhafte Reduktion der Zugänglichkeit zu Todesgedanken
und somit die Wiederherstellung relativer psychologischer Gelassenheit erreicht
werden kann, wenn Menschen die Gelegenheit gegeben wird, ihre Weltan-
schauung zu verteidigen (Arndt et al. 1997b) oder ihr Selbstbewusstsein zu
stärken (Mikulincer and Florian 2002).

3.1.2.3 Verteidigung der Weltanschauung


Welche Aspekte der Weltanschauung werden eigentlich verteidigt? Obwohl
Frauen in vielen Studien (Arndt et al. 2001, 1997a; Dechesne et al. 2000) durch-
weg mit erhöhtem pro-American bias auf MS reagierten, haben andere Studien
offen gelegt, dass die Zugänglichkeit zu patriotischen Themen nach MS bei
Frauen im Gegensatz zu Männern nicht spontan erhöht ist (Arndt et al. 2002).
Spontan zugänglich werden nämlich die wichtigsten Sicherheit-gebenden
Aspekte der Weltanschauung. Hier zeigte sich ein geschlechtsspezifischer Unter-
schied bei amerikanischen Männern und Frauen: MS erhöhte in Studien die
Zugänglichkeit zu patriotischen Themen bei Männern und romantischen Themen
bei Frauen (Greenberg et al. 1997). Der Grund, warum aber auch bei Frauen
ein gesteigerter pro-American bias provoziert werden konnte, liegt darin, dass
neben den elementarsten Aspekten der eigenen Weltanschauung auch weitere
Aspekte zugänglich werden, wenn diese in den Fokus der Aufmerksamkeit
gerückt werden. In jeder Studie zum Thema worldview defense wird das zu ver-
teidigende Element der Weltanschauung (hier z. B. Nationalstolz) vorher hervor-
gehoben durch beispielsweise eine Vignette, die sich mit einem bestimmten
Verstoß befasst. Es kommt also nicht nur auf den bevorzugten Gegenstand der
Verteidigung (Patriotismus, romantische Beziehungen) eines Individuums an,
sondern auch auf situationsbedingte Faktoren, die manche Überzeugungen
zugänglicher machen als andere (Arndt et al. 2004).
Obwohl TMT Studien in über 25 Ländern durchgeführt wurden, bezieht der
größte Teil der Forschung sich auf Menschen aus westlichen Kulturkreisen.
Martin und van den Bos kritisieren, dass die TMT Kultur pauschalisiert und über
kulturelle Unterschiede hinwegsieht (2014). Pyszczyski et al. hingegen legen dar,
dass die TMT davon ausgeht, dass Angst vor dem Tod sowie das Zurückgreifen
auf kulturelle Wertsysteme allgemeingültig sind, wobei die Inhalte dieser Wert-
systeme aber als kulturspezifisch angesehen werden (2015). Während Menschen
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 53

aus individualistischen Kulturen nach MS bestrebt sind, ihren individuellen


Wert zu erhöhen, reagieren Menschen aus kollektivistischen Kulturen mit
Anstrengungen zur Erhöhung des kollektiven Wertes (Kashima et al. 2004).
Neben kulturellen Unterschieden wie diesen hat sich allerdings auch heraus-
gestellt, dass sich bestimmte TMT Effekte kulturübergreifend bestätigen: in
allen asiatischen Ländern, in denen Studien durchgeführt wurden, zeigte sich
auf MS Induktion folgend (ähnlich wie in westlichen Kulturen) u. a. ein erhöhter
Nationalismus, negative Bewertung von Personen, welche die eigene Kultur
kritisieren, vermehrte Befürwortung militärischer Kampfmaßnahmen zur Ver-
teidigung des eigenen Landes und Ingroup Bias bei Stellenvergaben (Park und
Pyszczynski 2016).

3.1.2.4 Bevorzugung der Ingroup


In Situationen existenzieller Bedrohung ist die Identifikation mit der Ingroup ent-
scheidend, da die Ingroup die kulturelle Weltsicht eines Menschen repräsentiert
(Jonas und Fritsche 2013). Zugehörigkeit zu einer kulturellen Gruppe bedeutet,
Teil einer unsterblichen gemeinsamen Einheit zu sein (Castano und Dechesne
2005). Identifikation mit der Ingroup ist positiverweise assoziiert mit ingroup
favoritism: die TMT legt nahe, dass Menschen Mitglieder ihrer Ingroup positiv
bewerten, da ähnliche Andere die eigene kulturelle Weltsicht unterstützen und
somit validieren (Hewstone et al. 2002). Selbsteinstufung als Mitglied einer
Ingroup führt aber im Umkehrschluss auch dazu, dass Menschen sich von der
Outgroup distanzieren (Turner et al. 1987). Das erklärt, warum Erinnerungen an
den Tod dazu führen, dass Menschen ihre Ingroup bevorzugen und sowohl die
Outgroup als auch Leute, welche die Ingroup kritisieren, abwerten (Jonas und
Fritsche 2013).
In einer Studie wurden Teilnehmer mit einem christlichen Hintergrund
gebeten, sich Meinungen über eine christliche und eine jüdische Zielperson zu
bilden. MS hat dabei zu positiveren Bewertungen des Mitglieds der eigenen
Ingroup, dem Christen, und negativeren Bewertungen des Juden als Outgroup-
Mitglied geführt (Greenberg et al. 1990).
Andere Untersuchungen ergaben, dass Menschen nach MS ihre sport-
liche Fangemeinde verstärkt unterstützen und vermehrt an ihrer nationalen oder
geschlechtlichen Ingroup festhalten, während sie der Outgroup negativere, stereo-
type Beurteilungen und stärkere Schuld zuschreiben (Jonas und Fritsche 2013).
So bekamen beispielsweise amerikanische Studienteilnehmer nach MS einen Fall
zu lesen, in dem im Anschluss an einen Autounfall vom Autofahrer entweder ein
amerikanischer oder ein japanischer Autohersteller verklagt wurde. Die Ergeb-
nisse zeigten, dass durch MS ein nationalistic bias hervorgerufen wurde, der
54 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

dazu führte, dass die Schuld eher der Firma zugewiesen wurde, wenn es sich um
den japanischen Autohersteller handelte und eher dem Fahrer, wenn von einem
amerikanischen Autohersteller ausgegangen werden konnte (Nelson et al. 1997).
Ein anderes Experiment hat intergroup bias zwischen minimal groups unter-
sucht: nachdem die Studienteilnehmer in Gruppen eingeteilt wurden, mussten sie
Persönlichkeitseigenschaften der Ingroup und der Outgroup beurteilen. Nach MS
zeigte sich dabei ein gesteigerter intergroup bias (Harmon-Jones et al. 1996).

3.1.2.5 Nicht-aggressives Verhalten nach Mortalitätssalienz


Im Anschluss an MS verteidigen Menschen jene Ideen und Verhaltensweisen,
von denen sie glauben, dass sie ihnen von ihrer kulturellen Weltanschauung
und der Gruppe, zu der sie gehören, vorgeschrieben werden. Das bedeutet,
dass Menschen nicht einfach feindseliger werden, wenn ihre Existenz bedroht
wird (Jonas und Fritsche 2013). Stattdessen fördert MS die Befolgung kollektiv
geteilter Normen. Diese Normen müssen nicht notwenigerweise aggressiv sein.
Die meisten kulturellen Gruppen werden durch eine große Anzahl von Normen
charakterisiert, die sie in ihrem Denken und Handeln in verschiedene Richtungen
leiten (Jonas und Fritsche 2013).
Das Nebeneinander unterschiedlicher Normen wird beispielsweise durch
die Debatte um den Bau einer Moschee in der Nähe von Ground Zero verdeut-
licht. Was soll ein „guter Amerikaner“ davon halten? Manche könnten sagen,
dass es sich für einen Patrioten gehört, den Bau zu verhindern, da Amerika
sich im Konflikt mit radikalem Islamismus befindet. Andere könnten denken,
es sei die Pflicht eines jeden Amerikaners, den Bau zu gestatten, aufgrund von
verfassungsmäßig festgelegten Werten wie Toleranz und Freiheit (Jonas und
Fritsche 2013).
Die kulturellen Weltanschauungen, die unter Bedrohung verteidigt werden,
sind also relativ. Sie sind abhängig davon, welche Auffassung ein jeder Mensch
davon hat, was einen guten Menschen (persönliche Norm) oder ein gutes Mit-
glied der kulturellen Ingroup (Ingroup Norm) ausmacht (Jonas und Fritsche
2013). Welche dieser Normen das Verhalten in der jeweiligen Situation vor-
schreiben, hängt davon ab, auf welche persönliche oder soziale Norm auf
Anhieb zurückgegriffen wird. Viele Weltsichten enthalten Normen und Werte,
die harmonisches Verhalten fördern, indem sie Hilfe, Fairness und Gleich-
berechtigung ebenso wie Empathie und Mitgefühl vermitteln (Jonas und
Fritsche, 2013). Existenzielle Bedrohung motiviert Menschen, sich an spontan
hervorstechende kulturelle Normen zu halten. Abhängig davon, welcher Aspekt
ihrer kulturellen Weltanschauung in einer spezifischen Situation aktiviert wird,
reagieren Menschen also nicht einfach nur mit Feindseligkeit auf Outgroup
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 55

­ itglieder. Sie zeigen entgegengesetzte Tendenzen, wenn Normen aktiviert


M
werden, die Fairness oder Pazifismus anregen (Jonas und Fritsche 2013).
Obwohl häufig widersprüchliche Normen innerhalb der kulturellen Weltan-
schauung eines Menschen nebeneinander bestehen, legt die TMT Forschung
nahe, dass die Norm, nach der ein Mensch sich nach MS richtet, diejenige ist, die
zu jedem gegebenen Zeitpunkt am prominentesten im Bewusstsein ist (Jonas und
Fritsche 2013).
Laut Solomon et al. (2004) ist Terror Management von Natur aus weder gut
noch schlecht. Es ist abhängig von den durch die Weltanschauung des Einzelnen
vermittelten Werten und dem Weg zu Selbstbewusstsein, die sie vorschreiben. Die
TMT deutet an, dass Weltanschauungen dahingehend bewertet werden können,
in welchem Ausmaß sie einen überzeugenden Sinn und einen gut erreichbaren
Zugang zu Selbstwertgefühl mit minimalen Kosten für Individuen innerhalb
und außerhalb des Kulturkreises bieten (Pyszczynski et al. 2003; Solomon et al.
1991). Die in diesem Sinne funktionalsten Weltanschauungen sind aus Sicht der
Autoren diejenigen, welche Toleranz fördern und andersartige Menschen wert-
schätzen, flexibel und offen gegenüber Veränderungen sind und Wege ermög-
lichen, Selbstbewusstsein zu erlangen, ohne Andere zu verletzen (Solomon et al.
2004). Fundamentalistische Weltanschauungen egal welcher Art stellen hingegen
Gegenteile idealer Weltanschauungen dar (Solomon et al. 2004).

3.1.2.6 Jenseits der Notwendigkeit für Terror Management


Die Arbeit der Terror Management Theoretiker macht auf die Abwehrreaktionen
aufmerksam, die angesichts von Erinnerungen an die eigene Sterblichkeit
und Verletzbarkeit auftreten. Die durch diese Erinnerungen wahrgenommene
Bedrohung führt dazu, dass Menschen an ihren kulturellen Ideologien und
Bräuchen festhalten (Janoff-Bulman und Yopyk 2004). Überlebende von lebens-
bedrohenden Ereignissen (z. B. Krebs im Endstadium, Autounfällen, Abstürzen,
beinahe Ertrinken) sind aber dazu gezwungen, sich mit ihrer Sterblichkeit nicht
nur theoretisch auseinanderzusetzen, sondern auch auf eine intensiv emotionale,
zutiefst auf eigenen Erfahrungen beruhenden Art und Weise. Angesichts eines
solch überwältigenden Angriffs sind gewöhnliche Abwehrreaktionen macht-
los (Janoff-Bulman und Yopyk 2004). Trotzdem ist es diese dramatische Unter-
grabung der Weltsicht eines Überlebenden, die nicht nur zur Akzeptanz der
menschlichen Sterblichkeit und Verletzbarkeit führt, sondern auch ein Gefühl
der menschlichen Bedeutsamkeit erzeugt. So schmerzhaft es sein mag, ein
lebensbedrohendes Trauma ist auch ein Weg zur Wertschätzung des Lebens
(­Janoff-Bulman und Yopyk 2004).
56 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Eine der meist verbreitetsten Folgeerscheinungen einer Nahtoderfahrung


ist eine verminderte Angst der Überlebenden vor Tod und Sterben (Greyson
1992; Noyes 1983). Menschen, die glauben, ihr Tod ist unmittelbar bevor-
stehend oder die dachten, sie seien tatsächlich gestorben, berichten häufig,
dass die Annäherung an den Tod sich mehr wie ein Loslassen als wie eine Ver-
nichtung angefühlt hat (Martin et al. 2004). Zwei Faktoren scheinen für die
reduzierte Angst entscheidend zu sein: Zum einen die sichere Überzeugung
des Überlebenden, dass der Tod unmittelbar bevorsteht. Je intensiver Über-
lebende diesen Gedanken erleben, desto positivere Nachwirkungen erfahren sie
(Greyson und Stevenson 1980; Roberts und Owen 1988). Zum anderen spielt eine
akzeptierende Haltung eine große Rolle. Menschen, die eine offene Einstellung
gegenüber der Möglichkeit ihres Todes haben, zeigen mehr Anzeichen von
persönlichem Wachstum als diejenigen, die um ihr Überleben gekämpft haben
(Noyes Jr 1980). Diese Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass die Angst
vor dem Tod am meisten sinkt, wenn Menschen dem Tod ins Auge geblickt haben
und dachten: „Das ist es. Hier endet es. Genau hier, genau jetzt, genau so. Und
das ist in Ordnung.“ (Martin et al. 2004). Diese Schlussfolgerung passt zu der
existenziellen Annahme, dass eine ernsthafte Anerkennung der Gewissheit des
eigenen Todes positive Folgen haben kann, inklusive einer Minderung der Angst
vor dem Tod (Martin et al. 2004).
Eine weitere bekannte Folgeerscheinung eines lebensbedrohenden Ereig-
nisses ist, dass Überlebende sich weniger mit extrinsischen, kulturellen Werten
befassen, sondern sich vermehrt zu intrinsischen, persönlichen Werten bekennen
(Flynn 1984; Ring 1984; Sutherland 1990). Nachdem Menschen mit beispiels-
weise einer unheilbaren Krankheit die Gewissheit ihres Todes anerkannt haben,
neigen sie dazu, sich mehr darum zu kümmern, wer und was sie als einzigartiges
Individuum sind, statt sich auf kulturell konditionierte Standards zu verlassen. Sie
machen sich weniger Sorgen um die Meinung anderer, lassen sich weniger leicht
einschüchtern und kümmern sich weniger um Materialismus, Ruhm und Geld.
Da sie weniger Druck empfinden, kulturellen Anforderungen zu entsprechen,
erfahren diese Menschen ein Gefühl der Freiheit und Vergebung (Martin et al.
2004). Wie ein Überlebender einer Nahtoderfahrung es ausgedrückt hat: „Als ich
davon zurückkam, habe ich es wirklich verstanden. Ich hatte das echte Gefühl zu
verstehen, dass ich ein guter Mensch bin und alles was ich tun muss ist, ich selbst
zu sein.“ (Ring 1984).
Die dritte häufig erwähnte Folgeerscheinung, die man bei Menschen sieht,
die dem Tod nahe gekommen sind, ist, dass sie das Leben wie ein Geschenk
behandeln und versuchen, es nicht zu verschwenden (Martin et al. 2004). Sie
zeigen eine größere Wertschätzung von Natur und den kleinen Dingen im Leben,
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 57

wie z. B. der Betrachtung eines Sonnenuntergangs oder der Umarmung eines


Kindes (Jordan 2001).
Es wird deutlich, dass Menschen ein positives Leben führen können, nach-
dem sie ihre Sterblichkeit anerkannt haben (Martin et al. 2004). Ernsthafte
Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit kann befreiende Effekte haben, die
persönliches Wachstum und Lebenszufriedenheit ermöglichen, anstelle von ver-
stärkter Verteidigung kultureller Weltsichten. Solomon et al. schließen, dass es
also vielleicht Situationen gibt, in denen Menschen über die Notwendigkeit von
Terror Management hinauswachsen (2004). Laut Janoff-Bulman und Yopyk ist es
eine zukünftige Aufgabe für Psychologen herauszufinden, wie man ein solches
Leben führen kann, ohne traumatische Lebenserfahrungen gemacht zu haben
(2004).

3.1.3 Metaanalysen zur TMT

Burke et al. haben in ihre Metaanalyse (2010) 164 Veröffentlichungen


mit insgesamt 277 TMT Experimenten eingeschlossen. Sie zeigen, dass
Mortalitätssalienz insgesamt moderate Effekte erzielt (r = 0.36) (Burke et al.
2010). Dabei vergrößert sich der Effekt, wenn in der Studie amerikanische Teil-
nehmer, Studenten, eine längere Verzögerungszeit zwischen MS Induktion und
der abhängigen Variable und Einstellungen gegenüber Personen als abhängige
Variable verwendet werden (Burke et al. 2010). Die meisten TMT Experimente
(83 %) testen, wie die hier vorliegende Studie, die Mortalitätssalienz Hypothese.
Von den 277 Experimenten sind bei 221 (also 80 %) die Effekte statistisch signi-
fikant (Burke et al. 2010).
In ihrer Metaanalyse untersuchen Burke et al. (2010), welche Charakteristiken
für die unterschiedlichen MS Effektstärken bei den Studien verantwortlich sind.
Das prototypische MS Experiment besteht dabei aus 87 Teilnehmern (53 weib-
lich, 34 männlich) mit einem Durchschnittsalter von 22 Jahren. Nach ein bis
zwei standardisierten Fragebögen, deren Funktion die Ablenkung der Teilnehmer
ist, wird MS in der Versuchsgruppe durch eine Aufgabe wie beispielsweise das
Ausfüllen des Mortality Attitudes Personality Survey (Rosenblatt et al. 1989)
manipuliert. Nach einer Verzögerung (typischerweise zwei bis sechs Minuten),
während derer die Teilnehmer weitere Lückenfüller-Maßnahmen absolvieren,
misst die abhängige Variable die Haltung der Studienteilnehmer gegenüber einer
Person, die ihrer Weltsicht widerspricht (Burke et al. 2010).
Es stellt sich heraus, dass die Effekte bei den Studenten signifikant größer sind
als in den nicht-studentischen Stichproben (Burke et al. 2010). Außerdem spielt
58 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

die Region, in der die Studie durchgeführt wurde, eine Rolle: MS Manipulationen
haben eine signifikant stärkere Auswirkung auf Amerikaner als auf Europäer,
Israelis oder Asiaten (Burke et al. 2010). Die Art des Triggers beeinflusst den
MS Effekt nicht signifikant (Burke et al. 2010). Es macht keinen Unterschied
für die Effektstärke, ob in der Kontrollgruppe statt des MS Triggers ein bedroh-
liches/negatives (aber nicht mit dem Tod verwandtes), ein positives oder neutrales
Thema oder überhaupt keines verwendet wird (Burke et al. 2010). Hätten bedroh-
liche Themen wie Schmerz oder Lähmung zu geringeren MS Effekten geführt,
wäre dies ein Hinweis darauf, dass die Einzigartigkeit der durch Gedanken an
den Tod ausgelösten Angst eher quantitativer als qualitativer Natur ist (Burke
et al. 2010). Bezüglich der abhängigen Variable verändert MS die Haltung gegen-
über Personen signifikant mehr als andere Einstellungen (Burke et al. 2010). Die
Länge der Zeitverzögerung zwischen MS Induktion und der abhängigen Variable
ist insofern relevant, als dass eine längere Verzögerung zu einem größeren Effekt
führt (Burke et al. 2010).
In einer zweiten Metaanalyse von Yen und Cheng (2013) wurden die Daten
der Metaanalyse von Burke et al. (2010) reanalysiert und erforscht, inwieweit
ein Untersuchereffekt (researcher effect) für die erheblichen MS Effekte ver-
antwortlich sind. Burke et al. (2010) haben herausgestellt, dass der MS Effekt bei
amerikanischen Studienteilnehmern größer ist als bei europäischen, israelischen
oder asiatischen und diskutieren kulturelle Unterschiede als mögliche Ursache.
Yen und Cheng (2013) legen dahingegen einen Untersuchereffekt nahe: die
Gründer der TMT (Jeff Greenberg, Tom Pyszczynski und Sheldon Solomon)
haben an insgesamt 60 Papers und 114 Experimenten mitgewirkt. Das sind 37 %
der Papers und 41 % der Experimente, die in die Metaanalyse eingeschlossen
wurden (Yen und Cheng, 2013). Da Forscher innerhalb eines Teams dieselben
Versuchsdurchführungen, Materialien, Stichproben Quellen und Erwartungen
an die Forschungsergebnisse teilen, interkorrelieren ihre Experimente mehr als
solche, die nicht vom selben Team durchgeführt werden (Rosenthal 1990).
Yen und Cheng (2013) unterteilen in drei Forschungsteams: „Team A“, dem
u. a. die Gründer der TMT zugeordnet sind, bei welchem der Großteil der Studien
in Amerika durchgeführt wurden. „Team I“ bei dem der Großteil der Studien aus
Israel stammt und „Team O“ (i.e. others) für weitere Forscher anderer Teams. Es
zeigt sich, dass 52 % aller Experimente auf Team A zurückzuführen sind, 13 %
auf Team I und 34 % auf Team O. Während die mittlere Effektstärke für alle
Studien mit r = 0.36 angegeben wurde (Burke et al. 2010), können signifikante
Unterschiede zwischen den einzelnen Teams hervorgehoben werden. Die mittlere
Effektstärke von Team A (r = 0.411) ist größer als die von Team I (r = 0.297) oder
Team O (r = 0.301) (Yen und Cheng 2013). Der Untersuchereffekt auf die MS
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 59

Effekte war dabei unabhängig von dritten Variablen (Studenten/nicht-studentische


Stichproben, Verzögerungszeit) (Yen und Cheng 2013).
Yen und Cheng (2013) stellen fest, dass Team I und Team O selbst dann nicht
so große Effekte wie Team A hervorbringen konnten, wenn sie amerikanische
Teilnehmer verwendeten, was bedeutet, dass der moderierende Effekt von
Kultur (Burke et al. 2010) eher vom Forschungsteam als der Herkunft der
Stichprobe abhängig ist (Yen und Cheng 2013). Zusätzlich wurde im Gegen-
satz zu den anderen beiden Teams bei Team A eine signifikante Tendenz zum
Publikationsbias entdeckt (Yen und Cheng2013).
Nichtsdestotrotz liegt die Effektstärke des MS Effekts auch dann oberhalb des
mittleren Effekts, wenn nur Team I und Team O berücksichtigt werden. Diese
Ergebnisse legen erhebliche MS Effekte nahe.

3.1.4 Beeinflussung der Patientenversorgung durch die


TMT

Arndt et al. (2009) haben in den USA eine Studie durchgeführt, deren Ziel es war
herauszufinden, ob die Provokation von Gedanken an die eigene Sterblichkeit bei
Medizinstudenten dazu führt, dass sie das Herzrisiko bei einem fiktiven christ-
lichen Patienten vorsichtiger einschätzen als bei einem muslimischen Patienten.
In einer Online-Umfrage haben die 47 teilnehmenden Medizinstudenten ent-
weder Fragen über ihre Sterblichkeit (Versuchsgruppe) oder über Zukunfts-
unsicherheit (Kontrollgruppe) beantwortet. Anschließend bekamen sie fiktive
Aufnahmeformulare von der Notaufnahme vorgelegt, in denen entweder ein
christlicher oder ein muslimischer Patient über Brustschmerzen klagte. Die
Studenten wurden nachfolgend gebeten, das Risiko für koronare Herzkrankheit,
Herzinfarkt und das kombinierte Risiko für das Eintreten eines der beiden Ereig-
nisse einzuschätzen. Diese Risikobeurteilungen sind essenziell, da sie den ersten
Schritt im Triage Prozess darstellen, wovon die weiteren Behandlungsschritte
abhängen (Reyna und Lloyd 2006). Es zeigte sich, dass Medizinstudenten nach
der Erinnerung an ihre Sterblichkeit das Herzrisiko des christlichen Patienten als
ernster einstuften und das Herzrisiko des muslimischen Patienten als weniger
gravierend (Arndt et al. 2009).
Auseinandersetzungen mit der eigenen Endlichkeit können also einen
Bias in der Risikobeurteilung von Patienten hervorrufen, da Mitarbeiter in der
medizinischen Versorgung auf ihre kulturelle Identifikation zurückgreifen, um das
Bewusstsein der Sterblichkeit psychologisch zu bewältigen. Die Tatsache, dass
worldview defense einen Effekt auf die medizinische Risikobeurteilung gezeigt
60 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

hat, weist auf potenziell ernste Konsequenzen hin, besonders, da viele Situationen
in der medizinischen Versorgung Bedenken bezüglich der eigenen Sterblichkeit
hervorrufen können (Arndt et al. 2009). So haben frühere Forschungsergebnisse
bewiesen, dass die Konfrontation mit medizinischen Angelegenheiten, wie bei-
spielsweise Gedanken an Krebs oder die Durchführung einer Brustuntersuchung,
die Zugänglichkeit zu Todesgedanken erhöhen können (Arndt et al. 2007;
Goldenberg et al. 2008).
Arndt et al. (2009) diskutieren, dass bei diesem Experiment Medizinstudenten
und keine voll ausgebildeten Ärzte, die mehr Erfahrung mit dem Tod haben,
einbezogen wurden. Sie weisen aber darauf hin, dass Medizinstudenten die
zukünftigen Ärzte repräsentieren und die Ergebnisse der Medizinstudenten im
dritten und vierten Jahr ihrer Ausbildung sich nicht von Studierenden in ihren
ersten zwei Ausbildungsjahren unterschieden.
Die Studie von Arndt et al. (2009) ist die erste, welche die Untersuchungen zur
Auslösung von Todesangst bei medizinischem Fachpersonal um den Aspekt der
Auswirkung auf das medizinische Urteilsvermögen erweitert und somit auf den
Einfluss von subtilen psychologischen Unsicherheiten auf professionelle Risiko-
bewertungen und daher auch Behandlungsempfehlungen hindeutet.
Einem weiteren Hinweis dafür, wie die Patientenversorgung durch die
TMT beeinflusst werden könnte, sind Smith und Kasser nachgegangen (2014).
Sie haben zwei Experimente durchgeführt, um zu untersuchen, wie sich
Mortalitätssalienz auf das Verhalten gegenüber Menschen mit terminaler Krebs-
erkrankung auswirkt (Smith und Kasser 2014). Hierbei wurde allerdings kein
(angehendes) medizinisches Fachpersonal, sondern die Normalbevölkerung
befragt. Die Autoren stellten die Hypothese auf, dass die Studienteilnehmer
sich von einer Person mit Krebs im Endstadium mehr distanzieren würden als
von einer Person mit Arthritis (Smith und Kasser 2014). In der ersten Studie
bewerteten Erwachsene, wie ähnlich ihre Persönlichkeit derer einer Zielperson
ist und in der zweiten Studie wurden die Teilnehmer gebeten, als Vorbereitung
für ein Treffen mit der Zielperson zwei Stühle aufzustellen. Beide Studien
zeigten eine Distanzierung von der Person mit der terminalen Krebserkrankung,
die noch zunahm, wenn die Teilnehmer vorher einen Text über ihren eigenen
Tod schreiben mussten (im Gegensatz zum Schreiben einer Rede über ein
freies Thema) (Smith und Kasser 2014). Laut Schulz-Quach bestätigen Experi-
mente wie diese die klinische Erfahrung, dass der Kontakt mit sterbenskranken
Patienten oft schwer auszuhalten ist, besonders wenn keine interventionellen
Handlungsmöglichkeiten mehr zur Verfügung stehen (2017).
Auch diese Arbeit beschäftigt sich damit, welchen Einfluss die TMT auf die
Patientenversorgung (speziell am Lebensende) haben könnte.
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 61

3.1.5 Ziele der Arbeit

Das zentrale Anliegen dieser Arbeit war, herauszufinden, inwieweit die Ent-
scheidungsfindung von professionellen Mitarbeitern der Palliative Care durch die
TMT beeinflusst wird.
Basierend auf den Hypothesen der TMT und des ingroup favoritism, sollte
eine randomisierte kontrollierte Studie entworfen und mit professionellen Mit-
arbeitern der Palliative Care durchgeführt werden. Die Studienteilnehmer hatten
die Aufgabe, eine fiktive Fallvignette zu beurteilen, in der eine Palliativärztin auf-
grund einer durchgeführten „Tötung auf Verlangen“ verurteilt wird. Sie wurden
gebeten, eine Geldstrafe für dieses Vergehen festzulegen.
Die folgende Hypothese sollte dabei überprüft werden: sollte die TMT auch
für diese Berufsgruppe wirksam sein, könnte ein niedrigeres Strafmaß von den
Studienteilnehmern erwartet werden, die zuvor an ihre eigene Sterblichkeit erinnert
wurden (MS Induktion), da die Palliativärztin ein Mitglied ihrer Ingroup darstellt.
Daraus ergeben sich folgende Nullhypothese (H0) und Alternativhypothese (H1):

H0: Kein niedrigeres Strafmaß nach MS Induktion.


H1: Niedrigeres Strafmaß nach MS Induktion.

Die Alternativhypothese wurde hierbei gerichtet formuliert aber zweiseitig


getestet, da es auch denkbar gewesen wäre, dass die Palliative Care professionals
nach Triggerung eine höhere Geldstrafe festlegen, da die DGP sich gegen aktive
Sterbehilfe positioniert (Radbruch, 2015) und die Palliativärztin somit durch die
Tötung auf Verlangen gegen ihre kulturelle Weltsicht verstößt.
Sollte sich ein geringeres Strafmaß nach MS Induktion nachweisen lassen,
könnte man davon ausgehen, dass unbewusste Faktoren die medizinische Ent-
scheidungsfindung erheblich beeinflussen können. Damit gäbe es einen wichtigen
psychologischen Grund, ethische Entscheidungen am Lebensende nur in einem
multiprofessionellen Team zu treffen.

3.2 Material und Methoden

3.2.1 Art der Studien und Datenerhebung

Es handelt sich um zwei Querschnittserhebungen mit randomisiert-kontrolliertem


Versuchsdesign. Die Studien wurden doppelblind durchgeführt. Ein positives
Ethikvotum der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Heinrich-
Heine-Universität Düsseldorf liegt vor.
62 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Die Datenerhebung erfolgte anonymisiert mittels des Online-Umfragetools


von SurveyMonkey (www.surveymonkey.com) auf vier Tablet-PCs. Die
Befragung dauerte ca. 15 min, wobei die Teilnehmer ihre Antworten selbst in
die Tablet-PCs eingaben. Erhoben wurden im Rahmen der ersten Studie Daten
von Personen, die beruflich im Bereich der Palliative Care tätig sind und den 10.
Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) in Düsseldorf
vom 24.-27. Juni 2014 besuchten („Studie DGP-Kongress“). Bei der zweiten
Studie wurden vom 22.-25. Juni 2015 Medizinstudenten im klinischen Studien-
abschnitt der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf im Foyer der medizinischen
Fachbibliothek (O.A.S.E.) der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf befragt
(„Studie Medizinstudenten“).

3.2.2 Fallzahlberechnung

Es wurde eine a priori-Poweranalyse für die benötigte Fallzahl durchgeführt.


Die der Poweranalyse zugrunde gelegte Effektstärke wurde dabei einer Meta-
analyse von 2010 entnommen, im Rahmen welcher insgesamt 164 Studien mit
277 Experimenten zur MS Hypothese der Terror Management Theorie untersucht
wurden (Burke et al. 2010). Der auf Grundlage dieser Metaanalyse zu erwartende
Effekt des Unterschieds zwischen beiden Gruppen wurde mit einer Effektstärke
r von 0.36 (Range -0.48 bis 0.99; SD 0.19) angegeben. Die Fallzahlberechnung
in Form einer Poweranalyse für einen t-Test (zweiseitig, α-Fehler Wahrschein-
lichkeit = 0.05; power: 1 – β-Fehler Wahrscheinlichkeit = 0.8) wurde mit dem
Programm G-Power (Faul et al. 2007) durchgeführt und von Herrn Dr. Christian
Schulz-Quach übernommen. Es ergab sich dabei eine Mindestgruppengröße
von n = 130 Personen pro Gruppe (Versuchs-/Kontrollgruppe), bzw. N = 260
(s. Abb. 3.3).

3.2.3 Standardisierte Fragebögen

3.2.3.1 State-Trait-Angstinventar (STAI)
Das STAI wurde von Spielberger, Gorsuch und Lushene entwickelt (Spielberger
et al. 1983) und basiert auf der Unterscheidung zwischen Angst als state und
Angst als trait nach Cattell und Scheier (1961). State-Angst bedeutet dabei Angst
als akuter Zustand hervorgerufen durch bestimmte Situationen, wohingegen
trait-Angst den allgemeinen Grad an Angsterleben als Disposition bezeichnet.
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 63

Abb. 3.3 Fallzahlberechnung

Der Fragebogen besteht aus insgesamt 40 Items, je 20 zum Ausmaß der state-
und trait-Angst. Jede der Aussagen kann mittels einer vierstufigen Likert-Skala
beantwortet werden („fast nie“, „manchmal“, „oft“, „fast immer“).
In der hier vorliegenden Studie wurden nur die 20 Items verwendet, die
den allgemeinen Grad an Angsterleben (trait) messen, um die Baseline Angst
der Studienteilnehmer zu bestimmen und zu überprüfen, ob Ängstlichkeit die
Triggerbarkeit der Studienteilnehmer dahingehend beeinflusst, dass eine höhere
habituelle Angst mit der Festlegung einer höheren Geldstrafe korreliert.
Das STAI wurde 1976 erstmals in einer experimentellen Situation an
Studenten getestet (Metzger 1976): dabei wurde der einen Teilnehmergruppe
der Fragebogen direkt nach einer Prüfung ausgehändigt und der zweiten
64 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

­eilnehmergruppe ohne vorherige Prüfungssituation (nicht-Prüfungsgruppe).


T
Angenommen wurde, dass die state-Angst in der post-Prüfungsgruppe signi-
fikant höher war, während sich keine signifikanten Unterschiede in der trait-
Angst finden. Ein Retest fand nach 21 Tagen statt. Es zeigte sich, dass das STAI
eine hohe Validität und Reliabilität (Split-Half und Retest) hat (Metzger 1976).
So lag die Split-Half Reliabilität für die trait-Angst in der post-Prüfungsgruppe
bei r = 0.85 und bei r = 0.78 in der nicht-Prüfungsgruppe (Metzger 1976). Die
Retest-Reliabilität für die trait-Angst betrug r = 0.97 (Metzger 1976). Auch in
nachfolgenden Studien hat sich erwiesen, dass das STAI einwandfreie psycho-
metrische Eigenschaften hat (Spielberger 1989).

3.2.3.2 NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI-30)
Das von Costa und McCrae (1989) entwickelte und von Borkenau und
Ostendorf (1993) ins Deutsche übersetzte NEO-Fünf-Faktoren-Inventar
(NEO-FFI) besteht aus 60 Items und dient der Erfassung von Persönlichkeits-
charakteristika. Es beruht dabei auf einem robusten und zugleich differenzierten
Faktorenmodell, welches sich auch im deutschsprachigen Raum zunehmend
etabliert hat (Borkenau und Ostendorf 1993). Unterschieden werden fünf
Faktoren (fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit), auf deren Skala sich
jeder Mensch einordnen lässt: Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für
Erfahrung, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Jede der 60 Aussagen (je
12 Aussagen pro Persönlichkeitsdimension) kann mittels einer fünfstufigen
Likert-Skala beantwortet werden („starke Ablehnung“, „Ablehnung“, „neutral“,
„Zustimmung“, „starke Zustimmung“).
Für die aktuelle Auflage des NEO-FFI-Manuals wurden Analysen anhand
einer Stichprobe von 11.724 Probanden durchgeführt (Borkenau und Ostendorf
2008). Die Datensätze stammen aus über 50 Einzelstudien und wurden über
mehrere Jahre hinweg erhoben. Die internen Konsistenzen der Skalen des NEO-
FFI beliefen sich dabei auf α = 0.87 (Neurotizismus), α = 0.81 (Extraversion),
α = 0.75 (Offenheit für Erfahrung), α = 0.72 (Verträglichkeit) und α = 0.84
(Gewissenhaftigkeit) (Borkenau und Ostendorf 2008). Die Retest-Reliabilität
einer Teilstichprobe von 146 Probanden, welche in einem Abstand von etwa zwei
Jahren wiederholt untersucht wurden, lag bei r = 0.80 (Neurotizismus), r = 0.81
(Extraversion), r = 0.76 (Offenheit für Erfahrung), r = 0.65 (Verträglichkeit) und
r = 0.81 (Gewissenhaftigkeit) (Borkenau und Ostendorf 1993).
In der hier vorliegenden Studie wurde die Kurzversion mit 30 Fragen ver-
wendet, die auf Basis einer Item-, Skalen- und Faktorenanalyse der ursprüng-
lichen 60-Item-Version anhand einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe
mit 1908 Probanden erstellt wurde (Körner et al. 2002). Dabei wurden jeweils
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 65

die 6 Items einer Skala ausgewählt, die am höchsten mit dem jeweiligen
Faktor korrelierten und die höchste Trennschärfe hinsichtlich des jeweiligen
Persönlichkeitskonstruktes aufwiesen. Es zeigten sich hohe Korrelationen der
­
neuen Skalen mit den originalen NEO-FFI-Skalen sowie nahezu identische
Abhängigkeiten von soziodemografischen Variablen und Korrelationen mit dem
Gießen-Test (Körner et al. 2008). Die Analyse einer Prüfstichprobe mit 2508
Personen führte zu einer identischen Faktorenstruktur wie bei der bevölkerungs-
repräsentativen Entwicklungsstichprobe (Körner et al. 2008). Die Ergebnisse von
Körner et al. sprechen somit für Reliabilität, faktorielle und Konstruktvalidität des
NEO-FFI-30.
Für die hier vorliegende Studie war insbesondere der Wert auf der
Neurotizismus-Skala von Interesse. Einerseits wurde als Validierungstest über-
prüft, ob eine hohe trait-Angst mit einem hohen Wert auf der Neurotizismus-
Skala korreliert. Andererseits wurde getestet, ob ein hoher Wert auf der
Neurotizismus-Skala im NEO-FFI-30 mit der Festlegung eines signifikant
höheren Strafmaßes einhergeht. In der Versuchsgruppe wurden außerdem drei
Triggerfragen zur eigenen Sterblichkeitswahrnehmung mit dem Ziel der MS
Induktion in den NEO-FFI-30 eingebettet (s. Abschn. 3.2.4.2 Ablauf der Studie
DGP-Kongress).

3.2.4 Studie DGP-Kongress

3.2.4.1 Ein- und Ausschlusskriterien der Studienteilnehmer


Folgende Einschlusskriterien mussten von den Teilnehmern der Studie erfüllt
werden:

1. Alter ≥ 18 Jahre
2. Teilnehmer des 10. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Palliativ-
medizin
3. aktuell und mindestens über ein Jahr Tätigkeit als Mitarbeiter im Bereich von
Palliative Care oder Hospiz
4. Zugehörigkeit zu einer der folgenden Professionen: Pflege, Arzt, Psychologie,
Kunsttherapie, Musiktherapie, Physiotherapie, Sozialdienst oder Seelsorge
5. aktuelle Tätigkeit in der Patientenversorgung
6. Keines der folgenden Ausschlusskriterien durfte zutreffen:
a) Alter < 18 Jahre
b) kognitive, körperliche und/oder sprachliche Einschränkungen, die die
korrekte Bedienung des Tablet-PCs verhindern
66 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

c) Zugehörigkeit zu einer Profession, die unter den Einschlusskriterien nicht


genannt wurde
d) fehlende Tätigkeit in der Patientenversorgung innerhalb der letzten
12 Monate

3.2.4.2 Ablauf der Studie DGP-Kongress


Eine Übersicht zum genauen Ablauf der Teilnehmerbefragung, welcher in beiden
Studien gleich war, ist der Abb. 3.4 zu entnehmen.
Allen Teilnehmern wird zunächst eine Teilnehmeraufklärung mit Informationen
zur Studie ausgehändigt, welche eine schriftliche Einwilligungserklärung zur
Studienteilnahme beinhaltet. Anschließend werden den Teilnehmern Tablet-
PCs ausgehändigt, auf welchen die Studie mittels des Online-Umfragetools von
SurveyMonkey durchgeführt wird. Die Randomisierung der Teilnehmer in die Ver-
suchs- und Kontrollgruppe erfolgt dabei durch SurveyMonkey.
Eine komplette Darstellung der Studie als Word-Datei findet sich im Anhang.
Das Vorgehen in beiden Studien setzt sich chronologisch aus neun Abschnitten
zusammen:

I Erhebung persönlicher Daten


a) Profession
b) Tätigkeitsdauer in der Palliative Care in Jahren
c) Anzahl der Sterbebegleitungen in den letzten 30 Tagen
d) Glaubenszugehörigkeit
e) Alter
f) Geschlecht
(Zur Beantwortung der Fragen werden Dropdown-Menü-Matrizen und Multiple
Choice Antworten verwendet.)
II Fragebogen zur Angstdiagnostik anhand des State-Trait-Angstinventars
(STAI) s. Abschn. 3.2.3.1 State-Trait-Angstinventar (STAI)
III Fragebogen zur Persönlichkeitsdiagnostik anhand der Kurzversion des
NEO-Fünf-Faktoren-Inventars (NEO-FFI-30) s. Abschn. 3.2.3.2 NEO-Fünf-
Faktoren-Inventar (NEO-FFI-30)
IV Triggerfragen zur eigenen Sterblichkeitswahrnehmung
In Anlehnung an die TMT tauchen bei den Studienteilnehmern in der Ver-
suchsgruppe innerhalb des NEO-FFI-30 insgesamt drei Triggeritems zur
eigenen Sterblichkeitswahrnehmung auf. Die drei Fragen sind einzeln unter
die 30 NEO-FFI Items gemischt, um sich scheinbar in den Persönlichkeits-
fragebogen zu integrieren. Sie entstammen der Fear of Death Scale von
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 67

Abb. 3.4 Ablauf der Studien. STAI: State-Trait-Angstinventar (Spielberger et al. 1983).
NEO-FFI-30: Kurzversion des NEO-Fünf-Faktoren-Inventars (Körner et al. 2008)
68 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Boyar (1964), welche u. a. von Rosenblatt et al. hinsichtlich ihrer Verwend-


barkeit als MS-Trigger getestet wurde (Rosenblatt et al. 1989) und ebenfalls
mittels einer Likert-Skala beantwortet werden. Die drei für die vorliegende
Studie ausgewählten Items lauten:
a) Wenn ich mir mein Sterben vorstelle, dann habe ich Angst vor langsamem
Ersticken.
b) Wenn ich an meinen Tod denke, kommen mir zuerst meine Angehörigen in
den Kopf.
c) Ich finde die Vorstellung von meiner eigenen Beerdigung beunruhigend.
V Beurteilung von vier Landschaftsbildern
Die Studienteilnehmer erhalten die Aufgabe, vier Landschaftsbilder nach
ihrer Ästhetik zu bewerten und in eine Rangfolge (1–4) zu bringen, wobei 1
das Bild bezeichnet, welches dem Teilnehmer am meisten zusagt und 4 das-
jenige, welches dem Teilnehmer ästhetisch am wenigsten gefällt. Dieser Teil
der Umfrage dient dem Zweck, die Studienteilnehmer in der Versuchsgruppe,
welche mit den drei Triggerfragen konfrontiert wurden, von diesen abzu-
lenken. Die Landschaftsbilder werden den Teilnehmern in der Kontrollgruppe
ebenfalls vorgelegt, um den Aufbau der Studien einheitlich zu gestalten und
die Studien so weit wie möglich zu verblinden. Der Zeitablauf bei parallelen
Eingaben soll gleich lang sein, damit Teilnehmer nicht erkennen können, in
welche Gruppe sie randomisiert werden.
VI Bearbeitung der Fallvignette
In der Forschung steht der Begriff „Vignette“ meist für eine stimulierende Aus-
gangssituation anhand eines Fallbeispiels, welche die befragten Personen zu
Beurteilungen oder zu weiterführenden Handlungsmöglichkeiten anregen soll.
Mittels einer Vignette wird also eine hypothetische Situation in Befragungen
als Stimulus eingesetzt und die zu befragende Person gebeten, die Situation
zu beurteilen und/oder eine situations-entsprechende Handlungsweise anzu-
geben und dies zu begründen (Schnurr 2003). In diesem Sinne wird dem
Studienteilnehmer eine Fallvignette vorgelegt, in der ein krebskranker Patient
durch „Tötung auf Verlangen“ verstirbt. Gegen die behandelnde Ärztin wird
ein Strafverfahren eingeleitet, und sie wird rechtskräftig verurteilt. Im berufs-
rechtlichen Verfahren vor der zuständigen Ärztekammer stellt der Vorstand in
diesem Fall einen berufsrechtlichen Überhang fest. Er verhängt eine Rüge mit
Auflage (Geldstrafe). Diese liegt in solchen Fällen häufig in einer Spanne von
500 bis 5000 €, wie Frau Brölz von der Ärztekammer Nordrhein im Rahmen
eines Telefonats bestätigte.
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 69

VII Festlegung der Höhe einer Geldstrafe


Die Studienteilnehmer werden gebeten, aus ihrer subjektiven Sicht die Höhe
der Geldstrafe zu beziffern. Es wurde im Rahmen der Fallvignette ein Richt-
wert von 500 bis 5000 € genannt, die Studienteilnehmer müssen sich aber
nicht an diesen Vorschlag halten. Zur Beantwortung der Frage steht ein Frei-
textfeld zur Verfügung.
VIII Erfragung der grundsätzlichen Einstellung zu aktiver Sterbehilfe,
assistiertem Suizid und palliativer Sedierung (4 dichotome Einzelitems)
Die Bewertungen der folgenden Aussagen erfolgen mithilfe einer Dropdown-
Menü-Matrix:
a) Zurzeit wird ja viel über aktive Sterbehilfe diskutiert. Das bedeutet, dass
man das Leben schwerkranker Menschen, die keine Chance mehr zum
Überleben haben und großes Leiden erdulden müssen, auf deren eigenen
Wunsch hin beendet. Sind Sie für oder gegen die aktive Sterbehilfe?
Bewertung: dafür, dagegen, unentschieden.
b) Das ist sicher nicht einfach zu sagen, aber könnten Sie sich vorstellen,
dass Sie selbst aktive Sterbehilfe leisten, dass Sie also z. B. einem unheil-
bar Kranken ein tödliches Medikament verabreichen, wenn Sie der Patient
darum bittet? Bewertung: ja, nein, unentschieden.
c) Käme es für Sie unter bestimmten Bedingungen infrage, einen Patienten
beim Suizid zu unterstützen, ihm also ein tödliches Medikament zur Ver-
fügung zu stellen, das dieser dann selbst einnimmt oder käme das auf
gar keinen Fall infrage? Bewertung: auf keinen Fall, unter bestimmten
Bedingungen, unentschieden.
d) Wenn Sie einen Patienten auf der Palliativstation behandeln besteht
die Möglichkeit, bei korrekter Indikationsstellung eine sogenannte
palliative Sedierungstherapie durchzuführen, bei der der Patient durch
eine Kombination aus Opioid und Benzodiazepin schlafen gelegt wird.
Kommt eine solche Therapie für einen Patienten als Handlungsoption für
Sie infrage? Bewertung: auf keinen Fall, unter bestimmten Bedingungen,
unentschieden.
IX Hinzufügen eines Kommentars
Den Studienteilnehmern wird für ihre Teilnahme gedankt und die Möglich-
keit gegeben, einen Kommentar in einem Freitextfeld zu hinterlassen.
70 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

3.2.5 Studie Medizinstudenten

3.2.5.1 Ein- und Ausschlusskriterien der Studienteilnehmer


Folgende Einschlusskriterien mussten von den Teilnehmern der Studie erreicht
werden:

a) Alter ≥ 18 Jahre
b) Studierende der Humanmedizin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
c) Studierende im klinischen Studienabschnitt

Keines der folgenden Ausschlusskriterien durfte zutreffen:

a) Alter < 18 Jahre


b) kognitive, körperliche und/oder sprachliche Einschränkungen, die die korrekte
Bedienung des Tablet-PCs verhindern
c) Studierende eines anderen Fachs (z. B. Zahnmedizin) oder einer anderen Uni-
versität
d) Studierende im vorklinischen Studienabschnitt

3.2.5.2 Ablauf der Studie Medizinstudenten


Der Aufbau der zweiten Studie entsprach im Wesentlichen dem der ersten Studie
(s. Abschn. 3.2.4.2 Ablauf der Studie DGP-Kongress). Abweichungen gab es
lediglich bei der Erhebung der persönlichen Daten. Hierbei wurden folgende
Änderungen vorgenommen:
I. Erhebung persönlicher Daten

a) Fachsemester
b) Glaubenszugehörigkeit
c) Alter
d) Geschlecht

IX. Angaben zur Teilnahme an Kursen der Palliativmedizin und Hinzufügen eines
Kommentars.
Die Studienteilnehmer werden gebeten anzugeben, an welchen Kursen der
Palliativmedizin sie bereits teilgenommen haben. Anschließend erhalten sie die
Möglichkeit, einen Kommentar zu hinterlassen.
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 71

3.2.6 Methodik

In Anlehnung an die Darstellung des kognitiven Ablaufs des Terror Managements


aus Abb. 3.2 werden die Studien in vier Phasen unterschieden:

a) Triggerung (MS Induktion)


b) Latenzphase
c) Distale Abwehrphase
d) Datenerfassung zur Einstellung gegenüber aktiver Sterbehilfe, assistiertem
Suizid und palliativer Sedierung

In Phase I werden in einen Persönlichkeitsfragebogen eingebettete Triggerfragen


verwendet, um MS zu induzieren. Dabei generiert der Fragebogen an sich auch
Informationen, wird jedoch primär mit dem Ziel eingesetzt, in den Studienteil-
nehmern der Versuchsgruppe eine Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit
auszulösen. In der Kontrollgruppe findet keine Triggerung statt.
In Phase II werden die Studienteilnehmer gebeten, Landschaftsfotos ästhetisch
zu bewerten, da der Zugriff auf Todesgedanken direkt nach MS reduziert ist (s.
Abb. 3.2), sich jedoch erhöht, wenn die Studienteilnehmer mit einer Verzögerung
oder Ablenkung konfrontiert sind (Greenberg et al. 1994).
In Phase III findet dann eine Vignettenbeurteilung statt, in der in Rückgriff auf
die TMT durch die Bitte um Einstufung einer Geldstrafe ein indirekter Hinweis
auf aggressives Verhalten gegenüber der fiktiven Person im Fallbeispiel abgefragt
wird (worldview defense; ingroup favoritism).
In Phase IV werden abschließend Fragen zur Einstellung gegenüber aktiver
Sterbehilfe, assistiertem Suizid und palliativer Sedierung gestellt, die zur Aus-
wertung der Studienergebnisse von Bedeutung sind (Stratifizierung).

3.2.7 Statistische Methoden

Die Poweranalyse zur Ermittlung der erforderlichen Teilnehmerzahl wurde von


Herrn Dr. Christian Schulz-Quach für einen t-Test durchgeführt (s. Abschn. 3.2.2
Fallzahlberechnung).
Die Auswertung der erhobenen Daten erfolgte durch Herrn Dr. Martin Fegg
und Frau Katharina Fetz anhand des Statistikprogrammes IBM SPSS Statistics
23. Das Signifikanzniveau wurde für p < 0,05 festgelegt.
72 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Bei der Untersuchung zu systematischen Unterschieden zwischen den beiden


Untersuchungsgruppen (Versuchs-/Kontrollgruppe) in Bezug auf die deskriptiven
demografischen Daten wurden Chi-Quadrat-Tests nach Pearson, Mann–Whitney-
U-Tests sowie t-Tests verwendet. Tab. 3.2 zeigt eine genaue Auflistung der ver-
wendeten statistischen Methoden.
Die Untersuchung der systematischen Unterschiede zwischen den beiden
Untersuchungssettings (DGP-Kongress/Medizinstudenten) sowie den beiden
Untersuchungsgruppen (Versuchs-/Kontrollgruppe) in Bezug auf die deskriptiven
Messdaten erfolgte mittels t-Tests, Chi-Quadrat-Tests nach Pearson, univariater
(ANOVA) sowie multivariater (MANOVA) Varianzanalyse (s. Tab. 3.3).
Im Rahmen der Inferenzstatistik wurden die folgenden acht MS-Hypothesen
getestet:

Tab. 3.2 Statistische Methoden (Untersuchung systematischer Unterschiede zwischen den


beiden Untersuchungsgruppen in Bezug auf deskriptive demografische Daten)
Kategorie statistische Methode
Altersklassen (gruppiert) Mann–Whitney-U-Test
Geschlecht Chi2-Test
Glaubenszugehörigkeit Chi2-Test
Profession Chi2-Test
Tätigkeitsdauer (gruppiert) Mann–Whitney-U-Test
Anzahl der Sterbebegleitungen (gruppiert) Mann–Whitney-U-Test
Fachsemester t-Test
Teilnahme an Kursen der Palliativmedizin Chi2-Test

Tab. 3.3 Statistische Methoden (Untersuchung systematischer Unterschiede zwischen den


beiden Untersuchungssettings und Untersuchungsgruppen in Bezug auf deskriptive Mess-
daten)
Kategorie statistische Methode
STAI ANOVA
NEO-FFI 30 MANOVA
Ordnungsgeld Mann–Whitney-U-Test
Einstellung zu aktiver Sterbehilfe, assistiertem Chi2-Test
Suizid und palliativer Sedierung
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 73

a) Das Ordnungsgeld ist signifikant niedriger in den Versuchs- als in den


Kontrollgruppen (ANOVA)
b) Das Ordnungsgeld der beiden Untersuchungssettings (DGP-Kongress,
Medizinstudenten) unterscheidet sich signifikant (ANOVA)
c) Befürworter aktiver Sterbehilfe wählen signifikant niedrigeres Ordnungsgeld
(ANOVA)
d) Nur Palliative Care professionals: je größer die Berufserfahrung, desto höher
das Ordnungsgeld (Spearman-Rangkorrelation). Diese Annahme ist begründet
in Studien, welche gezeigt haben, dass die Zustimmung gegenüber lebens-
beendenden Maßnahmen mit dem Grad der Weiterbildung/Spezialisierung
abnimmt (Marini et al. 2006; Zenz et al. 2015a und b) (s. Abschn. 3.4.7.1 Ein-
stellung zu ärztlich assistiertem Suizid).
e) Nur Palliative Care professionals: je mehr Sterbebegleitungen, desto geringer
das Ordnungsgeld (Spearman-Rangkorrelation). Grundlage dieser Hypothese
ist die Überlegung, dass Palliative Care professionals mit einer hohen Anzahl
von Sterbebegleitungen sekundären traumatischen Stress erleben. Dies kann
zu fehlender emotionaler Distanz und einer höheren Identifikation mit dem
Leid des Patienten führen (Melvin 2015).
f) Hohe trait-Angst (STAI) korreliert mit hohen Neurotizismus-Werten
(Spearman-Rangkorrelation)
g) Hohe Neurotizismus-Werte (NEO-FFI) führen zu signifikant höherem
Ordnungsgeld (Spearman-Rangkorrelation)
h) Hohe trait-Angst (STAI) führt zu signifikant höherem Ordnungsgeld
(Spearman-Rangkorrelation)

3.3 Ergebnisse

3.3.1 Deskriptive demografische Daten

Die erste Studie wurde im Rahmen des 10. Kongresses der Deutschen Gesell-
schaft für Palliativmedizin durchgeführt, der vom 24.-27. Juni 2014 in Düssel-
dorf stattfand. Dabei haben 182 Palliative Care professionals teilgenommen. Im
Zeitraum vom 22.-25. Juni 2015 wurde die Studie mit 183 Medizinstudenten
im klinischen Studienabschnitt der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
­wiederholt.
Die Teilnehmer beim DGP-Kongress fielen zum großen Teil in die Kategorien
der 41 bis 55-jährigen, während die Medizinstudenten zum Großteil die Alters-
kategorie der 18 bis 24-jährigen angaben. Bei beiden Stichproben war der Anteil
74 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

an Frauen unter den Teilnehmern größer als der der Männer (Palliative Care
professionals: 77.5 %; Medizinstudenten: 61.7 %). Der größte Anteil der Pro-
banden war christlich (Palliative Care professionals: 77.5 %; Medizinstudenten:
58.4 %), gefolgt von Teilnehmern ohne Glaubenszugehörigkeit (Palliative Care
professionals: 17.5 %; Medizinstudenten: 35 %).
Die genauen Daten zur Verteilung von Alter (Tab. 3.4), Geschlecht (Tab. 3.5)
und Glaubenszugehörigkeit (Tab. 3.6) in den beiden Stichproben sind den nach-
folgenden Tabellen zu entnehmen. Die aufgeführten Prozentzahlen beziehen sich
dabei auf die jeweiligen Untergruppen (% within group).
Bei der Untersuchung zu systematischen Unterschieden zwischen den beiden
Untersuchungsgruppen (Versuchs-/Kontrollgruppe) in Bezug auf die deskriptiven
demografischen Daten ergaben sich keine signifikanten Unterschiede. Dies gilt
als Gütekriterium für die Randomisierung via SurveyMonkey. Die Unterschiede
wurden analysiert mittels Mann–Whitney-U-Tests (Altersklassen, Tab. 3.7) sowie
Chi-Quadrat-Tests nach Pearson (Geschlecht, Tab. 3.8; Glaubenszugehörigkeit,
Tab. 3.9), wobei das Signifikanzniveau für p < 0.05 festgelegt wurde.
Die Ergebnisse des Mann–Whitney U Tests zeigen einen signifikanten Unter-
schied hinsichtlich des Alters zwischen den beiden Untersuchungssettings
(Palliativkongress/ Medizinstudenten) insofern, als dass die Studienteilnehmer
beim Palliativkongress signifikant älter waren (s. Tab. 3.7). Zwischen den beiden

Tab. 3.4 Alter der Studienteilnehmer


Palliativkongress Medizinstudenten
Alter Versuchsgruppe N (%) Kontrollgruppe Versuchsgruppe Kontroll-
(Jahre) N (%) N (%) gruppe
N (%)
18–24 2 (2.20) 2 (2.20) 52 (57.80) 63 (67.70)
25–30 11 (12.20) 5 (5.40) 32 (35.60) 24 (25.80)
31–35 6 (6.70) 6 (6.50) 4 (4.40) 3 (3.20)
36–40 6 (6.70) 12 (13.00) 2 (2.20) 2 (2.20)
41–45 16 (17.80) 10 (10.90) 0 (0.00) 1 (1.10)
46–50 11 (12.20) 21 (22.80) 0 (0.00) 0 (0.00)
51–55 22 (24.40) 22 (23.90) 0 (0.00) 0 (0.00)
56–60 8 (8.90) 12 (13.00) 0 (0.00) 0 (0.00)
> 60 8 (8.90) 2 (2.20) 0 (0.00) 0 (0.00)
Total 90 (100.00) 92 (100.00) 90 (100.00) 93 (100.00)
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 75

Tab. 3.5 Geschlecht der Studienteilnehmer


Palliativkongress Medizinstudenten
Geschlecht Versuchsgruppe Kontrollgruppe Versuchsgruppe Kontroll-
N (%) N (%) N (%) gruppe
N (%)
Männlich 25 (27.80) 26 (28.30) 40 (44.40) 29 (31.20)
Weiblich 63 (70.00) 66 (71.70) 50 (55.60) 63 (67.70)
unentschieden 2 (2.20) 0 (0.00) 0 (0.00) 1 (1.10)
Total 90 (100.00) 92 (100.00) 90 (100.00) 93 (100.00)

Tab. 3.6 Glaubenszugehörigkeit der Studienteilnehmer


Palliativkongress Medizinstudenten
Glauben Versuchsgruppe Kontrollgruppe Versuchsgruppe Kontroll-
N (%) N (%) N (%) gruppe
N (%)
evangelisch 29 (32.30) 33 (35.90) 18 (20.00) 23 (24.70)
katholisch 35 (38.90) 36 (39.10) 32 (35.60) 26 (28.00)
christl. freikirchl 6 (6.70) 2 (2.20) 0 (0.00) 3 (3.20)
christl. orthodox 0 (0.00) 0 (0.00) 3 (3.30) 2 (2.20)
agnostisch 5 (5.60) 6 (6.50) 13 (14.40) 8 (8.60)
atheistisch 13 (14.40) 8 (8.70) 16 (17.80) 27 (29.00)
buddhistisch 2 (2.20) 6 (6.50) 0 (0.00) 0 (0.00)
Jüdisch 0 (0.00) 1 (1.10) 1 (1.10) 0 (0.00)
hinduistisch 0 (0.00) 0 (0.00) 0 (0.00) 1 (1.10)
islamisch 0 (0.00) 0 (0.00) 3 (3.30) 0 (0.00)
schiitisch
islamisch 0 (0.00) 0 (0.00) 4 (4.40) 3 (3.20)
sunnitisch
Total 90 (100.00) 92 (100.00) 90 (100.00) 93 (100.00)

Untersuchungsgruppen (Versuchs-/ Kontrollgruppe) insgesamt sowie innerhalb


der einzelnen Stichproben gab es keine signifikanten Altersunterschiede.
Hinsichtlich der Geschlechterverteilung gibt es keinen signifikanten Unter-
schied zwischen den Untersuchungssettings (Palliativkongress/ Medizin-
studenten) oder Untersuchungsgruppen (Versuchs-/ Kontrollgruppe) (s. Tab. 3.8).
76 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Tab. 3.7 Ergebnisse der Mann–Whitney-U-Tests für die systematischen Unterschiede


(Alter)
N mittlerer Mann–Whitney z p-Wert
Rang U
Untersuchungs- Palliativkongress 182 267.30 1311.00 -15.58 0.00
setting
Medizin- 183 99.16
studenten
Untersuchungs- Versuchsgruppe 180 184.56 16.370.00 -0.28 0.78
gruppen
Kontrollgruppe 185 181.49
Palliativkongress Versuchsgruppe 90 90.83 4080.00 -0.17 0.86
Kontrollgruppe 92 92.15
Medizinstudenten Versuchsgruppe 90 96.32 3796.00 -1.28 0.20
Kontrollgruppe 93 87.82

Tab. 3.8 Ergebnisse der Chi-Quadrat-Tests für systematische Unterschiede (Geschlecht)


N χ2 df p-Wert
Untersuchungssetting Palliativkongress 182 4.09 2 0.13
Medizinstudenten 183
Untersuchungsgruppen Versuchsgruppe 180 2.16 2 0.34
Kontrollgruppe 185
Palliativkongress Versuchsgruppe 90 2.07 2 0.36
Kontrollgruppe 92
Medizinstudenten Versuchsgruppe 90 4.20 2 0.12
Kontrollgruppe 93

Die Ergebnisse des Chi-Quadrat-Tests hinsichtlich der Glaubenszugehörig-


keit (s. Tab. 3.9) zeigen einen signifikanten Unterschied zwischen den beiden
Untersuchungssettings (Palliativkongress/ Medizinstudenten). So ist der Anteil
an Probanden christlicher Glaubenszugehörigkeit unter den Palliative Care
professionals höher, wohingegen sich unter den befragten Medizinstudenten
mehr Teilnehmer ohne Glaubenszugehörigkeit befinden. Die Kategorien „christ-
lich orthodox“, „hinduistisch“, „islamisch schiitisch“ und „islamisch sunnitisch“
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 77

Tab. 3.9 Ergebnisse der Chi-Quadrat-Tests für systematische Unterschiede (Glaubens-


zugehörigkeit)
N χ2 df p-Wert
Untersuchungssetting Palliativkongress 182 42.55 10 0.00
Medizinstudenten 183
Untersuchungsgruppen Versuchsgruppe 180 8.41 10 0.59
Kontrollgruppe 185
Palliativkongress Versuchsgruppe 90 6.53 6 0.37
Kontrollgruppe 92
Medizinstudenten Versuchsgruppe 90 13.53 9 0.14
Kontrollgruppe 93

wurden von den Teilnehmern beim Palliativkongresses nicht ausgewählt, machen


bei den Medizinstudenten hingegen insgesamt 8.6 % aus.
Zwischen den beiden Untersuchungsgruppen (Versuchs-/ Kontrollgruppe)
insgesamt sowie innerhalb der einzelnen Stichproben gab es keine signifikanten
Unterschiede bezüglich der Glaubenszugehörigkeit.

3.3.2 Stichprobenspezifische Daten

Die beiden Studien unterschieden sich in wenigen Punkten: während die


professionellen Mitarbeiter der Palliative Care in der ersten Studie gebeten
wurden, ihre Profession, Tätigkeitsdauer in der Palliative Care und die Anzahl
an Sterbebegleitungen in den letzten 30 Tagen anzugeben, wurden die Medizin-
studenten in der zweiten Studie zu ihrem Fachsemester sowie der bisherigen Teil-
nahme an Lehrveranstaltungen der Palliativmedizin befragt.
Der größte Anteil der Palliative Care professionals war als Arzt/Ärztin
(36.3 %) oder in der Pflege (23.6 %) tätig (s. Tab. 3.10). Dabei arbeiteten etwa ein
Viertel (25.8 %) von ihnen zwischen 2–5 Jahren in diesem Bereich, ein weiteres
Viertel (24.7 %) zwischen 6–10 Jahren und 19.2 % bereits 11–15 Jahre. 12.6 %
der teilnehmenden professionellen Mitarbeiter der Palliative Care hatten weniger
als ein Jahr Berufserfahrung im Bereich der Palliative Care (s. Tab. 3.11). 31.4 %
der Studienteilnehmer hatten keine Sterbebegleitungen in den letzten 30 Tagen,
insgesamt knapp über die Hälfte von ihnen (52.1 %) gab an, in diesem Zeitraum
zwischen 1–6 Sterbende begleitet zu haben (s. Tab. 3.12).
78 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Tab. 3.10  Profession Profession Versuchsgruppe Kontrollgruppe


der Palliative Care N (%) N (%)
professionals
Arzt/Ärztin 34 (37.80) 32 (34.80)
Pflege 20 (22.20) 23 (25.00)
Ehrenamt 5 (5.60) 4 (4.30)
Physiotherapie 3 (3.30) 0 (0.00)
Sozialdienst 4 (4.40) 8 (8.70)
Psychologie 5 (5.60) 6 (6.50)
Seelsorge 6 (6.70) 5 (5.40)
Kunsttherapie 0 (0.00) 3 (3.30)
Musiktherapie 0 (0.00) 1 (1.10)
Sonstige 13 (14.40) 10 (10.90)
Total 90 (100.00) 92 (100.00)

Tab. 3.11  Tätigkeitsdauer Tätigkeitsdauer Versuchsgruppe Kontrollgruppe


der Palliative Care (Jahre) N (%) N (%)
professionals
<1 13 (14.40) 10 (10.90)
1–2 9 (10.00) 4 (4.30)
2–5 15 (16.70) 32 (34.80)
6–10 23 (25.60) 22 (23.90)
11–15 20 (22.20) 15 (16.30)
16–20 5 (5.60) 6 (6.50)
> 20 5 (5.60) 3 (3.30)
Total 90 (100.00) 92 (100.00)

Die genauen Palliative Care professionals-spezifischen Daten können den


nachfolgenden Tabellen entnommen werden. Die aufgeführten Prozentzahlen
beziehen sich dabei auf die jeweiligen Untergruppen (% within group).
Im Chi-Quadrat-Test zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen
der Versuchs- und Kontrollgruppe hinsichtlich der Profession (χ2 (9) = 9.27,
p = 0.41).
Auch bezüglich der Tätigkeitsdauer in der Palliative Care ergab sich im
Mann–Whitney-U-Test kein signifikanter Unterschied zwischen Versuchs- und
Kontrollgruppe (U = 3953.50, z = - 0.54, p = 0.59).
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 79

Tab. 3.12 Anzahl der Sterbebegleitungen in den letzten 30 Tagen bei Palliative Care
professionals
Anzahl Sterbebegleitungen Versuchsgruppe Kontrollgruppe
N (%) N (%)
0 30 (35.30) 25 (27.80)
1 8 (9.40) 7 (7.80)
2 3 (3.50) 8 (8.90)
3 5 (5.90) 10 (11.10)
4 10 (11.80) 8 (8.90)
5 8 (9.40) 9 (10.00)
6 9 (10.60) 6 (6.70)
7 3 (3.50) 2 (2.20)
8 5 (5.90) 4 (4.40)
9 1 (1.20) 5 (5.60)
10 und mehr 3 (3.50) 6 (6.70)
Total 85 (100.00) 90 (100.00)

Hinsichtlich der Anzahl der Sterbebegleitungen in den letzten 30 Tagen fand


sich ebenfalls kein signifikanter Unterschied zwischen Versuchs- und Kontroll-
gruppe im Mann–Whitney-U-Test (U = 3555.50, z = - 0.82, p = 0.41). Insgesamt
gab es bei dieser Frage sieben fehlende Angaben (3.8 %).
Der Großteil der Medizinstudenten lag zwischen dem sechsten und zehnten
Fachsemester (83.6 %). Tab. 3.13 zeigt die genaue Verteilung der Medizin-
studenten auf die einzelnen Fachsemester. Beim t-Test auf Mittelwertunterschiede
zwischen Versuchs- und Kontrollgruppe hinsichtlich der Fachsemester bei den
Medizinstudenten zeigte sich kein signifikanter Unterschied (t (181) = 1.11;
p = 0.27).
Weniger als die Hälfte (44.8 %) der Probanden haben im Laufe des Studiums
bereits an palliativmedizinischen Lehrveranstaltungen teilgenommen. Dabei gab
es im Chi-Quadrat-Test keinen signifikanten Unterschied zwischen der Versuchs-
und Kontrollgruppe (χ2 (1) = 0.01, p = 0.92). In Tab. 3.14 wird das Curriculum
der palliativmedizinischen Kurse aufgelistet und dargestellt, wie sich die Kursteil-
nahme auf die einzelnen Kurse verteilt.
Wie in Tab. 3.15 zu sehen, ergaben sich keine signifikanten Unterschiede
zwischen Versuchs- und Kontrollgruppe bezüglich der Kursteilnahme an palliativ-
medizinischen Lehrveranstaltungen.
80 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Tab. 3.13  Fachsemester Fachsemester Versuchsgruppe Kontrollgruppe


der Medizinstudenten N (%) N (%)
4 0 (0.00) 1 (1.10)
5 3 (3.30) 5 (5.40)
6 32 (35.60) 37 (39.80)
7 3 (3.30) 2 (2.20)
8 13 (14.40) 14 (15.10)
9 4 (4.40) 7 (7.50)
10 24 (26.70) 17 (18.30)
11 5 (5.60) 3 (3.20)
12 6 (6.70) 7 (7.50)
Total 90 (100.00) 93 (100.00)

3.3.3 Deskriptive Messdaten

3.3.3.1 STAI und NEO-FFI-30


Die Teilnehmer beider Studien füllten hintereinander zwei standardisierte
Fragebögen aus: zuerst einen Fragebogen zur Angstdiagnostik (STAI) und
anschließend einen Fragebogen zur Persönlichkeitsdiagnostik (NEO-FFI-30).
Bei dem Fragebogen zur Angstdiagnostik wurden nur die 20 Fragen verwendet,
die sich auf die trait-Angst, also den allgemeinen Grad an Angsterleben als Dis-
position, beziehen. Beim NEO-FFI-30 werden die fünf Faktoren Extraversion,
Offenheit für Erfahrung, Verträglichkeit, Neurotizismus und Gewissenhaftigkeit
unterschieden.
Tab. 3.16 zeigt die Mittelwerte und Standardabweichungen für die trait-Angst
sowie die fünf Faktoren, aufgeteilt in Untersuchungssetting (Palliativkongress/
Medizinstudenten) und Untersuchungsgruppen (Versuchs-/ Kontrollgruppe).
Im Anschluss werden die Ergebnisse der ANOVA zu signifikanten Unter-
schieden zwischen den beiden Untersuchungssettings und Untersuchungsgruppen
dargestellt (s. Tab. 3.17).
Bei der Untersuchung zu systematischen Unterschieden zwischen den beiden
Untersuchungsgruppen (Versuchs-/ Kontrollgruppe) ergaben sich keine signi-
fikanten Unterschiede (s. Tab. 3.17). Die Untersuchung zu systematischen
Unterschieden zwischen den beiden Untersuchungssettings (Palliativkongress/
Medizinstudenten) brachten jedoch mehrere signifikante Unterschiede hervor. So
erzielten die Palliative Care professionals im NEO-FFI signifikant höhere Werte
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 81

Tab. 3.14 Teilnahme an Kursen der Palliativmedizin


belegt nicht belegt
Kurs N Versuchsgr Kontrollgr Versuchsgr Kontrollgr
N (%) N (%) N (%) N (%)
e-Learning „Basiswissen 183 22 (24.40) 23 (24.70) 68 (75.60) 70 (75.30)
Palliativmedizin“
Seminar „der Palliativ- 183 1 (1.10) 3 (3.20) 89 (98.90) 90 (96.80)
patient mit Hirntumor“
palliativmedizinische Vor- 183 18 (20.00) 18 (19.40) 72 (80.00) 75 (80.60)
lesung im Block „Grenz-
situationen ärztl. Handelns“
palliativmedizinisches 183 18 (20.00) 20 (21.50) 72 (80.00) 73 (78.50)
Seminar im Block „Grenz-
situationen ärztl. Handelns“
UaK auf der Palliativstation 183 9 (10.00) 7 (7.50) 81 (90.00) 86 (92.50)
Wahlcurriculum 183 2 (2.20) 5 (5.40) 88 (97.80) 88 (94.60)
„Kommunikation mit
Sterbenden“
Famulatur auf der Palliativ- 183 2 (2.20) 3 (3.20) 88 (97.80) 90 (96.80)
station
PJ-Wahltertial auf der 183 0 (0.00) 0 (0.00) 90 (100.00) 93 (100.00)
Palliativstation

Tab. 3.15 Ergebnisse der Chi-Quadrat-Tests für die systematischen Unterschiede


zwischen Versuchs- und Kontrollgruppe (Kursteilnahme)
Kurs N χ2 df p-Wert
e-Learning „Basiswissen Palliativmedizin“ 183 0.00 1 0.96
Seminar „der Palliativpatient mit Hirntumor“ 183 0.96 1 0.33
palliativmedizinische Vorlesung im Block 183 0.01 1 0.91
„Grenzsituationen ärztlichen Handelns“
palliativmedizinisches Seminar im Block 183 0.06 1 0.80
„Grenzsituationen ärztlichen Handelns“
UaK auf der Palliativstation 183 0.35 1 0.55
Wahlcurriculum „Kommunikation mit Sterbenden“ 183 1.24 1 0.27
Famulatur auf der Palliativstation 183 0.17 1 0.68
PJ-Wahltertial auf der Palliativstation no data *
*dieser Kurs wurde von keinem Teilnehmer belegt
82 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Tab. 3.16 NEO-FFI-30 und STAI deskriptive Statistik


Palliativkongress Medizinstudenten
NEO-FFI Versuchsgr Kontrollgr Versuchsgr Kontrollgr
N = 90 N = 92 N = 90 N = 93
Neurotizismus MW 6.81 6.16 6.58 7.43
SD 4.41 3.98 4.70 4.60
Extraversion MW 15.12 15.23 16.21 15.92
SD 3.85 3.07 3.60 3.10
Offenheit f. MW 17.43 17.54 14.66 15.55
Erfahrung
SD 3.85 3.70 5.10 5.08
Verträglichkeit MW 18.24 17.89 17.24 16.74
SD 3.58 3.86 3.68 3.98
Gewissenhaftigkeit MW 17.56 18.03 17.56 16.76
SD 3.29 3.45 3.82 4.18
STAI
trait-Angst MW 1.76 1.71 1.80 1.89
SD 0.38 0.38 0.45 0.43

auf den Skalen Offenheit für Erfahrung sowie Verträglichkeit. Die Medizin-
studenten hingegen erreichten im NEO-FFI signifikant höhere Werte auf der
Skala Extraversion. Auch die trait-Angst der Medizinstudenten war signifikant
höher als die der professionellen Mitarbeiter der Palliativ Care.

3.3.3.2 Landschaftsfotos
Den Studienteilnehmern wurden vier Landschaftsfotos (s. Anhang) präsentiert
mit der Aufgabe, sie nach ihrer Ästhetik zu bewerten und in eine Rangfolge (1–4)
zu bringen, wobei 1 das Bild bezeichnet, welches dem Teilnehmer am besten
gefallen hat.
Diese Aufgabe hatte den Zweck der Ablenkung der Studienteilnehmer
(Latenzphase, s. Abschn. 3.2.6 Methodik) im Übergang zwischen den beiden
Teilen der Umfrage, war allerdings für die eigentliche Fragestellung nicht
relevant. Aus diesem Grund wird hier auf eine detaillierte Darstellung der Aus-
wertung zur Bewertung der vier Landschaftsfotos verzichtet.
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 83

Tab. 3.17 Ergebnisse der ANOVA für die systematischen Unterschiede (NEO-FFI und
STAI)
NEO-FFI N df F p-Wert
Neurotizismus Untersuchungsgruppe 365 1 0.05 0.83
Untersuchungssetting 365 1 1.24 0.27
Gruppe ∗ Setting 365 1 2.62 0.11
Extraversion Untersuchungsgruppe 365 1 0.06 0.80
Untersuchungssetting 365 1 6.23 0.01
Gruppe ∗ Setting 365 1 0.30 0.58
Offenheit f. Erfahrung Untersuchungsgruppe 365 1 1.14 0.29
Untersuchungssetting 365 1 25.88 0.00
Gruppe ∗ Setting 365 1 0.70 0.41
Verträglichkeit Untersuchungsgruppe 365 1 1.17 0.29
Untersuchungssetting 365 1 7.38 0.01
Gruppe ∗ Setting 365 1 0.04 0.85
Gewissenhaftigkeit Untersuchungsgruppe 365 1 0.17 0.69
Untersuchungssetting 365 1 2.68 0.10
Gruppe ∗ Setting 365 1 2.68 0.10
STAI
trait- Angst Untersuchungsgruppe 365 1 0.15 0.70
Untersuchungssetting 365 1 6.52 0.01
Gruppe ∗ Setting 365 1 2.77 0.10

3.3.3.3 Ordnungsgeld
Alle Studienteilnehmer:
Die im Anschluss an die Landschaftsfotos folgende Fallvignette (s. Anhang),
in der eine Palliativmedizinerin Tötung auf Verlangen begeht, wurde von den
Studienteilnehmern dahingehend bewertet, dass sie ein Ordnungsgeld für das Ver-
gehen der Ärztin festlegen sollten.
Die Palliative Care professionals legten im Mittel eine Geldstrafe von
5541.49 € fest (Standardabweichung 37.965.45), während die Medizinstudenten
durchschnittlich 1481.16 € forderten (Standardabweichung 2134.19). Die beiden
Untersuchungssettings (Palliativkongress/ Medizinstudenten) werden in Tab. 3.18
zusätzlich in Versuchs- und Kontrollgruppen unterteilt dargestellt.
84 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Tab. 3.18 Ordnungsgeld deskriptive Statistik


Perzentilen
Palliativ- N MW SD Min Max 25 50 75
kongress
Versuchs- 90 2960.00 10.627.54 0 100.000 0.00 500.00 5000.00
gruppe
Kontroll- 92 8066.86 52.377.57 0 500.000 0.25 500.00 3000.00
gruppe
Medizin-
studenten
Versuchs- 90 1150.02 1438.17 0 5000 0.75 500.00 2000.00
gruppe
Kontroll- 93 1801.61 2607.40 0 20.000 500.00 1000.00 2000.00
gruppe

Initial wurde mittels ANOVA auf signifikante Unterschiede zwischen den


Untersuchungssettings, den Untersuchungsgruppen und Interaktionen von
Untersuchungsgruppe und Untersuchungssetting in Bezug auf das Ordnungs-
geld als abhängige Variable hin untersucht. Bei der Überprüfung systematischer
Unterschiede zwischen den beiden Untersuchungssettings (Palliativkongress/
Medizinstudenten) gab es keinen signifikanten Haupteffekt für den Faktor Unter-
suchungssetting (F (1, 361) = 2.06; p = 0.15). Das bedeutet, die Palliative Care
professionals und Medizinstudenten unterschieden sich nicht signifikant hinsicht-
lich des Ordnungsgeldes.
Auch bei der Untersuchung zu systematischen Unterschieden zwischen den
beiden Untersuchungsgruppen (Versuchs-/ Kontrollgruppe) gab es keinen signi-
fikanten Haupteffekt für den Faktor Untersuchungsgruppe (F (1, 361) = 1.05;
p = 0.31). Das bedeutet, die Versuchs- und Kontrollgruppen unterschieden sich
nicht signifikant hinsichtlich der Höhe des Ordnungsgeldes.
Es gab keine signifikanten Interaktionen von Untersuchungssetting und Unter-
suchungsgruppe (F (1, 361) = 0.3; p = 0.43).
Aufgrund der unterschiedlich großen Streuungen wurde im Anschluss der
Mann–Whitney-U-Test als nicht parametrischer Test durchgeführt. Auch hier
zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Untersuchungssettings
(Palliativkongress/ Medizinstudenten) und den Untersuchungsgruppen (Ver-
suchs-/ Kontrollgruppe). Innerhalb der Untersuchungssettings unterschied
sich die Höhe des festgelegten Ordnungsgeldes bei den Teilnehmern beim
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 85

­alliativkongress nicht signifikant zwischen Versuchs- und Kontrollgruppe,


P
wohl aber bei den teilnehmenden Medizinstudenten: hier bestimmte die Ver-
suchsgruppe ein signifikant niedrigeres Ordnungsgeld als die Kontrollgruppe
(s. Tab. 3.19).
Ohne Ausreißer:
Die große Standardabweichung in der Stichprobe der Pallative Care
professionals lässt sich durch Ausreißer erklären (s. Abb. 3.5): während die
meisten Studienteilnehmer eine Geldstrafe zwischen null und 10.000 € festlegten,
wählten in der Kontrollgruppe beim Palliativkongress zwei Teilnehmer eine Geld-
strafe von 50.000 und ein Teilnehmer von 500.000 €. In der Versuchsgruppe beim
Palliativkongress wurde einmalig ein Ordnungsgeld von 100.000 € bestimmt.
Ohne die vier Extremwerte beträgt der Mittelwert des Ordnungsgeldes bei
den Palliative Care professionals 1733.43 € mit einer Standardabweichung von
2308.07 (zum Vergleich noch einmal die Vorwerte: MW 5541.49, SD 37.965.45).
Die Höhe des von den einzelnen Teilnehmern festgelegten Ordnungsgeldes
unter Vernachlässigung der vier Ex-tremwerte ist der Abb. 3.6 zu entnehmen.
Tab. 3.20 gibt einen Überblick über die deskriptive Statistik des Ordnungsgeldes
ohne die vier Ausreißer. Der Vollständigkeit halber sind auch die Daten aus der
Stichprobe der Medizinstudenten aufgeführt, wobei sich hier nichts verändert hat.
Unter Vernachlässigung der vier Ausreißer wurde erneut eine ANOVA
durchgeführt. Es ergaben sich weiterhin keine signifikanten Haupteffekte für

Tab. 3.19 Ordnungsgeld Mann–Whitney-U


N mittlerer Rang Mann–Whitney- z p-Wert
U
Gruppe
Versuchsgruppe 180 174.60 15.137.50 -1.53 0.13
Kontrollgruppe 185 191.18
Setting
Palliativkongress 182 182.09 16.488.00 -0.17 0.87
Medizinstudenten 183 183.90
Untergruppen
Palliativkongress Versuchsgr 90 92.82 4021.50 -0.34 0.73
Kontrollgr 92 90.21
Medizinstudenten Versuchsgr 90 81.59 3248.00 -2.66 0.01
Kontrollgr 93 102.08
86 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Abb. 3.5 Ordnungsgeld aller Studienteilnehmer (Boxplot, die Antennen stellen den
Bereich der 5.-95. Percentile dar); VG = Versuchsgruppe, KG = Kontrollgruppe

Abb. 3.6 Ordnungsgeld ohne Ausreißer (Scatterplot mit Darstellung Mittelwert und ein-
facher Standardabweichung); VG = Versuchsgruppe, KG = Kontrollgruppe

­ ntersuchungssetting (F (1, 357) = 1.22; p = 0.27) oder Untersuchungsgruppe (F


U
(1, 357) = 0.66; p = 0.42), allerdings zeigte sich eine signifikante Interaktion von
Untersuchungsgruppe und Untersuchungssetting (F (1, 357) = 3.91; p = 0.048).
Und zwar wählten die Teilnehmer in der Versuchsgruppe beim Palliativkongress
ein signifikant höheres Strafmaß als die Teilnehmer in der Versuchsgruppe unter
den Medizinstudenten (p = 0.03). Außerdem war die Höhe der Geldstrafe in der
Stichprobe der Medizinstudenten in der Versuchsgruppe signifikant niedriger
als in der Kontrollgruppe (p = 0.047) (s. Abb. 3.6). Im Mann–Whitney-U-Test
ergeben sich ohne die vier Ausreißer keine relevanten Veränderungen.
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 87

Tab. 3.20 Ordnungsgeld ohne Ausreißer deskriptive Statistik


Perzentilen
Palliativ- N MW SD Min Max 25 50 75
kongress
Versuchs- 89 1869.66 2452.95 0 10.000 0.00 500.00 4000.00
gruppe
Kontroll- 89 1597.20 2158.81 0 10.000 0.00 500.00 3000.00
gruppe
Medizin-
studenten
Versuchs- 90 1150.02 1438.17 0 5000 0.75 500.00 2000.00
gruppe
Kontroll- 93 1801.61 2607.40 0 20.000 500.00 1000.00 2000.00
gruppe

Sowohl im nicht parametrischen Mann–Whitney-U-Test als auch in der


Varianzanalyse unter Ausschluss der vier Extremwerte zeigt sich also bei den
Medizinstudenten ein signifikanter Unterschied zwischen Versuchs- und Kontroll-
gruppe bezüglich der Höhe des Ordnungsgeldes (i.e. signifikant niedrigere Geld-
strafe in der Versuchsgruppe).
Inferenzstatistik:
Im Vorfeld der Studien wurden acht Hypothesen bezogen auf das Ordnungs-
geld aufgestellt (s. Abschn. 3.2.7 Statistische Methoden), die im Folgenden über-
prüft werden. Die ersten beiden Hypothesen bezogen sich auf das Ordnungsgeld.
Dabei besagte die erste Hypothese, dass von den Studienteilnehmern in der Ver-
suchsgruppe ein signifikant niedrigeres Ordnungsgeld festgelegt wird, als von
denen in der Kontrollgruppe. Die zweite Hypothese sagte aus, dass sich die
professionellen Mitarbeiter der Palliative Care und die Medizinstudenten hin-
sichtlich des festzulegenden Ordnungsgeldes signifikant unterscheiden. Diese
beiden Hypothesen wurden in diesem Kapitel bereits ausführlich bearbeitet
(s. o.). Im Mann–Whitney-U-Test zeigt sich kein signifikanter Unterschied
zwischen den Untersuchungssettings (Palliativkongress/ Medizinstudenten), wohl
aber zwischen den Untersuchungsgruppen (Versuchs-/ Kontrollgruppe) innerhalb
der Untersuchungssettings: so wurde in der Stichprobe der Medizinstudenten von
den Teilnehmern in der Versuchsgruppe ein signifikant niedrigeres Ordnungsgeld
bestimmt als von den Teilnehmern in der Kontrollgruppe.
Eine weitere Überlegung war, dass von allen Studienteilnehmern diejenigen,
die für aktive Sterbehilfe sind, eine signifikant niedrigere Geldstrafe festlegen.
88 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Die univariate Varianzanalyse mit dem Faktor Befürworter aktiver Sterbehilfe


(Faktorstufen ja und nein) und der abhängigen Variable Ordnungsgeld zeigte
keinen signifikanten Haupteffekt (F (2) = 1.87; p = 0.16).
Es folgten zwei Hypothesen, die sich ausschließlich auf das Untersuchungs-
setting Palliativkongress beziehen. Dabei besagte die erste Hypothese, dass
eine größere Berufserfahrung mit einer höheren Geldstrafe korreliert. In der
Spearman-Rangkorrelation ergab sich keine signifikante Korrelation von
Ordnungsgeld und Tätigkeitsdauer in der Palliative Care (ρ = - 0.104; p = 0.16).
Dem folgte die Hypothese, dass die Geldstrafe geringer ausfiel, je größer die
Anzahl an Sterbebegleitungen in den letzten 30 Tagen war. Der Spearman-Test
erbrachte keine signifikante Korrelation von Ordnungsgeld und Anzahl der
Sterbebegleitungen hervor (ρ = 0.13; p = 0.09).
Die letzten drei Hypothesen betreffen die Fragebögen zur Angst- und Persön-
lichkeitsdiagnostik. Zuerst wurde als Validierungstest überprüft, ob eine hohe
trait-Angst mit einem hohen Wert auf der Neurotizismus-Skala korreliert. Hier-
bei ergab sich eine signifikante Korrelation (ρ = 0.225; p < 0.001). Anschließend
wurde getestet, ob ein hoher Wert auf der Neurotizismus-Skala im NEO-
FFI-30 mit einem signifikant höheren Strafmaß einhergeht. Im Spearman-Test
zeigte sich keine signifikante Korrelation von Neurotizismus und Ordnungsgeld
(ρ = - 0.012; p = 0.82). Eine weitere Überlegung war, dass eine hohe trait-Angst
im STAI zu einer höheren Geldstrafe führt. Auch hier ergab sich im Spearman-
Test keine signifikante Korrelation (ρ = - 0.03; p = 0.60).

3.3.3.4 Einstellung zu Sterbehilfe
Im letzten Teil der Studien wurden die Studienteilnehmer zu ihrer Einstellung
zu aktiver Sterbehilfe, assistiertem Suizid und palliativer Sedierung befragt. Die
Mehrheit der Probanden beim Palliativkongress war grundsätzlich gegen aktive
Sterbehilfe (69.23 %) und gab an, sich auch selbst nicht vorstellen zu können,
aktive Sterbehilfe zu leisten (63.74 %). Bei den Medizinstudenten sprach sich
der größere Anteil der Teilnehmer für aktive Sterbehilfe aus (67.21 %), wobei
45.90 % äußerten, sich vorstellen zu können, auch selbst aktive Sterbehilfe durch-
zuführen. In beiden Stichproben gab eine Vielzahl der Probanden an, dass es für
sie infrage käme, unter bestimmten Bedingungen assistierten Suizid zu leisten
(47.25 % Palliative Care professionals, 72.68 % Medizinstudenten). Bei der
Frage nach palliativer Sedierung, stimmte die Mehrheit der Teilnehmer dafür,
diese unter bestimmten Bedingungen als Handlungsoption in Betracht zu ziehen
(92.31 % Palliative Care professionals, 90.71 % Medizinstudenten).
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 89

Die genauen Daten, verteilt auf die einzelnen Untergruppen, sind Tab. 3.21
zu entnehmen. Die aufgeführten Prozentzahlen beziehen sich dabei auf die
jeweiligen Untergruppen (% within group).
Bei der Untersuchung zu systematischen Unterschieden zwischen den beiden
Untersuchungssettings (Palliativkongress/Medizinstudenten) zeigten sich signi-
fikante Ergebnisse (s. Tab. 3.22). Die Auswertung der Fragen zur Einstellung
gegenüber aktiver Sterbehilfe, assistiertem Suizid und palliativer Sedierung
erfolgte mittels Chi-Quadrat-Tests nach Pearson. Medizinstudenten und

Tab. 3.21 Einstellung zu Sterbehilfe deskriptive Statistik


Palliativkongress Medizinstudenten
Versuchsgr Kontrollgr Versuchsgr Kontrollgr
N (%) N (%) N (%) N (%)
aktive Sterbehilfe
dagegen 61 (67.80) 65 (70.70) 9 (10.00) 14 (15.10)
unentschieden 16 (17.80) 13 (14.10) 17 (18.90) 20 (21.50)
dafür 13 (14.40) 14 (15.20) 64 (71.10) 59 (63.40)
Total 90 (100.00) 92 (100.00) 90 (100.00) 93 (100.00)
selbst aktive Sterbe-
hilfe
nein 61 (67.80) 55 (59.80) 21 (23.30) 32 (34.40)
unentschieden 21 (23.30) 26 (28.30) 23 (25.60) 23 (24.70)
ja 8 (8.90) 12 (11.00) 46 (51.10) 38 (40.90)
Total 90 (100.00) 92 (100.00) 90 (100.00) 93 (100.00)
assistierter Suizid
auf keinen Fall 38 (42.20) 31 (33.70) 14 (15.60) 22 (23.70)
unter best. Bed 42 (46.70) 44 (47.80) 67 (74.40) 66 (71.00)
unentschieden 10 (11.10) 17 (18.50) 9 (10.00) 5 (5.40)
Total 90 (100.00) 92 (100.00) 90 (100.00) 93 (100.00)
palliative Sedierung
auf keinen Fall 1 (1.10) 3 (3.30) 2 (2.20) 3 (3.20)
unter best. Bed 84 (93.30) 84 (91.30) 79 (87.80) 87 (93.50)
unentschieden 5 (5.60) 5 (5.40) 9 (10.00) 3 (3.20)
Total 90 (100.00) 92 (100.00) 90 (100.00) 93 (100.00)
90 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Tab. 3.22 Ergebnisse der Chi-Quadrat-Tests für systematische Unterschiede (Sterbehilfe)


N χ2 df p-Wert
Aktive Sterbehilfe
Untersuchungssetting Palliativkongress 182 133.61 2 0.00
Medizinstudenten 183
Untersuchungsgruppen Versuchsgruppe 180 0.58 2 0.75
Kontrollgruppe 185
Palliativkongress Versuchsgruppe 90 0.45 2 0.80
Kontrollgruppe 92
Medizinstudenten Versuchsgruppe 90 1.48 2 0.48
Kontrollgruppe 93
Selbst aktive Sterbehilfe
Untersuchungssetting Palliativkongress 182 64.51 2 0.00
Medizinstudenten 183
Untersuchungsgruppen Versuchsgruppe 180 0.59 2 0.74
Kontrollgruppe 185
Palliativkongress Versuchsgruppe 90 1.29 2 0.52
Kontrollgruppe 92
Medizinstudenten Versuchsgruppe 90 3.00 2 0.22
Kontrollgruppe 93
Ärztl. assistierter Suizid
Untersuchungssetting Palliativkongress 182 24.58 2 0.00
Medizinstudenten 183
Untersuchungsgruppen Versuchsgruppe 180 0.17 2 0.92
Kontrollgruppe 185
Palliativkongress Versuchsgruppe 90 2.55 2 0.28
Kontrollgruppe 92
Medizinstudenten Versuchsgruppe 90 2.88 2 0.24
Kontrollgruppe 93
Palliative Sedierung
Untersuchungssetting Palliativkongress 182 0.30 2 0.86
Medizinstudenten 183

(Fortsetzung)
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 91

Tab. 3.22 (Fortsetzung)


N χ2 df p-Wert
Untersuchungsgruppen Versuchsgruppe 180 2.76 2 0.25
Kontrollgruppe 185
Palliativkongress Versuchsgruppe 90 0.98 2 0.61
Kontrollgruppe 92
Medizinstudenten Versuchsgruppe 90 3.54 2 0.17
Kontrollgruppe 93

professionelle Mitarbeiter der Palliative Care unterschieden sich dabei signi-


fikant in ihrer generellen Einstellung gegenüber aktiver Sterbehilfe, sowie ihren
Einstellungen zu selbstständiger Durchführung aktiver Sterbehilfe und ärzt-
lich assistiertem Suizid. So demonstrierten die Palliative Care professionals
eine signifikant größere Ablehnung gegenüber der genannten Verfahren als die
Medizinstudenten. Keinen signifikanten Unterschied brachte die Frage nach der
Einstellung gegenüber palliativer Sedierung hervor, die von dem Großteil der
Befragten in beiden Stichproben „unter bestimmten Bedingungen“ in Erwägung
gezogen wurde.
Bei der Untersuchung zu systematischen Unterschieden zwischen den
beiden Untersuchungsgruppen (Versuchs-/Kontrollgruppe) ergaben sich keine
signifikanten Unterschiede bei der Auswertung. Auch innerhalb der Unter-
suchungssettings (Palliativkongress/ Medizinstudenten) unterschieden sich die
Einstellungen der Versuchs- und Kontrollgruppen nicht (s. Tab. 3.22).

3.4 Diskussion

3.4.1 Zusammenfassung

Die hier vorliegende Studie hat sich mit den MS Effekten entsprechend der TMT
und deren Auswirkung auf professionelle Mitarbeiter der Palliative Care befasst.
Unseres Wissens nach ist die vorliegende Studie die erste, die sich diesem Thema
widmet.
Es sollte getestet werden, inwieweit ethische Entscheidungen am Lebens-
ende durch unbewusste Faktoren beeinflusst werden können. Eine dahin
gehende Risikoeinschätzung ist wichtig, da Palliative Care professionals es
mit ­Entscheidungen am Lebensende mit Todesfolge zu tun haben und es eine
92 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

in psychologischen Ursachen begründete Forderung sein könnte, solche Ent-


scheidungen nur in einem multiprofessionellen Team zu treffen.
Im Rahmen dieser Studie wurden zwei Stichproben in unterschiedlichen
Settings untersucht (Palliative Care professionals und Medizinstudenten). Die MS
Induktion in der hier vorliegenden Studie hatte keinen Einfluss auf die ethische
Grundhaltung bei den professionellen Mitarbeitern der Palliative Care, wohl aber
bei den Medizinstudenten.

3.4.2 Rückbezug zur Einleitung

Der Hypothese des ingroup favoritism (s. Abschn. 3.1.2.4 Bevorzugung der
Ingroup) folgend, konnte erwartet werden, dass die Studienteilnehmer in der Ver-
suchsgruppe ein signifikant niedrigeres Ordnungsgeld festlegen, da die Palliativ-
ärztin als Mitglied der eigenen Ingroup die kulturelle Weltsicht repräsentiert, die
es nach MS Induktion zu verteidigen gilt.
Die statistische Überprüfung der gerichteten H1-Hypothese (s. Abschn. 3.1.5
Ziele der Arbeit) wurde zweiseitig durchgeführt, da es auch denkbar gewesen
wäre, dass die Palliative Care professionals nach Triggerung eine höhere Geld-
strafe festlegen, da die DGP sich gegen aktive Sterbehilfe positioniert (­Radbruch
2015) und die Palliativärztin somit durch die Tötung auf Verlangen gegen
ihre kulturelle Weltsicht verstößt (s. Abschn. 3.1.2.3 Verteidigung der Weltan-
schauung).
Die meisten Experimente in der TMT Forschung wurden so konstruiert, dass
ein Mitglied der Ingroup auch gleichzeitig die gleiche Einstellung vertritt wie
der Studienteilnehmer, während das Outgroup Mitglied eine entgegengesetzte
Ansicht repräsentiert. Daher kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob ingroup
favoritism bei mortalitätssalienten Studienteilnehmern auf der gemeinsamen
Gruppenzugehörigkeit, der anzunehmenden geteilten Haltung oder beidem basiert
(See und Petty 2006). Laut Byrnes Theorie der interpersonal attraction (1971)
mögen Menschen andere Menschen soweit sie ihnen zustimmen. Es konnte dabei
ein linearer Zusammenhang zwischen der Vorliebe für Personen und dem Ausmaß
der Ähnlichkeit ihrer Einstellungen festgestellt werden (Byrne und Nelson 1965).
Das würde dafürsprechen, dass es hauptsächlich auf gemeinsame Standpunkte
ankommt. Andererseits besagen die Theorien der social identification (Tajfel
und Billic 1974) und self-categorization (Turner et al. 1987), dass Menschen
Individuen mögen, die zu ihrer Gruppe gehören und diejenigen ablehnen, die
einer anderen Gruppe angehören aufgrund ihres Strebens nach einer positiven
sozialen Identifikation.
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 93

See und Petty (2006) haben auf Grundlage dieser Theorien Studien durch-
geführt, in denen sie testen, wie Studienteilnehmer im Anschluss an MS
Induktion auf ein Mitglied der Ingroup reagieren, welches eine gegensätz-
liche Einstellung vertritt. Castano et al. (2004) argumentieren, dass aus TMT
Perspektive betrachtet eine Gruppenzugehörigkeit nur dann als Dämpfer von
Todesangst dienen kann, wenn diese Mitgliedschaft auch mit einer Validierung
der eigenen Weltsicht einhergeht. Andererseits geben sie zu Bedenken, dass
unter MS Bedingungen die Einstellung auch nur dann wichtig sein könnte,
wenn es sich um ein Outgroup Mitglied handelt, da es möglich ist, dass schon
die Anwesenheit eines Mitglieds der eigenen Gruppe ausreichend Schutz vor
Bedrohungen bietet (Castano et al. 2004).
Tatsächlich hat sich in den Experimenten von See und Petty (2006) gezeigt,
dass die Einstellung der zu bewertenden Person bei der Beurteilung des Ingroup
Mitglieds keine Rolle gespielt hat, wohl aber bei der des Mitglieds der Out-
group: das Outgroup Mitglied wurde besonders abgelehnt, wenn es eine ent-
gegengesetzte Haltung eingenommen, und es wurde positiver bewertet, wenn es
die gleiche Meinung geteilt hat (See und Petty 2006). Im Gegensatz dazu, war
die Einstellung im Anschluss an MS Induktion irrelevant, wenn es sich um ein
Ingroup Mitglied gehandelt hat.
Dieses Ergebnis ergänzt vorherige Untersuchungen, die gezeigt haben, dass
Ingroup Mitglieder mit entgegengesetzten Standpunkten von mortalitätssalienten
Studienteilnehmern eher toleriert werden als von Teilnehmern in der Kontroll-
gruppe (Greenberg et al. 2001).
Für die hier vorliegende Studie bedeutet das, dass angenommen
werden konnte, dass die Palliativmedizinerin als Mitglied der Ingroup von
mortalitätssalienten Studienteilnehmern eine geringere Strafe auferlegt bekommt,
obwohl sie eine gegensätzliche Haltung vertritt indem sie Tötung auf Verlangen
durchführt (Radbruch 2015).
Es konnte jedoch in dieser Studie nur in der Stichprobe der Medizinstudenten
ein MS Effekt im Sinne einer triggerbaren Veränderung in der Höhe des fest-
gelegten Ordnungsgeldes gezeigt werden.

3.4.3 Systematische Unterschiede zwischen den beiden


Stichproben

Im Folgenden wird auf die Unterschiede zwischen den beiden Stichproben


(Palliative Care professionals/Medizinstudenten) eingegangen, um einen ersten
94 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

möglichen Erklärungsansatz für das unterschiedliche Outcome der beiden


Studien zu geben.
Zum einen waren die Settings verschieden: die erste Umfrage wurde während
eines palliativmedizinischen Kongresses durchgeführt, bei dem die Teilnehmer
sich den ganzen Tag intensiv mit den Themen Tod und Sterben befasst haben. Es
könnte daher sein, dass sie bereits vorgetriggert bzw. habituiert waren. Zudem
fand die Umfrage in unmittelbarer Nähe des Standes zum BMBF Projekt „30
junge Menschen“ (www.30jungemenschen.de) statt, bei dem Filmausschnitte
mit Gesprächen zwischen jungen Menschen und Sterbenden gehört und gesehen
werden konnten. Die Befragung der Medizinstudenten erfolgte in der vergleichs-
weise reizarmen Medizinerbibliothek (O.A.S.E.) der Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf. Detaillierte Ausführungen zum Thema Triggerung sind dem nach-
folgenden Kapitel zu entnehmen (s. Abschn. 3.4.4 Triggerung).
Zum anderen gab es Unterschiede bezüglich der Soziodemografie. So waren
die Teilnehmer beim Palliativkongress signifikant älter als die befragten Medizin-
studenten. Auch die Glaubenszugehörigkeit betreffend zeigten sich signifikante
Unterschiede: unter den Medizinstudenten war der Anteil an Teilnehmern
ohne Glaubenszugehörigkeit etwa doppelt so groß wie unter den Palliativ Care
professionals. Unter den Teilnehmern mit Glaubenszugehörigkeit war bei beiden
Stichproben der Anteil an Christen am höchsten, allerdings war die Diversi-
tät der Glaubenszugehörigkeiten bei den Medizinstudenten insgesamt größer (s.
Abschn. 3.3.1 Deskriptive demografische Daten).
Grundsätzlich unterschieden sich die beiden Stichproben auch bezüglich ihrer
Berufserfahrung bzw. dem Grad der Spezialisierung. In Anlehnung an Fegg et al.
(2014) kann diskutiert werden, dass professionelle Mitarbeiter der Palliative Care
durch den täglichen Kontakt mit Sterbenden eine Habituation erfahren und einen
alternativen Zugang zu proximaler Todeswahrnehmung gefunden haben, was
zum Ausbleiben der MS Effekte in dieser Stichprobe geführt haben könnte. Auch
auf solche Besonderheiten bezüglich dieser speziellen Berufsgruppe wird im
weiteren Verlauf der Diskussion noch ausführlich eingegangen (s. Abschn. 3.4.5
Beeinflussung von professionellen Mitarbeitern der Palliative Care durch
Mortalitätssalienz).
Auch im NEO-FFI-30 zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen
Palliative Care professionals und Medizinstudenten. So erzielten die
professionellen Mitarbeiter der Palliative Care signifikant höhere Werte auf den
Skalen Offenheit für Erfahrung und Verträglichkeit, wohingegen die Medizin-
studenten signifikant höhere Werte auf der Skala Extraversion erreichten. Die
trait-Angst war bei den Medizinstudenten ebenfalls signifikant höher. Es kann
diskutiert werden, ob ein dispositionell höheres Angsterleben das Auftreten von
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 95

MS Effekten begünstigt bzw. zu signifikant größeren Effekten führt. Allerdings


ergab sich für die vorliegende Studie keine signifikante Korrelation zwischen dem
Ausmaß der trait-Angst und der Höhe des Ordnungsgeldes (s. Abschn. 3.3.3.3
Inferenzstatistik).
Des Weiteren unterschieden sich die beiden Stichproben in Bezug auf ihre
Einstellungen gegenüber aktiver Sterbehilfe und ärztlich assistiertem Suizid,
wobei die Palliative Care professionals eine signifikant ablehnendere Haltung ein-
nahmen als die Medizinstudenten. Eine univariate Varianzanalyse gab allerdings
keinen Anhalt dafür, dass die Befürwortung aktiver Sterbehilfe auch mit einem
signifikant niedrigeren Ordnungsgeld einherging (s. Abschn. 3.3.3.3 Inferenz-
statistik). Auch das Thema Einstellungen zu ärztlich assistiertem Suizid in der
Bevölkerung sowie bei professionellen Mitarbeitern der Palliative Care wird in
einem gesonderten Abschnitt noch detailliert behandelt (s. Abschn. 3.4.7.1 Ein-
stellung zu ärztlich assistiertem Suizid).
Einen letzten Unterschied stellt die Tatsache dar, dass in der Stichprobe der
Palliative Care professionals vier Ausreißer vorhanden waren, welche Ordnungs-
gelder von 50.000 € oder mehr festlegten (drei von ihnen in der Kontrollgruppe).
Über Gründe für das Vorhandensein der Ausreißer kann nur spekuliert werden.
Möglicherweise haben sie persönliche Erfahrungen gemacht, die dazu führten,
dass ihr ethisches Empfinden durch das Vergehen der Palliativmedizinerin
in besonderer Weise verletzt wurde. Eine qualitative Untersuchung der vier
Ausreißer findet sich im Verlauf der Diskussion (s. Abschn. 3.4.7.4 Qualitative
Untersuchung der Ausreißer).

3.4.4 Triggerung

Nachdem sich bei der ersten Studie (Palliativkongress) kein signifikanter MS


Effekt zeigte, wurde u. a. ein Ausbleiben des Effekts aufgrund unzureichender
Triggerung in Erwägung gezogen. Um dieser Vermutung nachzugehen, wurde die
Studie in einem zweiten Durchgang mit Medizinstudenten wiederholt. Obwohl
in der zweiten Stichprobe ein signifikanter Effekt auftrat, kann trotzdem dis-
kutiert werden, ob ein anderer Trigger ggf. besser geeignet gewesen wäre. In
jedem Fall ist der Durchführungsort der ersten Umfrage (Palliativkongress)
als problematisch anzusehen, da die Probanden ggf. bereits vorgetriggert bzw.
habituiert gewesen sein könnten (s. Abschn. 3.4.3 Systematische Unterschiede
zwischen den beiden Stichproben).
Im Rahmen der ersten fünf Experimente zur TMT Forschung wurden als MS
Trigger zwei offene Fragen gestellt, welche von den Teilnehmern beantwortet
96 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

werden sollten: „Bitte beschreiben Sie kurz die Gefühle, die der Gedanke an
Ihren eigenen Tod in Ihnen weckt“ und „Notieren Sie, so genau Sie können,
was Sie denken, was mit Ihnen passiert, wenn Sie körperlich sterben“ (Rosen-
blatt et al. 1989). In ihrem sechsten Experiment haben Rosenblatt et al. (1989)
anschließend gezeigt, dass statt der beiden offenen Fragen mit Kurzantwort auch
Boyars Fear of Death Scale (1964) verwendet werden kann, um MS Effekte
zu generieren. Auf Grundlage dieser Ergebnisse wurden drei Items der Fear of
Death Scale auch für die MS Induktion in der hier vorliegenden Studie heran-
gezogen.
Weitere Forschung hat gezeigt, dass Effekte durch eine Vielfalt anderer
Operationalisierungen von MS hervorgerufen werden können: Filmmaterial von
einem fatalen Autounfall (Nelson et al. 1997), Nähe zu einem Beerdigungsinstitut
(Pyszczynski et al. 1996) und sogar subliminale Trigger (Arndt et al. 1997a). Es
muss sich allerdings um Erinnerungen an Tod und Sterblichkeit handeln; Teil-
nehmer dazu zu bringen, sich mit ihrem nächsten wichtigen Examen, physischen
Schmerzen oder generellen Ängsten auseinanderzusetzen, hat keine vergleich-
baren Ergebnisse erzielt (Greenberg et al. 1997b, 1995b). Während Gedanken
an den eigenen Tod nicht zu negativen Affekten führte, dafür aber zur Ver-
teidigung der Weltsicht und dem Streben nach Selbstwertgefühl, verhielt es
sich bei Erinnerungen an bedrohliche Situationen anderer Art genau umgekehrt
(Pyszczynski et al. 2015).
In einer Metaanalyse von 2011 wird beschrieben, dass die meisten TMT
Studien (84.1 %) den oben genannten Mortality Attitudes Personality Survey
verwenden (Martens et al. 2011). Bei 7.9 % der Experimente wird, wie in der
vorliegenden Studie, auf geschlossene Fragen zurückgegriffen, welche sich bei-
spielsweise mittels Likert-Skalen beantworten lassen (Martens et al. 2011).
Hierzu zählen der Fear of Personal Death Survey (Florian und Kravetz 1983), die
Fear of Death Scale (Boyar 1964), das Death Anxiety Questionnaire (Conte et al.
1982) und die Death Anxiety Scale (Templer 1970). Die übrigen 8 % schließen
u. a. Filmmaterial von Autounfällen, Befragungen neben Beerdigungsinstituten
und Friedhöfen und Essays über den Anschlag auf das World Trade Center mit
ein (s. o.) (Martens et al. 2011). Die Triggerung in der hier vorliegenden Studie
hätte folglich möglicherweise verbessert werden können, indem der Mortality
Attitudes Personality Survey anstelle der Items der Fear of Death Scale zur MS
Induktion verwendet worden wären, da dieser in TMT Studien am häufigsten
Anwendung findet (Martens et al. 2011) und daher auf die meiste Erfahrung
zurückgeblickt werden kann.
Eine weitere interessante Frage im Rahmen der Triggerung ist die nach der
Rolle der Zeitverzögerung zwischen MS Induktion und Auftreten der ­messbaren
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 97

distalen Abwehrmechanismen (i.e. Verteidigung der Weltsicht). Wenn Studien-


teilnehmer mit bewussten (also nicht subliminalen) Erinnerungen an Tod und
Sterblichkeit konfrontiert werden, tritt die Verteidigung der Weltsicht am deut-
lichsten nach einer zeitlichen Verzögerung auf, da die Gedanken aus dem
fokalen Bewusstsein zurückweichen, aber dennoch leicht zugänglich sein
müssen (Greenberg et al. 1994) (s. Abschn. 3.1.2.2 Kognitiver Ablauf des Terror
Managements). MS Effekte werden größer bei längerer Verzögerung: Experi-
mente, bei denen in der Verzögerungsphase zwei oder drei Aufgaben (beispiels-
weise Ausfüllen von Fragebögen oder Wörterrätseln) gelöst werden mussten,
brachten signifikant stärkere Effekte hervor, als solche mit nur einer Aufgabe
(Burke et al. 2010). Oder um es in Zeiten auszudrücken: nach 7 bis 20 min Ver-
zögerung konnten signifikant stärkere Effekte verzeichnet werden als nach 2 bis
6 min. Möglicherweise hätten sich in der hier vorliegenden Studie nach längerer
Verzögerungszeit also auch deutlichere Ergebnisse gezeigt.

3.4.5 Beeinflussung von professionellen Mitarbeitern der


Palliative Care durch Mortalitätssalienz

Was könnten weitere Faktoren sein, die das Ausbleiben der MS Effekte bei den
Palliative Care professionals nicht aber bei den Medizinstudenten erklären?
Ein möglicher Grund wird in dem 2014 von Fegg et al. veröffentlichten Paper
diskutiert, in dem es darum geht, inwiefern die Lebenseinstellungen von
medizinischem Fachpersonal von ihrem Arbeitsumfeld abhängig sind (Fegg et al.
2014).
Fegg et al. (2014) haben eine Studie durchgeführt mit dem Ziel zu unter-
suchen, wie tägliche Auseinandersetzungen mit der Endlichkeit des Lebens die
Werte, den Sinn im Leben und die Religiosität von professionellen Mitarbeitern
der Palliative Care beeinflussen.
Bei Patienten, die mit einer tödlich verlaufenden Krankheit diagnostiziert
werden, können häufig eine veränderte Sichtweise des Lebens, veränderte Priori-
täten und persönliche Werte nachgewiesen werden (Sprangers und Schwartz
1999). Mit dem Voranschreiten der Krankheit erhöhen sich ihre Spiritualität,
die Suche nach einem Sinn und das Streben nach einer Beziehung zum Über-
irdischen (Van de Geer und Wulp 2011). Nicht nur die Patienten, sondern auch
ihre Familien werden von lebensbedrohenden Krankheiten betroffen und fangen
an, sich existenzielle Fragen zu stellen (Brandstätter et al. 2014; Fegg et al. 2013).
Fegg et al. (2014) vermuten, dass professionelle Mitarbeiter der Palliative
Care durch ihre tägliche Konfrontation mit der Endlichkeit des Lebens eine
98 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

ä­ hnliche Verlagerung ihrer Werte erleben. Die Werte, der Sinn im Leben und die
Religiosität von dieser Berufsgruppe werden in ihrem Experiment mit denjenigen
von Mitarbeitern auf der Entbindungsstation (Kontrollgruppe) verglichen.
Es wird deutlich, dass Mitarbeiter der Entbindungsstation in diesem
Zusammenhang „Familie“ signifikant häufiger als Sinn gebend auflisten, während
Mitarbeiter der Palliative Care signifikant häufiger „Spiritualität“ und „Natur-
erlebnisse“ nennen (Fegg et al. 2014). Im Rahmen der persönlichen Werte zeigten
Mitarbeiter der Palliative Care sich offener gegenüber Veränderungen, während
Mitarbeiter der Entbindungsstation ihre eigenen Werte aufrechterhielten (Fegg
et al. 2014).
Fegg et al. diskutieren, dass die professionellen Mitarbeiter der Palliative Care
durch ihre ständige Konfrontation mit dem Tod in Anlehnung an die TMT eigent-
lich diejenigen sein müssten, die auf ihre eigenen Werte beharren und gegenüber
Veränderungen weniger offen eingestellt sind (Maxfield et al. 2012; Solomon
et al. 2004). Es muss allerdings berücksichtigt werden, dass professionelle Mit-
arbeiter der Palliative Care im Gegensatz zu Menschen, die innerhalb von
Experimenten oder unbewusst mit ihrer Sterblichkeit konfrontiert werden, frei-
willig in diesem Bereich arbeiten (Fegg et al. 2014). So konnte im Zusammen-
hang mit anderen Studien demonstriert werden, dass professionelle Mitarbeiter
der Palliative Care als Konsequenz ihrer Arbeit Vitalität empfinden und persön-
liches Wachstum aus ihr ziehen (Webster und Janson 2002). Möglicherweise
hat sich diese Berufsgruppe im Laufe ihrer stetigen Konfrontationen mit dem
Tod ans Sterben gewöhnt (Rankin et al. 2009). In einer qualitativen Studie
haben professionelle Mitarbeiter der Palliative Care geäußert, dass sie einen
Weg gefunden haben, mit dem Stress in ihrem Beruf umzugehen und hilfreiche
persönliche Einstellungen zum Thema Leben und Tod entwickelt haben (Ablett
und Jones 2007). Auf der Basis dieser Überlegungen kann in Bezug auf die hier
vorliegende Studie vermutet werden, dass Palliative Care professionals durch
den täglichen Kontakt mit Sterbenden eine Habituation erfahren und einen alter-
nativen Zugang zu proximaler Todeswahrnehmung gefunden haben.
Es bleibt die Frage, ob diese veränderte Einstellung eine Folge des Arbeits-
umfeldes Palliative Care ist, oder ob eine unterschiedliche Persönlichkeit und
Lebenserfahrung erst dazu führt, sich für diese spezielle Fachrichtung zu ent-
scheiden (Fegg et al. 2014). Fegg et al. (2014) nehmen Letzteres an, da die Länge
der Arbeitszeit im Bereich Palliative Care in ihrer Studie das Ergebnis nicht signi-
fikant beeinflusst hat. Auch in der hier vorliegenden Studie hatte die Tätigkeits-
dauer in der Palliative Care keine signifikanten Auswirkungen auf das Ergebnis
(i.e. die Höhe des festgelegten Ordnungsgeldes).
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 99

3.4.6 Relativierung der TMT

Schließlich muss auch die TMT kritisch hinterfragt werden. Wie in dieser Arbeit
dargestellt, wurde die TMT umfassend empirisch geprüft und wird durch eine
große Anzahl von Daten unterstützt: allein bis zum Jahre 2010 gab es fast 240
Studien basierend auf der Mortalitätssalienz Hypothese (Burke et al. 2010).
Dennoch finden sich aktuelle Veröffentlichungen, welche die Grundannahmen der
TMT infrage stellen.
Die TMT beschreibt zwei Phasen der Verleugnung der eigenen Sterblich-
keit, wobei Gedanken an den Tod zunächst unterdrückt und aus dem Bewusst-
sein verdrängt werden und in einem zweiten Schritt Abwehrmechanismen in
Form von voraussagbaren Veränderungen von Einstellung und Verhalten, wie
Treue zur Ingroup, Selbstwertgefühl und Aufrechterhaltung von Beziehungen,
greifen (Hayes et al. 2010; Martin and Bos 2014; Pyszczynski et al. 1999). Im
direkten Gegensatz dazu postuliert Qirko in seinem aktuellen Paper ein death
unawareness model (2017) in Anlehnung an Sigmund Freud: unbewusstes Wahr-
nehmen der eigenen Sterblichkeit ist demnach unmöglich, da das Unbewusstsein
nicht in der Lage ist, den Tod zu verarbeiten (Freud et al. 1918). Aus evolutiver
Sicht wird argumentiert, dass natürliche Auslese das menschliche Unbewusst-
sein so geformt hat, dass ihm die eigene Sterblichkeit nicht begreiflich ist
(Qirko 2017). Unbewusst ablaufende Prozesse scheint es nur im Zusammen-
hang mit der unmittelbaren Gegenwart zu geben, während es das Bewusstsein
ist, welches abstrakte Zeitreisen (also die Fähigkeit, Vergangenes zu überdenken
und Zukünftiges zu planen) möglich macht (Baumeister und Bargh 2014). Davon
ausgehend ist es wahrscheinlich, dass unbewusst keine Informationen über ein in
der Zukunft liegendes Sterben verarbeitet werden können (Qirko 2017). Martin
und van den Bos machen darauf aufmerksam, dass es Forschern bis jetzt nicht
gelungen ist, die Existenz von existenziellem Terror, der durch das Wissen um
die eigene Sterblichkeit hervorgerufen wird, zu beweisen (2014). Diese Voraus-
setzung wird im TMT Modell eher angenommen als getestet (Qirko 2017). Was
wirkt wie Angst vor dem Tod, könnte stattdessen durch Verlassensängste oder
andere ungelöste Konflikte der Kindheit erklärt werden (Liechty 2005).
Außerdem wird angemerkt, dass der Zusammenhang zwischen Triggern und
den durch sie hervorgerufenen Reaktionen nicht hinreichend geklärt ist (Bargh
2006). So löst MS Induktion typischerweise affektfreie oder emotional neutrale
Reaktionen aus, welche TMT Forscher auf Unterdrückungsmechanismen zurück-
führen (Hayes et al. 2010). In aktuellen Studien war bei Teilnehmern allerdings
ein geringes, jedoch signifikantes Maß an Angst als Reaktion auf mit dem Tod
100 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

verwandte Trigger nachweisbar (Lambert et al. 2014). Daraus schließen Lambert


et al. dass keine Verdrängung stattfindet, bzw. MS nicht nur durch Verdrängung
beantwortet wird (2014).
Während es stimmt, dass Unterdrückung, Verdrängung und Verleugnung
in der menschlichen Kognition typischerweise vorkommen, handelt es sich
dabei um temporäre und spezifische Abwehrmechanismen, die typischerweise
nicht funktionieren, wenn der Stressor wiederholt angetroffen wird (Breznitz
1983). Erinnerungen an Tod und Sterblichkeit sind allerdings allgegenwärtig.
Die regelmäßige bewusste Verdrängung und unbewusste Unterdrückung von
Erinnerungen an den Tod im Alltag wäre folglich kognitiv zu schwierig und auf-
wendig (Qirko 2017).
Anstatt sie als eine Folge unbewusst ablaufender Mechanismen zur Linderung
der Angst vor dem Tod anzusehen, könnte es evolutiv gesehen auch plausiblere
Gründe für die konsequent messbaren Veränderungen von Verhalten und Ein-
stellungen nach MS Induktion in den TMT Studien geben (Qirko 2017).
Beispielsweise könnten Erinnerungen an die eigene Sterblichkeit stattdessen auf-
grund von kognitiven Anpassungen zur Verteidigung der Weltsicht führen, welche
den Zweck haben, soziale Netzwerke und Bündnisse aufrecht zu erhalten und zu
stärken (Navarrete und Fessler 2005). Reaktionen auf mit dem Tod verwandte
Trigger könnten daher rein stereotyp sein (Qirko 2017).
Auf Grundlage dieser Argumente schließt Qirko, dass es keinen Grund gibt
anzunehmen, dass die bewusste Erkenntnis der eigenen Endlichkeit auch ein
unbewusstes Verstehen von Tod mit sich bringt (Qirko 2017).
Sowohl die TMT als auch das death unawareness model sagen ein bei
Menschen typischerweise feststellbares geringes Ausmaß an Angst vor dem Tod
(death anxiety) voraus, was es schwierig macht, die beiden Ansätze empirisch
gegenüberzustellen (Qirko 2017). Der Unterschied ist, dass dieses geringe death
anxiety level im Rahmen der TMT die Folge einer unbewusst ablaufenden Unter-
drückung von Gedanken an die eigene Sterblichkeit ist, während es beim death
unawareness model als Zeichen für die Nichtverfügbarkeit dieser Gedanken für
das Unbewusstsein gesehen wird (Qirko 2017).

3.4.7 Nebenerkenntnisse

3.4.7.1 Einstellung zu ärztlich assistiertem Suizid.


Im Rahmen der hier vorliegenden Umfrage wurden die Teilnehmer unter anderem
zu ihrer Einstellung gegenüber aktiver Sterbehilfe und ärztlich assistiertem Suizid
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 101

befragt. Hierbei unterschieden sich professionelle Mitarbeiter der Palliative Care


und Medizinstudenten signifikant (s. Abschn. 3.3.3.4. Einstellung zu Sterbehilfe).
Die Mehrzahl (69.23 %) der befragten Palliative Care professionals gab
an, gegen aktive Sterbehilfe zu sein, also dagegen, das Leben schwerkranker
Menschen auf deren eigenen Wunsch hin zu beenden. 63.74 % würden selbst
keine aktive Sterbehilfe leisten, d. h., sie würden beispielsweise einem unheil-
bar Kranken keine tödlichen Medikamente verabreichen. Die Frage danach, ob
sie ärztlich assistierten Suizid durchführen würden, indem sie einem Patienten
ein tödliches Medikament zur Verfügung stellen, welches dieser dann selbst ein-
nimmt, beantworteten 47.25 % der Teilnehmer beim DGP Kongress mit „auf
keinen Fall“ (37.91 % unter bestimmten Bedingungen, 14.84 % unentschieden).
Im Jahr 2015 führte die DGP ebenfalls eine Umfrage zur Einstellung zu
und Erfahrung mit ärztlich assistiertem Suizid unter ihren Mitgliedern durch
(n = 1811) (Jansky et al. 2017). Aus der Studie geht hervor, dass 56.1 % der
Palliativärzte und 40.1 % der anderen Berufsgruppen eine eigene Beteiligung
an ärztlich assistiertem Suizid grundsätzlich ablehnten, 34.5 % bzw. 40.9 %
konnten sich dies theoretisch vorstellen. Das bedeutet, dass insgesamt 49.65 %
der befragten DGP Mitglieder auf keinen Fall ärztlich assistierten Suizid leisten
würden (37.08 % unter bestimmten Bedingungen). Die Studie von Jansky et al.
(2017) und die hier vorliegende Studie sind folglich zu vergleichbaren Ergeb-
nissen gekommen.
Die erste deutsche Studie, die die Bereitschaft von Palliative Care
professionals abfragte, aktive Sterbehilfe oder ärztlich assistierten Suizid zu
leisten, ohne vorbelastete Begriffe wie „Suizid“ oder „Sterbehilfe“ zu verwenden,
sondern anhand von konkreten Patientenfällen, wurde bei einem Palliativkongress
und einem Schmerzsymposium 2013 durchgeführt (Zenz et al. 2015a und b).
Von den 470 Teilnehmern gaben 79.6 % an, bei Patienten mit unheilbaren Krank-
heiten keine aktive Sterbehilfe zu leisten (5.3 % ja, 14.7 % unentschieden). 66 %
der Studienteilnehmer sprachen sich auch gegen ärztlich assistierten Suizid aus
(13 % dafür, 14.7 % unentschieden). Bei der Umfrage von Zenz et al. (2015a und
b) zeigte sich, wie in der hier vorliegenden, eine größere Bereitschaft zu ärztlich
assistiertem Suizid im Vergleich zu aktiver Sterbehilfe. Die Frage ist, was dem
signifikanten Unterschied zwischen Medizinstudenten und professionellen Mit-
arbeitern der Palliative Care bezüglich ihrer Einstellung zu ärztlich assistiertem
Suizid und aktiver Sterbehilfe zugrunde liegt. Zenz et al. stellten im Rahmen
ihrer Studie von 2012 fest, dass die Zustimmung gegenüber lebensbeendenden
Maßnahmen mit dem Weiterbildungsstand der Ärzte abnahm (Zenz et al. 2015a
und b). Ärzte mit einer speziellen palliativmedizinischen Qualifikation sind
demnach zurückhaltender eingestellt als Ärzte ohne Weiterbildung.
102 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

In der Schweiz wurden 2006 Palliative Care professionals, Mitarbeiter eines


onkologischen Instituts und Medizinstudenten zu ihrer Einstellung zu ärztlich
assistiertem Suizid und aktiver Sterbehilfe befragt. Dabei zeigte sich, dass die
Anzahl der Befürworter unter den Palliative Care professionals am geringsten
und unter den Medizinstudenten am höchsten war (Marini et al. 2006). Faktoren,
die mit einer Befürwortung lebensbeendender Maßnahmen einhergehen, sind
Studien zufolge u. a.: keine Glaubenszugehörigkeit, fehlende palliativmedizinische
Erfahrung, geringere Kompetenz im Bereich Symptommanagement und persön-
liche Eigenschaften wie geringere Empathie und Burnout (Bachman et al. 1996;
Grassi et al. 1999; Portenoy et al. 1997; Seale 2009). Außerdem könnte das Alter
eine Rolle spielen: bei einer 2015 bundesweit durchgeführten Bevölkerungs-
umfrage waren unter den Befürwortern von Beihilfe zum Suizid insgesamt die
Jüngeren (18–59 Jahre) und unter den Gegnern die Älteren (60–80 + Jahre) ver-
treten (Petra-Angela Ahrens and Wegner 2015). Auch bei einer Passantenbefragung
aus dem Jahr 1999 erwies sich das Alter als signifikanter Prädikator: während bei
den unter 30-Jährigen 84 % aktive Sterbehilfe befürworteten und 16 % dagegen
waren, sank die Anzahl der Befürworter in der Altersgruppe der ≥ 50-Jährigen auf
57 %, die Anzahl der Gegner stieg auf 43 % (Nyhsen et al. 1999).

3.4.7.2 Persönlichkeitscharakteristika
Medizinstudenten und Palliative Care professionals unterschieden sich im NEO-
FFI-30 signifikant hinsichtlich der Persönlichkeitscharakteristika Extraversion,
Verträglichkeit und Offenheit für Erfahrungen. So erzielten die Palliative Care
professionals signifikant höhere Werte auf den Skalen Offenheit für Erfahrung
sowie Verträglichkeit. Die Medizinstudenten hingegen erreichten signifikant
höhere Werte auf der Skala Extraversion. Dies ist ein interessanter Neben-
effekt, der allerdings keinen primären Gegenstand dieser Arbeit darstellt. Weitere
Forschung könnte sich damit befassen. Im Rahmen dieser Arbeit waren haupt-
sächlich die auf der Neurotizismus-Skala erzielten Werte von Interesse.
Neurotizismus wird beschrieben als eine Eigenschaft, negativ auf diverse
Ursachen von Stress zu reagieren. Negative Gefühle, die dabei als wesent-
lich erachtet werden, schließen Ängstlichkeit, Reizbarkeit, Wut und Traurigkeit
mit ein (Clark und Watson 2008). Neurotizismus wird außerdem charakterisiert
durch die Annahme, dass die Welt ein gefährlicher und angsterregender Ort ist
und durch die Überzeugung, mit herausfordernden Ereignissen nicht zurechtzu-
kommen (Barlow et al. 2014). Es kann folglich davon ausgegangen werden, dass
hohe Werte auf der Neurotizismus-Skala per definitionem mit einer hohen trait-
Angst einhergehen. Dies konnte auch in der vorliegenden Studie gezeigt werden
(s. Abschn. 3.3.3.3 Inferenzstatistik).
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 103

Goldenberg et al. (1999) legen nahe, dass Menschen mit hohen


Neurotizismuswerten Probleme mit ihrem Terror Management erleben, da sie
Schwierigkeiten haben, Vertrauen zu ihrer kulturellen Weltsicht und in das
Gefühl, ein wertvoller Bestandteil im Kontext dieser Weltsicht zu sein, aufrecht
zu erhalten. Auch Rank (1936), der einen großen Einfluss auf die TMT hatte,
ist ähnlicher Auffassung: er argumentiert, dass eine Neurose das Ergebnis einer
übersteigerten Wahrnehmung der eigenen Person ist, die zu einem intensiveren
Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit führt und dazu, dass man die eigenen
Glaubenssysteme und somit die potenzielle Grundlage dafür, Selbstwertgefühl
zu generieren, durchschaut. Vor diesem Hintergrund wurde in der hier vor-
liegenden Studie überprüft, ob ein hoher Wert auf der Neurotizismus-Skala des
NEO-FFI-30 mit einem signifikant höheren Strafmaß einhergeht. Es ließ sich
für diese Studie allerdings keine signifikante Korrelation von Neurotizismus und
Ordnungsgeld feststellen (s. Abschn. 3.3.3.3 Inferenzstatistik).

3.4.7.3 Geschlechterverteilung
Auf der Homepage der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf finden sich
Studierendenstatistiken mit Auswertungen aller immatrikulierten Studierenden
nach Studiengängen (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 2017). Demnach
waren zum Zeitpunkt der vorliegenden Studie (Sommersemester 2015) 3297
Studierende für das Fach Medizin eingeschrieben, 2122 davon weiblich. Dies ent-
spricht einem Anteil an weiblichen Studierenden von 64.4 % und ist vergleichbar
mit dem Anteil an Medizinstudentinnen unter den Studienteilnehmern (61.7 %).
Statistiken zur Geschlechterverteilung unter den DGP-Mitgliedern liegen
nicht vor. Bei der 2013 unter vergleichbaren Bedingungen (Setting und Zeitraum)
von Zenz et al. erhobenen Studie, bei der Teilnehmer eines Palliativkongresses
und eines Schmerzsymposiums nach ihrer Bereitschaft befragt wurden, ärztlich
assistierten Suizid durchzuführen, lag der Anteil an Frauen bei 75.1 % (2015). In
der hier vorliegenden Studie betrug er 70.9 %.
2.8 % der Teilnehmer der Studie von Zenz et al. wählten bei der Frage nach
ihrem Geschlecht „not specified“ (2015). Auch in der hier vorliegenden Studie
gab es neben „männlich“ und „weiblich“ die Option, sich bei der Geschlechts-
angabe für „unentschieden“ oder „X“ zu entscheiden. Die Angabe „unent-
schieden“ machten zwei Teilnehmer beim DGP Kongress und einer der
Medizinstudierenden, also insgesamt 0.8 %. In beiden Studien ist der Anteil
an Intersexuellen unter den Studienteilnehmern damit höher als zu erwarten
bezogen auf die Prävalenz von Intersexualität in Deutschland, die bei etwa 2 von
10.000 Neugeborenen vorkommt und somit bei 0.02 % liegt (Thyen et al. 2007).
104 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Möglicherweise gibt es in der Palliative Care einen größeren Anteil von


Menschen mit Intersexualität oder Geschlechtsidentifikationsstörung. Eine
andere Überlegung ist, dass Studienteilnehmer ihr Geschlecht aus Gründen der
Anonymität nicht angeben wollten.

3.4.7.4 Qualitative Untersuchung der Ausreißer


In der Stichprobe der Palliative Care professionals befanden sich vier Ausreißer,
welche Extremwerte als Ordnungsgeld wählten. Die qualitative Untersuchung
dieser vier Studienteilnehmer ergab die in Tab. 3.23 dargestellten demografischen
Daten. Es handelte sich dabei um drei weibliche Palliative Care professionals
christlicher Glaubenszugehörigkeit in der Kontrollgruppe, von denen zwei
als Ärztinnen tätig sind und eine die Kategorie „Sonstige“ angab. Auch der
vierte Studienteilnehmer unter den Ausreißern ist ein Arzt, allerdings männlich,
atheistisch und in der Versuchsgruppe. Sie alle haben in den letzten 30 Tagen
Sterbebegleitungen durchgeführt, arbeiteten also zum Zeitpunkt der Studie aktiv
palliativmedizinisch.
Auch bezüglich der deskriptiven Messdaten (NEO-FFI und STAI)
wurden die vier Ausreißer noch einmal gesondert betrachtet. Die Ergeb-
nisse dieser Auswertungen sind in Tab. 3.24 dargestellt. Bei den t-Tests auf

Tab. 3.23 Demografische Daten Ausreißer


Ausreißer 1 Ausreißer 2 Ausreißer 3 Ausreißer 4
Gruppe Kontrollgruppe Kontrollgruppe Kontrollgruppe Versuchsgruppe
Geschlecht weiblich weiblich weiblich männlich
Alter (Jahre) 41–45 51–55 25–30 36–40
Glaubenszuge- evangelisch katholisch evangelisch atheistisch
hörigkeit
Profession Arzt Sonstige Arzt Arzt
Tätigkeitsdauer in 6–10 1–2 <1 2–5
der Palliative Care
(Jahre)
Sterbe- 16–20 8 3 2
begleitungen
in den letzten
30 Tagen
Ordnungsgeld 500.000 50.000 50.000 100.000
(Euro)
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 105

Tab. 3.24  NEO-FFI und NEO-FFI N MW SD


STAI Ausreißer
Neurotizismus 4 5.00 3.16
Extraversion 4 17.75 2.22
Offenheit für Erfahrung 4 18.75 4.27
Verträglichkeit 4 17.25 3.69
Gewissenhaftigkeit 4 17.25 1.50
STAI
trait-Angst 4 1.55 0.19

­ ittelwertunterschiede zwischen den Ausreißern und der restlichen Stichprobe


M
der Palliative Care professionals (abzüglich der Ausreißer) zeigten sich keine
signifikanten Unterschiede hinsichtlich Neurotizismus (t (180) = - 0.71; p = 0.48),
Extravasion (t (180) = 1.51; p = 0.13), Offenheit für Erfahrung (t (180) = 0.68;
p = 0.50), Verträglichkeit (t (180) = - 0.44; p = 0.66) oder Gewissenhaftigkeit (t
(180) = -0.33; p = 0.74). Auch bezüglich der trait-Angst ergab sich kein signi-
fikanter Unterschied (t (180) = - 0.97; p = 0.33). Aufgrund der geringen Anzahl
der Ausreißer ist die statistische Testpower allerdings fraglich.
Alle vier Studienteilnehmer positionierten sich, wie 69.23 % der befragten
Palliative Care professionals, grundsätzlich gegen aktive Sterbehilfe. Sie
stimmten dafür, palliative Sedierung „unter bestimmten Bedingungen“ in
Erwägung zu ziehen. Auch diese Ansicht wurde von der Mehrheit der Befragten
beim Palliativkongress geteilt (92.31 %). Drei der vier Studienteilnehmer gaben
zusätzlich an, sich nicht vorstellen zu können, selbst aktive Sterbehilfe oder
ärztlich assistierten Suizid zu leisten. Lediglich der als „Ausreißer 3“ gekenn-
zeichnete Palliative Care professional beantwortete diese beiden Fragen mit
„unentschieden“. Bezüglich der Frage nach der selbstständigen Durchführung
aktiver Sterbehilfe findet sich unter den befragten professionellen Mitarbeitern
der Palliative Care eine Mehrheit von 63.74 %, für die dies nicht infrage
kommt. Die Stimmungslage in Bezug auf ärztlich assistierten Suizid ist weniger
eindeutig: 37.91 % antworteten mit „auf keinen Fall“, 47.25 % mit „unter
bestimmten Bedingungen“ (s. Abschn. 3.3.3.4 Einstellung zu Sterbehilfe).

3.4.8 Einschränkungen des Experiments

Auf die Problematik des Settings während der ersten Umfrage (s. Abschn. 3.4.3
Systematische Unterschiede zwischen den beiden Stichproben) und der
106 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Triggerung (s. Abschn. 3.4.4 Triggerung) wurde bereits ausführlich eingegangen.


Zur eindeutigeren statistischen Auswertung hätte es sinnvoll sein können, bei der
Frage nach dem Ordnungsgeld statt eines Freitextfeldes ein Dropdownmenü mit
vorgegebenen Summen zu wählen.
Um einen Bias durch die Wortwahl zu vermeiden, hätten bei der Erfragung
der grundsätzlichen Einstellung zu aktiver Sterbehilfe, assistiertem Suizid
und palliativer Sedierung im letzten Teil der Umfrage statt des Begriffs „aktive
Sterbehilfe“ besser Termini wie „Tötung auf Verlangen“ verwendet werden
sollen. Denn „Hilfe“ als Teil des Begriffs signalisiert etwas, das in jeder Phase
des Sterbens legitim und wünschenswert ist (Nationaler Ethikrat 2006).
Die a priori-Poweranalyse für die benötigte Fallzahl hatte eine Mindestgrup­
pengröße von n = 130 Personen pro Gruppe (Versuchs-/ Kontrollgruppe) bzw.
N = 260 Personen pro Stichprobe ergeben (s. Abschn. 3.2.2 Fallzahlberechnung).
Es wurde allerdings lediglich eine Teilnehmerzahl von N = 182 beim Palliativ-
kongress und N = 183 bei den Medizinstudenten erreicht. Basierend auf der
Metaanalyse von 2010 (Burke et al. 2010), wurde bei der a priori-Poweranalyse
mit einer Effektstärke von 0.36 gerechnet. In der hier vorliegenden Studie war der
Effekt aufgrund der großen Streuung jedoch kleiner. Eine daraufhin erneut durch-
geführte Fallzahlberechnung mit der korrigierten Effektstärke von 0.25 erbrachte
eine Mindestgruppengröße von N = 128 (s. Abb. 3.7). Demnach ist eine aus-
reichende Testpower gegeben.

3.4.9 Fazit

Das Ziel dieser Studie war es, herauszufinden, ob ethische Entscheidungsfindung


und Risikoverhalten bei Palliative Care professionals durch MS Induktion trigger-
bar sind. Auf Grundlage der TMT Forschung wurde eine randomisierte kontrollierte
Studie entworfen, bei der die Studienteilnehmer die Höhe der Geldstrafe für die
durch eine Palliativmedizinerin durchgeführte Tötung auf Verlangen festlegen
sollten. Dabei wurde angenommen, dass die mortalitätssalienten Teilnehmer in der
Versuchsgruppe ein signifikant niedrigeres Strafmaß bestimmen, da die Palliativ-
ärztin als Mitglied der eigenen Ingroup die kulturelle Weltsicht repräsentiert, die
es nach MS Induktion zu verteidigen gilt. Es konnte in dieser Studie allerdings bei
den Palliative Care professionals kein MS Effekt im Sinne einer triggerbaren Ver-
änderung in der Höhe des veranschlagten Ordnungsgeldes gezeigt werden.
Bei einer daraufhin erneuten Durchführung der Studie, diesmal mit Medizin-
studenten, waren MS Effekte nachweisbar. Dies legt nahe, dass es sich nicht um
ein grundsätzliches Problem der Triggerung handelt.
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 107

Abb. 3.7 Fallzahlberechnung 2.0

Als möglicher Grund für das Ausbleiben der Effekte bei den Palliative Care
professionals wurde diskutiert, dass professionelle Mitarbeiter der Palliative Care
eine andere persönliche Einstellung zum Thema Leben und Tod entwickelt und
durch den täglichen Kontakt mit Sterbenden eine Habituation erfahren haben, die
ihnen einen alternativen Zugang zu proximaler Todeswahrnehmung ermöglicht.
Der ausgebliebene MS Effekt könnte auch einem ungünstigen Setting während
der ersten Studie geschuldet sein.
Aktuelle Veröffentlichungen stellen darüber hinaus die Grundannahmen der
TMT infrage, bei der es sich um unbewusst ablaufende Bewältigungsmechanis-
men handelt, in dem sie argumentieren, dass unbewusstes Wahrnehmen der
eigenen Sterblichkeit unmöglich sei, da das Unbewusstsein nicht in der Lage ist,
den Tod zu verarbeiten.
108 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Anhang (Umfrage)

Zu Beginn möchten wir anonym einige persönliche Daten erheben.

1. Profession
In der Palliative Care arbeite ich hauptsächlich im Bereich…
• Pflege
• Arzt
• Physiotherapie
• Psychotherapie
• Kunsttherapie
• Musiktherapie
• Sozialdienst
• Seelsorge
• andere Profession (bitte angeben):
2. Tätigkeitsdauer in der Palliative Care in Jahren
Wie lange arbeiten Sie zusammengenommen bereits in der Palliative Care?
•  < 1 Jahr
• 1 Jahr
• 1–2 Jahre
• 2–5 Jahre
• 6–10 Jahre
• 11–15 Jahre
• 16–20 Jahre
• 21–25 Jahre
• 26–30 Jahre
•  > 30 Jahre
3. Anzahl der Sterbebegleitungen in den letzten 30 Tagen
Bitte überlegen Sie kurz: Wie viele Sterbebegleitungen haben Sie persönlich
in den letzten 30 Tagen miterlebt oder selbst durchgeführt?
• 0
• 1
• 2
• 3
• 4
• 5
• 6
• 7
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 109

• 8
• 9
• 10
• 11–15
• 16–20
• 21–25
• 26–30
•  > 30
4. Glaubenszugehörigkeit
Ich bezeichne mich am ehesten als…
• keine Zugehörigkeit (agnostisch)
• keine Zugehörigkeit (atheistisch)
• christlich (katholisch)
• christlich (evangelisch)
• christlich (orthodox)
• christlich (freikirchlich)
• jüdisch
• buddhistisch
• hinduistisch
• islamisch (sunnitisch)
• islamisch (schiitisch)
• islamisch (ibaditisch)
• taoistisch
• konfuzianisch
• shintoistisch
• andere Glaubensgemeinschaft (bitte angeben):
5. Alter
Wir bitten Sie, Ihre Altersgruppe anzugeben:
•  < 18
• 18–24
• 25–30
• 31–35
• 36–40
• 41–45
• 46–50
• 51–55
• 56–60
110 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

• 61–65
• 66–70
• 71–75
• 76–80
•  > 80
6. Geschlecht
• männlich
• weiblich
• X
• Unentschieden
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 111

Im folgenden Fragebogen finden Sie eine Reihe von Feststellungen, mit denen
man sich selbst beschreiben kann. Bitte lesen Sie jede Feststellung durch und
wählen Sie aus den vier Antworten diejenige aus, die angibt, wie Sie sich im All-
gemeinen fühlen. Es gibt keine richtigen oder falschen Antworten. Überlegen Sie
bitte nicht lange und denken Sie daran, diejenige Antwort auszuwählen, die am
besten beschreibt, wie Sie sich im Allgemeinen fühlen.

7. Bitte wählen Sie aus:


112 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Zum Abschluss des ersten Teils der Befragung bitten wir Sie nun, einen weiteren
Persönlichkeitsfragebogen anonym auszufüllen. Die Beantwortung dauert
3–6 min.
Bitte klicken Sie auf „weiter", wenn Sie bereit sind.
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 113

Nur Kontrollgruppe:
Dieser Fragebogen umfasst 30 Aussagen, welche sich zur Beschreibung Ihrer
eigenen Person eignen könnten. Lesen Sie bitte jede dieser Aussagen aufmerksam
durch und überlegen Sie, ob diese Aussage auf Sie persönlich zutrifft oder nicht.
Bitte bewerten Sie die 30 Fragen zügig, aber sorgfältig.

8. Bitte wählen Sie aus:


114 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 115

Nur Versuchsgruppe:
Dieser Fragebogen umfasst 33 Aussagen, welche sich zur Beschreibung Ihrer
eigenen Person eignen könnten. Lesen Sie bitte jede dieser Aussagen aufmerksam
durch und überlegen Sie, ob diese Aussage auf Sie persönlich zutrifft oder nicht.
Bitte bewerten Sie die 33 Fragen zügig, aber sorgfältig.

9. Bitte wählen Sie aus:


116 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Vielen Dank! Sie haben jetzt den zweiten Teil der Befragung erreicht. Auf der
nächsten Seite werden Sie 4 Landschaftsfotos ansehen können. Bitte betrachten
Sie diese und entscheiden, welches Ihnen am besten gefällt, indem Sie die Bilder
in eine Reihenfolge (1–4) bringen.
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 117

Bild 1 Bild 1

Bild 3 Bild 4

10. Welche Situation gefällt Ihnen am besten?


Bitte geben Sie eine Reihenfolge (1–4) an, wobei 1 das Bild bezeichnet,
welches Ihnen am meisten zusagt und 4 das Bild bezeichnet, welches Ihnen
am wenigsten zusagt.
• Bild 1
• Bild 2
• Bild 3
• Bild 4
Vielen Dank bis hierher! Dies ist nun der letzte Teil unserer Umfrage. Auf der
nächsten Seite werden wir Ihnen ein Fallbeispiel vorstellen. Bitte lesen Sie
den folgenden Fall in aller Ruhe durch. Am Ende des Fallbeispiels bitten wir
Sie, dazu eine Aufgabe und vier Fragen zu beantworten. Bitte klicken Sie auf
„weiter“, wenn Sie bereit sind.
118 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Am 30. März 2012 wurde der 31jährige Erik Nadler auf die Palliativstation eines
Krankenhauses der Maximalversorgung aufgenommen. Die Aufnahmesituation
stellte sich wie folgt dar:

1. Herr Erik Nadler, 31 Jahre, verheiratet, keine Kinder, Studium der Soziologie,
aktuell Unternehmensberater in der IT-Branche.
2. Aufnahmerelevante Diagnose und Verlauf: Anaplastisches, cerebelläres
Astrozytoms Grad III; Erstdiagnose 2012, Z.n. operativer Teilresektion (R1),
Z.n. einem Zyklus Temodal-Chemotherapie mit Progression des Tumors unter
Therapie.
aktuell: Empfehlung des interdisziplinären Tumorboards: „best supportive
care“
3. Symptomlast: physisch: Schwindel mit Fallneigung, seit vier Wochen Bett-
lägerigkeit, diffuses Taubheitsgefühl im Kopf, Kopfschmerzen (NRS 4/10),
Schmerzen im unteren Rückenbereich (NRS 6/8), schmerzhafte Obstipation,
feinmotorische Koordinationsstörungen psychisch: depressive Stimmungs-
lage, affektiv gering erhaltene Schwingungsfähigkeit, mittelgradige Angst
(unbestimmt, diffus) sozial: Ehefrau stark belastet; kein Kontakt zu seinen
Eltern; keine schriftliche Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht
spirituell: keine organisierte Glaubenszugehörigkeit, offen für Gespräche
4. Palliativstadium und Prognose: Palliative-Performance-Scale: Gruppe B
(30-Tage-Überlebenswahrscheinlichkeit 30–70 %) Palliative Prognostic Index:
6-Wochen-Überlebenswahrscheinlichkeit > 20 % Palliativstadium nach Jonen-
Thielemann: frühe Terminalphase
5. Entlassplanung: aktuell noch unklar, ggf. Entlassung mit SAPV oder ins
Hospiz. Der Patient wird im Sinne einer palliativmedizinischen Komplex-
behandlung therapiert. Zur Therapie der Kopf- und Rückenschmerzen erhält
er Fortecortin (Stoßtherapie beginnend mit 24 mg 1–0-0 und späterer schritt-
weiser Reduktion), Metamizol (4 × 1 g) und eine PCA-Pumpe zur patienten-
kontrollierten Schmerztherapie mit Morphin (Einstellungen: Bolus 1 mg,
Sperrzeit 15 Min., max. Bolusanzahl 4/h). Unter dieser Therapie erreicht
der Patient innerhalb der ersten 2 Behandlungstage eine zufriedenstellende
Schmerzkontrolle (NRS 1–3). Zur Reduktion der Obstipation erfolgte mit
Laxoberal® und Movicol® die Gabe von Laxanzien, welche schnell zu einer
Regulierung des Stuhlganges führten.
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 119

In einem Paargespräch (Tag 3) mit dem medizinischen Behandlungsteam


(Onkologie, Palliativmedizin) wird die Empfehlung des Tumorboards auf
Wunsch des Patienten erneut diskutiert. Dabei drückt Herr Nadler zunächst
Wut und später zusammen mit seiner Ehefrau große Traurigkeit aus. Im
Laufe der folgenden Tage leidet der Patient unter einer langsam zunehmenden
Schluckstörung und ist aufgrund einer Dysarthrie zunehmend schwer zu ver-
stehen. Bei der Visite ist er traurig und weint bitterlich. Er artikuliert seine
große Sorge um die eigene Ehefrau und möchte „ihr nicht zumuten ihn zu ver-
sorgen“.
Im weiteren Verlauf seines Aufenthaltes (Tag 8) ist Herr Nadler sehr unruhig.
Die Gabe von 0,5 mg Lorazepam (z. B. Tavor®) als Bedarfsmedikation zeigt
keine deutliche Wirkung. Er möchte weder essen noch gewaschen werden. Er
ist kaum noch zu verstehen. Wenn er Dinge mehrfach wiederholen muss wird
er wütend.
Dem Patienten ist zunehmend schwindelig im Liegen und an Tag 9 äußert er
mehrfach den Wunsch zu sterben. Er bittet Pflegekräfte und wiederholt auch
die Stationsärztin während der Visiten um Hilfe.
Die behandelnde Stationsärztin schlägt nach einem psychiatrischen Konsil
einen Therapieversuch mit Methylphenidat (z. B. Ritalin®) vor, jedoch wird
dieser vom Patienten abgelehnt. Auch eine i.v. Gabe eines Antidepressivums
(Amitryptilin) wird vom Patienten abgelehnt. „Er wolle einfach nur noch
sterben“ und bittet die Ärztin in einem vier-Augen-Gespräch unter großer
Sprechanstrengung erneut um ihre Unterstützung.

Wenn Sie den Fall bis hierhin nachvollzogen haben, drücken Sie bitte „weiter".
120 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Am Abend des 10. Tages kommt es zu einer zunehmenden Bewusstseinsein-


trübung des Patienten mit Paraplegie und starkem Stöhnen des Patienten. Die
betreuende Stationsärztin hat in dieser Nacht Rufdienst und wird von der Pflege-
kraft um 23.15 Uhr zum Patienten gebeten, dessen Stöhnen sehr laut geworden
sei. Wenn man seine Hand halte, werde es besser, seine Ehefrau habe aber die
Situation nicht mehr ausgehalten und habe an die frische Luft gehen müssen.
Allerdings ginge es auch einer anderen Patientin gerade nicht gut und daher
könne die Pflegende nicht die ganze Zeit beim Patienten sein.
Die Ärztin zieht 20 mg Morphin und 20 mg Midazolam in zwei Spritzen auf
und geht zum Patienten. Während sie mit dem Patienten alleine ist, nimmt das
Stöhnen des Patienten weiter zu. Die Ärztin spritzt beide Medikamente zügig
über einen intravenösen Zugang. Die Ärztin sucht die Ehefrau auf, die mittler-
weile wieder auf der Palliativstation angekommen ist. Als beide in das Patienten-
zimmer zurückkehren ist der Patient verstorben. Offizieller Todeszeitpunkt ist
23:57 Uhr.
Es wird ein Strafverfahren gegen die Ärztin eingeleitet und sie wird rechts-
kräftig verurteilt (Tötung auf Verlangen). Im eingeleiteten berufsrechtlichen Ver-
fahren vor der zuständigen Ärztekammer stellt der Vorstand in diesem Fall einen
berufsrechtlichen Überhang fest. Er verhängt eine Rüge mit Auflage (Ordnungs-
geld). Dieses Ordnungsgeld liegt in solchen Fällen häufig in einer Spanne von
500–5.000 €.

11. Bitte geben Sie aus Ihrer subjektiven Sicht an, wie hoch Sie das Ordnungs-
geld ansetzen würden:
3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 121

Auf dieser letzten Seite geht es um Ihre Einstellung zu aktiver Sterbehilfe,


assistiertem Suizid und palliativer Sedierungstherapie. Bitte bewerten Sie zuletzt
die folgenden 4 Aussagen.

12. Zurzeit wird ja viel über aktive Sterbehilfe diskutiert. Das bedeutet, dass man
das Leben schwerkranker Menschen, die keine Chance mehr zum Überleben
haben und großes Leiden erdulden müssen, auf deren eigenen Wunsch hin
beendet. Sind Sie für oder gegen die aktive Sterbehilfe?
• dafür
• dagegen
• unentschieden
13. Das ist sicher nicht einfach zu sagen, aber könnten Sie sich vorstellen, dass
Sie selbst aktive Sterbehilfe leisten, dass Sie also z. B. einem unheilbar
Kranken ein tödliches Medikament verabreichen, wenn Sie der Patient darum
bittet?
• ja
• nein
• unentschieden
14. Käme es für Sie unter bestimmten Bedingungen infrage, einen Patienten beim
Suizid zu unterstützen, ihm also tödliche Medikamente zur Verfügung zu
stellen, die dieser dann selbst einnimmt oder käme das auf gar keinen Fall
infrage?
• auf keinen Fall
• unter bestimmten Bedingungen
• unentschieden
15. Wenn Sie einen Patienten auf der Palliativstation behandeln besteht die
Möglichkeit bei korrekter Indikationsstellung eine sogenannte palliative
Sedierungstherapie durchzuführen, bei der der Patient durch eine
Kombination aus Opioid und Benzodiazepin schlafen gelegt wird. Kommt
eine solche Therapie für einen Patienten als Handlungsoption für Sie infrage?
• auf keinen Fall
• unter bestimmten Bedingungen
• unentschieden
122 E. C. Reppert und C. Schulz-Quach

Vielen Dank für Ihre Teilnahme! Sie haben das Ende der Umfrage erreicht.
Wenn Sie mit uns im Kontakt bleiben wollen und die Ergebnisse erfahren wollen,
dann tragen Sie sich bitte bei einem unserer Mitarbeiter in die E-Mail-Liste ein,
die unabhängig von dieser Befragung aufbewahrt wird. Sie erhalten dann inner-
halb der nächsten vier Wochen eine erste Information zur allgemeinen Datenaus-
wertung.

16. Möchten Sie zum Abschluss einen Kommentar hinzufügen?


3 Faktoren zur Entscheidungsfindung bei professionellen Mitarbeitern ... 123

Literatur

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Zeller, C. (2015). Palliative Care: liebevoll Schmerzen lindern, Einsamkeit nehmen.
Malteser Mag: Lebensqualität geben.
Zenz, J., Tryba, M., & Zenz, M. (2015a). Palliative care professionals’ willingness to per-
form euthanasia or physician assisted suicide. BMC Palliative Care, 14, 60. https://doi.
org/10.1186/s12904-015-0058-3.
Zenz, J., Tryba, M., & Zenz, M. (2015b). Tötung auf Verlangen und assistierter Suizid.
Schmerz, 29, 211–216. https://doi.org/10.1007/s00482-015-1513-z.
Die randomisiert kontrollierte Studie –
eine kommentierte Literaturliste 4
Franziska Anushi Jagoda

Zusammenfassung

Die in diesem Kapitel vorgestellte Literaturübersicht beschäftigt sich mit


der randomisiert kontrollierten Studie. Einzelne methodische Aspekte dieser
Art von Studien sind bereits über 1000 Jahre alt, weshalb die Übersicht
keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Sie soll den Lesenden
als Orientierung dazu dienen, an welchen Stellen in der wissenschaftlichen
Literatur methodischen Papiere oder Bücher zu finden sind. Die ausgewählten
Publikationen geben einen Überblick über theoretische Grundzüge der
Methode und über praktische Anwendungsbereiche.

Die in diesem Kapitel vorgestellte Literaturübersicht beschäftigt sich mit der


randomisiert kontrollierten Studie. Einzelne methodische Aspekte dieser Art von
Studien sind bereits über 1000 Jahre alt, weshalb die Übersicht keinen Anspruch
auf Vollständigkeit erheben kann. Sie soll den Lesenden als Orientierung dazu
dienen, an welchen Stellen in der wissenschaftlichen Literatur methodischen
Papiere oder Bücher zu finden sind. Die ausgewählten Publikationen geben
einen Überblick über theoretische Grundzüge der Methode und über praktische
Anwendungsbereiche. Da randomisiert kontrollierte Studien in der breiten
Forschungslandschaft als essenziell zu betrachten sind, ist die Mehrheit der aus-
gewählten Literatur deutschsprachig.

F. A. Jagoda (*)
Lehrstuhl für Pflegewissenschaft, Universität Witten/Herdecke, Witten, Deutschland
E-Mail: franziska.jagoda@uni-wh.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 131
M. Schnell et al. (Hrsg.), Entscheidungsfindung von professionellen
Mitarbeitern in der Palliative Care, Palliative Care und Forschung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-32167-3_4
132 F. A. Jagoda

Aufgenommen wurden in die Übersicht methodische Papiere und Bücher, die


für interessierte Lesende schnell und nach kurzer Suche zugänglich sind. Die dar-
gestellte Literatur der vorliegenden Übersicht orientiert sich an der folgenden
Gliederung:

1. Grundlagenliteratur in Form von


a) Methodenpapieren
b) Monografien
2. Beispielhafte Anwendungen in Journalartikeln

Abschließend findet sich eine kurze Übersicht über weitere zentrale Online-
Ressourcen, die weiterführende Informationen enthalten.

4.1 Methodenpapiere

4.1.1 Kabisch, M., Ruckes, C., Seibert-Grafe, M. &


Blettner, M. (2011). Randomisierte kontrollierte
Studien: Teil 17 der Serie zur Bewertung
wissenschaftlicher Publikationen. Deutsches
Ärzteblatt, 108(39), 663–668.

Der Artikel von Kabisch et al. ist Teil einer Reihe wissenschaftlich-methodischer
Papiere aus dem Deutschen Ärzteblatt. Ziel dieser Reihe ist es, die Lesenden zur
kritischen Beurteilung wissenschaftlicher Publikationen zu befähigen.
In diesem Artikel zu randomisiert kontrollierten Studien werden die einzel-
nen Aspekte immer wieder in Bezug zu ein und demselben praktischen Projekt-
beispiel gesetzt, welche sich als roter Faden durch den gesamten Artikel zieht. Zu
den methodischen Aspekten gehören Methodik, die Formulierung der Hypothesen,
Definition und Operationalisierung primärer und sekundärer Endpunkte, die Fall-
zahlbestimmung, Ein- und Ausschlusskriterien für die Gruppe der Teilnehmenden
sowie Randomisierung, Verblindung und Auswertungskollektiv. Durch die Ver-
bindung zu einem Studienbeispiel gelingt es den Autor*innen, ihre Inhalte anschau-
lich und verständlich zu transportieren. Dabei werden die genannten methodischen
Aspekte noch einmal kurz erklärt und mit einer jeweiligen Passage aus der Bei-
spielstudie ergänzt. Für allgemeinere Informationen zur Statistik in RCTs ver-
weisen Kabisch et al. auf die weiteren Publikationen der Reihe. Besonders an
der Publikation ist der Abschnitt zu den Qualitätsstandards und gesetzlichen
Anforderungen randomisiert kontrollierter Studien, der sich vor allen Dingen auf
die Sicherheit der Teilnehmenden und die Sicherstellung der Datenqualität bezieht.
4 Die randomisiert kontrollierte Studie… 133

Damit werden gute, wenngleich nicht vollumfängliche Hintergrundinformationen


zur Verfügung gestellt. Der Abschnitt fokussiert die rechtlichen Grundlagen einer
Zustimmung durch eine Ethikkommission, die Meldeverpflichtungen und die
Pseudonymisierung personenbezogener Daten. Zuletzt greifen die Autor*innen eine
kurze Diskussion zur praktischen Anwendung der RCT-Ergebnisse auf und heben
hervor, dass das RCT nach wie vor das Design ist, das am besten dafür geeignet
ist, kausale Beziehungen zwischen Therapien oder Interventionen und Wirksamkeit
herstellen zu können. Der Artikel bietet unerfahrenen Lesenden einen ersten guten
Überblick zu randomisiert kontrollierten Studien und den wichtigsten Aspekten, um
Studien dieser Art in ihrer Qualität einschätzen zu können.

4.1.2 Brocklehurst, P. & Hoare, Z. (2017) How to design


a randomised controlled trial. British Dental
Journal, 222(9), 721–726.

Der Artikel von Brocklehurst und Hoare aus dem Jahr 2017 erläutert die Schlüssel-
elemente randomisiert kontrollierter Studien in kurzer Form. Dabei legen die
Autor*innen vor allem Wert auf die Darstellung des PICO-Schemas (P=Population,
I=Intervention, C=Control/Comparator und O=Outcome), der Randomisierung,
des Designs, der Statistik, Sample-Größe, Bias und Clinical Trial Units.
Die Beschreibung des PICO-Schemas ist nicht nur Grundlage dieses Artikels,
sondern auch hilfreich für die Entwicklung jeder Forschungsfrage, die mit einer
Art randomisiert kontrollierter Studie beantwortet werden kann. In einfach ver-
ständlichem Englisch erläutern Brocklehurst und Hoare die Wichtigkeit der
Randomisierung und ergänzen den Abschnitt um eine kurze Aufzählung der
Möglichkeiten, die Wissenschaftler*innen zur Durchführung einer randomisierten
Verteilung zur Verfügung stehen. Die Autor*innen gehen im Weiteren auf die
verschiedenen Phasen einer klinischen Studie ein, bevor sie die statistische
Analyse anklingen lassen können. Neben dem Thema Sample-Größe bzw.
Power-Berechnung werden die häufigsten Bias-Formen erläutert und geben
den Lesenden einen Einblick in die Fallstricke, die mit einer Planung einer
randomisiert kontrollierten Studie einhergehen. Die Autor*innen beschließen den
Artikel mit einem kurzen Abschnitt über Clinical Trial Units, der sich allerdings
hauptsächlich auf Großbritannien bezieht.
Der Artikel wird von den Autor*innen durch viele Darstellungen und Tabellen
ergänzt, die ihn dadurch anschaulich und noch besser verständlich sein lassen. Er
gibt Lesenden so die Möglichkeit, sich schnell und einfach einen Überblick über
die methodischen Hauptaspekte randomisiert kontrollierter Studien zu machen.
134 F. A. Jagoda

4.1.3 Mad, P., Felder-Puig, R. & Gartlehner, G. (2008).


Randomisiert kontrollierte Studien. Wiener
Medizinische Wochenschrift, 158(7–8), 234–239.

Auch dieses Methodenpapier von Mad et al. ist Teil einer Publikationsserie,
der Methodenserie der Wiener Medizinischen Wochenschrift. Anders als die
bereits vorgestellte Publikation legt dieses Papier den Schwerpunkt auf die
Erläuterungen zur kritischen Beurteilung und Limitationen von randomisiert
kontrollierten Studien.
Nachdem die Autor*innen erläutern, weshalb aus medizinischer Sicht das
RCT die höchste medizinische Aussagekraft hat, werden zunächst wichtige
Begriffe wie ‚Risikofaktor‘ und ‚Endpunkt‘ und ihr Zusammenhang erklärt.
Damit die Lesenden den Einsatz randomisiert kontrollierter Studien in Bezug zu
anderen Studienarten besser einschätzen können, beschreiben die Autor*innen
im Anschluss unterschiedliche Studiendesigns und ihre Geeignetheit zur
Beantwortung spezieller Forschungsfragen. Ähnlich der zuvor vorgestellten
Publikation steht auch hier die (ideale) Durchführung einer randomisiert
kontrollierten Studie im Mittelpunkt des Artikels. Die Wichtigkeit der einzel-
nen methodischen Aspekte wie Randomisierung und Verblindung werden von
den Autor*innen mit Beispielen unterstrichen, die jedoch nicht miteinander
zusammenhängen. Für eine ideale Durchführung einer randomisiert kontrollierten
Studie ist nach Mad et al. auch die richtige Analyse zur Einschätzung der Größe
der Effekte wichtig, weshalb die Intention-to-treat und Per-protocol-Analyse in
diesem Zusammenhang vorgestellt werden. Zum Ende des Artikels widmen sich
die Autor*innen der kritischen Evaluation von RCTs und ihrer Grenzen große
Aufmerksamkeit und schließen mit einer Erläuterung zum CONSORT State-
ment, einer Checklist zur Optimierung und Vereinheitlichung der Publikation von
randomisiert kontrollierten Studien.
Der Artikel wird durch ein kurzes Glossar zur Begriffserklärung und eine
Tabelle zur Hierarchie der Evidenz unterschiedlicher Studiendesigns ergänzt, was
den Artikel anschaulich unterstützt und den*r Lesenden die wichtigsten Begriffe
einfach nahebringt.
Alle drei Artikel bieten in Ergänzung zueinander für Lesende mit weniger
Kenntnissen zum besagten Studiendesign eine umfängliche Einführung, die für
eine Durchführung einer Vertiefung durch ausführlichere Werke bedarf. Nichts-
destotrotz bieten die Artikel eine gute Auffrischung, um sich die wichtigsten
Aspekte in der Durchführung und Bewertung neu oder wieder anzulesen.
4 Die randomisiert kontrollierte Studie… 135

4.2 Monografien

4.2.1 Schumacher, M. & Schulgen, G. (2008). Methodik


klinischer Studien. Methodische Grundlagen
der Planung, Durchführung und Auswertung. 3.
Auflage. Berlin Heidelberg: Springer Verlag.

Die dritte Auflage dieses Werks enthält laut Vorwort durch die Autor*innen Schuh-
macher und Schulgen nur wenige Ergänzungen zum Vorgänger. Da die zweite Auf-
lage nur zwei Jahre zuvor veröffentlicht wurde, folgern die Autor*innen, dass sich
die Thematik des Buches immer noch großen Interesses erfreut.
Das Buch ist in fünf große Überkapitel unterteilt: Einleitung, Auswertung,
Planung und Durchführung, Qualitätsanforderungen, Spezielle Designs und
Spezielle Probleme. Ein Schwerpunkt des Buches liegt neben der Planung und
Durchführung klinischer Studien auf der statistischen Analyse der Ergebnisse.
Diese werden in Unterkapiteln von den Autor*innen jeweils an einem Beispiel
aus der wissenschaftlichen Literatur erläutert und so verdeutlicht. Es gelingt
den Autor*innen damit, komplex erscheinende Sachverhalte für die Lesenden
verständlich darzustellen. Im letzten Unterkapitel wird darüber hinaus auch
noch einmal die Methode der Meta-Analyse erklärt und seine Wichtigkeit ver-
deutlicht. Dem Publikationsbias wird an dieser Stelle besondere Aufmerk-
samkeit geschenkt. Damit verleihen die Autor*innen dem Kapitel zur Statistik
ein forschungspraktisches Ende und befähigen die Lesenden zur kritischen
Bewertung bereits publizierter Meta-Analysen.
Die randomisiert kontrollierte Studie erfährt dann in Kap. 10 eine ausführ-
liche Erläuterung. In diesem widmen sich die Autor*innen der Fallzahl, der
Zielkriterien, der Randomisierung und Verblindung, dem Studienmonitoring
und dem Datenmanagement. Ergänzt werden diese einzelnen Kapitel, wie alle
anderen Kapitel der Monografie auch, durch Literaturlisten, die den Lesenden die
Möglichkeit geben, noch tiefer in die Thematik einzutauchen oder unverständ-
liche Sachverhalte noch einmal anderweitig nachzulesen.
Daneben widmet sich die Monografie sogenannten „Speziellen Problemen“
wie Subgruppenanalysen, dem multiplen Testen und 4D-Studien, welche für
randomisiert kontrollierte Studien nicht unerheblich sind, aber doch fort-
geschrittenes Wissen erfordern.
Der Appendix 2 des Buches gibt einen Überblick über die zur Vereinheit-
lichung der Berichterstattung existierenden Publikationsleitlinien. In diesem wird
das CONSORT Statement mit seinen fünf Abschnitte noch einmal ausführlich
erläutert.
136 F. A. Jagoda

Insgesamt gibt das Buch in seiner Gänze einen detaillierten Einblick in die
Thematik der randomisiert kontrollierten Studien. Es soll die Lesenden befähigen
Studien zu planen, durchzuführen und statistisch auszuwerten, weshalb dieses
Buch als sehr umfangreich einzuschätzen ist. Die angeführten Beispiele lassen
die komplexeren methodischen Aspekte greifbarer erscheinen und so eignet sich
das Buch auch für unerfahrene Lesende und ist somit hilfreich in der Konzeption
klinischer Studien.

4.2.2 Herschel, M. (2013). Das KliFo-Buch. Praxisbuch


Klinische Forschung. 2., vollständig überarbeitete
und erweiterte Auflage. Stuttgart: Schattauer
Verlag.

Michael Herschel, Facharzt für Klinische Pharmakologie, widmet sich in


diesem Buch, wie er in seinem Vorwort schildert, neben Arzneimittelprüfungen
auch Forschungsfeldern wie der Epidemiologie oder der Untersuchung von
Diagnostika. Klinische Forschung, so schreibt er, beinhalte alle wissenschaft-
lichen Untersuchungen an Patient*innen, die zum Erkenntnisgewinn beitrügen.
So widmet der Autor ein Drittel seines Buches der Erläuterung des ethisch,
juristischen, regulatorischen und organisatorischen Umfelds sowie dem
klinischen Projektmanagement. Darunter fallen wichtige Kapitel zur Deklaration
von Helsinki, Ethikkommissionen, Arzneimittelgesetz, Good Clinical Practice
und Privat- und Universitätskliniken. So werden die Lesenden zu Anfang des
Buches direkt auf die Wichtigkeit dieses diversen Umfelds aufmerksam gemacht
und dafür sensibilisiert. Daran schließt sich das Kapitel zu interventionellen
Studien an. Für Interessierte ist dies wohl eines der wichtigsten Kapitel dieses
Buches, da es randomisiert kontrollierte Studien von Grund auf erläutert.
Viele anschauliche Tabellen und Grafiken unterstützen die Ausführungen zu
methodischen Aspekten, wie Verblindung, Forschungsdesigns, Statistik, Analyse.
Daneben finden auch weniger oft erwähnte Aspekte in diesem Buch Eingang: In
diesem Zusammenhang widmet sich der Autor häufigen Problemen in Verbindung
mit Finanzen, Zeit und Patient*innen.
Die beiden weiteren großen, ausführlichen Kapitel zu Nicht-interventionellen
Studien und Diagnostika-Studien sind für Lesende, die an der Planung, Durch-
führung und Auswertung randomisiert kontrollierter Studien interessiert sind,
weniger hilfreich, sind aber dem breiten wissenschaftlichen Wissen zuträglich
und vervollständigen das Buch zur klinischen Forschung.
4 Die randomisiert kontrollierte Studie… 137

Das Buch bietet Lesenden die Möglichkeit, einen guten Überblick zu


randomisiert kontrollierten Studien zu bekommen, und diese im Feld der
klinischen Forschung einzuordnen.

4.2.3 Schnell, R., Hill, P.B. & Esser, E. (1999). Methoden


der empirischen Sozialforschung. 6., völlig
überarbeitete und erweiterte Auflage. München
Wien: Oldenbourg.

Das vorliegende Buch ist ein Lehrbuch empirischer Sozialforschung. Die Autor*innen
widmen sich daher in diesem Buch vielfältigen Forschungsdesigns, Untersuchungs-
formen, Auswahlverfahren und Erhebungstechniken. Für die Lesenden ist dies also
eher als Grundlagenwerk zu verstehen, sodass die tiefere Auseinandersetzung mit
randomisiert kontrollierten Studien weiterer Lektüre bedarf. Allerdings schafft dieses
Buch zusätzlichen einen ausführlichen Einblick in die historische Entwicklung
empirischer Sozialforschung sowie in die Wissenschaftstheorie. Die Autor*innen
starten damit den Versuch, zwischen den unterschiedlichen methodischen Aspekten
immer wieder eine Brücke zur Theorie zu schlagen, um den Lesenden die grund-
legende Denkweise näher zu bringen und sie so besser verständlich zu machen.
Fündig werden interessierte Lesende dann vor allen Dingen im Kapitel Forschungs-
design und Untersuchungsformen und den nachfolgenden. Die Kapitel enden mit
empfohlener Literatur zur weiteren Vertiefung, die von den Autor*innen ähnlich
dieser Vorgehensweise kurz kommentiert wird. Dieses Buch dient als Lehrbuch und
Nachschlagewerk für interessierte Lesende, kann jedoch nicht als alleinige Grundlage
zur ausführlichen Erläuterung von randomisiert kontrollierten Studien genutzt werden.

4.3 Journalartikel

4.3.1 Brännström, M. & Boman, K. (2014). Effect


of person-centred and integrated chronic
heart failure and palliative home care. PREFER:
a randomized controlled study. European Journal
of Heart Failure, 16, 1142–1151.

Ziel der schwedischen Studie war die Beurteilung des Effekts der PREFER-
Intervention (Intervention in der Studie) auf die Symptombelastung, die
gesundheitsbezogene Lebensqualität und die körperliche Funktionalität von
138 F. A. Jagoda

Patient*innen mit schwerer Herzinsuffizienz im Gegensatz zur normalen Ver-


sorgung. Ein Aspekt der Intervention war unter anderem palliative personen-
zentrierte Pflege durch eine Pflegefachperson.
Methodik: Die Studie hatte ein offenes, nicht verblindetes Design (Anmerkung:
Wenn Interventionen durch Menschen durchgeführt werden, gestaltet sich die
Verblindung an dieser Stelle eher schwierig). 72 Patient*innen, die den Einschluss-
kriterien entsprachen, wurden randomisiert der Interventionsgruppe oder der
Kontrollgruppe zugeteilt. Patient*innen in der PREFER-Interventionsgruppe wurde
eine multidisziplinäre Vorgehensweise in ihrer weiteren Versorgung angeboten.
Diese beinhaltete die Zusammenarbeit zwischen Spezialist*innen in palliativer Ver-
sorgung für Herzinsuffizienz-Patient*innen, wie spezialisierte Pflegefachpersonen,
Pflegefachpersonen mit Weiterbildung in Palliativpflege, Kardiolog*innen,
Hausärzt*innen mit Palliativschwerpunkt, Physiotherapeut*innen und Ergo-
therapeut*innen. Die Intervention wurde über ein halbes Jahr durchgeführt.
Ergebnisse: Die PREFER-Interventionsgruppe zeigte am Ende der Studie eine
signifikant verbesserte gesundheitsbezogene Lebensqualität, eine verbesserte
körperliche Funktionalität, eine verbesserte Morbidität und weniger Kranken-
hausaufnahmen als die Kontrollgruppe. Die Autor*innen schlossen daraus,
dass patientenzentrierte Pflege die physischen, psychologischen, sozialen und
spirituellen Probleme von Patient*innen mit schwerer Herzinsuffizienz durch eine
Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und der Reduktion der
Symptombelastung lindern kann.
Diese Studie bietet daher Implikationen für die Verbesserung der Versorgung
von Patient*innen mit schwerer Herzinsuffizienz und zeigt den Lesenden, die
Komplexität der Interventionsforschung auf.

4.3.2 Aasmul, I., Husebo, B.S., Sampson, E.L. & Flo, E.


(2018). Advance Care Planning in Nursing Homes –
Improving Communication Among Patient, Family,
and Staff: Results From a Cluster Randomized
Controlled Trial (COSMOS). Frontiers in Psychology,
9, published online.

Ziel der norwegischen Studie war Untersuchung des Effekts vorausschauender


Versorgungsplanung (Advance Care Planning – ACP) auf die Kommunikation des
Personals von Altenpflegeeinrichtungen, Bewohner*innen und deren Familien.
Darüber hinaus wurde untersucht, ob die Intervention sich auf den Stress der
Pflegefachpersonen auswirkt.
4 Die randomisiert kontrollierte Studie… 139

Methodik: Die ACP-Intervention ist in diesem Fall Teil einer mehrteiligen,


clusterrandomisierten Studie, die neben der Kommunikation auch das Schmerz-
assessment und die -behandlung, eine Überprüfung der Medikation und die
Organisation von Aktivitäten und deren Sicherheit in norwegischen Altenpflege-
einrichtungen überprüft. In dieser Studie wurden nicht die Bewohner*innen
der Interventions- und Kontrollgruppe zufällig zugeordnet, sondern die Wohn-
bereiche (Cluster), in denen diese wohnen, um sicherzustellen, dass sich die
Bewohner*innen nicht untereinander beeinflussen. Trotz dessen müssen die Teil-
nehmenden in den Wohnbereichen auf die vorher definierten Einschlusskriterien
passen. So wurden 36 Wohnbereiche mit 394 Bewohner*innen der Interventions-
gruppe und 31 Wohnbereiche mit 329 Bewohner*innen der Kontrollgruppe zufällig
zugeordnet. Die Intervention beinhaltete Weiterbildungsseminare zu ACP und
Kommunikation für Pflegefachpersonen und wurde vier Monate lang durchgeführt.
Ergebnisse: Während der viermonatigen Studienzeit verbesserte sich die
Kommunikation zwischen Familie, Bewohner*in und Pflegefachperson signi-
fikant im Gegensatz zur Kontrollgruppe. Darüber hinaus verbesserte sich der
Stresslevel unter den Pflegefachpersonen.
Laut der Autor*innen konnte die ACP-Intervention die Kompetenzen der
Pflegefachpersonen verbessern und die Ergebnisse haben daher hohe klinische
Relevanz. In dieser Studie können Lesende sich mit einer anderen Art der
Randomisierung auseinandersetzen (Clusterrandomisierung). Daneben zeigt die
Studie noch einmal die Komplexität von Intervention im Zusammenhang mit
randomisiert kontrollierten Studien auf.

4.4 Weitere Online-Ressourcen

Die Cochrane Library1 ist eine Sammlung von drei wissenschaftlichen Daten-
banken (Cochrane Database of Systematic Reviews, Cochrane Central Register
of Controlled Trials, Cochrane Clinical Answers), die verschiedenen Arten
qualitativ hochwertiger, unabhängiger Evidenz enthalten, um die Entscheidungs-
findung auf (Forschungs-)Fragen im Gesundheitswesen zu unterstützen. Darüber
hinaus enthält sie auch Informationen zu Fragestellungen methodischer Aspekte
evidenzbasierter Gesundheitsversorgung. Das Cochrane Central Register of
Controlled Trials (kurz CENTRAL) ist eine kompakte Sammlung von Berichten
über randomisierte und quasi-randomisierte Studien. Zusätzlich zu den biblio-

1https://www.cochranelibrary.com (zuletzt aufgerufen am 21.08.2020).


140 F. A. Jagoda

grafischen Angaben (Autor, Quelle, Jahr usw.) enthalten die Einträge oft einen
Abstract. Der Volltext ist über CENTRAL allerdings nicht verfügbar.
Ziel der Cochrane Reviews in der Database of Systematic Reviews ist die
Erstellung einer umfassenden Zusammenfassung der Forschungsergebnisse
zu einer Fragestellung. Dieser kompakte Überblick wird hauptsächlich aus
randomisiert kontrollierten Studien gewonnen und bietet daher neben CENTRAL
eine weitere gute Quelle, um Beispiele für diese Art von Studien zu finden. Die
Studien werden von Cochrane zusätzlich in einem aufwendigen Prozess in ihrer
Qualität bewertet.
Um randomisiert kontrollierte Studien transparenter und qualitative hoch-
wertiger zu verschriftlichen und damit zu publizieren, gibt es die Consolidated
Standards of Reporting Trials2 (CONSORT-Statement), die von Wissen-
schaftler*innen und Editor*innen 1996 zum ersten Mal und 2010 bereits zum
zweiten Mal überarbeitet zusammengetragen wurden. Das Statement beinhaltet
eine Checkliste und ein Flussdiagramm, dass Autor*innen nutzen können, um
ihre randomisiert kontrollierten Studien berichten zu können.
Studienprotokolle bieten eine gute Grundlage zur Planung, Durchführung
und Berichterstattung von klinischen Studien. Darüber hinaus ist es auch mög-
lich, geplante und/oder bereits durchgeführte Studien anhand des veröffentlichten
Studienprotokolls zu bewerten. Für die Vereinheitlichung der Studienprotokolle
und zur Sicherung der Qualität dieser wurde 2013 von 115 Expert*innen aus ver-
schiedenen Interessengruppen, die an der Planung, Finanzierung, Durchführung,
Überprüfung und Veröffentlichung von Studienprotokollen beteiligt sind, das
SPIRIT Statement3 entwickelt. Die Checkliste besteht aus 33 Items und gibt
Autor*innen die Möglichkeit, ähnlich eines Leitfadens, genau zu beschreiben,
was in einer klinischen Studie geplant ist.
Die James Lind Library4 enthält Materialien, die die Entwicklung fairer
Tests von medizinischen und pharmazeutischen Behandlungen im Laufe der
Geschichte illustrieren.

2https://www.consort-statement.org/ (zuletzt aufgerufen am 20.08.2020).


3https://www.spirit-statement.org(zuletzt aufgerufen am 20.08.2020).
4www.jameslindlibrary.org (zuletzt aufgerufen am 21.08.2020).
4 Die randomisiert kontrollierte Studie… 141

Literatur

Kabisch, M., Ruckes, C., Seibert-Grafe, M., & Blettner, M. (2011). Randomized controlled
trials: part 17 of a series on evaluation of scientific publications. Dtsch Arztebl Int,
108(39), 663–668. https://doi.org/10.3238/arztebl.2011.0663.
Brocklehurst, P., & Hoare, Z. (2017). How to design a randomised controlled trial. British
Dental Journal, 222, 721–726. https://doi.org/10.1038/sj.bdj.2017.411.
Mad, P., Felder-Puig, R., & Gartlehner, G. (2008). Randomisiert kontrollierte Studien.
Wiener Medizinische Wochenschrift, 158(7–8), 234–239. https://doi.org/10.1007/
s10354-008-0526-y.
Schumacher, M., & Schulgen, G. (2008). Methodik klinischer Studien. Methodische
Grundlagen der Planung, Durchführung und Auswertung (3. Aufl.). Berlin Heidelberg:
Springer Verlag.
Herschel, M. (2013). Das KliFo-Buch. Praxisbuch Klinische Forschung. 2, vollständig
überarbeitete und (erweiterte). Stuttgart: Schattauer Verlag.
Schnell, R., Hill, P. B., & Esser, E. (1999). Methoden der empirischen Sozialforschung. 6,
völlig überarbeitete und (erweiterte). München Wien: Oldenbourg.
Brännström, M., & Boman, K. (2014). Effect of person-centred and integrated chronic
heart failure and palliative home care. PREFER: a randomized controlled study.
European Journal of Heart Failure, 16, 1142–1151.
Aasmul, I., Husebo, B. S., Sampson, E. L., & Flo, E. (2018). Advance Care Planning in
Nursing Homes – Improving Communication Among Patient, Family, and Staff: Results
From a Cluster Randomized Controlled Trial (COSMOS). Frontiers in Psychology, 9,
published online.

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