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MA-Ringvorlesung: Renaissance und Barock

Sehr geehrte Damen und Herren,

Wir beginnen den historischen Block unserer interdisziplinären MA-Ring-Vorlesung mit einer
Sitzung über die Renaissance und das Barock. Die Tatsache, dass wir unseren Blick über die
Epochen mit der Renaissance beginnen, kann man natürlich ein bisschen willkürlich finden.
Warum sollen wir mit der Renaissance beginnen? Warum nicht mit der Antike oder dem
Mittelalter.
Nun der Grund ist ganz einfach. Da sich die kulturwissenschaftliche Lehre in Germersheim
auf die Gegenwart konzentriert, beginnen wir mit dem, was man als die Neuzeit bezeichnet,
und die Geschichtswissenschaft hat sich seit langem darauf verständigt, dass die Neuzeit mit
der Renaissance beginnt. Warum das so ist, werden Sie hoffentlich am Ende dieser Sitzung
ein wenig besser verstehen.
Der Vorsatz zwei Epochen wie Renaissance und Barock in einer Sitzung vorzustellen ist
natürlich verwegen. Die Gliederung der heutigen Sitzung finden sehen Sie auf der folgenden
Folie: Wir haben uns entschlossen, diesen Parforceritt trotzdem zu versuchen, weil die
Konzentration auf die Gegenwart leicht zu einem weitgehenden Verlust des historischen
Bewusstseins führt. Ohne ein solches Bewusstsein ist Kulturwissenschaft aber schlechterdings
unmöglich. Natürlich kann das Bild von der Renaissance, das ich Ihnen in den folgenden 90
Minuten skizzieren werde, nur sehr skizzenhaft sein. Und natürlich werden Sie meinem
spezifischen Blick schnell auch eine gewisse fachliche Perspektive anmerken. Das ist
unvermeidbar, wenn man nicht beliebig werden will. Nutzen Sie aber bitte die Chance, in
dieser MA-Vorlesung auch ein wenig über den Tellerrand Ihres Faches hinauszuschauen.
Wenn Sie also Englisch studieren und in dieser Sitzung Shakespeare vermissen, den man am
Ende auch je nach Perspektive zur Renaissance oder zum Barock zählen kann, dann ziehen
Sie daraus nicht voreilig den Schluss, dass diese Vorlesung für Sie nutzlos ist, sondern
bedenken Sie, dass ein Grundverständnis von dem, was ingesamt Renaissance heißt, am Ende
auch dabei hilft, Shakespeare zu verstehen.
Eines der Probleme der heutigen Sitzung ist, dass wir es mit einem sehr großen Zeitraum zu
tun haben, der je nach Betrachtungweise zweihundertfünfzig bis 350 Jahre umfasst, d.h. den
Zeitraum ungefähr vom Jahre 1400 bis zum Jahre 1650 oder 1750. Wenn wir sagen, dass mit
diesem Zeitraum die Neuzeit beginnt, so muss ich zunächst daran erinnern, welche
gigantischen Umwälzungen sich in diesem Zeitraum vollziehen! (Folie!) Denken wir nur an
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vier der ganz großen kulturellen Revolutionen der Geschichte des Abendlandes: Die
Erfindung des Buchdruckes durch Gutenberg (um 1450), die Entdeckung Amerikas durch den
Genuesen Cristoforo Colombo (1492); das Ende der konfessionellen Einheit des Christentums
mit dem Beginn der Reformation (Luthers Thesenanschlag von 1517) und das Ende des
geozentrischen Weltbildes mit der Veröffentlichung von Kopernikus Schrift De revolutionibus
orbium coelestium (Von der Bewegung der Himmelskörper 1543). Alle diese Revolutionen
fallen nicht nur einfach in das Zeitalter der Renaissance, wie ein Apfel in einen Vorgarten,
sondern alle diese Revolutionen sind Teil und Produkt der Renaissance und alle diese
Revolutionen partizipieren auf die eine oder andere Weise auch an den fundamentalen
sozialen und ökonomischen Umwälzungen, die die Renaissance prägen. (Folie!) Da ist zu
nennen: Der beginnende Siegeszug des Bürgertums. Ein massiver Trend zur Verstädterung,
die Entstehung völlig neuer Wirtschaftsformen, denken Sie nur an die Entstehung des
Bankenwesens in Italien und die Entstehung neuer republikanischer Staatsformen in den
oberitalienischen Städten. Nur in wenigen Epochen dürfte sich die Vorstellungen der
Menschen, von sich selbst und von der Welt, in der sie leben, so grundlegend gewandelt
haben wie in diesem Zeitraum.
Ein weiteres großes Problem neben dem schieren Umfang der Epoche liegt in dem Umstand,
dass uns die Epoche mit einem hohen Maß an regionaler Ungleichzeitigkeit im europäischen
Kulturraum konfrontiert. Tatsächlich ist die Renaissance zunächst und vor allem eine
italienische Angelegenheit und ihre Anfänge fallen in Italien in eine Zeit, die im restlichen
Europa noch durchweg dem ausgehenden Mittelalter zugerechnet wird. Erst im Zuge der
sogenannten italienischen Kriege, um 1500, in deren Verlauf Frankreich und das unter Karl V.
vereinte Habsburgerreich von Österreich und Spanien auf italienischem Boden um die
europäische Vorherrschaft kämpften, breiten sich das Denken und die Kunstvorstellungen der
Renaissance schnell in Europa aus und machen die Renaissance zu einer der großen
europäischen Kulturepochen. Das bedeutet für uns, dass vor allem im ersten Teil dieser
heutigen Vorlesung ein deutlicher Akzent auf Italien gelegt werden muss, wobei ich immer
wieder auch Seitenblicke auf den Rest Europas werfen werde. Kommen wir zu unserem
ersten Punkt

1. Begriff der Renaissance


Wenden wir uns also zunächst der Epoche und dem Begriff der Renaissance zu.
Begriff und Selbstverständnis der Renaissance sind nur zu verstehen als Sehnsucht nach
einem grundsätzlichen Neuanfang. Diese Sehnsucht ergreift seit dem frühen 15. Jahrhundert
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wichtige Teile der Bildungseliten. Der Begriff der Renaissance stammt erst aus dem 19.
Jahrhundert und geht wesentlich auf den Schweizer Historiker Jacob Burckardt zurück, der im
Jahre 1860 sein bis heute Maßstäbe setzendes Buch über die italienische Renaissance mit dem
Titel Die Kultur der Renaissance in Italien (1860) veröffentlicht. Der durch den Begriff zum
Ausdruck gebrachte Gedanke freilich, dass nämlich der erstrebte Neubeginn die Form einer
Wiedergeburt haben solle, entstammt aber durchaus der Renaissance selber. Ja man kann
sagen, dass das Denken dieses Gedankens in einem gewissen Sinne den maßgeblichen Inhalt
der Renaissance überhaupt ausmacht. Während also die vorhergehende Kunst-Epoche der
Gotik und die nachfolgende Epoche des Barock ursprünglich geradezu Schimpfworte waren,
und zur Abgrenzung von vermeintlich barbarischen Tendenzen dienten (Gotik = Goten =
Barbaren; Barock = port. barroco = schiefe, unregelmäßige Perle = regellose, verzerrte,
unharmonische Kunst), so bezeichnet der Begriff der Wiedergeburt, wie er sich in den Termini
„Renaissance“, „rinascimento“ „rinacimiento“ artikuliert, tatsächlich einen wesentlichen
Punkt des Renaissance-Selbstverständnisses.
Als Lorenzo dei Medici (1449-1492), der Herrscher über Florenz, den bereits die
Zeitgenossen „Il magnifico“, den Großartigen nannten, und der selbst ein bedeutender Dichter
war, im Jahre 1469 in Florenz bei einem Turnier erscheint, da ist er nach alter Rittersitte mit
einer „Impresa“ geschmückt. Diese Impresa, also Devise lautet „le tens reuient“, altfrz. „Die
Zeit kehrt zurück“. Während also der Rahmen dieser Episode noch tief in der mittelalterlichen
Tradition des Ritterspiels verwurzelt ist, so äußert sich in dieser Devise das wenn auch
vielleicht noch undeutliche Bewußtsein eines Epochenwechsels. Tatsächlich interpretiert der
am Hofe Lorenzos lebende Dichter Luigi Pulci in seinem Bericht über das Turnier die Devise
wie folgt: „Tornare il tempo e’l secol rinnovarsi“ Worum es geht, ist also die Wiederkehr
eines idealen Zeitalters, die sich in der Form einer Erneuerung vollziehen soll. Mit anderen
Worten: „Mittels des Rückgriffs auf die Ursprünge will man [...] eine altersschwache
abgelebte Zeit regenerieren.“ (August Buck S. 1)
Mit diesem Rückgriff auf die Ursprünge ist natürlich, und das wird den meisten von Ihnen
längst klar sein, die klassische Antike gemeint. Dabei ist die Vorstellung von einer Erneuerung
der Zeiten selbst bereits ein antikes Denkmuster, das sich bereits früh mit der Sehnsucht nach
dem goldenen Zeitalter verbindet.

Renaissance und Begriff der Neuzeit (Folie!)


Bereits im 14. Jahrhundert nun nimmt mit dem Werk des Dichters und Gelehrten Francesco
Petrarcas des antike Wiedergeburtsmythos eine neue Gestalt an. Dies ist der eigentliche
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Grund, weshalb Petrarca, auch wenn er dem definitiven Beginn der Renaissance in vieler
Hinsicht vorausgeht, immer wieder als ihr Gründungsvater betrachtet wird.
Entscheidend für diese Transformation des Wiedergeburtsmythos ist zweierlei. Erstens das
Bewusstsein, dass die klassische Antike in philosophischer, künstlerischer und literarischer
Hinsicht Vorbildcharakter besitzt und die Ideale des Guten, Wahren und Schönen außer im
religiösen Bereich unübertrefflich realisiert. Zweitens und damit zusammenhängend die
Entstehung des Bewusstseins, dass die Zeit der römischen Antike vom christlichen Zeitalter
durch eine radikale Grenze getrennt ist. Die klassische Antike bis zum Ende des römischen
Reiches und die christliche Ära bilden in dieser Perspektive zwei deutlich getrennte
Geschichtsepochen. Diese Vorstellung erscheint uns Heutigen so selbstverständlich, dass wir
Mühe haben, sie in ihren Auswirkungen zu verstehen. Gerade da aber, wo wir uns den
historischen Wurzeln unserer selbstverständlichsten Grundvorstellungen nähern, da haben wir
besonders gute Chancen, etwas über historische Zäsuren zu erfahren.
Welch eine revolutionäre Wirkung von Petrarcas Trennung in klassische Antike und
christliches Zeitalter ausging, kann man natürlich nur begreifen, wenn man sich vorher
vergegenwärtigt, dass sich das Christentum stets als Fortsetzer und Sachwalter des römischen
Universalismus verstanden hat. Nicht umsonst, war es Rom, das zum spirituellen Zentrum des
christlichen Abendlandes avancierte und nicht umsonst verstanden sich die deutschen Kaiser
als Erben des Römischen Imperiums, wenn sie ihr Reich, als „Heiliges römisches Reich
deutscher Nation“ definierten. Mit der Vorstellung einer „translatio imperii“, das heißt einer
Übertragung des Reiches von der heidnischen Antike auf das christliche Kaisertum ging dabei
stets die Vorstellung eine „translatio studii“ einher, welche das Christentum auch als
kulturellen Erben der Antike einsetzte. Dass diese Vorstellung gerade in Petrarcas Zeiten in
die Krise gerät, hat vielfältige Gründe. Nicht zufällig handelt es sich um die Zeit, in der die
Päpste in der sogenannten babylonischen Gefangenschaft der Kirche in Avignon residierten
und Rom den absoluten historischen Tiefpunkt seiner Entwicklung erlebte. Petrarcas
Geschichtsreflexion nimmt insofern nicht umsonst seinen Ausgang an der melancholischen
Betrachtung der architektonischen Zeugnisse antiker Größe in einem Rom, das auf wenige
tausend Einwohner zusammengeschrumpft ist und zwischen dessen Ruinen die Schafe
weiden. Hinzu kommt, dass eben in dieser Zeit der Reichsgedanke mit der Krise des
deutschen Kaisertums nach dem Ende der Staufferherrschaft zunehmend seinen Sinn verliert.
Diese Krise des Kaisertums ist im Übrigen auch politisch und sozialgeschichtlich für die
Ausbildung der Renaissance folgenreich. In den nord- und mittelitalienischen Regionen,
entsteht nämlich ein Machtvakuum, in dem sich relativ unbehelligt von den größeren
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europäischen Mächten, wenn auch unter großen inneren Wehen, neue ökonomische und
soziale Strukturen herausbilden. Die wesentlichen habe ich bereits benannt: die sich
machtvoll vollziehende Verstädterung, die Geburt der bürgerlichen Welt und die
Herausbildung neuer ökonomischer Strukturen wie etwa eines modernen Bankwesens.
Halten wir also fest, mit Petrarca setzt sich eine neue moderne Zeiteinteilung durch, und diese
unterscheidet zwischen Antike, Mittelalter und Neuzeit. Den Beginn der Neuzeit aber bildet in
diesem Modell bis heute die Renaissance.

3. Humanismus (Folie)
Während also die Geburtswehen der Renaissance in das 14. Jahrhundert in Italien
zurückreichen, so umfasst das, was wir heute als Renaissance betrachten, im wesentlichen das
15. und 16. Jahrhundert. Dabei dominiert im 15. Jahrhundert im Bereich der Bildung und der
Literatur das, was wir heute in der Regel als Lateinhumanismus bezeichnen. Demgegenüber
gilt das 16. Jahrhundert vor allem mit seinen ersten 50 Jahren gemeinhin als das Zeitalter der
Hochrenaissance.
Wenden wir uns zunächst dem Zeitalter des Lateinhumanismus zu. Was heißt überhaupt
Humanismus? Auch dieser Begriff stammt als Epochenbegriff aus dem 19. Jahrhundert.
Zurück geht er auf die Bezeichnung „Studia humanitatis“, unter dem die Renaissance die
Beschäftigung mit der weltlichen, d.h. nicht religiösen antiken Literatur verstand. Der Begriff
der ‚humanitas‘ ist dabei in mehrerlei Hinsicht zentral. Er bezeichnet zunächst ein bestimmtes
Bildungsideal. Die Humanitas ist also nicht etwas, was vorgefunden wird, also vor allem nicht
Menschheit im Sinne eines biologischer Gattungsbegriff. Sie ist aber auch sehr viel mehr als
Menschlichkeit im moralischen Sinne von Mitgefühl mit menschlichen Wesen. ‚Humanitas‘
markiert wie diese etwas, das zu erreichen ist, etwas das anzustreben ist. Er meint Formung
aller menschlichen Kräfte und hat insbesondere von Anfang an auch eine ästhetische Seite.
Der Begriff steht damit auch für jenen Perspektivwechsel, der für die gesamte europäische
Renaissance zentral ist. Diesen Perspektivwechsel bezeichnet man gewöhnlich mit der etwas
plakativen, aber dennoch hilfreichen Formel des Übergangs von einem theozentrischen zu
einem anthropozentrischen Weltbild (Folie). Man kann philosophisch auch von einem
Übergang von der Vertikale zur Horizontale, vom philosophischen Realismus zum
Nominalismus sprechen.
In den Mittelpunkt des Denkens und des Interesses rückt der Mensch in allen seinen
Lebensäußerungen. Das bedeutet: Die verschiedenen Felder des kulturellen Lebens:
Rechtswissenschaft, Politik, Medizin, Kosmologie, Philosophie, Kunst und Literatur etc.
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emanzipieren sich ganz allmählich von der Vorherrschaft der Theologie. Großartige Beispiele
für diesen Prozess sind im Zeitalter der Hochrenaissance Macchiavelli, der einen weltlichen
Politikbegriff begründet, Giordano Bruno, der die philosophischen Konsequenzen aus dem
Kopernikanismus zu ziehen sucht, Rabelais, der in Frankreich mit seinem Roman Gargantua
et Pantagruel ein durch und durch heidnisch hedonistisches Weltbild entfaltet, und
Montaigne, der mit seinen Essais eine neue radikal Ich-zentrierte und diesseite Reflexion über
den Menschen begründet.
Bereits bei Petrarca findet das neuerwachte Interesse an der Antike seinen Ausdruck in einer
Suche nach antiken Manuskripten. Diese Suche wird dann im 15. Jahrhundert zunehmend
systematisiert. In diesem Zusammenhang wird eine Unzahl von Texten, die bis dato
unbekannt waren, wiederentdeckt, ediert und übersetzt. Neben diesem Streben nach Sichtung
und Erschließung der altrömischen Literatur, steht fast gleichwertig ein Streben nach
Wiederaneignung der altgriechischen Literatur. Diese Literatur war in noch größerem Maße
als die römische auch aufgrund mangelnder Griechischkenntnisse der Vergessenheit
anheimgefallen.
Das Interesse für die altgriechische Literatur erhält gewaltige Nahrung durch ein Ereignis, das
ansonsten vom damaligen Europa als Jahrhundertkatastrophe wahrgenommen wird. Die Rede
ist vom Fall Konstantinopels und des byzantinischen Reiches, das 1453 von den Osmanen
erobert wird. Damit wird die über Tausendjährige Geschichte des Oströmischen Reiches
beendet und eine fast dreihundert Jahre währende Türkenfurcht eingeläutet. Wie sie aber
wissen, und wie es noch heute in der nicht umsonst so genannten griechisch-orthodoxen
Kirche der Fall ist, war die heilige-liturgische Sprache des oströmischen Reiches nicht das
lateinische, sondern das griechische. Das griechische Erbe war entsprechend in
Konstantinopel ungleich lebendiger als anderswo. Das betraf nicht nur die Kenntnis der alt-
griechischen Sprache, sondern auch die Tradierung altgriechischer Manuskripte. Mit dem
Untergang Konstantinopels flüchten nun zahlreiche griechische Gelehrte z.T. samt kostbarer
Manuskripte nach Westen, vor allem nach Venedig und lösen so einen unglaublichen Boom
der Griechischstudien aus.
Dieser Boom betrifft insbesondere die Wiederentdeckung Platons. Während die meisten
Schriften des Aristoteles vor allem durch die Übersetzungen aus dem arabischen Sprachraum
im ganzen Mittelalter bekannt waren, war das Werk Platons in seinen zentralen Schriften
unbekannt.

4. Renaissance als Übersetzungsepoche (Folie)


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An dieser Stelle sei mir eine Parenthese gestattet. Die Wiederentdeckung der Antike, und hier
vor allem der griechischen Antike produziert nicht nur einen beispiellosen
Übersetzungsboom, sondern damit verbunden auch ein völlig neues theoretisches Interesse für
das Übersetzen. Letzteres ist nicht zuletzt verbunden mit dem Namen des italienischen
Humanisten Leonardo Bruni, der ein großer Plato und Aristoteles-Übersetzer war und der mit
der Schrift De interpretatione recta, (entstanden vermutlich zwischen 1420 und 1426) in
Europa die erste selbstständige Schrift zum Übersetzen vorgelegt hat. Von einer
Revolutionierung der Übersetzungspraxis muss nicht zuletzt deshalb gesprochen werden, weil
die das Übersetzen am erwähnten Übergang von der Vertikale zur Horizontale maßgeblich
partizipiert. Die Praxis eines vertikalen Übersetzens wird ersetzt durch die Praxis eines
horizontalen Übersetzens. Was ist damit gemeint? Nun: Es wird nicht mehr, wie es im
Mittelalter dominante Praxis war aus einer höhergeordneten Sprache, dem Latein, in eine
untergeordnete Sprache, die Volkssprache übersetzt, sondern horizontal zwischen zwei
Sprachen gleichen oder ähnlichen Prestiges. Das hat drei fundamentale Konsequenzen. (Folie)

1. Die Gleichwertigkeit von Ausgangs- und Zielsprache im Übersetzungsprozess .


2. Die Grundsätzliche Neubewertung der ästhetischen Dimension des Übersetzens.
3. Die Entstehung und Durchsetzung eines neuen Fachterminus für das Übersetzen: Der
Begriff der Translatio wird von Bruni durch den Begriff der Traductio ersetzt und diese
Ersetzung setzt sich in allen romanischen Sprachen in Europa durch.

5. Die Kunst der Renaissance und die Entstehung des modernen Kunstbegriffs (Folie)
Während also Wiederaneignung der Antike zunächst vor allem Beschäftigung mit antiken
Texten bedeutet und diese für eine neue Literaturproduktion fruchtbar macht, so beinhaltet sie
natürlich noch vieles mehr.
Wiederaneignung der Antike bedeutet insbesondere auch Beschäftigung mit der antiken
Kunst, vor allem mit Architektur, Skulptur und Malerei. Ohne jeden Zweifel ist unser heutiges
Verständnis der Renaissance zu großen Teilen von ihren Leistungen im Bereich der
Architektur und bildenden Kunst geprägt. Vor allem ist unser Verständnis von Kunst
überhaupt als einer weltlichen Tätigkeit eigener Würde ein Produkt der Renaissance. Die
anthropozentrische Wende der Renaissance gipfelt in den Künsten mit einer Entdeckung des
Subjekts und des Individuums. Während bildende Künstler im MA fast immer anonym
bleiben und als Individuen und als Person damit völlig zurücktreten, verstehen wir seit der
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Renaissance Kunst als persönlichen und stilistischen Ausdruck einer Persönlichkeit. Werke
werden nunmehr grundsätzlich signiert und sind damit Einzelindividuen zuschreibbar.
Insofern ist es von besonderer Bedeutung, dass der Begriff der Renaissance nicht nur ein
Epochenbegriff sondern auch ein Stilbegriff ist. Er unterscheidet sich hierin vom Begriff des
Mittelalters, der seinerseits verschiedene Stilepochen: wie karolingische Kunst, Romanik und
Gotik umfaßt. Natürlich ist auch die Kunst der Renaissance unendlich vielfältig und
ausdifferenziert, dennoch können wir ganz grob einige wesentliche Merkmale herausstellen.
Generell kann man sagen, dass die Kunst der Renaissance nach einem bestimmten Ideal der
Harmonie, der Natürlichkeit und der Einfachheit strebt. Frage: was würden Sie sagen, was
sind die wesentlichen Merkmale des Renaissancestils?
- Die Entdeckung der Perspektive und damit insgesamt einer bestimmten Form von
Räumlichkeit (Evtl. Uccello-Bild, Dumont S. 30) (Folie)
- Die Wiederentdeckung des antiken Körperideals. (Darstellung des Martirio di San
Sebastiano? Perugino ) (Folie)
- Die Entwicklung einer Freiplastik, (David von Michelangelo - Erste monumentale
Freiplastik seit der Antike) (Folie), auf Pätzen aufgestellten Monumentalplastik
(Beispiel Reiterstandbild des Andrea del Verrocchio)
- Die allmähliche Hinwendung zu weltlichen Gegenständen: Landschaft, Portrait,
Historienmalerei (Portrait Tizian, Piero della Francesca etc.) (Folien)
In der Architektur:
- Die Verabschiedung des gotischen Spitzbogens (Vertikale - Horizontale)

- Die Wiederentdeckung der antiken Säulenordnung und die Integration der Säule in die
Profane Architektur (Palazzo Rucellai)
- Die Entwicklung moderner Zentralbauten (Grundriß Petersdom neben Grundriß
gotischer Kathedrale, Pedro Machuca, Palacio de Carlos V en Granada)
- Die Renaissance der Kuppel als zentrales Bauelement (Santa Fiore/Florenz)

- Die Erfindung der Volute (Santa Maria Maggiore)

Ist uns das ästhetische Erbe der Renaissance im Bereich der bildenden Künste besonders
präsent, jeder von uns kennt Gemälde oder Plastiken von Michelangelo und Leonardo da
Vinci, so gilt dies deutlich weniger für den Bereich der Literatur. Dabei sind die Revolutionen
in diesem Bereich mindestens genauso folgenreich. Betrachtet man das im engeren Sinne
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literarische Erbe der Renaissance, so wird man sagen können, dass sie vor allem in viererlei
Hinsicht für die gesamte europäische Literatur epochal gewesen ist. (Folie)
1. durch die zunehmende Durchsetzung der Volkssprache auch als Sprache der Traktatistik,
als Wissenschaftssprache und als Sprache der Philosophie.
2. durch die Neubegründung eines weltlichen Theaters: Ariost/Machiavelli
3 durch die Neubegründung der epischen Dichtung, wenn auch in enger Amalgamierung mit
mittelalterlichen Formen: Ariost
4. durch die Entwicklung des Petrarkismus, das heißt einer an Petrarca geschulten und auf
neoplatonistischen Modellen beruhenden Liebeslyrik. Diese Lyrik wird in Italien begründet
von Pietro Bembo, sie findet Spanien bedeutende Fortführer in Garcilaso della Vega und
Boscàn und in Frankreich in der sogenannten Pléiade mit Autoren wie Ronsard und Du
Bellay. Sie bringt daneben eine beachtliche Zahl an weiblichen Autoren hervor, die von
Vittoria Colonna in Italien, bis zu Louise Labé in Frankreich reicht. Überhaupt muss in
diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass die Renaissance der Frau ganz neue
gesellschaftliche Möglichkeiten eröffnet.
Selbst ein Autor wie Shakespeare steht mit seiner Lyrik in dieser petrarkistischen Tradition,
auch wenn er schon allein dadurch dass ein ‚fair boy‘ und nicht eine ‚donna angelicata‘, eine
engelsgleiche Frau im Mittelpunkt der ersten 126 Gedichte steht, die Grundlagen des
Petrarkismus unterläuft.
Man kann damit sagen, dass das moderne literarische Gattungsgefüge, so wie wir es noch
heute in seiner Auffächerung Drama/Epik/Lyrik kennen, im wesentlich eine Erfindung der
Renaissance ist.

Die Krise der Renaissance und die Entstehung des Barock (Folie)

Das im wesentlichen optimistische und weltzugewandte Weltbild der Renaissance gerät in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in eine schwere Krise und diese Krise mündet in das, was
wir heute in der Regel als das europäischen Barock bezeichnen.
Kaum ein Epochenbegriff birgt so viele Probleme wie der Begriff des Barock. Eines der
schwierigsten Probleme des Barockbegriffes besteht darin, dass wir den Begriff heute auch
für Dinge verwenden, die mit dem ursprünglichen Barock in bildender Kunst und Literatur
wenig oder gar nichts zu tun haben. So verwenden wir den Terminus im Bereich der Musik
auch für weite Teile der Musik des 18. Jahrhunderts: für Telemann, Händel, Vivaldi und Bach,
die mit den Zeugnissen von Kunst und Literatur des 17. Jahrhunderts, die uns hier
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interessieren, nur am Rande verwandt sind. Über diese Schwierigkeiten müssen wir uns
immer im Klaren sein.
In der Folge verwende ich den Begriff des Barock als Bezeichnung für bestimmte Tendenzen
in der bildenden Kunst und europäischen Literatur des ausgehenden 16. und 17. Jahrhunderts.
Wie wir bereits gesehen haben, ist das Wort Barock ursprünglich eine abwertende
Bezeichnung für gewisse Auflösungstendenzen der Renaissance-Kunst. Diese
Auflösungstendenzen äußern sich bereits im Spätwerk berühmter Vertreter der
Hochrenaissance (Michelangelo, Abb. Biblioteca laurenziana) und begründen hier, was man
als den sogenannten Manierismus bezeichnet. Dieser Begriff bezeichnet eine Phase des
Übergangs zwischen Renaissance und Barock. Einer der größten Vertreter dieser
Übergangsform auf dem Weg zum Barock ist der spanische Maler El Greco. (Abb. Laokoon).
Wenn Sie seinen Laokoon betrachten, dann spüren Sie deutlich, wie die Abwendung vom
Renaissance-Ideal sich in einer ganz neuen Körperauffassung und auch in einer neuen
Farbgebung artikuliert. Diese Verabschiedung von den Renaissance-Idealen der Einfachheit,
Natürlichkeit und Klarheit wird auch die Barock-Kunst und Literatur prägen und äußert sich
besonders sinnfällig in der überbordenden wuchernden Ornamentik der Barock-Architektur.
(Beispiel, evtl. Fassade der Kathedrale von Santiago de Compostella)

7. Das Barock im Spannungsfeld von Retheologisierung und Modernität (Folie)

Inhaltlich kann man hier für den romanischen Kulturraum sagen, dass das Barock sich
wesentlich durch zwei große Tendenzen auszeichnet: Erstens eine deutliche Tendenz zur
Infragestellung des Vorbildcharakters der Antike, ein Vorbildcharakter, der wie wir gesehen
haben, für den gesamten Humanismus und die gesamte Renaissance völlig außer Frage stand;
und zweitens durch eine starke Tendenz zur Retheologisierung der Kultur.
Das entscheidende kulturelle Großereignis, welches den historischen Hintergrund dieser
Entwicklung bildet, ist natürlich die Reformation, die sich in der ersten Hälfte des 16.
Jahrhunderts rasch in Nordeuropa ausbreitet. Der Versuch die konfessionelle
Glaubensspaltung rückgängig zu machen, mündet katholischerseits um die Mitte des 16.
Jahrhunderts in das, was man als Gegenreformation bezeichnet. Diese findet ihren
maßgeblichen Ausdruck im sogenannten tridentinischen Konzil, das von 1545 bis 1563 in der
norditalienischen Stadt Trient tagt.
Zwar gelingt es der Gegenreformation nicht die Glaubensspaltung rückgängig zu machen,
schon deshalb nicht, weil die Protestanten gar nicht am Konzil beteiligt waren, die von ihr
eingeleiteten Reformen prägen jedoch das kulturelle Klima in ganz Europa nachhaltig. Und
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zwar im historischen Bewusstsein der Nachwelt weniger durch die durchaus beachtlichen
Reformen nach innen, als durch die Defensivstrategien nach außen: Von diesen seien an dieser
Stelle vor allem drei genannt (Folie):

1. Die Einrichtung des 1540 durch Ignacio von Loyola gegründeten Jesuitenordens als direkt
dem Papst unterstellte Propagandaorganisation
2. Die Stärkung und Ausweitung der Inquisition
3. Die Einrichtung des Index librorum prohibitorum, d.h. des Index’ vorbotener Bücher.

Das, was wir als einige der größten und folgenreichsten Leistungen der Renaissance dingfest
gemacht haben, nämlich eine machtvolle Laizisierung und Verweltlichung der Kultur, eine
weltliche Autonomisierung verschiedener sozialer Funktionsfelder und die Auflösung des
mittelalterlichen Theozentrismus, das weicht nun in Teilen einer neuerlichen religiösen
Rezentrierungsbewegung. Dass neben Italien gerade Spanien zum Kernland des europäischen
Barock wird, hat dabei vermutlich mehrere Gründe. Da ist zum einen die Tatsache, dass
Spanien seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert in besonders engem Austausch mit Italien,
dem Ursprungsland des Barock steht. Tatsächlich gehört das Königreich Neapel samt Sizilien
sowie das Herzogtum Mailand seit dieser Zeit zu Spanien. Hinzu kommt, dass sich die
spanische Monarchie seit den katholischen Königen und der Reconquista in besonderer Weise
als Wahrer der Orthodoxie und der religiösen Einheit fühlte. Schließlich sind die vielfältigen
Einflüsse aus der neuen Welt, insbesondere auch ihr Goldreichtum nicht zu vergessen, der die
barocke Prachtentfaltung in hohem Maße fördern.
Dabei muss man sich freilich davor hüten, diesen Prozess der religiösen Rehegemonisierung
im Sinne eines linearen Geschichtsbildes als einfachen Rückschritt zu betrachten. Eine solche
Betrachtungsweise würde der beeindruckenden Kreativität des Barock, und insbesondere des
spanischen Siglo de oro mit Lope de Vega, Calderon, Gracián, Quevedo und Gongora
überhaupt nicht gerecht. Dennoch ist innerhalb des „Siglo de oro“ gerade der Übergang von
Cervantes zu Autoren wie Calderon und Gracian kulturhistorisch überaus bezeichnend. Er
markiert grob vereinfachend den Übergang von dem insgesamt optimistischen,
weltzugewandten Realismus, wie er sich im Don Quijote äußert, zu einer religiös motivierten
Lehrhaftigkeit und zu einer theologischen Überformung der Verhaltensideale. Vor allem
bestimmte klassische religiöse Motive wie die Scheinhaftigkeit der Welt, der sogenannte
„desengaño“, und das Motiv der Vanitas, der Vergeblichkeit und Vergänglichkeit des Lebens
treten nunmehr zunehmend in den Mittelpunkt. (Evtl. Vanitas-Darstellung zeigen.)
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Ich hatte bereits vorhin im Zusammenhang mit El Greco auf die starke Tendenz des Barock,
zur Abwendung vom klassischen Ideal der Renaissance von Einfachheit, Natürlichkeit und
Klarheit hingewiesen. Die klassische Formensprache wird schon in Bezug auf ihre
elementarsten Grundelemente aufgelöst. Der Kreis und das Quadrat der Renaissance wird
ersetzt durch das Ovale, Halbkreise, geschwungene Bögen, etc. (Grundriss Vierzehnheiligen,
evtl. Schloss Karlsruhe)
Diese Tendenz ist besonders evident, und Ihnen allen am ehesten vertraut, natürlich in der
Barockarchitektur und Barockmalerei mit ihrer Tendenz zum überbordenden Ornament und
zum Wuchern der Formen und Kompositionen. (Bildbeispiele).
Literarisch äußert sie sich in einer Strömung, die man als Konzeptismus bezeichnet, die
ebenfalls aus Italien stammt, sich von hier auf ganz Europa ausdehnt, die ihren Höhepunkt
aber in Spanien erlebt. Als concetto, oder concepto bezeichnet man einen ingeniösen
Vergleich, oder eine ingeniöse Metapher. Der Konzeptismus ist also eine Kunstrichtung, in
deren Mittelpunkt die gewagte und daher oftmals auch nicht leicht verständliche Metapher
steht. Nicht das naheliegende, einfache, natürliche wird also angestrebt, sondern das
fernliegende, komplizierte, ungewöhnliche. Grundprinzip des „concetto“ ist es also, durch die
unerwartete Kombination heterogener sprachlicher Elemente überraschende Korrespondenzen
und überraschende neue Sinndimensionen zu erschließen. Je Fernerliegendes in der Metapher
zusammengeschweißt wird, um so verblüffender und folglich besser die Metapher. Seine
wesentlichen Vertreter in der Lyrik Italiens sind Giambattista Marino und in der Lyrik
Spaniens Luis de Gongora und Francisco Quevedo.
Berühmte Bespiele dieser hoch artifiziellen Metaphern sind die Schildkröte als „Lyra ohne
Saiten“, die Orgel als „Nachtigal ohne Federn“, der Kristal als „gefrorene Gewässer“, das
Wasser als „flüssige Kristalle“, das Schiffssteuer als „Pflugschar der Meere“, die Zeit als
„dahinfliegender Pfeil“ usw.
Allerdings zeigen diese Beispiele natürlich auch, wie sehr sie zum Teil bereits in unseren
festen Sprachgebrauch eingegangen sind. Hat die Vorstellung, daß jemand das Wasser pflügt,
oder daß das Wasser einem Kristall gleicht, oder die Zeit wie ein Pfeil dahinfliegt zu
Gongoras und Marinos Zeiten offenbar äußerst gewagt, neuartig und ungewohnt gewirkt, so
ist es heute fast eine Plattitüde.
Gerade diese Tatsache ist für uns kulturhistorisch besonders interessant. Sie zeigt nämlich die
ungeheure Wirkmacht der barocken Dichtung. Tatsächlich hat sie unsere moderne Vorstellung
von Dichtung in einer Weise geprägt, dass uns ihre Grundgedanken zum Teil
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selbstverständlich geworden sind. Wenn Paul Celan in seinem berühmtesten Gedicht von der
„schwarzen Milch der Frühe“ spricht, so verwendet er eine durch und durch barocke
Metapher. Nicht umsonst ist gerade die Dichtung des Manierismus und des Barock wiederholt
als eigentliche Ahnmutter der modernen Dichtung und Lyrik betrachtet wurden. Dieses
Problem der Modernität wird denn auch im Mittelpunkt der nächsten Sitzung stehen, die der
Epoche der Aufklärung gewidmet ist!

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