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Philosophische Bibliothek

Dante Alighieri
Das Gastmahl
Erstes Buch
Italienisch–Deutsch
Philosophische Werke 4/I

Meiner
DANTE ALIGHIERI

Philosophische Werke

Herausgegeben unter der Leitung von


Ruedi Imbach

Band 4/I

FELIX MEINER VERLAG


HAMBURG
DANTE ALIGHIERI

Das Gastmahl
Erstes Buch

übersetzt von
Thomas Ricklin

Eingeleitet und kommentiert von


Francis Cheneval

Italienisch - Deutsch

FELIX MEINER VERLAG


HAMBURG
INHALT

Vorrede ... „ „ „ „. „. „ .. „. „ .. „ .. „ „. „. „ „ .... „ „ .. „ „.. VII


Einleitung zu den Büchern 1-IV. Von Francis Cheneval „ XI
1. Dantes Not oder die Philosophie
als Kompensation ........... „ .... „ . „ ... „ „ .......... XIII
2. Der philosophische Selbstkommentar „„.„.„„„„ xv
3. Der Kommentar als Bindeglied zwischen
Dichtung und Philosophie ... „ .. „ . „ .......... „ .. xxvn
4. Das Entstehungsmilieu des Convivio,
Dantes Publikum und die Sprachen
der Philosophie „ .. „ ........... „ . „ ... „ . . . . . . . . . XXXVIII
5. Das Gastmahl oder Philosophie für
möglichst viele „ ... „ . „ ....... „ .. „ . „ ......... „ „ . „ LI
6. Dantes Lob der Philosophie „„„„„„„„„„„„„ LVII
7. Das literarische Genus der 'commendatio
philosophiae' ....................................... LXXXIII
8. Das Convivio und die philosophische
Einführungsliteratur .. „ .. „ ... „ .. „ .. „ ........ LXXXVIII
9. Dantes Lob der Philosophie und
die Universität Bologna „„.„„„.„„„.„„„„„„ XCII
10. Weitere Formen und Strukturen
des Convivio . „ „ ..... „ ... „ ... „. „. „ ... „ ..... „ .. „ ... c

DANTE ALIGHIERI
Convivio I Das Gastmahl

Erstes Buch. Text (2) und Übersetzung „. „ „. „. „ „. „. „ 3


i, 1-19„.„„„.„.„„.„„„„„„„„„„„„.„.„„„.„ 3
ii, 1-17 .„„ ....... „.„.„ .. „ .. „ .. „„„.„„ ......... „.„ 9
VI Inhalt

iii, 1-11 ···················································· 15


iv, 1-13 ... . . . ....... .. ... ..... ........ ....... ....... ..... .. 19
V, 1-15 . ..... ... ..... ... ... ..... ... ... .. ... . ...... ......... 23
vi, 1-11 . ........ ........ ........ ... ... .. ... . . ....... ....... 29
vii, 1-16 ...... .. .. . . . .. ... . ..... .. ..... ....... .... .. . ....... 33
viii, 1-17 .................................................... 37
ix,1-21 .................................................... 43
X, 1-14 . . ... ..... ....... ....... ..... .... .... ...... ......... 47
xi, 1-21 . . . ....... .. ... .. .... ... . ... .......... ..... ......... 53
xii, 1-13 . .... ... . .... ........... ........ ..... ......... ...... 59
xiii, 1-12 . ........ ................ ....... ..... ......... ...... 65

Literalkommentar. Von Francis Cheneval .. . ....... ....... 71


Literatur ......................................................... 245
Index nominum ................................................ 266
Index rerum .................................................... 267

Personenregister zu Einleitung und Literalkommentar


(antike und mittelalterliche Autoren) ....................... 275
VORREDE

Das Sicher ist nicht sicher.


So, wie es ist, bleibt es nicht.
Bertold Brecht

Mit diesem Band wird die vierteilige Ausgabe des Convivio


Dantes eröffnet. Wie bei den bereits erschienen beiden Texten
Dantes, die im Rahmen dieser Werkausgabe der Philosophi-
schen Bibliothek veröffentlicht worden sind, geht es darum
mit Hilfe einer Übersetzung und eines ausführlichen Kom-
mentars, das philosophische Schrifttum Dantes zu vergegen-
wärtigen. Dem Gastmahl kommt allerdings im Werk Dantes
ein ganz besonderer Stellenwert zu. Die prosimetrisch gestal-
tete Schrift, in der Dante seine eigenen Gedichte philosophisch
auslegt, ist im Gegensatz zu den anderen Werken, die in dieser
Werkausgabe präsentiert werden, in der italienischen Volks-
sprache verfaßt worden, und Dante hat dieses Faktum überdies
ausführlich reflektiert. Die dem ersten Buch vorangestellte,
ausführliche Einleitung weist auf die grundlegende Bedeutung
dieser Innovation hin. An dieser Stelle sei schlicht daran erin-
nert, daß es sich wohl um den ersten wirklich originellen und
selbständigen philosophischen Text in der italienischen Volks-
sprache handelt. Und in dieser Perspektive darf das Convivio
durchaus als ein epochales Werk bezeichnet werden, das im
europäischen Mittelalter ein neues Zeitalter anzeigt: Dantes
unvollendetes Werk entsteht gleichzeitig wie die katalanischen
Schriften des Raimundus Lullus und die deutschen Predigten
und Traktate Meister Eckharts.
Es ist zur Genüge bekannt, daß die Werke dieser drei Auto-
ren die ersten großen Denkmäler einer für die Wissenschaft
offenen Volkssprache darstellen. Es wird weniger bedacht,
VIII Vorrede

daß die sprachschöpferische Leistung der drei Zeitgenossen


zum einen dem Denken neue Räume eröffnet hat, weil eine
andere Sprache der Philosophie auch andere Horizonte frei-
legt, und zum anderen einhergeht mit einer je eigenen Origina-
lität der verschiedenen Denkansätze. Es wäre verwegen und
naiv zugleich, wenn man Eckharts anthropologische Umdeu-
tung der Christologie in die Rede von der Geburt Gottes in
eines jeden Menschen Seele mit Lulls Versuch, die Grund-
wahrheiten des Christentums derart vernünftig zu formulie-
ren, daß sie für Muslime und Juden einsichtig werden, mitein-
ander vergleichen wollte. Dantes Begegnung mit der donna
gentile, deren tröstende Botschaft er, wie die Brote der wun-
derbaren Brotvermehrung, an Tausende verteilen will, damit
ein neues Licht die Welt erleuchte, ist von diesen beiden Ent-
würfen noch einmal zu unterscheiden. Was die drei gleichzei-
tigen Versuche zur Philosophie allerdings verbindet ist die
Bemühung um ein neues Publikum sowie die Übersetzung der
Philosophie in eine neue Sprache. Beide Aspekte markieren
einen signifikanten Einschnitt in der Geschichte der europäi-
schen Philosophie.

*
Jedem der vier Traktate des Gastmahls ist ein eigener Band
gewidmet. Der ausführliche Kommentar der einzelnen Teile
bemüht sich, wie in den bereits erschienen Bänden, in erster
Linie um die Rekonstruktion der argumentativen Struktur der
Bücher und Kapitel, um die Erschliessung der philosophie-
und theologiegeschichtlichen Bedeutung sowie der entspre-
chenden Quellen der Teile und des Ganzen. Im Gegensatz zu
den bereits existierenden Kommentaren zu dieser Schrift Dan-
tes stand in erster Linie das Verständnis und weniger die aus-
gebreitete Gelehrsamkeit im Vordergrund. Wir hoffen, daß
die Originalität dieses Kommentars für sich selbst spricht.Der
Übersetzung und dem Kommentar zugrunde liegt der Text der
Societa Dantesca ltaliana (1921; siehe Bibliographie).
Vorrede IX

Auch dieser Teil der Ausgabe von Dantes philosophischen


Werken ist das Ergebnis einer intensiven Zusammenarbeit ei-
nes Forscherteams, zu dem die Unterzeichnenden gehören.
Bei der Durchsicht der Übersetzung hat Frau Dr. Tiziana Sua-
rez Nani mitgewirkt. Ohne die Unterstützung des Schweize-
rischen Nationalfonds hätte dieses Vorhaben nicht verwirk-
licht werden können.

*
„Enwaere niht niuwes, sö enwürde niht altes", dieses Wort
Eckharts am Ende seines Buches des göttlichen Tröstung kann
sowohl auf Dantes Convivio wie auch auf diese kommentierte
Übersetzung angewendet werden. Wir versuchen mit diesen
Bänden der innovatorischen Leistung Dantes gerecht zu wer-
den; gleichzeitig hoffen wir, daß wir auf diese Weise einen
Beitrag leisten zu einer veränderten und neuen Historiographie
des mittelalterlichen Denkens.

Freiburg, Dezember 1995 Francis Cheneval


Ruedi Imbach
Thomas Ricklin
EINLEITUNG ZU DEN BÜCHERN 1-IV

Die Geistesgeschichte kennt zahlreiche Werke, die sich unter


historischem Gesichtspunkt als Produkte bestimmter Amts-
pflichten und institutioneller Konstellationen interpretieren
lassen, und deren Bedeutung darin besteht, ein Schulsystem
umfassend dargestellt oder um mehr oder weniger wesentliche
Subtilitäten erweitert zu haben. In diese Kategorie gehören im
Spätmittelalter zum Beispiel die theologischen Summen, die
Kommentare zu Aristoteles, der Bibel, den Sentenzen des Pe-
trus Lombardus, den Werken der griechischen Mediziner Hip-
pokrates und Galen, den Textsammlungen des zivilen und
kirchlichen Rechts (Corpus luris Civilis und Corpus luris Ca-
nonici) oder die aus universitären Disputationen verschiede-
ner Fakultäten hervorgegangenen Quaestiones 1• Angesichts
der Wichtigkeit des scholastischen Rahmens wissenschaftli-
chen Arbeitens konnte J. Verger feststellen, daß die Philoso-
phen im Mittelalter vor allem Magister waren, die an Schulen
oder Universitäten gelehrt haben und daß ihre Werke aus einer
vom Curriculum vorgeschriebenen Lehrtätigkeit hervorge-
gangen sind 2 •
1 Vgl. dazu etwa R. Bultot / L. Genicot, Les genres litteraires dans !es

sources theologiques et philosophiques medievales; L. Bianchi / E. Randi


(eds.), Filosofi e Teologi. La ricerca e l'insegnamento nell'universitä medie-
vale; B. Lawn, The Rise and Decline of the Scholastic 'Quaestio disputata'.
With Special Emphasis on its Use in the Teaching of Medecine and Science;
F. Feltrin IM. Rossini (eds.), Veritä in questione, II problema de! metodo in
diritto e teologia nel XII secolo. Einen Überblick zum weitläufigen Thema
der institutionellen Situierung wissenschaftlichen Arbeitens im Spätmittel-
alter gibt J. Verger, .L'histoire des institutions scolaires et !es etudes de
philosophie medievale". Vgl. auch M. Hoenen I J. Schneider IG. Wieland,
Philosophy and Learning. Universities in the Middle Ages.
2 • Les philosophes medievaux etaient avant tout des maitres qui enseignaient

dans !es ecoles et !es universites. Les classifications et !es hierarchies du savoir
XII Francis Cheneval

Trotz der Richtigkeit dieser institutionellen Situierung ei-


nes großen Teils des philosophischen Schaffens im Mittelal-
ter muß jedoch auch eine andere Philosophie zur Kenntnis
genommen werden. Es gibt während der sogenannten „Scho-
lastik" Werke, die sich einer institutionellen Eingliederung
entziehen, die gattungsgeschichtlich neue Wege gehen und
die auch inhaltlich den Rahmen der schulisch verengten Dis-
kussion sprengen. Ein solches Werk ist Dantes Convivio. Sei-
ne biographischen und institutionellen Entstehungsumstände,
sein literarisches Genus sowie die berufliche Situation seines
Autors zeichnen sich durch eine Individualität aus, die sich
von den festen Formen der an den Schulen serienmäßig pro-
duzierten Schriften gleichen Genres entschieden abhebt. Das
Convivio wendet sich an neue Adressaten, ist in der für die
mittelalterliche Schulphilosophie unüblichen italienischen
Mundart abgefaßt und setzt auch in der Substanz neue Ak-
zente. Es transformiert Publikum, Sprache, Form und Inhalt
der Philosophie, wobei die Bedeutung dieser Tatsache durch
Dantes explizites Thematisieren und Rechtfertigen der Neu-
heit seiner Schrift noch erhöht wird. Es handelt sich im Falle
des Convivio um eine reflektierte und bewußt vorgenommene
Veränderung der philosophisch-literarischen Produktion.

qui structuraient Jeur pensee, s'adaptaient aux necessites pedagogiques des


programmes et des examens. Les reuvres qu'ils produisaient -commentaires,
questions, sommes - etaient generalement le fruit direct d'un enseignement
effectif, c' est-a-dire d'une pratique orale modelee par Je calendrier de l' annee
scolaire et Je niveau des auditeurs." J. Verger, .L'histoire des institutions
scolaires et les etudes de philosophie medievale", 361. Dazu gilt es zu be-
merken, daß die institutionell-universitäre Verfaßtheit nicht nur ein Merkmal
der mittelalterlichen Philosophie ist: .Die unmittelbare Veranlassung zur
Herausgabe dieses Grundrisses ist das Bedürfnis, meinen Zuhörern einen
Leitfaden zu den Vorlesungen in die Hände zu geben, welche ich mei-
nem Amte gemäß über die Philosophie des Rechts halte." (G. W. F. Hegel,
Grundlinien der Philosophie des Rechts, Vorrede; 11).
3 Cf. Conv., 1, iii, 4.
Einleitung XIII

J. Dantes Not oder Philosophie als Kompensation

Dante Alighieri, ein angesehener Bürger und hochrangiger


Politiker von Florenz wurde am 27. Januar 1302 im Anschluß
an eine Machtverschiebung zugunsten der papstfreundlichen
Schwarzen Guelfen aus seiner Heimatstadt verbannt und am
10. März im Abwesenheitsverfahren zum Tode verurteilt. Er
verlor durch die Vertreibung seine gesellschaftliche Stellung
und seine materielle Grundlage, seine Familie wurde ausein-
andergerissen und er selbst hatte bis zum Ende seines Lebens
keinen festen Wohnsitz und keine institutionelle Unterstütz-
ung mehr. Außerdem verlor der über die Grenzen seiner
Heimatstadt hinaus noch recht unbekannte Dichter Dante sein
heimisches Publikum. All diese Widerwärtigkeiten wußte der
Alighieri auf seine eigene Weise zu ertragen. Er wurde zum
Schriftstellemomaden, der sich "wie ein Bettler" 3 , mit Schrei-
ben poetischer und philosophischer Texte an verschiedenen
Fürstenhöfen und in verschiedenen Städten ein Auskommen
schuf, ohne daß er seine materielle Not je ganz hat überwinden
können. Das Convivio, dessen Entstehung Michele Barbi in
überzeugender Weise zwischen 1304 und ca. 1308 datierthat4,
die Angabe des terminus ad quem kann auch heute nicht weiter
präzisiert werden, ist, nebst einigen Briefen und Gedichten,
Dantes erstes Werk nach der Exilierung, es ist seine Antwort
auf die neuen Lebensumstände. Der über keine offizielle Uni-
versitätsausbildung verfügende Alighieri beginnt nach ein

• Aufschlußreich für die genaue Datierung von Buch 1 ist nebst den klaren
Hinweisen seiner Entstehung einiger Zeit nach dem Exil (I, iii, 4) der Hin-
weis auf ein Buch über die n volgare eloquenza", das Dante zu schreiben
gedenkt (1, v, 10). In De vulgari eloquentia 1, xii, 5 wird der anfangs Februar
1305 verstorbene Giovanni di Monferrato als lebend erwähnt, Convivio 1
entstand also sicher vor Februar 1305, und da der Autor angibt, bereits weit
umhergeirrt zu sein, einige Zeit nach 1302. Buch II schließt sich durch die
einleitenden Worte in II, i, l unmittelbar an Buch I an und Buch III beginnt
mit einer kurzen Rückblende auf Buch II, so daß die Reihenfolge der Re-
XIV Francis Cheneval

paar Jahren Exilserfahrung, zu einigen seiner Liebesgedichte


einen philosophischen Kommentar in italienischer Sprache zu
schreiben und nennt die Schrift Convivio, Gastmahl. Er ist
sich der Ungeheuerlichkeit und Einmaligkeit eines philoso-
phischen Eigenkommentars in der Volkssprache durchaus be-
wußt und wendet den größten Teil des ersten Buches dafür auf,
sein Unternehmen zu rechtfertigen. Wenn ein Universitäts-
lehrer der Theologie, Philosophie, Medizin oder des Rechts
für seine Studenten einen Kommentar verfaßte, so mußte dies
nicht weiter reflektiert und gerechtfertigt werden, im Gegen-
teil, das Unterlassen der Kommentierens wäre ein Verstoß
gegen die Pflicht gewesen. Im Falle Dantes führt die spezielle
Konstellation seines wissenschaftlichen Schaffens zu einem
Innovations- und damit verbundenen Legitimationszwang, der
ihn zu einem hohen Grad von Bewußtsein über sein eigenes
Tun führt.
Universitätslehrer oder Prediger konnten bei ihrer Tätigkeit
zudem eines stillschweigend voraussetzen: das Publikum. Dan-
te muß sich im Exil eine neue Identität bei einem neuen und oft
wechselnden Kreis von Adressaten schaffen. Dante kann durch
sein Schreiben nicht nur Wissensinhalte zum Ausdruck brin-
gen, sondern er muß in erster Linie den Mangel institutioneller
Einbettung und Existenzsicherung kompensieren. Er muß sich
sein Publikum zu allererst schaffen, er muß sich selbst vor-
stellen und seine philosophische Tätigkeit, die sich außerhalb

daktion der Numerierung der Bücher entspricht. Buch IV läßt sich durch
zwei Hinweise Dantes zeitlich situieren. Die Erwähnung Friedrichs II. als
letzter Kaiser der Römer (IV, iii, 6) legt den Schluß nahe, dieses Buch sei
vor dem 27. November 1308, das heißt vor der Wahl Heinrichs VII. begon-
nen worden. In IV, xiv, 12 wird der im März 1306 verstorbene Gherhardo
da Camino als tot bezeichnet, was anzeigt, daß das Buch IV mindestens ab
Kapitel xiv nach dem März 1306 entstanden ist. Der engültige terminus ad
quem ist laut Barbi der Beginn der Commedia im Jahr 1307-08, der Dante
dazu veranlaßt haben mag, die Arbeit am Convivio einzustellen.
Einleitung XV

des universitären und kirchlichen Wissenschaftskartells ab-


spielt, rechtfertigen.
Im Convivio vollzieht Dante seine Bekehrung zur Philoso-
phie, die er selbst in Anlehnung an die Philosophiae consolatio
des Boethius, sein großes literarisches Vorbild, als consolatio,
Trost, bezeichnet, den er gesucht hat, um über die Verzweif-
lung nach dem Tode Beatrices hinwegzukommen. Ob der Tod
Beatrices wirklich Dantes Konversion zur Philosophie veran-
laßt hat, mag dahingestellt bleiben, Tatsache ist, daß das erste
philosophische Werk Dantes einige Jahre nach der Exilierung
geschrieben worden ist und daß wir das von ihm als consolatio
philosophiae bezeichnete Unternehmen historisch als compen-
satio philosophiae interpretieren können. Wie in der Folge
dargelegt werden soll, ist das Convivio als philosophisches
Werk ein eindrücklicher Akt der Selbstbehauptung und der
Kompensation vielfältiger Mängel. Dantes Hinwendung zur
Philosophie erscheint dabei nicht nur als Trost in seelischer
Verzweiflung, sondern als Entschluß zu einer neuen Lebens-
form und als origineller Versuch, sich in einem anderen Mi-
lieu zu behaupten.

2. Der philosophische Selbstkommentar

Den literarischen Kunstgriff des Kommentierens eigener Kan-


zonen hatte bereits der junge Dante in seiner Schrift Vita Nuo-
va angewandt; auch wählte er schon damals die Volkssprache
nicht nur für die Kanzonen, sondern auch für den Kommentar.
Im Gegensatz zum Convivio, wo Sprache und Form der Schrift
ausführlich thematisiert und begründet werden, läßt die Vita
Nuova noch keine Anzeichen einer Reflexion oder Rechtferti-
gung dieses Tuns erkennen. Dante erlebte durch das Exil eine
Dekontextualisierung und Entfremdung seiner Person und sei-
ner Werke; er geriet in einen Legitimationszwang, der ihn
dazu bewegt hat, erneut auf die Form des Selbstkommentars
XVI Francis Cheneval

zurückzugreifen, um sein literarisches Schaffen neu zu orien-


tieren und neuen Rezipienten zu erklären. Da aber die Form
des Eigenkommentars keineswegs zu den anerkannten literari-
schen Gattungen gehörte, mußte er diese Art des Sprechens
über sich selbst rechtfertigen: „Ich fürchte die Verleumdung,
so vieler Leidenschaft gefolgt zu sein, wie sie jener als in mir
herrschend wahrnimmt, der die oben genannten Kanzonen
liest; diese Verleumdung findet, durch dieses Sprechen über
mich, das zeigt, daß nicht Leidenschaft, sondern Tugend die
bewegende Ursache gewesen ist, ihr definitives Ende."
Der Dichter Dante Alighieri fühlte sich in der Fremde falsch
verstanden und seine Kanzonen wurden, so scheint es, als
leidenschaftliche Liebesgedichte ausgelegt. An dieser Ausle-
gung seiner Kanzonen war Dante selbst nicht ganz unschuldig,
hatte er doch in der Vita Nuova noch geschrieben, die volks-
sprachliche Dichtung diene ausschließlich dazu, den Frauen,
die das Latein nicht verstehen, die Liebe kundzutun. Mit ei-
nem Kommentar, der durch eine allegorische Auslegung der
Gedichte den wahren philosophischen Gehalt darlegen soll,
will Dante Mißdeutungen seiner Poesie beheben. In Bezug auf
die Vita Nuova und den jungen Dante bedeutet die philosophi-
sche Auslegung der Kanzonen aber auch eine grundsätzliche
Änderung des literarischen Vorhabens. Dante will nicht mehr
nur die Frauen mit Liebe besingen, sondern er versucht, sei-
nem Schaffen eine philosophische Substanz zu geben und den
philosophischen Inhalt früherer Werke hervorzuheben. Der
Kommentar Dantes erhält durch diese Tatsache im Vergleich
zu den Kanzonen einen sehr hohen Stellenwert.
Das Mißverständnis seiner Werke und die Geringschätzung
seiner Person deutete Dante selbst als direkte Folge des Exils,
des Herumirrens eines mittellosen Dichters, den viele Leute
nicht durch einen übersteigerten Ruf, sondern durch die eigene
Anschauung kannten5 • Der auf die positive Rezeption seiner
' .Da es den Bürgern der schönsten und berühmtesten Tochter Roms,
Florenz gefallen hatte, mich aus ihrem süßen Schoß hinauszuwerfen, ( ... )
Einleitung XVII

Werke angewiesene und in seiner materiellen Existenz bedroh-


te Dante fühlt sich dazu gedrängt, seine eigenen Kanzonen zu
kommentieren. Da das Exil und die materielle Not Dantes eine
auch aus heutiger Sicht verifizierbare Realität sind, kann da-
von ausgegangen werden, daß Dantes Klage über die Verleum-
dung seiner Person und seiner Werke keine literarische Fiktion
darstellen. Der gegen Dante kritisch eingestellte Dichter Cec-
co Angiolieri zum Beispiel ironisierte in einer Kanzone die
allegorisch-entrückte Vergeistigung der donna. gentile und be-
tont, wenn auch sehr subtil, deren vornehmlich sinnlichen
Reize6 • Dieses als Antwort auf den dolce stil nuovo im allge-
meinen und auf das Convivio im besonderen interpretierbare
Textstück scheint zu belegen, daß Dantes allegorische Verklä-
rung der Liebeslyrik und seine philosophische Transformation
der donna. gentile tatsächlich nicht unangefochten geblieben
ist. Noch in der Renaissance wird Agrippa von Nettesheim
Dante einen Kuppler nennen7 •

bin ich durch beinahe alle Regionen, in die sich diese Sprache erstreckt, als
Herumirrender, einem Bettler gleich, gegangen und ich habe hierbei gegen
meinen Willen, die Wunde des Schicksals, die dem Verwundeten in vielen
Fällen ungerechterweise zugefügt zu sein pflegt, vorgezeigt. Tatsächlich
war ich ein Floß ohne Segel und ohne Steuer, vom trockenen Wind, der die
schmerzhafte Armut ausdörrt, in verschiedene Häfen, an Flußmündungen
und Strände getragen; ich bin unter den Augen vieler, die sich mich viel-
leicht irgendeines Rufes wegen in anderer Form vorgestellt haben, erschie-
nen. In ihrem Blickfeld wurde nicht nur meine Person herabgewürdigt, son-
dern auch jedes Werk.• (Conv., 1, iii, 4-5).
6 "I'ho si gran paura di fallare I verso la dolce gentil donna mia, ch'i' non

l'ardisco la gioi' domandare, ehe'! mi' coraggio contanto disia; ma 'l cor mi
dice pur d'assicurare, per ehe 'n lei sento tanta cortesia, ch'eo non potrei
quel dicer ne fare, ch'i' adirasse Ja sua segnoria. Ma se la mia ventura mi
consente I ch'ella mi degni di farmi quel dono, sovr'ogn'amante viverö gau-
dente. Or va, sonetto; e chielle perdono, s'io dico cosa ehe Je sia spiacente:
ehe s'io non l'ho, gia mai lieto non sono. •Ed. M. Marti, Poeti giocosi nel
tempo di Dante, 136. Vgl. die von M. Vitale, Rimatori comico-realistici, I,
379-384, herausgegebenen Gedichte des Cecco Angiolieri gegen Dante.
7 "Zahlreiche wenig bekannte Historiker haben sich als Kuppler betätigt,

doch auch berühmte haben dieses Geschäft betrieben, von den Modemen
XVIII Francis Cheneval

Dantes Convivio als Kommentar eigener Kanzonen ist dem-


nach zunächst einmal ein schriftstellerischer Akt der Selbstbe-
hauptung eines in die Isolation getriebenen Intellektuellen,
dessen widerwärtige Lage mit seiner Begabung eine glückliche
Verbindung eingeht und ein Werk entstehen läßt, das der Form
nach in der Philosophiegeschichte Seltenheitswert besitzt: ein
Eigenkommentar8. Mit der Epistola an Cangrande setzte Dante
dieses Unternehmen auch in bezug auf die Commedia fort. Die
Ungeheuerlichkeit dieses Unterfangens wird deutlich, wenn
bedacht wird, daß im Mittelalter nur große Autoritäten aus
vergangenen Zeiten kommentiert wurden. Interessanterweise
gehören diejenigen Werke, die zu dieser Regel die Ausnahme
bilden - wie etwa Walter von Chätillons Alexandreis9 , Alain
von Lilles Anticlaudianus10 oder Albertino Mussatos Ecerinis,
zu dem Guizzardo von Bologna und Castellano von Bassano
einen Kommentar schrieben", oder Guido Cavalcantis Ge-
dicht Donna me prega, das der Mediziner Dino del Garbo
kommentiert hat12 - zu jener Tradition philosophischer Poesie,
von der im Zusammenhang mit dem literarischen Genus des
Convivio noch die Rede sein wird.

z.B. Aeneas Sylvius, Dante ... ". (Agrippa von Nettesheim, Über die Frag-
würdigkeit, ja Nichtigkeit der Wissenschaften, LXIV; 144).
8 Zu dem Thema vgl. G. Peron (ed.), L'autocommento. Atti de! XVIII

convegno interuniversitario. Darin zu Dante: V. Russo, • Voi che'ntendendo


e Amor ne la mente: la diffrazione dei significati secondo l'auto-commento
de! Convivio", 11-19. F. Zambon, .Allegoria e linguaggio dell'ineffabilira
nell 'autoesegesi dantesca dell 'Epistola a Cangrande", 21-30. Vgl. dazu auch
C. Perms, .Dante critique de Dante."
9 Galteri de Castellione, Alexandreis, ed. M. L. Cocker. Glossen und ein

Kommentar sind im selben Band ediert, 275-514.


10 Vgl. dazu Alain de Lille, Anticlaudianus, ed. R. Bossuat, 43-46. Vgl.

Radulphus de Longo Campo, In Anticlaudianum Alani Commentum, ed.


J. Sulowski. Vgl. auch R. A. Gauthier, .Les debuts du premier Averrois-
me", 340-344.
11 Guizzardo von Bologna /Castellano von Bassano: Commentum super

tragoedia Ecerinide.
12 Dino del Garbo, Scriptum super cantilena Guidonis Cavalcantibus.
Einleitung XIX

Dante hat also mit seinem Convivio gleich zwei Grenzen


überschritten. Erstens kommentierte er keine anerkannte Au-
torität und zweitens kommentierte er sich selbst. Er würde mit
diesem Selbstkommentar in seiner Zeit völlig allein dastehen,
hätte nicht auch sein Florentiner Stadtgenosse Francesco da
Barberino beinahe zur gleichen Zeit wie Dante ein ähnliches
Werk geschrieben. Barberinos Documenti d'amore 13 bestehen
nebst einem längeren Prolog aus zwölf je einer Tugend gewid-
meten volkssprachlichen Gedichten, einer lateinischen Über-
setzung der Gedichte und einem lateinischen Eigenkommen-
tar. Am Schluß hat Francesco zudem einen volkssprachlichen
tractatus de amore mit lateinischem Kommentar und einen
kurzen lateinischen Traktat De circumspectione angefügt.
Dies ergibt vierzehn Teile und ein Prooemium, was von der
Form her auf den ersten Blick mit den vier Büchern des Convi-
vio nichts zu tun hätte, wäre es nicht Dantes erklärte Absicht
gewesen, nebst seinem Prolog (Buch 1) noch vierzehn weitere
"sowohl aus Liebe als auch aus Tugend gebildete Kanzonen"
zu kommentieren 14 . Sucht man angesichts der formalen Ähn-
lichkeiten der Selbstkommentierung und der Struktur nach in-
haltlichen Berührungspunkten der beiden Werke, stößt man
auf Francescos Rechtfertigung seiner Selbstglossierung, die
dieser, ähnlich wie Dante, als Antwort auf eine die Fleisch-
lichkeit betonende Fehldeutung seiner Liebesgedichte be-
zeichnet15. Außerdem ist der Seitenhieb des Laienphilosophen
Francesco da Barberino gegen die Berufsphilosophen derselbe
wie derjenige Dantes: beide beschuldigen die professionellen
Philosophen, Wissenschaft für Geld zu betreiben16 . Die Unter-
13 Francesco da Barberino, Documenti d'amore, a cura di F. Egidi.
14 Conv„ I, i, 14. Vgl. Kommentar zu dieser Stelle.
""Fuerunt itaque quidam qui testum hunc recipientes dampnabant dicen-
tes me ad amorem camalem totaliter habuisse respectum. Quam ob rem
presentes glosas, ad denotandum proprie intentionis motum et actum „. de-
crevi." (Documenti d'amore, prohemium, 5). Vgl. Conv„ I, ii, 16.
16 "Pauci hodie remanserunt qui ad hoc nomen [philosophus] anelent ha-

bendum, sed eorum loco insurrexerunt studentes non ut sint sed ut appareant
XX Francis Cheneval

schiede zwischen Dantes Convivio und Barberinos Documenti


sind für das Verständnis der beiden Werke ebenso signifikant
wie die Parallelen. Francesco hat seinen Kommentar auf La-
tein geschrieben, Dante in der Volkssprache, beide haben je-
doch begründet, weshalb sie die eine Sprache der anderen
vorgezogen haben. Die Gedichte habe er für seine Landsleute
geschrieben, meint Francesco 17 , das Latein des Kommentars
jedoch richte sich „an alle Vemünftigkeit" 18 • Diese Bemer-
kungen gewinnen an Aussagekraft, wenn bedacht wird, daß
Francesco da Barberino seine Documenti und den enzyklopä-
dischen Kommentar explizit nur für Männer geschrieben hat 19
- er weilte dabei während einer gewissen Zeit in der Pro-
vence20- wogegen er für die Frauen das Reggimento e costumi
di donna, ein anderes prosimetrisches Werk, in der Volksspra-
che verfaßt hat2 1• Der Versuch Francescos, die Wahl des La-
teins für einen philosophischen Kommentar zu rechtfertigen,
nähme sich angesichts des unangefochtenen Status dieser
Sprache als Wissenschafts-und Schriftsprache eher seltsam
aus, hätte nicht Dante im Convivio einen großen Teil des Pro-
logs (Buch 1) einer minutiösen Begründung gewidmet, warum

valentes potius videri quam esse, et non ut mentem ornent sed ut copulent
aurum auro et ut scientiam vendant." (Documenti d'amore, Pars prima, ed.
F. Egidi, l, 86). Vgl. Conv., 1, ix, 3.
17 .Rimas autem vulgares ad nobilium utilitatem de patria mea qui latinum

non intelligunt scribere volui." (Documenti d'amore, prohemium, 36).


18 .Latinum autem quod pluribus est commune voluit omni rationabilitate

conformari." (Documenti d'amore, prohemium, 35).


19 .In hoc sane etc ista Iictera cum sequenti que mentionem facit de domin-

abus non vocatis videtur innuere, quod mulieres licet virtuose, ad scientias
non vocantur, quia crudelitas idest demon, facilius illas induceret, ad sub-
vertendum scripturas et ab eis si licterae forent contingeret sepe, quod de
calfurnia contigebat, unde ab omnibus civilibus officiis sunt remote, ac pub-
licis nec magistratum gerere nec postulare nec pro alio intervenire nec pro-
curatores existere possunt." (Documenti d'amore, prohemium, 33).
20 .in comitatu Provincie ac comitatu Venesis, pro arduissimis negotiis

necessario vacans." (Documenti d'amore, prohemium, 34).


21 Reggimento e costumi di donna, a cura di G. E. Sansoni.
Einleitung XXI

zu volkssprachlichen Gedichten ein italienischer Kommentar


geschrieben werden muß und ein lateinischer Kommentar un-
passend wäre22 • Dante wollte, ganz im Gegensatz zu Fran-
cesco, in einem Akt der Freigebigkeit die Philosophie so vie-
len wie möglich vermitteln, auch den Frauen23 • Dantes Wahl
der Volkssprache läßt sich aber nicht auf die Absicht beschrän-
ken, auch die Frauen als Adressaten zu gewinnen, denn er hielt
ausdrücklich fest, daß die Gelehrten außerhalb Italiens selbst
einen lateinischen Kommentar nur sehr unvollkommen verste-
hen würden, da sie den Bezug zu den volkssprachlichen Kan-
zonen nicht herstellen könnten24 • Er wollte folglich ein der
lateinischen Sprache unkundiges Publikum in seinem eigenen
Sprachbereich ansprechen25 , ein Adressatenkreis also, der sich
grundsätzlich von den über eine universitäre Ausbildung ver-
fügenden männlichen Bildungsbürgern in den Juristenkreisen
des Notars Francesco da Barberino unterschied.
Sowohl die eindeutigen formalen und inhaltlichen Ähnlich-
keiten als auch die gegenseitigen Abgrenzungen der Documen-
ti und des Convivio legen die Vermutung eines wie auch immer
gearteten Kontaktes der beiden Autoren oder einer Kenntnis
der Werke nahe26 • Die Biographie des Francesco da Barberino

22 Conv., I, v-vii.
23 Conv., I, ix, 5. Vgl. auch Kommentar zur Stelle.
24 Conv., I, ix, 2.
25 Conv., I, ix, 8.

26 Die Dante-Forschung hat bisher ihre Aufmerksamkeit für Francesco da

Barberino hauptsächlich auf die für die Frührezeption und Datierung der
Commedia aufschlußreiche Passage Documenti, II, 375f. beschränkt. Vgl.
A. Quaglio, "Sulla cronologia eil testo della D.C", 241-253. V. Mengaldo
interessiert sich in seinem Kommentar zu De vulgari eloquentia (Opere mi-
nori, II) zwar stark für Francesco, hat aber die Beziehungen zum Convivio
nicht thematisiert. G. Melodia ("Dante e Francesco da Barberino") zeigte
bereits im letzten Jahrhundert verschiedene Parallelen zwischen dem Reggi-
mento und Dantes Inferno auf, die ihn zu der These brachten, Francesco
hätte Dantes Commedia imitiert. A. Thomas (Francesco da Barberino et Ja
litterature proven~ale, 59) meinte in der Form der Eigenkommentierung der
Documenti eine Imitation der Vita Nuova zu erkennen. Die oben angefügten
XXII Francis Cheneval

sowie die Chronologie seiner Werke kann in dieser Hinsicht


einige Klarheit schaffen. Von 1297 bis 1303 war der in Bolo-
gna ausgebildete Francesco Notar der Bischöfe Francesco
Monaldeschi da Bagnorea und Lottieri della Tosca in Flo-
renz27. In den Jahren 1304 bis 1309, d.h. während der Entste-
hungszeit des Convivio, weilte Barberino im Veneto. Bezeugt
sind Aufenthalte in Padua, Treviso und Venedig28 . Es besteht
folglich eine gewisse Parallele des Itinerars Francescos mit
demjenigen Dantes, wobei sich die Wege der beiden nebst dem
gleichzeitigen Florenzaufenthalt in der Stadt Treviso nach der
Exilierung Dantes sogar ein zweites Mal gekreuzt haben könn-
ten. Jedenfalls scheinen die formalen und inhaltlichen Berüh-
rungspunkte des Convivio und der Documenti durch die geo-
graphischen Bedingungen eher bestätigt zu werden. Wie aus
dem bereits Zitierten und zahlreichen weiteren Hinweisen her-
vorgeht, hat Francesco den Kommentar zu den Documenti
sicher nach dem Aufenthalt im Veneto und während einer von
1309 bis 1313 dauernden Mission in der Provence, vor allem
am Hofe in Avignon verfaßt29 . Nichts spricht jedoch dagegen,
daß die volkssprachlichen Kanzonen und die Idee der Selbst-
Parallelen zum Convivio scheinen mir aber dieser These zumindest teilweise
zu widersprechen. Francesco kannte wohl den Text der Vita Nuova, bei der
Begründung der Eigenkommentierung und bei der Konzeption der Struktur
der Documenti orientierte er sich aber am Convivio. F. Mazzoni (.Per Fran-
cesco da Barberino", 193) und B. Sandkühler (Die frühen Dantekommenta-
re, 60) haben aufgrund der identischen Form des Eigenkommentars eine
Parallele zwischen den Documenti und dem Convivio vermutet. Allgemein
zu Francesco vgl. auch M. Marianelli, „Le opere volgare di Francesco da
Barberino e Je loro fortune attraverso i tempi."
27 Vgl. A. Thomas, Francesco da Barberino, 16, n. 5. M. Prandi, "Vin-

cenzo di Beauvais e Francesco da Barberino", 136f.


28 Vgl. M. Prandi, "Vincenzo di Beauvais e Francesco da Barberino",

137-140.
29 Vgl. auch Documenti d'amore, III, 93f. In II, 73 wird Heinrich VII. als

Römischer König genannt. Für die genaue Abfassungszeit der Documenti


vgl. A. Thomas, Francesco da Barberino, 21-28. Für genaue Angaben zum
Aufenthalt in der Provence vgl. M. Prandi, "Vincenzo di Beauvais e Fran-
cesco da Barberino", 139f.
Einleitung XXIII

kommentierung nicht auf einen Kontakt der beiden ehemali-


gen Florentiner im Veneto in den Jahren 1304-1308 zurück-
geht. Die großen Ähnlichkeiten zwischen den Documenti und
dem Convivio wären demnach als eine frühe Imitation und
Rezeption des letzteren zu verbuchen. Diese These gewinnt
weiter an Plausibilität, wenn bedacht wird, daß Francesco im
Jahre 1311 einen dem Brief Dantes an Heinrich VII. in Inhalt
und Ton nahekommendes Schreiben an den gleichen Adressa-
ten verfaßt hat30 • Es läßt sich meines Wissens bis heute kein
Vorbild für Dantes Selbstkommentar im Convivio angeben, in
Francesco da Barberinos Documenti d'amore liegt jedoch ein
frühestes Zeugnis einer Nachahmung vor, die, im Gegensatz
zum Original, von ihrem Autor zu Ende geschrieben wurde.
Die Documenti d'amore sind als vierzehnteiliger Kommentar
zu eigenen Kanzonen, als enzyklopädische Zusammenstellung
philosophischen Wissens31 eines philosophischen Laien für
philosophische Laien, ein unvollkommenes Abbild dessen,
was das Convivio hätte sein sollen.
Dantes Beispiel der Selbstkommentierung hat auch einige
Jahre nach Francesco da Barberino noch einmal Schule ge-
macht. Der Commedia-Kommentator Guido da Pisa imitierte
Dantes Form des Selbstkommentars in den Glossen, die er zu
seiner Declaratio, einem dem Genueser Patrizier Lucano de
Spinola gewidmeten und in Gedichtform abgefaßten Kommen-
tar zum Inferno, geschrieben hat; wobei auch Guido die Verse
in der Volkssprache und den Kommentar auf Latein verfaßt
hat32 • Zur Form des Eigenkommentars ist jedoch bei Guido

30 Ediert von A. Thomas, .Lettres latines inedites de Francesco da Barbe-

rino", 80-84. Vgl. dazu F. Mazzoni, .Per Francesco da Barberino."


31 Nebst der von M. Prandi (. Vincenzo di Beauvais e Francesco da Barbe-

rino") hervorgehobenen Benutzung von Vincent de Beauvais als Quelle wur-


de in der Forschung auch auf direkte Beziehungen zum Dragmaticon philo-
sophie des Wilhelm von Conches hingewiesen. Vgl. C. Scarpati, .Francesco
da Barberino e Guglielmo di Conches."
32 Guido da Pisa, Declaratio super Comediam Dantis, Ed. F. Mazzoni.
XXIV Franeis Cheneval

keine Reflexion oder Rechtfertigung festzustellen. Wie Guido


da Pisa schrieb auch der in neapolitanischem Exil lebende,
ehemalige Kanzler von Bologna Graziolo de' Bambaglioli ei-
nen Eigenkommentar zu seinem in den dreißiger Jahren des 14.
Jahrhunderts in volkssprachlichen Versen abgefaßten Trattato
degli virtil morali. Im Widmungsbrief an Bertrand de Baucio
bezeichnete sich Graziolo in Anlehnung an eine von Dante oft
benutzte Formulierung als „ exul immerite" 33 • Von Graziolo ist
außerdem mit dem 1324 entstandenen Inferno-Kommentar ei-
ne der ersten Commedia-Auslegungen überliefert34 •
In jüngster Zeit wurde zudem die bereits von H. Pflaum
geäußerte These bestätigt, wonach es sich bei dem in lateini-
scher und volkssprachlicher Version vorliegenden Kommentar
zu Cecco d' Ascolis Acerba, einem volkssprachlichen Lehr-
gedicht, das Diatriben gegen Dante Alighieri enthält35 , um eine
Selbstexegese handeln könnte36 • Bereits ein oberflächlicher
Vergleich dieser Schrift und des zugehörigen Kommentars mit
dem Convivio genügt, um eine Beziehung zu Dantes Werk
herzustellen, kritisiert doch Cecco in Acerba II, 12 Dantes
33 Ed. L. Frati, Rimatori Bolognesi, 1-56. Für die Klage über sein Asylan-

tensehicksal vgl. ibidem, 3. Für die Formulierung bei Dante vgl. Opere
minori, II, 528, 532, 550, 562.
34 Ed. A. Fiammazzo, II eommento danteseo di Graziolo dei Bambagliuoli.

Zu Graziolo vgl. F. Cheneval, Die Rezeption der Monarehia Dantes, 77-84.


35 Vgl. Aeerba, II, l; 35f.: gegen Dantes Begriff der fortuna: „In eiö

peeeasti, fiorentin poeta, ponendo ehe 1i ben della fortuna I necessitati sien
eo* llor meta. Non e fortuna ehe ragion non vinea. Or pensa, Dante, se
pruova nessuna / se puo piu fare ehe questa si vinea. Fortuna non e altro ehe
disposto / eel ehe dispone eosa animata, qua! disponendo, se truova l'oposto,
non vien neeessitato '! ben filiee. Essendo in liberta l'alma creata, fortuna in
lei non puo, se contradice. Substanza sanza corpo non riceve I da questi celi,
pero lo 'ntelletto / mai a fortuna subiaeer non deve. S'io fui disposto e fui
filiee nato, e conseguir dovea i1 grand'effetto, i'posso non voler: star da!
lato, ehe 'n suo balia ha l'alma el suo volere, l'arbitrio aquista lo suo merto;
non puo necissita in lui cadere."
36 Vgl. H. Pflaum, .L'Acerba di Cecco d'Ascoli." Die These Pflaums

bestätigt C. Ciociola, .L'autoesegesi di Cecco d' Ascoli." Für neueste Lite-


ratur zur Acerba vgl. ibidem, 32, n. 3.
Einleitung XXV

Konzeption der nobilita31 • Auch Ceccos Feststellung zu Beginn


der Glossierung, daß das menschliche Wissen über die neun
Himmelssphären nicht hinausgehe, könnte in Beziehung zu
Conv., II, 8-10 gebracht werden38 •
Daß nebst Cecco d' Ascoli, der als Dantegegner der ersten
Stunde betrachtet werden kann, auch die zwei frühen Dante-
Kommentatoren Guido da Pisa und Graziolo de' Bambaglioli
die unübliche literarische Technik der Eigenkommentierung
gewählt haben, ist ein weiterer Hinweis dafür, daß auch Fran-
cesco da Barberinos Documenti als frühe Nachahmung des
Convivio gelten müssen. In den zwanziger und dreißiger Jah-
ren des 14. Jahrhunderts wird der Notar Nicole) de' Rossi in
Treviso, anjenem Ort also, an dem sich sicher Francesco und
wahrscheinlich auch Dante zwischen 1304 und 1308 aufgehal-
ten haben, lateinische Glossen zu eigenen volkssprachlichen
Kanzonen anfertigen, ohne dieses Tun jedoch näher zu erläu-
tern oder zu rechtfertigen. Einige dieser Glossen sind lediglich
technische Lesehilfen zu Gedichten, die sich in verschiedener
Richtung und in verschiedener Wortfolge lesen lassen39 • Der
Kommentar zur Kanzone Color di Perla jedoch bietet eine
knappe, auf Augustinus, Aristoteles, Ptolemäus, Bernhardus
von Clairvaux und eine allegorische Ovid-Auslegung zurück-
greifende Belehrung zum Thema Liebe für ein philosophisch
unbedarftes Publikum40 •

37 In Acerba II, 12 behauptet Cecco, mit Dante Korrespondenz geführt zu

haben.
38 .Qui dicie ehe oltre aI primo cielo, zoe el nono, Ja nostra Iuce, cioe il

nostro intelletto, non po intendere per via di natura.• (Zitiert nach C. Ciocio-
la, „L'autoesegesi di Cecco d' Ascoli", 34).
39 Vgl. F. Brugnolo, II canzoniere di Nico!O de' Rossi, I, 66, 122.
40 Vgl. F. Brugnolo, II canzoniere di Nico!O de' Rossi, I, 128-135. Ohne

Zweifel stellt die Kanzone Color di Perla eine Imitation von Guido Caval-
cantis Donna me prega dar, was die Forschung bisher dazu bewogen hat, im
Kommentar eine Annäherung an Dino de! Garbos Kommentar zu sehen.
Vgl. F. Brugnolo, .I toscani nel Veneto e Je cerchie toscaneggianti", 419f.
Ohne diese Auslegung auszuschließen legt doch das Faktum des Eigenkorn-
XXVI Francis Cheneval

Nach der unmittelbaren Rezeption der Form des Selbstkom-


mentars durch frühe Danteverehrer scheint es meines Wissens
für eine gewisse Zeit zu keinen Nachahmungsversuchen dieser
literarischen Form mehr gekommen zu sein. In der Renais-
sance sorgte Lorenzo de' Medici mit dem Kommentar zu sei-
nen Sonetten für eine Umsetzung der von Dante begründeten
Technik der Auslegung eigener Poesie41 • Giordano Bruno
schuf mit seinen Eroici Furori ein Werk, das durch die Verbin-
dung von Gedichten und Eigenkommentar in Form von Dialo-
gen zumindest in bezug auf die Selbstauslegung ebenfalls zu
der von Dante maßgeblich geprägten Gattung der Autoexegese
zu zählen ist. Im Gegensatz zum Alighieri, der sich im ersten
Buch des Convivio noch zu einer ausführlichen Rechtfertigung
dieses Vorgehens gedrängt sieht, erklärt der Nolaner selbstbe-
wußt, daß keiner besser als er selber seine eigene Dichtung
interpretieren könne, weil die allegorische und metaphorische
Interpretation den Text zu einem aufunzählige Deutungen hin
offenen Werk mache, von dem nur der Autor selbst wisse, was
er damit intendiert habe. So wie Salomo der beste Interpret
seiner Weisheiten wäre, so hält sich auch Bruno für den besten
Erklärer seiner Texte. Bruno greift nach eigener Aussage zur
Autoexegese, um der völligen Beliebigkeit der allegorischen
Auslegungen seines Textes zu begegnen42 • Im 17. Jahrhundert
mentars auch eine Beziehung dieses Schriftstücks zu Dantes Convivio nahe.
B. Sandkühler (Die frühen Dantekommentare, 70-73) weist auf eine Paralle-
le zur Vita Nuova hin.
"Vgl. Lorenzo de' Medici, Comento de' miei sonetti, ed. T. Zanato. Vgl.
außerdem F. Charpentier, .L'auto-commentaire de Jean de La Ceppede."
42 .Aber in dieser Dichtung hier findet sich kein Bild, das dich so lebhaft

dazu triebe, verborgenen und versteckten Sinn zu suchen ... Deshalb könnte
jeder leicht davon überzeugt sein, daß meiner grundsätzlichen und ersten
Absicht von einer gewöhnlichen Liebe die Richtung gewiesen und die ent-
sprechenden Begriffe diktiert worden seien. Diese Liebe habe aus Verach-
tung Flügel ergriffen und sei heroisch geworden. So ist es ja möglich, jede
beliebige Geschichte, jeden Roman, Traum und Prophetenspruch zu ver-
wandeln und als Metapher und Allegorie umzudeuten, sodaß es alles bedeu-
tet, was dem gefällt, der nur recht geschickt die Interpretation an den Haaren
Einleitung XXVII

wird Tommaso Campanella Teile seiner philosophischen Poe-


sie durch einen Eigenkommentar interpretieren43 •

3. Der Kommentar als Bindeglied zwischen Dichtung


und Philosophie

So originell Dantes Kommentierung seiner eigenen Kanzonen


auch erscheinen mag, so traditionell ist doch sein Unternehmen
der Enthüllung des philosophischen Gehalts der Poesie durch
deren allegorische Auslegung. Ein kurzer Überblick zu den
entsprechenden literarischen Zeugen dokumentiert, daß sich
Dantes Kommentar in dieser Hinsicht in eine für die mittelal-
terliche Philosophiegeschichte eminent wichtige Tradition ein-
fügt. Das spannungsvolle Verhältnis zwischen Dichtung und
Philosophie erfuhr im Mittelalter im Anschluß an antike Vor-
bilder44, vor allem in Kommentaren zu poetischen Texten, eine

herbeizuziehen versteht ... Aber mag jeder denken, wie es ihm scheint und
gefällt, da schließlich doch jeder, ob er will oder nicht, diese Dichtung ge-
rechterweise so verstehen und zuordnen muß, wie ich sie verstehe und zu-
ordne, nicht ich, wie er sie versteht und zuordnet: denn wie die Leidenschaf-
ten jenes weisen Juden ihre eigenen Weisen, Ordnungen und Titel haben, die
niemand besser verstehen konnte und erklären könnte als er, wenn er zuge-
gen wäre, so haben auch diese Gesänge ihren eigenen Titel, Ordnung und
Weise, die niemand besser erklären und verstehen kann als ich selbst."
(Giordano Bruno, Von den heroischen Leidenschaften, Vorwort; 9).
43 Vgl. M. P. Ellero, "Appunti sull Esposizione alla Scelta d'alcune poesie

filosofiche di Tommaso Campanella."


44 Grundlegend für das Problembewußtsein des Mittelalters und für die

weitergehende Erörterung des Themas ist die Diskussion des Macrobius in


seinem Kommentar zum Somnium scipionis. Macrobius gestand den dichte-
rischen fabulae eine Funktion der moralischen Ermahnung zu und eröffnete
damit dem lateinischen Mittelalter eine moralphilosophische Rezeption dich-
terischer Texte: "ad quandam virtutum speciem intellectum legentis hortan-
tur." (1.2, 9-10). Darüber hinaus hat Macrobius die philosophische Interpre-
tation der Poesie sogar noch elitär überhöht, indem er festhielt, daß die
höheren Wahrheiten der Natur in der narratio fabulosa der orphischen und
phythagoreischen Dichtung sogar besser aufgehoben sind, als in der offenen,
XXVIII Francis Cheneval

vielgestaltige Thematisierung45 , wobei das von Dante nach-


vollzogene, allegorische Deuten des dichterischen Textes, die
Enthüllung der poetisch verkleideten Wahrheit, das entschei-
dende Moment dieser philosophischen Valorisierung der Poe-
sie darstellte. Mit dem interpretatorischen Kunstgriff der alle-
gorischen Enthüllung des integumentum46 konnten sogar die
antiken Mythologien für die moralphilosophische Belehrung

prosaischen Darstellung, weil sie so nur einem kleineren Kreis hervorragen-


der Männer zugänglich sind und der vulgus auf die äußerliche Verehrung der
sichtbaren Zeichen des Mysteriums beschränkt bleibt: .quia sciunt inimicarn
esse naturae apertarn nudam que expositionem sui, quae sicut vulgaribus
hominum sensibus intellectum sui vario rerum tegmine operimentoque sub-
traxit, ita a prudentibus arcana sua voluit per fabulosa tractari. sie ipsa my-
steria figurarum cuniculis operiuntur ne vel haec adeptis nudam rerum tal-
ium natura se praebeat, sed summatibus tantum viris sapientia interprete veri
arcani consciis, contenti sint reliqui ad venerationem figuris defendentibus a
vilitate secretum." (1.2, 17-19). Auf die Stelle bei Macrobius machte mich
T. Ricklin freundlicherweise aufmerksam.
„ Das diesbezügliche Problembewußtsein kommt z.B. im anonymen ac-
cessus zu Wilhelm von Conches Glossen zu Juvenals Satirae zum Ausdruck.
Der Autor fragt sich, welchem Teil der Philosophie der Text zugeordnet
werden müsse und verweist auf eine Querele zwischen einem Magister Ber-
nardus und Wilhelm von Conches, die er durch eine Zuordnung des Textes
zur Ethik zugunsten Wilhelms entscheidet: .Sunt qui querendum existiment
et in hoc et in aliis auctoribus cui parti philosophie subponantur. Magister
vero Bernardus dicebat hoc non esse in auctoribus querendum cum ipsi nec
partes philosophie nec de philosophie tractant. Magister Wilelmus de Con-
chis dicit auctores omnes, quamvis nec partes sint philosophie nec de ipsa
agant, philosophie suponi propter quam tractant, et omnes illi parti philoso-
phie suponi, propter quam tractant. Utraque ergo lectio vera est; auctores
suponuntur philosophie id est propter ethicam, que pars est philosophie,
tractant, ut scilicet moralem comparent instructionem." (Wilhelm von Con-
ches, Glosae in Iuvenalem, ed. B. Wilson, 89f.). Allgemein zum Problem
der Beziehung zwischen Poesie und Philosophie vgl. E. Garin, .Poesia e
filosofia nel medioevo latino", in: Ders., Medioevo e Rinascimento, 48-67;
W. Wetherbee, Platonism and Poetry.
46 Eine Definition des Begriffs findet sich z.B. in Bernardus Silvestris'

Kommentar zu Virgils Aeneis: .Integumentum est genus demonstrationis


sub fabulosa narratione veritatis involvens intellectum, unde etiam dicitur
involucrum." (Ed. J. Jones, 3). Grundlegend zu diesem Themenkreis sind:
Einleitung XXIX

des christlichen Publikums fruchtbar gemacht werden. Selbst


der platonische Timäus, der eigentlich der christlichen Schö-
pfungslehre widerspricht, wurde im 12. Jahrhundert von Wil-
helm von Conches durch eine allegorische Auslegung rekon-
textualisiert47.
Trotz der scholastischen Engführung des Theologie- und
Philosophiebegriffs im Hochmittelalter, zum Beispiel bei Tho-
mas von Aquino, der in der poetica keine Wahrheit mehr zu
erkennen vermochte, die Poetik als von der Theologie am
weitesten entfernte Wissenschaft bezeichnete48 und von Aristo-
teles die für den Status der Poesie folgenschwere, wissen-

E. Jeauneau, .L'usage de Ja notion d'integumentum"; B. Stock, Myth and


Science, 33-58; W. Wetherbee, Platonism and Poetry, bes. 36-48; P. Dron-
ke, Fabula; H.J. Westra, • The notion of integumentum", in: Ders„ The
Commentary on Martianus Capella's De nuptiis Philologiae et Mercurii at-
tributed to Bernardus Silvester, 23-33; Ders„ .Questions of Genre", in:
Ders„ The Berlin Commentary, xxxi-xxxiv. Allgemein vgl. auch J. Pepin,
La tradition de l'allegorie de Philon d'Alexandrie a Dante; J. Whitman,
Allegory. The Dynamics of an Ancient and Medieval Technique.
47 Vgl. dazu E. Jeauneau, .L'usage de Ja notion d'integumentum a travers

!es Gloses de Guillaume de Conches."


48 .Sed poetica, quae minimum continet veritatis, maxime differt ab ista

scientia [Theologie]. quae est verissima." (In 1 Sent„ prologus, q. !, a. 5).


Die Geringschätzung der Poesie ist für die Theologie nicht unproblematisch,
greift doch letztere oft auf Metaphern und Gleichnisse zurück. Thomas ver-
sucht deshalb im Anschluß an Dionysius Areopagita und Scotus Eriugena eine
funktionale Abgrenzung der Theologie von der Poesie. Die Poesie dient nur
der Unterhaltung, wogegen die Gleichnisse der Theologie die einfachen Men-
schen zu den geistigen Dingen führen: .spiritualia sub similitudinibus corpo-
ralium porponantur; ut saltem vel sie rudes eam capiant, qui ad intelligibilia
secundum se capienda non sunt idonei. Ad primum ergo dicendum quod poeta
utitur metaphoris propter repraesentationem: repraesentatio enim naturaliter
homini delectabilis est. Sed sacra doctrina utitur metaphoris propter necessi-
tatem et utilitatem." (Summa theol„ 1, 1, 9, ad 1). Wie die weiteren Ausfüh-
rungen zeigen, hat eine reichhaltige Tradition mittelalterlicher Kommentie-
rung der Dichtung durch integumentale Deutung dieselbe Funktion gegeben,
die Thomas, bei dem das Wort 'integumentum' nirgends vorkommt, der
Theologie vorbehält.
XXX Francis Cheneval

schaftstheoretische Lehre übernahm, wonach nur die von der


Poesie klar abgegrenzte ratio enuntiativa etwas Wahres oder
Falsches über die Dinge selbst aussage49 , hat die Dichtung
durch den allegorischen Kommentar ihren philosophischen
Status im Mittelalter stets beibehalten. Zu zahlreich und zu
gewichtig waren die Autoritäten, die ihr Gedankengut auch in
poetische Formen gekleidet hatten. Am philosophischen Ge-
halt der Philosophiae consolatio des Boethius, die auch Dante
als Autorität anführt und die eines der meistgelesenen philoso-
phischen Bücher des Mittelalters war, zweifelte kaum jemand,
obschon darin eine Vielzahl von Gedichten mythologischen
Gehalts vorkommen. Mittels der Theorie des integumentum
oder der allegorischen Verhüllung der Wahrheiten, die durch
den Kommentar aufgedeckt werden, konnten diese und zahl-
reiche andere poetische Texte in die Philosophie einbezogen
werden. Der Bernardus Silvestris ( + 1159) zugeschriebene
Kommentar zu Martianus Capellas De nuptiis Philologiae et
Mercurii, ein Text der durch die Abwechslung von Gedicht
und Prosa (Prosimetrum) das literarische Genus der Philoso-
phiae consolatio des Boethius und des Convivio vorweg-

49 "sola enunciativa est in qua invenitur verum vel falsum, quia ipsa sola

absolute significat mentis conceptum, in quo est verum vel falsum. Set, quia
intellectus seu ratio non solum concipit in se ipso veritatem rei, set etiam ad
eius officium pertinet secundum suum conceptum alia dirigere et ordinare,
ideo necesse fuit ut, sicut per enunciativam orationem significatur ipse ment-
is conceptus, ita etiam essent alique orationes significantes ordinem rationis
secundum quem alia dirigit. Dirigitur autem ex ratione unius hominis alius
homo ad tria: primo quidem ad attendendum mente, et ad hoc pertinet vocat-
iva oratio; secundo ad respondendum voce, et ad hoc pertinet oratio interro-
gativa; tercio ad exequendum in opere, et ad hoc pertinet quantum ad inferio-
res oratio inperativa, quantum autem ad superiores oratio deprecativa ( ... )
Quia igitur iste quatuor orationis species non significant ipsum conceptum
intellectus in quo est verum vel falsum, set quendam ordinem ad hoc conse-
quent-em, inde est quod in nulla earum invenitur verum vel falsum set solum
in enuntiativa ... Et dicit quod alie quatuor orationis species sunt relinquen-
de, ( ... ) quia earum consideratio convenientior est rhetorice vel poetice sci-
encie." (Thomas von Aquino, Expositio libri Peryerm., l, 7; 36f.).
Einleitung XXXI

nahm50 , hat keine Mühe, durch eine klare Konzeption des inte-
gumentum in dem in zahlreichen dichterischen Verarbeitungen
vorliegenden Mythos des Orpheus einen philosophischen Ge-
halt zu entdecken51 • Auch von Vergil kann Bernardus Sil vestris
deshalb in seinem Aeneis-Kommentar in fast selbstverständli-
cher Weise sagen, daß er sich in jenem Werk als Dichter und
als Philosoph erweist5 2 • Besonders bei der Kommentierung der
im sechsten Buch der Aeneis dargestellten Unterweltsfahrt des
Aeneas legt Bernardus Wert auf die tiefgründigen philosophi-
schen Wahrheiten, die Vergil injenem Teil seines Werkes zur
Sprache bringt53 •
Die Figur der Allegorie oder des integumentum diente im
Mittelalter nicht nur der Rezeption und Rekontextualisierung
antiker Texte der Poesie, sondern sie wurde auch aktiv ange-
wandt. Alain von Lille ( + 1230) hat für seinenAnticlaudianus
bewußt die poetische Form gewählt, mit der Begründung, daß
die Subtilitäten der Allegorie eine gedrängtere Darstellung er-
lauben und den Intellekt schärfen54 • Auch dies bezeugt, daß

50 Vgl. D. De Robertis, Einleitung zur Vita Nuova, Mailand: Ricciardi

1980, 13f.
si .Integumentum vero est oratio sub fabulosa narratione verum claudens
intellectum, ut de Orpheo . „ integumentum vero philosophice competit."
(Ed. H. J. Westra, 45). Vgl. auch Wilhelm von Conches einführende Worte
zur Deutung des Orpheusmythos in seinem Kommentar zur Philosophiae
consolatio: .Sed nostri garrulitati intenti et nichil philosophie cognoscentes,
et ideo significationes ignorantes integumentorum, erubescentes dicere 'ne-
scio', querentes solacium sue imperitie, aiunt hoc exponere trutannicum esse.
Tarnen, ne eis consentiendo similes simus, quod nobis videbitur inde expon-
emus integumentum." (Zitiert nach E. Jeauneau, .Integumentum", 137f.).
sz .et veritatem philosophie docuit et ficmentum poeticum non pretermisit
(.„) in hoc opere et poeta et philosophus perhibetur." (Ed. J. Jones, 1).
s3 .profundius philosophicam veritatem in hoc volumine declarat Vergil-
ius." (Ed. J. Jones, 28).
s• .In hoc etenim opere litteralis sensus suavitas puerilem demulcebit audi-
tum, moralis instructio perficientem imbuet sensum, acutior allegorie subti-
litas proficientem acuet intellectum." (Ed. R. Bossuat, 56). Auch für seine
Schrift De planctu naturae wählte Alain von Lille die integumentale Dich-
tung in prosimetrischer Form. Im 12. Jahrhundert steht er damit nicht alleine
XXXII Francis Cheneval

Dante mit seinem Projekt einer philosophischen Poesie durch-


aus in einer mittelalterlichen Tradition steht.
Das Ziel der Kommentare zu den dichterischen Werken der
hier behandelten Tradition bestand darin, die in der Poesie
verhüllt dargestellten, philosophischen Wahrheiten ans Licht
zu bringen. Dieses Selbstverständnis der Textauslegung wird
zum Beispiel im anonymen Berliner Kommentar zu Martianus
Capellas De nuptiis Philologiae et Mercurii klar ausgespro-
chen, wo der Kommentator im Prolog festhält, die Aufgabe
des Philosophen bestünde darin, sich durch die allegorische
Auslegung der Dichtung aus dem Tal der Fiktionen hinauf
zum Gipfel der Wahrheit zu schwingen55 • Bernardus Silvestris
versucht deshalb in seinen Glossen zu Vergils Aeneis, in einer
für das ganze Genre exemplarischen Weise bewußt den philo-
sophischen Gehalt freizulegen, der letztlich darin bestehe, daß
Vergil die Lesenden zur Selbsterkenntnis führe56 •
Die Technik der allegorischen Auslegung wurde in zahlrei-
chen Kommentaren zu poetischen Texten angewandt, wobei
eine auffallend große Zahl dichterischer Schriften durch die
Figur der Allegorie der praktischen Philosophie und moralphi-
losophischen Belehrung zugeordnet wurde57 • So überrascht es
nicht, daß Arnulfvon Orleans (12. Jahrhundert) aufgrund sei-

da, denn mit Bernardus Silvestris' Cosmographia (Ed. P. Dronke, Leiden:


Brill, 1978) und dem Architrenius genannten Werk des Johannes de Hauvilla
(Ed. P. G. Schmidt, München: Fink, 1974) liegen zwei weitere wichtige
Schriften in poetischer Form vor. Vgl. Ch. Meier, Zum Problem der allego-
rischen Interpretation mittelalterlicher Dichtung.
" .sicut animal illud pascendo ad ima vallium descendit a preruptis mont-
ium, et ab imis vallium iterum ascendit ad prerupta montium, ita iste philoso-
phus in imis vallium est dum fabule insistit, in summis montium dum allego-
ricum sensum planius exponit." (Ed. H. Westra 1).
>• .Nunc vero hec eadem circa philosophicam veritatem videamus. Scribit
[Vergil] ergo in quantum est philosophus humane vite naturam. Modus agendi
talis est: in integumento describit quid agat vel quid paciatur humanus spirit-
us in humano corpore temporaliter positus ... Utilitatem vero capit homo ex
hoc opere, scilicet sui cognitionem." (Ed. J. Jones, 3).
"Vgl. J. B. Allen, The Ethical Poetic, 1-66.
Einleitung XXXIII

ner als "allegoriae" bezeichneten Glossen zu Ovid die Meta-


morphosen der Ethik zuteilt, da es die Absicht des Autors sei,
durch die dichterische Erzählung von Veränderungen weltli-
cher Dinge die Menschen von der Umklammerung der zeitli-
chen Gegenstände abzubringen und ihre Aufmerksamkeit auf
die unveränderlichen, himmlischen Dinge zu lenken58 •
Obschon in den universitären Texten im 13. Jahrhundert
eine aristotelisch-scholastische Vertlachung des Philosophie-
begriffs und der literarischen Formen, eine orthodoxe Feind-
seligkeit gegenüber paganer Mythologie und eine damit ver-
bundene Ablehnung oder Ignorierung des oben dargestellten
reichhaltigen Schrifttums allegorisierender Poesie festgestellt
werden muß, Thomas von Aquino ist dafür nur ein Beispiel59 ,
so blieb diese Form im 13. Jahrhundert in anderen Traditionen
doch erhalten. Jean de Meun zum Beispiel hat in seiner Fort-
setzung des Roman de la Rose den Gedanken der philosophi-
schen Auslegung der Poesie aufgegriffen und seine Leser-
schaft aufgefordert, durch eine entsprechende Interpretation
der Dichtung die philosophischen Geheimnisse zu entlocken60 •
Nebst der oben zitierten und durch Thomas von Aquino ex-
emplifizierten aristotelischen Schulphilosophie, die der Poesie
den wissenschaftlichen Status abspricht, gab es also auch im
13. Jahrhundert eine auf integumentaler Auslegung poetischer

' 8 "Vel intencio sua est nos ab amore temporalium immoderato revocare et
adhortari ad unicum cultum nostri creatoris, ostendendo stablilitatem celest-
ium et varietatem temporalium. Ethice supponitur quia docet nos ista temp-
oralia, que transitoria et mutabilia, contempnere, quod pertinet ad morali-
tatem." (Zitiert nach F. Ghilsalberti, Amolfo d'Orleans, 181).
' 9 Vgl. z.B. auch Johannes von Jandun, Quaestiones in Metaph., IV, xiii,

fol. 54raB: "ista ratio peccat primo in proprietate, quia poeticum est et pec-
cat secundum figuram aequivocationis ... Dicendum quod est poeticum, quia
improprie et metaphorice est poeticum."
60 "La verite dedenz reposte seroit bele, s'ele ert esposte: Bien entendras

se tu repetes !es integumenz aus poetes. La verras une grant partie des secrez
de philosophie." (Jean de Meun, Roman de la Rose, vss. 7167-7172, Ed.
A. Strubel, 438).
XXXIV Francis Cheneval

Texte beruhende philosophische Tradition. Dies bestätigen


nicht zuletzt die lntegumenta Ovidii des Johannes von Garlan-
dia ( + 1272), in denen der Autor, an Arnulf von Orleans an-
knüpfend, die Fabeln und Fiktionen des Ovid als in Allegorien
verkleidete moralische Wahrheiten bezeichnet61 , die er in sei-
nen in Pentametern verfaßten Glossen offenlegen will 62 • Auch
Dantes Freund Giovanni del Virgilio teilte die Metamorphosen
Ovids ohne Mühe und im Einklang mit der Tradition dem
philosophischen Genus der Ethik zu63 • Der zum Convivio bei-
nahe zeitgenössische Kommentar des Nikolaus Treveth zu den
Tragödien Senecas macht im Pröemium eine scholastischen
Wissenschaftseinteilungen eher fremde Unterscheidung zwi-
schen drei Gattungen der Theologie. Die erste bedient sich der
Sagen und Fiktionen, Treveth nennt sie genus fabulosum; die
zweite verdeckt natürliche Wahrheiten unter dem Mantel des
integumentum, der Dominikaner bezeichnet diese Gattung als
genus naturale, und eine dritte Art der Theologie überliefert
den Kult der Götter und hütet die Tempelheiligtümer, sie wird
genus civile genannt. Die erste Gattung weist Treveth den
Poeten zu, die zweite den Philosophen und die dritte den Prie-
stern64. Obschon er in der Folge seiner Einleitung die Tragödi-

61 .Clauditur historico sermo velamine verus, ad populi mores allegoria

tibi. Fabula voce tenus tibi palliat integumentum, clausa doctrine res tibi
vera latet." Johannes de Garlandia, Integumenta, ed. F. Ghisalbeni, 40.
62 • Nodos secreti denodat, clausa revelat/ Rarificat nebulas, integumenta

canit." (Johannes de Garlandia, Integumenta, 35).


63 .Sed cui pani phylosophie supponatur dico quod supponatur ethyce i.

morali phylosophie, nam omnes poete tendunt in mores." (Giovanni de! Vir-
gilio, Allegorie librorum Ovidii Metamorphoseos, 19).
„. Tria genera theologie distingui a Varrone narrat Augustinus, libro VI
de civitate Dei, quorum nomina sie latine exprimuntur ut primum dicatur
fabulosum, secundum naturale, tercium civile. Prima genere utuntur poete,
secundo philosophi, tercio sacerdotes et populi. Primum accomodatum est
theatro, secundum mundo, tercium urbi et templo. In prima genere multa
contra dignitatem et naturam monalium ficta sunt; in secundo genere ea que
nature sunt sub integumentis traduntur; tercium genus cultus deorum et sacra
Einleitung XXXV

en klar unter dem Genus der Poesie abhandelt, kommt er ganz


am Schluß des Prologs noch einmal auf den Gehalt dieser
poetischen Schriften zu sprechen und schreibt sie wegen ihrer
moralischen Funktion der in anderen zeitgenössischen Wis-
senschaftseinteilungen der praktischen Philosophie des Ari-
stoteles vorenthaltenen Gattung der Ethik zu65 •
Im Liebte der oben dargelegten Tradition allegorisch-philo-
sophischer Transformation poetischer Texte ist Treveths Zu-
teilung der Seneca-Tragödien zur Ethik keine Besonderheit,
sie hebt sich jedoch sehr stark von der thomistisch-scholasti-
schen Geringschätzung der Poesie ab, die hinter den Meta-
phern und Fiktionen keine Wahrheiten zu erkennen vermag.
Noch deutlicher tritt die Valorisierung der Poesie bei Treveth
in dessen Kommentar zur Philosophiae consolatio des Boethi-
us hervor, wo er, im Gegensatz zu seinem Ordensgenossen
Thomas von Aquino, weniger den Wahrheitsgehalt der Lehre
an sich, als die verschiedenen Vermittlungen von Wahrheit
betont und das integumentum fabularum mit den philosophi-
schen Beweisen und den Autoritäten auf eine Stufe stellt. So
kann der Dominikaner den im Gedicht Felix qui potuit (III, 12)
dargestellten Orpheus-Mythos moralisierend deuten und die
prosimetrische Form der Schrift des Boethius seinen Mitbrü-
dern verständlich machen66 •

templorum tradit." (Nicolaus Trevet, Expositio super tragedias Senece, In


Senecae Tragoedias Praefatio, 5).
„ "causa finalis est delectatio populi audientis; vel in quantum hie narran-
tur quedam laude digna, quedam vituperio, polest aliquo modo liber hie
supponi ethice: et tune finis eius est correctio morum per exempla hie posi-
ta." (Nicolaus Trevet, Expositio super tragedias Senece, In Senecae Tra-
goedias Praefatio, 8).
66 "Est autem advertendum hie, quod secundum Phylosophum secundo

Metaphysice non omnes recipiunt veritatem per eundem modum, turn prop-
ter diversam naturam, turn propter minorem instructionem in loycam. Unde
provenit, quod quidam recipiunt melius veritatem per modum demonstratio-
nis, quidam si proletur per auctoritatem, quidam per integumentum fabul-
arum. Unde etiam, ut Boetius talibus satisfaciat, nunc demonstrationibus,
XXXVI Francis Cheneval

Wenn Dante am Anfang des Convivio erklärt, er wolle einer


äußerlich ästhetischen Auslegung seiner Kanzonen durch eine
allegorische Deutung entgegenwirken und darlegen, daß sich
in seinen Gedichten wahre Güte verbirgt67 , wenn er durch
seinen Kommentar versucht, die unter der Figur der Allegorie
versteckte, eigentliche Aussage seiner Kanzonen darzulegen
und zur philosophischen Belehrung anderer fruchtbar zu ma-
chen68, wenn er darüber hinaus in der allegorischen Auslegung
der ersten Kanzone die besungene donna gentile die „Tochter
Gottes, die Königin über alles und die erhabenste und schönste
Philosophie" 69 nennt und in der allegorischen Auslegung der
zweiten Kanzone zu einem Lob dieser Philosophie anhebt7°, so
läßt sich dieses Unternehmen in die Tradition der oben skiz-
zierten philosophischen Kommentierung und Valorisierung
der Poesie einordnen. Das Convivio stellt unter diesem Aspekt
nur noch ein Sediment einer einst reichhaltigen mittelalterli-
chen Tradition der philosophischen Kommentierung von Poe-
sie dar, es tritt aber als Selbstkommentar, der auch scholasti-
sches Gedankengut in die Auslegung der Poesie einbezieht,
aus seiner traditionellen Einbindung heraus und kann in diesem
Sinne als Werk der Wiederbelebung und originellen Trans-
formation einer Tradition gelesen werden.
Dante nahm später, nachdem er das Convivio mehrere Jahre
unvollendet liegengelassen hatte, mit seinem Schreiben an
Cangrande die Tradition der philosophischen Kommentierung
von Poesie noch einmal auf, mit der Absicht, die Rezeption
seiner Commedia zu „steuem" 71 • Danach hielt er sich in der

nunc auctoritatibus utitus et aliquando fabulas interserit, sicut hie." (Zitiert


nach einem Arbeitstext von R. Imbach; Basel, UB, F V 35, fol. 40rb).
67 Conv„ I, i, 14.18.

68 Conv„ I, iii, 17.

69 Conv„ II, xii, 9.

7°Conv „ III, xi f.
71 Dante Alighieri, Das Schreiben an Cangrande della Scala, Ed. T. Rick-

lin, LIX.
Einleitung XXXVII

Monarchia12 und der Questio73 an herkömmliche genres des


philosophischen Schulbetriebs oder widmete sich ganz der
Commedia, die aber im Lichte des Schreibens an Cangrande
und der im Convivio aufgenommenen Tradition der philoso-
phischen Exegese der Poesie als philosophisch-theologische
Dichtung gelesen werden muß74 • Dante hat, ähnlich wie Jean
de Meun im Roman de la Rose, auch in der Commedia selbst
zu einer philosophisch-theologischen Deutung dieses Werkes
aufgefordert75 •
Die Intention Dantes wurde von seinen Zeitgenossen unmit-
telbar verstanden und aufgenommen. Die frühen Kommentare
zur Commedia führten Dantes Unternehmen der philoso-
phisch-theologischen Kommentierung der Poesie in vielfälti-
ger Art und Weise fort und legten, wie dies Bernardus Silvestris
mit Vergil getan hatte76 , Wert darauf, Dante als Philosophen
und Poeten zu interpretierenn und die Commedia dem philoso-
72 Dante Alighieri, Monarchia, Studienausgabe Jat.-deutsch, ed. R. Im-

bach/ C. Flüeler. Zu Werk und Wirkung vgl. F. Cheneval, Die Rezeption


der Monarchia Dantes.
73 Vgl. Dante Alighieri, Abhandlung über das Wasser und die Erde, Ed.

D. Perler.
74 „finis totius et partis est removere viventes in hac vita de statu miserie et

perducere ad statum felicitatis. Genus vero phylosophice sub quo hie in toto
et parte proceditur, est morale negotium, sive ethica; quia non ad speculan-
dum, sed ad opus inventum est totum et pars. • (Ep. XIII, 39-40).
" Inf., IX, 63: „0 voi ch'avete li 'ntelletti sani, mirate Ja dottrina ehe
s' asconde / sotto '1 velame de li versi strani. •
76 „in hoc opere et poeta et philosophus perhibetur. • (Bemardus Silvestris,

Commentum super sex libros Eneidos Virgilii; 1).


77 .philosophye verum alunpnum et poetam excelsum Dantem Alagherij

florentinum civem ... Et quibus lucido documenta [Commedia] mostratur auc-


torem prefatum non unam dumtaxat sciencia vel virtute sed sacre theologie,
astrologie moralis, naturalis philosophye, retorice ac poetice cognitionis fuis-
se peritum. • (Graziolo de' Bambaglioli, Kommentar zum Inferno, Prooem-
ium). Vgl. auch Jacopo della Lana: „L'autore di questa bellissima opera fu
Dante de li Allighieri di Fiorenza, uomo di grande scienzia e di nobilissimo
ingegno, da Ja inventiva di preziosissima memoria, nutricato di filosofia e di
sapienzia, ed insegnato di onoranti poetiche. Questo seppe tutte Je liberali
arti, morali et naturale, filosofia e teologia, come si mostrerii di ciascuna
XXXVIII Franeis Cheneval

phischen Genus der Ethik zuzuordnen78 • Gleichzeitig wußte


aber zum Beispiel ein Guido von Pisa in seiner Dante-Ausle-
gung die Figur der Allegorie umzukehren und Theologie und
Philosophie in reine Poesie zurückzuverwandeln, um den Ali-
ghieri aus der Perspektive der Orthodoxie dem Vorwurf der
Häresie zu entziehen79 •

4. Das Entstehungsmilieu des Convivio, Dantes Publikum


und die Sprachen der Philosophie

Dantes Wahl der italienischen Volkssprache für seinen Kom-


mentar steht in direktem Zusammenhang mit seiner besonde-
ren biographischen Situation, mit dem Ort seines Philosophie-
rens und mit dem Zielpublikum seiner Schrift. Er schreibt
nicht für professionelle Universitätsgelehrte, denen er mit har-
scher Polemik begegnet80 , sondern für der lateinischen Spra-
che unkundige illiterati, die er für die wahren Gelehrten hält.
Er zählt sie auf: „Prinzen, Grafen, Ritter und viele andere
sponendo il testo." (Jaeopo della Lana, Commento alla Commedia, Proemio
da! Codiee Laur. PI. XC 115; Ed. L. Searabelli, I 96).
78 "La quarta e ultima eosa ehe e da notare e la finale eagione della ditta

Commedia, cioe a ehe fine e intenzione ella fue fatta, la quale si puo eonsi-
derare in tre modi. Lo primo per manifestare polita parladura. Seeondo per
narrare molte novelle le quali tomano molto a destro ad udire per esemplo
alcuna fiata. Terzo e ultimo per rimuovere le persone ehe sono al mondo da!
vivere misero e in peeeato e produrli al virtuoso e grazioso stato. E in quanto
tratta de' modi, de' eostumi e vita mondana, sie sottoposta a filosofia morale,
la quale hae per suo subietto li atti umani. Manifestate le eose ehe proponem-
mo eh'erano da notare sie da sapere ehe universalmente la detta Commedia
puo avere quatro sensi ... ". (Jacopo della Lana, Comento alla Commedia,
proemio eomune; I, 104.
79 "Itaque quieunque tu legis istam poeticam Comediam, fae quod ita regas

frenum mistici et allegorici intelleetus, quod in monte Pamaso, idest in alti-


tudine seientie, perfeete requieseas. Noli itaque damnare autorem si tibi
videtur quod in aliquibus locis erret: quia tune non theologiee, sed poetice
loquitur et fietive." (Guido da Pisa, Deelaratio; 46f.).
80 Cf. Conv., I, ix, 2.
Einleitung XXXIX

adlige Menschen, nicht nur Männer, sondern auch Frauen " 81 •


Es ist dies genau jenes aristokratische Publikum, in dessen
Umgebung sich Dante laut seinen Biographen in der Zeit nach
der Exilierung aufgehalten hat. Wie der maßgeblichen Dante-
biographie G. Petrocchis zu entnehmen ist, kann angenommen
werden, daß der Alighieri den Frühling 1303 bei Scarpetta
Ordelaffi, Herrscher von Forli verbracht hat und daß er da-
nach in Arezzo als Berater der weißen Guelfen im Umkreis des
Grafen Alexander von Romene weilte. Da kam es zum Bruch
Dantes mit seiner Partei, und er war nun definitiv isoliert. Laut
Petrocchi soll sich Dante zwischen Juni 1303 und März 1304
ein erstes Mal in Verona am Hofe des Bartolomeo della Scala
aufgehalten haben. Vor Mitte 1306 ist ein Aufenthalt am Hof
des Gherardo von Camino in Treviso wahrscheinlich, und da-
nach hat Dante sicher in der Lunigiana an den Höfen der Ma-
laspina im weiteren Umkreis des Markgrafen Moroello Mala-
spina ein zeitweiliges Auskommen gefunden82 • Dantes oben
zitierte Aufzählung des aristokratischen Publikums des Convi-
vio stimmt mit den biographischen Angaben bezüglich seiner
Aufenthalte in höfischem Milieu überein, und auch andere
Aussagen Dantes im Convivio deuten auf die hohe Geburt sei-
ner Zuhörerschaft hin. Dante äußert sich explizit abschätzig
über das Volk83 und er gebraucht die Erbfolge des Erstgebore-
nen, eine vor allem beim Nachlaß von Grundbesitz zum tragen
kommende Rechtsfigur, als anschauliches Beispiel 84 • Außer-
dem weist seine Nennung der aristokratischen Adressaten und
aller adligen Leute eine gewisse Ähnlichkeit mit Ramon Vi-
dals Liste des höfischen Troubadour-Publikums auf: „empera-
dor, princeps, rei, duc, conte, vesconte, contor, valvasor ( ... )

81 „principi, baroni, cavalieri, e molt'altra nobile gente, non solamente

maschi ma femmine." (Conv., 1, ix, 5).


82 Vgl. Petrocchi, „Biografia: Primi anni dell'esilio", in: ED, 30-37.
83 Conv., 1, xi, 6.

84 Conv., 1, xii, 7. Vgl. dazu R. Trifone, „Primogenitura", in: Novissimo

Digesto ltaliano, XIII, 868f.


XL Francis Cheneval

paucs et granz, meton totz ioms lor entendiment en trobar et en


chantar..o q'en volon entendre ... " 85 • Die Übereinstimmung
des Publikums des Convivio mit dem höfischen Publikum der
Troubadours bedeutete, daß sich Dante in einem Milieu be-
haupten mußte, in dem er eine dem Minnesang zugewandte
Leserschaft für sich zu gewinnen hatte 86 • Dabei galt es nach
Dantes eigener Aussage in erster Linie zu vermeiden, daß
seine Poesie von seinem auf die Rezeption höfischer Liebes-
dichtung eingestimmten Publikum mit den rein sinnlichen Lie-
besgedichten, die in diesem Milieu zirkulierten, auf eine Stufe
gestellt wurde87 • Im Gegensatz zu einem Universitätsmagister,
der in einem klar strukturierten Gefüge operierte, in dem die
Teilnehmer in bezug auf ihre Funktion aufeinander abge-
stimmt und entsprechende Erwartungshaltungen zum voraus
klar waren, wirkte Dante in einem offenen und nicht als Schul-
betrieb mit genauer fakultärer Ausrichtung geprägten Milieu,
das er zuerst auf seine Texte vorbereiten mußte. Mit dem
Kunstgriff der allegorischen Deutung seiner eigenen Liebesly-
rik versuchte Dante, seine Poesie philosophisch zu deuten und
sich am Hof von den poeti giocosi abzuheben.
In dieses Bild eines Ringens um das höfische Publikum,
eines Verdrängungskampfes zwischen Minnesang und Philo-
sophie im höfischen Milieu, paßt Dantes Polemik gegen das
Provenzalische. Nebst der Rechtfertigung der italienischen
Volkssprache gegen das Latein enthält das erste Buch des Con-
vivio nämlich eine ebenso wichtige und im Ton viel schärfer
gehaltene Auseinandersetzung mit der langue d'oc: "Mich
"'Razos de Trobar; 2.
86 Vgl. dazu M. L. Meneghetti, II publico dei trovatori und J. Bumke,

Höfische Kultur, 700-718. W. Bahner hielt die .aristokratisch-bürgerliche


Oberschicht in den Kommunen" für die Adressaten Dantes (Ders., Die theo-
retischen Bemühungen um die Emanzipation der italienischen Literaturspra-
che", 27). M. Simonelli scheint die politisch-soziologische Pointe zu verpas-
sen, wenn sie nur .die edlen des Herzens" als das Publikum des Conv.
bezeichnet (vgl. Dies., Dante and His Public, 37-54.
"Vgl. Conv., I, ii, 16.
Einleitung XLI

bewegte weiter die Volkssprache gegenüber vielen ihrer An-


kläger zu verteidigen, die sie verachten und andere rühmen,
vor allem jene der Provence, wobei sie jene schöner und bes-
ser nennen als diese und sich hierbei von der Wahrheit entfer-
nen"88. Zur Verteidigung gegen Ankläger, die die provenzali-
sche Dichtung vorziehen, verfaßt Dante ein ganzes Kapitel,
das feindseligste und eines der längsten des Convivio (1, xi), in
dem er, ein kleines Inferno inszenierend, all jene verschiede-
ner Todsünden beschuldigt, die "die italienische Sprache er-
niedrigen und diejenige der Provence erhöhen " 89 . Der Ort der
provenzalischen Dichtung in Italien war derselbe, an dem
Dante sein Auskommen zu finden hatte: der HofXl. Die für
Dante lebenswichtige Auseinandersetzung erklärt den äußerst
polemischen Ton seiner Kritik an den das provenzalische vor-
ziehenden Italienern in Conv., 1, xi und liefert einen wichtigen
historischen Hinweis zum Entstehungsmilieu des Convivio.
Dantes in italienischer Sprache verfaßte Poesie kollidiert mit
der an den Höfen etablierten provenzalischen Dichtung, des-
halb will er, wie er selbst sagt, einen italienischen Kommentar
verfassen, um die Schönheit und die Tugend der italienischen
Volkssprache performativ zu beweisen91 .
Diese Gedankenführung gewinnt zusätzlich an Plausibilität,
wenn berücksichtigt wird, daß sich an zwei Aufenthaltsorten
Dantes während der Zeit der Abfassung des Convivio sehr
deutliche Spuren einer besonderen Pflege der provenzalischen
Dichtung finden. Da ist zum einen der Hof der Malaspina mit

88 Conv., 1, x, 11.
89 Conv., 1, xi, 14. Die für die gesellschaftliche Situierung des Conv.
wichtigen Kapitel Conv., 1, x. xi werden in den Darstellungen der Beziehung
Dantes zu den Troubadours beinahe nicht beachtet. Besonders folgenschwer
war S. Santangelos pauschaler Ausspruch: "i primi tre trattati del Convivio,
nei quali si parla mai di poeti et poesie provenzali." (Dante e i trovatori
provenzali, 137).
90 Allgemein zu den Troubadours in Italien vgl. G. Bertoni, I trovatori

d'ltalia.
91 Vgl. Conv., 1, xi, 12.
XLII Francis Cheneval

seiner langen Tradition provenzalischer Dichtung und mit sei-


ner sprichwörtlichen Gastfreundschaft und Liberalität für die
Troubadours. Zum anderen liegen zahlreiche Indizien vor, die
auf eine besondere Auseinandersetzung mit der provenzali-
schen Poesie zu Beginn des 14. Jahrhunderts im Veneto, ins-
besondere in Treviso, schließen lassen. Überlieferungsge-
schichtliche Untersuchungen und Studien der provenzalischen
Liederbuchsammlungen Italiens belegen eine beeindruckende
Häufung der Produktion provenzalischer canzonieri im Vene-
to am Ende des 13. und am Anfang des 14. Jahrhunderts 92 • In
der Biblioteca Estense in Modena wird ein Kodex aufbe-
wahrt93, der in einem ersten 1254 geschriebenen Teil eine von
Alberico da Romano zusammengestellte Sammlung von Ge-
dichten des Uc de Saint-Circ enthält. Sowohl die Herkunft des
Schreibers Alberico da Romano als auch der langjährige Auf-
enthalstort des Autors der Gedichte, Uc de Saint-Circ, Prote-
ge der Herren von Treviso, bestägigen die These, daß der
Kodex in Treviso entstanden ist94 • Der zweite Teil dieser
Handschrift überliefert nebst einem canzoniere des Peire Car-
denal ein 223 Gedichte umfassendes Florilegium provenzali-
scher Poesie, dem die Biographie des italienischen Trouba-
dours Ferrarino von Ferrara vorangestellt ist. Die Biographie
besagt, daß Ferrarino selbst der Autor des Florilegiums ist,
was darauf hindeutet, daß es in den ersten Jahren des 14.
Jahrhunderts am Hof des Gherardo III. von Camino, capitano
generale von Treviso, wo Ferrarino tätig war, entstanden ist95 •

92 Vgl. G. Polena, "Tradizione e cultura trobadorica nelle corti e nelle

citta venete", 456-468.


93 a.R. 4.4.
94 Vgl. G. Polena, "Tradizione e cultura trobadorica nelle corti e nelle
citta venete", 518-537.
95 G. Polena, "Tradizione e cultura trobadorica nelle corti e nelle citta

venete", 459. Eine genaue und ausführliche Untersuchung des Florilegiums


bot M. L. Meneghetti, .11 florilegio trobadorico di Ferrarino da Ferrara."
Meneghetti datiert das florilegio in die ersten Jahre des 14. Jahrhunderts.
Einleitung XLIII

Eine in der Biblioteca Vaticana aufbewahrte Handschrift96


stammt von einer Hand aus dem Veneto des späten 13. und
frühen 14. Jahrhunderts, wobei Miniaturen und Eigenheiten
der Schreibweise und Wortwahl auf Verona als Entstehungs-
ort hindeuten. Noch eindeutiger läßt sich eine andere vatikani-
sche Handschrift lokalisieren97 , denn die interlinearen und
marginalen Varianten des Schreibers sind im Dialekt Trevisos
verfaßt. Auch dieser Codex stammt aus dem späten 13. oder
frühen 14. Jahrhundert. Die codices fr. 854, fr. 1794 und fr.
12473 der Nationalbibliothek in Paris stammen ebenfalls aus
dem Veneto, was anhand von zahlreichen graphologischen
Merkmalen festgestellt werden kann, wobei fr. 1794 ins frühe
14. Jahrhundert zu datieren ist. Aus dem Veneto des späten
13. Jahrhunderts stammt die Handschrift Oxford, ms. Douce
269, deren lateinische Interlinearglossen der italienischen Le-
serschaft verschiedene Worterklärungen geben.
Dieser kurze Überblick der provenzalischen Buchprodukti-
on Italiens bezeugt eine lebendige und quantitativ eindrückli-
che Beschäftigung mit dem provenzalischen Liedergut zu Be-
ginn des 14. Jahrhunderts im Veneto. Schon der italienische
Gelehrte G. Polena, der die provenzalischen Liederbuchhand-
schriften überlieferungsgeschichtlich untersucht hat, sah sich
zur Feststellung veranlaßt, daß diese intensive Pflege der
langue d'oc im Veneto mit Dantes Wirken in jener Gegend
zusammenfällt98 • Die scharfe Polemik gegen die Anhänger der
provenzalischen Volkssprache in Convivio I, xi liefert vor dem
Hintergrund dieses Befundes ein klares Indiz für die zumin-
dest teilweise Entstehung der Schrift im Veneto, an dessen

116 lat. 5232.


97 lat. 3207.
98 „Si potra d'altronde osservare ehe i manoscritti veneti a noi conservati

ed esaminati sopra risultano per la piii parte copiati tra Ja fine de! Due e i
primi de! Trecento, nell'etä de! „buon Gherardo" quando anche Dante opera
ai margini de! Veneto." (G. Folena, „Tradizione e cultura trobadorica nelle
corti e nelle citta venete", 466).
XLIV Francis Cheneval

Fürstenhöfen, zum Beispiel in Treviso, die langue d 'oc beson-


ders gepflegt wurde und ein Verdrängungskampf zwischen der
provenzalischen, französischen und toskanischen Sprache und
Literatur stattgefunden hat99 • Zeuge dieses "Sängerstreits" im
Veneto ist nicht nur Dante mit seinen zum Teil argumentati-
ven, zum Teil rein polemischen Attacken gegen das Provenza-
lische, sondern auch ein aus dem Jahre 1305 stammendes, den
Klang des langue d'oc verhöhnendes Spottgedicht eines No-
tars aus Vicenza100 • Dantes in weiten Teilen zum Convivio
parallel entstandene Schrift De vulgari eloquentia kann als
theoretischer Beitrag zu diesem für den heimatlosen Dichter
toskanischer Volkssprache lebenswichtigen Verdrängungs-
kampf interpretiert werden101 •
Dantes scharfe Polemik gegen die Verteidiger der provenza-
lischen Dichtung im Convivio deutet darauf hin, daß er direkt
mit Landsleuten in Kontakt gekommen sein muß, die die pro-
venzalische Dichtung noch aktiv betrieben und der italieni-
schen vorgezogen haben. Einer der wenigen Italiener, auf den
dies zutrifft, war der bereits genannte Schreiber eines pro-
venzalischen Florilegiums Ferrarino da Ferrara am Hof der
Este in Ferrara und des Gherardo da Camino in Treviso. Die
dem Florilegium vorangestellte Biographie Ferrarinos belegt,
daß sich dieser am Ende seines Lebens zeitweilig vom Hof der
Este entfernt und am Hof des Gherardo da Camino in Treviso

99 Vgl. die Bilanz G. Folenas, „Tradizione e cultura trobadorica nelle corti

e nelle cittä venete", 514: „L'importanza di Treviso come focolaio di cultura


volgare, prima provenzale e poi francese e infine toscaneggiante, come luogo
d'incontro e di confluenza di tradizioni manoscritte e come scriptorium nelle
tre lingue d'oc, d'oil e di si, e anche come centro di cultura figurativa caval-
leresca e cortese, emerge sempre phi chiara man mano ehe se ne individuano
e studiano i prodotti".
100 Vgl. F. D'Ovidio, Versificazione romanza: poetica e poesia medioeva-

le, Napoli 1932, II, 201-215.


101 Für die Auseinandersetzung der verschiedenen italienischen Dialekte

im Veneto jener Zeit vgl. F. Brugnolo, Einleitung zu II canzoniere di N. de


Rossi, xxi-xxxiv.
Einleitung XLV

aufgehalten hat, wo er wegen der Freundschaft des Gherardo


mit Azzo VII. d'Este sehr großzügig behandelt wurde 102 • Da
Dante im vierten Buch des Convivio 103 den wahren Edelmut
des Gherardo trotz dessen Unterstützung für die Guelfen her-
vorhebt, und ihn im Paradiso 104 als einer der drei Greise und
Herrscher der guten Zeiten erwähnt, wurde in der Dantefor-
schung auch schon die These verfochten, der Alighieri hätte
Gherardo gekannt und sich an dessen Hof aufgehalten105 • Dan-
tes Polemik im Convivio gegen Italiener, die die Provenzali-
sche Sprache der Italienischen vorziehen, und die Identifikati-
on eines solchen Italieners in der Person des Ferrarino da
Ferrara scheinen diese These ebenso zu bestätigen, wie die
Tatsache, daß sich auch der Dante-Imitator Francesco da Bar-
berino injenen frühen Jahren des 14. Jahrhunderts in Treviso
aufgehalten hat. Damit ist nicht gesagt, daß das ganze Convi-
vio in Treviso entstanden ist, sondern es soll nur darauf hinge-
wiesen werden, daß mehr Indizien für einen zeitweiligen Auf-
enthalt Dantes in Treviso sprechen, als bisher angenommen
worden ist. Die Übereinstimmung von Zeit, Ort und Sprache
der Dichtung legen jedenfalls die Vermutung nahe, daß Ferra-
rino von Ferrara einer der im Convivio verhöhnten Ankläger
der italienischen und Verehrer der provenzalischen Volksspra-
che gewesen sein könnte. Da die handschriftliche Tradition
der provenzalischen Liederbuchsammlungen auf eine intensi-
ve Beschäftigung mit der Poesie der Langue d'oc im ganzen
Veneto hinweist, könnte Dante aber auch in Verona am Hof
des Bartolomeo della Scala mit italienischen Verehrern dieser
Sprache in Konflikt gekommen sein.
Eines der wenigen sicheren Daten der Biographie Dantes ist
der 6. Oktober 1306. An jenem Tag wurde in Castelnuovo
Magra ein von Dante als Prokurator der Markgrafen France-
102 Schon G. Bertoni, I trovatori d'Italia, 125.
103 Conv., IV, xiv, 12.
104 Par., XVI, 124, 133-140.

tos Vgl. ED I, 777.


XLVI Francis Cheneval

schino, Corradino und Moroello ausgehandelter Friedensver-


trag zwischen den Malaspina und dem Bischof von Luni unter-
zeichnet106. Die Höfe der Malaspina, einer der sicheren Auf-
enthaltsorte Dantes während der Niederschrift des Convivio,
genossen den besonderen Ruf großer Freigebigkeit für Dich-
ter der provenzalischen Volkssprache. Mit Alberto Malaspina
(12. Jh.) weist diese Familie sogar einen Troubadour in ihrem
eigenen Stammbaum auf. Die provenzalischen Troubadours
Albert de Sisteron und Aimeric de Pequilhan sangen das Lob
des Marchese Guglielmo Malaspina (1194-1220) und Peire
Raimon di Tolosa und Guilhem de Ja Tor lobten die große
Liberalität Corrados 1. ( + 1253). Auch dessen Töchter Sel-
vaggia und Beatrice haben die dichterische Kreativität von
zahlreichen provenzalischen Troubadours angeregt 107 • Bei den
Malaspina kam Dante in ein höfisches Milieu, in dem die
Pflege provenzalischer Dichtung eine besondere Tradition
hatte 108 und vor dessen Hintergrund seine ansonsten überra-
schende Polemik gegen italienische Anhänger der provenzali-
schen Volkssprache verständlich würde. Daß Dante selbst die
Malaspina mit der provenzalischen Dichtung in Zusammen-
hang brachte, bezeugt der achte Gesang des Purgatorio, wo
Dante vom italienischen Troubadours Sordello zu Corrado
Malaspina geführt wird, um nach der Manier der provenzali-
schen Troubadours ein Lob dieser Herrscherfamilie anzustim-
men. Corrado seinerseits sagt Dante seinen Aufenthalt in Val
di Magra bei den Malaspina voraus 109 • Auch ein an Moroello
Malaspina gerichteter Brief Dantes dokumentiert die Gast-
106 Zum Aufenthalt Dantes in der Lunigiana vgl. Dante e Ja Lunigiana;

Dante in Lunigiana; L. Galanti, II soggiomo di Dante in Lunigiana. Das


Dokument, in dem Dante als Prokurator des Markgrafen Franceschino Ma-
laspina mehrmals namentlich genannt ist, findet sich zuletzt bei L. Galanti
(28-33) abgedruckt.
107 Vgl. G. Bertoni, Trovatori d' Italia, 13.

10• Vgl. F. L. Mannucci, I marchesi Malaspina e i poeti provenzali.


109 Näheres dazu bei L. Galanti, II soggiomo di Dante in Lunigiana, 16-20.

L. Galanti (ibid., 60) errechnet aus den astronomischen Angaben Corrados


Einleitung XLVII

freundschaft der Malaspina für den heimatlosen Dichter und


dessen enge Beziehung zu einigen Mitgliedern dieses Herr-
scherhauses110. Dante erwähnt in diesem Schreiben explizit
einen Aufenthalt am Hof des Moroello Malaspina, während
dem er seinen officia libertatis nachgegangen sei 111 • Worin
diese bestanden hätten, sagt Dante zwar nicht genau, er ge-
steht seinem hohen Gastgeber aber ein, nach seiner Abreise
durch die Erscheinung einer Frau von der vorher gepflegten
Distanz zu den Frauen, zur Liebesdichtung und von der Tätig-
keit der Betrachtung himmlischer und irdischer Dinge abge-
lenkt worden zu sein112 • Diese Beschreibung seiner Tätigkeit
am Hof der Malaspina trifft, trotz fehlender konkreter Anga-
ben, auf das Convivio zu, in dem sich Dante bewußt von der
Liebesdichtung im weltlich-fleischlichen Sinne abwendet113 ,
die Frau als Philosophie allegorisiert114 und die Totalität des
menschlichen Wissens in Entsprechung zu den Himmelssphä-
ren darstellt115 . Die Passage in Dantes Brief könnte aufgrund
der inhaltlichen, chronologischen und biographischen Über-

(Purg., VIII, 133-139) den 20. April 1306 als terminus ad quem der Ankunft
Dantes im Gebiet der Malaspina.
110 Opere Minori, II, 536-539. Die genaue Identität des Moroello ist um-

stritten, da mit Moroello di Manfredi, Markgraf von Giovagallo, und Moro-


ello, Markgraf von Villafranca, zwei Malaspina dieses Namens als Adressa-
ten in Frage kommen. In Inf„ XXIV, 145 erwähnt Dante die besondere
Kriegskunst des Grafen von Giovagallo, die dieser aber sehr zum Schaden
der weißen Guelfen von Florenz als Verbündeter der Schwarzen gegen Pi-
stoia eingesetzt hatte. Daß Dante in Purg., XIX, 142-144 auch die besondere
Tugend der Gattin des Moroello Malaspina, Markgraf von Giovagallo, lobt,
spricht für eine Bekanntschaft Dantes mit diesem Ehepaar.
111 "Igitur michi a limine suspirate postea curie separato, in qua, velud

sepe sub admiratione vidistis, fas fuit sequi libertatis officia." (Opere Mino-
ri, II, 536).
112 „Occidit ergo propositum illud laudabile quo a mulieribus suisque cant-

ibus abstinebam; ac meditationes assiduas, quibus tarn celestia quam terre-


stria intuebar." (Opere minori, II, 538).
113 Conv„ I, ii, 16.
114 Conv „ II, xii.xv.
115 Conv., II, xiii-xiv.
XLVIII Francis Cheneval

einstimmungen durchaus ein Hinweis auf die Arbeit am Con-


vivio am Hof der Malaspina sein, wo sich Dante nach dem
20. April 1306 aufgehalten hat.
Aufgrund dieser Ausführungen kann davon ausgegangen
werden, daß die wichtigen, von der Danteforschung zu wenig
berücksichtigten polemischen Passagen gegen das Provenzali-
sche in jenem Teils des ersten Buches des Convivio, in dem
Dante die von ihm gewählte Sprache der Schrift rechtfertigt,
wertvolle Hinweise zum höfischen Entstehungsmilieu des
Convivio geben. Diese Kontextualisierung gibt seinem Selbst-
kommentar zu eigenen Liebesgedichten eine doppelte Stoß-
richtung. Einerseits wird verständlich, warum er versucht,
einem Publikum seine Kanzonen auszulegen, von dem er be-
fürchtet, dass es zu einer eher wörtlichen und allzufleischli-
chen Deutung seiner Liebesdichtung neigt. Der Eigenkom-
mentar bedeutet angesichts der antizipierten oder tatsächlichen
Fehlrezeption eine Selbstdarstellung Dantes als poeta-philoso-
phus. Andererseits dokumentiert die sorgfältige und äusserst
ausführliche Rechtfertigung des Werkes im ersten Buch des
Convivio, daß der Alighieri seine Philosophie einem Publikum
und in einem Milieu vorträgt, das darauf nicht eingestimmt ist.
Dante transformiert mit seinem Selbstkommentar nicht nur
seine eigene Dichtung, sondern er versucht auch, das ihm vom
Schicksal zugeführte höfische Troubadours-Publikum für die
Philosophie zu gewinnen.
Im Gegensatz zum Publikum der Documenti eines Fran-
cesco da Barberino oder des Inferno-Kommentars eines Gra-
ziolo de' Bambaglioli, deren Rezipienten ebenfalls außerhalb
des universitären Schulbetriebs der Philosophie anzusiedeln
sind, handelt es sich bei der Leser- und Zuhörerschaft Dantes
um ein Publikum ohne Lateinkenntnisse. Diese Tatsache hat
den Alighieri dazu bewogen, die Sprache der Philosophie dem
Bildungsstand des Publikums anzupassen und seine Schrift
nicht in Latein, der Sprache der Schulphilosophie, sondern in
der italienischen Volkssprache zu redigieren. Das Verfassen
Einleitung XLIX

volkssprachlicher philosophischer Texte war zu Dantes Zeit


weder originell noch selten116 , was jedoch das Unternehmen
des Alighieri für die Geistesgeschichte so interessant macht,
ist die Tatsache, daß der Florentiner die Transformation der
Sprache der Philosophie bewußt vorgenommen, ausführlich
begründet und zum Programm erklärt hat. Nebst der Polemik
gegen die Ankläger der italienischen Volkssprache und Ver-
ehrer des Provenzalischen liefert deshalb Dantes Auseinan-
dersetzung mit dem Latein als Sprache der Schulphilosophie
den zweiten wichtigen Hinweis zur gesellschaftlichen und
geistesgeschichtlichen Situierung des Convivio. Dante faßte
laut eigenen Angaben während der Abfassungszeit des ersten
Buches des Convivio den Entschluß zur Redaktion der Schrift
De vulgari eloquentia, um das theoretische Fundament seines
volkssprachlichen Schreibens nachzuliefern 117 •
Im Gegensatz zu De vulgari eloquentia, wo Dante schlecht-
hin für die Überlegenheit des vulgare vor dem Latein argumen-
tiert, rechtfertigt er im Convivio die Wahl des Italienischen
hauptsächlich mit einer konditionalen Argumentation. Erstens
muß die Sprache des Kommentars der Sprache der Kanzonen
entsprechen118 • Zweitens, und hier kann der Faden des höfi-
schen Entstehungsmilieus und Zielpublikums wieder aufge-
nommen werden, will Dante die Sprache seiner Schrift dem
Bildungsniveau der Adressaten, die zu einem überwiegenden
Teil der lateinischen Sprache nicht kundig sind, anpassen:
„Und das Latein hätte sie [die Kanzonen] nur den Gelehrten
ausgelegt, denn die anderen hätten [den lateinischen Kommen-
tar] nicht verstanden. Und da es mehr Ungelehrte als Gelehrte
gibt, die diese zu verstehen wünschen, folgt, daß [das Latein]
den Befehl nicht so vollkommen erfüllt hätte wie die Volks-
sprache, die von Gelehrten und Ungelehrten verstanden wird.
( ... )Die eigentliche Gabe des Kommentars ist die Auslegung
116Vgl. R. Imbach, Laien in der Philosophie des Mittelalters.
117Conv., 1, v, 10.
118 Cf. Conv., 1, v, 7.
L Francis Cheneval

der Kanzonen, für die er geschaffen ist. Diese beabsichtigt in


höchstem Maße die Menschen zu Wissen und Tugend zu füh-
ren, wie man aus der Tiefe ihrer Behandlung ersehen wird.
Diese Auslegung gereicht jenen zum Nutzen, in denen wahrer
Adel, gemäß der Art, die im vierten Traktat erklärt werden
wird, gesät ist; und diese sind beinahe alle volkssprachlich,
wie sie jene Adligen sind, die weiter oben in diesem Kapitel
aufgezählt wurden" 119 • Nebst der Polemik gegen die Verehrer
der Provenzalischen Volkssprache bildet die Kritik an den
Schulgelehrten die zweite scharfe Attacke Dantes im Zusam-
menhang der Rechtfertigung der Wahl der Sprache seiner
Schrift. Dante, der philosophische Laie, rechtfertigt seine
translatio philosophie von der Universität an den Hof durch
eine herbe Kritik an den Gelehrten und durch eine Umwertung
aller scholastischen Werte, indem er die illitterati als die wah-
ren Gelehrten bezeichnet und den litterati diesen Titel ab-
spricht120. Die nach dem herkömmlichen Standesverständnis
als Adlige geltenden Menschen, die sein Publikum darstellen
und die er für die wahren Gelehrten hält, will Dante durch
seine philosophische Unterweisung ihrerseits zum wahren
Adel führen. Dante vollzieht also eine doppelte Übertragung:
die Bezeichnungen 'Gelehrter' wird von den Schulgelehrten
auf sein adliges Publikum übertragen und die herkömmliche
Standesdefinition von Adel wird im vierten Buch durch eine
philosophische ersetzt; das adlige Publikum soll zu wahrem
Adel geführt werden. Die standeskritische Kehrseite dieser
Transformation besteht darin, daß letztlich weder die Gelehr-
ten wahre Gelehrte noch die Adligen wahre Adlige sind, es sei
denn sie genügen den hohen Anforderungen Dantes. Der Alig-
hieri hat durch die Erörterung der Frage nach dem wahren
Adel im vierten Buch des Convivio keineswegs literarisches
Neuland betreten, sondern ein ebenfalls von den Troubadours

119 Conv., I, vii, 12.


°Conv., I, ix, 2-3.
12
Einleitung LI

besungenes Thema mit philosophischen Inhalten aus der scho-


lastischen Tradition neu bestückt und im politischen Kontext
der Auseinandersetzung zwischen Kaiser und Papst ausgestal-
tet. Die Frage nach dem wahren Adel, nach Tugendadel versus
Geburts-oder Geldadel, hat die Troubadours lange vor Dante
beschäftigt, was als weiterer Hinweis auf das höfische Entste-
hungsmilieu des Convivio gewertet werden kann 121 •

5. Das Gastmahl oder Philosophie für möglichst viele

Wie Aristoteles am Anfang der Metaphysik sagt, streben alle


Menschen von Natur aus nach Wissen 122 ; wie zahlreiche mit-
telalterliche Kommentatoren treffend bemerkt haben, errei-
chen dieses Ziel nur die wenigsten 123 • Was jedoch für Schul-
philosophen wie Thomas von Aquin oder Johannes von Jandun
ein Grund war, beiläufig ihren herausragenden Status als Kle-
riker, Universitätsprofessoren und Philosophen zu zelebrieren
und sich von der unwissenden, faulen und sinnesfreudigen
Masse abzuheben, und was Boethius von Dacien sogar dazu
veranlaßte, die der Philosophie nicht zugewandten Menschen
stark zu rügen und als Bestien von sich zu weisen124 , wird bei
Dante zum Ausgangspunkt eines philosophisch-didaktischen
Programms. Dante kommt zum Schluß, daß der überwiegend

121 Einiges dazu bei E. Köhler, Zur Diskussion der Adelsfrage bei den

Trobadors.
122 Vgl. Met„ I, 1; 980a21.

123 Vgl. etwa Thomas von Aquino, In Met„ I, 1, 4; ScG I, c.4. Auch

Johannes vonJandun, In Met. I, q. 4. Zitiert im Kommentar zu Conv„ I, i, 1.


124 "Et ideo dolere debent homines qui tantum delectationibus sensibilibus

detinentur quod bona intellectualia omittunt, quia suum summum bonum


numquam attingunt; tantum enim sunt dediti sensibus, quod non quaerunt
quod est bonum ipsius intellectus. Contra quod exclamat Philosophus dicens:
cVae vobis homines qui computati estis in numero bestiarum ei quod in vobis
divinum est non intendentes• . " Boethius von Dacien, De summo bono, ed.
N. Green-Pedersen, 369f.
LII Francis Cheneval

größte Teil der Menschheit wegen der Sorge um Familie und


Gesellschaft vom edlen Geschäft des Philosophierens notwen-
digerweise ausgeschlossen bleibt und daß diese Tatsache so-
wohl entschuldbar als auch überwindbar ist125 • Falls Aristote-
les recht haben soll, und davon geht auch Dante aus, so kann es
nicht damit getan sein, festzustellen, daß in Wirklichkeit nur
eine kleine Gruppe Auserwählter in den Genuß einer philoso-
phischen Bildung kommt. Dante stellt sich im Anschluß an
diesen Gedanken als denjenigen dar, der aus vollkommener
Freigebigkeit den Kreis der philosophisch Gebildeten wesent-
lich erweitert und er kleidet dieses Unternehmen in das in
seiner Zeit sowohl philosophisch als auch religiös aussage-
kräftige und symbolträchtige Motiv des Gastmahls. Obschon
er selbst ebenfalls nicht zur Zunft der universitären Berufsphi-
losophen gehört und nicht an der glückseligen Tafel der Ge-
lehrten sitzt, sondern nur zusammenliest, was von dieser her-
unterfällt, veranstaltet er mit dem, was er davon aufbewahrt
hat 126 für die "beinahe unzählbaren" 127 , denen das philosophi-
sche „Brot der Engel" 128 bisher stets versagt geblieben ist, ein
„ Gastmahl" 129 •
Die Wahl dieser Metapher erweist sich in mancher Hinsicht
als sehr geschickt, denn das Gastmahl ist ein in verschiedenen
Diskursen und gesellschaftlichen Realitäten allgemein ver-
ständliches und traditionsbeladenes Leitmotiv, das reich vari-
iert werden kann. Dantes Vermittlung der Philosophie an mög-
lichst viele, motivisch verkleidet als ein aus vollkommener
Freigebigkeit veranstaltetes Gastmahl, stellt in erster Linie eine
Anspielung an den Kontext des Hofes und der Herrscher dar 130 ,
deren Freigebigkeit in einer großen Tradition der Troubadours

125 Conv., I, i, 2-6.


126 Conv., I, i, 10.
127 Conv., I, i, 6.
128 Conv., I, i, 7.

129 Conv., I, i, 11.

13°Conv., I, i, 19; viii-ix. Vgl. etwaJ. Bumke, Höfische Kultur, I, 240-275.


Einleitung LIII

stets als hohe Fürstentugend besungen wurde 131 • Dante rückt


sich in seinem literarischen Gastmahl kraft seiner Feder selbst
in die Nähe seiner Gönner, wie er sich auch nur kraft se:iner
Feder in die Nähe der Gelehrten bringt. Der vertriebene, hei-
mat-und mittellose Dante setzt im Convivio in dieser Hinsicht
zu einem Kraftakt der Kompensation an und kreiert sich mit
Schreiben einen Status, der anderen in der mittelalterlichen
Gesellschaft standesbedingt zukommt. Durch sein "freigebiges
Gastmahl" wird er zum Fürsten, durch die philosophische Un-
terweisung seiner Zuhörer-und Leserschaft zum Magister der
Philosophie. Daß er eine zur herkömmlichen Aristotelesausle-
gung querstehende Deutung des ersten Satzes der Aristoteli-
schen Metaphysik vornimmt, indem er eigentlich Aristoteles
nur etwas genauer beim Wort nimmt, als die sich auf ihn immer
wieder berufende Zunft, ist einer der zahlreichen Beispiele für
Dantes kreativen Umgang mit abgegriffenen Texten der Scho-
lastik. Johannes von Jandun wird einige Jahre nach der Nieder-
schrift von Dantes Convivio diejenige Questio seines Metaphy-
sikkommentars, in der er selbstbewußt darlegt, daß einigen zu
abstraktem Denken fähigen Philosophen die Erkenntnis Gottes
möglich ist, mit der Aufforderung beenden, daß diejenigen
Menschen, die diesen Grad von Abstraktion nicht erreichen
können, das Brot der Philosophen besser nicht essen sollten 132 •
Im Lichte dieser ins schulphilosophische Gegenteil gewendeten
Brotmetapher J anduns machen Dantes mit verschiedenen Brot-
metaphern aus geschmückte Variationen des Gastmahl-Themas
deutlich, daß die Wahl des Titels und die damit verbundene
Motivik eine bewußte Rekontextualisierung der Philosophie
bedeuten. Dante selbst gibt anläßlich der Erklärung, inwiefern

131 Vgl. Einiges dazu in 0. Longo, Liberalitä, dono, gratitudine: fra me-

dioevo cortese e grecia antica.


132 "noli comedere panem philosophorum inutiliter, quia non es aptus ad

philosophiam, sed ad arandum et ad scientias mecanicas, unde sie passet dici


ad quemlibet rudern non eures disputare et philosophari, non es aptus ad
hoc." (Johannes von Jandun, Questiones in Met., II, 4; 26va).
LIV Francis Cheneval

das Convivio ein Akt der Freigebigkeit sei, zu bedenken, daß


sein Kommentar, im Gegensatz zu den lateinischen Werken der
Schulphilosophie, nicht ein Auftragswerk sei und nicht aus Er-
füllung einer Amtspflicht geschrieben wurde, sondern eben aus
freien Stücken, aus reiner Großzügigkeit und Freigebigkeit, die
darin bestehe, möglichst vielen nützliche Dinge zu geben 133 •
Obschon Dante vielleicht auch bei dieser Art der Selbstdarstell-
ung aus seiner Not eine Tugend macht, kann doch nicht in Ab-
rede gestellt werden, daß die meisten Kommentare der Schul-
philosophie vom Curriculum vorgeschriebene Pflichtprodukte
des universitären Lehrbetriebs gewesen sind. Albert der Große
zum Beispiel schrieb seinen Physikkommentar für den kleinen
Kreis der Dominikanerstudenten des studium generale 134 , Tho-
mas von Aquinos Summa theologiae richtete sich an den be-
schränkten Kreis der Studienanfänger der Theologie 135 • Dante
nutzt die Situation des ihm fehlenden Publikums und festen in-
stitutionellen Kontextes zu seinem Vorteil und schreibt für die
„Unzählbaren", für möglichst Viele, für die „Masse", die an
den Schulen in den Kommentaren zum ersten Satz der Aristo-
telischen Metaphysik mit einer abschätzigen Nebenbemerkung
von der Philosophie ausgegrenzt werden. Er bringt dabei den
aus universitärer Sicht gesehen niederen Status seiner Philoso-
phie und die den Ansprüchen der Schulphilosophie nicht ent-
sprechende Sprache seines Unternehmens in einer weiteren
Ausschöpfung des Gastmahlsgleichnisses mit der Metapher des
Gerstenbrotes zum Ausdruck, das im Gegensatz zum Weizen

133 Conv ., l, ix, 10.


134 .Intentio nostra in scientia naturali est satisfacere pro nostra possibili-
tate fratribus ordinis nostri nos rogantibus ex pluribus iam praecedentibus
annis, ut talem librum de physicis eis componeremus." (Albert der Große,
Physica, 1, 1, c. 1).
135 .Quia catholicae veritatis doctor non solum provectos <lebet instruere,

sed ad eum pertinet etiam incipientes erudire; ... propositum nostrae inten-
tionis in hoc opere est, ea quae ad Christianam religionem pertinent, eo
modo tradere, secundum quod congruit ad eruditionem incipientium." (Tho-
mas von Aquino, Summa theol., 1, prologus).
Einleitung LV

als die Speise der Tiere galt136 • Dante bezeichnet die Volksspra-
che, in der sein Kommentar abgefaßt ist, mit der Metapher des
als Tiernahrung verwendeten Gerstenbrotes und scheint damit
auf einen substantiellen Mangel seiner Schrift zu verweisen,
weiß diesen aber durch eine ausführliche Rechtfertigung zu be-
heben. Da seine Philosophie als Akt der Freigebigkeit für mög-
lichst viele gedacht ist, bedient sich Dante einer Sprache, die
möglichst viele verstehen 137 •
Im Zentrum des weiten Konnotationsfeldes des Titels Convi-
vio stand für das höfische Publikum sicher das Szenarium des
vom freigebigen Fürsten veranstalteten Gastmahls. Dennoch
kann aus historischer Perspektive festgestellt werden, daß die-
ser Rahmen und Titel eines philosophischen Textes auch ande-
re Reminiszenzen hervorzurufen vermochte. Mit dem zu Dan-
tes Zeiten noch nicht ins Lateinische übersetzten Platonischen
Gastmahl hat das Werk des Alighieri wegen der fehlenden
Di~logform und dem explizit nicht-elitären Rahmen nur gera-
de den Titel gemeinsam. Es ist daher eher unwahrscheinlich,
daß Dantes Gastmahl in die Traditionslinie des gleichnamigen
Platonischen Werkes gehört138 • Wahrscheinlicher und mit der
Grundintention Dantes übereinstimmend wäre eine Reminis-
zenz an das Antike epulum publicum, das öffentliche Mahl,
wie es die griechischen Stadtstaaten und Tyrannen zur Erquik-
kung des Volkes durchgeführt haben. Diese Dantes Verkösti-
gung der Massen nahekommenden Veranstaltungen waren ei-
nem mittelalterlichen Intellektuellen zur Zeit Dantes zum
Beispiel durch die Lektüre der Aristotelischen Politik oder des
Politikkommentars des Thomas von Aquino bekannt 139 •

136 Conv„ 1, v, 1; x, 1. Vgl. etwa Albert der Große, In Io, c. 6; 242: .quia

hordeum grossum et asperum potius est cibus jumentorum quam hominum."


137 Conv„ 1, ix, 2.

138 Vgl. dazu J. Martin, Symposion. Die Geschichte einer literarischen

Form; M. Pierart, Banquet. Notes sur Ja prehistoire d'un genre litteraire.


139 Vgl. Kommentar zu 1, i, 11.
LVI Francis Cheneval

In einer weiterführenden Variation des Gastmahl-Themas


stößt Dante in sakrale Bedeutungsfelder seines Motivs vor, die
seiner mittelalterlichen Zuhörerschaft ebenso vertraut gewe-
sen sind, wie der höfische Ort des Mahls. Der Intention der
Vermittlung der Philosophie an möglichst viele entsprechend
stellt Dante am Ende des ersten Buches seine Speisemetapher
auch in der Variation der wunderbaren Gerstenbrotvermeh-
rung Jesu dar 140 • Mit diesem Kunstgriff schmückt er seine im
Vergleich zur Schulphilosophie scheinbar zweitrangige Schrift
mit einer Symbolik aus, die den auf die enge Studierstube
beschränkten Schulbetrieb der Universität als äußerst kleinmü-
tige Veranstaltung erscheinen läßt und seine Absicht, die Vie-
len an der Speise der Philosophie teilnehmen zu lassen, gerade-
zu als messianisches Ereignis darstellt. Die klare Parallele zur
sakralen Motivik des Gastmahls und deren geschickte Über-
tragung auf das eigene, säkulare Unternehmen kann auch an-
hand eines Textes des Kirchenvaters Ambrosius, wo die Heili-
ge Schrift mit einem großen Gastmahl verglichen wird, dessen
einzelne Gänge den einzelnen Büchern der Bibel entsprechen,
dokumentiert werden 141 • Ein ähnlicher Text, der belegt, daß
Dante durch die Wahl seiner Metapher nicht zuletzt die religiö-
se Konnotation des heilsbringenden Mahls in den Dienst seiner
philosophischen Veranstaltung stellte, findet sich in Honorius
von Autuns De animae exilio et patria, wo außer der Gast-
mahlsmetapher, die Honorius in Anlehnung an Ambrosius auf
die Heilige Schrift anwendet, mit dem Gleichnis der Heimkehr
aus dem Exil der propädeutischen Wissenschaften zur wahren
Heimat der sacra scriptura noch eine weitere Verwandtschaft
zur Motivik Dantes festzustellen ist142 •

140 Conv., I, xiii, 12.


141 "Scriptura divina convivium sapientiae est: singuli libri singula fercula
sunt." (Ambrosius, De officiis, I, 32, 165). Vgl. Busnelli / Vandelli, Kom-
mentar zu Conv., I, i, 11.
142 .His artibus quasi civitatibus pertransitis pervenitur ad sacram Scrip-
turam, quasi ad veram patriam, in qua multiplex sapientia regnat. . .In hac
Einleitung LVII

6. Dantes Lob der Philosophie

Nach dem ausführlichen Prolog, der das ganze Buch I in Be-


schlag nimmt und zahlreiche der hier ausgewerteten Hinweise
zur Situierung des Convivio liefert, beginnt Dante in Buch II
mit seinem eigentlichen Unterfangen, der Kommentierung sei-
ner Kanzonen. Bei der Auslegung der Kanzonen Voi eh' nten-
dendo il terzo ciel movete (Buch II) und Amor ehe ne la mente
mi ragiona (Buch III) führt er dies, wiederum bewußt und
reflektiert, in zwei Arbeitsgängen aus. Er kommentiert in ei-
nem ersten Schritt den wörtlichen Sinn der Gedichte und in
einem zweiten den übertragenen 143 • In Buch IV (Le dolci rime
d'amor eh'i' solia) ändert Dante sein Verfahren und erläutert
nur noch den wörtlichen Gehalt, weil, wie er meint, die Kan-
zone Le dolci rime d 'amor bereits auf der literalen Auslegungs-
ebene eine moralphilosophische Belehrung bezüglich des wah-
ren Adels beinhalte, und nicht noch allegorisch umgedeutet
werden müsse 144 •
Wie bereits im Prolog angekündigt 145 , hebt Dante in der
allegorischen Deutung der Kanzonen deren wahren Gehalt ans
Licht. So vielgestaltig und reichhaltig der übertragene Sinn
der Kanzonen im einzelnen auch sein mag, so einfach und klar
ist doch der Ausgangs-und Angelpunkt dieser Deutung: die
von Dante in den vermeintlichen Liebesgedichten besungene
Frau ist eine Allegorisierung der Philosophie 146 • Mit diesem an
Boethius' Philosophiae eonsolatio sich inspirierenden Kunst-

domo sapientia ad se venientibus convivium praeparat, quos variis ac deli-


ciosis ferculis satiat." (Honorius von Autun, De animae exsilio et partria,
XII; PL, 172, 1245). Die Kenntnis dieser Stelle vedanke ich T. Ricklin.
143 Vgl. Conv., II, i, 15.

144 Conv., IV, i, 10-11.

145 Conv., 1, ii, 17.


146 "questa donna ela Filosofia. • Conv., II, xv, 3. Vgl. auch Conv., II, xii;

XV, 1.5.7; III, xi, 1.18; xiv, 9; XV, 1.


LVIII Francis Cheneval

griff transformiert Dante die Grundthematik der Liebesdich-


tung in einem Streich zu dem in der Folge reich variierten
Leitmotiv seiner Erörterung: der Philosophie.
Da die allegorische Auslegung in den Büchern II und III
vorgenommen wird, findet sich in deren allegorischen Teilen
Dantes Beschäftigung mit der Philosophie als solcher147 • In
Conv., II, xii schildert Dante, dessen Umgang mit der Philoso-
phie sich von der Scholastik nicht zuletzt durch das Miteinbe-
ziehen seiner eigenen Subjektivität in den wissenschaftlichen
Vortrag unterscheidet, in einem autobiographischen Exkurs,
wie er zur Philosophie gekommen ist. Im Anschluß daran prä-
sentiert er, in Anlehnung an die im Mittelalter sehr einflußrei-
che Literaturgattung der Einführung in die Philosophie 148 , eine
Wissenschaftseinteilung, in der er verschiedene Einteilungs-
modelle der aristotelischen und der stoischen Tradition mitein-
ander verbindet, und deren Hauptbedeutung wohl darin liegt,
daß der Alighieri im Gegensatz zu einem überwiegend großen
Teil der mittelalterlichen Tradition die praktische Philosophie
der Metaphysik überordnet149 • Dieses die Philosophie auf ihre
moralische und soziale Funktion hinordnende Philosophiever-
ständnis Dantes deutete R. Imbach als eine direkte Konse-
quenz der Transformation des Publikums der Philosophie 150 •
Nicht Kleriker, deren Auskommen durch einen Orden, eine
Pfründe oder eine Anstellung an der Universität gesichert ist
und die für die höhere, theoretische Philosophie „abkömm-
lich" sind, zählen zu Dantes Publikum, sondern Menschen,
147 Conv „ II, xii-xv; III, xi-xv.
148 Vgl. R. Imbach, .Einführungen in die Philosophie aus dem XIII. Jahr-
hundert."
149 Neuere Besprechungen dieser Wissenschaftseinteilung finden sich in

R. Imbach, .Dante und die Naturphilosophie", 49-56; D. Perler, Dante Ali-


ghieri. Abhandlung über das Wasser und die Erde, XXXV-XLII; T. Suarez-
Nani, .Dante Alighieri ou la convergence des arts et de la science"; Auf
bisher nicht beachtete Quellen macht T. Ricklin in seinem Kommentar zu
Conv„ II, xiii-xv im nächsten Band dieser Ausgabe aufmerksam.
150 Vgl. R. Imbach, Laien in der Philosophie, 68-71.
Einleitung LIX

meist adligen Geblüts, denen die Sorge um Familie und Ge-


meinschaft anheimgestellt ist.
Dantes translatio philosophiae von den Stubengelehrten zu
den Höflingen ging nicht ohne substantielle Änderungen des
Philosophiebegriffs über die Bühne. Das Interesse, die Stel-
lung und die Bedürfnisse der Rezipienten haben, nebst seiner
eigenen Lebenslage, auf die Philosophie Dantes einen wesent-
lichen Einfluß ausgeübt. Dies tut deren Originalität und Be-
deutung für die Philosophiegeschichte keinen Abbruch. Im
Gegenteil, die partikularen, meist widerwärtigen Lebensum-
stände eines zur Kompensation von Not getriebenen Intellek-
tuellen sind der nicht wegzudenkende Kontext einer originel-
len philosophischen Leistung. Dies wird, nebst der bereits
erwähnten Wissenschaftseinteilung in Buch II, auch aus einer
Analyse des dem Lob der Philosophie gewidmeten Buches III
(xi-xv) deutlich.
Dante beginnt seine commendatio philosophiae mit einer
Erörterung der Nominaldefinition der Philosophie und einer
anschließenden, ausführlichen Diskussion der Fragen, was die
Philosophie und was ein Philosoph sei. Er geht dabei zurück zu
den ihm zugänglichen Anfängen der Philosophie und findet in
Pythagoras denjenigen Denker, der der Philosophie den Na-
men gegeben hat, denn vor ihm wurden die Anhänger dieser
Wissenschaft nicht Philosophen, sondern Weise genannt. Py-
thagoras selbst hat diese Bezeichnung für seine Person in aller
Bescheidenheit zurückgewisen und wollte nur noch Philosoph,
das heißt Liebhaber der Weisheit, genannt werden. Entspre-
chend begann man, laut Dante, die Wissenschaft dieser Män-
ner als Liebe oder Freundschaft zur Weisheit zu bezeichnen 151 •
Nebst der eleganten Verknüpfung, die er zwischen den etymo-
logischen Wurzeln des Namens der hohen Wissenschaft und
seinem Unternehmen der allegorischen Deutung der Philoso-

" 1 Conv., III, xi, 4-6.


LX Francis Cheneval

phie als Liebe zu einer Frau herstellen kann, vermag der Ali-
ghieri, mit dieser Bezeichnung der Philosophie als natürliche
Liebe eine Brücke zu schlagen zwischen seinem Publikum
philosophischer Laien und dem von ihm ganz am Anfang sei-
ner Schrift zitierten Satz atls der Aristotelischen Metaphysik,
wonach von Natur aus alle Menschen nach Wissen streben1s2 •
Auf eine gewisse Weise kann man nämlich aufgrund dieser
Überlegungen "jeden Philosoph nennen . . . der natürlichen
Liebe wegen, die in jedem den Wunsch zu wissen erzeugt" 1s3 •
Dante bringt also sein hohes Lob und seine Definition der
Philosophie in einen direkten Zusammenhang zu seiner Haupt-
absicht der Vermittlung der Philosophie an möglichst viele,
denn, so fährt er fort, die natürliche Liebe zur Weisheit ist nur
der Ausgangspunkt und noch nicht die Vollendung der Philo-
sophie. Worin diese besteht, wer ein wahrer Philosoph ist und
wie man zu diesem Status gelangt, diese Frage erörtert Dante
in der Folge für sein philosophisch unbedarftes Publikum unter
konsequenter Übertragung des Freundschaftsparadigmas auf
die Philosophie. In Übereinstimmung mit seiner Polemik ge-
gen die Gelehrten im ersten Buch1S4 beginnt er diese Ausfüh-
rungen zunächst per viam negationis und hält fest, wer kein
echter Philosoph ist. So wie die Freundschaft aus Nützlichkeit
oder Gefallen keine wahre Freundschaft, sondern nur Freund-
schaft per accidens ist, so ist auch eine um der Nützlichkeit
oder des Gefallens willen betriebene Philosophie keine echte
Philosophie und ihre Vertreter sind keine echten Philosophen.
Dantes hohe Anforderungen werfen a priori zwei Kategorien
von Leuten aus dem Wettkampf um den Preis der Philosophie.
Erstens diejenigen Poeten, die nur um ihres eigenen Pläsiers
willen Kanzonen erdichten und sich in ihren Reimen ergehen,
die Rhetoren, die nur den Wohlklang der Sprache im Auge

152 Vgl. Conv., 1, i, 1. Aristoteles, Met., I, 1: 980a21.


m Conv., III, xi, 6.
154 Conv., 1, ix, 2-3.
Einleitung LXI

haben, und die Musiker, die nur aus Gefallen an der Melodie
Wissenschaft betreiben. Zweitens wirft Dante alle jene aus
seinem "Hörsaal", die nur um der Nützlichkeit willen Freunde
der Weisheit sein wollen, "so wie es die Juristen sind, die
Ärzte und beinahe alle Ordensleute, die nicht studieren um zu
wissen, sondern um Geld oder Ansehen zu erwerben; und
würde ihnen jemand das, was sie zu erlangen beabsichtigen,
geben, würden sie nicht weiter beim Studium verweilen. Und
wie man unter den Gattungen der Freundschaft jene, die aus
Nützlichkeit besteht, am wenigsten Freundschaft nennen
kann, so haben auch diese weniger am Namen des Philosophen
teil als manche andere Leute" iss. Dante versieht hier einerseits
die Schulphilosophie, die die Weisheitsliebe zum Geschäft
gemacht hat, mit herber Kritik, andererseits konstituiert und
ermutigt er durch strenge Selektion sein eigenes Publikum. Da
nicht Wissen und zyklopische Gelehrsamkeit den wahren Phi-
losophen ausmachen, sondern der innere Beweggrund, haben
plötzlich „manche andere Leute" 1s6 Zugang zu ihr. Die wahre
Philosophie kann nicht in einem buchhalterischen Umgang mit
Wissen bestehen, sondern einzig und allein in der ehrlichen,
interessenfreien Liebe zur Weisheit. Der wahre Philosoph
liebt „jeden Teil der Weisheit und die Weisheit jeden Teil des
Philosophen, insofern sie ihn ganz bindet, und keinen seiner
Gedanken zu einer anderen Sache abschweifen läßt" 1s1 • Das
hohe Ideal der wahren Philosophie schließt zwar die meisten
Berufsphilosophen der Universitäten aus und wirkt insofern
einschränkend, es weitet aber andererseits das Zielpublikum
auf alle zu wahrer Liebe der Weisheit fähigen Menschen aus.

"'Conv„ III, xi, 10. Zu dieser Thematik vgl. G. Post et al., • The Medie-
val Heritage of the Humanistic Ideal: scientia est donum Dei unde vendi non
polest"; R. Imbach, .Präsenz des mittelalterlichen Philosophieverständnis-
ses", 120.
156 lbidem.
157 Conv„ III, xi, 12.
LXII Francis Cheneval

Auch hier wird deutlich, wie Dante die Philosophie ihrer stän-
dischen Vereinnahmung entzieht.
So wie die Freundschaft ist auch die Philosophie in bezug auf
ihren ontologischen Status im Menschen eine besondere Ei-
genschaft der Seele. Vor dem Hintergrund der zu seiner Zeit
gängigen aristotelischen Schulphilosophie wird deutlich, daß
Dante in seinen Ausführungen zum Philosophiebegriff zwar
Elemente daraus aufgreift, daß er aber durch die Parallelisie-
rung von Freundschaft und Philosophie verschiedene Teile der
aristotelischen Wissenschaftslehre und Ethik miteinander ver-
schmelzt und dadurch eine Art Paradigmenwechsel vornimmt.
Obschon die Interpretation der Wissenschaftslehre in der Dan-
te bestens bekannten Nikomachischen Ethik höchst umstritten
und komplex ist und sich auch die mittelalterlichen Kommen-
tare auf keine eindeutige Lehre festlegen lassen158 , kann doch
festgehalten werden, daß das Einbeziehen der Freundschaft
und der Liebe in die Erörterung des wissenschaftlichen Status
der Philosophie eindeutig eine Akzentverschiebung von einem
intellektualistischen zu einem ethischen Grundideal bedeutet.
Wesentlich für die Definition der Philosophie und des wahren
Philosophen ist nicht das bejahende oder verneinende Errei-
chen der Wahrheit mittels der fünf Habitus Kunst, Wissen-
schaft, Klugheit, Weisheit und Einsicht, sondern ehrliche Lie-
be zur Weisheit, die den Menschen auch moralisch zur
Vollkommenheit führt. Die in der aristotelischen Philosophie
vorhandenen, aber nach theoretischer und praktischer Philoso-
phie getrennten Ideale der höchsten Vollkommenheit des Men-
schen als intellektuelle Kenntnis des Wahren und Ausübung
des Guten159 führt Dante, der in den besprochenen Passagen

158 Vgl. Nikomachische Ethik, VI, 3. Für den Streit um die Auslegung des

Aristoteles vgl G. Bien, Aristoteles, Nikomachische Ethik, Hamburg 1985,


300ff.
159 Vgl. z. B. Boethius von Dacien, De summo bono, 371: .summum

bonum quod est homini possibile est cognitio veri et operatio boni et delecta-
tio in utroque."
Einleitung LXIII

einen allgemeinen Begriff der Philosophie bestimmt und noch


keinen Unterschied zwischen theoretischer und praktischer
Philosophie macht, im Begriff der Philosophie als Liebe zur
Weisheit zusammen. Durch diese Moralisierung wird der Be-
griff der theoretischen Philosophie stark aufgeweicht und an
den inneren moralischen Status des Individuums zurückgebun-
den. Dies gilt auch für die sich anschließenden Erörterungen
Dantes zur Existenzweise der Philosophie außerhalb der See-
le. Dante behandelt diese Frage nach den strengen Mustern der
aristotelischen Ontologie und Kausalitätslehre, wonach alles
Seiende aus Form und Materie zusammengesetzt ist und eine
Wirk-und Zielursache hat160• Die jeder Philosophie zugrunde-
liegende Materie ist laut Dante das „Verstehen", die Form die
„Liebe zum Intellekt". Als Wirkursache der Philosophie be-
zeichnet Dante die „Wahrheit" und als Ziel die „Glückselig-
keit", die er als Schau der Wahrheit bezeichnet161 • Obschon
Dante also beinahe alle „Scholastiker" von der Philosophie
ausgeschlossen hat, greift er nun zur Beschreibung dessen,
was Philosophie ist, auf eine gängige, ja abgegriffene Lehre
eben dieser Scholastik zurück, gibt ihr aber durch die Übertra-
gung auf sein Philosophiemodell eine neue Funktion und Be-
deutung. Durch die Zusammenstellung der Teile der Philoso-
phie anhand der vier aristotelischen Ursachen gewinnt Dante
aus traditionellen Elementen einen in dieser Weise originell
konzipierten Philosophiebegriff. Wichtig für das Verständnis
der Philosophie Dantes ist deshalb nicht nur das korrekte Auf-
zeigen und Auffinden der Quellentexte der einzelnen Elemente
seiner Ausführungen, sondern auch die nötige Aufmerksam-
keit für Dantes ungezwungenen, liebhaberischen Umgang mit
der Tradition und für die Originalität, die sich aus diesen
Umfunktionalisierungen und Transpositionen von Argumen-
ten ergibt.

160 Vgl. Aristoteles, Physik, II, 3.


161 Conv., III, xi, 13-14.
LXIV Francis Cheneval

Nach den Erörterungen des Namens Philosophie und der


Bestimmung des wahren Philosophen beginnt Dante mit sei-
nem eigentlichen Lob, das er in ein allgemeines (III, xii-xiii)
und ein besonderes aufteilt (III, xiv-xv). Welch überaus hohes
philosophisches Ideal Dante bei seinen Betrachtungen leitet,
wird gleich zu Beginn des allgemeinen Lobes deutlich, wo der
Florentiner die Philosophie in ihrer vollkommensten Seinswei-
se als Erkenntnis Gottes bezeichnet. Die Philosophie ist in
höchstem Maße in Gott, der die Dinge in sich selbst als deren
Ursache erkennt, und der die höchste Weisheit, die höchste
Liebe und reiner Akt ist162 • Die Philosophie ist scientia dei, die
Gott eigene Erkenntnis, und sie entspricht der im zweiten Buch
in das Empyreum hinweggbeförderten Theologie 163 •
Daß Dante nicht zu Klerikern spricht, wird in seinen weite-
ren Ausschmückungen dieses Gedankens klar, denn er meint,
daß Gott nie etwas „so Höfliches" 164 sieht, wie wenn er, sich
selbst betrachtend, die Ursache der Dinge wahrnimmt. Dieser
Sprachgebrauch entspricht nicht demjenigen der Universität
und der Ordensschulen und deutet auf das höfische Milieu der
Adressaten.
Dante belegt eine der neuplatonischen Tradition entstam-
mende Konzeption der Gott eigenen Erkenntnis als Erkenntnis
der Dinge in ihm selbst, insofern er deren Ursache ist165 , mit
162 Conv., III, xii, 11-12.
163 Conv., II, xiv, 19.
164 .gentil cosa ... cosa alcuna tanto gentile." (Conv., III, xii, 11.14).

165 Als einer der Schlüsselstellen zur Situierung der diesbezüglichen Aus-

sagen Dantes gilt in der Forschung Dionysius, De div. nornin., VII, 2, 315-
317: "divina rnens ornnia continet, ab ornnibus segregata cognitione, secund-
urn ornniurn causarn, in seipso ornniurn scientiarn praeaccipiens. Ante- quarn
Angeli fieren!, sciens et producens Angelos et cuncta alia, intus et ab ipso, ut
ita dicarn, principio sciens et ad substantiarn agens. Et hoc arbitror tradere
eloquiurn, cum dicit: «Qui seit ornnia antequarn fiant ipsa •. Non enirn ex
existentibus existentia discens novit divina mens, sed ex seipsa et in seipsa,
secundurn causarn ornniurn scientiarn et cognitionern et substantiarn preaeha-
bet et praeaccipit, non secundurn visionern singulis se irnrnitens, sed secund-
urn unarn causarn continentiarn, ornnia sciens et continens; sicut et lurnen
Einleitung LXV

der Bezeichnung 'Philosophie' 166 und kommt zu einem dreistu-


figen, im Grade der Vollkommenheit hierarchisch absteigen-
den Modell, das die Philosophie in Gott, den Intelligenzen und
den Menschen auffindet, wobei sie auf den beiden unteren
Stufen nur auf sekundäre Weise existiert, gewissermaßen wie
"eine Buhlin, von der kein Liebhaber vollkommene Lust emp-

secundum causam per semetipsum, tenebrarum praeaccipit visionem, non


aliunde videns tenebras quam a lumine. lgitur seipsam divina Sapientia co-
gnoscens cognoscit omnia." Das Erkennen Gottes aller Dinge durch eine ihm
und nur ihm zukommende Erkenntnisweise als eidetische Ursache aller Din-
ge wurde im Mittelalter breit rezipiert und konnte zum Beispiel auch in der
Summa theologiae des Thomas von Aquino nachgelesen werden. Vgl. Sum-
ma theol., 1, 14, 6: .cum essentia Dei habeat in se quidquid perfectionis habet
essentia cuiuscumque rei alterius, et adhuc amplius, Deus in seipso potest
omnia propria cognitione cognoscere." Summa theol., 1, 14, 8: .Manifestum
est autem quod Deus per intellectum suum causat res, cum suum esse sit suum
intelligere. Unde necesse est quod sua scientia sit causa rerum." Summa
theol., 1, 15, 2: .Sie igitur oportet quod in mente divina sint propriae rationes
omnium rerum." Vgl. auch die in n. 166 zitierten Texte des Thomas.
166 Das Überraschende dieser Passage liegt weniger in der Lehre selbst, als

in der Terminologie. Was Dante als Philosophie bezeichnet, wird sonst mei-
stens scientia und in der Anwendung auf Gott scientia dei oder scientia divina
genannt. Vgl. Liber de causis, Pr. 88: .Et scientia quidem divina non est sicut
scientia intellectibilis neque sicut scientia animalis, immo est supra scientiam
intelligentiae et scientiam animae, quoniam est creans scientias." Thomas
zum Beispiel nennt die von Dante als vollkommene Philosophie bezeichnete
Erkenntnis Gottes nicht philosophia, sondern scientia dei: Summa theologiae,
1, 14, 1: .Respondeo dicendum quod in Deo perfectissime est scientia." Vgl.
Summa theol. 1, 14, 5: .Manifestum est enim quod seipsum [deus] perfecte
intelligit: alioquin suum esse non esset perfectum, cum suum esse sit suum
intelligere ... Unde quicumque effectus praeexistunt in Deo sicut in causa
prima, necesse est quod sint in ipso eius intelligere, et quod omnia in eo sint
secundum modum intelligibilem . . . Ad sciendum autem qualiter alia a se
cognoscat, considerandum est quod dupliciter aliquid cognoscitur: uno modo,
in seipso, alio modo in altere ... Sie igitur dicendum est quod Deus seipsum
videt in seipso, quia seipsum videt per essentiam suam. Alia autem a se videt
non in ipsis, sed in seipso inquantum essentia sua continet similitudinem
aliorum ab ipso." Vgl. dagegen Siger von Brabant, der 'scientia divina' und
'philosophia' univok verwendet (Quaestiones in Metaph., IV, 6; Dunphy,
183): • Ulterius intelligendum quod in scientia divina seu philosophia tria
considerantur ... " Die Einteilung der Wissenschaft in scientia divina und
LXVI Francis Cheneval

fängt" 167 . Diese eher deftige und in bezug auf den Neuplatonis-
mus sehr ungewohnte Veranschaulichung Dantes macht seinen
Versuch deutlich, einem die schwere Kost der Emanations-
theorie nicht gewohnten Publikum die Philosophie näher zu
bringen.
Trotz des zweitrangigen Status der menschlichen Philoso-
phie im Vergleich zur göttlichen will Dante abernunjene loben
und ihr den Hauptteil seiner weiteren Gedankengänge wid-
men168. Dieses allgemeine Lob der menschlichen Philosophie
strukturiert Dante nach drei Punkten. Erstens nach einer Un-
terscheidung im menschlichen Geschlecht, aus dem nur die zur
Philosophie gelangen, die nach der Vernunft leben169 , zwei-
tens nach der andauernden170 und drittens nach der unterbro-
chenen Zeit 171 • Während die himmlischen Intelligenzen die
Frau ständig betrachten, muß der Mensch für seine Selbster-
haltung sorgen und von der intellektuellen Schau ablassen.
Diese Bemerkung ist wichtig, denn es ist nicht ein ontologi-
scher Mangel des Erkenntnisvermögens, der dem Menschen
die intellektuelle Schau verunmöglicht, sondern nur eine vor-
übergehende, wenn auch notwendige Ablenkung durch physi-
sche Bedürfnisse 172 • In der Zeit, in der sich der Mensch nicht

scientia humana war sehr verbreitet. Vgl. Dominicus Gundissalinus, De divi-


sione philosophiae, Pro!.: .Divina scientia dicitur, que Deo auctore homini-
bus tradita esse cognoscitur, ut vetus testamentum et novum . . . Humana vero
scientia appellatur, que humanis rationibus adinventa esse probatur ut omnes
artes liberales sunt." Vgl. Remigio dei Girolami, Divisio scientiae, 2; 83:
.Circa prirnam scientiam, idest divinam, considerandum est quod dupliciter
accipi potest. Uno modo dicitur scientia divina scientia que est in Deo, que
quidem est idem quod ipse Deus ... Secundo modo dicitur scientia divina illa
que est immediate a Deo. Dixi •immediate• quia, mediate accipiendo, etiam-
omnis scientia humana est a Deo."
167 Conv., III, xii, 13.

163 Conv., III, xiii, 3.


169 Conv., III, xiii, 4.

17 0 Conv., III, xiii, 5-6.

171 Conv., III, xiii, 7-8.

172 Conv., III, xiii, 5-6.


Einleitung LXVII

im Zustand der intellektuellen Schau befindet, ist seine Seele


nur dem Vermögen nach und nicht wirklich im Stande der
Philosophie, es sei denn er lebe ganz nach den Sinnen und sei
von der Philosophie ohnehin völlig getrennt. Bei diesen Aus-
führungen wird deutlich, daß Dante ein hohes philosophisches
Ideal vertritt, das sich subtil von demjenigen eines Thomas von
Aquino distanziert, denn Dante sieht den wesentlichen Unter-
schied zwischen der Philosophie in Gott und den Intelligenzen
einerseits und dem Menschen andererseits zunächst nicht in
einem ontologischen Defizit des erkenntnistheoretischen Ver-
mögens, sondern in der Zeitdauer, in der der Mensch zur
Schau gelangen kann. Während Gott und die Intelligenzen
andauernd im Stande der Philosophie sind, ist es der Mensch
nur unterbrochen. Durch das Zürückbindenjeglicher mensch-
licher Erkenntnis an die Sinne, auch der Erkenntnis der speku-
lativen Wissenschaften, bleiben bei Thomas die Menschen in
jenem Stand, den Dante das Leben nach den Sinnen nennt und
von dem er die Philosophie ausschließt173 • In diesem Leben
können die Menschen diesen Zustand laut Thomas nicht ver-
lassen. Der ontologische und qualitative Unterschied zwischen
den verschiedenen Seinsweisen der Philosophie ist bei Dante
durchaus vorhanden, betrifft aber zunächst nur den grundsätz-
lichen Unterschied in der Erkenntnisweise Gottes, den Intelli-
genzen und der Menschen. Das aristotelische Ideal Dantes
sieht das Ziel der Philosophie im "wahren Glück, das man
durch die Schau der Wahrheit erlangt" 174 • Was den Menschen

173 Vgl. verschiedene Passgen in der Summa theol., 1-11, 3, 6: "Perfecta

igitur beatitudo in consideratione scientiarum speculativarum essentialiter


non potest. Ad cuius evidentiam, considerandum est quod consideratio spe-
culativae scientiae non se extendit ultra virtutem principiorum illius scien-
tiae: quia in principiis scientiae virtualiter tota scientia continetur. Prima
aulem principia scientiarum speculativarum sunt per sensum accepta ... Unde
tota consideratio scientiarum speculativarum non polest ultra extendi quam
sensibilium cognitio ducere polest. In cognitione autem sensibilium non po-
lest consistere ultima hominis beatitudo, quae est ultima eius perfectio."
174 Conv., III, xi, 14.
LXVIII Francis Cheneval

von dieser Schau abhält, ist bei Dante in den hier besprochenen
Passagen nicht ein grundsätzlicher und unüberwindbarer Man-
gel im Erkenntnisvermögen, sondern entweder das unvernünf-
tige Festhalten an der Sinnlichkeit oder die zeitweilige Sorge
um die physische Selbtserhaltung und die gesellschaftliche
Organisation der Menschen.
Aus historischer Perspektive kann einstweilen bemerkt wer-
den, daß Dante in den hier besprochenen Passagen unter dem
Einfluß einer Tradition steht, die sich von der thomistischen
unterscheidet und derjenigen der Aristoteliker der Artistenfa-
kultäten nahekommt. Die Freundschaft als Paradigma der Phi-
losophie läßt Dante letztere als Relation verstehen, als Vermö-
gen, das vom seinem die Freundschaft (die Philosophie) in
vollkommenem Maße besitzenden "Freund" (Gott) mit Liebe
genährt wird. Diese Betonung des Eros bringt Dante zu einem
platonisierenden Philosophieverständnis, das sich in dieser
Beziehung auch von den aristotelischen Idealen der rein intel-
lektuellen Glückseligkeit unterscheidet175 •
Nach dem allgemeinen Lob in den Kapiteln xii und xiii
kommt Dante in xiv und xv zum besonderen Lob der Philoso-
phie, die er nach ihrem formellen und materiellen Subjekt in
Liebe (Kapitel xiv) und Weisheit (Kapitel xv) unterteilt. Erst
beide Elemente zusammen ergeben die glücksbringende Schau
der Philosophie 176 • Dante bleibt auch hier seinem neuplatoni-
schen Ansatz treu und setzt in der Erörterung der Liebe als
Form der Philosophie bei Gott an, von dem sie ausströmt und
herabsteigt, um die sie assimilierenden Intelligenzen und Men-
175 Vgl. Conv., III, xiii, 9: .Ich sage also: •Ihr [Philosophie] Sein gefällt

dem, der sie gibt, sehr», von dem sie, wie aus einer ersten Quelle, hervor-
geht, •der in sie beständig seine Kraft eingießt, über das Vermögen unserer
Natur hinaus• die er schön und kräftig macht. Obschon man ein Stück weit
zu ihrem Habitus gelangt, gelangt dennoch niemand derart dazu, daß man
wirklich von einem Habitus sprechen kann; „. Und wegen dieser Unange-
messenheit sagt man, daß die Seele der Philosophie •ihn in jenem, den sie
führt» zeigt, d.h. daß Gott immer von seinem Licht in sie hineingibt."
176 Conv., III, xiv, 1.
Einleitung LXIX

sehen zu seiner Ähnlichkeit zu führen. Eine ähnlich neuplato-


nische Denkfigur wendet Thomas von Aquino in der Summa
contra gentiles an, um das Herabsteigen der göttlichen Weis-
heit zum Menschen und dessen Teilhabe daran darzulegen177 •
Dante stellt aber eine eigentümliche Verbindung her zwischen
dem von der Offenbarungstheologie Abstand nehmenden phi-
losophischen Ideal der Artisten und der christlichen Lehre der
göttlichen sapientia, die er Philosophie nennt und unter Aus-
blendung der christlichen Offenbarung auf die Ahnherren der
Philosophie anwendet. Die Artisten versuchten ihren Aristote-
les von der christlichen Vereinnahmung abzuschotten, Dante
unternimmt hier etwas Ähnliches in bezug auf den Neuplato-
nismus. Die göttliche Philosophie zeigt sich in der Vorstellung
Dantes unabhängig von aller christlichen Offenbarung in den
hervorragendsten Philosophen, in Demokrit, Platon, Aristote-
les, Zenon, Sokrates, Seneca und vielen mehr178 • Die Philoso-
phie als von Gott ausströmende und zu Gott zurückstrebende
Wissenschaft besteht da, wo sie durch günstige Umstände im
Akt ist, im Herabsteigen eines himmlischen Gedankens, und

177 Summa c. gent., IV, 21: "quantum ad effectus quos proprie in natura

rationali facit, ex hoc quod divinae perfectioni utcumque assimilamur, huius-


modi perfectio a Deo nobis dari dicitur; sicut sapientia a Deo nobis donatur,
secundum quod divinae sapientiae utcumque assimilamur."
178 Vgl. Conv., III, xiv, 8: "Deswegen zeigen die hervorragensten Philo-

sophen sie offen in i!Jren Handlungen, durch welche wir wissen, daß sie sich
entschieden haben, sich nicht um all die anderen Dinge außerhalb der Weis-
heit zu kümmern. Deswegen schnitt Demokrit, der sich nicht um seine Per-
son kümmerte, weder seinen Bart, noch seine Haare und Fingernägel; Pla-
ton, der sich nicht um die zeitlichen Güter kümmerte, entschloß sich, die
königliche Würde nicht zu beachten, obwohl der ein Königssohn war; Ari-
stoteles, der sich nicht um andere Freunde kümmerte, kämpfte gegen sei-
nen, neben der Wissenschaft besten Freund, nämlich gegen den besagten
Platon. Und wieso sollen wir nun von diesen sprechen, wenn wir doch auch
andere finden, die aufgrund dieser Gedanken i!Jr Leben verachten, wie etwa
Zenon, Sokrates, Seneca und viele andere? Und daraus ist offenkundig, daß
die göttliche Kraft, wie zu den Engeln, in dieser Liebe zu den Menschen
herabsteigt."
LXX Francis Cheneval

sie ist mehr als eine menschliche Angelegenheit179 • Dantes


Zurückführung des Neuplatonismus auf seine vorchristlichen
und rein philosophischen Wurzeln und sein Bruch mit dem
christlichen sapientia-Monopol wird auch da deutlich, wo er
vom Glauben spricht, denn die Philosophie, so meint er, führt
den Menschen zu jenem höheren Intellekt, in dessen Vermö-
gen die Wunder als vernünftig erscheinen können. Der aus
diesem philosophischen Aufstieg entstehende „Glaube" kann
kaum mit dem christlichen zusammenfallen. Die Tugenden,
deren der Mensch durch die Philosophie teilhaftig wird, Glau-
be, Barmherzigkeit, Hoffnung, und die Liebe als Form der
Philosophie, sind für den mittelalterlichen Zuhörer theologi-
sche Tugenden, die den Menschen zur Glückseligkeit im näch-
sten Leben führen. Dante entblößt jedoch diese Lehre ihrer
christlichen Einbettung, denn „durch diese drei Tugenden
steigt man zum Philosophieren in jenes himmlische Athen hin-
auf, wo die Stoiker, die Peripatetiker und die Epikuräer auf-
grund des Lichtes der ewigen Wahrheit in einem einzigen
Wollen harmonisch zusammenwirken" 180 • Dante will mit sei-
nem an die neuplatonische Weisheitslehre anknüpfenden Phi-
losophieverständnis keineswegs den christlichen Weisen aus
der Philosophie ausschließen, zu zahlreich sind seine positiven
Bezugnahmen auf seine eigene religiöse Tradition, aber er
postuliert eine Lehre, in der das Christentum nur noch eine
Weiterführung einer bereits in vorchristlicher Zeit entworfe-
nen und unabhängig von der christlichen Offenbarung und
kirchlichen Führung erreichten Weisheit ist, die übergreifend
als Philosophie bezeichnet wird. Die traditionellerweise von
der christlichen Theologie besetzten Tugenden Glaube, Barm-
herzigkeit und Hoffnung sind Teil eines philosophischen Iti-
nerars zum himmlischen Athen.
179 Conv., III, xiv, 11: "wo die Philosophie im Akt ist, steigt ein himmli-

scher Gedanke herab, worin man erkennt, daß dies mehr ist als eine mensch-
liche Handlung."
18°Conv., III, xiv, 15.
Einleitung LXXI

Das von christlicher und schul theologischer Vereinnahmung


Abstand nehmende Philosophieverständnis Dante Alighieris
kommt auch in Kapitel xv zu Ausdruck, das die Weisheit als
Materialursache der Philosophie lobt und sich an die oben
dargelegten Gedanken anschließt. Dante greift erneut auf die
Allegorisierung der Philosophie als Frau zurück und nennt die
Augen der Frau die Beweise der Philosophie (demonstrazioni)
und das Lächeln ihre Überzeugungen (persuasioni). Dante
haucht mit dieser Veranschaulichung einem Teil der in der
aristotelischen Logik gebräuchlichen Unterteilung zwischen
verschiedenen Stufen des Vernunftgebrauchs und der daraus
folgenden Gewißheit Leben ein. Die Notwendigkeit strenger
Beweise, deren Darlegung das Unternehmen der zweiten Ana-
lytik des Aristoteles darstellt, führt zu höchster Gewißheit181 •
Die durch strenge Wissenschaft erlangten Beweise der Philo-
sophie setzt Dante mit dem Auge der von ihm besungenen Frau
gleich und variiert so die in der Philosophiegeschichte beinahe
allgegenwärtige Metapher des Wissens als Sehen auf seine
Weise 182 • Von den Beweisen unterscheiden sich gemäß der
aristotelischen Wissenschaftstheorie alle jene Akte der Ver-
nunft, bei denen Wissen nicht aus notwendigen Prinzipien,
sondern nur aus wahrscheinlichen Sätzen erschlossen wird 183 •
Es entsteht durch sie ein Wissen, das sich von der Gewißheit
graduell entfernt und dem nur eine beschränkte Zahl von Men-
schen verschiedenen Weisheitsgrades zustimmen. Diese Art

m Vgl. etwa Thomas von Aquino, In anal. post, Prolog; 6: .Certitudo


autem iudicii que per resolutionem habetur est vel ex ipsa forma sillogismi
tantum, et ad hoc ordinatur liber Priorum analeticorum, qui est de sillogismo
simpliciter, vel etiam cum hoc ex materia, quia sumuntur propositiones per
se et necessarie, et ad hoc ordinatur liber Posteriorum analeticorum, qui est
de sillogismo demonstrativo."
182 Vgl. K. Tachau, Vision andcertitude in the age of Ockham; G. Schleu-

sener-Eicholz, Das Auge im Mittelalter, 931-1075; D. C. Lindberg, Auge


und Licht im Mittelalter.
183 Vgl. Aristoteles, Topik, I, 1: IOOa18-IOlal.
LXXII Francis Cheneval

des Schließens nannte Aristoteles dialektisch, und er behan-


delte sie in seiner Topik. Wer eine entsprechende Position
vertritt, kann nicht auf den unbezweifelbaren Beweis zurück-
greifen, sondern muß sich der Überzeugungskraft bedienen.
Daraus ergibt sich ein persuasiver Diskurs, dessen Untersu-
chung laut Aristoteles der der Topik entsprechenden Rhetorik
obliegt 184 •
Mit den Augen der Beweise und dem Lächeln der Überzeu-
gungen hat Dante die beiden gemäß Aristoteles und seinen
Anhängern grundsätzlichen Arten menschlichen Wissens er-
faßt. Wie hoch Dante dieses Wissen einschätzt, wird deutlich,
wenn er meint, daß der Mensch in ihr "die Freude der Glück-
seligkeit, die das höchste Gut im Paradies ist", fühlt 185 • Ob-
schon Dante auf den Zustand des Menschen „hier unten" zu
sprechen kommt, so nennt er doch die Habe der Beweise und
der Überzeugungen der Dame Philosophie „das Seligsein" 186
und die „menschliche Vollkommenheit, d.h. die Vollkom-
menheit der Vernunft" 187 • Daß Dante diese Ausführungen be-
wußt gegen die von Thomas von Aquino vertretene Glückse-

184 Vgl. Aristoteles, Rhetorik, 1, 1: 1354al-IO. Die Gegenüberstellung

zwischen demonstratio und persuasio und die Zuteilung der persuasio an die
Rhetorik findet sich auch bei Thomas von Aquino, Summa theol., !-II, 105,
2, ad 8: .in negotiis humanis non potest haberi probatio demonstrativa et
infallibilis, sed sufficit aliqua coniecturalis probabilitas, secundum quam rhe-
tor persuadet." An anderer Stelle erläutert Thomas, daß die beweisende
Wissenschaft die menschliche Vernunft durch die den Dingen an sich zukom-
menden Eigenschaften zum Zustimmen bringt, wogegen die Rhetorik und
Poetik die Zustimmung durch eine zusätzlich Affektion der Zuhörer errei-
chen wollen: .sola enunciativa oratio est presentis considerationis. Cuius
ratio est quia consideratio huius libri directe ordinatur ad scienciam demon-
strativam, in qua animus hominis per rationem inducitur ad assentiendum,
(„ .) set rethor et poeta inducunt ad assentiendum ei quod intendunt, non
solum per ea que sunt propria rei, set etiam per dispositiones audientis."
185 Conv., III, xv, 2.

186 Conv., III, xv, 3.

187 Conv., III, xv, 4.


Einleitung LXXIII

ligkeitslehre formuliert, wird in den sich nun anschließenden


Gedankengängen klar, denn er bemerkt zunächst in gut thomi-
stischer Weise, daß der Intellekt des Menschen Gott, die
Ewigkeit und die erste Materie nicht erkennen kann und nur
nachvollziehen kann, daß sie sind, nicht aber was sie sind188 •
Thomas von Aquino hat daraus den Schluß gezogen, daß die
natürliche Erkenntnis ohne Einwirken der göttlichen Gnade
und überhaupt in diesem Leben hinter der vervollkommnen-
den und seligmachenden Schau zurückbleibt, da der Mensch
von Gott nur erkennt, daß er ist, zur vollkommenen Erkenntnis
und zur Glückseligkeit aber die in diesem Leben unmögliche
Erkenntnis des göttlichen Wesens (was er ist) notwendig
wäre 189 • Genau diese auf Thomas von Aquino zurückgehende

188 Conv., III, xv, 6: „ Wo zu wissen ist, daß diese Dinge auf eine gewisse

Art den Intellekt blenden, insofern sie bestätigen, daß es bestimmte Dinge
gibt, die unser Intellekt nicht sehen kann, nämlich Gott, die Ewigkeit und die
erste Materie; die ganz sicher gesehen werden und mit allem Glauben wird
geglaubt, daß sie sind, aber was sie sind, können wir nicht begreifen." Vgl.
Thomas von Aquino, Summa theol., I, 2, 1: „Sed quia nos non scimus de
Deo quid est, non est nobis per se nota: sed indiget demonstrari per ea quae
sunt magis nota quoad nos, et minus nota quoad naturam, scilicet effectus."
Summa theol., I, 12, 12: „Sed quia sunt eius effectus a causa dependentes,
ex eis in hoc perduci possumus, ut congnoscamus de Deo an est."
189 Summa theol., I-11, 4, 8: „Respondeo dicendum quod ultima et perfecta

beatitudo non potest esse nisi in visione divinae essentiae. Ad cuius evident-
iam, duo consideranda sunt. Primo quidem, quod homo non est perfecte
beatus, quandiu restat sibi aliquid desiderandum et quaerendum. Secundum
est, quod uniuscuiusque potentiae perfectio attenditur secundum rationem sui
obiecti. Obiectum autem intellectus est quod quid est, idest essentia rei, ut
dicitur in III de Anima. Unde intantum procedit perfectio intellectus, inquan-
tum cognoscit essentiam alicuius rei. Si ergo intellectus aliquis cognoscat
essentiam alicuius effectus, per quam non possit cognosci essentia causae, ut
scilicet sciatur de causa quid est; non dicitur intellectus attingere ad causam
simpliciter, quamvis per effectum cognoscere possit de causa an sit. Et ideo
remanet naturaliter homini desiderium, cum cognoscit effectum, et seit eum
habere causam, ut etiam sciat de causa quid est. Et illud desiderium est
admirationis, et causat inquisitionem, ut dicitur in principio Metaphysicae.
( ... ) Nec ista inquisitio quiescit quousque perveniat ad cognoscendum essen-
LXXIV Francis Cheneval

Lehre führt Dante als Einwand gegen seine Seligpreisung der


Philosophie an, um sie mit einem naturalistischen Argument
zu widerlegen: der natürliche Wunsch entspricht dem Vermö-
gen des Wünschenden, ansonsten es sich selbst zuwiderlaufen
würde und die Natur also etwas vergeblich geschaffen hätte 190 •
C. Vasoli hat auf die Stelle im Ethikkommentar des Thomas
von Aquino hingewiesen, wo der Dominikaner den Gedanken-
gängen des Aristoteles folgend das Argument des natürlichen,
und deshalb niemals vergeblichen Wunsches nach einem höch-
sten Gut als Beweis für dessen Existenz einführt 191 • Siger von
Brabant hat unter Berufung auf Averroes in seinen Quaestio-
nes in Metaphysicam auf den Widerspruch hingewiesen, der
bestehen würde zwischen dem natürlichem Wunsch nach Wis-

tiam causae. Si igitur intellectus humanus, cognoscens essentiam alicuius


effectus creati, non cognoscat de Deo nisi an est; nondum perfectio eius
attingit simpliciter ad causam primam, sed remanet ei adhuc naturale deside-
rium inquirendi causam. Unde nondum est perfecte beatus. Ad perfectam
igitur beatitudinem requiritur quod intellectus pertingat ad ipsam essentiam
primae causae."
190 Conv., III, xv, 6-7: „Tatsächlich können manche hier zweifeln, wie dies

sich verhalte, daß die Weisheit den Menschen glückselig machen kann, wo
sie doch dem Menschen gewisse Dinge nicht vollkommen zeigen kann; zu-
dem ist es von Natur aus der Wunsch des Menschen zu wissen und ohne die
Efrüllung dieses Wunsches kann er nicht glückselig sein. Darauf kann man
deutlich antworten, daß der natürliche Wunsch injedem Ding dem wünschen-
den Ding entsprechend bemessen ist: ansonsten würde es sich selbst zuwider-
laufen, was unmöglich ist; und die Natur hätte ihn vegeblich geschaffen, was
ebenfalls unmöglich ist."
191 C. Vasoli, Opere Minori, I, 2; 472. Die Stelle bei Thomas, Sent. Eth.,

I, 2; 8: „Sed frustra et vane aliquis desiderat id quod non polest assequi; ergo
desiderium finis esset frustra et vanum; sed hoc desiderium est naturale,
dictum enim est supra quod bonum est quod naturaliter omnia desiderant;
ergo sequetur quod naturale desiderium sit inane et vacuum; sed hoc est
impossibile, quia naturale desiderium nihil aliud est quam inclinatio inhae-
rens rebus ex ordinatione primi moventis, quae non potest esse supervacua.
( ... ) Et sie necesse est esse aliquem ultimum finem, propter quem omnia alia
desiderantur et ipse non desideratur propter alia. Et ita necesse est esse
aliquem optimum finem rerum humanarum."
Einleitung LXXV

sen und einem natürlichen Unvermögen, dieses zu errei-


chen192.
Boethius von Dacien hat diese Überlegung in Bezug auf die
Kenntnis Gottes und die Glückseligkeit auf den Punkt gebracht
und die selbstbewußte Schlußfolgerung präsentiert, daß die
Philosophierenden das ewige, unveränderliche und vollkom-
mene Wesen der ersten Ursache erkennen könnten und deshalb
zur Glückseligkeit gelangten193 . Johannes von Jandun hat die-
ses Argument in seinen Quaestionen zur Metaphysik des Ari-
stoteles an mehreren Stellen weiter ausgeführt und festgestellt,
daß das natürliche Vermögen und der natürliche Wunsch nach

192 .Dicitur quod habemus naturale desiderium ad sciendum. Hoc enim

dicimus naturaliter appetere quod ex aptitudine naturae suae tendit in illud.


Et hoc apparet secundum Commentatorem versus finem 1 Physicorum. ( ... )
Secundum autem istum modum in nobis est appetitus naturalis ad sciendum,
quia ex natura intellectus nostri habemus aptitudinem et potentiam ad scien-
dum. Consequenter quaeritur circa aliam praemissam Commentatoris, sci-
Iicet utrum naturale desiderium possit esse otiosum. Et quod sie videtur.
Frustra enim est quod natum est includere aliquem finem et non includit
illum ... Oppositum accipit hie Commentator; et Aristoteles 1 Caeli et mundi
dicit quod Deus et natura nihil faciunt frustra." (Siger von Brabant, Quae-
stiones in Metaph., 11-111; ed. Maurer 41-42).
193 .numquam enim satiatur appetitus sciendi, donec sciatur ens increatum.

Quaestio enim de intellectu divino est naturaliter sciri desiderata ab omnibus


hominibus, ut dicit Commentator. Desiderium enim cuiuslibet scibilis est
aliquod desiderium primi scibilis, cuius probatio est quod quanto entia magis
appropinquant primo scibili, tanto magis illa scire desideramus, et tanto ma-
gis in speculatione eorum delectamur. Ideo philosophus speculando entia
causata, quae sunt in mundo, et naturas eorum et ordinem eorum ad invicem
inducitur in speculationem altissimarum causarum rerum, quia cognitio ef-
fectuum est quaedam manductio in cognitionem suae causae; et cognoscens
causas superiores et naturas earum esse tales, quod necesse est eas habere
aliam causam, inducitur in cognitionem primae causae ... Considerans etiam
quod necesse est hanc causam esse aeternam et incommutabilem, semper uno
modo se habentem ... et si aliquod est ens perfectissimum in mundo, dignum
est quod hoc sit prima causa ... haec prima causa est causa productionis
entium .. ~hoc est ens primum secundum philosophos et secundum sanctos
deus benedictus." (Boethius von Dacien, De summo bono; 375f.).
LXXVI Francis Cheneval

Gotteserkenntnis einander entsprechen müssen und daß dem


Menschen auch in diesem Leben das Erreichen der Glückselig-
keit durch die Erkenntnis des göttlichen Wesens möglich ist194 •
Auch der Bologneser Magister Jacobus von Pistoia vertrat in
der Dantes Freund Guido Cavalcanti gewidmeten Quaestio de
felicitate die Meinung, die Glückseligkeit des Menschen beste-
he in der Erkenntnis Gottes 195 •
Dantes Glückseligkeitskonzeption sowie seine Anwendung
des Arguments, wonach in Bezug auf die Glückseligkeit eine
194 "unusquisque homo appetit, ad quod aptus natus est, quia appetitus non

est ad impossibile, quia Commentator dicit 2° huius, desiderium naturale non


est ociosum ... Illam scientiam omnes homines appetunt quae maxime satiat
appetitum, et haec est vera, quia sicut se habet materia ad formam, sie
intellectus possibilis ad scientiam, quia Commentator dicit 3. de anima quan-
do Aristoteles intellectum possibilem invenit, novum genus materiae adin-
venti, quia unumquodque appetit illud quod satiat appetitum, sed scientia
maxime scibilis maxime satiat appetitum ut scientia Dei, quia est vera ratio
cognoscendi et est verum obiectum." (Johannes von Jandun, Quaestiones in
Metaph., I, 5, fol. Sva). Jandun wendet in der Folge dieses Prinzip konse-
quent auf die Erke1U1tnis der substantiae separatae und auf die Erkenntnis
Gottes an, die als möglich bewiesen werden. Der Mensch kann deshalb phi-
losophierend die Glückseligkeit in diesem Leben erreichen: "probat Com-
mentator, si esset impossibile intellectum nostrum intelligere substantias se-
paratas, tune natura egisset aliquid ociose, sed hoc est falsum." (lbidem, II,
4, fol. 22vb-23ra). "ltem, alia ratio redit in idem, omnes homines naturaliter
scire desiderant, et desiderant maxime scire maxime scibile, quia sicut se
habet simpliciter ad simpliciter, ita magis ad magis, et maxime ad maxime,
sed principia abstracta sunt maxime scibilia et praecipue Deus, quia nobilis-
sima est substantia, et si nunquam appraehenditur per intellectum, tune esset
illa potentia ociosa ... Sed forte dices quod non est possibile habere cognitio-
nem in hac vita, sed in futura. Istud non dicerent philosophi, quia unio for-
mae ad materiam est naturalis et per consequens non debet impedire eum a
nobilissima sua operatione in qua consistit humana foelicitas ... Item, illud
est possibile homini quo consistit summa foelicitas eius, vel quid est ipsamet
foelicitas, quia foelicitas est possibilis homini, quia aliter non appeteret fi-
nem operabilium et ageret propter eum, quia non posset facere bonum, sed in
cognitione separatorum et praecipue Dei consistit summa foelicitas hominis,
vel est ipsamet foelicitas." (lbidem, II, 4, fol. 24va).
19' "felicitas nihil aliud est quam continue sicut possibile est homini intelli-

gere substantias separatas et precipue ipsum Deum." (Jacobus von Pistoia,


Quaestio de felicitate; 452).
Einleitung LXXVII

Entsprechung zwischen natürlichem Wunsch und natürlichem


Vermögen bestehen müsse, steht zwischen Thomas von Aqui-
no und den Artisten. Ein einseitiges Beziehen der Aussagen
Dantes auf die eine oder andere Position führt deshalb zu einer
falschen Auslegung seiner Gedankengänge. Dante begründet
seine Meinung der grundsätzlichen Erreichbarkeit der Voll-
kommenheit und Glückseligkeit in der Philosophie mit dem
Argument des desiderium naturale, das sich notwendigerweise
verwirklicht, mit dem Argument der Artisten also 196 • Seine
Position unterscheidet sich aber dennoch von derjenigen der
Artisten. Mit Thomas teilt der Alighieri nämlich die Auffas-
sung, daß Gott nicht erkannt werden kann197 • Er hält sowohl

1116 "Und deswegen ist das menschliche Verlangen in diesem Leben an

jenem Wissen bemessen, das man hier haben kann und diesen Punkt über-
schreitet es nicht, außer es begeht einen Fehler, der außerhalb der Absicht
der Natur liegt." (Conv., III, xv, 9).
197 Vgl. Conv., III, xv, 6, zitiert in n. 187. Der These M. Cortis (Felicitä

mentale, 127), wonach Dante in Conv., III, xv und in IV, xx einander grund-
sätzlich widersprechende Positionen zur Glückseligkeit darlege, kann nicht
überzeugen. M. Corti meint, daß Dante in Buch III eine radikal aristoteli-
sche Position vertrete und in Buch IV, das sie deshalb zeitlich und inhaltlich
von Buch III absetzen will, von der Möglichkeit einer menschlichen Philoso-
phie Abstand genommen habe. Nur wenn die eindeutigen Passagen in Buch
III überlesen werden, an denen Dante ausdrücklich festhält, daß er von der
Philosophie "hier unten" (III, XV. 3) spricht, für die es wDinge gibt, die
unser Intellekt nicht sehen kann" (III, xv, 6), und "daß es unserer Natur
nicht möglich ist, Gott zu kennen" (III, xv, 10), kann eine solche Position
gerechtfertigt erscheinen. Die Stellen in Buch IV, auf die Corti hinweist,
führen zu einer ähnlichen Position wie das Kapitel xv in Buch III. Dante hält
fest, daß die theoretische Philosophie insofern sie Gott nicht schauen kann,
in diesem Leben nicht zur Vollendung kommen kann (IV, xxii, 13). Dies ist
kein Widerspruch zu Dantes Haltung in III, xv, 9, die besagt, daß die Philo-
sophie eine Kenntnis Gottes pro statu isto auch nicht erstrebt, es sei denn
gegen die Absicht der Natur. Das Mißverständnis, daß beim Vergleich der
besagten Stellen in Buch III und IV entstehen kann, ist auf eine gewisse
Unschärfe im Umgang mit dem Begriff der Glückseligkeit zurückzuführen,
die Dante erst in der Monarchia (III, xv) durch die klare Benennung von
zwei verschiedenen beatitudines aufheben wird. Dante macht jedoch diese
Unterscheidung schon in Conv., IV, xxii, 18 mit anderer Terminologie.
LXXVIII Francis Cheneval

Thomas wie auch den Artisten entgegen, daß Gott in seinem


Wesen zu kennen, nicht ein natürlicher Wunsch ist und außer-
halb der Absicht der Natur liegt. Folglich besteht von Natur aus
auch keine Diskrepanz zwischen Wunsch und Erfüllung in der
Gotteserkenntnis 198 • Angesichts dieser originellen philosophi-
schen Glückseligkeitslehre Dantes greift jede Rückführung auf
Thomas von Aquino oder auf sich ihm entgegenstellende Po-
sitionen von Vertretern der Artistenfakultäten zu kurz. Im Ver-
gleich zu den aristotelischen Hardlinern hat der Alighieri den
übersteigerten Anspruch der Philosophie auf das, was er in der
Monarchia später die beatitudo huius vite nennen wird 199 , her-

"Unsere Glückseligkeit" (nostra beatitudine) erreichen wir durch die morali-


schen Tugenden unvollkommen und durch die intellektuellen vollkommen,
die "höchste Glückseligkeit (somma beatitudine) erreichen wir in diesem
Leben nicht. Im übrigen waren Positionen, die eine Glückseligkeit im näch-
sten Leben als Glaubenswahrheit nicht ausschlossen, auch bei den Artisten
geläufig. Vgl. Boethius von Dacien, De summo bono; 373: .Qui enim per-
fectior est in beatitudine, quam in hac vita homini possibile esse per rationem
scimus, ipse propinquior est beatitudini quam in vita futura perfidem expect-
amus." Eine Spannung zu anderen Stellen des Convivio und auch der Mon-
archia (1, iii, 9) ergibt sich in IV, xxii höchstens durch die eindeutige Beto-
nung des Primats der theoretischen Philosophie.
198 .Deswegen, da es unserer Natur nicht möglich ist, Gott zu kennen und

von bestimmten anderen Dingen zu wissen, was sie sind, verlangen wir von
Natur aus nicht, dies zu wissen. Und damit ist der Zweifel ausgeräumt."
(Conv., III, xv, 10). A. Gagliardi (La tragedia intellettuale di Dante) hält
diese Position für Dantes intellektuelle Tragödie, die das lange Schweigen
zwischen dem philosophischen Versuch Convivio und der vom Glauben ge-
tragenen Gesamtschau der Commedia erkläre. Dem ist entgegenzuhalten,
daß Dante mit dem Hinweis auf die Proportionalität von natürlichem Er-
kenntniswunsch und natürlichem Erkenntnisvermögen und mit der Konzepti-
on, daß die Erkenntnis Gottes nicht Teil des desiderium naturale sei, das
entscheidende Argument zu seiner methodischen Trennung von Philosophie
und Theologie liefert. In der Monarchia kommt dieses Verständnis einer
begrenzten, in sich geschlossenen und somit unabhängigen Philosophie in
der Lehre der zweifachen Glückseligkeit und in der Unterscheidung von
weltlicher und geistlicher Macht ebenso zum Tragen, wie in der Commedia
z.B. in der Führung durch Vergil und Beatrice.
199 Mon. III, xv.
Einleitung LXXIX

abmoduliert und in der individuell sowie kollektiv geglückten


diesseitigen menschlichen Existenz das höchste Ideal der Phi-
losophie gesehen. Im Vergleich zu Thomas hat er dessen aus
aristotelischer Sicht widersprüchliche Verquickung von natür-
lichem Wunsch und übernatürlicher Erfüllung verabschiedet.
Dante versucht, die Glückseligkeitslehre der Philosophie auf
eine originelle Weise zu retten, nämlich dadurch daß er die
weder von den Artisten noch von Thomas von Aquino bedachte
dritte Möglichkeit ausschöpft, wonach der Mensch gar kein
natürliches Verlangen habe, Gott zu kennen200 •
Obschon in dieser naturalistischen Position Dantes die be-
reits von Albert dem Großen propagierte, methodische Tren-
nung zwischen Philosophie und Theologie eine Rolle spielt, hat
der Alighieri durch seine klare Stellungnahme gegen einen
natürlichen Wunsch der Gotteserkenntnis eine Meinung vertre-
ten, die weder von Albert noch von den Artisten in dieser Form
ausgesprochen worden ist und in diesem Sinne die radikalste
Naturalisierung des Glückseligkeitsdiskurses darstellt. Nebst
einer Transformation der Sprache, des Ortes, des Publikums
hat der Alighieri seine Stellung außerhalb der Schulen auch
durch die Darlegung dieser zu den gängigen Lehren querste-
henden, philosophischen Position bewiesen.
Ohne behaupten zu wollen, Dante hätte das bisher in der
Philosophiegeschichte nie erreichte Kunststück der Ausarbei-
tung einer perfekt kohärenten Lehre fertiggebracht, kann unter
Berücksichtigung zahlreicher, andernorts dargelegter Gedan-
kengänge Dantes eine allgemeine Stoßrichtung seiner Philoso-
phie festgestellt werden. Die These der Unerkennbarkeit Got-
tes, der Ewigkeit und der ersten Materie, die damit verbundene
Überwindung der das menschliche Vermögen übersteigenden,
spekulativen Metaphysik der Artisten, die Negation eines na-

200 In Conv., II, viii, 11-12 verwendet Dante das desiderium-naturale-

Argument zum Beweis der Unsterblichkeit der menschlichen Seele. Vgl.


Ricklin, Kommentar zur Stelle (im Druck).
LXXX Francis Cheneval

türlichen Verlangens nach der Erkenntnis Gottes und die darin


implizierte Widerlegung der theologischen Reduktion natürli-
cher Glückseligkeit fügt sich mit der von Dante in Convivio II
ausgeführten Lehre des Primats der praktischen Philosophie
über die Metaphysik und mit der im dritten Buch der Monar-
chia weiter ausdifferenzierten Lehre der duo ultima, der zwei-
fachen Glückseligkeit, zu einer Synthese zusammen, die in der
Tendenz eine einheitliche und in letzter Konsequenz politische
Stoßrichtung erkennen läßt. Die Ablehnung der direkten Ab-
hängigkeit eines natürlichen Wunsches nach Wissen von einem
übernatürlichen, ins Jenseits verschobenen und bis dahin der
Verwaltung der Kirche obliegenden Eingriff Gottes, das Ver-
werfen einer direkten theologischen Reduktion des Glücksbe-
griffs einerseits und die Selbstbeschränkung der Philosophie
durch das Eingeständnis ihrer natürlichen Grenzen in bezug auf
ihr spekulatives Ziel, führen Dante zu einer Valorisierung der
praktischen Philosophie und geben ihm in der Monarchia eine
Handhabe zur der Ausarbeitung seiner Position der Trennung
von Theologie und Politik, von Kirche und Reich.
Die Hinführung der Philosophie auf die von der Theologie
unabhängigen Ethik wird auch aus den Gedankengängen sicht-
bar, die sich an die oben dargelegten Passagen des Convivio
unmittelbar anschließen. Wenn Dante sagt, daß er jetzt von der
"zweiten Glückseligkeit", das heißt von der Vollkommenheit
der Vernunft, zur ersten weitergehen will, zur "Schönheit der
Philosophie", die in der „Sittlichkeit" besteht, so bringt er
auch da sein die praktische Philosophie in den Vordergrund
stellendes Philosophieverständnis zum Ausdruck201 •
Die von ihm eigens artikulierte Selbstbegrenzung der Philo-
sophie und die Feststellung, daß der Mensch Gott nicht kennen
könne, hindern Dante nicht, zum Schluß des dritten Buches
erneut auf Gott und die Philosophie als scientia dei zu sprechen

20 1 Conv., III, xv, 11.


Einleitung LXXXI

zu kommen, ohne daß von ihm weiter ausgeführt wird, wie er


als Mensch denn zu diesem Wissen gelangt ist. „Im höchsten
Lob der Weisheit sage ich schließlich, daß sie die Mutter von
allem ist und früher als jeder Anfang, indem ich sage, daß Gott
mit ihr die Welt begonnen hat und vor allem die Bewegung des
Himmels, der alle Dinge erzeugt und von demjede Bewegung
ihren Anfang nimmt und bewegt wird, wenn ich sage: Diese
erdachte, der das Universum in Bewegung setzte. Was bedeu-
tet, daß sie im göttlichen Denken war, das der Intellekt selbst
ist, als er die Welt gemacht hat; woraus folgt, daß sie die Welt
gemacht hat" 202 • Diese Passagen stehen in gewisser Spannung
zu der Konzession an Thomas von Aquino, der Mensch könne
Gott nicht erkennen, und zu Dantes eigenem Argument, der
Mensch habe kein natürliches Verlangen nach der Erkenntnis
Gottes. Sie beschließen jedoch das gesamte Lob der Philoso-
phie, die Dante unter Anlehnung an die neuplatonische Tradi-
tion in einem absteigenden Stufenmodell konzipiert und je Gott
den Intelligenzen und den Menschen zugeteilt hat. Die Ein-
schränkung der dem Menschen in diesem Leben unmöglichen
Gotteserkenntnis gehörte zum Teil des speziellen Lobs der
menschlichen Philosophie. Daß Dante als Mensch dennoch
solch wunderbare Dinge über Gott sagen kann, ist dann nicht
widersprüchlich, wenn er zu jenen gerechnet wird, von denen
er selbst sagt, daß sie „beinahe träumend" Dinge begreifen
können, die die menschliche Intelligenz übersteigen203 • Inter-
essanterweise bemerkte Thomas von Aquino in der Summa
theol., 1, 12, 11, genau an jener Stelle, wo er, wie Dante in
Conv., III, xv, 6, die Erkenntnis Gottes und die Grenzen der
Philosophie behandelt: „anima nostra, quanto magis a corpor-
alibus abstrahitur, tanto intelligibilium abstractorum fit capac-
ior. Unde in somniis et alienationibus a sensibus corporis,
magis divinae revelationes percipiuntur et praevisiones futur-

202 Conv„ III, xv, 15.


203 Conv„ III, xv, 6.
LXXXII Francis Cheneval

orum". Dante selbst nahm das Traumwissen als Quelle philo-


sophischer Erkenntnis durchaus für sich in Anspruch: „In der
Folge entwickelte sich diese Liebe, da sie mein Leben ihrer
Glut entsprechend veranlagt fand, wie Feuer von einer kleinen
zu einer großen Flamme; so daß das Licht dieser [Frau; Phi-
losophie] nicht nur im Wachen, sondern auch im Schlafen
seinen Weg in meinen Kopf fand" 204 •
Die Erkenntnis Gottes und damit verbundene Glückseligkeit
hat Dante im Gegensatz zu Thomas nicht einfach ins nächste
Leben verschoben, er hat sie auch nicht, wie die Artisten, für
die Philosophierenden in diesem Leben in Anspruch genom-
men, sondern er hat sie, wie in der aristotelischen Erkenntnis-
theorie sowohl des Thomas von Aquino als auch der Artisten
vorgesehen, als eine einem Traum gleichende Erfahrung kon-
zipiert. Was Dante im Convivio in theoretischer Auseinander-
setzung mit Thomas von Aquino und den Artisten bezüglich
der Möglichkeit der Gotteserkenntnis und der seligmachenden
Schau erörtert, hat er in den letzten Gesang des Paradiso als
seine eigene Erfahrung, seine eigene visio geschildert, als das
höchste, was ein sterblicher „beinahe träumend" 205 erkennen
kann:

„ Und da ich nun dem Ende aller Wünsche


Mich nahte, wie es mir beschieden worden,
War auch die Glut der Sehnsucht mir erloschen,
Bernhard gebot mir nur mit einem Lächeln,
Nach oben aufzuschaun; doch tat ich selber
Von mir aus schon, was er mir sagen wollte.
Denn meine Blicke, die nun klar geworden,
Die tauchten immer tiefer in die Strahlen
Des hohen Lichtes, das die Wahrheit selber.

204 Conv., III, i, 1.


20' Conv., III, xv, 6.
Einleitung LXXXIII

Von jetzt ab war mein Schauen noch viel größer


Als unsere Sprache, die ihm nicht gewachsen,
Und das Gedächtnis weicht dem Unerhörten.
Wie einer, der im Traume etwas schaute,
Und nach dem Traume bleibt nur die Erregung,
Indes das andre aus dem Geist verschwunden:
So bin ich jetzt da meine Traumerscheinung
Fast ganz hinweg, und doch die große Süße,
Die daraus kam, mir noch zum Herzen träufelt206 ."

7. Das literarische Genus


der 'commendatio philosophiae'

Die inhaltliche Analyse von Dantes „Lob der Philosophie" in


Buch III zeigt, daß der Florentiner bezüglich der Glückselig-
keit seine eigenständige Position in kritischer Auseinander-
setzung mit der universitären Schulphilosophie, das heißt mit
Thomas von Aquino einerseits und Vertretern der Artistenfa-
kultät andererseits ausgearbeitet hat. Die inhaltlichen Bezie-
hungen zu einem schulischen Diskussionskontext legen die
Vermutung einer zeitweiligen Beeinflussung des am Convivio
arbeitenden Dante durch ein universitäres Milieu nahe. Au-
ßerdem muß festgestellt werden, daß das „Lob der Philoso-
phie" nicht einfach eine zeitweilige Schwärmerei gewisser
philosophischer Optimisten war, sondern daß es sich um eine

206 "E io eh'al fine di tutt'i disii / appropinquava, sf eom'io dovea, l'ardor

de! desiderio in me finii. Bemardo m'aeeennava e sorridea / pereh'io guar-


dassi suso; ma io era I gilt per me stesso tal qua! ei volea; ehe Ja mia vista,
venendo sineera, e phi e phi intrava per Jo raggio I de l' alta luee ehe da se e
vera. Da quinei innanzi il mio veder fu maggio ehe '1 parlar mostra, eh'a tal
vista eede, e eede Ja memoria a tanto oJtraggio. Qual e eolui ehe somniando
vede, ehe dopo il sogno Ja passione impressa / rimane, e J'altro a Ja mente
non riede, eotal son io, ehe quasi tutta eessa I mia visione, e aneor mi distilla
neJ eore il dolce ehe naeque da essa." (Par., XXXIII, 46-62).
LXXXIV Francis Cheneval

im Rahmen des universitären Curriculum gepflegte Praxis der


Professoren zur Eröffnung des Semesters und der einzelnen
Vorlesungen handelte207 • Die zum Lob der eigenen Disziplin
gehaltenen sermones oder principia zu Beginn der Vorlesung
waren ein fester Bestandteil des universitären Zeremoniells
und sie konstituieren eine eigene Literaturgattung, deren ge-
naue Erforschung noch aussteht, zu der aber sicher der sermo
De summo bono des Boethius von Dacien zu zählen ist208 • Da
die zu Beginn des Studienjahres gehaltenen sermones in ein
bestimmtes Fach einführen sollten, beinhalten sie nebst einem
allgemeinen Lob der Philosophie meist noch das Lob einer
einzelnen Disziplin. De summo bono des Boethius von Daci-
en ist deshalb wahrscheinlich im Rahmen einer Metaphysik-
vorlesung entstanden, wogegen die commendationes, die wir
von der Universität Bologna besitzen, ein besonderes Lob der
Grammatik oder der Logik anstimmen209 •
Der Prolog des pseudo-thomistischen Kommentars zur Phi-
losophiae consolatio des Boethius ist in seinem ersten Teil
ebenfalls eine commendatio philosophie, die interessanterwei-
se auf der Grundlage desselben Seneca Zitates gestaltet ist, wie
eine der commendationes aus Bologna, die das Zitat jedoch

207 Vgl. C. Lafleur, Quatre introductions a la philosophie au XIII' siecle,


2f.; 0. Weijers, Terminologie des Universites, 407-416; G. Fioravanti,
"Sermones in lode della filosofia", 166f.
208 Vgl. das principium aus den Jahren 1315-1320 zu Quaestionen zu De

anima III: "Cum igitur sit consuetum philosophie librum incipientibus ipsam
aliqualiter commendare, ideo ad eius laudem nolens bonam et probatam
transgredi consuetudinem assumpsi verba proposita." Ebenfalls zu einer
Quaestionensammlung zu Averroes' De substantia orbis: "Consuetum est
phylosophyam legentibus eam aliqualiter commendare." Auch in einem
Principium in logica findet sich der Satz: "Cum igitur consuetum sit logicam
legentibus eam aliqualiter commendare, ideo ad eius commendacionem as-
sumpsi verba proposita." Zitiert nach G. Fioravanti, "Sermones in lode del-
la filosofia", 169, n. 11.
209 G. Fioravanti, "Sermones in lode della filosofia."
Einleitung LXXXV

Averroes zuschreibt210 • Die Bezugnahme auf den Liber de po-


mo gleich zu Beginn der commendatio im genannten Kommen-
tar zur Philosophiae consolatio bezeugt im übrigen, daß auch
dieser pseudoaristotelische Text zu jenem Genus des Lobs der
Philosophie zu zählen ist.
In diesem Zusammenhang kann angeführt werden, daß das
Moriae encomium des Erasmus von Rotterdam, in dem die
Torheit in Gestalt einer Frau einensenno zu ihrem eigenen Lob
hält, und überhaupt die humanistischen Lamentationen über
Beschränktheit und Verfall menschlichen Wissens als Parodie
auf die scholastische commendatio philosophie und als Entzau-
berung ihres Wissenschaftsoptimismus interpretiert werden
können. Agrippa von Nettesheim hat es in seiner Schrift De
incertitudine et vanitate scientiarum nicht unterlassen, sein
Vorhaben direkt gegen die scholastischen Lobeshymnen auf
die Wissenschaften zu richten, wobei er der Nachwelt gleich
noch eine kurze Beschreibung dieser Veranstaltungen hinter-
lassen hat211 •

210 .Philosophiae servias oportet, ut tibi contingat vera libertas. Haec sunt

verba Senecae, octava epistola ad Lucilium: quia vocari philosophiam scien-


tiam veritatis recte se habet ex secundo Metaphysicae, et philosophia affert
delectationes mirabiles finnitate et puritate, ex decimo Ethicorum. Et multis
visa est philosophia res mirabilis et divina, ex de Caelo et mundo Aristotelis.
Item quod nulla scientia similis est philosophie quae clarificat animas et facit
delectari eam in hoc saeculo perfectione et rectitudine, ex libro de Porno et
morte ... " (Ps. Thomas, Sup. lib. Boetii de cons. phil., 1) .• Philosophie
servias oportet, ut tibi libertas continctat. Commentator primo Ethicorum
( ... )". (Sevilla Biblioteca Capitular, 56.1.6 (81.6.6), fol. 98v).
211 • Es gibt die alte und von allen Philosophierenden einmütig anerkannte

Meinung, jede Wissenschaft verleihe durch geistigen Gewinn und Wert dem
Menschen etwas Göttliches. Man dürfe also Menschen dieser Art häufig
ungeachtet ihrer menschlichen Abkunft zum Reigen der unsterblichen Götter
zählen. Daraus erklären sich zahllose Lobeshymnen auf die Wissenschaften
mit unterschiedlichen Begründungen: Jeder preist jeweils die Disziplinen
und Künste, an denen er seine Geisteskräfte übt, mit prunkvoller und um-
fangreicher Rede vor allen anderen und hebt sie geradezu in den Himmel.
Ich bin aber vom Gegenteil überzeugt: Nichts Schlimmeres, nichts Unheil-
LXXXVI Francis Cheneval

Zur Zeit des Alighieri finden sich sogenannte commendatio-


nes philosophie auch in den umfangreicheren Texten der phi-
losophischen Einführungsliteratur, die nebst dem Lob der Phi-
losophie hauptsächlich eine Wissenschaftseinteilung enthalten
und als deren Entstehungsmilieu ebenfalls die Artistenfakultä-
ten zu gelten haben. Zu diesem genus gehören zum Beispiel die
Philosophia des Aubry von Reims und des Nicolaus von Paris,
oder die beiden Werke gleichen Namens von Henri und Olivier
Lebreton212 • Eine strukturelle Analyse einiger der bisher be-
kannten Texte solcher Art zeigt, daß sie aus einem Lob, einer
Definition und einer Einteilung der Philosophie bestehen, wo-
bei einzelne dieser Elemente in einigen ausführlicher zur Dar-
stellung gelangen als andere. Ein weiteres wichtiges, wenn
auch nicht allen Texten gemeinsames Merkmal ist eine vom
Aristotelischen dictum "Omnes homines naturaliter scire desi-
derant" ausgehende Diskussion der zahlreichen impedimenta,
der Gründe, die die Menschen von der Philosophie fernhalten.
Die Philosophia des Aubry von Reims zum Beispiel beginnt
mit einem Lob der Philosophie (commendatio philosophie) 213 ,
diskutiert dann ausführlich die impedimenta214 , die die Men-

volleres kann dem Wohl der Menschheit wie auch dem Heil unserer Seelen
widerfahren als eben diese Künste, diese Wissenschaften! Deshalb bin ich
vielmehr der Meinung, man darf die Wissenschaften nicht so hoch preisen,
sondern muß sie eher kritisieren, denn es gibt keine, die nicht mit Recht zu
tadeln wäre; wenn eine wirklich etwas Lob verdienen sollte, dann dankt sie
es allein der Redlichkeit ihres Vertreters." (Agrippa von Nettesheim, Über
die Fragwürdigkeit, ja Nichtigkeit der Wissenschaften, I; 17; lat. Text in:
Ders., Opera II, Hildesheim I New York: Olms, 1970). Vgl. auchJuan Luis
Vives, De causis corruptarum artium (Über die Gründe des Verfalls der
Künste). In gewissem Sinne kann schon Petrarcas, De sui ipsius et multorum
ignorantia aus dieser Perspektive interpretiert werden.
212 Vgl. dazu R. A. Gauthier, .Notes sur Siger de Brabant." Vgl. dazu

c. Lafleur, Quatre introductions a la philosophie au XIII" siecle; R. Imbach,


.Einführungen in die Philosophie".
213 R. A. Gauthier, .Notes sur Siger de Brabant", 29-33.

214 Ibidem, 33-36.


Einleitung LXXXVII

sehen von der Philosophie abhalten, und behandelt, nach einer


Definition der Philosophie (diffinitio philosophie) 215 die divisio
philosophie, die Wissenschaftseinteilung. Die anonym über-
lieferten Accessu.s philosophorum und Philosophica disciplina
beginnen ebenfalls mit einem kurzen, allgemeinen Lob und
gehen danach zur Definition und zur Einteilung der Philoso-
phie über2 16 • Auch Arnould de Provence stimmt zu Beginn
seiner Einführungsschrift ein Lob der Philosophie an, erörtert
dann nacheinander die Definition der Philosophie, der Weis-
heit und der Wissenschaft und läßt schließlich die Einteilung
der Wissenschaften folgen217 • Die Philosophia des Oliver Brit-
tonis beginnt mit einer Situierung des Menschen als Zentrum
und Ziel des Kosmos und bestimmt die Philosophie als Ver-
vollkommnung des Menschen218 • Im Anschluß an diese das
Menschenbild der Renaissance vorwegnehmenden Darlegung
geht auch Oliver dazu über, unter Bezugnahme auf das aristo-
telische 'omnes homines naturaliter scire desiderant' die
Gründe zu erörtern, die den Menschen von seinem ihm von der
Natur eingepflanzten Drang nach wissenschaftlicher Vervoll-
kommnung abhalten219 • Daran schließen sich dann im restli-
chen Teil der Schrift die Definition und die Einteilung der
Philosophie an. Das Zitat des ersten Satzes aus der Aristoteli-
schen Metaphysik, wonach alle Menschen von Natur aus nach
Wissen streben, findet sich in zahlreichen der oben genannten
Einführungsschriften220 , wobei nicht wenige der professionel-

215 Ibidem 38-40.


216 Vgl. C. Lafleur, Quatre introductions a la philosophie au xm' siecle,
179-244; 257-287.
217 Vgl. C. Lafleur, Quatre introductions a la philosophie au xm" siecle,

297-347.
218 Ms. Oxford, Corpus Christi 243, fol. 2ra-3ra. Ich beziehe mich auf

eine Arbeitsedition von Ruedi Imbach.


21 9 Ms. Oxford, Corpus Christi 243, fol. 3rb.

220 Die Philosophia des Henri le Breton z. B. beginnt mit diesem Zitat:

"Dicit aristotelis in principio veteris metaphysice quod omnes homines natu-


ra scire desiderant." (ms. Oxford, Corpus Christi College 283, fol. 146,
LXXXVIII Francis Cheneval

len Philosophen sich der Diskrepanz zwischen dem behaupte-


ten, natürlichem Wissensdrang aller Menschen und der Selten-
heit tatsächlicher Beschäftigung mit der Philosophie bewußt
waren221 • Ähnlich wie Dante zu Beginn des Convivio zitieren
sowohl der sermo De summo bono des Boethius von Dacien,
wie auch der Prolog zum Kommentar zu Boethius' Philoso-
phiae consolatio den Satz, um eine Erörterung der Gründe
einzuleiten, die die Menschen von der Philosophie abhalten222 •

8. Das Convivio und


die philosophische Einführungsliteratur

Vergleicht man die Texte der philosophischen Einführungsli-


teratur mit den ersten drei Büchern des Convivio, so springt ins
Auge, daß sie dieselben Strukturelemente aufweisen. Dies gilt
vor allem für die Bücher zwei und drei, die mit der divisio
scientie und der commendatio philosophie zwei Hauptele-
mente der universitären Einführungsliteratur enthalten. Dante
beginnt das erste Buch des Convivio mit einer durch das Zitat
'omnes homines naturaliter scire desiderant' eingeführten
Überlegung zu den Gründen, die die Menschen von der Philo-

zitiert nach C. Lafleur, Quatre introductions a la philosophie au xm• sii':cle,


389. Vgl. auch Boethius von Dacien, De summo bono, 373; Ps. Thomas,
Sup. lib. Boet. de cons. phil., 1.
221 Vgl. die Zitate im Kommentar zu Conv., 1, i, 1.
222 .Cum einim omnes homines naturaliter scire desiderant, paucissimi

tarnen hominum, de quo dolor est, studio sapientiae vacant inordinata concu-
piscentia eos a tanto bono impediente. Videmus enim quodam pigritiam vitae
sequi, quosdam autem voluptates sensibiles detestabiles et quosdam desideri-
um bonorum fortunae. Et ita omnes homines hodie impedit inordinata concu-
piscientia a suo summo bono exceptis paucissimis honorandis viris." (Boethi-
us von Dacien, De summo bono, 373) .• Licet autem omnes homines se-
cundum Aristotelem primo Metaphysicae natura scire desiderent: tarnen pau-
ci, de quo dolor est, philosophiae vacant: quod ideo contingit, quia plures
omissis delectationibus interioribus, ad delectationes refugiunt corporales.
Non tarnen oportet delectationes corporales esse eligibiliores inferioribus:
Einleitung LXXXIX

sophie abhalten, obschon sie von Natur aus auf sie hingeordnet
sind. Im Gegensatz zu den professionellen Philosophen der
Universität läßt es aber Dante nicht bei dem Hinweis bewen-
den, daß die meisten Menschen durch Faulheit, Wollust und
gemeiner Geldgier von der Philosophie abgehalten werden,
sondern er stellt fest, daß viele wegen der Sorge um die Familie
und die öffentlichen Angelegenheiten dem Studium der Philo-
sophie fernbleiben müssen. Da Dante Aristoteles beim Wort
nimmt, macht er es zu seinem Hauptanliegen, die von der
Philosophie ausgeschlossenen zum Tisch der Weisen zu füh-
ren223. Daß er dabei den Bedürfnissen seines höfischen Laien-
publikums entgegenkam, wird deutlich, wenn berücksichtigt
wird, daß Manfred, der Sohn Friedrichs II., in einem Brief den
ehrwürdigen Magistern der Pariser Artistenfakultät mitgeteilt
hat, daß er trotz Erfüllung gesellschaftlicher Pflicht und Sorge
um familiäre Angelegenheiten die Lektüre philosophischer
Texte zu pflegen versuche224 • Obschon also der Alighieri durch
die Zitierung des Aristotelischen Satzes und die Besprechung
der Verhinderungsgründe der Philosophie ein wichtiges Ele-
ment der Einführungsliteratur aufgreift, so füllt er dieses doch
mit neuen Inhalten und gibt ihm eine neue Stoßrichtung. An-
stelle der abschätzigen Schuldzuweisungen der universitären
Elite an all jene, die nicht Philosophie betreiben, betont Dante

quia delectationes corporales impediunt a summo bono." (Pseudo Thomas,


Comm. sup. lib. Boet. de cons. phil., 1-2). "Ex quo contingit, quia unum-
quodque suam perfectionem appetit, quod omnes homines natura scire desid-
erant. Ne igitur homo maneat inperfectus et suo naturali frustretur appetitu,
philosophie studium est ab ipso nisu mentis continuo diligenter exercendum
ac iugiter appetendum." (Aubry von Reims, Philosophia, 30).
223 Vgl. Conv., 1, i, 2-13.

22' "In extollendis regie prefecture fastigiis, quibus congruenter officia,

leges et arma communicant, necessaria fore credimus sciencie condimenta,


ne per huius suavis et mulcebris ignoranciam conmixture vires ultra liciti
terminos effrenate lascivant, et iusticia citra debiti regulas diminuta langues-
cat. Hanc nos profecto, qui divina largitione populis presidimus, generali,
qua 'omnes homines natura scire desiderant', et speciali, qua gaudent aliqui,
XC Francis Cheneval

die gesellschaftliche Situation seines Publikums, das aus Sorge


um Familie und öffentliche Angelegenheiten auf die Philoso-
phie verzichten muß. Um die scholastische Einführung in die
Philosophie in einem höfischen Milieu zu rekontextualisieren,
mußte sie ihren bildungselitären Charakter verlieren. Dante
spricht gerade diejenigen an, die von den Magistern entweder
von der Philosophie ausgeschlossen wurden, oder deren Inter-
esse für die Philosophie man an der Universität gar nicht zur
Kenntnis genommen hat. Im zweiten Buch des Convivio unter-
nimmt Dante im allegorischen Teil der Auslegung seiner Kan-
zone, injenem Teil also, wo er auf die Philosophie zu sprechen
kommt, eine divisio scientie225 • In dem diesem Abschnitt vor-
angestellten Exkurs beschreibt Dante seine ersten philosophi-
schen Gehversuche, und er stellt die nun durch die Wissen-
schaftseinteilung folgende Einführung in die Philosophie in
den autobiographischen Rahmen seiner eigenen Anfänge des
Philosophiestudiums. Auch hier zeigt sich sein Bedürfnis, eine
institutionell vorgegebene Form in die Perspektive seiner eige-
ne Subjektivität zu stellen. Gleichzeitig deutet er durch die
autobiographische Passage zu seinen Anfängen in der Philoso-
phie an, daß die folgende Wissenschaftseinteilung eine Einfüh-
rungsveranstaltung ist. Im dritten Buch schließlich legt Dante,
wiederum im allegorischen Teil der Auslegung, eine diffinitio
philosophi226 und eine commendatio philosophie vor227 • Die

voluntate proficere ante suscepta regiminis nostri onera semper a iuventute


nostra quesivimus indefessi. Post regni vero curas assumptas, quamquam
operosa frequenter negotiorum turba nos distrahat et civilis sibi ratio vendicet
sollicitudinis nostre partes, quicquid tarnen temporis de rerum familiarium
occupatione decerpimus transire non patimur otiosum, set totum in lectionis
exercitatione gratuita libenter expendimus, totum intelligencie ut clarius vig-
eat instrumentum, in acquisitione sciencie, sine qua mortalium vita non reg-
itur, liberaliter erogamus. (R. A. Gauthier, .Les debuts du premier averrois-
me", 323). Vgl. dazu R. Imbach, Laien in der Philosophie, 96f.
"'Conv., II, xii-xiv.
226 Conv., III, xi, 2-18.

221 Conv., III, xii-xv.


Einleitung XCI

vom Alighieri vorgetragene, auf die griechische Bedeutung


verweisende Nominaldefinition des Philosophen ist in der phi-
losophischen Einführungsliteratur beinahe allgegenwärtig228 •
Auf die philosophiehistorisch eingebettete Definition der Phi-
losophie läßt Dante das inhaltlich bereits besprochene Lob
folgen, in dem die kritische Auseinandersetzung mit den Arti-
sten und der thomistischen Position stark hervortritt. Auch die
commendatio philosophie Dantes muß auf dem Hintergrund
der philosophischen Einführungsliteratur der Schulen gelesen
werden, denn es gehörte zu den universitären Gepflogenheiten,
zu Beginn einer Vorlesung die Philosophie zu loben229 • Das
Convivio ist in seinen ersten drei Teilen formal eine, in diesem
Sinne "klassische" Einführung in die Philosophie, wie sie an
den Artistenfakultäten üblich war und Tradition hatte. Auch
hier wird deutlich, daß Dante für sein höfisches Publikum seine
eigene Universität inszeniert hat.

228 „ Und hieraus entstand dann, daß jeder Studierende der Weisheit 'Lieb-

haber der Weisheit' genannt wurde, d.h. 'Philosoph'; denn auf Griechisch
bedeutet 'philos' soviel wie 'amor' auf Lateinisch, und deshalb sager wir:
'philos' im Sinne von Liebe und 'sophos' im Sinne von Weiser. Woraus man
sehen kann, daß diese zwei Begriffe den Namen 'Philosoph' ausmachen, der
soviel bedeutet wie 'Liebhaber der Weisheit': woraus man entnehmen kann,
daß dies nicht ein Ausdruck der Überheblichkeit, sondern der Demut ist."
(Conv., III, xi, 5). Vgl. Dominicus Gundissalinus, De divisione philoso-
phiae, Prologus: .Cognitio autem quid sit philosophia, videndum est, quare
sie dicatur: 'Philosophia est amor sapiencie'. Philos enim grece amor dicitur
latine; et sophia dicitur sapiencia; inde philosophia est amor sapiencie et
philosophus amator sapiencie." Amould de Provence, Divisio scientiarum,
306: .Aparte nominis ponuntur 4 ut scribitur in libro Secundarum epistula-
rum Senece, quarum prima est hec: Philosophia est amor sapientie, dicta a
philos, quod est 'amor', et sophia, 'sapientia'." Aubry von Reims, Philoso-
phia; 38: .Diffinitiones autem eius ab Ysaac date ad quatuor capitales reduc-
untur. Quarum prima est diffinitio ponens altera nomina, que sumitur ab
expositione vocabuli, que talis est: Philosophia est amor sapiencie; loquor
non de amore quocunque, set qui ex precedenti cognitione procedit." Vgl.
auch die Texte bei R. Imbach, .Einführungen in die Philosophie", 486-487.
229 „Cum igitur sit consuetum philosophie librum incipientibus ipsam ali-

qualiter commendare, ideo ad eius laudem nolens bonam et probatam trans-


XCII Francis Cheneval

9. Dantes Lob der Philosophie und


die Universität Bologna

Dantes Adaptation gewisser Positionen radikalaristotelischer


Ausrichtung in seinem Lob der Philosophie weist nach Bolo-
gna, wo vor und während der Entstehungszeit des Convivio
eine italienische Rezeption sogenannt averroistischer Thesen
der Pariser Artistenfakultät stattgefunden hat230 und wo die
Gepflogenheit, zu Beginn der Vorlesung einerseits zur Philo-
sophie im allgemeinen, anderseits zu den einzelnen Disziplinen
der Philosophie zu Beginn des Jahres einen Einführungssermo
zu halten, in den Statuten der Universität nachgewiesen werden
kann. Gianfranco Fioravanti kommt das Verdienst zu, auf eine
Handschrift hingewiesen zu haben, in der einige solcher Ein-
führungs-und Lobreden zur Philosophie aus dem Studium von
Bologna des frühen 14. Jahrhunderts überliefert sind231 • Der
italienische Gelehrte hat außerdem auf die enge Verwandt-
schaft dieser Texte mit der Divisio scientiarum des Arnoul de
Provence und der Philosophia des Aubry von Reims aufmerk-
sam gemacht232 •
Die sieben Bologneser commendationes233 , die aus Vorle-
sungen zur Grammatik, in einem Fall zur Logik, hervorge-
gangen sind und nebst dem allgemeinen Lob der Philosophie
diese Wissenschaften besonders hervorheben, enthalten zahl-

gredi consuetudinem assumpsi verba proposita." (Zitiert nach G. Fioravanti,


"Sermones in lode della filosofia", 169, n. 11).
230 Eine die wichtigste Literatur zu den Bologneser Artisten berücksichti-

gende Bibliographie findet sich in: D. Buzzetti et al., L'insegnamento della


logica a Bologna nel XIV secolo, V, n. 2.
231 Sevilla, Biblioteca Capitolar y Colombina, 56.1.6 (81.6.6), fol. 85r-

100v (75r-90v). Vgl. G. Fioravanti, "Sermones in lode della filosofia", 166f.


232 G. Fioravanti, .Sermones in lode della filosofia", 174.
233 Nur die von Fioravanti edierte (op. cit.) Lobrede fol. 94r-97r ist Mat-

thäus von Eugubio zugeschrieben. Auf den fol. 96v-97r sind noch Fragmente
von zwei weiteren sermones überliefert.
Einleitung XCIII

reiche, frappierende Ähnlichkeiten zu Dantes Convivio, die


die These nahelegen, der Alighieri habe seine Einführung in
die Philosophie zum Teil in Auseinandersetzung mit den Ma-
gistern der besagten Artistenfakultät geschrieben. Dantes spä-
terer, reger Briefkontakt mit dem Bologneser Grammatikpro-
fessor Giovanni del Virgilio aus den Jahren 1319 und 1320234
würde ebenso gut in dieses Bild passen, wie die zum Convivio
zeitgleiche, intensive Auseinandersetzung Dantes mit Proble-
men der Sprachphilosophie und Grammatik im Traktat De
vulgari eloquentia.
Den Bologneser Lobreden auf die Philosophie, die Gram-
matik und die Logik eigen ist eine ausgesprochen lebendige
Metaphorik, die jene Wissenschaften durch verschiedene Mo-
tive, meist biblischer aber auch boethlanischer Herkunft, alle-
gorisiert. Sämtliche sermones beginnen mit einem dem alten
Testament, der Philosophiae consolatio oder Seneca entnom-
menen Zitat, das in der Folge als Leitmotiv in seinen Teilen
ausgebreitet und in eine allegorische Beziehung zur Philoso-
phie, Grammatik oder Logik gesetzt wird235 • So beinhaltet zum
Beispiel der sermo Bibe aquam de cisterna236 (fol. 97v-98r),
eine reich variierte Allegorisierung der Philosophie mit dem
alles Leben erhaltenden und durchdringenden Wasser. Ganz in
die Nähe Dantes zu rücken ist aber der sermo Accipe igitur
austum (fol. 85r-87v), der in Anlehnung an Boethius die Phi-
losophie als Frau allegorisiert, bei der der Philosoph Trost und
Befriedigung seiner spekulativen Lust findet237 • Diese Tatsa-

234 Die Mitüberlieferung der Handschrift beinhaltet zahlreiche Schriften

des Giovanni de! Virgilio zur Grammatik. Vgl. G. C. Alessio, "I trattati
grammaticali di Giovanni de! Virgilio", 190-194.
m Wie schon erwähnt, beginnt der als commendatio philosophie konzi-
pierte Prolog des pseudothomistischen Kommentars zur Philosophiae conso-
latio mit demselben Zitat wie der senno auf fol. 98v-100v.
236 Prv 5, 15.
237 "Quantum ad primum est intelligendum, quod tune intellectus veritate

satiatur, quando in spirituali cognoscit omnia operabilia, de quibus sunt seien-


XCIV Francis Cheneval

ehe allein würde noch nicht genügen, um Beziehungen dieses


Textes zum Convivio zu vermuten, denn die Philosophiae con-
solatio war eines der meistgelesenen Bücher des lateinischen
Mittelalters 238 • Der unbekannte Autor der Bologneser com-
mendatio führte jedoch seine Allegorie weiter aus, indem er
die Augen dieser Frau mit der Gewißheit, der Subtilität und der
Wahrheit des philosophischen Wissens 239 und das Gewand mit
den Schlüssen der Philosophie verglich240 • Diese Stellen schei-
nen ebenso auf das Convivio zu verweisen241 , wie der bereits

tie practice, et speculabilia, de quibus sunt scientie theorice, videlicet divina,


celestia et humana. Tune autem omnia ista cognoscit, quando habitus, cuius
grammatica est principium et origo, integraliter est adeptus. Et hoc declarat
Boethius in prima De consolatione describens philosophiam in similitudinem
mirabilis mulieris. Dicitur enim mulier quasi mulcens virum, ut dicit Ugutio,
sie philosophia simul cum grammatica mulcet, id est, delectat et consolatur
viros ipsas audienties et spritualiter contemplantes." (Sevilla, Biblioteca
Capitolar, 56.1.6. (81.6.6), fol. 85r).
238 So schon Brunetto Latini, Tresor, I, i, 18, 6: "Pour ~ou dist Boesces el

livre de! al Consolation que il Je vit en samblance de dame." Außerdem


nennt z. B. Aubry von Reims (Philosophia, 36) die Philosophie im Anschluß
an Pseudo-Boethius "imperialis domina".
239 "Prima describitur eam quantum ad vultum venerabilem dicens, quod

erat reverendi ad modum vultus oculis ardentibus et cet. In hoc quod dicit,
quod erat reverendi ad modum vultus, insinuit quod philosophi sint valde
honorandi, quia secundum Philosophum 4° Ethicorum honor est primum vir-
tutis. Scientia autem sive philosophia est virtus intellectualis ut dicitur 6°
Ethicorum, ergo philosophi sive sapientes sunt non modicum honorandi. Per
hoc quod dicit •oculis ardentibus• insinuit quod philosophi habent certitudi-
nem, subtilitatem et cognitionis veritatem, ad quam alii homines non atting-
unt. Dicit autem •vivido colore» ad differentiam coloris retorici, qui est
fictitius ab extrinseco adveniens. Sed color philosophicus ab intrinseco, id
est a veritate, que est in mente, provenit et ideo vividus nuncupatur. Erat
etiam inexausti vigoris, quia insolubiles sunt philosophice rationes." (Sevil-
la, Biblioteca Capitolar, 56.1.6. (81.6.6), fol. 85v).
~ 40 "Tertia describit eiam quantum ad habitum incomparabilem dicens •Ve-
stes eius usque conteste• etc. Vestes philosophie sunt conclusiones philoso-
phice, que dicuntur contexte tenuissimis filis propter preciositatem et subtili-
tatem." (Sevilla, Biblioteca Capitolar, 56.1.6. (81.6.6), fol. 85v).
241 Vgl. Conv., II, xv, 4: "Und da wo er sagt: •Wer das Heil sehen will,

sorge dafür, daß er die Augen dieser Frau erblicke» sind die Augen dieser
Einleitung XCV

von G. Fioravanti bemerkte Vergleich der Philosophie und


Grammatik mit der Sonne sowie der Logik mit dem Mond242 ,
der stark an Dantes Vergleiche der Grammatik mit dem Mond
und der Dialektik mit dem Merkur erinnert243 •
Eine noch ähnlichere Parallele zum Convivio ist im sermo
Philosophie servias oportet (fol. 89v-100v) zu erkennen, wo
die Dialektik mit dem Himmel verglichen wird, der alles unter
ihm erleuchtet und erhält. So erleuchtet und ermöglicht auch

Frau die Beweise, die, auf die Augen des Intellekts ausgerichtet, die von den
Widersprüchen befreite Seele verliebt machen." Conv„ III, xv, 2: "Und
hier muß man wissen, daß die Augen der Weisheit ihre Beweise sind, durch
welche man die Wahrheit am sichersten sieht; und ihr Lächeln sind ihre
Darlegungen, in welchen sich das innere Licht der Weisheit unter einem
gewissen Schleier zeigt." Vgl. auch IV, ii, 17.
242 "Species eius sive pulcritudo sol est lux, quam nunquam perdit, quod

nunquam veraciter eclipsatur, sed solum apparenter, scilicet quoad nos, qu-
ando luna interponitur, interponitur inter nos et ipsum et est in linea eclipt-
ica. Eclipsis enim grece et latine dicitur defectus. Unde linea ecliptica dicitur
linea defectuosa. Sie est philosophia et etiam grammatica, nam sicut sol
nunquam perdit suam lucem et claritatem, sie philosophia non perdit suam
claritatem, ut grammatica suam congruitatem non, solum quoad aliquos,
quando luna, id est loyca interponitur et est etiam ecliptica, id est quando
loycus sophistice querit contra philosophie veritatem vel grammatice con-
gruitatem. Similis enim sophisticus est defectuosus, quia defficit a sillogismo
vero in materia vel forma. Si autem sol nunquam eclipsatur quoad omnes,
sed solum quoad aliquos, sie philosophia vel grammatica non dicitur obscur-
ari quoad omnes, sed solum quoad illos, qui decipiuntur per sophisticas ra-
tiones. Quo autem ad illos, qui deffectum linee eclectice, id est sophistice
rationis percipiunt, percipiunt philosophiam esse tamquam mulier amicta
sole, id est claritate et veritate cognitionis. Et luna sub pedibus eius, quia
luna est infra solem < 87r> et ideo si est amicta sole, luna est sub pedibus
eius. Ratio autem quare per lunam intelligitur loyca est hec, quia ut dicit
Martinianus, quando luna distat a sole, minus illuminatur, quam quando est
cum sole coniuncta, quia tune illuminatur aparte superiori et quia propinqu-
ior est soli plus recipit de lurnine. Sie est de loica tune distat a sole quando
non est unita cum philosophia." (Sevilla, Biblioteca Capitolar, 56.1.6.
(81.6.6), fol. 86v-87r).
243 Vgl. Conv., II, xiii, 9-12.
XCVI Francis Cheneval

die Dialektik alle anderen Wissenschaften244 • Die Logik wird


hier als Wissenschaft schlechthin gelobt, von der alle anderen
abhängig sind, und es ist nicht zu übersehen, daß diese Stelle
mit Dantes zweiter Ähnlichkeit zwischen Himmel und Wissen-
schaft in Beziehung gebracht werden kann, wo gezeigt wird,
daß wie jeder Himmel auch jede Wissenschaft ihren Gegen-
stand erleuchtet245 • Freilich besteht in der inhaltlichen Gewich-
tung der Dialektik ein fundamentaler Unterschied zwischen
den beiden Texten, formale Bezüge bezüglich ihrer Metapho-
rik scheinen mir jedoch gegeben.
Nebst den genannten Stellen, bei denen eine enge Beziehung
zum Convivio nicht in Abrede gestellt werden kann, weisen
die Bologneser Lobreden auf die Philosophie, Grammatik und
Logik auch allgemeine Eigenschaften auf, die zwar eine direk-
te Abhängigkeit nicht beweisen, aber diese doch nahelegen. So
ist zum einen der philosophische Optimismus zu nennen, der
sowohl dem Convivio wie auch diesen commendationes eigen
ist und der den radikalaristotelischen Geist der Universität
Bologna bestätigt. Das Lob des Aristoteles zum Beispiel geht
im sermo Sapientiaforis predicat (fol. 91v-92v) soweit, daß
der Stagirite schließlich als Instrument des Heiligen Geistes

244 "Primo ostenditur, quod loyca habet celsitudinem dignitatis propter

ipsius generalem influentiam, cum dicitur species celi. Habet enim dyalecti-
ca speciem, id est similitudinem celi, quia sicut celum generaliter influit
omnibus inferioribus, sine qua influentia non possent esse inferiora, ita dya-
lectica generaliter influit omnibus scientiis, sine qua influentia non posset
aliqua scientia humaniter adinventa. Nam cum omnis scientia humana sit
effectus demonstrationis, nihil enim aliud est scientia, quam habitus conclu-
sionis demonstrate, que procedit ex principiis per se notis, cuius medium est
diffinitio, ut habetur in primo Posteriorum." (Sevilla, Biblioteca Capitolar,
56. l.6. (81.6.6), fol. 99v).
245 Conv., II, xiii, 4: "Die zweite Ähnlichkeit ist die Erleuchtung, die vom

einen und von der anderen ausgeht; dennjeder Himmel erleuchtet die sicht-
baren Dinge und ebenso erleuchtet jede Wissenschaft die vernünftig erkenn-
baren Dinge."
Einleitung XCVII

bezeichnet wird246 • Der gleiche Text sagt aus, daß der Mensch
durch die Wissenschaften zu den Freuden der Heiligen gelan-
gen kann247 • Wie Dante haben auch die Bologneser Autoren
keine Mühe, ihr Lob der Weisheit und der Philosophie durch
Zitate aus dem Alten Testament bildhaft anzureichern. Außer-
dem fällt auf, daß in den Bologneser sermones durch die mehr-
fache Zitierung des Boethius, Alanus ab Insulis und Walter
Chätillon auf eine Tradition zurückgegriffen wird, die bei der

246 "lterum vera quia a veritatis amatore processit instrumentum taliter, ut


ab Aristotele summo philosophorum, quia secundum Alexandrum commento
super 3° De anima quamvis scientie in se divise diversis atribuantur philoso-
phis, tarnen de omnibus subtilius et verius pertractavit Aristoteles, ergo bene
dictum est, quod ab ipso processit instrumentaliter. Et quia secundum beat-
um Augustinum omne verum a quocumque dicatum a spiritu sancto est,
idcirco dicere possumus, quod inquantum Aristoteles vera dixit, sancti spirit-
us horganum fuit. Quia ergo laudata causa laudatur effectus, igitur laudibus
eius aliqualiter insistamus, ut ex hoc istius philosophie rationalis veritas ape-
rius elucescat. Possumus ergo de ipso, quod in se principaliter tria habuit,
quia fuit veritatis amator, scientie inquisitor, adiscere volentium doctor. Pri-
mo dico, quod fuit veritatis amator. Unde non inmerito ab omnibus philoso-
phus appellatur, qui amator sapientie interpretatur et per consequens amator
extitit veritatis, quia illa scientia appelanda non est, que in se continet falsi-
tatem, ut Aristoteles in libro Posteriorum testatur. Unde illud verbum Sapi-
entie poterat dicere csuper salutem et omnem pulcritudinem delexi sapient-
iam et proposui pro luce habere illam•. Secundo fuit inquisitor, nam de secta
fuit perpateticorum, qui inquisitores scientie interpretantur. Unde bene pot-
erat dicere id verbum Sapientie. In Ecclesiastes ibi enim dicitur cproposui in
corde meo querere et investigare sapientiam•. Et subditur cecce magnus
effectus sum et precessi omnes sapientia que sunt ante me•. Tertio fuit adi-
scere volentium doctor. Unde Commentator super tertio De anima de eo sie
dicit: cCredo•, inquit ipse, cquod vir est exemplum et regula in natura, quem
natura invenit ad demonstrandum ultimam felicitatem hominis in naturis•.
Unde ex hoc evidenter patet, quomodo ista philosophia rationalis in se conti-
neat veritate cum pulcritudine incorruptibilitatis, quia principaliter a prima
veritate processit et est a veritatis actore principaliter derivata. Et sie patet
primum principale nostri sermonis." (Sevilla, Biblioteca Capitolar, 56.1.6.
(81.6.6), fol. 92r).
247 "quibus mediantibus possumus ad beatorum gaudia pervenire ipso pre-

stante, qui est benedictus in secula seculorum amen.• (Sevilla, Biblioteca


Capitolar, 56.1.6. (81.6.6), fol. 92v).
XCVIII Francis Cheneval

philosophiehistorischen Situierung des Convivio als poetisch-


philosophischen Kommentars am Anfang dieser Einleitung ins
Spiel gebracht worden sind. Dem beigefügt werden kann die
Tatsache, daß die heute in Sevilla aufbewahrte Handschrift, in
der die hier besprochenen senrwnes tradiert sind, mit Frag-
menten aus De planctu naturae des Alanus ab Insulis eine
Schrift mitüberliefert, die aufgrund der prosimetrischen Form
und Versinnbildlichung der Natur als Frau zwischen der Phi-
losophiae consolatio und dem Convivio steht248 •
Da die Bologneser Lobreden auf die Philosophie in der be-
sagten Handschrift mit einer Ausnahme weder datiert noch
einem Autoren zugeschrieben sind, sollten keine voreiligen
Schlüsse bezüglich der Richtung der gegenseitigen Beeinflus-
sung gezogen werden. Dennoch scheint es angebracht, auf
diese Texte zu verweisen, um ganz allgemein auf das Umfeld
hinzuweisen, mit dem sich Dante bei der Abfassung des Con-
vivio kritisch auseinandergesetzt hat. So wichtig und wesent-
lich der Hof als Situierungsrahmen und Adressatenmilieu des
Convivio ist, so muß doch auch davon ausgegangen werden,
daß Dante sein materialreiches Buch nicht nur an den kleinen
Fürstenhöfen Oberitaliens geschrieben hat, sondern auch Zu-
gang zu größeren Bibliotheken in wichtigen Städten hatte, von
deren intellektuellen Leben er beeinflußt wurde. In diesem
Sinne kann davon ausgegangen werden, daß das studium von
Bologna, besonders dessen Artistenfakultät, während der Zeit
der Abfassung des Convivio auf den Alighieri einen entschei-
denden Einfluß ausgeübt hat und daß die These eines Aufent-
halts Dantes in Bologna um das Jahr 1306 höchstwahrschein-
lich zutrifft. Wenn der Florentiner sagt, er hätte zu Beginn

241 Vgl. die Beschreibung der Handschrift bei G. C. Alessio, "I trattati

grammaticali di Giovanni de! Virgilio", 190-194. Vgl. die erste Prosa aus
De planctu naturae: "Cum hec elegacia lamentabili eiulatione crebrius re-
censerem, mulier, ab impassiblis mundi penitiori delapsa palacio, ad me
maturare videbatur accessum ... " (Ed. Häring, 808).
Einleitung XCIX

seiner philosophischen Karriere die „disputazioni de 1i filoso-


fanti "249 besucht, so könnte damit, wie bereits S. Vanni Ro-
vighi vennutete250 , nicht zuletzt die Artistenfakultät der Uni-
versität Bologna gemeint sein, deren intellektuelles Milieu
dem Denken Dantes in mancher Hinsicht sehr nahe steht. Die-
se Situierung ist für die Deutung des hier vorliegenden Werkes
ebenso entscheidend, wie der Nachweis seines höfischen Ziel-
publikums, denn es ist die Spannung zwischen dem Gedanken-
gut des universitären Schulmilieus und dem Erkenntnisinteres-
se des höfischen Adressatenkreises, die das Convivio zu einem
Werk macht, das aus der Serienproduktion der mittelalterli-
chen Scholastik heraussticht. Die translatio philosophie von
der Universität an den Fürstenhof, die Dante im Convivio be-
wußt vollzieht, wird durch die Rekontextualisierung und ei-
genwillige Behandlung der Tradition zu einer transformatio
philosophie, die zugleich eine Verwandlung Dantes selbst vom
Schreiber anspruchsvoller Liebesgedichte zum Magister und
Autoren eines philosophischen Kommentars und einer Ein-
führung in die Philosophie bedeutet. Mehr noch, Dante macht
im Convivio etwas, was in der ständischen Gesellschaft des
Mittelalters nicht alltäglich war: er schafft sich seine eigene
Universität und veranstaltet sein eigenes höfisches Gastmahl,
er schlüpft in die Rolle des gelehrten Magisters und freigebi-
gen Fürsten.

249 Conv., II, xii, 7.


2 so Dies„ .Le disputazioni de li filosofanti." S. Vanni Rovighis These war
sehr allgemein formuliert und chronologisch nicht präzis konstruiert. Sie sah
vor allem in der Nennung des Taddeo Alderotto in Conv., I, x, 10 und in der
positiven Darstellung Sigers von Brabant in Par., X Spuren des Bologneser
Averroismus im Werk Dantes. Auch vermutete sie Beziehung zwischen der
Monarchia und Taddeus von Parmas Quaestiones de anima. Die zahlreichen
astronomischen Exkurse Dantes brachte sie mit Taddeo von Parmas Kom-
mentar zu Sacroboscos Theoria Planetarum in Verbindung (a.d. 1318).
c Francis Cheneval

10. Weitere Formen und Strukturen des Convivio

Das Convivio ist, wie Dante selbst mehrmals wiederholt, ein


Kommentar25 1, der bei genauerer Analyse verschiedene Form-
elemente der mit diesem scholastischen Unternehmen verbun-
denen Literaturgattungen und Arbeitstechniken aufweist. Die
Bücher II und III sind wörtliche und allegorische Auslegungen
des Textes. In Buch I läßt sich die Form der Quaestio nachwei-
sen, in der ein Universitätsmagister einzelne Fragen, die sich
aus der Textlektüre ergaben, nach einem festen Schema, los-
gelöst vom Text diskutiert. Der Abschnitt I, ii, 3-16 weist die
Elemente einer solchen Quaestio auf und erörtert die Frage, ob
es erlaubt sei, von sich selbst zu sprechen252 • In einem ersten
Teil(§§ 3-11) werden, wie dies üblich war, die Gegenargu-
mente aufgeführt, in § 12 setzt Dante mit der sogenannten
determinatio magistri ein, in der er durch eine Distinktion
bestimmt, unter welchen Umständen das Sprechen von sich
selbst erlaubt ist. Im Vergleich zur Standardform der Quaestio
fehlt einzig die nachgestellte Widerlegung der zuerst aufge-
führten Gegenargumente, was aber durchaus nicht unüblich
war253 • Wiederholt nennt Dante seine Schrift auch "trattato" 254
und bezeichnet damit eine Literaturgattung, in der mehrere,
thematisch zusammenhängende Quaestionen selbständig und

:m Vgl. Kommentar zu Conv., 1, i. Viel Spezialliteratur zum genus des


philosophischen Kommentars gibt es nicht. Vgl. Lexikon des Mittelalters,
V, 1279-1283. Vgl. auch G. Mathieu-Castellani, Les commentaires et la
naissance de la critique litteraire.
252 Diese Tatsache ist nicht unerheblich, denn die von der Forschung be-

reits diskutierte Quaestionenform des vierten Buches des Conv., wurde als
Beweis für die Andersartigkeit und zeitliche Distanz zu den ersten drei Bü-
chern vorgetragen. Vgl. M. Corti, La felicita mentale, 123f.
"'Vgl. Kommentar zu Conv., II, ii.
254 1,i, 17;viii, 18;ix,8;xii, 12;11,i, l.4;ii,6;vi, l;xv,3.11.12;III, i, l;

vii, 13; xii, l; xiii, 4; xv, 14.20; IV, ii, 4. 18; v, 10; ix, l; xiii, 7; xvi, 2; xx, 4;
xxiii, 15; xxvi, 5.8; xxvii, 11; xxx, 1.5; iii, l; xvi, 2.
Einleitung CI

unabhängig vom ursprünglich zu kommentierenden Werk ab-


gehandelt wurden. Dante hat durch die wiederholte und expli-
zite Bezeichnung seines Werks als Kommentar und Traktat
und auch in der effektiven Gestaltung wert darauf gelegt, seine
Schrift den literarischen Formen des scholastischen Betriebs
anzupassen255 •
Dantes Convivio ist wie die zum Teil gleichzeitig verfaßte
Schrift De vulgari eloquentia ein unvollendetes Werk. Wir
wissen dies aufgrund der Angaben des Alighieri im ersten
Kapitel (§ 14), wo er sein Vorhaben auf einen Prolog und
vierzehn Bücher veranschlagt, in denenje eine Kanzone kom-
mentiert werden sol1256 • Von diesen insgesamt fünfzehn Teilen
liegen nur vier vor, wobei die Bücher II und III je fünfzehn und
das Buch IV dreißig Kapitel aufweisen. Die Zahl der geplanten
Teile entspricht also der Zahl der Kapitel oder ist, wie in Buch
IV, in ihr enthalten. Das erste Buch des gesamten Projekts und
das erste Kapitel jedes Buches ist jeweils eine Einleitung zum
Ganzen.
Diese symmetrisch verschachtelte Struktur läßt sich auch bei
der Einteilung der einzelnen Bücher wieder erkennen. Bei der
Lektüre des Convivio fällt darüber hinaus auf, daß Dante seine
Leserschaft auf Schritt und Tritt über die Einteilung des Textes
und den Ort der jeweiligen Stelle in der größeren Ordnung des
Kapitels orientiert. Dieses Element der Kommentiertechnik
entnahm Dante den scholastischen Kommentaren der Univer-
sitäten, wo die sogenannte divisio textus zum Grundhandwerk

75 s In Par., XXIV, 46-153 schildert Dante seine Unterredung mit Petrus

über den Glauben als quaestio, die dem Bakkalar zur Erörterung gestellt
wird: "Si come il baccellier s'arma e non parla/ fin ehe '1 maestro la ques-
tion propone/ per approvarla, non per terminarla, cosi m'armava io d'ogne
ragione ... "
256 Für weitergehende Ausführungen und Spekulationen über die von Dan-

te nicht kommentierten Kanzonen vgl. ED II, 193f. Für eine Deutung der
Zahl 14 vgl. Kommentar zu I, i, 14.
CII Francis Cheneval

der im Rahmen der offiziellen Schulprogramme kommentie-


renden Professoren gehörte und ein fester Bestandteil eines
täglich zelebrierten Vorlesungsrituals war257 . Dante gibt sich
also auch durch die Übernahme dieser Form der Schulphiloso-
phie den Status eines kommentierenden Magisters.
Das aus dieser von Dante auffallend oft und explizit durch-
geführten Technik der Texteinteilung resultierende Zahlen-
spiel der einzelnen Divisionen und Subdivisionen scheint einen
direkten Bezug zu einzelnen Aussagen Dantes über die Bedeu-
tung von Zahlen zu haben, und es entsteht der Eindruck, der
Alighieri habe die trockene scholastische Übung der Textein-
teilung in den Dienst einer bedeutungsvollen Zahlensymbolik
gestellt. In allen vier Büchern lassen sich Strukturen entdek-
ken, denen aufgrund eigener Aussagen Dantes eine semioti-
sche Funktion zugewiesen werden kann. Wie in der Einleitung
zu I, v-xiii ausführlich dargelegt ist, weist dieser Teil drei
Abschnitte auf, von denen jeder wiederum in drei Unterab-
schitte zerfällt. Wie bei der Zahl der Bücher und der Kapitel der
Bücher II-IV ergibt sich auch hier eine symmetrische Schach-
telung des Textes, wobei 3 die strukturierende Grundzahl dar-
stellt258.
Die in drei Teilen enthaltenen drei Unterabschnitte ergeben
die Zahl Neun, der bei Dante eine große Bedeutung als Zahl
Beatrices, als Zahl der bewegten Himmelssphären, als Zahl der
himmlischen Hierarchien und letztlich als Zahl der menschli-
chen Vollkommenheit zukommt: „ Und sie teilt sie in drei Hier-
archien, d.h. drei heilige oder besser göttliche Fürstentümer
und jede der Hierarchien hat drei Ordnungen; so daß die Kirche
neun Ordnungen geistiger Geschöpfe behauptet und bekräftigt.
( ... ). Und es waltet allerstärkste Vernunft in ihrer Schau so-
wohl bezüglich der Zahl der Hierarchien als auch ihrer Ord-

m Vgl. P. Glorieux, L'enseignement au Moyen Age, 115f.


2s• Für die genaue Begründung vgl. Literalkommentar zu den Kapiteln v-
xiii. Vgl. Tabelle p. 121.
Einleitung cm

nungen. Denn da die göttliche Majestät in drei Personen ist, die


eine Substanz haben, kann man sie dreifach beschauen .... Und
weil manjede Person in der göttlichen Trinität dreifach beden-
ken kann, sind in jeder Hierarchie drei Ordnungen, die je
verschieden beschauen .... deshalb muß es neun Arten beschau-
ender Geister geben, um in das Licht zu sehen, das allein sich
vollständig wahrnimmt. Und hier darf etwas nicht verschwie-
gen werden. Ich meine, daß von all diesen Ordnungen einige,
kaum waren sie geschaffen, sich verloren haben, der Zahl nach
vielleicht der zehnte Teil; um diesen wiederherzustellen wurde
dann die Menschennatur geschaffen. Die Zahlen, die Ordnun-
gen und die Hierarchien erzählen die beweglichen Himmel, die
neun sind, und der zehnte verkündet die Einheit und die Festig-
keit Gottes" 259 •
In Conv., II, xiv weist Dante den neun Himmelssphären die
neun dem Menschen zugänglichen Wissenschaften zu, von
de~en er bereits in I, i, 1 gesagt hat, daß ihr höchstes Ziel darin
besteht, den Menschen zur Vollkommenheit und zum Glück zu
führen. Dante hat mit dem Teil I, v-xiii jene Passage nach der
Zahl Beatrices und der Vollkommenheit strukturiert, in der er
eigentlich vorgab, den substantiellen Mangel seines ganzen
Kommentars, nämlich die Abfassung in der Volkssprache, zu
rechtfertigen. In Buch II unterteilt Dante die Kanzone in drei
Teile und hält fest, daß diese Ordnung allen Büchern des Con-
vivio zugrundeliegen wird260 • Buch III, das Dantes Lob der
Frau beinhaltet, die in der allegorischen Deutung zum Lob der
Philosophie wird, weist, von Dante ausführlich betont, die
Drei-mal-drei-Struktur in der wörtlichen Auslegung aut'261 :

m Conv., II, v, 5. Vgl. Vita Nuova, XXIX. Der Text wird im Kommentar
zu 1, v-xiii zitiert.
260 II, ii, 6-7: "Damit es nicht nochmals nötig ist, diese Worte bei der

Deutung der anderen vorauszuschicken, sage ich, daß ich die Ordnung, die
in diesem Traktat zugrunde gelegt wird, für alle anderen beizubehalten ge-
denke. Ich sage also, das die vorgelegte Kanzone drei Hauptteile umfaßt."
261 Kapitel ii-x. Vgl. Kommentar Conv., III, i.
CIV Francis Cheneval

Struktur der allegorischen Auslegung (III, ii-x)

Unaussprechlichkeit
des Themas
(ii, 2 - iii, 15)

Einleitung Eigenes Unvermögen


(ii-iv) (iv, 2-3)

Entschuldigung des
Unvermögens
(iv, 4-13)

Allgemeines Lob
der Seele und des
Körpers(v, 2-vi, 13)

Hauptteil Besonderes Lob


Lob der Frau (ii-x) Lob der Frau der Seele
(v-viii) (vii)

Besonderes Lob
des Körpers
(viii)

Thematisierung
des Widerspruchs
zum Tanzlied (ix, 4)

Reinigung der Entschuldigung


Kanzone des Widerspruchs
(ix-x) (iX, 5 - X, 4)

Belehrung der
Kanzone
(x, 5 - 10)
Einleitung cv

Die in der Textstruktur eingewobene Neunzahl gibt dem Lob


der geliebten Frau die Form der Vollkommenheit. Im allegori-
schen Teil (xi-xv) wird diese Frau als Philosophie gedeutet,
durch deren "Blick" der Mensch seine Vollkommenheit er-
reicht. Das Convivio war als umfassendes Itinerar des Men-
schen hin zu seiner Vollkommenheit konzipiert, wobei die
Überwindung sozialer Ursachen, die den Menschen von der
ihn vervollkommnenden Wissenschaft abhalten, im Vorder-
grund stehen. Das Ziel des Convivio, einen möglichst großen
Teil der Menschheit zur Vollkommenheit zu führen, ist von
Dante durch die dreimal in drei Teile aufgegliederte und die
Zahl der Vollkommenheit (9) symbolisierende divisio textus
wiederholt in die Struktur des Werkes hineingewoben worden.
Aus bis heute unbekannten Gründen blieb das ehrgeizige
philosophische Projekt des Convivio unvollendet. Es muß je-
doch weniger die hohe philosophische Absicht, als eher das
enorme Volumen und die Akzentverschiebung von der Tu-
gendlehre auf die Politik gewesen sein, die Dante dazu veran-
laßt hat, von der Vollendung seines Eigenkommentars abzuse-
hen, denn der Florentiner hat später mit der Monarchia ein
kompaktes philosophisches Werk geschaffen, in dem er in drei
Büchern einen Entwurf der politischen Bedingungen für die
vollkommene Realisierung der Menschenvernunft und die da-
mit verbundene höchste irdische Glückseligkeit dargelegt hat.
!L.o amotoro J.Couiuio oi ~an~
tc:con Ia additione:mouaf
mcnte fhtmparo.

Titelseite des amoroso Convivio di Dante, ediert in Venedig im


Oktober des Jahres 1521 von Zuane Antonio und Fradelli da Sabio.
DANTE ALIGHIERI

Convivio / Das Gastmahl

Trattato Primo
Erstes Buch
CONVIVIO

Trattato primo

i. Si come dice lo Filosofo nel prineipio de la Prima Filoso-


fia, tutti li uomini naturalmente desiderano di sapere. La ra-
gione di ehe puote essere ed e ehe ciaseuna eosa, da providen-
za di prima natura impinta, e inelinabile a la sua propria per-
fezione; onde, acciö ehe la seienza e ultima perfezione de la
nostra anima, ne la quale sta la nostra ultima felieitade, tutti
naturalmente al suo desiderio semo subietti. (2) Veramente da
que-sta nobilissima perfezione molti sono privati per diverse
eagioni, ehe dentro a l'uomo e di fuori da esso lui rimovono da
l'abito di seienza. (3) Dentro da l'uomo possono essere due
difetti e impedi[men]ti: l'uno da la parte del eorpo, l'altro da
la parte de l'anima. Da la parte del eorpo e quando le parti
sono indebitamente disposte, si ehe nulla ricevere puo, si eo-
me sono sordi e muti e loro simili. Da la parte de l'anima e
quando la malizia vinee in essa, si ehe si fa seguitatriee di
viziose delettazioni, ne le quali riceve tanto inganno ehe per
quelle ogm eosa tiene a vile. (4) Di fuori da l'uomo possono
essere similemente due eagioni intese, l'una de le quali ein-
duttriee di necessitade, l'altra di pigrizia. La prima e la eura
familiare e eivile, la quale eonvenevolemente a se tiene de li
uomini lo maggior numero, si ehe in ozio di speculazione
esser non possono. L'altra e lo difetto del luogo dove la per-
DAS GASTMAHL

Erstes Buch

i. Wie der Philosoph zu Beginn der Metaphysik sagt, wün-


schen alle Menschen von Natur aus zu wissen. Der Grund
hiervon könnte sein und ist, daß jedes Ding, von der Vorse-
hung der ersten Natur geprägt, zu seiner eigenen Vervoll-
kommnung neigt; weswegen, da die Wissenschaft, in der un-
ser höchstes Glück besteht, die letzte Vervollkommnung un-
serer Seele ist, wir alle von Natur aus dem Verlangen nach ihr
unterworfen sind. (2) In Wahrheit sind viele [Menschen] die-
ser edelsten Vervollkommnung wegen verschiedener Ursa-
chen, die im Menschen selbst und außerhalb seiner, ihn vom
Habitus zur Wissenschaft entfernen, beraubt. Im Innern des
Menschen können zwei Mängel und Hindernisse sein: Das
eine von seiten des Körpers, das andere von seiten der Seele.
(3) Seitens des Körpers [besteht ein Hindernis], wenn die Tei-
le ungenügend veranlagt sind, so daß er nichts empfangen
kann, wie es bei Tauben und Stummen und ihnen Ähnlichen
der Fall ist. Seitens der Seele [besteht ein Hindernis], wenn die
Bosheit in ihr die Oberhand gewinnt, so daß sie sich zur An-
hängerin lasterhafter Freuden macht, in denen sie soviel Täu-
schung erfährt, daß sie dadurch alles für niederträchtig hält.
(4) Außerhalb des Menschen können ebenso zwei Ursachen
ausgemacht werden, deren eine sich aus Notwendigkeit er-
gibt, die andere aus Faulheit. Die erste ist die Sorge um die
Familie und um die Gemeinschaft, die gebührenderweise die
größte Zahl der Menschen an sich fesselt, so daß sie nicht in
der Ruhe des Betrachtens leben können. Die andere ist der
Mangel des Ortes, an dem die Person geboren und ernährt
4 Convivio I · i, 4-11

sona e nata e nutrita, ehe tal ora sara da ogni studio non sola-
mente privato, ma da gente studiosa lontano.
(5) Le due di queste cagioni, cioe la prima da la parte [di
dentro e la prima da la parte] di fuori, non sono da vituperare,
ma da escusare e di perdono degne; le due altre, avvegna ehe
l'una piii, sono degne di biasimo e d'abominazione. (6) Ma-
nifestamente adunque puo vedere chi bene considera, ehe pochi
rimangono quelli ehe a l'abito da tutti desiderato possano per-
venire, e innumerabili quasi sono li 'mpediti ehe di questo cibo
sempre vivono affamati. (7) Oh beati quelli pochi ehe seggiono
a quella mensa dove lo pane de li angeli si manuca! e miseri
quelli ehe con le pecore hanno comune cibo! (8) Ma pero ehe
ciascuno uomo a ciascuno uomo naturalmente e amico, e cia-
scuno amico si duale del difetto di colui eh' elli ama, coloro ehe
a cosi alta mensa sono cibati non sanza misericordia sono inver
di quelli ehe in bestiale pastura veggiono erba e ghiande sen
gire mangiando. (9) E accio ehe misericordia e madre di bene-
ficio, sempre liberalmente coloro ehe sanno porgono de la loro
buona ricchezza a li veri poveri, e sono quasi fonte vivo, de la
cui acqua si refrigera la naturale sete ehe di sopra e nominata.
(10) E io adunque, ehe non seggio a la beata mensa, ma, fuggito
de la pastura del vulgo, a' piedi di coloro ehe seggiono ricolgo
di quello ehe da loro eade, e eonoseo la misera vita di quelli ehe
dietro m'ho lasciati, per la dolcezza eh'io sento in quello ehe
a poco a poeo rieolgo, miserieordievolmente mosso, non me
dimentieando, per li miseri alcuna eosa ho riservata, Ja quale
a li oeehi loro, gia e piii tempo, ho dimostrata; ein cio li ho fatti
maggiormente vogliosi. (11) Per ehe ora volendo loro apparee-
ehiare, intendo fare un generale convivio di cio ch'i' ho loro
mostrato, e di quello pane eh'e mestiere a eosi fatta vivanda,
Das Gastmahl 5

worden ist, so daß eine solche [Person] jetzt nicht nur jedes
Studiums beraubt sein dürfte, sondern auch weit entfernt von
gelehrten Leuten.
(5) Zwei dieser Ursachen, d.h. die erste der (inneren und die
erste der) äußeren Seite, sind nicht zu tadeln, sondern zu ent-
schuldigen und der Vergebung würdig; die zwei anderen - die
eine allerdings mehr - sind des Tadels und der Verabscheuung
würdig. (6) Deutlich kann, wer es recht bedenkt, also sehen,
daß wenige übrigbleiben, die zum von allen gewünschten Ha-
bitus gelangen können, und daß die Verhinderten, die bezüg-
lich dieser Speise immer hungernd leben, beinahe unzählbar
sind. (7) Ach glücklich sind jene wenigen, die an jener Tafel
sitzen, wo man das Brot der Engel ißt, und beklagenswert sind
jene, die ihre Nahrung mit den Schafen gemein haben! (8) Weil
aber jeder Mensch jedem Menschen von Natur aus ein Freund
ist und jeden Freund der Mangel bei dem, den er liebt,
schmerzt, sind jene, die an dieser erhabenen Tafel gespiesen
werden, nicht ohne Barmherzigkeit gegenüber jenen, die sie
ständig in einem tierischen Brei Gras und Eicheln essen sehen.
(9) Und weil die Barmherzigkeit Mutter der Wohltätigkeit ist,
geben jene, die wissen, immer freimütig von ihrem guten
Reichtum den wahren Armen und sie sind wie eine lebendige
Quelle, an deren Wasser sich der oben erwähnte natürliche
Durst labt. (10) Und ich also, der ich nicht an der glückseligen
Tafel sitze, sondern vom Brei der großen Menge weggelaufen,
zu Füßen jener, die sitzen, zusammenlese, was von ihnen her-
unterfällt und der ich das unglückliche Leben jener, die ich
hinter mir gelassen, kenne, habe, wegen der Süße, die ich in
dem Stück für Stück Zusammengelesenen spüre, durch Barm-
herzigkeit bewegt, mich selbst nicht vergessend, für die Un-
glückseligen gewisse Dinge aufbewahrt, die ich, einige Zeit ist
es bereits her, ihren Augen vorgeführt habe; und dadurch habe
ich veranlaßt, daß sie nach mehr verlangen. (11) Da ich ihnen
nun auftragen will, gedenke ich, ein allgemeines Gastmahl zu
veranstalten mit jenen Dingen, die ich ihnen gezeigt habe, und
6 Convivio 1 · i, 11-17

sanza lo quale da loro non potrebbe esser mangiata. (12) E


questo [e quello] eonvivio, di quello pane degno, eon tale
vivanda qual io intendo indamo [non] essere ministrata. E pero
ad esso non s'assetti aleuno male de' suoi organi disposto, pero
ehe ne denti ne lingua ha ne palato; ne aleuno assettatore di
vizii, perehe lo stomaeo suo e pieno d' omori venenosi eontra-
rii, si ehe mai vivanda non terrebbe. (13) Ma vegna qua qua-
lunque e [per eura] familiare o eivile ne la umana fame rimaso,
e ad una mensa eon li altri simili impediti s'assetti; e a li loro
piedi si pongano tutti quelli ehe per pigrizia si sono stati, ehe
non sono degni di piU alto sedere: e quelli e questi prendano la
mia vivanda eol pane, ehe la faro loro e gustare e patire. ( 14) La
vivanda di questo eonvivio sara di quattordiei maniere ordina-
ta, cioe quattordici eanzoni si d'amor eome di vertu. materiate,
le quali sanza lo presente pane aveano d'alcuna oseuritade
ombra, si ehe a molti loro bellezza piU ehe loro bontade era in
grado. (15) Ma questo pane, eioe la presente disposizione, sara
la luee la quale ogni eolore di loro sentenza fara parvente.
(16) E se ne la presente opera, la quale e Convivio nominata
e vo' ehe sia, piU virilmente si trattasse ehe ne la Vita Nuova,
non intendo pero a quella in parte alcuna derogare, ma mag-
giormente giovare per questa quella; veggendo si eome ragio-
nevolmente quella fervida e passionata, questa temperata e
virile esser eonviene. (17) Che altro si eonviene e dire e ope-
rare ad una etade ehe ad altra; perehe eerti eostumi sono idonei
e laudabili ad una etade ehe sono seonei e biasimevoli ad altra,
si eome di sotto, nel quarto trattato di questo libro, sara pro-
Das Gastmahl 7

mit jenem Brot, das die Voraussetzung für derart beschaffene


Speise ist, ohne das sie nicht essen können. (12) Und dies (ist
jenes) dieses Brotes würdige Gastmahl, das aus Speisen be-
steht, von denen ich denke, daß es vergebens ist sie (nicht)
aufzutragen. Aber zu ihm setze sich kein durch seine Organe
schlecht ausgestatteter, weil er weder Zähne noch Zunge noch
Gaumen hat; noch ein ständiger Gefährte der Laster, denn sein
Magen ist voll von entgegengesetzten giftigen Säften, so daß
er nie Speise bei sich behalten könnte. (13) Es komme aber
jeder, der (wegen der Sorge) um die Familie und um die
Gemeinschaft im menschlichen [Verlangen] hungrig geblie-
ben ist, und er setze sich mit den anderen in ähnlicher Weise
Verhinderten an einen Tisch; und zu ihren Füßen sollen sich
all jene lagern, die wegen ihrer Faulheit eines höheren Platzes
nicht würdig sind: und diese und jene sollen meine Speise, die
ich ihnen zubereiten werde, zusammen mit dem Brot nehmen,
um sie zu kosten und zu verdauen. (14) Die Speise dieses
Gastmahls wird aus vierzehn Gängen bestehen, d.h. aus vier-
zehn sowohl aus Liebe als auch aus Tugend gebildeten Kan-
zonen, die ohne dieses Brot wegen gewisser Dunkelheiten
Schatten hatten, so daß vielen eher ihre Schönheit als ihre Güte
aufgefallen ist. (15) Aber dieses Brot, d.h. die vorliegende
Auslegung, wird das Licht sein, das jede Farbe ihrer Aussagen
hervortreten lassen wird.
(16) Und wenn im vorliegenden Werk, das Gastmahl heißt
- und ich will, daß es so genannt wird - , mannhafter vorgegan-
gen wird als im Neuen Leben, so ist es dennoch nicht meine
Absicht, jenes in irgendeinem Teil aufzugeben, sondern viel-
mehr durch dieses jenem zu helfen; es erscheint jenes also
vernünftigerweise als feurig und leidenschaftlich, diesem
[hingegen] kommt es zu, ausgeglichen und kraftvoll zu sein.
(17) Denn anders ziemt es sich, je nach Alter zu sprechen und
zu handeln; passend und lobenswert sind im einen Alter gewis-
se Gewohnheiten, die in einem andern ungehörig und tadelns-
wert sind, wie weiter unten, im vierten Traktat dieses Werkes
8 Convivio 1 . i, 17 - ii, 4

pria ragione mostrata. E io in quella dinanzi, a l'entrata de Ia


mia gioventute parlai, e in questa dipoi, quella gia trapassata.
(18) E eon eio sia eosa ehe la vera intenzione mia fosse altra
ehe quella ehe di fuori mostrano le eanzoni predette, per alle-
goriea esposizione quelle intendo mostrare, appresso la litte-
rale istoria ragionata; siehe l'una ragione e l'altra dara sapore
a eoloro ehe a questa eena sono eonvitati. (19) Li quali priego
tutti ehe se lo eonvivio non fosse tanto splendido quanto eon-
viene a la sua grida, ehe non al mio volere ma a Ja mia faeul-
tade imputino ogni difetto; pero ehe Ja mia voglia di eompita
e eara liberalitate e qui seguaee.

ii. Nel eomineiamento di ciaseuno bene ordinato eonvivio


sogliono li sergenti prendere lo pane apposito, e quello purga-
re da ogni maeuJa. Per ehe io, ehe ne Ja presente serittura
tengo luogo di quelli, da due maeule mondare intendo primie-
ramente questa esposizione, ehe per pane si eonta nel mio
eorredo. (2) L'una e ehe parlare aleuno di se medesimo pare
non licito; I'altra e, ehe parlare in esponendo troppo a fondo
pare non ragionevole: e lo illieito e 'l non ragionevole lo eol-
tello del mio giudieio purga in questa forma. (3) Non si eon-
eede per li retorici alcuno di se medesimo sanza neeessaria
eagione parlare, e da eio e l'uomo rimosso, perehe parlare
d'alcuno non si puo, ehe il parladore non lodi o non biasimi
quelli di eui elli parla; le quali due eagioni rusticamente stan-
no, a far [dire] di se, ne la bocea di eiaseuno. (4) E per levare
un dubbio ehe qui surge, dieo ehe peggio sta biasimare ehe
lodare, avvegna ehe l 'uno e l 'altro non sia da fare. La ragione
Das Gastmahl 9

mit entsprechenden Gründen vorgeführt werden wird. Und in


jenem habe ich früher, auf der Schwelle zu meiner Jugend,
gesprochen und in diesem später, [nachdem diese] bereits über-
schritten war. (18) Und da meine wahre Absicht eine andere
war, als die eingangs genannten Kanzonen von aussen zeigen,
beabsichtige ich, diese durch allegorische Auslegung im An-
schluß an die buchstäblich dargelegte Geschichte aufzuzeigen;
so wird sowohl der eine wie der andere Gehalt den Eingela-
denen das Essen schmackhafter machen. (19) Alle diese [Ein-
geladenen] bitte ich, daß, falls das Gastmahl nicht so brillant
wäre, wie es seiner Ankündigung entsprechen würde, sie die
Mängel nicht meinem Wollen, sondern meinem Vermögen zur
Last legen; denn mein Trachten strebt hier nach vollkommener
und wahrer Freigebigkeit.

ii. Zu Beginn jedes wohlgeordneten Gastmahls pflegen die


Diener, das dafür vorgesehene Brot zu nehmen und es von
jedem Makel zu reinigen. Weswegen ich, der ich in der vorlie-
genden Schrift den Platz [der Diener] einnehme, diese Ausle-
gung, die in meinem Speiseplan als Brot gilt, zuallererst von
zwei Makeln zu reinigen gedenke. (2) Der eine [Makel] besteht
darin, daß von sich selbst zu sprechen, nicht erlaubt zu sein
scheint; der andere besteht darin, daß es nicht vernünftig
scheint, in der Auslegung allzu tiefschürfend zu sprechen; und
das Unerlaubte und das Nichtvernunftgemäße reinigt das Mes-
ser meines Urteils folgendermaßen. (3) Es ist seitens der Rhe-
toren nicht erlaubt, ohne zwingenden Grund von sich selbst zu
sprechen, und der Grund dafür, daß es dem Menschen verboten
ist, liegt darin, daß man über niemanden sprechen kann, ohne
daß der Redende jene, von denen er spricht, lobt oder tadelt;
und diese zwei Gründe sind im Mund dessen, der von sich selbst
spricht unanständigerweise vorhanden. (4) Und um einen hier
auftauchenden Zweifel auszuräumen, sage ich, daß es schlim-
mer ist zu tadeln als zu loben, wobei allerdings weder das eine
noch das andere zu tun ist. Der Grund hierfür ist, daß ein Ding,
10 Convivio I · ii, 4-10

e ehe qualunque cosa e per se da biasimare, e piU laida ehe


quella ehe e per accidente. (5) Dispregiar se medesimo e per se
biasimevole, pero ehe a l'amico dee l'uomo lo suo difetto
contare strettamente, e nullo e piu amico ehe l'uomo a se;
onde ne la camera de' suoi pensieri se medesimo riprender dee
e piangere li suoi difetti, e non palese. (6) Ancora: del non
potere e del non sapere ben se menare le piu volte non e l'uo-
mo vituperato, ma del non volere e sempre, perche nel volere
e nel non volere nostro si giudica la malizia e la bontade; e
pero chi biasima se medesimo appruova se conoscere lo suo
difetto, appruova se non essere buono: per ehe, per se, e da
lasciare di parlare se biasimando. (7) Lodare se e da fuggire si
come male per accidente, in quanto lodare non si puo, ehe
quella loda non sia maggiormente vituperio. Eloda ne la punta
de le parole, e vituperio chi cerca loro nel ventre: ehe le parole
sono fatte per mostrare quello ehe non si sa, onde chi loda se
mostra ehe non creda essere buono tenuto; ehe non li incontra
sanza maliziata conscienza, la quale, se lodando, discuopre e,
discoprendo, si biasima.
(8) E ancora la propria loda e lo proprio biasimo e da fuggire
per una ragione igualmente, si come falsa testimonianza fare;
pero ehe non e uomo ehe sia di se vero e giusto misuratore,
tanto la propria caritate ne 'nganna. (9) Onde avviene ehe
ciascuno ha nel suo giudicio le misure del falso mercatante,
ehe vende con l'una e compera con l'altra; e ciascuno con
ampia misura cerca lo suo mal fare e con piccola cerca lo bene;
siehe 'l numero e la quantita e 'l peso del bene li pare piU ehe
se con giusta misura fosse saggiato, e quello del male meno.
(10) Per ehe, parlando di se con loda o col contrario, o dice
Das Gastmahl 11

das an sich zu tadeln ist, häßlicher ist, als jenes [Ding], das per
Akzidens [zu tadeln] ist. (5) Sich selbst zu verachten, ist an sich
genommen tadelnswert, weil ein Mensch seinem Freund seinen
Mangel bündig vorrechnen muß, und niemand ist in höheren
Masse Freund als ein Mensch sich selbst; weswegen er sich
selbst in der Kammer seiner Gedanken zurechtweisen und seine
Mängel beweinen muß und nicht öffentlich. (6) Weiter: Wegen
des Unvermögens und Nichtwissens bezüglich einer guten
Selbstführung wird der Mensch in den meisten Fällen nicht
gescholten, aber wegen des Nichtwollens wird er es immer,
denn anhand unseres Wollens und unseres Nichtwollens wird
die Schlechtigkeit und die Gutheit beurteilt; so bestätigt, wer
sich selbst tadelt, die Kenntnis seines Mangels [und] bestätigt,
daß er nicht gut ist: deswegen ist es an sich zu unterlassen, von
sich selbst tadelnd zu sprechen. (7) Vom Selbstlob ist als
Schlechtem per Akzidens Abstand zu nehmen, insofern man
nicht loben kann, ohne daß jenes Lob hauptsächlich Tadel ist.
Lob ist es an der Oberfläche der Worte, Tadel ist es für jenen,
der in ihren Eingeweiden sucht: denn die Worte dienen dazu das
zu zeigen, was man nicht weiß, weswegen, wer sich selbst lobt,
zeigt, daß er nicht glaubt für gut gehalten zu werden; was ihm
nicht geschieht ohne schlechtes Gewissen, das er, sich selbst
lobend, aufdeckt und sich, dies aufdeckend, tadelt.
(8) Und weiter ist das Eigenlob und der Selbsttadel aus dem
gleichen Grund zu fliehen wie die Falschaussage; denn es gibt
keinen Menschen, der ein wahrer und gerechter Bewerter sei-
ner selbst ist, zu sehr täuscht ihn die Eigenliebe. (9) Daher
kommt es, daß jeder in seinem Urteil die Masse des falschen
Händlers verwendet, der mit dem einen [Maß] verkauft und
mit dem anderen kauft; und jeder sucht mit einem großen Maß
sein schlechtes Tun und mit einem kleinen das Gute; so daß
Zahl, Menge und Gewicht des Guten ihm als größer erschei-
nen, als wenn es mit dem richtigen Maß gewogen würde, und
[die Masse] des Schlechten kleiner. (10) Weswegen er, von
sich selbst mit Lob oder dem Gegenteil sprechend, entweder
12 Convivio 1 . ii, 10-15

falso per rispetto a la cosa di ehe parla; o dice falso per rispetto
a la sua sentenza, c'ha l'una e l'altra falsitate. (11) E pero, con
cio sia cosa ehe lo consentire e uno confessare, villania fa chi
loda o chi biasima dinanzi al viso alcuno, perche ne consentire
ne negare puote lo cosi estimato, sanza cadere in colpa di
lodarsi o di biasimare: salva qui la via de la debita correzione,
ehe essere non puo sanza improperio del fallo ehe correggere
s'intende; e salva la via del debito onorare e magnificare, la
quale passar non si puo sanza far menzione de l 'opere virtuo-
se, o de le dignitadi virtuosamente acquistate.
(12) Veramente, al principale intendimento tornando, dico,
come e toccato di sopra, per necessarie cagioni lo parlare di se
e conceduto: e in tra !'altre necessarie cagioni due sono piu
manifeste. (13) L'una e quando sanza ragionare di se grande
infamia o pericolo non si puo cessare; e allora si concede, per
la ragione ehe de li due sentieri prendere lo men reo e quasi
prendere un buono. E questa necessitate mosse Boezio di se
medesimo a parlare, accio ehe sotto pretesto di consolazione
escusasse Ja perpetuale infamia de! suo essilio, mostrando
quello essere ingiusto, poi ehe altro escusatore non si levava.
(14) L'altra e quando, per ragionare di se, grandissima utilita-
de ne segue altrui per via di dottrina; e questa ragione mosse
Agustino ne Je sue Confessioni a parlare di se, ehe per lo
processo de Ja sua vita, lo quale fu di [non] buono in buono,
e di buono in migliore, e di migliore in ottimo, ne diede es-
semplo e dottrina, Ja quale per si vero testimonio ricevere non
si potea. (15) Per ehe se l'una e l'altra di queste ragioni mi
scusa, sufficientemente lo pane de! mio formento e purgato de
Das Gastmahl 13

Falsches sagt in Hinsicht auf die Sache, von der er spricht, oder
er sagt Falsches in Hinsicht auf seine Aussage, die beide
Falschheit haben. (11) Und da Beipflichten gleich Bekennen
ist, begeht, wer jemanden in seinem Beisein lobt oder tadelt,
eine Frechheit, weil der derart eingeschätzte weder beipflich-
ten noch verneinen kann, ohne der Schuld des Selbstlobes oder
Tadels zu verfallen: außer im Falle der angemessenen Ermah-
nung, die nicht ohne die Schmähung des Fehlers, den richtig-
zustellen sie beabsichtigt, auskommt; und im Falle der ange-
messenen Ehrung und Verherrlichung, was aber nicht ohne
Erwähnung der tugendhaften Werke oder der tugendhaft er-
worbenen Würden geschehen kann.
(12) Zur ursprünglichen Absicht zurückkehrend erkläre ich,
wie es oben gestreift worden ist, daß das Sprechen von sich
selbst bei zwingenden Gründen tatsächlich erlaubt ist: und
unter anderen zwingenden Gründen sind zwei am offensicht-
lichsten. (13) Der eine ist [dann gegeben], wenn, ohne über
sich selbst zu verhandeln, eine große Verleumdung oder Ge-
fahr nicht beendet werden kann; und dann ist es aus dem Grund
erlaubt, daß die Wahl des weniger schlechten der zwei Wege
gleichsam die Wahl des guten ist. Und diese Notwendigkeit
bewegte Boethius dazu, von sich selbst zu sprechen, um unter
dem Vorwand der Tröstung die andauernde Schmach seines
Exils zu entschuldigen - indem er zeigte, daß dieses ungerecht
war-, zumal kein anderer Verteidiger sich erhob. (14) Der
andere [Grund] ist [dann gegeben], wenn aus dem Verhandeln
über sich selbst auf dem Weg der Lehre größter Nutzen für
andere folgt; und dieser Grund bewegte Augustinus dazu, in
seinen Bekenntnissen von sich selbst zu sprechen, damit er
durch den Gang seines Lebens, der vom (nicht) Guten zum
Guten, vom Guten zum Besseren und vom Besseren zum Be-
sten führte, Beispiel gebe und Lehre, die man von keiner wahr-
haftigeren Zeugenaussage empfangen konnte. (15) Weswe-
gen, wenn der eine und der andere dieser Gründe mich ent-
schuldigt, das Brot meines Kommentars von seinem ersten
14 Convivio 1 · ii, 15 - iii, 4

la prima sua macula. Movemi timore d'infamia, e movemi


disiderio di dottrina dare, la quale altri veramente dare non
puo. (16) Terno la infamia di tanta passione avere seguita,
quanta concepe chi legge le sopra nominate canzoni in me
avere segnoreggiata; la quale infamia si cessa, per lo presente
di me parlare, interamente, lo quale mostra ehe non passione
ma vertil sia stata la movente cagione. (17) Intendo anche
mostrare la vera sentenza di quelle, ehe per alcuno vedere non
si puo s'io non la conto, percbe e nascosa sotto figura d'alle-
goria: e questo non solamente dara diletto buono a udire, ma
sottile ammaestramento e a cosi parlare e a cosi intendere
l'altrui scritture.

iii. Degna di molta riprensione e quella cosa ehe, ordinata a


torre alcuno difetto, per se medesima quello induce; si come
quelli ehe fosse mandato a partire una rissa, e prima ehe par-
tisse quella ne iniziasse un'altra. (2) E pero ehe lo mio pane e
purgato da una parte, convienlomi purgare da l'altra, per fug-
gire questa riprensione; ehe lo mio scritto, ehe quasi comento
dir si puo, e ordinato a levar lo difetto de le canzoni sopra dette,
ed esso per se fia forse in parte alcuna un poco duro. La qual
durezza, per fuggir maggiore difetto, non per ignoranza, e qui
pensata. (3) Abi, piaciuto fosse al dispensatore de l'universo
ehe la cagione de la mia scusa mai non fosse stata! ehe ne altri
contra me avria fallato, ne io sofferto avria pena ingiustamen-
te, pena, dico, d'essilio e di povertate. (4) Poi ehe fu piacere
de li cittadini de la bellissima e famosissima figlia di Roma,
Das Gastmahl 15

Makel genügend gereinigt ist. Mich bewegt die Furcht vor


Verleumdung und mich bewegt der Wunsch, Lehre, die ein
anderer zuverlässig nicht geben kann, zu vermitteln. (16) Ich
fürchte die Verleumdung, so vieler Leidenschaft gefolgt zu
sein, wie sie jener als in mir herrschend wahrnimmt, der die
oben genannten Kanzonen liest; diese Verleumdung findet,
durch dieses Sprechen über mich, das zeigt, daß nicht Leiden-
schaft sondern Tugend die bewegende Ursache gewesen ist, ihr
definitives Ende. (17) Ich beabsichtige, auch die eigentliche
Aussage dieser [Kanzonen] aufzuzeigen, die von einigen nicht
gesehen werden kann, wenn ich sie nicht darlege, denn sie ist
unter der Figur der Allegorie versteckt: und dies zu hören, wird
nicht nur zu erfreulichem Vergnügen gereichen, sondern auch
zur sorgfältigen Belehrung bezüglich dieser Art des Sprechens
und bezüglich des entsprechenden Verständnisses anderer
Schriften.

iii. Nachhaltiger Rüge würdig ist jenes Ding, das, darauf


angelegt, einen Mangel zu beheben, selbst einen solchen ein-
führt; so wie jener, der ausgeschickt wurde, eine Schlägerei zu
trennen, und der, bevor er diese trennte, eine andere anzettelte.
(2) Und da mein Brot von der einen Seite her gereinigt ist, ziemt
es sich für mich, es von der anderen zu reinigen, um dieser Rüge
zu entgehen; denn mein Schreiben, das man gleichsam einen
Kommentar nennen kann, ist darauf angelegt den Mangel der
oben genannten Kanzonen zu beheben, und es selbst wird in
gewissen Teilen vielleicht ein bißchen hart. Diese Härte ist hier
gewollt, um größeren Mängeln zu entgehen, und nicht aus
Unwissen. (3) Ach, hätte es dem Lenker des Universums doch
gefallen, daß es die Ursache meiner Entschuldigung nie gege-
ben hätte! Daß sich weder andere mir gegenüber verfehlt hät-
ten, noch daß ich ungerechterweise Strafe hätte erleiden müs-
sen, die Strafe- sage ich- des Exils und der Armut. (4) Da es
den Bürgern der schönsten und berühmtesten Tochter Roms,
Florenz, gefallen hatte, mich aus ihrem süßen Schoß hinauszu-
16 Convivio I · iii, 4-9

Fiorenza, di gittarmi fuori del suo dolce seno - nel quale nato
e nutrito fui in fino al colmo de Ja vita mia, e nel quale, con
buona pace di quella, desidero con tutto lo cuore di riposare
J'animo stancato e terminare Jo tempo ehe m'e dato - , per Je
parti quasi tutte a le quali questa lingua si stende, peregrino,
quasi mendicando, sono andato, mostrando contra mia voglia
Ja piaga de Ja fortuna, ehe suole ingiustamente al piagato molte
volte essere imputata. (5) Veramente io sono stato Jegno sanza
vela e sanza governo, portato a diversi porti e foci e liti dal
vento secco ehe vapora la dolorosa povertade; e sono apparito
a li occhi a molti ehe forseche per alcuna fama in altra forma
m'aveano imaginato, nel conspetto de' quali non solamente
mia persona invilio, ma di minor pregio si fece ogni opera, si
giil fatta, come quella ehe fosse a fare. (6) La ragione per ehe
cio incontra - non pur in me, ma in tutti - brievemente or qui
piace toccare: e prima, perche Ja stima oltre Ja veritade si
sciampia; e poi, perche Ja presenzia oltre Ja veritade strin-
ge. (7) La fama buona, principalmente e generata da Ja buona
operazione ne Ja mente de J'amico, e da quella e prima partori-
ta; ehe Ja mente del nemico, avvegna ehe riceva Jo seme, non
concepe. (8) Quella mente ehe prima Ja partorisce, si per far
piu omato Jo suo presente, si per Ja caritade de l 'amico ehe Jo
riceve non si tiene a li termini del vero, ma passa quelli. E
quando per ornare ciO ehe dice li passa, contra conscienza
parla; quando inganno di caritade li fa passare, non parla con-
tra essa. (9) La seconda mente ehe cio riceve, non solamente
a Ja dilatazione de Ja prima sta contenta, ma 'l suo riportamen-
to, si come qu[as]i suo effetto, procura d'adomare; e si, ehe
per questo fare e per Jo 'nganno ehe riceve de Ja caritade in Jei
Das Gastmahl 17

werfen - wo ich geboren und ernährt wurde bis zum Höhepunkt


meines Lebens und in welchem ich, in gutem Frieden mit ihr,
von ganzem Herzen wünsche, meine ermüdete Seele auszuru-
hen und die mir gegebene Zeit zu beenden - , bin ich durch
beinahe alle Regionen, in die sich diese Sprache erstreckt, als
Herumirrender, einem Bettler gleich, gegangen und ich habe
hierbei gegen meinen Willen, die Wunde des Schicksals, die
dem Verwundeten in vielen Fällen ungerechterweise zugefügt
zu sein pflegt, vorgezeigt. (5) Tatsächlich war ich ein Floß ohne
Segel und ohne Steuer, vom trockenen Wind, der die schmerz-
hafte Armut ausdörrt, in verschiedene Häfen, an Flußmündun-
gen und Strände getragen; und ich bin unter den Augen vieler,
die sich mich vielleicht irgendeines Rufes wegen in anderer
Form vorgestellt haben, erschienen. In ihrem Blickfeld wurde
nicht nur meine Person herabgewürdigt, sondern auch jedes
Werk, sei es bereits verfaßt oder sei es noch zu verfassen,
entwertet. (6) Den Grund, weswegen solches begegnet- nicht
nur mir, sondern allen -, hier kurz zu streifen, sei erlaubt:
zuerst, weil die Wertschätzung sich über die Wahrheit hinaus
verbreitet; danach, weil die Anwesenheit über die Wahrheit
hinaus einengt. (7) Der gute Ruf wird hauptsächlich von der
guten Handlung im Geist des Freundes erzeugt und von diesem
wird er zuerst geboren; denn der Geist des Feindes, falls er den
Samen bekommt, empfängt nicht. (8) Dieser Geist, der [den
guten Ruf] zuerst gebärt, hält sich, sei es um seine Gabe weiter
auszuschmücken, sei es aus Mitleid des Freundes, der [den
guten Ruf] empfängt, nicht an die Grenzen des Wahren, son-
dern überschreitet sie. Und wenn er sie beim Schmücken des-
sen, was er sagt, überschreitet, redet er gegen besseres Wissen;
wenn die Täuschung durch das Mitleid ihn [diese Grenze]
überschreiten läßt, redet er nicht gegen [besseres Wissen].
(9) Der zweite Geist, der diesen [Ruf] empfängt, gibt sich nicht
mit der bloßen Weitergabe des ersten [Rufes] zufrieden, son-
dern seine Wiedergabe bemüht sich, als wäre es sein eigenes
Werk, um Ausschmückung; und so, durch dieses Tun und
18 Convivio I - iii, 9 - iv, 3

generata, quella piil ampia fa ehe a lei non viene, e con concor-
dia e con discordia di conscienza come la prima. E questo fa la
terza ricevitrice e la quarta, e cosi in infinito si dilata. (10) E
cosi, volgendo le cagioni sopra dette ne le contrarie, si puo
vedere la ragione de la infamia, ehe simigliantemente si fa
grande. Per ehe Virgilio dice nel quarto de lo Eneida ehe la
Fama vive per essere mobile, e acquista grandezza per andare.
(11) Apertamente adunque veder puo chi vuole ehe la imagine
per sola fama generata sempre e piü ampia, quale ehe essa sia,
ehe non e la cosa imaginata nel vero stato.

iv. Mostrata ragione innanzi per ehe la fama dilata lo bene e


lo male oltre la vera quantitä, resta in questo capitolo a mo-
strar quelle ragioni ehe fanno vedere percbe la presenza ri-
stringe per opposito; e mostrate quelle, si verra lievemente al
principale proposito, cioe de la sopra notata scusa.
(2) Dico adunque ehe per tre cagioni la presenza fa la persona
di meno valore ch'ella non e: l'una de le quali e puerizia, non
dico d'etate ma d'animo; la seconda e invidia, - e queste sono
ne lo giudicatore - ; la terza e l'umana impuritade, e questa e
ne lo giudicato. (3) La prima si puo brievemente cosi ragiona-
re. La maggiore parte de li uomini vivono secondo senso e non
secondo ragione, a guisa di pargoli; e questi cotali non cono-
scono le cose se non semplicemente di fuori, e la loro bontade,
la quale a debito fine e ordinata, non veggiono, per cio ehe
hanno chiusi li occhi de la ragione, li quali passano a veder
quello. Onde tosto veggiono tutto cio ehe ponno, e giudicano
Das Gastmahl 19

durch die Täuschung, die durch das in ihm erzeugten Mitleid


entsteht, macht er diesen [Ruf] größer als er zu ihm gelangt ist,
sowohl in Übereinstimmung mit als auch im Gegensatz zum
besseren Wissen, wie der erste. Und so tut es auch der dritte
empfangende [Geist] und der vierte und derart weitet sich [der
gute Ruf] ins Unendliche aus. (10) Und so, die oben genannten
Ursachen in die gegenteiligen verkehrend, kann man die Ursa-
che der Verleumdung ersehen, die auf die gleiche Weise groß
wird. Deshalb sagt Vergil im vierten Buch der Aeneis, daß die
Fama durch die Bewegung lebt und daß sie ihre Größe im Gehen
erwirbt. ( 11) Jeder, der will, kann somit deutlich sehen, daß das
bloß durch den Ruf erzeugte Bild immer größer ist, welcher Art
es auch sei, als es die vorgestellte Sache in ihrem wahren
Zustand ist.

iv. Nachdem zuvor der Grund dafür, daß der Ruf das Gute
und das Schlechte über die wahren Masse hinaus ausweitet,
dargelegt worden ist, bleiben in diesem Kapitel jene Gründe
darzulegen, die aufzeigen, weshalb die Anwesenheit aufgrund
des Gegenteils einengt; dies dargelegt, wird es ein Leichtes
sein, zum hauptsächlichen Vorhaben, also zur oben festgehal-
tenen Entschuldigung, zurückzukehren.
(2) Ich sage also, daß die Anwesenheit eine Person aufgrund
von drei Ursachen weniger wertvoll macht, als sie ist: deren
eine ist die Kindheit, nicht dem Alter nach wohlverstanden,
sondern der Seele nach; die zweite ist der Neid - und diese
[beiden] sind im Urteilenden; die dritte ist die menschliche
Unvollkommenheit, und diese ist im Beurteilten. (3) Die erste
kann man kurz folgendermaßen erklären: Der größte Teil der
Menschen lebt gemäß den Sinnen und nicht gemäß der Ver-
nunft, wie die Kinder; und diese kennen die Dinge nur von
aussen und ihre Gutheit, die auf das gebührende Ziel hingeord-
net ist, sehen sie nicht, weil sie die Augen der Vemunft, die dazu
da sind, dies zu sehen, geschlossen haben. Weswegen sie alles,
was sie [sehen] können, vorschnell sehen und sie gemäß ihrem
20 Convivio I. iv, 3-10

seeondo la loro veduta. (4) E pero ehe alcuna oppinione fanno


ne l'altrui fama per udita, da la quale ne Ja presenza si diseorda
lo imperfetto giudieio ehe non seeondo ragione ma seeondo
senso giudiea solamente, quasi menzogna reputano eio ehe
prima udito hanno, e dispregiano Ja persona prima pregiata.
(5) Onde appo eostoro, ehe sono, ohme, quasi tutti, Ja presen-
za ristringe l'una e l'altra qualitade. Questi eotali tosto sono
vaghi e tosto sono sazii, spesso sono lieti e spesso tristi di brievi
dilettazioni e tristizie, tosto amiei e tosto nemiei; ogni eosa
fanno eome pargoli, sanza uso di ragione. (6) La seeonda si
vede per queste ragioni: ehe paritade ne li viziosi e eagione
d'invidia, e invidia e eagione di mal giudieio, pero ehe non
laseia Ja ragione argomentare per Ja eosa invidiata, e Ja potenza
giudicativa e allora quel giudice ehe ode pur l'una parte.
(7) Onde quando questi eotali veggiono la persona famosa,
ineontamente sono invidi, pero ehe veggiono a s[e] pari mem-
bra e pari potenza, e temono, per Ja eeeellenza di quel eotale,
meno esser pregiati. (8) E questi non solamente passionati mal
giudieano, ma, diffamando, fanno a li altri mal giudieare; per
ehe appo eostoro Ja presenza ristringe lo bene e lo male in
eiaseuno appresentato: e dico lo male, perehe molti, dilettan-
dosi ne Je male operazioni, hanno invidia a' mali operatori.
(9) La terza si e l'umana impuritade, la quale si prende da Ja
parte di eolui eh'e giudieato e non e sanza familiaritade e
eonversazione aleuna. Ad evidenza di questa, e da sapere ehe
l'uomo e da piU parti maeulato e, eome diee Agustino, "nullo
e sanza maeula". (10) Quando e l'uomo maeulato d'una pas-
Das Gastmahl 21

Augenschein urteilen. (4) Und weil sie sich aufgrund des Ge-
hörten eine Meinung bilden über eines andern Ruf, womit bei
Anwesenheit das unvollkommene Urteil, das nicht gemäß der
Vernunft, sondern nur gemäß den Sinnen urteilt, nicht überein-
stimmt, halten sie das, was sie zuvor gehört haben, gleichsam
für eine Lüge und verachten sie die Person, die sie zuvor
geachtet haben. (5) Deshalb vermindert bei diesen, die - ich
ärmster - beinahe die Gesamtheit ausmachen, die Anwesenheit
sowohl die eine wie die andere Qualität. Diese sind schnell nett
und ebenso schnell überdrüssig, oft sind sie fröhlich und ebenso
oft sind sie traurig wegen kurzer Freuden und Traurigkeiten,
schnell sind sie Freunde und ebenso schnell sind sie Feinde;
alles tun sie wie die Kinder, ohne die Vernunft zu gebrauchen.
(6) Den zweiten [Grund] erkennt man durch folgende Überle-
gungen: Gleichheit ist bei Lasterhaften Ursache von Neid und
Neid ist Ursache schlechten Urteils, weil er die Vernunft bezüg-
lich der beneideten Sache nicht argumentieren läßt und die
urteilende Kraft ist dann [wie] jener Richter, der nur der einen
Partei Gehör schenkt. (7) Deswegen werden solche, wenn sie
die berühmte Person sehen, unverzüglich neidisch, weil sie
[diese Person] den Gliedern und der Kraft nach sich gleichwer-
tig sehen, und sie fürchten wegen der Vortrefflichkeit dieser
[Person] weniger geschätzt zu werden. (8) Und diese urteilen
nicht nur schlecht in ihrer Leidenschaft, sondern durch ihre
Verleumdung bewirken sie ein schlechtes Urteil anderer; des-
wegen vermindert bei diesen die Gegenwart das Gute und das
Schlechte in jedem Anwesenden: und ich spreche vom Schlech-
ten, weil viele, die sich an schlechten Handlungen erfreuen, auf
schlecht Handelnde neidisch sind. (9) Die dritte ist die mensch-
liche Unvollkommenheit, die auf die beurteilte Person, die
nicht ohne familiären Umgang und Gespräche ist, zu beziehen
ist. Zu dessen Erhellung ist zu wissen, daß der Mensch unter
verschiedenen Gesichtspunkten befleckt ist und daß, wie Augu-
stinus sagt, "keiner ohne Makel istu. (10) Manchmal ist der
Mensch von einer Leidenschaft, der er unter Umständen nicht
22 Convivio I. iv, 10 - v, 2

sione, a la quale tal volta non puo resistere; quando e maculato


d'alcuno disconcio membro; e quando e maculato d'alcuno
colpo di fortuna; e quando e maculato d'infamia di parenti 0
d' alcuno suo prossimo: le quali cose la fama non porta seco ma
la presenza, e discuoprele per sua eonversazione. (11) E queste
macule alcuna ombra gittano sopra la ehiarezza de Ja bontade,
si ehe Ja fanno parere men ehiara e men valente. E questo e
quello per ehe eiaseuno profeta e meno onorato ne Ja sua patria;
questo e quello per ehe l 'uomo buono dee la sua presenza dare
a poehi e la familiaritade dare a meno, aecio ehe 'l nome suo
sia rieevuto, ma non spregiato. (12) E questa terza eagione puo
esser eosi nel male eome nel bene, se le eose de la sua ragione
si volgano ciaseuna in suo contrario. Per ehe manifestamente
si vede ehe per impuritade, sanza Ja quale non e alcuno, la
presenza ristringe lo bene e lo male in ciaseuno piu ehe 'l vero
non vuole.
(13) Onde eon cio sia eosa ehe, eome detto e di sopra, io mi
sia quasi a tutti li Italiei appresentato, per ehe fatto mi sono piU
vile forse ehe 'l vero non vuole non solamente a quelli a li
quali mia fama era gia eorsa, ma eziandio a li altri, onde Je mie
eose sanza dubbio meeo sono alleviate; conviemmi ehe con
piU alto stilo dea, ne Ja presente opera, un poco di gravezza,
per la quale paia di maggiore autoritade. E questa seusa basti
a la fortezza del mio eomento.

V. Poi ehe purgato e questo pane da le maeule aeeidentali,


rimane ad eseusare lui da una sustanziale, cioe da l'essere
vulgare e non latino; ehe per similitudine dire si puo di biado
e non di frumento. (2) E da ciO brievemente lo seusano tre
Das Gastmahl 23

widerstehen kann, befleckt; manchmalister durch ein unförmi-


ges Glied befleckt; manchmal ist er durch irgendeinen Schick-
salsschlag befleckt; und manchmal ist er durch die Schmach
eines Verwandten oder eines ihm Nahestehenden befleckt: die-
se Dinge trägt der Ruf nicht mit sich, aber die Gegenwart [einer
Person] und sie deckt diese [Dinge] in der Begegnung auf.
(11) Und diese Makel werfen einen gewissen Schatten auf die
Helligkeit der Gutheit, derart daß sie sie weniger hell und
wertvoll erscheinen lassen. Und deswegen ist jeder Prophet in
seiner Heimat weniger geehrt; deswegen muß der gute Mensch
seine Anwesenheit wenigen zuteil werden lassen und seine
Vertrautheit noch wenigeren, damit sein Name aufgenommen,
aber nicht geschmäht werde. (12) Und diese dritte Ursache kann
derart im Guten und im Schlechten auftreten, wenn sich die
Dinge ihrer Bestimmung gemäß in ihr Gegenteil verkehren.
Damit ist deutlich zu sehen, daß wegen der Unvollkommenheit,
ohne die niemand ist, die Anwesenheit in jedem das Gute und
das Schlechte in einem Maß, das die Wahrheit nicht will, ver-
mindert.
(13) Weil ich mich also, wie oben gesagt wurde, beinahe
allen Italienern vorgestellt habe, wodurch ich mich vielleicht
nicht nur bei jenen, die mein Ruf bereits erreicht hatte, gemei-
ner gemacht habe, als die Wahrheit es will, sondern auch bei
den anderen, wo meine Sache zweifelsohne gemeinsam mit
mir abgewertet worden ist, kommt es mir zu, diesem Werk
mittels eines höheren Stils etwas Gewicht zu verleihen, wo-
durch es von größerer Autorität erscheinen mag. Und diese
Entschuldigung genüge dem Ausmaß meines Kommentars.

v. Da dieses Brot nun von den akzidentellen Makeln gerei-


nigt ist, bleibt noch, es von einem substantiellen zu entschul-
digen, nämlich daß es volkssprachlich ist und nicht lateinisch;
was man der Ähnlichkeit nach als aus Gerste und nicht aus
Weizen bezeichnen kann. (2) Und diesbezüglich entschuldigen
es bündig drei Gründe, die mich dazu bewegten, diesem [Brot]
24 Convivio 1 . v, 2-8

ragioni, ehe mossero me ad eleggere innanzi questo ehe l'al-


tro: l 'una si muove da eautela di diseonvenevole ordinazione;
l 'altra da prontezza di liberalitade; la terza da lo naturale amo-
re a propria loquela. (3) E queste eose per sue ragioni, a sodi-
sfaeimento di eiO ehe riprendere si potesse per la notata ragio-
ne, intendo per ordine ragionare in questa forma.
(4) Quella eosa ehe piU adorna e eommenda l'umana opera-
zione, e ehe piii dirittamente a buon fine la mena, sie l'abito
di quelle disposizioni ehe sono ordinate a lo inteso fine; si
eom'e ordinata al fine de la eavalleria franehezza d'animo e
fortezza di eorpo. (5) E eosi eolui ehe e ordinato a l'altrui
servigio dee avere quelle disposizioni ehe sono a quello fine
ordinate, si eome subiezione, eonoseenza e obedienza, sanza
le quali e cia-seuno disordinato a ben servire; perehe, s'elli
non e subietto in eiaseuna eondizione, sempre eon fatiea e eon
gravezza proeede nel suo servigio e rade volte quello eonti-
nua; e se elli non e [eonoseente .............. „ .................... .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ; e se elli non e] 0-
bediente, non serve mai se non a suo senno e a suo volere, ehe
e piU servigio d'amieo ehe di servo. (6) Dunque, a fuggire
questa disordinazione, eonviene questo eomento, ehe e fatto
in veee di servo a le 'nfraseritte eanzoni, esser subietto a quel-
le in eiaseuna sua ordinazione, ed essere eonoseente del biso-
gno del suo signore e a lui obediente. (7) Le quali disposizioni
tutte li maneavano, se latino e non volgare fosse stato, poi ehe
le eanzoni sono volgari. Che, primamente, non era subietto
ma sovrano, e per la [sua] nobilita e per verru e per bellezza.
Per nobilitä, perehe lo latino e perpetuo e non eorruttibile, e lo
volgare e non stabile e eorruttibile. (8) Onde vedemo ne le
Das Gastmahl 25

vor dem anderen den Vorzug zu geben: der eine entspringt der
Vorsicht bezüglich unziemender Anordnung; der andere der
Bereitschaft zur Freigebigkeit; der dritte der natürlichen Liebe
zur eigenen Sprache. (3) Und diese Dinge gedenke ich, zur
Entkräftigung dessen, was man an ihnen wegen der angeführ-
ten Überlegungen rügen könnte, gemäß ihrer Gründe der Rei-
he nach folgendermaßen zu erklären.
(4) Was die menschliche Handlung am meisten schmückt
und lobt und sie am direktesten zu einem guten Ziel führt, ist der
Habitus, dessen Veranlagungen auf das intendierte Ziel hinge-
ordnet sind; so wie die Kühnheit der Seele und die Stärke des
Körpers auf das Ziel der Ritterlichkeit hingeordnet sind.
(5) Und ebenso muß, wer auf die Bedienung eines andern hin-
geordnet ist, jene Veranlagungen haben, die auf dieses Ziel
hingeordnet sind, wie etwa Unterordnung, Kenntnis und Ge-
horsam, ohne die bezüglich des guten Bedienens jeder ungeord-
net ist; wäre er nicht injedem Fall untergeordnet, verrichtete er
seinem Dienst immer mühsam und schwerfällig und nur in
seltenen Fällen führte er diesen fort; und wenn er nicht (ken-
nend ist. ................ ; und wenn er nicht) gehorsam ist, so
dient er nur nach seinem eigenen Gutdünken und Wollen, was
mehr dem Dienst des Freundes als demjenigen des Dieners
entspricht. (6) Deswegen, um dieser Unordnung zu entgehen,
gehört es sich, daß dieser Kommentar, der für die Stelle eines
Dieners für die unten angeführten Kanzonen geschaffen ist,
diesen in jeder seiner Ausrichtungen untergeordnet ist und daß
er um die Bedürfnisse seines Herrn weiß und ihm gegenüber
gehorsam ist. (7) All diese Veranlagungen hätten ihm gefehlt,
wenn er lateinisch und nicht volkssprachlich gewesen wäre, da
ja die Kanzonen volkssprachlich sind. Denn erstens wäre er
nicht untergeordnet, sondern Herrscher gewesen, sowohl
durch (seinen) Adel, wie auch durch Tugend und Schönheit.
Durch den Adel, weil das Latein ewig und unveränderlich ist
und die Volksprache nicht fest ist, sondern veränderlich.
(8) Weswegen wir in den alten Schriften der lateinischen Ko-
26 Convivio 1 · v, 8-13

seritture antiehe de le eomedie e tragedie latine, ehe non si


possono transmutare, quello medesimo ehe oggi avemo; ehe
non avviene de! volgare, lo quale a piaeimento artifieiato si
transmuta. (9) Onde vedemo ne Je eittadi d'Italia, se bene
volemo agguardare, da einquanta anni in qua molti voeabuli
essere spenti e nati e variati; onde se '! pieciol tempo eosi
transmuta, molto piU transmuta lo maggiore. Si eh'io dico,
ehe se eoloro ehe partiron d'esta vita gia sono mille anni tor-
nassero a Je loro eittadi, erederebbero Ja loro cittade essere
oeeupata da gente strana, per Ja lingua da loro diseordante.
(10) Di questo si parlera altrove piu eompiutamente in uno
libello eh'io intendo di fare, Dio eoneedente, di Volgare Elo-
quenza.
(11) Aneora, non era subietto ma sovrano per vertU. Ciaseu-
na eosa e virtuosa in sua natura ehe fa quello a ehe ella e
ordinata; e quanto meglio lo fa tanto e piU virtuosa. Onde
dicemo uomo virtuoso, ehe vive in vita eontemplativa o attiva,
a Je quali eordinato naturalmente; dieemo de! eavallo virtuoso
ehe eorre forte e molto, a Ja qua! eosa eordinato; dieemo una
spada virtuosa ehe ben taglia Je dure eose, a ehe essa e ordina-
ta. (12) Cosi lo Sermone, lo quale e ordinato a manifestare lo
eoneetto umano, e virtuoso quando quello fa, e piu virtuoso
quello ehe piU lo fa; onde, eon eiö sia eosa ehe lo latino molte
eose manifesta eoneepute ne Ja mente ehe lo volgare far non
puo, si eome sanno quelli ehe hanno l'uno e l'altro sermone,
piU e Ja verru sua ehe quella de! volgare.
(13) Aneora, non era subietto ma sovrano per bellezza.
Quella eosa diee l 'uomo essere bella, eui Je parti debitamente
Das Gastmahl 27

mödien und Tragödien, die sich nicht verändern können, das-


selbe [Latein] sehen, das wir heute haben; was bei der Volks-
sprache nicht der Fall ist, die sich dem gestaltenden Gefallen
entsprechend verändert. (9) Daher sehen wir in den Städten
Italiens, wenn wir genau hinschauen wollen, wie in den letzten
fünfzig Jahren viele Begriffe ausgelöscht, geboren und verän-
dert wurden; wenn eine kleine Zeit derart verändert, verändert
eine größere noch viel mehr. So sage ich denn, daß, wenn jene,
die vor tausend Jahren aus diesem Leben geschieden sind, in
ihre Städte zurückkehren würden, sie ihre Stadt von seltsamen
Leuten besetzt glauben würden, wegen der mit der ihren nicht
übereinstimmenden Sprache. (10) Davon wird andernorts, in
einem Buch über die Beredsamkeit in der Volkssprache, daß zu
machen ich, so Gott will, beabsichtige, umfassender gespro-
chen werden.
(11) Weiter wäre er aufgrund der Tugend nicht untergeord-
net, sondern Herrscher gewesen. Jedes Ding ist tugendhaft in
seiner Natur, sofern es das tut, auf das es hingeordnet ist; und
je besser es dies tut, desto tugendhafter ist es. Weswegen wir
jenen Menschen tugendhaft nennen, der ein kontemplatives
oder aktives Leben lebt, auf welche beide er von Natur aus
hingeordnet ist; wir nennen ein Pferd tugendhaft, das schnell
und viel rennt, [denn] darauf ist es hingeordnet; wir nennen ein
Schwert tugendhaft, das harte Dinge gut schneidet, [denn]
darauf ist es hingeordnet. (12) So ist das Sprechen, das darauf-
hingeordnet ist den menschlichen Gedanken kundzutun, tu-
gendhaft, wenn es dies vermag und tugendhafter ist jenes
[Sprechen], das dies in höherem Masse vermag; weswegen, da
das Latein viele im Geist erfaßte Dinge offenlegt, die die
Volkssprache nicht [offenlegen] kann, wie alle wissen, die
sowohl die eine wie die andere Sprache beherrschen, seine
Tugend größer ist als jene der Volkssprache.
(13) Weiter wäre [der Kommentar] aufgrund der Schönheit
nicht untergeordnet sondern Herrscher gewesen. Jene Dinge
nennt der Mensch schön, deren Teile sich in der gebührenden
28 Convivio 1 . v, 13 - vi, 4

si rispondono, per ehe de la loro armonia resulta piaeirnento.


Onde pare l 'uomo essere bello, quando le sue membra debita-
mente si rispondono; e dieemo bello lo eanto, quando le voci
di quello, seeondo debito de l'arte, sono intra se rispondenti.
(14) Dunque quello Sermone e piU bello, ne lo quale piU debi-
tamente si rispondono [le parole; e piii debitamente si rispon-
dono] in latino ehe in volgare, pero ehe lo volgare seguita uso,
e lo latino arte: onde eoneedesi esser piU bello, piU virtuoso e
piu nobile. (15) Per ehe si eonehiude lo prineipale intendimen-
to, eioe ehe non sarebbe stato subietto a le canzoni, ma sovra-
no.

vi. Mostrato eome lo presente eomento non sarebbe stato


subietto a le eanzoni volgari se fosse stato latino, resta a mo-
strare eome non sarebbe stato eonoseente, ne obediente a quel-
le; e poi sara eonehiuso eome per eessare diseonvenevoli di-
sordinazioni fu mestiere volgarmente parlare. (2) Dieo ehe 'l
latino non sarebbe stato servo eonoseente al signore volgare per
eotal ragione. La eonoseenza del servo si riehiede massima-
mente a due eose perfettamente eonoseere. (3) L'una si e la
natura del signore: onde sono signori di si asinina natura ehe
eomandano lo eontrario di quello ehe vogliono, e altri ehe sanza
dire vogliono essere intesi, e altri ehe non vogliono ehe 'l servo
si muova a fare quello eh'e mestiere, se nol eomandano. (4) E
perehe queste variazioni sono ne li uomini non intendo al pre-
sente mostrare, ehe troppo multiplieherebbe la digressione; se
non in tanto, ehe dieo in genere ehe eotali sono quasi bestie, a
Das Gastmahl 29

Weise entsprechen, denn aus ihrer Harmonie entspringt das


Gefallen. Deswegen scheint ein Mensch [dann] schön zu sein,
wenn seine Glieder sich in der gebührenden Weise entspre-
chen; und wir nennen einen Gesang schön, wenn seine Stim-
men einander gemäß den Anforderungen der Kunst entspre-
chen. (14) Also ist jenes Sprechen das schönere, in welchem
(die Worte) sich in der gebührenden Weise entsprechen; (und
sie entsprechen sich) im Latein (in der gebührenderen Weise)
als in der Volkssprache, denn die Volkssprache folgt der Ge-
wohnheit, das Latein [aber folgt] der Kunst: weswegen zuzu-
gestehen ist, daß es schöner, tugendhafterund edler ist. (15) So
steht der erste zu behandelnde Punkt fest, nämlich daß [der
Kommentar] den Kanzonen nicht untergeordnet, sondern über-
geordnet gewesen wäre.

vi. Nachdem gezeigt worden ist, wie der vorliegende Kom-


mentar den volkssprachlichen Kanzonen nicht untergeordnet
gewesen wäre, wenn er lateinisch abgefaßt worden wäre, bleibt
zu zeigen, inwiefern er unwissend und ihnen gegenüber unge-
horsam gewesen wäre; und danach wird geschlossen werden,
inwiefern es, um unpassende Unordnungen zu vermeiden, nö-
tig gewesen ist, in der Volkssprache zu sprechen. (2) Ich sage,
daß das Latein aus folgendem Grund dem volkssprachlichen
Herrn ein unwissender Diener gewesen wäre. Die Kenntnis des
Dieners muß hauptsächlich zwei Dinge vollumfänglich ken-
nen. (3) Die eine ist die Natur des Herrn: denn es gibt Herren
von derart eselhafter Natur, daß sie das Gegenteil von dem, was
sie wollen, befehlen, und andere, die, ohne etwas zu sagen,
verstanden werden wollen, und wiederum andere, die nicht
wollen, daß der Diener sich bewegt um das zu tun, was [seine]
Arbeit ist, wenn sie es ihm nicht [ausdrücklich] befehlen.
(4) Weswegen diese Unterschiede bei den Menschen auftreten,
gedenke ich hier nicht aufzuzeigen, denn das würde diesen
Exkurs zu sehr anwachsen lassen, außer soviel, daß ich allge-
mein sage, diese seien beinahe Tiere, denen die Vernunft kaum
30 Convivio 1. vi, 4-10

li quali la ragione fa poeo prode. Onde, se 'l servo non eonosee


la natura del suo signore, manifesto e ehe perfettamente servire
nol puo. (5) L'altra eosa e ehe si eonviene eonoseere al servo
li amiei del suo signore, ehe altrimenti non li potrebbe onorare
ne servire, e eosi non servirebbe perfettamente lo suo signore;
eon eiO sia eosa ehe li amiei siano quasi parti d'un tutto, pero
ehe 'l tutto loro e uno volere e uno non volere.
(6) Ne lo eomento latino avrebbe avuta la eonoseenza di
queste eose, ehe l'ha '! volgare medesimo. Che lo latino non
sia eonoseente del volgare e de' suoi amici, eosi si pruova.
Quelli ehe eonosee aleuna eosa in genere, non eonosee quella
perfettamente; si eome, se eonosee da lungi uno animale, non
eonosee quello perfettamente, perehe non sa se s'e eane o lupo
o beeeo. (7) Lo latino eonosee lo volgare in genere, ma non
distinto: ehe se esso lo eonoseesse distinto, tutti li volgari
eonoseerebbe, perehe non e ragione ehe l'uno piu ehe l'altro
eonoseesse; e eosi in qualunque uomo fosse tutto l'abito de!
latino, sarebbe l'abito di eonoseenza distinto de lo volgare.
(8) Ma questo non e; ehe uno abituato di latino non distingue,
s'elli e d'Italia, lo volgare [inghilese] da lo tedeseo; ne, lo
tedeseo, lo volgare italieo da! provenzale. Onde e manifesto
ehe lo latino non e eonoseente de lo volgare. (9) Aneora, non
e eonoseente de' suoi amiei, pero eh'e impossibile eonoseere
li amici, non eonoseendo lo principale; onde, se non eonosee
lo latino lo volgare, eome provato e di sopra, impossibile e a
lui eonoseere li suoi amiei. (10) Aneora, sanza eonversazione
o familiaritade impossibile e a eonoseere li uomini: e lo latino
Das Gastmahl 31

zum Vorteil gereicht. Es ist also offenkundig, daß wenn der


Diener die Natur seines Herrn nicht kennt, er ihm nicht in
vollkommener Weise dienen kann. (5) Die andere Sache ist die,
daß es sich für den Diener ziemt, die Freunde seines Herrn zu
kennen, denn andernfalls könnte er sie weder ehren noch bedie-
nen, und so würde er seinem Herrn nicht in vollkommener
Weise dienen; und weiter gelte, daß die Freunde gleichsam die
Teile eines Ganzen sind, so daß ihr Ganzes ein Wollen und ein
Nichtwollen ist.
(6) Der lateinische Kommentar hätte die Kenntnis dieser Din-
ge, die die Volkssprache aus sich selbst hat, nicht gehabt. Daß
das Latein keine Kenntnis von der Volkssprache und ihrer
Freunde hat, wird folgendermaßen bewiesen. Jener, der ein
Ding im allgemeinen kennt, kennt es nicht vollständig; so wie
er, wenn er aus der Feme ein Tier erkennt, er dieses nicht
vollständig erkennt, weil er nicht weiß ob es ein Hund, ein Wolf
oder ein Bock ist. (7) Das Latein kennt die Volkssprache im
allgemeinen, aber nicht im einzelnen; denn wenn es sie im
einzelnen kennen würde, würde es alle Volkssprachen kennen,
gibt es doch keinen Grund, die eine mehr als die andere zu
kennen; und so wäre in jedem Menschen, in dem der ganze
Habitus des Lateins wäre, der Habitus der auf das Einzelne
bezogenen Kenntnis der Volkssprache. (8) Aber dies ist nicht
der Fall; denn ein des Latein Kundiger unterscheidet, falls er
aus Italien stammt, die (englische) Volkssprache nicht von der
deutschen; ebensowenig der Deutsche die italienische Volks-
sprache von der provenzalischen. Woraus deutlich wird, daß
das Latein die Volkssprache nicht kennt. (9) Weiter kennt [das
Latein] auch die Freunde [der Volkssprache] nicht, weil es
unmöglich ist, die Freunde zu kennen, ohne die wichtigste
[Volkssprache] zu kennen; weswegen, wenn das Latein die
Volkssprache nicht kennt, was oben bewiesen worden ist, es
ihm unmöglich ist, ihre Freunde zu kennen. (10) Weiter ist es
ohne Gespräche oder familiären Umgang unmöglich, die Men-
schen zu kennen; und das Latein führt nicht mit so vielen
32 Convivio 1 · vi, 10 - vii, 5

non ha eonversazione eon tanti in alcuna lingua eon quanti ha


lo volgare di quella, al quale tutti sono amiei; e per eonsequen-
te non puo eonoseere li amiei del volgare. (11) E non e eontra-
dizione eiO ehe dire si potrebbe, ehe lo latino pur eonversa eon
alquanti amiei de lo volgare: ehe pero non e familiare di tutti,
e eosi non e eonoseente de li amiei perfettamente; pero ehe si
richiede perfetta eonoseenza, e non difettiva.

vii. Provato ehe lo eomento latino non sarebbe stato servo


eonoseente, diro eome non sarebbe stato obediente. (2) Obe-
diente e quelli ehe ha la buona disposizione ehe si ehiama
obedienza. La vera obedienza eonviene avere tre eose, sanza
le quali essere non puo: vuole essere dolce e non amara; e
eomandata interamente, e non spontanea; e eon misura, e non
dismisurata. (3) Le quali tre eose era impossibile ad avere lo
latino eomento, e pero era impossibile ad essere obediente.
Che a lo latino fosse stato impossibile, eome detto e, si mani-
festa per eotale ragione. (4) Ciascuna eosa ehe da perverso
ordine proeede e laboriosa, e per consequente e amara e non
dolce, si come dormire lo die e vegghiare la notte, e andare
indietro e non innanzi. Comandare lo subietto a lo sovrano
procede da ordine perverso - ehe ordine diritto e lo sovrano a
lo subietto eomandare - , e eosi e amaro e non dolce. E pero
ehe a l'amaro eomandamento e impossibile dolcemente obedi-
re, impossibile e, quando lo subietto eomanda, la obedienza
del sovrano essere dolce. (5) Dunque se lo latino e sovrano del
volgare, eome di sopra per piii ragioni e mostrato, e le eanzoni,
ehe sono in persona di eomandatore, sono volgari, impossibile
e sua ragione esser dolce.
Das Gastmahl 33

Gespräche in irgendeiner Sprache, wie die jeweilige Volks-


sprache sie führt, mit der alle befreundet sind; und folgerichtig
kann [das Latein] die Freunde der Volkssprache nicht kennen.
(11) Und es ist kein Widerspruch, daß gesagt werden könnte,
daß sich das Latein mit ebensovielen Freunden der Volks-
sprache unterhält; denn es hat nicht mit allen einen familiären
Umgang, und deswegen kennt es die Freunde nicht vollständig;
denn umfassende Kenntnis ist verlangt und nicht mangelhafte.

vii. Nachdem bewiesen ist, daß der lateinische Kommentar


ein unwissender Diener gewesen wäre, werde ich nun er-
klären, inwiefern es ein ungehorsamer [Diener] gewesen
wäre. (2) Gehorsam ist, wer jene gute Veranlagung hat, die
Gehorsam genannt wird. Der wahre Gehorsam setzt drei Di-
nge voraus, ohne die er nicht sein kann: er hat süß und nicht
bitter, gänzlich befohlen und nicht spontan, angemessen und
nicht unangemessen zu sein. (3) Diese drei Dinge zu haben,
war dem lateinischen Kommentar unmöglich, und deswegen
war es ihm unmöglich, gehorsam zu sein. Daß dies dem La-
tein, wie gesagt, unmöglich gewesen wäre, zeigt sich durch
folgende Überlegung. (4) Jedes Ding, das aus einer verkehr-
ten Ordnung hervorgeht, ist mühselig und folglich ist es bitter
und nicht süß, so wie das Schlafen am Tage und das Wachsein
in der Nacht, und das Rückwärtsgehen statt vorwärts. Befehle
des Untergeordneten an den Herrscher entspringen aus einer
verkehrten Ordnung, - richtige Ordnung ist es, [wenn] der
Herrscher den Untergeordneten befiehlt -, und so sind sie
bitter und nicht süß. Und da dem bitteren Befehl unmöglicher-
weise süß gehorcht werden kann, kann, wenn der Untergeord-
nete befiehlt, der Gehorsam des Herrschenden unmöglich süß
sein. (5) Da also das Latein Herrscher über die Volkssprache
ist, wie oben mit mehreren Gründen dargelegt wurde, und die
Kanzonen, die die Stelle des Befehlshabers einnehmen, in der
Volkssprache verfaßt sind, ist sein Gehorchen unmöglicher-
weise süß.
34 Convivio 1 . vii, 6-11

(6) Ancora: allora e Ia obedienza interamente comandata e


da nulla parte spontanea, quando quello ehe fa obediendo non
averebbe fatto sanza comandamento, per suo volere, ne tutto
ne in parte. (7) E pero se a me fosse comandato di portare due
guarnacche in dosso, e sanza comandamento io mi portasse
I'una, dico ehe la mia obedienza non e interamente comanda-
ta, ma in parte spontanea. E cotale sarebbe stata quella del
comento Iatino; e per consequente non sarebbe stata obedienza
comandata interamente. (8) Che fosse stata cotale, appare per
questo: ehe Io latino sanza lo comandamento di questo signore
averebbe esposite molte parti de la sua sentenza - ed espone,
chi cerca bene le scritture latinamente scritte - ehe non Io fa lo
volgare in parte alcuna.
(9) Ancora: e I'obedienza con misura e non dismisurata,
quando al termine del comandamento va, e non piU oltre: si
come la natura particulare e obediente a la universale, quando
fa trentadue denti a l 'uomo, e non piu ne meno; e quando fa
cinque dita ne la mano, e non piU ne meno; e l 'uomo e obediente
a la giustizia [quando fa quello, e non piU ne meno, ehe la
giustizia] comanda, al peccatore. (10) Ne questo averebbe fatto
Io latino, ma peccato averebbe non pur nel difetto, e non pur
nel soperchio, ma in ciascuno; e cosi non sarebbe stata la sua
obedienza misurata, ma dismisurata, e per consequente non
sarebbe stato obediente. (11) Che non fosse stato lo Iatino
empitore del comandamento del suo signore, e ehe ne fosse
stato soperchiatore, leggiermente si puo mostrare. Questo si-
gnore, cioe queste canzoni, a le quali questo comento e per
servo ordinato, comandano e vogliono essere disposte a tutti
coloro a li quali puote venire si lo loro intelletto, ehe quando
Das Gastmahl 35

(6) Weiter: dann ist der Gehorsam gänzlich befohlen und in


keiner Weise spontan, wenn der, der gehorchend etwas tut,
dies ohne Befehl, aus eigenem Willen weder ganz noch teilwei-
se, getan hätte. (7) Wenn mir aber befohlen würde zwei Über-
kleider zu tragen und ich ohne Befehl [bereits] eines tragen
würde, so sage ich, daß mein Gehorsam in diesem Fall nicht
gänzlich ein befohlener wäre, sondern zum Teil spontan. Und
so wäre der [Gehorsam] des lateinischen Kommentars gewe-
sen; und folglich wäre das ein nicht gänzlich befohlener Ge-
horsam gewesen. (8) Daß er derart gewesen wäre, wird durch
Folgendes deutlich: der lateinische [Kommentar] hätte ohne
den Befehl dieses Herrn viele Teile seiner Aussagen erklärt -
und er erklärt sie, für den aufmerksam in den lateinischen
Schriften Suchenden tatsächlich-, was der volkssprachliche
[Kommentar] in keinem Teil tut.
(9) Weiter: Der Gehorsam ist angemessen und nicht unange-
messen, wenn er den Befehl in seiner ganzen Tragweite erfüllt,
aber nicht darüber hinausgeht: so wie die partikuläre Natur der
allgemeinen gehorsam ist, wenn sie den Menschen mit zweiun-
dreißig Zähnen ausstattet und nicht mit mehr und nicht mit
weniger; und wenn sie die Hand mit fünf Fingern ausstattet,
und nicht mit mehr und nicht mit weniger; und der Mensch ist
der Gerechtigkeit gehorsam, (wenn er nicht mehr und nicht
weniger tut, als die Gerechtigkeit) dem Sünder befielt.
(10) Das hätte der lateinische Kommentar nicht getan, aber er
hätte nicht nur durch Mangel gesündigt, sondern auch durch
Übermaß, also injedem Fall; und so wäre sein Gehorsam nicht
angemessen gewesen, sondern unangemessen, und folglich
wäre er nicht gehorsam gewesen. (11) Daß der lateinische
[Kommentar] die Befehle seines Herrn nicht erfüllt hätte und
daß er diese überboten hätte, läßt sich leicht zeigen. Dieser
Herr, d.h. diese Kanzonen, auf die hin dieser Kommentar als
Diener geordnet ist, befehlen; und sie wollen all jenen verfüg-
bar sein, zu denen ihr Inhalt derart kommen kann, daß die
Kanzonen, wenn sie sprechen, verstanden werden; und nie-
36 Convivio 1 · vii, 11 - viii, 2

parlano elle siano intese; e nessuno dubita, ehe s'elle eoman-


dassero a voee, ehe questo non fosse lo loro eomandamento.
(12) E lo latino non l'averebbe esposte se non a' litterati, ehe
li altri non l'averebbero inteso. Onde eon eio sia eosa ehe molti
piu siano quelli ehe desiderano intendere quelle non litterati ehe
litterati, seguitasi ehe non averebbe pieno lo suo eomandamen-
to eome 'l volgare, ehe da li litterati e non litterati e inteso.
(13) Anehe, lo latino l'averebbe esposte a gente d'altra lingua,
si eome a Tedesehi e lnghilesi e altri, e qui averebbe passato lo
loro eomandamento; ehe eontra loro volere, largo parlando
dieo, sarebbe, essere esposta la loro sentenza eola dov'elle non
la potessero eon la loro bellezza portare. (14) E per<'> sappia
ciaseuno ehe nulla eosa per legame musaieo armonizzata si puo
de la sua loquela in altra transmutare, sanza rompere tutta sua
dolcezza e armonia. (15) E questa e la eagione per ehe Omero
non si muto di greeo in latino, eome ! 'altre seritture ehe avemo
da loro. E questa e la eagione per ehe li versi del Salterio sono
sanza dolcezza di musiea e d' armonia; ehe essi furono transmu-
tati d'ebreo ingreeo edi greeo inlatino, e ne la prima transmu-
tazione tutta quella dolcezza venne meno. (16) E eosi e eonehiu-
so eiO ehe si promise nel prineipio del eapitolo dinanzi a questo
immediate.

viii. Quando e mostrato per le suffieienti ragioni eome, per


eessare diseonvenevoli disordinamenti, eonverrebbe, [a le] no-
minate eanzoni aprire e mostrare, eomento volgare e non latino,
mostrare intendo eome aneora pronta liberalitate mi feee questo
eleggere e l'altro lasciare. (2) Puotesi adunque la pronta libe-
Das Gastmahl 37

mand zweifelt daran, daß, wenn sie mit lauter Stimme befehlen
würden, dies ihr Befehl wäre. (12) Und das Latein hätte sie nur
den Gelehrten ausgelegt, denn die anderen hätten [den lateini-
schen Kommentar] nicht verstanden. Und da es mehr Unge-
lehrte als Gelehrte gibt, die diese [Kanzonen] zu verstehen
wünschen, folgt, daß [das Latein] den Befehl nicht so vollkom-
men erfüllt hätte wie die Volkssprache, die von Gelehrten und
Ungelehrten verstanden wird. (13) Weiter hätte das Latein sie
Leuten anderer Sprache ausgelegt, wie etwa Deutschen, Eng-
ländern und anderen, und darin hätte es den Befehl [der Kan-
zonen] überschritten; denn gegen ihren Willen wäre es, - ich
verstehe es im übertragenen Sinn-, wenn ihre Aussage dort
ausgelegt würde, wohin sie diese nicht mit ihrer Schönheit
tragen können. (14) Und diesbezüglich wisse jeder, daß man
kein durch musikalische Bindung harmonisiertes Werk aus
seiner Sprache in eine andere übertragen kann, ohne seine
ganze Süße und Harmonie zu zerstören. (15) Und dies ist der
Grund, weswegen Homer nicht aus dem Griechischen ins La-
teinische übersetzt wurde, wie die anderen Schriften, die wir
von ihnen haben. Und dies ist der Grund, weswegen die Verse
des Psalters keine musikalische und harmonische Süße haben;
denn sie wurden aus dem Hebräischen ins Griechische und vom
Griechischen ins Lateinische übertragen, und in der ersten
Übertragung verschwand jene ganze Süße. (16) Und so ist
erschlossen, was zu Beginn des unmittelbar vorangehenden
Kapitels versprochen worden war.

viii. Nachdem durch hinreichende Argumente gezeigt wor-


den ist, inwiefern zur ihrer Entschlüsselung und Darlegung
den genannten Kanzonen, um unpassende Unordnung zu ver-
meiden, ein volkssprachlicher und nicht ein lateinischer Kom-
mentar zukommen würde, beabsichtige ich [nun] zu zeigen,
wie mich zudem vollendete Freigebigkeit veranlaßt hat, die
[Volkssprache] zu wählen und die andere zu lassen. (2) Man
kann nämlich die vollendete Freigebigkeit in drei Punkten
38 Convivio 1 . viii, 2-7

ralitate in tre cose notare, le quali seguitano questo volgare, e


lo latino non averebbero seguitato. La prima e dare a molti; la
seconda e dare utili cose; la terza e, sanza essere domandato lo
dono, dare quello. (3) Che dare a uno e giovare a uno ebene;
ma dare a molti e giovare a molti e pronto bene, in quanto
prende simiglianza da li benefici di Dio, ehe e universalissimo
benefattore. (4) E ancora, dare a molti e impossibile sanza dare
a uno, accio ehe uno in molti sia inchiuso; ma dare a uno si puo
bene, sanza dare a molti. Pero chi giova a molti fa l'uno bene
e l'altro; chi giova a uno, fa pur un bene: onde vedemo li
ponitori de le leggi massimamente pur a li piU comuni beni
tenere confisi li occhi, quelle componendo. (5) Ancora, dare
cose non utili al prenditore pure ebene, in quanto colui ehe da
mostra almeno se essere amico; ma non e perfetto bene, e cosi
non e pronto: come quando uno cavaliere donasse ad uno me-
dico uno scudo, e quando uno medico donasse a uno cavaliere
inscritti liAphorismi d'lpocras ovvero li Tegni di Galieno. Per
ehe li savi dicono ehe la faccia del dono dee essere simigliante
a quella del ricevente, cioe a dire ehe si convegna con lui, e ehe
sia utile: e in quello e detta pronta liberalitade di colui ehe cosi
diceme donando. (6) Ma pero ehe li morali ragionamenti so-
gliono dare desiderio di vedere l'origine loro, brevemente in
questo capitolo intendo mostrare quattro ragioni, per ehe di
necessitade lo dono, accio ehe in quello sia pronta liberalitade,
conviene essere utile a chi riceve.
(7) Primamente, pero ehe la verru dee essere lieta, e non trista
in alcuna sua operazione; onde se 'l dono non e lieto nel dare e
nel ricevere, non ein esso perfetta verru, non e pronta. Questa
Das Gastmahl 39

feststellen, die der volkssprachliche [Kommentar] zur Folge


hat und der lateinische nicht zur Folge hätte. Der erste besteht
darin, vielen zu geben; der zweite, nützliche Dinge zu geben;
der dritte, die Gabe zu geben, ohne gefragt worden zu sein.
(3) Denn einem zu geben und einem zu helfen, ist gut; aber
vielen zu geben und vielen zu helfen, ist besser, insofern es
den Wohltaten Gottes ähnlich ist, der der umfassendste Wohl-
täter ist. (4) Und weiter: Vielen zu geben ist unmöglich, ohne
einem zu geben, und zwar weil der eine in den vielen enthalten
ist; aber einem [einzelnen] kann man wohl geben, ohne vielen
zu geben. Denn wer vielen hilft, vollbringt die eine Wohltat
und die andere; wer einem [einzelnen] hilft, vollbringt nur eine
[einzige] Wohltat: deswegen sehen wir, daß die Gesetzgeber,
wenn sie die [Gesetzte] erarbeiten, das allgemeinste Wohl vor
Augen haben. (5) Weiter: Dem Empfänger unnütze Dinge zu
geben, ist ebenfalls gut, insofern der Gebende mindestens
zeigt, daß er Freund ist; aber dies ist keine vollkommene
Wohltat, und so ist sie nicht vollendet, wie wenn ein Ritter
einem Arzt ein Schild geben würde oder ein Arzt einem Ritter
die Schrift Die Aphorismen des Hippokrates oder die Tegni des
Galen. Denn die Weisen sagen, daß das Aussehen der Gabe
jenem des Empfängers ähnlich zu sein hat, was soviel bedeu-
tet, wie sie hat mit ihm übereinzustimmen und [ihm] nützlich
zu sein; und die Freigebigkeit desjenigen, der im Geben derart
unterscheidet, wird vollendet genannt. (6) Aber weil morali-
sche Überlegungen im Allgemeinen den Wunsch wecken, ih-
ren Ursprung zu sehen, beabsichtige ich in diesem Kapitel kurz
vier Gründe darzulegen, die [erklären], weswegen es der Ga-
be, damit in ihr vollendete Freigebigkeit sei, notwendigerwei-
se zukommt, dem Empfänger nützlich zu sein.
(7) Erstens, weil die Tugend in jeder ihrer Tätigkeiten heiter
zu sein hat und nicht traurig; weswegen die Wohltat, wenn sie
im Geben und im Empfangen nicht heiter ist, nicht vollkomme-
ner Tugend entspringt, sie [also] nicht vollendet ist. Diese
Heiterkeit kann nichts anderes als Nützlichkeit bewirken, die
40 Convivio 1 · viii, 7-13

letizia non puo dare altro ehe utilitade, ehe rimane nel datore
per lo dare, e ehe viene nel ricevitore per ricevere. (8) Nel
datore adunque dee essere la providenza in far si ehe de la sua
parte rimagna l'utilitade de l'onestate, ch'e sopra ogni utilita-
de, e far siehe a lo ricevitore vada l 'utilitade de l 'uso de la cosa
donata; e cosi sara l'uno e l'altro lieto, e per consequente sara
piu pronta la liberalitade. (9) Secondamente, pero ehe la vertU
dee muovere le cose sempre al migliore. Che cosi come sarebbe
biasimevole operazione fare una zappa d'una bella spada o fare
un bel nappo d 'una bella chitarra, cosi e biasimevole muover la
cosa d 'un luogo dove sia utile e portarla in parte dove sia meno
utile. (10) E pero ehe biasimevole e invano adoperare, biasi-
mevole e non solamente a porre la cosa in parte dove sia meno
utile, ma eziandio in parte ove sia igualmente utile. (11) Onde,
acciO ehe sia laudabile lo mutare de le cose, conviene sempre
essere [al] migliore, per cio ehe dee massimamente essere
laudabile: e questo non [si] puo fare nel dono, se 'l dono per
transmutazione non viene piu caro; ne piU caro puo venire, se
esso non e piu utile ad usare al ricevitore ehe al datore. Per ehe
si conchiude ehe 'l dono conviene essere utile a chi lo riceve,
accio ehe sia in esso pronta liberalitade. (12) Terziamente,
pero ehe la operazione de la verru per se dee essere acquistatrice
d'amici; con cio sia cosa ehe la nostra vita di quello abbisogni,
e lo fine de la verru sia la nostra vita essere contenta. Onde accio
ehe 'l dono faccia lo ricevitore amico, conviene a lui essere
utile, pero ehe l 'utilitade sigilla la memoria de la imagine del
dono, l[a] quale e nutrimento de l'amistade; e tanto piU forte,
quanto essa e migliore. (13) Onde suole dire Martino: "non
cadera de la mia mente lo dono ehe mi fece Giovanni". Per ehe,
Das Gastmahl 41

aufgrund des Gebens im Gebenden bleibt und die aufgrund des


Empfangens in den Empfänger gelangt. (8) Im Gebenden also
muß die Voraussicht sein, so zu handeln, daß für seine Seite der
Nutzen der Ehrenhaftigkeit bleibt, die über allem Nutzen
[steht] und [zugleich] muß er so handeln, daß den Empfänger
der Nutzen der Benützung des gegebenen Dinges erreicht; und
so wird der eine und der andere heiter und folglich wird die
Freigebigkeit vollendeter sein. (9) Zweitens aber, daß die Tu-
gend die Dinge immer zum Besseren hinbewegen muß. Denn,
so wie es eine tadelnswerte Handlung wäre aus einem schönen
Schwert eine Hacke oder eine schöne Wasserkanne aus einer
schönen Laute zu machen, so ist es tadelnswert, ein Ding von
einem Ort, an dem es nützlich ist, wegzubewegen und es dort-
hin zu tragen, wo es weniger nützlich ist. (10) Und weil es
tadelnswert ist vergebens zu handeln, ist es nicht nur tadelswert
ein Ding dorthin zu bringen, wo es weniger nützlich ist, son-
dern ebenso es dorthin [zu bringen], wo es gleichermaßen
nützlich ist. (11) Weswegen, damit das Verändern der Dinge
lobenswert sei, es immer zum Besseren sein muß, denn es muß
in höchstem Masse lobenswert sein: und dies ist bei einer Gabe
nicht der Fall, wenn die Gabe nicht durch die Veränderung
wertvoller wird; wertvoller kann sie nicht werden, wenn sie
dem Empfänger zum Gebrauch nicht nützlicher ist als dem
Gebenden. Weswegen gefolgert wird, daß die Gabe dem Em-
pfänger nützlich zu sein hat, damit in ihr vollendete Freigebig-
keit ist. (12) Drittens, daß für sich genommen die Handlung
der Tugend Freunde schaffen muß; wozu weiter gehört, daß
unser Leben dies nötig hat und daß das Ziel der Tugend darin
besteht, daß unser Leben glücklich ist. Damit die Gabe den
Empfänger zum Freund macht, muß sie ihm nützlich sein, denn
die Nützlichkeit prägt im Gedächtnis das Bild der Gabe ein, das
die Nahrung der Freundschaft ist; und dies um so stärker, je
besser [die Gabe] ist. (13) Deswegen pflegt Martin zu sagen:
"Das Geschenk, das mir Johannes gemacht hat, wird nicht aus
meiner Erinnerung verschwinden". Damit in der Gabe ihre
42 Convivio 1 . viii, 13 - ix, 2

accio ehe nel dono sia la sua vertit, la quale e liberalitade, e ehe
essa sia pronta, conviene essere utile a chi riceve. (14) Ultima-
mente, pero ehe la verru dee avere atto libero e non sforzato.
Atto libero e quando una persona va volentieri ad alcuna parte,
ehe si mostra nel tener volto lo viso in quella; atto sforzato e
quando contra voglia si va, ehe si mostra in non guardare ne la
parte dove si va. (15) E allora si guarda lo dono a quella parte,
quando si dirizza al bisogno de lo ricevente. E pero ehe diriz-
zarsi ad esso non si puo se non sia utile, conviene, accio ehe sia
con atto libero la verru, essere [utile] lo dono a la parte ov'elli
vae, eh' e lo ricevitore; e per eonsequente conviene essere ne lo
dono l'utilita de lo ricevitore, aeeio ehe quinci sia pronta libe-
ralitade.
(16) La terza cosa, ne la quale si puo notare la pronta libe-
ralitade, sie dare non domandato: aeeiO ehe 'l domandato e da
una parte non verru ma mercatantia, pero ehe lo ricevitore
compera, tutto ehe 'l datore non venda. Per ehe dice Seneea
ehe "nulla eosa piu eara si eompera ehe quella dove i prieghi
si spendono". (17) Onde acciO ehe nel dono sia pronta libera-
litade e ehe essa si possa in esso notare, a[nc]ora si conviene
esser netto d'ogni atto di mercatantia, conviene esser lo dono
non domandato. (18) Ferche si earo eosta quello ehe si priega,
non intendo qui ragionare, perehe sufficientemente si ragione-
ra ne l'ultimo trattato di questo libro.

ix. Da tutte le tre sopra notate eondizioni, ehe convegnono


coneorrere aceio ehe sia nel beneficio la pronta liberalitade, era
lo comento latino [lontano], e lo volgare e eon quelle, si eome
si puo manifestamente cosi contare. (2) Non avrebbe lo latino
Das Gastmahl 43

Tugend sei, d.h. die Freigebigkeit, sei, und damit diese vollen-
det sei, muß sie dem Empfänger nützlich sein. (14) Als letztes
schließlich, daß die Handlung der Tugend frei und nicht er-
zwungen sein muß. Eine freie Handlung ist es, wenn eine
Person gern irgendwohin geht, was darin zum Ausdruck
kommt, daß sie den Blick dahin wendet; eine erzwungene
Handlung ist es, wenn man entgegen seinem Willen geht, was
darin zum Ausdruck kommt, daß man nicht in die Laufrichtung
blickt. (15) Und dann also blickt die Gabe in jene Richtung,
wenn sie sich nach dem Bedürfnis des Empfängers richtet. Und
weil sie sich nicht nach ihm ausrichten kann, wenn sie nicht
nützlich ist, muß die Gabe, damit die Handlung der Tugend frei
ist, der Seite zu der sie geht, nämlich dem Empfänger, [nütz-
lich] sein; und folglich muß in der Gabe der Nutzen des Emp-
fängers vorhanden sein, damit von da her die Freigebigkeit
vollendet sei.
(16) Der dritte Umstand, an dem man vollendete Freigebig-
keit erkennen kann, ist das ungefragte Geben: denn das gefrag-
te [Geben] ist von einer Seite her nicht Tugend sondern Waren-
handel, weil der Empfänger kauft, obschon der Geber nicht
verkauft. Deswegen sagt Seneca, daß "kein Ding teurer ge-
kauft wird, alsjenes, womitBittengehandeltwird". (17) Da-
mit in der Gabe vollendete Freigebigkeit ist und diese [Freige-
bigkeit] in ihr wahrgenommen werden kann, ist nicht nur not-
wendig, daß die Gabe von jeder Geste des Warenhandels frei
ist, sondern auch ungefragt. (18) Weswegen das Erbittete der-
art teuer zu stehen kommt, gedenke ich hier nicht darzulegen,
denn dies wird im letzten Traktat dieses Buches zur Genüge
erörtert werden.

ix. Von diesen drei oben genannten Bedingungen, die zusam-


menspielen müssen, auf daß in der Gabe vollendete Freigebig-
keit sei, war der lateinische Kommentar (weit entfernt), aber
der volkssprachliche Kommentar verträgt sich mit ihnen, was
man offensichtlich folgendermaßen darlegen kann. (2) Der la-
44 Convivio 1 · ix, 2-7

cosi servito a molti: ehe se noi reducemo a memoria quello ehe


di sovra e ragionato, li litterati fuori di lingua italica non ave-
rebbono potuto avere questo servigio, e quelli di questa lingua,
se noi volemo bene vedere chi sono, troveremo ehe de' mille
l'uno ragionevolmente non sarebbe stato servito; pero ehe non
l' averebbero ricevuto, tanto sono pronti ad avarizia ehe da ogni
nobilitade d' animo li rimuove, la quale massimamente desidera
questo cibo. (3) E a vituperio di loro dico ehe non si deono
chiamare litterati, pero ehe non acquistano la lettera per lo suo
uso, ma in quanto per quella guadagnano denari o dignitate; si
come non si dee chiamare citarista chi tiene la cetera in casa per
prestarla per prezzo, e non per usarla per sonare. (4) Tornando
dunque al principale proposito, dico ehe manifestamente si puo
vedere come lo latino averebbe a pochi dato lo suo beneficio,
ma lo volgare servira veramente a molti. (5) Che la bonta de
l'animo, la quale questo servigio attende, ein coloro ehe per
malvagia disusanza del mondo hanno lasciata la litteratura a
coloro ehe l 'hanno fatta di donna meretrice; e questi nobili sono
principi, baroni, cavalieri, e molt'altra nobile gente, non sola-
mente maschi ma femmine, ehe sono molti e molte in questa
lingua, volgari, e non litterati.
(6) Ancora, non sarebbe lo latino stato datore d'utile dono,
ehe sara lo volgare. Pero ehe nulla cosa e utile, se non in
quanto e usata, ne e la sua bontade in potenza, ehe non e
essere perfettamente; si come I' oro, le margarite e li altri teso-
ri ehe sono sotterrati. ........ ; pero ehe quelli ehe sono a mano
de l'avaro sono in piU basso loco ehe non e la terra Ia dove lo
tesoro e nascosto. (7) Lo dono veramente di questo comento e
la sentenza de le canzoni a le quali fatto e, la qual massima-
mente intende inducere li uomini a scienza e a vertil, si come
Das Gastmahl 45

teinische hätte so nicht vielen gedient: wenn wir uns das oben
Dargelegte in Erinnerung rufen, so hätten die Gelehrten außer-
halb [des Bereiches] der italienischen Sprache diesen Dienst
nicht haben können. Und bezüglich [der Gelehrten] dieser Spra-
che werden wir, wenn wir genau hinschauen, wer sie sind,
vernünftigerweise finden, daß von tausend nicht einer bedient
worden wäre: sie hätten ihn nicht empfangen, weil sie so sehr
zum Geiz neigen, daß sie von jener Erhabenheit der Seele
entfernt sind, der am meisten nach dieser Nahrung verlangt.
(3) Und als Tadel an ihre Adresse sage ich, daß man sie nicht
Gelehrte nennen soll, denn sie erwerben das Wissen nicht zu
seinem Gebrauch, sondern um dadurch Geld oder Ehre zu
erwerben; so wie man nicht Zitherspieler nennen soll, wer eine
Zither zu Hause hat, um sie gegen Geld auszuleihen und nicht
um sie zum Spielen zu gebrauchen. (4) Zum eigentlichen Vor-
haben zurückkehrend sage ich, daß man offensichtlich sehen
kann, wie das Latein seine Wohltat wenigen gegeben hätte, aber
die.Volkssprache wird wirklich vielen dienen. (5) Denn die
Güte des Geistes, der dieser Dienst verpflichtet ist, findet sich
in jenen, die, wegen des schrecklichen Missbrauchs der Welt,
die Literatur jenen andern überlassen haben, die aus ihr eine
Prostituierte gemacht haben; und diese Edlen sind Prinzen,
Grafen, Ritter und viele andere edle Menschen, nicht nur
Männer, sondern auch Frauen, die in dieser Sprache zahlreich
sind [und diese sind] volkssprachlich und nicht gebildet.
(6) Weiter wäre das Latein nicht Geber einer nützlichen
Gabe gewesen, was die Volkssprache sein wird. Denn kein
Ding ist nützlich, wenn es nicht benützt wird und wenn seine
Gutheit nur dem Vermögen nach ist, was dem Haben von
vollkommenen Sein nicht gleichkommt; so wie das Gold, die
Perlen und die anderen vergrabenen Schätze .... ; denn jene,
die der Geizige zur Hand hat, sind an einem niedrigeren Ort,
als es die Erde dort ist, wo der Schatz verborgen ist. (7) Die
eigentliche Gabe dieses Kommentars ist die Auslegung der
Kanzonen, für die er geschaffen ist. Diese [Auslegung] beab-
46 Convivio 1 . ix, 7 - x, 3

si vedra per lo pelago del loro trattato. (8) Questa sentenza


non possono non avere in uso quelli ne li quali vera nobilitä e
seminata per lo modo ehe si dirä nel quarto trattato; e questi
sono quasi tutti volgari, si eome sono quelli nobili ehe di so-
pra, in questo capitolo, sono nominati. (9) E non ha eontradi-
zione perehe aleuno litterato sia di quelli; ehe, si eome diee il
mio maestro Aristotile nel primo de l 'Etica, "una rondine non
fa primavera". E adunque manifesto ehe lo volgare dara eosa
utile, e lo latino non l'averebbe data.
(10) Aneora, dara lo volgare dono non dimandato, ehe non
l'averebbe dato lo latino: pero ehe dara se medesimo per eo-
mento, ehe mai non fu domandato da persona; e questo non si
puo dire de lo latino, ehe per eomento e per ehiose a molte
seritture e giä stato domandato, si eome ne' loro prineipii si
puo vedere apertamente in molte. (11) E eosi e manifesto ehe
pronta liberalitade mi mosse al volgare anzi ehe a lo latino.

x. Grande vuole essere la seusa, quando a eosi nobile eonvi-


vio per le sue vivande, a eosi onorevole per li suoi eonvitati,
s'appone pane di biado e non di frumento; e vuole essere
evidente ragione ehe partire faeeia l 'uomo da quello ehe per li
altri e stato servato lungamente, si eome di eomentare eon
latino. (2) E pero vuole essere manifesta la ragione, ehe de le
nuove eose lo fine non e eerto; aeeiO ehe la esperienza non e
mai avuta onde le eose usate e servate sono e nel proeesso e
nel fine eommisurate. (3) Pero si mosse la Ragione a eoman-
dare ehe l 'uomo avesse diligente riguardo ad entrare nel nuo-
Das Gastmahl 47

sichtigt in höchstem Masse die Menschen zu Wissen und Tu-


gend zu führen, wie man aus der Tiefe ihrer Behandlung erse-
hen wird. (8) Diese Auslegung gereicht jenen zum Nutzen, in
denen wahrer Adel, gemäß der Art, die im vierten Traktat
erklärt werden wird, gesät ist; und diese sind beinahe alle
volkssprachlich, wie es jene Edlen sind, die weiter oben in
diesem Kapitel aufgezählt wurden. (9) Und dem widerspricht
nicht, daß einzelne Gelehrte zu diesen gehören; denn, wie
mein Lehrer Aristoteles im ersten Buch der Ethik sagt, macht
eine Schwalbe noch keinen Frühling. Also ist offenkundig,
daß die Volkssprache nützliche Dinge geben wird und daß das
Latein diese nicht gegeben hätte.
(10) Weiter wird die Volkssprache ungefragte Gabe geben,
was das Latein nicht getan hätte: denn sie wird sich selbst als
Kommentar geben, was noch nie von jemandem erbeten wor-
den ist; und dies kann man vom Latein nicht sagen, das als
Kommentar und als Glosse zu vielen Schriften bereits verlangt
worden ist; wie man in ihren Einleitungen in vielen deutlich
sehen kann. (11) Und so ist offenkundig, daß vollendete Frei-
gebigkeit mich zur Wahl der Volkssprache statt des Lateins
bewegt hat.

x. Umfassend hat die Entschuldigung zu sein, wenn bei einem


ob seiner Speise so edlen [und] ob seiner Gäste so ehrenwerten
Gastmahl Brot aus Gerste statt aus Weizen gereicht wird; und
es bedarf eines offensichtlichen Grundes, wenn jemand Ab-
stand nimmt von dem, was von den anderen während langer
Zeit aufgetragen worden ist, wie es beim Kommentieren in
lateinischer Sprache [der Fall ist]. (2) Und der Grund muß
deshalb offenkundig sein, weil das Ende der neuen Dinge nicht
gewiß ist; und dies, weil die Erfahrung, durch die die benutzten
und aufgetragenen Dinge sowohl bezüglich ihrer Entwicklung
als auch bezüglich ihres Endes bemessen werden, noch nie
gemacht wurde. (3) Deshalb erließ das Römische Recht den
Befehl, der Mensch solle beim Betreten des neuen Weges sorg-
48 Convivio 1 . x, 3-9

vo eammino, dieendo ehe "ne lo statuire le nuove eose evi-


dente ragione dee essere quella ehe partire ne faecia da quello
ehe lungamente e usato". (4) Non si maravigli dunque aleuno
se lunga e la digressione de la mia seusa, ma, si eome neees-
saria, la sua lunghezza paziente sostenga. (5) La quale prose-
guendo, dico ehe - poi eh'e manifesto eome per eessare di-
seonvenevole disordinazione e eome per prontezza di liberali-
tade io mi mossi al volgare eomento e laseiai lo latino - l'or-
dine de la intera seusa vuole eh'io mostri eome a eio mi mossi
per lo naturale amore de la propria loquela; ehe e la terza e
!'ultima ragione ehe a eiO mi mosse. (6) Dieo ehe lo naturale
amore prineipalmente muove l'amatore a tre eose: l'una sie a
magnifieare l'amato; l'altra e ad esser geloso di quello; l'altra
e a difendere lui, si eome ciaseuno puo vedere eontinuamente
avvenire. E queste tre eose mi feeero prendere lui, cioe lo
nostro volgare, lo qual naturalmente e aeeidentalmente amo e
ho amato. (7) Mossimi prima per magnifieare lui. E ehe in eiO
io lo magnifieo, per questa ragione vedere si puo: avvegna
ehe per molte eondizioni di grandezze le eose si possono ma-
gnifieare, eioe fare grandi, e nulla fa tanto grande quanto la
grandezza de la propia bontade, la quale e madre e eonserva-
trice de !'altre grandezze. (8) Onde nulla grandezza puote ave-
re l'uomo maggiore ehe quella de la virtuosa operazione, ehe
e sua propia bontade; per la quale le grandezze de le vere
dignitadi, de 1i veri onori, de le vere potenze, de le vere rie-
ehezze, de li veri amici, de la vera e ehiara fama, e aequistate
e eonservate sono. (9) E questa grandezza do io a questo ami-
eo, in quanto quello elli di bontade avea in podere e oeeulto,
Das Gastmahl 49

fältig achtgeben, indem es sagt: „Beim Festlegen neuer Dinge


muß der Grund, der von dem, was lange in Gebrauch war,
Abstand nehmen läßt, offensichtlich sein." (4) Niemand wun-
dere sich also, wenn die Darlegung meiner Entschuldigung sich
hinzieht, sondern er ertrage ihre Länge, da sie notwendig ist,
mit Geduld. (5) Mit der [Entschuldigung] fortfahrend sage ich,
- zumal Uetzt] offenkundig ist, wie ich, um unpassende Unord-
nung zu vermeiden und aus vollendeter Freigebigkeit, mich
dem volkssprachlichen Kommentar zuwandte und vom lateini-
schen Abstand nahm-, daß die Ordnung der ganzen Entschul-
digung danach verlangt, daß ich zeige, inwiefern mich die
natürliche Liebe zur eigenen Sprache dazu veranlaßt hat; dies
ist der dritte und letzte Grund, der mich dazu bewegt hat.
(6) Ich sage, daß die natürliche Liebe den Liebenden haupt-
sächlich zu drei Verhaltensweisen bewegt: die eine besteht
darin, das Geliebte überschwenglich zu loben; die andere be-
steht darin, diesem gegenüber leidenschaftlich zu sein; die
dritte besteht darin, dieses zu verteidigen, wie jeder tagtäglich
feststellen kann. Und diese drei Verhaltensweisen führten mich
zu ihrer Wahl, d.h. unserer Volkssprache, die ich vonNaturaus
und akzidentell liebe und [stets] geliebt habe. (7) An erster
Stelle bewegte mich, sie zu loben. Und daß ich sie hiermit lobe,
kann man folgender Überlegung entnehmen: Es verhält sich so,
daß die Dinge durch viele Bedingungen der Größe gelobt, d.h.
groß gemacht werden können, und keine macht so groß wie die
Größe der eigenen Güte, die Mutter und Bewahrerin der ande-
ren Größen ist. (8) Deshalb kann der Mensch keine umfassen-
dere Größe haben als jene der tugendhaften Handlung, die seine
eigene Güte ist; durch sie wird die Größe der echten Würden,
der echten Ehren, der echten Fähigkeiten, des echten Reich-
tums, der echten Freunde und des echten und ungetrübten
Ruhmes erworben und bewahrt. (9) Und diese Größe gebe ich
dieser Freundin; insofern ich das, was sie an Güte dem Vermö-
gen nach und verborgen besaß, verwirkliche und offenkundig
50 Convivio 1. x, 9-13

io lo fo avere in atto e palese ne la sua propria operazione, ehe


e manifestare conceputa sentenza.
(10) Mossimi secondamente per gelosia di lui. La gelosia de
l'amico fa l'uomo sollicito a lunga provedenza. Onde pensan-
do ehe lo desiderio d'intendere queste canzoni, a alcuno illit-
terato avrebbe fatto lo comento latino transmutare in volgare,
e temendo ehe 'l volgare non fosse stato posto per alcuno ehe
l'avesse laido fatto parere, come fece quelli ehe transmuto lo
latino de l 'Etica - cio fu Taddeo ipocratista - , providi a ponere
lui, fidandomi di me piii ehe d'un altro. (11) Mossimi ancora
per difendere lui da molti suoi accusatori, li quali dispregiano
esso e commendano li altri, massimamente quello di lingua
d'oco, dicendo ehe e piii bello e migliore quello ehe questo;
partendose in ciO da la veritade. (12) Che per questo comento
la gran bontade del volgare di si [si vedra]; pero ehe si vedra
la sua vertU:, si com'e per esso altissimi e novissimi concetti
convenevolemente, sufficientemente e acconciamente, quasi
come per esso latino, manifestare; [la quale non si potea bene
manifestare] ne le cose rimate, perle accidentali adomezze ehe
quivi sono connesse, cioe la rima e lo ri[ti]mo e lo numero
regolato: si come non si puo bene manifestare la bellezza d 'una
donna, quando li adomamenti de l 'azzimare e de Je vestimenta
la fanno piii ammirare ehe essa medesima. (13) Onde chi vuol
ben giudicare d'una donna, guardi quella quando solo sua na-
turale bellezza si sta con lei, da tutto accidentale adomamento
discompagnata: si come sara questo comento, nel quale si ve-
dra l'agevolezza de le sue sillabe, le proprietadi de le sue
co[stru]zioni e le soavi orazioni ehe di lui si fanno; le quali chi
bene agguardera, vedra essere piene di dolcissima e d' ama-
Das Gastmahl 51

mache in ihrer eigenen Handlung, die in der Darlegung des


enthaltenen Sinnes besteht.
( 10) Zweitens bewegte mich die Leidenschaft für die Gelieb-
te. Die Leidenschaft für die befreundete Person macht einen
Menschen auf lange Sicht hinaus besorgt. Da ich dachte, daß
der Wunsch, diese Gedichte zu verstehen, irgendeinen Unge-
bildeten veranlassen könnte, den lateinischen Kommentar in
die Volkssprache umzusetzten, und da ich befürchtete, daß die
Volkssprache von jemandem gehandhabt würde, der sie häß-
lich erscheinen läßt, wie es jener tat, der das Latein der Ethik
umsetzte - das war Taddeo Alderotti, der Hippokrates-Kom-
mentator-, sah ich mich vor, diesen zu verfassen, mir mehr
trauend als einem anderen. (11) Mich bewegte weiter, [die
Volkssprache] gegenüber vielen ihrer Ankläger zu verteidi-
gen, die sie verachten und andere rühmen, vor allem jene der
Provence, wobei sie jene schöner und besser nennen als diese
[und] sich hierbei von der Wahrheit entfernen. (12) Auf daß
durch diesen Kommentar die große Güte der italienischen
Volkssprache [ersichtlich werde]; auf daß man ihre Tugend
erkennen möge, wenn durch [die Volkssprache] erhabenste
und unerhörte Gedanken passend, stimmig und ordentlich,
beinahe wie durch das Latein, dargelegt werden; (diese Gedan-
ken konnten) in der gereimten Form, wegen der akzidentellen
Ausschmückungen, die mit ihnen verbunden sind, nämlich der
Reim, das Versmaß und die geregelte Zahl, (nicht gut dargelegt
werden); so wie man die Schönheit einer Frau nicht gut zeigen
kann, wenn der Schmuck des Putzes und der Kleider sie bewun-
dernswerter machen als sie sich selbst. (13) Deswegen betrach-
te, wer über eine Frau richtig urteilen will, diese wenn nur ihre
natürliche Schönheit sie begleitet und sie von aller akzidentel-
len Ausschmückung frei ist; so wie dieser Kommentar sein
wird, in dem man die Leichtigkeit seiner Silben, die Besonder-
heiten seiner Konstruktionen und die angenehmen Reden, die
von ihm gehalten werden, sehen wird; wer genau hinschaut,
wird erkennen, daß all dies von süßester und liebenswertester
52 Convivio I . x, 13 - xi, 5

bilissima bellezza. (14) Ma perö ehe virtuosissimo e, ne Ja


'ntenzione mostrare lo difetto e Ja malizia de lo aeeusatore,
dirö, a eonfusione di eoloro ehe aeeusano Ja italiea loquela,
perehe a ciö fare si muovono; e eiö farö al presente speziale
eapitolo, perehe piU notevole sia Ja loro infamia.

xi. A perpetuale infamia e depressione de li malvagi uomini


d'ltalia, ehe eommendano lo volgare altrui e lo loro proprio
dispregiano, dieo ehe Ja loro mossa viene da einque abomine-
voli eagioni. (2) La prima e eeehitade di diserezione; Ja seeon-
da, maliziata eseusazione; Ja terza, eupidita di vanagloria; Ja
quarta, argomento d'invidia; Ja quinta e ultima, vilta d'animo,
cioe pusillanimita. E ciaseuna di queste retadi ha si grande
setta ehe poehi sono quelli ehe siano da esse liberi.
(3) De Ja prima si puö eosi ragionare. Si eome Ja parte
sensitiva de l'anima ha suoi oeehi, eon li quali apprende Ja
differenza de Je eose in quanto eile sono di fuori eolorate, eosi
la parte razionale ha suo oeehio, eon lo quale apprende Ja
differenza de le eose in quanto sono ad alcuno fine ordinate: e
questa e la diserezione. (4) E si eome eolui ehe e eieeo de li
oeehi sensibili va sempre seeondo ehe li altri giudicando lo
male e lo bene, eosi eolui ehe e cieeo del lume de Ja diserezio-
ne sempre va nel suo giudieio seeondo il grido, o diritto o
falso; onde qualunque ora lo guidatore e cieco, eonviene ehe
esso e quello, anehe eieeo, eh'a lui s'appoggia vegnano a mal
fine. Perö e seritto ehe '"l eieeo al eieeo fara guida, e eosi
eadranno ambedue ne la fossa". (5) Questa grida e stata lunga-
mente eontro a nostro volgare, per Je ragioni ehe di sotto si
ragioneranno, appresso di questa. Eli eieehi sopra notati, ehe
Das Gastmahl 53

Schönheit erfüllt ist. (14) Aber da es besonders tugendhaft ist,


die Fehlerhaftigkeit und die Schlechtigkeit in der Absicht des
Anklägers aufzuzeigen, werde ich, um die Ankläger der italie-
nischen Sprache zu verwirren, sagen, weswegen sie sich zu
solchem Tun hergeben; und hierzu werde ich nun ein eigenes
Kapitel verfassen, auf daß ihre Schmach um so größer sei.

xi. Zur immerwährenden Schmach und Erniedrigung der


schlechten Menschen Italiens, die die Volkssprache anderer
loben und ihre eigene verachten, sage ich, daß ihre Haltung von
fünf verabscheuungswürdigen Ursachen herrührt. (2) Die er-
ste ist die Blindheit des Unterscheidungsvermögens; die zweite
verdrehte Entschuldigung; die dritte Begierde nach eitlem
Ruhm; die vierte [ist ein] Argument des Neides; die fünfte und
letzte Feigheit des Geistes, d.h. Kleinmut. Und jede dieser
Verfehlungen hat so große Gefolgschaft, daß nur wenige von
ihnen frei sind.
(3) Bezüglich der ersten kann man folgendermaßen argumen-
tieren. So wie der sinnliche Teil der Seele seine Augen hat, mit
denen [die Seele] die Unterschiede der Dinge, insofern diese
äußerlich farbig sind, wahrnimmt, so hat der vernünftige Teil
[der Seele] sein Auge, mit dem er den Unterschied der Dinge,
insofern sie auf ein Ziel hingeordnet sind, wahrnimmt; und dies
ist das Unterscheidungsvermögen. (4) Und wie der, dessen
sinnlichen Augen blind sind, sich immer gemäß den anderen
bewegt, wenn er das Gute und das Schlechte beurteilt, so geht
jener, der bezüglich des Lichtes des Unterscheidungsvermö-
gens blind ist, in seinem Urteil immer dem Geschrei nach,
entweder richtig oder falsch; falls der Führer blind ist, ist es so,
daß er und der andere Blinde, der sich an ihn anlehnt, zu einem
schlechten Ende kommen. Deshalb steht geschrieben, daß „der
Blinde den Blinden führen wird, und so werden beide in den
Graben fallen". (5) Dieses Geschrei wurde, aus den Gründen
die unten, im Anschluß an diesen [Grund], dargelegt werden,
lange Zeit gegen unserer Volkssprache erhoben. Und die eben
54 Convivio 1. xi, 5-11

sono quasi infiniti, eon la mano in su la spalla a questi mentito-


ri, sono eaduti ne la fossa de la falsa oppinione, de la quale
useire non sanno. (6) De l'abito di questa luee diseretiva mas-
simamente le populari persone sono orbate; pero ehe, oeeupa-
te dal principio de la loro vita ad aleuno mestiere, dirizzano si
l'animo loro a quello per forza de la neeessitate, ehe ad altro
non intendono. (7) E pero ehe I'abito di vertude, si morale
eome intellettuale, subitamente avere non si puo, ma eonviene
ehe per usanza s'aequisti, ed ellino la loro usanza pongono in
alcuna arte e a diseernere !'altre eose non eurano, impossibile
e a loro diserezione avere. (8) Per ehe incontra ehe molte volte
gridano Viva la loro morte, e Muoia la loro vita, pur ehe
aleuno eominei; e quest'e perieolosissimo difetto ne la loro
eeehitade. Onde Boezio giudiea la populare gloria vana, per-
ehe la vede sanza discrezione. (9) Questi sono da ehiamare
peeore, e non uomini; ehe se una peeora si gittasse da una ripa
di mille passi, tutte !'altre I'andrebbero dietro; e se una pecora
per alcuna eagione al passare d'una strada salta, tutte !'altre
saltano, eziandio nulla veggendo da saltare. (10) E io ne vidi
gia molte in uno pozzo saltare per una ehe dentro vi salto,
forse eredendo saltare uno muro, non ostante ehe 'l pastore,
piangendo e gridando, eon le braeeia e eol petto dinanzi a esse
si parava.
(11) La seeonda setta eontra nostro volgare si fa per una
maliziata seusa. Molti sono ehe amano piii. d' essere tenuti mae-
stri ehe d'essere, e per fuggir lo eontrario, cioe di non esser
tenuti, sempre danno eolpa a la materia de l 'arte appareeehiata,
Das Gastmahl 55

erwähnten Blinden, die beinahe unendlich viele sind, sind, mit


der Hand auf der Schulter dieser Lügner, in den Graben der
falschen Meinung gefallen, aus dem herauszukommen sie nicht
fähig sind. (6) Des Vermögens dieses unterscheidenden Lich-
tes sind in höchstem Masse die Leute aus dem Volk beraubt;
und zwar weil sie, von Beginn ihres Lebens an mit einem Beruf
beschäftigt, ihren Geist von der Notwendigkeit gezwungen
derart auf diesen [Beruf] ausrichten, daß sie sich auf nichts
anderes ausrichten können. (7) Und weil man den Habitus der
Tugend, sowohl der moralischen als auch der vernünftigen,
nicht plötzlich haben kann, sondern man ihn durch Gewohnheit
erwerben muß, und jene ihre Gewohnheit in ein Handwerk
legen und sich nicht darum sorgen, andere Dinge unterschei-
dend wahrzunehmen, ist es ihnen unmöglich, Unterschei-
dungsvermögen zu haben. (8) Deshalb passiert es, daß sie
immerwiederihrem Tod "Heil" schreien und ihrem Leben "Es
sterbe", wenn nur jemand [damit] beginnt; und dies ist ein sehr.
gefährlicher Fehler in ihrer Blindheit. Weswegen Boethius den
Ruhm beim Volk als nichtig beurteilt, denn er sieht, daß dieser
[Ruhm] nicht auf Unterscheidungsvermögen beruht. (9) Sol-
che sind Schafe zu nennen und nicht Menschen; denn wenn sich
ein Schaf von einer tausend Fuß hohen Steilküste stürzen wür-
de, gingen alle anderen hinterher; und wenn ein Schaf beim
Überqueren einer Strasse aus irgendeinem Grund einen Sprung
macht, machen alle anderen einen Sprung, auch wenn sie nichts
sehen, das zum Sprung veranlaßt. (10) Und ich sah schon viele
in einen Brunnen springen wegen einem, das hineinsprang,
vielleicht weil es dachte eine Mauer zu überspringen, trotz des
weinenden und schreienden Hirten, der sie mit den Armen und
der Brust abwehrte.
( 11) Die zweite gegen unsere Volkssprache [gerichtete] Ge-
folgschaft verdankt sich einer verdrehten Entschuldigung. Vie-
le sind es, die es mehr lieben für Meister gehalten zu werden,
als [Meister] zu sein, und um dem Gegenteil zu entgehen, d.h.
nicht [für Meister] gehalten zu werden, geben sie immer dem
56 Convivio 1 ·xi, 11-17

o vero a lo strumento; si come lo mal fabbro biasima lo ferro


appresentato a lui, e lo malo citarista biasima la cetera, creden-
do dare la colpa del mal coltello e del mal sonare al ferro e alla
cetera, e levarla a se. (12) Cosi sono alquanti, e non pochi, ehe
vogliono ehe l 'uomo li tegna dicitori; e per scusarsi dal non dire
o dal dire male accusano e incolpano la materia, cioe lo volgare
proprio, e commendano l'altro lo quale non e loro richiesto di
fabbricare. (13) E chi vuole vedere come questo ferro e da
biasimare, guardi ehe opere ne fanno li buoni artefici, e cono-
scera la malizia di costoro ehe, biasimando lui, si credono
scusare. (14) Contra questi cotali grida Tullio nel principio
d'un suo libro, ehe si chiama Libro di Fine de' Beni, per<'> ehe
al suo tempo biasimavano lo latino romano e commendavano
la gramatica greca, per simiglianti cagioni ehe questi fanno vile
lo parlare italico e prezioso quello di Provenza.
(15) La terza setta contra nostro volgare si fa per cupiditate
di vanagloria. Sono molti ehe per ritrarre cose poste in altrui
lingua e commendare quella, credono piu essere ammirati ehe
ritraendo quelle de la sua. E sanza dubbio non e sanza loda
d'ingegno apprendere bene Ja lingua strana; ma biasimevole e
commendare quella oltre a la verita, per farsi glorioso di tale
acquisto.
(16) La quarta si fa da uno argomento d'invidia. Si come e
detto di sopra, la invidia e sempre dove e alcuna paritade. Intra
li uomini d 'una lingua e la paritade del volgare; e percbe l 'uno
quella non sa usare come l'altro, nasce invidia. (17) Lo invi-
dioso poi argomenta, non biasimando colui ehe dice di non
Das Gastmahl 57

Material des ausgeübten Handwerks die Schuld oder besser


dem Instrument; so wie der schlechte Schmied das vor ihm
liegende Eisen verflucht, und der schlechte Zitherspieler die
Zither verflucht, wobei sie glauben, die Schuld des schlechten
Messers oder des schlechten Spieles dem Eisen und der Zither
zu geben und [die Schuld] von sich zu nehmen. (12) So sind die
meisten, die wollen, daß man sie für Redner hält; und um sich
von ihrem Nichtreden oder schlechten Reden zu entschuldigen,
klagen sie das Material an und beschuldigen dieses, d.h. die
eigene Volkssprache und rühmen die andere, die zu bearbeiten
von ihnen niemand verlangt. (13) Und wer sehen will, inwie-
fern dieses Eisen zu verfluchen ist, der schaue, was für Werke
die guten Handwerker daraus machen, und er wird die Schlech-
tigkeit jener erkennen, die es verfluchend sich zu entschuldigen
glauben. (14) Gegen diese zetert Cicero am Anfang eines sei-
ner Bücher, das Über die Ziele des menschlichen Handelns
heißt, weil sie zu seiner Zeit das römische Latein verfluchten
und die griechische Sprache lobten [und zwar] aus ähnlichen
Gründen, aus denen diese die italienische Sprache erniedrigen
und diejenige der Provence erhöhen.
(15) Die dritte Gefolgschaft gegen unsere Volkssprache ent-
steht aus der Begierde nach eitlem Ruhm. Es gibt viele, die
wegen des Erklärens und Lobens von in anderen Sprachen
verfaßten Dingen glauben, sie würden mehr bewundert, als
wenn sie die [Dinge] ihrer [Sprache] erklären würden. Und
zweifelsohne gebührt dem richtigen Lernen einer fremden
Sprache das Lob des Talentes; aber verfluchenswert ist es, jene
über die Wahrheit hinaus zu rühmen, um sich durch deren
Aneignung Ruhm zu verschaffen.
( 16) Die vierte entsteht aus einem Argument des Neitles. Wie
oben gesagt wurde, gibt es immer dort Neid, wo es irgendeine
Gleichheit gibt. Zwischen den Menschen einer Sprache gibt es
die Gleichheit der Volkssprache; und weil der eine sie nicht wie
der andere zu benützen weiß, entsteht Neid. (17) Der Neidi-
58 Convivio 1 . xi, 17 - xii, 1

saper dire, ma biasima quello ehe e materia de la sua opera, per


torre, dispregiando l 'opera da quella parte, a lui ehe diee onore
e fama; sl eome eolui ehe biasimasse lo ferro d 'una spada, non
per biasimo dare al ferro, ma a tutta l'opera del maestro.
(18) La quinta e ultima setta si muove da viltä d'animo.
Sempre lo magnanimo si magnifiea in suo euore, e eosi lo
pusillanimo, per eontrario, sempre si tiene meno ehe non e.
(19) E perehe magnifieare e parvifieare sempre hanno rispetto
ad alcuna eosa, per eomparazione a la quale si fa lo magnanimo
grande e lo pusillanimo pieeolo, avviene ehe 'l magnanimo
sempre fa minori li altri ehe non sono, e lo pusillanimo sempre
maggiori. (20) E pero ehe eon quella misura ehe l 'uomo misura
se medesimo, misura le sue eose, ehe sono quasi parte di se
medesimo, avviene ehe al magnanimo le sue eose sempre pa-
iono migliori ehe non sono, e l'altrui men buone: lo pusillani-
mo sempre le sue eose erede valere poeo, e l'altrui assai.
(21) Onde molti per questa viltade dispregiano lo proprio vol-
gare, e l 'altrui pregiano: e tutti questi eotali sono li abominevoli
eattivi d'Italia ehe hanno a vile questo prezioso volgare, lo
quale, s 'e vile in alcuna [eosa], non e se non in quanto elli suona
ne la bocea meretriee di questi adulteri; a lo eui eondutto vanno
li eieehi de li quali ne la prima cagione feei menzione.

xii. Se manifestamente per le finestre d'una easa uscisse


fiamma di fuoeo, e alcuno dimandasse se Hi dentro fosse il
fuoeo, e un altro rispondesse a lui di si, non saprei bene giudi-
care qual di eostoro fosse da sehernire di piU. E non altrimenti
sarebbe fatta la dimanda e la risposta di eolui e di me, ehe mi
domandasse se amore a la mia loquela propria e in me e io li
Das Gastmahl 59

sehe argumentiert dann um dem Redner Ehre und Ruhm abzu-


sprechen, indem er nicht dem Redner vorwirft, er verstehe
nicht zu reden, sondern er verflucht die Materie seines Werkes
und verachtet so das Werk von dieser Seite her; so wie jener,
der das Eisen eines Schwertes verfluchen würde, nicht um das
Eisen zu verfluchen, sondern das ganze Werk des Meisters.
(18) Die fünfte und letzte Gefolgschaft entspringt der Feig-
heit des Geistes. Stets erhöht sich der Großmütige in seinem
Herzen, und ebenso hält sich der Kleinmütige, aufgrund des
Gegenteils, immer für weniger, als er ist. (19) Und weil Groß-
und Kleinmachen immer in Beziehung steht zu etwas, im Ver-
gleich zu dem der Großmütige sich groß und der Kleinmütige
sich klein macht, kommt es, daß der Großmütige die anderen
stets kleiner macht, als sie sind und der Kleinmütige [sie] stets
größer [macht, als sie sind]. (20) Und deshalb, weil der
Mensch mit jenem Maß, mit dem er sich selbst mißt, [auch]
seine Dinge mißt, die beinahe ein Teil von ihm selbst sind,
kommt es, daß dem Großmütigen seine Dinge immer besser
scheinen als sie sind und die Dinge anderer weniger gut: der
Kleinmütige glaubt immer, daß seine Dinge wenig wert sind
und die Dinge anderer viel. (21) Viele verachten wegen dieser
Feigheit die eigene Volkssprache und schätzen die [Volksspra-
che] anderer: und dies sind die abscheulichen Widerwärtigen
Italiens, die diese wertvolle Volkssprache niedrig halten; die,
falls sie in irgendeiner Hinsicht niedrig ist, dies nur ist, inso-
fern sie aus dem Schandmaul dieser Ehebrecher tönt; unter der
Führung solcher gehen die Blinden, von denen ich bei der
Behandlung der ersten Ursache gesprochen habe.

xii. Wenn aus den Fenstern eines Hauses ganz offensichtlich


Feuerflammen herausschlagen würden und einer fragen würde,
ob dort drinnen Feuer sei und ein anderer ihm mit ja antworten
würde, so wüßte ich nicht recht, welcher der beiden mehr zu
verhöhnen wäre. Angesichts der oben vorgebrachten Gründe
wäre es nicht anders bestellt, um jemandes Frage und um meine
60 Convivio 1 . xii, 1-6

rispondesse di si, appresso le su proposte ragioni. (2) Ma tut-


tavia, e a mostrare ehe non solamente amore ma perfettissimo
amore di quella e in me, e a biasimare ancora li suoi avversarii
ciO mostrando a chi bene intendera, diro come a lei fui fatto
amico, e poi come l'amistae confermata. (3) Dicoche, si come
vedere si puo ehe s[crive] Tullio in quello De Amicitia, non
discordando da la sentenza del Filosofo aperta ne l' ottavo e nel
nono de l 'Etica, naturalmente Ja prossimitade e Ja bontade sono
cagioni d'amore generative; lo beneficio, lo studio e Ja consu-
etudine sono cagioni d'amore accrescitive. E tutte queste ca-
gioni vi sono state a generare e a confortare I'amore eh' io porto
al mio volgare, si come brievemente io mosterro.
(4) Tanto e la cosa piu prossima quanto, di tutte le cose de!
suo genere, altrui e piU unita: onde di tutti li uomini lo figlio
e piu prossimo al padre; di tutte l'arti Ja medicina e piu pros-
sima al medico, e Ja musica al musico, pero ehe a loro sono piU
unite ehe !'altre; di tutta la terra e piU prossima quella dove
l'uomo tiene se medesimo, pero ehe e ad esso piu unita. (5) E
cosi lo volgare e piU prossimo quanto e piU unito, ehe uno e
solo e prima ne la mente ehe alcuno altro, e ehe non solamente
per se e unito, ma per accidente, in quanto e congiunto con le
piu prossime persone, si come con li parenti e con li propri
cittadini e con la propria gente. (6) E questo e lo volgare
proprio; lo quale e non prossimo, ma massimamente prossimo
a ciascuno. Per ehe, se la prossimitade e seme d'amista, come
detto e di sopra, manifesto e ch'ella e de Je cagioni stata de
I'amore ch'io porto a la mia loquela, ehe e a me prossima piU
Das Gastmahl 61

Antwort, wenn er mich fragen würde, ob Liebe zu meiner


eigenen Sprache in mir sei, und ich ihm mitja antworten würde.
(2) Aber trotzdem, um zu zeigen, daß nicht nur Liebe, sondern
vollkommenste Liebe zu dieser in mir ist, und um ihre Gegner
weiterhin zu rügen, indem ich dies dem, der richtig versteht,
darlege, werde ich erzählen, wie ich zu ihrem Freund gemacht
wurde und darauf, wie die Freundschaft bekräftigt wurde.
(3) Ich sage, wie man in dem, was Cicero im Laelius von der
Freundschaft schreibt, sehen kann [und] dem die vom Philoso-
phen im achten und neunten Buch der Ethik dargelegte Meinung
nicht widerspricht, daß natürlicherweise die Nähe und die Güte
die erzeugenden Ursachen der Liebe sind; die Wohltat, das
Streben und die Gewohnheit sind die vermehrenden Ursachen
der Liebe. Und all diese Ursachen waren beteiligt am Erzeugen
und Festigen jener Liebe, die ich meiner Volkssprache entge-
genbringe, wie ich nun kurz darstellen werde.
(4) Ein Ding ist näher, wenn es im Vergleich zu allen übrigen
Dingen seiner Gattung mit einem anderen in einem höheren
Maße verbunden ist: weswegen von allen Menschen der Sohn
dem Vater am nächsten ist; von allen Künsten ist die Medizin
dem Arzt am nächsten und die Musik dem Musiker, weil [diese
Künste] mit ihnen je in höherem Maße verbunden sind als die
anderen; von der ganzen Erde ist jener Teil am nächsten, wo
ein Mensch sich selbst authält, weil er mit diesem am meisten
verbunden ist. (5) Und so ist die Volkssprache näher, insofern
sie verbundener ist, denn sie ist einzig und allein als erste vor
jeder anderen im Geist, und weil sie nicht nur für sich genom-
men verbunden ist, sondern [auch] akzidentell, insofern sie mit
den nächsten Personen vereinigt ist, wie etwa mit den Eltern
und mit den eigenen Mitbürgern und dem eigenen Volk.
(6) Und dies ist die eigene Volkssprache; diese ist nicht [ein-
fach] nahe, sondern jedem in höchstem Maße nahe. Da die
Nähe der Keim der Freundschaft ist, wie oben gesagt wurde,
ist es offenkundig, daß sie eine der Ursachen gewesen ist für
die Liebe, die ich meiner Sprache entgegenbringe, die mir
62 Convivio 1 · xii, 6-13

ehe !'altre. (7) La sopra detta eagione, eioe d'essere piil unito
quello eh'e solo prima in tutta la mente, mosse Ja eonsuetudine
de la gente, ehe fanno li primogeniti sueeedere solamente, si
eome piii: propinqui, e perehe piii: propinqui piu amati.
(8) Aneora, Ja bontade feee me a lei amieo. E qui e da sapere
ehe ogni bontade propria in alcuna eosa, e amabile in quella:
si eome ne la masehiezza essere ben barbuto, e nella femminez-
za essere ben pulita di barba in tutta Ja faeeia; si eome nel braeeo
beneodorare, esieomenel veltro beneorrere. (9) Equantoella
e piu propria, tanto aneora e piu amabile; onde, avvegna ehe
eiaseuna verru sia amabile ne l'uomo, quella e piil amabile in
esso ehe e piu umana, e questa e Ja giustizia, Ja quale e solamente
ne la parte razionale o vero intellettuale, eioe ne Ja volontade.
(10) Questa e tanto amabile, ehe, si eome diee lo Filosofo nel
quinto de I'Etica, li suoi nimici l'amano, si eome sono ladroni
e rubatori; e pero vedemo ehe 'l suo eontrario, cioe la ingiu-
stizia, massimamente e odiata, si eome e tradimento, ingrati-
tudine, falsitade, furto, rapina, inganno e loro simili. (11) Li
quali sono tanto inumani peeeati, ehe ad iseusare se de l' infamia
di quelli, si eoneede Ja lunga usanza ehe uomo parli di se, si
eome detto e di sopra, e possa dire se essere fädele e leale.
(12) Di questa verru innanzi dicero piii: pienamente nel quarto-
deeimo trattato; e qui lasciando, tomo al proposito. Provato e
adunque Ja bonta de Ja eosa piii: propria [piu essere amabile in
quella; per ehe, a mostrare quale in essa e piil propria,] e da
vedere quella ehe piii: in essa e amata e eommendata, e quella
e essa. (13) E noi vedemo ehe in eiaseuna eosa di sermone lo
bene manifestare del eoneetto si e piii: amato e eommendato:
dunque e questa la prima sua bontade. E eon eio sia eosa ehe
Das Gastmahl 63

näher ist als die anderen. (7) Die oben genannte Ursache, d.h.
daß man dem, was allein zuerst im ganzen Geist ist, verbunde-
ner ist, bewegte die Gewohnheit der Leute, nur die Erstgebo-
renen die Erbfolge antreten zu lassen, da [diese] näherstehend
sind und als näherstehende mehr geliebt werden.
(8) Des weiteren machte mich die Gutheit zu ihrem Freund.
Und hierzu ist zu wissen, daß die einem Ding eigene Gutheit in
jenem [Ding] liebenswert ist: so wie bei der Männlichkeit einen
guten Bartwuchs zu haben und bei der Weiblichkeit im ganzen
Gesicht wirklich von Bart sauber zu sein; so wie beim Spür-
hund ein guter Geruchsinn und beim Windhund gut zu rennen.
(9) Und je eigener diese [Gutheit] ist, desto liebenswerter ist
sie; weil jede Tugend des Menschen liebenswert ist, ist jene
seiner [Tugenden] am liebenswertesten, die in höchstem Masse
menschlich ist, und dies ist die Gerechtigkeit, die nur im ver-
nünftigen oder besser intellektuellen Teil, d.h. dem Willen ist.
(10) Sie ist so liebenswert, daß [selbst], wie der Philosoph im
fünften Buch der Ethik sagt, ihre Feinde, wie die Diebe und
Räuber, sie lieben; aber wir sehen, daß ihr Gegenteil, d. h. die
Ungerechtigkeit, wie etwa Verrat, Undank, Falschheit, Dieb-
stahl, Überfall, Betrug und dergleichen, in höchstem Masse
gehaßt wird. (11) Diese sind so unmenschliche Sünden, daß
man in alter Gewohnheit zugesteht, daß ein Mann von sich
selbst spricht, um sich von ihrer Schmach zu entschuldigen,
wie oben gesagt worden ist, und er erklären kann, er sei treu
und aufrichtig. (12) Von dieser Tugend werde ich weiterunten
im vierzehnten Buch vollständiger handeln; sie hier verlassend
kehre ich zum Gegenstand zurück. Da bewiesen ist, daß je
eigener die Gutheit eines Dinges ist, (sie desto liebenswerter in
ihm ist, muß, um zu zeigen, welche [Gutheit] ihre eigenste ist),
untersucht werden, welche in diesem [Ding] die geliebteste und
die gelobteste ist, und [diese Gutheit] ist die [gesuchte].
(13) Und wir sehen, daß in jeder Art des Sprechens die gute
Darstellung des Gedankens das am meisten geliebte und gelob-
te ist: also ist dies seine erste Gutheit. Und wird hier [bedacht],
64 Convivio 1 · xii, 13 - xiii, 5

questa sia nel nostro volgare, si come manifestato e di sopra in


altro capitolo, manifesto e ched ella e de le cagioni stata de
l' amore eh' io porto ad es so; poi ehe, si come detto e, la bontade
e cagione d'amore generativa.

xiii. Detto come ne la propria loquela sono quelle due cose


perle quali io sono fatto a lei amico, cioe prossimitade a me e
bonta propria, diro come per beneficio e concordia di studio e
per benivolenza di lunga consuetudine l' amista e confermata e
fatta grande.
(2) Dico, prima, ch'io per me ho da lei ricevuto dono di
grandissimi benefici. E pero e da sapere ehe intra tutti i bene-
fici e maggiore quello ehe piU e prezioso a chi riceve: e nulla
cosa e tanto preziosa, quanto quella per la quale tutte 1'altre si
vogliono; e tutte l'altre cose si vogliono per Ja perfezione di
colui ehe vuole. (3) Onde con cio sia cosa ehe due perfezioni
abbia l 'uomo, una prima e una seconda - Ja prima lo fa essere,
Ja seconda Io fa essere buono - , se Ja propria loquela m'e
stata cagione e de l'una e de l'altra, grandissimo beneficio da
lei ho ricevuto. E ch'ella sia stata a me d'essere [cagione, e
ancora di buono essere] se per me non stesse, brievemente si
puo mostrare.
(4) None [inconveniente] a una cosa esser piU cagioni effi-
cienti, avvegna ehe una sia massima de !'altre; onde lo fuoco
e Io martello sono cagioni efficienti de Io coltello, avvegna ehe
massimamente e il fabbro. Questo mio volgare fu congiugni-
tore de li miei generanti, ehe con esso parlavano, si come '!
fuoco e disponitore de! ferro al fabbro ehe fa lo coltello; per ehe
manifesto e Iui essere concorso a Ja mia generazione, e cosi
essere alcuna cagione de! mio essere. (5) Ancora, questo mio
Das Gastmahl 65

daß dies in unserer Volkssprache der Fall ist, wie oben in einem
anderen Kapitel dargelegt wurde, so ist offensichtlich, daß
auch dies zu den Ursachen der Liebe, die ich ihr entgegenbrin-
ge, gehört; da ja, wie gesagt worden ist, die Gutheit erzeugende
Ursache der Liebe ist.

xiii. Nachdem gesagt worden ist, welcherart in der eigenen


Sprache die zwei Dinge sind, durch die ich zu ihrem Freund
gemacht worden bin, d.h. Nähe zu mir und [ihre] eigene Gut-
heit, werde ich [nun] erklären, wie durch Wohltat und Eintracht
des Strebens und durch das Wohlwollen langer Gewohnheit die
Freundschaft bestärkt und groß gemacht worden ist.
(2) Erstens sage ich, daß ich für meinen Teil von ihr Ge-
schenke größter Wohltaten erhalten habe. Und hierzu ist zu
wissen, daß von allen Wohltaten jene die größte ist, die dem,
der sie erhält, am wertvollsten ist: und kein Ding ist so wert-
voll wie jenes, mittels dessen alle anderen gewollt werden;
und alle anderen Dinge werden zur Vollkommnung desjeni-
gen, der will, gewollt. (3) Da der Mensch zwei Vollkommen-
heiten hat, eine erste und eine zweite - die erste verleiht ihm
Sein, die zweite verleiht ihm Gutsein -, habe ich, wenn die
eigene Sprache mir Ursache sowohl der einen wie der anderen
gewesen ist, von ihr allergrößte Wohltat empfangen. Und daß
sie mir (Ursache des Seins) und, von einem allfälligen Mangel
meinerseits abgesehen, (des Gutseins) gewesen ist, kann man
kurz zeigen.
(4) Es ist für ein Ding nicht (unangebracht) mehrere Wirk-
ursachen zu haben, wobei die eine die anderen übertrifft; so
sind das Feuerund der Hammer Wirkursachen des Messers, im
höchsten Maße aber der Schmied. Diese meine Volkssprache
war die Vermählerin meiner Erzeuger, die sich in dieser [Spra-
che] verständigten, so wie das Feuer die Vorbereitung des
Eisens für den Schmied ist, der das Messer macht; wodurch
offensichtlich ist, daß [die Volkssprache] meiner Zeugung bei-
gestanden hat und so eine Ursache meines Seins ist. (5) Weiter,
66 Convivio 1 . xiii, 5-11

volgare fu introduttore di me ne la via di seienza, ehe e ultima


perfezione, in quanto eon esso io entrai ne lo latino e eon esso
mi fu mostrato: lo quale latino poi mi fu via a piU innanzi
andare. E eosi e palese, e per me eonoseiuto, esso essere stato
a me grandissimo benefattore.
(6) Anehe, e stato meeo d'uno medesimo studio, e eiO posso
eosi mostrare. Ciaseuna eosa studia naturalmente la sua eonser-
vazione: onde, se lo volgare per se studiare potesse, studierebbe
a quella; e quella sarebbe, aeeoneiare se a piU stabilitade, e piil
stabilitade non potrebbe avere ehe in legar se eon numero e eon
rime. (7) E questo medesimo studio e stato mio, si eome tanto
e palese ehe non dimanda testimonianza. Per ehe uno medesimo
studio e stato lo suo e 'l mio; per ehe di questa eoneordia l' amista
e eonfermata e aeeresciuta. (8) Anehe e' e stata la benivolenza
de la eonsuetudine, ehe dal principio de la mia vita ho avuta eon
esso benivolenza e eonversazione, e usato quello diliberando,
interpetrando e questionando. (9) Per ehe, se l'amista s'aeere-
see per la eonsuetudine, si eome sensibilmente appare, mani-
festo e ehe essa in me massimamente e ereseiuta, ehe sono eon
esso volgare tutto mio tempo usato. (10) E eosi si vede essere
a questa amista eoneorse tutte le eagioni generative e aeeresei-
tive de l'amistade: per ehe si eonehiude ehe non solamente
amore, ma perfettissimo amore sia quello eh'io a lui debbo
avere e ho.
(11) Cosi rivolgendo li oeehi a dietro, e raeeogliendo le
ragioni prenotate, puotesi vedere questo pane, eol quale si
Das Gastmahl 67

diese meine Volkssprache hat mich in den Weg der Wissen-


schaft eingeführt, die die letzte Vollendung ist, insofern ich
durch sie in das Latein eintrat und mit dieser [Volkssprache]
mir das [Latein] gezeigt wurde: dieses Latein war mir in der
Folge der Weg zu weiterem Fortschritt. Und so ist deutlich und
von mir anerkannt, daß [die Volkssprache] mir gegenüber
größte Wohltäterin gewesen ist.
(6) Auch ist sie mit mir zusammen ein einziges Streben ge-
wesen, und das kann man folgendermaßen zeigen. Jedes Ding
strebt natürlicherweise seine Erhaltung an: weswegen, wenn
die Volkssprache für sich selbst streben könnte, es diese an-
streben würde: und diese [Erhaltung] bestünde darin, sich
selbst auf größere Beständigkeit hin zu ordnen, und größere
Beständigkeit als in Vers und Reim gebunden könnte sie nicht
haben. (7) Und dasselbe Streben ist das meine gewesen, was
so offensichtlich ist, daß es keiner weiteren Zeugnisse bedarf.
Deswegen ist ihr und mein Streben identisch gewesen; deswe-
gen ist durch diese Übereinstimmung die Freundschaft ge-
stärkt worden und angewachsen. (8) Auch war die Gewohn-
heit des Wohlwollens vorhanden, denn von Beginn meines
Lebens an war ich ihr gegenüber wohlwollend und habe ich
mit ihr Umgang gehabt und sie beim Abwägen, Deuten und
Fragen benützt. (9) Wenn also die Freundschaft durch die
Gewohnheit anwächst, wie es gut wahrnehmbar ist, so ist of-
fensichtlich, daß diese [Freundschaft] in mir, der ich mich
dieser Volkssprache mein ganzes Leben lang bedient habe, in
größtem Masse gewachsen ist. (10) Und so sieht man, wie bei
dieser Freundschaft alle erzeugenden und wachstumsfördern-
den Ursachen der Freundschaft mitgewirkt haben: weswegen
geschlossen wird, daß ich ihr gegenüber nicht nur Liebe, son-
dern vollkommenste Liebe haben muß und habe.
(11) Den Blick nach hinten wendend und die vorher genann-
ten Gründe zusammenfassend, kann man dieses Brot, mit dem
die unten angeführten Lieder zu essen sind, als vom Makel
68 Convivio 1. xiii, 11-12

deono mangiare le infraseritte eanzoni, essere suffieientemen-


te purgato da le maeule, e da l'essere di biado; per ehe tempo
ed'intendere a ministrare le vivande. (12) Questo sara quello
pane orzato de! quale si satolleranno migliaia, e a me ne soper-
ehieranno le sporte piene. Questo sara luee nuova, sole nuovo,
lo quale surgera Ja dove l 'usato tramontera, e dara lume a
eoloro ehe sono in tenebre e in oseuritade, per lo usato sole ehe
a loro non luee.
Das Gastmahl 69

und dem Umstand, daß es aus Gerste ist, genügend gereinigt


erkennen; weswegen es nun Zeit ist, mit dem Auftragen der
Speisen zu beginnen. (12) Dies wird jenes Gerstenbrot sein,
an dem sich tausende sättigen werden, und mir werden sie die
vollen Körbe übrig lassen. Dies wird neues Licht sein, neue
Sonne, die dort aufgehen wird, wo die verbrauchte untergehen
wird, und sie wird jenen Licht geben, die in Finsternis und
Dunkelheit leben, wegen der abgenutzten Sonne, die ihnen
nicht leuchtet.
LITERALKOMMENTAR

Kapitel i-xiii

Das Conv. wird von Dante selbst als Kommentar zu seinen


eigenen Gedichten bezeichnet (vgl. 1, iii, 2; iv, 13; v, 6; vi, 1;
vii, 11; viii, 1; ix, 7; x, 5.12.13)und läßtsichnachdemlectio-
Schema in zwei Teile gliedern: Prolog oder accessus (Buch 1)
und Kommentar (Bücher II-IV). Das erste Buch stellt eine
ausführliche Einleitung zu den drei folgenden, je als Kom-
mentar zu einer Kanzone konzipierten Büchern dar, und weist
sowohl strukturell als auch inhaltlich die Elemente eines Pro-
loges auf. Diese folgten im Mittelalter strengen Schemen (vgl.
Quain, The Medieval Accessus ad Auctores; Minnis, Medie-
val Theory ofAuthorship, 9-39; Nardi, Osservazione sul me-
dievale accessus), von denen Dante das auf Boethius (In
Isagogen Porpkyrii commenta, 4-5) zurückgehende accessus-
Schema mit den Elementen finis, agens, subiectum, forma
(tractatus et tractandi), titulus, genus philosophie in der Epist.
XIII ausführlich bespricht und anwendet (vgl. §§ 23-41. Vgl.
Ricklin, Dante Alighieri, Das Schreiben an Cangrande, Kom-
mentar zu den Stellen). Für das einige Jahre vor der Epistola
XIII entstandene, erste Buch des Conv. versuchte Trovato (II
primo trattato del Convivio, 6-1) dieselben accessus-Elemente
in Conv., 1, i nachzuweisen. Diese Elemente können in einer
von M. Trovato abweichenden Form tatsächlich identifiziert
werden: Dante beginnt seine Einführung mit dem Element des
finis, der Absicht des Buches (1, i, 1-13), die darin besteht,
denjenigen, die aus Sorge für die Familie und die Gemein-
schaft oder aus Faulheit von der Wissenschaft ausgeschlossen
sind, philosophisches Wissen zu vermitteln. Eingeschoben in
diesen Teil ist das accessus-Element des Autors, (1, i, 10), in
72 Kommentar zu Kap. i-xiii

dem Dante kurz darauf zu sprechen kommt, warum es ihm


zusteht, die Vermittlung von Wissenschaft vorzunehmen. In
den §§ 14 und 15 kommt Dante auf das subiectum (Gegen-
stand) und die forma tractatus (Anordnung des Traktats) zu
sprechen, der aus 14 Kanzonen und deren Auslegung bestehen
soll. Das Strukturelement des genus philosophie (Gattung der
Philosophie) ist durch den Hinweis auf die aus Liebe und
Tugend gebildeten Kanzonen ebenfalls in§ 14 enthalten; das
Convivio gehört folglich zur Moralphilosophie. Der Vergleich
der 14 Kanzonen und der entsprechenden Kommentare mit
einem Gastmahl mit 14 Gängen führt über zum titulus-Element
der Einleitung (1, i, 16) und erklärt den Titel Convivio des
Buches, wobei Dante noch kurz auf den Unterschied zu seiner
früher entstandenen Vita Nuova eingeht (1, i, 17). Der an-
schließende Abschnitt (1, i, 18) geht kurz auf diefonna trac-
tandi (Art und Weise des Vorgehens) ein und erläutert, daß er
den Kanzonen durch eine sich an die literale Auslegung an-
schließende allegorische Deutung einen neuen Gehalt verlei-
hen will. Dante schließt den ersten Teil seiner prägnanten
Einleitung mit einem Bescheidenheitstopos und einer captatio
benevolentie ab (1, i, 19).
Damit ist jedoch die Einführung noch nicht beendet, denn die
restlichen Kapitel des ersten Buches stellen als Rechtfertigung
des Selbst-Kommentars, der Härte oder des „höheren Stils"
und der Abfassung des Werkes in der Volkssprache Erläute-
rungen zum subiectum-auctorund zur modus tractandi dar, die
Dante, seiner Metapher folgend, als die dem Gastmahl voran-
gehende Reinigung des Brotes bezeichnet. Mit diesen Ausfüh-
rungen überschreitet Dante die herkömmliche Länge eines
Prologs, was er mit einem Zitat aus dem Römischen Recht
bezüglich der Beweislast des Veränderers geschickt zu seinen
Gunsten interpretiert: „ne lo statuire le nuove cose evidente
ragione dee essere quella ehe partire ne faccia da quello ehe
lungamente eusato. Non si maravigli dunque alcuno se lunga
e la digressione de la mia scusa, ma si come necessaria, la sua
Kommentar zu Kap. i-xiii 73

lunghezza paziente sostenga" (1, x, 3-4). Die Rechtfertigung


des Kommentierens eigener Werke, des von sich selbst Spre-
chens, erstreckt sich über den Abschnitt 1, ii, 3-17, dem sich
in 1, iii, 2 - iv, 13 die Entschuldigung für den höheren Stil
anschließt. Auf diesem von Dante als Reinigung der akziden-
tellen Mängel (1, v, 1) seines Kommentars bezeichneten Teil
folgt die in drei Gründen aufgeteilte Entschuldigung des sub-
stantiellen Makels des Werkes, nämlich seiner Abfassung in
der Volkssprache (1, v-xiii, 10). Der erste Grund beruht auf
dem teleologischen Gedanken der Unterordnung des auf das
Ziel Hingeordneten unter das Ziel. Dantes erster Grund ent-
springt somit der "Vorsicht bezüglich unziemender Anord-
nung" zwischen der in der Volkssprache verfaßten Kanzonen
und dem sie erläuternden comento, der als lateinischer ein
unwissender und ungehorsamer Diener der Kanzonen gewesen
wäre (1, v, 4 - vii, 16). Der zweite Rechtfertigungsgrund der
Abfassung in der Volkssprache ist die vollendete Freigebig-
keit, die Dante dazu bewegt, vielen aus freien Stücken etwas
Nützliches zukommen zu lassen (1, viii, 1 - ix, 11). Schließlich
ist es drittens die natürliche Liebe zur eigenen Sprache, die
Dante dazu veranlaßt hat, seinen Kommentar im volgare zu
schreiben (1, x-xiii, 10). Dieser das erste Buch abschließende
Teil wird von Dante nach zwei Momenten strukturiert. Zum
einen führte die Liebe zur Volkssprache Dante zu drei Verhal-
tensweisen gegenüber seinem Objekt: Erstens bewegte die
LiebeDantedazu, dieVolkssprachezuloben(I, x, 7-9), zwei-
tens wurde er in seiner Liebe durch Leidenschaft für die Gelieb-
te getrieben (1, x, 10) und drittens wollte er sie gegen ihre vielen
Ankläger verteidigen (1, x, 11 - xi, 21). Zum anderen erörtert
Dante seine Liebe zum volgare anhand der erzeugenden und
vermehrenden Ursachen der Freundschaft unter Bezugnahme
auf Ciceros De amicitia und Aristoteles' Nikomachische Ethik.
Die natürliche Nähe (1, xii, 4-7) und die Gutheit der Volksspra-
che waren ihm erzeugende Ursachen(I, xii, 8-13); Wohltat und
Eintracht des Strebens und das Wohlwollen langer Gewohnheit
74 Kommentar zu Kap. i-xiii

Strukturelement Textstelle Inhalt


des Accessus

Finis i, 1-13 Vermittlung philosophischen Wis-


sens an die große Mehrheit von
Menschen, die durch die Sorge um
Familie und Gemeinschaft vom
Studium abgehalten werden.
Auctor i, 10 Die Rolle Dantes als Wissensver-
mittler.

Forma tractatus i, 14-15 Das Werk soll aus 14 Kanzonen


mit Kommentar bestehen.
Subiectum i, 14 Gegenstand des Kommentars bilden
14 Kanzonen Dantes.
Genus philosophie i, 14 Die aus Liebe und Tugend beste-
henden Kanzonen und der sie
erläuternde Kommentar gehören
zur Moralphilosophie.
Titulus i, 16 Das Werk soll Convivio heißen.

Forma tractandi i, 18 Der Kommentar wird sowohl den


buchstäblichen, wie auch den
allegorischen Sinn der Kanzonen
herausarbeiten.

Auctor/Subiectum ii, 3-17 Rechtfertigung des Selbst-Korn-


mentars
Modus tractandi iii, 2- iv, 13 Rechtfertigung der "Härte" oder
des höheren Stils
V, -xiii, 10 Rechtfertigung der Abfassung des
Kommentars in der Volkssprache

bezeichnet er als vermehrende Ursachen seiner vollkommenen


Liebe zur Volkssprache. Den Schluß des ersten Buches und
zugleich die Überleitung zu den folgenden Büchern bilden zwei
Paragraphen (1, xiii, 11-12), in denen die Reinigung des Brotes
für abgeschlossen erklärt wird und Dante in einer Verheißung
eines neuen Lichts, einer neuen "Sonne, die dort aufgehen
Kommentar zu Kap. i-xiii 75

wird, wo die verbrauchte untergehen wird", geradezu eine


neue Epoche der Philosophiegeschichte einläutet.
Wie gezeigt worden ist, enthält das erste Kapitel alle acces-
sus-Elemente, von denen in den restlichen Kapiteln des ersten
Buches einige weiter ausgeführt werden. Obschon das gesamte
erste Buch die Funktion der Einleitung zum Kanzonen-Kom-
mentar erfüllt, kann somit das erste Kapitel im engeren Sinne
als Prolog zum gesamten Werk bezeichnet werden, wie dies
auch für Mon., I, i und VE I, i gilt. Das einführende Kapitel
kann im Liebte der rhetorischen Konzeption des exordium ge-
lesen werden, dessen Aufgabe es ist, zu Anfang der Untersu-
chung durch Hervorhebung der Neuheit und Nützlichkeit die
Lesenden wohlwollend, aufmerksam und gelehrig zu stimmen
(vgl. Cicero, De inventione, I, xv, 20: "Exordium est oratio
animum auditoris idonee comparans ad reliquam dictionem;
quod eveniet, si euro benivolum, attentum, docilem confece-
rit"; vgl. auch Rhetorica ad Herennium, I, iv, 6; 1, vii, 11;
Brunetto Latini, Rettorica, 102, 187-191; vgl. Ricklin, Das
Schreiben an Cangrande, 119-126. Daß Dante diese Tradition
schon bei der Abfassung des Conv. kannte, geht aus einem
späteren Passus klar hervor: "Ma pero ehe in ciascuna maniera
di sermone lo dicitore massimamente dee intendere a la persua-
sione, cioe a l'abbellire, de l'audienza, sl come a quella ch'e
principio di tutte l'altre persuasioni, come li rettorici sanno; e
potentissima persuasione sia, a rendere l'uditore attento, pro-
mettere di dire nuove e grandissime cose" (II, vi, 6). Zusätzlich
zu der Einbettung in die rhetorische Tradition des exordium
kann auch auf Minnis' Bezeichnung des Anfangs des Conv. als
"Aristotelian extrinsic prologue" hingewiesen werden, dessen
Funktion es sei, über die Ursachen zu handeln, die den Men-
schen von seinem natürlichen Wissensstreben abhalten (Medie-
val Literary Theory and Criticism, 377; vgl. dazu Ders.,
Medieval Theory of Authorship, 30-33).
76 Kommentar zu Kap. i, 1-13

Kapitel i

§§ 1-13
Die§§ 1-13 bilden den.finis-Teil des accessus (siehe Kom-
mentar Kap. i - xiii) und lassen sich folgendermaßen untertei-
len: Im Eröffnungspassus (§ 1) postuliert und erklärt Dante
unter Bezugnahme auf Aristoteles das natürliche Streben aller
Menschen nach Wissen. Die §§ 2-5 besprechen die Ursachen,
die die Menschen von diesem natürlichen Ziel abhalten. Sie
sind von Dante, der hier und in der ganzen Schrift wiederholt
die scholastische Methode der distinctio anwendet, aufgeteilt
in innere(§§ 2-3) und äußere Ursachen(§ 4), wobei die inne-
ren ihrerseits in körperliche und seelische zerfallen und die
äußeren nach dem Kriterium der Notwendigkeit und der Sorge
um Familie und Gemeinschaft oder der Faulheit durch den
Mangel des Ortes unterschieden werden. § 5 unterteilt die
erwähnten Ursachen in entschuldbare: die innere Ursache der
ungenügenden Begabung und die äußere Ursache der Sorge
um Familie und Gemeinschaft, und tadelnswerte: die innere
der Bosheit der Seele und die äußere des zum Studium unge-
nügenden Ortes. Die Schlußfolgerung dieser Ausführungen
wird in den §§ 6-7 gezogen, wo Dante mit Bedauern feststellt,
daß in Wirklichkeit die wenigsten zum Habitus des Wissens
gelangen. Dieser Zustand, der in praktischem Widerspruch
zum eingangs beschworenen metaphysischen Ideal des Wis-
sensstrebens aller Menschen steht, bildet Dantes Hauptmotiv
zur Abfassung seiner Schrift. In den §§ 8-9 begründet der
Florentiner in allgemeiner Weise, weshalb die Wissenden an
sich die Unwissenden gerne am Wissen teilhaben Jassen,
kommt aber in § 10 präzise auf die Rolle zu sprechen, die ihm
als Vermittler zwischen den Gebildeten und Ungebildeten zu-
kommt. Die §§ 11-13 schließlich kommen auf das Unterneh-
men zu sprechen, mit dem Dante der Unwissenheit unzähliger
Menschen Abhilfe schaffen will. Er drückt es mit der Meta-
pher des Gastmahles aus (§ 11), von dem nur die unbegabten
Kommentar zu Kap. i, l 77

und lasterhaften Menschen ausgeschlossen werden (§12), zu


dem aber all jene geladen sind, die aus Sorge um Familie und
Gemeinschaft wissenshungrig geblieben sind, wobei zu ihren
Füßen sogar noch für die Faulen ein Platz bleiben soll(§ 12).

§1
Si come dice lo Filosofo ..• sapere] Mit der Eröffnungsfor-
mel „Sicut dicit (docet, tradit) philosophus (Aristoteles)" be-
ginnen die meisten Aristoteleskommentare des Mittelalters,
zum Beispiel elf von dreizehn Aristoteleskommentare des Tho-
mas von Aquino (vgl. Cheneval / Imbach, Thomas von Aqui-
no, 2, 6, 12, 26, 36, 50, 66, 76, 82, 90, 98). Diese Tatsache
ist bemerkenswert. Einerseits stellt Dante mit dieser kaum
zufälligen Anlehnung seine Schrift in die scholastische Tradi-
tion der philosophischen Kommentare zu Aristoteles, derbe-
reits von Johannes von Salisbury „antonomastice, idest ex-
cellenter, Philosophus appelatur" (Metalogicon, II, c. 16;
79f.) und den Dante selbst als „maestro e duca de la ragione
umana" (Conv„ IV, vi, 8) und als „maestro de color ehe
sanno" (/nf, IV, 131) bezeichnet. Andererseits tritt aber durch
diesen Anfang und durch die sich anschließenden Erörterun-
gen die Originalität und die hohe Ambition des Unternehmens
Dantes klar hervor. Der Alighieri verwendet den ersten Satz
aus der Aristotelischen Metaphysik (980a21; vgl. auch Conv„
III, xi, 6; IV, xiii, 1) und die Formel aus den für Klerikernach-
wuchs und Universitätstudenten verfaßten Kommentare des
Thomas von Aquino und der Artisten, um einen Kommentar
einzuleiten, in dem nicht Aristoteles, sondern Dante kommen-
tiert wird, und in dem durch die Ausrichtung auf ein volks-
sprachliches Publikum das klerikale und universitäre Wissen-
schaftsmonopol durchbrochen und die Herrschaft der den
Philosophen vorenthaltenen, spekulativen Wissenschaft durch
den Primat der praktischen Philosophie abgelöst wird.
Zur Bezeichnung 'Prima Filosofia' für die Aristotelische
Metaphysik vgl. ED III, 924f.
78 Kommentar zu Kap. i, 1

La ragione . „ subietti] Dieses Lemma enthält in gedrängter


syllogistischer Form die Begründung des eingangs zitierten
Aristotelischen Satzes des Wissensstrebens aller Menschen.
Nach Petrus Hispanus (Tractatus, IV, 6;46) ist es der dritte
modus der ersten Figur: „ex universali affirmativa et particu-
lari affirmativa particularem affirmativam concludentibus".
Der Schlußsatz ist in bezug auf den Obersatz eine particularis
affirmativa, denn „alle Menschen" sind nur ein Teil von „al-
len Dingen":
Obersatz: ciascuna cosa, da providenza di prima natura im-
pinta, e inclinabile a lua sua propria perfezione.
Untersatz: Ja scienza e ultima perfezione de Ja nostra anima,
ne Ja quale sta Ja nostra ultima felicitade.
Schlußsatz: tutti naturalmente al suo desiderio semo subietti.
Die in diesem kurzen Passus im Untersatz enthaltene Lehre,
wonach das höchste Glück des Menschen in der Wissenschaft
besteht, wiederholt Dante in Conv., III, xi, 14 in etwas aus-
führlicherer Form („cosi fine de Ja Filosofia e quella eccellen-
tissima dilezione ehe non pate alcuna intermissione e vero
difetto, cioe vera felicitade ehe per contemplazione de Ja veri-
tade s'acquista") und sie bildet den Gegenstand der Erörterun-
gen in Conv., III, xv, 2-10, wo sich Dante explizit gegen den
Einwand wendet, daß der Mensch gewisse Dinge, wie Gott,
nicht erkennen und deshalb durch die Wissenschaft nicht zur
Glückseligkeit gelangen könne: „E pero l'umano desiderio e
misurato in questa vita a quella scienza ehe qui avere si puo, e
quello punto non passa se son per errore, lo quale e di fuori di
naturale intenzione" (III, xv, 9). Dieses Philosophieverständ-
nis, das das Verlangen nach Gotteserkenntnis aus dem natür-
lichen Unternehmen der Philosophie ausschließt und das
durch die Philosophie zu erwerbende Glück auf die natürli-
chen Erkenntnisbedingungen des Menschen beschränkt, stellt
einen eindeutigen Bruch mit Thomas von Aquins Doktrin dar,
wonach der Mensch keine intellektuelle Erkenntnis Gottes,
des höchsten Wissensobjektes haben kann und deshalb in die-
Kommentar zu Kap. i, 2 79

sem Leben durch die Philosophie die Glückseligkeit nicht er-


reicht (vgl. Sum. theol., 1-11, 3, 6-8. Für den averroistischen
Quellenbezug zu Johannes von Jandun vgl. Kommentar zu
Conv., III, xv, 9). Die im zweiten Buch des Conv. dargestellte
Wissenschaftseinteilung mit der Lehre des Primats der prakti-
schen Philosophie und der Erhöhung der Theologie in eine
Sphäre, die außerhalb des Zugriffes der menschlichen Ver-
nunft ist, steht in direktem Zusammenhang mit dem hier im
Eröffnungsabschnitt des Conv. anklingenden Philosophiever-
ständnis, das die spekulative Gotteserkenntnis aus dem Unter-
nehmen und dem Anspruch der Philosophie ausschließt und
die Wissenschaft auf das Glück in diesem Leben beschränkt.
Aufgrund der in Conv., III, xv, 9 begründeten Kommensura-
bilität von Verlangen und Fähigkeit des Menschen in bezug
auf sein Wissen kann Dante behaupten, daß das höchste Glück
in der Wissenschaft liegt, ohne daß er, wie Thomas von Aqui-
no, der Wissenschaft die Vollendung absprechen und in das
nächste Leben verschieben muß. Zugrundegelegt ist hier be-
reits die von Dante in Mon. III, xv ausführlich dargestellte
Lehre der strikten Trennung von Philosophie und Theologie
und der beatitudo huius vite von der beatitudo ecterne.
Für die textkritischen Probleme zu 'prima' oder 'propria'
vgl. Simonelli, Materiali, 65. Zum 'prima natura' und dem
Naturverständnis Dantes vgl. Imbach, Dante und die Natur-
philosophie.

§2
Veramente ••• scienza] Die in § 2 sich anschließende Refle-
xion über die verschiedenen Ursachen der Verhinderung des
Habitus der Wissenschaft belegen erneut den Quellenbezug
zur Tradition, insbesondere zu Thomas von Aquino, und die
gleichzeitige Originalität Dantes (zu den körperlichen und
seelischen Ursachen menschlicher Erkenntnis vgl. auch
Conv., IV, xxv, 11-12). Wie Dante ließ bereits Thomas den
Überlegungen zum allgemeinen Wissensstreben der Men-
80 Kommentar zu Kap. i, 2

sehen eine kurze Erörterung der Ursachen ihrer Verhinderung


folgen: "Sie etiam licet omnes homines scientiam desiderent,
non tarnen omnes scientiae studium impendunt, quia ab aliis
detinentur, vel a voluptatibus, vel a necessitatibus vitae prae-
sentis, vel etiam propter pigritiam vitam laborem addiscendi"
(In Met., 1, 1, 4); „A fructu enim studiosae inquisitionis, qui
est inventio veritatis, plurimi impediuntur tribus de causis.
Quidam siquidem propter complexionis indispositionem, ex
qua multi naturaliter sunt indispositi ad sciendum ... Quidam
vero impediuntur necessitate rei familiaris. Oportet enim esse
inter homines aliquos qui temporalibus administrandis insi-
stant ... Quidam autem impediuntur pigritia ... Sie ergo non
nisi cum magno labore studii ad praedictae veritatis inquisi-
tionem perveniri potest" (Summa c. gen., 1, c. 4). Durch das
klare Herausarbeiten der sozialen Gründe der Verhinderung
von Wissenschaft unterscheidet sich Dante auch von einem
Averroisten wie Johannes von Jandun, der sehr allgemein „ge-
wisse Beschäftigungen", den völligen Mangel an lebensnot-
wendigen Gütern, die Habgier und die natürliche Bosheit als
Gründe eines unwissenschaftlichen Lebens zu nennen wußte:
"Prima est difficultas perveniendi ad hoc propter aliquas oc-
cupationes, vel a voluptatibus corporalibus retinetur ... Simi-
liter autem aliquis impeditur propter defectum necessariorum
ad vitam . . . Similiter aliquis retrahitur propter cupiditatem
lucri vel propter malitiam individualis naturae. Alia causa est
segnities propter quam aliquis abhorret studere". (Jandun, In
Met., 1, q. 4).
Im Gegensatz zu Thomas von Aquino oder Johannes von
Jandun, die die höchste Glückseligkeit entweder erst in einem
Leben nach dem Tode oder in einer elitären Gruppe von Phi-
losophen verwirklicht sehen, und für die die einführenden
Überlegungen zur Verhinderung der Wissenschaft weiter kei-
ne wissenschaftliche Bedeutung haben, sondern dazu dienen
mögen, ihren Status als Kleriker oder Unversitätslehrer zu
zelebrieren, macht Dante die Reflexionen über die Verhinde-
Kommentar zu Kap. i, 4.6.7 81

rung von Wissenschaft zum eigentlichen Anlaß seines philoso-


phischen Unternehmens. Zum Ausdruck kommt dabei Dantes
grundsätzlich praktische Einstellung zur Philosophie, der es
nicht genügt, die theoretische Möglichkeit des Wissenshabitus
bei allen Menschen zu bedenken, sondern die versucht, diese
zu aktualisieren. Es geht Dante um das durch Wissenschaft zu
erlangende Glück der größtmöglichen Zahl aller Menschen.
§4
L'altra e lo difetto del luogo ... lontano] Durch die prä-
gnante Hervorhebung der geographischen Bedingungen von
Bildung dokumentiert die Stelle ein im Vergleich zu Thomas
von Aquino und Johannes von Jandun wohl durch das Wan-
derleben des exilierten Dante geschärftes Problembewußtsein.
§6
Manifestamente adunque ... affamati] Die mangelnde Bil-
dung der Mehrheit der Menschen wird bei Dante durch die
Reflexion über die Glückseligkeit durch Wissenschaft und
über die Bedingungen der Vermittlung von Wissenschaft zu
einem grundsätzlichen philosophischen Problem erhoben, des-
sen Dringlichkeit er durch die Metapher des Hungers zum
Ausdruck bringt.
§7
Oh beati quelli ... cibo] In rhetorischer Anlehnung an die
Seligpreisungen der Bergpredigt (Mt 5, 3-11; Lk 6, 20-23)
preist Dante all jene glücklich, die am Glück der Wissenschaft
teilhaben. Obschon diese Formel, wie auch die Metapher des
Engelsbrotes ("pane degli angeli") biblische Motive anklin-
gen lassen (Ps 77, 25), ergibt sich aus dem oben erläuterten
Kontext, daß Dante das durch Wissenschaft erlangte, irdische
Glück meint (vgl. Gilson, Dante et La philosophie, 13-14; 88-
100. Für andere Meinungen vgl. Busnelli / Vandelli, 7; Nardi,
Nel mondo di Dante, 47-53; vgl. "pane degli angeli", in: ED,
IV, 266). Vgl. auch Par., II, 10-12 (" Voi altri pochi ehe
drizzaste in collo / per tempo al pan degli angeli, del quale /
82 Kommentar zu Kap. i, 8.9

vivesi qui ma non sen vien satollo"), wo Dante eine Sättigung


durch das Engelsbrot im irdischen Leben ausschließt.
Eine wirkungsgeschichtliche Spur der Brot-Metapher Dan-
tes findet sich vielleicht bei Marsilio Ficino, der in der Vorre-
de zum Libro dell' Anwre die Philosophie mit dem „ manna a
Diotima da/ eelo mandata" vergleicht, das durch die Überset-
zung seines Kommentars zu Platons Gastmahl einer größeren
Zahl von Personen zukommen soll: „Et accio ehe quella salu-
tifera manna a Diotima dal celo mandata a piu persone sia
commune e facile, ho tradocto di latina lingua in toscana e
decti platonici mysterii insiemo col comento mio" (Marsilio
Ficino, EI Libro dell'Amore, Proemio, 4).

§8
ciaseuno uomo a ciaseuno uomo naturahnente ••• ama]
Eine ähnliche Lehre der natürlichen Freundschaft aller Men-
schen bringt Dante auch in Conv., III, xi, 7 („la naturale ami-
stade ... per la quale tutti a tutti somo amici") und In/., XI, 56
zum Ausdruck: „lo vinco d' amor ehe fa natura". Der Gedanke
geht zurück auf Aristoteles: „ Videbit autem utique aliquis et in
erroribus, ut familiare omnis homo homini et amicum" (Eth.
Nie. , VIII, 1; 298). Für den Schmerz über den Mangel des
Freundes vgl. Eth. Nie., IX, 4; 328: „Hii autem conviventem
et eadem eligentem, vel condolentem et congaudentem ami-
co".
eoloro ehe ... mangiando] Die aus der natürlichen Freund-
schaft aller Menschen sich ergebende Barmherzigkeit bietet
eine Möglichkeit, die von Dante stark betonte Polarität zwi-
schen den Gebildeten, die an der „alta mensa" das Engelsbrot
verspeisen, und den Ungebildeten, die nur Gras und Eicheln
essen, zu überbrücken.

§9
sempre liberahnente eoloro ehe sanno •.. nominata] Die-
ser Satz wirkt leicht ironisch, denn die von Dante in Anspruch
Kommentar zu Kap. i, 10 83

genommene Originalität der Wissensvermittlung an die illite-


rati steht in einem gewissen Widerspruch zu der hier erklärten
Großzügigkeit all derer, die wissen. Deshalb ist diese Stelle
eine Anspielung auf Dante selbst und leitet über zum nächsten
Paragraphen, wo der Alighieri auf die ihm zukommende, spe-
zielle Rolle als Wissensvermittler zu sprechen kommt. Für das
Bild der Quelle und des natürlichen Durstes vgl. Purg., XXI,
1 ("La sete natural ehe mai non sazia") und Par., XXIV, 8-9
(" voi bevete /sempre del fonte onde vien quel ch'ei pensa").

§ 10
E io adunque ••• vogliosi] Dieser Passus bildet den einge-
schobenen agens oder Autor-Teil des Prologs (siehe Kommen-
tar zu Kap. i - xiii) und behandelt unter Einschub einiger au-
tobiographischer Anspielungen die eigentümliche Rolle, die
Dante sich selbst als Vermittler zwischen der in Gebildete und
Ungebildete polarisierten Menschheit zugedacht hat. Dante
war weder Kleriker, noch hat er unseres Wissens regulär an
einer Universität studiert. Er war außerdem verheiratet, hatte
eine Tochter und zwei Söhne und nahm sich vor seiner Exilie-
rung öffentlicher Angelegenheiten an, gehörte also zu der
Gruppe, die wegen der "cura familiare e civile" von der höhe-
ren Wissenschaft ausgeschlossen blieben. Als Autodidakt hat
aber Dante die Menge der Unwissenden verlassen; er hat sich,
wie er selbst sagt, in den Schulen der Orden („le scuole de li
religiosi": Conv., II, xii, 7) und den "disputazioni de li filoso-
fanti" (ibidem) eine Bildung erworben, was ihm erlaubt, in der
durch klerikales und universitäres Wissensmonopol bewirkten
Polarität zwischen der Bildung weniger und der Ignoranz der
Massen eine ausgezeichnete Stellung als Vermittler von Wis-
sen zu beanspruchen (zum Themenbereich Dante als philoso-
phierender Laie und illitteratus vgl. Imbach, Laien in der
Philosophie, 66-11, 132-142). Er spielt dabei aufbereits voll-
endete Werke an und meint damit wohl die Vita Nuova, von der
sich bereits aus dem Jahre 1292 eine Rezeption in Bologna
84 Kommentar zu Kap. i, 11

nachweisen läßt (vgl. Livi, Dante suoi primi cultori, 7f.), und
die früher entstandenen Kanzonen, die er nun kommentieren
wird.

§ 11
generale convivio] Die mit dem Hunger, dem Engelsbrot
und der Nahrung der Schafe (§§ 6-7) bereits verwendeten Es-
sensmetaphern für die Erlangung oder Verhinderung von
Wissenschaft werden nun durch das Bild des Gastmahls in ein
Gesamtmotiv integriert, das einerseits eine bis in die Antike
reichende Tradition der literarischen Einkleidung philosophi-
scher Wissensinhalte aufgreift und andererseits das Thema des
christlichen Abendmahls auf die Vermittlung von Philosophie
überträgt. Mit der in der Antike von Plato und Xenophon
ausgehenden und im Mittelalter seltenen Literaturgattung des
Symposion hat Dantes Conv. nur gerade die motivische Einbet-
tung, nicht aber die literarische Form des Dialogs gemeinsam
(zu dieser Gattung vgl. J. Martin, Symposion. Einmittelalter-
liches Beispiel eines philosophischen Symposion ist das Convi-
viumM. Tulli. Vgl. dazuLMA, III, 210). Der Bezug zur Antike
betrifft also weniger die Literaturgattung des Symposion als die
von Dante durch die Bezeichnung 'generale convivio' zum
Ausdruck gebrachte Veranstaltung eines convivium publicum,
eines öffentlichen Mahles, wie es zum Beispiel in der Aristo-
telischen Politik oder im Politik-Kommentar von Thomas von
Aquino beschrieben wird: "Deinde cum dicit Non bene autem
etc., improbat predictam politiam quantum ad ea que pertinent
ad populum, scilicet quantum ad convivia publica que erant in
civitate ... < legislator > instituit huiusmodi convivia quasi
aliquid democraticum, id est in favorem populi, ut scilicet
populus aliquam recreationem haberet in huiusmodi convi-
viis". (Sent. lib. politic., II, 14, A 170). "Apud Cretenses erat
observatio magis pertinens ad commune, quia de rebus publi-
cis ... erat instituta quaedam pars ... que expendebatur in con-
vivia, ut in talibus conviviis homines et mulieres, pueri et viri,
Kommentar zu Kap. i, 11 85

nutritentur de communi". (Sent. libri politicorum, II, 15 A


174). Das convivio generale bedeutet unter diesem Gesichts-
punkt einen Bruch mit dem auf eine elitäre Männerrunde be-
schränkten, klassischen philosophischen Symposion. Dante
veranstaltet ein philosophisches convivium publicum.
Das Motiv des Gastmahles hatte im kulturellen Kontext
Dantes auch die Konnotation des Abendmahles und des convi-
vium regni celesti, mit dem die Gläubigen am Tisch des Herrn
ihre spirituelle Sättigung finden. Im Lichte dieses Traditions-
bezugs, zum Beispiel zu Ambrosius' Vergleich der Heiligen
Schrift mit einem convivium, dessen einzelne Bücher wie die
einzelnen Gänge eines Mahles sind („Scriptura divina convi-
vium sapientiae est: singuli libri singula sunt fercula", vgl.
Busnelli-Vandelli, I, 8), oder zu dem in einer Thomas von
Aquino zugeschriebenen Predigt thematisierten convivium
regni celesti stellt Dantes Gastmahl die Übertragung eines sa-
kralen Motivs auf eine iridisch-philosophische Veranstaltung
dar („Per convivium illam aeternam refectionem intelligo ad
quam vocatur omnes principes, patriarchae, prophetae, apo-
stoli et omnes servi cubicularii angeli, tanquam familiares
sponsi, et martyres pro Christo gladiis trucidati, bajuli docto-
res, confessores sancti, virgines familiares; omnibus talibus
paratum est convivium regni coelestis", Thomas von Aquino,
Sermones: Ed. Haureau, 92; zu diesem Passus vgl. Conv., I,
ix, 5). Daß die Gastmahl-Metapher auch allgemein ein Topos
der Vermittlung und Interpretation von Texten war, bezeugt
eine Stelle in einem Brief Gregors des Großen: „Scripta dul-
cissimae et suavissimae beatitudinis vestrae suscipiens, valde
gavisus sum quia multa mihi de sacra scriptura loquebantur.
Et quia dilectas in eis epulas repperi, eas avide comedi ... Et
quasi menti convivium praeparantes egistis, ut oblatae epulae
ex diversitate melius placerent. Et siquidem exteriores causae
velut inferiores et abiecti cibi minus sapiunt, ita tarnen a vobis
prudenter dictae sunt, ut libenter sumantur. Quia et cibi con-
temptibiles plerumque dulces ex condimento bene coquentis
86 Kommentar zu Kap. i, 12.14

fiunt". (Gregor der Große, Registrum Epistularum, III, 62).


In diesen Zusammenhang gehört auch eine Stelle aus dem
Timaios-Kommentar des Wilhelm von Conches, wo die Dis-
putationen der Philosophen mit einem aus verschiedenen Gän-
gen bestehenden Mahl verglichen werden: "Epulum idest
convivium dicitur disputacio philosophorum per simile, quia
sicut in convivio habentur multa fercula, ita in disputacione
philosophorum multe et varie tractantur sentencie" (Ed. T.
Schmid, 230).
di cio ch'i'ho ••• mangiata] Das Gastmahl besteht aus dem,
was Dante schon gezeigt hat, d.h. aus den bereits bestehenden
Kanzonen, und aus dem, was gebraucht wird, um sie zu ver-
stehen, d.h. dem Kommentar, den Dante metaphorisch als das
Brot zur Speise bezeichnet.
§ 12
E questo [e quello] convivio .•. ministrata] Zu den ver-
schiedenen textkritischen Schwierigkeiten vgl. Simonelli,
Materiali, 67-70; Vasoli, Kommentar zur Stelle. Lexikogra-
phische Ausführungen zur Stelle gibt Brambilla Ageno, Alcu-
ni termini, 5f.
§ 14
La vivanda di questo convivio •.. era in grado] § 14 be-
inhaltet die Elemente der forma tractatus, des subjectum und
indirekt auch des genus philosophiae der Einleitung zu Dantes
Werk (vgl. Einleitung zum Buch 1), das aus 14 Gängen, bezie-
hungsweise Kanzonen bestehen soll, die durch einen Kom-
mentar erklärt werden. Wie dieses Werk, von dem Dante nur
gerade drei Teile vollendet hat, ausgesehen hätte, läßt sich
nicht mit Sicherheit sagen. Nur gerade in Conv., 1, xii, 12
findet sich ein klarer Hinweis Dantes, daß er im 14. Traktat
die Tugend der Gerechtigkeit behandeln werde (vgl. auch IV,
xxvii, 11). Die übrigen Anspielungen und Hinweise zum ge-
planten Inhalt seines Werkes lassen keine sicheren Aussagen
zu (vgl. ED II, 193t). Der Hinweis, die Kanzonen bestünden
Kommentar zu Kap. i, 14 87

aus Liebe und Tugend, ordnet das Werk in das genus der
Moralphilosophie ein. Dante gedenkt aus seinen bisher nur
ästhetisch interpretierten Kanzonen durch einen Kommentar
eine Tugendlehre zu entwickeln. Er bekundet dadurch eine
Konzeption der Beziehung zwischen Poesie und Wissen-
schaft, die sich stark von der antiästhetischen Position der
Scholastik absetzt: "Procedere autem per similitudines varias
et repraesentationes, est proprium poeticae, quae est infima
inter omnes doctrinas" (Thomas von Aquino, Sum. theol., 1,
1, 9, 1. Vgl. dazu Buck, Gli studi sulla poetica e sulla retorica
di Dante, 264; Garin, Rinascite e rivoluzioni, 51-70).
Die Aufteilung der Schrift in eine Einleitung und 14 Teile,
entsprechend den 14 Kanzonen, die verschiedene Tugenden
zur Darstellung bringen, und die damit verbundene Metapher
des Gastmahls mit 14 Gängen kann vor dem Hintergrund der
Tradition der mittelalterlichen Zahlensymbolik und Mnemo-
technik verstanden werden. Der Zahl 14 kommt im Mittelal-
ter eine große symbolische Bedeutung zu (vgl. Meyer, Lexikon
der mittelalterlichen Zahlenbedeutungen, 649-654). In zahl-
reichen Bibelkommentaren und Predigten wurde die in Mt 1,
17 aufgeführte Genealogie Christi hervorgehoben, die von
Abraham bis David, von David bis zur Babylonischen Gefan-
genschaft und von dieser bis zu Christus je 14 Generationen
aufweist. Eine besondere Bedeutung kam der Zahl 14 auch
wegen der darin enthaltenen Verdoppelung der Siebenzahl (7
Sakramente, 7 Planeten, 7 als Zahl der Ruhe, des Sabbats und
des Gesetzes, 7 Gaben des HI. Geistes) und als Hälfte des
numerus perfectus 28 zu. Dies läßt sich anhand einiger Quel-
lentexte erläutern. So schrieb zum Beispiel Augustinus in sei-
nem Genesis-Kommentar: „Plures ergo [numeri] reperiuntur
reperiuntur ... qui perfecti vocantur, eo quod suis simul ductis
talibus partibus conpleantur. Nam post senarium duodetrice-
simus invenitur, qui similiter suis partibus talibus constat;
habet enim eas quinque: vicesimam et octavam, quartam de-
cimam, septimam, quartam dimidiam: id est: unum et duo et
88 Kommentar zu Kap. i, 14

quattuor et septem et quattuordecim, quae simul ductae eun-


dem duodetricesimum conplent" (Augustinus, De genesi ad
litteram 1111; 97). Ein Beispiel der Bedeutung der 14 findet
sich auch im lob-Kommentar des Gregorius Magnus: „Sed
quia sunt qui haec etiam in typo sanctae Ecclesiae interpretari
desiderent, quorum votis tanto magis oboediendum est quanto
et eorum spiritali intellegentiae congaudendum, si quattuorde-
cim per denarium ducimus, ad centesimum et quadragesimum
numerum pervenimus. Et recte vita sanctae Ecclesiae permul-
tiplicata decem et quattuor computatur, quia utrumque testa-
mentum custodiens, et tarn secundum legis decalogum, quam
secundum quattuor evangelii libros vivens, usque ad perfec-
tionis culmen extenditur. Unde et Paulus apostolus quamvis
epistolas quindecim scripserit, sancta tarnen Ecclesia non am-
plius quam quattuordecim tenet" (Gregorius Magnus, Mora-
lia in lob, XXX, xx; 1808).
Eine Verbindung der Gastmahl-Metapher mit der Tugend-
lehre, wie sie Dante in Conv., 1, i, 14 vornimmt, findet sich
auch in den Moralia in lob Gregors des Großen, wobei nicht
14, sondern 7 Tugenden in 7 verschiedenen Gastmählern be-
handelt werden: „Et ibant filii eius et faciebant convivium per
domos, uniusquisque in die suo. Filii per domos convivium
faciunt dum virtutes singulae iuxta modum proprium mentem
pascunt ... Dies enim uniuscuiusque filii est illuminatio unius-
cuiusque virtutis. Ut enim haec ipsa dona breviter septiformis
gratiae replicem, alium diem habet sapientia, alium intellec-
tus, alium consilium, alium fortitudo, alium scientia, alium
pietas, alium timor ... Sapientia ergo in die suo convivium
facit quia mentem de aeternorum spe et certitudine reficit.
Intellectus in die suo convivium parat, quia in eo quod audita
penetrat, reficiendo cor, tenebras eius illustrat. Consilium in ·
die suo convivium exhibet, quia dum esse praecipitem prohi-
bet ratione animum replet. Fortitudo in die suo convivium
facit, quia dum adversa non metuit, trepidanti menti cibos
confidentiae apponit. Scientia in die suo convivium parat quia
Kommentar zu Kap. i, 14 89

in ventre mentis ignorantiae ieiunium superat. Pietas in die


suo convivium exhibet, quia cordis viscera misericordiae ope-
ribus replet. Timor in die suo convivium facit quia dum premit
mentem ne de praesentibus superbiat, de futuris illam spei cibi
confortat" (Gregor der Große, Moralia in lob, 1, xxxii, 44;
48).
Gregor zählt sieben Tugenden auf und ordnet jeder einen
bestimmten Tag und ein bestimmtes Bild in bezug auf ein
Gastmahl bei. Diese Verbindung der Gastmahl-Metapher mit
einer zahlensymbolisch angeordneten Tugendlehre kann im
Lichte der Mnemotechnik erklärt werden, denn sie folgt der
mnemotechnischen Grundregel: "Constat igitur artificiosa
memoria ex locis et imaginibus" (Rhetorica ad Herennium,
III, xvi, 29). Interessanterweise hat die Zahl 14 im Zusam-
menhang mit mnemotechnisch angelegten Aufzählungen wie-
derholt eine Rolle gespielt. Zeno von Verona bringt in einer
Rede an die Neugetauften eine Aufzählung mit 14 imagines,
die in Form von 14 Speisen eines Gastmahles angelegt sind,
wobei mitjeder Person durch ein entsprechendes Adverb (e.g.
patienter, innocenter) oder ein Adjektiv (e.g. unanimes, pro-
motus ad mensuram) auch eine bestimmte Tugend verbunden
sein könnte: „ Tres pueri unanimes legumina inferunt primi,
quibus, ut scitus sit sapor, salem sapientiae aspergunt. Oleum
Christus infundit. Moyses primitivam festinus maturamque
procuravit agninam, Abraham pinguem conditamque fideliter
vitulinam. Isaac innocenter ollarn portat et ligna. Iacob patien-
ter varia exhibet pecora. loseph promotus ad mensuram prae-
rogat cunctis annonam. Sane si quis aliquid desideraverit, qui
recondidit Noe ornnia illi arcarius non negabit. Petrus piscator
recentes marinos affatim pisces apponit cum sarda mirabili.
Tobias peregrinus fluvialis piscis interanea diligenter accurat
et assat. lohannes camelarius devote praecurrens de silva mel
attulit et locustas. Ne alter alterurn manducantem denotet, in-
vitator ammonet Paulus. David regius pastor ornnibus mo-
mentis lac argenteum subministrat et caseum. Zachaeus sine
90 Kommentar zu Kap. i, 16

mora quadriplicata expungit apophoreta" (Zeno von Verona,


Tractatus 1, 24; 71. Zum mnemotechnischen Aspekt dieses
Textes vgl. Ricklin, Versuch einer Situierung der Cena Cy-
priani). Nicht mit der Metapher des Gastmahles verbunden,
aber dennoch interessant in bezug auf das Conv. ist die Auf-
zählung von 14 Tugenden in Identifizierung mit 14 biblischen
Personen bei Richard von St. Viktor: "Fulgebuntjusti; diver-
sos justos diversis virtutibus novimus fulsisse. Fulsit namque
Abel per innocentiam, Noe per justitiam, Abraham perfidem,
Isaac per longanimitatem, Jacob per tolerantiam laboris, Jo-
seph per continentiam camis, Moyses per mansuetudinem,
Josue per fortitudinem, Samuel per charitatem, David per hu-
militatem, Elias per zelumjustitiae, Daniel per virtutem absti-
nentiae, sanctus Joannes Baptista per sanctitatem eximiam,
beata et intemerata virgo Maria per specialem humilitatis et
integritatis gratiam" (Richard von St. Viktor, Sermo XXXII:
PL 177, 971C).
Wie schon erwähnt, weist Dante in 1, xii, 10 daraufhin, daß
er im 14. und letzten Buch des Conv. die Gerechtigkeit, die er
im Abschnitt zuvor als die vollkommenste und liebenswerteste
Tugend des Menschen bezeichnet, behandeln will. Das aus 14
Teilen bestehende Werk, das möglichst viele Menschen zur
Wissenschaft und damit zur Vollkommenheit (vgl. 1, i, 1)
führen soll, hätte seine Vollendung im 14. Buch in der Erör-
terung der vollkommenen Tugend der Gerechtigkeit gefunden.

§ 16
Convivio nominata] In diesem Passus bestimmt Dante den
Titel seiner Schrift, auch dies ist ein traditionelles Element des
accessus (vgl. oben Einleitung Buch 1).
pill virilmente ••. conviene] Dante bezieht sich auf seine
früher entstandene Schrift Vita Nuova, in der er in der Form
des Prosimetrums und anhand eines Kommentars zu seinen
eigenen Kanzonen seine Leidenschaft für Beatrice und den
Prozeß der allmählichen Ablösung von der historischen Bea-
Kommentar zu Kap. i, 18.19 91

trice nach deren Tod beschreibt. Dante insistiert hier darauf,


daß das Conv. keine Abkehr, sondern eine reifere Ausführung
seines früheren Unternehmens bedeutet. Er bringt damit die
Allegorisierung der donna gentile als filosofia im Conv. in
Verbindung zu der in der Vita Nuova begonnen intellektuellen
Entwicklung. Einen Überblick der Diskussion über die um-
strittene Beziehung Vita Nuova-Conv. gibt Vasoli, Einleitung
zum Conv.-Kommentar, LIII-LXI.
gioventute .•• gia trapassata] Die gioventute dauert nach
Dante (Conv., IV, xxiv, 2-4) vom 25. bis zum 45.- und er-
reicht ihren Höhepunkt mit dem 35. Altersjahr. 'gia trapassa-
ta' bezieht sich deshalb eher auf' entrata de la mia gioventute'
und nicht nur auf 'gioventute', sonst müßte die Abfassung des
ersten Buches des Conv. in die Zeit nach 1310 verlegt werden.
Vgl. dazu Barbi, „Introduzione" zum Conv.-Kommentar Bus-
nelli-Vandelli, XVI-XIX. Vgl. auch Corti, Felicita mentale,
142-145.

§ 18
allegorica esposizione .„ litterale] Vgl. Kommentar zu
Conv., II, i, 2-3. Vgl. auch Ricklin, Dante, Das Schreiben an
Cangrande, XLIX-LVIII.

§ 19
liberalitate] Die Tugend der Freigebigkeit, die Aristoteles
in Eth. Nie., IV, 1-3 (1119b21-1122a16) fast ausschließlich
auf das Geben von Geld bezieht und als Mitte zwischen Geiz
und Verschwendung bezeichnet, wird von Dante auf sein Vor-
haben der Vermittlung von Wissen übertragen. In Conv., 1,
viii, 2 beruft sich Dante zur Rechtfertigung der Abfassung des
Kommentars in der Volkssprache auf die Freigebigkeit, die
darin besteht, vielen, Nützliches, freiwillig zu geben, : „Puo-
tesi adunque la pronta liberalitate in tre cose notare ... La prima
e e e,
dare a molti; la seconda dare utili cose; la terza sanza
essere domandato lo dono, dare quello". Ein Kommentar in
92 Kommentar zu Kap. ii

Latein würde diesen Kriterien nicht genügen. Vgl. auch die


Aufzählung der aristotelischen Tugenden in Conv., IV, xvii,
4: "La terza sie Liberalitate, la quale e moderatrice del nostra
dare e del nostro recevere el cose temporali". Dante bezieht die
liberalitate auf weltliche Dinge und versteht in diesem Sinne
auch das Wissen, das er vermittelt, als weltliches Wissen.

Kapitel ii

Im zweiten Kapitel führt Dante die Elemente auctor und sub-


iectum des accessus weiter aus, weil er sich bewußt ist, daß
sein philosophischer Selbst-Kommentar in der Volkssprache
einer über die herkömmliche Länge des Prologs hinausgehen-
den Rechtfertigung bedarf. Das zweite Kapitel ist sodann ganz
dem Sprechen von sich selbst, einer von zwei akzidentiellen
Mängeln des Kommentars (I, v, 1), gewidmet. Zwischen der
Thematisierung der eigenen Subjektivität und dem Kommen-
tieren eines eigenen Werkes nach den Regeln der Kunst des
traditionellen philosophischen Kommentars besteht jedoch ein
großer Unterschied, der von Dante mit viel Erudition eher
überspielt als ins rechte Licht gerückt wird. Die Problemati-
sierung und Rechtfertigung des Selbstlobs und Selbsttadels
erscheint deshalb eher als Nebenscharmützel, mit dem von der
Ungeheuerlichkeit des philosophischen Selbst-Kommentars -
ein in der Geschichte fast einzigartiges Unterfangen - abge-
lenkt wird.
Die§§ 1-2 erfüllen die Funktion der Überleitung zwischen
Kapitel 1, dem eigentlichen Prolog, und den restlichen Kapi-
teln. Dante bezeichnet diese Ausführungen seiner Metapher
des Gastmahls folgend als vorgängige Reinigung des Brotes
von bestimmten Mängeln.
Die §§ ii, 3-16 haben in gewisser Hinsicht die Struktur einer
questio, die sowohl als eigenständiges literarisches Genus als
auch als Struktur-Moment des Kommentars gebräuchlich war
Kommentar zu Kap. ii, 1.3 93

(vgl. B.C. Bazän, La quaestio disputata). Die von Dante nach


den Regeln der questio diskutierte Frage lautet, ob es erlaubt
ist, von sich selbst zu sprechen. In einem ersten Teil(§§ 3-11),
der in der questio den rationes contra entspricht, wird darge-
legt, warum es nicht erlaubt ist, von sich selbst zu sprechen: §
3 bildet mit dem Verweis auf die Tradition und mit der not-
wendigen Unterscheidung des Sprechens von sich selber in
Lob und Tadel die erste ratio. Die §§ 4-5 stellen die zweite
ratio dar; der mit 'ancora', was in der lateinisch abgefaßten
questio dem 'item' oder 'praeterea' entspricht, eingeleitete §
6 bringt einen drittes Argument gegen die tadelnde Selbstrede,
§ 7 ein Argument gegen das verbotene Selbstlob vor, ebenso
der wieder mit 'ancora' eingeleitete § 8, der in einer bis § 11
verlaufenden Argumentation den letzten Rechtfertigungs-
grund anbringt. Im § 12 schließlich setzt Dante mit der deter-
minatio magistri ein, erklärt, daß das Sprechen von sich selbst
unter bestimmten Umständen erlaubt ist und erläutert dazu
zwei Gründe, die auch auf ihn zutreffen(§§ 13-16). Von der
traditionellen questio fehlt, wie bei vielen Texten (vgl. e.g.
Thomas, Sum. theol., Il-11, 34, 4), lediglich der Teil ad ratio-
nes, in dem nach der determinatio magistri die eingangs auf-
geführten rationes contra widerlegt oder anhand der in der
determinatio vorgebrachten distinctio differenziert werden.
Etwas Ähnliches tut jedoch Dante inden §§ 13-16, indenener
darlegt, warum es ihm geziemt, von sich zu reden.
§1
Nel cominciamento ••• macula] Vgl. Brunetto Latini, Ret-
torica, I, 13; 8: "si come dice Boezio nel comento sopra la
Topica, chiunque scrive d'alcuna materia dee prima purgare
cio ehe pare a llui ehe sia grave".
§3
Non si concede ••• parlare] Diesen Passus bezieht Vasoli
(Kommentar zur Stelle) auf Brunetto Latini (Rettorica, I, 95;
17Sff.), wo verschiedene erlaubte Arten des Sprechens von
94 Kommentar zu Kap. ii, 3

sich selber thematisiert werden. Vgl. als Parallelstelle Brunet-


to, Tresors III, 24; 338. Brunetto paraphrasiert die Rhetorica
ad Herennium (1, 8): "A nostra persona benivolentiam contra-
hemus, si nostrum officium sine arrogantia Iaudabimus aut in
rem publicam quales fuerimus aut in parentes aut in amicos aut
in eos ipsos qui audient aliquid referemus, dum haec omnia ad
eam ipsam rem, qua de agitur, sint accommodata. ltem si
nostra incommoda proferemus, inopiam, solitudinem, calami-
tatem; et si orabimus ut nobis sint auxilio et simul ostendemus
nos in aliis spem noluisse habere". Vgl. die Parallel-Stelle in
Cicero, De inventione, 1, xvi, 22: "Ab nostra [persona], si de
nostris factis et officiis sine arrogantia dicemus; si crimina
inlata et aliquas minus honestas suspiciones iniectas diluemus;
si, quae incommoda acciderint aut quae instent difficultates
proferemus; si prece et obsecratione humili ac supplici ute-
mur". Dantes Behandlung des Themas unterscheidet sich in
entscheidenden Punkten von derjenigen Brunettos und Cice-
ros, bzw. Ps.-Ciceros. Obschon Brunetto, wie Dante später in
1, ii, 13, verschiedene Beispiele aus Boethius zur Illustration
des stilgerechten Sprechens von sich selber vorträgt, empfiehlt
die auf Cicero zurückgehende Tradition das Sprechen von sich
selber als captatio benevolentiae. Das Lob der eigenen Taten
in Staat, Familie und Freundeskreis soll lediglich nicht arro-
gant sein. Dem Sprecher wird außerdem nahegelegt, sich ge-
gen ungerechte Anschuldigungen zu verteidigen, seine
Unanehmlichkeiten im Leben offen darzulegen und um Hilfe
zu bitten. Diese qualifizierte Art des erlaubten Sprechens von
sich selber nimmt Dante in seiner responsio wieder auf (1, ii,
12), beschränkt sie aber auf das notwendige Abwenden von
Übel, was bei Cicero der Abweisung von ungerechten An-
schuldigungen entspricht, und auf den Nutzen für die Lehre,
was in der hier angesprochenen rhetorischen Tradition nicht
erwähnt wird.
perche parlare ••• ciascuna] Der argumentative Kunstgriff
Dantes besteht zunächst darin, jegliches Sprechen von sich
Kommentar zu Kap. ii, 3 95

notwendigerweise als Lob oder Tadel zu bezeichnen. Er be-


schränkt damit die Selbstrede auf das rhetorische genus de-
monstrativum. Vgl. Rhetorica ad Herennium, III, 11: „Nunc
ad demonstratiuum genus causae transeamus. Quoniam haec
causa diuiditur in laudem et uituperationem, quibus ex rebus
laudem constituerimus, ex contrariis rebus erit uituperatio
conparanda". Wie oben gezeigt, geht die Ansicht, Selbstlob
und Eigentadel seien prinzipiell unanständig, nicht auf Cicero
und die entsprechenden Stellen bei Brunetto Latini zurück. Es
kann mit Busnelli/Vandelli auf Valerius Maximus (l. 7, c. 2,
n. 11: „Idem Aristoteles de semet ipsos in neutram partem
Ioqui praedicabat, quoniam laudare se, vani, vituperare stulti
esset"), und mit Pezard (Le Convivio, 41) auf die Disticha
Catonis, II, 16 hingewiesen werden: „Nec te conlaudes, nec te
culpaveris ipse/ hoc faciunt stulti, quos gloria vexat inanis".
Vgl. Albertanus da Brescia, Tractatus de arte loquendi, 484:
„Sapienti enim magis expedit tacere pro se, quam loqui contra
se". Vgl. aber auch Brunetto Latini, Tresor, 11, 62; 237: „Pie-
res Aufons dit <Discliplina clericalis 6, 12>, crien de dire
9ou dont tu te repentes, car a sage home a fiert de taire por lui
mieus, que parler contre soi"; III, 98; 418: „Autresi ne doit il
loer soi meismes, por ce k'il soit loes des bons, et ne li chaut
s'il est loes des mauvais". Das Verbot des Selbstlobs und
Selbsttadels scheint in Florenz ein fester Bestandteil der Tu-
genden der regierenden Oberschicht gewesen zu sein, denn
Brunettos Ermahnungen sind nur ein Teil desjenigen, was Jo-
hannes von Viterbio in seinem Liber de regimine civitatis, das
Brunetto als Quelle gedient haben muß, zum Thema gesagt hat
(Ed. G. Salvemini, 243f): „Neque etiam se publice inculpet
seu victuperet: Nemo sibi culpam vel Iaudem confert unquam/
Convenit hoc vanis quos gloria vexat inanis/. «Quam magnum
est non Iaudari et esse laudabilem!>• ... «Esto bone fame, neque
tue seminator, neque aliene invidus„".
a far [dire] di se] Die textkritischen Probleme zum Passus
diskutiert Vasoli, Kommentar zur Stelle.
96 Kommentar zu Kap. ii, 4

§4
per se da biasmare ••. per accidente] Die Unterscheidung
'per se'- 'per accidens' ('secundum se'- 'secundum accidens')
ist eine klassische Lehre der aristotelischen Schulphilosophie
und geht zurück auf Met., V 18, 1022a14-35 und V 30, 1025a
14-30, wo Aristoteles fünf Bedeutungen von 'an sich' sowie
zwei von 'accidens' erläutert. Das, was einem Ding an sich
zukommt, ist entweder dessen Sosein (1. Bedeutung) oder ist
in dessen Wesensdefinition enthalten (2. Bedeutung). Ferner
kommt einem Ding eine Eigenschaft an sich zu, wenn sie not-
wendig dem zugrundeliegenden Subjekt inhäriert (3. Bedeu-
tung). Ferner ist etwas an sich, was keine andere Ursache als
nur sich selbst hat. Zum Beispiel ist der Mensch nur an sich
Mensch und nicht insofern er ein Lebewesen oder ein Zweifüß-
ler ist (4. Bedeutung). Schließlich nennt Aristoteles alles an
sich, was einem Ding allein und als alleiniges zukommt (5.
Bedeutung) (Vgl. dazu auch Anal. post„ 1, 4, 73a35ff. und
Met., VII 4, 1029b13ff.). Diese Darlegungen kommentierte
Thomas von Aquino in seinem Metaphysikkommentar, 1. 19,
1054-1057. 'per se' heißt danach 1.: "quando definitio signi-
ficans quid est esse uniuscuiusque, dicitur ei inesse secundum
se" ... < 2. >: "quando aliquid ostenditur esse in aliquo, sicut
in primo subiecto, cum inest ei per se. Quod quidem contingit
dupliciter: quia vel primum subiectum accidentis est ipsum
totum subiectum de quo praedicatur ... Vel etiam aliqua pars
eius, sicut homo dicitur vivens secundum se" ... < 3. >: „sec-
undum se esse dicitur illud, cuius non est aliqua alia causa" ( ... )
< 4. > : „dicuntur secundum se in esse alicui, quae ei soli
inquantum soli insunt".
Auch für das accidens unterscheidet Aristoteles mehrere Be-
deutungen (Met., V 30, 1025a14-30). Die erste Bedeutung
wird verwendet, wenn etwas weder notwendig noch in den
meisten Fällen zutrifft, zum Beispiel wenn jemand ein Loch
gräbt, um einen Baum zu pflanzen und dabei einen Schatz
findet. Die zweite Bedeutung bezieht sich auf das, was einem
Kommentar zu Kap. ii, 5 97

Ding an sich zukommt, ohne aber in dessen Wesen zu liegen,


zum Beispiel, daß dem Dreieck stets die Winkelsumme von
zwei rechten Winkeln zukommt. Thomas von Aquino führt zu
dieser Stelle aus, daß nur in der ersten Bedeutung der Gegen-
satz zwischen 'per accidens' und 'per se' besteht: "primus est,
quod accidens dicitur id quod inest alicui, et quod contingit
vere affirmare non tarnen ex necessitate, nec 'secundum magis'
idest ut in pluribus, sed ut in paucoribus; sicut, si aliquis fodi-
ens aliquam fossam ad plantandum aliquam plantam, inveniat
thesaurum ... Differt autem hie modus a primo, quia accidentia
hoc secundo modo contingit esse sempitema. Semper enim
triangulus habet tres angulos aequales duobus rectis. Acciden-
tium vero secundum primum modum, nullum contingit esse
sempitemum, quia sunt semper ut in paucoribus ... Accidens
ergo secundum primum modum opponitur ad secundum se"
(In Met., V, l. 22, 1139-1143). Diese Ausführungen von Tho-
mas geben einen in der damaligen Schulphilosophie allgemein
akzeptierten Topos wieder und können deshalb auf Dante be-
zogen werden (Vgl. die Ausführungen Alberts des Großen,
Metaphysiea, l. 5, tr. 6, c. 15; 298f). Ein Ding, das, wie Dante
sagt, an sich zu tadeln ist, ist folglich aufgrund seines Wesens
und immer zu tadeln, wobei die Ursache des Tadels in ihm
selber liegt, wogegen das Ding, das per aecidens zu tadeln ist,
nach der ersten Bedeutung von 'aecidens' nur ausnahmsweise
und nicht aufgrund eines Wesenszuges oder einer notwendigen
Eigenschaft zu tadeln ist.

§5
e nullo e pfü amico ehe l'uomo a se] Der Gedanke, daß der
Tugendhafte im Verhältnis zu sich selbst das Modell der
Freundschaft abgibt, findet sich bei Aristoteles. Vgl. Eth.
Nie., IX 4, 1166al; 328: „Amicabilia autem que ad amicos et
quibus amicicie determinantur, videntur ex hiis que ad se ip-
sum venisse". Eth. Nie., IX 4, 1166a30; 329: "est enim ami-
cus alius ipse". Eth. Nie., IX 7, 1168b9-10; 335: „Maxime
98 Kommentar zu Kap. ii, 6.12

enim amicus sibi ipsi, et amandum maxime se ipsum". Vgl.


Thomas von Aquino, Sent. Eth., IX, 8; 528: "quia homo ma-
xime est amicus sibi ipsi".

§6
nel volere ••• si giudica la malizia e la bontade] Die Lehre,
daß der freie Wille den Menschen zum moralischen Subjekt
macht und nur freiwillige Handlungen dem moralischen Urteil
unterliegen, kann auf Aristoteles (Eth. Nie., III, 1, 1109b30-
35; 179) zurückgeführt werden: "Virtute itaque et circa pas-
siones et operaciones existentes, et in voluntariis quidem
laudibus et vituperiis factis, in involuntariis autem venia, qu-
andoque autem et misericordia, voluntarium et involuntarium
necessarium forsitan determinare de virtute intendentibus".
Zum freien Willen bei Dante vgl. Purg., XVIII, 59-75; Par.
V, 19-24; Mon., 1, xii. Bereits im 12. Jahrhundert entwickelte
Petrus Abelardus die Lehre, daß die moralische Qualität der
handelnden Person einzig von der Absicht abhängt: "nec in
opere sed in intentione meritum operantis vel laus consistit"
(Petrus Abelardus, Ethica, 28).
Das Argument Dantes ist ein Scheinargument, das eigentlich
leicht zu widerlegen ist, denn die Kenntnis oder das Wollen
eines Mangels hängt nicht davon ab, ob man davon spricht; die
moralisch relevante Handlung ist das Wollen und nicht das
äußere Zugeben. Die Selbstanklage mag unklug sein, mora-
lisch relevant in bezug auf die Absicht ist sie nicht, denn auch
wer sich nicht selbst beschuldigt, kann etwas Schlechtes beab-
sichtigen. Dante vermischt hier in den rationes contra, die er
nachher in der responsio widerlegt, die moralische Intentions-
lehre mit der rhetorischen Klugheitslehre.

§ 12
per necessarie cagioni lo parlare di se econceduto] Dante
leitet durch eine distinctio, eine bestimmte Qualifizierung der
Rede von sich selbst, zur determinatio der questio über.
Kommentar zu Kap. ii, 13-17.13 99

§§ 13-17
In den§§ 13-14 kommt Dante auf die zwei Gründe zu spre-
chen, die das Sprechen von sich selbst rechtfertigen: Zur Ver-
hinderung von Verleumdung und zur Darstellung einer
allgemein nützlichen Lehre. In den§§ 15-17 legt er dar, in-
wiefern diese Gründe auf ihn zutreffen.

§ 13
e
prendere lo men reo quasi prendere un buono] Die von
Dante angesprochene Lehre des geringeren Übels geht zurück
auf Aristoteles. Vgl. e.g. Eth. Nie., V, 1, 1131b20; Gigon 160:
"Beim Übel ist es umgekehrt; da verhält sich das geringere
Übel zum größeren Übel wie ein Gut; denn das kleinere Übel
ist dem größeren vorzuziehen, und was vorgezogen wird, ist
ein Gut". Der Gedanke entwickelte sich in der mittelalterli-
chen Schulphilosophie geradezu zur Standardformel: "minus
malum videtur aliqualiter esse bonurn inquantum est eligibile"
(Thomas von Aquino, Sent. Eth., V, 1; 266); "minus malum
habet rationem boni per comparationem ad maius malum"
(Ders., Sent. Eth., V, 5; 281 ").
E questa necessitade mosse Boezio] Die Stelle bezieht sich
auf die Philosophiae consolatio, 1, 4, wo der 524 zum Tode
verurteilte und einstweilen exilierte Boethius in einer langen
Passage von sich selber spricht, um sich gegen den Inhalt und
das Vorgehen anläßlich der gegen ihn erhobenen Anklage zu
verteidigen. Das Werk des Römers, mit dem Dante das
Schicksal der Verurteilung und des Exils teilte, war laut eige-
nen Aussagen nebst den Schriften Ciceros entscheidend für
Dantes conversio zur Philosophie verantwortlich: Conv., II,
xii, 2: „e misimi a leggere quello non conosciuto da molti
Iibro di Boezio, nel quale, cattivo e discacciato, consolato
s'avea") und II, xv, 1: „Boezio e Tullio (li quali con la dol-
cezza di loro sermone inviarono me ... ne lo amore, cioe ne lo
studio, di questa donna gentilissima Filosofia)". Auch die
zwischen Poesie und Prosa alternierende Form des Prosime-
100 Kommentar zu Kap. ii, 14

trum der Philosophiae consolatio könnte als Vorbild für das


Conv. gedient haben. Für die breite Rezeption der Boethiani-
schen Schrift und für die Bedeutung von Boethius für das
Mittelalter im allg. vgl. P. Courcelle, La Consolation de Phi-
losophie dans La tradition litteraire; M. Gibson, Boethius.
Vgl. auch ED 1, 654-658.
la perpetuale infamia del suo essilio .•• ingiusto] Dante hat
sich wiederholt als „exul inmeritus" bezeichnet und identifi-
ziertsichan dieser Stelle mitBoethius. Vgl. Ep. II, 3; 528: „qui
a patria pulsus et exul inmeritus infortunia mea rependens
continuo". Vgl. auchEp. III, 1; 532; VI, 1; 550; VII, 1; 562.)

§ 14
mosse Agustino ne le sue Confessioni] Die Ausführungen
beziehen sich wohl nicht auf eine präzise Stelle in den Conf.,
sondern auf das Werk als ganzes, dessen Schilderung einer
moralischen Läuterung auf einem persönlichen Lebensweg für
Dante einen allgemeinen moralphilosophischen Nutzen hat,
der das Sprechen von sich selbst rechtfertigt. Auch Augustinus
sah den Nutzen seiner Schrift wie Dante in der moralischen
Belehrung, bekundet aber ein stark egozentrisches Bewußtsein
der Exemplarität seiner eigenen Person: „sed fratemus ille, qui
cum approbat me, gaudet de me, cum autem improbat me,
contristatur pro me, quia sive approbet sive improbet me, di-
ligit me. indicabo me talibus. respirent in bonis meis, suspirent
in malis meis. bona mea instituta tua sunt et dona tua, mala mea
delicta mea sunt et iudicia tua. respirent in illis et suspirent in
bis, et hymnus et fletus ascendant in conspectum tuum de
fraternis cordibus, turibulis tuis ... Hie est fructus confessio-
num mearum" (Augustinus, Conf., X, 4, 5-6).
Mit Boethius und Augustinus führt Dante zur Illustration der
zwei Rechtfertigungsgründe des Sprechens von sich selbst,
die Abwendung einer großen Gefahr und der Nutzen für die
Lehre, zwei der größten Autoritäten des Mittelalters an und er
stellt sich mit ihnen in gewisser Weise auf dieselbe Stufe:
Kommentar zu Kap. ii, 15.17 101

"movemi timore d'infamia, e movemi disiderio di dottrina


dare, la quale altri veramente dare non puo" (ii, 15).

§ 15
In diesem Abschnitt kommt Dante nach der einer magistra-
len responsio gleichenden Bestimmung der allgemeinen
Rechtfertigungsgründe für das Sprechen von sich selber zur
Darlegung, inwiefern diese auch für ihn gelten. Dante sieht
sich dazu ermächtigt, seine Kanzonen zu kommentieren, um
Verleumdungen seiner Person vorzubeugen und um durch
eine allegorische Auslegung der Kanzonen eine allgemein
nützliche Lehre zu vermitteln. Der Grund der Verhinderung
der Verleumdungen ist nicht nur eine rhetorische Figur, son-
dern die Anfeindungen Dantes müssen einer biographischen
Realität entsprochen haben, denn er kommt wiederholt darauf
zu sprechen. Vgl. IV, viii, 10: "io, ehe al volto di tanti avver-
sarii parlo in questo trattato, non posso lievemente parlare;
onde se le mie digressioni sono lunghe, nullo si maravigli".
Ep. XIII, 4: "Nec reor amici nomen assumens, ut nonulli
forsitan obiectarent, reatum presumptionis incurrere".

§ 17
la vera sentenza ••• nascosa sotto figura d'allegoria] Die
allegorische Deutung eines poetischen Textes legt den wahren
philosophischen Gehalt frei. Dieses Vorgehen, für das Dante
Originalität und Exemplarität beansprucht, ist der Kunstgriff,
mit dem er die für die Schulphilosophie geltende Geringschät-
zung der Poesie durchbricht und die Poesie, vor allem aber
seine Poesie, auf die Stufe der Philosophie erhebt. Das Kon-
zept der Allegorie erlaubt es Dante, eine sich unter dem Man-
tel der reinen Erzählung versteckte Wahrheit ans Licht zu
bringen (vgl. II, i, 3).
102 Kommentar zu Kap. iii-iv

Kapitel iii-iv

Die Kapitel iii und iv bilden sowohl thematisch als auch struk-
turell eine Einheit und rechtfertigen den zweiten akzidentellen
Mangel der Schrift Dantes, nämlich die „Härte" oder den
„höheren Stil". Nach den überleitenden §§ iii, 1-2 kommt
Dante in iii, 3-5 auf die biographischen Ursachen zu sprechen,
die ihn in die betrübliche Situation gebracht haben, zur Ab-
wehr von Verleumdungen über sich und seine Kanzonen in
einer bestimmten Weise sprechen zu müssen. Dante setzt in
jenen drei §§ die von Cicero empfohlene Art des Sprechens
von sich selbst als captatio benevolentie in die Praxis um (vgl.
supra zu ii, 2: „crimina inlata et aliquas minus honestas suspi-
ciones iniectas diluemus; si, quae incommoda acciderint aut
quae instent difficultates proferemus") und schildert sein per-
sönliches Leid. In§ iii, 6, der den Inhalt der folgenden Kapitel
vorausnimmt, werden zwei Gründe genannt, wie es dazu
kommt, daß jemand durch einen schlechten Ruf in seiner Per-
son herabgewürdigt wird: 1. durch eine in ihr Gegenteil ge-
wandte über die Wahrheit hinausreichende Wertschätzung
und 2. durch die negativen Folgen der Anwesenheit einer Per-
son. Diese beiden Gründe werden in den folgenden Paragra-
phen der Kapitel iii und iv näher erläutert: iii, 7-11 erklärt die
Ausbreitung des Rufs durch übermäßige Wert-oder Gering-
schätzung der betreffenden Person; iv, 1-12 die den Ruf ein-
engende Wirkung ihrer Anwesenheit. Der letztgenannte
Grund wird von Dante in drei weitere unterteilt (iv, 2): 1. die
Kindlichkeit der Menschen (iv, 3-5). 2. der Neid des Beurtei-
lenden gegenüber einer anwesenden und berühmten Person
(iv, 6-8). 3. die Unvollkommenheit des Beurteilten (iv, 9-12).
In iv, 13 bezieht Dante die allgemein erörterten Gründe des
schlechten Rufs auf seine Person um darzulegen, weshalb er
seinem Werk in einem höheren Stil verfassen mußte und been-
det damit die Entschuldigung des zweiten Makels seiner
Schrift.
Kommentar zu Kap. iii, 2 103

Kapitel iii

§2
la qual durezza] Daß Dante mit der "Härte" des Stils einen
präzisen Begriff der Schulpoetik meint, wird klar, wenn diese
Stelle auf den Schluß der Behandlung des zweiten Makels
(1, iv, 13) bezogen wird, wo die Entschuldigung des "höheren
Stils" für abgeschlossen erklärt wird: "conviemmi ehe con piii
alto stilo dea, ne la presente opera, un poco di gravezza, per la
quale paia di maggiore autoritade". Die mittelalterliche Poetik
unterschied, entsprechend des sozialen Status der behandelten
Personen und des Publikums, drei Stile: "Sunt igitur tres styli,
humilis, mediocris, grandiloquus. Et tales recipiunt appella-
tiones styli ratione personarum vel rerum de quibus fit tracta-
tus. Quando enim de generalibus personis vel rebus tractatur,
tune est stylus grandiloquus; quando de humilibus, humilis,
quando de mediocribus, mediocris. Quolibet stylo utitur Vir-
gilius: in Bucolicis humili, in Georgicis mediocri, in Eneyde
grandiloquo" (Gottfried von Vinsauf, Documentum de arte
versi.ficandi, 11, 3, n. 145; 312). Eine ähnliche Erörterung
findet sich bei Johannes von Garlandia: „Item sunt tres stili
secundum tres status hominum. Pastorali uite conuenit stilus
humilis, agricolis mediocris, grauis grauibus personis, que
presunt pastoribus et agricolis ... Secundum has tres personas
Virgilius tria composuit opera: Bucolica, Georgica, Eneyda"
(Johannes von Garlandia, Poetria, c. 5; 86). Dante, der sich in
der Ep. V (1; 540) als "humilis ytalus" bezeichnet, meint, sich
für den Stil seiner Schrift entschuldigen zu müssen, weil er,
entgegen den Gepflogenheiten der Schulpoetik, einen seinem
Gegenstand und seinem Publikum unangebrachten stilus gra-
vis gewählt hat und „troppo a fondo" (1, ii, 2) spricht. So wie
Dante durch die allegorisch-philosophische Auslegung seiner
„Liebesgedichte" die Poesie transformiert und um die Dimen-
sion der Philosophie erweitert, so ändert er auch den Stil sei-
ner Darlegung in bezug auf die philosophische Absicht seines
104 Kommentar zu Kap. iii, 3

Kommentars. Was dem geübten Publikum als Stilbruch er-


scheinen mag, ist in Wirklichkeit eine der Absicht des Conv.
entsprechende und durch die besonderen biographischen Um-
stände entschuldbare und beabsichtigte Anpassung des Stils
"per fuggir maggiore difetto" (ii, 2). Zur Härte des Stils vgl.
auch Brunetto Latini, Tresor, II, 63; 238: „Apres garde que
tes dis ne soient pas aspre, mais douc; et debonaire".

§3
piaciuto fosse al dispensatore de l'universo] Dante stellt
sein persönliches Schicksal und das Werk, das aus ihm ent-
standen ist, in den kosmologischen Horizont der Vorsehung
des Allverwalters. Er leitet in Buch II aus seinem eigenen
Liebesgedicht ein umfassendes wissenschaftliches und kos-
mologisches Weltbild ab und betreibt somit, in starkem Kon-
trast zu der objektivistischen Scholastik, Wissenschaft durch
die Thematisierung seiner eigenen Subjektivität. Für weitere
Verwendungen von 'dispensator' vgl. Mon., III, xv, 12;
Quaestio, 76.
pena •.. d 'essilio e di povertate] Dante wurde am 27. Januar
1302, im Abwesenheitsverfahren verbannt und am 10. März
1302 zum Tode verurteilt. Damit verlor der ehemalige Prior
von Florenz nicht nur seine gesellschaftliche Stellung, sondern
es wurde ihm auch seine materielle Grundlage entzogen. Auf
diese Schmach reagierte der Alighieri auf seine eigene Weise.
Er wurde zum Dichternomaden, der sich, „quasi mendicando"
(1, iii, 4), mit Schreiben poetischer und philosophischer Texte
an verschiedenen Fürstenhöfen ein Auskommen schuf. Noch
rund zehn Jahre nach der Niederschrift der Klage über seine
Armut im Conv. wird Dante im Schreiben an Cangrande della
Scala, Herrscher von Verona, diesen um materielle Unterstüt-
zung bitten, was darauf hindeutet, daß sich die finanzielle Si-
tuation Dantes, der zeit seines Lebens nicht mehr nach Florenz
zurückkehren kann, nie wirklich gebessert hat: "urget enim me
rei familiaris angustia" (Ep. XIII, 88; 642). Höchstwahr-
Kommentar zu Kap. iii, 4 105

scheinlich im Jahre 1304, etwa zur Zeit der Abfassung des


Conv. machte Dante Oberto und Guido von Aghinolfo, Grafen
von Romena, auf seine durch das Exil entstandene Armut auf-
merksam: „inopia paupertas, quam fecit exilium. Hec etenim,
velud effera persecutrix, equis armisque vacantem iam sue
captivitatis me detrusit in antrum, et nitentem cunctis exsurge-
re viribus, hucusque prevalens, impia retinere molitur" (Ep.
II, 7; 530). In eindrücklicher Weise hat Dante sein Schicksal
auch im Paradiso beschrieben: „Tu lascerai ogni cosa diletta
piü. caramente; e questo equello strale / ehe l' arco de lo essilio
pria saetta. Tu proverai si come sa di sale / lo pane altrui, e
come eduro calle / lo scendere e 'lsalirper l'altrui scale. Equel
ehe piü. ti gravera le spalle, sara Ja compagnia malvagia e
scempia / con la qual tu cadrai in questa valle" („Du wirst, was
dir am teuersten gewesen, verlassen, und dies ist die erste
Wunde, die dir wird schlagen der Verbannung Bogen. Du
wirst erfahren, wie das Brot der Fremde / gar salzig schmeckt,
und welche harten Stufen / auf fremden Treppen auf und ab zu
steigen. Jedoch die größte Last auf deinen Schultern, das sind
die dummen, bösen Weggenossen, mit denen du in dieses Tal
wirst fallen"; Par., XVII, 55-63). Als Dante-Biographie zu
empfehlen ist G. Petrocchi, Vita.

§4
figlia di Roma, Fiorenza] Mit der Bezeichnung von Flo-
renz als Tochter Roms verwendet der Alighieri eine zu seiner
Zeit geläufige Formel (vgl. G. Villani, Cronica 1, xli: „figli-
uola e fattura di Roma") und spielt auf die, zum Teil histori-
sche, zum Teil mythische, Gründungsgeschichte der Stadt an.
Die historischen Ursprünge von Florenz, eine von den Rö-
mern im 1. Jhd n. Chr. zur Überwachung der Furt und später
der Via-Cassia-Brücke gegründete Kolonie, wurden mit der
Zeit durch verschiedene Gründungsmythen überhöht. Anlaß
zum etruskisch-trojanischen Mythos war eine Stelle im Aen-
eis-Kommentar von Servius, wo dieser die sagenhafte Grün-
106 Kommentar zu Kap. iii, 4

dung der etruskischen Stadt Corytho durch Dardanus be-


schreibt (vgl. Servius, In Verg. Aen., III, 170; 78f.). Eine
andere Traditionslinie geht zurück auf Sallusts Bellum Catili-
narium (C. 56 ff.), wo die Gründung von Florenz mit der
Vertreibung und Bekämpfung des Aufständischen und in Ver-
bindung gebracht wird und die Dante zum Beispiel in Brunetto
Latinis Tresor nachlesen konnte: "Quant la conjuroison fu
descoverte et Je pooir Catelline fu affoibloie, il s'enfui en
Toschane en une cite ki avoit non Fiesle et la fist reveler contre
Rome. Mais li romain i envoierent grandesime ost, et tro-
verent Catelline au pie des montaignes o toute son ost et sa
gent cele part ou est ore la cite de Pistoire. La fu Catelline
vencus en bataille, e mort lui et li sien; neis une grant partie
des romains i fu ocise. Et par pestrine de cele grant occision fu
la citees apelee Pistoire. Apres ce assegerent li romain la cite
de Fiesle, tant k'il le venkirent e misent en sa subjection; et
lors firent il enmi !es plains ki est au pie des hautes montainges
u cele cites seoit une autre cite, ki ore est apelee Florence".
(Tresor, 1, 35; 45). Zu der florentinischen Historiographie im
Mittelalter vgl. A. Dei Monte, Lti storiografia florentina dei
secoli XII e XIII. Editionen der Chroniken des Sanzanomi und
der Chronica de origine civitatis, die die Legende der Tötung
des heldenhaften Begründers Florinus erzählen, bietet
O.Hartwig, Quellen und Forschungen zur ältesten Geschichte
der Stadt Florenz.
Auf den römischen Ursprung von Florenz weist Dante auch
in Inf, XV, 74-78 und in Ep. VI, 8 und VII hin, um die
aktuellen florentinischen Verhältnisse kontrastierend von der
ewigen Würde Roms abzuheben: „Vere matrem viperea feri-
tate dilaniare contendit, dum contra Romam cornua rebellio-
nis exacuit, que ad ymaginem suam atque similitudinem fecit
illam" (Ep. VII, 25; 570). Für Dantes Romverehrung vgl.
C. T. Davis, Dante and the Idea of Rome.
desidero ... m'e dato] Der von Dante oft geäußerte
Wunsch, das Exil zu beenden und nach Florenz zurückzukeh-
Kommentar zu Kap. iii, 4 107

ren, ging nicht in Erfüllung (vgl. VE, I, vi, 3; Rime, CIV,


101-107; CXVI, 76-84, Par., XXV, lf.).
perle parte quasi tutte „. andato] Dante weist darauf hin,
daß das Gebiet, das er nach seiner Exilierung durchwandert
hat, einen einheitlichen sprachlichen Raum ("questa lingua")
darstellt, an dessen Publikum sich seine in der Volkssprache
verfaßte Schrift wendet. Weder die nationalsprachliche Ein-
heit noch das Publikum entsprachen jedoch einer Realität,
sondern Dante versuchte, nicht ohne Erfolg, mit dem in einem
„piU alto stilo" (1, iv, 13) verfaßten Conv. und mit dem
sprachtheoretischen Traktat VE diese Realitäten zu schaffen
und damit auf einer höheren Ebene zu reproduzieren, was ihm
durch die Vertreibung aus Florenz verloren gegangen war,
nämlich ein Publikum, das seine volkssprachliche Dichtung
versteht und zu schätzen weiß, und eine ehrenvolle gesell-
schaftliche Stellung. Dante nennt sich deshalb "ytalus" (Ep.
V, 1; 540) und spricht von „nos Ytali" (VE, 1, xviii, 2; 136).
la piaga de la fortuna ... imputata] Zum hier ausgespro-
chenen Gedanken der ungerechten Fortuna vgl. Boethius, Phi-
losophiae consolatio, 1, 4, 19; 8: "Itane nihil fortunam pudicit
si minus accusatae innocentiae, ac accusantium vilitas?" Vgl.
auch II, 1; II, 8. Der Terminus 'fortuna', dessen Bedeutungs-
feld bei Dante durch antike, vor allem durch Boethius vermit-
telte Behandlungen des Themas bestimmt ist, steht in gewisser
Spannung zur Lehre des freien Willens. Seine mit dem Schick-
sal hadernde und quasi deterministische Auffassung vonfortu-
na tritt am deutlichsten in Inf, VII, 67-96, hervor, wo Vergil
der Fortuna die necessita, der sich kein sterblicher entziehen
kann, zuspricht: „Le sue permutazion non hanno triegue; ne-
cessit:ä la fa esser veloce". (V. 89). Die deterministischen
Konsequenzen dieses Verständnisses der fortuna brachte Dan-
te ein paar Jahre nach seinem Tod die bittere Kritik des Bolo-
gneser Magister Cecco d'Ascoli ein. Vgl. Acerba, II, 1: „In
cio peccasti, fiorentin poeta, ponendo ehe li ben della fortuna
/ necessitati sien eo* llor meta. Non e fortuna ehe ragion non
108 Kommentar zu Kap. iii, 5

vinca. Or pensa, Dante, se pruova nessuna I se puo piü fare ehe


questa si vinca. Fortuna non e altro ehe disposto / cel ehe
dispone cosa animata, qual disponendo, se truova l'oposto,
non vien necessitato 'l ben filice. Essendo in liberta l'alma
creata, fortuna in lei non puo, se contradice. Substanza sanza
corpo non riceve / da questi celi, pero lo 'ntelletto / mai a
fortuna subiacer non deve. S'io fui disposto e fui filice nato, e
conseguir dovea il grand'effetto, i'posso non voler: star dal
lato, ehe 'n suo balia ha l'alma el suo volere, l'arbitrio aquista
lo suo merto; non puo necessita in lui cadere". Bereits im 1324
entstandenen Kommentar zum lnf. sah sich Graziolo de' Bam-
baglioli gezwungen, im Kommentar zur oben genannten Stelle
Dante gegen den Determinismusvorwurf zu verteidigen: "Sed
quamvis ista verba sonent, quod fortuna sie ducet et influat in
istis temporalibus et quod humana prudentia adversus permu-
tationes et actus huius fortune providere vel operari non possit,
nichilominus pro conservatione honoris et nominis huius vene-
rabilis auctoris, ne per obloquentium vel detrahentium ali-
quorum notam eius vere scientie et virtuti derogare contingat,
< ... > advertendum est igitur et sciendum, quod ipse deus,
qui est causa prima a quo omnia causantur per istas sperarum
et celestium influentias orbium tamquam per causas secunda-
rias et in inferioribus istis operantur et influit aliquando per
neccesitatem aliquando per dispositionem vel qualitatem".
(Siena, Bibi. Com. l.Vl.31, fol. 13v).

§5
legno sanza velo „. povertade] Vgl. Ps.-Thomas, In Boe-
th. de consol. phil., 1.1, c.9, 247f.: „Nota: Boetius comparat
fortunam salo, idest mari. Sicut enim navis undis marinis jac-
tatur in altum nunc, et nunc in profundum; sie homo per for-
tunam nunc in adversitate dejicitur". Vgl. lbidem, l. 5, c. 2,
37: "quia unda faciet concurrere fortuito naves et truncos".
apparito a li occhi .•• in altra forma] An dieser Stelle wird
zum erstenmal die in 1, iv erörterte negative Wirkung der
Kommentar zu Kap. iii, 6.7-11 109

Anwesenheit für den Ruf einer Person thematisiert. Dante


bewertet sein Wanderleben im Exil und seine physische An-
wesenheit an vielen Orten als schädlich für die f ama seiner
Person und seiner Werke.

§6
la presenzia oltre la veritade stringe] In dem für unecht
gehaltenen Brief an Guido da Polenta (vgl. R. Migliorini Fis-
si, La lettera pseudo-dantesca) wird Vergil fälschlicherweise
das Zitat „Minuit praesentia famam" (Claudianus, De bello
gildonico, 385) zugesprochen, das in prägnanter Form den
von Dante hier und in 1, iv geäußerten Gedanken wiedergibt.
Vgl. P. Fraticelli, // Convito di Dante A. e le Epistole, 481).
Interessanterweise spielt das Verhältnis vonfama und prae-
sentia in den Bibelkommentaren eine gewisse Rolle in bezug
auf Christus, der zunächst durch den Ruf und später durch
seine physische Erscheinung bekannt wird: Vgl. Augustinus,
In Johannis evangelium tractatus, 15, 33: „non iam propter
verbum tuum credimus, sed ipsi cognovimus, et scimus quia
vere hie est salvator mundi; primo per famam, postea per
praesentiam". Vgl. Thomas von Aquino, Catena Aurea in
Joannem, 4, 9: „sie ergo primo Christum cognoverint per
famam postea per praesentiam". Ferner: „Per descendere igi-
tur ad locum, et per examinare seu inquirere de veritate cla-
moris seu famae, an ita sit sicut dicitur, an non, significat
praesentiam et efficaciam ac diligentiam divinae justitiae et
scientiae super veritate judicandorum" (Ps. -Thomas, Postilla
in librum Geneseos, c. 18).

§§7-11
Dante entwickelt in den§§ 7-11, die den ersten in § 6 ge-
nannte Grund seiner Herabwürdigung ausführen, eine Ontolo-
gie der fama als unendliche, von dem wahren Zustand einer
Sache sich immer weiter entfernende Steigerung einer reinen
Vorstellung im Geiste der Menschen. Der gute Ruf ist das
110 Kommentar zu Kap. iii, 7; iv, 3

mentale Produkt eines wohlgesinnten Freundes und wird von


diesem wissentlich oder unbewußt über die Wahrheit hinaus
ausschmückt und weitergegeben. Jede weitere Person in der
Reihe der Überlieferung der fama leistet, wie der Freund, das
ihrige zur Vergrößerung des Rufs, so daß es zu einer unendli-
chen Steigerung kommt. Derselbe Prozeß unter negativen
Vorzeichen ist, wie Dante in § 10 erörtert, ebenfalls möglich;
der Ruf ist also immer ein der Wirklichkeit nicht entsprechen-
des, mehrfach vermitteltes Scheinwissen, das als ens rationis
nur im Geiste der Menschen existiert. Damit sind die Voraus-
setzungen zum Verständnis des Kapitels iv geschaffen, denn
durch die Anwesenheit der entsprechenden Person kann der in
jedem Falle aufgeblasene oder verzerrte Ruf an seinem Objekt
gemessen und widerlegt werden. Bemerkenswert ist, daß
Dante nicht auch die Möglichkeit der Korrektur des schlech-
ten Rufs durch die Anwesenheit der Person thematisiert.

§7
Virgilio •.• mobile] Vgl. Virgil, Aen., IV, 175: „Fama,
malum qua non aliud velocius ullum: mobilitate viget virisque
adquirit eundo, parua metu primo, mox sese attollit in auras /
ingrediturque solo et caput inter nubila condit".

Kapitel iv

§3
puerizia ... non dico d'etate ma d'animo] Vgl. IV, xvi, 5:
„e non epargolo uomo pur per etade, ma per costumi disordi-
nati e per difetto di vita, si come n'ammaestra lo Filosofo nel
primo de l' Etica". Dante bezieht sich folglich bei dieser Un-
terscheidung auf Eth. Nie., 1, 1; 143: „Differt autem nichil
iuvenis secundum etatem, vel secundum morem iuvenilis.
Non enim a tempore defeccio, set propter secundum passio-
nem vivere, et persequi singula".
Kommentar zu Kap. iv, 4 111

a guisa di pargoli ... secondo la loro veduta] Vgl. Thomas


von Aquino, Sent. Eth., III, 4; 130: "pueri operantur secund-
um passionem appetitus sensitivi: non autem secundum appe-
titum intellectivum, quia carent usu rationis". Bei dem hier
vorgetragenen Vergleich der meisten Menschen mit den Kin-
dern beklagt Dante, im Gegensatz zu den von Busnelli/Van-
delli und auch von Vasoli (Kommentar zur Stelle) an
gegebenen Stellen bei Aristoteles und Thomas, weniger die
Leidenschaftlichkeit der Menschen, als in epistemologischer
Absicht einen unkritischen Glauben an den Gesichtsinn und
das Gehör, der die Menschenkinder die Dinge nur äußerlich
und nicht in ihrem inneren Wesen erkennen läßt. Diese auf
einem strengen Dualismus von Sinn und Geist beruhende Kri-
tik an einem naiven Vertrauen auf die Sinne und die dazu
verwendete Metapher der geschlossenen Augen des Geistes
("chiusi li occhi de la ragione") erinnern stark an Augustinus:
"Hinc iam cui oculi mentis patent nec pernicioso studio vanae
victoriae caligant atque turpantur, facile intelligit. (De vera
religione, c. 19, 37, 99); „oculi membra sunt carnis, fene-
strae sunt mentis; interior est qui per has videt; quando cogi-
tatione aliqua absens est, frustra patent" (Enarrationes in
Psalmos, psalmus 41, 7). Dante evoziert einen Zusammen-
hang zwischen der Beschränktheit der sinnlichen Wahrneh-
mung und seiner physischen Beschränktheit, die bei seiner
Präsenz erkennbar wird und die sich stark von der unendlich
steigerungsfähigen f ama unterscheidet.

§4
per udita] Die Bezeichnung der Entstehung der fama „per
udita" geht einher mit einer Geringschätzung der sinnlichen
Wahrnehmung, die im Mittelalter durchaus ihre Tradition hat,
die aber ein theologisches und exegetisches Problem darstell-
te, wenn es darum ging, das Paulinische Wort "fides ex auditu
auditus" (Röm. 10, 17) zu deuten. Der von Dante verwendete
Ausdruck, der die Inadäquatheit der fama zum Ausdruck brin-
112 Kommentar zu Kap. iv, 4

gen soll, kommt in mittelalterlichen Texten hauptsächlich bei


der Erörterung des christlichen Glaubens vor (73 von 75 Ver-
wendungen von 'ex auditu' bei Thomas von Aquino beziehen
sich auf das Bibelwort), von denen sich Dantes eher abschät-
zige Betrachtung des Wahrnehmens ex auditu stark unter-
scheidet. Die Abhängigkeit des Glaubens von der sinnlichen
Wahrnehmung des Hörens brachte nach Augustinus auch die
mittelalterlichen Theologen in Verlegenheit. Auch Thomas
von Aquino verinnerlicht den Akt des Hörens, um den Status
des Glaubens nicht auf die Stufe der sinnlichen Wahrnehmung
stellen zu müssen: „Quia quantum ad ipsum credendorum di-
citur esse ex auditu: quia determinatio credendorum fit in no-
bis per locutionem interiorem qua deus nobis loquitur" (Sent.
III, dis. 23, q. 3, a. 2).
An die Erörterung der fama in § 4 knüpft Dante in der Ep.
XIII, 2 an, wo er über den Ruf Cangrandes schreibt, er habe
ihn nur vom Hören gekannt und nicht geglaubt, sei dann nach
Verona gegangen, um das Gehörte mit den Augen zu prüfen
und habe festellen können, daß es der Wahrheit entsprach:
„Huius quidem preconium, facta modemorum exsuperans,
tanquam existentia latius arbitrabar aliquando superfluum.
( ... ) Veronam petii fidis oculis discursurus audita, ibique
magnalia vestra vidi, vidi beneficia simul et tetigi; et quemad-
modum prius dictorum ex parte suspicabar excessum, sie po-
sterius ipsa facta excessiva cognovi. Quo factum ut ex auditu
solo cum quadam animi subiectione benivolus prius existerim,
sed ex visu postmodum devotissimus et amicus" .
Im Sinne Dantes hielt schon Friederich II. fest, daß durch
Hörensagen keine Gewißheit erreicht werden kann: „In scri-
bendo etiam Aritotelem ubi oportuit secuti sumus, in pluribus
enim sicut experientia didicimus maxime in naturis avium
quarundam discrepare a veritate videtur. Propter hoc non se-
quimur principem philosophorum in omnibus, raro namque aut
nunquam ventationes avium exercuit, sed nos semper dilexi-
mus et exercuimus. De multis vero que narrat in libro anima-
Kommentar zu Kap. iv, 5.6 113

lium dicit quosdam sie dixisse, sed id quod quidam sie dixerunt
nec ipse forsan vidit nec dicentes viderunt, fides enim certa non
provenit ex auditu" (Friedrich II., De arte venandi; 313).
§5
ohme, quasi tutti] Im ersten Kapitel bezeichnete Dante das
Vorhaben seines Kommentars als Vermittlung von Wissen-
schaft für die ungebildete Mehrheit der Menschen als Akt voll-
kommener Freigiebigkeit. Aus dem hier vorliegenden
Abschnitt wird erneut deutlich, daß er damit auch das persön-
liche Ziel verfolgt, seine angeschlagene fama wiederherzustel-
len und sein ungebildetes Publikum auf einen Wissenstand zu
bringen, der es diesem erlaubt, seine Texte und seine Person
zu begreifen.
Questi cotali •.• ragione] Direkt oder indirekt zugrunde
liegt den Ausführungen Dantes über die schnell wechselnden
Launen und Leidenschaften der Jugend eine von Busnelli/
Vandelli signalisierte Stelle bei Aristoteles: „Iuvenes quidem
igitur secundum mores sunt concupiscitivi ... facile autem pe-
rmutabiles, cito saturabiles ... mori enim vivunt magis quam
ratiocinationi ... amant enim valde et odiunt valde (Rhet., II,
12; 247f.). Laut Vasoli vgl. auch Eth. Nie., VIII, 3; 301:
„Iuvenum autem amicicia propter delectationem esse videtur.
Secundum passionem enim isti vivunt, et maxime persequ-
untur delectabile ipsis, presens . . . Propter quod velociter
fiunt amici, et quiescunt".
§6
paritade ne li viziosi e cagione d'invidia] Auch hier kann
mit Busnelli/Vandelli auf Aristoteles verwiesen werden: „in-
videbunt enim tales quibus sunt aliqui similes aut videntur"
(Rhet., II, 10; 244). Dante könnte aber auch die folgende Stelle
bei Thomas im Auge gehabt haben: „Sed similitudo est causa
invidiae, dicit enim Philosophus, in II. Rhet., invidebunt tales
quibus sunt aliqui similes" (Sum. theol., 11-11, 36, 1, ad 2).
Dante schränkt in § 7 die Ähnlichkeit ein auf die Kraft der
114 Kommentar zu Kap. iv, 7

Glieder, geht also nicht davon aus, daß ihm andere in bezug auf
den Geist ähnlich sind und ihn deshalb beneiden. Es ist die
körperliche Ähnlichkeit mit den gewöhnlichen Leuten, die bei
der Anwesenheit des Berühmten hervortritt und die Diskre-
panz zur fama vergegenwärtigt.
giudice ehe ode pur l'una parte] Dante spielt hier auf die
juristische Regel des Anhörens beider Parteien an, die in der
Antike, obwohl schon bei den Griechen geläufig (vgl. Leutsch-
Schneidwin, Paroemiographi Graeci, II, 759) noch in keine
einheitliche Formel gefaßt worden war. Sie läßt sich bei Sen-
eca (Medea, 199f.) nachweisen: („Qui statuit aliquid parte
inaudita altera, aequum licet statuerit, haud aequus fuit") und
ist auch Augustinus bekannt gewesen: „Audi partem alteram!"
(De duabus animabus, 22; 78). In der juristischen Literatur
kommt folgende Stelle aus den Digesten dem hier von Dante
aufgenommenen Gedanken am nächsten: „ neque enim inau-
dita causa quemquam damnari aequitatis ratio patitur" (Dig.
48, 17, 1). Eine metaphorische Übertragung dieser Rechtsre-
gel auf die Philosophie findet sich im Mittelalter bei Thomas
von Aquino, In Met., III, 1. 1, n. 342: „injudiciis nullus potest
judicare nisi audiat rationes utriusque partis, ita necesse est
eum, qui debet audire philosophiam, melius se habere injudi-
cando si audierit omnes rationes quasi adversariorum dubitan-
tium". Dante bezichtigt seine Neider, diesen traditionsreichen
Grundsatz mißachtet zu haben.

§7
Onde ... pregiati] Thomas von Aquino, Sum. theol., 11-11,
36, 1, c: „Alio modo bonum alterius aestimatur ut malum
proprium, inquantum est diminutivum propriae gloriae vel ex-
cellentiae. Et hoc modo de bono alterius tristatur invidia".
Vgl. dazu Purg., XVIII, 118-120: „e chi podere, grazia, ono-
re e fama/ teme di perder perch'altri sormonti; / onde s'attrista
sl ehe '! contrario ama".
a s[e) Zur Textkritik vgl. Vasoli, Kommentar zur Stelle.
Kommentar zu Kap. iv, 8.9.11 115

§8
passionati mal giudicano] Für die verbreitete Lehre, daß
die Leidenschaften die Urteilkraft einschränkten vgl. Thomas
von Aquino, Sum. theol., 1-11, 7, 2: "passio trahit rationem
ad iudicandum in particulari contra scientiam quam habet in
universali" .
Zum Schluß des Paragraphen formuliert Dante noch einmal
sein nun erreichtes Beweisziel des zweiten Grundes: Die An-
wesenheit einer herausragenden Person erzeugt den Neid, der
als Frucht des Verlustes der eigenen Hochschätzung bezeich-
net wird, der Neid wiederum beeinträchtigt das Urteilsvermö-
gen der Neider, was diese dazu bewegt, die beneidete Person
zu diffamieren.

§9
umana impuritade] Dante beruft sich in diesem § auf die
Unvollkommenheit des Menschen. Daß er damit nicht nur die
Sündhaftigkeit im christlichen Sinne meint, wird im folgenden
Paragraphen deutlich, wo er auch physische Mängel und au-
ßerhalb der menschlichen Verfügbarkeit liegende Leiden-
schaften und Schicksalsschläge aufzählt. Es geht hier ganz
allgemein um den Menschen als Mängelwesen.
come dice Agustino] Dante zitiert nicht nach einer Vorlage,
denn das Zitat läßt sich nicht wörtlich nachweisen. Vgl. etwa:
„dimitte nobis debita nostra, non utique hie est sine macula aut
ruga aut aliquid eiusmodi". (Retract., 1, c. 7; 21). „sie et
agnus singulariter, solus sine macula, sine peccato". (In loh.,
tract. 7, § 5). „ornnes sub peccato nascimur" (Contra Iulia-
num opus impeifectum, l. 2, § 113.

§ 11
ciascuno profeta e meno ••• sua patria] Vgl. Lc 4, 24; Jo
4, 44; Mc 6, 4; Matth. 13, 57. Der Kommentar des Thomas
von Aquino zur Stelle im Matthäus-Evangelium: „Et quae est
ratio, quare nullus in patria sua honoratur? Una ratio est, quia
116 Kommentar zu Kap. iv, 13

quando est in patria sua, multi qui cognoscunt infirma sua,


semper reducunt in memoriam infirma: hoc enim est malitia
hominum, ut magis infirma cogitent quam perfecta. Alia po-
test assignari, quia dicit Philosophus quod populus multum
paralogizatur, quia credunt quod in aliquo pares, in omnibus
pares sint. Unde quando aliquis est in patria sua, cum vident
eum parem sibi in aliquo vel in genere, vel aliis, credunt quod
non possit esse maior" (Super Evangelii S. Matthaei Lectura,
n.1213).

§ 13
In diesem Schlußparagraphen des vierten Kapitels erklärt
Dante, warum die oben abstrakt erörterte Tatsache, daß die
Anwesenheit den Ruf schmälere, in besonderem Maße auf ihn
zutrifft. Als Folge des Exils sah er sich gezwungen, von Ort zu
Ort zu reisen, wodurch beinahe alle Italiener nicht nur mit
seinem Ruf, sondern auch mit seiner physischen Erscheinung
und mit seinen entsprechenden Mängeln bekannt wurden.
Ganz Italien wurde so zu seinem eigenen Lande, in dem er als
Prophet weniger gilt. Diese Tatsache rechtfertigt es, daß er
seinen Kommentar in einem höheren Stil verfaßt, um seinen
Aussagen und seiner Verteidigung das nötige Gewicht und zu
geben.
mi sia quasi a tutti li Italici appresentato] Für die Zeit bis
zur ungefähren Abfassung des Conv. lassen sich folgende
Etappen seines Umherwanderns rekonstruieren: Dante war im
Jahre 1302 bei einer Zusammenkunft der aus Florenz Vertrie-
benen in San Godenzo anwesend, im Jahre 1303 war er als
Sekretär bei Scarpetta Ordelaffi in Forli und als Gesandter in
Verona tätig. Danach verlieren sich die eindeutigen Spuren
seines ruhelosen Itinerariums; Aufenthalte in Treviso, Bolo-
gna und Venedig sind wahrscheinlich. Erst für 1306-1307 ist
wieder ein sicheres Zeugnis vorhanden. Dante weilte in jener
Zeit in Lunigiana im Umkreis des Markgrafen Moroello Ma-
laspina. Casentino und Lucca beherbergten danach bis späte-
Kommentar zu Kap. v-xiii 117

stens 1309 den Dichternomaden. Zu diesen Angaben vgl. G.


Petrocchi, Biografia, in: ED, Appendice, 30-35.
gravezza .•• autoritade] Vgl. Cicero, Brutus, XXIX, 111:
„ gravitas summa et naturalis quaedam inerat auctoritas". Vgl.
VE, II, iv, 7: „Stilo equidem tragico tune uti videmur quando
cum gravitate sententie tarn superbia carminum quam con-
structionis elatio et excellentia vocabulorum concordat. Qua-
re, si bene recolimus summa summis esse digna iam fuisse
probatum, et iste quam tragicum appellamus summus videtur
esse stilorum, illa que summe canenda distinximus isto solo
sunt stilo canenda: videlicet salus, amor et virtus et que prop-
ter ea concipimus, dum nullo accidente vilescant". Im Gegen-
satz zu VE rechtfertigt Dante hier im Conv. die gravezza des
Stils nicht mit dem Inhalt der Kanzonen (Liebe und Tugend),
sondern einzig mit der Wiederherstellung der fama.
fortezza] Vgl. IV, xxi, 6: „Non si maravigli alcuno, s'io
parlo si ehe par forte ad intendere".

Kapitel v-xiii

Mit Kapitel v beginnt die von Dante in den Kapiteln v-xiii


durchgeführte Rechtfertigung der Abfassung des Kommentars
in der Volkssprache. Auch dieser Teil der Schrift ist streng
gegliedert und umfaßt, wie von Dante selbst in v, 2 angegeben,
drei Rechtfertigungsgründe: 1. die teleologische Beziehung
zwischen Text und Kommentar. 2. die Bereitschaft zur Freige-
bigkeit und 3. die Liebe zur Volkssprache. Es lohnt sich, die
gesamte Struktur der Kapitel v-xiii zu überblicken, denn es
zeigt sich auch hier, welch streng komponiertes Werk dieses
erste Buch des Conv. ist. Es wurde bereits daraufhingewiesen,
daß Dante seinen Rechtfertigungs teil der Mängel des Kommen-
tars in drei Teilen vorträgt: 1. Das Selbstkommentieren (akzi-
denteller Mangel); 2. Die „Härte" des Stils (akzidenteller
Mangel); 3. Die Abfassung in der Volkssprache (substantieller
118 Kommentar zu Kap. v-xiii

Mangel). Der dritte hier zu behandelnde Teil der Rechtferti-


gung der Volkssprache weist in sich wiederum eine Dreiteilung
auf: 1. der Rechtfertigungsgrund der teleologischen Ordnung
(v-vii); 2. der Grund der Freigebigkeit (viii-ix) und 3. der
Grund der übergroßen Liebe zur Volkssprache (x-xiii). Der
erste, teleologische Grund ist seinerseits in drei Abschnitte
eingeteilt: a) die Unterordnung in bezug auf das Ziel (v); b) die
Kenntnis des Ziels (Kapitel vi) und c) der Gehorsam (Kapitel
vii). Die Erörterung des zweiten Grundes, die Freigebigkeit,
weist ebenfalls drei von Dante in viii, 2 explizit hervorgehobe-
ne Strukturelemente auf: a) vielen zu geben (viii, 4); b) nütz-
liche Dinge zu geben (Kapitel viii, 5-15) und c) ohne gefragt
zu werden zu geben (viii, 16-17). Auch der Abschnitt über den
dritten Grund, die natürliche Liebe zur Volkssprache, ist laut
Dante dreigeteilt: a) die natürliche Liebe zur Volkssprache (x);
b) die Verteidigung gegen Ankläger der Geliebten (xi) und c)
die vollkommene Liebe zur Volkssprache (xii-xiii). Durch
diese Ausführungen, die unten mit einer Tabelle veranschau-
licht werden, wird eine Faszination Dantes für die Struktur der
Dreiheit sichtbar, der entsprechend er den zweiten Teil seines
erstes Buches (Kapitel ii-xiii) in wesentlichem Maße struktu-
riert hat. Insbesondere gilt dies für den dritten, die Rechtfer-
tigung des substantiellen Mangels darlegenden Teil, der die
Struktur der Dreiheit auf drei Ebenen enthält: Der substantielle
Mangel der Volkssprache ist einer von drei Mängeln. Der
diesem Mangel gewidmete Teil (v-xiii) hat drei Teile: 1. die
teleologisch Ordnung (v-vii), 2. die Freigebigkeit (viii-ix), und
3. die Liebe (x-xiii). Jeder dieser drei Teile hat wiederum drei
Teile: 1. Die teleologische Ordnung verzweigt sich in: a) die
Unterordnung (v), b) die Kenntnis des Herrn (vi), und c) den
Gehorsam (vii). 2. die FreigebigkeitteiltDante auf in: a) vielen
etwas zu geben (viii, 3-4; ix, 2-5), b) nützliche Dinge zu geben
(viii, 5-15; ix, 6-9), c) geben, ohne zu fragen (viii, 16-17; ix,
10). 3. Die Liebe zur Volkssprache schließlich enthält die drei
Abschnitte zu a) der natürlichen Liebe (x), b) eine Verteidi-
Kommentar zu Kap. v-xiü 119

gungsrede gegen die Ankläger der Volkssprache (xi) und c)


einen Teil, der der vollkommenen Liebe zur Volkssprache
gewidmet ist (xii-xiii). Wer will, kann aus aus der Tatsache,
daß sich dreimal eine Drei-Struktur ergibt, mit einiger Be-
rechtigung die Zahl Neun herauslesen. Diese Zahl hatte für
Dante eine herausragende Bedeutung, denn er sieht in ihr einer-
seits Beatrice, andererseits allgemein die Vollkommenheit
symbolisiert: „Perche questo numero fosse in tanto amico di
lei, questa potrebbe essere una ragione: con ciö sia cosa ehe,
secondo Tolomeo e secondo la cristiana veritade, nove siano li
cieli ehe si muovono, e secondo comune oppinione astrologia,
li detti cieli adoperino qua giuso secondo la loro abitudine
insieme, questo numero fue amico di lei per dare ad intendere
ehe ne la sua generazione tutti e nove li mobili cieli perfettis-
simamente s'aveano insieme. Questa euna ragione di cio; ma
pill sottilmente pensando, e secondo la infallibile veritade,
questo numero fue ella medesima; per similitudine dico, e cio
intendo cosi. Lo numero tre ela radice del nove, pero ehe, sanza
numero altro alcuno, per se medesimo fa nove, si come vedemo
manifestemente ehe tre via tre fa nove. Dunque se lo tre efattore
per se medesimo del nove, e lo fattore per se medesimo de li
miracoli etre, cioe Padre e Figlio e Spirito Santo, li quali sono
tre e uno, questa donna fue accompagnata da questo numero del
nove a dare ad intendere ch'ella era uno nove, cioe uno mira-
colo, la cui radice, cioe del miracolo, e solamente la mirabile
Trinitade. Forse ancora per pill sottile persona si vederebbe in
cio pill sottile ragione; ma questa equella ch'io ne veggio, e ehe
pill mi piace". (Vita Nuova, XXIX). Aufgrund dieses Textes
aus der Vita Nuova und aufgrund des im Conv. wiederkehren-
den Motivs der neun Himmelssphären (II, iii, 6 und II, v, 12),
denen neun Wissenschaften zugeordnet werden, kann die oben
freigelegten Drei-mal-drei-Struktur des Convivio-Textes, die
auch in Buch III wiederkehrt, durchaus mit Dantes Zahlensym-
bolik und Faszination mit der Formel 3x3 =9 in Beziehung
gebracht werden. Dante komponiert einen Teil seiner Einlei-
120 Kommentar zu Kap. v-xiii

tung nach diesem Schema und läßt damit eine Symbolik anklin-
gen, die in seiner früheren Vita Nuova die Vollkommenheit
Beatrices zum Ausdruck brachte. Die neun Himmel symboli-
sieren in Conv., II die neun Wissenschaften, die, wie aus den
ersten§§ des Conv. hervorgeht, den Menschen zur Vollkom-
meneheit führen. Die Transformation der Beatrice der Vita
Nuova in die donna gentile, in die Philosophie des Conv. geht
einher mitder Übertragung der für die Vollkommenheit stehen-
den Zahlensymbolik von Beatrice auf die Textstruktur des
Conv., die den sogenannt substantiellen Mangel des Textes
rechtfertigt (1, v-xiii) und auf die neun Wissenschaften, die
nicht mehr für die Vollkommenheit Beatrices, sondern für
diejenige aller Menschen stehen. Daß die Philosophie die
Vollkommenheit des Menschen ist, bringt Dante auch durch die
3x3- Struktur des dritten Buches zum Ausdruck, das das Lob
der Philosophie enthält (siehe Einleitung zu Buch III). Viel-
leicht sieht eine subtilere Person in der hier dargelegten Sym-
bolik noch subtilere Dinge, aber dies ist, was ich darin sehe und
was mir am meisten gefällt.
Kommentar zu Kap. v-xiü 121

Unterordnung (v)

teleologische Ord- Kenntnis des Herrn


nung Kommentar- und seiner Freunde
Text; (v-vii) (vi)

Gehorsam
(vii)

vielen geben
(viii, 3-4; ix, 2-5)

Rechtfertigung Freigebigkeit nützliche


der Volkssprache (viü-ix) Dinge geben
(v-xüi) (viii, 5-15; ix, 6-9)

geben, ohne gefragt


zu werden
(viii, 16-17; ix, 10)

natürliche Liebe (x)

Liebe zur Verteidigung der


Volkssprache Geliebten gegen
(x-xiii) die Ankläger (xi)

vollkommene Liebe
(xii-xiii)
122 Kommentar zu Kap. v-vii

Kapitel v-vii

Die Kapitel v-vii befassen sich mit dem ersten Rechtferti-


gungsgrund der Volkssprache: der richtigen Zuordnung von
Kommentar und Text. Kapitel v leitet den Beweis der Recht-
mäßigkeit des volkssprachlichen Kommentars zu den volks-
sprachlichen Kanzonen mit einer teleologisch-ethischen Über-
legung ein (§§ 4-5): So wie ein Habitus der Seele, zum
Beispiel die Kühnheit, auf ein intendiertes Ziel hingeordnet
ist, in Falle der Kühnheit ist es die Ritterlichkeit, und so wie
die besagte Habitus die dem Ziel entsprechenden Veranlagun-
gen haben muß, nämlich Unterordnung unter das Ziel, Kennt-
nis des Ziels und Gehorsam gegenüber der Hinordnung auf
das Ziel, so muß auch der Kommentar in Bezug auf den zu
kommentierenden Text diesen Kriterien genügen, denn er
steht gewissermaßen wie ein Diener im Dienst des Textes. Die
drei der teleologischen Rechtfertigung gewidmeten Kapitel v-
vii sind nach den drei von Dante in v, 5 erwähnten Veranla-
gungen aufgeteilt. Kapitel v behandelt die gebotene Unter-
ordnung des Kommentars unter den Text; Kapitel vii zeigt,
wie ein lateinischer Kommentar seinem Text gegenüber das
Gebot der Kenntnis verletzt hätte und ein unwissender Diener
gewesen wäre, und Kapitel vii argumentiert, daß ein lateini-
scher Kommentar seinem volkssprachlichen Text gegenüber
ungehorsam wäre. Sämtliche drei Beweise enthalten in einem
Teil eine Argumentation ad impossibile, aus der Prämisse ei-
nes lateinischen Kommentars ergäbe sich etwas Unmögliches
oder Falsches. (Vgl. Petrus Hispanus, Tractatus, VII, 164;
173f: "Sillogismus autem ad impossibile est quando sillogi-
stice ducitur ad aliquod impossibile et propter hoc interimitur
aliqua premissarum"). Der ostensive Teil der Beweise, näm-
lich daß die Bedingungen vom volkssprachlichen Kommentar
erfüllt werden, fällt Dante leicht, weil die Kanzonen in der
Volkssprache verfaßt sind und sich daraus die erforderlichen
Entsprechungen auf natürliche Weise ergeben. Trotzdem
Kommentar zu Kap. v 123

führt Dante auch diesen Beweisschritt jeweils recht ausführ-


lich durch.
Dante entwickelt in den Kapiteln v-vii eine Analogie zwi-
schen einem teleologische begründeten Tugendmodell, das
gewisse Veranlagungen im Menschen im Hinblick auf be-
stimmte intendierte Handlungen als notwendig aufweist, und
der Beziehung zwischen Kommentar und Text. Er moralisiert
in gewissem Sinne das Kommentieren von Texten und stellt an
den Kommentar die Anforderungen eines tugendhaften, das
heißt unterwürfigen, gut informierten und gehorsamen Die-
ners. Wie der Hinweis in v, 10 auf VE zeigt, ist das zu recht-
fertigende Unterfangen eines philosophischen Kommentars in
der Volkssprache Teil eines größeren Projektes Dantes, das
sich allgemein mit dem Thema der Spache und der Sprache der
Philosophie auseinandersetzt und das auch in einem breiteren
geistesgeschichtlichen Kontext verstanden werden muß, denn
die Wahl der Sprache steht in direktem Zusammenhang mit
Dantes Ziel, die Philosophie einem breiteren Laienpublikum
zugänglich zu machen. Vgl. dazu R. Imbach, Laien in der
Philosophie, bes. p. 43-53. Dante beeinflußt mit seiner Recht-
fertigung eines volkssprachlichen philosophischen Kommen-
tars wie auch mit dem theoretischen Traktat VE eine bis in die
Neuzeit reichende sprachphilosophische Auseinandersetzung
um Schrift- und Wissenschaftssprache (vgl. dazu G. Di Pino,
Antidantismo del Trecento al Cinquecento; C. Grayson, A
Renaissance Controversy: Latin or Italian?; G. Vecchi, Gio-
vanni del Virgilio e Dante. La polemica tra latino e volgare
nella corrispondenza poetica; K.-0. Apel, Die Idee der Spra-
che; M. Tavoni, Latino, Grammatica, Volgare).

Kapitel v

In Kapitel v führt Dante den ersten der drei teleologischen


Gründe für die Wahl der Volkssprache aus. Nach den§§ 1-6,
in denen der Struktur-und Inhaltsplan der Kapitel v-vii ent-
124 Kommentar zu Kap. v, 1

worfen wird, kommt Dante in § 7 auf die in seinem auf die


Beziehung Kommentar-Text übertragenen teleologischen Tu-
gendmodell erforderliche Unterordnung des Kommentars in
bezug auf den Text zu sprechen und unterteilt seine diesbezüg-
lichen Ausführungen erneut in drei Argumentationsschritte,
denn der lateinische Kommentar wäre erstens durch seinen auf
Unveränderlichkeit beruhenden Adel(§§ 7-9), zweitens durch
seine Tugend (§§ 11-12) und drittens durch seine Schönheit
(§§ 13-14) dem volksprachlichen Text nicht unter-, sondern
übergeordnet gewesen. In § 10 stellt Dante zu seinen Ausfüh-
rungen die Schrift VE in Aussicht, in der er sich ausführlicher
zu diesem Thema zu äußern beabsichtigt.

§1
biado e non di frumento] Dante nimmt hier seine Brotme-
tapher wieder auf und bezeichnet die Volkssprache als Ger-
stenbrot, das im Vergleich zum Weizen eine einfachere Speise
darstellt. Von welch gesellschaftlicher Relevanz diese bildhaf-
ten Ausführungen Dantes sind, wird deutlich wenn mit R.
Imbach (La.ien, 133) diese Metapher einer Stelle aus dem Joel-
Kommentar Alberts des Großen gegenübergestellt wird:
"Frumentum est refectio spiritualis quae clericis et religiosis
proponenda est. Hordeum autem, quod grossum et aspreum
est, grossam significat doctrinam corporalibus similitudinibus
propositam, quae laicis exhibenda est sicut iumentis. Et cum
laica peteret panem delicatum respondit: non est bonum sume-
re panem filiorum et mittere canibus". (Albert der Große, In
Joel prophetam enarratio, c. 1, n. 11; 141). Der sicherlich
nicht zufällige Kontrast zwischen Alberts Verwendung der
Weizen-Gerste-Metapher zur Begründung des Bildungskleri-
kalismus und Dantes bewußter Anlehnung an dieses Bild zur
Rechtfertigung seines auf philosophische Unterweisung der
Laien ausgerichteten, volkssprachlichen Kommentars läßt die
gesellschaftspolitische Relevanz von Dantes Unternehmen
klar hervortreten. Dante bleibt zwar bei der Speisung der Lai-
Kommentar zu Kap. v, 2.4.5 125

en durch Gerstenbrot, überträgt aber das Bild vom Inhalt auf


das sprachliche Medium. Für die an Laien vermittelte Philoso-
phie macht Dante keinen Unterschied in der Würde, wohl aber
wählt er bewußt die seiner Meinung nach rauhere Sprache für
deren Vermittlung.
§2
eleggere ••• ordinazione] Für textkritische Ausführungen
vgl. Vasoli, Kommentar zur Stelle.
§4
Quella cosa ... corpo] Dante erläutert die Funktion des
Kommentars in Analogie zum Habitus, dessen Veranlagungen
auf ein bestimmtes Handlungsziel hingeordnet sind. Die hier
von Dante angesprochene Lehre des Habitus, Dante bringt das
Beispiel der Kühnheit der Seele für einen seelischen Habitus
und der Stärke des Körpers für den körperlichen Habitus, geht
zurück auf Aristoteles, e.g. Met., V, 20. 1022b10-14, wo die
zweite Bedeutung von 'habitus' als Handlungsdisposition an-
gegeben wird. Vgl. dazu den Kommentar des Thomas von
Aquino: „Secundo modo dicitur habitus dispositio, secundum
quam aliquid disponitur bene et male; sicut sanitate aliquid
disponitur bene, aegritudine male. Utroque autem, scilicet
aegritudine et sanitate, aliquid disponitur bene vel male dupli-
citer; scilicet aut secundum se aut per respectum ad aliquid
agendum". Dante nimmt in seiner Analogie das Verständnis
des Habitus als eine auf eine bestimmte Handlung ausgerich-
tete Veranlagung auf und stellt seine nachfolgenden Ausfüh-
rungen in die Perspektive der richtigen teleologischen Bezie-
hung zwischen Disposition und intendierter Handlung.
Derjenige Habitus ist gut, der in Beziehung auf das intendierte
Handlungsziel die entsprechenden Veranlagungen besitzt.

§5
In diesem Paragraphen wird die allgemeine Lehre des Habi-
tus auf den Spezialfall des Dieners angewandt, von dem zur
angemessenen Ausübung seiner Funktion Unterordnung,
126 Kommentar zu Kap. v, 6.7

Kenntnis und Gehorsam gefordert sind. Die zu konjizierende


Auslassung im Text enthält sinngemäß eine kurze Begründung
für die Unterordnung und die Kenntnis, da der Text einen
Sprung zur Rechtfertigung des Gehorsams macht. Für die
Textkritik vgl. Vasoli, Kommentar zur Stelle. Wie aus dem
Kommentar zum nächsten Paragraphen hervorgeht, erfüllt die
hier begründete Forderung gewisser Veranlagungen des Die-
ners im Beweis die Funktion der Minor.
§6
Dante überträgt die handlungsteleologisch begründeten An-
forderungen an den Diener auf die Beziehung des Kommen-
tars zu den Kanzonen. Nach dieser, meines Wissens
originellen, Betrachtungsweise der Beziehung des Kommen-
tars zum Text muß ersterer den Kanzonen untergeordnet sein,
er muß die Bedürfnisse seines Herrn kennen und gehorsam
sein. Dantes Beweis beruht in der Maior auf einer Analogie:
M: Der Kommentar ist in Bezug auf den Text, wie der Die-
ner in Bezug auf seinen Herrn.
m: Der Diener muß dem Herrn untergeordnet sein, ihn ken-
nen und ihm Gehorsam leisten.
C: Der Kommentar muß in bezug auf die Kanzonen diesen
untergeordnet sein, sie kennen und ihnen Gehorsam leisten.

§7
Dante folgert in diesem Paragraphen, daß die in § 6 genann-
ten drei Bedingungen des Kommentars nicht erfüllt würden,
wenn der Kommentar in Latein abgefaßt wäre. Im Beweisgang
wird die oben erwähnte conclusio zur Maior eines weiteren
Syllogismus:
M: Der Kommentar muß den Kanzonen untergeordnet sein,
sie kennen und ihnen Gehorsam leisten.
m: Der lateinisch abgefaßte Kommentar wäre im Gegensatz zu
einem volkssprachlichen nicht untergeordnet, hätte keine
Kenntnis der Kanzonen und wäre auch nicht gehorsam.
C: Der Kommentar muß in der Volkssprache verfaßt sein.
Kommentar zu Kap. v, 7 127

Den Rest des Kapitels v und die Kapitel vi-vii verwendet


Dante zur Begründung der Minor, wobei je ein Kapitel einer
Bedingung gewidmet ist. Noch im§ 7 beginnt die Rechtferti-
gung der ersten in der Minor enthaltenen Behauptung, der
lateinische Kommentar wäre den volkssprachlichen Kanzo-
nen nicht untergeordnet gewesen, wobei Dante wieder drei
Gründe nennt: Das Latein des Kommentars hätte die Volks-
sprache der Kanzonen in Adel, Tugend und Schönheit über-
troffen.
per la sua nobilita ... corrutibile] Der Beweis des Adels des
Lateins beruht auf den von Dante stillschweigend angenomme-
nen Voraussetzungen, daß die Volkssprache veränderlich, das
Latein unveränderlich ist, und daß Unveränderlichkeit ontolo-
gisch höher steht als Veränderlichkeit.
Die Vorstellung, daß das Latein eine unabänderliche Kunst-
sprache sei, wogegen sich die Volkssprache weiterentwickle,
hat Dante, wie in § 10 angekündigt, in VE näher erläutert:
"que quidem grammatica nichil aliud est quam quedam inalte-
rabilis locutionis ydemptitas diversibus temporibus atque lo-
cis. Hec cum de comuni consensu multarum gentium fuerit
regulata, nulli singulari arbitrio videtur obnoxia, et per conse-
quens nec variabilis esse potest". (VE, 1, ix, 11). Die Volks-
sprache hingegen entspricht aufgrund ihrer Natürlichkeit der
Instabilität der Menschen und ist deshalb äußerst wechselhaft
und veränderlich. Vgl. Kommentar zu§ 9.
Die Meinung des unveränderlichen Lateins und der wegen
Ihrer ständigen Veränderung grammatikalisch nicht faßbaren
Volkssprache vertrat rund hundert Jahre nach Dante auch noch
Leonardo Bruni, der davon ausging, die Römer hätten das
Latein nur als Schriftsprache gekannt, ansonsten aber ein dem
Italienischen ähnliches vulgare gesprochen: „Ego autem, ut
nunc est, sie etiam tune distinctam fuisse vulgarem linguam a
litterata existimo" (Brief an Biondo Flavio, ed. M. Tavoni in:
Ders„ Latino, Grammatica, Volgare, 216). Mit Brunis litera-
rischem Gegner Biondo Flavio begann sich die Vorstellung der
128 Kommentar zu Kap. v, 7

Geschichtlichkeit und Veränderlichkeit des Lateins und der


Möglichkeit einer grammatikalischen Strukturierung der
Volkssprache zu verbreiten (vgl. M. Tavoni, La.tino, Gram-
matica, Volgare, 36-39). Man erkannte die Entstehung der
Volkssprache aus der Barbarisierung des Lateins und entdeck-
te auch die Veränderlichkeit und Vergänglichkeit des Lateins
wieder. Vgl. C. Grayson, A Renaissance Controversy, 11.
Der Vorrang der Unveränderlichkeit gegenüber der Verän-
derlichkeit ist eine philosophische Vorstellung, die sowohl in
der von Augustinus für das Mittelalter filtrierten platonischen,
wie auch in der aristotelischen Tradition oft den Status eines
nicht mehr hinterfragten Vorurteils hatte und noch lange nach
Dante ihre Gültigkeit bewahrte. Vgl. e.g. Augustinus, Con-
fessiones, VII, c. 11: "id enim vere est, quod incommutabiliter
manet". Für die aristotelische Tradition, in der die sublunare,
mit Materie behaftete, veränderliche Welt von den supralu-
naren, unveränderlichen und ontologisch höher stehenden
Himmelspären unterschieden wurde, vgl. Thomas von Aqui-
no,. Quaestiones disp. de veritate, q. 5, a. 3, ratio 3: "res
corruptibilis melior esset si incorruptibilitatem haberet".
Ders., In libros meteor., lib.1, lec. 2, n. 4: "manifestum est
autem corpus caeleste inter naturalia esse primam causam,
quod eius incorruptibilitas et nobilitas demonstrat". Ders.,
Super ep. ad Romanos, c. 1, l. 7: „omnis enim mutatio qua-
edam corruptio". Vgl. auch Aegidius Romanus, Sup. Lib. de
Caus., prop. 9, fol. 32: "Appropinquare autem primo est ha-
bere esse fixum et perpetuum". lbidem, prop. 16; fol. 52:
„Nam quanto aliquid est superius, tanto in genere entium, sive
in rebus entibus magis habet esse fixum et stans". Mit der
Überwindung des aristotelischen Weltbildes der unveränderli-
chen Himmelssphäre und der vergänglichen sublunaren Welt
in der frühen Neuzeit einher ging auch eine Umwertung der
Veränderlichkeit und Vergänglichkeit. So legte Galileo Galilei
in seinem Dialogo sopra i due massimi sistemi del mondo,
tolemaico, e copemicano, Sangredo folgende Worte in den
Kommentar zu Kap. v, 7 129

Mund: "Ich kann nur mit größter Verwunderung, ja mit größ-


tem innerem Widerstreben anhören, daß die Eigenschaften des
Unbeeinflußbaren, Unveränderlichen, Unwandelbaren u.s. w.
den Naturkörpern, welche das Weltall zusammensetzen, als
etwas Vornehmes und Vollkommenes zugeschrieben werden,
und im Gegensatze dazu die Wandelbarkeit, Erzeugbarkeit,
Veränderlichkeit u.s.w. als etwas sehr Unvollkommenes gel-
ten soll. Ich für meinen Teil halte die Erde für höchst vornehm
und bewundernswert gerade wegen der vielen verschiedenar-
tigen Wandlungen, Veränderungen, Erzeugungen u.s.w., die
ohne Unterlaß auf ihr sich abspielen. Wäre sie im Gegenteil
keiner Änderung unterworfen, sondern nichts als eine Sand-
wüste oder eine Jaspiskugel, oder wären zur Zeit der Sintflut
die Gewässer, welche sie überfluteten, gefroren und hätte sie
sich in eine unvermessliche Eiskugel verwandelt, wo nichts
entsteht, noch vergeht, noch sich verändert, so würde ich sie
für ein auf der Welt unnützes Ding, für müßig und, um es
herauszusagen, für überflüssig erachten, so gut als wäre sie in
der Natur gar nicht vorhanden; sie würde mir wie ein totes
Wesen verglichen mit einem lebenden erscheinen. Dasselbe
gilt auch vom Monde, vom Jupiter und allen anderen Weltku-
geln. Je eingehender ich mich in die Nichtigkeiten der landläu-
figen Denkweise hineinversetze, um so leichtfertiger und
törichter finde ich sie" (Dialog über die Weltsysteme, I, 62).
Interessant ist, daß Dante im Vergleich zu dem kurz nach
Conv. I entstandenen und in I, v, 10 angekündigten VE die
Volkssprache noch für eine dem Latein untergeordnete Spra-
che zu halten scheint: „Harum quoque duarum nobilior est
vulgaris: turn quia prima fuit humano generi usitata; turn quia
totus orbis ipsa perfruitur, licet in diversas prolationes et vo-
cabula sit divisa; turn quia naturalis est nobis, cum illa potius
artificialis existat" (VE, I, i, 4). Sowohl im Conv. wie auch in
VE ist der Adel (nobilitii, nobilior) der Vergleichspunkt der
beiden Sprachen, so daß sich der Widerspruch zwischen den
Positionen in den beiden Werken nicht ohne weiteres harmo-
130 Kommentar zu Kap. v, 8

nisieren läßt und mit P. Mengaldo (OM, II, 6f.), angenommen


werden muß, daß Dante zwischen Conv. und VE seine diesbe-
zügliche Meinung geändert hat. Differenzierend kann festge-
halten werden, daß Dante im Conv. den Adel des Lateins und
die Unterordnung der Volkssprache ausschließlich anhand der
Veränderlichkeit erörtert, wogegen in VE die Ursprünglich-
keit, Verbreitung und Natürlichkeit das Pendel zugunsten der
Volkssprache ausschlagen lassen. Mit dem Projekt eines vul-
gare illustre verband sich in VE ein erstarktes Selbstbewußt-
sein zum Gebrauch der Volkssprache als Schriftsprache. Dante
kehrt zwischen Conv. und VEdieBeweislastum, der im Conv.
zu rechtfertigende Makel wird in VE zum Ehrenpunkt. Diese
Umkehrung der Werte hat nicht nur linguistische Aspekte,
denn es geht, wie die Metapher des Adels und die Verwendung
von 'sovrano' nahelegt, um die Dante eminent wichtige gesell-
schaftspolitische Frage des Zugangs zur Bildung und um den
Wert einer aus dem Bildungsbürgertum stammenden, nicht
klerikalen und nicht universitären Wissenschaft; es geht letzt-
lich um Emanzipation. Der Ritterschlag der Volkssprache in
VE ist in diesem Sinne eine linguistische Revolution mit gesell-
schaftspolitischen Konsequenzen, die in der Rechtfertigung
des Makels im Conv. bereits in ihren Anfängen steht.

§8
Welche Bedeutungen Dante mit 'comedie e tragedie' in Ver-
bindung brachte, ist bereits ausführlich kommentiert worden.
Vgl. dazu C. Vasoli, Kommentar zur Stelle; T. Ricklin, Das
Schreiben, 92-106. Dantes Identifikation des klassischen La-
teins mit dem Latein seiner Zeit bringt eine Meinung zum
Ausdruck, die mit zunehmenden Sprachbewußtsein und La-
teinkenntnissen im Humanismus entschieden widerlegt wer-
den wird. Als Beispiel könnte ein Text des Lorenzo Valla
beigezogen werden, der darlegt, warum sich nach einer lan-
gen Verfallsgeschichte das mittelalterliche Latein vom klassi-
schen sehr stark zuungunsten des letzteren unterscheidet:
Kommentar zu Kap. v, 9 131

"Nam postquam hae gentes semel iterumque Italiae influentes


Romam ceperunt, ut imperium eorum ita linguam quoque,
quamadmodum aliqui putant, accepimus, et plurimi forsan ex
illis oriundi sumus. Argumento sunt codices gothice scripti,
quae magna multitudo est; quae gens, si scripturam romanam
depravare potuit, quid de lingua, praesertim relicta sobole,
putandum est? Unde post illorum adventum primum alterum-
que omnes scriptores nequaquam facundi, ideoque prioribus,
multo inferiores fuerunt. En quo litteratura romana recedit:
veteres admiscebant linguae suae graecam, isti admiscent go-
thicam". (Lorenzo Valla, Elegantiae, ed. E. Garin, Prosatori
latini, 610).

§9
Der hier vorgetragene Gedankengang der Veränderlichkeit
der Volkssprache ist einer Stelle in VE sehr ähnlich: "Dicimus
ergo quod nullus effectus superat suam causam, inquantum
effectus est, quia nil potest efficere quod non est. Cum igitur
omnis nostra loquela ... sit a nostro beneplacito reparata ... et
homo sit instabilissimum atque variabilissimum animal, nec
durabilis nec continua esse potest. .. Quapropter audacter te-
stamur quod si vetustissimi Papienses nunc resurgerent, sermo-
ne vario vel diverso cum modernis Papiensibus loquerentur".
(VE, 1, ix, 6-7). Dante deutet im Conv. an, was er in VE, 1einer
breiteren Untersuchung unterziehen wird: die Geschichtlich-
keit der Sprache. In Conv., II, xiii, 10 nimmt Dante den Ge-
danken der Veränderlichkeit der Wörter bei der Beschreibung
der Grammatik wieder auf, bewertet aber die daraus folgende
unendliche Wandelbarkeit und Adaptabilität der Sprache eher
positiv und zitiert Horaz zur Erläuterung der generatio und
corruptio der Wörter. Dante betrachtet in Conv., II, xiii, 10 die
Veränderlichkeit einer Sprache, die in Conv., 1 noch als Kri-
terium der geringeren Würde der Volkssprache bemüht wird,
geradezu als Grund von deren unendlichem Umfang („la sua
infinitade"). Obschon die Grammatik (gemeint ist die Wissen-
132 Kommentar zu Kap. v, 10 .11-12

schaft) mit der niedersten Sphäre des Mondes verglichen wird,


deutet sich also schon im Conv. eine Neueinschätzung der
lebendigen und sich ausdehnenden Volkssprache an.

§ 10
uno libello ch'io intendo .„ Volgare Eloquenza] Der Ver-
weis auf VE wurde wiederholt für die Festsetzung des termi-
nus post quem des letzteren beigezogen. Zusammengestellt
sind die umstrittenen Positionen bei C. Vasoli, Kommentar
zur Stelle.
§§ 11-12
Dante behandelt in diesem und dem nächsten Paragraphen
die Tugend, der zweite Grund der unzulässigen Unterordnung
eines lateinischen Kommentars unter die volkssprachlichen
Kanzonen. Der Beweis hat folgende logische Struktur: Aus
den beiden Obersätzen (Ml und M2) folgen in Verbindung
mit verschiedenen Untersätzen (ml, m2, m3, m4) die ent-
sprechenden conclusiones (Cl, C2, C3, C4):

M 1: Jedes Ding ist tugendhaft in seiner Natur, insofern


es das tut, worauf es hingeordnet ist(§ 11).
M2: Je besser ein Ding das tut, worauf es hingeordnet
ist, desto tugendhafter ist es (§ 11).

ml: Der Mensch ist von Natur aus auf ein kontempla-
tives oder aktives Leben hingeordnet (§ 11).
Ml/ml/ Cl: Der Mensch, der ein kontemplatives oder aktives
Leben lebt, ist tugendhaft.

m2: Das Pferd ist auf viel und schnelles Rennen hinge-
ordnet (§ 11).
Ml/m2/ C2: Das Pferd, das viel und schnell läuft, ist tugend-
haft.

m3: Das Schwert ist auf das Schneiden hingeordnet.


Kommentar zu Kap. v, 11 133

Ml/m3/ C3: Das Schwert, das harte Dinge gut schneidet, ist
tugendhaft.

m4. Das Sprechen ist darauf hingeordnet, die mensch-


lichen Gedanken kundzutun (§ 12).
M2/m 4/ C4: Jenes Sprechen ist tugenhafter, das in höherem
Maße Gedanken kundtut(§ 12). C4 ist seinerseits
Maier im nächsten Beweisschritt:

M: Jenes Sprechen ist tugenhafter, das in höherem


Maße Gedanken kundtut(§ 12).
m: Das Latein legt mehr im Geiste erfaßte Dinge offen
als die Volkssprache (§ 12).
C: Das Latein ist tugendhafter als die Volkssprache
(§ 12). Das heißt, aus der Prämisse eines lateini-
schen Kommentars zu einem volkssprachlichen
Text ergibt sich etwas Unmögliches, nämlich ein
Kommentar, der tugendhafter ist als der zu kom-
mentierende Text. Die Begründung der den Beweis
entscheidenden minor, das Latein lege mehr Dinge
offen als die Volkssprache, beschränkt Dante auf
den lakonischen Hinweis, alle, die beide Sprachen
beherrschen, wüßten dies.

§ 11
Ciascuna cosa ••• virtuosa] Wie die spätere Anwendung
von 'virtuoso' auf Mensch, Pferd, Schwert und Sprache zeigt,
entspricht der von Dante verwendete Begriff der vertu nicht
dem im engeren Sinne ethischen oder intellektuellen, sondern
er bezeichnet im Anschluß an Aristoteles ganz allgemein eine
teleologisch konzipierte Vollkommenheit einer Sache als ope-
rationelle Realisierung ihrer finalen Bestimmung: „Denn den
Zustand, welchen jedes Einzelne erreicht, wenn seine Ent-
wicklung zum Abschluß gelangt ist, nennen wir die Natur
jedes Einzelnen, wie etwa des Menschen, des Pferdes, des
134 Kommentar zu Kap. v, 11

Hauses" (Pol., 1, 2, 1252b32-1253al; Gigon, 49). Vgl. auch


Phys., VII, 3, 246b27-30. Siehe außerdem Thomas von Aqui-
no, In Phys., lib. 7, lect. 5, n. 918: "Habitus qui sunt in prima
specie qualitatis, etiam corporei, sunt quaedam virtutes et
malitiae. Virtus enim universaliter cuiuslibet rei est quae bo-
num facit habentem, et opus eius secundum quam bene se
habet et bene operatur, malitia ... Omnis autem virtus et ma-
litia dicuntur ad aliquid . . . Similiter pulchritudo et macies
dicuntur ad aliquid ... Huiusmodi enim sunt quaedam disposi-
tiones eius quod est perfectum in sua natura per comparatio-
nem ad optimum, idest ad finem, qui est operatio. Sicut enim
dictum est, ex hoc huiusmodi dispositiones virtutes dicuntur,
quod bonum faciunt habentem, et opus eius bonum reddunt.
Dicuntur ergo huiusmodi dispositiones per relationem ad de-
bitum opus, quod est optimum rei".
uomo virtuoso ••• attiva] Die Unterscheidung zwischen der
aktiven und kontemplativen Tätigkeit und Bestimmung des
Menschen geht zwar zurück auf Aristoteles (Eth. Nie., X, 7-
9), Dante gesteht aber den beiden Tätigkeiten in bezug auf das
tugendhafte Leben, im Gegensatz zu Aristoteles und vielen
Aristotelikern seiner Zeit, eine gewisse Gleichwertigkeit zu
("vive in vita contemplativa o attiva"). So argumentiert er
auch in II, iv, 10, die Glückseligkeit der Engel beinhalte, wie
diejenige der Menschen, sowohl eine vita contemplativa als
auch eine vita activa ("non pur una beatitudine abbia, ma
due") und nimmt darin die in Mon., III, xv dargelegte Lehre
der zweifachen Glückseligkeit vorweg. Vgl. Kommentar zu
Conv., II, iv, 10.
A. Logoni (La travagliata struttura, llOff.) sprach sich
dafür aus, daß die hier zu kommentierende Stelle, wie über-
haupt die §§ 11-12 eine syntaktische Übereinstimmung zu den
Quaestiones supra Prisciano minori des Gentile da Cingoli
aufweisen und daß es sich deshalb beim Text Dantes um ein
verstecktes Cingoli-Zitat handle. Für das hier zu besprechen-
de Lemma führt sie folgende Stelle an (Gentile 1): "< 1 > In
Kommentar zu Kap. v, 11 135

natura autem dicitur esse perfectum < 2 > quod attingit pro-
priam operationem et finem, < 3 > sicut dicitur 1 Politicae;
< 4 > et quanto magis potest in propriam operationem et fi-
nem < 5 > et minus est ei admixtum de potentia passiva et
privatione, < 6 > tanto dicitur esse perfectius (10, 33-37).
Sinngemäß sind die Elemente 1, 2, 4 und 6 im Text Dantes
enthalten (Dante 1: „ < 1 > Ciascuna cosa e virtuosa in sua
natura < 2 > ehe fa quello a ehe ella e ordinata; < 4 > e
quanto meglio lo fa < 6 > tanto e piU virtuosa"), sie unter-
scheiden sich aber sehr stark in der Formulierung: < 1 > Gen-
tile: „dicitur esse perfectum"; Dante: „e virtuosa". <2>
Gentile: „quod attingit propriam operationem et finem"; Dan-
te: „que fa quello a ehe ella e ordinata". <4> Gentile:
„quanto magis potest in propriam operationem, et finem";
Dante: „e quanto meglio lo fa". < 6> Gentile: „tanto dicitur
esse perfectius"; Dante: „tanto epiU virtuosa". Anschließend
an diese Stelle führt A. Longoni (La travagliata, 112) einen
Passus Gentiles an, der mit 'dicemo homo virtuoso ... attiva'
übereinstimmen soll: „Ille namque homo dicitur esse perfec-
tus, qui potest in istam operationem quae est intelligere, eo
quod intelligere est propria operatio hominis, eo quod homo
est intellectus vel est maxime operans secundum intellectum,
sicut apparet VI Ethicorum, et quanto homo potest in istam
operationem, quae est intelligere et minus est ei admixtum de
potentia passiva et privatione quae opponitur illi operationi,
tanto dicitur esse perfectior; [dicit] ille homo qui magis opera-
tur secundum intellectum ut possibile est in specie humana,
dicitur esse perfectissimus in specie humana". (Quaestiones
supra Prisciano minori, 10, 47-55). Zu dieser Stelle befindet
sich nun aber der Text Dantes in entschiedenem Widerspruch,
denn der Florentiner verweist gerade nicht auf die bei Gentile
völlig unoriginelle und in unzähligen Texten so nachzulesende
Wiedergabe der ethischen Finalisierung der aristotelischen
lntellekttheorie, sondern er beschränkt sich auf die Bemer-
kung, daß sowohl das aktive als auch das kontemplative Leben
136 Kommentar zu Kap. v, 12

dem Menschen eine tugendhafte Existenz ermöglichten, was


Gentiles Stelle, die eine Unterordnung der vifa acfiva unter die
vifa confemplativa bedeutet, tendenziell widerspricht.
Eine gewisse Affinität zwischen den Texten Dantes und
Gentiles kann nicht bestritten werden, da es sich aber um die
formelhafte Sprache der aristotelischen Schulphilosophie han-
delt, scheinen mir die Übereinstimmungen für die Behauptung
einer direkten Abhängigkeit {„citazione occulta") zwischen
den Texten zu wenig zwingend zu sein.
cavallo virtuoso] Vgl. Thomas von Aquino, Senf. Efh., 1,
10; 36: Sed hoc pertinet ad rationem virtutis quod unusquisque
habens virtutem secundum eam bene operetur, sicut virtus
equi est secundum quam bene currit". Senf. Efh., II, 6; 94:
„Similiter etiam virtus equi est quae facit equum bonum, et
per quam equus bene operatur opus suum, quod est velociter
currere". Zum Beispiel des Pferdes vgl. auch Aristoteles, Efh.
Nie., II, 5, 1106a19-24. Gentile führt die Beispiele des Pfer-
des und des Schwertes, die z.B. in Thomas' Ethikkommentar
als Standardbeispiele menschlicher Instrumente erwähnt wer-
den, nicht an. Vgl. hierzu Thomas von Aquino: „Quandoque
inquiruntur per consilium instrumenta, puta equus aut gladi-
us" (Senf. Efh., III, 8; 144).

§ 12
sermone ••. manifestare lo concetto umano] Die Bestim-
mung der Funktion der Sprache weist eine sehr große Nähe zu
folgender Thomasstelle auf: „Nihil est enim aliud loqui ad
alterum, quam conceptum mentis alteri manifestare" {Thomas
vonAquino, Sum. fheol., 1, 107, 1, c. a.). DieseThomasstelle
ist durch die Übereinstimmung der Wörter 'manifesfare' und
'concetto', in§ 12 verwendet Dante noch 'mente', dem Text
Dantes näher als die von A. Longoni (La fravagliafa sfruttu-
ra, 113t) angeführten Stellen der Modisten Gentile da Cingoli
(„nomina necessaria sunt ut expriamus nostros conceptus alte-
ri et conferamus cum aliis"; 4, 66-67) und Boethius von Daci-
Kommentar zu Kap. v, 12 137

en („Est etiam grammatica necessaria, ut per ipsam sciat ex-


primere conceptum intentum per sermonem congruum"; De
modis significandi; 22). Vgl. dazu auch VE, 1, ii, 3: „Si eten-
im perspicaciter consideramus quid cum loquimur intend-
amus, patet quod nichil aliud quam nostre mentis enucleare
aliis conceptum" .
Dante rekurriert außerdem auf ein herkömmliches Sprach-
verständnis. Vgl. Albert der Große, Periherm., 1, 2, 1; 381:
„Causa autem institutionis, quia cum res efferre non possum-
us, ut nobis invicem communicemus rerum praesentatione,
inventae sunt voces articulatae, quibus ipsas res sive intentio-
nes rerum exprimamus, ut nobis invicem vocibus communic-
emus". Vgl. auch Thomas von Aquino, Exp. Peryerm„ 1, 2;
9: „quia homo est naturaliter animal politicum et sociale, ne-
cesse fuit quod conceptiones unius hominis innotescerent alii,
quod fit per vocem".
Zu dem hier besprochenen Paragraphen führt A. Longoni
ebenfalls eine Stelle des Gentile da Cingoli an, von der Dantes
Text direkt abhängen soll (Gentile 2): „ < 1 > Unde illa oratio
dicitur esse perfecta, < 2 > quae attingit propriam operatione,
et finem, < 6 > et tanto dicetur esse perfectior, < 4 > quanto
magis attingit proprium finem et operationem < 5 > et minus
erit sibi admixtum de potentia passiva et privatione" (Quae-
stiones supra Prisciano minori, 10, 56-60). A. Longoni stützt
ihre Behauptung auf die Tatsache, daß die im Text mit Zahlen
markierten syntaktischen Elemente im Vergleich zu dem im
Kommentar zu § 11 zitierten Stelle (Gentile 1) die syntakti-
schen Elemente umgestellt seien und daß Dantes Text diese
Umstellung ebenfalls aufweise (Dante 2): „ < 1 > Cosi loser-
mone, lo quale e ordinato a manifestare lo concetto umano, e
virtuoso < 2 > quando quello fa, < 6 > e piu virtuoso < 4 >
quello ehe piii lo fa (1, v, 12). In der Tat sind in 'Dante 2' im
Vergleich zu 'Dante 1' die Elemente <2> und <4> ver-
tauscht aufgeführt. Da aber 'Dante 1' in bezug auf 'Gentile 1'
die Elemente < 3 > und < 5 > wegläßt und 'Gentile 2' das
138 Kommentar zu Kap. v, 12

Element < 5 > wieder enthält, ist der Vorschlag, es handle


sich um eine „citazione occulta" (La travagliata, 114), doch
zuwenig eindeutig belegt. Das impliziert die weiterführende
Bemerkung, daß A. Longonis Theorie, Dante hätte zuerst die
Traktate II und III und erst nachher den Traktat I des Conv.
geschrieben, weil die Traktate II und III noch keine Beziehun-
gen zu der erst später einsetzenden Beschäftigung Dantes mit
den Modisten aufwiesen, auf sehr schwachen Füssen steht.
Interessant an den Ausführungen A. Longonis ist sicher, daß
sie zu Dantes Text ein anderes Beispiel einer Anwendung des
teleologisch-funktionalistischen Tugendmodells zur Bewer-
tung der Sprache vorzutragen vermag. Die Übertragung die-
ses Modells auf die Problematik der Volkssprache wird aber
bei Gentile nicht thematisiert.
lo latino ..• volgare far non puo] Aegidius Romanus, De
regimine, II, II, c. 7; 180v: „Nam videmus in idiomatibus
vulgaribus, quod raro potest quis debite et distincte proferre
aliquod idioma, nisi sit in eo in ipsa infantia assuefactus. Qui
enim in aetate perfecta transfert, se ad partes longinquas ubi
idiomata differunt a materno, etiam si per multa tempora in
partibus illis existat, vix aut nunquam potest recte loqui lin-
guam illam et ab incolis illius terrae semper cognoscitur ipsum
fuisse advenam, et non fuisse in illis partibus oriundus. Si ergo
sie est in idiomatibus laicorum, multo magis hoc erit in idio-
mate literali, quod est philosophicum (phisicum ed.) idioma.
Videntes enim philosophi nullum idioma vulgare esse comple-
tum et perfectum, per quod perfecte exprimere possent naturas
rerum, et mores hominum, et cursus astrorum, et alia de qui-
bus disputare volebant, invenerunt sibi quasi proprium idio-
ma, quod dicitur latinum, vel idioma literale, quod consti-
tuerunt adeo latum et copiosum, ut per ipsum possent omnes
suos conceptus sufficienter exprimere". Wie stark sich im 15.
Jahrhundert die Meinung einiger Gelehrten zugunsten der
Volkssprache verändert hatte, zeigt eine Stelle des Humani-
sten Leon Battista Alberti: „Ben confesso quella antiqua latina
Kommentar zu Kap. v, 13-14.13 139

lingua essere copiosa molto e omatissima, ma non pero veggo


in ehe sia la nostra oggi toscana tanto d'averla in odio, ehe in
esse qualunque bencbe ottima cosa scritta ci dispiaccia. A me
par assai di presso dire quel ch'io voglio, ein modo ch'io sono
pur inteso ... E sia quanto dicono quella antica apresso di tutte
le genti piena d'autorita, solo percbe in essa molti dotti scris-
sero, simile certo sara la nostra s'e'dotti la vorranno molto con
suo studio e vigilie essere elimata e polita" (Leon Battista
Alberti, Proemio al libro III delta 'Famiglia', 224f.).

§§ 13-14
Die §§ 13-14 behandeln den dritten und letzten Grund der
mangelnden Unterordnung eines möglichen lateinischen Kom-
mentars unter die volkssprachlichen Kanzonen: die Schönheit
des Lateins. Die allgemeine Definition der Schönheit eines
Dings, nämlich die gebührende Anordnung seiner Teile, expli-
ziert Dante am Beispiel des Menschen, des Gesangs und der
Sprache. Das Latein bietet das schönere Sprechen, weil sich in
ihm durch die künstlich angeordnete Ordnung die Worte in
gebührender Weise entsprechen, wogegen die Volkssprache
ein Produkt der Gewohnheit der Menschen ist. Etwas überra-
schend faßt Dante am Schluß des§ 14 seine Ausführungen als
Beweis der größeren Schönheit, Tugend und Adels des Lateins
zusammen, was eigentlich den Inhalt des ganzen Kapitels zu-
sammenfaßt. Dante hält also, etwas unvermittelt und ohne
weitere Begründung, die Tatsache, daß das Latein ein Kunst-
produkt, die Volkssprache aber aus Gewohnheit entsteht, auch
für einen Beweis der Überlegenheit des Lateins in bezug auf
Tugend und Adel.

§ 13
Quella cosa ••• piacimento] Die von Dante vorgetragene
Konzeption des schönen Dings, verstanden als wohlpropor-
tionierte Anordnung oder Harmonie der Teile, steht in einer
langen philosophiehistorischen Tradition und ist ein Stan-
140 Kommentar zu Kap. v, 14

dardkonzept der spätmittelalterlichen Philosophie: „Eodem


autem modo est pulchritudo in proportione commensurationis
membrorum ad invicem et ad colorem" (Albert, Physica,
VII, 1, 7; 531). „Pulchritudo consistit in duobus, scilicet in
splendore et partium proportione" (Thomas, In I Sent., dis.
3, q. 2, a. 3). „Nam in debita commensuratione partium, pul-
critudo consistit" (Thomas, Sent. Eth., 1, 13; 47).
l'uomo essere bello] Vgl. mit Busnelli I Vandelli (Kom-
mentar zur Stelle) Cicero, De off., 1, 28, 98: „pulchritudo
corporis apta compositione membrorum movet oculos et de-
lectat hoc ipso quod inter se omnes partes cum quodam lepore
consentiunt".
dicemo bello lo canto ••. rispondenti] Paschasius Radber-
tus, Expositio in Matheo libri XII, lib. 8, lin. 3189: „Nostis
enim in musicis quia nisi fuerit consonantia vocum ut unam
ex diversis vocibus de se cantus armoniam reddat non delecta-
tur audire". Vgl. auch Ptolemaeus de Lucca, De regimine
principum continuatio, IV, c. 23: „In tertioDe civ. dei, quod
respublica sive civitas bene disposita melodiae vocibus com-
paratur, in qua diversis sonis proportionatis ad invicem, fit
cantus suavis et delectabilis auribus".

§ 14
sermone ... e lo latino arte] Der Passus weist eine Konjek-
tur auf [le parole. „rispondono], über die in der Forschung
allgemeine Übereinstimmung herrscht. Vgl. Vasoli, Kom-
mentar zur Stelle. Unter 'Kunst' (arte) verstanden die spätmit-
telalterlichen Philosophen in Anlehnung an Aristoteles eine
nach bestimmten Regeln der Vernunft vorgehende, hervor-
bringende Tätigkeit: „Jede Kunst berifft ein Entstehen und ist
das Erproben und Betrachten, wie etwas Bestimmtes im Be-
reich dessen, was sein oder nicht sein kann, zu entstehen ver-
mag; und zwar ist der Ursprung im Hervorbringenden und
nicht im Hervorgebrachten. Denn es gibt weder eine Kunst bei
dem, was aus Notwendigkeit ist oder wird, noch bei dem, was
Kommentar zu Kap. v, 15 141

sich von Natur bildet. Da nun Hervorbringen und Handeln


verschieden sind, so muß die Kunst zum Hervorbringen und
nicht zum Handeln gehören ... Die Kunst ist also, wie gesagt,
ein mit richtiger Vernunft verbundenes hervorbringendes Ver-
halten". (Eth. Nie., V, 4: Gigon, 185). Dante scheint hier den
Begriff der Kunst in der von Aristoteles festgelegten Weise auf
das künstlich hervorgebrachte Latein anzuwenden. In II, xiii,
8 reiht er die Grammatik ohne weitere Erklärung unter die
scienze ein, was den Darlegungen des Aristoteles inEth. Nie.,
VI widerspricht. In Conv., II, xii, 4 spricht er noch von "l' arte
di grammatica", so daß davon ausgegangen werden muß, daß
Dante den Ausführungen von Eth. Nie., VI, 4 nicht sehr getreu
gefolgt ist und sich des von Aristoteles festgehaltenen Unter-
schieds zwischen Wissenschaft und Kunst entweder nicht be-
wußt ist, oder ihn aber absichtlich mißachtet, um die Philoso-
phie mit der Poesie zu verbinden. Darüber hinaus kann gesagt
werden, daß Dante Latein und Grammatik nicht schlechthin
identifiziert hat. In Conv., I, xi, 14 spricht er von der „grama-
tica greca" und in~. I, i, 3 meint er, daß die Griechen und
andere die Grammatik hätten, aber nicht alle. (für eine etwas
andere Meinung vgl. Vasoli, Kommentar zur Stelle und ED,
III; 259f.). Das Latein ist also ein Spezialfall von Grammatik,
injedem Fall aber unterscheidet es sich von der aus dem reinen
Sprachgebrauch (uso) hervorgegangenen und nicht nach Ver-
nunftregeln konzipierten Volkssprache.

§ 15
Der § faßt das Ergebnis des Kapitels zusammen: Ein lateini-
scher Kommentar wäre den volkssprachlichen Kanzonen nicht
unter-, sondern übergeordnet gewesen. Dies hätte der gebüh-
renden Ordnung zwischen dem Ziel (Kanzonen) und dem auf
das Ziel hingeordneten (Kommentar) widersprochen. Dante
hat also seine Behauptung in einem Verfahren ad impossibile
bewiesen (Vgl. Petrus Hispanus, Traetatus, VII, 164; 173f.).
Aus der Annahme eines lateinischen Kommentars ergäbe sich
142 Kommentar zu Kap. vi, 3-4

etwas Unmögliches (ein dem Herrn übergeordneter Diener),


weshalb die Prämisse fallengelassen werde. Den „ostensiven"
Beweis, daß die genannten Bedingungen auf den volkssprach-
lichen Kommentar zutreffen, führt Dante jeweils durch den
Hinweis auf die Entsprechung des volkssprachlichen Kom-
mentars zum volkssprachlichen Text.

Kapitel vi

In diesem Kapitel erläutert Dante den zweiten auf der Analogie


Diener-Herr I Kommentar-Text beruhenden Grund zur Recht-
fertigung der Volkssprache (siehe Einleitung zu den Kapiteln
v-vii): ein Diener muß die Natur und die Freunde seines Herrn
kennen, ein volkssprachlicher Kommentar hätte diese Bedin-
gung in bezug auf die volkssprachlichen Kanzonen nicht er-
füllt. Nach den einleitenden §§ 1-2, in denen das gesamte
Vorgehen in den Kapiteln v-vii und die Hauptabsicht des vi.
Kapitels kurz auf den Punkt gebracht werden, widmet Dante
die §§ 3-4 dem Gedanken der Notwendigkeit der Kenntnis der
Natur des Herrn durch den Diener, um dann in einem längeren
Abschnitt ( § § 5-11) etwas ausführlicher die notwendige Kennt-
nis der Freunde zu begründen.

§§ 3-4
Dante zeichnet in diesen§§ ein sehr unvorteilhaftes Bild der
unberechenbaren und kapriziösen Herren, deren unvernüfti-
ges Verhalten sie in die Nähe der Tiere bringt. Solche Herren
muß man schon sehr gut kennen, um ihnen in vollkommener
Weise dienen zu können. Dante erläutert nicht, worin die Ana-
logie zwischen diesen Herren und seinen Kanzonen besteht
und er begründet auch nicht, weshalb man einem Herrn, der
von seiner Natur her eher ein Tier ist, überhaupt dienen soll.
Man gewinnt bei der Lektüre dieses kurzen Abschnitts den
Eindruck, es gehe weniger um den Beweisgang, dieser wird in
Kommentar zu Kap. vi, 5-11.5 143

dem sehr viel längeren Abschnitt 5-11 fortgeführt, als viel-


mehr um einen Seitenhieb gegen die Herren.
sono quasi bestie] Vgl. Conv., II, vi, 4: "chi da la ragione
si parte, e usa pur la parte sensitiva, non vive uomo, ma vive
bestia; si come dice quello eccellentissimo Boezio: "Asino
vive".

§§ 5-11
Dieser Abschnitt begründet die Notwendigkeit der Kenntnis
der Freunde des Herrn und erläutert, weshalb ein lateinischer
Kommentar diese Bedingung in bezug auf einen volkssprach-
lichen Text nicht erfüllen könnte. Dante erklärt die Kenntnis
der Volkssprache und ihrer Freunde (befreundete Volksspra-
chen) aus der Vorstellung, daß die einzelnen Volkssprachen
wie Freunde Teile eines Ganzen darstellen, und daß, um das
Ganze zu kennen, die einzelnen Teile gekannt werden müssen.
Dieser Beweis ist nur dann einsichtig, wenn man sich verge-
genwärtigt, daß Dante das Latein nicht für eine Sprache hält,
aus dem die Volkssprachen hervorgegangen sind, sondern für
eine künstlich hervorgebrachte Wissenschaftssprache (vgl.
Kommentar zu v, 7).
Der Beweis ist folgendermaßen strukturiert:
M: Wer ein Ding nur im allgemeinen kennt, kennt es nicht als
solches. (§ 6)
m: Das Latein kennt die Volkssprache im allgemeinen, nicht
aber im einzelnen (§7)
C: Das Latein kennt die Volkssprache nicht. (§ 8)

§5
li amici siano ••• volere] Mit der Einheit der Freunde spielt
Dante auf einen bei Aristoteles in der Nikomachischen Ethik
wiederholt angesprochenen Gedanken an. Vgl. etwaEth. Nie.,
VIII, 11: Gigon, 245: "So weit also Gemeinschaft besteht, so
weit besteht auch Freundschaft ... Darum ist das Sprichwort:
»Besitz der Freunde ist gemeinsam« richtig. Denn in der Ge-
144 Kommentar zu Kap. vi, 6.7

meinschaft besteht die Freundschaft. Unter Brüdern und Ka-


meraden ist nun alles gemeinsam". Zur Idee der Freunde als
Einheit durch Gemeinschaft vgl. Thomas von Aquino, Sent.
Eth. , VIII, 9; 4 72: „omnis amici tia in communicatione quadam
consistit". Vgl. auch Conv., IV, i, 2: „li amici de l'uno sono
da l'altro amati, e li nemici odiati; per ehe in greco proverbio
e detto: Deli amici essere deono tutte le cose comuni".
§6
conosce alcuna cosa in genere •.. becco] Dante veranschau-
licht in diesem Abschnitt einen wichtigen Bestandteil der ari-
stotelischen Erkenntnistheorie. Das ungenaue Sehen eines
Tieres aus der Feme, ohne die Spezies feststellen zu können,
entspricht der Erkenntnis des allgemeinen Begriffs ohne spezi-
fische Bestimmungen. Auch Thomas von Aquino verbindet
seine diesbezüglichen Ausführungen mit dem Beispiel des
Tieres. Vgl. Sum. theol., I, 85, 3, c.: „Manifestumestautem
quod cognoscere aliquid in quo plura continentur, sine hoc
quod habeatur propria notitia uniuscuiusque eorum quae con-
tinentur in illo, est cognoscere aliquid sub confusione quadam.
Sie autem potest cognosci tarn totum universale, in quo partes
continentur in potentia, quam etiam totum intergrale: utrumque
enim totum potest cognosci in quadam confusione, sine hoc
quod partes distincte cognoscantur. Cognoscere autem dis-
tincte id quod continetur in toto universali, est habere cognitio-
nem de re minus communi. Sicut cognoscere animal
indistincte, est cognoscere animal inquantum est animal; co-
gnoscere autem animal distincte, estcognoscere animal inquan-
tum est animal rationale vel irrationale, quod est cognoscere
hominem vel leonem". Vgl. auch Summa c. gen., II, 98, n.
1837: „Cognoscere enim aliquid secundum genus tantum est
cognoscere imperfecte".
§7
Lo latino .•• conoscesse] Die erkenntnistheoretischen Über-
legungen aus§ 6 werden nun auf die Kenntnis der Volksspra-
Kommentar zu Kap. vi, 8. 9 145

ehe durch das Latein übertragen. Das Latein vermag an der


Volkssprache nur die allgemeinen, allen Sprachen gemeinsa-
men Merkmale zu erkennen, nicht aber die einzelne Volks-
sprache. Dantes Behauptung, es gäbe für das Latein keinen
Grund, eine Volkssprache zu kennen und andere nicht, ist
wiederum nur verständlich, wenn berücksichtigt wird, daß
laut Dante das Latein eine zu den Volkssprachen hinzu erfun-
dene Sprache ist, und sich bei ihm die Erkenntnis, daß gewisse
Volkssprachen aus dem Latein hervorgegangen und ihm des-
halb verwandt sind, noch nicht durchgesetzt hatte.
tutto l'abito .„ volgare] Mit 'abito del latino' bezieht sich
Dante auf die Lehre des Wissens als Habitus der Seele. Um die
Volkssprache zu kennen, müßte die Kenntnis des Lateins die
Kenntnis aller Volkssprachen implizieren.

§8
Dante belegt hier durch Beispiele, daß die eben genannte
Bedingung, die Kenntnis des Lateins müsse auch die Kenntnis
aller einzelnen Volkssprachen implizieren, nicht erfüllt wird.
Ein des Lateins kundiger Italiener kann aufgrund seiner La-
teinkenntnisse nicht zwischen der englischen und deutschen
Volkssprache unterscheiden, ebensowenig wie ein deutscher
Lateiner Italienisch und Provenzalisch auseinanderhalten
kann. Für die Einfügung [inghilese] vgl. Vasoli, Kommentar
zur Stelle.
§9
Die nun folgende Erörterung zur Kenntnis der Freunde be-
ruht auf der erkenntnistheoretischen Überlegung aus § 6, wo-
nach die vollständige Kenntnis der Volkssprache die Kenntnis
aller einzelnen Volkssprachen impliziert, sowie auf den in § 7-
8 gelieferten Beweisen, daß dies nicht der Fall ist. Neu in
diesem Paragraphen ist die Vorstellung eines volgare princi-
pale (lo volgare), das das Latein ebenfalls nicht kennt. Es wird
nicht ganz klar, ob Dante mit dem principale eine der existie-
renden Volkssprachen meint und suggeriert, eine sei die füh-
146 Kommentar zu Kap. vi, 10-11.10

rende, oder ob er schon das später in VE zu suchende vulgare


illustre innerhalb der italienischen Volkssprache bezeichnet.
Dieses konzipiert er anhand der aristotelischen Kategorienleh-
re als das erste im Genus, mit dem alle anderen gemessen
werden. Es existiert , auf vollkommenere oder unvollkomme-
nere Weise, aber schon in den vorhandenen italienischen
Volkssprachen: „Resumentes igitur venabula nostra, dicimus
quod in omni genere rerum unum esse oportet quo generis
illius omnia comparentur et ponderentur, et a quo omnium
aliorum mensuram accipiamus ... Potest tarnen magis in una
quam in alia redolere, sicut simplissima substantiarum, que
Deus est, in homine magis redolet quam in bruto, in animali
quam in planta. (VE, I, xvi, 2-5).
§§ 10-11
In diesen §§ deutet sich bereits die von Dante in VE klar
ausgesprochene Bevorzugung der Volkssprache aufgrund ih-
rer größeren Verbreitung und Intimität an. Sie hat dem Latein
den familiären Umgang mit einer viel größeren Zahl von
Menschen voraus. Durch die nicht weiter begründete Postu-
lierung der Freundschaft unter den Volkssprachen meint Dan-
te dieser eine größere Universalität zusprechen zu können.
Das Latein hingegen ist abstrakter. elitärer und deshalb mit
den Volkssprachen nicht befreundet. Der Text Dantes ist nur
dann verständlich, wenn berücksichtigt wird, daß er sowohl
die anderen Volkssprachen als auch die Menschen, die sich
ihrer bedienen, als Freunde der Volkssprache bezeichnet.
§ 10
lo latino no a conversazione con tanti ••• amici] Der Ge-
danke der größeren Verbreitung der Volkssprache in ihren
verschiedenen Ausformungen stellt in VE, I, i, 4 den zweiten
Hauptgrund für die größere Würde der Volkssprache im Ver-
gleich zum Latein dar: „nobilior est vulgaris ... turn quia totus
orbis ipsa perfruitur, licet in diversas prolationes et vocabula
sit divisa" .
Kommentar zu Kap. vi, 11; vii 147

§ 11
non efamiliare di tutti] Zusätzlich zur extensiven Verbrei-
tung der Volkssprache („conversazione con tanti") führt Dante
mit dem Hinweis auf die familiäre Art und Weise des volks-
sprachlichen Umgangs noch ein qualitatives Argument zur
Begründung der unzulänglichen Kenntnis der Freunde der
Volkssprache durch das Latein an. Auch wenn viele Menschen
Latein sprechen, so bleibt doch ihr Verhältnis zu dieser Sprache
distanziert, so daß das Latein von ihnen nur eine mangelhafte
Kenntnis hat und die in § 6 begründete erkenntnistheoretische
Bedingung der vollständigen Kenntnis eines Dings nicht erfüllt
wird.
Kapitel vii

Dante schreitet in diesem Kapitel zum dritten nach dem Mo-


dell Diener-Herr konstruierten Grund der ungebührlichen Zu-
ordnung von lateinischem Kommentar und volkssprachlichem
Text: ein lateinischer Kommentar wäre dem Text ein ungehor-
samer Diener gewesen. Nach dem einleitenden § 1, der kurz
das Vorhaben in Erinnerung ruft, postuliert Dante in § 2 drei
Voraussetzungen des wahren Gehorsams: er muß süß und
nicht bitter, befohlen und nicht spontan und angemessen sein.
Diese Bedingungen erfüllt ein lateinischer Kommentar nicht,
wie in § 3 behauptet wird, woraus folgt, daß es unmöglich
gewesen wäre, den Kommentar in Latein zu verfassen. Dantes
Beweis hat die folgende Beweisstruktur:
M: DerwahreGehorsamistsüß, befohlen und angemessen.(§
1).
m: Dem lateinischen Kommentar ist süßer, befohlener und
angemessener Gehorsam gegenüber der Volkssprache
nicht möglich. (§ 3).
C: Der lateinische Kommentar kann gegenüber der Volks-
sprache nicht gehorsam sein. (§ 4).
Die conclusio steht in Widerspruch zu der in v, 4-6 teleolo-
gisch begründeten Bedingung, daß der Kommentar dem Text
148 Kommentar zu Kap. vii, 2.4-5

Gehorsam leisten muß. In den folgenden §§ 4-15 begründet


Dante die in der Minor behauptete Unmöglichkeit des süßen,
befohlenen und angemessenen Gehorsams eines lateinischen
Kommentars zu einem volkssprachlichen Text. Die §§ 4-5
behandeln den süßen Gehorsam, die §§ 5-8 die Spontaneität
und Befohlenheit und die§§ 9-15 die Angemessenheit. In§ 16
schließlich stellt Dante fest, daß mit diesem Beweisgang das
Thema des mangelnden Gehorsams eines lateinischen Kom-
mentars abgeschlossen ist. Damit ist auch der ganze, in den
Kapitel v-vii dargelegte, teleologische Beweis einer ungebühr-
lichen Zuordnung von lateinischem Kommentar und volks-
sprachlichem Text beendet.

§2
Obediente ..• dismisurata] Zum gänzlich befohlenen Ge-
horsam vgl. Gregorius Magnus, Moralia in lob, XXXV, xiv,
28: „per oboedientiam vero voluntas propria mactatur. Tanto
igitur quisque Deum citius placat, quanto ante eius oculos
repressa arbitrii sui superbia, gladio praecepti se immolat".
Ibidem, XXXV, xiv, 30: „sciendum summopere est quod ob-
oedientia aliquando, si de suo aliquid habeat, nulla est".

§§ 4-5
Dante begründet in den §§ 4-5 die mangelnde Süße eines
lateinischen Kommentars, wobei er wiederum streng syllogi-
stisch vorgeht:
Ml: Jedes Ding, das aus einer verkehrten Ordnung
hervorgeht, ist bitter. ( § 4).
ml: Befehle des Dieners an den Herrn gehen aus einer
verkehrten Ordnung hervor. (§ 4).
Cl: Befehle des Dieners an den Herrn sind bitter und
nicht süß. (§ 4).

M2: Der Gehorsam eines bitteren Befehls kann nicht


süß sein. (§ 4).
Kommentar zu Kap. vii, 4-S 149

m2: Der Diener gibt dem Herrn bittere Befehle ( = Cl)


C2: DerGehorsamdesHerrnkannnichtsüßsein. (§4).

M3 (=C2): Der Gehorsam des Herrn kann nicht süß sein


m3: Das Latein ist der Herr über die Volkssprache.
(§ 5)
C3: Der Gehorsam des Lateins gegenüber der Volks-
sprache kann nicht süß sein. (§ 5).

M4 (=C3): Der Gehorsam des Lateins gegenüber der Volks-


sprache kann nicht süß sein.
m3: Die Kanzonen sind in der Volkssprache verfaßt.
(§ 5).
C 3: Der Gehorsam des Lateins gegenüber den Kanzo-
nen kann nicht süß sein. (§ 5).

M4 ( =C3): Der Gehorsam des Lateins gegenüber den Kanzo-


nen kann nicht süß sein. (§ 5).
m4: Der Kommentar ist auf Latein verfaßt.
C4: Der Gehorsam des Kommentars gegenüber den
Kanzonen kann nicht süß sein. (§ 5).

C4 widerspricht der Voraussetztung, daß die Kanzonen in


bezug auf den Kommentar die Stellung des Befehlshabers zum
Diener einnehmen(§ 5). Durch diese Beweisschritte gelangt
Dante zur Folgerung, daß sich aus der Annahme eines lateini-
schen Kommentars (m4) zu volkssprachlichen Kanzonen eine
unmögliche ("impossibile e") Schlußfolgerung ergibt. Er gibt
auch diesem Beweis die Form eines Syllogismus ad impossibi-
le (vgl. supra Einleitung zu Kapitel v-vii). Die Praemisse, die
zu der unmöglichen Schlußfolgerung führt und fallengelassen
werden muß, ist m4.
perverso ordine •.• lo subietto comandare] Vgl. Thomas
vonAquino, Sum. theol., 11-11, 104, 1, c: "Oportuitautemin
rebus naturalibus ut superiora moverent inferiora ad suas ac-
150 Kommentar zu Kap. vii, 6-8

tiones, per excellentiam naturalis virtutis collatae divinitus.


Unde etiam oportet in rebus humanis quod superiores moveant
inferiores per suam voluntatem, ex vi auctoritatis divinitus
ordinatae ... Et ideo, sicut ex ipso ordine naturali divinitus
instituto inferiora in rebus naturalibus necesse habent subdi
motioni superiorum, ita etiam in rebus humanis, ex ordine
iuris naturalis et divini, tenentur inferiores suis superioribus
obedire".

§§ 6-8
In diesen§§ erläutert Dante den zweiten Grund des mangeln-
den Gehorsams eines lateinischen Kommentars. Ein lateini-
scher Kommentar hätte manches ohne ausdrücklichen Befehl
erklärt und dem Kriterium des Gehorsams, nämlich ohne jeg-
lichen eigenen Antrieb zu handeln, nicht genügt. Dante ver-
steht den Gehorsam im strengen Sinne: nur diejenige
Handlung, die ohne Befehl weder ganz noch teilweise ausge-
führt worden wäre, wird als eine aus Gehorsam hervorgegan-
gene bezeichnet. In § 2 wurden die gänzliche Befohlenheit und
vollkommene Absenz von spontaner Ausführung einer Hand-
lung als notwendige Merkmale des wahren Gehorsams be-
zeichnet. In § 6 nimmt Dante dieses Kriterium auf und for-
muliert in Form einer propositio ypotetica conditionalis, was
unter gänzlicher Befohlenheit und Abwesenheit von Sponta-
neität zu verstehen ist:
"Wenn der Handelnde ohne Befehl weder ganz noch teil-
weise aus eigenem Willen gehandelt hätte, wäre der Gehor-
sam gänzlich befohlen und in keiner Weise spontan". (Vgl.
dazu Petrus Hispanus, Tractatus, I, 16; 8f: "Propositio ypo-
tetica est illa que habet duas propositiones cathegoricas prin-
cipales partes sui, ut 'si horrw currit, horrw rrwvetur' (... )
Conditionalis est illa, in qua coniunguntur due cathecorice per
hanc coniunctionem 'si', ut 'si horrw currit, horrw rrwvetur; et
illa cathecorica cui immendiate coniungitur hec coniunctio
'si', dicitur antecedens, alia vero consequens". Die Wahrheit
Kommentar zu Kap. vii, 6-8 151

einer solchen propositio ypotetica conditionalis besteht laut


Petrus Hispanus (ibidem; 9) in der Tatsache, daß das conse-
quens eine notwendige Bedingung des antecedens ist: "Ad
veritatem conditionalis exigitur, quod antecedens non possit
esse verum sine consequentis, ut 'si home est, animal est'.
Unde omnis conditionalis vera est necessaria, et omnis condi-
tionalis falsa est impossibilis" . Dantes nachfolgender Beweis
beruht auf genau dieser Tatsache: Die Befohlenheit und voll-
kommene Abwesenheit einer inneren Motivation des Han-
delnden sind notwendige Bedingungen des Gehorsams. Ein
lateinischer Kommentar ergibt etwas Unmögliches, nämlich
einen Gehorsam, der nicht vollständig befohlen und frei von
eigenem Willen ist. Die von Dante in § 6 formulierte proposi-
tio ypotetica conditionalis wird in § 7 durch ein konkretes
Beispiel erläutert, von dem am Schluß des Paragraphen be-
hauptet wird, genau gleich verhalte es sich mit dem Gehor-
sam eines lateinischen Kommentars gegenüber den
volkssprachlichen Kanzonen. Diese Aussage wird in § 8 be-
gründet: Der lateinische Kommentar hätte ohne Befehl viele
Teile der Kanzonen erklärt und erklärt sie für den aufmerk-
sam in den lateinischen Schriften Suchenden. Aus der pro-
positio ypotetica conditionalis in § 6 und der Begründung in §
8 ergibt sich folgender Syllogismus, mit dem die Unmöglich-
keit eines lateinischen Kommentars bewiesen wird:
M: „Wenn der Handelnde ohne Befehl weder ganz noch teil-
weise aus eigenem Willen gehandelt hätte, wäre der Ge-
horsam gänzlich befohlen und in keiner Weise spontan".
m: Das Latein hätte ohne Befehl viele Teile der Kanzonen
erklärt und erklärt sie für den aufmerksamen in den latei-
nischen Schriften Suchenden.
C: Der Gehorsam des lateinischen Kommentars wäre nicht
gänzlich befohlen gewesen.

In § 2 wurde die gänzliche Befohlenheit als notwendiges


Merkmal des wahren Gehorsams bezeichnet. Verbindet man
152 Kommentar zu Kap. vii, 6. 7

C mit der in § 2 gestellten notwendigen Bedingung, so ergibt


sich folgender, von Dante nicht mehr ausformulierter aber aus
seinen Aussagen sich ergebender, Syllogismus:
M: der wahre Gehorsam ist gänzlich befohlen und in keiner
Weise spontan
m: Der Gehorsam des lateinischen Kommentars wäre nicht
gänzlich befohlen gewesen
C: Der Gehorsam des lateinischen Kommentars wäre nicht
wahrer Gehorsam gewesen.

Die Bedeutung der zuletzt genannten conclusio wird sofort


ersichtlich, wenn sie mit der von Dante in v, 5 begründeten
Voraussetzung, daß der Kommentar, in Analogie zur Bezie-
hung Diener-Herr, dem Text gegenüber Gehorsam schuldig
ist, in Beziehung gesetzt wird. Die Annahme eines lateini-
schen Kommentars impliziert Konsequenzen, die der in v, 5
begründeten Voraussetzung widersprechen.

§6
obedienza interamente comandata „. in parte] "propri-
um obiectum obedientiae est praeceptum, quod quidem ex al-
terius voluntate procedit" (Thomas von Aquino, Sum. theol.,
11-11, 104, 2, ad 3). Für textkritische Probleme zu 'quello ehe
Ja obediendo' vgl. Vasoli, Kommentar zur Stelle.

§7
Vgl. Sum. theol., 11-11, 104, 2, ad 3: „Obedientia reddit
promptam hominis voluntatem ad implendam voluntatem alte-
rius, scilicet praecipientis. Si autem id quod ei praecipitur sit
propter se ei volitum, etiam absque ratione praecepti, sicut
accidit in prosperis, iam ex propria voluntate tendit in illud, et
non videtur illud implere propter praeceptum, sed propter
voluntatem propriam". Diese Thomasstelle wird bei Busnelli/
Vandelli (Kommentar zur Stelle) treffend als Quellenhinter-
grund zitiert.
Kommentar zu Kap. vii, 8.9-15 153

§8
lo latino ... alcuna] 'lo latino' scheint mehrdeutig, denn es
kann damit das Latein allgemein als Sprache der Wissenschaft
oder aber der lateinische Kommentar gemeint sein. Diese Tat-
sache hat in der Forschung zu mehreren voneinander abwei-
chenden Interpretationen geführt, die C. Vasoli (Kommentar
zur Stelle) bespricht. Es kann die Meinung vertreten werden,
daß Dante beide Bedeutungen miteinander verbindet. Der ein-
geschobene Satz 'ed espone, chi cerca bene le scritture latina-
mente scritte' ist nur verständlich, wenn vom Latein allgemein
die Rede ist, denn die Kennntnis der in Latein verfaßten
Schriften erklärt vieles von selber, was für das volgare in
keinem Teil, das heißt in keiner der in diesem Idiom verfaßten
Schriften der Fall ist. Im Satz 'lo latino sanza lo comandamen-
to di questo signore averebbe esposite molte parti de La sua
sentenza' deutet der Irrealis der Vegangenheit von 'averebbe
esposite' darauf hin, daß der nicht in Latein geschriebene
Kommentar und nicht das Latein im allgemeinen gemeint ist.
In jedem Falle ist der Gedankengang Dantes in Analogie zu §
7 nachzuvollziehen. Das Latein, in dem die Bücher der Wis-
senschaften verfaßt sind, wie auch ein lateinischer Kommen-
tar erfüllen die Bedingung des wahren Gehorsams nicht, weil
sie vieles aus eigenem Antrieb ohne Befehl erklärt hätten.

§ 9-15
In diesem Abschnitt behandelt Dante die letzte notwendige
Bedingung des wahren Gehorsams, die Angemessenheit, die
darin besteht, einen Befehl vollständig zu erfüllen, aber nicht
darüber hinaus zu gehen (§ 9). Der lateinische Kommentar
hätte einerseits den Befehl nicht erfüllt, andererseits durch
„ Übermaß gesündigt" (§ 10), denn er hätte die Kanzonen nur
den Gelehrten ausgelegt, obschon sie für alle Menschen ge-
schrieben sind, die die Volkssprache verstehen(§ 11-12), und
er hätte sie allen ausgelegt, die Latein verstehen, also auch
Deutschen, Engländern etc., die die Schönheit der italieni-
154 Kommentar zu Kap. vii, 9

sehen Kanzonen nicht erkennen können, denn Poesie läßt sich


laut Dante nicht ohne Verlust der Schönheit in andere Spra-
chen übertragen(§§ 13-15).

§9
l'obedienza con misura ••• oltre] Vgl. Thomas von Aqui-
no, Sum. theol., 11-11, 104, 2, ad 2: „Obedientia medium est
inter superfluum, quod attenditur ex parte eius qui subtrahit
superiori obedientiae debitum quia superabundat in implendo
propriam voluntatem, et diminutum, quod attenditur ex parte
superioris cui non obeditur".
la natura particulare ••• la mano, e non piil ne meno] Das
von Dante sehr knapp formulierte Beispiel des Gehorsams der
partikularen Natur gegenüber der universalen birgt eine kom-
plexe Lehre in sich, auf die Dante in späteren Schriften wie-
derholt zurückgegriffen hat (Vgl. dazu ED, IV, 14-17; Perler,
Kommentar zu Abhandlung über das Wasser und die Erde, §
44). Zugrunde liegt die aristotelische, auf Avicenna zurückge-
hende und u. a. von Roger Bacon (Communia naturalia, c. 7;
92-93) und Albert dem Großen dem lateinischen Mittelalter
vermittelte Einteilung der Natur in eine universale Natur, ge-
meint ist die supralunare Welt der Himmelskörper und ihre
Wirkungen, und eine partikulare Natur, worunter die genera-
tiven Wirkungen der einzelnen sublunaren Naturdinge ver-
standen werden: „Intelligo autem per naturam particularem
virtutem propriam regiminis unius individui, et intelligo per
naturam universalem virtutem infusam in substantias caelo-
rum, quasi unam rem et gubernantem universitatem gene-
rationum" (Avicenna, Liber de philosophia prima, VI, 5;
335). Vgl. Albertus von Orlamünde, Philosophia pauperum,
I, I; 446: „Unde Avicenna distinguit duplicem naturam, sci-
licet. universalem et particularem. Universalem appellam
<sie> diffusam virtutem in substantia coelorum. Particu-
larem appellat illam quae est in istis rebus singularibus, sive
individuis, ut illam quae est in hac planta et in hoc grano,
Kommentar zu Kap. vii, 9 155

secundum quod dicitur quod natura est vis insita rebus ex simi-
libus similia procreans". (Zu der Verfasserschaft vgl. Grab-
mann, Die Philosophia pauperum und ihr Verfasser). Die auch
im Werk Alberts des Großen verarbeitete Unterscheidung
zwischen natura particularis und natura universalis (vgl. e.g.
Phys., II, i, 5) entwickelte sich zur doctrina communis, die
auch Thomas von Aquino wiedergibt: "Natura quidem parti-
cularis est propria virtus activa et conservativa uniuscuiusque
rei. Et secundum hanc omnis corruptio et defectus est contra
naturam, ut dicitur in II de Caelo: quia huiusmdo virtus inten-
dit esse et conservationem eius cuius est. Natura vero univer-
salis est virtus activa in aliquo universali principio naturae,
puta in aliquo caelestium corporum; vel alicuius superioris
substantiae, secundum quod etiam Deus a quibusdam dicitur
natura naturans" (Sum. theol., 1-II, 85, 6). Wie der Text des
Thomas exemplifiziert, wurde das Modell der zwei Naturen
dazu verwendet, einerseits die innerweltliche generatio auf die
supralunare Welt der Himmelskörper zurückzuführen und
andererseits die Defekte und Unvollkommenheiten der gene-
rativen Kraft des innerweltlichen Naturdinges und nicht den
Wirkungen der unveränderlichen Himmelskörper zuzuschrei-
ben. Auch die Questio de aqua et terra greift das Thema in
diesem Zusammenhang auf: „Propter quod sciendum est quod
Natura universalis non frustratur suo fine; unde, licet natura
particularis aliquando propter inoboedientiam materie ab in-
tento fine frustretur, Natura tarnen universalis nullo modo
potest a sua intentione deficere, cum Nature universali equali-
ter actus et potentia rerum, que possunt esse et non esse, sub-
iaceant". (Dante, Questio, 44; vgl. auch Mon., II, ii, 3). Die
in Conv. und Questio identische Verwendung der Gehorsams-
Metapher für das Verhältnis der natura particularis zur natura
universalis erachte ich als ein zusätzliches Argument zugun-
sten der Authentizität der Questio de aqua et terra. Falls die
Formen nach der Absicht der universalen Natur verwirklicht
werden, Dante gebraucht das Beispiel der fünf Finger, kann
156 Kommentar zu Kap. vii, 9

von einem vollkommenen Gehorsam der an die Materie ge-


bundenen partikularen Natur gesprochen werden, so wie in der
oben zitierten Questio (§ 44) im Falle einer Defizienz von
"Ungehorsam" die Rede ist. Für das Beispiel der fünf Finger,
das im Anschluß an Aristoteles ein Standardbeispiel der
Schulphilosophie war. Vgl. e.g. Albert, Phys., II, 2, 17: „Sed
maximam quam potest habere differentiam casus ad fortunam,
habet in operibus naturae, cum aliquid in naturae operibus fiat
extra naturae intentionem, et est, sicut fit digitus sextus vel duo
capita in uno corpore vel carentia digiti vel aliquorum mem-
brorum". Thomas von Aquino, Summa c. gen., IV, 41, n.
3789; Sent. Eth., V, 16; In Met„ XI, 8, n. 9. Für das Problem
natura universalis-deus vgl. Kommentar zu Conv., III, iv, 10.
la giustizia [quando fa •••] ••• peccatore] Die Passage 'qu-
ando fa quello ... giustizia' ist in der Edition der SD konjiziert
und Busnelli/Vandelli kritisieren zurecht die allzu allgemeine
Formulierung, denn in der unmittelbar vorausgehenden Stelle
wird eine konkrete Handlung der natura particularis, das
Hervorbringen von zweiunddreißig Zähnen und fünf Fingern,
in Entsprechung zur natura universalis vorgetragen. Analog
dazu müßte in der Stelle von einer der kommutativen Gerech-
tigkeit entsprechenden Bestrafung des Sünders die Rede sein.
Busnelli/Vandelli schlagen deshalb vor 'quando ja quello'
durch 'quando ja pagar lo debito de la pena' zu ersetzen.
Übersetzt lautet dann der Satz: „Der Mensch ist der Gerech-
tigkeit gehorsam, wenn er dem Sünder die von der Gerechtig-
keit vorgeschriebene Strafe zukommen läßt und nicht mehr
und nicht weniger". Vgl. Thomas von Aquino, In IV Sent„
dis. 15, q. 1, a. 2: „quia iustitia est idem quod contrapassum
( ... ) sed contingit aequalem poenam sumere delectationi, quae
fuit in peccando". Ders„ In IV Sent., dis., 15, q.1, a. 3:
„aequalitas iustitiae restituatur per recompensationem aequa-
lis poenae". Ders., In/VSent„ dis. 20, q.l, a. 2: homoredu-
citur ad aequalitatem justitiae per poenam inflictam, sed hoc
non esset, si quantitas culpae et poenae non sibi respondent".
Kommentar zu Kap. vii, 11.12 157

§ 11
Ein lateinischer Kommentar hätte den Befehl der Kanzonen
einerseits nicht erfüllt und andererseits überzogen. Dante for-
muliert in diesem Paragraphen, worin dieser Befehl besteht:
Die Kanzonen sind in der italienischen Volkssprache verfaßt
und deshalb für jenes Publikum bestimmt, das diese Sprache
versteht. Ihr Befehl an den auf sie hingeordneten Kommentar
lautet, daß sein Publikum mit demjenigen der Kanzonen iden-
tisch sein muß.

§ 12
Der lateinische Kommentar würde den Befehl nicht erfül-
len, denn er wäre nur für die Gelehrten geschrieben, wogegen
die meisten, die die Kanzonen verstehen wollen, Ungelehrte
sind. Dante nimmt hier mit dem Gedanken der Vermittlung
von Wissen an die vom normalen Wissenschaftsbetrieb aus
verschiedenen Gründen Ausgeschlossenen ein Leitmotiv des
Conv. wieder auf. Ein lateinischer Kommentar hätte seinem
Unternehmen in einem entscheidenden Punkt widersprochen.
Vgl. Kommentar zu 1, i.
litterati ... non litterati] In dem hier angesprochenen Kon-
text des möglichen Nichtverstehens eines lateinischen Kom-
mentars durch die non litterati bezeichnet dieser Term die der
lateinischen Bildungssprache Unkundigen (Vgl. Grundmann,
Litteratus/illiteratus, 3-14). Ein Beherrschen bzw. nicht Be-
herrschen der Bildungssprache hatte weitreichende Gründe
und Konsequenzen, so daß mit dem Begriffspaar 'litterati-non
litterati' auch bei Dante eine soziale Wirklichkeit bezeichnet
wird, die sowohl den Bildungsstand, als auch den damit ver-
bundenen sozialen Status impliziert. Eine Bildung, die über
elementare Kentnisse der lateinischen Sprache hinausging,
erwarb sich der Mann zur Zeit Dantes, mit Ausnahme dessel-
bigen, im Schoße der Kirche als Kleriker und Theologe oder
aber an der Universität als Theologe, Artist, Jurist oder Medi-
ziner, wobei ein stattliche Anzahl der Artisten und Juristen
158 Kommentar zu Kap. vii, 13

ebenfalls Kleriker waren (zur Thematik Laie-Illiteratus vgl. R.


Imbach, Laien, 21-26). Dem von Dante mit 'litterati' bezeich-
neten Publikum kommt demnach eine bestimmte Art von Bil-
dung zu, die man als universitär bezeichnen könnte, und es
gehört zu einer bestimmten sozialen Schicht. Wie H. Grund-
mann (Litteratuslillitteratus, 8) überzeugend darlegt, sind die
'non litterati' hingegen nicht einfach Ungebildete, sondern es
sind Menschen, die über eine aus der mündlich-volkssprachli-
chen Tradition hervorgegangene Laien- und Adelsbildung
verfügen, die bis zur Zeit Dantes eine zunehmende Verschrift-
lichung erfahren hatte und in deren Milieu auch die volks-
sprachlichen Kanzonen Dantes gehörten. Nach seiner Exilie-
rung hielt sich der Alighieri meist an Fürstenhöfen auf, so daß
davon ausgegangen werden kann, daß er mit 'non litterati'
unmittelbar sein Publikum bezeichnet, dem er mit einer Kom-
mentierung in Latein eine Erklärung seiner Kanzonen vorent-
halten würde. Interessant ist dabei die Bemerkung aus§ 8, die
Erklärung seiner Kanzonen sei in den lateinischen Schriften zu
finden. Nebst dem persönlichen Motiv, seinem neuen Publi-
kum seine Person und sein Werk vorzustellen, geht es Dante
also um die Vermittlung einer in der lateinischen Sprache ver-
faßten universitären philosophischen Bildung. Er setzt sich
über die durch das Begriffspaar 'litterati/non litterati' zum
Ausdruck kommende Polarität zwischen zwei verschiedenen
Bildungswelten hinweg und schreibt einen philosophischen
Kommentar für 'non litterati'. Weiter zum Thema vgl. F.
Bäum!, Varieties and Consequences of Medieval Literacy and
Illiteracy; P. Zumthor, Litteratuslllliteratus.

§ 13
Dante erläutert, daß ein lateinischer Kommentar die Kanzo-
nen den litterati anderer Sprachen ausgelegt hätte, diese aber
die Kanzonen selbst nicht in ihrer poetischen Schönheit erfas-
sen können. Der lateinische Kommentar wäre somit über den
Befehl hinausgegangen. Wiederum hat Dante eine präzise
Kommentar zu Kap. vii, 14 159

Vorstellung seines Publikums, das er in diesem Falle auf die


der italienischen Sprache Kundigen einschränken will.

§ 14
musaico armonizzata ••. armonia] Vgl. II, xi, 9: "ma po-
nete mente la sua [canzone] bellezza, ch'e grande si per con-
struzione, la quale si pertiene a li gramatici, si per l'ordine sei
sermone, ehe si pertiene a li rettorici, si per lo numero de le
sue parti, ehe si pertiene a li musici". II, xiii, 23: „la Musica,
la quale e tutta relativa si come si vede ne le parole armoniz-
zate e ne li canti, de' quali tanto piu dolce armonia resulta".
Diese Zitate stützen die Vermutung, Dante meine mit 'mu-
saico' nicht einfach 'poetisch' im allgemeinen Sinne (Busnelli/
Vandelli, Komm. zur Stelle), sondern 'zur Musik gehörend'.
Dieses Verständnis scheint auch eine Stelle in VE zu belegen:
„si poesim recte consideremus: que nichil aliud est quam fictio
rethorica musicaque poita".
Zu Dantes Thematisierung der Schwierigkeit, Texte zu
übersetzen, sowie zu den Beispielen, die er dazu anführt, wird
in der Forschung auf Hieronymus (Prefatio in Eusebii Caesa-
riensis Chronicon) verwiesen: "Vetus iste disertorum mos
fuit, ut exercendi ingenii causa Graecos libros Latino sermone
absolverent, et quod plus in se difficultatis habet poemata illu-
strium virorum, addita metri necessitate, transferrent. Unde et
noster Tullius Platonis integros libros ad verbum interpretatus
est: et cum Aratumjam Romanum hexametris versibus edidis-
set, in Xenophontis Oeconomico lusit. In quo opere ita saepe
aureum illud flumen eloquentiae scabris quibusdam et turbu-
lentis obicibus retardatur, ut qui interpretata nesciunt, a Cice-
rone dicta non credant. Difficile est enim, alienas lineas
insequentem non alicubi excidere: arduum, ut quae in aliena
lingua bene dicta sunt, eumdem decorem in translatione con-
servent. Significatum est aliquid unius verbi proprietate, non
habeo meum quod id efferam; et dum quaero implere senten-
tiam, longo ambitu vix brevia spatia consumo. Accedunt hy-
160 Kommentar zu Kap. vii, 15

perbatorum anfractus, dissimilitudines casuum, varietates fi-


gurarum; ipsum postremo suum, et, ut ita dicam, vemaculum
linguae genus. Si ad verbum interpretor, absurde resonat; si
ob necessitatem aliquid in ordine, vel in sermone mutavero, ab
interpretis videbor officio recessisse . . . et difficultatem rei
etiam divinorum voluminum instrumenta testentur, quae a
LXX lnterpretibus edita, non eumdem saporem in Graeco ser-
mone custodiunt ... Inde adeo venit, ut sacrae litterae minus
comptae, et dure sonantes videantur, quod diserti homines
interpretatas eas de Hebreo nescientes, dum superficiem, non
medullam, inspiciunt, ante quasi vestem orationis sordidam
perhorrescunt, quam pulchrum intrinsecus rerum corpus inve-
niant. Denique quid Psalterio canorius? quod in morem nostri
Flacci, et graeci Pindari, nunc iambo currit, nunc alcaico per-
sonat, nunc Sapphico turnet, nunc semipede ingreditur. Quid
Deuteronomii et Isaiae Cantico pluchrius? quid Salomone gra-
vius? quid perfectius Job? Quae omnia hexametris et pentame-
tris versibus, ut Josephus et Origenes scribunt, apud suos
composita decurrunt. Haec cum Graeca legimus, aliud quid-
dam sonant; cum Latine, penitus non cohaerent. Quod si cui
non videtur linguae gratiam interpretatione mutari, Homerum
ad verbum exponat Latinum. Plus aliquid dicam, eumdem in
sua lingua prosae verbis interpretetur, videbit ordinem ridicu-
lum et poetam eloquentissimum vix loquentem". Als weitere
Stelle kann angeführt werden: Hieronymus, Epistula 106,
vol. 55, § 12; 255: "sed in latino sermone, si tranferatur, fit
indecora translatio et nos emendantes olim psalterium, nolui-
mus, ne nimia novitate lectoris studium terreremus".

§ 15
Omero] Wie die oben zitierten Stellen des Hieronymus dar-
legen, muß Dantes Erwähnung Homers nicht von einer direk-
ten Kenntnis des Textes herrühren, zumal Dante kein
Griechisch konnte umd dem Mittelalter der Text der beiden
Epen Homers Ilias und Odysee nicht direkt bekannt war. (vgl.
Kommentar zu Kap. vii, 15 161

W. Kullmann, Bermerkungen zum Homerbild des Mittelal-


ters). Boccaccio war nach eigener Aussage der erste, der die
lateinische Übersetzung der Ilias des Leontius Pilatus (ca.
1360) gehört hat (vgl. A. Petrusi, Leonzio Pilato). Dennoch
hat Dante einzelne Themen Homers, die er aus anderer Quelle
kannte, ausgearbeitet. Vgl. R. Imbach, Odysseus im Mittelal-
ter.
Salterio] Dieses Wort steht zur Zeit Dantes ganz allgemein
für das die Psalmen enthaltende Gebetsbuch. Die Angabe, die
Psalmen seien von der hebräischen in die griechische und von
griechischen in die lateinische Sprache übersetzt worden, steht
nicht bei Hieronymus (er hat die Psalmen bei seiner dritten
Übersetzung direkt aus dem Hebräischen ins Lateinische über-
setzt; vgl. dazu LMA, II, 91f.) und ist insofern interessant, als
Dante im Conv. alle Zitate aus den Psalmen in seiner eigenen
italienischen Übersetzung wiedergibt (A. Penna, ED, IV,
1079) und die allgemein gebräuchliche Bibelübersetzung,
wenn auch nur aus ästhetischen Gründen, kritisiert. Dante be-
kundet also einen ungezwungenen Umgang mit der Autorität,
stützt sich aber dabei auf ein historisch-kritisches Argument
bezüglich des ursprünglichen Bibeltextes. Der Sache nach
trifft Dantes Argument der Übersetzung der Psalmen aus dem
Hebräischen ins Griechische und aus dem Griechischen ins
Lateinische nur auf die erste, und in eingeschränktem Maße
auf die zweite Übersetzung des Hieronymus zu. Die seit dem
7. Jahrhundert gebräuchliche, als Psalterium Gallicanum be-
kannte zweite Übersetzung des Hieronymus, beruhte auf den
Hexapla, einer von Origenes hergestellten Parallelausgabe des
hebräischen Textes, der griechischen Übersetzung des Aqui-
la, des Symmachus, der Septuaginta und des Theodotion so-
wie einer Rezension der Septuaginta, die die Abweichungen
zwischen dem hebräischen Text und der Septuaginta kenntlich
machte. Gänzlich vom hebräischen Text aus ging die dritte,
als Psalterium iu.xta Hebraeos bekannte Version, die jedoch
nicht in die Vulgata aufgenommen wurde (vgl. H. de Sainte-
162 Einleitung zu Kap. viii-ix; viii, 1

Marie, Sancti Heronymi psalterium iuxta Hebraeos). Dante


war demnach die letzte Übersetzung des Hieronymus iuxta
Hebraeos nicht bekannt, er verwies aber auf einen auf das
Psalterium Gallicanum und auf die erste Übersetzung zutref-
fenden Sachverhalt.

Kapitel viii-ix

Bereits in 1, i, 19 hat Dante das gesamte Unternehmen seiner


Schrift als ein Trachten nach "vollkommener und wahrer Frei-
gebigkeit" bezeichnet (vgl. auch Kommentar dazu). Dieses
Leitmotiv variiert er in den folgenden zwei Kapiteln zu einer
Rechtfergtigung der Wahl der Volkssprache, indem er in Ka-
pitel viii die Freigebigkeit in drei Punkten charakterisiert und
in Kapitel ix jeden dieser Punkte auf das Verhältnis des Kom-
mentars zum Text anwendet und begründet, weshalb der
volkssprachliche Kommentar die Bedingungen der vollende-
ten Freigebigkeit besser erfüllt als der lateinische. Dem er-
sten, in viii, 3-4 dargelegten wesentlichen Merkmal der Frei-
gebigkeit, vielen zu geben, entspricht der Teil ix, 2-5, wo
dessen Anwendung auf den Kommentar durchgeführt wird.
Die zweite Bedingung der Freigebigkeit, nützliche Dinge zu
geben (viii, 5-13), wird in ix, 6-9 auf das Verhältnis des Kom-
mentars zum Text übertragen; den dritten Grund, das Geben
aus freien Stücken (viii, 14-17), verwendet Dante in ix, 10 als
Kriterium zur Entscheidung der Frage nach der geeigneteren
Sprache des Kommentars zu einem volkssprachlichen Text.

Kapitel viii

§1
Dem Paragraphen kommt eine Schamierfunktion zu; er
schafft die Verbindung zwischen dem vorangehenden Teil,
der der Ordnung zwischen Kommentar und Text gewidmet ist,
Kommentar zu Kap. viii, 2 163

und dem nun folgenden Abschnitt über die vollendete Freige-


bigkeit.
pronta liberalitate] Es geht Dante bei dieser Bezeichnung
weniger um die Unverzüglichkeit des Gebens, die in der Tra-
dition oft als Teilaspekt der Liberalität verstanden wurden
(vgl. Vasoli, Kommentar zur Stelle), sondern vielmehr be-
zeichnet 'pronta' allgemein die Qualität der inneren Bereit-
schaft zur freigebigen Handlung. Vgl. Thomas von Aquino,
Sent. Eth., IV, 2; 206: "liberalis, qui est promptus ad benefa-
ciendum donando".

§2
Dante führt in diesem Paragraphen drei Punkte auf, an de-
nen man die Freigebigkeit erkennt, und die, wie er darlegen
wird, aus dem volkssprachlichen Kommentar, nicht aber aus
dem lateinischen hervorgehen. Die wahre Freigebigkeit be-
steht darin, vielen (1) nützliche Dinge (2) aus freien Stücken
(3) zu geben.
la pronta liberalitate ... dare quello] Die dreiteilige Cha-
rakterisierung der Freigebigkeit findet sich bis heute so nir-
gends in den Quellen, Dante ließ sich aber in einzelnen Ele-
menten von der Tradition beeinflussen. Den Punkt, vielen zu
geben, beziehen Busnelli/Vandelli und Vasoli (Kommentare
zur Stelle) auf Aristoteles, Eth. Nie., IV, 1120b4-6 bezie-
hungsweise Thomas von Aquino, Sent. Eth., IV, 2; 206: „Ad
liberalem pertinet ut vehementer superabundet in datatione,
non quidem sie quod superabundet a ratione recta, sed ita,
quod datio in ipso superabundet retentioni, quia minus sibi
relinquit, quam aliis det; paucis enim in se ipso contentus est,
sed, dum vult multis providere, oportet quod plurima largia-
tur". Auch eine Stelle Senecas (De benef, I, 14) wird zitiert:
"Qui beneficia sua amabilia vult esse, excogitat quomodo et
multi obligentur". Für das Geben nützlicher Dinge als zweiter
Bedingung der Freigebigkeit muß auf Eth. Nie., IV, 1:
1120a21-22 als Texthintergrund hingewiesen werden: „End-
164 Kommentar zu Kap. viii, 3-15

lieh führt von allen Tugenden die Freigebigkeit am ehesten zur


Freundschaft. Denn solche sind nützlich, und zwar durch das
Geben" (Gigon, 128). Die von Vasoli zitierten Stellen (Kom-
mentar zur Stelle) thematisieren das Geben an bestimmte Leu-
te zur rechten Zeit am rechten Ort und entsprechen dem Ge-
danken Dantes nicht genau. Für weitere Bezüge zu Seneca (De
beneficiis) vgl. Kommentar zu§ 5. Das Geben aus freien Stük-
ken, ohne gefragt worden zu sein, ist ebenfalls ein traditionel-
les Element der Freigebigkeit. Vgl. dazu Brunetto Latini, Tre-
sor, II, 95; 276: „Mais eil ki ne se laisse demander loguement
muteplie son don, pour ce que tres bonne chose est davancier
Je desirier de chascun. Senekes dit, eil n'a pas pour nient Ja
chose ki par priere Ja requiert, nule chose ne couste plus chier
que cele ki est achatee par priiere. Li mestres dist, c' est amere
parole et anvieuse en qui doit baissier Je vout, ke dire, Je pri.
Tobies dit, priere est vois de misere et parole de dolor. Pour ce
sourmonte toutes manieres de don eil ki vient a 1'encontre et ki
est fete sans requeste. Tuilles dist, plus est gracieus uns petis
dons fais isnelement que uns autres grans ki est a paines do-
nes".

§§ 3-15
In den §§ 3-15 begründet Dante, warum die aus wahrer
Freigebigkeit zu gebenden Dinge notwendigerweise nützlich
sein müssen. In den §§ 3-5 führt er dazu je ein Argument an.
Mit § 6 beginnt eine längere Begründung (§§ 6-15), in der
vier Gründe dargelegt werden, weshalb die Gaben der vollen-
deten Freigebigkeit notwendigerweise nützlich sein müssen.
Die §§ 7-8 sind der notwendigen Heiterkeit der Tugend, die
den ersten Grund darstellt, gewidmet. Die zweite Bedingung
besteht in der Notwendigkeit der Tugend, die Dinge zum Bes-
seren hinzubewegen (§§ 9-11). Drittens führt Dante den
Grund an, daß die Tugend Freunde Schaffen muß, was im
Falle der Gabe nur durch ein nützliches Ding erreicht wird
(§§ 12-13). In den§§ 14-15 behandelt Dante den vierten und
Kommentar zu Kap. viii, 3.4 165

letzten Grund der Nützlichkeitsbedingung: die Freiheit der


tugendhaften Handlung, die sich dadurch manifestiert, daß
der Geb.er seine Gabe nach der Nützlichkeit, die diese für den
Empfänger hat, bestimmt.
§3
In diesem Paragraphen beginnt die Begründung des ersten
Punktes vollendeter Freigebigkeit: vielen zu geben.
Che dare a uno ••. benefattore] Die Stelle kommt einem
Passus des Ethikkommentars des Thomas von Aquino (1, 2;
9) sehr nahe: „bonum quod habet rationem causae finalis,
tanto potius est quanto ad plura se extendit ... Pertinet quidem
enim ad amorem qui debet esse inter homines quod homo
quaerat et conservet bonum etiam uni soli homini, sed multo
melius et divinius est quod hoc exhibeatur toti genti et civita-
tibus. Vel aliter: amabile quidem est quod hoc exhibeatur uni
soli civitati, sed multo divinius est quod hoc exhibeatur toti
genti, in qua multae civitates continentur. Dicit autem hoc
esse divinius eo quod magis pertinet ad Dei similitudinem,
qui est universalis causa omnium bonorum".

§4
E ancora, dare a molti „. componendo] Dante überträgt
die traditionelle Lehre, das Gesetz müsse sowohl den Einzel-
nen Menschen als auch dem Allgemeinwohl dienen, auf seine
Begründung des Gebrauchs der Volkssprache zur Wissens-
vermittlung. Er verwendet einen in der Scholastik allgemein
anerkannten Gedanken zur Rechtfertigung seines eigenen,
von den ausgetretenen Pfaden der Schulphilosophie sich stark
unterscheidenden Unternehmens. Vgl. Thomas von Aquino,
Sum. theol., 1-11, 90, 2: „Rursus, cum omnis pars ordinetur
ad totum sicut imperfectum ad perfectum, unus autem homo
est pars communitatis perfectae: necesse est quod lex proprie
respiciat ordinem ad felicitatem communem". Vgl. außerdem
Sum. theol., 11-11, 31, 2: „cum dilectio caritatis se extendat ad
omnes, etiam beneficentia se debet extendere ad omnes".
166 Kommentar zu Kap. viii, 5

§5
dare cose non utili ••• uno scudo] Für diese Stelle ist laut S.
Debenedetti (Dante e Senecajilosofo, 16) Seneca, De benef,
1, xi, 6 als Quelle zu betrachten: „Utique cavebimus, ne mu-
nera supervacua mittamus, ut feminae aut seni arma venatoria,
aut rustico libros, aut studiis ac litteris dedito retia. Aeque ex
contrario circumspiciemus, ne, dum grata mittere volumus,
suum cuique morbum exprobatura mittamus, sicut ebrioso
vina et valetudinario medicamenta". G. Mezzadroli (Seneca
in Dante, 56f.) hat darauf hingewiesen, daß Dante diese Stelle
indirekt über Brunetto Latini (Tresor, II, 85, 14) bekannt ge-
wesen sein könnte, der sie seinerseits den Moralium dogma
philosophorum (laut Mezzadroli PL, 171, 1018; für eine neue
Edition siehe Holmberg, 17f) entnommen hat: „Nous devons
teus dons doner ki ne soient pas oiseus; car a fernes no doit on
doner armes ac chevaliers. Senekes dist. nous donrons teus
choses ki ne reprocent a home ne a sa maladie, c'est a dire ke
l'om doit a l'yvre doner vin". Senecas 'anna venatoria' wird
in den Moralium dogma philosophorum (ibidem) zu 'anna
militaria', bei Brunetto zu 'armes as chevaliers' und schließ-
lich bei Dante zu 'uno scudo'. Ansonsten weicht Dante stark
von der angenommen Quelle ab und konstruiert eine anschau-
liche Antithese zwischen dem Ritter und dem Arzt. Für die
Möglichkeit eines unnützen Geschenkes vgl. auch De benef,
IV, xv, 4: „adeoque ad beneficia nos non inpellit utilitas, ut
inutilia tueri ac fouere perseveremus sola beneficii caritate".
li Aphorismi d'lpocras] Mit den Aphorismi des Hippocra-
tes und den Tegni des Galen nennt Dante zwei medizinische
Schulschriften des Mittelalters, deren Lektüre sich kein Medi-
zinstudent entziehen konnte. Das abendländische Mittelalter
hat im Gegensatz zum arabischen und byzantinischen niemals
über das gesamte Hippokratische und pseudo-hippokratische
Schrifttum verfügt. Die von Dante erwähnten Aphorismi, die
mit den einprägsamen Zeilen „ Vita brevis ars autem prolixa
tempus acutum vero velox experimentum autem fallens" be-
Kommentar zu Kap. viii, 5 167

ginnen, stellen die am besten bekannte und am weitesten ver-


breitete hippokratische Schrift dar, die im Mittelalter in der
artistischen und medizinischen Ausbildung als Grundlagen-
text verwendet und wiederholt kommentiert wurde. Unter den
bekanntesten Kommentatoren finden sich Petrus Hispanus,
Taddeo Alderotti und Amaldo von Villanova. Wie die Studien
von A. Beccaria (Sulle trace di un antico canone und Gli
Aforismi di Ippocrate) dargelegt haben, zirkulierte bereits im
6. Jahrhundert eine lateinische Übersetzung mit Kommentar,
so daß es sich um eine der ersten dem lateinischen Mittelalter
zugänglichen Texte des corpus hippocraticum handelt. Die
Schrift ist, wie man glaubte, von Galen in sieben Abschnitte
eingeteilt worden, die Abhandlungen zu Hygiene und Diäte-
tik, der Beziehung Schlaf und Krankheit, zum Einfluß der
Jahreszeiten und der athmosphärischen Konstellationen, so-
wie der möglichen Krankheitenje nach alter, zur Diagnostik,
zum Einfluß von Wärme und Kälte auf die Gesundheit, zu
Spasmen, Epilepsie, Tetanus und Frauenkrankheiten, zur
Prognose und Charakterisierung von Krankheiten und ihrer
Therapie, und zu Symptomen, Komplikationen und Abfolge
von Krankheiten enthalten. Vgl. dazu P. Kibre, Hippocrates
La.tinus, 29-33. Ein Repertorium der Handschriften von Text
und Kommentaren: ibidem, 34-90. Dante bringt in der Com-
media seine Verehrung für Hippocrates zum Ausdruck (vgl.
Purg., XXIX, 137f.), und er läßt ihn in lnf., IV, 143 mit
Galen und Avicenna in einer Dreiergruppe von Medizinern
unter den großen Geistern der Antike und des arabischen Mit-
telalters im Limbo weilen.
li Tegni di Galieno] Mit den Tegni des in Rom tätigen
griechischen Arztes Galen (A.D. 129-199) erwähnt Dante eine
zweite allgemein bekannte Schulschrift mittelalterlicher Medi-
zin, deren abendländische Rezeptionsspuren bis ins Früh-
mittelalter zurückgehen, denn in der Hs. Ambrosiana G 108
inf. (9. Jhd) ist ein lateinischer Kommentar zu den Tegni über-
liefert, der laut Kolophon in Ravenna von einem gewissen
168 Kommentar zu Kap. viii, 5

Simplicius verfaßt worden ist (A. Beccaria, I codici di medici-


na, 290). Die Galenische Ars medica (Ars parva oder Micro-
tegm), wurde früh, höchstwahrscheinlich von Constantinus
Africanus ( + 1087), ins Lateinische übersetzt (Laut Werteli-
ste: vgl. H. Bloch, Monte Cassino in the Middle Ages, 100,
128. NurinHs. Oxford, BodleianLibrary, Ashmole 1285, fol.
118-126 wird die alte lat. Übersetzung Constantinus Africanus
zugeschrieben. Im Spätmittelalter bezeichnete man diese
Übersetzung in der Annahme, sie beruhe auf dem griechischen
Text, als translatio greca. Im lateinischen Mittelalter zirku-
lierte zusammen mit dem Kommentar des Haly (Ali ibn Rod-
wan) auch eine zweite, von Gerhard von Cremona ( + 1187)
verfaßte, eher paraphrasierende Übersetzung der Tegni, die als
translatio arahica bezeichnet wurde. B. Nardi hat auf die
Kommentierung der Tegni in Bologna durch Torrigiano und
Taddeo Alderotti zur Jugendzeit Dantes hingewiesen (Ne!
mondo di Dante, 53-55), eine daran anschließende, aber um-
fassendere Untersuchung der Tegni-Kommentierung zur Zeit
und im Umfeld Dantes durch Taddeo Alderotti ( + 1295), Pie-
tro d' Abano (1250-1315), Pietro Torrigiano de' Torrigiani ( +
ca. 1320), Bartolomeo da Varignana ( + 1321) und Dino de!
Garbo ( + 1327) liefert jedoch P. Ottosson, Scholastic Medici-
ne and Philosophy. A study of Commentaries on Galen 's Tegni
(ca. 1300-1450), 34-63.
Per ehe li savi .•• donando] Das Gebot der Nützlichkeit des
Geschenkes geht zurück auf antike stoische Quellen. Vgl. mit
Busnelli / Vandelli Seneca, De benef., II, xvii: „Eadem bene-
ficii ratio est: nisi utrique personae, dantis et accipientis apta-
tur, nec ab hoc exibit, nec ad illum perveniet ut <lebet". Vgl.
Ibidem., IV, ix, 1: „ergo beneficium per se expetenda res est.
Una expectatur in eo accipientis utilitas; ad hanc accedamus
sepositis commodis nostris". Vgl. auch Cicero, De off., 1,
xiv, 42: "Videndum est igitur ut ea liberalitate utamur quae
prosit amicis, noceat nemini". Vgl. dazu G. Mezzadroli, Sen-
eca in Dante, 58f.
Kommentar zu Kap. viii, 6.7-8.7 169

§6
Dieser Paragraph dient als Überleitung zu der Begründung
der notwendigen Nützlichkeit der Freigebigkeit. Dantes Recht-
fertigung dieses Gedankens besteht aus vier in den §§ 7-15
erläuterten Argumenten.

§§ 7-8
Das erste Argument hat folgende Struktur: Aus dem Prin-
zip, daß die Tätigkeit der Tugend im Geben und Nehmen hei-
ter sein muß, folgt eine consequentia, die im Beweis die maior
M bildet:
M: Wenn die Wohltat im Geben und Nehmen nicht heiter ist,
entspringt sie nicht vollkommener Tugend.
m: Nur die Nützlichkeit kann Heiterkeit bewirken.
C: Also muß im Gebenden die Vorraussicht des Nutzens für
ihn und den Empfänger bestehen(§ 8).

§7
la vertu dee essere lieta .•• operazione] Dante dehnt eine
bei Thomas von Aquino auf den Geber bezogene Überlegung,
wonach die Gabe der Freigebigkeit aus Heiterkeit zu erfolgen
hat, auf den Empfänger aus: Die freigebige Handlung muß
beim Empfänger Heiterkeit hervorrufen, dies kann sie nur,
wenn die Gabe dem Empfänger nützlich ist. Vgl. Sent. Eth.,
II, 3; 83: „sed post habitum virtutis generatum, huiusmodi
operationes fiunt delectabiliter, quia habitus inest per modum
cuiusdam naturae, ex hoc autem est aliquid delectabile quod
convenit alicui secundum naturam". Ibidem, IV, 2; 206: „li-
beralis dat delectabiliter vel saltem sine tristitia (ita enim est in
omni virtute ... )".
letizia non puo dare altro „. pronta liberalitade] Dante
rezipiert hier die auch bei Thomas von Aquino vorgetragene
Lehre des bonum honestum des Gebers und des bonum utile
des Empfängers, wobei der Florentiner aber beide als Nutzen
bezeichnet und so den von Thomas noch explizit hervorgeho-
170 Kommentar zu Kap. viii, 9-11.9

benen Wertunterschied zwischen den beiden bona verwischt.


Vgl. Thomas von Aquino, Sent. Eth., IX, 7; 525: „et ideo
benefactor delectatur in beneficiato sicut in eo in quo invenitur
eius bonum; sed bene patiens, qui scilicet recipit beneficium,
non habet aliquod bonum honestum in operante, idest in bene-
factore ... , sed si habet aliquod bonum, hoc est bonum utile,
quod est minus delectabile et amabile quam bonum ho-
nestum".

§§ 9-11
Der hier vorgetragene Beweis stützt sich auf das in § 9 und
10 begründete Prinzip, daß die Tugend die Dinge zum Besse-
ren bewegen muß. Ein Ding muß durch die Veränderung, die
es im Gegebenwerden erfährt, besser, wertvoller oder lobens-
wert werden (§ 11). Wertvoller oder lobenswert kann es nur
sein, wenn es dem Empfänger nützlicher ist, als dem Geben-
den. Der Beweis beruht auf einer teleologisch begründeten
Identifikation von 'besser' und 'nützlicher', die sich so nicht
in den von BusnelliNandelli und Vasoli zitierten Thomas-
Texten findet. Diese enthalten nur das Prinzip, nicht aber die
von Dante vorgenommene Anwendung zum Beweis der Not-
wendigkeit nützlicher Gaben der Liberalität. (Kommentare
zur Stelle).

§9
la vertll dee muovere le cose .„ al migliore] Vgl. Aristo-
teles, Eth. Nie., II, 5; 169: „Dicendum igitur quoniam virtus
omnis cuius utique fuerit virtus, et id bene habens perficit, et
opus eius bene reddit". Vgl. Thomas von Aquino, In Plrys.,
VII, 5: „Virtus enim universaliter cuiuslibet rei est quae bo-
num facit habentem et opus eius bonum reddit". Ders., Sent.
Eth., II, 6; 94: „Et huius ratio est quia virtus alicuius rei
attenditur secundum ultimum id quod potest, puta in eo quod
potest ferre centum libras, virtus eius determinatur non ex hoc
quod fert quinquaginta, sed ex hoc quod fert centum, ut dicitur
Kommentar zu Kap. viii, 10 171

in 1 De caelo; ultimum autem ad quod potentia alicuius rei se


extendit est bonum opus,et ideo ad virtutem cuiuslibet rei per-
tinet quod reddat bonum opus".

§ 10
e
biasimevole invano adoperare] Wichtige Exponenten der
mittelalterlichen Philosophie und Theologie bekunden nebst
dem naturphilosophischen "horror vacui et in.finiti" einen
"horror indifferentis". Albert der Große spricht für eine Viel-
zahl seiner Zeitgenossen, wenn er unter Bezugnahme auf Pe-
trus Lombardus das vergebliche oder indifferente Tun und
Treiben moralisch verurteilt: "Secundum Theologum nihil est
indifferens, quia etiam vanum et otiosum computatur in pra-
vum" (Ethica, VIII, 4; 606). Die Stelle, auf die sich Albert bei
Petrus Lombardus höchst wahrscheinlich bezieht, lautet:
"Omnia igitur opera hominis secundum intentionem et causam
iudicantur bona vel mala". (II Sent., d. 40). Ausführlich dis-
kutiert Albert die Frage in: In II Sent., d. 40, D„ a. 3. 4 und
in De bono, 1, ii, 7. 8. Albert unternimmt eine methodische
Trennung zwischen einer theologischen und ethischen Sicht-
weise und hält fest, dass die Unmöglichkeit moralisch indiffe-
renter Handlungen nur für die Theologie gilt: „dicimus nihil
esse indifferens in operibus voluntatis cum deliberatione factis
secundum theologum, licet secundum ethicum aliquid indiffe-
rens possit inveniri. Et hoc est ideo, quia secundum ethicum
nulla virtus ponitur, quae sit generale movens ad omnes actus
voluntarios, sed unaquaeque movet in sua materia. Secundum
theologum autem ponitur caritas generale movens omnium
operum voluntariorum, et propter hoc de operibus illis nihil
est indifferens". (Albert, De bono, 1, ii, 7; 34). Es ist die
theologische Sichtweise, gemäß der alle Handlungen zur Ehre
Gottes und zum Heil des Menschen vorgenommen werden
müssen, die laut Albert das „ vanum", „otiosum" und „ indif-
ferens" verbietet: „Motus voluntatis, qui per imperium fiunt a
ratione, de natura sui ordinabiles sunt in gloriam dei; sed ratio
172 Kommentar zu Kap. viii, 12-13

data est ad hoc homini praecipue, ut cognoscant deum; ergo


data est ad hoc, ut referat opera ad ipsum; ergo ad hoc tenetur
omnis homo". (De bono, 1, ii, 8; 35). Dantes nur erwähntes
aber nicht weiter begründetes Verbot des „invano adoperare"
hat demnach in der Tradition vor ihm eine theologische Be-
gründung erfahren, die aber nicht so pauschal ausgefallen ist,
wie dies Dante im Hinblick auf sein Argumentationsinteresse
gerne hätte. Albert differenziert nämlich zum Schluß der que-
stio zur Indifferenz seine Position und räumt bei der individu-
ellen Handlungen sowie deren Beurteilung die Möglichkeit
moralischer Indifferenz ein, nicht aber bei einer Handlungs-
folge und der Betrachtung ihres übergeordneten Motivs: „Re-
ducitur autem ad actum obligationis per hoc quod sit opus
ordinabile in gloriam dei. Sed relatio in gloriam dei duplex
est. Quaedam enim est particularis, quae coniuncta est singulis
operibus, et quaedam universalis, quae refertur ad multa opera
successive. Sicut si aliquis promittit dare centum marcas pro-
pter deum et dat per solidos et per plures dies vel hebdomadas,
non oportet, quod in datatione solidorum singulariter referat
in gloriam dei, sed sufficit prima relatio, nisi actualiter revo-
cat eam". (1, ii, 8; 36).

§§ 12-13
Den dritten Beweis der notwendigen Nützlichkeit der Gaben
der Freigebigkeit stützt Dante auf die Prinzipien, daß die
Handlungen der Tugend Freunde schaffen muß (Ml) und daß
Freunde nötig sind für das glückliche Leben (M2). Die not-
wendige Bedingung der Erzeugung von Freundschaft durch
eine Gabe ist deren Nützlichkeit (m), also folgt, daß die Gaben
nützlich sein müssen (C).
la vertu „. acquistatrice d'amici] Die traditionelle Lehre,
daß die Tugend Freundschaft erzeugt, wird bei Dante zu ei-
nem Imperativ umformuliert. Die tugendhaften Handlungen
müssen Freundschaft erzeugen. Vgl. Seneca, De benef., II,
xviii: „Sie est beneficiorum sacratissimum ius, ex quo oritur
Kommentar zu Kap. viii, 13.14-15 173

amicitia". Vgl. Thomas von Aquino, Sum. theol., II-II, 23, 3,


ad 1: "virtus est causa verae amicitiae".
cosa ehe la nostra vita . . . abbisogni] Der Gedanke der
Notwendigkeit der Freundschaft für ein glückliches Leben
findet sich bei Aristoteles, Eth. Nie., VIII, 1; 298: "Post hec
autem de amicicia sequitur utique pertransire. Est enim virtus
quedam vel cum virtute. Adhuc maxime necessarium in
vitam".
l'utilitade sigilla la memoria] Vgl. Thomas von Aquino,
Sent. Eth., IX, 7; 525: "Benefactor autem habet in beneficiato
memoriam boni honesti, beneficiatus autem in benefactore
memoriam boni utilis". Den Gedanken der Erinnerung des
Aktes der Freigebigkeit bei Geber und Empfänger bezieht
Dante auf die Nützlichkeit, und er verbindet ihn mit der in
seiner Zeit herkömmlichen, auf Aristoteles' De anima zurück-
gehenden Vorstellung, daß sich Erinnerungen im Gedächtnis
einprägen wie Eindrücke im Wachs. Es ist laut Dante die
Nützlichkeit der Gabe, die dafür sorgt, daß sie sich im Ge-
dächtnis einprägt. Für die Wachs-Metapher vgl. e. g. Albert,
De memoria et reminiscentia, I, 4; 103: "et hoc sie est sicut
figura quaedam vel alius motus sensibilis gustus vel odoratus,
sicut sigillantis anuli qui in cera relinquit signum sine mate-
ria". Vgl. Ders., De anima, II, 4; 149.

§ 13
Martino ... Giovanni] Namen, die zur Zeit Dantes in allge-
meinen Beispielen und Redensarten verwendet wurden. Vgl.
III, xi, 7; Par., XIII, 139.

§§ 14-15
In diesem Abschnitt trägt Dante das vierte und letzte Argu-
ment zur Begründung der notwendigen Nützlichkeit der Ga-
ben der Freigebigkeit vor. Es beruht auf der Voraussetzung,
daß tugendhafte Handlungen frei und nicht erzwungen sein
müssen. Diesen Gedanken versucht Dante durch die Verwen-
174 Kommentar zu Kap. viii, 14.16-17.16

dung der Metapher des auf das gewollte Objekt gewandten


Blickes auf die Gabe der Freigebigkeit zu übertragen, die ih-
ren Blick nur dann auf dem Empfänger ausrichten kann, wenn
sie ihm nützlich ist.
§ 14
la vertii dee avere atto libero] Die Freiwilligkeit gilt als
konstitutives Element der tugendhaften Handlung. Vgl. Ari-
stoteles, Eth. Nie., 11, 4, 1106a3-4: „Ferner zürnen wir und
fürchten uns ohne Willensentscheidung, die Tugenden dage-
gen sind Entscheidungen" (Gigon, 88). Vgl. Thomas von
Aquino, Sen. Eth., II, 5; 92: „si accipiamus principales actus
virtutum qui sunt interiores, virtus est electio, si autem exte-
riores, virtus non est sine electione, quia exteriores actus vir-
tutum ab interiori electione procedunt".

§§ 16-17
Nach den vier Argumenten zur notwendigen Nützlichkeit,
die die zweite Bedingung der Freigebigkeit darstellt, kommt
Dante nun zurück auf deren drittes wesentliches Merkmal, das
ungefragte Geben. Der von Seneca entlehnte Hauptgedanke
dieser Argumentation besteht in der Vorstellung, daß, wo dem
Geben eine Bitte vorausgeht, ein Fall von Handel vorliegt, da
ein Käufer etwas zu kaufen versucht, das der Verkäufer nicht
verkaufen will.

§ 16
dice Seneca „. spendono] Der Verweis bezieht sich auf
Seneca, De benef., 11, i, 4: „nulla res carius constat, quam
quae precibus empta est". Die vielfältige, komplizierte und
zum Teil partielle Tradierung des De benef. Senecas im Mit-
telalter (vgl. Mezzadroli, Seneca in Dante, 47) verbietet es,
voreilig auf eine direkte Seneca-Lektüre Dantes zu schließen.
Das hier zitierte dictum konnte der Florentiner auch den Mo-
ralium dogma philosophorum („Nihil enim charius emitur,
quam quod precibus extorquetur"; PL, 171, 1016; Ed. Holm-
Kommentar zu Kap. viii, 18 175

berg, 14: „nulla enim res carius constat quam que precibus
empta est"), dem Tresor (II, 95, 2) des Brunetto Latini („Se-
nekes dit, eil n'a pas pour Dient la chose ki par priere la re-
quiert, nule chose ne couste plus chier que cele ki est achatee
par priiere") oder gar der Sum. theol., II-II, 83, 2, entneh-
men: „Praeterea, liberalius est dare aliquid non petenti quam
dare petenti: quia sicut Seneca dicit nulla res carius emitur
quam quae precibus empta est". Obschon von allen als Quelle
in Frage kommenden Stellen, diejenige des Thomas von Aqui-
no dem hier behandelten Convivio-Text am nächsten kommt
und Dante den Gedanken Senecas wohl nur indirekt kannte,
kann aufgrund anderer Seneca-Zitate bei Dante eine ander-
wärtige oder gar direkte Kenntnis Senecas nicht ausgeschlos-
sen werden (vgl. dazu Mezzadroli, Seneca in Dante, 48f.).
Den Gedanken des ungefragten Gebens wandte Dante in Par.,
XXXIII, 16-18 auch auf die Jungfrau Maria an: „La tua be-
nignita non pur soccorre a chi domanda, ma molte fiate / liber-
amente al dimandar precorre". („ Und deine Güte kommt nicht
nur zu Hilfe I Dem, der da bittet, nein, gar viele Male I Ist sie
der Bitte gern zuvorgekommen").

§ 18
Percbe si •.• ultimo trattato di questo libro] M. Barbi
(Einleitung zu Busnelli I Vandelli, XVf.) sah in dieser Stelle
einen Hinweis, daß Dante im vierzehnten Traktat des Conv.
die Kanzone Doglia mi reca kommentieren wollte, in der sich
folgende Stelle findet: „chi con tardare, e chi con vana vista.
chi con sembianza trista I volge il donare in vender tanto caro
quanto sa sol chi tal compera paga". Ein für die Inhaltsbestim-
mung des letzten geplanten Traktats nicht sehr aufschlußrei-
cher Verweis findet sich auch in Conv., III, xv, 14. Klarer ist
diesbezüglich ein Hinweis in Conv., 1, xii, 12, wo Dante vor-
wegnimmt, daß er im vierzehnten und letzten Buch des Conv.
die Tugend der Gerechtigkeit behandeln will (vgl. Kommen-
tar zur Stelle).
176 Kommentar zu Kap. ix, 2-5

Kapitel ix

Dieses Kapitel gehört inhaltlich und strukturell zum vorherge-


henden und legt dar, daß die in Kapitel viii begründeten Bedin-
gungen der Freigebigkeit nicht vom lateinischen, wohl aber
vom volkssprachlichen Kommentar erfüllt werden. Vgl. Ein-
leitung zu den Kapiteln viii-ix. In diesem Kapitel wird Dantes
Argumentationsweise zur Rechtfertigung des volkssprachli-
chen Kommentars besonders deutlich ersichtlich. In einem
ersten Schritt beweist er ad impossibile, daß ein lateinischer
Kommentar unmögliche oder unhaltbare Konsequenzen hätte,
um dann in einem weitem Teil ostensive darzulegen, daß der
volkssprachliche Kommentar in bezug auf den volkssprachli-
chen Text die Bedingungen dieses literarischen Genus besser
erfüllt.

§§ 2-5
In diesen §§ belegt Dante, daß der lateinische Kommentar
die Bedingung der Freigebigkeit, die darin besteht, vielen zu
geben, nicht erfüllt hätte (§§ 2-3), denn die Gelehrten außer-
halb Italiens hätten wohl den Kommentar, nicht aber den Text
verstanden. In diesem Passus setzt Dante zu einer überra-
schend bissigen Invektive gegen die geizigen italienischen Ge-
lehrten an, denen er die Nahrung, die seine Kanzonen und sein
Kommentar bieten, nicht gönnen will. Er spricht ihnen sogar
die Bezeichnung als Gelehrte ab, denn sie erwerben Wissen
nicht zum Gebrauch, sondern um Geld und Ehre zu erlangen
(Vgl. auch III, xi, 19; Par„ XI, lff.). Solche Passagen doku-
mentieren den Außenseiterstatus des Alighieri und lassen die
damit verbundenen bitteren Erfahrungen des institutionell un-
geschützten und nur auf sich selbst gestellten Intellektuellen
erahnen. Der zweite Teil des Abschnitts (§§ 4-5) bringt den
positiven Erweis, daß die Volkssprache die Bedingung der
Freigebigkeit erfüllt und wirklich vielen dient. Auch hier
kommt die bittere Verachtung Dantes für die universitäre und
Kommentar zu Kap. ix, 2-S 177

kirchliche Gelehrtenwelt zum Ausdruck; er bezeichnet in aller


Klarheit das Publikum, dem seine Sympathien und seine
Schriften gelten: Prinzen, Grafen, Ritter und viele andere edle
Menschen, nicht nur Männer, sondern auch Frauen, die alle
des Lateins unkundig sind. In Conv., I, i hat Dante die auf
Aristoteles, Met., I, 1 zurückgehende und in zahlreichen Me-
thphysikkommentaren kurz behandelte Feststellung, daß die
Mehrheit der Menschen von der Wissenschaft ausgeschlossen
seien, zum zentralen Thema seines philosophischen Unterneh-
mens gemacht. Vgl. Kommentar. Das hier zu besprechende
Lemma fügt diesen Überlegungen die polemische Bemerkung
hinzu, daß auch von den sogenannten Gelehrten nicht einer die
wahre Disposition zum Empfangen von Wissen hat. Die Ge-
lehrten verdienen ihren Namen nicht. Es geht also Dante nicht
um die von zahlreichen spätmittelalterlichen Philosophen und
Theologen betriebene Unterweisung von Laien mit universi-
tär-klerikalem Wissen, sondern er will mit einem neuen Publi-
kum, das er für geeigneter hält als die sogenannten Gelehrten,
die aus der Wissenschaft eine Prostituierte gemacht haben, zur
wahren, von den Gelehrten nicht erreichten Philosophie gelan-
gen.
Die Wahl der Sprache dieser Philosophie ist wesentlich
durch die Wahl des für die Philosophie geeigneten, aber des
Lateins unkundigen Publikums bestimmt und somit konstitutiv
für das neue philosophische Unternehmen. Im Vergleich zu
einem überwiegend großen Teil der spätmittelalterlichen Phi-
losophie stellt Dantes Neubewertung des Publikums und der
Wechsel der Sprache der Philosophie einen Paradigmenwech-
sel dar, der die Schulphilosophie zwar nicht aus den Angeln
hebt, der ihr aber eine selbstbewußte Alternative entgegen-
stellt. Es geht Dante nicht nur, wie z. B. in Aegidius' Romanus
De regimine principum um die Belehrung des Volkes („Totus
tarnen populus erudiendus est per ipsum [librum]": 13 pars, l.
I, c. 1, 2v) mit höherem Wissen, sondern Dante will das Wis-
sen von einer Kaste, die es seiner Meinung nach monopolisiert
178 Kommentar zu Kap. ix, 5

und pervertiert hat, auf ein neues Publikum übertragen und


dadurch neu stiften.

§5
la bonta del animo] Die Invektive gegen die Gelehrten und
gegen deren Mißbrauch des Wissens und das Lob der unge-
lehrten, aber im wahren Sinne adeligen Menschen, die die
Philosophie empfangen können, bringt ein im weitesten Sinne
„sokratisches" Wissensideal zum Ausdruck, in dem Wissen
und Tugend innigst und wesentlich miteinander verbunden
werden und in dem die innere moralische Haltung und der
praktische Vollzug einer auf ethische Inhalte hin finalisierten
Wissenschaft den Primat über rein theoretische Erörterungen
erhalten. Dantes Kritik an den Gelehrten bedeutet in diesem
Sinne auch eine Abkehr von der nur objektiv ethischen und
moralisch nicht engagierenden Schulphilosophie hin zu einer
Philosophie des praktischen Vollzugs ethischer Prinzipien.
Diesen Vollzug vermögen nur die der Volkssprache kundigen
Adeligen zu leisten. Daß Dante damit nicht nur die Adligen
im feudalrechtlichen Sinne meint, sondern alle Menschen von
edler Geisteshaltung, belegt der Verweis in ix, 8 auf den vier-
ten Traktat des Conv., wo die nobilitade als von gesellschaft-
licher Stellung unabhängige Vollkommenheit des Menschen
verstanden wird (vgl. Kommentar zu IV, xix). Dennoch kann
davon ausgegangen werden, daß Dante in erster Linie ein
höfisch-aristokratisches Publikum ansprechen will und muß,
da er an Fürstenhöfen sein Auskommen findet. In diesem Zu-
sammenhang ist es interessant festzustellen, daß Dantes Auf-
zählung des Publikums der Beschreibung der Troubadour- -
Zuhörerschaft des Raimon Vidal ähnlich ist, was darauf
hindeuten könnte, daß der Alighieri, der durch seine Exilie-
rung in die Kreise des höfischen Troubadour-Milieus gelangt
ist, dieses Publikum für seine Poesie und Philosophie gewin-
nen will: „emperador, princeps, rei, duc, conte, vesconte,
contor, valvasor ... paucs et granz, meton totz iorns lor enten-
Kommentar zu Kap. ix, 5 179

diment en trobar et en chantar ... o q' en volon entendre ... "


(Razos de Trobar; 2).
non solamente maschi ma femmine] Die Tatsache, daß
Dante die illiterati für würdigere Empfänger und Hüter phi-
losophischer Texte hält als die litterati, ist an sich schon be-
merkenswert. Daß er aber in den Kreis dieses Publikums
noch explizit die Frauen aufnimmt, sprengt den Rahmen des
traditionellen Bildes der Philosophie endgültig. Das Einbe-
ziehen der Frauen in den Kreis der Zuhörerschaft ist jedoch
angesichts der oben besprochenen sozialen Zusammenset-
zung seines Publikums sehr einleuchtend.
Die neuere Forschung hat zutage gefördert, daß den Frauen
als Verfasserinnen von philosophischen Texten eine wichtige-
re Rolle zukommt, als dies noch E. W. Tielsch angenommen
hatte, als er von einem „philosophischen Exil der Frau im
Mittelalter" gesprochen hat (vgl. R. Imbach, Laien, 71, n.
270). Trotzdem muß die intellektuelle und schriftstellerische
Tätigkeit der Frau im Spätmittelalter im Rahmen einer klaren
gesellschaftlichen Diskriminierung bewertet werden, auf des-
sen Hintergrund Dantes explizite Aufnahme der Frauen in das
Publikum der Philosophie von nicht geringer philosophiehi-
storischer Bedeutung ist. Die Frauen waren „propter sexus
imperfectionem" (Konrad von Megenberg, Yconomica, III, 2,
1; 211) vom Stand der Kleriker ausgeschlossen und sie wur-
den von den großen Philosophen der Zeit als dem Mann kör-
perlich und geistig unterlegene Geschöpfe betrachtet: Vgl.
Bonaventura, Comm. inIISent., dist. XVI, a. 2, q. 2, ad 1.2;
Opera, II, 404: „Vir enim, quia fortius est et praesidet mulie-
ri, superiorem portionem rationis significat, mulier vero infe-
riorem".
Die von Augustinus übernommene Entsprechung mulier-
ratio inferior I homo-ratio superior wurde von Thomas von
Aquino mit der Erbsündenlehre verbunden, wodurch eine
durch die Erbsündenlehre perpetuierte Entsprechung konstru-
iert wurde zwischen der geistigen Unterlegenheit der Frau und
180 Kommentar zu Kap. ix, 5

ihrer moralischen Erbschuld: „Praeterea, ut Augustinus dicit,


ordo tentationis interioris qui in nobis nunc agitur, repraesentat
ordinem tentationis in primir parentibus servatum. Sed in no-
bis tentatio a sensualitate incipit, et per inferiorem rationem in
superiorem producitur. Cum ergo sensualitas serpentem re-
praesentet, et inferior ratio mulierem, et superior virum, vide-
tur quod decentius fuit talis ordo tentationis in primo peccato,
ut in eo possit peccatorum sequentium similitudo ostendi"
(Comm. in II Sent., d. 21, q. 2, a. 1, sc). Außerdem übernahm
Thomas von Aquino von Aristoteles die berüchtigte Lehre der
Frau als „mas occasionatus", als Fehlleistung der partikularen
Natur, die nur im Horizont der Gesamtheit des Naturablaufs
durch die Rolle der Frau als Kindergebärerin halbwegs über-
wunden wird: „Per respectum ad naturam particularem, femi-
na est aliquid deficiens et occasionatum. Quia virtus activa
quae est in semine maris, intendit producere sibi simile perfec-
tum, secundum masculinum sexum: sed quod femina gene-
retur, hoc est propter virtutis activae debilitatem, vel propter
aliquam materiae indispositionem, vel etiam propter aliquam
transmutationem ab extrinseco, puta a ventis australibus, qui
sunt humidi, ut dicitur in libro de Generat. Anima/. Sed per
comparationem ad naturam universalem, femina non est ali-
quid occasionatum, sed est de intentione naturae ad opus gene-
rationis ordinata" (Sum. theol., 1, 92, 1, ad. 1).
All dies war nicht nur theoretische Spekulation, sondern
hatte konkrete Auswirkungen auf die soziale Stellung der
Frau. Im Hinblick auf die im hiesigen Kontext zur Diskussion
stehenden Frage nach der Wissensvermittlung an Frauen führ-
te das von den Gelehrten entworfene Bild zu eindeutigen Aus-
sagen. So beantwortete Thomas von Aquino die Frage, ob die
Frau Wissenschaft und Weisheit lehren könne, eindeutig ne-
gativ. Der öffentliche Lehrbetrieb blieb der Frau laut Thomas
versagt, weil sie erstens als untergeordnetes Wesen nicht die
Lehrerin des Mannes sein kann, zweitens den Mann nicht bil-
den, sondern in ihm nur die Fleischeslust reizen würde, und
Kommentar zu Kap. ix, 5 181

drittens die Frau die Weisheit gar nie so beherrschen würde,


daß sie sie öffentlich lehren könnte: "Respondeo dicendum
quod sermone potest aliquis uti dupliciter. Uno modo, private
ad unum vel paucos, familiariter colloquendo. Et quantum ad
hoc, gratia sermonis potest competere mulieribus. Alio modo,
pubilce alloquendo totam Ecclesiam. Et hoc mulieri non con-
ceditur. Primo quidem, et principaliter, propter conditionem
feminei sexus, qui debet esse subditus viro, ut patet Gen. 3.
Docere autem et persuadere publice in Ecclesia non pertinet ad
subditos, sed ad praelatos. Magis tarnen viri subditi ex com-
missione possunt exequi: quia non habent huiusmodi subiec-
tionem ex naturali sexu, sicut mulieres, sed ex aliquo ac-
cidentaliter supervenienti. Secundo, ne animi hominum
allicantur ad libidinem ... Tertio, quia, ut communiter, mulie-
res non sunt in sapientia perfectae, ut eis possit convenienter
publica doctrina committi". (Sum. theol., 11-11, 177, 2).
Die von Thomas und anderen großen Denkern der Zeit vor-
getragene Doktrin galt nicht nur für die Frau in der Lehre und
nicht nur für die Kirche, sondern hatte weitreichende gesell-
schaftliche Konsequenzen. Was die Bildung der Frauen be-
trifft, so muß die als modernitätsträchtiges Unternehmen be-
trachtete mittelalterliche Gründung der Universitäten auch in
einem negativen Sinne gesehen werden, denn die Frauen, die
in der klösterlichen Bidlungswelt noch ihren festen Platz hat-
ten, wurden durch die Professionalisierung und Offizialisie-
rung der Bildung an der Universität zum überwiegend großen
Teil ausgegrenzt (vgl. J. Ferrante, The Education of Women in
the Middle Ages, 9-42). Obschon Dante auf das theoretische
Fundament des scholastischen Frauenbildes nicht eingeht, so
setzt er durch die spezielle Erwähnung der Frauen als Adres-
saten des Conv. zusammen mit anderen Gruppen von illitterati
doch einen weiteren wichtigen Kontrapunkt zur Scholastik
und ergänzt sein Unternehmen der Transformation von Bil-
dungsformen und Bildungsinhalten um eine wichtige Dimen-
sion. Auf dem Hintergrund der Bresche, die Dante für die
182 Kommentar zu Kap. ix, 6-9

Frauen als Gelehrte schlägt, kann angenommen werden, daß


das im Conv. angefangene und in der Comm. wieder aufge-
nommene Programm der Allegorisierung der Philosophie
oder Theologie als Frauenfiguren mehr ist als nur die Thema-
tisierung eines traditionellen Topos. Dante hat sich, ob aus
Not oder aus Tugend bleibe dahingestellt, um die Frauen in
seinem Publikum bemüht. Zum scholastischen Frauenbild
vgl. E. Gössmann, Anthropologie und soziale Stellung der
Frau nach Summen und Sentenzenkommentaren des 13. Jahr-
hunderts.
§§ 6-9
Dieser Abschnitt wendet die in viii, 5-13 ausführlich be-
gründete Bedingung der Nützlichkeit auf das Problem der
Sprache des Kommentars an und legt dar, daß ein lateinischer
Kommentar keine nützliche Gabe gewesen wäre, denn er wäre
für die herkömmlichen Gelehrten bestimmt gewesen, denen
Dante aber den nötigen Adel, der zu Wissen und Tugend
führt, abspricht. Der Gedankengang Dantes beruht wie schon
beim oben behandelten Abschnitt auf der ungeheuerlichen
Voraussetzung, daß die litterati die Disposition zu Tugend
und Wissen gar nicht besitzen, sondern daß es vielmehr die
nur der Volkssprache kundigen Menschen sind, die den wah-
ren Adel und somit die angemessene Disposition zur Wissen-
schaft innehaben („questi sono quasi tutti volgari"; § 8). Daß
dabei einige Gelehrten eine Ausnahme bilden, wehrt Dante
mit dem aristotelischen dictum „eine Schwalbe macht noch
keinen Frühling"(§ 9) ironisch ab. Dante verfolgt mit seinem
Werk, die Menschen edler Geisteshaltung zu Wissen und Tu-
gend zu führen, ein praktisch-ethisches Ziel, in dem reines
Wissen ohne entsprechende tugendhafte Handlung oder aber
der falsche Gebrauch von Wissen zum Zwecke des Gelder-
werbs keinen Platz haben. Seine Kritik der „Gutheit nur dem
Vermögen nach" als unzulängliches Haben des vollkomme-
nen Seins (§ 6), ist auf dem Hintergrund von Conv., 1, i zu
lesen, wo dargelegt wird, daß die Wissenschaft den Menschen
Kommentar zu Kap. ix, 7 183

zur Vollkommenheit führt. Daraus wird ersichtlich, was Dan-


te in Buch II ausführlich thematisieren wird, nämlich daß nicht
mehr das aristotelisch oder thomistische Ideal des kontempla-
tiven Wissens angestrebt wird, das ohnehin fast niemand er-
reicht, sondern daß bei Dante ein praktisches Wissens- Glück-
seligkeits- und Vollkommenheitsideal an die Stelle des
Primats der theoretischen Philosophie getreten ist. Die Trans-
formation der Philosophie vom Primat des Theoretischen zum
Primat des Praktischen ist somit innigst verbunden mit der
Transformation des Publikums von den Gelehrten zu den
Ungelehrten und mit der Transformation der Sprache vom
Latein zur Volkssprache. Die Volkssprache, der vermeintlich
substantielle Mangel des Conv., ist aufgrund der hier vorge-
tragenen Rechtfertigung ein konstitutives Element dieses neu-
en Philosophieverständnisses im allgemeinen und des Kom-
mentars zu Dantes Kanzonen im besonderen, der als Gabe der
Freigebigkeit vielen praktischen Nutzen bringen soll. Nicht
verwechseln sollte man Dantes Transformation des Philoso-
phieverständnisses hin zum Primat der praktischen Philoso-
phie mit Petrarcas tendenziell fideistischer und apologetischer
Ablehnung der aristotelischen Schulphilosophie: „ vere autem
fidei notitia et altissima et certissima et postremo felicissima
sit scientiarum omnium! Qua deserta, relique omnes non vie,
sed devia, non termini, sed ruine, non scientie, sed errores
sunt" (De sui ipsius et multorum ignorantia; 130).

§7
per lo pelago del loro trattato] A. Pezard (Dans le sillage
de Dante, 1-5) kommt aufgrund textkritischer Überlegungen
zum Schluß, daß hier „per lo prologo de! secondo trattato"
(„aus dem Prolog des zweiten Traktats" gelesen werden müß-
te. Dieser Vorschlag hat eine gewisse Plausibilität, legt doch
Dante in II, i dar, wie er seine Kanzonen auszulegen gedenkt.
Andererseits kommt ausgerechnet in II, i, 1 die Metapher des
pelago wieder vor, was darauf hindeutet, daß auch hier 'pel-
184 Kommentar zu Kap. ix, 9.10

ago' gelesen werden kann: "entro in pelago con isperanza di


dolce cammino ... ". Vgl. auch Par., II, 5-6.

§9
si come dice il mio maestro] Eth. Nie., 1, 6, 1098a18: "Una
enim irundo ver non facit". Nach ED, III, 585 vgl. aber auch
Brunetto Latini, Tresor, II, 6, 3: "Car une seule arondele ki
viegne ne uns seus jours atempres ne donent par certaine en-
segne dou printens". Dantes Text ist näher bei Aristoteles als
bei Brunetto.
§ 10
Als letzte der drei Bedingungen der Freigebigkeit behandelt
Dante in diesem Paragraphen das ungefragte Geben und legt
dar, daß lateinische Kommentare in einer langen Tradition
stehen würden und, wie schon oftmals zuvor, Auftragswerke
darstellen, wogegen ein volkssprachlicher Kommentar etwas
ganz Neues ist und aufgrund von Eigeninitiative entsteht, ge-
wissermaßen „sich selbst gibt", wie Dante sagt.
si come ne' loro principü „. molte] Die Stelle ist interes-
sant, weil sie anzeigt, daß Dante ein aufmerksamer Leser von
Prologen war, in der ein Autor den Anlaß des Werkes, seine
Absicht und sein Zielpublikum zu erkennen gab. Schon aus
Conv., 1, i ging hervor, daß Dante eine ganz präzise Kenntnis
der Formen eines Prologs hatte (vgl. auch Kommentar dazu).
Freilich war die von Dante hier wörtlich interpretierte For-
mel, das Werk sei die Erfüllung einer Bitte, oft nicht mehr als
ein Bescheidenheitstopos (vgl. E. Curtius, Europäische Lite-
ratur, 92f.). Dennoch trifft der Alighieri in bezug auf den
Unterschied zwischen seinem Kommentar und den herkömm-
lichen lateinischen Kommentaren und anderen Schriften einen
entscheidenden Punkt, denn das Kommentieren von Texten
gehörte zu den zentralen Aufgaben der Universitätsmagister
und die Unzahl lateinischer Kommentare in der Rechtswissen-
schaft, Medizin, Theologie und Philosophie waren in diesem
Sinne nicht Gaben der Freigebigkeit, sondern Produkte der
Kommentar zu Kap. ix, 10 185

Pflicht. Nicht nur die Kommentare, sondern alle Schriften,


die im Rahmen einer institutionellen Verpflichtung gegen Be-
zahlung entstanden sind, unterscheiden sich von denjenigen
des freischaffenden Dichterphilosophen Dante Alighieri. Auf
welche Einleitungen, die einen Kommentar als Auftragswerk
ausweisen, Dante sich hier inhaltlich bezieht, ist nicht klar.
Nebst den von A. Pezard (Dante, Oeuvres compl., 299) und
E. Curtius (Europäische Literatur, 92f.) vorgetragenen anti-
ken Beispielen könnte aber Dante auch an Prologe mittelalter-
licher Schriften in lateinsicher Sprache gedacht haben. Vgl.
zum Beispiel Boethius, In Ciceronis Topica, 1: "Exhortatione
tua, Patrici, rhetorum peritissime, quae honestati praesentis
propositi et futurae aetatis utilitati coniuncta est, nihil antiqui-
us existimavi". Anselm von Canterbury, Monologion, Prolo-
gus: „Quidam fratres saepe me studioseque precati sunt, ut
quaedam, quae illis de meditanda divinitatis essentia et qui-
busdam aliis huiusmodi meditationi cohaerentibus usitato ser-
mone colloquendo protuleram ( ... )". Vgl. Gilbert von Poi-
tiers, Expositio in Boecii librum Primum de Trinitate,
Prologus: „Libros questionum Anicii quos exhortationibus
precibusque multorum suscepimus explanandos altissimos re-
rum ( ... )".Vgl. Boncompagno da Signa, Novissima Rhetori-
ca, Prologus: „Nicolaus episcopus Reginus, qui nobilis est
genere, nobilior moribus ( ... ) me non pro sua, sed pro studen-
tium utilitate sepius hortabatur, quod non deberem inchoatum
opus relinquere ( ... )". Schließlich die berühmte Stelle bei Al-
bert dem Großen (Physica, 1, 1, c. 1): "lntentio nostra in
scientia naturali est satisfacere pro nostra possibilitate fratri-
bus ordinis nostri nos rogantibus ex pluribus iam praecedenti-
bus annis, ut talem librum de physicis eis componeremus".
All diesen Stellen wären nicht unbedingt wörtlich zu verste-
hen, denn der Hinweis auf die Bitte um eine Schrift war ein
Topos der Werkeinleitung. Dante versucht, durch eine litera-
les Verständnis dieser Stellen, auf die Spontaneität und Frei-
gebigkeit seines Werkes hinzuweisen.
186 Einleitung zu Kap. x-xiii; x

Kapitel x-xiii

Die Kapitel x-xiii beinhalten den dritten und letzten Rechtfer-


tigungsgrund des volkssprachlichen Kommentars: die natürli-
che und vollkommene Liebe zur eigenen Sprache. Wie bereits
in der Einleitung zum gesamten Rechtfertigungsteil des ersten
Buches (v-xiii) gesagt worden ist, läßt sich auch dieser Ab-
schnitt in drei Teile gliedern. Das Kapitel x nennt den dritten
Rechtfertigungsgrund zunächst die natürliche Liebe zur
Volkssprache und ist gänzlich diesem Thema gewidmet. In
Kapitel xi knüpft Dante an ein Element der natürlichen Liebe
an, nämlich die Verteidigung des Geliebten, und holt zu einer
Diatribe gegen die Verächter der italienischen Volkssprache
aus. Die Kapitel xii-xiii schließlich beenden das erste Buch mit
einer Darstellung und Begründung von Dantes vollkommener
Liebe zur Volkssprache.

Kapitel x

Bevor Dante in diesem Kapitel mit der Erörterung des dritten


Enschludigunsgrundes einsetzt, hält er in den§§ 1-4 inne und
nimmt eine kurze Rechtfertigung der Länge seiner Entschuldi-
gung zum Anlaß, noch einmal die Originalität und Andersheit
seines Unternehmens hervorzuheben. Die Brotmetapher auf-
greifend weist Dante die Lesenden erneut darauf hin, daß er
durch seinen volkssprachlichen Kommentar von etwas Ab-
stand nimmt, was vor ihm während langer Zeit praktiziert
worden war. Diese Neuheit, die noch durch keine Erfahrung
geprüft worden ist, macht eine lange und umfassende Begrün-
dung notwendig. Freilich gewinnt man aus den einleitenden
Zeilen des Kapitels den Eindruck, daß Dante mit der Beweis-
last des Reformers auch die Ehre des Erneueres gerne auf sich
nimmt. In § 5 greift der Florentiner den Leitfaden seiner
Rechtfertigung wieder auf und setzt mit der Erörterung seiner
natürlichen Liebe zur Volkssprache als Grund des volks-
Kommentar zu Kap. x, 1-4.1 187

sprachlichen Kommentars ein. Wie er in § 6 erläutert, bewegt


die natürliche Liebe den Liebenden zu drei Verhaltensweisen,
die auch ihn zur Wahl der Volkssprache gedrängt haben. Nach
diesen drei sich aus der natürlichen Liebe ergebenden Hand-
lungen ist der Rest des Kapitels strukturiert. In den §§ 7-9
erörtert Dante, wie die natürliche Liebe ihn dazu bewogen hat,
die Volkssprache überschwenglich zu loben, in§ 10 schildert
er seine Leidenschaft für die geliebte Volkssprache und in den
§§ 11-13 legt er dar, daß die Verteidigung der Volkssprache
ein Motiv war, einen italienischen Kommentar zu schreiben,
durch den nicht nur die Güte und Schönheit des volgare, son-
dern auch dessen Tugend, das heißt dessen Fähigkeit, erhabe-
ne und unerhörte Gedanken passend zum Ausdruck zu
bringen, zur Darstellung gelangen soll. Der § 14 schließlich
leitet über zum nächsten Kapitel, in dem das Thema der Ver-
teidigung der Geliebten noch einmal aufgenommen und in
Form einer massiven Polemik gegen die Ankläger der Volks-
sprache ausgeführt wird.

§§ 1-4
Wie aus der Einleitung zu Conv. I hervorgegangen ist, stellt
das gesamte erste Buch den Prolog zum Werk dar, wobei der
zweite Teil (ii-xiii) das herkömmliche Einleitungs-Schema um
eine ausführliche Rechtfertigung verschiedener Mängel des
Werks erweitert. Dadurch überspannt Dante die gewohnte
Länge eines Prologs erheblich, was, wie er sich nun bewußt
wird, seinerseits einer kurzen Rechtfertigung bedarf, die er in
den ersten vier Paragraphen dieses Kapitels liefert, wobei er
durch die wiederholte Betonung der Neuheit und Andersartig-
keit seines Unternehmens aus der Not der Länge seiner Ent-
schuldigung geschickt eine Tugend macht.

§1
Grande vuole essere .•. frumento] Dante konstruiert die
Rechtfertigung der Größe der Entschuldigung durch eine Ent-
188 Kommentar zu Kap. x, 1

sprechung der Elemente 'grande scusa', 'nobile convivio per


le sue vivande', 'onorevole convitati'. Angesichts des convivo
nobile per le sue vivande und der onorevole convitati bedarf
die Verwendung der Volkssprache, die erneut durch die Me-
tapher des Gerstenbrotes zur Sprache kommt, einer langen
Rechtfertigung. Im Gegensatz zu der in den Kapiteln v-vii
angewandten Rechtfertigungsstrategie, die darauf angelegt
war, das Latein aufgrund seiner 'nobilita' (1, v, 7) als eine den
volkssprachlichen Kanzonen unangebrachte Sprache zu er-
weisen, verschiebt sich die Tendenz in den folgenden Kapiteln
in Richtung einer Gleichstellung von Latein und Volksspra-
che, meint doch Dante in x, 12, das volgare drücke erhabene
und unerhörte Gedanken „quasi come per esso latino" aus.
Wenn der Alighieri also in diesem einleitenden Paragraphen
das nobile convivio und die onorevole convitati, denen er in 1,
ix, 8 im Gegensatz zu den Gelehrten die wahre nobilita als
Disposition zur Erlangung von Weisheit zugesprochen hatte,
mit der Sprache seines Kommentars, dessen Inhalt er ebenfalls
als edel bezeichnet („nobile ... perle sue vivande"), in Ver-
bindung bringt, dann bedeutet dies, daß Dante in den folgen-
den Kapiteln darlegen will, was sich schon in der Erörterung
der größeren Freigebigkeit der Volkssprache angekündigt hat,
nämlich daß das volgare die Anforderungen des convivio no-
bile besser erfüllt als das Latein und daß Dantes „scusa" als
Ritterschlag der Volkssprache betrachtet werden muß. Dante
gibt der Volkssprache ihre wahre grandez.z.a, sein Kommentar
soll nicht nur die Wahrheit der Kanzonen, sondern auch die
wahre Güte der Volkssprache ans Licht führen („E questa
grandezza do io a questo amico, in quanto quello elli di bon-
tade avea in pondere e occulto, io lo fa avere in atto e palese
ne Ja sua propria operazione, ehe emanifestare conceputa sen-
tenza"; x, 9). Die Rechtfertigung ist nur deshalb so lang und
ausführlich, weil es sich um ein noch nie dagewesenes Unter-
nehmen handelt und weil die Praxis, von der es abweicht,
während sehr langer Zeit üblich war.
Kommentar zu Kap. x, 2.3 189

§2
vuole essere manifesta la ragione •.• commisurate] Das
Neue kann sich in der Beurteilung seiner Folgen nicht durch
positive Erfahrung rechtfertigen, sondern erfordert Vernunft-
gründe zu seiner Legitimation. Eine ähnliche Unterscheidung
zwischen Erfahrung und Vernunftevidenz macht Dante später
auch in der Mon.„ wo er verschiedene als Vernunftgründe
(rationes) bezeichnete Argumente von einem auf Erfahrung
beruhenden Argument methodisch abgrenzt: "Rationibus om-
nibus supra positis experientia memorabilis attestatur" (Mon.,
I, xvi, 1).

§3
la Ragione ••• usato] 'Ragione' steht bei Dante für das ge-
schriebene Recht, in diesem Falle für das Corpus iuris civilis,
das Römische Recht. Vgl. IV, xii, 9: "l'una e l'altra Ragione,
Canonica dico e Civile". Gleiche Verwendung auch in IV,
xix, 4: "si come scritto e in Ragione e per regola di ragione si
tiene". Vgl. auch IV, xxiv, 2; xxiv, 17. Dantes Bezeichnung
des Rechts mit 'Ragione' (ratio) entspricht einem im Mittelal-
ter mindestens seit dem 12. Jahrhundert verbreiteten Usus.
Vgl. dazu A. Guzman, Ratio scripta; H. Flasche, Die begriff-
liche Entwicklung des Wortes ratio, 178-196.
Dante zitiert Dig., I, 4, 2: "In rebus novis constituendis
evidens esse utilitas debet, ut recedatur ab eo iure, quod diu
aequum visum est". Obschon Dante das Römische Recht
höchst- wahrscheinlich auch direkt kannte, könnte er die hier
zitierte Stelle auch zahlreichen anderen Schriften entnommen
haben. Vgl. Boncompagni da Signa, Rhetorica novissima,
Prolog; 89: "Dicit enim lex, quod in rebus novis constituendis
evidens utilitas esse debet, ut recedatur ab eo iure, quod diu
equum visum est". ·
Auch Thomas vonAquino, Sum. theol., ,I-11, 97, 2: „Etideo
nunquam debet mutari lex humana, nisi ex aliqua parte tantum
recompensetur communi saluti, quantum ex ista parte deroga-
190 Kommentar zu Kap. x, 5

tur. Quod quidem contingit vel ex hoc quod aliqua maxima et


evidentissima utilitas ex novo statuto provenit ... Unde dicitur
Iurisperito quod in rebus novis constituendis, evidens debet
esse utilitas, ut recedatur ab eo iure quod diu aequum visum
est".
§5
l'ordine de la intera scusa] Der Paragraph hat eine Ord-
nungsfunktion und macht auf die bereits in v, 2 genannte innere
Struktur des gesamten Rechtfertigungsteils der Volkssprache
aufmerksam, in der sich die Lesenden nach dem kurzen Ein-
schub über die Länge des Prologs nun durch den Hinweis, daß
nach Abschluß der Erörterungen zu den beiden Gründen der
unpassenden Unordnung und der vollendeten Freigebigkeit
nun der dritte Grund der Liebe zur Volkssprache erörtert wer-
de, wieder zurechtfinden mögen. Die Existenz solcher Ord-
nungspassagen und im speziellen der hiesige Verweis auf die
ordine de La intera scusa machen deutlich, daß die in diesem
Kommentar vorgenommenen Analysen der Textstruktur der
vom Ordnungsgedanken getragenen Absicht des Alighieri ent-
sprechen und zur Erschließung des Textes beitragen. Was
Dante mit dem ordine de La intera scusa meint, wurde ausführ-
lich in der Einleitung zu den Kapiteln v-xiii erläutert (vgl.
supra).
naturale amore de la propria loquela] In Conv., v, 7 hatte
Dante die Überlegenheit des Lateins durch dessen Unverän-
derlichkeit begründet. Mit der nun einsetzenden Erläuterung
der natürlichen Liebe zur eigenen Sprache beginnt Dante eine
Wende hin zur Neubewertung des voLgare, denn mit dem na-
turaLe amore zur propria LoqueLa, zur materna locutio (VE, 1,
vi, 2) wird die Natürlichkeit des voLgare thematisiert, die in
VE, 1, i, 5 eine von drei Gründen der Überlegenheit der Volks-
sprache darstellt. Die Bevorzugung der Volkssprache wird
also schon im Conv., vorbereitet: „Harum quoque duarum
nobilior est vulgaris, ... turn quia naturalis est nobis, cum illa
[Latein] potius artificialis existat".
Kommentar zu Kap. x, 6 191

§6
Auch dieser Paragraph hat eine Strukturfunktion, denn er
erläutert kurz die drei Beweggründe, nach denen der Rest des
Kapitels eingeteilt ist. Erstens bewegt die Liebe den Lieben-
den zum überschwenglichen Lob des Geliebten (§§ 7-9),
zweitens zur Leidenschaftlichkeit (§ 10) und drittens drängt
die natürliche Liebe den Liebenden dazu, das Geliebte zu ver-
teidigen(§§ 11-13).
naturalmente e accidentalmente amo] Die Liebe zur eige-
nen Sprache ergibt sich aus der Natürlichkeit jeder Volksspra-
che. Vgl. dazu VE, I, i, 2-5: "quod vulgarem locutionem
appellamus eam qua infantes assuefiunt ab assistentibus cum
primitus distinguere voces incipiunt; vel, quod brevius dici
potest, vulgarem locutionem asserimus quam sine omni regula
nutricem imitantes accipimus ... nobilior est vulgaris ... turn
quia naturalis est nobis". Die schwer verständliche Bezeich-
nung seiner Liebe als akzidentell kann durch eine Stelle in Dino
del Garbos Kommentar zur Guido Cavalcantis Kanzone Donna
me prega erläutert werden. Zu dem Vers, in dem auch Caval-
canti seine Liebe als „d'uno accidente" bezeichnet, schreibt
Dino: „Dicitur autem haec passio accidens, primo quod non est
substantia per se stans, sed est alteri adherens sicut subiecto, ut
appetitus anime, simili modo sicut anime passiones, que sunt
ira, tristitia, timor et similia; secundo dicitur accidens, quod
potest aduenire et etiam recedere sicut accidentia alia; tertio
dicitur accidens, quod aduenit ab extrinseco et, licet secundum
aliquid possit quis habere dispositionem intrinsecam per quam
faciliter incurrat in hanc passionem, ut postea declarabitur,
tarnen causans ipsum principaliter est res extrinseca. Dicitur
autem hec passio accidens ferox ratione intemperantie que est
in hac passione, ut declarabitur postea; sed dicitur accidens
magnum ratione effectuum quos inducit in corpus: conuertit
enim plus et alterat quam alie passiones, ut declarabitur in
processu cantilene" (Dino del Garbo, Scriptumsuper cantilena
Guidonis de Caualcantibus; 89).
192 Kommentar zu Kap. x, 8.9

§8
nulla grandezza puote aver l'uomo „. propia bontade]
Die von Dante bereits zur Ermittlung des Verhältnisses des
Kommentars zum Text angewandte, handlungsteleologisch
konzipierte Tugendlehre (vgl. 1, v, 4) dient ihm hier zur Be-
stimmung der natürlichen Liebe, insofern diese ihr Objekt
überschwenglich lobt. Das größte Lob wird einem Ding in
bezug auf seine größte Güte, die in seiner tugendhaften Hand-
lung besteht, zuteil. Vgl. Kommentar zu 1, v, 4. Dantes Me-
thode der Übertragung traditioneller Argumentationen der
Schulphilosophie auf neue Fragestellungen wird auch aus die-
ser Passage ersichtlich. Die handlungsteleologische Tugend-
lehre entlehnt er bei den Aristotelikern des universitären Mi-
lieus, wahrscheinlich bei Thomas von Aquino, er überträgt
und funktionalisiert sie aber im Hinblick auf die Rechtferti-
gung seines Unternehmens, in dem die Konzeption, das Publi-
kum und die Sprache der Philosophie im Vergleich zu Thomas
grundsätzlich transformiert sind und eine neue Synthese bil-
den.

§9
E questa grandezza .„ sentenza] Dante macht hier eine
weitere zentrale Aussage über sein Verständnis der Eignung
der Volkssprache als Wissenschaftssprache. Mit Hilfe des ari-
stotelischen Akt-Potenz-Modells vermag er zu zeigen, daß die
wahre Größe der Volkssprache durch ihre Vernachlässigung
als Wissenschaftssprache bisher nicht aktualisiert worden ist
und daß es seine Absicht ist, durch die tugendhafte Handlung
der Volkssprache, das heißt durch ihre Aktualisierung als
Sprache eines philosophischen Kommentars, diese grandez.za
„in atto" zu zeigen. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die
statische Gegenüberstellung der gegensätzlichen Aussagen
zur Überlegenheit des Lateins (1, v, 7) und zur Überlegenheit
der Volkssprache (VE, 1, i, 4) als verfehlt, denn Dantes Pro-
jekt, besteht, wie der hier zu kommentierende Passus zeigt
Kommentar zu Kap. x, 10 193

auch schon im Conv., darin, ein bisher nicht erschlossenes


Potential der Volkssprache zu aktualisieren. Die Überlegen-
heit des Lateins gilt, solange die wahre Größe des volgare nur
in podere e occulto schlummert und la gran bontade del volga-
re (§ 12) verborgen ist. Durch den Gebrauch der Volkssprache
im Conv. schafft Dante neue Tatsachen und er belegt in actu
die Eignung der locutio materna für die Wissenschaft. In die-
sem Sinne liefert der Alighieri in VE, 1 die Theorie zu dem im
Conv. bereits in praxi durchgeführten Projekt der Aktualisie-
rung und Rehabilitierung der Volkssprache als Schrift-und
Wissenschaftssprache. Zu "manifestare conceputa sentenza"
vgl. Kommentar zu I, v, 12.

§ 10
alcuno illitterato ••• laido fatto parere] In Weiterführung
des in ix, 3 ausgesprochenen Gedankens, daß die Gelehrten
ihre Bezeichnung eigentlich nicht verdienen, betitelt Dante
hier eine Person, die die lateinische Sprache beherrscht und
übersetzt, dabei aber nur imstande ist ein häßliches volgare
hervorzubringen, als illitterato. Auch dies bedeutet eine Um-
wertung eines herkömmlichen Standesbildes (zur herkömmli-
chen Bedeutung vgl. H. Grundmann, Litteratus-Illitteratus).
In Dantes „Kulturrevolution" wird somit auch das Ideal des
Gelehrten transformiert, denn nebst der unbedingt erforderli-
chen bonta de l'animo (ix, 5) gehört auch eine einwandfreie
und stilvolle Beherrschung der Volkssprache zu deren not-
wendigen Attributen.
come fece quelli .•• Taddeo ipocratista] Mit dem Bologne-
ser Medizinprofessor Taddeo Alderotti (1223-ca. 1295) nennt
Dante einen der wichtigen Kommentatoren der in viii, 5 er-
wähnten Tegni des Galen. Allerdings bezieht sich der Alighieri
durch die Bezeichnung 'ipocratista' auf die Rolle Alderottis
als Kommentator Hippokratischer Schriften. Vgl. Ders., Ex-
positiones in arduum aphorismorum Hippocratis volumen, in
divinum Hippocratis prognosticorum volumen, in praecl. regi-
194 Kommentar zu Kap. x, 10

minis acutorum Hippocratis opus ... , Venedig 1527. Hand-


schriften verzeichnet bei P. Kibre, Hippocrates Latinus, 24,
89-90, 221. Zu Taddeo allgemein vgl. N. Siraisi, Taddeo Al-
derotti. Dante nennt in Par., XII, 83 einen Taddeo, bei dem es
sich um den Alderotti handeln könnte.
Dantes Erwähnung einer volkssprachlichen Ethik-Version
Taddeos stellt ein wichtiges Zeugnis in der umstrittenen Frage
über Alderottis Rolle bei der Übersetzung der ursprünglich
arabischen, von Hermann dem Deutschen ins Lateinische
übertragenen Kurzversion der Ethica in die italienische Volks-
sprache dar. Handschriftlich liegt die italienische Version in
zweifacher Form vor: als unabhängige Schrift und als Teil der
Bono Giamboni zugeschriebenen italienischen Übersetzung
des Tresor Brunetto Latinis, wobei in beiden Traditionen die
Zuschreibung an Taddeo in recht großer Zahl vorkommt (vgl.
C. Marchesi, 11 compendio volgare dell' EticaAristotelica, 1-
16, 65-72).
Die Sachlage kompliziert sich erstens durch Brunettos Aus-
sage, seine im Tresor enthaltene Version der Ethica sei "de
latin en romanc" (II, 1; 175; dasselbe behauptet hier Dante
von Taddeo: "transmuto il latino dell'Etica"), und zweitens
durch die Tatsache, daß sich die drei Versionen des Ethik-
Kompendiums, nämlich die italienische, Taddeo zugeschrie-
bene, die französische Brunettos im Tresor und die
italienische Version des Tresor derart gleichen, daß sie in ei-
ner bisher unbestimmten Art voneinander abhängen müssen.
Brunetto hätte entgegen seiner Aussage auf eine bereits exi-
stierende italienische Version zurückgreifen können, und
Taddeos Version könnte durch Bono Giamboni oder späterem
Redaktoren in die italienische Version des Tresor aufgenom-
men worden sein (vgl. Marchesi, ibidem, 18-29). Taddeo
hätte auch Brunettos französische und nicht Hermanns lateini-
sche Version ins Italienische übertragen können, oder er hat
einfach den entsprechenden Teil von Bono Giambonis italieni-
scher Version des Tresor als seine Übersetzung ausgewiesen
Kommentar zu Kap. x, 11 195

(so F. Carmody in der Einleitung seiner Edition des Tresor,


XXVIIIf. Carmody meint auch belegen zu können, daß Bru-
nettos Text der lateinischen Fassung am nächsten kommt). C.
Segre schließlich stellt die Autorschaft Bono Giambonis der
italienischen Version des Tresor in Frage (Ders., La prosa del
Duecento, 311).

§ 11
molti suoi accusatori ••• veritade] Dante hat in diesen und
den folgenden polemischen Zeilen vor allem seine italieni-
schen Landsleute im Visier, die andere Volkssprachen, insbe-
sondere aber das von ihm originell als 'lingua d'oco' (vgl.
ED, IV, 111-117) bezeichnete Provenzalische dem italieni-
schen volgare vorziehen. Nähere Erläuterungen zur Genese
und Verbreitung der lingua d'oco gibt Dante in VE (1, viii, 5-
): "Totum vero quod in Europa restat ab istis, tertium tenuit
ydioma, licet nunc tripharium videatur: nam alii oc, alii oi1,
alii si affirmando locuntur ... Istorum vero proferentes oc me-
ridionalis Europe tenent partem occidentalem, a lanuensium
finibus incipientes". Wie Dante weiter in VE (1, x, 2) disku-
tiert, beanspruchen die drei miteinander verwandten Sprachen
(oc, oi1 und si) für sich eine gewisse Vorrangstellung. In be-
zug auf die hier polemisch bekämpfte Position der Überlegen-
heit des oc heißt es: "Pro se vero argumentatur alia, scilicet
oc, quod vulgares eloquentes in ea primitus poetari sunt tan-
quam in perfectiori dulciorique loquela, ut puta Petrus de Al-
vernia et alii antiquiores doctores" .
Zu den „Anklägern" des Italienischen gehörte bereits Dan-
tes Lehrer Brunetto Latini, der die Langue d'oi1 dem Italieni-
schen vorzog. (Tresor, 1, i, 7; 18): "Et se aucuns demandoit
pour quoi cis livres est ecris en roumany, selon le raison de
France, puis ke nous somes italien, je diroie que c'est pour
.ii. raisons, l'une ke nous somes en France, l'autre por yOU
que la parleure est plus delitable et plus commune a tous lan-
gages". Vgl. auch eine Passage aus dem Tesoretto, XIV:
196 Kommentar zu Kap. x, 11

"Ma chi'l vorra trovare / cerchi nel gran Tesoro, Ch'io faro
per coloro I ch'hanno lo cor piU alto. Lo faro il gran salto /
per dirle piU distese I nella lingua franzese". A. Pezard sieht
in der Verleugnung der Muttersprache die in Inf., XV, 22-99
thematisierte Sünde Brunettos gegen die Natur, und nicht in
seiner Sodomie. Vgl. Ders„ Dante sous La pLuie, 113-130.
Für den Vorzug des Französischen vor allen anderen Volks-
sprachen vgl. auch die Aussage des Venezianers Martin da
Canale, Les estoires de Venise, I: "Et porce que lengue franc-
eise cort parmi le monde et est la plus delitable a lire et a oi'r
que nul autre, me sui je entremis de translater l' anciene estri-
re des Veneciens de latin en franceis". Zum Thema vgl. P.
Meyer, De L'expansion de La Langue franraise en Jtalie pen-
dant Le moyen iige.
Dante greift in diesem Passus und dem ganzen nächsten Ka-
pitel vor allem aber die Verteidiger des Provenzalischen an,
das in Italien lange Zeit als die Dichtersprache par excellence
gegolten hat und das auch Dante noch glaubt verdrängen zu
müssen. Der polemische Ton der Passage deutet darauf hin,
daß Dante bei seinem höfischen Publikum nicht nur die italie-
nische Sprache seines Kommentars gegen das Latein, sondern
auch die italiensiche Sprache seiner Kanzonen gegen die
Langue d'oc verteidigen muß. Die Polemik der nun folgenden
Passagen und vor allem des Kaptitels xi deutet daraufhin, daß
bei dieser Auseinandersetzung für Dante die Gunst des Publi-
kums auf dem Spiel steht. Einen Hinweis zu einzelenen Perso-
nen, gegen die sich Dante wendet, könnte eine Stelle in VE
geben, wo bemerkt wird, der italienische Dichter Sordello
hätte seine eigene Sprache zugunsten der Provenzalischen
Dichtersprache verlassen: "Sordellus ... qui, tantus eloquen-
tie vir existens, non solum poetando sed quomodocunque lo-
quendo patrium vulgare deseruit" (VE, I, xv, 2; vgl. auch
Purg., VI, 58f.; VII, 3-86; VIII, 43f.; IX, 58). So wie Sordel-
lus haben sehr viele italienische Dichter die provenzalische
Sprache der italienischen vorgezogen (Zusammengestellt bei
Kommentar zu Kap. x, 11 197

G. Bertoni, Trovatori d'/talia). Sie folgten damit nicht nur


einem allgemeinen Geschmack der Zeit, sondern konnten sich
auch auf autoritative Handbücher stützen, in denen der Vor-
rang der Provenzalischen Volkssprache theoretisch begründet
wurde. Die Razos de Trobar des Ramon Vidal zum Beispiel
beinhalten eine theoretische Auseinandersetzung um die Spra-
che der Poesie und plädieren für die größere Natürlichkeit und
Eignung der langue d 'oc in Bezug auf das Dichten. Die Theo-
rie des Raimon Vidal impliziert in gewissem Sinne die Idee
eines „ vulgare illustre", auf dessen Hintergrund das Unter-
nehmen Dantes in VE, 1, im besonderen aber die Polemik
gegen das Langue d 'oc verstanden werden kann. Obschon Rai-
mon einräumt, daß das Französische (langue d 'oi1) sich besser
für gewisse Prosaformen („romanz" und „pasturella") eignet,
spricht er sich klar zugunsten des Okzitanischen als Dichter-
sprache („ vers et cansons et serventes") aus. Interessanterwei-
se verweist er dabei, wie Dante, auf die Natürlichkeit der
Sprache: „ Totz hom qe vol trobar ni entendre deu primiera-
ment saber qe neguna parladura non es naturals ni drecha del
nostre lingage, mais acella de Franza et de Lemosi et de Pro-
enza et d'Alvergna et de Caersin. Per qe ieu vos die qe, qant
ieu parlarai de 'Lemosy', qe totas estas terras entendas et totas
lor vezinas et totas cellas qe son entre ellas. Et tot l'ome qe en
aqellas terras son nat ni norit an la parladura natural et drecha
( ... )La parladura francesca val mais et [es] plus avinenz a far
romanz et pasturellas, mas cella de Lemosin val mais per far
vers et cansons et serventes. Et per totas las terras de nostre
lengage son de maior autoritat li cantar de la lenga lemosina qe
de neguna autra parladura; per q'ieu vos en parlerai primera-
men" (Raimon Vidal, Razos de Trobar, Ms. B, 59-76). Mehr
gereizt hat Dante vielleicht, daß dieselbe Theorie auch von
seinem italienischen Landsmann und Zeitgenossen Terrama-
gnino da Pisa in dessen mit Doctrina d'acort (vor 1294) beti-
telten und an ein italienisches Publikum gerichteten Versver-
sion der Razos de Trobar vertreten wurde. Terramagnino be-
198 Kommentar zu Kap. x, 12-13

gründet die überlegene Rationalität der „parladura lemoyzi-


na" (Provenzalisch) durch das Kriterium der Grammatikali-
tät, das er in verschiedenen Metaphern ausdrückt. So wie sich
der Rubin bei den Edelsteinen und das Gold bei den Edelme-
tallen durch grössere Beständigkeit und Feinheit auszeichnet,
so übertrifft das Okzitanische durch seine höhere Grammati-
kalität alle anderen vernünftigen Sprachen: „ Toten aysi con le
rubis / sobre totas peyras es fis / e l'aurs sobre ls metailz cars,
sobre totz razonatz parlars / parladura lemoyzina / es mays
avinenz e fina I quar il quays se razona / con la gramatica
bona" (Terramagnino da Pisa, Doctrina d'acort, 27-37).

§§ 12-13
Die beiden folgenden Paragraphen thematisieren die durch
den Kommentar aktualisierte Güte(§ 12) und Schönheit(§ 13)
der Volkssprache. In Conv., 1, i, 14 hatte Dante erklärt, daß,
ohne Kommentar, eher die Schönheit als die Güte der Kanzo-
nen zur Geltung gelange, so daß ihre Auslegung nötig sei, um
die Liebe und die Tugend, aus denen sie gebildet sind, ans
Licht zu bringen. Die beiden hier zu kommentierenden Para-
graphen ergänzen dieses Unternehmen und dokumentieren,
daß der Kommentar an sich auch einen eigenständigen Wert
hat, insofern er die Tugend und Schönheit der Volkssprache in
der Prosa manifestieren soll. Es geht also Dante im Conv.
nicht nur um die Auslegung seiner Kanzonen, sondern auch
um die Freilegung der wahren Werte der Volkssprache als
allgemeine Schriftsprache durch den Kommentar, der in die-
sem Sinne zu den Kanzonen als selbständiger Teil hinzu-
kommt. Damit ist auch gezeigt, daß Dante hier im Conv. aber
auch in VE nicht nur an einer Verteidigung der Volkssprache
als Sprache des Dichtens gelegen ist, sondern daß er eine Pro-
sa und Poesie umfassende, integrale Schriftsprache, die
„neueste" und „erhabenste" Gedanken „quasi" wie das Latein
artikulieren kann(§ 12), schaffen will. Eine Sprache voll von
„dolcissima e d'amabilissima bellezza" (§ 13).
Kommentar zu Kap. x, 12.13 199

§ 12
la gran bontade del volgare ••• manifestare] Die Aussage,
daß die italienische Volkssprache erhabenste und neuste Ge-
danken adäquat „quasi come per esso latino" zum Ausdruck
bringen kann, kommt, angesichts der z. B. im Kommentar zu
1, v, 12 zitierten und für die negative Einstellung zum volgare
seitens der Scholastik repräsentative Stelle von Aegidius Rom-
anus, einer Angleichung der beiden Sprachen sehr nahe. Die
bisher nur der Möglichkeit nach bestehende „bontade" der
italiensichen Volkssprache (1, x, 9) will Dante durch seinen
Kommentar aktualisieren. Es ist also nicht irgendeine Volks-
sprache, die die hier angewandten Prädikate verdient, sondern
es ist die von Dante selbst gestaltete und geschaffene.
[si veclra] Für Textkritik vgl. Vasoli, Kommentar zur Stelle.
[la quale no si ••• medesima] Dante rechtfertigt hier, wes-
halb die Güte der Volkssprache in den Kanzonen selbst noch
nicht vollumfänglich zum Ausdruck gelangen konnte und es
zur Darstellung von deren Tugend eines Kommentars bedarf.
Die Stelle mag erläutern, weshalb Dante bis ans Ende seines
Lebens nebst der Commedia, für die die Einschränkung des
Verbergens der Gedanken hinter poetischen Verzierungen
ebenfalls gilt, auch theoretische Prosatexte verfaßt hat. Die
Epistola XIII, deren lectio-Teil einen Kommentar zur Com-
media darstellt, steht in Übereinstimmung zu dem hier geäu-
ßerten Sachverhalt.
[la quale non si pote bene manifestare] Für diese Interpo-
lation vgl. Simonelli, Materiali, 59.

§ 13
Onde chi vuole ••• amabilissima bellezza] Der Vergleich
des Kommentierens des poetischen Textes mit der Entblößung
der Frau bis auf ihre natürliche Schönheit und die dadurch
insinuierte Darlegung der „nackten" Wahrheit im Kommentar
hat diskret erotische Züge, mit denen Dante sein philosophi-
sches Unternehmen noch öfters anreichern wird.
200 Kommentar zu Kap. x, 14; xi

§ 14
Dieser Paragraph leitet über zum nächsten Kapitel. Dante
greift einen Aspekt der Liebe zur Volkssprache auf, nämlich
deren Verteidigung, die er in einem speziellen Kapitel durch
das ausführliche Darstellen der Fehlerhaftigkeit und Schlech-
tigkeit der Absicht der Ankläger ergänzt und verstärkt.
Ma pero ehe virtuosissimo ..• accusatore] Eine Erwäh-
nung der Strategie der Verteidigung durch Anklage der Anklä-
ger findet sich in der Rhetorica ad Herennium, II, 9:
"Defensoris proprius locus est cum ... accusatorem calumni-
ari criminatur" .

Kapitel xi

Dieses Kapitel stellt einen Einschub dar, in dem Dante eine


polemische Abrechnung mit den Anklägern der italienischen
Volkssprache vorträgt. Der polemische, gegen seine eigenen
Landsleute gerichtete Ton und die Länge des Kapitels, es ist
das längste des ersten Buches, läßt erkennen, daß es hier nicht
nur um eine theoretische Frage oder um eine Auseinanderset-
zung mit dem längst toten Meister Dantes, Brunetto Latini (A.
Pezard, Dante sous la pluie, passim), sondern um eine für
Dante vitale Angelegenheit geht, in der er nach der Fehde mit
den Gelehrten um Latein oder volgare in den vorhergehenden
Kapiteln v-ix nun den Streit zwischen den Volkssprachen aus-
trägt und, wie er in x, 11 explizit erwähnt, das Italienische und
damit sein Werk bei seinem Laienpublikum vor allem gegen
das unter den Volkssprachen als Dichtersprache etablierte
Provenzalische verteidigt.
Das Kapitel gliedert sich, wie Dante in den§§ 1-2 ausdrück-
lich erläutert, in fünf Teile, die die fünf Ursachen der Haltung
der Ankläger offenlegen. Die erste Ursache ist die Blindheit
des Unterscheidungsvermögens, dem der Alighieri die §§ 3-
10 widmet; die zweite Ursache der Anklage hat ihren Ur-
Kommentar zu Kap. xi, 2 201

sprung in einer falschen Entschuldigung, in der die Verächter


der Volkssprache die eigene Unfähigkeit durch den Hinweis
auf das unzulängliche Material verdecken wollen(§§ 11-14);
die dritte Anklage gegen die Volkssprache entsteht aus der
Begierde nach eitlem Ruhm(§ 15), die vierte gebiert der Neid
(§§ 16-17) und die fünfte die Feigheit des Geistes, der Klein-
mut(§§ 18-21). A. Pezard hat diesem Kapitel seine besondere
Aufmerksamkeit gewidmet und die fünf Ursachen der Ankla-
ge mit dem fünf Elemente enthaltenden, scholastischen Sche-
ma der Todsünden gegen den Heiligen Geist in Übereinstim-
mung zu bringen versucht (Dante sous la pluie, v. a. 278f.),
mit der Absicht, die in lnf., XV besungene Denaturierung
Brunettos als Sünde gegen den Heiligen Geist durch seine
Haltung gegenüber der Volkssprache, und nicht als Sodomie,
zu interpretieren. Die originelle Deutung Pezards wurde von
der Forschung im allgemeinen abgelebt (vgl. ED, III, 584f.)
und in bezug auf Conv., I, xi kann gesagt werden, daß es
unwahrscheinlich scheint, daß Dante seinen Lehrer nach des-
sen Tod (1294) derart virulent angreift. Man hat hier schon
eher den Eindruck einer Polemik mit Lebenden. Darüber hin-
aus wirken A. Pezards Übertragungen der fünf von Dante
genannten Ursachen auf die fünf Sünden wider den Heiligen
Geist eher forciert ('cechitade di discrezione' = 'angitae ve-
ritatis impugnatio'; 'maliziata escusazione' = 'malitiosa et
obstinata impugnatio divinae bonitatis'; 'cupidita di vanaglo-
ria' = 'praesumptio'; 'invidia' = 'fraternae gratiae inviden-
tia'; 'pusillanimita' = 'desperatio'. Vgl. Pezard, Dante sous
la pluie, 279f.).

§2
Dante führt die Haltung der Feinde der italienischen Volks-
sprache auf fünf Ursachen oder Laster zurück und verteidigt
das volgare, indem er den Anklägern böse Absicht unterstellt.
Er wirft ihnen Blindheit des geistigen Unterscheidungsvermö-
gens (cechitade di discrezione), unlautere Ausreden (maliziata
202 Kommentar zu Kap. xi, 2

escusazione), Begierde nach eitlem Ruhm (cupidita di vanag-


loria), Eifersucht (invidia) und Kleinmut des Geistes (pusilla-
nimita) vor. Es handelt sich bei diesen Vorwürfen zwar nicht
restlos um die traditionellen sieben Hauptlaster, nach denen
Dante später die Gesänge V-VIII des Inf gestalten wird (lus-
suriosi [2. Kreis], golosi [3. Kreis], avari e prodighi [4.
Kreis], irosi, superbi, accidiosi [5. Kreis]), einzelne, den
Gegnern der Volkssprache vorgeworfene Laster, stimmen
aber mit den sieben Hauptlastern überein und andere sind di-
rekt aus ihnen abgeleitet.
Die vanagloria und invidia stellen bei Thomas von Aquino
die zwei ersten von sieben vitia capitalia dar (e. g. Sum. theol. ,
1-11, 84, 4, 1: „vitia capitalia, quae sunt inanis gloria, invidia,
ira, tristitia, avaritia, gula, luxuria". Unter den vitia capitalia
versteht Thomas Laster, die Ursache anderer Laster sind und
auf die alle vitia zurückgeführt werden können. Daß die cupi-
dita di vanagloria eine Sünde ist, zeigt Thomas in Sum. theol.,
11-11, 132, 1: „Sed appetitus inanis vel vanae gloriae vitium
importat: nam quodlibet vanum appetere vitiosum est ... Potest
autem gloria dici vana, uno modo, ex parte rei de qua quis
gloriam quaerit: puta cum quis quaerit gloriam de eo quod non
est, vel de eo quod non est gloria dignum, sicut aliqua re fragili
et caduca. Alio modo, ex parte eius a quo quis gloriam quaerit:
puta hominis, cuius iudicium non est certum. Tertia modo, ex
parte ipsius qui gloriam appetit, qui videlicet appetitum gloriae
suae non refert in debitum finem, puta ad honorem Dei vel
proximi salutem".
Im trattato di virtu e di vizi des Bono Giamboni ist die „ va-
nagrolia" das erste von den traditionell sieben Hauptlastern:
„Or ti priego ehe mi mostri la natura de' sette vizi principali
ehe nascono all'anima della mala voluntade, cioe di Vanagro-
lia, Invidia, lracundia, Tristizia, Avarizia, Gola e Lossuria
( ... ) E 'l primaio vizio e Vanagrolia: questo muove l'animo e
fallo vizioso e mal disposto d 'una volonta disordinata a volere
quello onore ehe non si conviene" (Ed. Segre, 141f.).
Kommentar zu Kap. xi, 2 203

Aus der luxuria, einem Hauptlaster, geht laut Thomas die


von Dante zuerst genannte cechitade di discrezione, die caeci-
tas mentis, hervor. Vgl. Sum. theol., 11-11, 15, 3:"vitia autem
carnalia, scilicet gula et luxuria, consistunt circa delectationes
tactus, ciborum scilicet et venereorum, quae sunt vehementis-
simae inter omnes corporales delectationes. Et ideo per haec
vitia intentio hominis maxime applicatur ad corporalia, et per
consequens, debilitatur operatio hominis circa intelligibilia,
magis autem per luxuriam quam per gulam, quanto delectatio-
nes venereorum sunt vehementiores quam ciborum, et ideo ex
luxuria oritur caecitas mentis, quae quasi totaliter spiritualium
bonorum cognitionem excludit".
Bei Albert dem Großen kann nachgelesen werden, wie die
malitia zur Lüge über die wahre Handlungsabsicht verleitet.
Diese Position kann direkt auf die zweite Ursache, die lügne-
rische, unlautere Entschuldigung der Ankläger Dantes bezo-
gen werden: "Malitia facit mentiri circa principia practica,
inquantum sunt practica; principia enim practica sunt fines
intenti" (Ethica, VI, 17; 505).
Auch die pusillanimitas, die in der Summa des Thomas in
der zur inanis gloria folgenden Quaestio behandelt wird, stellt
aufgrund ihrer Verfehlung gegen die natürliche Neigung einer
Sache eine Sünde dar: „omne illud quod contrariatur naturali
inclinationi est peccatum, quia contrariatur legi naturae. Inest
autem unicuique rei naturalis inclinatio ad exequendam actio-
nem commensuratam suae potentiae ... Sicut autem per prae-
sumptionem aliquis excedit proportionem suae potentiae, dum
nititur ad maiora quam possit; ita etiam pusillanimus deficit a
proportione suae potentiae, dum recusat in id tendere quod est
suae potentiae commensuratum". (Sum. theol., 11-11, 133, 1).
Die invidia ist laut Thomas eine Todsünde, es sei denn es
handle sich nur um eine unmittelbare und wieder vorüberge-
hende Leidenschaft der Sinne: „invidia ex genere suo est pec-
catum mortale. Genus enim peccati ex obiecto consideratur.
Invidia autem, secundum rationem sui obiecti, contrariatur
204 Kommentar zu Kap. xi, 3-10.3

caritati, per quam est vita animae spiritualis ... Utriusque enim
obiectum, et caritatis et invidiae, est bonum proximi, sed sec-
undum contrarium motum: nam caritas gaudet de bono proxi-
mi, invidia autem de eodem tristatur „. Unde manifestum est
quod invidia ex suo genere est peccatum mortale". (Sum.
theol., 11-11, 36, 3). Vor dem Hintergrund dieser Morallehre
verliert Dantes Kapitel den Charakter einer theoretischen Aus-
einandersetzung mit seinen Gegnern und muß als äußerst
scharfe Invektive und moralische Verurteilung gedeutet wer-
den. Obschon die Vorwürfe an die Feinde der Volkssprache
nicht genau mit den später in Inf., V-VIII behandelten, sieben
Lastern übereinstimmen, so zeigen doch die oben dargelegten
Beziehungen und Überschneidungen der den Anklägern der
Volkssprache vorgeworfenen Laster und der traditionellen
Hauptlaster, daß Dante in Kapitel xi „zur immerwährenden
Schmach und Erniedrigung" seiner Gegner auf den Ge-
schmack der Inszenierung eines kleinen Inferno gekommen ist.

§§ 3-10
In diesem Abschnitt erläutert Dante die Blindheit des geisti-
gen Unterscheidungsvermögens als erste Ursache der Anklage
gegen die Volkssprache (siehe Kommentar zu Kapitel xi).

§3
la parte sensitiva .„ discrezione] Dantes Erläuterung der
Blindheit des geistigen Unterscheidungsvermögen beruht auf
einer mit der Augenmetapher veranschaulichten Analogie
zwischen einer Fehlleistung des sinnlichen und des intelligi-
blen Teils der Seele. So wie die Farben die Unterscheidbarkeit
der Dinge in bezug auf ihre sinnliche Wahrnehmung kon-
stituieren, so beruht die intelligible Unterscheidung der Dinge
auf der Erkenntnis ihrer teleologischen Bestimmung. Die An-
wendung der Augenmetapher zur Erläuterung der ver-
schiedenen Vermögen der Seele geht zurück auf Aristoteles'
De anima, II, 1: „Wäre das Auge ein Lebewesen, so wäre die
Kommentar zu Kap. xi, 3 205

Sehkraft seine Seele. Denn jene ist die Wesenheit des Auges im
begrifflichen Sinne. Das Auge aber ist Materie der Sehkraft,
und wenn letztere schwindet, ist es nur noch der Bezeichnung
nach Auge, wie das steinerne oder das gemalte. Was sich am
Teil zeigt, muß man am ganzen lebenden Körper begreifen.
Denn wie sich Teil (Sehkraft) zum Teil (Auge) verhält, so
entsprechend das gesamte Wahrnehmungsvermögen zum gan-
zen wahrnehmunsfähigen Körper, insofern er ein solcher ist.
( ... ) Aber wie die Pupille und die Sehkraft zusammen das
Auge sind, so sind die Seele und der Körper zusammen das
Lebewesen" (412b16-413a4; Theiler, 25). Entsprechend wird
die sinnliche Wahrnehmung anhand des Gesichtssinnes veran-
schaulicht, der laut Aristoteles auf die Unterscheidung von
Farben ausgerichtet ist: "Worauf nun der Gesichtssinn sich
richtet, ist das Sichtbare. Sichtbar ist . . . hauptsächlich die
Farbe, d. h. der Oberbegriff für das an sich Sichtbare" (De
anima, II, 7: 418a27-b30).
Auch die von Dante angewandte Unterscheidung zwischen
dem sinnlichen und dem intelligiblen Teil der Seele ist aristo-
telisches Gedankengut und beruht auf der Unterscheidung ver-
schiedener Vermögen und Tätigkeiten der Seele. Vgl. dazu
Thomas von Aquino, Sent. De an., II, 5; 88: „Operationes
igitur que competunt viventi secundum esse materiale sunt
operationes que attribuuntur anime vegetabili, que tarnen, li-
cet ad id ordinentur ad quod etiam ordinantur actiones in rebus
inanimatis, scilicet ad consequendum esse et conservandum,
tarnen in viventibus hoc fit per altiorem et nobiliorem modum.
( ... ) Operationes autem que attribuuntur rebus viventibus sec-
undum esse penitus inmateriale pertinent ad partem anime in-
tellectiuam. Que uero attribuuntur eis secundum esse medium
pertinent ad partem anime sensitivam. Et secundum hoc tri-
plex esse distinguitur communiter triplex anima, scilicet vege-
tabilis, sensibilis et rationalis".
Auch Dantes analoge Verbindung des körperlichen Sehens
mit dem geistigen kennt eine lange Tradition (vgl. supra Korn-
206 Kommentar zu Kap. xi, 3

mentar zu I, iv, 3). Vgl. mit Busnelli I Vandelli Albert der


Große, De sensu et sensato, I, c. 2: "Visus ... et auditus
praecipue sunt huiusmodi, eo quod multas annuntiant differen-
tias rerum, ex quibus inest hominibus tarn discretio contempla-
tivorum secundum intellectum speculativum, quam operabil-
ium secundum practicum". Vgl. ebenfalls Thomas von Aqui-
no: "ut scilicet sicut homo visum exteriorem, quo homo bene
iudicat colores habet ex sua nativitate, ita etiam ex sua nativitate
habeat bonam dispositionem interioris visus quo bene iudicet
et desideret id quod est secundum veritatem bonum" (Sent.
Eth., III, 13; 157).
Dantes Definition der Unterscheidung als Erkenntnis der
Zweckbestimmung der Dinge kann, wie bereits Busnelli I Van-
delli (Kommentar zur Stelle) bemerkten, im Anschluß an einen
Passus in Conv., IV, viii, 1 erläutert werden: "Lo piU bello
ramo ehe de la radice razionale consurga si e la discrezione.
Che, sl come dice Tommaso sopra lo prologo de l 'Etica, co-
noscere l'ordine d'una cosa ad altra eproprio atto di ragione,
e e questa discrezione". Im Prolog des Thomas steht, daß die
Aufgabe der Vernunft darin besteht, die Ordnung der Dinge
zueinander zu erkennen, wogegen die Sinne die Dinge nur
isoliert wahrnehmen: "Sicut dicit Philosophus in principio Me-
taphysicae, sapientis est ordinare. Cuius ratio est quia sapien-
tia est potissima perfectio rationis, cuius proprium est
cognoscere ordinem; nam, etsi vires sensitivae cognoscant res
aliquas absolute, ordinem tarnen unius rei ad aliam cognoscere
est solius intellectus aut rationis." (Sent. Eth., I, 1; 3f.).
Für eine dem hier besprochenen Conv.-Text ähnliche An-
wendung der Blindheit-Metapher auf die discretio, ebenfalls
im Zusammenhang mit der Volkssprache vgl. VE, I, i, 1:
"volentes discretionem aliqualiter lucidare illorum qui tan-
quam ceci ambulant per plateas, plerunque anteriora posterio-
ra putantes". Die im Conv. noch polemisch diffamierten
Leute, die in bezug auf die Volkssprache im Unklaren sind,
werden durch den theoretischen Traktat VE nun belehrt.
Kommentar zu Kap. xi, 4.5.6 207

§4
va sempre ••• lo bene] Zur Textkritik vgl. Vasoli, Kom-
mentar zur Stelle.
ne suo giudicio ..• grido] Die Blinden sind gezwungen, sich
nach akustischen Signalen zu orientieren. Dante spricht den
Anklägern der Volkssprache das eigene Urteilsvermögen ab
und bezichtigt sie, einem allgemeinen Geschrei zu folgen.
Gemäß diesem Bild gestaltet er die §§ 5-8 und bezeichnet die
Kritik am italienischen volgare als Geschrei.
'l cieco al cieco ••• fossa] Matth., 15, 14: „caeci sunt et
duces caecorum; caecus autem si caeco ducatum praestet,
ambo in foveam cadunt". Vgl. auch Purg., XVIII, 18:
„l'error de' ciechi ehe si fanno duci". („Der Trug der Blin-
den, die uns führen wollen").

§5
ciechi ... sono quasi infiniti] Eccle., I, 15: „stultorum infi-
nitus est numerus".

§6
De l'abito .•. ad altro non intendono] Die Blindheit des
Geistes, von den fünf Lastern moralisch das harmloseste, wirft
Dante vor allem den populari persone vor, die einem Beruf
nachgehen müssen und keine Zeit haben, sich selbst intellek-
tuell zu betätigen. Dante bezieht seine Invektive folglich auf
dieselben Personen, deren Unwissenheit er in I, i, 5 für ent-
schuldbar hielt und die er in I, i, 4; 13 mit großzügiger Geste
zu seinem Gastmahl geladen hat. Der Alighieri bekundet also
ein eher zwiespältiges Verhältnis zu seinem Publikum, denn er
greift hier die Leute an, die er eigentlich belehren und aus ihrer
geistigen Not befreien will. Im nächsten Paragraphen präzi-
siert er, daß es sich bei der Tätigkeit, die von der Ausübung der
Tugend abhält, um das Handwerk handelt. Wird diese Aussage
mit jener Stelle in I, ix, 5 konfrontiert, wo Dante sein Publi-
kum explizit als „principi, baroni, cavalieri e molt 'altra nobile
208 Kommentar zu Kap. xi, 7 .8

gente" bezeichnet, so wird klar, daß seine Strategie darin be-


steht, sein aristokratisch-höfisches, auf die provenzalischen
Troubadours eingestimmtes Publikum für sein Unternehmen
zu gewinnen und ihm darzulegen, daß eine Verachtung der
italienischen Volkssprache ihrer unwürdig und eine Sache des
gemeinen Volkes ist.

§7
l'abito di vertude ••• acquisti] Nach Aristoteles ist Tugend
sowohl als moralische wie auch als intellektuelle Qualität der
Seele das Resultat ständiger und wiederholter Einübung und
Belehrung. Vgl. Eth. Nie., 1, 13; 1103a3-II, 1; 1103a18; Gi-
gon, 80f.: "Auch die Tugend wird nun auf Grund dieser Un-
terscheidung aufgeteilt. Denn die einen Tugenden nennen wir
verstandesmäßige, die anderen ethische: verstandesmäßige
sind etwa die Weisheit, Auffassungsgabe und Klugheit, ethi-
sche die Großzügigkeit und Besonnenheit.... Die Tugend ist
von doppelter Art, verstandesmäßig und ethisch. Die verstan-
desmäßige Tugend entsteht und wächst zum größeren Teil
durch Belehrung; darum bedarf sie der Erfahrung und der Zeit.
Die ethische dagegen ergibt sich aus der Gewohnheit". Mit
dieser im Vergleich zur platonischen Lehre der eingeborenen
Ideen oder der christlichen Lehre der Prophetie eher dieseiti-
gen Lehre des Erwerbens von Wissen begründet Dante, wes-
halb diejenigen, die durch ihre tägliche Beschäftigung von der
Wissenschaft abgehalten werden, nicht über das nötige geistige
Unterscheidungsvermögen verfügen.

§8
gridano Viva ••• loro vita] Diese Stelle zitiert N. Machia-
velli wörtlich in seinen Discorsi, gibt aber fälschlicherweise
die Mon. als Quelle an: "E Dante dice a questo proposito, nel
discorso suo ehe fa De Monarchia, ehe il popolo molte volte
grida: Viva la sua morte! e Muoia la sua vital" (Discorsi, 1, c.
53; 134).
Kommentar zu Kap. xi, 9.11-14.13 209

Onde Boezio ••• discrezione] Dante greift hier explizit ei-


nen Gedanken des Boethius auf. Vgl. Ders., Phil. cons., III,
5, 6; 46: „Inter haec vero popularem gratiam ne commemora-
tione quidem dignam puto, quae nec iudicio provenit nec um-
quam firma perdurat".

§9
da chiamare pecore, e non uomini] Ein von Dante auch
andernorts verwendetes Motiv. Vgl. II, vii, 4: „quelle ehe
hanno apparenza umana e spirito di pecora". Ferner Par., V,
80: „uomini siate, e non pecore matte". („Zeigt euch als Men-
schen, nicht als Kleivieh)". Mit etwas anderer Wertung ver-
wendet Dante das Motiv auch in Purg., III, 79-84: „Come le
pecorelle escon del chiuso / ... e cio ehe fa la prima, e l'altre
fanno / addossandosi a lei, s'ella s'arresta, semplici e quete, e
lo 'mpercbe non sanno". („So wie die Schafe aus der Hürde
treten, eines ums andere, und noch viele stehen, schüchtern
den Kopf zu Boden aud die Augen; ... Und was das erste tat,
tun auch die andern, zusammenrückend, wenn es stehen blei-
bet, einfältig, still, ohne den Grund zu wissen").

§§ 11-14
Die in diesem Abschnitt zur Sprache kommende verdrehte
Entschuldigung, die zweite Ursache der niederträchtigen Hal-
tung der Ankläger (vgl. Einleitung zum Kapitel), besteht in
einer unlauteren Schuldzuweisung des vermeintlichen Mei-
sters an sein Material, was Dante am Beispiel des schlechten
Schmieds, Zitherspielers und volkssprachlichen Redners dar-
legt.

§ 13
E chi voule ••• scusare] Dante äußerte bereits in 1, x, 12 die
Absicht, durch seinen Kommentar die wahre Güte und Schön-
heit der Volkssprache zu offenbaren. Wenn er nun ihre Ver-
ächter auffordert, die Werke der guten „Handwerker" zu
210 Kommentar zu Kap. xi, 14

betrachten, so ist dies auf seinen Kommentar zu beziehen,


durch den er die Behauptung der Minderwertigkeit der Volks-
sprache performativ widerlegt.

§ 14
grida Tullio ... Beni] Dante konstruiert eine Parallele zwi-
schen der Auseinandersetzung der römischen Antike um Grie-
chisch und Latein und dem Streit um den Vorrang der
italienischen oder provenzalisch Volkssprache. Er kann sich
so bei seiner Polemik auf keinen geringeren als Cicero beru-
fen, der im ersten Buch von De finibus den Gegnern des La-
teins als Schrift-und Bildungssprache sowie der Übersetzung
der griechischen Philosophie ins Lateinische entschieden ent-
gegentritt. Vgl. De fin., 1, ii, 4-6: "Iis igitur est difficilius
satisfacere, qui se Latine scripta dicunt contemnere. In quibus
hoc primum est in quo admirer, cur in gravissimis rebus non
delectet eos sermo patrius, cum iidem fabellas Latinas ad ver-
bum e Graecis expressas non inviti legant. Quis enim tarn
inimicus paene nomini Romano est, qui Enni Medeam aut
Antiopam Pacuui spernat aut reiciat, quod se iisdem Euripidis
fabulis delectari dicat, Latinas litteras oderit? . . . A quibus
tantum dissentio, ut cum Sophocles vel optime scripserit Elec-
tram, tarnen male conversam Atili mihi legendam putem ( ... )
Rudern enim esse omnino in nostris poetis aut inertissimi seg-
nitiae est aut fastidi delicatissimi. Mihi quidem non illi satis
eruditi videntur, quibus in nostra ignota sunt ... Quodsi Graeci
leguntur a Graecis isdem de rebus alia ratione compositis,
quid est, cur nostri a nostris non legantur?".
Die Schwierigkeit des dem Griechischen unterlegenen La-
teins kommt auch in den academici libri zur Sprache, wo Ci-
cero am Anfang des ersten Buches Varro die Erläuterung des
Dilemmas in den Mund legt, daß gebildete Leute die philoso-
phischen Texte lieber auf Griechisch lesen, Ungebildete sich
aber auch nicht für die lateinischen Übertragungen interessie-
ren würden: "nam cum philosophiam viderem diligentissime
Kommentar zu Kap. xi, 14 211

Graecis litteris explicatam, existimavi si qui de nostris eius


studio tenerentur, si essent Graecis doctrinis eruditi, Graeca
potius quam nostra lecturos, sin a Graecorum artibus et disci-
plinis abhorrerent, ne haec quidem curaturos, quae sine erudi-
tione Graeca intellegi non possunt. itaque ea nolui scribere
quae nec indocti intellegere possent nec docti legere curarent.
Vides autem ... non posse nos Amafinii aut Rabirii similes
esse, qui nulla arte adhibita de rebus ante oculos positis vulgari
sermone disputant, nihil definiunt, nihil partiuntur, ... nos
autem praeceptis dialecticorum et oratorum etiam, quoniam
utramque vim virtutem esse nostri putant, sie parentes ut Iegi-
bus verbis quoque novis cogimur uti, quae docti ut dixi a
Graecis petere malent, indocti ne a nobis quidem accipient, ut
frustra omnis suscipiatur Iabor". (1, 2, 4-5). Diesen Ausfüh-
rungen tritt Cicero entschieden entgegen: "Causam autem pro-
babilem tu quidem affers: aut enim Graeca legere malent qui
erunt eruditi, aut ne haec quidem qui illa nescient. sed etiam
mihi non sane probas; immo vero et haec qui illa non poterunt,
et qui Graeca poterunt non contemnent sua. quid enim causae
est cur poetas Latinos Graecis litteris eruditi Iegant, philoso-
phos non legant? ... Brutus quidem noster excellens omni ge-
nere laudis sie philosophiam Latinis litteris persequitur nihil ut
isdem de rebus Graeca desideres". (1, 3, 10-12).
latino romano .•• gramatica greca] Da Dante erstens die
Parallele zu Ciceros Text auf das Problem der Auseinander-
setzung zwischen Italienisch und Provenzalisch und nicht zwi-
schen volgare und Latein bezieht und er zweitens das Latein
und das Griechische für unveränderliche „Grammatiken" ge-
halten hat (VE, 1, i, 3), kann nicht gefolgert werden, Dante
stelle eine lateinische Volkssprache einer griechischen Bil-
dungssprache gegenüber. Seine Anlehnung an Cicero bezieht
sich auf dessen Verteidigung des semw patrius, und der cice-
ronianische Text insinuiert in keiner Weise eine Opposition
einer veränderlichen lateinischen Mundart und einer künstli-
chen griechischen Schriftsprache.
212 Kommentar zu Kap. xi, 15.16-17.17.18-21.18

§ 15
vanagloria] Zu 'vanagloria' vgl. Komm. zu§ 2.
§§ 16-17
Der in diesen beiden Paragraphen behandelte vierte Vor-
wurf der Eifersucht ist der herkömmlichen mittelalterlichen
Tugendlehre zufolge der schwerwiegendste, denn die invidia
ist eine Todsünde, die mit ewiger Verdammnis bestraft wird.
Si come e detto sopra ..• paritade] vgl. I, iv, 6. Vgl. supra
Kommentar zur Stelle. Dante bezieht den aristotelischen Ge-
dankens, daß Eifersucht zwischen Menschen relativer Gleich-
heit entsteht, auf die Menschen, die die gleiche Volkssprache
unterschiedlich gut beherrschen.
§ 17
Der Neidische verfemt nicht direkt seinen Rivalen, sondern
die Materie seines Kunstwerks. Dante führt diesen Gedanken
nicht aus, es ist jedoch offensichtlich, daß er dies auf die Ver-
ächter der Volkssprache bezieht, die den besseren Redner
durch die Geringschätzung seiner Sprache zu schmähen versu-
chen. Da sich Dante in I, iv zur Rechtfertigung des Sprechens
von sich selbst bereits ausführlich zu seinen Neidern geäußert
hat, kann auch diese Passage auf eigene Erfahrungen des Flo-
rentiners bezogen werden.
§§ 18-21
Der letzte Abschnitt des Kapitels ist der Feigheit des Gei-
stes, dem Kleinmut, gewidmet, den Dante als Gegenteil der
aristotelischen Tugend der magnanimitas darstellt.
§ 18
lo magnanimo •.. ehe non e] Für die direkte Entgegenset-
zung des magnanimo und des pusillanimo, aber nicht für eine
wörtliche Abhängigkeit, vgl. Thomas von Aquino, Sum. the-
ol., II-II, 133, 2: „sicut magnanimus ex animi magnitudine
tendit ad magna, ita pusillanimus ax animi parvitate se retrahit
a magnis".
Kommentar zu Kap. xi, 19.20 213

§ 19
magnificare e parvificare •.• maggiori] M. Corti (La.feli-
cita mentale, lOOff.) hat mit Nachdruck auf das Liber Ethi-
corum, ein von Hermann dem Deutschen aus der arabischen
Ethik-Übersetzung zusammengestelltes, lateinisches Ethik-
Compendium, als direkte Aristotelische Quelle hingewiesen.
Cortis Ausführungen überzeugen deshalb nicht, weil im Ari-
stotelischen Text die direkte Opposition zwischen magnani-
mitas und pusillanimitas nirgends so konstruiert ist wie im
Conv. Dante konzipiert die Großmut und den Kleinmut sym-
metrisch je als Übersteigerung und Untertreibung in bezug auf
eine Sache, wogegen bei Aristoteles die Großmut an sich kei-
ne Untugend ist, denn der wahrhaft Großmütige entspricht
deren Anforderungen. Für Aristoteles ist „der Großgesinnte
dem Sollen nach eine Mitte, (denn er schätzt sich richtig ein)"
(1123b13-14; Gigon, 137).
Cortis Ausführungen sollen zeigen, daß Dante das Liber
Ethicorum als Quelle benützt hat. Es handelt sich aber bei der
ganzen Thematik um viel diskutierte topoi der Tugendlehre, so
daß der Nachweis direkter literaler Abhängigkeiten mit äußer-
ster Vorsicht zu genießen ist. Dies zeigt auch die von M. Corti
selbst zitierte Passage aus Brunetto Latinis Tresor: „Et magna-
nimites est extremites en comparison de la chose, mes en com-
parison de l'oeuvre est mi". (II, 23; 194). Außerdem tritt das
von Dante verwendete seltene Verb 'parvificare' in der Gros-
seteste-Version auf (1107b20; 1122b8; 1163a14; vgl. dazuF.
Brambilla, Alcuni termini del latino medioevale nel volgare de/
Convivio, 9f.), was Cortis Angabe des Liber Ethicorum als
ausschließliche Quelle ebenfalls als fragwürdig erscheinen
läßt. Zu 'magnanimita' allgemein vgl. R.-A. Gauthier, Ma-
gnanimite; F. Porti, Magnanimitade; M. Corti, La. felicita
mentale, 44-53.
§ 20
l'uomo misura ••• parte i se medesimo] Vgl. Thomas von
Aquino, In Met., X, l. 2, N. 1959: „Sed Protagoras dixit
214 Kommentar zu Kap. xi, 21; xii-xiii

hominem esse mensuram omnium rerum inquantum est sciens


aut sentiens, quia scientia et sensus sunt mensura substan-
tiarum, scilicet sensibilium et scibilium. Dicebant enim Prot-
agorici, ut in quarto habitum est, quod res sunt tales, quia sie
sentimus eas, vel sie opinamur in eis".

§ 21
li abominevoli cattivi ... adulteri] Zum Schluß des Kapi-
tels holt Dante noch einmal zu einer gehörigen Verfluchung
der italienischen Ankläger der eigenen Volkssprache aus und
fügt ihren bereits erläuterten Lastern noch den Vorwurf der
Prostitution und des Ehebruchs hinzu.

Kapitel xii-xiii

Nach der Diatribe gegen die italienischen Ankläger der


Volkssprache nimmt Dante in den beiden letzten Kapitel des
ersten Buches das Hauptthema seines dritten und letzten Teils
der Rechtfertigung der Volkssprache wieder auf und erläutert
anhand des Themas der Freundschaft, daß nicht nur Liebe,
sondern vollkommene Liebe zur Volkssprache ihn dazu be-
wogen hat, seinen Kommentar im volgare abzufassen. Die
beiden ersten Paragraphen des Kapitels xii mäßigen nach dem
Ausfall gegen die Gegner den Ton der Darstellung wieder
und bestimmen kurz die Struktur der nun folgenden Erläute-
rung. Dante will erstens darlegen, wie er zum Freund der
Volkssprache wurde, diesem Thema widmet er das Kapitel
xii, und zweitens, wie er in seiner Freundschaft bestärkt wur-
de (Kapitel xiii). In xii, 3 legt Dante durch die Präzisierung,
daß seine Freundschaft mit der Volkssprache durch die natür-
liche Nähe und Güte verursacht und durch Wohltat, Streben
(Hingabe) und Gewohnheit gefestigt und vermehrt worden
ist, den detaillierten Strukturplan seiner beiden Schlußkapitel
fest. Kapitel xii behandelt die Ursache von Dantes Liebe zur
Kommentar zu Kap. xii, 1-2.3 215

Volkssprache durch die Erläuterung seiner natürlichen Nähe


zu ihr(§§ 4-7) und durch die Beschreibung ihrer Güte(§§ 8-
14). Kapitel xiii schließlich erklärt, wie Dante durch Wohltat
(§§ 2-4), einträchtiges Streben(§§ 5-7) und lange Gewohn-
heit(§§ 8-10) in seiner Liebe zur Volkssprache bestärkt wor-
den ist. Als Quelle seiner zweiteiligen Erklärung der Liebe
anhand der erzeugenden und vermehrenden Ursachen nennt
Dante explizit Ciceros Laelius, und er verweist auf die Bü-
cher acht und neun der Nikomachischen Ethik, denen diese
Art, das Thema zu erörtern, nicht widerspräche.
Die §§ 11 und 12 des Kapitels xiii beschließen, „den Blick
nach hinten wendend", das erste Buch des Conv., indem sie,
die Gastmahl-und Brotmetapher wieder aufnehmend, die Rei-
nigung des Brotes für abgeschlossen erklären und den Beginn
des Gastmahls ankündigen.

Kapitel xii

§§ 1-2
Dantes Liebe zur Volkssprache ist so offensichtlich wie das
innere Feuer eines brennenden Hauses und bedürfte eigentlich
keiner weiteren Begründung. Daß er seine Ausführungen den-
noch weiterführt, rechtfertigt Dante mit der zu erläuternden
Tatsache, daß nicht nur Liebe, sondern vollkommene Liebe
zur Volkssprache in ihm sei. Er will seinen Gegnern zeigen,
warum er zum Freund der Volkssprache gemacht und wie er
in seiner Freundschaft zu ihr bestärkt wurde.

§3
In diesem Paragraphen nennt Dante die zwei erzeugenden
(Nähe und Güte) und drei vermehrenden Ursachen (Wohltat,
Streben und Gewohnheit) seiner Liebe zur Volkssprache und
legt damit die Struktur der beiden letzten Kapitel seines langen
Prologs zum Conv. fest.
216 Kommentar zu Kap. xii, 3

ehe scrive Tullio •.• la sentenza del Filosofo] Es lassen sich


bei Cicero sämtliche von Dante hier genannten Ursachen der
Freundschaft textlich nachweisen (schon Busnelli / Vandelli,
Kommentar zur Stelle), wobei Cicero diese jedoch nicht als
Ursachen im strengen Sinne, sondern eher als Bedingungen,
die die Freundschaft begünstigen, versteht. So stellt Tullius
fest, daß Güte eine notwendige (De amie., V, 18: „hoc primum
sentio nisi in bonis amicitiam esse non passe) und Nähe eine
begünstigende Bedingung der Freundschaft darstellt: „Sie
enim rnihi perspicere videor, ita natos esse nos, ut inter omnes
esset societas quaedam; maior autem ut quisque proxime acce-
deret. ltaque cives potiores quam peregrini, et propinqui quam
alieni; cum his enim amicitiam natura ipsa peperit ... ". (ibi-
dem, 19).
Auch die von Dante erwähnten drei vermehrenden Elemente
der Freundschaft, die Wohltat, die Hingabe (studium) und die
Gewohnheit, werden von Cicero explizit genannt: „Quam-
quam confirmatur amor et beneficio accepto et studio perspec-
to et consuetudine adiuncta. Quibus rebus ad illum primum
motum animi et amoris adhibitis, admirabilis quaedam exarde-
scit beneuolentiae magnitudo" (IX, 29).
Mit der Formulierung, daß die Aussagen Ciceros denjeni-
gen des Aristoteles nicht widersprechen, wird angedeutet, daß
keine literale, sondern nur eine sinngemäße Abhängigkeit zur
Nikomaehisehen Ethik besteht. Für die Güte der Subjekte der
Freundschaft vgl. Eth. Nie., VIII, 4: „ Vollkommen ist die
Freundschaft der Tugendhaften und an Tugend Ähnlichen.
Diese wünschen einander gleichmäßig das Gute, sofern sie gut
sind, und sie sind gut an sich selbst" (Gigon, 235). Vgl. außer-
dem: „Und indem man den Freund liebt, liebt man, was einem
selbst gut ist. Denn der Tugendhafte, der zum Freund gewor-
den ist, wird zu einem Gut für den, dessen Freund er gewor-
den ist" (Eth. Nie., VIII, 7; Gigon, 239).
Die natürliche Nähe berücksichtigte Aristoteles in Eth. Nie. ,
VIII, 14 im Teil über die Verwandtenfreundschaft, zählte je-
Kommentar zu Kap. xii, 3 217

doch die Gemeinschaft unter Bürgern, Stammesgenossen etc.


nicht zur Freundschaft im engeren Sinne, da sie eher auf ver-
tragsähnlicher Abmachung beruhten: „Die Eltern lieben also
ihre Kinder wie sich selbst (denn was von ihnen stammt, ist wie
ein anderes sie selbst durch die Trennung), die Kinder die
Eltern, weil sie von ihnen stammen, und die Brüder unterein-
ander, weil sie von denselben Eltern stammen. Denn die
Gleichheit jenen gegenüber macht sie auch untereinander
gleich. Und so spricht man von 'demselben Blut', 'derselben
Wurzel' und dergleichen. Sie sind auch gewissermaßen dassel-
be, nur in getrennten Wesen" (Gigon, 250).
Für die Meinung, daß die Wohltat die Liebe vermehre, kann
auf Eth. Nie., VIII, 13 (1161a10ff.) verwiesen werden, wo
Aristoteles die Wohltat als Grund der Freundschaft des Königs
zum Untertanen bezeichnet. Eine ähnlicher Gedanke greift der
Stagirit in IX, 7 auf, wo er die Beziehung des Wohltäters zum
Empfänger als von Zweckdenken freie Liebesbeziehung des
Schöpfers zu seinem Werk erörtert. Im Vergleich zu Dante
gilt bei Aristoteles die Liebesbeziehung also nur für den
Wohltäter und nicht für den Empfänger, für den laut Aristote-
les der Aspekt der Nützlichkeit im Vordergrund steht.
In diesem Sinne trifft Dantes Aussage, daß die Meinungen
des Aristoteles denjenigen Ciceros nicht widersprechen, zu-
mindest für Dantes Verwendung der Passage Ciceros nicht zu.
Die Wohltat bestärkt für Aristoteles nur den Wohltäter in sei-
ner Liebe, nicht aber den Empfänger: „Wohltäter dagegen
lieben und schätzen die Empfänger, auch wenn sie in keiner
Weise nützlich sind, noch es je werden. Dasselbe gilt auch bei
den Künstlern. Denn jeder liebt sein eigenes Werk mehr, als
dieses ihn lieben würde, wenn es eine Seele bekäme. Am
meisten geschieht dies wohl bei den Dichtern. Denn diese
lieben ihre Dichtungen über alle Maßen, so wie sie ihre Kin-
der lieben würden. Dem ist das Verhalten der Wohltäter ähn-
lich. Denn was ihre Wohltat empfangen hat, ist ihr Werk, und
dieses lieben sie mehr als das Werk den Schöpfer ... Zugleich
218 Kommentar zu Kap. xii, 3

ist für einen Wohltäter diese seine Handlung schön, und so


freut er sich an dem, woran seine Handlung ist; für den Emp-
fänger ist dagegen am Geber nichts Schönes, sondern eher
etwas Nützliches. Dies ist aber weniger angenehm und lie-
benswert". (1167b29-68a13; Gigon, 268f.).
Der von Cicero übernommene Gedanke Dantes, daß ge-
meinsames Streben die_ Freundschaft bestärke, findet sich so
nicht explizit bei Aristoteles. Die Grosseteste-Version über-
setztjedoch 'spoudaios' (griech.) mit 'studiosus', so daß sich
Dante vielleicht auf jene Passage in der Nikomaehisehen Ethik
(1166a10ff.) bezieht, wo Aristoteles den Tugendhaften in Be-
ziehung zu sich selbst als das Modell wahrer Freundschaft
vorstellt. Diese These gewinnt an Plausibilität, wenn berück-
sichtigt wird, daß in der späteren Erläuterung in § 6 das Stre-
ben nach Erhaltung im Sein, wie bei Aristoteles an der
genannten Stelle, zur Sprache gebracht wird: "Videtur enim
quemadmodum dictum est mensura unicuique virtus et studio-
sus esse. Iste enim consentit sibi ipsi, et eadem appetit secund-
um omnem animam, et vult utique sibi ipsi bona et apparencia,
et operatur. Boni enim bonum elaborare, et sui ipsius gracia.
Intellectivi enim gracia, quod unusquisque videtur; et vivere
autem vult se ipsum et salvari et maximo hoc quo sapit. Bo-
num enim studioso esse". (Eth. Nie., IX, 4; 329).
Für die Lehre der Gewohnheit als Mitursache der Verstär-
kung der Freundschaft in der Nikomaehisehen Ethik kann auf
folgende Stelle hingewiesen werden: "Non facile enim secund-
um se ispum operari, continue; cum alteris autem et ad alios,
facile. Erit igitur operacio magis continua, delectabilis existens
secundum se ipsam, quod oportet circa beatum esse. Studiosus
enim secundum quod studiosus, hiis que secundum virtutem
accionibus, gaudet, hiis autem que a malicia, tristatur, quemad-
modum musicus bonis melodiis delectatur, in pravis autem,
tristatur. Fiet autem utique et askesis id est exercitatio quedam
virtutis ex convivere bonis, quemadmodum et Theogonis ait".
(Eth. Nie., IX, 9; 338).
Kommentar zu Kap. xii, 4-7 219

§§ 4-7
In diesem Abschnitt erläutert Dante die erste der zwei erzeu-
genden Ursachen seiner Liebe zur Volkssprache, nämlich die
Nähe, als Verbundenheit in höherem Maße (altrui epiu uni-
ta), wobei diese Beziehung nicht näher präzisiert, sondern
anhand von vier Beispielen dargestellt wird (Vater-Sohn;
Medizin-Arzt; Musik-Musiker; Aufenthaltsort-Mensch). Auf
deren gemeinsame Logik weist Dante hin, indem er in § 5 die
Volkssprache als die erste Sprache im Geiste der Menschen
per se und in bezug auf die Relation mit anderen Menschen per
accidente bezeichnet. Ähnlich stellen das erste und das vierte
Beispiel eine akzidentelle Nähe dar, denn die Beziehung des
Vaters zum Sohn gehört als Relation zu den Akzidenzien und
der Aufenthaltsort der Menschen an einem bestimmten Ort ist
zufällig. Die Medizin und die Musik hingegen sind Künste
und als solche sind sie als Habitus in der Seele des Künstlers
und betreffen ein vernunftmäßiges Hervorbringen, das als
solches zwar Gegenstände betrifft, die so oder anders sein
können, das aber als von Prinzipien geleitetes, „wesenhaft mit
Vernunft verbundenes hervorbringendes Verhalten" (1140a6;
Gigon, 185) in der Seele des Hervorbringenden bejahend oder
verneinend die Wahrheit betrifft (1139b15; Gigon, 184), und
von dem es eine Vollkommenheit geben kann. (Für die ganze
Lehre vgl. Eth. Nie., VI, 3-5). Deshalb kann davon ausgegan-
gen werden, daß Dante durch die beiden Beispiele, die die
Kunst im Verhältnis zum Künstler betreffen, den in § 5 ge-
nannten ontologischen Status per se der Sprache in der Seele
exemplifiziert und daß durch die Beispiele der Relation des
Vaters zum Sohn und des Menschen zu seinem Aufenthaltsort
eine besondere Verbindung per accidens bezeichnet wird, die
Dante in§ 5 in der Thematisierung der Vereinigung der Per-
sonen der gleichen Familie und des gleichen Ortes durch die
gemeinsame Volkssprache als Verbindung „per accidente"
auf das Problem der Volkssprache anwendet. Dante begründet
in§ 5 die größere Verbundenheit der Volkssprache mit ihrem
220 Kommentar zu Kap. xii, 5.7

Träger und mit den dem Träger akzidentell verbundenen Per-


sonen (Minor) durch den ontologischen Status des volgare als
alleiniger erster Sprache in der Seele.
Zusammen mit der in § 4 gesetzten Maior ("Ein Ding ist
näher, wenn es im Vergleich zu allen übrigen Dingen seiner
Gattung mit einem anderen in einem höheren Maße verbunden
ist") ergibt dies den Schluß, daß die Volkssprache näher ist. In
§ 6 wird dieses Ergebnis mit dem in § 3 genannten Satz, daß
die Nähe eine erzeugende Ursache der Liebe ist, verbunden,
so daß laut Dante bewiesen ist, daß seine unmittelbare Nähe
zur Volkssprache Ursache für seine Liebe zu der Sprache ist,
die ihm näher ist als jede andere. Der § 7 fügt der Begründung
der Minor (§ 5) eine erklärende Veranschaulichung aus dem
Feudalrecht hinzu. Die gewohnheitsmäßige Bevorzugung des
Erstgeborenen beim Erbe wird als Folge des in der Minor
begründeten Prinzips, daß das Erste das Verbundenere ist,
interpretiert.
§5
ehe UDO e solo e prima ne la mente] Diesem Gedanken
entsprechend unterscheidet Dante in VE, 1, i, 3 zwischen der
Volkssprache, mit der die Kinder „primitus distinguere voces
incipiunt", und dem Latein als „locutio secundaria nobis".
§7
perche ... piu amati] Zur Lehre, daß das Nähere auch mehr
geliebt werde vgl. Thomas von Aquino, Summa c. gen., 1,
102: „quanto aliquid alicui est propinquius, magis naturaliter
amatur". Auch Sum. theol., 11-11, 26, 8: „Qui sunt nobis ma-
gis coniuncti, sunt ex caritate magis diligendi".
Ia consuetudine „. solamente] Diese auf die Rechtspraxis
bei Erbe von Grundbesitz zurückgreifende Veranschauli-
chung der Argumentation kann als Hiweis auf ein aristokrati-
sches oder großbürgerliches Publikum gelesen werden, dem
durch ein Beispiel aus seinem Erfahrungshintergrund eine ab-
strakte Argumentation nähergebracht werden soll.
Kommentar zu Kap. xii, 8-13 221

§§ 8-13
In den verbleibenden Paragraphen des Kapitels erläutert
Dante, wiederum in einem sehr klar strukturierten Gedanken-
gang, warum die Gutheit der Volkssprache seine Liebe zu ihr
erzeugt habe. Ähnlich wie bei der Argumentation zur Nähe
beginnt er in § 8 die Begründung der Gutheit mit einem Prin-
zip, das im Argument als Maior dient und das er durch vier
Beispiele erläutert. Liebenswert macht ein jedes Ding seine je
eigene Gutheit. In der Bestimmung der eigentümlichen Güte
eines jeden Dinges, die für Dante in der Erfüllung einer be-
stimmten Zweckbestimmung besteht, stützt er sich wie schon
in I, v, 11 auf einen teleologischen Gedankengang. Die§§ 9-
12, die sich diesem ersten Teil der Beweisführung anschließen,
liegen außerhalb von Dantes Argumentationsduktus (Dante
bemerkt deshalb im zweiten Teil von § 12, daß er nun wieder
zum Gegenstand der Erläuterung zurückkehre), denn sie deh-
nen die Bestimmung der eigentümlichen Gutheit exkursartig
auf den Menschen überhaupt aus, für den diese in der Gerech-
tigkeit besteht. Dante nimmt diese Abschweifung zum Anlaß,
um mit dem Hinweis auf die Ungerechtigkeit als Gegenteil der
höchsten Tugend des Menschen sein Sprechen von sich selbst
zu entschuldigen (§ 11) und um auf die noch ausstehende Er-
läuterung der Gerechtigkeit im vierzehnten Traktat des Conv.
hinzuweisen(§ 12). Seinen Beweis wieder aufnehmend, be-
stimmt Dante in § 13 als minor des Schlußes die eigentümliche
Gutheit der Sprache als gute Darstellung des Gedankens und
beansprucht unter Verweis auf ein früheres Argument diese
auch für die Volkssprache, womit er an I, x, 12 anknüpft.
Freilich zeigt dieser Zusammenhang der Stellen auch eine ge-
wisse Ambiguität auf, zwischen der Gutheit der Volkssprache,
für die Dante durch seinen Kommentar zuallererst den Tatbe-
weis erbringen will, und der bereits allgemein verbreiteten
italienischen Volkssprache, die Dantes Liebe erweckt haben
soll. Wenn Dante nämlich in I, x, 12 sagt, daß er mit seinem
Kommentar nun einmal zeigen will, wie erhabene und uner-
222 Kommentar zu Kap. xii, 8

hörte Gedanken in der Volkssprache ausgedrückt werden kön-


nen, so bedeutet dies eigentlich, daß der Alighieri durch seinen
volkssprachlichen Kommentar die Ursache und das Objekt
seiner Liebe selbst kreiert. Auch dies ist eine Besonderheit des
Conv. Hier hat ein Philosoph nicht nur eine inhaltlich neue und
auf ein neues Publikum ausgerichtete Philosophie in einer
anderen Sprache als der in der Schulphilosophie üblichen ver-
faßt, sondern er hat die Sprache selbst in entscheidender Weise
neu geformt.

§8
ogni bontade ... amabile in quella] Der Gedanke, daß die
eigentümliche Güte eines Dinges dieses liebenswert macht,
sowie der daraus abgeleitete Komparativ, daß die Liebens-
würdigkeit entsprechend der Gutheit zunimmt, findet sich
auch bei Thomas von Aquino, Sent. Eth., X, 11; 588: „illud
enim quod est optimum secundum naturam in unoquoque est
maxime proprium sibi; quod autem est optimum et proprium,
consequens est quod sit delectabilissimum, quia unusquisque
delectatur in boni sibi convenienti".
veltro] Der Jagdhund, der hier im Conv. als ein scheinbar
belangloses Beispiel dient, bekommt später im Werk Dantes
durch die Prophezeiung von lnf, 1, 101-111, wo der veltro die
den Geiz und die Habgier versinnbildlichende Wölfin tötet,
eine allegorische Bedeutung als Erlöser- und Reformfigur, die
in der Dante-Rezeption bereits seit den dreißiger Jahren des
14. Jahrhunderts unter dem Einfluß chiliastischen undjoachi-
mitischen Gedankenguts mit verschiedensten Personen identi-
fiziert worden ist, deren genaue Bedeutung aber unbestimmt
bleibt (vgl. ED, V, 908-912). Für eine poetisch-bildhafte Ver-
wendung von 'veltro' vgl. auch lnf„ XIII, 124-126: „Diretro
a loro era la selva piena / di nere cagne, bramose e correnti /
come vel tri eh' uscisser di catena" . ( „Und hinter ihnen war der
Wald bevölkert/ von wilden, schwarzen Hündinnen, die lie-
fen/ wie Doggen, von der Kette losgelassen). Vgl. auch Rime,
Kommentar zu Kap. xii, 9 223

LXI: "Sonar bracchetti, e cacciatori aizzare, lepri levare, ed


isgridar le genti, e di guinzagli uscir veltri correnti". Der
Jagdhund muß vor allem für ein aristokratisches Publikum, zu
dessen direktem Erfahrungshintergrund die nur den Adeligen
erlaubte Jagd gehört hat, ein einleuchtendes Beispiel und Bild
gewesen sein.

§9
ciascuna vertu ••. ne l'uomo] Daß jede Tugend des Men-
schen liebenswert ist, ist eine Folge des vorangehenden Prin-
zips, daß die Gutheit ein Ding liebenswert mache, und der
Aristotelischen Tugendlehre, wonach jede Tugend zur Gutheit
des Menschen beiträgt: „hominis virtus erit utique habitus ex
quo bonus homo fit et a quo bene opus suum reddit" (Eth.
Nie., II, 5; 169).
epfü umana, e questa e la giustizia] Aristoteles bezeichnet
in Eth. Nie., V, 2 die Gerechtigkeit als die vollkommene Tu-
gend des Menschen: „Diese Gerechtigkeit ist die vollkommene
Tugend, aber nicht schlechthin, sondern im Hinblick auf den
anderen Menschen. Darum gilt die Gerechtigkeit vielfach als
die vornehmste der Tugenden, und 'weder Abendstern noch
Morgenstern sind derart wunderbar', und im Sprichwort sagt
man: 'In der Gerechtigkeit ist alle Tugend zusammengefaßt.'
Sie gilt vor allem als die vollkommene Tugend, weil sie die
Anwendung der vollkommenen Tugend ist. Vollkommen ist
sie, weil der, der sie besitzt, die Tugend auch dem andern
gegenüber anwenden kann und nicht nur für sich" (Gigon,
155).
Ein Vergleich der Tugenden im Hinblick auf deren Mensch-
lichkeit und die Bezeichnung der dem rationalen Teil der Seele
zugeordneten Gerechtigkeit als "magis humana" findet sich in
der Ethiea Alberts des Großen: "iustitia est in ratione, non
secundum quod habet ordinationem ad potentias inferiores,
quia sie est in ipsa prudentia, sed secundum quod habet ordi-
nem ad exteriora, et ideo etiam iustitia est magis humana quam
224 Kommentar zu Kap. xii, 10

aliae duae [fortitudo, temperantia]". (1, 16; 86). Im Anschluß


an Cicero sprach sich auch Albert klar für den Vorrang der
Gerechtigkeit unter den Tugenden aus: „et est optima inter
alias, quia plura comprehendit". (Ethica, V, 6; 336).
la quale ••• volontade] Vgl. Thomas von Aquino, Sent.
Eth., V, 1; 265: „Et est considerandum quod convenienter
notificavit iusticiam per voluntatem, in qua non sunt passiones
et tarnen est exteriorum actionum principium, unde est propri-
um subiectum iustitiae quae < non> est circa passiones".

§ 10
si come dice lo Filosofo] Wie schon P. Toynbee (Studies
and Researches, 245f.) gezeigt hat, findet sich inEth. Nie., V
keine mit der Aussage Dantes übereinstimmende Stelle, wohl
aber im De off. (II, xi, 40) Ciceros: „Atque iis etiam qui
vendunt, emunt, conducunt, locant contrahendisque negotiis
implicantur, iustitia ad rem gerendam necessaria est, cuius
tanta vis est, ut ne illi quidem, qui maleficio et scelere pascun-
tur, possint sine ulla particula iustitiae vivere. Nam qui eorum
cuipiam, qui una latrocinantur, furantur aliquid aut eripit, is
sibi ne in latrocinio quidem relinquit locum; ille autem qui
archipirata dicitur, nisi aequaliter praedam dispertiat, aut in-
terficiatur a sociis aut relinquatur: quin etiam leges latronum
esse dicuntur quibus pareant, quam obseruent".
Es darf angenommen werden, daß Dante den irrtümlichen
Verweis auf Aristoteles aus dem Gedächtnis vorbrachte und
ein Stelle, die er wahrscheinlich von Cicero kannte, Aristote-
les zuschrieb. M. Corti (Lafelicita mentale, 104f.) brachte die
Meinung vor, Dante hätte den Passus im Tresor an einer Stelle
gefunden, die er für aristotelisch hielt, die Brunetto aber dem
Liber Ethicorum entnommen hätte. Die von M. Corti vorge-
tragenen Passagen enthalten aber den von Dante vollzogenen
und bei Cicero nachzulesenden Gedanken der Gerechtigkeit
der Diebe und Räuber nicht. Wohl aber eine ebenfalls von
Corti signalisierte Stelle im Tresor (II, 91, 2) des Brunetto
Kommentar zu Kap. xii, 11 225

Latini: "Ceste vertu sormonte les aspres choses, car en ce que


1i uns est chevaliers et 1i autres marchans, 1i autres laboureu-
res, et 1i pourchas de l'un enpire le gaaing de l'autre, les
guerres et les haines naistroient et seroient a la destruction des
homes, sa justice ne fust, ki garde et deffent la communite de
vie; de qui la force est si grans que eil ki se paissent de felonie
et de meffet ne puent pas vivre sans aucune partie de justice,
car 1i laron ki emblent ensamble welent que justice soit
entr'aus gardee, et se lor mestre ne departent ygaument la
proie, ou si compaignon l'ocient ou il le lient".
Der Gedanke, daß selbst Räuber und Diebe untereinander
gerecht sein müssen, wenn sie gemeinschaftlich etwas aus-
richten wollen, lässt sich bis zu Platos Staat zurückverfolgen.
Die Gerechtigkeit erscheint darin als Grundkategorie und sine
qua non kollektiven Handelns. Vgl. Der Staat, 1, 351c-d:
"[Sokrates] Glaubst du, daß, wenn eine Stadt oder ein Heer
oder auch Räuber und Diebe oder irgend ein anderes Volk
gemeinschaftlich etwas ungerechterweise angreift, solche ir-
gend etwas werden ausrichten können, wenn sie sich auch
untereinander unrecht tun?- Wohl gewiß nicht, sagte er [Tra-
symachos]. - Wie aber, wenn sie sich nicht unrecht tun? Dann
wohl besser?- Freilich.- Denn die Ungerechtigkeit, o Trasy-
machos, verursacht ihnen Zwietracht und Haß und Streit un-
tereinander; die Gerechtigkeit aber Eintracht und
Freundschaft". (Schleiermacher, 85).

§ 11
Li quali sono •.• e leale] Dante nimmt in diesem Paragra-
phen die Thematisierung der Gerechtigkeit als höchster Tu-
gend sowie ihres Gegenteil als am meisten gehaßte Schmach
zum Anlaß, um noch einmal auf seine in 1, ii-iv vorgetragene
Rechtfertigung des Sprechens von sich selbst des ungerecht
Behandelten aufmerksam zu machen. Für Angaben, auf wel-
che Tradition sich die Bemerkung 'si concede da lunga usan-
za' bezieht, vgl. Kommentar zu 1, ii, 3; 12-17.
226 Kommentar zu Kap. xii, 12

§ 12
Di questa vertu •.• proposito] In I, i, legt Dante dar, daß er
durch sein allgemeines, aus 14 Gängen bestehendes Gastmahl
diejenigen zur Wissenschaft führen will, die bisher von ihr
ausgeschlossen waren. Im Kommentar zu I, i, 14 wurde bereits
auf die zahlensymbolischen Implikationen dieses den Men-
schen in 14 Teilen zur Vollkommenheit führenden wissen-
schaftlichen Unternehmens hingewiesen. Die hier gemachte
Bemerkung Dantes, daß er im 14. und letzten Buch über die
Gerechtigkeit, die vollkommene und am meisten geliebte Tu-
gend (vgl. I, xii, 9 und Kommentar), handeln will, fügt sich
nahtlos in dieses zahlensymbolische Interpretation ein. Das in
14 Büchern den Menschen zur Vollkommenheit führende wis-
senschaftliche Itinerarium für solche Menschen, die normaler-
weise davon ausgeschlossen sind, hätte, wäre das Werk nicht
unvollendet geblieben, im 14. Buch durch die Behandlung der
vollkommenen Tugend seinen Abschluß gefunden. Erneut
wird darin Dantes den Primat des Praktischen vertretende Kon-
zeption der Philosophie deutlich. Der Mensch findet die Voll-
kommenheit in der höchsten Tugend des Verhaltens sich selber
und anderen gegenüber; zu diesem Status hätte das Conv. im
Falle seiner Vollendung die Lesenden führen sollen.
Wenn die Thematisierung der Gerechtigkeit als höchster
menschlicher Tugend und als höchster Abschluß des Conv. mit
Dantes Äußerungen zur Commedia in der Ep. XIII, 24-25
konfrontiert wird, so tritt hervor, inwiefern der Florentiner in
der Commedia ein viel ehrgeizigeres Unternehmen verfolgt. In
der wörtlichen Bedeutung zeigt die Commedia den Status der
Seelen nach dem Tode (§ 24; vgl. Ricklin, Kommentar zur
Stelle); in der allegorischen Auslegung zeigt diese Jenseits-
schau dem diesseitigen Menschen, inwiefern er der belohnen-
den und strafenden Gerechtigkeit unterworfen sein wird: „Si
vero accipiatur opus allegorice, subiectum est homo prout
merendo et demerendo per arbitrii libertatem iustitie premian-
di et puniendi obnoxius est". (§ 25). Dante stellt sich, laut Ep.
Kommentar zu Kap. xii, 13; xiii, 1 227

XIII, in der Commedia auf den Standpunkt der belohnenden


und bestrafenden Gerechtigkeit Gottes im Jenseits, wogegen er
im Conv. von der Gerechtigkeit lediglich als höchster intellek-
tueller Tugend und Vollkommenheit des Menschen spricht.
[pill essere •.• propria] Für textkritische Erläuterungen zu
dieser Lücke im Archetypen vgl. Vasoli (Kommentar zur Stel-
le).
§ 13
in ciascuna ••• generativa] Auch in dieser Aussage greift
Dante, wie er selbst bemerkt, auf bereits vorgetragene Erörte-
rungen zurück. Der Verweis Vasolis (Kommentar zur Stelle)
auf I, v, 12 scheint nicht richtig, denn an jener Stelle sagt
Dante, daß nach den bisherigen Gepflogenheiten das Latein
Gedanken besser ausdrücken könne als die Volkssprache, und
er nennt in diesem Zusammenhang nur das allgemeine Krite-
rium der Sprachfunktion, bezieht es aber gerade nicht auf die
Volkssprache. In I, x, 12 hingegen verspricht der Alighieri
mit seinem Kommentar den Tatbeweis zu erbringen, daß die
Volkssprache dem Latein nicht nachstehe, denn sie kann "al-
tissimi e novissimi concetti covenevolemente, sufficientemen-
te e acconciamente, quasi come per esso latino, manifestare".
Genau auf diese Stelle bezieht sich der Verweis Dantes, daß
die Volkssprache dem Kriterium der Gutheit der Sprache,
dem "bene manifestare del concetto", entspricht und deshalb
Ursache einer echten und vollkommenen Liebe sein kann. Für
die Quellen zur Bestimmung der eigentümlichen Funktion der
Sprache vgl. Kommentar zu I, v, 12.

Kapitel xiii

§1
In diesem eine strukturierende Funktion ausübenden Para-
graphen wird kurz zusammengefaßt, was im vorangehenden
Kapitel dargelegt wurde, nämlich die zwei erzeugenden Ursa-
228 Kommentar zu Kap. xiii, 2-5.2

eben der Freundschaft Dantes zur Volkssprache. Außerdem


wird die Struktur der nun folgenden Erläuterung etabliert, die
die vermehrenden Ursachen der Liebe Dantes darlegen soll.
Vgl. supra Kommentar, Einleitung zu Kapitel xiii-xiii.

§§ 2-5
Die Behandlung der Wohltat als vermehrender Ursache sei-
ner Liebe zur Volkssprache beginnt Dante in § 2 mit einer
Bestimmung der besten Wohltat als Vervollkommnung eines
Dinges, die im Falle des Menschen aus seinem Sein und seinem
Gutsein besteht(§ 3). Diese Argumentation, die in den Bahnen
der aristotelischen Schulphilosophie verläuft, nimmt in § 4 ein
für Dante typische Wende durch die Übertragung auf eine
Thematik, die im traditionellen Diskurs nie berücksichtigt
worden ist. Dante wendet die der aristotelischen Teleologie
und Ontologie folgende Bestimmung der Wohltat als Vervoll-
kommnung eines Dinges auf seine Beziehung zur Volkssprache
an, indem er, unter Rückgriff auf die aristotelische Lehre der
Kausalität, das volgare als „ Vermählerin" seiner Eltern, als
Ursache seiner Existenz (§ 4), und als Wegbereiterin seiner
Wissenschaft, das heißt als Ursache seines Gutseins (§ 5) und
somit seiner Vollkommenheit ausweist.
Die ungewöhnliche Anwendung von traditionellen Elemen-
ten der Schulphilosophie auf neue Argumentationsziele ist ein
grundsätzliches Merkmal der Philosophie Dantes. Deshalb ge-
nügt es zur Charakterisierung seiner Lehre nicht, daß einzelne
Argumentationselemente isoliert auf scholastische Quellen zu-
rückgeführt und mit der Lehre des jeweiligen Autors identifi-
ziert werden. Erst eine adäquate Analyse der Funktion des
jeweiligen Zitats vermag Dantes Lehre in ihrem, meist origi-
nellen, Gehalt zu erfassen.

§2
e nulla cosa .•• vuole] Die Bestimmung des beneficium als
Gewolltes aus der Sicht des Empfängers erlaubt es Dante, den
Kommentar zu Kap. xiii, 3 229

Aristotelischen Gedankengang der formalen Bestimmung des


Guten auf die Qualifizierung der Wohltat anzuwenden. Aus
dem Gedanken eines Dinges, das um seiner selbst willen ge-
wollt wird und das selbst nicht durch das Wollen eines anderen
Dinges bedingt ist, entwickelte Aristoteles in Eth. Nie., 1, 1
die Bestimmung des höchsten Gutes: "Wenn es aber ein Ziel
des Handelns gibt, das wir um seiner selbst willen wollen und
das andere um seinetwillen; wenn wir also nicht alles um eines
andern willen erstreben (denn so ginge es ins Unbegrenzte,
und das Streben wäre leer und sinnlos), dann ist es klar, daß
jenes das Gute und das Beste ist" (Gigon 55).

§3
due perfezioni abbia l'uomo .•. seconda] Die Idee einer
zweistufigen Bestimmung der Vollkommenheit des Men-
schen (in bezug auf das Sein und in bezug auf das Gutsein)
könnte Dante der von Busnelli/Vandelli (Kommentar zur
Stelle) angegebenen Passage der Sum. theol. (1-11, 4, 5) des
Thomas von Aquino entnommen haben: „Sed sciendum quod
ad perfectionem alicuius rei dupliciter aliquid pertinet. Uno
modo ad constituendam essentiam rei: sicut anima requiritur
ad perfectionem hominis. Alio modo requiritur ad perfectio-
nem rei quod pertinet ad bene esse eius: sicut pulcritudo cor-
poris vel velocitas ingenii pertinet ad perfectionem hominis".
Thomas unterscheidet jedoch zwischen der essentia und dem
bene esse, was Dantes Stufen des Seins (essere) und des Gut-
seins (essere buono) nicht völlig entspricht. Die Quelle Tho-
mas von Aquino, Sent. Eth., 1, 10; 35 (Busnelli / Vandelli;
Vasoli, Kommentare zur Stelle) weist zum Text Dantes eben-
falls Unterschiede auf, weil Thomas von Aquino auch an je-
ner Stelle nicht von einer zweifachen Vollkommenheit in be-
zug auf das Sein und das Gutsein spricht, sondern von einer
Vollkommenheit der Form und der Tätigkeit ausgeht: „Cui-
uslibet enim rei habentis propriam operationem, bonum suum
et hoc quod bene est ei consistit in eius operatione, sicut tibi-
230 Kommentar zu Kap. xiii, 4

cinis bonum consistit in eius operatione et similiter eius qui


facit statuam, et cuiuslibet artificis. Et huius ratio est quia
bonum finale cuiuslibet rei est ultima eius perfectio, forma
autem est perfectio prima, sed operatio est perfectio secun-
da". Trotzdem knüpft Dante hier wohl mit einer ungenauen
Terminologie an die auf Aristoteles und Avicenna zugehende
Lehre der generazione sustanziale als prima perfezione und
der operazione propria als secunda perjezione an, auf die er
sich in Conv., II, xiii, 5 präzise bezieht (vgl. Vasoli, Kom-
mentar zur Stelle; Ricklin, Kommentar zur Stelle.
Man könnte sich fragen, ob Dantes Stufung einer Vollkom-
menheit in bezug auf Sein und Gutsein nicht auf die von Ari-
stoteles in der Politik (1, 2) vorgenommene Unterscheidung
zwischen dem Leben und dem vollkommenen Leben zurück-
geht. Nach dieser Lehre dienen die Gemeinschaften dem Men-
schen einerseits zum Leben andererseits zum Gutleben. Dan-
tes Beispiel seiner Eltern als Ursache seines Seins entspricht
der ersten, lebensspendenden Funktion, die auch Aristoteles
an jener Stelle im Zusammenhang mit der Verbindung von
Mann und Frau behandelt. Das Beispiel der Wissenschaft ent-
spricht der letzten Vollendung des Menschlichen Lebens, sei-
ner Glückseligkeit, für die die Gemeinschaft laut einem
Grundgedanken, der sich durch die ganze Politik hinzieht, die
Voraussetzungen schaffen muß.
[cagione „. buono essere] Für Textkritik vgl. Vasoli,
Komm. zur Stelle.
§4
Non e ... piiI cagioni efficienti] Die Wirkursache ist eine
der vier Ursachen der Aristotelischen Kausalitätslehre, die in
Physik, II, 3 grundlegend dargelegt ist. Als zweite Art der
Ursache unterscheidet Aristoteles: „Woher der anfängliche
Anstoß zu Wandel oder Beharrung kommt; z.B. ist der Rat-
geber Verursacher von etwas, und der Vater Verursacher des
Kindes, und allgemein das Bewirkende (Ursache) dessen, was
bewirkt wird, und das Verändernde dessen, was sich ändert".
Kommentar zu Kap. xiii, 4 231

(Zekl, 63). Die Aussage Dantes, daß es nicht unangebracht


sei, von mehreren, hierarchisch geordneten Wirkursachen ei-
nes Dinges zu sprechen, läßt sich demselben Aristotelischen
Text entnehmen: "Die Weisen des Auftretens der Ursachen
sind viele an der Zahl, wenn man sie jedoch auf Hauptfälle
bringt, werden auch sie weniger. 'Ursache' wird ja in vielen
Bedeutungen ausgesprochen, und sogar bei Bestimmungen
innerhalb der gleichen Art läßt sich das eine im Vergleich zum
anderen vor- oder nachgeordnet aussagen, z. B. (Urheber)
von 'Gesundheit' ist sowohl der' Arzt' wie auch der 'Meister',
und (Ursache) des Oktavklangs ist sowohl das Verhältnis 2 zu
1 wie auch der Zahlbegriff, und so jeweils das Umfassende im
Vergleich zum Eingeschränkten". (Zekl, 67).
Auf der Grundlage des aristotelischen Textes und ihrer Wei-
terentwicklung durch Avicenna (Suff., l. 1, c. 10) entwickelte
Albert der Große eine differenzierte Lehre verschiedener auf-
einander bezogender Wirkursachen: "Scias autem, quod effici-
ens dicitur non tantum perficiens vel praeparans, sed etiam
coadiuvans, sicut efficiens dicitur deliberans in consilio et adi-
utor ad hoc, quod aliquid fiat. Sed deliberans et dans consilium
speciem, quae est ratio operis, persuadet et ita dat movens ad
opus in animabus aliorum. Coadiuvans autem dicitur ille qui
partem habet in opere vel in facultate ad opus, et non propter
se facit illud, sed propter alterum". (Physica, II, 2, c. 3; 104).
Vgl. Thomas, InPhys., 11, 5, n. 180: "Circahuiusmodi autem
causas considerandum est quod quadruplex est causa efficiens,
scilicet perficiens, praeparans, adiuvans et consilians".
Wie bereits Busnelli/Vandelli darlegten, hat Dante oft auf das
in der Nikomachischen Ethik oft bemühte Bild des Schmieds
und dessen Materialien Hammer, Eisen und Feuer zurückge-
griffen. Vgl. Conv., 1, xi, 11; IV, iv, 12; Par., II, 128. InMon.,
III, vi, 5 hat das Konzept der untergeordneten Wirkursache die
Funktion, den direkt vom Entsender bewirkten Effekt eines
nuntius zu erläutern. Dante zeigt durch diese Argumentation,
daß die Mission Samuels der Einsetzung eines weltlichen Kö-
232 Kommentar zu Kap. xiii, 5.6-7

nigs nicht auf den vicarius und somit nicht auf den Papst über-
tragen werden kann. Der Papst hat also nicht das Recht, den
Kaiser einzusetzen: "Nuntius autem non potest in quantum
nuntius, sed quemadmodum malleus in sola virtute fabri ope-
ratur, sie et nuntius in solo arbitrio eius qui mictit illum".

§5
Von der Stufe des Seins, das er seinen durch die Volksspra-
che verbundenen Eltern verdankt, geht Dante in diesem Para-
graphen zur Stufe des Gutseins über, dessen Vollendung die
Wissenschaft ist (vgl. 1, i, 1 und Kommentar), in die er über
die Volkssprache, die ihm das Latein vermittelte, eingeführt
worden ist. Auch dieser Passus läßt durch eine Reflexion der
Sprachfunktion die dem Menschen von Kind auf geläufige und
für alle seine weiteren Tätigkeiten fundamentale Volkssprache
in einem neuen Licht erscheinen.

§§ 6-7
Dieser Abschnitt erörtert die zweite vermehrende Ursache
der Liebe zur Volkssprache, das Streben nach Erhaltung des
Seins, das der Volkssprache als Streben nach Beständigkeit
der Form in Vers und Reim von Natur aus innewohnt und das
Dante durch seine volkssprachliche Dichtung unterstützt und
gefördert hat. Dante erläutert hier nicht genau, was er unter
dem natürlichen Streben einer Sprache versteht, das unabhän-
gig von den Sprechenden sein soll; er problematisiert den on-
tologischen Status, den er der Sprache als vom Sprechenden
unabhängiges Ding (cosa) zuspricht nicht. Daß er sich dieser
Schwierigkeit aber bewußt war, bringt er mit den jeweils ver-
wendeten Konjunktiven zum Ausdrück, die seinem Beweis
einen hypothetischen Charakter geben („se lo volgare per se
studiare potesse etc."). Es handelt sich um das Streben des
Sprechenden, das dann ein gemeinsames Streben mit dem
volgare wäre, wenn dieses als dinghaftes Seiendes nach seiner
eigenen Erhaltung streben könnte.
Kommentar zu Kap. xiii, 6.8-9 233

§6
Ciascuna cosa studia ••. conservazione] Vgl. Boethius,
Phil. cons., III, 11; 58: „dedit enim providentia creatis a se
rebus hanc vel maximam manendi causam ut quoad possunt
naturaliter manere desiderent. Quare nihil est quod ullo modo
queas dubitare cuncta quae sunt appetere naturaliter constanti-
am permanendi, deuitare pemiciem". Vgl. auch Thomas von
Aquino, Sum. theol., 1-11, 94, 2: „quaelibet substantia appetit
conservationem sui esse secundum suam naturam".
pfü stabilitade non potrebbe ••• rime] Daß Dante die Be-
harrlichkeit der Sprache in den festgefügten Versen und Rei-
men, und nicht, wie im Falle des Lateins (vgl. 1, v, 7; VE, 1,
ix, 11), in der Grammatikalität ortet, ist verständlich, da er auf
diesem Gebiet noch keine Verdienste um die Volkssprache
vorzuweisen hat und kein gemeinsames Streben beanspruchen
könnte. Mit dem VE wird er aber seinen schon vorhandenen
Gedichten noch eine theoretische Festsetzung der Volksspra-
che folgen lassen, was andeutet, daß er sich der vorhandenen
Spannung zwischen der Konstruktion seines Arguments, mit
dem er einstweilen zeigen will, daß ihn gemeinsames Streben
mit der Volkssprache verbindet, zu Aussagen in 1, v, 7 („lo
e
volgare non stabile e corruttibile"), bewußt war. Wenn die
Dichtung in Versen und Reimen die Volkssprache beständig
machen würde, so wäre sie es angesichts der zahlreichen
volkssprachlichen Dichtungen bereits.

§§ 8-9
In diesen zwei Paragraphen erläutert Dante die dritte und
letzte vermehrende Ursache seiner Freundschaft, nämlich das
Wohlwollen, das er in langer Gewohnheit der Volkssprache
entgegengebracht hat. Er beruft sich auf seinen Umgang mit
dem volgare, dener „diliberan.do, interpetran.doequestionan-
do" gepflegt hat. Diese Verben bezeichnen nicht einen alltäg-
lichen Gebrauch der Sprache, sondern es handelt sich um in der
Scholastik präzis verwendete Termini zur Bestimmung der
234 Kommentar zu Kap. xiii, 8-9

wissenschaftlichen Tätigkeit der Vernunft. Mit 'deliberare'


bezeichnet z. B. Thomas von Aquino das durch den freien
Willen des Menschen ermöglichte Abwägen verschiedener
Handlungen gemäß einer Regel der praktischen Vernunft: "illa
quae est per deliberationem est tantum in rationabilibus, quia
considerare utrum hoc sit agendum aut hoc, quod est delibera-
re, est opus rationis, et in tali consideratione necesse est acci-
pere aliquam unam regulam vel finem, vel aliquid huiusmodi,
ad quem mensuretur qui sit magis agendum; manifestum est
enim quod homo imitatur, id est desiderat, id quod est magis
in bonitate, id est id quod est melius; melius autem semper
diiudicamus aliqua mensura, et ita oportet accipere aliquam
mensuram in deliberando quid magis sit agendum et hoc est
medium, ex quo ratio practica sillogizat quid sit eligendum".
(Thomas von Aquino, Sent. De an., III, 10; 250). „ Quicumque
potest deliberare et ratiocinari, videtur usum liberi arbitrii
habere". (Thomas, In 4 Sent., d. 9, q. 1, a.4). Das Verb
'interpretari' und die substantivierte Form 'interpretatio' wa-
ren im scholastischen Schulbetrieb im Zusammenhang mit der
Aristotelischen Schrift De interpretatione (Perihermeneias)
klar umgrenzte Worte. Vgl. Thomas von Aquino, Peryerm.,
Prolog; 5f.: "Dicitur autem interpretatio, secundum Boetium,
vox significatiua que per se aliquid significat, sive sit complexa
sive incomplexa; unde coniunctiones et presuppositiones et alia
huiusmodi non dicuntur interpretationes, quia non per se ali-
quid significant; similiter etiam voces significantes naturaliter,
non ex proposito aut cum ymaginatione aliquid significandi,
sicut sunt voces brutorum animalium, interpretationes dici
possunt: qui enim interpretatur, aliquid exponere indendit ( ... )
ille enim interpretari videtur qui exponit aliquid esse verum vel
falsum".
Auch mit 'questionando' wird Dante kaum einfach das all-
tägliche Fragen gemeint haben, denn die lateinische Version
dieses Verbs hat ein ganz präzises Bedeutungsfeld. 'Quae-
stio' bezeichnet sowohl die im mittelalterlichen Schulbetrieb
Kommentar zu Kap. xiii, 9 235

geläufige, binäre Form des wissenschaftlichen Fragens (die


meistens mit 'utrum' eingeleitete Frage, e.g. 'utrum deus sit'
prädeterminiert eine Antwort 'entweder-oder'), als auch eine
institutionalisierte Form des wissenschaftlichen Diskurses
der mittelalterlichen Universität, die quaestio disputata (vgl.
dazu Bazan, La quaestio disputata). Mit den drei Verben 'di-
liberando', 'interpetrando' und 'quaestionando' bezeichnet
Dante folglich den von ihm propagierten, wissenschaftlichen
Umgang mit der Volkssprache.

§9
se l'amista s'accresce ••• consuetudine] Die von Vasoli
(Kommentar zur Stelle) angegebene Quelle Eth. Nie., IX, 6;
1167a3-12 scheint dem Gedankengang Dantes nicht zu ent-
sprechen, denn sie erörtert die Wohlgesinntheit, die von Ari-
stoteles wie die Zuneigung als Anfang der Freundschaft, nicht
aber schon als Freundschaft selbst bezeichnet wird. Dauer und
Gewohnheit können die Wohlgesinntheit in Freundschaft wan-
deln, dies wäre aber eine erzeugende Ursache und trifft auch
nicht auf Dantes Bezeichnung der Gewohnheit des Wohlwol-
lens als vermehrende Ursache zu: "Benivolencia autem amici-
cia quidem videtur, non tarnen est amicicia. Fit enim
benivolencia et ad ignotos et latens, amicicia autem, non. ( ... )
Et amacio quidem cum consuetudine, benivolencia autem, et
ex repentino. Quemadmodum et circa agonistas, accidit. Beni-
voli enim ipsis fiunt et complacent, cooperabuntur autem
utique nichil. Quod enim diximus repente benivoli fiunt et
superficialiter diligunt. Videtur utique principium amicicie
esse, quemadmodum eius quod est amare, ea que per visum
delectacio. ( ... ). Propter quod transferens dicet quis utique
ipsam, principium esse amicicie, diuturnam autem et in consu-
etudinem advenientem fieri amiciciam, non eam que propter
utile, neque eam que propter delectabile". (Eth. Nie., IX, 6;
331). In seinem Ethikkommentar spricht sich Thomas von
Aquino dafür aus, daß aus dem Wohlwollen durch Gewohnheit
236 Kommentar zu Kap. xiii, 10-11

Freundschaft entstehen kann, was nicht ganz Dantes Konzep-


tion des gewohnheitsmäßigen Wohlwollens als vermehrender
Ursache entspricht, auch wenn Thomas allgemein sagt, die
Gewohnheit lasse die Freundschaft anwachsen. Er meintdamit
aber die Gewohnheit der Freundschaft, und nicht des Wohl-
wollens, das noch keine Freundschaft ist, sondern erst durch
Gewohnheit zur Freundschaft wird: „et ideo per quamdam
consuetudinem amatio crescit. Sed quia benevolentia importat
simplicem motum voluntatis, potest repente fieri, sicut accidit
hominibus videntibus pugnas agonistarum ... nec tarnen prop-
ter hoc quod sunt benevoli possunt dici amici ... sed, quando
diu durat homo in benevolentia et consuescit bene velle alicui,
firmatur animus eius ad volendum bonum ita quod voluntas
non erit otiosa, sed efficax; et sie fit amicicia". (Thomas, Sent.
Eth., IX, 5; 518).
Ein, wenn auch unklares, Verständnis der benevolentia als
erzeugender und vermehrender Ursache der Freundschaft
scheint am ehesten Albert der Große zu bekunden: „intelligi-
tur benevolentiam esse principium amicitiae, quod non est
aliquid ipsius, sed quasi efficiens, quia frequens inclinatio ad
bonum alterius, quae est benevolentia, perficit amicitiam".
(Albert, Ethica, IX, 6; 675).

§§ 10-11
In den Paragraphen 10 und 11, die in bezug auf den Text ein
ordnende Funktion ausüben, bekundet Dante noch einmal sein
strukturelles Bewußtsein. Der § 10 schließt die Beweisfüh-
rung der Kapitel xii und xiii ab, die als dritter und letzter Teil
der Rechtfertigung der Volkssprache Dantes vollkommene
Liebe zum volgare dargelegt haben. Der § 11 beendet, die
Brot-und Gastmahlsmetapher aufgreifend, den gesamten Teil
der Rechtfertigung der Makel des Kommentars (Kapitel ii-
xiii). Das gesamte erste Buch geht dem Gastmahl, mit dem
nun endlich begonnen werden kann, als ungewöhlich langer
Prolog voraus. Die Reinigung des Brotes ist abgeschlossen,
Kommentar zu Kap. xiii, 12 237

und es ist genügend begründet, weshalb zum Mahl (die Kan-


zonen) nur Gerstenbrot (ein volkssprachlicher Kommentar)
serviert wird.
§ 12
Ein so versierter Schrifsteller wie Dante schließt einen Pro-
log nicht mit zwei Paragraphen ab, die nur die Textsstruktur
erläutern. Er holt noch einmal zu einem rhetorischen Stoß aus,
der sein Unternehmen eines wissenschaftlichen Gastmahls,
das schon als philosophische Selbstkommentierung eine Unge-
heuerlichkeit darstellt, mit der biblischen Rhetorik der wun-
derbaren Brotvermehrung (loh. 6, 5-13) überhöht. Wunder
nimmt jedoch Dante keine für sich in Anspruch, denn seine
"Brotvermehrung" beruht auf der einfachen Tatsache der tau-
senden zugänglichen Volkksprache, in der er seine Botschaft
formuliert. Dennoch ist Dante keineswegs bescheiden, wenn
er nun, wiederum in sakraler Sprache, behauptet, seine Schrift
sei .ein neues Licht, das das alte, verbrauchte ersetzt und jenen
leuchtet, die bisher in Dunkelheit und Finsternis gelebt haben.
Er formuliert hier am Schluß, metaphorisch verdichtet, noch
einmal das ganz am Anfang der Schrift dargelegte Thema der
freigebigen Vermittlung von Wissenschaft an möglichst viele
und er erklärt gleichzeitig den Bankrott der anderen, ver-
brauchten und untergehenden Schulphilosophie, womit er,
wie in der Folge des Werks klar wird, nicht nur deren lateini-
sche Sprache, sondern auch deren Gehalt meint.
Einer nüchternen, historischen Prüfung hält Dantes An-
spruch aufErstmaligkeit („neues Licht") und auf Ausschließ-
lichkeit („neue Sonne, die dort aufgehen wird, wo die
verbrauchte untergehen wird") nicht stand, denn er war weder
der erste, der sich um eine volkssprachliche Vermittlung der
Philosophie bemüht hat, noch hat seine Philosophie die Schul-
philosphie abgelöst. Im Gegenteil, Duns Scotus und Wilhelm
von Ockham, um nur zwei zu nennen, werden der Philosophie
von der Schule aus entscheidende und weitreichende neue Im-
pulse verleihen, und die Philosophie wird eine vorwiegend
238 Kommentar zu Kap. xiii, 12

"scholastische", das heißt auf einen engen universitären Dis-


kussionkreis begrenzte Veranstaltung bleiben. Sie ist es heute
noch. Dennoch kommt Dantes Unternehmen, wenn man es
unter historischer Perspektive als eines unter vielen betrachtet,
eine wichtige Stellung zu, denn Dante brachte gegen die kirch-
lich-klerikale Monopolisierung der Wissenschaft das Selbstbe-
wußtsein des Bildungsbürgertums und der Bildungsaristokratie
zum Ausdruck und er trug wesentlich zur Schaffung eines
neuen Ortes der Philosophie außerhalb der Universität bei.
Questo sara quello pano orzato .•. piene] Dante spielt ohne
Zweifel auf die wunderbare Brotvermehrung an. Vgl. loh 6, 5-
14: „Erat autem proximum Pascha, dies festus Iudaeorum.
Cum sublevasset ergo oculos lesus et vidisset quia multitudo
magna venit ad eum, dicit ad Philippum: „Unde ememus pa-
nes, ut manducent hi?". Hoc autem dicebat tentans eum; ipse
enim sciebat quid esset facturus. Respondit ei Philippus: "Du-
centorum denariorum panes non sufficiunt eis, ut unusquisque
modicum quid accipiat!". Dicit ei unus ex discipulis eius, And-
reas frater Simonis Petri: „Est puer hie, qui habet quinque
panes hordeaceos et duos pisces; sed haec quid sunt propter
tantos?". Dixit Iesus: "Facite homines discumbere". Erat au-
tem fenum multum in loco. Discubuerunt ergo viri numero
quasi quinque milia. Accepit ergo panes Iesus et, cum gratias
egisset, distribuit discumbentibus, similiter et ex piscibus,
quantum volebat. Ut autem impleti sunt, dicit discipulis suis:
"Colligite, quae superaverunt, fragmenta, ne quid pereat".
Collegerunt ergo et impleverunt duodecim cophinos fragmen-
torum ex quinque panibus hordeaceis, quae superfuerunt bis,
qui manducaverunt. Illi ergo homines cum vidissent, quod
fecerat signum, dicebant: „Hie est vere propheta, qui venit in
mundum".
Dantes Anspielung auf die Speisung der Menge mit Gersten-
brot durch Jesus ist aus mehreren Gründen äußerst geschickt,
denn sie vermag erstens seine Verwendung der Gerstenbrotme-
tapher, die eine zweitrangige Qualität des Kommentars zu in-
Kommentar zu Kap. xiii, 12 239

sinuieren schien (vgl. 1, v, 1; Kommentar zur Stelle), zum


Schluß auf Jesus und dessen Wunder der Brotvermehrung zu
beziehen und so auch das Gastmahlsmotiv und die Vermittlung
der Philosophie an möglichst viele in einer "kanonischen"
Metaphorik auszudrücken, deren Wirkung sich Dante in seiner
Zeit sicher sein konnte. Zweitens könnte Dante mit seiner
Anspielung auf die wunderbare Gerstenbrotvermehrung im
Johannes-Evangelium ein ganz bestimmtes Philosophiever-
ständnis zum Ausdruck bringen. Dies mag auf den ersten Blick
paradox erscheinen, wird jedoch plausibel, wenn man einige
der wichtigen Johannes-Kommentare jener Zeit konsultiert.
Albert der Große, dessen Gerstenbrotmetaphorik aus dem Job-
Kommentar bereits zur Sprache kam (vgl. Kommentar zu 1, v,
1), interpretiert nämlich in seinem Johannes-Kommentar an
jener Stelle die Speisung mit dem panis hordeaceus als vorläu-
fig und unvollkommen. Die fünf Brote versinnbildlichen zwar
die Sättigung in der Ewigkeit, der Zusatz 'hordeaceus', der
wörtlich eine rauhe Tiernahrung bezeichnet („quia hordeum
grossum et asperum potius est cibus jumentorum quam homi-
num". (In Io, c. 6; 242) bedeutet in der allegorischen und
anagogischen Auslegung laut Albert, der sich auf die Glossa
ordinaria stützt, daß es sich bei der Speisung eher um eine
Vertröstung bis zur vollkommenen Befriedigung handelt. Al-
legorisch bedeuten die fünf Gerstenbrote die fünf Bücher
Mose, die zwar in rauhem Stil geschrieben sind, aber dennoch
den Intellekt wiederherstellen: "Panes autem allegorice sunt,
ut dicit Glossa, quinque libri Moysi, hordeacei propter litteram
duritiam, reficientes tarnen spiritualiter intellecti". (In Io, c. 6;
243).
Die vollkommene geistliche Befriedigung ist aber aus den
alttestamentlichen Büchern nicht zu gewinnen, und so stellt
Albert in der anagogischen Auslegung fest, daß die Tatsache der
Speisung mit Gerstenbrot eine vorläufige Vertröstung auf die
vollkommene Speisung im Ewigen Leben bedeutet: „Anago-
gice autem panes ad quos suspiramus, et ex quibus reficimur
240 Kommentar zu Kap. xiii, 12

in aeternitate etiam quinque sunt. Unus est praesentia Dei ( ... )


Secundus est pulchritudo visionis faciei Dei ... Tertius autem
est societas Angelorum, inter quorum sortes est sors nostrae
beatitudinis . . . Quartus panis est suspirium ad consortium
Sanctorum qui cum Christo regnant in coelis . . . Quintus est
panis suspirium intemae beatitudinis ... In omnibus his horde-
um estdilatio suspirantis ad ista. „. 'Hordeaceis:' quia hie panis
delicatus nonestgustandus, sedinfuturo". (lnlo„ c. 6; 243ff.).
Auch Bonaventura nimmt den Umstand, daß Jesus Gersten-
brot vermehrt hat, zum Anlaß einer der Auslegung Alberts sehr
ähnlichen Interpretation, in der mit Nachdruck auf die Diessei-
tigkeit und Vorläufigkeit dieser Speisung im gegenwärtigen
Leben hingewiesen wird: „lsti quinque panes, spiritualiter
intelligendo, significant quinque panes, quibus anima reficitur
in praesenti, panem scilicet poenitentiae, panem doctrinae,
panem iustitiae, panem patientiae etpanem eucharistiae. - Panis
poenitentiae reficit revertentes; panis doctrinae reficit ignoran-
tes; panis iustitiae reficit laborantes; panis patientiae reficit
pugnantes; panis eucharistiae reficit omnes. Primus igitur pa-
nis est panis poenitentiae ... lste panis hordeaceus est: panis,
quia habet refectionem, hordeaceus, quia habet asperitatem.
( ... ) Secundus panis est panis doctrinae ... Et iste panis horde-
aceus est. Nam habet in refectione asperitatem, secundum illud
ad Hebraeos duodecimo: «Ümnis disciplina in praesenti vide-
tur esse non gaudii, sed moeroris» ... Tertius panis est panis
iustitiae ... lste panis hordeaceus est. Habent enim cum suavi-
tate refectionis asperitatem laboris, secundum illud Genesis
tertio: «In sudore vultus tui vesceris pane tuo» ... Quartus panis
est panis patientiae ... lste panis hordeaceus est. Habet enim
refectionem et asperitatem: refectionem animae et asperitatem
sive duritiam poenae ... Quintus panis est panis eucharistiae.
(„ .) Hie est panis hordeaceus in praesenti, licet in futuro sit
triticeus, quia purus; in praesenti hordeaceus, quia cum afflic-
tione animae assumendus". Auch in der Auslegung des Tho-
mas von Aquino, der die traditionelle Identifizierung des K.na-
Kommentar zu Kap. xiii, 12 241

ben mit Moses und der fünf Gerstenbrote mit den fünf Büchern
Mose aufnimmt, versinnbildlicht die Gerste einen Christus
vorausgehenden, alttestamentlichen Status der Menschheit:
„sunt hordeacei: quia lex ipsa data erat ut in ea vitale alimentum
corporalibus sacramentis obtegeretur: hordei enim medulla,
tenacissima palea tegitur: vel quia populus ludaeorum nondum
expoliatus erat camali desiderio, sed tamquam palea cordi eius
inhaerebat: nam in Veteri Testamento exterius duritiam expe-
riebantur, propter caeremoniales observantias ... Et ipsi ludaei
corporalibus dediti, spiritualem sensum legis non capiebant".
Falls Dante diese doch weit verbreitete Deutung des Ger-
stenbrotes im Zusammenhang mit loh. 6, 1-15 bekannt war,
und dies kann angenommen werden, deutet seine Anspielung
an die Stelle im Johannes-Evangelium unter expliziter Erwäh-
nung des pane orzato auf ein Philosophieverständnis, das die
Grenzen der Diesseitigkeit respektiert und nicht zu sprengen in
Anspruch nimmt. Diese Interpretation würde sich auch mit den
Wissenschaftseinteilungen des zweiten Buches gut vertragen,
wo die Theologie als übermenschliches Wissen im weltentho-
benen Empyreum außerhalb der Zuständigkeit des menschli-
chen Denkens angesiedelt wird (vgl. Conv.„ II, xiv, 19-21).
Dantes metaphorische Bezeichnung seines Kommentars als
Gerstenbrot bedeutet folglich, daß er keine pia philosophia,
keinen Religionsersatz, keine Philosophie, die zur höchsten
Glückseligkeit und zum Heil führt, keine Philosophie, die die
Theologie und den Glauben ersetzt, sondern eine an die Gren-
zen der menschlichen Existenz gebundene Philosophie in prae-
senti anstrebt und vermittelt. Nur soviel Philosophie wie
möglich, aber für möglichst viele. Dennoch ist Dantes An-
spruch in bezug auf seine Person hoch, denn sein Hinweis auf
das Bibelzitat geht bis zur Stelle loh 6, 13 („qui manducaver-
unt"). Liest man an dieser Stelle weiter folgt der Vers, in dem
Jesus von der Menge als wahrer Prophet bezeichnet wird („Illi
ergo homines ... mundum!"). Dante hat sich also selber nicht
als Prophet bezeichnet, er hat sich aber in bezug auf die unmit-
242 Kommentar zu Kap. xiii, 12

telbar vorangehenden Stelle in die Position Jesu versetzt, der


die Körbe, die übrigbleiben, zurückverlangt ("e a me ne soper-
chieranno le sporte piene") und eine Identifizierung seiner
selbst mit dem als Prophet bezeichneten Jesus zumindest sug-
geriert. In seiner Funktion als Wissensvermittler für die Menge
der illitterati vergleicht sich Dante mit Jesus.
luce nuova ... non luce] Auch diese Passage beeinhal tet, wie
bereits Busnelli/Vandelli (Kommentar zur Stelle) bemerkt ha-
ben, eine Indienstnahme biblischer Metaphorik, mit der Dante
beim Publikum den Eindruck der Sakralität seines Unterneh-
mens erweckt haben mag. Aus der Fülle der biblischen Licht-
und Sonnenmotive vgl. Esth., 8, 16: „Iudaeis autem nova Jux
oriri visa est, gaudium, honor et tripudium. Apud omnes po-
pulos, urbes atque provincias, quocumque regis iussa venie-
bant, Iudaeis fuit exsultatio, epulae atque convivia et festus
dies". Vgl. Ibid. 10, 6; 11,11; Isai., 9, 2; Matth., 4, 16.
Entscheidend bei der Interpretation dieses Lemmas ist die
Frage, ob das neue Licht und die neue Sonne lediglich den
Wechsel vom Latein zur Volkssprache ankündigen, oder ob
sie auch eine Transformation der Lehre selbst meinen. Busnel-
li/Vandelli (ibid.) identifizieren 'luce nuova, sole nuovo' mit
der Volkssprache und 'usato sole' mit dem Latein.
Daß Dantes Transformation der Sprache der Philosophie
durch einen Wechsel seines Publikums bedingt und von Dante
so explizit reflektiert worden ist, hebt C. Vasoli (Kommentar
zur Stelle) hervor. Wie jedoch R. Imbach aufgezeigt hat (Lai-
en in der Philosophie, 66-71), brachte die Transformation des
Publikums und der Sprache der Philosophie auch eine grund-
legende Veränderung des Philosophieverständnisses mit sich.
Die im nun folgenden, zweiten Buch dargelegte Position des
Primats der praktischen Philosophie, die im Vergleich zu ei-
nem großen Teil der mittelalterlichen Philosophie einen Bruch
darstellt, gewinnt im Zusammenhang von Dantes Unterneh-
men der Vermittlung von Philosophie an ein nichtuniversitä-
res Publikum in der Volkssprache an Profil. Das durch die
Kommentar zu Kap. xiii, 12 243

Sorge um Familie und Staat von der traditionellen Schulphilo-


sophie und vom kontemplativen Leben der Kleriker und Schu-
lintellektuellen ausgeschlossene Publikum (vgl. 1, i, 13) wird
nun von Dante in den Stand einer Wissenschaft erhoben, die,
im Gegensatz zum intellektuellen Ideal der Kontemplation,
mit dem die Kleriker ihren eigenen Status zelebrierten, das
Ideal der Praxis aufwertet und den bürgerlichen sowie aristo-
kratischen Adressaten des Conv. an Stelle der Ermahnung zur
Bewunderung des Unerreichbaren Anlaß zur Identifikation ei-
ner im eigenen Lebenshorizont relevanten Lehre gibt. Und so
bildet die Transformation der Sprache und des Publikums mit
der Transformation der Lehre selbst eine Einheit, die, nebst
der Form des Selbstkommentars, das Conv. als originelles und
gehaltvolles philosophisches Werk auszeichnet.
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Vita nuova, a cura di D. De Robertis, in: Opere Minori, VN
1/2, a cura di D. De Robertis e G. Conti, Mailand /
Neapel: R. Ricciardi 1984.
Das Schreiben an Cangrande della Scala, übersetzt, ein- Ep. XIII
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Philosophische Werke, hrsg. unter der Leitung von
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Abhandlung über das Wasser und die Erde, übersetzt, Questio
eingeleitet und kommentiert von D. Perler, Lat.-Dt.,
(Dante Alighieri, Philosophische Werke, Bd. 2, PhB
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246 Literatur

2. Convivio

Erstausgabe
Conuiuio di Dante Alighieri Fiorentino, Florenz: Francesco Bona-
corsi 1490.

Neuere Ausgaben (chronologische Reihenfolge)


Convivio, a cura di E. G. Parodie F. Pellegrini, in: Le Opere di Dan-
te, testo critico della Societä Dantesca ltaliana a cura di M. Barbi et
al., Florenz: Bemporad & Figlio Editori 1921, 147-315.
II Convivio, riprodotto in fototipia da! codice barberiniano latino 4086
per cura della Biblioteca Vaticana, con introduzione di F. Schneider
(Codices e Vaticanis selecti; 22), Vaticano: Bibi. Apost. Vat. 1932.
II Convivio, Edizione critica a cura di M. Simonelli (Saggi e testi di
Ietterature moderne, testi, 2), Bologna: Patr6n Editore 1966.
II Convivio, ridotto a miglior Iezione e commentato da G. Busnelli e
G. Vandelli, con introduzione di M. Barbi. Seconda edizione con
appendice di aggiornamento a cura di A.E .. Quaglio, Florenz: Le
Monnier 1968.
Convivio, in: OM 1, 2, a cura di C. Vasoli e di D. De Robertis,
Milano: Ricciardi Editore 1989. (mit Kommentar von C. Vasoli).
Convivio, a cura di P. Cudini, Mailand: Garzanti Editore 1990.
Convivio (BUR, L 917), a cura di G. Inglese, Mailand: Biblioteca
universale Rizzoli 1993.

Deutsche Übersetzungen
Das Gastmahl, übersetzt und erklärt, m. e. Einführung von C. Sauter,
Freiburg i.Br.: Herder 1911.
Adelige Vornehmheit in Gesinnung und Haltung. Aus Dantes Gast-
mahl übersetzt und eingeleitet von 1. Baumer, St.Gallen: Eirene-
Verlag 1955.
Das Gastmahl, aus dem Italienischen übertragen und kommentiert von
C. Sauter (1911), mit einem Geleitwort von H. Rheinfelder, Mün-
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INDEX NOMINUM

Die Zahl bezieht sich auf das Kapitel und den Paragraphen im
italienischen und deutschen Text
Agustino Galieno
Confessiones ii, 14, Tegni: viii, 5
locus incertus: iv, 9 Ipocras
Aristotile (Filosofo) Aphorismi: viii, 5
Metaphysik: i, l, Omero vii, 15
Nikomachische Ethik: ix, 9; Salterio: vii, 15
xii, 3; xii, 10 Seneca
Boezio De Beneficiis: viii, 16
Philosophiae consolatio: ii, 13; Taddeo Alderrotti x, 10
xi, 8 Tullio
Dante De Finibus: xi, 14;
Vita Nuova: i, 16 De Amicitia: xii, 3
De Vulgari Eloquentia: v, 10 Virgilio
Aeneis: iii, 10
INDEXRERUM

Die Zahlen beziehen sich auf das Kapitel und den Paragraphen im
italienischen und deutschen Text.
abito i, 2.6; v, 4; vi, 7; xi, 6.7 avarizia ix, 2
accidentale x, 13 avversarii xii, 2
accidentali v, 1; x, 12 baroni ix, 5
accidente ii, 4.7; xii, 5 bellezza i, 14; v, 7.13; vii, 13;
acqua i, 9 X, 12.13
adulteri xi, 21 benefattore viii, 3; xiii, 5
affamati i, 6 benefici i, 9; viii, 3; ix, 1.4; xii, 3;
allegoria ii, 17 xiii, 1.2.3,
allegorica i, 18 benivolenza xiii, 1.8
amabile xii, 8.9.10.12 bestiale i, 8
amatore x, 6 bestie vi, 4
amico i, 8; ii, 5; iii, 7.8; iv, 5; v, biasimare i, 5; ii, 3.4.6-8.11; xi,
5; vi, 5.6.9-11; viii, 5.12; x, 8- 11.13.14, 17; xii, 2
10; xii, 2.8; xiii, 1 biasimevole i, 17; ii, 5; xi, 15;
amistade viii, 12; xiii, 10 viii, 9.10
amore i, 14; v, 2; x, 5.6; xii, 1- bisogno v, 6; viii, 15
3.6.13; xiii, 10 bocca ii, 3; xi, 21
angeli i, 7 bontade i, 14; ii, 6; iv, 3.11; ix, 6;
anima i, 1.3; xi, 3 X, 7.8; Xii, 3.8.13; X, 9.12
animale vi, 6 braccia xi, 10
animo iii, 4; iv, 2; v, 4; ix, 2.5; cagione i, 2.4.5; ii, 3.12.16; iii,
xi, 2.6.18 3.10; iv, 2.6.12; vii, 15; xi, l.
anni v, 9; xi, 11 9.14.21; xii, 3.6.7.13; xii,
argomentare iv, 6; xi, 17 camera ii, 5 [3 .4.10
argomento xi, 2.16 cane vi, 6
armonia v, 13; vii, 14.15 canto v, 13
arte v, 13.14; xi, 7.11; xii, 4 canzoni i, 14.18; ii, 16; iii, 2;
artefici xi, 13 v, 6.7.15; vi, 1; vii, 5.11;
asinina vi, 3 viii, 1; ix, 7; x, 10; xiii, 11
atto viii, 14.15.17; x, 9 capitolo iv, 1; vii, 16; viii, 6;
autoritade iv, 13 ix, 8; x, 14; xii, 13
268 Index rerurn

caritade ii, 8; iii, 8.9 conoscenza v, 5; vi, 2.6.7.11


casa ix, 3; xii, 1 conoscere ii, 6; vi, 5.9.10; xi, 13
cautela v, 2 conscienza ii, 7; iii, 8.9
cavaliere viii, 5; ix, 5 consolazione ii, 13
cavallo v, 11 consuetudine xii, 3.7; xiii, 1.8.9
cechitade xi, 2.8 contradizione vi, 11; ix, 9
cena i, 18 conversazione iv, 9.10; vi, 10;
chiarezza iv, 11 convitati i, 18; x, 1 [xiii, 8
chiose ix, 10 convivio i, 11.12.14.16.19; ii,
chitarra viii, 9 corpo i, 3; v, 4 [1; x, 1
cibo i, 6.7; ix, 2 correzione ii, 11
cieco xi, 4.5.21 corruttibile v, 7
citarista ix, 3; xi, 11 corsa iv, 13
cittade v, 9 costruzioni x, 13
cittadini iii, 4; xii, 5 costumi i, 17
civile i, 4.13 cuore iii, 4; xi, 18
colore i, 15 cupiditate xi, 15
colpa ii, 11; xi, 11 cura i, 4.13
colpo iv, 10 denari ix, 3
coltello ii, 2; xi, 11; xiii, 4 denti i, 12; vii, 9
comandamento vii, 4.6-9.11-13 depressione xi, 1
comandare x, 3; vi, 3; vii, 2.4. dicitori xi, 12
6.7.11 difettii, 3.4.8.19; ii, 5.6; iii, 1.2;
comandatore vii, 5 vii, 10; x, 14; xi, 8
comedie v, 8 differenza xi, 3
comento iii, 2; iv, 13; v, 6; vi, 1. dignitade ii, 11; ix, 3; x, 8
6; vii, 1.3.7.11; viii, 1; ix, 1.7. digressione vi, 4; x, 4
10; X, 5.12; Vii, 1; X, 10.13 Dio v, 10; viii, 3
cominciamento ii, 1 diritto vii, 4; xi, 4
commendare v, 4; x, 11; xi, discordare iv, 4; v, 9; xii, 3
1.12.14.15; xii, 12.13 discordia iii, 9
comparazione xi, 19 disiderio ii, 15
concetto v, 12; x, 12; xii, 13 disordinato v, 5
conchiudere v, 15; vi, 1; vii, 16; disordinazione v, 6; vi, 1; x, 5
viii, 11; xiii, 10; v, 15 dispensatore iii, 3
concordia iii, 9; xiii, 1. 7 disponitore xiii, 4
condizione v, 5; ix, 1; x, 7 disposizione i, 15; vii, 2
Confessioni ii, 14 disposizioni v, 4.5.7
confusione x, 14 dolce iii, 4; vii, 2.4.5; x, 13
Index rerum 269

dolcezza i, 10; vii, 14.15 forma ii, 2; iii, 5; v, 3


donna i, 5; x, 12.13 formento ii, 15
dono viii, 2.5-7.11-13.15.17; fortezza iv, 13; v, 4
dottrina ii, 14-15 [ix, 6. 7 .10 fortuna iii, 4; iv, 10
dubbio ii, 4; iv, 13; xi, 15 forza xi, 6
durezza iii, 2 fossa xi, 4.5
eccellenza iv, 7 franchezza v, 4
effetto iii, 9 frumento v, 1; x, 1
empitore vii, 11 fuoco xii, 1; xiii
erba i, 8 furto xii, 10
escusare i, 5; ii, 13; v, 1 gelosia x, 10
escusazione xi, 2 generare iii, 7.9.11; xii, 3.4.13;
esperienza x, 2 generazione xiii, 4 [xiii, 10
esposizione i, 18; ii, 1 genere vi, 4.6.7; xii, 4
essemplo ii, 14 gente i, 4; v, 9; vii, 13; ix, 5;
essilio ii, 13; iii, 3 ghiande i, 8 [xii, 5.7
etade i, 17; iv, 13 gioventute i, 17
evidente x, 1.3 giudicare ii, 6; iv, 2-4.8.6.9;
evidenza iv, 9 x, 13; xi, 4.8; xii, 1
fabbro xi, 11; xiii, 4 giudicatore iv, 2
faccia viii, 5.12; x, 1.3; xii, 8 giudice iv, 6
facultade i, 19 giudicio ii, 2.9; iv, 4.6; xi, 4
falsitade ii, 10; xii, 10 giustizia vii, 9; xii, 9
fama iii, 5.7.10.11; iv, 1.4.10; x, gloria xi, 8
8; iv, 13; xi, 17 governo iii, 5
fame i, 13 grado i, 14
familiaritade iv, 9 .11; vi, 10 gramatica xi, 14
felicitade i, 1 grandezza iii, 10; x, 7-9
femmine ix, 5 gravezza iv, 13; v, 5
femminezza xii, 8 greco vii, 15; xi, 14
ferro xi, 11.13.17; xiii, 4 grida i, 19; xi, 5.14
fiamma xii, 1 guidatore xi, 4
figlia iii, 4 guisa iv, 3
figlio xii, 4 ignoranza iii, 2
figura ii, 17 illitterato x, 10
fine iv, 3; v, 4.5; viii, 12; x, 2; imaginata iii, 11
finestre xii, 1 [xi, 3.4 imagine iii, 11; viii, 12
Fiorenza iii, 4 impedimenti i, 3
fonte i, 9 imperfetto iv, 4
270 Index rerum

infamia ii, 13.15-16; iii, 10; iv, loquela v, 2; vii, 14; x, 5.14; xii
10; X, 1.14; Xii, 11 1.6; xiii, 1.3
inghilese vi, 8; vii, 13 luce i, 15; xi, 6; xiii, 12
ingiustizia xii, 10 luogo i, 4; ii, 1; viii, 9
ingratitudine xii, 10 lupo vi, 6
intelletto vii, 11 macula ii, 1.15; iv, 9
intellettuale xii, 9; xi, 7 maculato iv, 9 .10
intendimento v, 15; ii, 12 macule ii, l; iv, 11; v, l; xiii, 11
intenzione i, 18 madre i, 9; x, 7
invidia iv, 2.6.8; xi, 2.16.17 maestro ix, 9; xi, 11.17
ipocratista x, 10 magnanimo xi, 18-20
istoria i, 18 malizia i, 3; ii, 6; x, 14; xi, 13
italia v, 9; vi, 8; xi, 1.21 mangiare i, 11.8; xiii, 11
italico iv, 8.13; ix, 2; x, 14; xi, 14 maniere i, 14
latinamente vii, 8 mano vii, 9; ix, 6; xi, 5
latine v, 8 manuca i, 7
latino v, 1.7.12.14; vi, 1.2.6-11; maravigli x, 4
vii, l.3.7.8.10-13.15;viii, 1.2; margarite ix, 6
iX, 1.2.4.9.10; X, 1.5.10.12; martello xiii, 4
xi, 14; xiii, 5 maschi ix, 5
leggi viii, 4 maschiezza xii, 8
legno iii, 5 materia xi, 11.12.17
letizia viii, 7 medicina xii, 4
lettera ix, 3 medico viii, 5; xii, 4
Iibello v, 10 membra iv, 7; v, 13
liberalitade(-tate) i, 19; v, 2; viii, membro iv, 10
1.2.5.6.8.11.13.15-17; ix, 1. memoria viii, 12; ix, 2
11; X, 5 mendicando iii, 4
liberalmente i, 9 mensa i, 7.8.10.13
Iibero viii, 14.15; xi, 2 mente iii, 7-9; v, 12; viii, 13;
libro i, 12.17; viii, 18; xi, 14, mentitori xi, 5 [ xii, 5. 7
lingua iii, 4; v, 9; vi, 10; vii, 13; menzogna iv, 4
ix, 2.5; x, 11; xi, 15.16 meretrice ix, 5; xi, 21
litterale i, 18 mestiere i, 11; vi, 1.3; xi, 6
Iitterato vii, 12; ix, 2.3.5.9 migliaia xiii, 12
litteratura ix, 5 mille v, 9; ix, 2.9
loco ix, 6 misericordia i, 8.9
lodare ii, 4. 7 .8.10.11; xi, 15 misura ii, 9; vii, 2.9; xi, 20
lodi ii, 3 misuratore ii, 8
Index rerum 271

mobile iii, 10 ordinazione v, 2.6


modo ix, 8 ordine v, 3; vii, 4; x, 5
mondo ix, 5 organi i, 12
morale xi, 7 origine viii, 6
morali viii, 6 orzato xiii, 12
morte xi, 8 oscuritade i, 14; xiii, 12
muoia xi, 8 ozio i, 4
muro xi, 10 pace iii, 4
musaico vii, 14 padre xii, 4
musica vii, 15; xii, 4 pane i, 7.12.11.13.14.15.ii, 1.
musico xii, 4 15; iii, 2; V, 1; X, 1; Xiii, 11.12
natura i, 1; v, 11; vi, 3 .4; vii, 9 parenti iv, 10; xii, 5
naturale i, 9; v, 2; x, 5.6.13 pargoli iv, 3.5
necessitade (-ate) i, 4; ii, 13; paritade iv, 6; xi, 16
viii, 6; xi, 6 parladore ii, 3
nemico iii, 7; iv, 5; xii, 10 parole ii, 7; v, 14
nobile v, 14; x, 1; ix, 5 parte i, 3.5.16; iii, 2.4; iv, 3.6.9;
nobili ix, 8; ix, 5 v, 13; vi, 5; vii, 6-8; viii, 8-10.
nobilissima i, 2 14-16; ix, 3; xi, 17 .20; xi, 3;
nobilitade ix, 2 parvificare xi, 19 [xii, 9
nome iv, 11 passione ii, 16; iv, 10
notte vii, 4 pastore xi, 10
numero i, 4; ii, 9; x, 12; xiii, 6 pastura i, 8.10
nutrimento viii, 12 patria iv, 11
obedienza v, 5; vii, 2-10; v, 5 peccato vii, 10; xii, 11
occhio i, 10; iii, 5; iv, 3; viii, 4; peccatore vii, 9
xi, 3 .4; xiii, 11 pecora i, 7; xi, 9
ombra i, 14; iv, 11 peggio ii, 4
onestate viii, 8 pelago ix, 7
onorare ii, 11; iv, 11; vi, 5 pena iii, 3
onore x, 8; xi, 17 pensieri ii, 5
onorevole x, 1 peregrino iii, 4
opera i, 16; ii, 11; iii, 5; iv, 13; perfezione i, 1.2; xiii, 2.3.
operatori iv, 8 [xi, 13, 17 perpetuale ii, 13; xi, 1
operazione iii, 7; iv, 8; v, 4; viii, perpetuo v, 7
7.9, 12; X, 8.9 persona i, 4; iii, 5; iv, 2.4.7; vii,
oppinione iv, 4; xi, 5 5; viii, 14; ix, 10; xi, 10; xii, 5
ora i, 4.11; xi, 4 perverso vii, 4
orazioni x, 13 peso ii, 9
272 Index rerum

petto xi, 10 ragione i, 1.17.18; ii, 4.8.13-15;


piacimento v, 8.13 iii, 6.10; iv, 1.3-6.12; V, 2.3;
piedi i, 10. 13 vi, 2.4.7; vii, 3.5; viii, 1.6; x,
pigrizia i, 4.13 1.2.3.5.7; xi, 5; xii, 1; xiii, 11
podere x, 9 rapina xii, 10
ponitori viii, 4 razionale xi, 3; xii, 9
populare xi, 6.8 reo ii, 13
porta iv, 10 retorici ii, 3
potenza iv, 6.7; iv, 6; ix, 6, x, 8 ricchezza i, 9; x, 8
potere ii, 6 rima x, 12; xiii, 6
poveri i, 9 ripa xi, 9
povertade iii, 3 .5 riprensione iii, 1.2
prenditore viii, 5 rispetto ii, 10; xi, 19
presenza iii, 6; iv, 1.2.4.5.8.10- risposta xii, 1
12 rissa iii, 1
prezzo ix, 3 ritimo x, 12
primavera ix, 9 Roma iii, 4
primogeniti xii, 7 romano xi, 14
principi ix, 5 rondine ix, 9
principii ix, 10 rubatori xii, 10
principio i, 1; vii, 16; ix, 10; sapere i, 1; ii, 6; iv, 9; vii, 14; xi,
profeta iv, 11 [xi, 6.14; xiii, 8 17; xii, 8; xiii, 2
prontezza v, 2; x, 5 sapore i, 18
proprietadi x, 13 savi viii, 5
prossimitade xii, 3.6; xiii, 1 scienza i, 1.2; ix, 7; xiii, 5
provedenza x, 10 scritture ii, 1.17; v, 8; vii, 8.15;
provenza xi, 14 scudo viii, 5 [ix, 10
provenzale vi, 8 scusa ii, 15; iii, 3; iv, 1.13; x, 1.4.
providenza i, 1; viii, 8 5; xi, 11
puerizia iv, 2 sensibili xi, 4
punta ii, 7 sensitiva xi, 3
purgare ii, 1.15; iii, 2; v, 1; senso iv, 3.4
qualitade iv, 5 [ xiii, 11 sentenzai, 15;ii, 10.17;vii,8.13;
quattordici i, 14 ix, 7.8; x, 9; xii, 3
questionando xiii, 8 sentieri ii, 13
ragionamenti viii, 6 sergenti ii, 1
ragionare i, 18; ii, 13.14; iv, 3; v, sermone v, 12.14; xii, 13
3; ix, 2; xi, 3.5; viii, 18 servigio v, 5; ix, 2.5
Ragione x, 3 servo v, 5.6; vi, 2-5; vii, 1.11
Index rerum 273

sigilla viii, 12 torre iii, 1; xi, 17


signore vi, 2-5; v, 6; vii, 8.11 tragedie v, 8
sillabe x, 13 Trattato i, 1
simiglianza viii, 3 trattato i, 1.17; viii, 18; ix, 7.8;
simili i, 3.13; xii, 10 tristizie iv, 5 [xii, 12
similitudine v, 1 umano i, 13; iv, 2.9; v, 4.12;
sodisfacimento v, 3 universale vii, 9 [xii,9
sole xiii, 12 universo iii, 3
sonare ix, 3; xi, 11 uomo i, 1-4.8; ii, 3.5.6.8; iv, 3.9-
sordi i, 3 11; v, 11.13; vi, 4.7.10; vii, 9;
sovrano v, 7.11.13.15; vii, 4.5 ix, 7.9;x, 1.3.8.lO;xi, 1.9.12.
spada v, 11; viii, 9; xi, 17 16.20; xii, 4.9.11; xiii,3
spalla xi, 5 usanza xi, 7; xii, 11
speculazione i, 4 USO iv, 5; V, 14; ix, 3; ix, 8
speziale x, 14 utile viii, 2.5.6.10-13.15; ix, 6.9
splendide i, 19 utilitade ii, 14; viii, 7.8.12
spontanea vii, 2.6. valore iv, 2
stabile v, 7 vanagloria xi, 2.15
stabilitade xiii, 6 vapora iii, 5
stilo iv, 13 variazioni vi, 4
stima iii, 6 vela iii, 5
stomaco i, 12 veltro xii, 8
strada xi, 9 vento iii, 5
strana xi, 15; v, 9 ventre ii, 7
strumento xi, 11 veritade iii, 6; x, 11
studio i, 4; xii, 3; xiii, 1.6. 7 versi vii, 15
subietto i, 1; v, 5-7 .11.13.15; vertude i, 14; ii, 16; v, 7.11.12;
subiezione v, 5 [vi, 1; vii, 4 viii, 7 .9.12-16; ix, 7; x, 12; xii,
sustanziale v, 1 9.12
Tedeschi vii, 13 vestimenta x, 12
tedesco vi, 8 via ii, 11.14; xiii, 5
Tegni viii, 5 virtuosoii, ll;v, ll.12.14;x,8.
tempo i, 10; iii, 4; v, 9; xi, 14; viso ii, 11; viii, 14 [14
xiii, 9.11 vita i, 10.16; ii, 14; iii, 4; v, 9.11;
tenebre xiii, 12 viii, 12; xi, 6.8; xiii, 8
terra ix, 6; xii, 4 vituperare i, 5; ii, 6
tesoro ix, 6 vituperio ii, 7; ix, 3
testimonianza ii, 8; xiii, 7 vivanda i, 11-14; x, 1; xiii, 11
testimonio ii, 14 vizii i, 12
274 Index rerum

vizioso i, 3; iv, 6 xi, 1.5.12.16.21; xii, 3.5.6;


vocabuli v, 9 xiii, 4-6
voce v, 13; vii, 11 volgarmente vi, 1
volgarev, 1.7.8.10.12.14; vi, 1. volontade xii, 9
2.6-11; vii, 5.8.12; viii, 1.2; ix, vulgo i, 10
1.5.6.8-11.21; X, 5.6.10.12; zappa viii, 9
PERSONENREGISTER ZU EINLEITUNG UND
LITERALKOMMENTAR
(antike und mittelalterliche Autoren)

Abraham 85, 87f. 71, 74f., 80, 89, 93-97, 108-


Aegidius Romanus 126, 136, 111, 114, 123, 131-134, 138f.,
175, 197 141, 154, 161, 168, 171f.,
Aeneas Sylvius Piccolomini 175, 178, 182,202-204,206,
XVIII 211, 214-216, 221f., 227f.,
Agrippa von Nettesheim XVlf., 233
LXXXV, LXXXVI Arnaldus von Villanova 165
Aimeric de Pequilhan XLVI Arnoul de Provence LXXXVII,
Alain von Lille XVIII, XXXI, XCif.
XCVIlf. Arnulf von Orleans XXXII-
Alberico da Romano XLII XXXIV
Albert de Sisteron XLVI Aubry von Reims LXXXVI,
AlbertderGroße LIVf., LXXIX, LXXXIX, XCif., XCIV
95, 122, 135, 138, 152-154, Augustinus von Hippo XXV,
169-171, 183, 201, 204, 221f. XXXIV, XCVII, 85f., 98,
229, 234, 237f. 107, 109f., 112f., 126, 177f.
Albertanus da Brescia 93 Averroes LXXIV, LXXXIVf.
Alberti, Leon Battista 136f. Avicenna 152, 165, 228f.
Albertino Mussato XVIII Azzo VII. d'Este XLV
Alberto Malaspina XLVI Bartolomeo da Varignana 166
Albertus von Orlamünde 152 Bartolomeo della Scala XXXIX,
Alderotti, Taddeo 191f. XLV
Alexander von Aphrodisias Beatrice XV, XLVI, LXXVIII,
XCVII Cllf., 88", 117, 118
Alexander von Romene XIXf. Bernardus Silvestris XXVIII-
Ali ibn Rodwan 166 XXXII, XXXVII
Ambrosius LVI, 83 Bernhard von Clairvaux XXV,
Anselm von Canterbury 183 LXXXIII
Aquila 159 Bertrand de Baucio XXIV
Aristoteles XI, XXV, XXIX, Biondo Flavio 125
XXXV, Ll-LIII, LX, LXIlf., Boccaccio 159
LXIX, LXXIf., LXXIVff., Boethius XV, XXX, XXXV,
LXXXVI-LXXXIX, XCVIf., LVII, LXXXIV, LXXXVlf.,
276 Personenregister

XCIIIf., XCVII, 69, 91f„ Ficino, Marsilio 80


97f., 105f., 141, 183, 207, Franceschino Malaspina XLVI
231f. Francesco da Barberino XIX-
Boethius von Dacien LI, LXII, XXI, XXIII, XXV, XLV,
LXXV, LXXVIII, LXXXIV, XLVIII
LXXXVIII, 134 Francesco Monaldeschi XXII
Bonaventura 177, 238 Friedrich II. (Kaiser) XIV,
Boncompagno da Signa 183, 187 LXXXIX, llOf.
Bono Giamboni 192, 193, 200 Galen XI, 164f., 191
Brunetto Latini XCIC, 91-93, Galilei, Galileo 126
102, 104, 162, 164, 173, Gentile da Cingoli 132-136
182, 192-194, 198f., 211, Gerhard von Cremona 166
222 Gherardo da Camino XIV,
Bruni, Leonardo 125 XXXIX, XLII-XLV
Bruno, Giordano XXVIf. Gilbert von Poitiers 183
Brutus 209 Giovanni de! Virgilio XXXIV,
Cangrande della Scala XVIII, XCIII
102, 110 Giovanni di Monferrato XIII
Castellano von Bassano XVIII Gottfried von Vinsauf 101
Cecco Angiolieri XVII Graziolo de' Bambaglioli
Cecco d'Ascoli XXIVf., 105 XXIVf., XXXVIIf., 106
Cicero 71, 73, 92f., 97, 100, 115, Gregor der Große (Papst) 83f.,
138, 157' 162, 166, 208f.' 213- 86f.' 146
216, 222 Guglielmo Malaspina XLVI
Constantinus Africanus 166 Guido Cavalcanti XVIII, XXV,
Corrado Malaspina XLVI LXXVI, 189
Daniel (Prophet) 88 Guido da Pisa XXIII-XXV,
David 85, 87f. XXXVIII
Demokrit LXIX Guido da Polenta 107
Dino de! Garbo XVIII, XXV, Guido von Aghinolfo 103
166, 189 Guilhem de Ia Tor XLVI
Dionysius Areopagita XXIX, Guizzardo von Bologna XVIII
LXIV Heinrich VII. (Kaiser) XIV,
Dominicus Gundissalinus LXVI, XXIIf.
XCI Henri le Breton LXXXVIf.
Elias (Prophet) 88 Hermann der Deutsche 192, 211
Erasmus von Rotterdam LXXXV Hieronymus (HI.) 157-160
Ferrarino da Ferrara XLII, Hippocrates XI, 164f., 191f.
XLIVf. Homer 158f.
Personenregister 277

Honorius von Autun LVif. Orpheus XXXI, XXXV


Horaz 129 Ovid XXV, XXXIIIf.
Iuvenal XXVIII Paschasius Radbertus 138
Jacobus von Pistoia LXXVI Peire Cardenal XLII
Jacopo della Lana XXXVIIf., Peire Raimon di Tolosa XLVI
Jean de Meun XXXIII, XXXVII Petrarca LXXXVI, 181
Job 158, 237 Petrus (Apostel) CI
Johannes (Evangelist) 237, 239 Petrus Abelardus 96
Johannes de Garlandia XXXIV, Petrus Alfonsi 93
101 Petrus de Alvernia 193
Johannes de Hauvilla XXXII Petrus Hispanus 76, 120, 139,
Johannes Duns Scotus 235 148, 149, 165
Johannes Scotus Eriugena XXIX Petrus Lombardus XI, 169
Johannes vonJandun XXXIII, LI, Pietro d' Abano 166
LIIl, LXXV, LXXVI, 77-79 Pietro Torrigiano de' Torrigiani
Johannes von Sacrobosco XCIX 166
Johannes von Salisbury 75 Plato LXIX, 80, 82, 157, 223
Johannes von Viterbio 93 Protagoras 211
Josue 88 Ptolemaeus de Lucca 138
Juvenal XXVIII Ptolemäus XXV, 117
Konrad von Megenberg 177 Pythagoras LIX
Leontius Pilatus 159 Radulphus de Longo Campo
Lottieri della Tosca XXII XVIII
Lucano de Spinola XXIII RaimonVidal XXXIX, 176, 195
Machiavelli, Nicco!O 206 Remigio dei Girolami LXVI
Macrobius XXVIIf. Richard von St. Viktor 88
Manfred (Kg. von Sizilien) Robertus Grosseteste 216
LXXXIX Roger Bacon 152
Martianus Capella XXIX, XXX, Rossi, Nicolö de XXV
Martin da Canale 194 [XXXII Sallust 104
Matthäus von Eugubio XCII Salomo XXVI, 158
Medici, Lorenzo de' XXVI Samuel 88, 229
Moroello Malaspina XXXIX, Scarpetta Ordelaffi XXXIX, 114
XLVI, XLVII, 114 Seneca XXXIVf., LXIX,
Nicolaus Trevet XXXIVf. LXXXIVf., XCIII, 112, 161f.
Nicolaus von Paris LXXXVI 164, 166, 170, 172f.
Oberto von Aghinolfo 103 Servius 104
Oliver Brittonis LXXXVlf. SigervonBrabant LXV, LXXIV,
Origenes 158f. LXXV, XCIX
278 Personenregister

Simplicius 166 220,222,227,229,231-234,


Sokrates LXIX, 223 238
Sordello XLVI, 194 Tommaso Campanella XXVII
Symmachus 159 Trasymachos 223
Taddeo Alderotti XCIX, 165f., Uc de Saint-Circ XLII
19lf. Ugutio XCIV
Taddeus von Parma XCIX Valerius Maximus 93
Terramagnino da Pisa 195f. Valla, Lorenzo 128f.
Theodotion 159 Varro XXXIV, 209
Thomas von Aquino XXIXf., Vergil XXVIII, XXXIf.,
XXXIII, XXXV, LI, LIVf., XXXVII, LXXVIII, 101,
LXV, LXVII, LXIX, LXXI- 105, 107f.
LXXIV, LXXVII-LXXIX, Villani, Giovanni 103
LXXXI-LXXXIII, 75-79, Vives, Juan Luis LXXXVI
82f., 85, 91, 94-97, 107, Walter von Chätillon XVIII,
109-113, 123, 126, 132, XCVII
134f., 138, 142, 147, 150, Wilhelm von Conches XXVIIIf.,
152-154, 161, 163, 167f., XXXI
171-173, 177-179, 187, 190, Wilhelm von Ockham 235
200f., 203f., 210, 211, 218, Xenophon 82, 157
Zeno von Verona 87f.

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