Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
DIE GEHEIMNISSE
DES VATIKAN
EINE ANDERE GESCHICHTE
DER PAPSTSTADT
Verlag C.H.Be
Zum Bu
Mit Corrado Augias betri der Leser den Vatikan dur die Hintertür: Der
Autor führt ihn in die Privatgemäer der Päpste, findet in dunklen Winkeln
Spuren vergangener Skandale, durleutet ungeklärte Vorfälle bei der
Sweizergarde und der Vatikanbank, besut die Zentrale des Opus Dei,
fragt na der Rolle des Papstes während des Zweiten Weltkriegs und
entdet die geheime Botsa großer Kunstwerke.
Corrado Augias versteht es meisterha, ungewöhnlie und überrasende
Gesiten aus dem Vatikan lebendig zu erzählen und mit seinbar
nebensälien Entdeungen zu einem faszinierenden Panorama der
zweitausendjährigen Gesite des päpstlien Rom zu verweben. Dabei
geht er mit einem einzigartigen Gespür für ungewöhnlie Zusammenhänge
und ohne Seu vor historisen Hintertreppen der Frage na, wie eine
religiöse Organisation in der Antike von einer verfolgten Sekte zum Staat
werden, in Renaiance und Baro eine atemberaubende Prat entfalten
und si bis heute als politise Mat behaupten konnte. Ein Lesevergnügen
auf höstem Niveau!
Corrado Augias, geb. 1935 in Rom, ist einer der bedeutendsten politisen
und Kulturjournalisten in Italien, wo er außerdem als Fernsehmoderator,
Kriminalsristeller und eaterautor bekannt ist. Sein Bu Die
Geheimnisse Roms wurde im August 2009 zum «Sabu des Monats»
(NDR, SZ) gewählt.
INHALT
VORWORT
Die andere Seite Roms
XIII. 16. OKTOBER 1943
Die römisen Juden zwisen Hitler und Pius XII.
XIV. EMANUELA
Ein Mäden verswindet
NACHWORT
Wenn eine Kire zum Staat wird
ANHANG
DANKSAGUNG DES AUTORS
DANKSAGUNG DER ÜBERSETZERIN
VERZEICHNIS DER IM BUCH GENANNTEN PÄPSTE
ERLÄUTERUNGEN
LITERATURHINWEISE
PERSONENREGISTER
Es gab eine Zeit, da habe i von einer Kire der
Armut und der Demut geträumt, die unabhängig ist
von den Mäten dieser Welt. Einer Kire, die den
Leuten Raum gibt, die weiter denkt. Einer Kire,
die Mut mat, vor allem denjenigen, die si klein
oder als Sünder fühlen. Einer jungen Kire. Heute
habe i sole Träume nit mehr. Seit i 75 bin,
habe i besloen, für die Kire zu beten.
VORWORT
DIE ANDERE SEITE ROMS
B
EI DEN HIER ERZÄHLTEN EREIGNISSEN geht es nit um den
Vatikan als höste Institution der katholisen Kire oder als Symbol
des Glaubens. In diesem Bu sind einige bemerkenswerte Gesiten
versammelt, in denen es um den Heiligen Stuhl – den Vatikan – geht, einen
autonomen Staat, der über Staatsorgane, ein – wenn au kaum mehr als
symbolises – Hoheitsgebiet, eine Flagge, eine Hymne, eine Währung und
eine – ebenso symbolise – Armee verfügt, außerdem über diplomatise
Vertretungen in aller Welt mit ordnungsgemäß akkreditierten Botsaern,
den Apostolisen Nuntien. Bemerkenswert sind diese Gesiten in
zweierlei Hinsit. Zum einen, weil sie natürli die jeweiligen politisen
und historisen Umstände widerspiegeln, denen sie ihren Ursprung
verdanken. Zum zweiten offenbart die Grausamkeit und nit selten au
Blutrünstigkeit dieser Gesiten, wel furtbaren Preis die katholise
Kire zu zahlen hae, um ihre geistlie Aufgabe mit der politisen Natur
eines Staates in Balance zu halten. Man könnte es als den Versu einer
Versöhnung von Himmel und Erde bezeinen oder, mit den Worten des
Evangeliums, von Go und Mammon.
Diese Vermisung ist von großen Persönlikeiten und aufgeklärten
Geistern, au aus dem Innern der Kire, immer wieder angeprangert
worden. Seit das Christentum mit Kaiser eodosius in der Mie des
4. Jahrhunderts Staatsreligion wurde, gab es keine Epoe, in der si nit
Stimmen erhoben häen zur inständigen Mahnung, die Kire möge auf
Gold und Purpur verziten und zur heiligen Beseidenheit der Ursprünge
zurükehren. Do die Fänge der Politik sind eisern, und die einzige Art
und Weise, si aus ihrem Griff zu befreien, wäre der mutige Sri zu einer
endgültigen Trennung gewesen, der aber nie vollzogen wurde. Die Stimmen
der Andersdenkenden sind eine kleine Minderheit geblieben. Als
Bereierung des Dialogs hat man sie bezeinet, bis heute allerdings ist es
ein Dialog unter Gehörlosen geblieben.
Diese grundlegende Ambiguität zeigt son die Figur des Summus
Pontifex.[1] Wenn der Papst das Wort ergrei, ist es fast nie ganz eindeutig,
ob er dies als Oberhaupt einer großen Religion, als Führer und Hirte seiner
Herde tut oder als Oberhaupt eines souveränen Staates, als Monar, der in
seiner Person alle Gewalten vereint: Legislative, Exekutive, Judikative. Son
im Titel signalisiert er seine doppelte Natur in einer der wenigen, wenn nit
der einzigen no existierenden absoluten Monarie, in der der Summus
Pontifex regierender Herrser auf Lebenszeit ist.
Denjenigen Lesern, die mehr über dieses mätige irdise Staatsgefüge
wien wollen, widme i am Ende des Bues ein Nawort, in dem unter
anderem au die notwendigen Unterseidungen zwisen «Vatikan»,
«Heiliger Stuhl» und «Katholise Kire» präzisiert werden.
Es ist eine weitverbreitete Annahme, da der Einflu, den die Kire
immer wieder auf weltlie Belange auszuüben vermag, ja vielleit sogar
ihr Überleben als Institution auf eben diese doppelte Identität
zurüzuführen sei. Mit Sierheit aber ist in den letzten zwanzig
Jahrhunderten Weltgesite die katholise Kire das einzige Beispiel
einer religiösen Konfeion, die in so strikter Form als Staat durstrukturiert
war und ist. In der klaisen Antike kam es vor, da die politise Mat
dur religiöse Funktionen kasiert wurde; nie zuvor aber war das
Gegenteil der Fall gewesen, da also eine religiöse Autorität au eine
präzise politise Physiognomie annahm, zumindest nit in diesem Ausmaß
und für eine sole Dauer. Ebenso unzweifelha ist, da, abgesehen von den
offensitlien materiellen Vorteilen, diese Konstellation ein großes
Gewit au für das eigentlie spirituelle Wirken der Kire hae, denn
ungeatet aller Anpaungsversue sind Go und Mammon nur swer in
Einklang zu bringen.
Der Leser wird sehen, da in den einzelnen Kapiteln des Bues emen
und Persönlikeiten von den Anfängen des Christentums bis in die jüngste
Zeit behandelt werden. Das erste Kapitel ist sogar einem Kaiser gewidmet,
der regierte, lange bevor der Vatikan die uns bekannte Gestalt annahm.
Streng genommen könnte man dies für einen Exkurs halten, der vom ema
wegführt. In einem umfaenderen Sinne jedo habe i gelegentlie
Absweifungen für notwendig eratet, um gewie Koordinaten zu ziehen,
die den Ablauf der Ereignie, die Gesamtheit der Fakten, das Profil oder den
Kontext der besriebenen Persönlikeiten beer verständli maen.
Über den Vatikan zu spreen bedeutet aber genau genommen au, über
Rom zu spreen. Vom 4. bis fast zum Ende des 19. Jahrhunderts ist die
Gesite des Vatikans mit der Gesite der Stadt zusammengefallen.
Einige der hier vorgestellten Gesiten stellen im wahrsten Sinne des
Wortes das dar, was der Titel dieses Vorworts versprit, «die andere Seite»
Roms. Das Bu erhebt jedo keinen Anspru auf inhaltlie oder
ronologise Vollständigkeit. Es erzählt neben Gesiten von
anerkannter historiser oder zeitgesitlier Relevanz sole, die i
persönli für witig halte, aber au Gesehnie, von denen i dur
Zufall erfahren habe, zum Beispiel dur den Besu bestimmter Orte, die
Sauplatz der hier erzählten Ereignie waren – eben die andere Seite Roms.
Corrado Augias
I. EIN HAUS GANZ AUS GOLD
NERO UND DIE GEBURT DES CHRISTENTUMS
D
IE CHRISTEN IN ROM erlebten die ersten Verfolgungen lange bevor
das Gebiet des Vaticano und sein Name die für uns heute
gebräulie Bedeutung annahmen. In den Annalen besreibt Tacitus,
einer der größten Historiker der Antike, wie Nero mit den Todgeweihten
au no seinen Spo trieb:
Man hüllte sie in Tierhäute und ließ sie von Hunden zerfleisen, oder sie wurden, ans Kreuz
geslagen und für den Flammentod bestimmt, na Tagelu als Beleutung für die
Nat verbrannt. Für dieses Sauspiel hae Nero seinen Park zur Verfügung gestellt.
Zuglei veranstaltete er ein Circupiel, wobei er im Aufzug eines Wagenlenkers si unter
den Pöbel miste oder si au wirkli auf einen Wagen stellte. Dies führte dazu, da si
Mitleid regte, wenn au gegenüber Suldigen, die die swersten Strafen verdient haen:
Man nahm an, da sie nit dem allgemeinen Wohl, sondern der Grausamkeit eines
Einzelnen zum Opfer fielen.[1]
Das Leben der Christen in Rom, der Stadt, die zur Hauptstadt des
Katholizismus werden sollte, beginnt also auf die slimmste Art. Eine
Verfolgungswelle folgt auf die andere, einige, darunter die dur Diokletian
angeordneten, zeinen si dur unerhörte Grausamkeit aus. Die
Anhänger der neuen Religion haen einen sehr sleten Ruf. Der
Historiker Sueton sreibt im Leben des Claudius, da der Kaiser im Jahre
41 die Judäer aus Rom auswies, weil sie, dur Christus aufgewiegelt,
ständig revoltierten. Als Paulus kurz na dem Jahre 60 in der Kapitale des
Römisen Reies ankommt, erzählen ihm die Häupter der jüdisen
Gemeinde von den Anfeindungen, denen diese «Sekte» überall ausgesetzt
war. Sueton wiederum sreibt im Leben des Nero, da die Christen mit
dem Tode bestra wurden, weil man sie obskurer Praktiken verdätigte und
für gemeingefährli hielt.
In der zweiten Häle des 1. Jahrhunderts ist das Christentum nur eine der
vielen Strömungen des Judaismus, aber mit eigenen, swer deiffrierbaren
Charakteristika. Tacitus erzählt, wiederum in den Annalen, wie leit es
war, na dem Brand von Rom, der vermutli auf Neros Konto ging,
aufgrund ihres üblen Rufes die Suld auf die Christen abzuwälzen. Im
Versu, dem Volkszorn zu begegnen, den er gegen si aufsteigen spürte
(dabei braut man nur an die riesige Zahl der Obdalosen zu denken),
mute Nero einen Sündenbo finden, und er fand ihn in den Angehörigen
der neuen, «ristli» genannten Sekte. Tacitus sprit in den Annalen
au darüber, und zwar in einer bemerkenswerten Weise, vor allem wegen
der reportagenhaen Lebhaigkeit der Besreibung:
Nit menslie Hilfe, nit freigebige Spenden des Princeps oder Sühnemiel für die
Göer konnten das slimme Gerüt aus der Welt saffen, der Brand sei auf Befehl gelegt
worden. Und so sob Nero, um dieses Gerüt zu erstien, die Suld auf andere und
verhängte über die, die dur ihr sändlies Gebaren verhat waren und im Volksmund
«Christianer» hießen, die ausgesutesten Strafen. Dieser Name leitet si von Christus ab,
der unter der Regierung des Tiberius dur den Prokurator Pontius Pilatus hingeritet
worden war. Der für den Augenbli unterdrüte verhängnisvolle Aberglaube griff von
neuem um si, nit nur in Judäa, wo dieses Übel entstanden war, sondern au in Rom, wo
alle Seußlikeiten und Abseulikeiten aus aller Welt zusammenströmen und freudigen
Anklang finden. Und so wurden zuerst die Personen verhaet, die si als Christen
bekannten, dann aufgrund von deren Auagen ein weiterer großer Personenkreis, und sie
wurden nit nur des Verbreens der Brandstiung, sondern au des Haes gegen das
Mensengeslet für suldig befunden.[2]
Überrasend ist nit nur die Kälte, mit der Tacitus glei darauf die (oben
zitierten) unmenslien Qualen besreibt, denen die Christen ausgesetzt
waren. Befremdli ist au der fast beiläufige Nebensatz, der unterstellt, die
Anhänger dieser Religion seien «dur ihr sändlies Gebaren verhat».
[3] Ein im Übrigen von Sueton bestätigter Umstand, der sie in einem Satz
knallhart erledigt: «Christen, eine Sekte mit einem neuartigen und
gemeingefährlien Aberglauben.»[4]
Woher rührt diese «Antipathie» gegenüber den Christen? Juden und
Christen wurden des Haes auf die Mensheit bezitigt, weil sie in
abgesoeten Gemeinsaen lebten, nit am öffentlien Leben
teilnahmen, si vom Kaiserkult fernhielten, erst ret von den religiösen
Zeremonien, die in Rom eine starke politise und gesellsalie
Bedeutung haen. Sie ließen es nit zu, da ihr Go neben die anderen
Göer ins Pantheon gestellt wurde, weil sie den Anspru vertraten, der ihre
sei der einzig wahre Go. Auf die Koexistenz der Religionen dagegen war
die Pax Romana gegründet, die unzählige Kulte und Völker vereinigte. Der
Anspru der Christen und der Juden unterminierte also das gesamte
Staatsgefüge, umso mehr als der Kaiser eine doppelte Autorität verkörperte,
die religiöse und die staatlie. Bis zum Jahr 63 waren die Christen niemals
offen verfolgt worden, na dem großen Brand aber wurden sie zum idealen
Sündenbo.
Um den Hintergrund dieses sleten Leumunds zu verstehen, mu man
si vor Augen halten, da die Religion in Rom im Wesentlien öffentli
war, also politis. Wie son das araise «Zwölafelgesetz»[5] besagte,
dure niemand «auf eigene Faust neue, no fremde Göer haben, die nit
vom Staat anerkannt waren». Solange diese Vorauetzung respektiert
wurde, griffen die Römer nur in solen Fällen hart dur, in denen eine
Religion in den Verdat geriet, den politisen Umsturz zu betreiben. Nun
predigten die Christen zwar nit in aller Öffentlikeit und praktizierten
au keine gefährlien Riten, sie legten aber demonstrativ unverständlie
Verhaltensweisen an den Tag. Wenn sie etwa aufgefordert wurden, ihre
«Personalien» anzugeben (um einen heutigen Ausdru zu gebrauen),
weigerten si viele von ihnen, si auszuweisen, und besränkten si auf
den Hinweis, da ihre Herkun aus Jesus Christus sei, was für die Obrigkeit
natürli einen nit tolerierbaren Akt des Ungehorsams darstellte. Sie
verweigerten im Übrigen au den Militärdienst.
Es liegt auf der Hand, warum Nero sie zum Sündenbo für den
verheerenden Brand von 64 gemat hat. In jeder Kultur gibt es eine
ethnise, politise oder religiöse Minderheit, der man mit Leitigkeit jede
Suld zusieben kann, indem man si einfa den üblen Leumund
zunutze mat, der ihr anhängt.
Nero hat aber nit nur in der Gesite des frühen Christentums tiefe
Spuren hinterlaen. Es gibt einen Ort in Rom, der eine ganz besondere
Faszination autrahlt, und das ist seltsam, denn im Grunde genommen
besteht er heute nur no aus natem Mauerwerk, stillen Wandelgängen,
skeleierten Basteinkonstruktionen, belebt nur an wenigen Stellen von
Fresken- oder Mosaikresten. Es sind die Ruinen der Domus aurea (Goldenes
Haus), der wahnwitzigen Residenz, die si Nero hat erbauen laen.
Woher rührt der Zauber, der jeden Besuer gefangen nimmt in diesem
prunkvollsten Kaiserpalast, der jemals erbaut wurde? Vielleit von der Aura
der Persönlikeit seines Bauherrn, der zum Aretypen der ungebremsten
Ausübung von Mat und Willkür wurde? Weit mehr jedo, zumindest was
mi betri, von den bewegenden Spuren, die von seinen Entdeern
zurügelaen wurden, die si zwisen dem 16. und 17. Jahrhundert zwei
Jahrhunderte lang dur ein in die Dee geslagenes Lo in diese unter
irdis gewordenen und damals no mit Erde angefüllten Säle abseilten und
dort unten zusammengekauert im flaernden Lit der Faeln (die
swarzen Rußstreifen sind no zu erkennen) die Fresken betrateten und
ihre ornamentalen Motive kopierten: vegetabile, mit menslien oder
tierisen Wesen gemiste Formen, nur selten realistis, fast immer
seltsam-imaginär, die aus jedem natürlien Kanon herausfielen, eine
phantastise Welt, in der Menslies, Pflanzlies und Animalises in
äußerst lebhaen, bizarren Darstellungen zwisen Serz und Halluzination
miteinander versmolzen. Es sind die berühmten «Grotesken» – das Wort
kommt natürli von grotta («Groe» oder «Höhle») –, und unterirdise
Höhlen waren diese Räume tatsäli geworden, die fast bis oben mit
Su und Müll gefüllt waren. Ihre Wiederentdeung hat eine
bahnbreende Mode lanciert, in deren Zentrum die Antike und die
römisen Ruinen standen, vergleibar nur mit der Ägyptomanie, die
Napoleons Feldzüge zu Beginn des 19. Jahrhunderts auslösten.
Na Neros Willen sollte seine neue Residenz auf den Ruinen der im Jahre
64 von dem verheerenden Brand verwüsteten Stadt erritet werden. Er
enteignete ein Areal von 80 Hektar, weil si sein Palast, so beritet es
Sueton, vom Palatin bis zum Esquilin ausdehnen sollte; der römise Diter
Martial (40–ca. 102 n.Chr.) wird in seinen Epigrammen beklagen, da «ein
einziges Haus inzwisen die ganze Stadt besetzt hat». Um annähernd zu
begreifen, über wele Prat und Ausdehnung dieses Bauwerk verfügte,
braut man si nur vorzustellen, da in der Eingangshalle eine 35 Meter
hohe Koloalstatue Platz fand – was etwa der Höhe eines zwölfstöigen
Hauses entsprit. Als (unter Hadrian) diese Statue versetzt werden sollte,
muten wegen ihres enormen Gewits vierundzwanzig Elefanten ins Jo
gespannt werden. Von dieser ungeheuren Skulptur, dem Colossus Neronis,
leitete si aller Wahrseinlikeit na im Mielalter der Name des
Koloeums her. Der grieise Bildhauer Zenodorus hae den Kaiser nat
dargestellt, mit Aributen des Sonnengoes, den reten Arm erhoben, den
linken angewinkelt, um eine Weltkugel zu halten. Von einer Krone auf der
Stirn gingen sieben Strahlen ab, jeder ses Meter lang, eine Darstellung
absoluter Mat und jener Sonne, mit der Nero identifiziert werden wollte.
Bemerkenswert, wenn man bedenkt, da si dieses Bild der Strahlen über
die Jahrhunderte gehalten hat, vom Kolo von Rhodos bis zur Freiheittatue
von New York.
Der Palast umfate, wieder Sueton zufolge, drei Portiken von einer Meile
Länge, «au ein künstlier Tei befand si innerhalb dieser Anlagen, der
wie ein Meer ringsum von Bauten umgeben war, die Städte vorstellen
sollten. Obendrein gab es no Ländereien mit Kornfeldern, Weinbergen,
Wiesen und Wäldern in buntem Wesel, mit einer Fülle von zahmem und
wildem Getier aller Arten.»[6] Das gesamte Tal, in deen Zentrum heute
das Flavise Amphitheater (Koloeum) steht, war von dem See bedet, der
na Sueton «fast ein Meer» war. Wo der Besuer heute in das Dunkel und
das Sweigen eintaut, war früher strahlendes Lit, denn das gesamte
Gebäude war vergoldet und der Putz mit smüenden Gemmen und
Museln versetzt. Dazu weiter Sueton: «Die Speisesäle haen mit
Elfenbeinsnitzerei verzierte Kaeendeen, deren Täfelung versiebbar
war, damit man Blüten auf die Gäste herabregnen laen konnte. Au
besaßen sie ein Röhrenwerk, dur das man duende Eenzen
herabsprühte.»[7] Hinzu kamen die versiedenen Marmorsorten, die
miteinander kombiniert wurden, um jene Polyromie zu erzeugen, für die
die Römer berühmt waren. Gesteine, die aus Spanien, Numidien,
Tripolitanien, Ägypten, Asien, Grieenland, Gallien, Kappadokien kamen.
Untersiedli in Farbe und Konsistenz, einzigartig in ihrer Härte und der
Sönheit ihrer Zeinung, blieben sie im Gebrau und sollten viele
Jahrhunderte später von den römisen Marmorsteinmetzen mit Namen
bedat werden, die allein son eine ganze Epoe heraueswören:
portasanta, lumaella orientale, pavonazzetto, serpentino, granito degli
obelisi, africano.[8]
Die Farbenprat war nit das einzige Charakteristikum, das diese
Residenz so phantastis mate. Au die Tenologie hae ihren Anteil. Es
wurde das Beste aufgeboten, was die Zeit an Meanik zu bieten hae: «Der
Bankesaal hae die Form einer Rotunde, deren Kuppel si wie das Weltall
Tag und Nat ständig drehte. In den Bädern gab es Waer aus dem Meer
und aus der Albulaquelle.»[9] Die beiden mit der Planung beauragten
Aritekten, Severus und Celerus, wuten, da sie mit diesem Bauwerk
entweder Ruhm und Unsterblikeit erlangen oder alles verlieren würden,
möglierweise au ihr Leben. Dur den extremen Einsatz herausgefordert
und den erlesenen Gesma ihres Auraggebers wohl kennend, erfanden
sie aritektonise Lösungen von einer solen Bizarrerie, da si Tacitus
zu dem Aupru hinreißen ließ, sie verfügten über die Erfindungskra und
die Kühnheit, «au was die Natur versagt hae, dur Kunst zu
versuen».[10]
Nero konnte si seiner maßlosen Residenz nur sehr wenige Jahre
erfreuen und wahrseinli sah er sie gar nit mehr in vollendetem
Zustand. Seine Nafolger sorgten dafür, da sie zum Großteil zerstört
wurde. Son Domitian veranlate den Abri der Gebäude auf dem Palatin,
andere ließen den See mit Su auffüllen, um den Baugrund für das
Amphitheater zu saffen, Hadrian ließ auf dem Velia-Hügel über das
Vestibulum der Domus den Tempel der Venus und der Roma erriten. Der
Pavillon auf dem Oppio-Hügel (von wo aus man heute die Domus besuen
kann) überlebte, bis er im Jahr 104 dur einen Brand teilweise zerstört
wurde. Und als Trajan befahl, dort seine großen ermen zu erriten, ließ
der Aritekt Appollodorus von Damaskus die darüberliegenden Gebäude
niederreißen und die darunterliegenden mit Erde anfüllen, wodur diese
innerhalb der tragenden Mauern zu einem maiven Kubus wurden, der als
Fundament für die neu zu erritenden Gebäude diente. Das Lit versank in
Dunkelheit, und alles Gold, die Edelsteine, der vielfarbige Marmor
verswanden unter Tonnen von Erde und Müll. Die extremste
Pratentfaltung verfiel zu Ruinen und fiel einige Jahrhunderte lang dem
Vergeen anheim, dem wir nit unerhebli die teilweise Konservierung
dieses herausragenden historisen Zeugnies zu verdanken haben.
Dem heutigen Besuer wird einiges an Vorstellungsvermögen abverlangt:
Weder Malereien no Mosaike gibt es zu sehen, es ist die Baustruktur
selbst, die Aufmerksamkeit verdient, die hohe Kunst des Mauerwerks, der
Kuppeln, der Raumaueilung, das Spiel des dur die boce di lupo[11] von
der Höhe der Portiken hereinfallenden Lits. Einige der Räume sind genau
so belaen worden, wie sie Jahrhunderte na Trajans Auffüllaktion
vorgefunden wurden. Dem Bli des Betraters bieten si Kubikmeter über
Kubikmeter Erde, und in dieser gewaltigen Mae aus toter Materie kann er
Ziegelsteine, Geröll, Marmorstüe, Fragmente von Säulen, Brustüe von
Stukkaturen, Konsolen, Ornamenten identifizieren. Mit der Zusüung
seiner Gegenwart hat Trajan, ohne es zu wollen, für uns, für die Nawelt
gearbeitet.
Was den tragisen Besitzer dieser Trümmer betri, Lucius Domitius
Claudius, genannt Nero, so verdanken wir, was wir über ihn wien, vor
allem Tacitus und Sueton; außerdem Plinius dem Älteren, insbesondere dem,
was von Plinius in die Storia Romana (Römise Gesite) des Grieen
Caius Dio Eingang gefunden hat; sließli einer Reihe von
fragmentarisen Notizen, Bezügen und verstreuten Zitaten hier und da, bis
zu den ristlien Autoren späterer Jahrhunderte. Den größten Teil der
Fakten jedo, auf deren Basis si im Laufe der Jahrhunderte das Bild des
umstriensten Kaisers der römisen Gesite geformt hat, finden wir in
diesen beiden Quellen; keine der beiden gewinnt ihm positive Seiten ab.
Die Verkeung von Umständen, denen Nero seine Ankun auf dem
Kaiserthron verdankt, häe das Leben eines jeden Mensen gezeinet,
zumal der künige Kaiser, als alles seinen Anfang nahm, kaum mehr als ein
Jüngling war. Seine Muer Agrippina minor (die Jüngere) war 23 Jahre alt,
als sie ihn am 15. Dezember 37 zur Welt brate, geswängert von einem
dreißig Jahre älteren Mann, den sie nit liebte, einem arroganten,
auweifenden Patrizier, den zu heiraten sie von Kaiser Tiberius
gezwungen worden war. Sein Name war Domitius Ahenobarbus (wegen
seines rotblonden Bartes). Au ihr Sohn erhält zunäst den Namen Lucius
Domitius Ahenobarbus. In ihren Memoiren sreibt Agrippina (na dem
Zeugnis Plinius’ des Älteren), das Kind sei mit den Füßen zuerst geboren
worden, ein Phänomen, das im Allgemeinen als sletes Vorzeien
gewertet wurde. Sueton dagegen sreibt: «Nero wurde in Antium geboren,
und zwar neun Monate na dem Tode des Tiberius. Es war der
15. Dezember [wörtli: «am 18. Tag vor den Kalenden des Januar», Erg. d.
Ü.], und die Sonne ging gerade auf. So kam er eher mit ihren Strahlen als mit
der Erde in Berührung.»[12]
Den Beinamen Nero bekam er erst später. In der Sprae der Sabiner
bedeutete das dem hogelehrten Aulus Gellius (dem Autor der Noctes
Atticae)[13] zufolge «stark, mutig». Später sollte der Rufname dazu
beitragen, die Persönlikeit des Kaisers in ganz anderem Lite erseinen
zu laen und Dunkelheit und Undursitigkeit, die düsteren Farben der
Unterwelt zu aoziieren.
In Neros Leben hae, wie so o, die Muer eine sehr viel größere
Bedeutung als der Vater, der im Übrigen vorzeitig starb. Agrippina,
Swester Caligulas und Toter des großen Generals Germanicus, ist sön,
verführeris, berenend, ehrgeizig, imstande, si eiskalt jeder Art von
Verführung wirksam zu bedienen, der Worte ebenso wie der nit minder
wirkungsvollen ihres sinnlien Körpers. Agrippina, genauer: Agrippina
minor oder Giulia Agrippina, Toter der anderen Agrippina, maior (die
Ältere) genannt, der Frau des Germanicus, seut vor keinem Miel zurü,
nit einmal vor einer inzestuösen Beziehung mit ihrem Bruder Caligula,
wobei sie si übrigens in Gesellsa mit ihren Swestern befand.
Ihr Sohn Lucius Domitius ist gerade drei Jahre alt und ihr Mann
gestorben, als si Agrippina in eine Verswörung gegen Caligula
hineinziehen lät. Dieser überlebt und besränkt si großzügig darauf, sie
ins Exil zu sien, sta sie zu töten. Das Kind wird einer Tante anvertraut,
die es ihrerseits zwei fragwürdigen Meistern überlät: einem Barbier und
einem Tänzer. Im Jahr 41 wird Caligula ermordet und Claudius auf den
ron gesetzt, Bruder des Germanicus und daher Onkel der Agrippina, der
innerhalb der Familie, aber au außerhalb als kaum mehr als eine
Marionee betratet wird. Als Fünfzigjährigem ist ihm ein knapp
fünfzehnjähriges Mäden zur Gain gegeben worden, das es zu einer
gewien Berühmtheit bringen wird: Mealina, mit Sierheit eine psyis
gestörte Persönlikeit, bekannt für ihre Exzee und erotisen
Auweifungen, einem tragisen vorzeitigen Tod geweiht. Mit Anfang
zwanzig wird sie hingeritet. Dazu Tacitus in den Annalen:
Während sie [den Dol] ziernd und vergebli bald an den Hals, bald an die Brust setzte,
wurde sie von dem Tribunen erstoen. Der Leinam wurde der Muer überlaen.
Claudius wurde beim Een benaritigt, Mealina sei gestorben, ohne bestimmte Angabe,
ob von eigener oder von fremder Hand. Claudius fragte au nit dana; er verlangte einen
Beer und gab si den üblien Tafelgenüen hin.[14]
Wir sind im September 48. Es werden nit einmal fünf Monate vergehen,
und Agrippina ist (im Januar 49) die neue Frau des Kaisers, wobei es keine
Rolle spielt, da er der Bruder ihres Vaters ist, no ein Inzest also. Ihre
Hauptsorge gilt Lucius Domitius, nit so sehr, weil sie diesen inzwisen
fast in der Pubertät befindlien Sohn besonders liebt, sondern weil sie
vorauauend an das denkt, was sie dur ihn erreien kann. Agrippina
weiß, da sie in einer von Männern beherrsten Gesellsa lebt, do
dur den ritigen Einsatz von Lucius kann sie Ziele anstreben, die ihr als
Frau direkt versperrt sind.
Eine ihrer ersten, weitreienden Maßnahmen ist der Rüruf des
Philosophen Lucius Annaeus Seneca, eines der brillantesten Denker seiner
Zeit, aus dem langen, zermürbenden Exil.[15] Gleizeitig lät sie am
25. Februar 50 Lucius Domitius von ihrem Mann und Onkel, dem Kaiser
Claudius, adoptieren. Der neue Name des Jungen wird: Tiberius Claudius
Nero Drusus Germanicus. Der näste Sri besteht darin, Nero eine
angemeene Ehefrau zu besorgen. Kaum ist er sezehn geworden, wird
ihm die zwölährige Octavia zur Frau gegeben, die Toter der nit
betrauerten Mealina, die na allem, was wir wien, nit die geringste
Neigung hae, ihrer Muer in Saen sexueller Auweifungen
nazueifern.
Agrippina ist etwas über dreißig, ihre Sönheit ist in voller Blüte, ihre
Mat über den Kaiser bemerkenswert. Für ihren Sohn sind die
vorbereitenden Weien gestellt: eine, wenn au fingierte, kaiserlie
Herkun, eine Ehefrau von adäquatem Rang, der beste «Hauslehrer», der in
Rom zu finden ist. Auf dem Weg zum ron sind aber no einige nit
unbedeutende Hindernie zu überwinden. Das erste besteht darin, da auf
dem ron bereits Claudius sitzt, der zwar über fünfzig, aber no bei guter
Gesundheit ist. Zum zweiten kommt in der Erbfolge vor Nero no Claudius’
Sohn Britannicus, ein süterner, introvertierter Junge, den Neros Ankun
in der «Familie» brutal in den Saen gedrängt hat. Au darum mu si
Agrippina kümmern. Sie beginnt mit Claudius, deen möglien
Swapunkt sie bereits identifiziert hat: seine große Vorliebe für Pilze. I
überlae Tacitus die Erzählung dieses Mordes:
Später … wuten die Sristeller jener Zeit zu überliefern, das Gi sei in ein smahaes
Pilzgerit gegoen worden. Man habe die Wirkung des Miels nit sofort wahrgenommen,
sei es, da man nit darauf atete, oder da Claudius betrunken war. Zuglei sien ihm
ein Durfall geholfen zu haben. Daher bekam es Agrippina mit der Angst zu tun, und da das
Äußerste zu befürten war, zog sie ohne Rüsit auf den üblen Eindru, den dies bei den
Anwesenden maen mute, den son vorsorgli eingeweihten Arzt Xenophon bei. Dieser
habe dem Claudius, als wolle er ihm beim Erbreen nahelfen, wie man glaubt, eine mit
ras wirkendem Gi bestriene Feder in den Hals gestet, wohl wiend, da es mit
Gefahr verbunden ist, größte Verbreen zu beginnen, und Lohn einbringt, sie
durzuführen.[16]
Am Tag darauf, dem 13. Oktober 54, wird Nero siebzehnjährig von der
begeisterten Menge und von den Prätorianern, die an dem Komplo beteiligt
waren, zum Kaiser ausgerufen. Viele waren, wie Agrippina, an seiner
ronfolge intereiert, au Seneca, do darauf kommen wir no zu
spreen. Tacitus beritet, da si am Abend dieses ersten Tages ein
Tribun zu dem neuen Kaiser begab, um, dem militärisen Brau
entspreend, das nätlie Losungswort für die Palastwaen zu erfragen.
Nero antwortete: «Optima mater» – «Die beste aller Müer»! Im
kaiserlien Palast ist der unglülie Britannicus inzwisen allein; es wird
nit mehr lange dauern, und er wird daelbe Sisal erleiden wie sein
Vater. Das Mordinstrument wird au diesmal Gi sein.
Neros Problem ist nun seinerseits, da er si, kaum dem Jünglingsalter
entwasen, zweier swerer Lasten entledigen mu: seiner Muer und
seines Erziehers Seneca. Zunäst aber ist sein Aureten geradezu
vorbildli moderat. Berühmt geworden ist die Anekdote, wie Nero, der ein
Todesurteil zu untersreiben hae, verbiert ausrief: «A, häe i do
niemals sreiben gelernt!» Nero hält die Beziehungen zum Senat, die von
jeher mit äußerster Sensibilität zu handhaben waren, auf einem Niveau
exemplariser Korrektheit. Das zeigt si an der meisterhaen (von Seneca
verfaten) Antrisrede, in der er versiert, er habe das Amt angenommen,
weil es vom Heer so gewollt und darüber hinaus dur die Autorität des
Senats bestätigt worden sei. Da seine Jugend nit vom Blut der
Bürgerkriege oder von familiären Auseinandersetzungen getränkt gewesen
sei, bringe er au keinen Ha und keinen Groll mit in sein Amt. Nero
skizziert sein Regierungsprogramm und verdammt den Mibrau, der so o
die Ursae von Gewalt und Ha geworden sei. Sein Haus, so fügt er mit
Nadru hinzu, solle Korruption und Intrigen versloen bleiben, der Hof
und der Staat würden als getrennte Einheiten weiter bestehen. Alles in allem
ein hervorragendes Debüt, dem entspreende Maßnahmen folgen. Als
einige befliene Senatoren vorslagen, zu seinen Ehren goldene und
silberne Statuen aufzustellen, verweigert dies der junge Kaiser entsieden,
ebenso wie er den Vorslag zurüweist, das Kalenderjahr nit im Januar,
sondern im Dezember, dem Monat seiner Geburt, beginnen zu laen. Zu
Beginn also ist seine Herrsa eine der besten, die Rom je hae. Die Völker
der Halbinsel erleben eine Zeit des Friedens und relativen Wohlstands. Der
Frieden befördert den Handel, lät die Preise für Grund und Boden und
Immobilien steigen, versa den Unternehmern dur große öffentlie
Auräge stalie Gewinne, reduziert die Arbeitslosigkeit auf ein Minimum.
Der eine oder andere erinnerte si no, da die Anfangszeit unter
Caligula ebenfalls vielverspreend war, bevor si der Kaiser mit dem
Fortsreiten seiner Geisteskrankheit zur Goheit erheben ließ und den
samlosesten Auweifungen hingab. Die anfänglie Besonnenheit des
neuen Kaisers wurde allerdings kompensiert dur die Exzee seiner Muer,
die eine Art Terrorregime erritete, um ihre Raegelüste auszuleben. Ein
Vorfall mag eine Vorstellung von der Maßlosigkeit von Agrippinas
Anmaßungen geben: Sie bat ihren Sohn um die Erlaubnis, an den
witigsten Senatitzungen teilnehmen zu dürfen. So etwas war no nie
vorgekommen, und die Antwort war dementspreend: Es sei nit mögli,
diesem Wuns nazukommen. Darauin überredete sie Nero, die
Versammlung in der Bibliothek des Kaiserpalastes einzuberufen, damit sie
aus einem benabarten Raum hinter einem im Rüen der Versammlung
angebraten Vorhang die Debae verfolgen und die versiedenen
Positionen zur Kenntnis nehmen konnte.
Eine der ernsthaesten Krisen bra na der Ermordung des armen
Britannicus aus. Weil der Leinam des Jungen bläuli angelaufen war, also
eindeutige Symptome einer Vergiung aufwies, ließ Nero das Gerüt
verbreiten, die Todesursae sei einer seiner üblien epileptisen Anfälle
gewesen, und verfügte, der Tote solle umgehend auf dem Campus Martius
verbrannt werden. Seneca, der die Wahrheit kannte, wurde beauragt, diese
überstürzte Bestaungszeremonie dem Senat plausibel zu maen. Wieder
einmal zeigte si der berühmte Gelehrte der swierigen Aufgabe
gewasen: «Es [sei] ein Brau der Vorfahren, jugendlie Leien den
Blien zu entziehen und deren Beisetzung nit dur Lobreden oder einen
Leienzug zu verzögern …»[17] etc.
Agrippina ist bestürzt über diesen brutalen Mord. Sie weiß nun, da ihr
Sohn fähig ist, aus eigener Initiative, ohne ihren Rat und ihre Unterstützung
swerwiegende Entseidungen zu treffen. Der Tod des Britannicus, der
si unter ihren Augen in demselben Hause ereignete, in dem sie Claudius
hae vergien laen, löst bei ihr im Hinbli darauf, was si daraus
slufolgern lät, Entsetzen aus. Zu allem Überflu hae Nero begonnen,
seine Ehefrau Octavia zu versmähen, und si in eine Freigelaene
namens Akte vernarrt, die seine Leidensa entfat hae:
Sie hae si bei üppigen Gelagen und dur zweideutige Heimlikeiten tief in sein
Vertrauen eingeslien, und au die älteren Freunde des Princeps wehrten si nit
dagegen, da nun eine Frauensperson [als muliercula nulla – dt. etwa: nitsnutzige Dirne –
bezeinet sie Tacitus, Erg. d. A.] die Sinnlikeit des Princeps befriedigte.[18]
Offenbar hat Anicetus, der Befehlshaber der Floe bei Misenum und ein
Freund Neros, die entseidende Idee zur Durführung des Mordes. Im Jahr
59 slägt er dem Kaiser vor, Agrippina zum Minervafest einzuladen, das
vom 19. bis zum 23. März in Baia stafindet. Die Einladung mu
ausgesproen herzli gewesen sein, denn Agrippina nimmt sie an, reist
na Baia, wo sie von ihrem Sohn liebevoll begrüßt wird, die beiden een in
heiterster Stimmung gemeinsam zu Abend, wobei Agrippina der Ehrenplatz
an der Tafel links neben dem Kaiser zugewiesen wird. Na dem Een
unterhalten sie si no ein wenig mit leiter Konversation, bevor
Agrippina darum biet, na Bauli zurükehren zu dürfen. Nero begleitet
sie zum Siff, «wobei er no inniger seine Blie auf sie heete und si an
ihre Brust smiegte, sei es, um seiner Heuelei die Krone aufzusetzen, oder
weil der letzte Bli auf seine in den Tod gehende Muer seinen sonst so
unmenslien Sinn zügelte.»[22] Bei Sueton klingt das so: «Mit heiterer
Miene gab er ihr das Geleit … und küte ihr beim Absied no den
Busen.»[23]
Die Göer beseren «eine sternhelle Nat und eine ruhige, friedlie
See» («Noctem sideribus inlustrem et placido mari quietam»).[24] Mit
leisem Geplätser entfernt si das von den angekeeten Ruderern kravoll
angetriebene Siff auf dem swarzen, unbeweglien Gewäer. Agrippina,
die von der vertrauten Dienerin Acerronia begleitet wird, hat si am He
des Siffes auf ihrem luxuriösen, von einem Baldain überdaten
Natlager niedergelaen. Sie weiß nit, da auf dem sützenden,
seinbar so anmutigen Da über ihr einige Tonnen Blei liegen. Auf ein
vereinbartes Zeien wird das Blei gelöst und stürzt auf das Lager. Das hohe
Begestell behindert jedo den Fall, die heige Bewegung des Siffes
kommt den beiden Opfern zu Hilfe, die ins Meer gesleudert werden.
Hier begeht Acerronia einen verhängnisvollen Fehler. Sie hat nit
verstanden, in wel gefährlies Spiel sie da hineingeraten ist, und beginnt
laut um Hilfe zu rufen, wobei sie behauptet, sie sei die Muer des Kaisers.
Sofort wird sie mit Stangen und Rudern erslagen. Agrippina, die slauer
ist, gleitet leise swimmend davon: «Zuerst swimmend und dann, von
den entgegenfahrenden Kähnen aufgenommen, gelangte sie in den Lucriner
See und wurde in ihr Landhaus gebrat.»[25]
Bei dem Aentat erleidet Agrippina nur leite Verletzungen, sie trägt
ledigli eine Wunde an der Sulter davon. Slimmer als ihre körperlie
Verfaung stellt si jedo ihre persönlie Lage dar. Als ausgefuste
Sauspielerin und Taktikerin tut sie zunäst so, als habe sie nits
verstanden, und lät Nero dur einen Freigelaenen eine Narit
sien, in der sie ihm mieilt, dur die Gnade der Göer einem sweren
Unfall entgangen zu sein, der Kaiser braue si keine Sorgen um die
Gesundheit seiner Muer zu maen.
Nero, der natürli einen ganz anderen Ausgang erwartet hat, liest
zwisen den Zeilen und beginnt, die Rae seiner Muer zu fürten. Sie
könnte die Legionen in Aufruhr versetzen oder beim Senat vorspreen.
Verunsiert lät er Seneca und Burrus, den Präfekten der Prätorianer,
rufen. Der Philosoph will von Burrus wien, ob man nit den Soldaten
direkt ihre Ermordung befehlen sollte. Dieser zögert und gibt zu bedenken,
da die Prätorianer im Gedenken an Germanicus dem Caesarenhaus eng
verpflitet seien und es nit wagen würden, deen Toter zu ermorden.
Er befürtet, die Soldaten könnten den Gehorsam verweigern, was
katastrophale politise Folgen haben würde. Er zieht si aus der Affäre,
indem er eine andere Lösung vorslägt. Da es sließli der Kommandant
der Floe, Anicetus sei, der den Slamael zu verantworten habe, solle er
die Sae au zu Ende bringen. Nero nimmt diesen Rat an. Seneca ist
vermutli heilfroh, aus dem Sneider und nur am Rande in das neue
Verbreen verwielt zu sein, das er aber in jedem Fall für «notwendig»
hält. Die Erzählung dieses berühmten Muermordes findet si in der
Chronik des Tacitus:
Anicetus umstellte das Landhaus mit Posten, slug die Tür ein und ließ die Sklaven, die si
ihm entgegenstellten, abführen. Er drang bis an die Tür des Slafzimmers vor, vor der nur
wenige Leute standen. Alle anderen waren aus Angst vor den Eindringlingen davongelaufen.
Das Slafzimmer war nur swa beleutet. Drinnen befand si eine einzige Dienerin,
während Agrippina in immer größere Angst geraten war, weil niemand von ihrem Sohn
kam, nit einmal Agermus: ganz anders würde es auehen, wenn eine erfreulie Narit
zu erwarten wäre! Jetzt sei kein Mens da. Nur plötzlies Lärmen und Anzeien hösten
Unheils! Als dann die Dienerin wegging, rief sie ihr na: «Verlät au du mi?» Da fiel
ihr Bli auf Anicetus, der von dem Trieraren Herculeius und dem Centurio der
Floenmannsa Obaritus begleitet war, und sie sagte: «Wenn du gekommen bist, um mi
zu besuen, dann melde, da i mi erholt habe; wenn aber, um ein Verbreen
auszuführen, dann glaube i nit, da mein Sohn di gesit hat. Er hat keinen
Muermord befohlen.» Die Mörder umstellten das Be. Zuerst slug ihr der Trierar mit
einem Knüppel auf den Kopf. Als der Centurio zum Todetoß das Swert züte, strete
sie ihm ihren Soß entgegen und rief: «Stoße in den Bau!» Unter vielen Wunden bra sie
tot zusammen.[26]
Angesits soler Tode, denen bei aller Niederträtigkeit ihrer Opfer und
der Motive der Mörder eine gewie Grandezza nit abzuspreen ist, habe
i mi immer gefragt, inwiefern das Verhalten ihrer Protagonisten vom
Geist der Zeit beeinflut war oder vom Hang zu einer theatralisen Tragik
oder ob vielleit das Eo der Vorbilder episen Heldentums aus
araiser Vorzeit eine Rolle spielte. Es ist, als diktiere der Wille, auf
irgendeine Weise ein Zeien in der Gesite hinterlaen zu müen, die
Worte, die nit selten würdig sind, in Bronze festgehalten zu werden. In
Tacitus’ Original hört si Agrippinas großartige Aufforderung im Moment
des Sterbens so an: «protendens uterum ‹Ventrem feri› exclamavit» – und
angesits der Tatsae, da der Auraggeber des Mordes ihr eigener Sohn
ist, strotzt sie vor Symbolik. Na vollendeter Tat ließ Anicetus no in
derselben Nat den Leinam Agrippinas verbrennen, genauso, wie es
bereits im Fall des unglülien jungen Britannicus gesehen war.
Als er vom Tod seiner Muer erfuhr, soll Nero ausgerufen haben: «Am
heutigen Tag erst wird mir die Regierung übergeben!» Wahr oder fals, der
Satz bringt sehr klar zum Ausdru, wele Last ihm Agrippinas Präsenz in
den ersten fünf Jahren seiner Herrsa gewesen sein mu. Blieb nur no
Seneca, der Erzieher, der Mens, der Intellektuelle, der Philosoph, der die
Gratwanderung versut hae: auf der einen Seite den Anwandlungen des
jungen Fürsten, einsließli der kriminellen, nit zu widerspreen; auf
der anderen der Versu, ihn insgesamt auf nit allzu sändlie Ziele
einzuswören. I habe o gedat, beretigt oder nit, da Seneca zu
Nero ein ähnlies Verhältnis hae wie Maiavelli zu Cesare Borgia, dem
Valentinois.[27] Seneca kennt die Grundsätze der hohen Moral, in De
Clementia (Über die Güte), in den Dialogi, vor allem aber in den
hundertvierundzwanzig Briefen an Lucilius entfaltet er die stoise Ethik
auf höstem Niveau, skizziert ein philosophises Konzept der Sue na
Tugend, praktiziert die höste Form der Freiheit, beginnend mit der inneren.
Weit über die Positionen seiner eigenen Zeit hinausgehend, proklamiert er
den Respekt für jede Kreatur, fordert Mitleid gegenüber den Benateiligten
und Unglülien, sogar gegenüber den Sklaven.
Seine Weltsit ist so großzügig und breit angelegt, da es vereinzelt
Spekulationen gab, ob er nit heimli zum Christentum übergetreten sei,
wofür man als Beweis den Briefwesel mit dem heiligen Paulus ins Feld
führte, der im Übrigen zu den Apokryphen gehört. Legenden, gewi,
begründet allerdings dur eine humanitas, wie sie uns auf gleiem Niveau
und von gleier Bedeutung au die neuplatonise Welt nur in ganz
wenigen Beispielen bietet.
Wie soll man si erklären, da ein Mann von solen Gaben und sol
edler Gesinnung si mit so etwas wie Wuerzinsen abgegeben hat, selbst
wenn es si ledigli um gewöhnlie Bank-Darlehen gehandelt haben
sollte, wie wir es heute nennen würden? Da er mit seiner Apokolokyntosis,
was wir mit «Apotheose eines Kürbis» (oder einfa: «Veräppelung»)
übersetzen könnten, den gerade erst ermordeten Kaiser Claudius verspoete?
Claudius galt als Dummkopf, als psyis labil, das ist wohl wahr. Zudem
hae er Seneca zu sieben smerzlien Jahren des Exils auf Korsika
verdammt; aber einen gerade erst verstorbenen Mann so zu verspoen, bleibt
eine unwürdige Aktion, umso mehr in einer Kultur, in der das Gebot «de
mortuis nil nisi bene» herrste – «Über Tote soll man nits als Gutes
sagen». Seneca au verdankt si die brillante Retfertigung der
überstürzten Einäserung des unglülien Britannicus. Dahinter kann
man natürli eine politise Motivation vermuten. Solange Britannicus, der
legitime Sohn des Claudius, am Leben war, war Neros Herrsa bedroht.
Der Tod des jungen Mannes konnte also als Garantie für den Materhalt
betratet werden. Und die Beihilfe zum Mord an Agrippina? Die Motive
können au in diesem Falle als langfristig politis angesehen werden.
Agrippina hae versut, ein regelretes Terrorregime aufzubauen;
außerdem war, solange sie lebte, die «Konstruktion» jenes «gereten
Herrsers», der Seneca vorswebte, swierig. Im Gegenteil: Ihre Präsenz
hae ernsthae Probleme für die mentale Gesundheit Neros verursat. Die
Annahme, ihr Tod häe beim Kaiser ein gewies psyises Gleigewit
wiederherstellen können, war also duraus begründet.
Na dem Muermord ließ Nero verbreiten, Agrippina habe versut, ihn
ermorden zu laen, und si na Aufdeung der Verswörung das Leben
genommen. Zum Dank dafür, da der Kaiser der Gefahr und dem Anslag
seiner Muer entronnen war, wurden Goesdienste abgehalten, an die
Offiziere verteilte man ein bien Geld, um ihre Loyalität wieder zu
festigen. Seneca srieb die Rede, mit der dem Senat die Vorgänge plausibel
gemat wurden, ein Meisterwerk an Heimtüe. Die üblen Taten der
Agrippina wurden herausgestrien, der maßlose Ehrgeiz dieser Frau und
ihrer Familie, selbst der Siru wurde rekonstruiert und als Unfall
dargestellt. Tacitus kann si allerdings die Frage nit verkneifen: «Do
wo häe man einen so einfältigen Mensen finden mögen, der dies
glaubte?» Au wurde gestreut, es habe einen Mordversu an Nero dur
einen Freigelaenen gegeben. Do wer konnte glauben, so fragt wieder
Tacitus, «eine sirüige Frau habe einen Mann ganz allein mit einer
Mordwaffe gesit, der dur die Kohorten und Floen des Imperators si
durslagen sollte?» Seneca, von dem bekannt war, da er die Reden des
Kaisers verfate, wurde zum bedauernswerten Objekt feindseligen Geredes,
«weil er dur eine sole Darlegung ein Geständnis srili abgelegt
habe».[28]
Wie laen si diese Widersprüe erklären? In gewier Weise lät si
Senecas Rolle mit Platons altem Traum vom Philosophen bzw. dem von
einem Philosophen inspirierten Mann an der Spitze des Staates vergleien,
der eine kluge Führung und das ritige Gleigewit zwisen den Kräen
gewährleisten sollte. Eine Herausforderung, die so groß ist, da in ihrem
Namen Verbreen toleriert werden, die sonst unentsuldbar sind. Es ging
also um die Realisierung dieses Traums: einer Art demokratisen
Fürstentums, in dem ein Kaiser unter weiser Anleitung im Einklang mit den
Intereen des Volkes regiert, ein «gereter» Princeps als väterlier Hüter
des Senats.
Auf der anderen Seite war da Neros Interee, auf einen Mann dieses
Kalibers zählen zu können, um, flankiert von den unleugbaren dialektisen
und rhetorisen Fähigkeiten dieses Philosophen und seinem großen
intellektuellen Prestige, die male bestie (wilden Bestien) von Senatoren in
Sa zu halten. Er konnte si vorstellen, da das ausreien würde, um
das Gleigewit und den Erfolg seiner Herrsa zu gewährleisten. Neros
Regierungszeit hat positiv begonnen, und selbst Tacitus würdigt den
positiven Einflu des Philosophen, als er in den Annalen der Darstellung
von Agrippinas Verbreen hinzufügt:
Und man wäre den Weg des Mordens weitergegangen, wenn nit Afranius Burrus und
Annaeus Seneca entgegengetreten wären. Diese Lenker des jungen Imperators waren – eine
Seltenheit bei gemeinsamer Matausübung – unter si einig und übten den gleien
Einflu auf ihn aus, nur mit versiedenen Mieln, Burrus dur seine militärise Tätigkeit
und seine Sienstrenge, Seneca als Lehrer der Beredsamkeit und dur sein leutseliges,
anständiges Wesen, wobei sie einander in die Hände arbeiteten, um so den Princeps in
seinem no nit gefestigten Alter, falls er den Weg der Tugend versmähen würde, dur
Zugeständnie bei sinnlien Genüen leiter zu zügeln.[29]
Wäre also Seneca nit gewesen, wären die Dinge wahrseinli no
sleter gelaufen. Was die übrigen Vorwürfe gegen ihn betri, so waren
einige vom Neid diktiert, gegen andere verteidigte er si selbst, indem er
darüber srieb. In De vita beata (Vom glülien Leben) seint er den
Kritikern, die ihm die Diskrepanz zwisen seinem Leben und seinem Werk
zum Vorwurf maten, direkt eine Antwort zu geben. Er srieb: «Nit
leisten die Philosophen, was sie sagen»[30] und fügte dann hinzu, andere
Philosophen zitierend, aber in Bezug auf si selbst:
… denn sie alle spraen nit davon, wie sie selbst lebten, sondern wie au sie selbst leben
müten. Über die Tugend, nit über mi spree i, und wenn i gegen die Laster
Seltreden führe, dann führe i sie besonders gegen meine eigenen.[31]
Und im selben Text, mit Bezug auf den zweiten Vorwurf, er lebe im
Wohlstand und spekuliere mit Geld:
Es wird der Philosoph großen Reitum besitzen, aber solen, der niemandem entrien und
nit von fremdem Blut beflet ist, der ohne Unret gegen irgendjemanden und ohne
smutzige Gesäe erworben ist, deen Ausgang so ehrenha sein wird wie sein Eingang,
über den niemand seufzen wird – außer den Böswilligen.[32]
Denno fällt viel Saen auf die Figur Senecas. Was die möglie Parallele
zu Maiavellis Vision Cesare Borgias betri, so laen si ohne weiteres
gewie Übereinstimmungen finden, jedo in einem vollkommen anderen
Kontext. Seneca versute, seinen Prinzen zu formen, zu bilden. Maiavelli
besränkte si darauf, das politise Projekt des jungen Borgia zu
studieren, dieses Sprölings einer furterregenden Familie, über die
Guicciardini gesrieben hae: «Ihre Verstellung und Heuelei war am
römisen Hofe so bekannt, da si darüber ein allgemeines Spriwort
gebildet hae, der Papst tue niemals, was er sage, und der Valentinois sage
niemals, was er tue.»[33] Der Valentinois benutzte seine außergewöhnlie,
mit ungeheurem Zynismus gepaarte Energie, um Stadtstaaten und lokale
Mathaber, Feudalautonomien und kleine Höfe in Zentralitalien zu
unterwerfen, einem Landstri, der infolge ununterbroener Matkämpfe
dauerha von Blut getränkt war. Sein Plan war es, einen großen,
einheitlien, von allgemeingültigen Gesetzen regulierten Staat zu bilden.
Das Ziel war es, das Maiavelli beeindrut hae, nit der Mann, und es
besteht kein Zweifel, da die Zukun Italiens als Nation eine andere, das
Gewit des Landes in Europa ein ganz anderes geworden wäre, wenn es die
politise Einheit bereits im 16. Jahrhundert und nit erst im swaen
19. Jahrhundert erlangt häe.
Die swierige Gemeinsa, zu der si der Philosoph Annaeus Seneca
und der Kaiser Nero zusammenfanden, war jedenfalls zum Seitern
verurteilt. Neros Beziehungen zum Senat sind snell gestört. Mal smieden
die Senatoren im Dunkeln ihre Ränke, mal werfen sie si Nero unterwürfig
zu Füßen. Jede Möglikeit eines eten Dialogs zwisen den beiden
Institutionen ist abhanden gekommen. Seneca begrei na und na, da
seine Arbeit vergebens ist, und besließt im Jahre 62, si ins Privatleben
zurüzuziehen. Seinem Fürsten sagt er: «Aber nun haben wir beide das
Maß erfüllt: du, indem du gespendet hast, soviel der Princeps einem Freund
spenden kann, i, indem i soviel empfing, wie ein Freund von dem
Princeps empfangen konnte.»[34] Er slägt also gewiermaßen ein
freundsalies Arrangement vor. Es wird ihm nit helfen zu überleben.
Drei Jahre später wird er in eine der berühmtesten und komplexesten
politisen Verswörungen der Antike verwielt, in die «Pisonise
Verswörung», mit der eine Gruppe von Angehörigen der römisen
Senatsaristrokratie und von Militärs aus dem Umfeld des Konsuls Gaius
Calpurnius Piso ein Aentat vorbereitete, um si von Nero zu befreien.
Wieder einmal ist Senecas Verhalten von genialer (oder heimtüiser)
Ambivalenz. Zwar nimmt er nit direkt an dem Komplo teil, weist aber
Pisos Gesandten nit zurü und denunziert ihn au nit. Beim Absied
besränkt er si darauf, Piso alles Glü zu wünsen, «im Übrigen hänge
seine eigene Existenz von der Pisos ab».[35] Waren diese wenigen Worte
aulaggebend für sein Verderben? Wahrseinli hat Tacitus ret: Nero
griff die Gelegenheit beim Sopf, um si eines Erziehers zu entledigen, der
ihm inzwisen unerträgli geworden war. Er sit einen Offizier der
Prätorianer zu Senecas Landsitz auf der Via Appia, wo si der Philosoph zu
dieser Zeit auält, mit dem Befehl an Seneca, si das Leben zu nehmen.
Über Senecas Tod hat Tacitus eine seiner denkwürdigsten Seiten gesrieben:
Als er dies und ähnlies, gleisam für die Allgemeinheit berenet, gesproen hae,
umarmte er seine Gemahlin, und weil er jetzt um sie fürtete, etwas weier gestimmt, bat
er sie inständig, ihren Smerz zu mäßigen und si ihm nit ewig hinzugeben, sondern in
der Betratung seines der Tugend gewidmeten Lebens die Sehnsut na dem Gaen dur
tröstende edle Gedanken zu mildern. Seine Frau dagegen beharrte darauf, da au ihr der
Tod bestimmt sei, und forderte die Hand des Mörders. Da sagte Seneca, der ihrem
rühmlien Entslu nits in den Weg legen wollte, zuglei in der Furt, er müe die
von ihm einzig Geliebte Mihandlungen überlaen: «I habe dir die Miel gezeigt, die das
Leben erträglier maen, du ziehst es vor, rühmli zu sterben. I werde diesem deinem
löblien Entslu nits in den Weg legen. Mögen wir beide die gleie feste Haltung bei
diesem tapferen Sterben zeigen und dein Ende rühmlier sein!» Darauf öffneten sie si
beide gleizeitig die Pulsadern. Weil bei Senecas dur Alter und spärlie Nahrung
geswätem Körper das Blut nur langsam abflo, öffnete er au die Adern an den
Senkeln und Kniekehlen. Von sweren Smerzen ersöp, riet er seiner Gain, um nit
ihre mutige Haltung dur seine Smerzen zu ersüern und seinerseits dur den Anbli
ihrer Qualen in einen Zustand des Swawerdens zu verfallen, in ein anderes Gema zu
gehen. Und da ihn au im letzten Augenbli seine Beredsamkeit nit im Sti ließ, rief er
seine Sreiber herbei und diktierte ihnen längere Ausführungen, die im Wortlaut
veröffentlit worden sind, weshalb i mir es erspare, sie umgeformt wiederzugeben.[36]
Paolina, die über alles geliebte Gain, wird später in letzter Sekunde gereet.
Weil aber nie etwas ohne einen Saen oder einen winzigen
Sönheitsfle gesieht, behaupten böse Zungen, da sie nur so getan
habe, als wolle sie sterben, also zum Wohle ihres sterbenden Gaen nur
eater gespielt habe. Üble Narede wahrseinli. Der Philosoph
jedenfalls lät si angesits der Tatsae, da der Tod dur Ausbluten zu
langsam eintri, na dem Vorbild des Sokrates Gi bringen und begibt si
sließli in ein Dampad, wo er erstit. Er wurde 69 Jahre alt.
Nero war Verswörungen gewöhnt. Es verging kein Jahr, in dem ihm
nit von irgendjemandem hinterbrat wurde – sei es, um ihn zu
besützen, sei es, um ihn hereinzulegen –, da da etwas gegen ihn
angezeelt werde. Hauptgarant für seine Sierheit und gleizeitig sehr
wahrseinli selbst Urheber vieler vorgetäuster Komploe war Gaius
Ofonius Tigellinus, ein Sizilianer von einfaer Herkun, der, angeklagt
wegen eines ehebreerisen Verhältnies mit Agrippina, der Swester des
Kaisers, von Caligula ins Exil gesit worden war. Tigellinus war Rom ein
paar Jahre ferngeblieben und hae Renn- und Circuspferde gezütet. Von
Claudius zurügerufen, brate er es bis zum Präfekten der Prätorianer (im
Jahr 62) und wurde dann Neros Günstling. Die Aufdeung und fürterlie
Ahndung der Pisonisen Verswörung war der Höhepunkt seiner
Polizeiarbeit, Aretyp jeder Art von «Staatutz»-Aktionen, der si
spätere Tyrannen so häufig bedienten. Es gab eine ganze Reihe von
Aspekten, die es Nero ratsam erseinen ließen, si einen so gefürteten
Mann an seine Seite zu holen: Jeder Matmens, au wenn er no so
edel ist, braut sließli Handlanger zur Ausführung der Smutzarbeit;
au die Vasallentreue, die Tigellinus seinem Kaiser gegenüber bewiesen
hae, gepaart mit seinem skrupel- und gnadenlosen inquisitorisen
Gesi, spra für ihn. Außerdem teilte er mit seinem Princeps gewie
Laster, darunter an erster Stelle die sexuellen. Mit den Jahren und dem
Fortsreiten seiner Geisteskrankheit praktizierte Nero eine immer
exzeivere, immer krankhaere Sexualität. Sueton erzählt:
Seine verbreerisen Neigungen gewannen jedo immer mehr die Oberhand, und so ging
er allmähli von heimlien Bubenstreien ganz offen zu slimmen Sandtaten über ….
Soo er den Tiber hinab na Ostia fuhr oder am Golf von Baiae vorübersegelte, waren am
Ufer an bestimmten Stellen Pavillons aufgebaut, die zum Verweilen einluden und mit allem
Tafelluxus ausgestaet waren. Vornehme Damen spielten die Wirtinnen und luden ihn bald
hier, bald da zum Landen ein …. Nit genug, da er Verkehr mit freigeborenen Knaben und
mit verheirateten Frauen hae, er tat sogar einer Vestalin mit Namen Rubria Gewalt an ….
Den jungen Sporus ließ er entmannen und versute sogar eine Gesletsumwandlung
vorzunehmen. Er staete ihn mit einer Mitgi aus, ließ ihm den roten Brautsleier umlegen
und vollzog mit ihm feierli die Hozeitszeremonien. Dann ließ er ihn in prätigem Zug
in seinen Palast geleiten und hielt ihn dort wie seine Gemahlin …. Diesen Sporus kleidete er
in den Ornat der Kaiserinnen und ließ ihn in einer Säne herumtragen. Auf den
Festversammlungen und Meen in Grieenland und bald au in Rom auf dem Kunstmarkt
hae er ihn bei si und tauste immer wieder zärtlie Küe mit ihm.[37]
Der arme Sporus wurde mit dem weiblien Spitznamen Sabina bedat.
Und weil er (von der Fortpflanzung abgesehen) in beinahe jeder Hinsit die
weiblie Sexualität abdete, stellten boshae Zeitgenoen fest, wel ein
Segen es für die Mensheit gewesen wäre, wenn son Neros Vater
Domitius si sol eine «Frau» genommen häe. Verhaltenoziologis
betratet würde man heute sagen, da Nero bisexuell war, denn er konnte
mit Männern genauso gut Sex haben wie mit Frauen, und zwar in jeder
Rolle. Wenn man Kriterien der Psyiatrie anlegt, ist jedo klar, da er
unter einer ernsthaen mentalen Störung li, versär dur die
vollkommene Verantwortungslosigkeit und Willkür, die ihm seine Position
erlaubte. Dazu wieder Sueton:
Er prostituierte si selbst in einem solen Ausmaß, da sozusagen keine Körperstelle an
ihm mehr ohne Makel war. Und endli date er si ein besonderes Spiel aus. Er slüpe
in ein Tierfell und stürzte si aus einem Käfig heraus auf die Samteile von Männern und
Frauen, die man an Pfählen festgebunden hae. Wenn er genug gewütet hae, ließ er si
von seinem Freigelaenen Doryphoros «fertigmaen». Ähnli wie er den Sporus zur Frau
genommen hae, hae er si diesem vermählt, wobei er die Rolle der Frau spielte und sogar
das Sreien und Wehklagen vergewaltigter Jungfrauen naahmte.[38]
Sueton tendiert generell zu Klats und Trats, do nit einmal er häe
si Szenen wie diese ausdenken können, wenn es nit irgendeinen
Ansatzpunkt in der Wirklikeit gegeben häe. Glei na dem Sex kam bei
Nero die Lust an exzeiven Tafelfreuden, wobei er die berühmte (oder
berütigte) römise Kokunst ins Extrem trieb. Marcus Gavius Apicius,
im 1. Jahrhundert n.Chr. ein berühmter römiser Feinsmeer und Ko,
hat uns die zehn Büer De re coquinaria (Über die Kokunst) hinterlaen;
Petronius, der elegante Arbiter, seinen hinreißenden Roman Satyricon.
Die Hauptmahlzeit der Römer war die cena, das Abendeen, das in den
ersten Stunden unseres pomeriggio (namiags, zur neunten Stunde:
zwisen 14.30 und 15.45 Uhr im Sommer) stafand und bis zum
Sonnenuntergang dauern konnte, bis Miernat oder (bei Petronius) sogar
bis zur Morgendämmerung. Der gesamte Tagesablauf ritete si na dem
Sonnenlit – was am Mangel an künstlien Beleutungsmieln lag –,
zumindest für die gemeinen Bürger. Der Römer stand im Sommer gegen vier
Uhr morgens auf, im Winter gegen sieben Uhr. Der Tag war (na unseren
Maßeinheiten) in die zwölf Stunden zwisen dem Sonnenaufgang und
Sonnenuntergang aufgeteilt. Wer es si erlauben konnte (gewi nit die
Armen und die Sklaven), verzehrte die Mahlzeit halb liegend auf dem
triclinium, einer leit gewölbten Liege, auf der si der Tisgast
autrete und mit dem linken Arm abstützte, die Füße (die ihm ein Sklave
vorher vom Staub der Straße gereinigt hae) nat, die Frau (Ehefrau oder
Geliebte) an der Seite des Mannes. Auf der Vorderseite der Toga wurde eine
Serviee befestigt, um diese vor Fleen zu sützen. Gabeln waren
unbekannt, man benutzte die Finger, um die Speisen aus den Süeln zu
nehmen, die auf der Tafel standen oder na mediterranem, von
Grieenland bis zu den arabisen Ländern verbreitetem Brau von den
Sklaven herumgereit wurden. Es gab aber Löffel und Zahnstoer aus
Elfenbein, Silber und Gold. Na jedem Gang braten die Diener den
Tisgästen Krüge, aus denen sie ihnen leit parfümiertes Waer über die
Finger goen. Aufgrund der außergewöhnlien Dauer der Mahlzeit
konnten die Tisgäste, wenn nötig, ihre Notdur au bei Tis verriten.
Auf Kommando näherte si ein Sklave mit einem Urinal aus Silber oder
Bronze. Für die größeren Gesäe war direkt vor dem Speisesaal Vorsorge
getroffen. Petronius erzählt in einer Szene seines Romans, wie der Hausherr
Trimalion, ein neureies Großmaul, na Verritung seines Gesäs
wieder in den Saal kommt und sagt, während er si die Hände abspült:
Verzeiht mir, liebe Freunde, son seit vielen Tagen will mein Bau nit mehr, und die
Ärzte sind ratlos. Aber Granatapfelsale hat mir sließli geholfen, dazu ein Absud von
Kienspan in Eig; so hoffe i, da mein Bau wieder wie früher gehorsam wird. … Wenn
also einer von eu sein Gesä verriten will, braut er si nit genieren: keiner von
uns ist ohne Öffnungen geboren. I glaube, es gibt keine größere Qual, als es einzuhalten.
Das ist das einzige, was selbst Jupiter nit verbieten kann. … Selbst bei Tis verbiete i
keinem, zu tun, was ihn erleitert; die Ärzte sagen ja, man soll’s nit einhalten. Und wenn
ihr ein größeres Gesä habt, steht draußen alles bereit: Waer, Naöpfe und sonstige
Kleinigkeiten. Glaubt mir: wenn der Dunst ins Gehirn steigt, leidet der ganze Leib am Flu.
Viele, das weiß i, sind umgekommen, weil sie etwas Natürlies nit wahrhaben wollten.
[39]
Während der endlosen Bankee wurde viel gegeen und getrunken; der
Wein hae einen sehr viel niedrigeren Alkoholgehalt als heutzutage,
Trunkenheit bei Tis war selten. Häufiger waren Symptome von
Verdauungtörungen, denen man, ohne si von der Tafel zu entfernen,
dur diskretes Erbreen in extra dafür vorgesehene Behälter begegnete, die
von den Sklaven flink angereit wurden. Die Dauer des Bankes hae au
mit der Langsamkeit der Bedienung und des ganzen Ablaufs zu tun.
Zwisen den Gängen ließ der Gastgeber die Tisgäste dur versiedene
Darbietungen unterhalten: Musiker, Feuersluer, Zauberer, Tänzerinnen,
die au aufreizende Bewegungen zu maen wuten. Ein weites Feld, das
eigentli größere Beatung verdient, dies aber ist ein Kapitel über Nero.
Also zurü zu ihm, wobei i mi auf zwei oder drei Hinweise oder
Anekdoten besränke, die so intereant oder so amüsant sind, da i sie
einfa nit unterslagen kann.
Eines der Glanzliter der römisen Küe war eine garum genannte
Sauce, die man ohne Übertreibung als ekelha bezeinen kann. Sie wurde
hergestellt, indem man in eine Dreißig-Liter-Amphore abweselnd je eine
Sit aus feem rohem Fis (Las, Aal, Sardinen) und eine aus
aromatisen Kräutern (Anis, Koriander, Fenel, Minze, Oregano etc.) legte.
Die Sauce bestand aus der Flüigkeit, die si na einigen Woen auf dem
Boden des Gefäßes absetzte. Apicius höstpersönli, der ganz wild dana
war, hae ein Rezept gefunden, wie man die Penetranz des garum-Gerues
ein wenig abswäen konnte, denn im Endeffekt handelte es si um
flüige Verwesungsrüstände, eine Jaue. Do laen wir garum beiseite
und sauen uns lieber an, wele Höhen raffinierter Verarbeitung eine
Speise erreien konnte, wie es im Satyricon erzählt wird:
Soglei trug man eine Plae herein; auf der lag ein enormes Wildswein, das no dazu
eine phrygise Freiheitskappe trug. An seinen Hauern hingen zwei aus Palmbläern
geflotene Körben, wovon das eine mit nuförmigen Daeln, das andere mit Daeln aus
eben gefüllt war. Herumgelegt waren kleine Sweinen aus Kuenteig, so angeordnet,
als ob sie an den Eutern lägen, womit angedeutet war, daß es si um eine Bae handelte.
Diese Sweinen waren Gesenke zum Mitnehmen. Zum Tranieren der Wildsau kam
nit jener Campus herein, der das Geflügel zerhat hae, sondern ein Riesenkerl mit Bart,
die Beine mit Binden umwunden; er trug einen kurzen Jagdmantel aus buntgewebtem
ägyptisen Damast. Er zog einen Hirsfänger und stieß ihn mit aller Gewalt dem
Wildswein in die Flanke: da flogen Droeln aus der Wunde heraus. Vogelfänger standen
son mit Leimruten bereit und fingen die dur den Saal flaernden Vögel soglei ein.
Trimalio ließ jedem Gast seinen Anteil davon servieren und fügte hinzu: «Nun könnt ihr
sehen, was für prima Eielmast diese Wildsau gefreen hat.» Glei gingen au Bursen
an die von den Hauern herabhängenden Körben heran und verteilten zum Takt der Musik
die beiden Daelarten unter die Gäste.[40]
Die zweite Szene – als reines freizügiges divertimento – besreibt eine
Situation von ungebremster, des 18. Jahrhunderts würdiger Libertinage. Um
den Vorgang beer zu verstehen, mu man die Vorgesite kennen: Eine
Dame namens Philomela, die in ihrer Jugend eine ausgefuste
Erbsleierin gewesen war, ist in die Jahre gekommen und entwielt ihr
altes Gewerbe weiter. Sie prostituiert ihre beiden Kinder, eine Toter und
einen Sohn. Sie bringt also diese Kinder in das Haus eines gewien
Eumolpus, der aus naheliegenden Gründen so tut, als sei er von der Git ins
Be gefeelt, und überlät sie ihm. Dann entfernt sie si.
Eumolpus, der so keus war, da sogar i ihm wie ein Lustknabe auah, lud ohne
Aufsub das Mäden zum gymnastisen Spiel besonderer Art ein. … Da er aber aller Welt
gesagt hae, er habe die Git und sei nierenleidend, so häe er unser ganzes Spiel in Gefahr
gebrat, wenn er den Betrug nit aufreterhalten häe. Um daher seine Täusung au
weiterhin beizubehalten, bat er das Mäden, si rilings auf seine ihr unlängst empfohlene
Güte zu setzen, dem Diener Corax gebot er jedo, unter das Be, in dem er lag, zu krieen
und, auf Hände und Füße gestützt, seinen Herrn in Bewegung zu bringen. Der Diener
gehorte dem Befehl, anfangs langsam, und hielt mit den Bewegungen des Mädens in
gleiem Rhythmus Sri. Als es nun zum Höhepunkt kam, rief Eumolpus dem Corax mit
lauter Stimme zu: «Ma sneller!» So amüsierte si der alte Herr zwisen seinem Diener
und seiner kleinen Freundin gleisam wie auf einer Saukel. Das hae Eumolpus bereits
zweimal getan, wobei alles vor Laen brüllte, au er nit ausgenommen. Da i nun nit
dur Untätigkeit ganz aus der Übung kommen wollte, mate i mi an den jungen
Bruder heran, der dur das Slüello die Balancekünste seiner Swester bewunderte,
und wollte herausfinden, ob er si etwas gefallen ließe. Es entzog si au der erfahrene
Knabe keineswegs …[41]
Au wenn es Sueton nit ausdrüli gesrieben hat, ist es klar, da
Nero immer wieder sole Szenen, sole Gastmähler gesehen oder an ihnen
teilgenommen haben mu.
Unter den Frauen des Kaisers gebührt Poppaea Sabina eine herausragende
Position, son aufgrund der abenteuerlien Anfänge ihrer Beziehung zu
Nero: verheiratet mit einem anderen, Ehebreerin zuerst mit Neros Protegé,
dem sönen Otho, dann mit Nero selbst. Eine ebenso anrüige wie
komplizierte Affäre, an deren Ende si Poppaea matvoll in den
kaiserlien Palästen niederlät. Nero ist von ihr derart abhängig, da er
seine Ehefrau Octavia zunäst verstößt und naträgli eine abseulie
Verswörung anzeelt. Tacitus:
Poppaea …, die son lange die Geliebte Neros gewesen war und ihn als Ehebreer und
dann als Gaen beherrste, veranlate einen von Octavias Dienern, diese eines
Liebesverhältnies zu einem Sklaven zu bezitigen. … Peinlie Befragungen der Mägde
Octavias darüber fanden sta, wobei einige si unter den sweren Folterungen dazu
bewegen ließen, die falsen Besuldigungen anzuerkennen. Die Mehrzahl beharrte dabei,
die Unbesoltenheit ihrer Herrin zu beteuern. Eine von ihnen antwortete dem Tigellinus auf
sein Drängen: «Octavias Sam ist keuser als dein Mund.»[42]
Octavia nimmt das elende Ende vieler Feinde Neros: An einen entlegenen
Ort ins Exil verbannt, wird sie von den Prätorianern erstit, nadem ihr an
Armen und Beinen die Adern geöffnet wurden. Ihr abgesnienes Haupt
wird na Rom gesandt, damit der Souverän persönli den Vollzug der von
ihm befohlenen Exekution zur Kenntnis nehmen kann. Poppaea ist nun die
wahre Herrserin, Söpferin und Animateurin eines Luxus-Ambientes
ohnegleien. Augustus und Tiberius haen Pratentfaltung vermieden;
Caligula war gestorben, bevor er au nur einen Bruteil seiner
größenwahnsinnigen Träume hae verwirklien können; mit Claudius
hae das Palastleben einen eher «bürgerlien» Stil angenommen. Und die
arme Octavia, in die zweite Reihe gestellt, ungeliebt von ihrem Gaen, hae
nit einmal im Ansatz die Möglikeit gehabt, dem Hofleben ein eigenes
Gepräge zu verleihen.
Mit Poppaea halten erstmals Pomp und Raffinee Einzug in Neros Leben.
Der Kaiser ist ihr dankbar dafür, er fängt an, Verse zu diten: auf ihre
langen, goldblonden Haare, ihre hell leutende Haut. Die römisen Frauen
spreen von nits anderem mehr: diese Haare, der Glanz dieser Haut. Man
versut, ihr Geheimnis zu ergründen, man klatst und tratst, was das
Zeug hält, lustvoll wird auf jedes Detail ihrer Exzee eingegangen. Plinius
der Ältere sreibt in seiner Storia naturale, die söne und kapriziöse
Kaiserin habe bei jeder Reise 500 Eselinnen im Gefolge gehabt, in deren
Mil sie badete, um ihrer Haut die unvergleilie Helligkeit und Frise
zu verleihen. Juvenal versiert, sie habe, um ihr Gesit vor dem Kontakt
mit den Unreinheiten der Lu zu sützen, eine Maske benutzt.
Wahrseinli handelte es si dabei um eine feige und regenerierende
Paste, die Poppaea abends auf Gesit und Körper applizierte und morgens
weder entfernte, womit sie eine Prozedur der modernen Kosmetik
vorwegnahm.[43]
Trotz dieser offenkundigen Selbstverliebtheit und der damit verbundenen
Zeitverswendung war Poppaea eine intelligente und bewut lebende Frau.
Flavius Josephus versiert in seinen Antiquitates Judaicae (Jüdise
Altertümer, au unter dem Titel Jüdise Aräologie ersienen), sie sei
eine «goesfürtige Frau» gewesen, und er besreibt sie als eine
Sympathisantin der jüdisen Kultur. Kaum mehr als Andeutungen, Gerede.
Im Laufe der Zeit wandelte si ihr positives Image allerdings ins genaue
Gegenteil. Zum Beispiel wurde behauptet, sie sei es gewesen, die na dem
berühmten Brand Roms den Volkszorn auf die Christen gelenkt habe.
Anderen Zeugnien zufolge soll si Poppaea jedo, neugierig und
sarfsinnig, wie sie war, ganz besonders intereiert am Christentum
gezeigt haben, angezogen offenbar von der Exzentrik einer Religion, die
einen obskuren gekreuzigten Verbreer zu ihrem Go erkoren hae.
Wir wien nit, wie viel Wahrheit in diesen Beriten stet, aus
welen Motiven oder Intereen heraus sie verbreitet worden sein mögen.
Übereinstimmend aber sind die Auagen der Chronisten darüber, da das
Christentum son im Geburttadium lebhae Neugier und eine
beträtlie Unruhe erzeugt hat. Wie viele andere ist die neue Religion aus
dem Orient gekommen. In den Jahren, über die wir spreen, hat sie no
keine ausgeprägte Physiognomie, besitzt aber Charakteristika, die ihre
Ausbreitung bei den unteren Siten, bei den Sklaven und den Soldaten
erleiterte, wie es im Übrigen aus ähnlien Gründen au der Religion des
Goes Mithras ergangen war. Das Christentum aber erreit gleizeitig
au die hohen Siten der römisen Gesellsa und kann na und
na sogar auf Anhänger in Kreisen renen, die dem Kaiserthron
nahestehen.
Zurü zu Poppaea. Seit ihrer Heirat mit Nero blieb diese Frau von
unbeständiger und abenteuerlier Vergangenheit dem Kaiser treu, was aber
au sie vor einem tragisen Ende mit kaum 35 Jahren nit bewahren
konnte. Sie starb ganz plötzli. Es wurde gemunkelt, sie sei von ihrem
Gaen vergiet worden. Es wurde au gesagt, Nero habe sie bei einem
Zornausbru mit Fußtrien aaiert, und die damals Swangere sei daran
gestorben. Man vermutete au eine fatale Frühgeburt aufgrund der
Ersöpfung dur die ununterbroenen Festivitäten, an denen sie
gezwungenermaßen teilnahm. Was au immer die Ursae ihres Todes war,
der Kaiser befahl grandiose Begräbniszeremonien. Ihr Leinam wurde in
feierlier Prozeion zum Forum gebrat, der Kaiser persönli hielt, auf
derselben Rednertribüne, von der aus Antonius die Grabrede für Caesar
gehalten hae, die laudatio. Ihr Leinam wurde nit auf dem
Seiterhaufen verbrannt, sondern einbalsamiert. Plinius zufolge soll Nero
bei dem Begräbnis mehr Weihrau geopfert haben, als ganz Arabien in
einem Jahr liefern konnte, um dur ihre Einbalsamierung seinen Traum zu
erfüllen: ihre Sönheit zu erhalten.
Mit dem berühmten und in vieler Hinsit rätselhaen Brand von Rom im
Jahre 64, einem kapitalen Ereignis in der Gesite der Stadt und im Leben
Neros, werden die Christen zum ersten Mal Protagonisten und Opfer der
kriminellen Szene Roms. Es ist mien im Sommer und es herrst eine große
Hitze. Nero, der sehr di geworden ist, leidet darunter ganz besonders.
Zwisen ein und zwei Uhr morgens am 19. Juli kommt atemlos ein
Amtsdiener na Antium geprest, wo der Kaiser seine Sommerfrise
verbringt, und teilt mit, da der Circus Maximus brenne und die Flammen
sogar die Kaiserpaläste bedrohten. In der Tat war das Feuer in der
Ansammlung übereinandergebauter, ineinander versatelter, meist von
grieisen und asiatisen Händlern zuglei als Wohnung und Laden
genutzter Häusen, Buden und kleiner Kaufläden direkt am Circus
Maximus ausgebroen. Nero eilt im Galopp herbei und erreit Rom gerade
no retzeitig, um das gesamte Stadtgebiet als Flammenmeer zu erleben
und seine eigene Domus transitoria (von Sueton als «Durgangshaus»
bezeinet, weil Nero seinen Palast auf dem Palatin dur einen Portikus mit
den Parkanlagen des Maecenas verbunden hae) in Ase versinken zu
sehen.
Ses Tage braute man, um dem Feuer Einhalt zu gebieten, wobei man,
um den Flammen die Nahrung zu entziehen, so weit ging, präventiv weitere
Gebäude einzureißen. Wohnungen und Läden, Tempel und heilige Stäen
brannten nieder, au das Heiligtum der Vesta, in dem die Penaten des
römisen Volkes auewahrt wurden. Zahllose Meisterwerke der
grieisen Kunst und «antike Werke»[44] wurden zerstört. Wenige Tage
später wütete, als Folge des ersten, ein zweiter Brand in einem Stadeil, den
man im heutigen Rom in dem Dreie zwisen Piazza del Popolo, dem
Montecitorio und der Villa Medici ansiedeln kann. Mehr als ein Zehntel des
gesamten Stadtgebietes ging in Rau und Flammen auf, einsließli des
Forums südli der Via Sacra.
Wie ein Lauffeuer verbreitet si das Gerüt, es sei Nero gewesen, der
den Brand in Aurag gegeben habe, und mit soler Wut, da die
Behauptung von vielen ernstzunehmenden Zeugen aufgenommen und
weitergegeben wird. Plinius der Ältere notiert in seiner Storia naturale
flütig, aber so, als sei es eine gesierte Information: «Nero hat Rom in
Brand gesetzt.» Auf der gleien Linie liegt Caius Dio: «Er wollte einen
Gedanken verwirklien, den er son immer gehegt hae: no zu
Lebzeiten ganz Rom und das Imperium zu zerstören.» Tacitus sprit ein
knappes halbes Jahrhundert na den Ereignien zwar von einem «…
Unglü, bei dem es ungewi ist, ob es auf Zufall oder auf die Heimtüe
des Princeps zurüzuführen war»,[45] fügt aber hinzu, da diejenigen, die
versut häen, den Brand zu lösen, mit Drohungen immer wieder von
Leuten daran gehindert wurden, die ganz offen Feuerbrände warfen und
dabei ausriefen, sie führten nur Befehle aus. Sueton ist sehr viel expliziter.
Ihm zufolge setzte Nero Rom so unverhohlen in Brand, da viele Männer
von konsularisem Rang, die seine Kammerdiener mit Pekränzen und
Faeln auf ihren Grundstüen ertappt haen, nit wagten, ihnen
entgegenzutreten.
Wozu aber sollte si der Kaiser, selbst wenn man annehmen mu, da er
geistesgestört war, mit einem so «unpolitisen» Verbreen dieses
Ausmaßes belasten? Der Beweggrund war Tacitus zufolge sein Wahn,
Gründer einer neuen, sehr viel söneren Stadt als der bereits existierenden
zu werden, deren Name für immer an ihn erinnern sollte: Neropolis. Tatsae
ist, da der Kaiser beim Wiederauau einige urbane Verbeerungen
vorslug, etwa die Verbreiterung der Straßen, die Regelmäßigkeit der
Häuserreihen, die Begrenzung der Gebäudehöhe als Sutz gegen künige
Brände. Caius Dio und Sueton teilen die Vermutung des Tacitus: In seinem
Wahn neidete der Kaiser dem Priamus das sublime Vergnügen, dem
Untergang und der Zerstörung seiner Stadt und seines Reies beigewohnt
zu haben. Diese Chronisten, die alle keine direkten Zeitzeugen waren,
überliefern, da der Kaiser, während das Feuer wütete, entweder von der
«Bühne seines Palastes» (Tacitus) oder «vom Turm des Maecenaspalastes»
(Sueton) oder «von der Anhöhe des Palatins» (Caius Dio), in sein üblies
eaterkostüm gekleidet, das Haupt von Lorbeer bekränzt, eine
Gesangzene über den Untergang Trojas vortrug und dabei das si vor
seinen Augen abspielende Unglü mit der längst vergangenen Katastrophe
vergli. Weit verbreitet und von einer gewien Plausibilität war die
Vermutung, der Brand habe dem Kaiser dazu gedient, das Gebiet
freizumaen, auf dem er seinen pratvollen «goldenen» Palast bauen
wollte. Ein intereantes, wenn au der Phantasie entsprungenes Porträt ist
das des polnisen Sristellers Henryk Sienkiewicz (Nobelpreis für
Literatur 1905) in seinem berühmten Werk Quo vadis?, mit dem Untertitel
«Roman aus dem Zeitalter Neros». Der Nero des Autors Sienkiewicz ist ein
von den Trivialitäten der Welt terrorisierter Ästhet, ein Mann, der im Guten
wie im Bösen nur Exzee kennt. Der über si selbst sagt:
«I weiß, man hält mi für wahnsinnig. Aber i bin nit wahnsinnig, i sue nur! I
sue! … und deswegen will i mehr sein als ein Mens, denn nur auf diese Weise kann i
als Künstler der größte sein … oh, wie vulgär wird die Welt sein, wenn i nit mehr bin.
[46]
Unabhängig davon, ob der Brand Roms nun Neros Werk war oder nit,
sier ist, da profeionelle «Brandstier» auf friser Tat ertappt wurden,
finstere, im alten Rom wohlvertraute Figuren, wie man aus den strengen
Strafen für dieses Delikt sließen kann. Die grausamste sah vor, da der
Brandstier, umhüllt von einer mit leitentflammbarer Flüigkeit
getränkten Tunika, lebendig verbrannt wurde. In seiner XIII. Satire
beswört Juvenal die zwielitige Figur des «gedungenen
Meuelmörders», der «vorsätzli mit Swefel» Brände legt.[47] Ein
weiteres Beispiel ist die Verswörung des Catilina, bei der das Signal zum
Beginn des Staattreis dur das Entzünden von Bränden gegeben wurde.
Es ist aber gerade die Verbreitung und Gewöhnlikeit dieses Vergehens und
die Leitigkeit, mit der man es in einer Stadt mit engen Straßen und
überwiegend Holzhäusern begehen konnte, die au die Gegenthese
plausibel erseinen lät: Irgendjemand organisierte einen breit angelegten
Brand, um ihn dann dem Kaiser in die Suhe zu sieben. Mit anderen
Worten: Au der Brand könnte eine der vielen gegen Nero angezeelten
Verswörungen sein.
Politis überlebt Nero die Katastrophe, obwohl ihn der Nahall des
Ereignies verfolgt, selbst im Abstand von Jahrhunderten. In den ersten
Jahren des Christentums ist die Populärliteratur voll von seinen Mietaten,
und no im 6. Jahrhundert sreibt ein Moralist wie Henning Boëthius in
seiner Consolatio philosophiae (Der Trost der Philosophie): «Jeder kennt das
srelie Wüten Neros, der die Hauptstadt verbrannte …»[48]
Sein Freigelaener Phaon bot ihm sein Landgut an, das in der Nähe der Stadt zwisen der
Salarisen und der Nomentanisen Straße etwa am vierten Meilenstein gelegen war. So
wie er war, barfuß und nur mit einer Tunika bekleidet, warf er einen alten, verblienen
Mantel über und zog die Kapuze über den Kopf, band si ein Tu vors Gesit und sprang
aufs Pferd, nur vier Leute begleiteten ihn, darunter Sporus.[51]
Und son sprengten die Reiter heran, die den Befehl haen, ihn lebend zu fangen. Als er sie
kommen hörte …, stieß er si den Dol in die Kehle, wobei ihm sein Kabineekretär
Epaphroditus Hilfestellung leisten mute. Er war son fast tot, als der Centurio
herbeistürzte und seinen Mantel auf die Wunde prete, um ihn glauben zu maen, er sei
ihm zu Hilfe gekommen. Da konnte er no die Worte hervorbringen: «Zu spät!» und: «Das
ist Treue!» Mit diesen Worten starb er, während ihm zum saudernden Entsetzen der
Umstehenden die Augen weitgeöffnet aus den Höhlen traten.[52]
II. DIE HELLEBARDIERE DES PAPSTES
DIE SCHWEIZERGARDE –
DIE KLEINSTE UND ÄLTESTE ARMEE DER WELT
A
M ABEND DES 4. MAI 1998 werden im Inneren der vatikanisen
Mauern, in einem Appartement direkt unter den Privatgemäern des
Papstes, drei Leien entdet: zwei Männer und eine Frau, getötet dur
Pistolensüe.
Drei morti eccellenti – «exzellente», prominente Tote also, keine
Normalsterblien: Oberstleutnant Alois Estermann, 44 Jahre alt,
Kommandant des päpstlien Armeekorps, Chef der berühmten
Sweizergarde. Ein sehr stalier Mann, dem seine Ernennung erst wenige
Stunden zuvor mitgeteilt worden war. Auf den Boden gerutst, mit dem
Oberkörper an eine Wand gelehnt seine Frau Gladys Meza Romero, 49 Jahre
alt, aus Venezuela stammend und Diplomatin an der Botsa der
Bolivarisen Republik Venezuela am Heiligen Stuhl. Auf dem Boden
ausgestret, wie der Oberstleutnant, Vizekorporal Cédric Tornay, der
jüngste der drei, geboren am 24. Juli 1974 in Monthey (Sweiz), also 24
Jahre alt.
Der Mord an diesen drei Personen stürzt den Vatikan ins Chaos, allerdings
nur für kurze Zeit. No in derselben Nat wird der Fall abgesloen,
au wenn die Ermilungen no neun Monate weitergehen werden. Die
Gerüteküe aber brodelt weiter, vor allem außerhalb Italiens. Es gibt zu
viele Lüen, zu viele Einzelheiten des Verbreens stehen im Widerspru
zur offiziellen Version, und folgli bleiben eine Menge Zweifel und Fragen,
auf die es keine Antwort gibt.
Über diesen Dreifamord werden Ströme von Tinte vergoen. Der
Sauplatz des Verbreens und die Identität der Opfer regen die Phantasie
von Journalisten und Autoren an. Sließli gehörten die beiden Soldaten
aus der Sweiz zum ältesten und angesehensten päpstlien Wakorps:
hundert handverlesene Soldaten, die seit Jahrhunderten die Sierheit des
Heiligen Stuhls, die Unversehrtheit des Pontifex und die
Zugangsbesränkungen an den vatikanisen Mauern garantieren. Son
Tacitus äußerte si anerkennend: «Die Helvetier sind ein Volk von
Kriegsleuten, deen Soldaten für ihre Kriegstütigkeit weithin bekannt
sind.»
Dieser vatikanise Kriminalfall hat nie eine befriedigende Aulärung
gefunden. Nur zwei Gewiheiten gibt es zu diesem Dreifamord: da
erstens die offizielle Version mit Sierheit nit mit der realen Dynamik des
Tathergangs übereinstimmt; da zweitens Cédric Tornays Muer trotz ihrer
wiederholten Bisrien an den Papst nit der geringste Trost zuteil
wurde, den au jedes elementare Gefühl des Mitleids häe geboten
erseinen laen; ganz zu Sweigen driens von einer glaubhaen
Antwort auf ihre beretigten Fragen. Muguee Baudat, so ihr Name, hat
si mit der offiziellen Version des Tathergangs begnügen müen, der
zufolge ihr Sohn Cédric das Ehepaar Estermann umgebrat und
ansließend Selbstmord begangen habe.
Diese Version war den Medien vom vatikanisen Preespreer Joaquín
Navarro-Valls geliefert worden, einem ehemaligen spanisen Journalisten,
Mitglied des Opus Dei, und zwar bereits wenige Stunden na der Tat. Na
seiner Rekonstruktion des Verbreens hat si Vizekorporal Tornay für die
Verweigerung einer von ihm erwarteten Auszeinung (der
Verdienstmedaille Benemerenti) am Kommandanten gerät und ihn in
einem außer Kontrolle geratenen Wutanfall gemeinsam mit seiner Ehefrau
ersoen. Aufgewühlt habe er si ansließend selbst getötet. Der
Preespreer fügte hinzu, der junge Mann habe an psyisen Störungen
gelien und Drogen (Cannabis) genommen. Die später vorgenommene
Autopsie wird in seinem Hirn einen Tumor feststellen, der seinen ohnehin
angeslagenen psyisen Zustand no verslimmert haben soll. Am
Ende seiner Rekonstruktion der Fakten wird Navarro-Valls wörtli sagen:
«I glaube nit, da die Autopsie andere Ergebnie zutage fördern wird
als die Ihnen heute unterbreiteten.»
Am 5. Februar 1999 stellte Retsanwalt Gianluigi Marrone, der im
Vatikan als Einzelriter fungierte, in einem Dekret fest: «In der
Überzeugung, da die auf der Grundlage der in der Untersuung
gesammelten Fakten gezogenen Slufolgerungen des Staatsanwaltes zu
teilen sind, wird … als Folge des Ablebens von Oberst Alois Estermann, Frau
Gladys Meza Romero (verh. Estermann) und Vizekorporal Cédric Tornay
kein Strafverfahren eröffnet. Die Akten sind zu arivieren.»[1] Was die
wiederholten Bigesue Madame Baudats angeht, wird der Preespreer
sagen: «I verstehe und respektiere den Smerz der Muer, die Teilhabe an
ihrem Smerz mu si aber mit der skrupulösen Respektierung der
Wirklikeit, wie sie dur einen langen und sorgfältigen
Untersuungsberit belegt wird, vereinbaren laen.»
Man mu Bellis originales Romanesco ein wenig abmildern, um die biige
Ironie seiner Komposition verständli zu maen. Der Diter hae
jedenfalls ins Swarze getroffen. Im Notfall garantierte der etwa 800 Meter
lange Laufgraben dem Papst und seinem Gefolge dur einen gesützten,
erhöhten Gang den Umzug vom Vatikan in die Festung. Es war Papst
Nikolaus III. (1277–1280), der si 1277 diese Verwendung der von seinem
fernen Vorgänger Leo IV. erbauten Mauer ausdate. Einen der
dramatissten Notfälle gab es, wie wir glei sehen werden, im Mai 1527.
Die Trae der Leoninisen Mauer bildete vor und na den
versiedenen Erweiterungen die Form eines Hufeisens: Ausgehend vom
Hadrian-Mausoleum (später: Castel Sant’Angelo), das son im
9. Jahrhundert als Kastell genutzt wurde, zog sie si den Vatikanhügel ho
und führte vom Gianicolo wieder hinunter zum Tiber. An der Basis war
diese Mauer vier Meter di, zwölf Meter ho und na römisem Muster
von vierundvierzig Türmen und einigen Toren dursetzt, die zum Großteil
no heute vorhanden sind: Das dem Castel Sant’Angelo am nästen
liegende Tor, das zunäst den Namen Posterula Sancti Angeli erhielt, wurde
später zur Porta Castello; bei der Chiesa di San Pellegrino befand si die
Porta Sancti Peregrini, später au Porta Viridaria oder Porta Sancti Petri
genannt (no heute sitbar hinter dem reten Flügel der Bernini-
Kolonnaden, in der Neufaung von Papst Alexander VI. von zwei Türmen
bewat). Sließli öffnete si na Trastevere, bei der Kire Santo
Spirito in Saia, die Posterula Saxonum, die später zur heutigen Porta Santo
Spirito wurde. Die alten Quellen nennen au ein na Cornelia oder Aurelia
benanntes Tor, das wahrseinli mit der Porta Sancti Petri identis ist.
Im päpstlien Rom bildete die Città Leonina (die Leoninise Stadt, au
Leostadt) eine Bastion zur Verteidigung der päpstlien Monarie. Na der
Rükehr aus der avignonesisen Gefangensa, die von 1309 bis 1377
gedauert hae, wurde den Päpsten nämli klar, da der Vatikan beer zu
verteidigen war als der Lateran, ihre ursprünglie Residenz, nit zuletzt
dank der außerordentlien Festung, die Castel Sant’Angelo darstellte. So
mate man si also daran, innerhalb des Leoninisen Mauergürtels neue
Gebäude zu erriten und zu befestigen. Die Mauern wurden instandgesetzt,
verbreitert, verstärkt, und um den neuen militärisen und bautenisen
Anforderungen zu entspreen, wurden weitere Tore geöffnet. Die Mauern,
von denen das Staatsgebiet der Città del Vaticano (mit den Kolonnaden)
heute umfat wird, sind von Papst Paul III. (1534–1549) – mit Mielangelo
als dem Aritekten der erste Bastion – und von Papst Urban VIII. (1623–
1644) in Aurag gegeben worden.
Auf einem Plan von Mariano Vasi aus dem 18. Jahrhundert (Vetus Planum
Urbis Romae) sind die Haupore zu sehen: Porta San Petri, die später dur
Porta Castello ersetzt wurde; Porta San Pellegrini: zwisen diesem Tor und
Castel Sant’Angelo verläu der Passetto; Porta Pertusa, das nördliste, vom
Bastione di San Giovanni gesützte Tor: fast immer zugemauert, hier hielt
Christina von Sweden ihren Einzug; Porta Fabrica (au Porta Fornacum
genannt), die, wie der Name son sagt, der Anlieferung von Baumaterial
diente; Porta Turrionis, später wegen der nahegelegenen Kaserne Porta
Cavalleggeri genannt, ist heute abgerien, do hat die Stelle, wo sie einst
stand (und wo man no die Reste des Turrione sehen kann), bis heute
diesen Namen behalten. Hier braen 1527 die Landsknete Karls V. ein;
Porta Santo Spirito, die in der heute existierenden Form von Antonio da
Sangallo dem Jüngeren gestaltet wurde.
Am äußersten Ende des Passetto, gegenüber der Piazza San Pietro, beginnt
die Via di Porta Angelica. In vergangenen Zeiten führte diese Straße, wie ihr
Name andeutet, zur Porta Angelica. Als eine Folge des Konkordats, das au
unter der Bezeinung Conciliazione (Versöhnung) bekannt ist, wurde an
der linken Straßenseite entlang eine moderne Mauer gebaut, wie eine
regelrete Grenze zwisen zwei Staaten. Hier befindet si heute Porta
Sant’Anna, der einzige Eingang zum Vatikan für Besuer, aber au für
viele Vatikanbürger. Wer kein Eingangsvisum hat, sollte allerdings gar nit
erst versuen, diese Swelle zu übersreiten. Als Kontrollposten an dem
Tor dienen seit mehr als einem halben Jahrhundert die päpstlien Soldaten,
die Hellebardiere des Papstes. Oder beer: die Sweizergarde.
Und damit sind wir wieder bei unserem ema, den außergewöhnlien
Abenteuern der ältesten Armee der Welt, außerdem der einzigen auf der
Grundlage eines religiösen Glaubens gebildeten. Abgesehen von den beiden
im 19. Jahrhundert gegründeten und später wieder aufgelösten pontifisen
Korps (der Guardia nobile von Pius VII. und der Guardia palatina zu Ehren
von Pius IX.) gab es no die Korsise Garde. 1528 nämli nahm
Clemens VII. (1523–1534) zu seiner eigenen Sierheit seshundert
korsise Soldaten in Sold. 1637 wurde das Kontingent halbiert und 1662
infolge der Zusammenstöße zwisen den Korsen und den Männern des Duc
de Créqui, seinerzeit französiser Botsaer in Rom, aufgelöst.
Die Päpstlie Sweizergarde dagegen hat ihren Ursprung offiziell 1506,
im Rom der Renaiance, als der 1503 gewählte Julius II. della Rovere (1503–
1513) die Tagsatzung, die Versammlung der Abgesandten der Sweizer
Eidgenoensa, darum ersute, ihm die Rekrutierung einiger Dutzend
junger Männer als Leibgarde zu gestaen. Am 21. Juni 1505 unterbreitete der
Luzerner Prälat Peter von Hertenstein den päpstlien Antrag, Ende Oktober
deelben Jahres begann die Rekrutierung, zumeist in der Gegend von
Luzern und Züri. Innerhalb weniger Monate wurden es 150 Söldner, die
si im tiefsten Winter zu Fuß von Luzern entlang der Via Francigena, der
alten Frankenstraße, auf den Weg na Rom begaben.
Angeführt wurde der Mars vom Prälaten Hertenstein und dem
Kommandanten der Garde, Hauptmann Kaspar von Silenen. Die 150
Gwardiknete maten eine erste Station in Mailand, wo Hertenstein bei
der Filiale der Fugger Bank 500 Dukaten abhob.[6] Einen nästen Halt
maten die «Sweizer» in Acquapendente, einer kleinen Stadt in der
Südtoskana, um weitere 200 Dukaten von den Fuggern zu kaieren Am 22.
Januar 1506 erreiten sie die Tore Roms, am folgenden Tag legten sie ihre
Uniform an, in den Farben der Rovere: Rot und Gelb. Von der Porta del
Popolo marsierten sie dur den Campo de’ Fiori zum Vatikanhügel,
präsentierten si dem Pontifex und bezogen Quartier.
Der Elsäer Prälat Johannes Burard, päpstlier Zeremonienmeister
und gewienhaer Chronist, registriert das historise Ereignis in seinem
Tagebu: «Am 22. Januar 1506, gegen Abend, übersri eine Gruppe von
150 Sweizer Soldaten, geführt von Hauptmann Kaspar von Silenen, die
Porta del Popolo und zog in Rom ein.» Vor Julius II. hae bereits Papst
Sixtus IV. (1471–1484) eine Allianz mit den Konföderierten gesmiedet und
den Vertrag gesloen, der die Möglikeit der Rekrutierung von Söldnern
vorsah. 1479 hae er für sie in der Nähe der Chiesa di San Pellegrino
Unterküne bauen laen. Und Innozenz VIII. (1484–1492) hae vor, si
ihrer gegen den Herzog von Mailand zu bedienen. Au Alexander VI.
(1492–1503) wird während der Allianz der Borgia mit dem König von
Frankrei die Slagkra der konföderierten Soldaten nutzen. Es war aber
Julius, der Papst Mielangelos, der die offizielle Geburttunde des Korps
der Sweizergarde einläutete.
Julius II. war ein kriegeriser Papst, der si zum Ziel gesetzt hae, den
Kirenstaat zu stärken und die in Rebellion befindlien Territorien
zurüzuerobern. Für seine Leibgarde hae er si den französisen König
zum Vorbild genommen, der seit 1497 seine persönlie Sierheit einer
eidgenöisen Sweizer Einheit von hundert Mann anvertraute.[7]
Julius II. wollte die doppelte Anzahl, mute si am Ende aber mit 150 Mann
begnügen. 1521 haen die Sweizer Orte, darunter das bereits reformierte
Züri, Leo X. ein höheres Kontingent gestellt.
Zur tragisen «Bluaufe» des kleinen Korps, zur ersten eten
Bewährungsprobe der im Eid formulierten Pfliterfüllung, die au das
Opfer des eigenen Lebens einslo, kam es am 6. Mai 1527. Anla war der
Sacco di Roma, eine der verheerendsten Invasionen, die die Stadt jemals
erlebte.[8] 147 Sweizer fielen bei dem Versu, Papst Clemens VII. zu
verteidigen. Am Morgen des 6. Mai 1527 gab Generalhauptmann Bourbon,
der im Dienste Karls V. stand und sein Hauptquartier im Kloster
Sant’Onofrio auf dem Gianicolo bezogen hae, von dort aus das Zeien
zum Angriff an drei Fronten: der Mauer des Campo Santo Teutonico, der
Porta Santo Spirito und der Porta del Torrione. Hier waren die Gefete am
heigsten, beim Sturm auf die Stadtmauer wurde Bourbon tödli getroffen.
Dur ein Haus an der Mauer, das überrasend eine von den Verteidigern
übersehene Öffnung bot, gelang es den spanisen Söldnern, in die Stadt
einzudringen.[9] Na einigen Stunden blutigster Kämpfe fielen au die
übrigen Truppen in den Borgo Santo Spirito und den Borgo San Pietro ein,
eine Horde von ca. 14.000 Landskneten stürmte die Stadt. Die
Sweizergarde, die si zu Füßen des Obelisken zusammengefunden hae,
der no heute beim Campo Santo Teutonico steht, und die wenigen no
übriggebliebenen römisen Truppen leisteten ebenso erbierten wie
auitslosen Widerstand. Die Swert- und Hellebardengefete sollten bis
in die Stanzen Raffaels und ins Innere der Sixtinisen Kapelle vordringen.
Kommandant Kaspar Röist wurde vor den Augen seiner Frau Elisabeth
Klingler von den Spaniern maakriert. Von den 189 Sweizer Soldaten
konnten si nur zweiundvierzig reen: diejenigen, die Papst Clemens VII.
unter dem Kommando von Herkules Göldli zu seinem Zuflutsort, dem
Castel Sant’Angelo, begleitet haen. Die übrigen wurden, gemeinsam mit
200 Flütlingen, vor den Stufen des Hauptaltars von Sankt Peter
niedergemetzelt. Da Clemens VII. und seine Männer si reen konnten,
war einzig und allein dur den Passetto mögli.
Die « frommen Landknete», eine kampferprobte profeionelle
Infanterie aus bayerisen und Tiroler Söldnern und einigen spanisen
Abteilungen, die im 16. Jahrhundert den Kern der deutsen Militärkra
bildete und in ganz Europa gefürtet war, waren die Protagonisten des
Sacco di Roma. Plünderung war damals ein Ret, das den Söldnerheeren bei
ausgebliebenen Soldzahlungen zugestanden wurde. Zu diesem Wüten, dem
keine Grenzen gesetzt waren, gehörten Vergewaltigungen, die au in Rom
an der Tagesordnung waren. Die Lanzi (von ital. lanzieneci) maten
selbst vor Klosterpforten nit Halt, die sie durbraen, um sogar die
Klausurswestern zu vergewaltigen. Die Gewalt und Brutalität, mit der sie
vorgingen, erklärt si daraus, da die deutsen Truppen aus überzeugten
Anhängern der «neuen Lehre» Luthers bestanden (zehn Jahre zuvor hae
die Reformation begonnen), in deren Augen der Papst der Antirist und
Rom die große Hure war. In ihnen brodelte also nit nur der bei Söldnern
üblie Drang na gewaltsamer Unterwerfung, sondern darüber hinaus
unbändiger Ha und mörderise Rasut. Das kaiserlie Heer und
Frundsbergs Landsknete waren vom Geist eines antipäpstlien Kreuzzugs
beseelt. Die Folgen für die Bevölkerung und die Denkmäler der Stadt waren
fürterli.
At Tage lang tobten sie ihre Wut in Plünderungen und Übergriffen aus.
Sogar die Gräber der Päpste wurden aufgebroen, um sie zu plündern, der
Leinam Julius’ II. ausgegraben, die Gebeine der Apostel in alle
Himmelsritungen verstreut. Am Ende fielen etwa viertausend Personen
Plünderung und Pest zum Opfer; der Wert der Beute entzieht si jedo
einer seriösen Berenung. Zum Raub und zur Gewalt gesellte si
antipäpstlier Hohn und Spo. Unter den Augen des Papstes wurde vor
dem Castel Sant’Angelo die Parodie einer kirlien Prozeion aufgeführt,
mit der Clemens aufgefordert wurde, die Segel und die Ruder der Navicella,
des Petruiffens, an Luther herauszugeben. Die Landsknete johlten:
«Vivat Lutherus pontifex!» («Es lebe Papst Luther!»). Do damit nit
genug. In Raffaels Fresko La Disputa del Santissimo Sacramento (Die
Disputation um das Allerheiligste Sakrament) in den Stanzen wurde Luthers
Name mit dem Swert eingeritzt.
Nit nur Reliquien und Kunstwerke wurden zerstört, beim Sacco di Roma
ging außerdem ein weiterer, unermelier Satz verloren: der größte Teil
der Goldsmiedearbeiten der Kiren.
Zur Erinnerung an diesen Tag steht unter Bernardino Paeris Büste in der
Via dei Penitenziari:
Il 6 maggio 1527
ravvolto nella bandiera
di sua mano strappata
alle irrompenti orde borbonie
qui presso cadde a difesa della patria
nel proprio e nel nemico sangue
Bernardino Passeri romano
orefice, padre di famiglia.
Peré tanto esempio frutti insegnamento
ed emulazione ai posteri.
La società degli orafi di Roma
al loro fratello d’arte e di cuore
nuovo ricordo consacrano
23 ottobre 1885
Am 6. Mai 1527
fiel hier in Verteidigung des Vaterlandes
umhüllt von der Bourbons Horden
eigenhändig entrienen Fahne
im eigenen und im Blut des Feindes
Bernardino Paeri, römiser
Goldsmied und Familienvater.
Auf da sein großartiges Beispiel den Nakommen
ein nazueiferndes Vorbild sei.
Von der Gesellsa der Goldsmiede Roms
ihrem Bruder in der Kunst und des Herzens
zur ewigen Erinnerung gewidmet
23. Oktober 1885
Am 5. Juni 1527 mute Clemens VII. kapitulieren und harte Bedingungen
akzeptieren: die Übergabe der Festungen Ostia, Civitavecia und Cività
Castellana, den Verzit auf die Städte Modena, Parma und Piacenza sowie
die Zahlung von 400.000 Dukaten, ein stalies Lösegeld zur Befreiung der
zahlreien Gefangenen. Außerdem wurde, und dies intereiert uns im
Kontext unserer Gesite besonders, die Sweizergarde aufgelöst. An ihre
Stelle traten zweihundert Landsknete, vier Kompanien deutser und
spaniser Soldaten. Der Papst konnte dursetzen, da den überlebenden
Sweizern das Ret zuerkannt wurde, in die neue Garde einzutreten. Do
nur zwölf von ihnen nahmen das Angebot an. Die anderen wollten mit den
verhaten Landskneten nits zu tun haben. Es vergingen zwanzig Jahre,
bis Paul III. im Jahre 1548 beslo, das Korps der päpstlien Hellebardiere
neu zu bilden.
Zur Erinnerung an den 6. Mai 1527 werden die «Sweizer» Rekruten bis
heute an diesem symbolträtigen Tag vereidigt. Die neuen Rekruten
kommen in großer Gala-Uniform auf dem Damasushof zusammen, um aus
dem Munde des Kaplans den Text der Eidesformel zu hören:
I swöre, treu, redli und ehrenha zu dienen dem regierenden Papst und seinen
retmäßigen Nafolgern und mi mit ganzer Kra für sie einzusetzen, bereit, wenn es
erheist sein sollte, selbst mein Leben für sie hinzugeben. I übernehme dieselbe
Verpflitung gegenüber dem Heiligen Kollegium der Kardinäle während der Sedis-Vakanz
des Apostolisen Stuhls. I verspree überdies dem Herrn Kommandanten und meinen
übrigen Vorgesetzten Atung, Treue und Gehorsam. I swöre, alles das zu beaten, was
die Ehre meines Standes von mir verlangt.
Die Rekruten treten, einer na dem anderen, einen Sri vor und
swören, die linke Hand an die Gardefahne gelegt und die rete mit
gespreizten Fingern (als Symbol der Dreifaltigkeit) zum Swur erhoben:
«I, [Name, Erg. d. Ü.], swöre, alles das, was mir soeben vorgelesen
wurde, gewienha und treu zu halten, so wahr mir Go und seine Heiligen
helfen.» Und bei den Heiligen wird besonders an die Sutzheiligen der
Sweizergarde gedat, an St. Martin (11. November), St. Sebastian
(20. Januar) und St. Niklaus von Flüe, Defensor pacis et pater patriae
(Verteidiger des Friedens und Vater des Vaterlandes, 25. September).
Na der Bluaufe vom Mai 1527 hae das Heer des Papstes andere
Herausforderungen zu bestehen, alle aber erhebli weniger swer,
abgesehen von einer Episode im Jahre 1859, die als «Blutbad von Perugia» in
die Gesite eingegangen ist. Während des zweiten
Unabhängigkeitskrieges haen si etwa 800 junge Männer aus Perugia
freiwillig dem savoyisen Heer angesloen. Gleizeitig hae si in der
Stadt ein Komitee von Aufständisen gebildet, das na dem Seitern der
Verhandlungen mit dem päpstlien Gesandten eine provisorise Regierung
ausrief und die Stadt Viorio Emanuele II. anbot. Von Anfang an war aber
klar, da Pius IX. nit bereit sein würde, diesen Teil seines territorialen
Hoheitsgebietes aufzugeben, da er vielmehr die Aufruhrstimmung zum
Vorwand nehmen würde, um die Revolte exemplaris niederzuslagen. An
diesem Punkt befahl die provisorise Regierung der Bevölkerung, si auf
die Verteidigung der Stadt einzustellen.
Am 20. Juni erreiten die päpstlien Truppen, ungefähr 2000 Mann, zum
Großteil Sweizergarden unter dem Befehl von Oberst Anton Smidt, die
Stadore Perugias. Die Freiwilligen-Truppen, slet ausgebildet und no
sleter bewaffnet, versuten si in der Verteidigung, die aber sehr
snell niedergezwungen wurde. Dabei fielen zehn der Papstgetreuen und
dreißig Männer aus Perugia. Die Sweizer strömten in die Stadt und
maten si derselben Gewalaten suldig, die drei Jahrhunderte zuvor
von den Lanzi verübt worden waren.
Bemerkenswert ist das Verhalten von Placido Acquacoa, dem Abt des
Klosters San Pietro, der in den Labyrinthen und Kellern des Konvents
Dutzende von Zivilisten in Todesangst verstete und ihnen damit das Leben
reete. Ein Beispiel dafür – und wir werden in diesem Bu no einige
davon sehen –, wie si einfae Ordensbrüder abweiend und wesentli
«ristlier» verhielten als die Hierarien, denen sie formell unterstellt
waren. Der Gelehrte Pasquale Villari (1827–1917) srieb in seiner Storia
generale d’Italia (Allgemeine Gesite Italiens, 1881):
Es wurden dreißig Häuser geplündert, in denen – na dem Bekenntnis Smidts persönli
– ein Maaker an den Frauen begangen wurde; es wurden ein Kloster, zwei Kiren, ein
Krankenhaus und ein Waisenhaus besetzt, in dem es unter den Augen der Lehrerinnen und
der Kameradinnen zur Vergewaltigung zweier junger Mäden kam. Den
Ungeheuerlikeiten der Plünderer folgten, als legitime Dreingabe, die von Smidt
ausgeübte Standgeritsbarkeit, die ihm und seinen Sergen vom Papst verliehenen Orden
und die von Kardinal Pecci [dem späteren Papst Leo XIII., Erg. d. A.] abgehaltenen
feierlien und pompösen Begräbniszeremonien mit der teuflis provozierenden Insri auf
dem Katafalk: Beati mortui qui in Domino moriuntur.
Das «Blutbad von Perugia» ist ein heute fast vergeenes Ereignis, hae
seinerzeit jedo ein enormes, au internationales Eo, zumal von den
Gewalaten die amerikanise Familie Perkins betroffen war, die si rein
zufällig zu Gast in Perugia befand. Am 25. Juni des Jahres beritete die New
York Times unter dem Titel e massacre at Perugia: «Die Soldaten waren
völlig hemmungslos, sie sienen jedem Gesetz abgesworen zu haben und
drangen na Gutdünken in alle Häuser ein, begingen grauenhae Morde
und andere Barbareien an wehrlosen Bewohnern, Männern, Frauen und
Kindern.»
Umstrien ist die Frage na der persönlien Verantwortung Pius’ IX. an
dem Blutbad, ob die Sweizer also ledigli den Befehl erhalten haen, die
Revolte zu erstien, oder darüber hinaus die Lizenz zu jeder Art von
Gewalaten gegenüber der Peruginer Bevölkerung na gewonnener
Slat. Unleugbar jedenfalls ist seine Verantwortung für die
ansließenden Enthauptungen, wie aus einem Befehl Cavalier Luigi
Mazios, des stellvertretenden päpstlien Ministers, an Oberst Smidt
hervorgeht:
Hiermit beauragt der unterzeinende Commiario Sostituto Ministro Eure Exzellenz, der
Santità di N.S. die Provinzen aus der Hand einiger Aufständiser zurüzuerobern, und
dabei empfehle i Ihnen Strenge, denn dies soll Anderen zum Beispiel dienen und sie von
der Revolution fernhalten. I erteile Ihnen darüber hinaus die Beretigung, die in den
Häusern angetroffenen Aufständisen enthaupten zu laen und, um der Regierung die
Kosten zu ersparen, sowohl die Verpflegung als au die Ausgaben für die bevorstehende
Miion der Provinz in Renung zu stellen.[12]
In den darauffolgenden Jahren hae das Heer des Papstes ein ruhigeres
Leben. Jahrhundertelang haben die «Sweizer» die weltlie Mat (il
potere temporale) des Vatikans siergestellt – bis zum Juli 1870, als der
Französis-Preußise Krieg der «Herrsa» des Pontifex ein Ende setzte.
Aus dem englisen Exil nämli reklamierte Napoleon III., der regierende
Kaiser der Franzosen, seinen Herrsasanspru über Frankrei und zog
deshalb zwisen dem 4. und 6. August seine Truppen aus der päpstlien
Hauptstadt ab. Die italienise Regierung verlor keine Zeit: Kaum wurde
Napoleon vom Kriegsglü verlaen, ließ sie das päpstlie Territorium von
der Armee des Regno d’Italia umzingeln. Na der Niederlage von Sedan
und der Ausrufung der Französisen Republik wurde die militärise
Belagerung verstärkt, und am 20. September 1870 slugen die bersaglieri
des Generals La Marmora etwa auf der Höhe der Porta Pia eine Brese in
die Stadtmauer, marsierten in Rom ein und vereinigten die Stadt mit dem
neun Jahre zuvor proklamierten Königrei. Pius IX., der jedes Blutvergießen
vermeiden wollte, gab dem Kommandanten der päpstlien Streitkräe,
General Kanzler, den Befehl, die Verteidigung auf das zu besränken, was
notwendig ersien, um zu demonstrieren, da man nur der Gewalt weien
würde. Am Tag darauf wurden die päpstlien Truppen entlaen, nur die
Sweizergarde blieb erhalten.
So endet eine jahrhundertelange Ära, in der es für die Päpste unerläli
war, zur Verteidigung ihrer Territorien, also ihrer weltlien Mat, eine
Armee im Sold zu haben. Von nun an sollte die Sweizergarde nur no die
Aufgabe haben, die Unversehrtheit des Papstes und die Sierheit der
vatikanisen Paläste sowie der päpstlien Sommerresidenz Castel
Gandolfo zu garantieren. Die einmal von Stalin gestellte Frage, über wie
viele Divisionen denn der Vatikan verfüge, hae also wenig Sinn.
Eine witige Station in der Gesite der Sweizergarde waren die
Lateranverträge, die am 11. Februar 1929 zwisen dem italienisen Staat
und der Kire gesloen wurden. Der Vertrag besteht aus einem
Vertragstext und einem Anhang. Mit ersterem wurde dem Heiligen Stuhl die
absolute souveräne Gewalt über den Vatikan eingeräumt. Der Vertrag legt
die vatikanisen Zuständigkeiten aufs Genaueste fest. In Artikel 3 heißt es:
Italien anerkennt das volle Eigentum sowie die auließlie, unumsränkte souveräne
Gewalt und Jurisdiktion des Heiligen Stuhles über den Vatikan, wie er gegenwärtig besteht,
mit all seinem Zubehör und seinen Dotationen. Hierdur wird zu den besonderen Zween
und unter den im vorliegenden Vertrag genannten Bedingungen die Vatikanstadt gesaffen.
Die Grenzen der genannten Stadt sind auf dem Plan angegeben, der als Anlage I zu dem
vorliegenden Vertrag einen integrierenden Bestandteil deelben bildet.[13]
Ein weiterer Absatz klärt und präzisiert die Frage der Zugänge und Grenzen:
Im Übrigen herrst Einverständnis darüber, da der Petersplatz, obwohl er zur Vatikanstadt
gehört, au in Zukun in der Regel der Öffentlikeit zugängli bleibt und der
Polizeigewalt der italienisen Behörden untersteht. Ihre Organe haben am Fuße der Treppe
zur Peterskire haltzumaen, obwohl diese na wie vor für den öffentlien Goesdienst
bestimmt bleibt, und si des Besteigens der Treppe sowie des Betretens der Basilika zu
enthalten, es sei denn, da die zuständige Behörde um ihr Eingreifen ersut. Hält der
Heilige Stuhl es für angebrat, den Petersplatz für besondere Feierlikeiten vorübergehend
für den öffentlien Verkehr zu sperren, so werden die italienisen Behörden si hinter die
äußeren Linien der Berninisen Kolonnaden und ihrer Verlängerung zurüziehen, falls sie
nit von der zuständigen Behörde zum Bleiben aufgefordert werden.[14]
In Wahrheit ist die Fläe des Staates der Vatikanstadt nit auf die
44 Hektar innerhalb der Mauern besränkt. Das Patrimonium des Heiligen
Stuhls erstret si auf zahlreie Basiliken, Seminare, Abteien, Klöster und
viele Immobilien, denen die Lateranverträge zum Teil das «Privileg der
Extraterritorialität» und allen die «Befreiung von Expropriationen und
Steuern» zuerkennen.
Die Saffung des neuen Staates der Vatikanstadt stellte au die
Eidgenoensa vor eine heikle Frage, da es si von dem Zeitpunkt an um
die Einberufung ihrer Bürger in ein ausländises «Heer» handelte. Das
Problem wurde vier Tage na Unterzeinung der Verträge dur einen
Beslu des Sweizer Gesamtbundesrats gelöst, der feststellte:
Die päpstlie Garde kann nit als ausländise, bewaffnete Einheit gemäß Artikel 94 des
militärisen Strafrets betratet werden; da diese Truppe eine einfae Wapolizei ist,
kann jeder, wie bisher, in ihren Dienst treten, ohne die Zustimmung des Gesamtbundesrates
einzuholen.
Dur die Gründung des neuen Staates der Vatikanstadt wurde die
Installierung neuer Kontrollposten am Arco delle Campane (Gloentor) und
an der Porta Sant’Anna (Annator) notwendig. Der Portone Borgia dagegen
wurde gesloen. Ebenfalls im Jahr 1929 begann man mit den Bauarbeiten
für die offiziellen Unterküne der Offiziere und Unteroffiziere der Garde, und
in dieser Zeit wurde au die Restaurierung der kleinen Chiesa di San
Martino e Santo Sebastiano abgesloen, die 1568 von Papst Pius V. (1566–
1572) im Quartier der Sweizer erbaut worden war. Die Chiesa San
Pellegrino dagegen, die jahrhundertelang zur Gesite der Sweizer
gehörte, wurde der Vigilanza (Wae) des Vatikans zugewiesen.
Auf der Homepage der Römisen Kurie werden die für einen päpstlien
Soldaten notwendigen Eigensaen in aller Klarheit aufgeführt:
Die Fahne der Sweizergarde wird dur ein weißes Kreuz in vier Felder unterteilt, von
welen das erste das Wappen des regierenden Papstes trägt und das vierte jenes von Papst
Julius II., beide auf rotem Grund; das zweite und das drie Feld tragen die Farben des Korps,
wele blau, rot und gelb sind. Auf den Snipunkt der Kreuzbalken ist das Wappen des
Kommandierenden Hauptmanns gesetzt.
(Reglement der Sweizergarde, Artikel 3)
Unter den vielfältigen Ausdrusformen der Gegenwart der Laien in der katholisen Kire
findet si au jene ganz einzigartige der Päpstlien Sweizergarde: Es handelt si um
junge Männer, die von der Liebe zu Christus und zur Kire motiviert sind und si so in den
Dienst des Nafolgers Petri stellen. Für einige von ihnen ist die Zugehörigkeit zum Korps
der Garde zeitli begrenzt, für andere verlängert sie si so, da sie zu einer Entseidung
für das ganze Leben wird. Für einige, und das sage i mit großer innerer Freude, hat der
Dienst im Vatikan die Antwort auf die Berufung zum Priester- oder Ordensleben reifen
laen. Ein Sweizergardist zu sein, bedeutet aber für alle, Christus und seiner Kire
vorbehaltlos zu folgen – in der Bereitsa, für sie das eigene Leben hinzugeben.
Die Bereitsa, das eigene Leben hinzugeben oder es auf mysteriöse Weise
zu verlieren, wie im Falle von Alois Estermann, seiner Frau Gladys Meza
Romero und Cédric Tornay.
Um 20.46 Uhr am Abend des 4. Mai 1998 klingelt im Hause Estermann das
Telefon. Es ist eine kleine, elegante Dienstwohnung, glei neben der Porta
Sant’Anna. Wir befinden uns hier mien im neuralgisen Zentrum der
Vatikanstadt, im «Quartier der Sweizer», ganz in der Nähe des
Nikolausturms, in dem die berütigte Vatikanbank IOR (Istituto per le opere
di religione del Vaticano – Institut für die Werke der Religion) ihren Sitz hat.
Am Telefon ist ein alter Freund aus Orvieto, er möte Oberst Alois
Estermann gratulieren, der nur at Stunden zuvor zum Kommandanten der
Sweizergarde ernannt worden ist. Alois nimmt den Hörer ab und
antwortet.
«Wir haben über die Vereidigungszeremonie und über das Weer
gesproen», wird der «Freund aus Orvieto» in seiner Auage vom
7. Mai 1998 beriten, und: «An einem bestimmten Punkt gab es eine
Unterbreung, als sei der Hörer auf die Brust gelegt worden oder auf
irgendetwas Weies. Kurze Zeit darauf habe i in einiger Entfernung
Stimmen gehört, eine davon sehr wahrseinli die seiner Frau, dann no
ein Geräus und einen sarfen Knall, dem in sehr kurzer Folge ein weiterer
sarfer Knall folgte und weitere Släge in größerer Entfernung.»
Zur gleien Zeit hört au eine im selben Stowerk wohnende Nonne
das Geräus einiger dumpfer Släge. Sie läu auf den Treppenabsatz und
sieht, da die Tür der Estermann-Wohnung weit offen steht. Es ist 21.04
Uhr. Vorsitig blit sie hinein, sreit. Die Szene, die si ihren Augen
bietet, ist grauenha: auf dem Fußboden und an den Wänden überall Blut.
Auf dem Boden drei Leien: zwei Männer, ausgestret und mit dem
Gesit na unten, und eine Frau, mit dem Rüen an eine Wand gelehnt.
Alle drei dur Suwaffen getötet. Die Toten sind keine gewöhnlien
Opfer, und sie werden die heiligen Mauern des Vatikans gehörig ins Wanken
bringen.
Alois Estermann ist nie ein x-beliebiger Offizier gewesen. Er hat eine
atemberaubende Karriere hinter si, vor allem na dem Aentat auf Papst
Karol Wojtyła. An jenem Tag nämli, dem 13. Mai 1981, mate der
damalige Hauptmann Estermann seinem Swur alle Ehre und reete dem
Pontifex das Leben, indem er ihn mit seinem eigenen Körper absirmte und
si als Sutzsild vor den Papst warf. In den Augen vieler eine Heldentat,
in den Augen anderer eine opportunistise, verspätete und daher
überflüige Geste – denn einer der auf den Papst geriteten Süe hae
bereits sein Ziel erreit.
Um 21.30 Uhr, wenige Minuten na der soierenden Entdeung, ist
in dem kleinen Appartement des Ehepaars Estermann ein unauörlies
Kommen und Gehen von hohen Prälaten, vatikanisen Beamten und
Männern des Corpo di Vigilanza (der Polizeitruppe des Vatikanstaats)[16] zu
beobaten. Um 22 Uhr kommt Gianluigi Marrone, Einzelriter der Città
del Vaticano. No immer liegen die drei leblosen Körper auf dem Boden.
Keine Anfrage auf Unterstützung oder Zusammenarbeit erreit die
italienisen Behörden aus dem Heiligen Stuhl. Im Apostolisen Palast
versenkt si der Papst ins Gebet. Vor den Mauern des Vatikans, gegenüber
der Porta di Sant’Anna, bildet si ein Maenauflauf von Journalisten,
Fotografen, TV-Kameraleuten und Saulustigen.
Im Chaos dieser ersten Stunden gibt es außer über die Identität der Opfer
keinerlei gesierte Erkenntnie. Denno verbreitet kurz na Miernat
(um 00.10 Uhr) das Preebüro des Heiligen Stuhles ein Bulletin, n° 184 vom
5. Mai 1998: «Der Korpskommandant der päpstlien Sweizergarde,
Oberstleutnant Alois Estermann», liest man in dem Text, «wurde
gemeinsam mit seiner Gain Gladys Meza und dem Vizekorporal Cédric
Tornay in seiner Wohnung tot aufgefunden. … alle drei [wurden] dur
Suwaffen getötet … Unter dem Leinam des Vizekorporals wurde deen
Dienstwaffe entdet … Die bislang festgestellten Einzelheiten deuten darauf
hin, da der Vizekorporal Tornay in einem plötzlien Anfall von Wahnsinn
gehandelt hat.»[17]
Wenig später erläutert der vatikanise Preeef, Joaquín Navarro-Valls,
den Journalisten den Tathergang. Der Vizekorporal habe mit seiner Pistole
zunäst das Ehepaar Estermann getötet und ansließend Selbstmord
begangen. Zur Erhärtung dieser Version erklärt der Preespreer, Tornay
habe knapp anderthalb Stunden vor dem Doppelmord einem Kameraden
einen Absiedsbrief an seine Familie übergeben. «Der Vatikan hat die
moralise Gewiheit, da die Ereignie si so zugetragen haben»,
sließt Navarro-Valls mit großer Entsiedenheit.
No vor der Autopsie, vor den Ermilungen, den Verhören, der
Auswertung der Spuren am Tatort, den ballistisen Untersuungen
verbreitet der Heilige Stuhl seine offizielle Version des Tathergangs,
basierend auf einer «moralisen Gewiheit», die jeden Zweifel im Keim
erstien soll – gerade einmal drei Stunden na der Tat. Diese drei Leien
sind aufgrund ihrer Identität und des Ortes, an dem sie aufgefunden wurden,
«explosiv».
Am 5. Februar 1999 unterzeinet Riter Marrone, wie gesagt, das Dekret
zur Einstellung des Verfahrens: kein Strafverfahren zum Tode des
Oberstleutnants Alois Estermann, seiner Frau Gladys Meza Romero und des
Vizekorporals Cédric Tornay. Der Fall ist nun zwar abgesloen, was aber
fehlt, ist ein geritlier Urteilpru, der Tornays Suld explizit bestätigt.
Au hier sa der Heilige Stuhl Abhilfe, und mit dem
Untersuungsberit im Bulletin des Preeamts am Heiligen Stuhl n° 55
vom 8. Februar 1999 wird die Lüe gesloen, die na der Verfügung zur
Arivierung des Verfahrens no geblieben war. Auf neun Seiten – einer
Collage aus Textauszügen des Berits, der bei Riter Marrone von Nicola
Picardi, dem zuständigen Staatsanwalt des Vatikans, eingereit wurde –
wird der junge Vizekorporal festgenagelt: ein durgeknallter,
swerkranker, drogenabhängiger Mörder und Selbstmörder. In dem Bulletin
ist nämli Folgendes zu lesen: «Die Autopsie hat in Tornays Sädel eine
taubeneigroße subaranoidale Zyste zutage gefördert …, wele den
vorderen Teil des linken Stirnlappens eingeengt und sließli deformiert
hat.»[18] Das ist aber no nit alles: «Die emis-toxikologisen
Analysen … haben im Urin … Spuren eines Stoffweselprodukts von
Cannabis-Metaboliten nagewiesen.» Und weiter: «Einen drien Faktor …
stellt eine zum Ausbru kommende Lungenentzündung dar.» Also
geistesgestört, auf Droge und krank.
Fehlt nur no ein Motiv, das selbst ein so heruntergekommenes Subjekt
wohl oder übel zur Tat getrieben haben mu. Hier ist es: «Die Narit,
da ihm [von Oberst Estermann, Erg. d. A.] eine Auszeinung in Form der
Benemerenti-Medaille verweigert worden war.» Tornay, verrüt und
natragend, sei also «von einer akuten mentalen Kurzslureaktion
übermannt [worden], die ihm vollständig oder zumindest in beatliem
Maße jeglie Fähigkeit zur Selbstbeherrsung nahm».
Die Dynamik des Verbreens wird hypothetis so rekonstruiert: Tornay
klingelt an der Tür, tri in die Wohnung ein, «gibt zwei Süe auf Oberst
Estermann ab, der zu Boden stürzt, ein drier Su geht ins Leere und
bleibt in der Metallummantelung des linken Fahrstuhlpfostens steen, der
vierte tri Frau Estermann, die mit dem Rüen gegen die Wand kippt und
abwärts rutst, sließli ritet der Vizekorporal die Waffe gegen si
selbst».
Fünf Süe im Ganzen, abgefeuert aus der Dienstwaffe des jungen
Tornay: «Unter Tornays Leie», liest man weiter im Bulletin n° 55, «wurde
eine Pistole der Marke SIG Mod. 1975 gefunden. Sie ist Sweizer Bauart,
Kaliber 9 mm, versehen mit der Matrikelnummer A-1-101-415; im
dazugehörigen Magazin befinden si normalerweise ses Patronen, in
diesem Fall war nur no eine vorhanden …, die Waffe erwies si in der
Folge als die Dienstwaffe des Vizekorporals.»[19] Die fünf am Tatort
gefundenen Patronenhülsen sollen also aus dieser Pistole stammen. Und die
Süe soll Tornay abgegeben haben. Kein Zweifel mögli, denn die
Gutater haben an seiner reten Hand «Partikel gefunden, die eindeutig zu
Smauspuren gehören.»[20]
Für den Heiligen Stuhl ist der Fall gelöst, jenseits aller beretigter
Zweifel. Denno, gewie Zweifel bleiben. Selbst Einzelriter Marrone
mat in einem Interview mit der Tageszeitung La Nazione vom 9. Juni 2002
das Zugeständnis: «Wenn si sol swerwiegende Vorfälle ereignen, über
deren Hergang Zweifel bleiben, mu man versuen, si der Wahrheit
approximativ so weit wie mögli zu nähern.» Nit nur das. In einem Brief
an Tornays Muer vom 1. März 2000 sreibt Marrone, bezugnehmend auf
das vatikanise Bulletin n° 55: «Die vom Vatikan erstellten Dokumente
können von der Justizbehörde keine formale Bestätigung beanspruen.»
Genug, um Muguee Baudat davon zu überzeugen, da die Dinge anders
gelaufen sein müen, als die Spitzen des Vatikans behaupten, und da ihr
Sohn, der arme Vizekorporal, das unsuldige Opfer einer grausamen
Inszenierung geworden ist, zur Versleierung der wahren Gründe des
Blutbads, und zu Unret des Mordes besuldigt. «Mir wurden nits als
Lügen aufgetist, i bin verzweifelt», erklärt sie am 18. Juni 1998
gegenüber dem italienisen Woenmagazin Panorama, «es gibt da zu viele
Geheimnie, zu viele Lügen des Vatikans.» Madame Baudat lät si das
nit bieten, die offizielle Version der Vorgänge überzeugt sie nit. Am
6. Juli 2000 lät sie dur die beiden Pariser Retsanwälte Jacques Vergès
und Luc Broollet die Wiederaufnahme der Ermilungen beantragen.
Wiederholt, aber vergebli versuen die beiden Anwälte, Zugang zu den
vatikanisen Justizbehörden zu erhalten. Die Antwort ist immer dieselbe:
Es ist nit mögli.
Am 11. April 2002 sien sie sogar ein «Gesu an Seine Heiligkeit,
Papst Johannes Paul II., zur Wiederaufnahme der Ermilungen» und
verweisen auf einige ihrer Ansit na no ungeklärte Punkte: vor allem
die weit geöffnet vorgefundene Wohnungstür der Estermanns, so als sei
jemand in großer Eile geflohen und habe sie dabei offengelaen; dann das
Rätsel der vier benutzten Gläser, die in der Wohnung gefunden worden sein
sollen – ein Umstand, der die Anwesenheit einer vierten Person nahelegt;
sließli die Ergebnie einer zweiten, in der Sweiz durgeführten
Autopsie, bei der im Kopf des Vizekorporals keine Spur von einem
Hirntumor gefunden worden war. Hinzu kommt: «Die Dienstpistole, mit der
si Tornay umgebrat haben soll», sreiben die Retsanwälte, «sießt
mit Munition eines Kalibers von exakt 9,41 mm …, das Einsulo an
Cédric Tornays Hinterkopf hat dagegen einen Durmeer von nur 7 mm.»
Hat es also eine zweite Pistole gegeben? Und hat si Tornay mit dieser
umgebrat?
Das ist no nit alles. Der reale Suwinkel der Patrone im Sädel des
Vizekorporals, die Fraktur der vorderen Sneidezähne und die Position der
Waffe unter der Leie des jungen Mannes legen für die französisen
Retsanwälte die Vermutung nahe, da «die Waffe dem Opfer gewaltsam
in den Mund gestet worden sein mu». Wenn nämli Cédric si selbst
getötet häe, häe die Pistole dur die Wirkung des Rüstoßes in einem
Abstand von einem, anderthalb Metern vom Körper liegen müen. Kurz und
gut, Tornay ist «selbstermordet» worden, sein Selbstmord vorgetäust.
Au er ist also ein Opfer, genau wie Alois und seine Frau, kein Mörder.
Was den Brief betri, der dem Hellebardier Claude Gugelmann wenige
Stunden vor seinem Tod vom Vizekorporal übergeben worden sein soll, so
haben die französisen Retsanwälte nit den geringsten Zweifel, da es
si um eine eklatante Fälsung handelt. In dem Sreiben hae si
Tornay an seine Muer gewandt, sie um Verzeihung gebeten «für das, was
i getan habe» (ohne weitere Präzisierung) und beklagt, da er vielen
Ungeretigkeiten ausgesetzt gewesen sei. Na einer formalen und
graphologisen Analyse des Textes dur Experten erklären die beiden
Retsanwälte: «Diese Fälsung ist in großer Eile … von einer Person
hergestellt worden, die dem Vatikan zumindest nahestehen mu, deren
Muersprae Italienis ist und die nur einige wenige Informationen zu
Cédric Tornays Karriere in der Sweizergarde, über seine Familie und seine
Pläne hae.»
Nit nur das: Der Brief ist an die Muer geritet, der Autor sreibt auf
den Briefumslag aber einen falsen Nanamen, Chamorel, den von
Madame Baudats zweitem, seit langem gesiedenen Ehemann. Ein Name,
wohlgemerkt, den der Sohn in der Korrespondenz mit seiner Muer niemals
benutzte. Verdätigerweise ist genau dieser Name aber auf einem Formular
vermerkt, das Cédric einmal ausgefüllt hae und das in den Ariven der
Sweizergarde auewahrt wurde. In einem gewöhnlien Kriminalfall
würde dieses Detail die gesamte bisherige Konstruktion zum Einsturz
bringen und den Weg zur endgültigen Aulärung ebnen. Im Fall des
Vatikans dagegen müen wir uns damit begnügen, den vielen anderen eine
weitere Ungereimtheit hinzuzufügen.
Verkompliziert wird der Fall dur das Auauen einer mysteriösen
Figur, eines Mannes, der Tornay sehr nahestand: Diakon Jean-Yves
Bertorello, «Padre Yvan» genannt. Wie in dem Gesu an den Heiligen Vater
zu lesen ist, hat Bertorello «am 6. Mai 1998 Frau Baudat getroffen und vor
Zeugen wiederholt beteuert, da Cédric ermordet worden sei, da er dafür
srilie Beweise habe und da er si deshalb in Lebensgefahr befinde …,
und nadem der Heilige Stuhl seine Existenz zunäst einfa geleugnet
hae, hat er si nun zum Naweis verpflitet, da [Bertorello] nit die
geringste Verbindung zum Vatikan hae».
Um Klarheit zu erhalten, fordern die französisen Juristen die
Wiederaufnahme der Ermilungen. Am 17. April 2002 wird ihr Gesu vom
Präsidenten des vatikanisen Appellationsgerits, Monsignor Francesco
Bruno, abgelehnt. Die, wie die französisen Anwälte sie arakterisieren,
«Obstruktionspolitik des Vatikans» bringt den Fall juristis endgültig zum
Abslu; Frau Baudat nimmt von einem Proze gegen den Vatikan
Abstand. Zu den bedauerlien Aspekten dieser zwielitigen Gesite
gehört die absolute Gleigültigkeit der Autoritäten des Vatikans gegenüber
dem Smerz von Cédrics Muer, der sogar die Einsit in den
Autopsieberit ihres Sohnes verweigert wird. Die dazu vorgebrate
Retfertigung lautet: Der Vatikan hat die einslägigen internationalen
Normen niemals ratifiziert.
Die Unmöglikeit, der Wahrheit auf irgendeine Weise auf die Spur zu
kommen, hat es natürli nit verhindert, sondern im Gegenteil no
zusätzli dazu beigetragen, da die Gerüte, Hypothesen und
Rekonstruktionen, die eine ganz andere Version der Fakten ergeben als die
des Heiligen Stuhls, nit verstummt sind. Son am 7. Mai 1998 sreibt die
Tageszeitung Berliner Kurier, Alois Estermann habe seit 1980 als Spion für
die Stasi gearbeitet – ein Umstand, der vom Vatikan kategoris abgestrien
wird.
Zwei Büer wirbeln eine Menge Staub auf. Im ersten, Verbum dei et
verbum gay (Edizioni Libreria Croce, 1999) von Maimo Lacei, wird die
Hypothese eines Verbreens aus Leidensa aufgestellt. In Form einer
kaum verhüllten Slüel-Erzählung werden (nie bewiesene) Gerüte einer
morbiden homosexuellen Beziehung zwisen Tornay und Estermann
aufgegriffen. Lacei wird darauin von Madame Baudat wegen übler
Narede verklagt, dann aber wegen eines Formfehlers freigesproen.
Das zweite, Bugie di sangue in Vaticano (wörtli: Blutlügen im Vatikan,
Titel der deutsen Ausgabe: Ihr habt getötet), verfat von einer Gruppe aus
Geistlien und Laienbrüdern aus dem Vatikan, die si Discepoli di verità,
also «Jünger der Wahrheit», nennen, erzählt von einem mörderisen
Konflikt im Innern der Heiligen Mauern. Oberst Estermann, seine Frau und
Vizekorporal Tornay sollen Opfer eines seit langem swelenden internen
Matkampfes geworden sein, der zwisen Anhängern von Opus Dei und
der Geheimlogen im Herzen der Kurie ausgebroen war. Dieser
Rekonstruktion zufolge soll Alois Estermann (der seit Jahren aufs Engste mit
der Obra[21] verbunden war, wie vom italienisen Woenmagazin Epoca
im Mai 1996 unwidersproen gesrieben wurde) der starke Mann gewesen
sein, der von Opus Dei an die Spitze des päpstlien Heeres gesetzt wurde,
um die Apostolisen Paläste und die Bewegungen des Heiligen Vaters
kontrollieren zu können. Aber nit nur. Der «Opus-Plan» habe darauf
abgezielt, die Sweizergarde in eine super-effiziente militärise
Spezialeinheit zu verwandeln, imstande, die enorme Mat des Corpo di
Vigilanza zu neutralisieren, der seit eh und je «ein Instrument der Logen-
Seilsa» gewesen sei. Der Estermann-Mord häe demzufolge dazu
gedient, die hegemonialen Bestrebungen von Opus Dei auf diesem Gebiet
von Anfang an im Keim zu erstien, und Tornay sei ledigli das zufällige
Opfer, die notwendige Tarnung gewesen, um den Fall in der gebotenen Eile
zu einem Abslu zu bringen.
Der Rekonstruktion der Discepoli di verità zufolge soll si der
Dreifamord folgendermaßen zugetragen haben: «Vizekorporal Tornay sei
gegen Ende seiner Sit, kurz vor 19 Uhr, überwältigt und – no in
Uniform und mit der Dienstpistole bewaffnet – in den Keller geslei
worden. … Dana habe man in den Kellerräumen Tornays ‹Suizid›
begangen, indem man ihn mit einer sallgedämpen Pistole vom Kaliber
7 mm erso. Mit Tornays Dienstwaffe habe man dana die Estermanns in
ihrer Wohnung im zweiten Sto eliminiert. Ansließend habe man Tornays
Leie in das Appartement gebrat, um den Amoklauf zu inszenieren.»[22]
Hypothesen, Verdatsmomente, Mutmaßungen in einem Fall, der trotz
weiterer retsmediziniser Gutaten no immer viele dunkle Seiten und
ungelöste Rätsel aufweist. Ein Dreifa-Mord in den Mauern des Vatikans,
mysteriöse Intereen, das Gesetz des Sweigens, ein komplexer Plot mit
vielen Nebenhandlungen, ein Krimi der Extra-Klae. Vielleit kommt die
Wahrheit niemals ganz ans Lit, zumindest nit in den nästen Jahren,
au wenn wir bereits heute mit einer gewien Beretigung behaupten
können, da sie jedenfalls mit der offiziell verkündeten nit übereinstimmt.
III. KREUZ UND SCHWERT
DIE KONSTANTINISCHE SCHENKUNG –
EINE FÄLSCHUNG
D
ER ARCO DI COSTANTINO (KONSTANTINSBOGEN) neben dem
Koloeum ist eines der bekanntesten und zuglei unbekanntesten
Monumente Roms. Hinter ihm beginnt die söne Straße, die an den
Ausläufern des Palatin entlang zur Piazza di Porta Capena führt, zu dem
Durgang an der alten Servianisen Mauer, an dem ursprüngli die Via
Appia begann. Ganz in der Nähe befand si der Fons Camenorum (der
Ortsname Capena ist eine Verzerrung dieses Namens), eine sehr klare Quelle,
wo die vestalisen Jungfrauen das Waer für ihre Riten söpen. Do
über den Bogen müen wir spreen und über den Mann, deen Namen er
trägt: Kaiser Konstantin (ca. 280–337), der das Gesit und die Gesie des
Römisen Reies so grundlegend veränderte, den Mann, der das
Christentum legitimierte, den Gründer Konstantinopels, der neuen
Hauptstadt des Reies. Mensli eine beklagenswerte Figur – do wele
Persönlikeit der Gesite kann man son allein aufgrund ihrer
menslien Qualitäten beurteilen? Und als Politiker war Konstantin
herausragend, im Urteil einiger Historiker sogar einer der größten überhaupt.
Der Konstantinsbogen, der seine Erfolge feiert, befindet si in einer
exponierten Lage. Er ist sehr groß, sehr sitbar, denno gehört er, i
wiederhole es, zu den «weniger bekannten» Denkmälern. Ebenso wie die
beiden Spiralsäulen (die Antoninise und die Trajanäule) mu au dieser
Triumphbogen, wenn man seiner Bedeutung geret werden will, ritig
«gelesen» werden.
Der Platz, an dem der er erritet wurde, war dem Kult der Roma Aeterna
geweiht; hier stand der große, von Hadrian erbaute und von Maxentius
restaurierte Doppeltempel der Venus und der Roma.[1] Heute ist von diesem
Gebirge aus Marmor, den man extra aus Grieenland hae kommen laen,
nur no der Ziegelsteinkern mit der der römisen Stadtgöin Roma
geweihten Apsis erhalten und dahinter die der Venus geweihte. Armselige
Reste eines der koloalsten Bauwerke der antiken Welt. Daneben stand die
riesige Bronzestatue, die Nero dargestellt hae, bevor man sie in die des
Apollon umwandelte, des Sonnengoes, das Haupt umrahmt von einer
Strahlenkrone als Symbol für die Unsterblikeit der Urbe. Im Mielalter, in
den Jahren des Kampfes der Fürstenhäuser um die städtise und päpstlie
Vorherrsa, wurde das Gebiet in eine Festung verwandelt, die Monumente
der Antike wurden dem Erdboden gleigemat, ihr Baumaterial zu Kalk
gebrannt und ihre Metallteile zur Herstellung von Waffen oder Münzen
gesmolzen.
Die Interpretation des Konstantinsbogens ist komplex, denn es handelt
si um ein Spolienwerk, das also aus Elementen älterer Denkmäler und
Gebäude zusammengesetzt ist. Der Kunsthistoriker Federico Zeri hat es
intensiv erforst, und überwiegend auf seinen Ergebnien basieren diese
wenigen, hier zusammengetragenen Hinweise. Die beiden Frontalseiten sind
von jeweils vier hohen Säulen geprägt. Das Monument ist aus weißem
Marmor, die Säulen dagegen (au wenn man das heute aufgrund der
Luversmutzung kaum no unterseiden kann) sind aus gelbem
numidisem Marmor. Oberhalb der Seitenpfeiler sind in einer reteigen
Rahmung insgesamt at paarweise positionierte Medaillons angebrat. Die
Retee waren ursprüngli aus Porphyr, einem sehr harten roten Gestein
von besonderem Charakter. Es hae nämli die Anmutung von Purpur,
einer Farbe, die auließli dem Kaiser und seiner Gain vorbehalten war.
Und das Rot des Porphyrs repräsentierte mit dem Gelb der Säulen (Purpur
und Gold) die Farben Roms – bis heute, einsließli der Fußballmannsa
AS Rom: den Giallorossi, den Gelb-Roten. Die antiken Monumente und
Skulpturen waren ursprüngli alle farbig, au die Statuen waren nit
weiß, wie wir sie heute sehen, sondern naturalistis eingefärbt bzw. bemalt.
Die Säulen des Bogens sind von Statuen gekrönt: at Barbaren,
gefangene Daker. Die at Medaillons (Clips) stammen von Kaiser Hadrian,
genauer: Konstantin hat sie von einem Hadrianmonument abreißen laen,
um mit ihnen sein eigenes zu smüen. Im Inneren des Hauptbogens sind
zwei Szenen zu sehen: Der Kaiser nimmt zu Pferde die Huldigung eines
knienden Barbaren entgegen; der Kaiser zieht dur die oben zitierte Porta
Capena siegrei in die Stadt ein. Nur ist dieser Kaiser nit Konstantin,
sondern Trajan. Au in diesem Falle handelt es si um die Plünderung und
Wiederverwertung von Teilen eines älteren Bauwerks.
Wenn man die erste Tafel links oben an der Faade in Ritung Palatin
genau betratet, sieht man den Kaiser, auf einen Soel gestellt, dem das
Haupt eines Barbaren präsentiert wird. Ursprüngli stellte die Skulptur
Mark Aurel dar, deen Kopf einfa dur den Konstantins ersetzt wurde.
No ein Diebstahl. Eine der wenigen Szenen, die tatsäli aus
Konstantins Epoe stammen, ist die jenige unter den Medaillons, wieder auf
der dem Palatin zugewandten Seite, die den «Sieg bei der Milvisen
Brüe» feiert, neben einer weiteren mit der «Belagerung Veronas». Die
Historiker weisen auf die derbe, grobslätige Maart dieser
Darstellungen hin, im Gegensatz zur Feinheit der Reliefs aus den
vorhergehenden Epoen.
Warum ließ Konstantin die Denkmäler anderer plündern, um sie zu seinen
eigenen zu maen? Die Gelehrten stellen dazu versiedene eorien auf:
Man sei im 4. Jahrhundert nit mehr fähig gewesen, Skulpturen wie früher
zu fertigen – eine Ansit, die allerdings dur bemerkenswerte Werke aus
dem gleien Jahrhundert dementiert wird, zum Beispiel dur den
sogenannten Janus quadrifrons (Janusbogen). Eine andere eorie sreibt
die Plünderungen der Eile zu, mit der dieser Bogen erritet werden mute,
um einen Kaiser zu feiern, der beträtlie Verwirrung und Unruhe stiete
mit der neuen Religion, zu deren Besützer er si aufgeswungen hae.
Einer drien, von Zeri vertretenen eorie zufolge war Konstantins
Spolienverwendung ideologiser Natur: Er habe Reliefs aus Monumenten
Trajans, Hadrians und Mark Aurels herausbreen laen und die Bildnie
dieser Kaiser dur sein eigenes ersetzt, weil er es war, Konstantin, der den
neuen kaiserlien Geist verkörperte.
Ein Quänten Wahrheit ist möglierweise in jeder dieser drei eorien.
Tatsäli ist es denkbar, da der Kaiser es eilig hae, seinen
Triumphbogen zu sehen, und da die smeielhae Insri (oben im
Zentrum, auf der dem Koloeum zugewandten Seite) sein ramponiertes
Image aufpolieren sollte, denn die Römer waren irritiert von seinen
religiösen Innovationen. Die Insri, deren Bustaben im Original in
Bronze glänzten (die Löer der Bolzen, an denen sie befestigt waren, kann
man no sehen), erinnert daran, da der Senat und das Volk von Rom das
Monument dem Kaiser Caesar Flavius Constantinus Maximus, dem
frommen und glülien Augustus, gewidmet haben, der seine Feinde dur
Geistesgröße und gölie Eingebung (instinctu divinitatis) besiegt hae.
Klugerweise gibt die Insri nit zu erkennen, wele Goheit es war, der
er diese Eingebung zu verdanken hae.
In Rom kann man no weitere Reliquien Kostantins finden. Die
auffälligsten, die harmlosesten sind seine beiden Köpfe. Der erste, koloale,
befindet si seit langem im Kapitol, im Hof des Palazzo dei Conservatori
(Konservatorenpalast). Er gehörte zu einer 12 m hohen Statue, die in der
Apsis der Maxentius-Basilika stand. Der Kaiser war sitzend dargestellt und
symbolisierte das Ideal einer politisen Mat im Einklang mit der Goheit,
und umgekehrt au die himmlise Herrsa, die dank Seiner auf die Erde
herabgestiegen war.
Ein zweiter, diesem sehr ähnlier Kopf ist 2005 auf verslungenen
Wegen bei den Ausgrabungen im Trajansforum wiedergefunden worden.
Das ungefähr 60 cm hohe Marmorporträt befand si eingeklemmt in einem
Abwaerkanal, wer weiß, wie lange son, entweder weil man si eines
verhat gewordenen Kaisers entledigen wollte oder, naheliegender, weil die
abgerundete Form des Sädels sehr geeignet sien, das von Geröll
verstope Rohr freizustoßen.
So stempelt Dante im 19. Gesang der Hölle die «Senkung», mit der
Konstantin, der erste Kaiser, den man als Christen bezeinen kann, Papst
Silvester I. (314–335) «rei» mate. Der Kaiser errang den militärisen
Sieg, dem er seinen ron verdankte, 312 in der berühmten Slat an der
Milvisen Brüe gegen den Rivalen Maxentius. Der Legende na soll
Konstantin am Vorabend des entseidenden Gefets, vielleit sogar
wenige Augenblie vor der Slat, am Himmel die wundersame
Erseinung eines leutenden Kreuzes (oder einer Wolke in Form eines
Kreuzes) mit dem Srizug «In hoc signo vinces» («In diesem Zeien wirst
du siegen») beziehungsweise «Hoc signo victor eris» («Unter diesem
Zeien wirst du Sieger sein») ersienen sein. Do selbst die Legende ist
konfus. Das Kreuz hae nit die später üblie Form, es war eher ein im 90-
Grad-Winkel gedrehtes «X» mit einer auf si selbst zurügebogenen
Spitze, ein von einem kleinen «O» gekröntes «T». Konstantin ließ dieses
Signum auf den Silden anbringen, seine so beseelten Soldaten stellten si
dem Feind und besiegten ihn. Maxentius starb im Kampf oder fand den Tod
in den Fluten des Tibers, in den er si bei einem Flutversu
hineingestürzt hae – ganz genau weiß man das nit. Das Kreuz also, das
in der Antike no ein Symbol der Sande gewesen war, hae den Sieg
herbeigeführt. Der Sieg an der Milvisen Brüe ist der Beginn einer
Gesite, die die gesamte antike Welt umwälzen sollte und die ihre
Wirkung bis in unsere Tage zeitigt. Konstantin gestaete den Christen, die
das Symbol des Kreuzes übernehmen werden, mit seinem Toleranzedikt[3]
von 313 die freie Ausübung ihres Glaubens.
Einer anderen Legende zufolge haben die Dinge si jedo anders
zugetragen. Geraume Zeit vor der Slat soll der an Auatz erkrankte
Kaiser na wiederholtem Eintauen in ein Bad, das ihm vom künigen
Papst Silvester I. versrieben worden war, geheilt worden sein. Ob nun aus
dem einen oder dem anderen Grund, Tatsae ist, da Konstantin der erste
Kaiser war, der das Christentum zur religio licita (lat. erlaubte Religion)
erklärte, ihm also die Zulaung zu den Kulten des Kaiserreies gewährte
und auf diese Weise seine Verbreitung beförderte. Zutiefst dankbar für den
Sieg über den Rivalen oder für die Heilung von einer abstoßenden Krankheit
soll er dem Papst und seinen Nafolgern einen kaiserlien Status verliehen
haben, der seinem eigenen ebenbürtig oder sogar überlegen war: dur eine
Urkunde, die unter dem Namen Donatio oder Constitutum Constantini (lat.
Konstantinise Senkung) bekannt wurde; dazu später mehr.
Nadem er seinen Mit-Herrser Licinius[4] ausgesaltet hat, regiert
Konstantin allein. Er versut, den ristlien Geist in die Gesetzgebung
einfließen zu laen, indem er beispielsweise die qualvollen Hinritungen
dur Kreuzigung und die Gladiatorenkämpfe absaffen lät. Sein
Privatleben und die Methoden seiner Herrsaierung sind aber na
wie vor voller Grausamkeiten und ausgesproen «unristli». Seinen
Swiegervater Maximian lät er hinriten und später au seinen Sohn
Flavius Crispus, der von seiner Stiefmuer Fausta zu Unret bezitigt
worden war, ihr nazustellen. Fausta wird diese Verleumdung ihrerseits mit
dem Leben bezahlen. Konstantin verbreitet zwar das Christentum, lät si
aber erst kurz vor seinem Tod taufen. Für unsere Gesite von Bedeutung
ist, da er si mit dem Konzil von Nicäa (325) zum glühenden Sutzherren
der neuen Religion wandelt. Im Widerspru zu der in seinem Edikt
proklamierten Toleranz lät er die Anhänger des Arius verfolgen. Es ist die
erste Verfolgung mit umgekehrten Vorzeien: nit mehr gegen die Christen
geritet, sondern gegen die Gläubigen der alten Religionen oder, wie im
Falle der Arianer, gegen sole, die als «Häretiker» betratet werden. Do
das ist erst der Anfang. 392 wird Kaiser eodosius ein Edikt erlaen, mit
dem heidnise Opfer und sogar der einfae Besu eines nit-ristlien
Tempels mit strengen Strafen belegt werden, nit ausgesloen au die
Todetrafe. Im Laufe weniger Jahrzehnte also vollzieht si ein radikaler
Umbru, der wieder einmal die Frage aufwir, wie viel von der Toleranz
des Glaubens übrigbleibt, wenn si zur geistlien die politise Mat
hinzugesellt.
Von den Legenden abgesehen stellt si zunäst die Frage, aus welen
Gründen si Konstantin auf die Seite des Christentums slug. Es handelte
si dabei im Grunde um eine neue Religion, die der römisen Tradition
klar zuwiderlief und die mit Argwohn und Feindseligkeit betratet wurde,
weil sie die Einheit von religiösem und staatliem Geist bedrohte, mit
anderen Worten den «Patriotismus», der einer der Grundpfeiler für Roms
Stärke gewesen war. Möglierweise war dem Kaiser als gewieem Politiker
klargeworden, wele vitale Kra in dem neuen Glauben stete, und er
beabsitigte, ihn zur Stärkung des kulturellen und politisen
Zusammenhalts seines Reies zu nutzen. Vielleit hielt er Christus sogar
für eine Offenbarung des Sol Invictus.[5] Dafür sprit, da er einige
witige Fesage des Christentums mit denen der Sonnenreligion
zusammenlegen ließ: z.B. den Sonntag (im Deutsen wie im Englisen
sun-day), der im Italienisen zu Domenica (Tag des Herrn) geworden ist.
Der 25. Dezember, der Geburtstag des Sonnengoes und des Goes Mithras
wurde au der Geburtstag Jesu. In der neuen Hauptstadt des Ostens,
Konstantinopel, wurden ristlie Kiren erritet, do beließ der Kaiser
au die heidnisen Tempel in Funktion. Er selbst behielt sein ganzes Leben
lang das Amt des Pontifex maximus bei und bekehrte si erst auf dem
Totenbe zum Christentum.
In Rom gibt es ein kleines, sehr verstetes Oratorium, in dem der
kaiserlie Senkungsakt ausführli illustriert ist und das deshalb neben
dem Konstantinsbogen und der Milvisen Brüe ebenfalls zu den Orten
der Erinnerung an Konstantins Amtszeit gehört. Es ist von außerordentlier
Faszination, dem hl. Silvester geweiht, im Innern des Gebäudekomplexes der
Santi Quaro Coronati (Basilika der Heiligen Vier Gekrönten). Ein Fresken-
Zyklus stellt dort die berühmte «Senkung» dar. Über das Oratorium habe
i in meinem vorhergehenden Bu Die Geheimnisse Roms (Kapitel «Die
Türme der Angst») ausführli gesrieben. Für unsere Zwee reit es zu
wien, da Papst Innozenz IV. (1243–1254) den Freskenfries im Zuge des
Kampfes gegen Friedri II. aus Gründen malen ließ, die wir heute als
«Propaganda» bezeinen würden.[6]
Der Legende na ist der Kaiser, wie gesagt, dur das Werk des frommen
Bisofs Silvester auf wundersame Weise vom Auatz geheilt worden. Der
Heilige ließ Konstantin dreimal in das Waer der Lateraner Tauire
tauen, und am Ende dieses reinigenden Rituals waren die Symptome der
unreinen Krankheit verswunden. Wie man si gut vorstellen kann, war
der Kaiser überaus dankbar und überließ in dem als Constitutum
Constantini in die Gesite eingegangenen Dokument dem römisen
Papst im Gegenzug die Suprematie über alle Herrser der Erde. Darauf
bezieht si Dante, wenn er von der «Senkung» und vom Reitum
sprit.
Was Dante nit wute, als er seine Göttlie Komödie srieb, ist, da es
in Wahrheit eine dote an Silvester niemals gegeben hae. Die sogenannte
Senkung war dur ein gefälstes Dokument zertifiziert worden, das
neben den (wahrseinli vom zaristisen Geheimdienst Orana zum
Beleg einer jüdisen Weltverswörung fabrizierten) «Protokollen der
Weisen von Zion» eine der eklatantesten Fälsungen der Gesite ist. In
dem kurzen lateinisen Text erklärt der Kaiser seinen Willen, dem Papst
und allen seinen Nafolgern «bis zum Weltenende» – unter Androhung der
ewigen Verdammnis bei Zuwiderhandlung – Rom, Italien und die gesamte
Westhäle des römisen Reies zu senken. Dem römisen Papst
wurden also kaiserlie Insignien und Vorrete über alle Territorien
verliehen, in deren Besitz er gelangt war, was aus dem Mann, der als
Stellvertreter Christi auf Erden son über den potere spirituale, also die
geistlie Mat verfügte, unter dem Stri den mätigsten Mann des
Planeten mate, den Kaiser der Kaiser, den Souverän gar, von dem alle
anderen zu ihrer Legitimation erst geweiht werden muten.
So entstand der potere temporale, die weltlie Mat der Päpste, ihr
kaiserlier Status. Ganz nebenbei entstand aus dieser falsen Urkunde aber
au die «italienise Frage», die über Jahrhunderte hinweg die politise
Situation Italiens und Roms nahaltig beeinfluen sollte und die von den
brillantesten Intellektuellen Italiens immer wieder als Ursae aller
möglien Mistände angeprangert worden ist, von Dante bis Maiavelli,
von Guicciardini bis Ariost, von Aleandro Manzoni bis zum Grafen
Cavour.
Die genaue Entstehungszeit des Dokumentes ist unbekannt, au wenn
der Text traditionell mit 324 datiert wurde, also dem Jahr vor dem von
Konstantin höstpersönli einberufenen Konzil von Nicäa (heute İznik in
der Türkei). Heute wird sie von den meisten Wiensalern zwisen der
Mie des 8. und der Mie des 9. Jahrhunderts angesetzt. Historis würde
die Redaktion eines Dokuments zur Festigung der päpstlien Mat in eine
Epoe paen, in der diese vor allem von langobardisen Herrsern heig
bekämp wurde, die der Kire von Rom meist unversöhnli
gegenüberstanden. In diesen stürmisen Zeiten haen die Päpste begonnen,
si auf die Monarie der Franken zu stützen, deren Könige zum
Katholizismus konvertiert waren. Knapp vierhundert Jahre dauerte diese
Phase der allmählien Konstruktion eines Glaubens und einer politisen
Mat, deren Merkmale immer klarer zum Vorsein traten. Mie des
8. Jahrhunderts sließli ist die Zeit reif für einen witigen Wesel, von
dem wir heute wien, da er epoal gewesen ist.
Papst Stephan II. (752–757) benötigt Hilfe, um seine Besitztümer zu
verteidigen, nadem der Langobardenkönig Aistulf ihm Ravenna entrien
hat. Er biet den Kaiser von Byzanz um Beistand, den dieser ihm aber
verweigert. Er wendet si daher an den König der Franken, Pippin den
Kleinen. Nadem das Terrain sondiert ist, überquert der Papst die Alpen
und begibt si persönli zur Abtei Saint-Denis (bei Paris), in der die
Reliquien des heiligen Dionysius auewahrt wurden – der Legende na der
erste Bisof von Paris.[7] Dort weiht er am 28. Juli 754 den Frankenkönig
Pippin und seine Familie, verleiht ihm und seinen Nakommen den Titel
Patricius Romanorum und mat sie damit zu Verteidigern des
Patrimoniums von St. Peter.[8] Im Gegenzug überlät Pippin dem Papst
weite Territorien auf der Apenninhalbinsel, die na heutiger Geografie
mehr oder weniger der Emilia, der Romagna und einem Teil der Marken
entspraen.
Mitgebrat hat der Papst das Constitutum Constantini, jenes Dokument
also, das den Beslu Kaiser Konstantins aestiert, den Heiligen
Petrutuhl über jeden anderen irdisen ron zu stellen und ihm
kaiserlie Würde zuzuerkennen. Unter anderem ist darin zu lesen:
Und weil die Mat der Kaiserherrsa irdis ist, so haben wir besloen, die
unantastbar-heilige römise Kire ehrfürtig hozuhalten und in no höherem Maße als
unsere eigene Kaiserherrsa und unseren irdisen ron den heiligsten ron des seligen
Petrus ehrenvoll zu erhöhen, indem wir ihm Mat und Ruhmesglanz und Kra und Ehre
der kaiserlien Herrsa zuerteilen. Und indem wir es so entseiden, legen wir
unantastbar fest, da er den Erstrang auf sole Weise innehaben soll über die vier hösten
Patriarensitze in Antioia, Alexandria, Konstantinopel und Jerusalem, wie au über alle
Kiren Goes auf dem gesamten Erdenrund, und der Priester, der in dieser Situation der
unantastbar-heiligen römisen Kire selbst aufgetreten ist, soll als der Höhere und als
Erster vor allen Priestern der ganzen Welt aureten und dur sein Urteil soll alles, was für
den Goesdienst und au für die Festigkeit des Glaubens der Christen zu besorgen ist,
geordnet werden … Dafür übergeben wir dem seligen Silvester, unserem Vater, dem hösten
Priester und allgültigen Papst der Stadt Rom und all seinen priesterlien Nafolgern, die bis
zum Weltende auf dem ron des seligen Petrus sitzen werden, von jetzt an den Palast
unseres Reies … wie au die Provinzen der Stadt Rom und Gesamtitaliens und au die
Gebiete des Westens, Länder und Städte ….
Die Kire wird zur Eigentümerin eines Großteils Italiens erklärt und als
religiöser Staat betratet, deen Souverän Christus höstpersönli ist, der
dur den Papst als Stellvertreter Christi auf Erden regiert.
Das Dokument ist eine Fälsung. Das aber weiß Pippin nit und will es
au nit wien. Er ist höst zufrieden, gemeinsam mit all seinen
Nakommen zum legitimen Herrser geweiht worden zu sein, und bereit,
diese unermelie Gefälligkeit zu erwidern. Er besiegt den
Langobardenkönig Aistulf in der Slat und erklärt mit dem Frieden von
Pavia (756), da Ravenna und die Pentapolis[9] für alle Zeiten dem Heiligen
Stuhl abgetreten werden. Es ist die Geburttunde des Kirenstaates. Als
Aistulf zu Tode kommt, brit aus Stephan II. der ganze angestaute Groll
gegen ihn heraus; in einem Brief an Pippin bezeinet er ihn sonungslos
als «Anhänger des Teufels, Sauger des Blutes der Christen, Zerstörer der
Kiren, vom Streie Goes getroffen und hinabgestoßen in den Slund
der Hölle».
Eine Folge dieser Allianz war die Krönung Karls (später der Große
genannt), des Sohnes von Pippin (der Kurze oder Kleine genannt) zum
Römisen Kaiser, die in der Weihnatsnat (25. Dezember) des Jahres 800
na einer feierlien Mee in der Petersbasilika von Papst Leo III.
vollzogen wurde. Seit der Absetzung von Romulus Augustulus 476 hae es
im Westen keinen Herrser mehr gegeben, der zu solen Würden
aufgestiegen war. In jener Nat gab Leo III. urbi et orbi (der Stadt und dem
Erdkreis) nit nur zu verstehen, da der Titel wieder vergeben wurde,
sondern au, da der Papst von Rom jetzt sein legitimer Verwalter war. Das
in der Basilika anwesende, entspreend instruierte Volk bra in den
dreifaen Jubelruf aus: «Karl, dem Erhabenen, dem von Go gekrönten,
großen und Frieden bringenden Kaiser der Römer, Leben und Sieg!»
Na den Karolingern gelangten die Oonen an die Spitze des Sacrum
Romanum Imperium, es bleibt jedo bei der päpstlien suprematia über
die auließli politise und militärise Mat der Kaiser. Ein
swieriges Gleigewit, das mehr oder weniger bis zum
Investiturstreit[10] hielt, der zwisen dem energisen Papst Gregor VII.
(Hildebrand von Soana, 1073–1085) und Kaiser Heinri IV. ausbra, wobei
es unter anderem um die witige Entseidung ging, ob au der Kaiser
oder auließli der Papst Bisöfe einsetzen dürfe. Jeder der beiden
Protagonisten – ausgesproen starke Persönlikeiten – hae dabei
natürli die Aufwertung der eigenen Matposition im Auge. Am
22. Februar 1076 exkommunizierte der Papst den Kaiser und erklärte ihn für
abgesetzt. Zuvor jedo hae Heinri seinerseits bereits Gregor seines
Amtes enthoben und dabei geltend gemat, da ihm der Titel Rex
Romanorum das Ret verleihe, die Papstwahl zu bestätigen.
Der Konflikt wurde (provisoris) dur den spriwörtli gewordenen
«Gang na Canoa» beigelegt, bei dem der Kaiser gezwungen war, im
Büßergewand vor die Burg Canoa zu ziehen und dort vom 25. bis zum
27. Januar 1077 drei Tage lang in eisiger Kälte zu warten, bis der Papst
geneigt war, ihn zu empfangen. Über die Bedeutung dieser berühmten
Episode sind si die Historiker uneins: ob der Kaiser dort tatsäli
gedemütigt wurde oder ob es si nit vielmehr um ein diplomatises
Manöver handelte, das den Kaiser zwar einiges an Prestige kostete,
gleizeitig aber so slau eingefädelt war, da er dadur später seine
Handlungsfreiheit zurüerlangte. Do das ist eine andere Gesite,
kehren wir zum Constitutum zurü.
Die vom Papst in Canoa demonstrierte Standhaigkeit war in gewier
Weise dur ein sehr strenges Dokument (vielleit) aus der Feder
Gregors VII. persönli aus dem Jahre 1075 vorbereitet worden, das als
Dictatus papae in die Gesite eingegangen ist. Die Authentizität des
Sristüs aus dem Briefregister Papst Gregors VII. ist in Frage gestellt
worden, do, ob nun authentis oder nit, reflektiert es mit Sierheit die
Prinzipien der sogenannten Gregorianisen Reformen,[11] mit denen der
Führungsanspru des Papstes in Kire und Welt bestätigt wird. In 27
Punkte unterteilt, wird etwa in den Punkten 9 und 12 festgelegt, da alle
Fürsten nur des Papstes Füße küen dürfen und da es ihm erlaubt sei,
Kaiser abzusetzen. Neben den Absnien zur Kirenordnung und den
Zuständigkeiten sind die drei folgenden Konzepte gleiermaßen
beeindruend: «Da er von niemandem geritet werden darf.» (19); «Da
die römise Kire niemals in Irrtum verfallen ist und na dem Zeugnis
der Sri niemals irren wird.» (22); «Da er Untergebene vom Treueid
gegenüber Sündern lösen kann.» (27). Es handelt si um Leitsätze, die ihre
juristise Grundlage offenkundig ausgerenet in dem (na einer
verbreiteten Hypothese der Historiker) drei Jahrhunderte zuvor in der
vatikanisen Kanzlei hergestellten Constitutum haben. Unter Punkt 23 wird
ein weiteres Gebot dekretiert, das den Päpsten eine gewiermaßen
automatise Heiligkeit zusprit: «Da der römise Bisof, falls er
kanonis eingesetzt ist, dur die Verdienste des heiligen Petrus
unzweifelha heilig wird …»
Etwa drei Jahrhunderte lang blieb das Dokument zur Absierung der
weltlien Mat der Päpste im «Winterslaf»,[12] denn es ergab si nit
die geringste Notwendigkeit, per tabulas, also dur die Vorlage srilier
Dokumente, die von niemandem in Frage gestellte Vorherrsa des Papstes
nazuweisen.
In sehr viel swieriger gewordenen Zeiten erwies es si jedo als
unabdingbar, den Naweis für die juristisen Grundlagen zu erbringen, auf
der die Herrsa basierte. Innozenz IV. verstieg si zu der Auage, nit
Konstantin, sondern Christus persönli habe Petrus und seinen Nafolgern
alle Mat einsließli der weltlien verliehen. Zu denjenen, die son
frühzeitig mit Klarheit und Nadru die «Senkung» kritisierten, gehörte
neben Dante no ein weiterer großer Geist dieser Epoe, Iacopone da Todi
(1230/36–1306), ein Franziskaner der strengsten Ausritung, ein «Armer
Goes» und wie Dante ein Feind von Bonifaz VIII. (Benedeo Caetani,
1294–1303), mit dem er unter anderem wegen des «Armutstreits» in Konflikt
geriet.
Bonifaz VIII. war ein äußerst matbewuter Papst und deswegen bei
seinen Zeitgenoen umstrien. Na der erzwungenen Abdankung seines
Vorgängers Cölestin V. (Juli bis Dezember 1294), der si als weltfremder
Eremit ohne Lateinkenntnie den Aufgaben des Papsums nit gewasen
gezeigt hae, forderte er von den europäisen Herrsern mit aller
Sroeit die Rete des weltlien Primats ein – bis hin zum Ret, diese
abzusetzen. Als Bonifaz VIII. Papst wird, ist Sizilien in der Hand der
Aragoneser, der englise König weist seine Ansprüe auf Soland
zurü, vor allem aber maßt si der König von Frankrei, Philipp IV. (der
«Söne»), an, den französisen Klerus zu besteuern und diese Steuern
einzubehalten. Bonifaz protestiert, der König verweist die päpstlien
Steuereintreiber des Landes und beslagnahmt die Gelder.
Die Auseinandersetzung ist heig und setzt in kleinerem Maßstab, aber
nit minder gewaltsam, den Investiturstreit zwisen Papst Gregor VII. und
Kaiser Heinri IV. fort. Der Legende na sollen die Gesandten Philipps des
Sönen so weit gegangen sein, den Papst in Anagni öffentli zu ohrfeigen,
ein Eklat mit sehr dramatisen Folgen. Wäre hier nit ein «Petrus-Erbe»
involviert, häe es si einfa um den Kampf zweier Herrser gehandelt,
die si gegenseitig außer dem Geld au no Teile der Mat streitig
maen. Einer der beiden Herrser jedo ist gleizeitig das Oberhaupt
einer Religion und will nit weien, denn er beansprut, von Go
persönli in sein Amt eingesetzt zu sein. Ein lebhaes Porträt des Bonifaz
gibt im 19. Jahrhundert Ferdinand Gregorovius in seiner Gesite der Stadt
Rom im Mittelalter vom V. bis XVI. Jahrhundert. Hier die Besreibung des
Krönungszugs:
Bonifatius saß auf einem sneeweißen, mit Deen aus cyprisen Federn behängten Zelter,
die Krone Silvesters auf dem Haupt, gehüllt in die feierlien Papstgewänder; zu seinen
Seiten srien, in Sarla gekleidet, zwei Vasallkönige, Karl und Karl Martell, die Zügel
des Pferdes haltend.[13]
Der Zudrang war beispiellos. Rom bot Tag und Nat das Sauspiel von heerglei
hereinströmenden oder herausziehenden Pilgern dar … Es kamen Italiener, Provençalen,
Franzosen, Ungarn, Slawen, Deutse, Spanier, selbst Engländer … Sie zogen einher im
Pilgermantel oder in den Nationaltraten ihrer Länder, zu Fuß, zu Pferde, auf Karren, Müde
und Kranke führend, beladen mit ihrem Gepä … Wenn sie in der sonnigen Ferne den
finstern Wald der Türme der heiligen Stadt erseinen sahen, so erhoben sie den Jubelruf
«Roma! Roma!», wie Siffer, die na langer Fahrt auauendes Land entdeen.[16]
Die Jubelfeier stärkte die persönlie Position des Papstes, vor allem aber
vermehrte sie sein Vermögen. Die Chronisten der Zeit erreneten einen
Zustrom von zwei Millionen Pilgern. So groß ist der Andrang, da einer von
ihnen notiert: «O sah i Männer wie Weiber unter die Füße getreten, und
mit Mühe entkam i selbst einige Male dieser Gefahr.» Au Dante war in
jenen Tagen in Rom, und nit zufällig beginnt seine Göttlie Komödie mit
der Zeile «Nel mezzo del cammin di nostra vita» in der Osterwoe des
Jahres 1300.[17] Gregorovius notiert:
[Bonifatius] konnte in jenen Tagen in der Fülle eines fast gölien Matgefühles
swelgen wie kaum ein Papst vor ihm. Er saß auf dem hösten rone des Abendlandes,
welen die Spolien des Reies smüten, als der «Vikar Goes» auf Erden, als das
dogmatise Oberhaupt der Welt, die Slüel des Segens und des Verderbens in der Hand;
er sah Tausende aus allen Fernen vor seinen ron kommen und si vor ihm wie vor einem
höheren Wesen in den Staub werfen. Nur Könige sah er nit. Außer Karl Martell kam kein
Monar na Rom, als Bekenner von Sünden den Abla zu nehmen.[18]
Die Tage, wele der unglülie Greis im Vatikan hinlebte, waren über alles Maß furtbar.
Wilder Smerz um seine Mihandlung, das Gefühl der Ohnmat, Mitrauen, Furt,
Rae, freundlose Einsamkeit bestürmten sein leidensalies Gemüt …. Man erzählte,
da er si in sein Gema verslo, die Nahrung verweigerte, in Tobsut fiel, sein Haupt
gegen die Mauer stieß und endli auf seinem Bee tot gefunden ward. Die Feinde
Bonifatius‘ VIII. gefielen si darin, sein Ende in den grellsten Farben auszumalen, und
gemäßigte Gegner sahen in seinem Fall das Goesurteil über den Homut der Mätigen.
Ein päpstlier Gesitreiber, weler wohl in Rom war, als Bonifatius starb, sagt dies:
«Am 35. Tage na seiner Gefangennahme starb er; sein Geist war außer si; er glaubte,
da jeder, der zu ihm kam, ihn gefangen nähme.» Diese einfaen Worte enthalten ein
ritigeres Maß von Wahrheit als die dramatisen Silderungen anderer Erzähler.
Bonifatius VIII. starb, 86 Jahre alt, am 11. Oktober 1303 und wurde in einer vatikanisen
Grukapelle beigesetzt, die er si selbst erbaut hae. … er war der letzte Papst, weler den
Gedanken der weltbeherrsenden Hierarie so kühn aufgefat hat wie Gregor VII. und
Innocenz III. Aber von diesen Päpsten war Bonifatius VIII. nur eine verunglüte
Naerinnerung.[19]
Im 27. Gesang des Paradieses erteilt er Petrus das Wort, der sagt:
Alle Kriege, die [von einem bestimmten Moment an – Anm. d. A.] von Barbaren in Italien
geführt wurden, waren zum größten Teil von den Päpsten selbst verursat, und alle
Barbaren, die das Land überswemmten, sind fast immer von ihnen selbst gerufen worden.
Dieses Vorgehen setzt si fort bis in unsere Zeit; und es hat Italien uneinig und krank
gemat.
Au Francesco Guicciardini bringt in seiner Gesite Italiens von 1539
mit mehr als deutlien Worten zum Ausdru, wele Verdorbenheit und
Korruption das vom politisen Matdenken geleitete Handeln der Kire
verursat hat:
Von jetzt an waren die Gegenstände ihrer Sorgen und ihrer Gesäe nit mehr die
Heiligkeit des Lebenswandels, nit mehr die Beförderung der Religion, nit mehr der
Glaubenseifer und die Nästenliebe, sondern Heeresmat, Kriege gegen Christen, so da
sie mit blutigen Gedanken und mit blutbefleten Händen das heilige Opfer vollzogen, ferner
Anhäufung von Sätzen, neue Satzungen, neue Kunstgriffe, neue Ränke, um von allen
Seiten her Geld zusammenzusarren; und zu diesem Zwee gebrauten sie ohne Seu die
geistlien Waffen; zu diesem Zwee verkauen sie ohne Sam Heiliges und Profanes.[24]
Unter allen Gesetzen gibt es nit ein einziges, das den Fürsten gewogener ist als das
ristlie: denn es unterwir ihnen nit nur die Körper und, wenn nötig, die Vermögen der
Untertanen, sondern au die Seelen; und es feelt nit nur die Hände, sondern au die
Gefühle und sogar die Gedanken.
Andere aber, selbst innerhalb der Kire, haen verstanden, da die Slat
um das Constitutum der Vergangenheit angehörte. Zum Beispiel erkannte
Kardinal Robert Bellarmin (Roberto Francesco Romolo Bellarmino, 1542–
1621), ein Jesuit, äußerst sarfsinniger Geist und unerbilier Inquisitor,
da es für die angebli von Konstantin gewährte weltlie Mat der
Päpste kein Saden wäre, zu dem Dokument auf Abstand zu gehen. Denn
die Päpste verfügten über eine Investitur von ganz anderer Tragweite, die
si auf weit mehr als ein wertloses Stü Papier berief. Zuvor son hae
nämli der Kardinal und Kirenhistoriker Cesare Baronio (1538–1607)
vertreten, da die Tatsae der Fälsung des Dokuments nit nur kein
Saden, sondern sogar ein Vorteil sein konnte: Da Petrus und seine
Nafolger alle Mat von Christus persönli erhalten haen, war ein
kaiserlies Dokument, letztendli also das Dokument eines sterblien
Mensen, das diese Mat anerkannte, geringerwertig und infolgedeen
unerhebli.
Dieses Kapitel kann nit die ganze Gesite des Constitutum erzählen,
über das es ausgezeinete Studien gibt. Es will nur eine kleine Perspektive
zur Einordnung dieses gefälsten Dokuments in den Kontext der
Nationalgesite Italiens eröffnen, auf die diese angeblie
Hinterlaensa Konstantins erheblie Auswirkungen gehabt hat und bis
heute hat.
Vom 17. Jahrhundert an begann es mit der weltlien Mat des Heiligen
Stuhls bergab zu gehen, nit aufgrund dieses grob manipulierten Stü
Papiers, sondern aufgrund vielfältiger Ursaen, die die römisen
Würdenträger zunehmend in Kontrast zu den neuen Zeiten braten. Die
Philosophie der Aulärung besleunigte das Phänomen, die beiden großen
Revolutionen des 18. Jahrhunderts (die Amerikanise und die Französise)
haen in einem mit Waffen und Ideologien ausgefotenen Krieg au die
römise Kire unter ihren Gegnern. Die Geheimgesellsaen, allen voran
die Freimaurer, sahen im Vatikan einen Feind. Die Antwort der hohen
katholisen Würdenträger war die Denunziation der Anhänger jeglier
egalitärer Philosophien, vor allem der Sozialisten, als Feinde Goes. Zwei
Jahrhunderte lang haben si die größten Intellektuellen, Philosophen,
Historiker, Naturwiensaler alle Mühe gegeben, die organisierten
Religionen als eines der größten Hindernie für die Erneuerung, für die
Gleiheit der Mensen, für die Anerkennung der Bürgerrete
darzustellen.
So tiefgehend war der in diesen Jahren vollzogene Bru mit der
Vergangenheit, da nit einmal der Restaurationswille des Wiener
Kongrees (1815) na den napoleonisen Ersüerungen imstande war,
den vorher bestehenden Zustand wiederherzustellen. Die weltlie
Herrsa der Päpste war in dieser Periode bereits mehrfa für hinfällig
erklärt worden. Das erste Mal im Februar 1798, als die französisen
Besatzungstruppen die Römise Republik ausriefen und Papst Pius VI.
(1775–1799) verhaeten, der im Jahr darauf swerkrank als Gefangener in
Valence sterben sollte. Das Experiment war nur von kurzer Dauer, es war
aber immerhin na einem Jahrtausend das erste Mal, da so etwas
paierte. Ein matvolles Signal, das aber keine weiteren Folgen hae. Das
zweite Mal war 1809, als Napoleon na der Versleterung der
Beziehungen zwisen dem Kaiser der Franzosen und dem Vatikan das Ende
der weltlien Mat des Papstes und die Annexion der päpstlien
Territorien erklärte. Das drie Mal war 1849, als eine neue Römise
Republik, diesmal dur mutige Patrioten erritet, während ihres ebenso
glorreien wie kurzlebigen Bestehens (von Februar bis Juni) unter anderem
eine der fortsrilisten Verfaungen Europas erließ. Das vierte Mal, und
diesmal endgültig, war im September 1870, als Rom mit dem neugeborenen
Regno d’Italia (Königrei Italien) vereinigt und zu seiner Hauptstadt wurde.
Wie diese Ereignie zeigen, war die Konstantinise Senkung und die
weltlie Mat des Papstes im Kontext der Entwilung Gesamteuropas zu
einem vornehmli italienisen Problem geworden, also zu einem Kampf
um die Vorherrsa über die Apenninhalbinsel. Eine pure Matfrage,
gewi, verkompliziert aber dur eine jahrhundertealte Tradition und die
Furt vor den neuen Zeiten sowie die Angst der katholisen Hierarie,
da mit dem Glauben au die spirituelle Freiheit der Kire wanken
könnte.
Vergebli hae si der Graf Camillo di Cavour, der Urheber der
italienisen Einheit, bis wenige Monate vor seinem Tod darum bemüht, den
Papst zu beruhigen. Gerade das geistlie Interee, hae er dem Papst
empfohlen, lae die Aufgabe des anaronistisen Ansprus auf weltlie
Herrsa geraten erseinen. Als Ministerpräsident war er mehrfa auf
das ema zurügekommen und hae dem Papst weitgehende Garantien
angeboten: «Heiliger Vater, wir werden Eu die Freiheit geben, die Ihr seit
drei Jahrhunderten von allen großen katholisen Mäten vergebli
fordert … wir sind bereit, in Italien dieses große Prinzip zu proklamieren:
freie Kire in einem freien Staat.»
Nits half, um das eher psyologis als politis begründete Mitrauen
von Papst Pius IX. und seinen hohen Würdenträgern auszuräumen. Das
Moo «freie Kire in einem freien Staat» klang in den Ohren des Papstes
alles andere als beruhigend, eher wie eine Drohung. Ganz zu sweigen vom
glühenden Antiklerikalismus eines Teils der Risorgimento-Bewegung, der
dieses Mitrauen no beförderte. Giuseppe Garibaldi beispielsweise
verbarg seine Aversion gegen die Kire nit; Guicciardinis Argument
verkürzend, srieb er an eine englise Freundin: «Die päpstlie eokratie
ist die sreliste Plage, von der mein armes Land befallen ist; atzehn
Jahrhunderte Lügen, Verfolgungen, Seiterhaufen und Komplizensa mit
allen Tyrannen Italiens haben diese Plage unheilbar gemat.»
Es gab allerdings au innerhalb des Katholizismus selbst eine starke
Strömung, die Cavours Einstellung teilte, die Gefahr der weltlien
Herrsa des Papstes für die Kire und die Wirksamkeit ihrer Lehre ganz
klar erkannte und si der swierigen Kompromie bewut war, die das
politise Gesä der Spiritualität aufzwingt. Das sreibt der Priester und
Philosoph Antonio Rosmini, das sreibt au der größte katholise
Sristeller Italiens, Aleandro Manzoni: «I glaube, als die Religion in
Frankrei ihres äußeren Gepränges beraubt wurde, als sie keine andere
Kra mehr hae als die Jesu Christi, konnte sie lauter spreen und wurde
mehr gehört.»
Das Problem wird no lange ungelöst mitgesleppt. Wie son erwähnt,
wird erst am 11. Februar 1929 Benito Muolini als Regierungsef im
Lateranpalast das Konkordat mit der Kire unterzeinen. Im Gegenzug
erkannte der Vatikanstaat die Legitimität des Königreis Italien an. Ein
Vertragswerk, das von vielen Seiten in zahlreien Klauseln als nateilig für
Italien eratet wurde, insbesondere in der für den italienisen Staat sehr
teuren Finanzkonvention. Pius XI. (1922–1939), der damalige Papst,
kommentierte den Abslu dagegen mit offenkundigem Wohlgefallen:
«Wir glauben, Go damit Italien zurügegeben zu haben und Italien Go.»
Sehr viel nüterner notierte der kommunistise Denker Antonio Gramsci
in seinen Gefängnisheen:
Die Kapitulation des modernen Staates, die dur die Konkordate zustande kommt, wird
maskiert, indem Konkordate und internationale Verträge verbal gleigesetzt werden. Aber
ein Konkordat ist kein gewöhnlier internationaler Vertrag: im Konkordat kommt es de
facto zu einer Souveränitätsübersneidung auf einem einzigen Staatsgebiet; alle Artikel
eines Konkordats beziehen si auf die Bürger nur eines der verhandelnden Staaten, über
wele die Hoheitsgewalt eines fremden Staates bestimmte Rete und Befugnie der
Retspreung retfertigt und fordert … Das Konkordat ist folgli die Anerkennung einer
doppelten Souveränität auf ein und demselben Staatsgebiet. [Was bedeutet in der modernen
Welt die von den Konkordatsverträgen in einem Staat gesaffene Situation in der Praxis? Sie
bedeutet die öffentlie Zuerkennung bestimmter politiser Privilegien an eine Kaste von
Bürgern eben dieses Staates.] Sie ist zwar nit mehr dieselbe übernationale Form von
Souveränität, die dem Papst im Mielalter formell zuerkannt war, aber sie ist ein daraus
abgeleiteter Kompromi.[25]
Von dem 1929 unterzeineten Vertrag hat die oben erwähnte Via della
Conciliazione zwisen Petersplatz und Tiberufer ihren Namen. Na dem
Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Lateranverträge in die Verfaung
der Italienisen Republik (in Kra seit dem 1. Januar 1948) aufgenommen,
wo es in Artikel 7 heißt: «Der Staat und die katholise Kire sind, jedes im
eigenen Ordnungsberei, unabhängig und souverän. Ihre Beziehungen sind
dur die Lateranverträge geregelt.»[26] Ja-Stimmen: 350; Nein-Stimmen:
149. Unter den Ja-Stimmen waren au die der von Palmiro Togliai
geführten Kommunisten, und es fehlte nit an Polemiken. Der Artikel 7
widerspra generell dem Geist der Verfaung, besonders aber Artikel 3, der
festlegt: «Alle Staatsbürger haben die gleie gesellsalie Würde und
sind vor dem Gesetz ohne Untersied des Gesletes, der Rae, der
Sprae, des Glaubens, der politisen Ansauungen, der persönlien und
sozialen Verhältnie glei.» Na dem Krieg war die Kommunistise
Partei (Partito Comunista Italiano, PCI) mit an der Regierung, Togliai war
bis 1948 Justizminister und an der Aushandlung der Verfaung beteiligt.
Jahrelang wurde Togliai nagesagt, er habe die Säkularität des Staates
verkau, um seinem PCI die Regierungsbeteiligung zu erleitern. Wenn das
der Grund gewesen sein sollte, so war es ein politiser Fehler, und er hat
nit viel gebrat. Na der Wahlniederlage 1948 wurden die Kommunisten
in die Opposition getrieben, wo sie dreißig Jahre lang geblieben sind.
In den atzehn Jahrhunderten seit dem Beginn dieser Gesite ist viel
Waer unter den Brüen des Tibers hindurgefloen. Die Fälsung der
Konstantinisen Senkung ist im Grunde eine läerlie Angelegenheit,
die aber tragise Folgen hae, und zwar so nahaltige wie kaum eine
andere. Die weltlie Vorherrsa der Päpste hat elf Jahrhunderte gedauert
und endete erst am 20. September 1870, als au Rom und seine unmielbare
Umgebung vom neugeborenen Königrei Italien annektiert wurden. Von
der «Souveränitätsübersneidung», wie Antonio Gramsci es nennt, ist die
Gesite Italiens gravierend beeinflut worden. Hier haben si Arroganz,
Besitzgier, ernsthae Besorgnis um die Gesie der Institution Kire, aber
au Seinheiligkeit, sräge politise Manöver, Halbwahrheiten und
Tris vermist und überlagert, die das politise Leben seit jeher begleiten.
Die Gesite der Konstantinisen Senkung stellt aber ein seltenes
Erkenntnisinstrument dar, vor allem seit die Fälsung des Dokumentes
nagewiesen war. Der Erkenntnis, da es nit einmal einer Organisation,
die für si in Anspru nimmt, göli inspiriert zu sein, gelingt, si den
Swäen, Ängsten, Lügen zu entziehen, von denen jede gewöhnlie
Institution befallen ist. Das mat den Heiligen Stuhl mensli, sehr
mensli. Vielleit allzu mensli.
IV. DER PREIS DES RUHMS
WAHNSINN ALS PROJEKT: DER PETERSDOM
D
IE VATIKANISCHE BASILIKA SAN PIETRO, der Petersdom, die
Kire der Päpste, ist einer der größten jemals zu Ehren einer Goheit
erbauten Tempel. In seiner Baugesite kondensiert si ein menslies
und spirituelles Abenteuer, das in der Welt kaum seinesgleien hat. Die
komplexe Entstehungsgesite des ehrwürdigen Gebäudes, zunäst in der
von Kaiser Konstantin gewünsten Version, dann in seiner endgültigen
Renaiance-Aritektur, markiert, au dank der Symbolkra, die von ihr
ausging, einige der fundamentalen Momente der Gesite der katholisen
Religion.
Eine Basilika von gewaltigen Ausmaßen, die bis zu 20.000 Personen faen
kann, 194 Meter lang und oben an der Kuppel mehr als 130 Meter ho. Auf
einer Grundfläe von mehr als zwei Hektar. Die 13 Statuen der Faade sind
beinahe 6 Meter ho. In den Kirensiffen erheben si 148 Säulen, die in
einer Höhe von 44 Metern die Dee berühren. Die von Bernini in die vier
Zentralpfeiler eingefügten Statuen sind jeweils 5 Meter ho, 2 Meter ho
die drallen Puen, die die Weihwaerbeen tragen; 30 Altäre gibt es, 147
Papstgräber. Grandios in den Dimensionen und in der Struktur wird die
Basilika unvergleili, wenn man si die Menge der Kunstsätze
klarmat, die sie enthält, und die Meistersa der Künstler, die an ihrer
Ausgestaltung beteiligt waren.
Das Bild des Petersdoms ist so geläufig, da es angesits der visuellen
Abnutzung, der es unauörli ausgesetzt ist, geradezu verbraut wirkt.
Das führt dazu, da der größte Teil der Mensen, die ihn betraten, ihn
nit wirkli «sehen», si nit immer wieder aufs Neue von ihm
überwältigen und faszinieren laen, was eigentli zu erwarten wäre. Selbst
wenn die Verbreitung seiner Silhouee über alle erdenklien Medien eine
bemerkenswerte Propagandawirkung für die Kire entfaltet, so ist mit
Sierheit die Wahrnehmung seiner aritektonisen und künstlerisen
Einzigartigkeit abgestump. Mit der Zeit ist die Basilika des hl. Petrus zum
Petersdom geworden, nits weiter, als habe sie immer dort gestanden,
unwandelbar, die Zeit überdauernd, ewiger Aretyp, das Emblem der
katholisen Religion par excellence, Sitz ihres Summus Pontifex, ihres
«Obersten Priesters».
Zur Abswäung der Wirkung hat im Übrigen au die Öffnung der Via
della Conciliazione beigetragen, wodur der Petersdom son vom Ufer des
Tibers aus zu sehen ist, und das mat ihn zum simplen Hintergrund einer
sönen Straßenansit. Wie grundlegend anders mu die Seherfahrung
do früher gewesen sein, das Erstaunen und die Überrasung, wenn si
demjenigen, der aus dem Dunkel der engen Gaen der alten Spina di Borgo
herauskam, unversehens die ungeheuerlie Wut und Größe der Basilika
in ihrer ganzen Prat darbot.[1]
Die Basilika hat eine bewegte, zuweilen dramatise Gesite. Jeder
Gebäudeteil ist lange diskutiert, bis ins Detail studiert, verworfen, neu
entworfen und sließli so realisiert worden, wie wir ihn heute kennen,
um konzeptionell und symbolis den größtmöglien Bedeutungsgehalt in
si zu vereinigen – eine geballte Ladung an Mahnung, aber au
Faszination, sitbares Zeien einer unermelien Mat.
Dieses Kapitel erzählt aber nit die Gesite der Basilika, zumindest
nit die ganze. Es gibt hervorragende Büer darüber, die Gesite ist
lang und kompliziert, rei an Episoden, die fast alle eine Erwähnung wert
wären. An dieser Stelle sollen nur einige dieser Ereignie
zusammengetragen werden; die Hintergründe zum Beispiel, die dazu
führten, da gewie Kunstwerke, die die Basilika aumüen oder sogar
zu ihren Charakteristika gehören, si dort befinden, wo sie si befinden, zu
welem Zwe sie in Aurag gegeben wurden, zu welem Nutzen und zu
welen Kosten. Und wenn i Kosten sage, meine i nit nur die
finanziellen. Im Übrigen werde i auf Sankt Peter und einige der Künstler,
die dort gearbeitet haben, in den folgenden Kapiteln immer wieder
zurükommen müen, weil die Basilika natürli au ein Repertoire
darstellt, ein Gesitskonzentrat, das auf der einen Seite die himmlisen
Glüseligkeiten heraueswört, auf der anderen aber au Monumente
und Gräber enthält, die sehr irdise menslie Sisale in Erinnerung
rufen. Heiligengesiten natürli, aber au die Eskapaden von Königen
und Königinnen, illustren Damen und Herren, die alles andere waren als
Heilige, weshalb die Frage zuläig ist, was sie getan oder nit getan haben,
um ein Begräbnis im hösten Tempel der Christenheit zu verdienen.
Ihre Frauen vertausten den natürlien Verkehr mit dem widernatürlien; ebenso gaben
die Männer den natürlien Verkehr mit der Frau auf und entbrannten in Begierde
zueinander; Männer trieben mit Männern Unzut … Und da sie si weigerten, Go
anzuerkennen, lieferte Go sie einem verworfenen Denken aus, soda sie tun, was si nit
gehört: Sie sind voll Ungeretigkeit, Sletigkeit, Habgier und Bosheit, voll Neid, Mord,
Streit, List und Tüe, sie verleumden und treiben üble Narede, sie haen Go, sind
überhebli, homütig und prahleris, erfinderis im Bösen, ungehorsam gegen die Eltern,
sie sind unverständig und haltlos, ohne Liebe und Erbarmen.»[3]
Damasus und Ursinus, von unmenslier Begierde, si des Bisofitzes zu bemätigen,
entbrannt, standen bei den widerstreitenden Bestrebungen in heigstem Kampf
gegeneinander, und es kam bei den Gefeten zwisen ihrem beiderseitigen Anhang zu
Wunden und Totslag … Im Kampfe selbst blieb Damasus Sieger, dur den lebhaen Eifer
seiner Partei unterstützt. Übrigens ist bekannt, da in der Basilika des Sicinius, wo si die
ristlie Gemeinde zum Goesdienst zu versammeln pflegt, an einem Tage 137 Erslagene
gefunden wurden und der wütende Pöbel erst lange naher si zur Ruhe bringen ließ.
Betrate i nun überall die Großtuerei der Stadt, so leugne i nit, da Leute, die na so
etwas Verlangen tragen, um zu ihrem Zwe zu gelangen, die ganze Kra ihrer Lungen im
Zanke auieten mögen: denn wer es einmal erlangt hat, ist für immer aller Sorgen
überhoben, sammelt si Sätze von den Spenden alter Frauen, erseint vor dem Volke nur
im Wagen sitzend, mit einem Gewande, das aller Augen auf si zieht, und hält auf
swelgerise Gastmahle, die selbst die Tafel der Könige überbieten.[4]
Am Ende gelang es Damasus, si durzusetzen, au wenn die Art und
Weise, wie er seinen Sieg errang, seinen Ruf als Mann der Religion sädigte.
Auf operativer Ebene jedenfalls war er ein Bisof von großer
Dursetzungskra, der die katholise Orthodoxie gegen versiedene
Häresien verteidigte. Unter seinem Pontifikat wurde das berühmte Edikt des
Kaisers eodosius I. (347–395) De fide Catholica (Februar 380) erlaen, mit
dem diese Doktrin zur offiziellen Religion des römisen Staates proklamiert
und Damasus zu ihrem Oberhaupt gemat wurde.[5] Do die Bedeutung
dieses Papstes für unsere Gesite besteht vor allem darin, da er der erste
Bisof von Rom war, der seine Vormatstellung nit auf
Konzilsbeslüe oder sonstige Erlae gründete, sondern direkt auf das
Evangelium, auf das berühmte Petrus-Zitat: «Du bist Petrus und auf diesen
Felsen werde i meine Kire bauen und die Mäte der Unterwelt werden
sie nit überwältigen.» (Mahäus 16,18) Eine Proklamation, die als
fundamentaler Sri zur Gründung einer regelreten Papst-Dynastie
gewertet wurde, was si später bewahrheiten sollte.
Kehren wir zu den ristlien Basiliken zurü, die in Naahmung der
öffentlien Gebäude im antiken Rom erritet wurden. Diese waren heilige
und staatlie Orte zuglei, denn die römise Religiosität tendierte zur
Vereinigung dieser beiden Sphären. So wie Romulus und Remus die alte
Stadt gegründet haen, wurden die Heiligen Petrus und Paulus zu den
beiden Gründerfiguren des neuen Rom unter dem Zeien des Kreuzes. In
dem Maße, wie sie si vom rigorosen jüdisen Monotheismus ihres
Ursprungs entfernt, erritet si die neue Religion na und na ihr
Pantheon. Nit mehr der einsame Jehova aus der Bibel, sondern eine ganze
vergölite Familie, Eltern und Sohn. Und um sie herum ungezählte
gölie und halbgölie Figuren, die im Laufe der Jahrhunderte zu
Tausenden anwasen. Jeder Ort, jede Handlung, jedes Körperorgan wird
seinen Sutzpatron bekommen, an den man si wenden kann, genau wie
im antiken heidnisen Pantheon.
In einer immer baufälliger werdenden Stadt, in der die antiken Paläste, die
Aquädukte und Tempel geplündert wurden oder zu Ruinen verfielen,
vermielten der Glanz und die Weite der neuen Basiliken und vor allem der
Hauptbasilika dem Besuer und dem Pilger unmielbar und lebha den
Eindru, da die alte Mat von einer neuen abgelöst worden war und da
es nun an der Zeit sei, si in allen Belangen dieses und des anderen Lebens
an sie zu wenden.
Es war also notwendig, die Petersbasilika entspreend diesem
ungeheuren Zuwas an Mat- und Glaubensaufgaben zu erhöhen, damit
alle, von den ganz gewöhnlien Gläubigen bis zu den regierenden
Monaren, son unmielbar beim Eintreten einen Eindru von der Mat
erhielten, von der ihre Legitimität und nit selten sogar ihre Existenz
abhing. Keine Religion hae jemals so viel gewagt.
Mit den Jahrhunderten war die von Konstantin dereinst mit großer Prat
und Großzügigkeit erbaute Basilika ziemli heruntergekommen. Papst
Nikolaus V. (1447–1455) wird etwa in der Mie des 15. Jahrhunderts von dem
bedeutenden Aritekten und Humanisten Leon Baista Alberti (1404–1472)
darauf hingewiesen, da die Mauern im Zentralsiff inzwisen über einen
halben Meter aus dem Lot geraten sind. Florenz dagegen hat seit kurzem den
neuen, von Brunellesis großartiger Kuppel gekrönten Dom Santa Maria del
Fiore, ein harmonises Monument, das si gebieteris über die Stadt
erhebt und sie bis in die von Hügeln begrenzte Ebene beherrst. Nikolaus V.
(mit bürgerliem Namen Tommaso Parentucelli), der aus Sarzana bei La
Spezia stammte, empfindet dies in besonderem Maße als Herausforderung.
Er hat den Vatikan als Papstresidenz gewählt und denkt darüber na, wie
man ihn befestigen kann. Er lät die vier Watürme an den Flankenmauern
des Castel Sant’Angelo bauen, die Mauern Leos IV. zur Verstärkung mit
höheren Bastionen versehen, befiehlt die Troenlegung und Befestigung der
Straßen und Gaen des gesamten Borgo,[6] die zum Slupfwinkel für Diebe
und Halsabsneider geworden waren. (1450 besreibt der Florentiner Pater
Rosello Roselli in einem Brief an Cosimo de’ Medici die herrsenden
Zustände mit den folgenden Worten: «Diese Gegend ist eine Räuberhöhle:
jeden Tag wird hier geraubt und gemordet, als ob die Mensen Hammel
wären; es reit ihnen aber nit einmal, da sie tot sind, sogar die Leien
sneiden sie in Stüe wie Rüben.»)
Der Papst ist als ein dem exzeiven Nepotismus abgeneigter Humanist
und als Urheber des gesamtitalienisen Friedens von Lodi in die Gesite
eingegangen. Verhat war er dagegen der kommunalen Opposition in Rom,
deren Vertreter ihn als Tyrannen ablehnten. Und snell waren respektlose
Witze über ihn im Umlauf, von denen einige no lange zur Volkstradition
gehören sollten. Seinem Ruf als großer Trinker, der au bei der
Eliminierung von Feinden nit lange faelte, ist dieses anonyme Distion
gewidmet: «Da quando è Niccolò papa e assassino / abbonda a Roma il
sangue e scarso è il vino» («Seit Papst und Mörder Niccolò regiert, / swelgt
Rom in Blut, und Wein ist abserviert.»)[7] Au Ferdinand Gregorovius fällt
über die päpstlie Hoaltung ein vernitendes Urteil:
Das päpstlie Rom dieser Zeit war bereits üppig genug, der Klerus verderbt und verhat.
Die Kardinäle lebten wie weltlie Fürsten, so verswenderis, da sie den Sinn au
anderer als der Republikaner beleidigten. Die Kurialen, zahllose Swärme von Prälaten,
wele Pfründen suten und genoen, boten der Stadt das hälie Sauspiel von
Übermut, Goldgier und Lasterhaigkeit dar.[8]
Vieles konnte Papst Nikolaus vollenden, do nit alles, was er si
gewünst häe. Auf jeden Fall gebührt ihm das Verdienst, deutli gemat
zu haben, da das Problem der Baufälligkeit der ehrwürdigen
Konstantinisen Basilika nit länger unter den Teppi gekehrt werden
konnte.[9] Ein anderer Papst von großer Tatkra wird sein Projekt wieder
aufnehmen, Sixtus IV. (Francesco della Rovere), der von 1471 bis 1484 rund
ein Dutzend Jahre regierte. Sein größtes Werk war der Bau der Capella
magna der heiligen Paläste, die von ihm dann au ihren Namen Cappella
Sistina (Sixtinise Kapelle) erhielt. Um ihrer nit nur künstlerisen
Bedeutung geret zu werden, wird ihr in einem der folgenden Kapitel eine
ausführliere Behandlung zuteil.
Sixtus ließ au neue Straßen bauen, eine neue Brüe (Ponte Sisto) in der
Nähe der fluaufwärts gelegenen alten Engelsbrüe, auf der es in Zeiten
großen Pilgerandrangs immer wieder zu furtbaren Staus gekommen war.
Während des Heiligen Jahres 1450 hae es dort am Eingang und am
Ausgang ein soles Mensengewühl gegeben, da zweihundert Mensen
erstiten, in den Flu gesleudert oder unter Pferdehufen zertrampelt
wurden. In der Betriebsamkeit der diversen Baustellen immer an seiner Seite
ist ein junger Kardinal, der (wie so o) gleizeitig sein Neffe war, Giuliano
della Rovere.[10]
Au Giuliano wird Papst werden, sogar einer jener Päpste, die mit der
Kra ihres Temperaments und mit ausgeprägtem Ehrgeiz imstande sind,
ihrer Zeit ein Zeien zu setzen. Nits Religiöses haben Männer dieses
Slages an si, es sind Condottieri, die mit derselben Bravour fähig sind,
ein heiliges Amt auszufüllen, wie sie die Rüstung des Kämpfers tragen
würden, die mit der gleien Effizienz den Weihwaerwedel swingen wie
das Swert. Giuliano wird 1503 gewählt, im Alter von sezig Jahren, na
nur eintägigem Konklave. Er wird ein denkwürdiges Pontifikat hinlegen, wie
es si son in dem Namen ankündigt, den er si gab, Julius II., unter
offenkundiger und direkter Berufung auf Julius Caesar. Ein politiser, ein
kriegeriser Papst, Initiator grandioser Projekte, Verfeter einer nationalen
Monarie, deren unbestrienes Oberhaupt und Kaiser der Papst, der wahre
Pontifex maximus sein sollte. Als Vorbild hae er dabei Octavius Augustus
vor Augen, er war von einer unbändigen Energie getrieben. Das betraf au
die Künste, die er aber weniger als ästhetisen Ausdru betratete,
sondern vielmehr als ein möglies Instrument seiner Politik.
Entsloen grei er die von Nikolaus V. nit zur Vollendung gebraten
Pläne wieder auf und ergänzt sie dur neue. 1506, kaum drei Jahre na
seiner Wahl, beauragt er Donato Bramante, einen der besten Aritekten
der Zeit, mit der Planung eines neuen Gebäudes, das an die Stelle der
baufälligen Konstantinisen Basilika treten soll. Das Abenteuer wird mehr
als ein Jahrhundert dauern, in dem si mehrere Päpste ablösen. Die äußeren
Baustrukturen werden 1626 vollendet, no wesentli länger mu man bis
zur Fertigstellung der Innenräume warten. Das Volk von Rom beginnt zu
munkeln, ein Unternehmen von einer solen Dimension werde wohl nie
wirkli zu einem Ende kommen.
Mit der Arbeit auf der Bramante anvertrauten Baustelle Sankt Peter
wurde ras begonnen, der Grundstein für den Neubau wurde bereits im
April des Jahres 1506 gelegt. Die Leitidee war, die alte Kire nit glei zu
zerstören, sondern die neue mit den Teilen zu beginnen, die im Verhältnis zu
den bereits existierenden außen lagen. Der Abri begann im Jahr darauf,
und es fehlte nit an Kritik und Polemik zur Methode, mit der vorgegangen
wurde, nit zuletzt weil das alte Bauwerk na einigen Monaten den
unerquilien Anbli aller im Abri befindlien Gebäude bot:
verunstaltet in einigen Teilen, die Gebäudestrukturen besädigt, die Däer
fast in ihrer Gesamtheit abgetragen.
Bleiben wir aber zunäst in der Basilika, versieben wir die Fortsetzung
der Erzählung über die Kapelle no ein wenig. 1513 stirbt Julius II., mit
siebzig Jahren; es sterben zwei seiner Nafolger. Na dem Tode Clemens’
VII. de’ Medici steigt unter dem Namen Paul III. (1534–1549) Aleandro
Farnese auf den ron, der ein guter Papst sein wird, obwohl zur
historisen Erinnerung an ihn au sein ausgeprägter Nepotismus gehört,
einsließli der Ernennung zweier no halbwüsiger Söhne eines seiner
natürlien Söhne zu Kardinälen. Ausgerenet er ist es, der Farnese-Papst,
der Mielangelo gegen Ende 1546 vorslägt, die Leitung der fabbrica di
San Pietro (der «Bauhüe» des Petersdoms) zu übernehmen. Der Künstler
ist 72 Jahre alt, mit seiner Gesundheit steht es nit zum Besten, der Posten
ist anstrengend. Zunäst zögert er, versut, diesen Aurag abzulehnen,
den selbst er, der Söpfer-Gigant, als zu belastend empfindet. Der Papst aber
besteht darauf. Vasari sreibt, er habe diesen Beslu dur wahrha
«gölie Eingebung» gefat. Am Ende gibt der Künstler na, zu einer
Bedingung allerdings: Wenn er die Bauhüe leiten soll, sagt er, will er der
Alleinverantwortlie sein, duldet er von keiner Seite irgendeine
Einmisung in seine Entseidungen.
Eine unerhörte Forderung, die nit nur beruflie, sondern au
politise Auswirkungen hat. Es ist sogar vorstellbar, da Mielangelo sie
in der Hoffnung auf eine Ablehnung vorgebrat hat. Wir, die wir das
Ergebnis kennen, können leit sagen, da der Papst die beste Wahl
getroffen hat. Do wer konnte in jenem Moment son behaupten, des
Erfolges sier zu sein? Es ging um ein Bauwerk, das bereits Jahre an Arbeit
und «denari molti» («eine Menge Geld») gekostet hae und das dazu
ausersehen war, das Zentrum einer Religion zu werden, die, von Luthers
Reform und von der Abspaltung der anglikanisen Kire König
Heinris VIII. ersüert, gerade eine epoale Krise durmate. Der
Künstler war hoberühmt, seine vorhergehenden Werke
bewundernswürdig, die Leitung der fabbrica aber war selbst für ihn etwas
vollkommen Neues, allein son aufgrund der titanisen Ausmaße des
Unternehmens. Unglaublierweise jedo akzeptierte der Papst die
Forderung. Am 1. Januar 1547 übertrug er Buonarroti dur einen motu
proprio[13] die Aufgabe praktis mit uneingesränktem Mandat und gab
ihm srili «jede Vollmat, na eigenem Gutdünken zu saffen oder
einzureißen, hinzuzufügen und fortzunehmen und zu verändern, was er
wollte».
Die Veränderungen laen nit auf si warten. Mielangelo verwarf
Sangallos Entwurf, den er zu kompliziert, zu teuer, zu «todesca» (ital.
tedesca, also zu «deuts», gemeint ist zu «gotis») fand. Er ließ einige
gerade erst hogezogene Mauern des Quersiffs abreißen, kehrte zu
Bramantes vierzig Jahre zuvor projektiertem Kuppelgewölbe zurü, das er
leit modifizierte. Man kann si den Protest, den Neid, den Groll
vorstellen, den derart drastise Entseidungen provozierten. Mielangelo
wurde Eitelkeit nagesagt, Geldverswendung, unversämter Ehrgeiz.
Um den Bau des Goeshauses und die entspreenden Ausgaben zu
überwaen, war eigens ein Kontrollorgan gesaffen worden, die
Congregazione dei Deputati (wörtli: Kongregation der Abgeordneten, hier:
Baukommiion). Besonders aus der Congregazione wurde heige Kritik
laut, ihre Mitglieder sahen si ihrer ureigenen Zuständigkeit und
Verantwortung beraubt. Im März wurde im Castel Sant’Angelo eine vom
Farnese-Papst persönli geleitete Versammlung abgehalten. Einige
Abgeordnete erhoben si und gaben zu bedenken, da im Falle einer
Bewilligung der Forderungen des Florentiner Künstlers zwei Driel deen,
was bereits gebaut worden war, abgerien werden muten. War das eine
vernünige Operation? Wann hae es jemals eine sole Verswendung
von Arbeit und Geld gegeben? Umso mehr, als die Notwendigkeit, das Geld
für die Bauhüe von Sankt Peter aufzutreiben, zu einem regen Ablahandel
geführt hae, eine der Ursaen von Luthers Revolte. Und es war do der
Papst persönli gewesen, der die Bauvorhaben des Sangallo genehmigt
hae, die nun wieder abgerien werden sollten.
Paul III. aber blieb unnagiebig, mate Gebrau von seiner Mat als
Souverän und bestätigte, da von allen zur Prüfung vorgelegten Bauplänen
die des Buonarroti seines Eratens die besten seien und da man also von
jetzt an auf der Grundlage dieser Pläne weitermaen werde.
Mielangelo hae Bramantes Idee eines Grundries in Form eines
grieisen Kreuzes (mit vier glei langen Kreuzarmen)
wiederaufgenommen, das in ein Quadrat eingesrieben und am
Snipunkt der beiden Asen von einer großen Kuppel gekrönt war.
Folgeritig ließ er die tragenden Mauern verstärken und mate sie so
zyklopis, wie wir sie heute no sehen, wohingegen er das Innere der
Basilika von Bramantes Säulen und Sangallos umlaufenden Wandelhallen
«befreite». Er entwarf die Kuppel und begann mit ihrer Konstruktion. 1564,
in seinem Todesjahr, war das Werk bis fast zum Tambourberei vollendet:
mätige Säulenpaare, die si mit imposanten, giebelgekrönten Fenstern
abweseln.
Papst Sixtus V. (Felice Perei, ein Franziskaner, 1585–1590) wird den
Bauarbeiten und vielen anderen Werken neue Impulse geben. Glei na
seiner Wahl 1585 ordnet er eine Reihe von neuen Baumaßnahmen an.
Julius II. hae die Via Giulia und die Via della Lungara an den beiden Ufern
des Flues angelegt; Leo X. und Paul III. haen den berühmten Tridente
(den «Dreiza» Via del Corso, Via del Babuino und Via di Ripea) ausbauen
laen, der von dem Tor, das heute del Popolo (des Volkes) heißt, in Ritung
Zentrum autrahlt; Gregor XIII. hae die Via Merulana angelegt, um den
Lateran mit Santa Maria Maggiore zu verbinden.
Sixtus V. (von dem Belli sreibt: »un papa rugantino, un papa tosto / un
papa matto come papa Sisto» – «hat man nie / sol einen Stänkerer von
Papst, sol strengen, / sol irren Papst gesehen wie Papst Sixtus»[14]) wird
in den fünf Jahren seiner Herrsa alles Möglie veranlaen. Zum
Beispiel lät er die Statuen von Petrus und Paulus auf die Spitzen der
Trajans- und der Antoninasäule setzen; mehr als 20 Kilometer Aquädukte
restaurieren (Acqua Felice, später Acqua Pia oder au Marcia genannt);
einige geradlinige, für ihre Zeit grandiose Straßen traieren; eine
Hauptverkehrsader von fast 4 Kilometern Länge projektieren, die von Santa
Croce in Gerusalemme über Santa Maria Maggiore auf der Höhe der Quaro
fontane (Vier Brunnen) den Quirinal überquerend bei Trinità dei Monti
ankommt und folgeritig im letzten Absni Via Sistina getau wird. Für
unsere Gesite von Bedeutung ist die Tatsae, da dieser unbändige
Papst im Januar 1588 die Aritekten Giacomo della Porta und Domenico
Fontana zu si rufen lät und anordnet, die unvollendet gebliebene Kuppel
der Basilika in kürzester Zeit fertigzustellen.
Die Aritekten haen zehn Jahre veranslagt. Unter der päpstlien
Knute wird das Werk in zweiundzwanzig Monaten fertiggestellt. Della Porta
studiert versiedene Varianten, verpflitet si aber, den Wuns des
Papstes innerhalb der vorgegebenen Zeit zu erfüllen. Er stellt eine Heersar
von mehr als athundert Arbeitern ein, die Tag und Nat durarbeiten
und das komplexe Bauwerk sließli fertigstellen. Am 15. Juni 1590 wird
der letzte Stein gesetzt. Sixtus V. ist atundsezig Jahre alt und zwei
Monate später wird er sterben, sa es aber gerade no retzeitig, au
dieses spektakuläre Unternehmen vollendet zu sehen. Es setzt dem
Petersdom seine Krone auf und wird der Stadt einen der arakteristissten
Züge seiner Silhouee verleihen.
No ein weiteres, fast ebenso spektakuläres Vorhaben hat dieser
dynamise Papst, dem nur fünf Jahre auf dem ron vergönnt waren,
durgeführt: die Versetzung des ägyptisen Obelisken. Im 1. Jahrhundert
war der stalie Monolith auf Befehl des Kaisers Caligula von Alexandria
na Rom transportiert worden. Inzwisen lag er da, wo einmal Neros
Circus gewesen war, nutzlos und unbeatet auf der Erde herum. Die
Herausforderung bestand darin, ihn heil bis zu dem gestaltlosen, unebenen
Platz zwisen der ewigen Baustelle der Basilika und den feuten,
unsieren, engen Gaen der Borghi zu bringen, die zum Flu und zum
Castel Sant’Angelo führten.
Das Vorhaben erwies si als enorm swierig, weniger jedo wegen des
Transports in der Horizontalen, sondern vor allem, weil der Obelisk, um ihn
perfekt im Lot auf seinen Soel herunterzusenken, zunäst in die Höhe
gezogen werden mute. Die einzige verfügbare Energie war die der Muskeln
von Mens und Tier, potenziert so weit wie mögli dur Hebewinden und
Flasenzüge, die mit ihren Seilsystemen das Gewit verringerten. Um diese
Arbeit mit ausreiender Sierheit durführen zu können, waren sieben
Monate Vorbereitung, Hunderte von Mensen und Pferden, Dutzende von
riesigen Seilwinden nötig. Die Besaffung der erforderlien tenisen
Vorritungen dauerte vier Monate, von April bis September 1586. Für den
Transport des Obelisken in der Horizontale wurde eine Hängestraße (strada
pensile) konstruiert und zur Aufritung und Anhebung auf die notwendige
Höhe eine doppelte Stellage aus Holz (castellum). Unter Androhung der
Todetrafe untersagte ein Edikt das Betreten des Platzes und die
Gefährdung des horiskanten Unternehmens.
Ein Nafahre Domenico Fontanas, Carlo Maderno, au er Aritekt in
der fabbrica di San Pietro, hat uns ungefähr hundert Jahre na den
Ereignien eine detaillierte Silderung hinterlaen. Er sreibt:
Fontana stellte fest, wie viel Gewit eine mit ganzer Kra von vier kräigen Pferden und
sieren Fahrseilen mit Abhalterungen in Gang gesetzte, mit zuverläigen Hanfseilen
ausgestaete Seilwinde heben und bewegen konnte, ohne das die Seil zu zerreißen. Er
erkannte, da jede Seilwinde ca. 20.000 Libras heben konnte. Er sah also 40 Seilwinden für
die Aufritung von 800.000 Libras vor und zwei langwegige, von der Kra einer Seilwinde
gedrüte Hebel, um das verbleibende Gewit des angeseilten Obelisken von 1.400.537
Libras zu heben.[15]
Damit das Werk zu einem glülien Ende geführt werden konnte, war es
notwendig, da diese Dutzende von Winden synron und koordiniert
funktionierten. Infolgedeen mute der Regieur der Operation einen
Panoramabli, einen kompleen Überbli über die Kräe im Spiel haben
und die Möglikeit, Kommandos zu geben, die von allen gehört werden
konnten, zumal es damals natürli no keine Mikrophone oder
Lautspreer gab. Den Anwesenden wurde absolutes Sweigen auferlegt,
die im Übrigen ohnehin alle vor Erregung stumm waren, während dur
Trompetenstöße in den versiedenen Phasen die entspreenden Befehle
gegeben wurden.
Dank der äußerst sorgfältigen Vorbereitung und der beatlien Kräe
im Einsatz vollzog si die Sluphase beinahe ohne Zwisenfälle:
Ein jeder widmete si an seinem Platz und in seiner Funktion mit größter Sorgfalt seiner
Aufgabe für das Unternehmen. Zuvor aber, als alle niederknieten und erneut den Beistand
Goes erflehten, ließ der Aritekt, der als Leiter der Operation erhöht saß, das
Trompetensignal erklingen; worauin alle in einer gemeinsamen Aktion begannen, mit 800
Arbeitern die 140 Pferde und 44 Seilwinden in Gang zu setzen. Alle waren so konzentriert,
da die Vereinigung mit der Kra der Masinen in großer Geordnetheit vonstaen ging,
und man sah, wie der Obelisk si mit einer Geswindigkeit vom Boden in eine aufrete
Position erhob, die bei den Anwesenden Verblüffung und Verwunderung auslöste. So da er
senkret an seinen vorgesehenen Platz herabgelaen werden konnte um 23 Uhr des
besagten Tages [10. September 1586], wo Freudentaumel über das glülie Ende des
erstaunlien Unternehmens kein Ende nehmen wollte.
Wie viel hae die neue Basilika gekostet? Eine unermelie Summe. Was
im Übrigen sehr gut zu den enormen Ausmaßen dieses Riesenbaus pat und
zu den Ambitionen, deren symboliser Ausdru er sein sollte. Do die
titanisen Mauern und die Kuppel waren no gar nits im Verhältnis zur
Innenautaung und künstlerisen Ausgestaltung, die sie na und na
erhalten sollte. Wenn die Dimensionen dieses Bauwerks die außerordentlie
Mat vor Augen führen sollten, die zu einer solen Pratentfaltung in der
Lage war, so fügte ihr die endgültige Ausgestaltung der Siffe und der
Außenaritektur das Siegel der Herrlikeit hinzu.
Als Bernini, no einmal er, für die Hauptapsis des Petersdoms das
Freudenfest aus Gold und Lit der Cattedra di Pietro (Kathedra Petri oder
Petrus-ron) ersann, interpretierte er das königlie Image, das si die
Päpste im Laufe der Jahrhunderte dur die Anmaßung kaiserlier
Privilegien gegeben haen, aufs Treffendste. Der große Künstler erdate
si ein Spektakel aus Engeln, vergoldetem Strahlenkranz, Wolkendampf,
vier Koloalstatuen der Kirenväter des lateinisen Westens und des
grieisen Ostens, Slüel und Triregnum hohaltenden Puen – und
im Zentrum die Kathedra, der Legende na die des Petrus, wobei es si in
Wahrheit um einen ron handelt, der dem Papst 875 von Karl dem Kahlen
gesenkt wurde.
Die himmlise Herrlikeit also; proklamiert auf die strahlendste,
feierliste und expliziteste Weise. Im Übrigen gibt es keinen Organismus auf
der Welt, ob Dynastie oder Regierung, Institution oder Kathedra, der si im
spektakulären Pomp der Zeremonien mit der römisen Kire meen kann:
Trauerfeiern, Krönungen, Seligspreungen. Bei der Frage, wie viel eine
sole Pratentfaltung gekostet hat, geht es also nit allein um Geld.
Gewi, das Geld war nötig, und damit es ausreite, wurde vor keinem
Miel, nit einmal vor der unverfrorensten Simonie haltgemat, dem
skandalösen Ablahandel, einer der Ursaen von Luthers Revolte.
1507 wurde unter der Regierung Julius’ II. die Bulle Salvator Noster
erlaen, in der spezielle Abläe für diejenigen angekündigt wurden, die eine
Spende gegeben haen; das Einsammeln des Geldes wurde an die Bisöfe
delegiert. Sacro commercio (heiligen Handel) nannte man das, eine Art
überirdiser Straferla für die Sünden, mit dem die Gläubigen Jahre um
Jahre an Fegefeuer «abzahlen» konnten, einsließli der Beretigung,
diese Wohltat au an ihre lieben Verstorbenen weiterzugeben. Die
finanziellen Aufwendungen für die päpstlie Hoaltung rien Riesenlöer
in die Bilanzen, denn diese Gelder gingen nit nur direkt an die fabbrica di
San Pietro, sondern darüber hinaus waren au die Zinsen zu zahlen, die
von den europäisen Bankiers als Finanziers des Vatikans zu den
vereinbarten Fälligkeitsdaten eingefordert wurden.
Aller Wahrseinlikeit na wäre es ohnedies zur Spaltung der
Christenheit gekommen, gewi aber wurde sie dur diesen würdelosen
Handel besleunigt. Ende Oktober 1517 slug (der Überlieferung na) der
deutse Augustinermön Martin Luther, ein eologieprofeor von
bäuerlier Herkun, seine 95 esen an das Portal der Slokire in
Wienberg, mit denen er unter anderem gegen die Praxis des Ablahandels
zu Felde zog. Eine der dort aufgeworfenen Fragen bezog si direkt auf den
kostspieligen Bau des Petersdoms: «Warum baut der Papst, der heute reier
ist als der reiste Craus, nit wenigstens die eine Kire St. Peter lieber
von seinem eigenen Geld als dem der armen Gläubigen?»[16]
Zum ersten Mal seit ihrer Gründung setzte die Kire, die si
«katholis» nannte, also «universell»,[17] genau dieses Aribut aufs Spiel.
Es handelte si hier nit um eine der vielen kleinen oder großen
«Häresien», die, vor allem am Anfang, ihre Gesite begleitet haen. Dies
war eine ete, eine dramatise Spaltung, der wenige Jahre später der
ehrgeizige Heinri VIII. no seine anglikanise Abspaltung hinzusetzte,
na der – neben vielem anderen – der englise Premierminister nit mehr
katholisen Glaubens sein dure. Erst 1829 erreite die Regierung des
Duke of Wellington (der Napoleon bei Waterloo besiegte) die
Verabsiedung des Catholic Emancipation Act dur König Georg IV., ein
Gesetz zur politisen Emanzipation der Katholiken. Es beseitigte dieses
Hindernis wieder und gestaete es den Katholiken, si wählen zu laen
oder eine Regierung Seiner oder Ihrer Majestät zu führen. Dieselben
Majestäten aber rühmen si weiter des Titels Fidei Defensor (Defender of
the faith), den si Heinri VIII. mit seinem sehr harten Traktat gegen
Luther erworben hae.[18] Widersprüe, die immer dann aureten, wenn
si in einer Religion Glaube und Politik exzeiv vermisen.
Das materielle Gebäude des hl. Peter ritete zum großen Teil sein geistlies Gebäude
zugrunde; weil es dem Nafolger des Julius angebrat sien, so viele Millionen Scudi
zusammenzutragen, wie sie der unermelie Bau dieser Kire verslang, und damit
genau das zu verursaen, was der Ursprung von Luthers Häresie war, und was die Kire
um viele Millionen Seelen ärmer gemat hat.
Ob der Jesuit Sforza Pallavicino Ret hae und was, alles in allem, die
Bilanz dieser Gesite ist, möge jeder für si entseiden.
V. KIRCHE OHNE STIMME
VON FRANZ VON ASSISI
ZU DEN BASISGEMEINDEN
E
IN SCHLECHTES VORZEICHEN hae es gegeben im Augenbli der
Wahl. Es war im August 1978, Paul VI. war seit wenigen Tagen tot,
na fünfzehn Jahren Regierungszeit. Das Konklave, das den Nafolger auf
den ron bringen sollte, war sehr snell gewesen: vier Wahlgänge an
einem Tag, kaum mehr als 24 Stunden. Das Resultat: 101 Ja-Stimmen bei 111
Teilnehmern, wie von «gut unterriteten» Quellen beritet wurde.
Zwisen den beiden Flügeln, den Konservativen mit ihrem Kandidaten
Giuseppe Siri, dem Erzbisof von Genua, und den Progreiven, die für den
Erzbisof von Florenz, Giovanni Benelli, stimmten, hae am Ende er den
Sieg davongetragen: Albino Luciani, Venezianer, 66 Jahre alt, ein frommer
Mann, vielleit zu fromm für dieses Amt.
Wie gesagt, ein sletes Vorzeien hae es gegeben: Das traditionelle
weiße Rauzeien, das die erfolgreie Wahl verkündet, war in seinem Fall
trotz der Beinahe-Einstimmigkeit anfangs grau gewesen und hae si dann
plötzli swarz verfärbt. Wenige Augenblie später verbreitete Radio
Vatikan die Narit, und glei darauf zerstreute die Öffnung des zentralen
Fensters der Faade von San Pietro jeden Zweifel: Johannes Paul I.
präsentierte si den begeisterten Gläubigen. Inzwisen hae si au der
swarze Rau in der römisen Lu verloren. Der neue Papst häe gern zu
den Gläubigen gesproen, häe sofort sein Herz öffnen wollen. Gebieteris
hae ihn der Zeremonienmeister an die protokollarisen Gepflogenheiten
erinnert und empfohlen, si programmgemäß auf den Segen zu
besränken.
Da dies ein besonderer Papst war, wurde denno verstanden. Seine
Sprae war eher die eines Priesters als die eines Herrsers, er läelte
häufig, hae liebenswürdige Umgangsformen, errötete leit und gab das
au zu. Er bekannte sogar, wele Furt ihn ergriffen hae, als er erfuhr,
da die Wahl zum Nafolger Petri auf ihn gefallen war («Tempestas magna
est super me» – «Ein großer Sturm ist über mir»). Wahrseinli au
deshalb wählte er zum ersten Mal in der über tausendjährigen Gesite
der päpstlien Dynastie einen Doppelnamen, Johannes Paul I., als wolle er
dadur ein wenig den Sutz von zwei großen Vorgängern herbeirufen.
Jeder weiß, da es eines der kürzesten Pontifikate überhaupt wurde,
gerade einmal dreiunddreißig Tage, und da der Tod von Johannes Paul
plötzli kam. Um aber wenigstens ansatzweise zu verstehen, weshalb über
die wirklien Ursaen seines Ablebens so viele Zweifel geblieben sind,
mu man zumindest kurz zusammenfaen, was für eine Unmenge von
Maßnahmen der sane Albino Luciani in diesem einen Monat, in dem es
ihm zu regieren vergönnt war, anzustoßen oder auf den Weg zu bringen
versut hae. Unverzügli und mit Vehemenz begann er, prozedurale und
zeremonielle Details zu revidieren, die, ganz abgesehen von ihrer medialen
Sitbarkeit, alles andere als unbedeutend sind: Er sae den Pluralis
majestatis in Anspraen und offiziellen Ansreiben ab, was ihm vom
Oervatore Romano vor der Veröffentliung seiner Texte korrigiert wurde;
er verzitete auf die Krönung mit der Tiara (au Triregnum genannt) und
bestätigte damit den Willen Papst Pauls VI.; er sae den traditionellen
Papshron, die sedia gestatoria ab, auf dem die Päpste in einem ägyptis
anmutenden, an eine Opernautaung erinnernden Bühnenbild von zwölf
Knappen getragen und zwei Fäer-Trägern (sie trugen die flabelli – Fäer
aus wehenden weißen Federn) begleitet wurden; er sae au die
prunkvolle Krönungsmee ab und ersetzte sie dur eine solenne cerimonia
per l’inizio del ministero petrino (feierlie Zeremonie zur Einführung in das
Petrus-Amt); er weigerte si, während der feierlien Zeremonien auf dem
ron zu sitzen.
Seltsam, ja geradezu unerhört waren seine ersten Reden. Er sagte, Go sei
Vater, aber mehr no Muer: dabei bezog er si auf das Alte Testament,
verletzte aber eine konsolidierte Tradition. Und tatsäli hat Papst
Ratzinger, für den «Go nur Vater» ist, sie unverzügli wieder restauriert.
Er spra von si selbst häufig in menslien Kategorien, erzählte von
seinen Erfahrungen und seinem früheren Amt, gab Swäen zu. Man
verstand auf Anhieb, da er ein demütiger Papst war, und ebenso snell
(daran kann i mi als Chronist no sehr genau erinnern) wurde gesagt,
da er dem Amt vielleit nit gewasen, da seine Wahl ein Fehler
gewesen sei. Au wurde gemutmaßt, da seine Amtszeit aller
Wahrseinlikeit na nit lange dauern würde. Tatsäli dauerte sie
nit lange. In einem vergangenen Jahrhundert hae si Papst Cölestin V.
auf dem Rüen eines Maultiers, vielleit au eines Esels, auf den Weg
zum Papshron begeben. Wie wir gesehen haben, hae Bonifaz VIII. keine
allzu große Mühe, ihn vom ron zu stoßen. Johannes Paul I. erklärte si
zum Diener Jesu und der Kire, und au in seinem Fall war die Amtszeit
nur von kurzer Dauer.
Eines der wenigen Dinge, die man na seinem unerwartet plötzlien
Tod erfuhr, war, da in seinem Zimmer ein Exemplar der Woenzeitung Il
Mondo auf dem Tis gelegen hae, aufgeslagen war die Enthüllungs-
Story: «Santità … è giusto?» («Heiligkeit … ist das ritig?»). Die Zeitung
stellte dem Papst persönli die Frage, ob es ritig sei, «da der Vatikan
weltweit auf den Märkten operiert wie ein ganz normaler Spekulant. Ist es
ritig, da er eine Bank betreibt, mit der er den Kapitalexport und die
Steuerflut italieniser Staatsbürger begünstigt?»
Wir werden glei sehen, inwiefern das Vorhandensein von Il Mondo im
Zimmer von Bedeutung sein könnte. Keinen Zweifel gibt es darüber, da
das Problem der Reitümer bzw. der bis zur Willkür gehenden
Hemmungslosigkeit im vatikanisen Finanzgebaren für Papst Luciani mehr
als nur ein «Kummer» war, eher ein wahrer Alptraum. In diesen
dreiunddreißig Tagen seines Pontifikats ging er mehrfa auf das ema ein:
Er hae sogar vor, eine Enzyklika über die Armut in der Welt zu sreiben.
Wenn er die Zeit dazu gehabt häe. Er wünste si eine Rükehr der
Kire zur Armut des Evangeliums herbei und da mindestens ein Prozent
der Einnahmen des Klerus als Zuwendung an die Armen ginge. Die Kire
dürfe weder Mat haben no Reitümer besitzen, sagte er.
Er hae au no andere Ideen. Zum Beispiel war er der Ansit, da
die so marginale Rolle der Frau, au in der Kire selbst, überdat werden
müte. Er war der Ansit, da man Verhütungsmiel nit sic et
simpliciter (slit und einfa) verbieten dürfe, ohne die spezifisen
Umstände mitzubedenken, die ihren Gebrau manmal ratsam erseinen
laen, ihn gelegentli sogar zwingend notwendig maen. Er war der
Ansit, da Banken, und hier insbesondere die Vatikanbank, ein ethises
Ziel haben sollten, das heißt au den weniger Wohlhabenden beistehen
müten. (Fast zwanzig Jahre na seinem Tod, im Jahre 2006, sollte der
bangladesise Wirtsaswiensaler Muhammad Yunus für eine Idee
den Friedensnobelpreis erhalten, die gar nit so weit davon entfernt war:
den Mikrokredit, also einem System von Kleinkrediten für Unternehmer, die
zu arm sind, um von einer normalen Bank Kredit zu erhalten.) Papst Luciani
war beinahe ein Revolutionär. Auf diesem Posten, umgeben von einer Kurie
mit einer solen Matfülle, mit einer solen Vorgesite, konnte er si
einfa nit halten. In der Tat, er hat si nit gehalten.
Ein weiteres beunruhigendes Signal, und diesmal ein sehr
ernstzunehmendes, gab es wenige Tage na seiner Wahl, als die Zeitsri
O. P., Oervatore politico, von Mino Pecorelli (der ein Jahr später ermordet
werden sollte) eine Liste mit den Namen von über hundert Geistlien
veröffentlite, die zur Freimaurerloge gehörten. Es war ein offenes
Geheimnis, da die Zeitsri von Teilen der italienisen Geheimdienste
benutzt wurde, um alle Arten von Botsaen zu lancieren, darunter au
Warnungen und Drohungen. Im Übrigen waren Pecorellis Beziehungen zu
Licio Gelli, dem Oberhaupt der zweentfremdeten Freimaurerloge P2[1]
bekannt. Welen Sinn hae in diesem Fall die Veröffentliung der Liste?
Auf ihr fanden si unter anderem die Namen des Staatekretärs des
Vatikanstaates (entsprit dem Staatspräsidenten) Jean Villot, des
vatikanisen «Außenministers» Agostino Casaroli, des Kardinalvikars von
Rom Ugo Polei, des mätigen Direktors der Vatikanbank Paul Marcinkus,
des Vize-Direktors des Oervatore Romano Don Virgilio Levi, des Direktors
von Radio Vatikan Roberto Tucci.
Albino Luciani mute daraus den Eindru gewinnen, da er umzingelt
war. Das Öffentlimaen des geheimen Netzwerks, zu dem diese Männer
offenbar gehörten, war eine deutlie Warnung, eine Aufforderung zur
Zurühaltung bei Entseidungen und dabei, bewährte Strukturen
dureinanderzubringen, die ein konsolidiertes, gewinnbringendes
Gleigewit garantiert haen. In die Alltagprae übersetzt sollte die
Liste sagen: Immer mit der Ruhe, Heiligkeit, laen Sie die Finger davon!
Bei solen Prämien war der Verdat naheliegend, da der plötzlie
Tod Albino Lucianis ein Mord gewesen sein könnte. Eine Hypothese, die von
den zahlreien Ungereimtheiten gestützt wurde, die den Fall begleiteten,
und vor allem (wieder einmal) von der Zurühaltung von Tatsaen bei
seiner Rekonstruktion. Die Todetunde wurde zunäst mit 23 Uhr
angegeben, später auf 4.45 Uhr des folgenden Morgens versoben. Der Fund
der Leie wurde seinem Sekretär John Magee zugesrieben, nadem es
am Tag zuvor no geheißen hae, die Entdeung sei von der treuen
Ordenwester Vincenza Taffarel gemat worden. Ein dries, si
hartnäig haltendes Gerüt behauptet als gesierte Tatsae, es sei
ausgerenet Jean Villot gewesen, der das Zimmer als Erster betrat. Es hieß,
der Papst habe im Augenbli seines Hinseidens – in dieser Reihenfolge –
das Bu L’imitazione di Cristo (dt. Die Nafolge Christi, von omas von
Kempen), einige Bläer mit Notizen, eine Liste mit Ernennungen, die am
folgenden Tag stafinden sollten, und den Entwurf einer Rede in Händen
gehalten. Gewi ist jedenfalls, da aus dem Zimmer umgehend einige
persönlie Gegenstände entfernt wurden: Brillen, Pantoffeln, Notizen, eine
Satel Medikamente gegen niedrigen Blutdru.
Sind das ausreiende Elemente, um daraus einen Mord zu konstruieren?
Oder zumindest eine Mord-Hypothese zu entwieln? Dies jedenfalls tat der
englise Investigations-Autor David Yallop, der si bereits mehrfa mit
dem Vatikan besäigt hae und über den Tod Papst Lucianis ein Bu
veröffentlite, in dem er harte Ansuldigungen erhebt: In God’s Name (Im
Namen Gottes. Der mysteriöse Tod des 33-Tage-Papstes Johannes Paul I. –
Tatsaen und Hintergründe). Ein erfolgreies Bu, mu man sagen, von
dem weltweit ses Millionen Exemplare verkau wurden. Was sind Yallops
Hauphesen? Da zumindest zwei der von Papst Luciani angestoßenen
emen hogefährli waren, das eine doktrinärer, das andere eher
praktiser Natur.
Das erste betraf die ablehnende Haltung der Kire gegenüber jeder Art
von Empfängnisverhütung, die Johannes Paul I. offenbar wieder zur
Diskuion stellen wollte. Einigen horangigen Persönlikeiten der Kurie
zufolge, unter ihnen au Staatekretär Villot, häe jede Neupositionierung
auf diesem Gebiet einen Verrat an der von Paul VI. in seiner Enzyklika
Humanae Vitae (Juli 1968) festgelegten Linie bedeutet.
No brisanter das zweite ema, die Finanzwirtsa des kleinen Staates,
insbesondere die Funktionsweise einer Bank wie dem IOR mit seinen
Geldflüen, seiner fragwürdigen Klientel, seinem wiederholten Verrat an
den eigenen Zielsetzungen: den «religiösen Werken». Wie wir im Kapitel XI
genauer sehen werden, ist nie ganz geklärt worden, ob die Nummer Eins der
Bank, Monsignor Marcinkus, von Leuten aus seiner Entourage benutzt
wurde oder ob nit eher das Gegenteil der Fall war, da also er es war, der
sein weitverzweigtes Netz von Kontakten in Italien, Europa, den Vereinigten
Staaten nutzte. In den Tagen unmielbar vor Johannes Pauls I. Tod war die
Narit durgesiert, der Papst trage si mit dem Gedanken, einen
Großteil der vatikanisen Reitümer zu veräußern, um sie für den Bau von
Häusern und Sulen in den Teilen der Welt aufzuwenden, deren Elend
angesits des o maßlosen Reitums im Westen besonders sreiend war.
Papst Luciani sien also entsloen, die Kire wieder zur Armut ihrer
Ursprünge zurüzubringen, in den Augen vieler ein inakzeptables
Vorhaben, zumal es die Entfernung einiger der einflureisten Männer der
Kurie mit si gebrat häe. Die Chroniken der Zeit beriten von
lautstarken Meinungsversiedenheiten mit dem Kardinal Staatekretär
Villot, die einmal sogar zu einem offenen Zusammenstoß ausgeartet sein
sollen.
Angesits eines so unerwarteten Todes wäre es angezeigt gewesen, dur
eine Autopsie des Leinams jeden Zweifel am offiziellen Bulletin
auszuräumen. Sie wurde aber versagt. Eine unerklärlie Weigerung, die die
slimmsten Mutmaßungen über die Ursaen des Ablebens zu bestätigen
sien, versär no dur ein weiteres Detail. Das offizielle Bulletin
srieb den Tod einem akuten Herzinfarkt zu. Eine plausible Erklärung, denn
ein Infarkt kann jeden treffen, au eine Person, die si seinbar bester
Gesundheit erfreut. Dies steht allerdings im Widerspru zu der Tatsae,
da auf dem Gesit des toten Papstes kein einziges jener typisen
Anzeien von Smerz erkennbar war, wie sie eine Herzaae
unweigerli zur Folge gehabt häe. Aus all diesen Umständen hat David
Yallop seine Hypothese abgeleitet: Zwar sei der plötzlie Tod tatsäli
dur einen Herzstillstand verursat worden, hervorgerufen allerdings
dur ein starkes Gi. Angesits eines Chors von Stimmen, die keine Ruhe
gaben und weltweit von allen witigen Medien aufgegriffen wurden, wäre
es für die Kire opportun gewesen, den Ursaen der Tragödie auf den
Grund zu gehen, sie aufzuklären und publik zu maen. Stadeen wurde
wie immer der Weg eines undurdringlien Sweigens gewählt.
Verlaen wir den Vatikan mit seinen Mysterien und begeben wir uns – aus
Analogie-Gründen, die wir glei erkennen werden – zu einem weiteren der
Wunderwerke Roms: der Basilika San Paolo fuori le Mura (Sankt Paul vor
den Mauern).
An Sommerabenden erstrahlt bei Sonnenuntergang das Goldmosaik über
der Faade im Lit der sräg vom Horizont einfallenden Sonnenstrahlen.
In diesen Momenten strahlt die Paulsbasilika ihre Prat am
wirkungsvollsten aus: Zwisen den Heiligen Petrus und Paulus erhebt si
auf goldenem Grund die Figur des segnenden Christus; darunter das Agnus
Dei (Lamm Goes) auf dem Weltenberg, im Hintergrund die ehrwürdigen
Mauern Roms; in der Fensterzone darunter besiegeln die vier Propheten des
Alten Testaments die Verbindung zwisen der Bibel der Juden und dem
Neuen Testament der Christen.
Allein die Erzählung der weltlien Gesie dieser Basilika würde ein
ganzes Bu füllen. Der Überlieferung na wurde sie an dem Ort erbaut, an
dem Paulus von Tarsus na seiner Enthauptung bestaet worden war.[2]
Sie wurde 324 von Papst Silvester I. geweiht, umgestaltet, 390 erneut
geweiht, war im Homielalter Mielpunkt eines kleinen, dit um seine
Mauern gedrängten Lehensgutes, bis im Jahre 1348 ein Erdbeben den
Gloenturm und einen Teil der armseligen umstehenden Hüen zum
Einsturz brate. Dana wurde sie immer wieder restauriert und
umgestaltet, bis zu den dramatisen Tagen Mie Juli 1823, als ein
verheerender Brand sie zum großen Teil zerstörte. Wenige Tage zuvor, am
7. Juli, hae si der regierende Papst Pius VII. (1800–1823) das Bein
gebroen. Was zunäst na einem belanglosen Unfall auah, stellte si
aufgrund der unzureienden medizinisen Standards der Zeit als
lebensbedrohli heraus. Die Agonie des Papstes war lang und smerzha.
Um ihm nit no zusätzlies Leid zu bereiten, wurde ihm nit gesagt,
da die Basilika niedergebrannt war. Einen Monat später, im August, starb
er, mit dem posthumen Trost, im Petersdom in einem herrlien, von Bertel
orvaldsen entworfenen Mausoleum[3] bestaet zu werden.
Ein weiteres Mal eigenwillig rekonstruiert, hat St. Paul in der Autaung
nit die gleie überbordende Prat wie die anderen Patriaralbasiliken
Santa Maria Maggiore oder San Giovanni, dafür hat sie eine besondere Aura.
Ob Zufall oder Absit, die Rekonstruktion des 19. Jahrhunderts stellt eine
doppelte Synthese her: zwisen der Slitheit des Frühristentums und
der Prat des Katholizismus der Epoe; zwisen Okzident und Orient,
dem Ursprungsland des Juden Saulus von Tarsus und dem europäisen
Kontinent; zwisen Rom als europäiser Stadt und Rom als äußerstem
Ausläufer des mileren Orients auf der Sonnenbahn. Unter diesem
Gesitspunkt ist der Quadriportikus, der den Besuer empfängt,
emblematis: das gleißende Mosaik an der Faade im Hintergrund, das
gewaltige Standbild des hl. Paulus im Zentrum (der seine Symbole, das Bu
und das Swert, in den Händen hält), die Palmen, die Granitsäulen, die si
in Dreifa-Reihen auf 10 Meter Höhe erheben, ein zuglei majestätises
und familiäres, römises und exotises Ensemble.
Weiter: im Inneren der Basilika über dem Papstaltar das herrlie
Ziborium aus dem 18. Jahrhundert, der römise Osterleuter, das große
Apsismosaik, das mit seinen stilisierten Bildern an jene Übergangszeit
erinnert, als die neue, ristli genannte Religion allmähli Konturen
annahm.[4] Das Quersiff dagegen, mit seinem Pomp und seiner Größe, der
mit dem Papstwappen gesmüten Dee, dem Pfauenmarmor der Lisenen,
den beiden mit Malait und Lapislazuli versalten Altären (ein Gesenk
des Zaren Nikolaus I.): ein Gepränge, das ganz und gar der Majestät eines
Papsums entspra, das als Erbe aus der kaiserlien Gloria Roms
hervorgegangen war.
Man mu si diese Basilika einmal in ihrer ursprünglien Form und
Lage vorstellen, als dieser Ort no goverlaenes Aerland war, zwei oder
drei Kilometer außerhalb des Stadtmauerrings, in der naten Ebene an einer
der trägen Kurven des Tibers. Der Flu, das Meer, das Rei, die Provinzen,
die unruhigen Landstrie Palästinas mit ihren visionären Propheten, ihrem
störrisen Glauben an einen einzigen Go. So hae alles begonnen. Und
man mu si den Mann vorstellen, dem diese Kire geweiht wurde. Sein
Bild empfängt den Besuer am Eingang, um dann im Innern immer wieder
aufgenommen zu werden, als Skulptur oder gemalt, während die Reste seines
Grabes und das, was von seinem enthaupteten Körper übrigblieb, unter dem
Altar bestaet sein sollen, in einer Krypta hinter einem diten
Meinggier.
Wer war Paulus von Tarsus wirkli, der hl. Paulus für die katholise
Kire, Sa’ul mit ursprüngliem hebräisen Namen? Wer war er jenseits
der Hagiographie, jenseits seiner unbestrienen Fähigkeiten, seiner in vieler
Hinsit revolutionären Taten, die ihn, den im engen Kreis des
Urristentums zuletzt Angekommenen, zum Ersten maten? Der Mann,
den man beretigterweise «Apostel der Heiden»[5] nannte, der es sae,
die Predigten der Jesusbewegung au über die hebräisen Gemeinden
hinaus auszudehnen? Der Mann, der sogar als der «wahre Gründer des
Christentums» betratet wird?
Beinahe alles, was wir über ihn wien, haben wir von ihm selbst. Die
Aufzeinungen der Apostelgesite – die vom Kapitel 13 bis zum Kapitel
28 auließli ihm gewidmet sind – werden von den Historikern nämli
nit unbedingt als zuverläig gewertet. Eher stützt man si auf die sieben
der ihm traditionell zugesriebenen insgesamt vierzehn Briefe, die als von
ihm eigenhändig gesrieben (Autographen) gelten.
Sa’ul wurde in Tarsus geboren, in Kilikien (zwisen 5 und 10 n.Chr.),
als Sohn einer jüdisen Familie von hellenisierten Pharisäern, sein Vater
hae das römise Bürgerret erworben. Er sreibt: «… au i bin ein
Israelit, ein Nakomme Abrahams, aus dem Stamm Benjamin» (Römerbrief
11,1).[6] Nadem er in Jerusalem an der Sule des Rabbiners Gamaliel
studiert hae, wurde er – so eine Version der Gesite – im Aurag des
Jerusalemer Hohepriesters na Damaskus gesit, um die Ordnung in
einer Gemeinde wiederherzustellen, in der es drunter und drüber ging, seit
einige der Mitglieder Jesus als Meias anerkannten und seinen Lehren
folgten. Einer anderen, vielleit glaubwürdigeren Version zufolge, soll die
Reise na Damaskus aus eigener Initiative unternommen worden sein.
Bleiben wir bei der ersten Version. Die Swierigkeit des Aurags lät
darauf sließen, da der Hohepriester in diesem jungen Mann besondere
Talente erkannt hae. Die Aufgabe war in der Tat heikel: ein Mielding –
würden wir heute sagen – zwisen repreiver Polizeiaktion und
Ermahnung zur Rükehr zu einer orthodoxeren Linie. Seit frühester Jugend
hae si Paulus höst motiviert gezeigt, er war von ungeheurer Energie
und beseelt von einer klaren Vision seiner Ziele. Hinzu kam die notwendige
Leidensalikeit, sie au durzusetzen. Er hae si als Verfolger der
Anhänger Jesus’ hervorgetan, hae die Steinigung des Märtyrers Stephanus,
bei der er persönli anwesend war, gebilligt. Vielleit wird er grausamer
dargestellt, als er in Wirklikeit war, ein Quänten Wahrheit aber mu
wohl dran sein, zumindest was seine Energie und Unbeirrbarkeit betri.
Sa’ul brit also auf und während dieser Reise hat er eine Erseinung,
die sein Leben traumatis in zwei Hälen aufspaltet – eines der
umwälzendsten Ereignie des Urristentums. «Unterwegs aber, als er si
bereits Damaskus näherte, gesah es, da ihn plötzli ein Lit vom
Himmel umstrahlte. Er stürzte zu Boden und hörte, wie eine Stimme zu ihm
sagte: Saul, Saul, was verfolgst du mi? Er antwortete: Wer bist du, Herr?
Dieser sagte: I bin Jesus, den du verfolgst. Steh auf und geh in die Stadt,
dort wird dir gesagt werden, was du tun sollst.» (Apostelgesite 9, 3–9)[7]
So heig war das gleißende Lit dieser Erseinung, da er blind wurde,
so lange, bis ihm ein Jünger Jesu mit Namen Ananias die Hände auflegte,
damit er wieder sehend würde. So erzählt Saulus oder Paulus später die
Ereignie, au wenn nit auszusließen ist, da die «Erseinung» und
die Blindheit die Folgen eines epileptisen Anfalls waren. Es ist jedenfalls
auffällig, da die Gesite von der Bekehrung des Paulus auf dem Weg
na Damaskus in der Apostelgesite dreimal erwähnt wird, während sie
in den Paulusbriefen kaum eine Erwähnung findet.
Da Paulus in Damaskus in der Rolle des möglien Verfolgers ankommt,
treten ihm die «Brüder» dort entspreend mitrauis entgegen und
sien ihn na Tarsus zurü, wo er no eine ganze Reihe von Jahren
bleibt, um zu studieren und zu meditieren. Die übrigen Apostel fahren
inzwisen erfolgrei mit ihren Predigten fort, allen voran Petrus. In dieser
Phase ist es ausgerenet Petrus, der eine kühne Tat vollbringt, indem er die
Einladung eines römisen Hauptmanns namens Cornelius zum Miageen
annimmt. Si an die Tafel eines Goy zu setzen, bedeutete für einen
strenggläubigen Hebräer, nit-kosere, also unreine Speisen zu si
nehmen zu müen. Do au Petrus hae eine Erseinung gehabt, bei der
ihn Go persönli autorisiert hae, notfalls das mosaise Speisegesetz zu
breen. Petrus interpretierte das Ereignis sehr großzügig und leitete daraus
die gölie Erlaubnis ab, au mit Heiden verkehren zu dürfen.
Diese Episode aus der Apostelgesite (10) weist Petrus also eine Art
Urheberret auf die urristlie Heidenmiion zu. Es könnte si
allerdings au um einen «Präzedenzfall» handeln, der ihm zugesrieben
wurde, um zu legitimieren, was in der Folge die von Paulus gewohnt
energis betriebene Linie werden sollte. Unter den Forsern herrsen zu
diesem Punkt lebhae Meinungsversiedenheiten, die nit leit
aufzulösen sind. Historis gesiert ist nur die Härte des Konflikts, der nun
zwisen den Hebräern, die dem Gesetz Moses’ treu bleiben wollen, und
denjenen ausbra, die dem Beitri zu dieser neuen Bewegung wohlwollend
gegenüberstanden. Paulus verspra ihnen eine Loerung nit nur der
Speisevorsrien, sondern au die Absaffung der Besneidung, die er
für die vom Heidentum Bekehrten für unnötig hielt.
Physis und intellektuell war Paulus ein großes Kaliber, er war aber au
oleris. Diese Kombination trug natürli dazu bei, den Disput no
erbierter werden zu laen, bei dem es au um das Dilemma ging, wele
Vorauetzungen für die Erlösung notwendig waren. Die Einhaltung von
Moses’ Gesetz oder der Glaube an Jesus Christus? Über den Primat des
Glaubens war si Petrus mit Paulus offenbar einig. Denno hae er,
vielleit unter dem Dru bestimmter hebräiser Christen, wieder
begonnen, si an die alten Regeln zu halten.
Im Brief an die Galater sehen wir Paulus mit größter Entsloenheit in
Aktion treten. Nadem er erkannt hae, da seine Predigten von vielen
verfälst wurden, und gedrängt von «einigen Leuten, die eu verwirren
und die das Evangelium Christi verfälsen wollen», sreibt er wütend:
«Wer eu aber ein anderes Evangelium verkündigt, als wir eu verkündigt
haben, der sei verflut, au wenn wir selbst es wären oder ein Engel vom
Himmel. Was i gesagt habe, das sage i no einmal: wer eu ein
anderes Evangelium verkündet als ihr angenommen habt, der sei verflut.»
(Galaterbrief 1,7–9) Woher er eine derartige Sierheit nahm, im Ret zu
sein, sagt er glei darauf: «Das Evangelium, das i verkündet habe,
stammt nit von Mensen; i habe es ja nit von einem Mensen
übernommen oder gelernt, sondern dur die Offenbarung Jesu Christi
empfangen.»[8] (Galaterbrief 1, 12)
Au wenn er es nit explizit sagt, gibt Paulus klar zu erkennen, da
Petrus das Jerusalemer Abkommen nit respektiert hae, das ihm das
Exklusivret der Bekehrung der nit besnienen Heiden überließ. Der
Apostel reklamiert seine Vormatstellung. Er sagt: Obat, denn i und
niemand anderes bin Jesu getreuester Interpret. Die Wiensaler weisen
darauf hin, da na der Versammlung von Jerusalem (dem sog.
Apostelkonzil) und dem heigen Streit, der darauf folgte, Petrus aus der
Apostelgesite verswindet. Von da an ist der Text fast auließli
Paulus gewidmet.
Die komplexe Paulus-Doktrin, zu der eine unendlie Exegese vorliegt,
kurz zusammenzufaen, ist nit mögli. Zur Orientierung möte i nur
wenige Punkte erwähnen. Von Paulus stammt die ese, na der Jesus
Christus, um sowohl den Juden als au den Heiden die Erlösung zu bringen,
sterben und wieder auferstehen mute. Paulus preist den Kult der
Wiederauferstehung und die Bedeutung der Kommemoration der Christus-
Paion. Im ersten Brief an die Korinther sreibt er: «Wenn es keine
Auferstehung der Toten gibt, ist au Christus nit auferwet worden. Ist
aber Christus nit auferwet worden, dann ist unsere Verkündigung leer
und euer Glaube sinnlos. Wir werden dann au als false Zeugen Goes
entlarvt, weil wir im Widerspru zu Go das Zeugnis abgelegt haben: Er
hat Christus auferwet.»[9] (1. Korinther 13–15) Um Worte wie diese, die
der geläufigen Erfahrung des Todes als einer Reise ohne Wiederkehr
widerspreen, für überzeugend zu halten, mute der Glaube son
grenzenlos sein.
Um sein Ziel zu erreien, mu Paulus no eine weitere doktrinäre
Operation vornehmen: Er mu die Figur des Jesus entpolitisieren und an die
Stelle des Propheten, der nur für «die verlorenen Safe des Hauses Israel»
(Mahäus 10,5) gepredigt hae, einen universellen Verkünder der Erlösung
setzen. Der «Befreier» Israels wird so zum «Heilsbringer» der Mensheit.
Dur die Ausdehnung seiner Botsa auf die Heiden und die Berufung auf
den Glauben an Ihn und nit auf die Einhaltung des Gesetzes (er sreibt ja
au: «Da dur das Gesetz niemand vor Go geret wird, ist
offenkundig», Galaterbrief 3,11) gibt er den Worten Jesu eine weltweite
Dimension, bringt er die Botsa des Wortes Goes zu allen Mensen auf
der Erde, mat er damit den neuen Glauben katholikè (grie.), also
universal.
Dies ist nit mehr die Religion eines einzelnen Volkes. Die Verpflitung,
die jedem Neugeborenen die Religion der Väter aufzwingt, ist abgesa,
die Wahl des Glaubens hängt nun vom Gewien eines jeden Einzelnen ab.
Und der Glaube genügt, um erlöst zu werden. Vielleit geht es zu weit,
wenn man Paulus als den eigentlien Gründer des Christentums betratet,
wie es von einer erklelien Zahl von Wiensalern behauptet wird.
Mit Sierheit aber verleiht er dem neuen Glauben eine vor ihm unbekannte
Dimension: Er sa die Vorauetzungen dafür, da er si in eine Religion
verwandeln kann.
Do wo liegt die Verbindung zwisen Albino Luciani, der na nur
dreiunddreißig Tagen Herrsa gestorben ist, und der Paulus von Tarsus
geweihten Basilika? Die Verbindung ist indirekt, darum aber nit weniger
bedeutsam. In dieser Basilika nämli sollte 1973 ein junger Abt bulgariser
Herku vom Vatikan zum Rütri gezwungen werden: wegen
«fortgesetzten Ungehorsams» und weil er die Kire als «eine
demokratise, ganz auf den sozialen Berei ausgeritete Gemeinsa»
verstand. Der Abt hieß Giovanni Franzoni und ist einer der vielen
Exponenten jener «Kire ohne Stimme», von der die Gesite des
Katholizismus seit jeher begleitet wird. Eine zeitweise tolerierte, meistens
aber von der hohen Geistlikeit bekämpe Minderheitenkire, der es nie
gelungen ist, eine Vormatstellung zu erringen, und die es nur mit Albino
Luciani für eine sehr kurze Periode auf den Petrusthron gesa hat.
«Die Kire», srieb Pier Paolo Pasolini 1975 in den Freibeutersrien,
«kann nur reaktionär sein: sie kann nur auf der Seite der Mat stehen. Sie
kann nur autoritäre und formale Regeln des Zusammenlebens akzeptieren.»
Und do gibt es, wie der katholise Historiker Pietro Scoppola (in der
Tageszeitung La Repubblica am 9. Februar 2007) vertreten hat,
eine Religiosität des Volkes, deren Formen zwar gelegentli an Aberglauben grenzen, die
aber Reourcen tiefer Humanität und Solidarität bewahrt. Es gibt das beeindruende
Phänomen des ristlien «Volontariats»[10], dem in seiner Kultur und Praxis jede Art von
Hegemonialdenken fremd ist. Es gibt kulturelle Institutionen und Reservate, die zwar nit
lautstark agieren, aber denno fest verwurzelt sind im Sozialgefüge, und die si dem
Dialog und der Zusammenarbeit mehr und mehr öffnen … Es gibt inzwisen eine
sweigende Kire, die an ihrer offiziellen Ausgrenzung leidet, die aber die Reserve für eine
ete Alternative bildet.
Jeder weiß, wer der Vorreiter dieser Kire war, die wir als die «des
Sweigens» bezeinen: Franz(iskus) von Aisi (1181/82–1226), Paladin
eines mystisen Christentums, der si mit seiner «subversiven» Kra und
Autrahlung einer als Institution verstandenen Religion stets widersetzt hat.
Francesco rebellierte gegen seinen Vater, entledigte si all seiner
Reitümer, um si und sein Leben Go zu weihen, indem er si zum
Diener der Ärmsten dieser Erde mate. Ein «heiliger Revolutionär», so ist
er genannt worden, der in Rom mit Argwohn betratet wurde. Sein Orden
slo si jener breiten Armutsbewegung des 13. Jahrhunderts an, die die
Korruption unter den Geistlien verdammte, weil diese viel zu sehr von
materiellen Intereen geleitet und in den blutigen Kampf um die
Investituren verwielt waren.
Franziskus war die erste, aber nit die letzte Stimme dieses mystisen
Christentums. Wenige Jahre na seinem Tod sollte ein anderer Franziskaner
die sönste Hymne an Maria sreiben, die ihr jemals gewidmet worden ist:
das Stabat Mater. Er hieß Iacopone da Todi (1230/36–1306).[11] 1278 war er
als Laienbruder in den Orden eingetreten und hae die rigoristise
Gruppierung der Spiritualen oder fraticelli (von der ital. Bezeinung frate
für «Bruder/Mön») gewählt, die in Opposition zur vorherrsenden
Gruppe der Konventualen standen. Letztere, die von Papst Bonifaz VIII.
unterstützt wurden, wollten die Strenge der franziskanisen Ordensregeln
aufweien. In seiner Herausforderung der konstitutionellen Mat und der
Verteidigung des ursprünglien Geistes des Franziskanertums ging
Iacopone so weit, die Gültigkeit der Wahl dieses Papstes in Zweifel zu
ziehen. Dafür wurde er zuerst exkommuniziert, später zu lebenslänglier
Ha verurteilt und in das Konventsgefängnis von San Fortunato in Todi
gesperrt. Erst na Bonifaz’ Tod (1303) wurde er wieder freigelaen.
Ein anderer Paladin des Armutsideals dagegen hat der Rae der Kire
nit entkommen können: ein Ketzer aus den Bergen Norditaliens, der
Gleiheit, Armut, die Befreiung der Frau, die Revolte gegen die Sikanen
von Feudalherren und kirlien Würdenträgern predigte. No heute lebt
sein Name in den lokalen Piemonteser Gruppen von Globalisierungsgegnern
fort (den sog. movimenti antagonisti piemontesi). Von Ivrea bis Valsesia
kann man bis heute auf den Mauern immer wieder den Srizug «Dolcino
vive!» («Dolcino lebt!») lesen.
1291 wurde Fra’ Dolcino Mitglied der von Gherardo Segarelli gegründeten
Apostelbrüder, eine der vielen in dieser Zeit weitverbreiteten
Armutsbewegungen. Der Ketzerei bezitigt, wurde die Bewegung von der
Kire unterdrüt und Segarelli am 18. Juli 1300 auf dem Seiterhaufen
verbrannt. Darauin übernahm Fra’ Dolcino die Führung. In der Nähe von
Trient lernte er bei seinen Predigten die junge Margherita Boninsegna
kennen, na den Beriten der Chronisten eine bildsöne Frau, die seine
Gefährtin wurde und ihn bei seinen Wanderpredigten begleitete und
unterstützte.
1304 flüteten die Apostelbrüder ins Valsesiatal, wo gegen die
Unterdrüung dur die Großgrundbesitzer eine Rebellion im Gange war.
Die Dolcinianer verbündeten si mit den Revoltierenden, do unter der
Leitung der Bisöfe von Novara und Vercelli wurde ein mätiges Heer
gegen sie mobilisiert. Die Dolcinianer leisteten erbierten Widerstand, bis
sie, ersöp von Belagerung und Aushungerung, in der Osterwoe 1307
geslagen und gefangengenommen wurden. Fast alle Gefangenen wurden
ersoen. Na einem oberfläli geführten Proze wurde au Fra’
Dolcino zum Tode verurteilt. Auf einem Karren fuhr man ihn dur die
Straßen von Vercelli, er wurde gefoltert, mit glühenden Zangen wurden ihm
die Nase und der Penis abgerien. Diese Qualen ertrug er ohne Sreie und
Klagen. Man hob ihn auf den Seiterhaufen. Am Ufer des Sesia wurde er
lebendig verbrannt.
Sein Name wurde zur Legende. Im Jahre 1907 erritete man zum
seshundertsten Jahrestag seines Martyriums in Anwesenheit von
zehntausend Personen – die meisten Arbeiter – auf dem Gipfel des Monte
Maaro einen Obelisken von 12 Metern Höhe. 1927, zu Beginn der
fasistisen Ära, braten die Swarzen Brigaden ihn mit
Kanonensüen zum Einsturz. Es sollten fast no einmal fünfzig Jahre
vergehen, bis im Jahre 1974 an derselben Stelle ein kleineres Denkmal
erritet wurde.
Das Franziskanertum und die Armutsbewegung wurden also vom Vatikan
unterdrüt, ihre revolutionäre Sprengkra mit Gewalt eingedämmt. Und
do kam diese minoritäre oppositionelle Strömung nit zum Erliegen.
Jahrhundertelang verlief der katholise Diens unterirdis, parallel zur
Matzentrale in Rom. Do die «Katholiken der Katakomben»
verswanden niemals vollständig, au wenn sie in Erwartung weniger
feindseliger Zeiten lange Zeit nahezu unsitbar blieben. Erst im
20. Jahrhundert konnte man diese Kire der Ultimi (der «Letzten», der
«Ärmsten») mit Mat wieder zum Vorsein kommen sehen, ein Verdienst,
das zum großen Teil dem II. Vatikanisen Konzil gebührt. Zuvor jedo
hae es Don Milani[12] gegeben, mit seinen Srien (L’obbedienza non è
più una virtù – Der Gehorsam ist keine Tugend mehr) und seinen
Argumenten («I nehme für mi das Ret in Anspru zu sagen, da
au die Armen die Reien bekämpfen dürfen und müen!»). Er wurde
dem Kreis der sogenannten cattocomunisti (Kathokommunisten) zugerenet
und wegen des Tatbestandes der «Retfertigung einer Straat» vor Gerit
gestellt: weil er die Wehrdienstverweigerung aus Gewiensgründen
verteidigt hae. Bevor das Urteil gesproen werden konnte, starb er.
Das II. Vatikanise Konzil (1962–1965) eröffnete eine neue Ära der
Kire. Es war die Revane der Progreiven, es bedeutete die Absage an
Jahrhunderte autoritärer Tradition. In Lateinamerika sloen si viele
Pfarrer, Anhänger der eologie der Befreiung, dem Kampf der Marxisten
an. In Europa entstand die Bewegung der «Arbeiterpriester». In Italien
florierten die Comunità cristiane di base (Christlie Basisgemeinden). Und
in diese breite Bewegung gehört au die Gemeinde von San Paolo, die in
Rom gegen Ende der seziger Jahre entstand und deren Leiter Dom
Giovanni Franzoni wird. Über ihn srieb Pier Paolo Pasolini 1974: «Es gibt
keine Predigt von Dom Franzoni, die nit, nadem sie si zunäst ganz
konventionell das Evangelium oder die Paulusbriefe zum Ausgangspunkt
genommen hat, unerbili mit einem Angriff auf die Mat endet.» Seine
Stellungnahmen gegen das Konkordat und gegen den Vietnamkrieg ebenso
wie die Solidarisierung mit den Arbeiterkämpfen von 1969 bringen ihm die
offene Feindsa des Vatikans ein. Im Juni 1973 legt Dom Franzoni mit dem
Hirtenbrief La terra è di Dio (Die Erde gehört Go) die geheimen
Maensaen des Vatikans im Zusammenhang mit der Bauspekulation in
Rom offen. Kurz darauf tri er vom Amt des Abtes zurü. Viele Gläubige
bleiben ihm verbunden, und gemeinsam mit ihnen beginnt er einen neuen
geistlien Weg. Das ist der Beginn der Gemeinde.
1974 befürwortet Franzoni beim Referendum über die Seidung die
Wahlfreiheit der Katholiken. Mit einer Mehrheit von 60 Prozent entseiden
si die Italiener für das Ret auf Seidung. Am 27. April teilt ihm Don
Ambrogio Porcu, der Staatsanwalt der Caineser, offiziell die Suspendierung
a divinis «latae sententiae»[13] mit. Franzoni hält die Bestrafung für illegal,
200 Priester untersreiben einen Appell zu seinen Gunsten, die
Generalvikare einiger Diözesen senden Solidaritätsbekundungen. Am Tag
darauf jedo erklärt Kardinalvikar Polei sein «volles Einverständnis» mit
der Entseidung. Dom Franzoni ist suspendiert.
Vor den Parlamentswahlen 1976 kündigt der Ex-Abt an, da er PCI
(Partito Comunista Italiano – Kommunistise Partei Italiens) wählen wird.
Am 2. August deelben Jahres wird er laisiert.[14] Das Dekret erlät
Kardinal Polei und begründet es mit «der tiefgreifenden Verstörung, die das
Verhalten von Dom Giovanni Baista Franzoni beim Volke Goes verursat
hat und weiter verursat»; seinem «wiederholten Ungehorsam»; seiner
Weigerung, zwei Jahre na der Suspendierung a divinis «Zeien effektiver
Einsit» zu zeigen. Franzonis Antwort fällt troen aus:
Wir sind zwar in der Kire, aber ausgegrenzt und unter Verdat; wir werden erst wieder
vollständig in Amt und Würden sein, wenn die Kire uns nit mehr die Amputation
unserer politisen Wahlmöglikeiten abverlangt … Wir betroffenen Priester werden aber
nit allein wieder zurükehren, sondern mit all unseren Gefährten und Gefährtinnen, die
wir in der Zwisenzeit bei den Kämpfen in den Fabriken oder auf den Feldern, in den
Stadtvierteln oder bei der Solidarisierung mit den Völkern der drien Welt versammelt
haben. Wenn wir alle in der Kire leben und laut und deutli unsere politisen
Präferenzen bekunden können, dann wird es Grund zum Feiern geben.
Wir sind überzeugt, da es keiner Kire oder Religion zusteht, die Bürger und das
Parlament auf die korrekte Interpretation des Naturgesetzes hinzuweisen. Bei solen
Interpretationen hat si im Übrigen die römise Kire im Laufe der Gesite mehrfa
selbst widersproen und könnte au heute wieder irren. Ihre Miion ist, gemeinsam mit
den Swesterkiren, die Verkündigung des Evangeliums … Gerade als Katholiken, aus
theologisen Gründen, erklären wir unseren offenen Diens zur Parteinahme der
Italienisen Episkopalkonferenz, die uns vom Evangelium weit entfernt erseint.
In ihrer entsiedenen Opposition zur offiziellen Linie der Kire bleibt die
Gemeinde nit isoliert. Sämtlie ristlien Basisgemeinden beziehen
Stellung gegen das Diktat des Vatikans zum ema eheähnlie
Lebensgemeinsa. Am 30. März 2007 gibt ihr nationales Sekretariat ein
Dokument heraus, das zu lesen si lohnt, wenigstens in Auszügen:
Seit Jahren bemühen wir uns – wie viele andere au –, uns in die von der «Stadt der
normalen Familien» produzierten menslien Müllkippen einzufühlen. Und wir haben dort
Kinder gefunden, die aus Gründen der Familienehre ausgesetzt wurden, verteufelte und der
swärzesten Einsamkeit überlaene ledige Müer, verstoßene Behinderte, ihrer Familie
entzogene Gefängnisinsaen, hoffnungslose Swule, Paare, die ihrer Würde beraubt
wurden, weil sie nit der Norm entspraen, von den Eltern mibraute Minderjährige,
unter dem Feigenbla der ehelien Pflit vergewaltigte Ehefrauen. Heute können ledige
Müer erhobenen Hauptes herumlaufen, ohne von Eltern und Pfarrern zur Abtreibung
gezwungen zu werden oder si an Engelmaerinnen wenden oder die Kinder zur Adoption
freigeben zu müen. Behinderte sind nit mehr die Sande der Familie, die man in einer
Anstalt versteen mu, weil sie als Zeien von Sünde gelten. Swule können ganz offen
ein ihnen gemäßes Leben leben. Jugendlie brauen ihre Beziehungen nit mehr
seinheilig zu versteen. Und die Gewalt in der Familie ist kein Tabu mehr. Man sollte aus
den Erfahrungen der jungen Generationen und der neuen sozialen Subjekte lernen und bei
der Erneuerung der Familie weltweit neue Wege gehen, ohne die Grenzen und Gefahren zu
verhehlen, die in jeder Öffnung gegenüber dem Neuen enthalten sind, aber au ohne
Dämonisierung, denn wir sind der Ansit, da die Reung der menslien Familie und
au der Ehe nur dur eine sole Erneuerung mögli ist.
Instinktiv strete i die Hand na dem Nais aus, nahm das Bu der Evangelien, das
in allen Zimmern liegt, und begann es von Anfang an zu lesen, also beginnend mit dem
ersten der vier Evangelien, dem na Mahäus. Und von der ersten Seite kam i bis zur
letzten und mute mi dabei – daran erinnere i mi sehr gut, mit Freude allerdings – ein
wenig gegen den Lärm der Stadt draußen absoen, die in Feierlaune war. Am Ende, als i
das Bu niederlegte, entdete i, da i zwisen dem ersten Stimmengewirr und den
letzten Gloen, die zur Abreise des Pilgerpapstes geläutet wurden [Papst Roncalli weilte zu
Besu in Aisi, Erg. d. A.], diesen harten, aber au zarten, so jüdisen und jähzornigen
Text, der eben dieser na Mahäus ist, ganz gelesen hae. Die Idee zu einem Film über die
Evangelien war mir son früher gekommen, dieser Film aber wurde dort geboren, an diesem
Tag, in diesen Stunden.
Au wenn Papst Albino Luciani ein gehorsamer Diener der Kire war, so
offenbarten glei seine ersten Worte als Papst, auf weler Seite sein Herz
slug und wele Ritung sein Pontifikat eingeslagen häe, wenn es ihm
die Umstände oder die Mensen erlaubt häen, weiterzumaen. Vielleit
ist Albino Luciani ermordet worden, vielleit au nit. Gewi ist auf
jeden Fall, da die wenigen ihm verbliebenen Tage von der smerzlien
Entdeung übersaet waren, weler Abgrund zwisen dem
Evangelium und dem Amt lag, das über ihn mehr oder weniger
hereingebroen war. Na dem Ende der Inthronisierungsfeierlikeiten
hae er si in den unendlien Weiten des Vatikans plötzli allein
wiedergefunden, dem undurdringlien Geflet von Intereen und
Intrigen ausgesetzt, von einer Kurie umzingelt, die er seinen Plänen und
seinem Glauben gegenüber als weit entfernt, wenn nit sogar offen
feindselig empfand, die in diesen Palästen eingesloen war, abgesoet
von den Hoffnungen und den Kämpfen sehr vieler gewöhnlier Gläubiger,
sehr vieler einfaer Priester. Giuseppe Siri, Erzbisof von Genua, hat
einmal im Vertrauen mitgeteilt, da der Grund für den Tod Papst Lucianis
wahrseinli in seiner exzeiven Emotionalität zu suen war, in der
tiefen Verstörung, die ihn seit dem Tag seiner Wahl nie wieder losgelaen
hae.
Es gab au Vermutungen, da es ein unerträglier Smerz war, der ihn
getötet hat, ein Syndrom, das man umgangprali als «gebroenes
Herz» bezeinet. Da der Wirkung dieses Syndroms dur Gi ein wenig
nageholfen wurde, ist eine Hypothese, die wir weder bestätigen no
auließen können.
VI. GENIES UND RIVALEN
BERNINI UND BORROMINI:
ZWEI KÜNSTLER PRÄGEN ROM
E
S GIBT IN ROM eine hinreißende kleine Straßenkreuzung, die man
leider nur unter Lebensgefahr bewundern kann und die infolgedeen
meist übersehen wird. Wenn i sagen würde, es handelt si um die
Kreuzung zwisen Via Pia und Via Felice, würde kaum jemand verstehen,
worum es geht. Wenn man die aktuellen Straßennamen benutzt, ist sie
snell identifiziert: Es ist die Kreuzung der Via XX Seembre mit der Via
delle Quaro Fontane. Früher wurde die Via XX Seembre von den Römern
Alta Semita genannt, weil sie auf dem Seitel eines Hügels entlangläu.[1]
Sie führt von der Porta Pia zum Quirinal, und ihren Abslu bildet heute
am einen Ende das wunderbare Tor des Mielangelo, am anderen ein
söner ägyptiser Obelisk zwisen der Dioskurengruppe.
Die zweite Straße, die retwinklig zur ersten verläu, wurde, wie oben
bereits erwähnt, von Papst Sixtus V. angelegt. Sie führt von der Kire Santa
Maria Maggiore bis zur Trinità dei Monti (Heilige Dreifaltigkeit vom Berge,
über der Spanisen Treppe) und hat ebenfalls je einen Obelisken als
Blifang an den beiden Endpunkten. Einem puren Zufall ist es zu
verdanken, da nit au no der Bli zur Porta Pia auf einen Obelisken
fällt. 1822 hae Papst Pius VII. (1800–1823) nämli vor, am Pincio einen
kleinen, sehr anmutigen Obelisken von neun Metern Höhe aufzustellen, der
son lange im Cortile della Pigna im Vatikan herumgelegen hae. Abt
Cancellieri dagegen beswor ihn, diesen stadeen auf dem Turm der Porta
Pia zu platzieren, damit der Flaneur von besagter Kreuzung aus auf einen
Slag vier Obelisken bewundern könne. Am Ende setzte si der Papst
dur, und heute steht der Obelisk auf einem kleinen Platz im Pincio-Park,
neben der Casina Valadier. Er war von Kaiser Hadrian in Aurag gegeben
worden, der damit an seinen verstorbenen Geliebten Antinoos erinnern
wollte, den er mit diskreter Melanolie darstellt. Aelius Spartianus zufolge
soll Hadrian beim Tode des bildsönen Jünglings, der im Nil ertrank,
tagelang «wie eine Frau» um ihn geweint haben.[2]
Sade, da man nit mien auf der Kreuzung stehen bleiben kann, die
Tag und Nat von rasendem Verkehr durquert wird. Alle vier
perspektivisen Ausblie wären eine ausgiebige Betratung wert, und sei
es nur wegen der Ereignie, die ihre Gesite gesrieben haben. Nit
sonderli bemerkenswert dagegen sind die Brunnen, die (wiederum) Papst
Sixtus an der Absrägung der vier Egebäude hat anbringen laen, eine
slite Zierde im Verglei zu den zahllosen unvergleilien Brunnen,
die Rom sonst zu bieten hat. Vom Bürgersteig aus kann man immerhin einen
weniger riskanten, aber ebenso lohnenden Bli auf die Faade der Kire
San Carlo alle Quaro Fontane (Sankt Karl bei den vier Brunnen) riten,
die nit nur wegen ihrer gedrängten Dimensionen liebevoll San Carlino
genannt wird. Diese Kire ist eines der ganz großen Werke des
Meisteraritekten Francesco Borromini (1599–1667), der sie 1634 für den
spanisen Orden der barfüßigen Trinitarier (Trinitari Scalzi del Riscatto)
entwarf, einem armen, äußerst sliten Mönsorden, der si dem
Freikauf der ristlien Gefangenen von den «Türken› versrieben hae
und deen Hauptaufgabe darin bestand, für diesen Zwe in Europa Geld zu
sammeln.
Borromini ist ungemein witig für Rom, und seine Bedeutung wäre no
sehr viel beer zu erkennen, wenn er in einer anderen Epoe oder in einer
anderen Stadt gelebt häe, wenn er also nit von der matvollen,
expansiven Präsenz eines zweiten Genies erdrüt worden wäre: Gian
Lorenzo Bernini (1598–1680). Stadeen begab es si, da diese beiden
Ausnahmekünstler nebeneinander und nit selten gegeneinander arbeiten
muten. Uns Nageborenen ist damit die Möglikeit gegeben, zwei
grundversiedene Visionen von Religiosität einander gegenüberzustellen,
die in beiden Fällen während der dramatisen Jahre der Gegenreformation
im Saen des Vatikans entstanden sind. Bernini öffnete si der Welt und
umspannte sie mit der Weite seines Genies, Borromini dagegen war
versloen und zog si zunehmend in si selbst zurü, bis zu seinem
fürterlien Ende, auf das wir no kommen werden.
Bernini erprobte sein Talent auf allen Gebieten, einsließli derer, die
wir heute Public Relations nennen würden. Im Grunde tat er immer, was er
wollte, immer aber mit dem Ansein, vor allem seinen Auraggeber
glüli maen zu wollen. Au darin war Borromini das ganze Gegenteil:
Er zeigte si unduldsam und abweisend, häe im Leben niemals
irgendetwas aus Vergnügen getan, stellte in einer Epoe, in der vor allem
Gehorsam gefragt war, immer wieder demonstrativ seine Unabhängigkeit
zur Sau. Der Rom-Besuer hat das große Glü, im Abstand von nur
wenigen hundert Metern, also beinahe Seite an Seite, zwei Hauptwerke
dieser beiden Künstler bewundern zu können: San Carlino von Borromini
und Sant’Andrea al Quirinale von Bernini.
Beginnen wir mit der Kire San Carlino. Auf dem winzigen Grundstü,
das den Mönen zur Verfügung stand, gelang es dem damals
fünfunddreißigjährigen Borromini, ein Dormitorium für zwanzig
Ordensbrüder und ein Refektorium unterzubringen; außerdem die
Bibliothek, einen Kreuzgang und sließli die Kire selbst einsließli
ihrer unterirdisen Krypta. Die Bauarbeiten für das Kloster begannen im
Februar 1635, drei Jahre später wurde mit der Kire begonnen, deren Bau
aber mehrmals unterbroen wurde. Dies führte jedes Mal zu großen
Verzögerungen, vor allem bei der Faade, die lange Zeit kahl blieb und zu
der der Künstler erst in fortgesrienem Alter wieder zurükehren, deren
Vollendung er aber nit mehr erleben wird. Bei seinem Tod war ledigli
das Untergeso der zweigesoigen Faade beendet, sein Neffe
Bernardo Castelli wird das Werk zu Ende bringen.
Die Faade springt im mileren Teil wie in einer Wellenlinie konvex na
vorn, die beiden Flanken weien konkav zurü, sie kulminiert oben vor
einem winzigen Campanile in einem zugespitzten Dreiesgiebel. Die
Bewegung der Faade ist stürmis, es gibt keinen no so winzigen
Berei, der nit mit einem Ornament, einer Nise, einer Statue, einem
Fries, einem Symbol gezeinet, geplant, gefüllt wurde. Rets und links des
Eingangstors befinden si zwei ovale Fenster, unter beiden je ein
Hirskopf, deen Geweih einen Kreis bildet, in den das Trinitarierkreuz
eingesrieben ist, unter den Köpfen eine Girlande.
Über der Tür ein Stowerk mit drei Statuen, die aber ein Werk des Neffen
Bernardo sind. Die zentrale Figur, eine Darstellung San Carlo Borromeos,
steht in einer von zwei großen zusammengewasenen Flügeln gekrönten
Rundnise, darunter zwei Engel, an ihrer Seite jeweils zwei Säulen, die in
Kapitelle münden, deren Ornamentalkomplex eine Stilmisung ist. Das
Gesims im zentralen Teil öffnet si zu einer bewegten Balustrade; es folgen
weitere Nisen, Säulen, Paneele, Palmenzweige, Kreuze, ein großes Fenster
mit Baldain, ein von weiteren zwei Engeln gehaltenes Medaillon, das
ursprüngli ein später verlorengegangenes Affresco der Dreifaltigkeit
enthielt. Diese nit einmal vollständige Besreibung der Faade mag
ansatzweise eine Vorstellung der enormen Menge an Informationen und
Botsaen vermieln, die der Künstler in eine so begrenzte Oberfläe
hineinzupaen wute.
Wenn man die Swelle übersrien hat, steht man in einem elliptis
anmutenden Raum,[3] in dem eine helle, fast weiße Farbgebung dominiert,
einzig unterbroen vom Goldbelag einiger kleiner Fenster und der
Altarrahmen. Die Wände sind bewegt wie das Äußere. Elastise – konkave
und konvexe – Kurven, Säulen, Nisen, einige davon mit rhythmisen
Travéen, andere mit einer doppelten Musel versehen, wieder andere mit
spitz zulaufenden Bläern angereiert, weseln si ab. Außerdem Reliefs,
Gesimse, Vorsprünge, siefe Ebenen, Kurvenspiele. Die Dee (das Innere
des Kuppelgewölbes) ist ein Meisterwerk für si, mit einem Gewirr von tief
in die Fläe gearbeiteten Stukaeen, die eine dite Abfolge von
Seseen und Ateen mit dem dazwisengesobenen Trinitarierkreuz
bilden. In den Zwieln vier Stumedaillons.
In die Ausbutungen der Wände hat der Aritekt Treppen eingearbeitet,
die den Eingang zur Sakristei und zwei winzigen Kapellen bilden, eine zur
Reten des Eingangs, die andere zur Linken des Hauptaltars. Hier werden in
einer Urne die sterblien Überreste der «seligen» Elisabea Canori Mora
(1774–1825) auewahrt, die Tertiarierin des Trinitarierordens war, eine sehr
unglülie, sehr fromme Frau, die si, nadem sie ein bewegtes
Familienleben hinter si hae, hingebungsvoll den Armen und Kranken
widmete. In einem Flur des Konvents sind die beiden Geißeln ausgestellt
(eine aus Seilen und eine aus Eisen), mit denen si die «Selige» hart zu
zütigen pflegte.
Auf derselben Straßenseite in Ritung Piazza del Quirinale steht in ein
paar Dutzend Metern Entfernung die Kire Sant’Andrea, ein meisterhaes
Spätwerk Gian Lorenzo Berninis, erbaut nur wenige Jahre, nadem San
Carlino 1646 geweiht worden war. Der Bau von Sant’Andrea begann 1658.
Obwohl San Carlino dur ein ditgewirktes, bewegtes Dekor und eine
hohe erfinderise Intensität in Erstaunen setzt, ist der beherrsende
Eindru, den man von dieser Kire mitnimmt, ihre ergreifende Slitheit.
Au wenn man von einem fast hektisen Erfindungsreitum spreen
kann, ist ihre Grundkonstruktion streng und in der vorherrsenden
Farblosigkeit der Raumgestaltung einfa. Wer no mit diesem kalkweißen
Ambiente vor Augen Sant’Andrea betri, ist wie vom Slag getroffen, wenn
er plötzli auf die geballte Prat der untersiedlisten Farben tri:
polyromer Marmor, prunkvolle Malereien, das überladene Dekor der
Kapellen, die Engel mit wehenden Gewändern, als habe sie ein Wirbelwind
in Aufruhr versetzt, theatralis in ihrer Haltung, emphatis, swülstig,
herrli. Weder Borromini no Bernini verlangten Geld für ihre Arbeit,
beide aber beanspruten als einzige Kompensation, diese in völliger Freiheit
und Unabhängigkeit ausführen zu können. Au deshalb offenbaren diese
beiden Kiren das Wesen ihrer Söpfer und würden au ohne
Hinzuziehung anderer Werke zum Verständnis ihrer Persönlikeiten
vielleit son ausreien.
Zuallererst die Form: Beide Kiren haben einen ovalen Grundri,
denno ist der Untersied zwisen der von Borromini konzipierten
elliptisen Form und Berninis perfektem Oval bemerkenswert.
Untersiedli das Lit, von dem das Innere der beiden Gebäude
durflutet ist: weiß und kalt in San Carlino; golden, warm, beruhigend,
luxuriös in Sant’Andrea. Untersiedli die Aus smüung, au weil es
dort die armen Trinitarier waren und hier die mätigen Jesuiten, und in der
Tat ist die prunkvollste der Kapellen in Sant’Andrea dem Gründer der
Jesuiten, dem hl. Ignatius von Loyola geweiht. Die beiden Meisterwerke sind
von so radikaler Untersiedlikeit, da man, wenn da nit das
Verbindende gewier Symbole wäre, an zwei grundversiedene Religionen
denken könnte. Gerade die Untersiede sind es jedo, die uns begreifen
laen, was unter Baro zu verstehen ist, und vor allem, weles
«politise» Manifest die Kire diesem Stil übertrug, der lange Zeit ihr
Markenzeien war.
Do lät si mit dem Begriff des Baro (ital. barocco) überhaupt ein
bestimmter Stil faen? Ein definierter Berei von Raum und Zeit?
Bezeinet er nit eher ganz allgemein eine Kultur? Eigentli umfat der
Baro eine Strömung von so übersäumender Vitalität, die si
naheliegender über eine Negation definieren lät: Baro ist alles, was nit
klais ist. Au wenn der Philosoph Benedeo Croce (1866–1952) unret
hae, der ihn als «Nit-Stil» betratete, im Grunde sogar als
«gesmalos», so hat er ihn do ritig vor allem als Indikator für ein
identifizierbares kulturelles und spirituelles Klima gesehen.
Genau dies kann man an diesen beiden Kiren ablesen. Ihre eklatante
Untersiedlikeit verweist nit nur auf die grundversiedenen
Temperamente ihrer Urheber, sondern au auf zwei grundversiedene,
sehr weit auseinanderliegende geistlie Konzeptionen.
Jeder Künstler kennt die Besränkungen seines Berufs, die des
Aritekten sind aber vielleit am erdrüendsten, denn er hat mit
Elementen zu operieren, die fast nit modifizierfähig sind: dem Material
und dem Raum. Als der junge Borromini si dem Bau des San Carlino
widmete, wute er, da er alles, was die wae ren Möne von ihm
verlangten, an der Straßenfront der Via XX Seembre entlang auf einer sehr
begrenzten Länge von 24 Metern erbauen mute. Und es mute sowohl die
Kire als au das Kloster hineinpaen. Zu allem Überflu hae das
Grundstü mit einer dur den Brunnen abgesnienen Ee au no
eine unregelmäßige Form. Dur die Swierigkeit genötigt, vielleit aber
au angeregt, studierte er ausgiebig alle Details und reierte sie dur eine
Unmenge an Fineen und ausgeklügelten Lösungen an, vom Grundri bis
zu den Balustraden, von den Nisen bis zum Gloenturm und zur
einzigartigen Innengestaltung der Kuppel. Und der Faade natürli: mit
Ideen von einer Kühnheit, die einer aufs Äußerste reduzierten Fläe eine
Gliederung und einen Atem verliehen, die ohnegleien waren.
Ein Berei, den si kein Besuer entgehen laen sollte, ist das Kloster.
Zugang dorthin hat man dur eine kleine Tür neben dem Hoaltar. Der
Grundri ist eigentli reteig, do sind die Een konvex abgesrägt,
zweistöige Arkaden umgeben das Geviert mit Säulenpaaren. Die
Balustrade im Obergeso ruht auf eleganten kleinen Säulen, die Bauung
der Baluster ist einmal na oben und einmal na unten gewandt. Im
Zentrum ein söner ateiger Brunnen, für den Borromini sogar
persönli die krönende Smiedeeisen-Konstruktion entwarf. In dem
kleinen Kreuzgang spielt au das Lit seine Rolle, das die Saen der
Rundbögen, der Balustraden, der Säulen je na Tageszeit untersiedli
modelliert. Damals wurde gesagt, da diese kleine Kire in einen der
Vierungspfeiler der Kuppel des Petersdoms hinein paen würde. Das ist
zwar ritig, do wäre es angesits der Spannbreite und Kreativität dieses
Künstlers – trotz seiner tiefen Religiosität – ein Irrtum, Borromini in die
Sublade der Sakralkunst steen zu wollen.
Was zählt, ist der liebevolle und besinnlie Charakter des Ortes, das
Wunder, hier Räume zu erleben, deren Zauber wie kaum sonst irgendwo auf
der Welt eine Aura der Ruhe und die Heiterkeit des Sakralen autrahlt.
Biographis ist von Bedeutung, da San Carlino der erste Aurag war,
dur den Borromini si im kleinen Kreis seiner Bewunderer den Ruf eines
Aritekten erwarb, der fähig war, planerise Begabung mit
betriebswirtsalien Fähigkeiten zu kombinieren. An diesem Aurag
verdiente er, wie aus den Dokumenten hervorgeht, keinen Heller: «Wir
können bestätigen, da er von unserer Bauhüe nie einen einzigen Julius
erhalten wollte», sreibt Fra’ Juan de San Bonaventura, der Prior des
Ordens, der gewienha die Oberaufsit über die Bau arbeiten an der
Kire ausübte. Und der im Übrigen verwundert notiert, da diese Kire so
sön sei und «so einzigartig na Ansit aller, da es seint, als gäbe es
auf der ganzen Welt nits ähnli Kunstvolles und Ungewöhnlies».
Eine weitere sarfsinnige Beobatung fügt der Frate hinzu, wenn er
sreibt, da das Bauwerk «wohlfundiert» sei «auf den Antiken und auf den
Srien der besten Aritekten». Sließli beritet er, da bei den
Mönen immer wieder Anfragen von Ausländern eingingen, sogar aus dem
fernen Indien, die Einsit in die Entwürfe und Projektzeiungen haben
wollten. Die größten Elogen widmet er der herausragenden Profeionalität,
mit der der Aritekt die Bautruppe und die Arbeit leitete, beginnend mit der
Verteilung
… der Materialien an die Handwerker auf eine Weise, da er diese Arbeit, die viele Tage in
Anspru genommen häe, so einfa mat, obwohl sie swierig ist, als sei es eine
anspruslose, ganz normale Verritung: weil besagter Francesco dem Maurer eigenhändig
die Kelle führt, dem Stuateur den Spatel ausritet, dem Tisler die Säge, dem Steinmetz
den Meißel, dem Fliesenleger die Fliesen und dem Smied die Feile, soda zwar die Qualität
auf seinen Baustellen groß ist, nit aber die Kosten, womit er seinen Konkurrenten eine
Lehre erteilt.
In ganz Rom hae man nie einen Aritekten von Rang gesehen, der si
dazu herabließ.
Die Chronik des Frate zeigt uns also einen Mann von großem Talent,
begierig, si mit seinen Handwerkern zu unterhalten, fähig, einen jeden in
seiner Kunst anzuleiten, nit weniger als ein Oresterdirigent, der
imstande sein mu, den versiedenen Instrumentalisten die Dynamik oder
die Phrasierung eines Satzes vorzugeben. «Francesco» nennt ihn der Mön,
und in der Tat war dies der wahre Name dieses Mannes, der üblierweise
Borromini genannt wird: Francesco Castelli, geboren in der Sweiz, in
Bione (Tein), einem beseidenen Fiserdorf am Luganersee, am
27. September 1599. Über Gian Lorenzo Bernini wien wir viel mehr, weil
ständig über ihn gesrieben wird und seine Werke seit Jahrhunderten an
den berühmtesten Plätzen Roms stehen, vor den Augen aller. Über Borromini
wien wir weniger, son zu seinen Lebzeiten haben ihn die Chronisten
vernaläigt, weil es nit viele Gesiten über ihn gab, die seiner
Existenz Farbe und Leben häen einhauen können. Bekanntli brauen
die Biographen Fleis und Blut, um ihre eigene und die Phantasie ihrer
Leser zu beflügeln.
Im Rom des 17. Jahrhunderts besetzt Bernini mit seinem strahlenden
Genie jahrzehntelang so maiv das Zentrum der Szene, da sie ohne ihn
geradezu leer wirken würde. Im Übrigen hae er sehr früh begonnen,
entdet dur Kardinal Scipione Borghese, den Neffen Papst Pauls V., der
ihn nit zu Unret für ein enfant prodige hielt. Bernini arbeitet ohne
Unterla und wird der Stadt eine in vieler Hinsit endgültige
Physiognomie aufprägen. Er ist der Favorit der Mätigen, er beherrst das
Leben am päpstlien Hof, er füllt die Weite und den Prunk der Säle mit
seiner Präsenz, er erhält fortgesetzt öffentlie und private Auräge, er ist
raffiniert, verführeris, betört seine Zuhörer, ist si dabei seines Talents
wohl bewut, vielseitig, gewandt, und er tut nits, um seine faceenreie
Kreativität zu verbergen. Er ist Maler, Bildhauer, Aritekt, Dekorateur,
Bühnen- und Kostümbildner für das eater, Meister der Pyrotenik. Man
sagt ihm na, er sei das letzte Universalgenie der Renaiance gewesen.
Man sagt ihm außerdem na, er habe, wie Wagner oder Beethoven, keinen
künstlerisen Erben hinterlaen, um damit diejenigen, die si als seine
Naahmer versuten, der Läerlikeit preiszugeben.
Aber nit er ist es, sondern sein Gegenpart, der melanolise
Borromini, der das Feld der Zukunsaritektur bestellt, au wenn man
dies erst Jahrzehnte später entdeen wird. Borromini, der Rivale und in
einigen Situationen sogar der Feind, der Mann, der es gewagt hat, Bernini
herauszufordern, und dem es bei einer Gelegenheit sogar gelungen ist, eines
seiner Werke niederreißen zu laen, um es dur ein eigenes zu ersetzen.[4]
Während Bernini von Natur aus eine theatralise Ader hat, ist der andere
ein Mann weniger Worte und no weniger Kleider, imstande, no nie
dagewesene Linien, Swünge, Ornamente und Meanismen zu erfinden.
Wie es der Mön von San Carlino sehr ritig beobatet hat, söp er aus
den klaisen Vorbildern, weiß aber, was er verändern mu, um diese zum
Vibrieren zu bringen, wie er sie seinem eigenen Gesma, den tenisen
Erfordernien, dem Geist der Zeit auf «einzigartige und außerordentlie»
Weise anverwandeln kann.
Francesco Castelli war ein Kind von neun Jahren, als er das nit immer
unbeswerte Leben am Ufer seines Sees verließ, um na Mailand zu
ziehen. Als Steinmetz-Lehrling arbeitete er in der Dombauhüe und lernte
die Geheimnie der Maurerkunst, die, wenn sie auf höstem Niveau
ausgeführt wird, feinstes Kunsthandwerk ist und bestimmt nit geringer zu
bewerten als die des Kunsislers oder Kunstsmieds. Als er Jahre später
die Faade des Oratoriums von S. Filippo Neri bauen ließ, direkt neben der
Chiesa Nuova am Corso Viorio, hae er vor, die gesamte Fläe so zu
modellieren, «als sei sie ein einziges Stü aus Terrakoa».
Da er seinen Wuns nit in die Tat umsetzen konnte, setzte er alles
daran, zumindest eine analoge Lösung zu finden. Wie man an den Bauten
der Antike sehen kann, sind die römisen Ziegel sehr fein und ebenmäßig.
Sie nimmt er si zum Vorbild, genau sole lät er herstellen, und er ordnet
an, die Zwisenräume des Mauerwerks nur mit einer ganz feinen Sit
Mörtel zu versehen, um den Durmeer der Fugen so gering wie mögli
zu halten. Damit kommt er der Idee von «Terrakoa» sehr nahe, mit der er
den Wünsen seiner Auraggeber entspreen wollte, die von ihm
«Positivität und Beseidenheit» verlangten, um die Faade des Oratoriums
«ärmli» auehen zu laen, das direkt neben der majestätisen Chiesa
Nuova von Santa Maria in Vallicella erritet werden sollte. Da ein
Meisterwerk dabei herausgekommen war, mute smallippig sogar Bernini
zugestehen. Der beanstandete ledigli, da der Charakter des Gebäudes
eher einem «Gartenpavillon» entspree als einem religiösen Bauwerk.
Kaum dem zarten Jünglingsalter entwasen, besließt Francesco, na
Rom zu gehen. Er verlät also den Mailänder Dom und begibt si zu Fuß in
die katholise Hauptstadt. Er slä in Klöstern, it, wo er etwas bekommt.
Er ist ein junger Mann, der zwei Feuer in si spürt: das der Religion und das
seines Handwerks. Bei einem Cousin müerlierseits, der im Vicolo
dell’Agnello (heute: Vicolo Orbitelli) nit weit von der Chiesa di San
Giovanni dei Fiorentini am Tiberufer wohnt, findet er eine Unterkun.
Dieser Cousin namens Leo (Leone) ist ebenfalls Steinmetz und aus derselben
Teiner Region na Rom gekommen, in der die Kunst des Skulptierens oder
Modellierens von Stein verbreitet ist. Diese Region hat der Aritektur außer
Borromini no weitere illustre Namen gesenkt, die größten darunter sind
Carlo Maderno und Domenico Fontana. Dieser Cousin arbeitet als
Maurerpolier in der fabbrica des Petersdoms und ist außerdem mit einer
gewien Cecilia verheiratet, einer Nite des großen Maderno.
Folgli findet Francesco, wie fast alle Immigranten, seine erste Stelle im
familiären Umfeld. Auf den Gehaltslisten von San Pietro wird er glei mit
seinem neuen Namen Francesco Bromino oder Borromino geführt. Der
Grund dafür soll in seiner Ergebenheit – und der seiner Familie – gegenüber
dem heiligen Erzbisof Carlo Borromeo gelegen haben; Bione gehört zur
Erzdiözese Mailand, die im 16. und 17. Jahrhundert von zwei bedeutenden
Kirenfürsten aus der Familie Borromeo geleitet wurde; zu dieser gehörten
au die na ihr benannten Borromäisen Inseln im Lago Maggiore.
Mögli ist au – sehr viel banaler –, da der Name dazu diente, ihn von
den vielen Castellis zu unterseiden, die in der Bauhüe arbeiteten.
Der Erste, der ihm etwas zutraut, ist ausgerenet Maderno, der den
jungen Landsmann als Aistenten in sein «Büro» ru, ihm die Ausführung
von Zeinungen aurägt und ihn sogar son die eine oder andere
Detaillösung erfinden lät. Hin und wieder gestaet er ihm, beim
Reinzeinen der Pläne die eine oder andere Variante vorzunehmen.
Maderno hat die Sezig übersrien, im Umgang mit seinem Süler pflegt
er einen barsen Ton, au wenn hinter dieser Rauheit und Reizbarkeit zu
spüren ist, da er für seinen angeheirateten Verwandten eine Wertsätzung
hegt, die gelegentli an Zuneigung grenzt. Er wirkt älter als 65 (wir
befinden uns ungefähr im Jahr 1620), leidet an Nierensteinen und hat so
große Swierigkeiten beim Gehen, da er auf seinem Klosestuhl
herumgetragen werden mu. Obwohl er es si nit anmerken lät, ist ihm
dieser sweigsame und zuglei einfallsreie junge Mann, der in seinem
Studio ein- und ausgeht und imstande zu sein seint, seine Wünse im
Voraus zu erkennen, ein großer Trost.
Der zwanzigjährige Borromini ist sweigsam. Wenn er nit arbeitet,
studiert er, und in den Arbeitspausen, wenn die anderen Zerstreuung suen,
konsultiert er die Büer, zeinet er seine ungewöhnlien Linien, sut er
na unerwarteten Lösungen. Seine Bibliothek ist gut ausgestaet, er besitzt
Büer aus vielen Fagebieten: Mathematik, Hydraulik, Physik. Es finden
si aber au die Klaiker, ebenso wie Werke aus dem Berei, den wir
heute mehr oder weniger als Chemie bezeinen würden, der seinerzeit aber
Gegenstände einslo, die an der Grenze zum Übernatürlien und zur
Magie lagen: alemistise Transformationen, die Symbole und die
geheimen Eigensaen in der Natur der Dinge und der Worte.
Möglierweise gehörte Borromini zu einer Vorgängerorganisation der
(offiziell erst 1717 entstandenen) Freimaurerei, die si Corporazione dei
muratori (Korporation der Maurer) nannte.[5]
Sein Erseinungsbild ist, zumindest in jungem Alter, angenehm, sein
Biograph Filippo Baldinucci besreibt ihn mit den Worten «Ein Mann von
hohem und sönem Wus, mit kräigen und robusten Gliedern, von
starkem Geist und anderen edlen Vorstellungen.» Ein anonymer Sti
dagegen zeigt ihn uns – allerdings in bereits fortgesrienem Alter – mit
unruhigem, strengem Gesit, offenkundig gezeinet von einer Neurose,
einer «Melanolie», die ihn nie verlaen wird, gepaart mit tiefer
Religiosität, die si dur die Weselfälle des Lebens no verstärkt, bis zu
seinem verhängnisvollen Selbstmord. Ein heutiger Arzt würde bei Borromini
auf Anhieb ein manis-depreives Syndrom diagnostizieren, eine damals
unbekannte, rätselhae Gemütskrankheit, deren Symptome man zwar
erkannte, für die aber niemand eine erapie parat hae.
Diese Krankheit kommt au in Borrominis altmodis swarzer, im
spanisen Stil gehaltenen Kleidung zum Ausdru, die in seinen
Jugendjahren en vogue gewesen war. Einem weiteren seiner Biographen,
Giovanni Baista Paeri, zufolge trat Borromini «immer in derselben
Haltung und mit derselben altmodisen Kleidung auf, ohne der Mode zu
folgen, wie es heute übli ist».[6] Dabei darf man aber nit vergeen, da
Borromini sein Arbeitsleben in der Lombardei begann, die zwei Jahrhunderte
lang (bis 1714) unter spaniser Herrsa gestanden hae, derselben, von
der Manzoni in seinem Roman erzählt.[7]
Borrominis Melanolie erinnert natürli an die Melanolie eines
anderen berühmten italienisen Künstlers, die des Torquato Tao (1544–
1595). Beim Diter des «Befreiten Jerusalem» (La Gerusalemme liberata,
1575) zeigte si der Wahnsinn allerdings deutlier und slug si in so
eklatanten Verhaltensweisen nieder, da seine Gönner gezwungen waren,
ihn an bewaten Orten einzusließen. Borrominis Melanolie dagegen
blieb ganz na innen gekehrt, die äußeren Symptome besränkten si auf
eine gewie Sprödigkeit des Temperaments, auf Swierigkeiten in den
Beziehungen zu anderen Mensen und, wenn man so will, auf eine
unnatürlie Keusheit. Borromini wurde geboren, als Tao son vier
Jahre tot war, die beiden Künstler haben in sehr untersiedlien
Gesellsaen gelebt, und do kann man in ihrer Haltung dem Leben
gegenüber mehr als eine Ähnlikeit erkennen. Der Wahnsinn Taos war
swerer, die Neurose Borrominis kruder, zwar blieb ihm die Pein der
Einweisung erspart, aber im Untersied zu Tao hat er, soweit wir wien,
niemals die Zuneigung einer Frau oder eines Freundes erfahren.
Ein einziges weiblies Wesen gab es in seinem Leben, die ergebene Magd
Maea, die lange Jahre in seinen Diensten stand. Am Ende des Tages zog
si Francesco in seine Wohnung zurü, wo seine einzige Gesellsa die
Büer und die Projekte waren, an denen er im Lite der rauenden
Flamme einer Öllampe bis tief in die Nat weiterarbeitete. Eine seltene
Zerstreuung war der gelegentlie abendlie Besu des Oratoriums im
Ospedale di Santo Spirito (Krankenhaus zum Heiligen Geist), wo er Giacomo
Cariimi dabei zuhörte, wie er an der Orgel die von ihm selbst komponierte
Musik spielte. Mit diesen Kompositionen, die mit Palestrina[8] begonnen
haen, entstand die heute als «Oratorium» bezeinete Musikform, au sie
eines der Gesiter der Gegenreform.[9]
Gian Lorenzo oder beer Giovan Lorenzo Bernini ist dur Zufall in Neapel
zur Welt gekommen. Sein Vater Pietro, ein aus Sesto Fiorentino (bei Florenz)
stammender Bildhauer, hae dort auf der Baustelle des Klosters Certosa di
San Martino Arbeit gefunden. In Neapel blieb er aber nur kurze Zeit. Im
Jahre 1605, mit sieben Jahren, war er mit seiner Familie jedenfalls son in
Rom. All das, was dem nur ein knappes Jahr jüngeren Borromini fehlte, hae
Bernini im Überflu: Zuneigung, Anerkennung, Reputation, Geld, Ruhm.
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war in Europa eine ganze Reihe von
Genies am Werk, die ihre Zeit geprägt haben, von Shakespeare bis
Rembrandt, von Galileo bis Descartes, von Leibniz bis Newton. Au in
Rom, wo gleizeitig Caravaggio, die Carracci-Brüder und Rubens tätig
waren, um nur einige zu nennen, war dies eine außergewöhnlie Phase für
die Künste. Mehr no als in den anderen Territorien des Kirenstaates
herrsten in Rom aber die eisernen Regeln, die na Luthers Reformation
von der Kire auf künstlerisem Gebiet festgelegt worden waren.
Der größte Teil der in dieser Periode entstandenen Werke spiegelt au
ganz klar den devotionalen und erbaulien Zwe wider, zu dem sie bestellt
und ausgeführt wurden. Weil es keine Bourgeoisie gab, wie in anderen
Ländern, etwa in den Niederlanden, waren die Auraggeber ohnehin fast
auließli die Kirenfürsten, reie, kultivierte Kardinäle, die begierig
waren, ihre Wohnsitze, ihre Landhäuser, ihre Parks pratvoll auszustaen
und zu versönern. Pietro Bernini wurde von Paul V. (Camillo Borghese,
1605–1621) na Rom gerufen, der 1605 als Kompromipapst gewählt
worden war und si als ein troener, pflitbewuter Bürokrat erwies.
Unter anderem gab er bei Bernini den Bau der Familienkapelle in der Kire
Santa Maria Maggiore in Aurag, die na ihm Paolina genannt wurde. Dort
realisierte Pietro das, was als sein Meisterwerk betratet wird, eine «Mariä
Himmelfahrt», in der ineinander verslungene musizierende Engelsfiguren
Jesu Muer in den Himmel geleiten, während einige der Apostel dem
Wunder mit, man könnte sagen, ret besorgter Miene beiwohnen. Die
meisten Künstler der Zeit stammten entweder aus Künstlerfamilien oder sie
waren in irgendeiner Werksta ausgebildet worden. Gian Lorenzo war
beides: Er wus im Atelier des Vaters auf, atmete von Kindesbeinen an
diese Lu, erlernte spieleris die Geheimnie der Kunst. Vielleit wäre er
au ohne dies ein großer Künstler geworden, denn Bernini der Jüngere
hae es, wie Roini oder Mozart, Picao oder Stravinskij, nit nötig, seine
Kunst zu erlernen, er hae sie im Blut.
Papst Paul V. hae seinen Lieblingsneffen Scipione Caffarelli Borghese,
wie damals übli, zum Kardinal und Oberaufseher des Kirenstaats
gemat. Scipione ist es, der Gian Lorenzo rufen lät, neugierig geworden
dur die Erzählungen, die über diesen Wunderknaben im Umlauf waren.
Domenico Bernini, Gian Lorenzos Sohn, besreibt in der Vita seines Vaters,
wie vorbildli si der Junge bei dieser so witigen Begegnung verhielt:
«Er legte eine sole Misung aus Lebhaigkeit und Beseidenheit, aus
Unterwürfigkeit und Geistesgegenwart an den Tag, da er das Herz des
Fürsten im Fluge eroberte und dieser ihn umgehend dem Papst vorstellte.»
Mit dieser zweiten, no entseidenderen Unterredung, siert si Gian
Lorenzo auf triumphale Weise seine Zukun.
Um ihn auf die Probe zu stellen, bat ihn Papst Paul V. nämli darum, ihm
aus dem Stehgreif und in seiner Anwesenheit einen Kopf zu zeinen. Kein
bien eingesütert fragte Gian Lorenzo den Papst mit betörender
Naivität, was für einen Kopf er denn wünse, den eines Mannes oder einer
Frau, welen Alters und welen Ausdrus. Das Haupt des hl. Paulus,
antwortete der Papst. Innerhalb einer halben Stunde vollendete der junge
Bernini den Kopf. Die Ausführung war so, da der Papst mit einiger
Verwunderung zu den umstehenden Kardinälen sagte: «Dieser Junge wird
der Mielangelo unserer Zeit.» Au dieser Satz ist von Domenico
überliefert, und natürli ist es denkbar, da er aus Sohnesliebe übertrieben
hat. Gewi aber ist die Bewunderung Pauls V., der zwölf Goldmünzen in
Gian Lorenzos kleine Hand fallen lät. Das erste dank seines
außerordentlien Talents selbstverdiente Geld.
ema dieses Bues ist aber nit die Kunstgesite, sondern die
päpstlie Politik, einsließli der Kunstpolitik. I mu mi also auf die
Darstellung der einen oder anderen Episode besränken, die die Beziehung
der beiden großen Künstler zueinander und zu der Mat illustrieren, von
der alle beide abhingen. Mit einer slagkräigen Formel hat der Maler und
Historiker Filippo Baldinucci (1624–1696) Borrominis Existenz
zusammengefat: «Er war maßvoll in der Ernährung und lebte keus. Er
sätzte seine Kunst sehr ho und für die Liebe zu ihr seute er keine
Mühe.»
Ein derart zurügezogenes Leben konnte ihn natürli nit
voranbringen. Rom war, wie es son immer gewesen ist, eine Stadt, in der
eine plakative, vollkommen veräußerlite Religiosität mit einer
weitverbreiteten Korruption einherging, und wenn es nit direkt Korruption
war, so do zumindest ein eingefleister Opportunismus, bisweilen au
eine Verslagenheit, die nit selten an Zynismus grenzte. Selbst wenn sein
störriser Charakter nit gewesen wäre, häen son Borrominis mit
hoher Integrität und Moralität gepaarter Eigensinn und seine Rigorosität
ausgereit, um ihn in einem sleten Lit erseinen zu laen. Sein
Rivale Bernini dagegen wute, wie er si in Szene zu setzen hae, wie er
die Aufmerksamkeit und das Wohlwollen der Anwesenden auf si ziehen
konnte, egal, wen er vor si hae. Im Gegensatz dazu vermielte Borromini
den Eindru, ein herriser und, mit einem Wort, «unsympathiser» Mann
zu sein.
Au im Verhältnis zum Geld waren die beiden einander äußerst
unähnli. Dem Biographen Leone Pascoli zufolge war Borromini «auf
gesäliem Gebiet … ziemli eigen, nie forderte er von irgend jemandem
den Lohn seiner Mühen no war er willens, si mit den Capimastri
zusammenzusließen, um au nit den Saen des Verdats auf si zu
lenken, er handle mit Berenung oder mae mit den übrigen Beteiligten
gemeinsame Sae». Man kann si unswer vorstellen, wie exzentris ein
soles Verhalten in diesem Rom wirken mute.
Kaum hat Bernini die Bauleitung und zusätzli das Amt des Aritekten
der Bauhütte von Sankt Peter übernommen, beru er Borromini zu seinem
Aistenten, vor allem für den tenisen Berei, wo dieser weit
fakundiger ist. Die Zusammenarbeit nimmt einen sleten Anfang.
Offenbar hat Bernini seine Position als Vorgesetzter ausgenutzt, um die
Arbeit des Kollegen auszubeuten, wobei er si verbal zwar in
Lobpreisungen über ihn erging, ohne diesen Elogen allerdings die
gebührende Vergütung folgen zu laen. Dazu Baldinucci:
Trotz der Tiraden, dem Boromino sei es zu verdanken, wenn die päpstlien Bauarbeiten gut
vorangekommen waren, stri der Bernini die Gehälter und Saläre sowohl der Bauhüe als
au des Palazzo Barberini selbst ein und nie gab er für die Mühen von so vielen Jahren
irgendetwas dem Boromino, sondern nur söne Worte.
Im Februar 1631 ist Borromini 32 Jahre alt, er ist nit mehr der junge
Steinmetz, der er fünfzehn Jahre zuvor war, als er in Rom ankam. Und do
wird er für sämtlie von ihm als «Aistent des Aritekten» ausgeführten
Arbeiten auf der Baustelle des Palazzo Barberini ledigli mit 25 Scudi
entlohnt. Bernini hae für andere, ähnlie Arbeiten 250 Scudi erhalten. Als
Borromini dies erfuhr, soll er, einem Biographen zufolge, ausgerufen haben:
«Es mifällt mir nit, da er dieses Geld erhalten hat, es mifällt mir aber,
da ihm die Ehre meiner Mühen zufällt.» Denno fährt er fort, Bernini
zuzuarbeiten, au weil es, so mu man annehmen, anders nit mögli
war. Die Feindseligkeit aber bleibt bestehen, manmal serzha, andere
Male von Migunst durdrungen.
Drei Päpste haben Einflu auf Borrominis Berufsleben. Ihm am
gewogensten war zweifellos Innozenz X. (Giambaista Pamphili, 1644–1655),
der 1644 als Nafolger Urbans VIII. Barberini auf den ron gelangt war. Er
war ein typiser Karriereprälat, den seine jahrzehntelange Erfahrung an der
Kurie die Kunst der Verstellung gelehrt und gegenüber seinen Mitmensen
mitrauis gemat hae. Von einem Chronisten wird er mit diesen
Worten besrieben: «Kein Freund der sönen Literatur no der Oratorien
no der Poeten, weshalb si viele vergebens bemühen, ihm Srien
vorzulegen, denn sie sind von ihm weder erwünst no gesätzt.»
Papst Pamphili war nit nur derb, er geriet au sehr leit in Rage, ließ
si dabei zu Gewalätigkeiten hinreißen, und als ob das nit genug wäre,
war er außerdem sehr häli. Die einzige Person, die offenbar in der Lage
war, ihn zu besänigen, war Olimpia Pamphili, geborene Maidalini, eine
Matfrau und Intrigantin, in zweiter Ehe mit einem seiner Brüder
verheiratet (daher der Familienname), angebli au die Geliebte des
Papstes, deen Wahl sie befördert hae. Der arme Innozenz starb im
Januar 1655 na langer Agonie, während der seine Verwandten, und allen
voran Donna Olimpia, alles zur Seite saen, was mögli war. Drei Tage
lang ließ man seinen Leinam in einem Lagerraum hinter der Sakristei von
San Pietro liegen. Es waren die Arbeiter, die dort Natwae hielten, damit
der in Verwesung begriffene Körper nit von den Mäusen gefreen wurde.
Später ließ ihm sein Neffe Camillo in der Kire Sant’Agnese auf der Piazza
Navona ein Denkmal erriten.
Das gemeine Volk von Rom nannte Olimpia verätli La Pimpaccia.[10]
An allen Straßeneen wurde getuselt, wele Sande es sei, da «die
Regierung Roms einer Nue» überlaen sei. Ihr Ruf war so nahaltig
desaströs, da der Impreionist Edouard Manet 1863 das berühmte Porträt
der Naten auf dem Be, die ihr Gesit sehr ungeniert dem Betrater
zuwendet (entferntes Modell war Tizians «Venus»), «Olympia» nannte und
dabei wahrseinli an die große Kurtisane der römisen
Gegenreformation date.
Ausgerenet Papst Innozenz X. also, ein Mann, dem jede
Liebenswürdigkeit abgeht, begegnet Borromini mit Wohlwollen. Begünstigt
wird das dur die Ernennung von Virgilio Spada zum geheimen
Almosenier.[11] Pater Spada war ein gebildeter Priester, der zuvor, in den
Jahren, als Borromini am Oratorium arbeitete, Prior der Filippiner gewesen
war. Dur das neue Amt aufgewertet und gestärkt, mat Spada den Papst
auf die Tütigkeit des Künstlers und seine beispielhae Korrektheit in der
Lebensführung aufmerksam.
Der Papst, der si der Favoriten seines Vorgängers zu entledigen
wünst, gibt Borromini den Aurag, den Palazzo della Sapienza (wörtli
«Palast der Weisheit», die päpstlie Universität) fertigzustellen und dort
eine Kapelle zu erbauen. Eine großzügige Geste, do wieder einmal
bedeutet das für Borromini, ein bereits in Teilen von Anderen realisiertes
Projekt modifizieren und fertigstellen zu müen. Und wieder einmal siegt er.
Wie ein Chronist der Zeit notiert, bereitete dem Cavaliere Borromini weder
«die bunte Misung aus Een und Kanten und geraden und krummen
Linien Sorge …, no das Fehlen von hellem Lit, weil er wute, da der
Triumph und die Bedeutung des Aritekten erst aus den Swierigkeiten
erwäst».
Au Bernini fürtete Swierigkeiten nit. Man sagt ihm na, er habe,
wenn ihn die Umstände gelegentli dazu nötigten, das Porträt einer Person
zu malen, ohne das Modell vor Augen zu haben, ausgerufen: «Wenn man
wien will, was ein Mann kann, mu man ihn auf die Probe stellen.» Gian
Lorenzo erfreute si sein Leben lang fast konstant der Gunst der
Herrsenden, obwohl er, wie man si leit vorstellen kann, auf Sri
und Tri von Eifersut und Migunst umgeben war. Ihm am günstigsten
gesinnt war jedenfalls Urban VIII. (Barberini), ein ehrgeiziger Mann und
Papst, der die Kunst na dem Trauma der Reformation zum bevorzugten
Medium der demonstrativen Zursaustellung des Triumphes der Kire,
au ihrer weltlien und kriegerisen Mat nutzen wollte. Papst Barberini
war Berninis großer Gönner, in Rom kursierte das geflügelte Wort: «Wenn
ihn Gian Lorenzo nit zudet, kann der Papst nit slafen.» Bernini
wurde au als das «Soßhünden des Papstes» bezeinet. Man
munkelte, die Vertraulikeit zwisen den beiden Männern sei so groß
gewesen, da der Papst, um die bösen Zungen zum Sweigen zu bringen,
den Künstler dazu gedrängt haben solle, si eine Ehefrau zu nehmen.
1627 erhielt Bernini von Papst Urban den Aurag zur Gestaltung seines
Grabmals. Er arbeitete jahrelang daran. Majestätis thront die Statue des
Papstes, die zweimal so groß ist wie deen natürlie Größe, in 4 Metern
Höhe, den reten Arm zum Segen erhoben, feierli umhüllt von den
sweren rituellen Gewändern. Zu seinen Füßen zwei Frauen, die Carità
(Barmherzigkeit) und die Giustizia (Geretigkeit), im Zentrum aber vor
allem der Sarkophag, auf dem ein versleiertes Skele mit dem Sriband
URBANUS VIII BARBERINUS PONT. MAX. hot. In dem Denkmal
misen si versiedenfarbige Marmorsorten mit getönter und vergoldeter
Bronze, eine akzentuierte aritektonise Aueilung mit bewut
malerisen Effekten. Das Grabmal allein würde ausreien, um deutli zu
maen, was der Baro in Rom war und wele Merkmale ihm der genialste
seiner Söpfer zu geben wute.
Während für Bernini fast alles (fast immer) einfa war, hae Borromini
im Gegensatz dazu stets mit unzähligen Swierigkeiten zu kämpfen, dazu
gehörte au das Projekt der Sapienza. Wenn man den Hof des Gebäudes
dur den Eingang am Corso Rinascimento betri, wird einem auf Anhieb
klar, was si der Künstler hae einfallen laen müen, um an eine
Konstruktion anzusließen, die von anderen nur zur Häle fertiggestellt
worden war. Der Vorgänger-Aritekt Giacomo Della Porta hae die den
Hof besließende Mauer konkav angelegt, weil er vorhae, auf dem Rest
des Platzes eine in eine viereige Form eingelaene kreisförmige Kire zu
erbauen.
Borromini änderte alles und entwielte den Grundri aus einem auf der
Spitze stehenden gleiseitigen Dreie, das über den Seitenmielpunkten
halbkreisförmig erweitert, an den Een aber segmentbogenförmig
besnien ist: der seszaige Stern, Maghèn David, der Sild Davids, der
jüdise Davidstern, Symbol der Weisheit, was si für eine Kire der
Sapienza ja besonders anbot. Darüber hinaus entwir er die
Universitätskapelle, wie son bei San Carlino, als Zentralbau, hier aber vor
allem, um das Anhören der Predigt zu erleitern, ausgesproen witig in
einer Kire, die für Profeoren und Studenten des Studium Urbis, der
städtisen Universität, gedat war.
In dem Grundri verborgen ist jedo au eine komplexe Formsymbolik,
zumal die beiden gekreuzten Dreiee, die den «Davidstern» bilden, das
Siegel Salomons darstellen, in dem die Synthese des hermetisen und
freimaurerisen Gedankens enthalten ist. Kombination und Verfletung
der Linien repräsentieren die vier Grundelemente des Universums: Feuer,
Lu, Erde, Waer. Die Anzahl der Sterne in der Kuppel ist 111, eine Zahl,
die au als 1+1+1 gesrieben werden kann, was in der Summe 3 mat,
seinerseits Zahlensymbol des Himmels und der Perfektion («Omne trinum
est perfectu» – «Alles Dreifae ist vollkommen»), der Dreifaltigkeit und
weiterer, magiser Elemente einsließli des mystisen Dreisris:
Reinigung, Erleutung, Einigung mit Go.
Der Symbolismus ist ein integraler Bestandteil von Borrominis
aritektoniser Formensprae. Symbole aus der Magie, der Freimaurerei,
der Esoterik, der Mystik werden bei ihm häufig zitiert. Au das Oratorium
der Filippiner strotzt vor flammenden Herzen und Lilien, Symbolen also, die
dem Gründer der Kongregation des Oratoriums, Filippo Neri (1515–1595),
lieb und teuer waren. Kronen und Palmenzweige (zuweilen in stilisierter
Form) sind Zeien des ewigen Lebens, sie können aber, wenn sie mit
Cherubim-Köpfen und salomonisen Säulen verbunden sind, au auf das
Allerheiligste im Salomon-Tempel verweisen. Der atzaige Stern, den
Borromini in der Bibliothek verwendet hat, symbolisiert die Kirenväter
etc.
Das aufsehenerregendste Symbol an der Chiesa di Sant’Ivo ist die
spiralförmig si in den Himmel sraubende Laterne, die eine kuriose
Krönung bildet und no heute ho über den Däern Roms emporragt.
Was bedeutet diese seltsame faszinierende Zinne, was soll sie darstellen?
Den Turmbau zu Babel? Eine Weinrebe? Eine Musel? Eine flammende
Krone? Oder hat der Kunsthistoriker Maurizio Fagiolo ret, wenn er
sreibt: «Die Spirale, eorem und Emblem der unendlien gölien
Weisheit, wielt si um den Raum wie die Slange der Ewigkeit.» Unter
den zahlreien Interpretationen erseint mir die des Turmbaus zu Babel
am plausibelsten, der (seit dem Stufentempel Zikkuraten in Mesopotamien)
immer wieder als kegelartiger Sa mit spiralförmig aufsteigenden Stufen
dargestellt wird. Das bekannteste Beispiel heute no existierender
Zikkurate ist das 52 Meter hohe Minare von Malwiya in Samarra (Irak),
ganz aus Tonbausteinen, aus dem 13. Jahrhundert, ein Meisterwerk der
islamisen Kunst (seine Spitze wurde im Irakkrieg besädigt).
Die Kuppel von Sant’Ivo bereitete ihrem Söpfer einige praktise und,
wie man sagen könnte, konzeptionelle Probleme. Die Auraggeber haen
nämli den Eindru, der Aritekt habe die Statik nit ritig berenet,
und befürteten, da «das große Gewit, das auf die Kuppel gesetzt
wurde» ernsthae Säden am Gebäude hervorrufen könnte. Der Rektor des
Studium Urbis ließ Borromini eine Warnung zukommen, mit der «besagter
Herr Rektor nämlien [Aritekten] im Hinbli auf einen jeglien
Saden, der si in einem Zeitraum von fünfzehn Jahren einstellen könnte,
habar mat, entspreend den städtisen Verordnungen». Mit großer
Gelaenheit, seiner Berenungen und seiner Erfahrung sier, srieb
Borromini zurü und gab eine srilie Garantie für die Stabilität der
Konstruktion:
Im Hinbli auf die Verpflitung der Aritekten na allgemeinem Ret, für die von ihnen
erbauten Gebäude fünfzehn Jahre lang die Haung zu übernehmen, der au i, der
Unterzeiner, mi nit zu entziehen beabsitige …, verpflite i mi, für alle Säden,
die auf der Baustelle der Kapelle und der Kuppel der Sapientia eintreten könnten, die
Haung zu übernehmen.
Die Kuppel steht, wie jeder sehen kann, au na dreieinhalb
Jahrhunderten no immer fest und unersüerli an ihrem Platz.
Au Bernini widerfuhren, trotz seines anhaltenden Glüs, im Laufe des
Lebens gewie Demütigungen. Zu einem Desaster entwielte si
beispielsweise die sehr slete Idee Papst Urbans, an den äußeren Enden
der Faade von San Pietro je einen Kampanile anzufügen. Der Künstler
wurde 1637 auf Anordnung des Papstes mit der Planung beauragt. Ein
Unterfangen, an dem man si au in der Vergangenheit son versut
hae, das aber aufgrund von Problemen mit der «sandigen» Konsistenz des
Baugrunds, den Grundwaerverhältnien und dem Zustand der
Fundamente unterbroen worden war. Son Maderno war kritisiert
worden, als er die Basilika in einer Weise «verlängert» hae, da die Kuppel
vom Platz aus nur no teilweise zu sehen war (wie es im Übrigen au
heute no der Fall ist). Allen Problemen zum Trotz verlangte Papst Urban,
da die Gloentürme auf jeden Fall gebaut werden sollten, um das
Majestätise des Ensembles zu steigern.
Bernini übernahm den Aurag, plante zwei große dreistöige Türme,
deren Kosten si auf 70.000 Scudi beliefen, eine enorme Summe, mehr als
das Doppelte im Verglei zu den von Maderno veranslagten 30.000 Scudi.
Vor der Ausführung beabsitigte er jedo, si dur einige hieb- und
stifeste Expertisen abzusiern, insbesondere die der Kongregation
(Baukommiion) der ehrwürdigen fabbrica und zweier horangiger
capomaestri (Baumeister). Diese stellten übereinstimmend fest, da die
Fundamente ausreiend seien, das Gewit der neuen Gebäude zu tragen.
Filippo Baldinucci sreibt: «Dadur wurde der kluge Künstler in Stand
gesetzt, si mit voller Sierheit und Auit auf Ehre und Erfolg an das
Unternehmen zu maen.»[12]
Do es kam anders. Bernini hae die von Maderno bereits gelegten
Fundamente beibehalten und wollte darauf seinen Bau erriten, der, wie bei
ihm übli, sehr ausgeklügelt und raffiniert war. 1641 wurde einer der beiden
Gloentürme erritet, do son fünf Jahre später unter dem neuen Papst
Innozenz X. aus statisen Gründen wieder abgetragen. Bernini soll das als
die Niederlage seines Lebens empfunden haben. Er wurde krank.
Zwisen 1646 und 1649 arbeitet Borromini an der Restauration der
ehrwürdigen Basilika San Giovanni in Laterano, der mater et caput
(Muerkire aller Kiren der Welt), die si in einem derart baufälligen
Zustand befand, da er anfangs versut war, alles abzureißen und neu zu
bauen. Hinzu kam, da die Bauarbeiten in aller Eile ausgeführt werden
muten, weil das Heilige Jahr 1650 bevorstand. Do im Dezember 1649,
wenige Tage vor der Einweihung, ereignete si ein Unglü. Die Leie
eines Seminaristen namens Marco Antonio Buoni wurde mit
offensitlien Spuren von Slägen tot aufgefunden.
Eine Ermilung wurde in die Wege geleitet, unter anderem weil bei den
Justizbehörden ein Sreiben einging, in dem behauptet wurde, es handle
si um einen Mordfall. Die Naforsungen lösten das Rätsel. Buoni war
dabei erwist worden, wie er einige für die Basilika vorgesehene
Marmorblöe mutwillig besädigte, indem er «Een und Kanten
abbra». Borromini, der darüber informiert worden war, hae angeordnet,
da die Arbeiter ihn bestrafen sollten. Eine höst fahrläige Anordnung?
Oder nur eine unklare? Haen es die Arbeiter mit der Bestrafung
übertrieben? Tatsae ist, da der arme Buoni dur die Prügel zu Tode
kam und da sein Bruder Giuseppe gegen Borromini ganz offiziell Anzeige
wegen Mordes erstaete, was für den der Tat Verdätigten automatis
Untersuungsha bedeutete. Diese Sma war für den Künstler
unerträgli. Um die Sande zu tilgen, ritete er eine Bisri an den
Papst und bat ihn, die Ermilung selbst zu übernehmen und dur diesen
Sri eventuelle andere für nitig zu erklären. Er rief seine Verdienste bei
der Restaurierung der Basilika in Erinnerung und gab zu bedenken, da
Buoni dabei ertappt worden war, einen Saden anzuriten, der einem
Sakrileg gleikam.
Das Urteil entspra den Erwartungen, wennglei die Begründung
widersprüli war: Zwar wurde Borromini ex speciali gratia (aus
besonderer Gnade) von der Anklage freigesproen, aber für drei Jahre na
Orvieto verbannt. Dank einer Intervention Virgilio Spadas wurde das Exil
dann leit verkürzt. Zwei Jahre später, 1652, verlieh ihm der Papst in einer
öffentlien Zeremonie im Petersdom das Kreuz des Christusordens (la croce
dell’Ordine di Cristo), verbunden mit dem Ret auf den Titel eines
cavaliere.
Die Maurer wuten nit, was und wie sie es tun sollten, tagelang standen sie mit den
Händen in den Hosentasen da, während der Aritekt unsier, unentsloen,
unbeständig wirkte … Die Sonne liebkoste die Rundung der Kuppel, streie den rosigen
Pfeiler, der si im Zentrum des Platzes erhob, die weißen Riesen, die über dem Getöse des
Waers gestikulierten und ihn an den verhaten Bernini erinnerten.
Die «weißen Riesen», auf die Bianconi anspielt, sind die von einem
Obelisken überragten hinreißenden Figuren der Fontana dei quattro Fiumi
(Vierströmebrunnen), die Bernini im Zentrum des Platzes aufgestellt hae
(1648–1651), eine seiner szenografis geglütesten Söpfungen, vielleit
der sönste Brunnen von Rom: bewegt, die Proportionen perfekt
abgestimmt auf den Ort, angereiert mit Details von herrlier eatralität
– die Meerelange, der zum Trinken aus der Höhle tretende Löwe, die
vom Wind bewegte Palme. Au Borromini hae si, Jahre zuvor, für das
Kanalisations-Projekt beworben, mit dem die acqua Vergine (die antike
Waerleitung «Aqua Virgo») zur Piazza Navona geleitet werden sollte. Es
wurde ihm zwar gestaet, für die tenise Seite, also die Zuleitung des
Waers zu sorgen, do wurde sein ikonographises Programm für den
Brunnen als «zu karg, zu mager, zu slit» abgelehnt. Es war, in wenigen
Worten, von der Prat und Herrlikeit des Bernini-Projektes erdrüt
worden. Die vier dargestellten Flüe Donau, Nil (mit verhülltem Haupt, weil
seine Quellen unbekannt waren), Ganges, Rio de la Plata repräsentierten die
vier Teile der damals bekannten Welt. Der Felsen wird überragt von einem
im Circus Maxentius auf der Via Appia in Brustüen wiedergefundenen
ägyptisen Obelisken, den Bernini wieder zusammensetzen und
restaurieren ließ.
Die Entstehungsdaten von Sant’Agnese und des Brunnens entkräen
jedenfalls die Legende, derzufolge die Figuren des Brunnens Gesten der
Entrüstung oder der Ablehnung in Ritung der Faade von Borrominis
Kire zeigen: da der Rio de la Plata besorgt den Arm hebe, als würde die
Faade jeden Augenbli zusammenbreen, und der Nil sein Haupt
verhüllt habe, um einen solen Horror nit ansehen zu müen. In
Wahrheit stand der Vierströmebrunnen son an seinem Platz, als Borromini
an Sant’Agnese arbeitete, die angeblie Verunglimpfung Berninis ist also
nur ein Ammenmären.
Die Ankun des neuen Papstes, Alexanders VII. (Fabio Chigi), brate ab
1655 Bernini wieder ins Zentrum der römisen Szene zurü, wozu au
seine Rolle als Hofaritekt beitrug. Von dem neuen Herrser erhielt er
einige Großauräge, darunter: die Kolonnaden auf dem Petersplatz, die Scala
Regia (Königstreppe) im Vatikan, die Kire Sant’Andrea al Quirinale, mit
der wir das Kapitel begonnen haben. Borromini dagegen wird es gerade
einmal gestaet, die von ihm begonnenen Auräge no zu Ende zu führen.
Es ist unmiverständli, da Papst Alexander ihn nit mag, und au mit
seinen Arbeiten geht es nur langsam und unter vielen Swierigkeiten
voran, vor allem wegen der fehlenden Miel. In vielen Fällen wird er sie
nit mehr zu Ende bringen können.
Borromini auf den ersten Bli zu mögen fällt nit leit, vor allem als Laie,
dem die vielen tenisen Vorzüge seiner Projekte entgehen. Bernini ist
sehr viel zugänglier, es gibt kein Werk, in dem si sein Genie nit
manifestiert, zuweilen sogar auf ziemli drastise Weise. Borromini aber
bleibt, wenn man ihn erst einmal entdet hat, unvergeli, au in seinen
kleineren Werken. Ein Beispiel dafür ist die Galerie des Palazzo Spada auf
der Piazza Capo di Ferro. Borromini nahm in diesem Gebäude, das heute Sitz
des Staatsrates ist, versiedene Baumaßnahmen vor. In einem Ausläufer des
Hofes hae er einen engen, kaum mehr als 8 Meter langen corridoio zur
Verfügung, der praktis unbenutzbar war. Er verwandelte ihn in einen
perspektivisen Kolonnadengang, der dank einer ausgeklügelten optisen
Manipulation wirkt, als sei er mehr als 20 Meter lang. Eines der geheimen
Juwele Roms, aber au ein kleines präzises Zeien dafür, da die auf die
Ratio gestützten Gewiheiten der Renaiance im Verswinden begriffen
waren und, wie in diesem Fall, dur ein illusionäres Spiel mit nit-
existenten Räumen ersetzt wurden.
Nits verbindet, alles trennt die beiden großen Rivalen, nit nur das
unglei verteilte Glü: das Temperament, die Vision des Lebens, der
Umgang mit dem Genu, der Sue na Liebe, und, allgemeiner, das
Verhältnis zur «Sinnlikeit» im weitesten Sinne des Wortes, verstanden als
Lebensfreude dur die Sinne. Alle Werke Berninis sind Ausdru dieser
Öffnung der Sinne. Alle Werke Borrominis negieren sie. Bernini ist
katholis und pagan, Borromini, wennglei formal Katholik, seint den
großen europäisen Reformern Luther, Calvin, Zwingli näherzustehen.
Bernini spielt, mat Anspielungen, serzt in seinen Arbeiten; Borromini
meditiert, zeigt, prophezeit. Bernini ist alles: Maler, Bildhauer, Aritekt,
Literat. Borromini ist auließli Aritekt, und dies mit aller Strenge;
menslie Figuren intereieren ihn nit, am allerwenigsten Frauen.
Bernini modelliert sie in Marmor, und unter seinem Meißel nimmt der Stein
die seidene Weiheit der Haut an.
In der Kunst der Gegenreformation gab es nur eine einzige zuläige Art
und Weise, die weiblie Sönheit darzustellen: in Gestalt von Heiligen
oder Heldinnen der Mythen. Die von Pluto, dem König der Hölle, geraubte
Proserpina (eine Bernini-Skulptur in der Galleria Borghese) ist eine
Momentaufnahme unmielbar vor der Vergewaltigung. Die Finger des
Entführers versinken im Fleis von Proserpinas Senkel und Rüen, ihr
verzweifelter Versu, si zu entziehen, mat die drohende Gewalt nur
no offensitlier. Die «Verzüung der Heiligen eresa» (in der Kire
Santa Maria della Vioria) ist son unzählige Male als Entdeung der
Sinnlikeit besrieben worden. Weniger bekannt, gleiermaßen beredt
eine weitere Skulptur: die selige Ludovica Albertoni (in der Kire San
Francesco a Ripa), au sie festgehalten im Moment des Si-Auäumens
und, man möte sagen, des Aufstöhnens vor nit zu beherrsender Lust.
Mit dem Pontifikat Alexanders VII. beginnt für Borromini eine Zeit der
deutlien Einsränkung seiner beruflien Tätigkeit. Das Glü des
kreativen Chaos’ einer Baustelle wird ihm immer seltener zuteil, und diese
smerzhae Erfahrung trägt dazu bei, da in seinen letzten Jahren die bis
dahin nur latente Melanolie immer mehr die Oberhand gewinnt. Er lebt in
einer kleinen, armselig möblierten Wohnung im Vicolo dell’Angelo, neben
der Kire San Giovanni dei Fiorentini. Sein äußerer Zustand zeigt die
Unordnung seines Seelenzustandes. Die Freunde sind bestürzt über seine
«physise Auflösung, sein sreenerregendes Gesit». Baldinucci
erzählt:
Fast immer li er an ausgesproen melanoliser Stimmung, oder, wie einige aus seiner
Umgebung sagten, an Hypoondrie, und infolge seiner Krankheit, wozu no die dauernde
Ungewiheit über die Dinge seiner Kunst kam, vertiee und fixierte er si im Lauf der Zeit
so sehr auf sein ununterbroenes Grübeln, da er si so weit wie mögli der
menslien Konversation entzog, allein zu Hause blieb, mit nits anderem besäigt als
mit dem ständigen Kreisen um trübsinnige Gedanken.
Mehrfa zog sein Neffe Bernardo die Ärzte zu Rate, do die Psyiatrie, die
ja selbst heute in dieser Materie o no ret unzulängli ist, gab es
damals no nit. Der einzige sinnvolle Rat, den die Ärzte zu geben
vermoten, war, ihn um jeden Preis ruhig zu halten, damit er si nit
verletze. Im Übrigen solle man ihn am besten der Fürsorge der Priester
anvertrauen. Baldinucci sreibt:
Wenige Tage vor seinem Tod ließ er all seine Zeinungen, die er zur Gravur vorgesehen
hae und nit mehr verwirklien konnte, in Flammen aufgehen. Und dies tat er au aus
Furt, da dieselben, wenn sie in den Besitz seiner Gegner geraten wären, von diesen
entweder für ihre eigenen ausgegeben oder geändert worden wären.
In der Nat des 2. August 1667, na Stunden besonders intensiver
Erregung und Unruhe, klemmt er sein Swert zwisen zwei Belaen,
ritet die Sneide auf si selbst und stürzt si mit dem ganzen Gewit
seines Körpers hinein. Die Klinge durbohrt ihn vollständig. Auf die Sreie
des armen, dement gewordenen Künstlers kommt Francesco Maari
herbeigeeilt, der leitende Steinmetz von San Carlino und San Giovanni dei
Fiorentini, der ihm zu Hause zu Diensten war. Es war ein srelier Stoß,
Borromini ist tödli verwundet, lebt aber no. Man ru na Hilfe, ein
Wundarzt zieht das Eisen heraus, au Männer der Justiz betreten den
Tatort. Seinem Beitvater, der kommt, um ihm die Sterbesakramente zu
erteilen, kann Borromini gerade no sagen, da er si die furtbare
Wunde selbst beigebrat hat, er erzählt von seiner Verwirrung, von seinem
Wahnsinn:
… nadem i mi endli erinnert habe, da i das Swert hier im Zimmer hae, das
am Kopfende meiner Besta über den geweihten Kerzen hing, nadem i au immer
ungeduldiger geworden war, weil i kein Lit hae, verzweifelt, habe i na besagtem
Swert gegriffen, es aus der Seide gezogen, seinen Knauf auf das Be gestützt und die
Spitze in meine Seite und dann habe i mi mit all meiner Kra in das Swert geworfen,
auf da es in meinen Körper eintrete und ihn durbohre von einer Seite zur anderen …
Die entsetzlie Wunde führt no am selben Tag unter großen Smerzen
zum Tode. Der ruhelose Borromini stirbt am 3. August 1667 um 6 Uhr
morgens. Die Zeitungen bringen eine kurze Meldung: «Dur Selbstmord
gestorben ist der cav. Aritekt Francesco Borromini.» Au die Trauerfeier
ist beseiden, sie wird unter der Kuppel von San Giovanni dei Fiorentini
abgehalten, wo si au das Grab Carlo Madernos befindet, neben dem er
gebeten hae, bestaet zu werden.
Borromini stirbt mit 68. Jahren, Gian Lorenzo Bernini mit 82, überlebt ihn
um rund dreizehn Jahre und fast drei Päpste. In der Tat stirbt Borromini im
selben Jahr wie Alexander VII. Chigi, und so konnte Bernini no
Clemens IX. und Clemens X. dienen und ein paar Jahre au Innozenz XI.
Borromini stirbt auf tragise Weise. Bernini stirbt, wie man eben sterben
kann, wenn man die 80 übersrien hat. Sein Sohn Domenico sreibt, er
sei 1680 «an einem leiten Fieber erkrankt …, zu dem am Ende no ein
Slaganfall hinzukam, der letztli den Tod verursate». Zunäst überlebt
er, bleibt reteitig gelähmt, einsließli des Arms. Er mat Witze
darüber, wie sein Sohn beritet, behauptet, zufrieden zu sein: «… damit si
wenigstens diese Hand ein wenig ausruhen kann, die so viel gearbeitet hat.»
Er lebt no zwei Woen, und während die Kräe allmähli nalaen,
verliert er do nie seinen klaren Verstand und au nit eine gewie
Wunderlikeit, die ihn Zeit seines Lebens arakterisiert hae. Er stirbt am
28. November 1680 zu Hause und wird bei seiner Beerdigung in Santa Maria
Maggiore von einer großen Volksmenge begleitet.
Unglei in allem, die beiden, bis zum Slu.
VII. DER QUIRINAL
DIE ABENTEUERLICHE GESCHICHTE
EINES PALASTES
D
IE PIAZZA DEL QUIRINALE ist einer der sönsten Plätze der Welt,
an drei Seiten gesloen, an der vierten aufgebroen zum Belvedere
auf den fernen, von der Silhouee der Hügel Roms und der mätigen
Kuppel des Petersdoms überragten Horizont. Von dieser «Terrae» aus
leutet der Sonnenuntergang an manen Sommerabenden in einem Wirbel
aus Himmelblau, Indigo, Dunkelblau und Rosa, wie es kein Maler je wagen
würde, auf die Leinwand zu bringen, aus Angst vor Übertreibung. Eine
ergreifende Sönheit, die aber nit nur von dem ausgeht, was der Bli
erfaen kann, sondern au aus dem Wien um die Ereignie, die si auf
dem Gipfel dieses Hügels zusammengebraut und zuweilen überslagen
haben: immaterielle Präsenzen, Erinnerungübe, Brustüe jüngerer
und entfernterer, o dramatis, manmal uneindeutig, in anderen Fällen
folgenswer verlaufener Gesite. Mit Fug und Ret kann man sagen,
da si in der Gesite des Quirinal, seines Platzes, seines Palastes (oder
beer: seiner Paläste), seiner Brunnen, seiner Gärten, die Gesite Roms
und des Papsums, von dem die Stadt jahrhundertelang regiert wurde, fast
vollständig abbildet.
Der Name Quirinale könnte von Cures herrühren, einer antiken Siedlung
der Sabiner, die den Hügel als erste bewohnten. Hier ließ Konstantin seine
ermen bauen, um die herum wegen der gesunden Lu auf der Anhöhe
Patrizier, Philosophen und Gelehrte ihre Villen bauten, und so entstand ras
ein gehobenes Wohnviertel. Im Mielalter verlaen und verwahrlost, wurde
der Bezirk erst im 16. Jahrhundert wiederentdet, als inmien der ermen
die Statuen der Dioskuren Kastor und Pollux ausgegraben wurden, die man
zunäst für Roebändiger hielt, daher der volkstümlie Name des Viertels
Monte Cavallo (Pferdeberg). Papst Sixtus V. (Felice Perei aus Montalto,
1585–1590) ließ diese Statuen in der Mie der Piazza neben dem Brunnen
aufstellen. Bei den Dioskuren handelt es si um zwei söne Standbilder, in
feinstem Kunsthandwerk gefertigte Kopien der grieisen, Phidias und
Praxiteles zugesriebenen Originale, mit einem Fehler, den die Insri auf
dem Soel fortsreibt und der no heute diejenigen, die ritig
hinzusehen wien, an eine Reihe von Miverständnien zwisen Satire
und political correctness erinnert.
In der zweiten Häle des 18. Jahrhunderts nämli beauragte Pius VI.
den Aritekten Giovanni Antinori, die Standbilder oben auf den Brunnen
zu setzen und in der Mie den aus dem Augustus-Mausoleum stammenden
Obelisken aufzustellen, den Zwilling eines weiteren Obelisken, der seinen
Platz auf dem Esquilin gefunden hat. Nadem im Jahre 1783 ein erster
Versu milang, wandelte die Ironie des Volksmunds die ursprünglie
Insri OPUS FIDIAE (Werk des Phidias) in das spöise OPUS
PERFIDIAE PII SEXTI (Werk der Treulosigkeit Pius’ VI.) um. Drei Jahre
später jedenfalls war ein zweiter Versu erfolgrei, und angesits der
seinerzeit no ret unzureienden tenisen Instrumente führte die
Begeisterung über das Gelingen dieses kühnen Unterfangens zu einer
emphatisen Insri, in der der Obelisk persönli seine tausendjährige
Gesite erzählte, die so slo: INTER ALEXANDRI MEDIUM QUI
MAXIMA SIGNA / TESTABOR QUANTO SIT MINOR ILLE PIO (Zwisen
diese erhabenen Statuen Alexanders [gestellt] werde i bezeugen, wie sehr
dieser dem Pius unterlegen ist).
Na der Ausrufung der Republik dur die Franzosen 1798 wirkte diese
Herabsetzung Alexanders wie ein Seitenhieb auf Napoleon, weshalb die
zweite Zeile etwas abgemildert wurde: TESTABOR SEXTI GRANDIA
FACTA PII (Die großen Werke Pius’ VI. werde i bezeugen). Der mit der
Korrektur beauragte Steinmetz hae es offenbar so eilig, da ihm ein
Flütigkeitsfehler unterlief, weshalb hinter dem «s» von sexti no heute
der untere Teil des «q» von quanto zu erkennen ist. 1818 sließli wird
von Pius VII. (Luigi Barnabà Niccolò Maria Chiaramonti, 1800–1823) die
Gesamtkomposition des herrlien Monuments vollendet. Raffaele Stern
entwir einen neuen Brunnen, für den er ein Been vom Forum Romanum
verwendet, das dort zuletzt als Viehtränke gedient hae. Bis heute prägt die
vom Obelisken überragte Dioskurengruppe die Physiognomie des Platzes.
Son allein die Dioskuren, der Obelisk und der Brunnen könnten uns
eine Idee von der Gesite vermieln, die von jeder Einzelheit dieses
Platzes fortgesrieben wird. Dabei ist au der Park an der Via del
Quirinale (von der Piazza aus auf dem Weg zu Berninis Kire Sant’Andrea
aus dem vorangegangenen Kapitel) dazuzurenen, der si dem Palast
direkt gegenüber befindet: Um ihn anzulegen, wurden zwei Kiren und
zwei Klöster abgerien. Die Absit war, dem deutsen Kaiser Wilhelm II.,
der 1888 Gast des italienisen Königs war, vom Fenster seiner Wohnung im
Quirinalspalast eine sönere Auit zu vergönnen. Man könnte au die
Cappella Paolina im Inneren des Palastes hinzufügen, die genauso groß ist
wie die Sixtinise Kapelle im Vatikan, oder die von Bernini gesaffene
Benediktionsloggia über dem Hauptportal, ebenso den robusten Waturm
zu seiner Reten, der mit Artillerie besetzt war und zur Verteidigung diente.
Au hierfür mute Bestehendes abgerien werden, in diesem Fall ein Teil
der angrenzenden Villa Colonna, um den Kanonen einen ausreienden
Suwinkel zu garantieren.
Die endgültige Gestaltung des Platzes auf Initiative von Papst Pius IX.
(1846–1878) war ein Werk Virginio Vespignanis (1808–1882), eines in jener
Zeit vielbesäigten Aritekten und Stadtplaners. Die fortsreitende
Urbanisierung mit der Entstehung neuer Stadtviertel mate die Herstellung
eines Verkehrsknotenpunktes unerläli. Vespignani nivellierte die Fläe
des Platzes, suf die breite Treppe, die zur Via Dataria hinabführt, und das
söne Verbindungtü, das mit einer 90-Grad-Doppelkurve zur Westflanke
des Hügels führt. Um die Straße anzulegen, mute er die große Freitreppe zu
den Marställen niederreißen und eine hohe Mauer als Damm erriten
laen, die er mit sönen Nisen und Statuen smüte. Mit sehr großer
Wirkung, wie son ein Zeitgenoe srieb, der an der Mauer entlang zum
Platz hinaufgestiegen war: «Es ist sön, wenn man ganz plötzli, fast
unvorbereitet, den grandiosen Baukolo des apostolisen Palastes, die
Consulta, die herrlie Pferdegruppe, den Obelisken, den Brunnen erblit.»
Eine besondere Erwähnung verdienen die Gemäer des
Quirinalspalastes, die für die Ankun Napoleons in Rom vorbereitet wurden,
dem es zwar nie gelang, einen Fuß in die Stadt zu setzen, der aber vorhae,
aus dem Palazzo del Quirinale na dem Pariser Élysée-Palast in Paris seinen
zweiten Regierungitz zu maen. Unter anderem deswegen hae er seinem
Sohn den Titel Roi de Rome (König von Rom) verliehen. Rom und Paris
sollten die beiden Hauptstädte seines Reies werden. Es blieb ihm nit
mehr genug Zeit, das Projekt zu Ende zu führen, weil si innerhalb von
zehn Jahren oder wenig mehr sein Sisal erfüllte, mit dem bekannten
Ende aus Demütigung und Agonie auf Sankt Helena.
Im Sommer 1809 hae die französise Armee (na 1798/99) Rom zum
zweiten Mal besetzt und Papst Pius VII., wie son seinen Vorgänger, in
Savona gefangengesetzt. Betratet man auließli die Effizienz und
sieht man von allen übrigen Aspekten ab, so setzte die napoleonise
Administration unter der Führung von Baron Camille de Tournon, der als
Präfekt der Stadt eingesetzt war, eine bemerkenswerte urbanistise
Modernisierung Roms in Gang, wobei dieser si unter anderem auf
Mitarbeiter wie Canova, Camuccini, Valadier, Raffaele Stern stützen konnte.
Dur die Anlage einer breiten geradlinigen Verbindungtraße parallel zur
Via Flaminia, dem heutigen Viale Tiziano, beispielsweise wurde das Gebiet
zwisen Milviser Brüe und Porta del Popolo neu strukturiert, außerdem
wurde im gesamten Stadtgebiet dur hohe Mauern auf beiden Uferseiten
die Eindämmung des Tibers vorgenommen. Au die bereits unter Papst
Sixtus V. begonnene (und erst während des Fasismus restlos fertiggestellte)
Troenlegung der Pontinisen Sümpfe nahm man in Angriff, es entstanden
Bars, Restaurants, Sporthallen, eater und Vergnügungsmöglikeiten an
der frisen Lu. Selbst die Toten wurden nit vergeen, für sie wurde der
Verano-Friedhof angelegt.
Was in unserem Zusammenhang am meisten intereiert, sind die
Maßnahmen zur Umwandlung des Quirinalspalastes in eine veritable
kaiserlie Residenz. Zum Aritekten der künigen Kaiserpaläste wurde am
28. Februar 1811 Raffaele Stern ernannt, dem ein Palast vorswebte, in dem
«der Charakter und die Prat der Cäsarenpaläste, deren imposante Reste
wir no heute bestaunen, ineinander aufgehen». Der Zustand, in dem Stern
das Bauwerk vorfindet, ist nit der beste. Mit betrübter Anteilnahme
sreibt er:
Was no existiert und von den Päpsten bewohnt wurde, ist zu ungleimäßig und zu klein,
um unseren erlauten Monaren aufzunehmen … in dem Gebäude fehlt es an allem, die
Fenster haben slete Glasrahmen, die Fußböden sind aus Terrakoa und in sletem
Zustand, das Mobiliar des Papstes bestand aus ein paar mit sletem Damast bespannten
Polstermöbeln, einigen wenigen Tisen und Holzbänken.
Der Abstimmungsbedarf mit Paris ist groß, ohne Unterla wird hin- und
herkorrespondiert. Zwei Anforderungen müen unter einen Hut gebrat
werden: die Gemäer mit dem größtmöglien Komfort und Luxus
auszustaen und die Restaurierung mit der größtmöglien Zügigkeit
voranzutreiben. Die Bauarbeiten beginnen im November 1811. Es entsteht
eine riesige Baustelle, auf der gut 3000 Arbeiter besäigt sind:
Restaurierungen an den Deengewölben, an den Friesen, den Türen,
Marmor-Dekorationen (deren Material in der Regel den Trommeln antiker
Säulen entnommen wurde), aber au die Installation sanitärer Anlagen, z.B.
Toileen. Wie Marina Natoli in ihrer wunderbaren Monographie über den
Palast anmerkt: «Die Toileen des Quirinalspalastes waren, na den für
Lucien Bonaparte im Palazzo Nuñez gebauten, die ersten in Rom
überhaupt.»[1] Martial Daru, Generalintendant der französisen Krone in
Rom, war offenbar mit dem Ergebnis der Arbeiten nit zufrieden, seiner
Ansit na gingen die römisen im Verglei zu den Pariser Bauarbeitern
trotz ihres unbestreitbaren Könnens mit sehr viel geringerer Sorgfalt vor.
Gerade deren Könnersa ist es dagegen, die den Präfekten Camille de
Tournon beeindrut, der in seinen «Erinnerungen» sreibt:
Die zahlreien in Rom ansäigen Bildhauer besäigen zur Vorbereitung und Ausritung
der von ihnen verwendeten Marmorblöe eine beatlie Zahl einfaer Arbeiter, die mit
einer bemerkenswerten Intelligenz und Gesilikeit ausgestaet sind … die Gravur und
au die Skulptierung der harten Steine und des Muselkalks, in die Tiefe oder erhaben,
bilden eine ritige Industrie, die ihre herrlien Produkte na ganz Europa exportiert.
Seinerzeit besäigte sie mehr als 80 Personen, ohne die fähigen Künstler mitzuzählen, die
sie anleiteten.
Dieses Bu ist der politisen Gesite des Heiligen Stuhls gewidmet, und
zu ihr müen wir nun zurükehren. Gregor XIII. (Ugo Boncompagni, 1572–
1585) hae den Quirinalspalast wegen des angenehmen Klimas auf dem
Quirinalshügel im späten 16. Jahrhundert zunäst als Sommerpalast
erriten laen. Sixtus V. (Felice Perei aus Montalto, 1585–1590) ist der
erste Papst, der darin stirbt, von Clemens VIII. (Ippolito Aldobrandini, 1592–
1605) aber wird er seit 1592 erstmals auf Dauer bewohnt. Bis zu jener
dramatisen Nat des 5. Juli 1808, die den Auakt der zu Anfang des
Kapitels kurz erwähnten Ereignie markiert, wird der Quirinalspalast als
Residenz der Päpste beibehalten. Die Gesehnie spielten si
folgendermaßen ab: Am 2. Februar 1808 besetzt General Miollis im Namen
des Kaisers der Franzosen Rom. Ein unerhörter Akt, zumal si der
regierende Papst, Pius VII., am 2. Dezember 1804 na Paris begeben hae,
um der Kaiserkrönung in Notre Dame beizuwohnen. In Jacques-Louis
Davids hoberühmtem Gemälde kann man sehen, wie der bereits
lorbeerbekränzte Napoleon Kaiserin Josephine die Krone aufs Haupt setzt.
Mit melanolisem Gesitsausdru sitzt der Papst in einer Ee, an
einem Platz, der allein son Bände sprit darüber, wele Wertsätzung
Napoleon ihm angedeihen ließ.
Au in der Folge sollten si diese prekären Beziehungen nit
verbeern. Am 17. Mai 1809 erlät der Kaiser von Wien aus ein Dekret, mit
dem er den römisen Staat an das französise Kaiserrei ansließt, mit
dem daraus folgenden Verlust der weltlien Herrsa des Papstes. Als
juristise Begründung, wenn wir sie so nennen wollen, wird angegeben,
da der dur einen ausländisen Fürsten innerhalb des Reies ausgeübte
Einflu si als sierheitsgefährdend herautellen könnte, soda es ratsam
erseine, die dur Karl den Großen an den Bisof von Rom erfolgte
Senkung rügängig zu maen. In dem Dokument ist zu lesen:
Als Karl der Große, Kaiser der Franzosen und unser erhabener Vorgänger, den Bisöfen von
Rom zahlreie Grafsaen zum Gesenk mate, senkte er sie zum Wohle dieser
Staaten und damit dur diese Senkung Rom nit auörte, Teil seines Reies zu sein;
da in der Folge diese Einheit von geistlier und weltlier Mat eine Quelle von
Unstimmigkeiten war und no immer ist, die die Päpste immer wieder dazu gebrat hat,
den Einflu des einen zu nutzen, um die Ansprüe des anderen zu untermauern; da so die
geistlien Intereen und die himmlisen Dinge, die unwandelbar sind, mit irdisen
Angelegenheiten vermist worden sind, die si ihrem Wesen na mit den Umständen und
der Politik ihrer Zeit ändern.
Eine Begründung, an der etwas dran ist, aber natürli au ein Vorwand –
der Argumentation Cavours übrigens nit ganz unähnli, die dieser
wenige Jahrzehnte später bei dem Versu verwendet, um die höst dornige
«Römise Frage» auf friedlie Weise zu lösen.[2] Die «himmlisen
Dinge» und die politisen Angelegenheiten vertragen si jedenfalls in den
seltensten Fällen und zwingen zu riskanten Kompromien. Dieser Ansit
stimmten im Übrigen au die liberalen katholisen Denker bei.
Die Reaktion des Papstes ist eindeutig: Napoleon wird exkommuniziert,
und in seiner Bulle Quum memoranda vom 10. Juni 1809 lät er sreiben:
Die Herrser sollten wieder lernen, da sie dur das von Jesus Christus gewollte Gesetz
unserem ron und unserem Befehl unterworfen sind. Au wir sind Beauragte einer
Hoheit, und zwar einer sehr viel höheren.
Wir haben uns geirrt, und denno war dieser Irrtum ein Segen; denn wer weiß, wann si
die italienisen Maen ohne das «Viva Pius IX.» zum ersten Mal vor Begeisterung für das
nationale Leben erhoben häen, von dem sie, ob sie es nun wollen oder nit, heute tief ins
Gedätnis eingesrieben ein Bild bewahren, das früher oder später Tatsaen saffen
wird.
Wer weiß nit, da die Stadt Rom, Hauptsitz der katholisen Kire, oh weh! inzwisen
zu einem Dsungel voller gefährlier Tiere geworden ist, überladen mit Mensen aller
Nationen, die, ob Abtrünnige oder Häretiker oder Meister, wie sie si nennen, des
Kommunismus oder des Sozialismus, und beseelt von srelistem Ha gegen die
katholise Wahrheit, in Wort und Sri und allen übrigen Ausdrusformen mit aller Kra
daran arbeiten, pestartige Irrtümer zu lehren und zu verbreiten, und die Herzen und Seelen
aller zu verderben, und damit sogar in Rom selbst, wenn das mögli ist, die Heiligkeit der
katholisen Religion verdorben wird.
Die Angelegenheiten des päpstlien Staates sind zum Raub eines verwüstenden
Fläenbrandes geworden, dur das Werk jener Partei, die jede soziale Konstitution
umstürzt und die insbesondere unter dem Vorwand von Nationalität und Unabhängigkeit
keine Maßnahme ausgelaen hat, um den Gipfel der Bösartigkeit zu erreien. Das als
grundlegend bezeinete Dekret stellt einen Akt dar, der von swärzestem Verrat und
abseulister Golosigkeit nur so strotzt.
Wir erklären, verkünden und entseiden nun … die Lehre, da die allerseligste Jungfrau
Maria im ersten Augenbli ihrer Empfängnis auf Grund einer besonderen Gnade und
Auszeinung von Seiten des allmätigen Goes im Hinbli auf die Verdienste Jesu Christi,
des Erlösers der ganzen Mensheit, von jedem Makel der Erbsünde bewahrt blieb, [dies] ist
von Go geoffenbart und mu deshalb von allen Gläubigen fest und unabänderli geglaubt
werden.
Darum haben unsere Vorgänger mit apostolisem Starkmut den rulosen Umtrieben der
golosen Mensen stets Widerstand geleistet. Den Fluten der tobenden See glei,
säumen diese ihre eigene Verwirrung und Ordnungslosigkeit aus und verspreen die
Freiheit, während sie selbst Sklaven der Verderbnis sind. Mit ihren trügerisen Meinungen
und höst verderblien Srien waren sie bemüht, die Grundlagen der katholisen
Religion und der bürgerlien Gesellsa zu ersüern, jede Tugend und Geretigkeit aus
der menslien Gemeinsa auszuroen, die Seele und den Geist zu verderben, die
Unvorsitigen und die unerfahrene Jugend von den reten Grundsätzen der Sien
abzubringen, sie zugrundezuriten, in die Fallstrie des Irrtums zu führen und sie
sließli vom Soß der katholisen Kire gewaltsam zu entfernen.
Der Syllabus fat Pius’ Ängste zusammen. Es ist ein Dokument, in dem der
Fortsri und alles, was er mit si bringt, ohne Umsweife verdammt
wird: der Liberalismus, die moderne Zivilisation, die Freiheit einsließli
der Pree- und der Gedankenfreiheit. Pius IX. zufolge sind als swere
Fehler zu betraten: die Seidung, die Absaffung der weltlien Mat
der Päpste, die Auffaung, der Katholizismus sei nit die einzige
Staatsreligion sowie son die bloße Vorstellung einer Trennung zwisen
Kire und Staat. Die Toleranz gegenüber der öffentlien Ausübung anderer
Kulte hält er für unannehmbar, ebenso die offene Kundgebung von
Meinungen, Ideen, Gedanken. Der Sozialismus wird als «Seue» bezeinet.
Die si im Westen allenthalben ausbreitenden liberalen Gesellsaen sieht
er als Verdammnis und befürtet, fast beseen von dieser Idee (und nit zu
Unret), da die Moderne mit religiöser Indifferenz einhergeht. In
derselben Enzyklika beklagt er sorgenvoll:
Wer sieht denn nit und begrei mit allen Konsequenzen, wie die menslie Gesellsa,
losgelöst von den Bindungen an die Religion und die wahre Geretigkeit, kein anderes Ziel
mehr anstreben kann als die Besaffung und Vermehrung von Reitümern und in ihren
Taten keinem andere Gesetz mehr folgen kann als der ungezähmten Gier des Herzens, um
dem eigenen Vorteil und Gefallen zu dienen.
Worte, die zweifellos einen Aspekt der Moderne zutreffend besreiben. Die
Maengesellsa ist natürli au dies. Gier und Werteverlust gehören
gewi zu den Charakteristika der zeitgenöisen, von Geld und
Konsumsut beherrsten westlien Gesellsaen. Die Risiken, die der in
die Petruszitadelle eingesloene Papst sieht, sind dieselben, auf die immer
wieder hingewiesen wurde, von den größten Denkern jener Zeit und bis
weit ins 20. Jahrhundert hi nein. Papst Mastai identifiziert also das möglie
Übel, vernaläigt aber alles Übrige, also die sozialen Errungensaen, die
Vorzüge der Freiheit, die Ausbreitung des Wiens, die Fortsrie einer
wiensalien Forsung, die si endli vom Gängelband des
doktrinären Gehorsams freigemat hat. Vor allem aber verordnet er als
Mann, der für si beansprut, ein Politiker zu sein, mit seiner Forderung
na totaler Rükehr zu einem milerweile anaronistis und unmögli
gewordenen Absolutismus die false erapie.
Am 6. Dezember 1864, zwei Tage vor der Veröffentliung des Syllabus,
kündigt Pius IX. der Ritenkongregation seine Absit an, so bald wie mögli
ein Generalkonzil einzuberufen, also eine Versammlung aller Bisöfe der
Welt, um die von der jüngsten Entwilung aufgenötigten emen zum
Kirenleben zu diskutieren. Es wird das zwanzigste in der Gesite der
Kire sein, und weil es zum ersten Mal im Petersdom abgehalten wird,
erhält es den Namen «Erstes Vatikanises Konzil». Monate aufwändiger
Vorarbeiten werden notwendig sein, bevor es tatsäli eröffnet werden
kann. Im Jahr 1866 brit au no der Drie Unabhängigkeitskrieg
zwisen Italien und Österrei aus, wofür die in Rom zum Sutz des
Papstes stationierten französisen Truppen abgezogen werden. Erst am
29. Juni 1868 wird mit der Bulle Aeterni Patris die Versammlung einberufen.
Unter der Teilnahme von fast 800 aus allen Teilen der Welt herbeigereisten
kirlien Würdenträgern beginnt die erste Sitzung am 8. Dezember 1869.
Wele Ziele hae si dieses feierlie Ereignis gesetzt? Von den
Historikern werden vor allem zwei identifiziert, die im Übrigen mit den
witigsten Entseidungen der Versammlung korrespondieren: Die vom
Papst in seinem Syllabus eingenommenen Positionen sollten dur das
Votum der Konzilsväter sanktioniert werden. Darin hae der Papst, wie
gesagt, die Moderne verdammt und ihr die negativsten Aspekte und
Auswirkungen zugesrieben. Es ging nun darum, die Stoßritung
umzudrehen und festzulegen, wele Doktrin die römise Kire dem
Rationalismus, dem Liberalismus, dem Materialismus und vor allem der
«unheilvollsten» aller politisen Doktrinen, dem Sozialismus
entgegensetzen wollte.
Am 24. April 1870 wird (bei 667 Anwesenden) die Konstitution De fide
Catholica einstimmig angenommen, in der die dogmatise Natur dieser
Religion festgelegt und präzisiert wird, in welem Sinne die Bibel als von
Go inspiriert zu verstehen ist.
Die heigsten Auseinandersetzungen gab es aber über die andere,
gewitigere Entseidung zum Primat des Papstes und seiner Unfehlbarkeit,
wenn er ex cathedra sprit. Obwohl das ema bei Eröffnung des Konzils
nit offiziell auf der Tagesordnung stand, wuten alle, da darüber
diskutiert werden sollte, und die Debae hae die Teilnehmer son in der
Vorbereitungsphase erbiert und gespalten. Viele Bisöfe, vor allem aus
dem französisen, dem österreiis-deutsen Raum und teilweise au
den Vereinigten Staaten hielten eine dermaßen verbindlie und
weitreiende Behauptung für gefährli, sowohl na außen und den
anderen Religionen gegenüber als au angesits der enormen
Matkonzentration in der Person des Papstes, der damit in die Lage versetzt
wurde, jede kollegiale Diskuion zu erstien, na innen.
Die Verfügung legte nämli fest, da der Papst, da er vom Heiligen Geist
getragen oder sogar erleutet ist, wenn er ein neues Dogma proklamiert
oder eine grundlegende Lehrmeinung zur Doktrin entwielt, nit irren
kann. Nit zufällig wurde die Konstitution zur Unfehlbarkeit (18. Juli 1870)
Pastor Aeternus (Ewiger Hirte) genannt. Im vierten Kapitel heiß es in der
«Feierlien Dogmenerklärung»:
Wir erklären endgültig als von Go geoffenbartes Dogma …: Wenn der römise Papst ex
cathedra sprit, das heißt, wenn er in Ausübung seines Amtes als Hirte und Lehrer aller
Christen mit seiner hösten Apostolisen Autorität erklärt, da eine Lehre, die den
Glauben oder das silie Leben betri, von der ganzen Kire gläubig festzuhalten ist,
dann besitzt er kra des gölien Beistandes, der ihm im heiligen Petrus verheißen wurde,
eben jene Unfehlbarkeit, mit der der gölie Erlöser seine Kire bei Entseidungen in der
Glaubens- und Sienlehre ausgerüstet wien wollte. Deshalb laen sole
Lehrentseidungen des römisen Papstes keine Abänderung mehr zu, und zwar son von
si aus, nit erst infolge der Zustimmung der Kire. Wer si aber vermeen sollte, was
Go verhüte, dieser Unserer Glaubensentseidung zu widerspreen, der sei im Bann.
Es gibt aber mehr als einen Aspekt, der die beiden Entseidungen des
Konzils verbindet, die zum Glauben und die zur Unfehlbarkeit. Aktuell bis in
unsere Tage ist zum Beispiel das Verhältnis zwisen Glaube und Vernun.
Die Mysterien des Glaubens, so behauptet die Enzyklika, können von der
menslien Natur nit erfat werden, umgekehrt aber kann die
offenbarte Wahrheit niemals den Ergebnien der rationalen Forsung
widerspreen. Kehrt man die Perspektive no einmal um, so mu si jede
Behauptung, die den erleuteten Wahrheiten des Glaubens widersprit, als
fals erweisen. Der Glaube dagegen, so kann man der Konstitution
entnehmen, ist nit vergleibar mit einer philosophisen Lehrmeinung,
die mit der Zeit vervollkommnungsfähig ist; die Glaubenswahrheiten sind
ein für alle Mal festgelegt, dem Sutz und der unfehlbaren Auslegung der
Kire anvertraut und können nit unter dem Vorwand einer vertiefenden
Auslegung modifiziert werden. Im Absluteil sließli fließt die
doktrinäre Lehre mit der päpstlien Unfehlbarkeit zusammen.
Dieses Dogma war vom Papst mit Nadru gewollt und au von den
Jesuiten aktiv betrieben worden. Die laizistisen Kreise protestierten, aber
au die liberaleren Katholiken erklärten si entsieden dagegen. No
während der Diskuion kursierten im vatikanisen Milieu diverse
anonyme Smähsrien (Ce qui se passe au Concile – Was beim Konzil
paiert; La dernière heure du Concile – Die letzte Stunde des Konzils), in
denen die Unmöglikeit einer freien Diskuion angeprangert wurde, die
päpstlie Arroganz, si eine Mat anzumaßen, die, so hieß es, der Lehre
des Evangeliums widerspra.
Inzwisen zogen si, na dem italienis-österreiisen Krieg von
1866, mit dem deuts-französisen Konflikt no erhebli stürmisere
Wolken über Europa zusammen. Viele Bisöfe nutzten die Kriegserklärung
Preußens an Frankrei als willkommenen Vorwand, Rom zu verlaen.
Dabei handelte es si um fast sämtlie Exponenten der Minderheit, die das
Unfehlbarkeitsdogma ablehnte. Die Abreise war die einzige Möglikeit, si
der Abstimmung zu entziehen und damit einer Zustimmung, die sie nit
geben wollten und konnten. Es gab au eine kleine Gruppe von Bisöfen,
vor allem aus Mieleuropa, die si unter dem Namen «Altkatholise
Kire» zu einer Sekte zusammentaten und eine ete Abspaltung von der
römis-katholisen Kire vollzogen. Mit dem Ergebnis, da der Papst bei
der Sluabstimmung am Montag, dem 18. Juli 1870, dem Vorabend des
Deuts-Französisen Krieges, den absoluten Primat und die Unfehlbarkeit
nur mit den Stimmen von 433 der ursprüngli 800 Bisöfe erhielt. Zwar
war das Ziel erreit, aber um den ret hohen Preis einer tiefen Spaltung
mien dur das Herz der Kire.
Von dem außerordentlien Privileg der Infallibilität mate
beispielsweise Papst Pius XII. Gebrau, als er 1950 das Dogma der leiblien
Aufnahme Mariens in den Himmel mit einer feierlien Formel verkündete,
die dazu angetan sein sollte, abweienden Interpretationen keinen Raum zu
laen: «Wir verkünden, erklären und definieren es als ein von Go
geoffenbartes Dogma, da die Unbeflete, allzeit jungfräulie
Goesmuer Maria na Ablauf ihres irdisen Lebens mit Leib und Seele in
die himmlise Herrlikeit aufgenommen wurde.»
Das änderte aber nits an der nahaltigen Kritik vieler eologen,
darunter zuletzt Hans Küngs und seines Sülers August Bernhard Hasler,
der seine sarfe Mibilligung des Unfehlbarkeitsdogmas vor allem auf die
Unmöglikeit fokuiert, die Grenzen der behaupteten Unfehlbarkeit zu
erkennen, au in Anbetrat der Elastizität des Begriffes ex cathedra:
Wo es opportun erseint, lät die Vagheit der Begriffe auf einmal au eine Auslegung der
Unfehlbarkeit zu, die weit über Kathedralenentseidung hinausgeht. Nun wird au das
ordentlie Lehramt der Päpste unfehlbar – eine Doktrin, die zwar nie zum Dogma erhoben
worden ist, die aber von vielen eologen vertreten und vom Prestige des unfehlbaren
außerordentlien Lehramts gedet wird. Für die Kurie und den kirlien Apparat sind
sole «unfehlbaren» Entseidungen auf tieferer Ebene viel witiger als die seltenen
Erklärungen «ex cathedra». Die Gloriole der Unfehlbarkeit ist entseidender als ihre
tatsälie Ausübung.[5]
Im Übrigen ist weder das Dogma der Unbefleten Empfängnis Mariens no
das der Unfehlbarkeit jemals von den anderen ristlien Konfeionen
anerkannt worden, aus Gründen der Doktrin und gleizeitig des
Gleigewits in den Beziehungen.
Die 89. und letzte Sitzung des Konzils wurde am 1. September abgehalten.
Eine Woe später marsierten die Piemonteser Truppen in den
Kirenstaat ein und am 20. September, wenige Minuten vor at Uhr, dur
eine Brese, die sie hundert Meter von der Porta Pia in die Aurelianise
Mauer gebroen haen, au in Rom und setzten damit der weltlien
Vorherrsa der Päpste ein Ende. Von Stund an betratete si Pius IX. als
Gefangener im Vatikan, der Intendant der Heiligen Paläste weigerte si, den
Slüel des Quirinalspalasts auszuhändigen, der in der Zwisenzeit
verriegelt worden war, soda es notwendig wurde, die Tore aufzubreen,
um hineinzugelangen. Der Papst wollte na außen hin deutli sitbar
maen, weler Gewalt er ausgesetzt war. Exakt einen Monat dana, am
20. Oktober, vertagte Pius IX. mit der Bulle Postquam Dei munere das Konzil
auf unbestimmte Zeit, und in der Tat wird es im Zuge der Vorbereitungen
zum Zweiten Vatikanisen Konzil von Papst Johannes XXIII. erst 1960
offiziell beendet.
Inzwisen gingen in Europa die großen Umstürze weiter. Die Niederlage
von Sedan setzte dem waeligen Imperium Napoleons III. ein Ende und
erlaubte es König Wilhelm von Preußen, si im Spiegelsaal des Sloes
von Versailles zum deutsen Kaiser proklamieren zu laen. Die Folgen der
Porta-Pia-Brese waren von großer Bedeutung au für das neugeborene
Königrei Italien, der Gegensatz zwisen dem Papst und dem König sollte
swerwiegende und nahaltige Konsequenzen für das Leben der Italiener
haben. Im September 1874 erließ die Sacra Penitenzieria die berühmte Bulle
Non expedit («Es ist nit angebrat»), die den gläubigen Katholiken
nadrüli davon abriet, am öffentlien Leben des Königreis
teilzuhaben.[6] Erst 1905 sollte ein anderer Papst, Pius X. (Giuseppe
Meliorre Sarto, 1903–1914), das Verbot mildern, und erst 1919 ein weiterer,
Benedikt XV. (Giacomo della Chiesa, 1914–1922), es ganz aueben, indem er
einem Priester, Don Luigi Sturzo, gestaete, eine Partei zu gründen: den
Partito Popolare Italiano, die Christlie Volkspartei, aus der dann die
Democrazia Cristiana, die Christdemokratise Partei, werden sollte.
Warum war diese Reaktion der Kire so hart und unnagiebig? Das
naheliegendste Motiv ist natürli der Verlust der weltlien Mat. Na
Jahrhunderten der Vorherrsa sah si der römise Papst seiner
Herrserfunktionen beraubt, mit allen vorstellbaren Konsequenzen für den
Status, die Intereen, die politise Bedeutung in der Welt. Hinzu kam, da
die Porta-Pia-Brese zahlreie Enteignungen von Gütern und Klöstern zur
Folge hae, mit direkten Auswirkungen auf Finanzen und Privilegien, die
Bestandteil der weltlien Herrsa gewesen waren. Ebenso hellsitig wie
vergebli hae der (1861 früh verstorbene) Graf Cavour den Papst ermahnt,
darüber nazudenken, wie anaronistis im neuen Europa die
Aufreterhaltung einer gleizeitig weltlien und geistlien Mat war.
No im März 1861 hae er in einer Rede vor der Deputiertenkammer
betont:
All diese Waffen, mit denen si die zivilen Mäte in Italien und außerhalb auszurüsten
haben, werden überflüig, wenn der Papst erst einmal auf die geistlie Mat besränkt
sein wird. Und dadur wird au seine Autorität alles andere als beeinträtigt, sie wird in
der einzigen Sphäre, die ihr zusteht, einen erhebli größeren Wirkungskreis erreien.
Wie au immer Italien in der ewigen Stadt ankommen wird, einvernehmli oder nit,
kaum in Rom angekommen, wird es sofort na der Erklärung des Sturzes der weltlien
Herrsa [des Papstes] das Prinzip der Trennung [von Kire und Staat] proklamieren und
umgehend das Prinzip der Freiheit der Kire auf breitester Basis verwirklien.
Wenn es ein totalitäres System gibt, totalitär de facto und de jure, dann ist es das Regime der
Kire, denn der Mens gehört der Kire total, er mu ihr gehören, weil der Mens eine
Kreatur des lieben Goes ist … Er ist Repräsentant der Ideen, der Gedanken und der Rete
Goes, er ist nits als die Kire.
Johannes Paul II., Papst Wojtyła, hat in seiner Enzyklika Evangelium vitae
sogar geltend gemat – und in der Folge immer wieder bekräigt –, da
«die Demokratie …, ungeatet ihrer Regeln, den Weg eines substantiellen
Totalitarismus [besreitet]», wenn sie im Widerspru zur Kirenethik
abstimme. Zu ein- und derselben Ideologie, dem «Totalitarismus», wird si
mit Stolz bekannt, wenn sie von der Kire kommt – sie wird aber
verdammt, wenn sie von einer Demokratie praktiziert wird.
In liberalen Kreisen löste der sarfe Gegensatz zwisen dem Königrei
Italien und dem Papsum allerdings gegenteilige Reaktionen aus, was si in
zahllosen antiklerikalen Manifestationen niederslug. Das reite von ret
vulgären Sprüen (Garibaldi hae Pius IX. als «einen Kubikmeter Mist»
bezeinet) bis zu der Obseion, in jeder katholisen Organisation ein
obskures Instrument gegen die Nation zu sehen. Es kam sogar die Frage auf,
ob es zuläig sei, die Katholiken als vollwertige, mit allen Reten
ausgestaete Bürger zu betraten. Die Katholiken reagierten ihrerseits mit
der Propaganda, das Risorgimento und die Einheit Italiens seien ein Ergebnis
von Intereen der europäisen Freimaurer, und Cavour selbst, der ein
Mitglied dieser Sekte war, nehme Befehle von der internationalen
Freimaurerei entgegen, die von London aus die Außenpolitik des kleinen
Königreies Sardinien-Piemont manövriere.
Für viele gläubige Katholiken war und blieb Pius IX. eine Figur von
immenser Popularität und großem Ansehen. Mit Ret wird gesagt, mit ihm
habe der päpstlie «Personenkult» begonnen, au weil jenseits der Politik,
die er glaubte vertreten zu müen, und der Härte, mit der er sie vertrat,
seine menslien Eigensaen, seine Güte, seine Wärme bemerkenswert
waren.
Pius IX. starb am 7. Februar 1878 in Rom im Alter von 86. Jahren und
wurde im Vatikan bestaet, allerdings nur provisoris. Drei Jahre später
nämli, als sein Grabmal in der Basilika San Lorenzo al Verano (St.
Laurentius vor den Mauern) fertiggestellt war, wurde sein Leinam
umgebeet. In Absprae mit dem Präfekten und dem Polizeipräsidenten von
Rom wurde festgelegt, da der Transport, um Zwisenfälle zu vermeiden,
bei Nat gesehen sollte. Bestimmte klerikale Kreise ließen die Narit
aber dursiern, in der Hoffnung, da si die Sympathiekundgebungen,
die es zu Lebzeiten des Papstes immer wieder gegeben hae, wiederholen
würden. Daelbe taten umgekehrt die Antiklerikalen, die aus den
entgegengesetzten Gründen mobilmaten.
Die Regierung (das vierte Kabine Agostino Depretis’) war nit gewillt,
einen allzu maiven Sierheits- und Ordnungsdienst aufzubieten, im
naiven Vertrauen auf eine gewie Diskretion. Tatsäli nämli wurde der
Weg des Leienwagens und seiner Eskorte von einer beträtlien fahnen-
und silderbewaffneten Menge begleitet. Von der einen Seite wurde der
Papst umjubelt, von der anderen mit Ausrufen wie «In den Flu mit dem
Swein von Papst» besimp. Tatsäli gab es Drohungen, den
Leinam Pius’ IX. in den Tiber zu werfen. Es flogen Steine, es wurden
Stöe geswungen, die Tumulte erreiten einen solen Pegel, da si
der Leienzug, gefolgt von einer johlenden Volksmae, mit sehr unheiliger
Eile zu seinem Ziel bewegte. Der amtierende Papst Leo XIII. protestierte
lautstark, fast sien es, als komme die «Römise Frage» wieder auf die
Tagsordnung. Der Präfekt verlor seinen Posten, während der Außenminister
si bei den witigsten Regierungen Europas entsuldigen mute.
Papst Johannes Paul II. hat Pius IX. am 3. September 2000 auf dem
Petersplatz seliggesproen. Der Quirinal ist heute der Amtitz des
italienisen Staatspräsidenten.
VIII. GRÄBER DER POLITIK
ZU EHREN ZWEIER SÜNDER IM PETERSDOM
Ü
BER DEM HAUPTBOGEN der Porta del Popolo, auf der Innenseite, zur
Piazza del Popolo hin, ist eine große Plae aus weißem Marmor
eingemauert, auf der zu lesen ist: FELICI FAUSTOQUE INGRESSUI –
ANNO DOM MDCLV (Zum glülien und gesegneten Einzug – im Jahr
des Herrn 1655). Auf welen glülien und gesegneten Einzug des Jahres
1655 wird hier Bezug genommen? Die Ankun weler Persönlikeit
verdiente eine so dauerhae Erinnerung?
Die Widmung bezieht si auf Christina von Sweden, eine der
bemerkenswertesten Frauen ihrer Zeit, große Förderin von «Akademien»,
von lebhaem Geist, gleizeitig aber oleris, srill, unbeständig.
Christina maß si mit einigen ihrer größten und au fragwürdigsten
Zeitgenoen, von Ludwig XIV. bis Kardinal Mazarin, von Papst
Alexander VII. bis zum Abt Vanini, der von den Zeitgenoen mit dem
Beinamen stupratore, Vergewaltiger, bedat wurde.[1] Mit ihnen versute
sie in punkto Slauheit oder Brillanz zu konkurrieren, ging aber meist als
Unterlegene hervor. Veronica Buley, eine ihrer besten Biographinnen, hat
zutreffend angemerkt, da Christina sier «begabten Verstandes» war, ihr
aber bei ihrer verzweifelten, hoffnungslosen Sue na Größe der nötige
Funke an Genie fehlte, soda man ihr Leben in der Bilanz als «eine
unregelmäßige Perle des Baro, glänzend und wertvoll, trotz ihrer
Unvollkommenheiten»[2] besreiben müe.
Na Christina von Sweden ist in Rom eine Straße benannt worden, die
an dem von ihr gegründeten Botanisen Garten des Palazzo Corsini
(damals: Riario) vorbeiführt. Am bemerkenswertesten aber ist die Tatsae,
da die Königin eine der wenigen Frauen mit einem pratvollen
Mausoleum im Petersdom ist (ein Werk Carlo Fontanas) und unten in den
Krypten mit einem Grab, das dur einen Zufall, der ihr nit mifallen
häe, direkt neben dem von Johannes Paul II. liegt. Auf dem Sarkophag steht
gesrieben: CORPUS CHRISTINAE ALEXANDRAE GOTHORUM
SUECORUM VANDALORUMQUE REGINAE – OBIIT DIE XIX APRILIS
MDCLXXXIX (Der Leinam Christina Alexandras Königin der Sweden
und der Vandalen – Gestorben am 19. April 1689).
Als sie im Frühjahr 1689 starb, war sie 63 Jahre alt. In Rom war sie dreißig
Jahre zuvor angekommen, nadem sie zugunsten ihres Cousins auf den
swedisen ron verzitet hae. Was hae sie zu dieser Abdankung
gedrängt? Und was hae sie angetrieben, ganz Europa zu durqueren, um
Katholikin zu werden und si in der Stadt der Päpste niederzulaen, der
Wiege der Gegenreformation? Es ist eine komplizierte Gesite, in der si
die geheimsten Beweggründe der Seele mit politisen Opportunitäten
vermisen, der Zufall und das Zusammenfallen ihres Lebens mit den
srelien Jahren, die der Kontinent gerade erlebte. Die Gesamtheit all
dieser Umstände hat Christina, die als Protestantin Geborene, die erklärte
Lesbierin, die Auraggeberin eines Mordes, bis in die Herrlikeit des
Petersdoms gebrat.
Son bei ihrer Geburt als Toter von Gustav II. Adolf dem Großen und
Maria Eleonora von Brandenburg gab es Miverständnie. Es war der
8. Dezember 1626, und sie kam vom Kopf bis zu den Knien von einer
Glüshaube[3] bedet zur Welt. Ein seltsames Zusammentreffen (ein
Vorzeien?) wollte es, da sie in eben dem Jahr geboren wurde, als der
Petersdom geweiht wurde. Sie hae eine kräige Stimme, eine enorme
Vitalität und wahrseinli eine genitale Fehlbildung, eine vergrößerte
Klitoris, weshalb sie von den Hebammen zunäst für einen Jungen gehalten
wurde.
Erst am Tag darauf wurde na einer aufmerksameren Prüfung der
Gesletsorgane ihr wahres Geslet entdet. Dem König, so heißt es,
mifiel das nit besonders, laend soll er kommentiert haben: «Sie wird
gesit sein, denn sie hat uns alle betrogen.» Ihr Vater, ein tapferer und
oleriser König, starb während des Dreißigjährigen Krieges. Er war ein
waerer Verfeter von Luthers Reformation gewesen, ein entsiedener
Gegner der päpstlien Matstellung. Was den Skandal umso größer
mate, als Christina ihre Konversion verkündete.
Das anfänglie Miverständnis über ihr Geslet begleitete sie ihr
ganzes Leben lang und könnte die einfaste Erklärung für ihre
Homosexualität sein. Mehrmals im Laufe ihres Lebens kam sie auf dieses
ema zurü, das au der Hauptgrund für ihre Abdankung war. Als sie
son in reifem Alter war, fiel sie eines Tages von einem Einspänner, mit
dem sie in großer Geswindigkeit in die Gärten des Palazzo Corsini
hineingefahren war, und blieb mit hogeworfenen Röen auf dem Boden
liegen, soda es niemand wagte, ihr zu Hilfe zu eilen. Sie stand allein wieder
auf und sagte laend: «Jetzt wit ihr also, da i weder ein Mann no
ein Hermaphrodit bin, wie es mane glauben maen wollen.»
Mit ses Jahren auf den ron gestiegen, übernahm sie mit atzehn die
Regierung des Landes. Als sie zugunsten ihres Cousins Karl Gustav
abdankte, war sie atundzwanzig. Sie hae zehn Jahre lang regiert, nit
ganz unzufrieden mit ihrem Status, wenn wir ihren eigenen Worten glauben
dürfen:
Der ron ist meine Wiege gewesen, i war gerade erst geboren, als i ihn besteigen
mute … I war no so ein Kind, da i weder mein Unglü no mein Glü verstand.
I erinnere mi auf jeden Fall, da i glüli war, zu meinen Füßen alle diese Leute zu
sehen, die mir die Hand küten.
Der Petersdom ist gedrängt voll mit Grabmonumenten. Die meisten davon
herausragend, entweder aufgrund ihrer künstlerisen Ausführung oder
wegen der Bedeutung der geehrten Persönlikeiten. Das Mausoleum
Christinas von Sweden und das zweite, von dem i jetzt erzählen werde,
finden ihre Begründung dagegen vorrangig in der politisen Strategie der
Päpste.
Im linken Seitensiff, glei hinter dem Eingang, steht ein herrlies
Kenotaph, das Antonio Canova in dem ihm eigenen reinen neoklaisen
Stil skulptiert und komponiert hat. Eine versatelte Widmungsinsri
lautet: IACOBO III IACOBI II MAGNAE BRIT REGIS FILIO KAROLO
EDUARDO ET HENRICO DECANO PATRUM CARDINALIUM IACOBI III
FILIIS REGIAE STIRPIS STUARDIAE POSTREMIS ANNO M.DCCC.XIX.
(Für Jakob III., den Sohn Jakobs II., des Königs Großbritanniens (und) für
Charles Edward und Henry, den Dekan der Kardinalsväter, die Söhne Jakobs
des Drien, die letzten des königlien Geslets der Stuarts, im Jahr
1819).
Der Künstler hat auf diese Weise im Jahre 1819 die Familie Stuart
unsterbli gemat, die drei Jahrhunderte lang über Soland und bis 1688
über ganz Großbritannien geherrst hae. Kurios ist der Ursprung des
Namens, weil Stewart oder Steward, später Stuart zunäst nits als das
Amt des Haushofmeisters bezeinete (eines Majordomus, ein hoher
Würdenträger), das König David I., der im 12. Jahrhundert König gewesen
war, einem Familienmitglied gewährt hae. Der Zeitraum, der uns
intereiert, kommt aber erst sehr viel später, im 17. Jahrhundert, inmien
der grandiosen Ereignie, die später als Glorious Revolution (Glorreie
Revolution) in die Gesite eingingen und dur die Großbritannien zum
Primat einer konstitutionellen Monarie kam.
Es gesah, da der unglüselige Karl I. (1600–1649), König von England,
Soland und Irland, die katholise Henriee Marie de Bourbon heiratete,
Toter Heinris IV. von Frankrei und Swester Ludwigs XIII. Zu
Beginn des 16. Jahrhunderts hae si einer seiner mätigen Vorgänger,
Heinri VIII., darüber geärgert, da der Papst ihm die Seidung
verweigerte, und eine neue ristlie Konfeion initiiert, die Anglicana
Ecclesia (Anglikanise Kire). Si selbst hae er zu ihrem Oberhaupt
erklärt und damit au alle seine Nafolger zu Inhabern dieses Amtes
gemat. Infolgedeen mute Karls Heirat mit einer Papista (also einer
Anhängerin oder sogar Agentin des Papstes) als höst unklug betratet
werden, viele sahen darin in der Tat den Beginn einer Wiederannäherung an
Rom.
Infolge der erdrüenden Steuerpolitik, die Karl hae einslagen müen,
um seine Kriege zu finanzieren, explodierte der latente Argwohn. Der
kontinuierlie Konflikt zwisen Krone und Parlament, das Miverhältnis
zwisen dem Willen des Königs und seinen swaen Matbefugnien
provozierte, wie immer, wenn si Anmaßung mit Swäe verbindet, den
Bürgerkrieg. Kurz: Am 30. Januar 1649 endete der König unter dem Beil des
Henkers. Anderthalb Jahrhunderte bevor die Jakobiner 1793 in Paris das
Haupt Ludwigs XVI. unter der Guillotine zu Fall braten, sind es die
Engländer, die ihren Herrser um einen Kopf kürzer maen. Übrigens
dreht si der Plot von Alexandre Dumas’ Roman Zwanzig Jahre später
(Folgeroman der Drei Musketiere) um den Versu von Athos und Aramis,
dem armen Karl das Leben zu reen. Im Aurag Henriee Maries, der
Gain von Karl I., dem beim Volk verhaten König, und, wie gesagt, der
Swester Ludwigs XIII., werden Athos und Aramis gemeinsam mit Lord
Winter na England gesit, um dem in Bedrängnis geratenen König zu
Hilfe eilen. Beim Liten der Anker entdeen sie Mordaunt, deen Identität
von Winter offenbart wird. Aramis versut, ihn zu töten, do Athos
hindert ihn daran, weil er fürtet, da ihn der Teufel gesit haben
könnte, und es beer sei, ihn am Leben zu laen, ebenso wie man mit seiner
Muer verfahren war … usw.
Als der König sließli tot ist, wird er auf dem ron nit von einem
anderen König ersetzt, sondern von einem Tyrannen: jenem Oliver
Cromwell, dem Führer der Puritaner, der dur die Annahme des Titels
«Lordprotektor des Commonwealth» zwar seine persönlie Mat bestätigt,
aber au das Phantasma einer Republik heraueswört. Die darauf
folgende Restauration dur die Stuarts sieht auf dem ron hintereinander
zwei Brüder, beide Söhne des verstorbenen Karls I.: von 1660 bis 1685 Karl II.
und dana, sehr viel kürzer, von 1685 bis 1688, Jakob II.
Wenn behauptet wird, die Glorious Revolution von 1688 sei ein snelles
und in der Substanz unblutiges Ereignis gewesen, ist das also keine ganz
exakte Besreibung. Man kann zwar sagen, da sie si innerhalb eines
kurzen Zeitraums abgespielt hat (ca. drei Monate) und da es relativ wenige
Opfer gab, do nur, wenn man nit mitbedenkt, da die Ereignie, deren
Protagonist, wie wir glei sehen werden, König Jakob II. werden sollte, den
Abslu eines Konfliktes bilden, der bereits vierzig Jahre zuvor mit der
traurigen und aotisen Herrsa seines Vaters, Karls I., begonnen hae.
Bevor er für eine kurze Zeit den ron bestieg, war der Herzog von York, so
sein Titel, Kommandant der Royal Navy gewesen (Lord High Admiral). Als
si die Engländer 1664 des holländisen Gebietes in Neuholland
bemätigten, wurde ihm zu Ehren die witigste Stadt, New Amsterdam, in
New York umgetau.
Seine erste Frau Anna Hyde stirbt 1671 und hinterlät ihm (neben ses
weiteren Kindern) zwei Töter, Maria und Anna. Wie in den römisen
Kaiserdynastien wiederholen si dieselben Namen von Generation zu
Generation immer wieder. Für seine neue Ehe erwählt Jakob die italienise
Prinzein Maria d’Este von Modena, eine Katholikin, was beim Parlament
sofort Verdat erregt; au über Maria wird natürli gemunkelt, sie sei
eine Spionin des Papstes. Um die Situation wieder ins Gleigewit zu
bringen, arrangiert der herrsende Monar Karl II. eine Ehe zwisen
Maria, einer Toter aus der ersten Ehe seines Bruders, und dem
Protestanten Wilhelm III. von Oranien, Stahalter der Niederlande, der seine
Nakommensa na der reformierten Religion erzieht, was die Angst
vor der Gefahr einer Rükehr der katholisen Konfeion vertreiben soll.
Do der Tri mit der Heirat besänigt die allgemeine Unzufriedenheit
nit. Ein anglikaniser Geistlier, ehemaliger Jesuit, Titus Oates,
verbreitet das Gerüt einer angeblien Papisten-Verswörung (Papish
Plot), mit dem Karl II. dur den katholisen Jakob ersetzt werden soll.
Karls Frau, die portugiesise Prinzein Katharina Henriea von Braganza,
hae si als unfrutbar erwiesen, und obwohl der König mit
versiedenen Geliebten ein Dutzend Kinder in die Welt gesetzt hae, fehlte
es an einem legitimen Erben. Und dies mate seinen Bruder Jakob zum
auitsreisten Kandidaten für die Nafolge.
Karl II. stirbt im Februar 1685, nadem au er auf dem Sterbebe no
zum Katholizismus konvertiert ist. Jakob, der Herzog von York, wird neuer
König. Er ist 52 Jahre alt und wird anfangs mit Wohlwollen aufgenommen.
Sehr snell aber ist au er mit Revolten und Verswörungen konfrontiert.
Seiner «Nasitserklärung» (Declaration of Indulgence) wird
vorgeworfen, sie stelle die Katholiken mit den Anglikanern nit glei,
sondern begünstige sie. Die Situation versär si weiter, als bekannt
wird, da seine Frau, Königin Maria, swanger ist. Wenn es ein Junge wird,
wird er die Oranier vom ersten Rang in der ronfolgereihe verdrängen.
Jakob II. war ein guter Soldat gewesen, erwies si aber als swaer
König. Die tragise Erfahrung eines unter dem Henkersbeil gestorbenen
Vaters häe ihm eigentli eine Lehre sein müen, er aber wiederholt
teilweise die gleien Fehler. Seinen Katholizismus stellt er ostentativ zur
Sau, womit er sofort die einflureisten anglikanisen Kreise gegen si
auringt. Er besetzt alle Slüelpositionen in Regierung, Streitkräen,
Universität mit Katholiken, womit er die Protestanten provoziert. Er knüp
wieder diplomatise Beziehungen mit dem Vatikan an, zum ersten Mal seit
1558, und das erregt den Zorn vieler, umso mehr, als Jakob persönli
katholis, gleizeitig als König aber Oberhaupt der anglikanisen Kire
ist. Ganz offenkundig ein Intereenkonflikt, wie wir es heute nennen
würden.
Der Gipfel der Paradoxie besteht darin, da si trotz seiner erklärt pro-
katholisen Politik die Zahl der Konversionen nit erhöht und er selbst
von der katholisen Minderheit nur swa unterstützt wird. Die meisten
entseiden si dafür, si nit allzu sehr zu exponieren, um die guten
Beziehungen zur protestantisen Mehrheit nit zu gefährden. In vielen
anglikanisen Kiren werden die Gläubigen von den Geistlien gewarnt,
vor einer möglierweise bevorstehenden katholisen Repreion auf der
Hut zu sein. In London und anderen Städten werden feindselige Akte
gegenüber römis-katholisen Priestern aktenkundig.
Kurz, dem armen Jakob unterläu ein gravierender Fehler, der slimmste,
den ein Politiker maen kann: Ihm entgeht oder er vernaläigt die in
seinem Volk vorherrsende Stimmung. Während der Regierungszeit seines
Bruders Karl hat London zwei tragise Ereignie erlebt: 1665 eine
gewaltige Pestepidemie, im Jahr darauf einen verheerenden Brand (e
Great Fire), der die Stadt zu einem Großteil zerstörte. Die einfaen Bürger
sind sole Notlagen leid und au der Religionskriege überdrüig. Viele
seinen bereit, die Botsa John Loes und anderer Aulärer
aufzunehmen, die religiöse Toleranz empfehlen und die Anwendung des
Prinzips, niemandem eine Religion aufzuzwingen; da man die Mensen zu
einer Kire zwar hinführen könne, es aber unzuläig sei, sie dorthin zu
zwingen. Das Gegenteil von dem, was Papst Innozenz XI. in Rom vertri,
und das ist einer der Gründe, weshalb die Katholiken in England als
«abergläubis» und «götzendieneris» angesehen sind.
Zu diesen zahlreien Unruheherden kommt no eine swerwiegende
Meinungsversiedenheit zwisen Jakob und seiner Frau Maria Beatrice
d’Este. Der König, ein Mann von sehr sinnenfroher Veranlagung, gilt als a
lusty and amorous man (etwa: ein kravoller und erotiser Mann) und
unterhält, wie es bei den Mätigen die Regel war, intime Beziehungen mit
zahlreien Damen. Eines der dauerhaeren Verhältnie ist eine gewie
Catherine Sedley, die als Geliebte en titre gilt. Diese Beleidigung toleriert
Maria Beatrice nit, und es gelingt ihr, Catherine vom Hof jagen zu laen.
Der Skandal nimmt derartige Dimensionen an, da Jakob no in hohem
Alter der festen Überzeugung ist, der wahre Grund für seine Entmatung
sei dieser Ehebru gewesen.
Im Mai 1688 begibt si eine englise Delegation na Holland, um
Wilhelm von Oranien ganz offiziell zum Eingreifen zu bewegen. Der
Statolder erklärt, da er als Vorauetzung für die von ihm erwartete
Truppenlandung oder bewaffnete Intervention zu seiner Legitimation eine
offizielle, von einer beträtlien Anzahl von Standespersonen
unterzeinete Anfrage benötige. Der Antrag erreit ihn am 30. Juni, er ist
von witigen Persönlikeiten unterzeinet, au wenn nit alle von dem
Rang sind, den si Jakob gewünst häe. Die Situation ist aber inzwisen
so unhaltbar geworden, da das ungenügende Prestige dieser Handvoll
Untersrien ras in den Hintergrund tri.
Do damit nit genug. Am 10. Juni hat Maria Beatrice einen gesunden
kräigen Knaben zur Welt gebrat, dem die Namen James Francis Edward
gegeben werden. Außerdem wird ihm der ungewöhnlie Titel eines Prinzen
von Wales verliehen. König Jakob hat nun einen Erben. In den Augen der
Anglikaner und Protestanten lät die Geburt dieses unsuldigen Kindes die
Befürtung des bevorstehenden Comebas einer Papisten-Dynastie auf den
englisen ron wasen. Damit versletert si Jakobs Position weiter.
Der Erzbisof von Canterbury und ein Großteil des anglikanisen Klerus
weigern si, die neue Faung der «Nasitserklärung» von der Kanzel zu
verlesen, wie vom König befohlen. Wütend will der Herrser die
rebellisen Bisöfe am liebsten vor Gerit zerren, wovon ihm aber
abgeraten wird. Man gibt ihm zu bedenken, da ein nit
unwahrseinlier Freispru der Bisöfe seine Swäe no
offenkundiger maen würde. Do der König besteht darauf, der Proze
endet mit dem Urteil «nit suldig» und wird, wie vorherzusehen war, zu
einer smavollen Niederlage. Hier sehen viele Historiker den Beginn des
letzten Aktes seines Ruins.
Ein weiterer, wohl den Ersüerungen des Augenblis gesuldeter
Lapsus ist die Drohung mit der Auebung des Habeas Corpus-Gesetzes,[10]
das seit 1679 in Kra war: eine Garantie für den Angeklagten in einem
Strafproze, ein sehr witiges Grundret, deen Prinzip auf die von König
Johann Ohneland bereits 1215 unterzeinete Magna Charta Libertatum[11]
zurügeht. Die bloße Androhung einer Besädigung dieser fundamentalen
Errungensa war natürli ein kaum wiedergutzumaender politiser
Fehler. Na ersten Warnungen über eine bevorstehende Invasion wähnt si
der König no sier, da sein Swiegersohn Wilhelm einen solen
Affront nit wagen wird; da seine Toter Maria den Angriff des
Ehemanns auf den Vater verhindern wird. Son wieder eine
Fehleinsätzung. Wir wien, da es anders kam, und unzählige Beispiele
au aus der italienisen oder der Gesite Roms zeigen uns, da es am
Ende immer nur Materwägungen sind, die den Aulag geben.
Tatsäli brit Wilhelm am 30. Oktober 1688 auf und landet am
5. November in Torbay in Devon. Es ist seit 1066 das erste Mal, da an der
englisen Küste ein Heer mit feindlien Absiten landet. Wieder einmal
weiß König Jakob nit ret, was er tun soll: Soll er ihm mit seinen Truppen
entgegenreiten und die Hauptstadt ungesiert zurülaen? Soll er sein
Heer um London herum Aufstellung nehmen laen und si in der Stadt
versanzen, mit dem Risiko, eine gefährli unbestimmte Zeit auf die
Ankun Wilhelms warten zu müen? Die einzigen unter seinen Offizieren,
auf die er si stützen kann, sind die Katholiken, die aber, im Gegensatz zu
dem, was der Volksmund zu wien glaubt, ledigli zehn Prozent der
Kommandostellen innehaben. Mehrmals in diesen aufgewühlten Tagen
erinnert Jakob den französisen Botsaer und den päpstlien Nuntius an
das Sisal Edwards II., Heinris IV. und Riards II., die alle von ihren
eigenen Familienangehörigen ermordet worden waren. Eine einzige
Zusierung hat Wilhelm seiner Frau gemat: Ihrem Vater soll kein Haar
gekrümmt werden, aber bekanntli braut es wenig, um das Verspreen
eines Mätigen in Lu aufzulösen.
Jakobs größte Sorge ist, da ihm sein Neugeborener entzogen und als
Protestant aufgezogen werden könnte. Er befiehlt also einem der wenigen
Getreuen, die no bereit sind, für ihn Risiken auf si zu nehmen, seine
Frau und sein Kind heil zu seinem Cousin Ludwig XIV. na Frankrei zu
bringen. Jakob gibt ihnen 24 Stunden Vorsprung und flieht dann selbst bei
Nat und Nebel, nadem er den Befehl zur Auflösung des Heeres gegeben
hat. Für einen Priester gehalten, wird er auf der Straße kontrolliert und zur
Rükehr na London gezwungen. Wilhelm, der son in Verhandlungen
über seine Nafolge eingetreten ist, erhält die Narit mit Mivergnügen.
Um über die Zukun zu entseiden, braut er einen freien und leeren
ron. Jakob wird nun empfohlen oder eher befohlen hinzugehen, wo er
will, wenn es nur außerhalb Englands sei. Er wird si mit einem kleinen
Hofstaat wenige Kilometer vor Paris im Slo Saint Germain en Laye
niederlaen, einer der Residenzen der französisen Könige.
Dies ist, kurz zusammenfat, die Vorgesite der Glorious Revolution.
Eine sehr verwielte Gesite, die selbst in der extremen Vereinfaung,
mit der sie hier erzählt ist, eine Idee davon vermielt, wel starke Antriebe
die Protagonisten leiteten; wele politisen Ideale und religiösen Faktoren
ihre Handlungsweisen bestimmen, vor allem aber, von wel starken
Intereen fast immer die Affekte und sogar die Religion dominiert werden.
Und do führte die Summe dieser so untersiedlien Elemente und häufig
dur Egoismen motivierten Handlungen für die Gesite der westlien
Zivilisation zu einer bahnbreenden Reform. Das Endergebnis dieser
Kämpfe war die konstitionelle Monarie, dur die das englise Parlament
in die Lage versetzt wurde, der Krone erheblie Besränkungen
aufzuerlegen. In England und dana au außerhalb der Insel behauptete
si das politise Prinzip, da die Mat eines Königs von einer Reihe von
Gegengewiten ausbalanciert sein mu, um niemanden auf die Idee zu
bringen, das königlie Szepter mit der Keule des Tyrannen zu verweseln.
Auf dem englisen ron wird jedenfalls nie wieder ein Katholik sitzen.
Wilhelm landet am 5. Oktober 1689, Jakob flieht am 23. Dezember, in der
zweiten Januarhäle wird si das Parlament versammeln, am 13. Februar
wird Wilhelm und seiner Frau gemeinsam die englise Krone angeboten.
Für unsere Gesite von besonderem Interee ist aber jenes damals
geborene Kind, der Sohn von Jakob und Maria Beatrice, der aus Furt, er
könnte zum Protestanten erzogen werden, in einer dramatisen Flut aus
England gebrat wurde. 1718 lät si dieses Kind, inzwisen ein junger
Mann Anfang dreißig, in Rom nieder, zu diesem Sri ermutigt und sehr
freundli aufgenommen von Papst Clemens XI. (1700–1721) und seinen
Nafolgern. Der Papst wird ihm den Palazzo Muti Papazzurri zum
Gesenk maen, ein sönes Gebäude mit einem imposanten,
säulengerahmten Portal auf der Piazza della Piloa, gegenüber der heutigen
Università Gregoriana. Dem Palazzo fügten die Päpste no eine stalie
Rente von 12.000 Scudi hinzu, als der unglülie ronanwärter Maria
Clementina Sobieska heiratet, eine reie polnise Prinzein, au sie
katholis, 14 Jahre jünger als ihr Gae, Nite jenes Giovanni Sobieska, der
1683 entseidend dazu beigetragen hae, Wien von der osmanisen
Belagerung zu befreien.
Natürli war eine Heirat von so dursitiger politiser und religiöser
Symbolik nit ganz einfa zu bewerkstelligen. Als das Gerüt von der
Verlobung dieser beiden die Runde mate, kam es zwisen versiedenen
Herrsern, einsließli des Papstes, zu einer Reihe von halsbreerisen
Sazügen und Gegenzügen. Geheimkuriere durquerten in Windeseile
Europa, Diplomatie-Experten studierten angemeene Lösungen, Komploe
wurden gesmiedet, um diese Hozeit zu verhindern. Die junge Prinzein
fand si plötzli im Zentrum einer Intrige, die heute einer
leidensalien Fernseh-Soap würdig wäre.
Der entsiedenste Gegner des Vorhabens war Georg I. von Hannover, der
König von England und Irland geworden war und befürtete, da die
Katholise Frage wieder auf seine Insel zurüslagen könnte, nadem sie
so abenteuerli und, wie viele seiner Untertanen hoen, endgültig gelöst
worden war. Der Kaiser des Heiligen römisen Reies deutser Nation,
der Habsburger Karl VI., teilte die Besorgnie des englisen Souveräns. Als
er erfuhr, da Maria Clementina, um na Rom zu gelangen, dur sein
Staatsgebiet reiste, ließ er sie verhaen und in ein Slo in Innsbru
sperren. Ein ziemli sauriges Quartier, aus dem die tapfere Prinzein
flüten konnte, indem sie die Wärter an der Nase herumführte. Um weitere
Handstreie zu verhindern, wurde bei ihrer Ankun in Bologna per
Vollmat umgehend die Ehesließung mit James vollzogen. Die eigentlie
Hozeit wurde im September 1719 in Montefiascone gefeiert. Papst
Clemens XI. proklamierte das Paar – und das war natürli der politise
Sinn der ganzen Angelegenheit – zu König und Königin von England und
gewährte ihnen außer dem Wohnsitz in der Stadt und einem weiteren auf
den Hügeln im Süden Roms au no eine bewaffnete Eskorte.
Der Ehe entstammten zwei Kinder, der Erstgeborene Charles Edward
Louis Philip Casimir kam glei im Jahr na der Hozeit zur Welt; der
zweite, Henry Benedict, im Jahre 1725. Trotz der dramatisen
Entsloenheit, mit der sie gewollt war, wurde es keine glülie Ehe.
Kurz na der Geburt des zweiten Sohnes wurde Maria Clementina von
einer religiösen Manie ergriffen, zog si zum Beten in ein Kloster zurü
und besuldigte ihren Gaen abweselnd des Ehebrus (was sehr
wahrseinli beretigt war) und des Vorsatzes, die Kinder einem
protestantisen Hauslehrer anvertrauen zu wollen, was in Rom nit ganz
einfa gewesen sein dure, nit einmal für einen, wennglei
entmateten, Souverän.
Die unglülie Prinzein starb 1735 mit nur 32. Jahren. Papst
Benedikt XIV., der Bologneser Prospero Lambertini (1740–1758) beauragte
den Bildhauer Pietro Bracci (den Söpfer des Neptun der Fontana di Trevi)
mit einem prunkvollen Grabmonument, das man ebenfalls im Petersdom
bewundern kann: eine Komposition aus Marmor, Alabaster und Bronze, die
in ihrer Prat und ihrer bewegten Drapierung an Bernini erinnert, während
das Bild der Verstorbenen in einem von einem Engelen gehaltenen Oval
als Mosaik dargestellt ist.
Mit voller päpstlier Rüendeung kämpe der Erstgeborene Charles
Edward weiter um die Eroberung des rones. Mit 25. Jahren versute er
eine Landung auf den Hebriden-Inseln (vor der Nordwestküste Solands),
wo es ihm gelang, die Standarte seines Vaters zu hien. Dies sogar mit
Unterstützung einiger soiser Clans, do das änderte nits an der
Haltung der Engländer, und so wurde er snell wieder aufs Meer
hinausgetrieben. Sein Vater hae den Spitznamen Old Pretender, ihm wurde
der Name Bonnie Prince Charlie verpat, gelegentli aber wurde er au
Young Pretender genannt, ein Titel, dem ein biiges Spiel mit der
Doppelbedeutung von Pretender zugrunde liegt, was sowohl den ron-
Prätendenten als au den «Heuler» bezeinen kann.
Weit mehr als er häe in Wahrheit sein Bruder Henry diesen Sponamen
verdient, der si wieder mit dem Titel seines Großvaters Herzog von York
smüte. Na dem Tod des Bruders reklamierte er weiter das Ret auf
den ron, au wenn in Europa inzwisen allen klar war, da eine
katholise Restauration in England nit zu verwirklien war. Mit nur
22. Jahren hae Papst Benedikt XIV. Henry 1747 zum Kardinal mit der
Titelkire Santa Maria in Campitelli ernannt. 1761 mate ihn ein anderer
Papst, Clemens XIII., zum Bisof der suburbikarisen Diözese Tusculum.
Und in der Kathedrale von Frascati ließ Kardinal Henry Benedict Herzog
von York die feierlien Exequien für seinen Bruder zelebrieren, der im
Januar 1788 starb. Die Feier wurde mit einem Pomp abgehalten, der eines
Königs würdig gewesen wäre, auf dem Sarg waren Krone und königlies
Zepter aufgestellt.
Im Leben des Kardinals Herzog von York gibt es keine herausragenden
Ereignie, von dem immer wieder aueimenden Gerede abgesehen, da er
in Anbetrat seines Ranges und im Kontext einer Stadt wie Rom seine
homosexuelle Präferenz ein wenig zu ostentativ auslebte. Die englise
Sristellerin Hester Lyn rale (1741–1821), Freundin und Biographin
Samuel Johnsons, in ihrer Grabinsri als Witty, Vivacious and Charming
(geistrei, lebha und armant) bezeinet, sreibt in ihren berühmt
gewordenen Tagebüern, der Kardinal halte si «ganz öffentli einen
Buhlen», was von den Italienern als «Gesmasae» betratet werde.
Ein weiteres Zeugnis gleien Tenors stammt aus der Feder von Giuseppe
Gorani (1740–1819), einer großen Persönlikeit der lombardisen
Aulärung, Soldat, Sristeller, Abenteurer, der 1789, glei bei Ausbru
der Revolution, na Paris aura (eine Straße in Mailand trägt seinen
Namen). Gorani teilte die sexuellen Neigungen des Kardinals, die er na
eigenem Geständnis während seiner Jünglingszeit im Mailänder Kolleg des
Barnabiter-Ordens entdete. Aus seinen Erinnerungen, einer Quelle erster
Ordnung zur Siengesite des 18. Jahrhunderts:
I werde also einfa sreiben, was i gesehen habe, ohne daraus irgendwele
Slufolgerungen zu ziehen. In seinem [des Kardinals] Palazzo wimmelte es von
Jünglingen, alle von ret anziehendem Äußeren und wie Äbte gekleidet. Dies ließ mi
argwöhnen, da diese königlie Eminenz einen Gesma haben könnte, deen einer
seiner Mitbrüder angeklagt wurde.
Ein ähnlies Zeugnis ist uns von Gaetano Moroni (1802–1883) überliefert,
der ebenso umfangreie wie unzuverläige und parteiise Werke zur
Gesite des Papsums verfate. Er erzählt, kaum verhüllt, von der
langen Beziehung des Kardinals zu Monsignor Angelo Cesarini, der von ihm
in die Würde des Domkapitulars der Kathedrale von Frascati erhoben wurde.
Verdätigungen, denen jedenfalls so wenig Gewit beigemeen wurde,
da der Kardinal Herzog von York 1803 Dekan des Sacro Collegio (Heiligen
Kardinalskollegiums) wurde, was die Insri auf Canovas Kenotaph
erläutert: DECANO PATRUM CARDINALIUM. Er starb im Juli 1807, und
obwohl er so lange Anspru auf den ron erhoben hae, ersienen auf
seinem Sarg weder das Szepter no die Krone, wie es no bei seinem
Bruder der Fall gewesen war, sondern sehr viel einfaer die Mitra und das
pastorale Kreuz. Die sterblien Überreste der Brüder Stuart wurden na
Rom überführt und neben dem Grab des Vaters Jakob III. in der Gru des
Petersdoms eingereiht. 1939 bestellte König Georg VI. für die beiden einen
sönen Sarkophag aus rotem Granit, den man heute in den Krypten der
Basilika bewundern kann. Requiescant.
Die absließende Bewertung der Tatsae dieser beiden Gräber mit den
dazugehörigen Gesiten betri au hier wieder den Untersied
zwisen Kire und Vatikan, das Hauphema dieses Bues. Sowohl
Christina von Sweden als au der Kardinal Herzog von York waren
bekennende und praktizierende Homosexuelle. Was, das sei ganz klar gesagt,
ihren Persönlikeiten weder etwas nehmen no hinzufügen würde, wenn
nit die Kire bis ins 21. Jahrhundert hinein die homosexuelle Liebe
offiziell, gelinde gesagt, als etwas Verabseuungswürdiges deklarieren
würde.
Der Vatikan teilt diese Meinung offenbar nit immer, er geht so weit,
zwei prominenten Homosexuellen in der größten Patriaralbasilika Roms
prunkvolle Gastfreundsa zu gewähren, und vermist dabei alles:
theologise Begründungen und politise Nützlikeitserwägungen.
Übrigens ruhen, wie wir sehen werden, in einer anderen römisen Basilika
die Gebeine eines Vielfamörders, Enrico de Pedis, eines führenden
Mitglieds der Magliana-Bande, dem als Belohnung für eine Reihe
undursitiger Dienstleistungen ein Begräbnis in der Kire
Sant’Apollinare gewährt wurde, eine offene Verletzung des Kanon 1242 des
Codex Iuris Canonici: «In Kiren dürfen Leiname nit begraben werden,
sofern es si nit um die Beerdigung des Papstes, der Kardinäle oder der
Diözesanbisöfe, au emeritierter, in ihrer eigenen Kire handelt.»
Wieder einmal zeigt es si, da si die Ideale des Glaubens und die
Staatsraison an Wertmaßstäben orientieren, die sehr weit auseinanderliegen.
Das ist aber nits Neues. Vor vielen Jahrhunderten son haben
Persönlikeiten von erhebli größerem Rang als der Autor dieses Bues
mehr oder weniger dieselben Dinge beklagt. Zum Beispiel Franziskus von
Aisi oder Martin Luther.
IX. RÄTSELHAFTE KRIEGERMÖNCHE
AUFSTIEG UND UNTERGANG
DES TEMPLERORDENS
U
NTER ALLEN GROßEN ODER GRAUSAMEN, denkwürdigen oder
kurzlebigen Werken, deren Protagonist der Vatikan über die
Jahrhunderte gewesen ist, unter allen Unternehmungen, die dur den
Glauben oder aus politisen Intereen angestoßen wurden, kommt keine
den Heldentaten und dem Andenken der sogenannten Templer-Rier glei.
No heute, siebenhundert Jahre na dem Ende ihrer Gesite, sürt die
Kra ihrer Legende Polemiken, erzeugt Verlegenheit, ist sogar imstande,
Sadenersatzforderungen zu provozieren. Wie erklärt si diese Maivität,
dieser Faceenreitum, diese Nahaltigkeit der mythisen Aura, die diese
Kriegermöne bis heute umgibt?
Es gibt nit viele Orte in Rom, die eine Erinnerung an die Saga der Rier
bewahren, eine Welt aus Glauben und Abenteuer, aus starken frommen
Männern, aber au Betrügern, heiligen Jungfrauen, erotisen
Abenteurerinnen, die ein paar Jahrhunderte lang einem der größten
Heldenepen, das Europa je erlebt hat, Leben eingehaut haben. Wie gesagt,
es sind nit viele Orte, dafür gehören sie für denjenigen, der sie ritig zu
sehen versteht, zu den faszinierendsten der Stadt. Einer der ältesten ist die
Casa dei Cavalieri di Rodi auf der Piazza del Grillo mit seinem spektakulären
Ausbli auf die Trajans- und Augustusforen.
Das Gebäude erbauten im 12. Jahrhundert die «Rier von Rhodos», wie
der alte Name des Souveränen Malteserordens lautet. No heute sieht man
in Rom Autos mit dem Nummernsild S.M.O.M. (Sovrano Militare Ordine
di Malta) herumfahren, was darauf verweist, da dieser Orden ein winziger
Staat mit einigen wenigen Gebäuden und einer kleinen Lufloe ist. Eines
dieser Gebäude ist die genannte Casa, die im Laufe der Jahrhunderte
unzählige Bestimmungen gehabt hat, heilige und profane: Privatwohnung,
Sreinerwerksta, Kloster der Dominikanerinnen der Santiima
Annunziata, deren Aurag es war, junge Mäden zum Katholizismus zu
bekehren und si den gölien Mysterien zu widmen. Um die Casa dei
Cavalieri zu besitigen, benötigt man eine Genehmigung, die man beim
Priorat des Rierordens in der Via Condoi beantragen mu.
Ebenfalls mit einer Genehmigung kann man die Villa dei Cavalieri di
Malta auf dem Aventin besitigen, au sie von einzigartiger Faszination.
Die allererste Niederlaung geht sogar auf die Zeit vor 1000 zurü und
gehört zu jenen frühristlien Kiren und Klöstern, die no heute die
(davorliegende) Via di Santa Sabina zu den würdevollsten der Stadt maen,
still und mystis, dem Getöse des modernen Rom entrüt.
Die Straße endet in einer Piazzea, die sehr elegant von einer Mauer
eingefat ist, deren Rhythmus dur Obelisken, Nisen und Stelen mit
religiösen und Siffsemblemen definiert ist. Es ist eine den Neoklaizismus
vorwegnehmende Vision des Giovan Baista Piranesi, der sie 1764 im
Aurag von Kardinal Rezzonico, dem Großprior der Rier, entwarf. Auf dem
kleinen Platz befindet si au das Tor mit dem berühmten Slüello,
dur das man am Ende eines von üppigstem Grün überwasenen
Wandelgangs perfekt eingerahmt die Kuppel des Petersdoms erblien kann.
Kurz darauf hat man dur ein reteiges Portal Zutri zum
Gebäudekomplex des Malteser Priorats mit der ebenfalls von Piranesi
entworfen Kire Santa Maria del Priorato, in der si au sein Grab
befindet.
In dem alten Benediktinerkloster war Hildebrand von Soana (1020–1085)
Mön, der später unter dem Namen Gregor VII. ein – im Guten wie im
Bösen – herausragender Papst (1073–1085) wurde. Im 12. Jahrhundert ging
das Kloster in den Besitz der Templer über, der Kriegermöne, deren
tragises Sisal hier erzählt werden soll, und im 14. Jahrhundert an die
Rier von Rhodos, um dann zum Sitz des Großpriorats der Malteserrier zu
werden. Die Kire ist das einzige, was Piranesi, ein Meister der
Zeinungen und Radierungen, jemals «erbaut» hat. Sie ist nit sonderli
sön, do ist die Gesamtanlage der Gebäude mit dem das Priorat
umgebenden, sehr gepflegten Garten und dem Templerbrunnen aus dem
8. Jahrhundert beeindruend. Die Swingungen ihrer Zeit, ihre Aura sind
no heute zu spüren. Man kann si au sehr gut vorstellen, wie aus dieser
einst als swindelerregend empfundenen Höhe der Bli auf die Stadt in
dem weit darunterliegenden Tal ausgesehen haben mu: der Flulauf des
Tibers, die Gloentürme, die Kuppeln, die Hügelkee, die das Panorama im
Westen absließt.
Ein drier Ort der Erinnerung an die Templer ist die Kire und
Klosteranlage Sant’Onofrio an den Ausläufern des Gianicolo. In der Kire
aus dem 15. Jahrhundert, die aber vielfa umgestaltet wurde, ist Torquato
Tao bestaet, der seine letzten Lebensjahre in einigen Zimmeren des
angrenzenden Klosters verbrate. Dort hat das dem Diter zugeeignete
Museum seinen Sitz, in dem neben Manuskripten und kleinen
Erinnerungtüen au der Lorbeerkranz auewahrt wird, mit dem er auf
dem Kapitol zum Poeta laureatus gekrönt wurde. Der gesamte Komplex steht
unter dem Sutz des Ordens der Rier vom Heiligen Grab zu Jerusalem
(Ordine Equestre del Santo Sepolcro di Gerusalemme). Au hier also: Rier.
Diese Anlage ist, wie die anderen, von einer bis heute intakt gebliebenen
Faszination, von der zu allen Zeiten selbst die erlautesten Besuer
ergriffen waren. Goethe srieb seinen Tasso, nadem er die Wohnräume
des Poeten besut hae, und Chateaubriand notierte na seinem Besu in
den Memoires d’outre-tombe hingerien:
Sollte i das Glü haben, meine Tage hier zu besließen, werde i mir in Sant’Onofrio
glei neben dem Zimmer, in dem Tao starb, eine Zufluttäe einriten. In den
Mußestunden meiner Gesandtsa werde i dann am Fenster meiner Zelle meine
Memoiren niedersreiben. An einer der sönsten Stäen der Erde zwisen
Orangenbäumen und grünen Eien, ganz Rom vor Augen, werde i jeden Morgen, wenn
i mi zwisen dem Totenbe und dem Grab des Poeten ans Werk mae, den Genius des
Ruhmes und des Unglüs beswören.[1]
Was die Rierorden einmal gewesen sind, belegt weit mehr als die
Gesitreibung ihr grandioses und nahaltiges Eo in der Literatur,
beginnend mit den Gedit- und Romanzyklen um König Artus und sein
unbesiegbares Swert, seine Rier und Lancelots Liebesabenteuer. Taos
Grab erinnert uns daran, wel überragende Bedeutung sein Werk Das
befreite Jerusalem jahrhundertelang für die gesamte europäise Kultur
hae, und dies nit nur bei den gebildeten Siten, sondern au im Sinne
eines eten Volksepos.
In Taos Werk geht es um Magie und edle Taten, um Rier und edle
Kriegerdamen, um Abenteuer, Flut, Verfolgung, Liebe. Jerusalem ist in
viele Spraen übersetzt worden, es wurde von den Baropoeten geliebt,
von den Romantikern gepriesen, hat Maler, Grafiker, Filmregieure (Enrico
Guazzoni, Carlo Ludovico Bragaglia)[2] inspiriert. Der große italienise
Diter Giacomo Leopardi (1798–1837) war am Grab des Poeten zu Tränen
gerührt. Chateaubriand srieb neben der bereits zitierten Paage am
21. März 1829 in einem Brief an Madame Récamier: «I bin gestern,
zwisen zwei Wahlgängen und in der Erwartung eines Papstes, na
Sant’Onofrio gegangen … Wel bezaubernde Einsamkeit, wel
wundervoller Bli, wel Glü, dort zu ruhen zwisen den Fresken des
Domenico Zampieri und denen des Leonardo da Vinci! I wünste, hier
bleiben zu können.»[3]
Nur wenige Jahrzehnte vor Tao hae Ludovico Ariost[4] das ema
aufgegriffen, als er in seinem Meisterwerk Orlando Furioso dieselben
Abenteuer besang. Ariost und Tao erzählen von den Kriegen zwisen
Christen und Sarazenen zur Zeit Karls des Großen (Ariost) oder des ersten,
von Gofried von Bouillon geführten Kreuzzugs (Tao). Das Rierwesen
gehörte au damals son längst der Vergangenheit an, sein Mythos aber
dauerte fort, wie man sehr gut au bei Cervantes sehen kann, in deen
unendliem Roman si ein von Rieridealen durdrungener ingenioso
hidalgo (sarfsinniger Junker) selbst als Don Quijote bezeinet.
Mögen jene, die bislang private, nutzlose Fehden führten zum großen Saden der
Gläubigen, nunmehr in den Kampf gegen die Ungläubigen ziehen, den es nun zu führen gilt
und der den Sieg verdient! Mögen jene, die bislang nits als Räuber waren, nunmehr Rier
Christi sein! Mögen jene, die gegen Brüder und Verwandte kämpen, nunmehr mit gutem
Ret gegen Barbaren streiten … Hier waren sie traurig und arm; dort werden sie fröhli
und wohlhabend sein. Hier waren sie Feinde des Herrn, dort werden sie Seine Freunde sein.
[5]
Mit Bedat gewählte Worte voller Leidensa, geeignet, ein hehres und
genau umrienes Ziel vorzugeben: keine mit nitsnutzigen oder
niederträtigen Unternehmungen gefüllte Tatenlosigkeit mehr, sondern der
«Heilige Krieg». In Wahrheit hat der Aufruf no einen weiteren Zwe: die
Bestätigung der Mat der Kire, die Bewahrung ihres Vermögens und ihrer
materiellen Potenz, die Fortführung der Gregorianisen Reformen, mit
denen das Gesetz der Kire allen Mensen vorgesrieben werden sollte,
angefangen bei den Herrsern. Man denke nur an die strengen
Retsnormen der Kire zur Ehe, denen au Könige und Kaiser
unterworfen waren, weswegen si Dramen und Sismen ereignen werden.
Das Eo auf den Kreuzzugsaufruf von Clermont ist so groß, da es dem
Papst endgültig die Statur eines wahren Führers des ristlien Westens
einträgt. Innerhalb weniger Monate setzen si Tausende von Männern in
Ritung Jerusalem in Mars. Ihre Reise ist mit grauenhaen Taten
gepflastert. Im Rheinland kommt es zu Maenmorden an der jüdisen
Bevölkerung, in Ungarn werden die Bauern systematis beraubt, das
gesamte flae Land des Byzantinisen Reies wird geplündert. Es ist eine
bunt zusammengewürfelte Meute, wie jede Armee, besonders aber, wenn es
si um eine Freiwilligenarmee handelt. Seite an Seite marsieren Halunken
und Edelleute, Hasardeure und Männer auf der Sue na ihrem Ideal.
Der erste Kreuzzug ist vielleit der berühmteste. Er begründet einen
Mythos, ist jedenfalls der Auakt für eine Saga, die praktis zwei
Jahrhunderte lang dauern wird, die si allerdings aueilt in einen ersten,
dileantisen und grausamen Teil und in eine offizielle Expedition. Der
harte Kern der Armee besteht aus Franzosen, Flamen und Normannen.
Führer dieses «Kreuzzugs der Barone» ist unter anderen Gofried von
Bouillon, Herzog von Niederlothringen. Im Juli 1099 wird Jerusalem im
Sturm eingenommen und erobert, in einem grausamen Gemetzel wird die
Sma der langen muslimisen «Okkupation» blutig ausgelöst. In der
antiken Hauptstadt wird ein fränkises, na dem Tode Gofrieds von
seinem Bruder Balduin II. geführtes Königrei erritet. Das «Heilige
Grab» ist befreit, das Ziel erreit. Do was wie ein Endpunkt seint, ist
erst der Anfang.
Hier nun kommen die Templer ins Spiel. Um 1120 nämli versammelt
Hugo von Payns (1080–1136) ein Fähnlein von at Riern aus der
Bourgogne und der Champagne um si (es gibt au Quellen, in denen von
30 Männern die Rede ist) und brit seinerseits in die alte Kapitale Judäas
auf. Die Rier nennen si Pauperes commilitones Christi (Arme Rier
Christi). In Jerusalem angekommen, beziehen sie Quartier in einem Flügel
von König Balduins Palast, der auf den Grundmauern des (von den Römern
zerstörten) Salomo-Tempels erritet worden war. Dort baut die kleine
Gruppe ein Kloster, das seinen Namen vom Tempel übernimmt: Sie sind die
«Templer-Möne». Im Zentrum des weitläufigen Gebietes (heute als
Esplanade der Moseen bekannt) erhebt si ein sakraler Komplex von zwei
Moseen – die Al-Aqsa-Mosee und in der Mie der Felsendom mit seiner
goldenen Kuppel, eines der Glanzstüe muslimiser Aritektur, deen
Silhouee no heute zu den Wahrzeien der Stadt gehört. In seinem
Inneren befindet si der Felsen, auf dem Abraham seinen Sohn Isaak zu
opfern bereit war, und die Stelle, wo Jakob im Traum die Himmelstreppe sah
und seinen Altar erritete. Der Felsen, der als Nabel der Welt und der drei
monotheistisen Religionen gilt, war und ist bis heute einer der
neuralgisen Punkte der globalen Religiosität und damit natürli au
einer endlosen Auseinandersetzung.
Der Templerorden ist geistli und kriegeris zuglei. Der Historiker
Jakob von Vitry, Bisof von Acri, besreibt sie in seiner Historia orientalis
seu Hierosolymitana so:
Einige von Go bewaffnete und zu seinem Dienst ergebene Rier entsagten der Welt und
weihten ihr Leben Christus. Dur feierlie, vor dem Patriaren von Jerusalem abgelegte
Gelübde verspraen sie, die Pilger gegen Räuber und Wegelagerer zu verteidigen, die Wege
zu sützen und dem König und Herrser als Rier zu dienen. Sie hielten die Gebote der
Armut, der Keusheit und des Gehorsams ein, na der Regel der Regularkanoniker.[6]
Die Templer bekennen si also zu den drei klaisen Gelübden des
katholisen Möntums, fügen aber no ein viertes hinzu und vereinbaren
damit das Unvereinbare: Jesus Christus in Waffen dienen. Damit dies
retmäßig gesehen kann, wird, wie wir sehen werden, eine komplexe und
verhängnisvolle Weiterentwilung des Kriegskonzepts notwendig sein. Die
Templer tragen einfae Kleidung, weiße Tuniken oder Mäntel, auf der
linken Sulter oder auf der Brust hebt si sarlafarben ein Tatzenkreuz
(Croix pattée)[7] ab. Die Aushändigung des Mantels ist ein feierlier Akt,
der aus dem Bewerber einen Templer ad vitam aeternam mat: «Die das
Leben in der Dunkelheit hinter si gelaen haben, mögen erkennen, da es
ihre Pflit ist, dem Söpfer ihre Seele dur reines und weißes Leben zu
empfehlen.»
Ihre Pflit ist es vor allem, die Pilger dur Patrouillen auf den Straßen
na Jerusalem zu besützen, denn dort paieren häufig Raubüberfälle und
Gewalaten. Wer si ins «Heilige Land» begab, um die Orte der Paion
Christi zu ehren, mute damit renen, von Räuberbanden gewalätig
angegriffen, vergewaltigt, getötet zu werden. Die Sekte der Aainen,[8]
häufige Akteure bei solen Überfällen, haen ihren Namen von dem
Hasis, das sie vor ihren Überfällen konsumierten. Beraust von der
Droge, töteten sie ihre Opfer systematis, nadem sie sie ausgeraubt
haen.
Der Templerorden entsteht um 1120 in Jerusalem, das offizielle Datum
seiner Gründung ist aber der Januar 1129, als ein Provinzialkonzil in Troyes
die Prälaten der Champagne und Burgunds versammelt und vor allem der
bedeutende Zisterziensermön Bernhard von Clairvaux anwesend ist, ein
sehr einflureier Mann, besonnener Politiker, Ratgeber der Mätigen,
Kenner der Doktrin. Zunäst war Bernhard nit gewillt gewesen, den
Templern übermäßige Anerkennung zu gewähren, später änderte si seine
Haltung, sie ändert si sogar so grundlegend, da er als Autor eines
berühmt gewordenen Dokumentes hervortrat: sein De Laude novae militiae
ist die rhetoris meisterha formulierte Apologie der Templer:
Überall in den Ländern und in jener Gegend, die Christus in Mensengestalt und als
aufstrahlendes Lit aus der Höhe besut hat, hört man seit kurzem, es sei eine neue Sar
von Riern aufgetreten … Es handelt si um eine neue, der Welt no unbekannte
Riersa, die einen zweifaen Kampf zuglei unermüdli kämp, nämli den gegen
Fleis und Blut und den gegen die bösen Geister des himmlisen Bereies … Ein soler
ist jedenfalls ein unersroener Rier, allenthalben gefeit; seinen Leib bewehrt er mit einer
Rüstung aus Eisen, seine Seele aber mit der des Glaubens. Da er nun dur beiderlei Waffen
gesützt ist, fürtet er weder Teufel no Mensen.
Ihr Moo ist aus Psalm 115 (113B) entnommen: «Non nobis Domine, non
nobis, sed Nomini Tuo da Gloriam» – «Nit uns, o Herr, nit uns, sondern
deinem Namen gib Ehre.» Das klingt wie ein Talisman, es sollte sie
besützen, zumindest auf dem Felde des Christentums. Wir werden sehen,
da das nit ausreien wird.
Wie kommt ein Mön wie Bernhard dazu, einen bewaffneten, also auf
Krieg ausgeriteten Orden so ausdrüli zu glorifizieren? Das
Urristentum hae jede Form von Gewalt abgelehnt. Später hae
Augustinus von Hippo die Lehre vom «Gereten Krieg» entwielt:
Gerete Kriege pflegt man also sole zu definieren, die Unret ahnden; sei es, da ein
Volk oder ein Staat, die mit Krieg zu überziehen sind, es versäumen, das Unret
wiedergutzumaen, das von den Ihrigen gesehen ist, oder zurüzugeben, was dur
Unret weggenommen ist.
(Quaestiones in Heptateuum V 10)
Folgeritig war der näste Sri die Entwilung eines weitergehenden
Konzeptes, dem des «Heiligen Krieges», des Kriegs also, der in Verteidigung
des ristlien Glaubens und der Kire gegen äußere Feinde (Heiden,
Ungläubige) oder innere geführt wird. Das Konzept des «Heiligen Krieges»
ist als Jihad au in der islamisen Welt weit verbreitet, bis in unsere Tage.
Bernhard hae im Verhältnis zu Augustinus den Sinn insofern erweitert,
als er argumentierte, beim Waffengebrau von Seiten der Templer sei Mord
a priori ausgesloen:
Denn der Tod, den man für Christus erleidet oder verursat, trägt keine Suld an si und
verdient größten Ruhm. Hier nämli wird für Christus, dort Christus (selbst) erworben. Er
nimmt wahrli den Tod des Feindes als Sühne gern an und bietet si no lieber seinem
Streiter als Tröster dar … «Denn nit ohne Grund trägt er das Swert. Er steht im Dienst
Goes und vollstret das Urteil an dem, der Böses tut, zum Ruhm aber für die Guten.»
[leit abgewandelt: Röm 13,4; 1Petr 2,14] Ja, wenn er einen Übeltäter umbringt, ist er nit
ein Mensenmörder, sondern sozusagen ein «Mörder der Bosheit», und mit Ret wird er
als Christi Räer gegen die Mietäter und als Verteidiger der Christenheit angesehen.
Mit anderen Worten: Der Heilige Krieg ist der gereteste aller Kriege. Das
Prinzip wird zur Retsgrundlage der Kreuzzüge, die darauf ausgeritet
waren, das Heilige Land zurüzugewinnen, deen si die Ungläubigen
widerretli bemätigt haen. Der Ruf «Deus lo vult!» – «Go will es!»,
mit dem die Kreuzrier zum Angriff srien, gibt in der Kürze eines Moos
diese ausgeklügelte Lehre wieder. Seither haben die Heere vieler Nationen
versut, ihre Soldaten mit einer gewiermaßen heiligen Rolle auszustaen.
Au die Soldaten der deutsen Wehrmat trugen auf ihrer Gürtelsnalle
den Spru «Go mit Uns». Der von Bernhard erarbeitete ideologise
Sild diente jedenfalls lange dazu, unter dem unangreiaren
Demäntelen des Glaubens die handfesten politisen und ökonomisen
Zwee dieser Expeditionen zu versleiern.
Mit einer so kravoll und gesit formulierten Bürgsa verbreitet si
das Image der Templer rasend snell. Ihre Unternehmungen und ihre
strenge, slite Lebensweise sind in ganz Europa in aller Munde. Au die
Legendenbildung ist von Anfang an in vollem Gange. Junge Adelige stehen
Slange, um si freiwillig zu melden, die Rier des Tempels werden immer
zahlreier und der Orden immer mätiger, nit zuletzt, weil die
Aufnahme in der Regel von großzügigen Senkungen begleitet ist:
Landbesitz, Immobilien, Geld, Gesmeide. Spenden kommen au von
Personen, die selbst nit dem Orden beitreten. Viele Mensen tragen zur
Finanzierung des Ordens bei, ging es do um die Befreiung der heiligen
Stäen aus den Händen der Ungläubigen, also um einen Krieg, der
aufwändig organisiert und gekämp werden mute, und der allein son in
Anbetrat der Entfernung sehr hohe Kosten verursate.
Die militärise Ausbildung der Templer ist exzellent, ihre Disziplin
außerordentli streng: Geätet sind die Jagd, Karten- und Würfelspiele,
verboten ist übermäßiges Laen, zu viel und zu lautes Reden, verboten ist
au, die Haare über eine gewie Länge hinaus wasen zu laen. Selbst
der Slaf ist strengstens geregelt, die Rier slafen «in Waffen», stehen vor
dem Morgengrauen auf, sind immer bereit. Wer gegen die Normen verstößt,
wird ausgestoßen oder eingesperrt. Einige Verfehlungen sind mit
erniedrigenden Strafen belegt: zum Beispiel alleine auf dem Boden een sta
am Tis gemeinsam mit den anderen, die allerdings, als ständiger Hinweis
auf die harten Sien, das Een nit zu zweit aus derselben Süel
nehmen dürfen, was eine im Mielalter nit unüblie Praxis war. Ein
immer wiederkehrendes Bild zeigt übrigens zwei Templer im Sael deelben
Pferdes, was allerdings zu boshaen Interpretationen führen sollte.
Elitekorps waren in allen Epoen strengen Regeln unterworfen und sind
es no. Von besonderer Strenge waren bei diesen kämpfenden Mönen die
Normen zum Aulu der Frauen, zu denen der Kontakt so sarf
untersagt ist, da nit einmal erlaubt ist, die eigene Muer zu küen
(mulier instrumentum diaboli – die Frau als Werkzeug des Teufels). Es ist
die üblie argwöhnise Haltung der Mönsorden gegenüber den Frauen,
den – wenn au unfreiwilligen – Agenten des Teufels: «Gefährli ist die
Gesellsa einer Frau, weil der Teufel in alter Zeit dur die Gesellsa
einer Frau viele vom reten Weg ins Paradies abgebrat hat.»
Die Templer sind keine einfaen Rier wie alle anderen, sondern
Soldaten, und zwar in erster Linie für die riskantesten Aufgaben ausgebildet,
und das ist das Neue. Es gab vor ihnen bereits einige Rierorden, die
Cavalieri di San Giovanni (Rier vom Hospital des Hl. Johannes, die
Johanniter) oder au die Cavalieri di Malta (Malteser). Dabei handelte es
si aber um beriene Korps, die für die Pflege und Behandlung von
invaliden oder kranken Pilgern in Spitälern sorgten und nur in
Ausnahmefällen an Militäraktionen teilnahmen.
Die Templer waren die ersten, bei denen der systematise
Waffengebrau vorgesehen war, und diese Kombination von einer inneren
Glaubensrüstung mit der äußerlien Eisenrüstung erhöhte ihre Araktivität
und potenzierte die Verbreitung ihres Ruhms. Wer einmal Zeuge des
sauerlien Spektakels eines ihrer Angriffe geworden war, mit den
wehenden weißen Mänteln, den komple vom Helm bedeten Gesitern,
den Reflexen des Sonnenlits auf den wirbelnden Klingen, wurde die Furt
vor ihnen nit wieder los. Mit der Zeit trug ihre Tapferkeit, ihre
Entsloenheit, nit zuletzt ihr Mysterium zur Mythenbildung bei.
Da die Wahrheit nit anders voll und ganz aufgeklärt werden kann und ein heiger
Argwohn si auf alle erstret hat …, haben wir besloen, da ausnahmslos alle
Mitglieder des selbigen Ordens unseres Königreis festgenommen, gefangengehalten und
dem Urteil der Kire vorbehalten werden, und da all ihre Güter, beweglie und
unbeweglie, beslagnahmt, von uns eingezogen und getreu verwahrt werden.[12]
Der Aurag kann klarer nit sein, au in der Offenbarung der wahren
Absiten. König Philipp, der Enkel Ludwigs IX. des Heiligen, ein Frömmler,
der nie ein Staatsgesä in Angriff nahm, ohne zuvor zwei Meen besut
zu haben, glaubt, zwei Fliegen mit einer Klappe slagen zu können: die
Ketzerei und die in Rierkreisen überhand nehmenden obszönen Praktiken
zu bekämpfen und si eines Satzes zu bemätigen, mit dem er auf einen
Slag all seine, vor allem dur den Krieg gegen England entstandenen
finanziellen Probleme lösen kann.
Der königlie Befehl soll snell und simultan ausgeführt werden, und so
gesieht es au. Am 13. Oktober 1307 nimmt Guillaume de Nogaret
persönli die Verhaung des Großmeisters vor und sut ihn im
Morgengrauen im Pariser Tempel auf. In den geheimen Gewölben deelben
Tempels finden au die grausamen, von den fürterlisten Foltern
begleiteten Verhöre sta. Als der Papst diese Narit erfährt, ist er
gekränkt. Er ist übergangen worden und damit werden seine Autorität und
seine Kompetenzen mit Füßen getreten. Denno entsließt er si zwei
Woen später, dem König zu sreiben:
Ihr habt, geliebtester Sohn, während unserer Abwesenheit den Templern Gewalt angetan und
Eu an ihren Gütern vergriffen. Ihr seid so weit gegangen, sie in den Kerker zu werfen. …
wir haen Eu informiert, da wir die gesamte Angelegenheit bereits selbst in die Hand
genommen haben, wir wollten selbst ermieln, was die Wahrheit sei … In Eurem
überstürzten Vorgehen werden alle nit ohne Grund eine beleidigende Miatung
gegenüber Uns und der Kire von Rom sehen.
Vergeblie Worte, au weil sie zu spät kommen. Der Papst wird si zwei
Monate in Geduld faen müen, bevor er eine Antwort erhält. In der
Zwisenzeit hat Nogaret, der äußerst gesit darin ist, si
zwedienlie Zeugenauagen zu versaffen, eine erklelie Anzahl von
Riern aufgespürt und verhört, die vom Orden ausgestoßen wurden oder
selbst desertiert waren. Er hat jetzt weit mehr in der Hand als nur das Wort
eines Ex-Sträflings, der Gefängnisgeswätz aus zweiter Hand kolportiert.
Die Verhaungswelle ist nun dur einen ordentlien Stapel an
unterzeineten und authentifizierten Verhörprotokollen begründet. Von der
Folter entkräet, unter Androhung von no slimmeren Torturen, gesteht
die Mehrzahl der Verhaeten unter Qualen den einen oder anderen
Anklagepunkt. Nogaret und der Großinquisitor wohnen den peinlien
Befragungen höstpersönli bei. Son ein einziges Eingeständnis genügt,
um den Angeklagten zum Ketzer zu erklären. Weitere möglie
Anklagepunkte sind dann nit mehr von Belang.
Der Historiker Georges Lizerand, der die Akten des Templerprozees
studiert hat, wagt in seinem Werk Le dossier de l’Affaire des Templiers
(Paris 1923) die ese, da das inhumane Vorgehen der Folterknete in der
Weise nit mögli gewesen wäre, wenn Papst Clemens mehr Nadru an
den Tag gelegt häe, sta die vom Großinquisitor angeordneten grausamen
Prozeduren mit resignierter Paivität einfa hinzunehmen. Es wird no
mehr Päpste im Laufe der Gesite geben, au der jüngeren, die ähnlie
Vorwürfe der Kralosigkeit und übertriebenen «Vorsit» auf si ziehen.
Politises Opportunitätsdenken ist in Angelegenheiten wie diesen die
sleteste Ratgeberin.
Von katholiser Seite ist au in jüngster Zeit versut worden, Papst
Clemens’ Verhalten mit den außerordentlien Widrigkeiten zu
retfertigen, mit denen er zu kämpfen hae. Es bleibt aber die Tatsae,
da gewie Maßnahmen, die in seiner Mat gestanden häen, nit
ergriffen wurden. Zum Beispiel häe er den Großinquisitor, der ihm als
Priester Gehorsam suldete, absetzen können. Er wird es au tun, do
wieder einmal, als es bereits zu spät ist. Die wohlwollendsten Historiker
zeinen Clemens als einen friedfertigen, gutherzigen Mensen, nur eben
der Regierungsverantwortung in so swierigen Zeiten nit gewasen.
No dazu mit einem Mann wie Philipp als Gegenpart, der kalt war und
gleizeitig oleris, von tiefem Ha beherrst, der wenige Jahre zuvor
die Dreistigkeit beseen hae, Bonifaz auf dem Papshron ohrfeigen zu
laen. Denkbar ist au, da der Papst befürtete, ein offener Widerstand
häe das slimmste Übel herauesworen, nämli ein Sisma von
Seiten des französisen Königs. Au diese Frage bleibt aber ohne
endgültige Antwort. Die Wahrheit ist, da der Papst zunäst versute,
dur Hinhaltetaktik einen gewien Widerstand zu leisten bzw. auf Zeit zu
spielen, dann aber aus Gründen, die uns nur teilweise bekannt sind, dem
König nagab und das Feld ihm überließ.
Nogaret will den Orden enthaupten, vor allem hat er es auf den
Großmeister abgesehen. Er weiß: Wenn dieser fällt, fällt au der Rest. In
einer der zahlreien Darstellungen des Prozees wird das vermutli dur
Folter erreite Geständnis eines gewien Giaco zitiert, eines Knappen des
Meisters, der behauptet, dieser habe ihn in einer einzigen Nat dreimal
mibraut. De Molay leugnet dies im Verhör. Bei einem erneuten Verhör
gesteht er andere Suld:
Der Templerorden, der zum Ruhme des Namens Christi und des ristlien Glaubens
gegründet worden ist sowie zur Eroberung und zum Sutz des Heiligen Landes, verleugnet
seit langem son dur Verführung des Satans Christus König, besput während der
Aufnahmezeremonie das Kruzifix und vollzieht alia enormia.
Nit als endgültiges Urteil, sondern als apostolise Maßregel heben Wir mit Zustimmung
des Heiligen Konzils den Orden der Templer auf, seine Funktionen, die Nutzung seines
Habits und seines Namens mit absolutem, ewigem Dekret, verbieten ihn für immer und
verbieten strengstens, da irgendjemand von nun an in ihn eintrete, sein Gewand
übernehme, es trage oder beabsitige, si wie ein Templer zu verhalten.
Der Papst sa den Orden nit ab, er besränkt si darauf, ihn
aufzuheben, außerdem mit «nit endgültigem» Urteil, ein
Kompromiverfahren, das angesits so vieler unbewiesener Anklagen sein
Unbehagen zum Ausdru bringt. Er fügt hinzu, da kein Zugriff auf das
Vermögen der Templer toleriert werde, obwohl es von Philipp längst
geplündert worden war. Mit einer nafolgenden Bulle wird der Papst das,
was von diesen Gütern übrig ist, den Cavalieri dell’Ordine di San Giovanni,
den heutigen Maltesern übergeben.
Was de Molay betri, so mu er na sieben Jahren härtester Kerkerha
mit einer Ernährung, die ihn nur mühsam am Leben erhält, einen letzten
Proze erdulden, der am 18. März 1314 endet. In einer extremen Auietung
von Würde, vor einem Gerit, das dies bei einem Mann, der nur no ein
Saen seiner selbst war, nit vorausgesehen hae, beendet der
Großmeister seine kurze Selbstverteidigung, indem er ausru: «Obwohl i
weiß, weles Sisal mi erwartet, will i keine weiteren Lügen
hinzufügen: I erkläre, da der Orden immer retgläubig und frei von
jedem Makel war und verzite bereitwillig auf das Leben.» Widerruf
bedeutet den sieren Tod, de Molay weiß, was ihn diese Worte kosten
werden.
No am selben Abend wird er am Rande der Ile de la Cité vor einer
großen Mensenmenge verbrannt. Später erzählte man si, er habe, als die
Flammen son an ihm hozüngelten, gesrieen, er werde no im selben
Jahr König und Papst im Angesit des Allerhösten wiedertreffen. Der
königlie Notar Geoffroi erzählt in seiner fast idyllisen Versronik von
einem grausamen Tod:
Na de Molay steigt sein Aistent und Freund Geoffroy de Charney auf
den Seiterhaufen und preist den Meister, der nun zum Märtyrer geworden
ist. In der Nat na dem Martyrium soll es Zusauer gegeben haben, die
zur Hinritungtäe kamen, um die sterblien Überreste der beiden als
Reliquien aufzusammeln, bevor sie in alle Winde verstreut wurden.
Ob der sterbende de Molay die Prophezeiung nun wirkli ausrief oder
nit, jedenfalls erfüllte sie si. Papst Clemens kam innerhalb eines Monats
und Philipp im November deelben Jahres zu Tode. Der Papst starb an
Darmkrebs, der König bei einer Jagd na einem Sturz vom Pferd. Wie bei
vielen anderen gewaltsamen Toden, die als besonders ungeret oder
grausam angesehen werden, erhoben si die ersten Legenden bereits aus
den Flammen des Seiterhaufens, und dies sollte no lange so weitergehen.
Tatsäli war das furtbare Ende der Templer nit dazu angetan, ihr
Andenken auszulösen, im Gegenteil: Gerade die Tragik ihres Untergangs
trug dazu bei, es bis in unsere Tage lebendig zu halten. Die Geheimhaltung
ihrer Prozeduren und Regeln, ihre geheimen Orte, ihr immenser Reitum,
die undursitigen Initiationsriten, der Saen des Verdats, der
seinerseits wieder Faszination erzeugte – zahlreie Faktoren trugen das Ihre
dazu bei, die Phantasie zu beflügeln. Gewien Mutmaßungen zufolge sollen
die Erben des alten Tempels die heutigen Freimaurerlogen sein, anderen
zufolge waren es versiedene mysteriöse oder okkulte Gesellsaen wie
die Rosenkreuzer des 16. Jahrhunderts.
Die Templer sollen sogar von den französisen Revolutionären von 1789
verehrt worden sein, die in ihnen die Opfer zweier Mäte sahen: des Königs
und der Kire. Wieder anderen Hypothesen zufolge sind die posthum
entstandenen Templer-Legenden vor allem auf die verwirrenden
Konnotationen ihrer Zeremonien zurüzuführen, in denen Sakrales und
Profanes, Askese und Sinnlikeit, Strenge und Tabubru so miteinander
versmolzen, da fromme ristlie Mären und satanise Anmutungen
kaum no voneinander zu unterseiden waren. In jüngerer Zeit hat das
Emblem der Templer (die son erwähnten beiden Rier auf einem Pferd)
au eine beatlie Anziehungskra auf gewie Gay-Bewegungen
ausgeübt.
Ein beeindruendes Beispiel für volkstümlie Glaubensvorstellungen ist
die hier zitierte Zeugenauage über eine Götzenzeremonie, die am
1. März 1311 vor der päpstlien Kommiion von einem Notar namens
Antonio Sicci da Vercelli gemat wurde, der vierzig Jahre lang in den
Diensten der Templer Syriens gestanden hae, aber kein Mitglied des Ordens
war:
I habe mehr als einmal erzählen hören, was in der Stadt Sidon gesah. Ein Edelmann
dieser Stadt liebte eine armenise Edelfrau; zu ihren Lebzeiten hae er sie fleisli
niemals beseen, do na ihrem Tod, in der Nat na ihrer Bestaung, vergewaltigte er
sie heimli im Grab. Nadem er dies getan hae, hörte er eine Stimme, die zu ihm sagte:
«Komm wieder, wenn die Stunde der Entbindung gekommen sein wird, denn dann wirst du
ein Haupt vorfinden, Frut deines Tuns.» Als jener Tag gekommen war, kam der besagte
Rier zu dem Grab zurü und fand ein menslies Haupt zwisen den Beinen der
bestaeten Frau. Erneut ließ si die Stimme hören und sagte ihm: «Hüte dieses Haupt wohl,
denn es wird dir alles dienstbar maen.» Zu der Zeit, als i diese Erzählung hörte, war der
Kommandant dieses Ortes [Sidon] Mathieu Le Sarmage aus der Picardie. Er war der Bruder
des Sultans geworden, der damals in Babylon [Kairo] herrste, weil der eine das Blut des
anderen getrunken hae, was bewirkte, da sie als Brüder angesehen wurden.[14]
Eine andere, offenbar weit verbreitete Version derselben Gesite endet so:
Er trug das Haupt bei si, das sein Sutzgeist wurde, und er konnte seine Feinde einfa
dadur besiegen, da er es zeigte. Zu gegebener Zeit kam der Kopf in den Besitz des
Ordens.
Viele Rier haen bei der peinlien Befragung über einen Götzen namens
Baphomet gesproen, ein monströses Objekt, das etwas mit der
Beswörung einer Götzenfigur in Form eines Kopfes mit Bart während der
dämonisen Zeremonien zu tun hae. Die ethymologise Herkun des
Wortes Baphomet ist ungewi. Gewien Spekulationen zufolge soll es si
aus einer Verballhornung des Namens Mahomet (der mielalterlien
Sreibweise von Mohammed) herleiten, und in der Tat taut der Prophet
des Islam in den Prozeprotokollen immer wieder auf. Na anderen
Vermutungen könnte es aus dem arabisen Abufihamet entstanden sein,
von den Mauren in Spanien als Bufihimat ausgesproen, was «Vater des
Verstehens» bedeutet.
In seinem Eay Die Templer merkt Alain Demurger an, da es in all
diesen Erzählungen zwei Konstanten gab: die sexuelle Grenzübersreitung
und die Sändung der Toten; das magise Haupt, das den Tod in seinen
Augen hat, seinen Besitzer aber so lange unbesiegbar mat, wie er
vermeidet, es anzusehen. Der Rügriff auf das Medusenhaupt, das
furterregende Symbol weiblier Sexualität, liegt auf der Hand. Und so
kann man die Legende wie die Medusensage interpretieren als «eine
Repräsentation der mit der Furt vor der Frau verbundenen
Phantasievorstellungen, in die mit der größten Selbstverständlikeit au
die emen der Totensändung, des Inzests und der Sodomie integriert
sind.»[15]
Hinzu kommen weitere Elemente von subtiler Esoterik. Zum Beispiel
wurde gesagt, der Kopf, von dem in diesen Erzählungen die Rede ist, sei in
Wirklikeit La Sindone di Torino (das Turiner Grabtu), ein ebenfalls als
magis verehrtes Objekt, das zwisen 1204 und 1307, dem Jahr, in dem alle
Templer verhaet wurden, offenbar ein Jahrhundert lang im Besitz des
Ordens war. Dieser Möglikeit hat die italienise Historikerin Barbara
Frale ihre Untersuung I Templari e la Sindone di Cristo (Die Templer und
das Turiner Grabtu) gewidmet. Drei Templerrier haben nämli bei der
Befragung dur die Inquisitoren Antworten gegeben, die nahelegen, bei
dem angebeteten «Götzen» habe es si um das Grabtu gehandelt. Zur
Bekräigung führt die Wiensalerin an, da Geoffroy de Charney, der
treue Gefährte des letzten Großmeisters Jacques de Molay, ein Mitglied
derselben Familie de Charney war, bei der 1353 die Sindone entdet wurde.
Sole swarzen Legenden, in denen si auf sehr suggestive Weise
orientalise Elemente, Magie und Hexerei, Alemie und verbotene
Sexualität misten, waren allerdings son viel früher weit verbreitet. Der
Rier und Diter Wolfram von Esenba (ca. 1170–1220) mat in seinem
Parzifal aus den Templern die Besützer des Heiligen Grals, eines sakralen
Gegenstandes (aber au Wortes) voller symboliser Bedeutungen und
Mysterien, der von ihm in den Mielpunkt einer Reihe von Abenteuern
gestellt wird, in denen si, ein weiteres Mal, mystise und erotise
Ekstase misen. Au die französisen Troubadoure beginnen in ihrer
hinreißenden Sprae vom Gral zu spreen und tragen auf diese Weise dazu
bei, den Kreis eines Mythos zu erweitern, der si wiederum mit dem der
Templer vermist.
Do was ist der Gral? Zunäst einmal ist es eine der vielen
Jesuslegenden, do so umfaend und verästelt, da sie einen ganzen
Zyklus füllt. Der geheimnisvolle Gral taut im Mielalter in versiedenen
Bedeutungen auf: als Name des Keles, der beim letzten Abendmahl
benutzt wurde; als Sale, aus der Jesus mit seinen Jüngern das Osterlamm
aß; als Gefäß, in dem Joseph von Arimathäa na der Kreuzigung das Blut
des Heilands auffing und das er dann mit si in den Okzident nahm,
begleitet von Maria Magdalena, die Christi Ehefrau und Muer eines seiner
Kinder geworden war.
Andere Male wurde der Gral au als der Teller betratet, mit dem die
Gläubigen an Gemeinsasfesten teilnahmen, ebenso wie Kel und Lanze
nebeneinandergestellt zu sehr dursitigen Symbolen der weiblien und
männlien Energie als Lebensquelle wurden. Die ristlie Tradition wird
zumindest zwei heilige Gefäße hohalten: den Euaristie-Kel und die
Jungfrau Maria. In der Lauretanisen Litanei wird die Madonna als vas
spirituale, vas honorabile, vas insigne devotionis (geistlies Gefäß,
ehrwürdiges Gefäß, vortrefflies Gefäß) bezeinet: denn im Soß, im
Uterus (vas) der Madonna ist Go Fleis geworden.
In Wolfram von Esenbas Versroman ist der Gral kein Kel, sondern
ein Lapis exillis genannter Stein. Eine Bezeinung, die mal als «Stein des
Exils» interpretiert und als sole mit der jüdisen Diaspora in Verbindung
gebrat wird, mal als Lapis ex coelis, also «vom Himmel gefallener Stein».
Dem Autor zufolge soll es ein Smaragd sein, der dem Rebellen Luzifer aus
der Krone fiel, nadem dieser dur das Swert des Erzengels Miael
getroffen wurde. Er sei in den Ozean gefallen, dur Magie vom weisen
König Salomon gereet und in einen Kel verwandelt worden, der dann
von Jesus beim letzten Abendmahl benutzt wurde. Einer weiteren und
wieder anders lautenden Version der Legende zufolge soll der Stein, in ein
Salbengefäß verwandelt, von Joseph von Arimathäa na England gebrat
worden sein, wo er dann verswand. Es gibt au eine symbolise
Interpretation, na der der Gral, je na den Umständen, Symbol der
westlien Tradition, des Unbewuten, des Heiligen Herzens Christi, der
Sexualität wird.
Das Wort «Ende» wird hinter die Gesite dieses mysteriösen Objektes
mit an Sierheit grenzender Wahrseinlikeit niemals gesetzt werden.
Do ist genau dies die Kra der Legende: Solange si die Physiognomie
des «Grals», seine exakte Natur in den Nebeln zwisen Phantasie und
Realität verflütigt, wird seine inzwisen tausendjährige Faszination
weiterleben. Jedenfalls stark genug, um von den ersten Gralsromanen des
12. Jahrhunderts bis zu Filmen wie «Indiana Jones» in unseren Tagen immer
wieder neue «Erzählungen» hervorzubringen. Das älteste bekannte
literarise Werk zur Gralue ist Perceval ou le conte du Graal (Perceval
oder die Erzählung vom Gral, ca. 1180) von Chrétien de Troyes. Wenige
Jahre später wird das Motiv in Deutsland, wie gesagt, von Wolfram von
Esenba aufgegriffen, um si sließli dank Riard Wagner
(«Lohengrin», «Parsifal») bis in unsere Tage zu reen.
Jenseits der nebulösen Legende ist da aber zumindest eine Episode, die uns
no immer besäigt. An jenem sisalhaen Tag im Oktober, an dem
Philipp IV. seine Kommiare auandte, um die Festnahmen durzuführen,
gelang es einem Templerbezirk, den Maenverhaungen unversehrt zu
entkommen. Es waren die Rier, die in Bézu in der Provence, nit weit von
Rennes-le-Château Quartier bezogen haen. Wie es seint, konnten sie si
reen, weil der Kommandant dieser Garnison ein gewier Seigneur de Got
war, ein Mann also mit demselben Familiennamen wie Papst Clemens V.
Vor etwa einem halben Jahrhundert (1956) begann in Frankrei eine
Reihe von populärwiensalien Studien über das Rätsel von Rennes-le-
Château zu erseinen. In diesen Büern, die häufig den Tonfall von
Volkserzählungen haen, wurden Rier, Merowingerdynastie, Rosenkreuzer
und vor allem der verlorene Satz der Templer bzw. jener Teil ihres
Vermögens, den si der gierige König Philipp nit hae unter den Nagel
reißen können, bunt dureinandergemist. 1984 ersien au in Italien der
Weltbestseller dreier Autoren: Miael Baigent, Riard Leigh, Henry
Lincoln. Der Titel: Der Heilige Gral und seine Erben. Ursprung und
Gegenwart eines geheimen Ordens. Sein Wissen und seine Mat. Die
ese: Die katholise Kire soll si das Sweigen des Abbé Bérenger
Saunière erkau haben, der bei der Restaurierung seiner Kire in Rennes-
Le-Château ein explosives Geheimnis entdet hae: Jesus sei nit am
Kreuz gestorben, sondern habe gemeinsam mit seiner Frau Maria Magdalena
und ihrem Kind Zuflut in der Provence gefunden.
Wele Grundlage haben sole Gesiten? Es ist mögli, da Motive
wie Heiliger Gral, Templer, Merowingerdynastie, Bibelgesite,
Christuspaion, wie bei jeder Legende in einer abenteuerlien, reili
unwahrseinlien, also unkontrollierbaren Rekonstruktion versmolzen
sind. An ihrer Faszinationskra besteht kein Zweifel, wie es der Welterfolg
von Dan Browns Da Vinci Code demonstriert. Und zuvor son der Erfolg
eines anderen Romans: Der Malteser Falke von Dashiell Hamme (1930,
mehrfa verfilmt), der den Gralsmythos aktualisiert, indem er ihn
gewiermaßen «verweltlit» und das begehrte Objekt zu einem leblosen
Stü Blei reduziert. Auf der anderen Seite liegt das Faszinosum derartiger
Gesiten gerade in dem Saen, in den sie verwoben sind, den kein
Lit jemals ganz durdringen wird.
Was von den Tempelriern bleibt, ist der harte Kern der Gesite: die
verbreerisen Motive für die Vernitung des Ordens, ihr plötzlies
Verswinden, bei dem si die Gier eines Königs auf verhängnisvolle Weise
mit der mangelnden Courage eines Papstes verband.
X. DAS UNRUHIGE HEER DES PAPSTES
DIE JESUITEN ZWISCHEN GEHORSAM
UND VERSTOSS
D
IE BASILICA DEL GESÙ (JESUSKIRCHE) auf der Piazza del Gesù ist,
wie son der Name vermuten lät, die Muerkire der Jesuiten in
Rom. Auf beeindruendste Weise und mit großer Pratentfaltung
symbolisiert sie das rühaltlose Vertrauen in den Glauben, den Sieg der
Religion, den stolzen Willen zur Revane na dem dur Luther
verursaten Trauma, au die Bedeutung der weltweiten Miion, der si
diese Gesellsa seit ihrer Entstehung gewidmet hat. Die äußere Faade,
die stali ist, aber alles in allem nütern, lät nit erahnen, weler
Aufruhr aus Marmorwerken, Skulpturen, Bronzen, Stuaturen,
Vergoldungen, Rahmungen, Säulen, Gebälk, Fresken in ihrem Innern tobt.
Son die Dimension des Langhauses, die Kühnheit des Tonnengewölbes
allein würden ausreien, großartig Zeugnis davon abzulegen. Aber das ist
nit alles.
Im Zentrum des Gewölbes hat der Baromaler Baciccia (Giovanni
Baista Gaulli) 1679 ein bewegtes Deenfresko mit
dureinanderwirbelnden Figuren gestaltet, das ganz auf einen
verblüffenden perspektivisen Effekt setzt, dur den die Malerei die Dee
zu durbreen und, jenseits des von Engeln gehaltenen vergoldeten
Rahmens, einen Bli in den Himmel zu eröffnen seint. Es ist der
«Triumph des Namens Jesu», und in der Tat ist die beherrsende Figur in
dem gleißenden Lit, das die Mie des Freskos aufreißt und die
Heersaren der rundherum aufgestellten Heiligen und Gläubigen erleutet,
Jesus.
Unzählige Werke sind in dieser Kire versammelt, die eine nähere
Betratung wert wären, in jedem Kunstführer werden sie aufgezählt, do
vielleit ist das, was wirkli zählt, wieder einmal das Ganze, das «auf
einen Bli», die Zusammenballung der Farben und Ornamente, die eine
Absitserklärung, ein Programm, ein Manifest bilden. Das bestätigen zum
Beispiel die beiden Skulpturengruppen zu beiden Seiten des Grabaltars des
hl. Ignatius von Loyola (im linken Arm des Quersiffs). Auf der einen Seite
La Fede e si erge contro l’Idolatria (Der Glaube erhebt si gegen den
Götzendienst), auf der anderen La Religione e abbatte l’Eresia (Die
Religion vertreibt die Häresie). Der Heilige ist unter dem Altar begraben, in
der zentralen Nise über dem Altar steht aber zwisen vier riesigen,
lapislazuliverkleideten Säulen sein großes Standbild, das jeden Tag um 17.30
Uhr enthüllt wird. Dazu mu das Gemälde, das ihn die übrige Zeit verdet,
heruntergelaen werden. Früher war die Statue ganz aus Silber, jetzt besteht
sie großteils aus Stu. Das Original mute auf Befehl Papst Pius’ VI.
gesmolzen werden, nadem ihn Napoleon dur den Vertrag von
Tolentino zu beträtlien Reparationszahlungen verurteilt hae.
Im obersten Stowerk eines angrenzenden Palazzo, der Nummer 45 des
Platzes, sind no die Zimmer des hl. Ignatius zu besitigen bzw. was von
seiner Wohnung übrig ist, die zu Beginn au Sitz der Gesellsa war und
in der ihr Gründer bis zu seinem Tode (1556) lebte. Auf eine kleine
Besonderheit dieser Kire sei no hingewiesen: Direkt zur Linken des
Hoaltars steht ein Denkmal des hl. Robert Bellarmin, eine Büste Berninis.
Das Grab dieses Jesuiten, des führenden römisen eologen der
Reformzeit, der so rei an Geist und so arm an Mitgefühl war, des Mannes,
der Galileo ermahnte, das kopernikanise System nit als Tatsae zu
behaupten, sondern allenfalls hypothetis zu diskutieren, und der Giordano
Bruno auf den Seiterhaufen site, befindet si dagegen in der zweiten
großen Kire der Gesellsa, Sant’Ignazio di Loyola. Wir werden
Gelegenheit haben, auf ihn zurüzukommen.
In Sant’Ignazio finden wir die gleie Pratentfaltung, den gleien
Prunk wie in Gesù, die gleien stolzen Behauptungen, die gleien
hinreißenden Fresken, dieselbe Vision eines Glaubens, der dazu bestimmt ist,
in alle vier (damals bekannten) Weltgegenden verbreitet zu werden, in
stolzer Gewiheit der eigenen Wahrheit. Ungefähr im Zentrum des
Mielsiffs gibt eine runde Marmorplae im Fußboden den Standpunkt an,
von dem aus die perspektivise Anlage des 1685 von Andrea Pozzo
gemalten Deenfreskos am besten zu betraten ist: ein ungeheures
Aufgebot an Figuren, Engeln, Seligen, Heiligen in einem Himmel von
unermelier Tiefe, in dem Sant’Ignazio, angestrahlt vom Lite Christi,
sein Lit seinerseits in die vier bekannten Weltgegenden auendet. No
einmal dieselbe Botsa: die Weltmiion als Hauptziel des Ordens.
Es war Papst Gregor XV. (Aleandro Ludovisi, 1621–1623), ein ehemaliger
Student des Jesuitenkollegs, der seinen Neffen Ludovico Ludovisi 1622 zum
Bau des Tempels anregte. In der reten Nebenkapelle des Chores kann man
sein Grabmausoleum bewundern, vielleit das pathetisste, überladenste
von ganz Rom: ein baldaingekrönter ron, wallende Vorhänge,
Freudenspektakel triumphierender Engel, vielfarbiger Marmor. Auf einem
Podest die Statue des segnenden Papstes, zu seinen Füßen der «Glaube» und
der «Überflu», in einem ebenfalls von Engeln gehaltenen Oval eine
Profildarstellung des Neffen, Kardinal Ludovico. Rundherum in der Kapelle
die Statuen der Kardinaltugenden. In diesem Grabmonument gibt es keine
Ee, keinen Zipfel, der nit von einem Ornament, einer Bewegung, einer
Dekoration, einem Snörkel bedet wäre.
Bemerkenswert au der Altar und das Grab des hl. Aloisius, Luigi
Gonzaga,[1] im reten Arm des Querhauses, überrei an ornamentalen
Skulpturen, Reliefs, Säulen, Symbolen und au hier wieder unermeli
vielen Engeln. Die Kire ist an dem Ort erbaut worden, an dem zur
römisen Kaiserzeit inmien des ägyptisen Viertels der Isistempel stand.
An der Stelle der heutigen Faade stand die Mostra (au: Fontana) der
Aqua Virgo: ein monumentaler Brunnen, Teil des einzigen römisen
Aquäduktes, der zur Zeit des Konsuls Marcus Vipsanius Agrippa erbaut und
bis in unsere Tage in Gebrau geblieben ist. Das Endstü der
Waerleitung mündet in die Fontana di Trevi.
Mit all ihrem Gold, der Bronze, dem Stu und dem Marmor setzen diese
beiden Kiren, die Chiesa del Gesù und die Chiesa Sant’Ignazio, den Glanz
und die Breite der jesuitisen Ambitionen in Szene. Es ist kein Zufall, da
die Jesuiten der meistgehate und der meistgeatete katholise Orden
sind. Er besteht aus Männern von großer Gelehrsamkeit, die fähig sind, die
subtilsten emen zu beherrsen, gleizeitig stehen sie aber au in dem
über die Jahrhunderte erworbenen und gefestigten Ruf, äußerst ungeniert im
Umgang mit Heuelei und Doppelzüngigkeit zu sein.
Ähnli wie die Juden, die berühmt sind für die Witze und Anekdoten, die
sie über si selbst erzählen, maen si au die Jesuiten gerne über die
eigenen Swäen lustig. Auf ihrer italienisen Internet-Seite
www.gesuiti.it findet si das folgende Beispiel für ihren Humor:
Ein Kapuziner stirbt und kommt ins Paradies. An der Rezeption wird ihm seine Wolke
zugeteilt und der Weg dorthin gewiesen. Auf dem Weg sieht er eine von ses Simmeln
gezogene, prätige goldene Kutse kommen, ein Wunderwerk. Kurz darauf tri er den hl.
Petrus: «Heiligkeit», fragt er, «wer war denn das in dieser wunderbaren Kutse?» – «A,
in der …», sagt Petrus, «das war ein Jesuit.» – «Warum er in der Kutse und i zu Fuß?» –
Darauf Petrus: «A, wien Sie, Vater, man tri hier so selten einen Jesuiten …»[2]
Befürten Sie denn nit, wenn Sie mir meinen Spo über Ihre Verkehrtheiten vorwerfen,
da Sie mir nur neuen Anla geben, mi über diesen Vorwurf lustig zu maen und ihn auf
Sie selber zurüfallen zu laen, da i ja beweisen kann, da i nur über das Läerlie
in Ihren Büern gelat habe und da i daher bei meinem Spo über Ihre Morallehre
ebenso weit davon entfernt war, über heilige Dinge zu spoen, wie die Lehre Ihrer Kasuisten
von der Lehre des heiligen Evangeliums entfernt ist? … Wie die ristlien Wahrheiten
unserer Liebe und Ehrfurt würdig sind, so verdienen die Irrlehren, die ihnen
widerspreen, Ha und Veratung. Denn in den Wahrheiten unserer Religion gibt es
zweierlei: eine gölie Sönheit, die sie liebenswert, und eine heilige Majestät, die sie
verehrungswürdig mat. Und au in den Irrlehren gibt es zwei Dinge: die Golosigkeit, die
sie verabseuungswürdig und die Unversämtheit, die sie läerli mat. (Eler Brief).
[4]
Alles hat am 15. August 1534 in Paris seinen Anfang genommen, der in
mehrfaer Hinsit sisalhaen Stadt. Sieben Männer begeben si von
der Sorbonne ins Quartier Latin (das «lateinise» Viertel), durqueren die
Stadt von Süden bis Norden, steigen auf den Montmarte, betreten die sehr
alte, 1147 von Papst Eugen III. geweihte Kire Saint-Pierre. Der Tag hae
mit Aufregungen begonnen, es hae Angriffe auf das Standbild der Jungfrau
Maria gegeben, Tote und Inhaierungen. Zwei Monate später, im Oktober,
werden die Protestanten überall Plakate anslagen, auf denen sie si über
eines der kirlien Dogmen lustig maen, das Hoc est corpus bzw. die
Verwandlung der Hostie na der euaristisen Weihe in den wahren
«Leib Christi», die Tranubstantiation. Der französise König Franz I. wird
persönli an einer Prozeion teilnehmen müen, mit der Fael in der
Hand und zur Sau gestellten Reliquien, um in der theologisen
Kontroverse seine Rolle als katholiser Monar zu behaupten.
1517 hae Luther mit seinen 95 esen die Reformation ausgelöst, 1532
hae Heinri VIII. die Trennung der anglikanisen Kire von Rom
proklamiert – zum ersten Mal seit ihrer Gründung ist die Kire von einer
dramatisen Spaltung betroffen, die ganze Länder ihrer Einflusphäre
entreißt, ein Großteil Nordeuropas wendet si von ihr ab. Das Konzil von
Trient und die Gegenreformation stehen bevor, do der
Wiederbelebungsproze wird lange dauern, es werden also unmielbar neue
Kräe gebraut, um den «Häresien» zu begegnen.
Die sieben Freunde, die si am Montmartre versammeln, sind zwisen
19 und 43. Jahren alt, studieren eologie, haben untersiedlie
Erfahrungen und kommen aus versiedenen Lebenswelten, gemeinsam
haben sie neben dem Glauben vor allem eines: eine enorme Zielstrebigkeit.
An diesem Tag im August, an dem die Katholiken Mariä Himmelfahrt feiern
(die 1950 Dogma wird), gehen diese sieben in einem feierlien Ritual eine
Verbindung ein und geloben Armut, Keusheit und eine Wallfahrt ins
Heilige Land. Später sollen daraus vier Gelübde werden: Armut, Keusheit,
Gehorsam und völlige Unterwerfung gegenüber dem Papst. An diesem
fernen 15. August entstand der Orden der Gesellsa Jesu. Ein einziger der
sieben war Priester, der Franzose Pierre Favre. An seiner Seite die Spanier
Ignatius von Loyola, Francisco de Xavier, Nicolás Bobadilla, Alfonso
Salmerón, Giacomo Laynez und der junge Portugiese Simon Rodriguez.
Drei Jahre später, 1537, kommen die sieben na Rom und bien den Papst
um Genehmigung ihres Ordens. Im selben Jahr werden sie in Venedig zu
Priestern geweiht. Das Heilige Land bleibt aber no in weiter Ferne, die
damals geführten Kriege maten die Reise dorthin praktis
undurführbar. 1540 wird die Gesellsa Jesu offiziell als Orden anerkannt.
Als erste Miion erteilt ihm Papst Paul III. den Aurag, allen Kindern der
Sulen Roms den Kateismus beizubringen, während Ignatius von Loyola
zum Ordensgeneral ernannt wird.
Wie alle Initiatoren großer Unternehmen ist au Ignatius eine
außergewöhnlie Persönlikeit, was umso bemerkenswerter ist, als er
physis von eher swaer Konstitution ist. Er wurde 1491 in Loyola
geboren, in der baskisen Provinz Guipúzcoa, wenige Kilometer von Santo
Sebastian enfernt, in einer Familie des Kleinadels, die ihm eine militärise
Lauahn vorgibt. Über seine Jugendjahre liest man versiedene
Gesiten, die alle den üblien Semata der Heiligenlegende folgen:
Loerleben, Verswendung, Praerei, Feste, Frauen, Waffen. Eines Tages
aber wird der junge Ignatius in Pamplona beim Kampf gegen die Franzosen
swer verletzt und bleibt für geraume Zeit ans Be gefeelt. In dieser Zeit
der Genesung fällt ihm, nadem er alle Rierromane ausgelesen hat – die
seinem Temperament und seinen Erfahrungen am ehesten entspreen –, ein
Bu über das Leben Christi in die Hände. Es ist wie ein Blitzslag.
Vor dem Bildnis der Swarzen Madonna im spätmielalterlien Kloster
Santa Maria de Montserrat (La Moreneta, die Sutzheilige Kataloniens) legt
am 25. März 1522 der knapp über dreißigjährige Ignatius seine Waffen, das
Swert, den Mantel ab. Mit einem Pilgerstab, einem groben Umhang,
Sandalen an den Füßen beginnt er umherzuwandern, zuerst in Europa, dann
bis na Jerusalem, dana wieder in Spanien, wo er mit seinen
theologisen Aktivitäten beginnt. Im Februar 1528 besut er in Paris die
Sorbonne, lernt er die Gefährten kennen, mit denen er den Orden gründen
wird.
Die ins Auge springende Stärke seiner Persönlikeit liegt in seinen
Fähigkeiten als Gelehrter und eologe. Er ist von swaer Gesundheit,
das Reisen wird ihm bald zu mühsam, im Übrigen weiß er, da er seine
Fähigkeiten am besten bei der Ausarbeitung einer Doktrin einsetzen kann.
Und in der Dursetzung von Disziplin. Für ihn ist die Praxis des Glaubens
der des Militärs sehr ähnli. Den militärisen Gehorsam, auf den ihn seine
Eltern getrimmt haen, überträgt er auf den Willen der Kire und ihren
obersten Hirten. Als er 1556 in Rom stirbt, besreibt der Anatom und
Pathologe der Universität von Padua, der die Autopsie durgeführt hat, in
seinem Befund einen von Krankheiten gepeinigten Körper: «Aus den Nieren,
den Lungen, der Leber und der Pfortader habe i eine endlose Zahl von
versiedenfarbigen Gallensteinen herausgeholt.»
Pionier der Miionsbewegung, der Evangelisierung bis in die
entferntesten Erdteile war aber nit Ignatius, sondern ein anderer der
Gründer: Francisco de Xavier, au er Spanier, 1506 in Navarra in einer
adeligen Familie geboren, deren Güter aber na dem Sieg über die pro-
französisen Autonomisten Navarras von Ferdinand dem Katholisen
konfisziert wurden. Um dem Elend zu entfliehen, verlät Francisco de
Xavier (dt.: Franz Xaver) das Elternhaus und flütet ebenfalls na Paris,
wo er eologie studiert und sehr snell Dozent wird. Sein abenteuerlies
Leben beginnt 1540, dem Jahr, in dem der Orden offiziell anerkannt wird.
Von Liabon aus si er si na Ostindien ein. Zehn Jahre lang wird er
den Orient miionieren, bis na Japan kommen und kurz vor der Einreise
na China auf der Insel Sancian vor der But von Kanton (heute:
Guangzhou), zermürbt von den Strapazen seiner Reisen, mit nur 46. Jahren
sterben. Das berühmte Gemälde Bartolomé Esteban Murillos zeigt ihn bla,
auf einen Sto gestützt, die Augen zu einem vom Lit aufgerienen
Himmel erhoben. Fünfzehn Monate später werden seine sterblien
Überreste na Goa (Indien) transportiert, und hier mist si in die
Erzählung ein weiteres, wundersames Element.
Es wird nämli erzählt, sein Leinam habe nit die geringsten
Anzeien von Verwesung aufgewiesen, sein Blut habe no aus den Venen
getrop – lautstark wird ein Wunder verkündet. In Goa also wird er
bestaet, do nit einmal im Tode sollte er Ruhe finden. Aufgrund der ihm
zugesriebenen Wunderkräe wird der Leinam zerteilt, werden Glieder
und Organe in alle Himmelsritungen versit. Sein reter Unterarm
tri 1614 in Rom ein, in der Chiesa del Gesù, wo er in einem
Reliquiensrein no heute auewahrt wird. Daelbe Sisal blüht in
den nafolgenden Jahrhunderten den inneren Organen, begleitet von
Auswüsen eines eten Fanatismus, genährt von der Leitgläubigkeit des
Volkes. Das Acqua di Saverio, ein einfaes Quellwaer, das angebli mit
Teilen seines Leinams in Berührung gekommen war, sollte Fieber heilen
können. Mit dem Waer von Loyola gemist soll es dagegen ein gutes
Miel gegen Wurmbefall sein. In Bayern glaubte man bis zum Ende des
18. Jahrhunderts, das Bildnis Franz Xavers an einer Fuerkrippe könne den
Teufel daran hindern, die Herde krankzumaen.
Die Untersiedlikeit dieser beiden Existenzen, die si aber für denselben
Glauben verzehrten, laen die beiden prinzipiellen Berufungen begreifen,
die die Gesellsa Jesu seit ihren Anfängen geleitet haben: der Kampf um
den wahren Glauben, die katholise Antwort auf die protestantise
«Ketzerei» und die bis an die äußersten Grenzen der Welt getriebene
Evangelisierung. Man sagt, diese weltumspannende Miion habe sogar
eines der berühmtesten Werke Berninis inspiriert, auf direkten Einflu des
deutsen Jesuiten Athanasius Kirer (1602–1680), eines Wiensalers,
Profeors für Mathematik am römisen Kolleg: den Vierströmebrunnen auf
der Piazza Navona, in dem der Künstler außer den vertrauten Flüen Nil
und Donau zum ersten Mal au die der weit entfernten Kontinente
dargestellt hae, den Ganges und den Rio de la Plata.
Von einem jungen Mann, der Jesuit werden wollte, wurden beatlie
Fähigkeiten erwartet: spirituelle Gefestigtheit, Treue zum Orden, gutes
Gedätnis, die Fähigkeit, einen korrekten Diskurs zu formulieren. Damals
wie heute wurde sein Leben von strengen Normen diszipliniert. Simon
Rodriguez, einer der sieben Ordensgründer, der vom König von Portugal
protegiert wurde, erzog die Jesuiten-Aspiranten mit unerbilier Strenge,
verpflitete sie zum Fasten und zur Selbstgeißelung und soll – einigen
zeitgenöisen Quellen zufolge, die aber vielleit nit gerade
wohlwollend waren – die Regel eingeführt haben, sie in ihre Zimmer
einzusließen oder sie vor einem Leinam beten zu laen. Das Wort
«Gehorsam» steht also, nit weniger als es in einer militärisen Einheit
der Fall wäre, im Zentrum der Jesuitendoktrin.
Das Instrument zur Modellierung und Läuterung der Seelen, ihrer
Annäherung an das Verständnis der gölien Botsa, sind die von
Ignatius von Loyola verfaten und vom Papst gebilligten Esercizi Spirituali
(Geistlie Exerzitien). Vier Woen lang, so sreibt der Gründer, solle man
si an einen geeigneten Ort zurüziehen (die später Case di esercizi
genannten «Exerzitienhäuser»), dort ganze Tage in Sweigen versunken
verbringen und über das Leben Christi meditieren. Ein geistlier Führer
wird dabei helfen, die vom Himmel gekommenen Botsaen beer zu
verstehen, um sließli das privilegierte Stadium der Contemplatio ad
amorem (Betratung zur Erlangung der Liebe) zu erreien. Diese Praxis
hat no heute große Bedeutung, wie es die Existenz der Federazione
Esercizi Spirituali (kurz: FIES, Föderation der geistlien Exerzitien) bezeugt,
die mit der Aufgabe betraut ist, die Regeln des hl. Ignatius zu verbreiten und
zu befördern.
Neben der spirituellen Erziehung des Einzelnen steht als Garantie der
kollektiven Effizienz die Disziplin des gesamten Organismus. Wieder drängt
si die Ähnlikeit mit einer Militärorganisation auf und hat man einen
dazu bewogen, die Jesuiten als «Heer des Papstes» zu bezeinen. Ignatius
ist es, der die Costituzioni diktiert, in denen die Regeln und Pfliten
formuliert sind: Der Orden ist auf eine straffe hierarise Ordnung
gegründet, in der jeder Grad dem jeweils übergeordneten absoluten
Gehorsam suldet. An der Spitze der Pyramide steht der Papst, dem man,
wie Ignatius sreibt, Gehorsam perinde ac cadaver (den sog.
Kadavergehorsam) sulde. Ein absoluter Gehorsam, zusammengefat in
dem berühmten Moo: «I werde glauben, da Weiß Swarz ist, wenn es
die Kire so definiert.»
In Rom gab es, neben den beiden herrlien Kiren, mit denen dieses
Kapitel begann, weitere bemerkenswerte Orte, die mit der Gesellsa Jesu
in Verbindung stehen. Einer davon war die Jesuitensule Collegio romano,
das römise Seminar zur Ausbildung neuer Studenten, also von besonderem
Gewit angesits der Rolle und der intellektuellen Kompetenzen, die von
den künigen Priestern gefordert wurden.
1584 gegründet, war das Collegio romano bis 1773, dem Jahr seiner
vorübergehenden Sließung, wie wir sehen werden, die witigste
Jesuitensule. 1814 kehrte die Gesellsa Jesu hierher zurü, eine Folge
der von Pius VII. na dem Zusammenbru der napoleonisen Herrsa
in Italien verfügten Neugründung des Ordens. Endgültig verlaen mute
sie es 1870, als na der Annexion Roms dur das Königrei Italien die
Regierung das römise Kolleg konfiszierte und teilweise zu einem
Gymnasium umwidmete. Ein Großteil des Lehrplans war – und ist heute
no – der kirlien Doktrin gewidmet, do mu man anerkennen, da
die Jesuiten inzwisen au Latein, Grieis, Poesie, Philosophie in ihr
Studium eingesloen haben. Vor allem in den «häretisen» Ländern
haen die Jesuiten-Sulen das nit allzu verdete Ziel, junge Mensen
an die römise Kire heranzuführen. Tatsäli siten sehr viele, au
nit-katholise Familien ihre Kinder aufgrund der Qualität des Unterrits
und des hervorragenden Rufes dieser Institute in die Kollegs.
Mit dem Anwasen der Mat der Gesellsa Jesu nahmen au die
Anfeindungen zu, denen sie ausgesetzt war, nit nur an vielen Höfen ganz
Europas, sondern au innerhalb der Kire selbst. Wobei natürli nit zu
leugnen ist, da die Jesuiten in viele ret fragwürdige irdise Affären
involviert waren. In dem Eay Ligne de foi: la Compagnie de Jésus et
l’esclavage dans le processus de formation de la société coloniale en
Amerique portugaise (Glaubenslinie: die Gesellsa Jesu und die Sklaverei
im Entstehungsproze der kolonialen Gesellsa im portugiesisen
Amerika) gibt der brasilianise Sozialwiensaler Carlos Alberto de
Moura Ribeiro Zeron ein Beispiel. Er weist na, da die Jesuiten bis zu
ihrer Ausweisung aus Brasilien 1759 die Arbeitskra von Eingeborenen und
Afrikanern benutzten und no dazu Sklavenhandel aus Angola betrieben.
Beim Tode Clemens’ XIII. im Februar 1769 bra die Jesuitenfrage mit
einer solen Virulenz auf, da si bei der Wahl eines Nafolgers die
Diskuionen zu einem erheblien Teil um sie drehten. Ganz offen
verlangten angesehene Exponenten des Hauses Bourbon, da die
Kandidaten für den Petrusthron eine srilie Verpflitung zur
Auebung des Ordens abgeben sollten. Drei Monate und 180 Wahlgänge
vergingen, bis mit Gian Vincenzo Antonio Ganganelli (Clemens XIV., 1769–
1774) endli ein Nafolger gewählt war. Ein Mann in den Sezigern aus
der Romagna, der von allen als akzeptabler Kompromikandidat betratet
wurde, obwohl er eine offizielle Festlegung auf ein Verbot des Ordens
verweigert hae.
Clemens hae eine komplizierte politise Situation geerbt, die er
zunäst dur die strategise Verleihung von einigem Kardinalspurpur zu
bewältigen sute. Der Papst wollte Zeit gewinnen. Die Polemik ging aber
weiter und zeigte nit die geringsten Anzeien einer Beruhigung. Na
vier problematisen Jahren sah er si gezwungen, im Juli 1773 die
Auflösung der Gesellsa Jesu zu verordnen, und befahl sogar, ihren
General Lorenzo Ricci zu verhaen, der darauf bis zu seinem Tode als
Gefangener im Castel Sant’Angelo saß.
Die Daten sind witig. Wir befinden uns im letzten Viertel des
18. Jahrhunderts, des Jahrhunderts der Aulärung mit all den nahaltigen
politisen und kulturellen Folgen, die diese Vision der gesellsalien
Existenz und Organisation, der Beziehungen der Mensen untereinander
und zu ihrem Staat in Europa und in der Welt haben wird. In Frankrei sind
die Enzyklopädisten dabei, die Fundamente der absolutistisen Monarie
zu zersetzen. In England hat einige Jahrzehnte zuvor jene Glorious
Revolution stagefunden, die mit der konstitutionellen Monarie die Rete
des Parlaments gegenüber der Krone gestärkt hat. Nit von ungefähr wird
gerade in jenen Jahren die Gesellsa Jesu zur Hauptzielseibe, die von
vielen, nit immer zu Ret, als Inbegriff der rüsrilisten Aspekte der
katholisen Kire angesehen wird.
Für einen idealen Jesuiten-«Spaziergang» dur Rom bietet si no ein
weiterer bemerkenswerter Ort an, die herrlie Bernini-Kire Sant’Andrea
al Quirinale, von der bereits im Kapitel «Genies und Rivalen» die Rede war,
die wir nun aber unter einem ganz anderen Gesitspunkt betraten wollen.
Die Kire und das danebenliegende Kloster waren für das Noviziat der
jungen Jesuitenanwärter bestimmt. In der ersten Kapelle rets ist auf einem
Gemälde Baciccias der Tod Francisco de Xaviers (Franz Xavers) dargestellt,
der das Kruzifix fest an die Brust gedrüt hält und umringt ist von Engeln
und Cherubim, die ihm im Todeskampf Trost zuspreen. Unter dem Altar
wird in einer kostbaren Urne der Leinam des hl. Stanislaus Kostka
verwahrt, eines jungen polnisen Jesuiten, der gerade einmal atzehn
Jahre alt wurde.
Kostka wurde im Oktober 1550 in Rostkow geboren, wenige Kilometer vor
Warsau, in einer adeligen Familie. Sein Vater, Prinz Jan, war Senator des
Königreies. Na Wien gesit, um sein Studium zu beenden, begann er,
die geistlien Exerzitien na den Ignatius-Regeln zu praktizieren. Im
Untersied zu seinem Bruder, einem jungen Libertin, war Stanislaus zutiefst
religiös. Mit fünfzehn Jahren wurde er swer krank, und zwar ausgerenet,
als er zu Gast im Hause eines Lutheraners war. Sein Erzieher Jan Bilinski,
der annahm, er liege im Sterben, wollte eigentli einen Priester rufen, um
ihm die Letzte Ölung zu erteilen, fürtete aber die Reaktion des Hausherrn,
der für katholise Geistlie nits übrighae.
Da gesah etwas Außerordentlies, wie die Hagiographie beritet:
Der Erzieher sah mit großem Erstaunen, wie Stanislao plötzli von einem himmlien
Glanz erleutet war und einen Ausdru von Sanmut und Ehrerbietung annahm. Do
wurde sein Erstaunen no größer, als dieser si zu ihm wandte und ihm mit klarer und
deutlier Stimme sagte: «Knie nieder und bete zum Heiligen Sakrament. Zwei Engel des
Herrn sind mit Ihm, und au die Jungfrau und Märtyrerin, die hl. Barbara.»
Der junge Mann hae eine Erseinung gehabt, bei der ihm, wie von ihm
selbst später bestätigt wurde, einer der Engel die heilige Kommunion erteilt
hae. Stark in seinem Glauben beslo Stanislaus, ohne jemandem etwas
zu sagen, sofort na Rom aufzubreen, um Jesuit zu werden. Er befürtete
nämli, da seine Familie dagegen sein würde. Na einem kurzen
Aufenthalt in Deutsland mate er si auf die Reise na Rom, zu Fuß.
Und hier wiederholte si das Phänomen der Erseinung. Eines Tages
betrat er eine Kire, die katholis gewesen, dann aber in ein
protestantises Goeshaus umgewandelt worden war. Als Stanislaus deen
gewahr wurde, ergriff ihn ein großes Unbehagen. Soglei aber ersienen
ihm einige Engel, die auf ihn zugingen, und einer davon reite ihm die
geweihte Hostie. Stanislaus fiel auf die Knie und empfing das Sakrament
direkt aus diesen himmlisen Händen. Na einer Reise von 1
500 Kilometern – und während die Familie wegen seines Verswindens am
Verzweifeln war, kam der junge Mann sließli in Rom im Hause der
Novizen an. Vielleit dur die Strapazen der Reise oder aufgrund seiner
swaen Konstitution starb er am 15. August 1568, wie gesagt, im Alter
von 18. Jahren.
Die Kire bekundete ihm die hösten Ehren. 1605 wurde er
seliggesproen, als erstes Mitglied der Gesellsa Jesu überhaupt. 1671
wurde er Nationalpatron Polens, 1726 von Papst Benedikt XIII. (1724–1730),
gemeinsam mit Luigi Gonzaga heiliggesproen. Später wurde er zum
Sutzheiligen der religiösen Novizen, der Jugend und au der Todkranken.
In den neben der Kire Sant’Andrea gelegenen Räumlikeiten ist no die
Kapelle erhalten, in der der arme junge Mann im Sterben lag, dazu eine sehr
beeindruende Skulptur, die ihn in den letzten Augenblien vor seinem
Tod zeigt. Das Werk wurde 1702 von Pierre Legros ausgeführt, einem Pariser
Bildhauer, der si in Rom niedergelaen hae, wo er unter dem Namen
Monsù Legros bekannt war. Es ist vollständig aus versiedenfarbigen
Marmorsorten komponiert, die mit überwältigendem Realismus den
Sterbenden mitsamt seiner Kleidung und seinen persönlien Gegenständen
sowie das Totenbe verkörpern.
In derselben Kire Sant’Andrea wurde übrigens au der Eintri des
berühmten Jesuiten Maeo Ricci (1552–1610) in die Gesellsa gefeiert,
eines Mathematikers und Kartographen, dem es als erstem aus dem Westen
gekommenen Mensen gestaet war, si in Peking niederzulaen, der
Hauptstadt des Himmlisen Reies, wo ihm sogar Einla in die Verbotene
Stadt gewährt wurde.
Von einem zweiten illustren Grab mu an dieser Stelle beritet werden,
denn die Gesite der Jesuiten konstruiert si dur die Erinnerung und
den Totenkult nit weniger als dur die Taten der Lebenden. In der zu
Beginn des Kapitels genannten Kire Sant’Ignazio kann man in der drien
Kapelle rets, unter dem Altar, die in prätigen Kardinalspurpur
gekleideten sterblien Überreste Robert Bellarmins (1542–1621) sehen, au
er blutjung in die Gesellsa eingetreten, mit einem ganz anderen Sisal
allerdings als Stanislaus Kostka.
Bellarmins Knoen sind mit Silberfäden zusammengebunden, wie au
die Masken, die sein Gesit und seine Hände bedeen, aus Silber sind. Sein
Geist war kravoll, sein Verstand sarf wie eine Rasierklinge. Das stellte er
bereits als junger Mann unter Beweis, als er gut drei Tage lang seine
Doktorarbeit in eologie verteidigte, und er sollte eine erbarmungslose
Bestätigung dafür liefern, als er mit unversöhnlier Entsiedenheit den
Philosophen Giordano Bruno auf den Seiterhaufen site. Mit kaum
30. Jahren war er als Profeor in die Jesuitenuniversität Gregoriana berufen
worden und spezialisierte si dort vor allem auf die Instruktion von
Studenten aus Nordeuropa, die na der Rükehr in ihre Heimatländer
gegen den Protestantismus gewappnet sein muten.
Bellarmin hae klar erkannt, da na dem Dammbru der Orthodoxie
dur Luther ein Dominoeffekt drohte, der no sehr viel mehr mit si
reißen konnte. Deshalb mate er die Verteidigung der Doktrin und des
Kanons zu seinem Lebensinhalt, und deshalb mute Giordano Bruno
sterben. Der Proze gegen den Philosophen hae trotz aller Verhöre und
aller Folter in sieben Jahren keinen einzigen stihaltigen Beweis erbrat.
1599 nahm ihn der unerbilie Kardinal selbst in die Hand und brate ihn
innerhalb weniger Woen zum einzig möglien Urteilpru: der
Todetrafe für den Angeklagten, der als Ketzer lebend verbrannt wurde. Das
Jahr 1600 war zum Heiligen Jahr ausgerufen worden, das Bild des si in den
Flammen windenden Philosophen sollte allen zur Mahnung dienen, die von
Luthers Ketzerei in Versuung geführt waren, ob sie nun Pilger waren oder
Römer.
Intuitiv hae Bellarmin verstanden, da Bruno mit seiner Vision einer
unendlien Vielfalt von Welten eine neue Ära der Freiheit des Gedankens
eröffnet hae; da die gesamte Glaubenslehre einzustürzen drohte, wenn
man das auf die kanonise Auslegung der Sri gegründete Gebäude in
Frage stellte. In seinem Werk De l’infinito, universo et mondi (Über das
Unendlie, das Universum und die Welten) hae Bruno gesrieben:
«Unzählige Sonnen existieren und unzählige Erden umkreisen diese
Sonnen.» Später wird man erkennen, da dies den Tatsaen entsprit.
Bruno hae eine eorie aufgestellt, die den Entdeungen der
Astronomen um Jahrhunderte voraus war, die aber die Vorstellung von
einem Söpfergo, den Glauben an die Erlösung der Mensheit dur das
Werk Jesu swieriger mate. Der Philosoph hae also gewiermaßen den
Boden des Christentums verlaen, und das dure nit unbestra bleiben.
Die Ironie der menslien Irrtümer will es, da im Mai 2008 ein anderer
Jesuit, Pater José Gabriel Funes, der von Papst Benedikt XVI. ernannte
Direktor der Specola Vaticana, des Vatikanisen Observatoriums, in aller
Ruhe und Gelaenheit erklärte, da man die Existenz anderer Welten und
anderer Leben, die vielleit sogar weiter entwielt sind als die unseren,
sehr wohl zugeben kann, ohne deswegen den Glauben an die Söpfung, an
die Menswerdung Christi und die Erlösung in Frage zu stellen. Der arme
Bruno hae dieselben Dinge gesagt, nur mit einem allzu exzeiven
zeitlien Vorsprung.
Das von den Jesuiten betriebene Verfahren der Selig- und Heiligspreung
Bellarmins hat si mehr als drei Jahrhunderte lang hingezogen, von 1627 bis
1930. Tenise Gründe und doktrinäre Motivationen standen dem
entgegen, Zweifel, ob ein soles Verfahren angebrat sei für einen Mann,
der im Falle Giordano Brunos in einer Art und Weise agiert hae, die selbst
von katholiser Seite als kriminell angesehen wurde. Von Papst Pius XI.
seliggesproen im Jahre 1923, heiliggesproen 1930, ist Bellarmin im Jahr
darauf zum katholisen Kirenlehrer ernannt worden, zu verehren als
Patron der Kateeten und der kanonisen Advokaten. Seine Grabinsri
besagt: «Mein Swert hat die homütigen Geister bezwungen.» Als in
Rom 1889 das Standbild Giordano Brunos auf dem Campo de’ Fiori
eingeweiht wurde, versite Papst Leo XIII. einen Mahnbrief, der allen
Gläubigen verlesen werden sollte. Darin wurde der Philosoph no einmal
gebrandmarkt. Au später hat der Vatikan Vorstöße zum Abri des
Monuments gemat. In diesem Falle gereit es dem damaligen Staatsef
Benito Muolini zur Ehre, si diesen Versuen widersetzt zu haben.
Die Welten dieser beiden Heiligen, des jungen Polen, der von Jesus und
Engelserseinungen heimgesut mit atzehn Jahren starb, und des
gnadenlosen Mannes der Doktrin, der fast atzig Jahre alt wurde, könnten
nit weiter voneinander entfernt sein. Beide sind Jesuiten, beide
hoverehrt, und angesits ihrer ins Auge springenden Ungleiheit drängt
si die Frage auf, ob es ein umfaendes Merkmal der Gesellsa Jesu gibt,
einen gemeinsamen Nenner. Wer sind eigentli die Leute, aus denen dieses
«Heer des Papstes» besteht? Gehoren ihre Aktionen nit allzu o den
tagesaktuellen Erfordernien der Politik? Wele Rolle hat die Gesellsa
im inneren Zwiespalt des katholisen Glaubens zwisen dem Heer der
Nästenliebe und der stolzen Verkündigung der Wahrheit vorherrsend
gespielt? Tatsäli hat das Verhalten der Jesuiten, ihre theoretise Arbeit
wie ihr Handeln, häufig zwisen diesen beiden Polen oszilliert.
1981, einem Jahr erhitzter interner Debaen der Gesellsa, hat Papst
Johannes Paul II. anstelle von Vincent O’Keefe, der von den Jesuiten
designiert worden war, den erkrankten Pater General Pedro Arrupe
abzulösen, Paolo Dezza zum persönlien Delegaten des Ordens ernannt.
Der offiziellen Lesart zufolge versute der Vatikan auf diese Weise, «eine
gewie Orientierungslosigkeit» in der Gesellsa Jesu zu regulieren und
den Jesuiten «in ihrer Urteilsfähigkeit beizustehen». Die inoffizielle Version
dagegen besagt, da dieser Handstrei notwendig war, um die linken
Strömungen innerhalb der Gesellsa unter Kontrolle zu bringen, die in
Lateinamerika in die Bewegung eologie der Befreiung involviert waren.
Allgemeiner gesagt war es das Anliegen, der von Pedro Arrupe im Laufe
seines beinahe zwanzigjährigen Mandats herbeigeführten «liberalen» Wende
gegenzusteuern.
1968 nämli hae die Lateinamerikanise Bisofskonferenz in Medellin
(Kolumbien) gegen die diktatorisen Regimes Stellung bezogen: grausame,
repreive Militärdiktaturen, die häufig von der römisen Kire unterstützt
oder jedenfalls nit offen bekämp wurden. Gegen diese Politik der offenen
und nit selten blutigen Unterdrüung hae si ein Großteil des
südamerikanisen Klerus formiert und si an die Seite der entreteten
Bevölkerungsteile gestellt, ihren Kampf unterstützt und si für eine sozial
aktive Kire des Volkes ausgesproen. Die eologie der Befreiung ist vom
Vatikan nie anerkannt worden. Im Gegenteil wird er es für notwendig
halten, sie einzudämmen, au um den Preis des Autonomieverlustes der
Jesuiten, die zwar den hohen Würdenträgern der Kire nahestehen, aber
au den unterdrüten Völkern Lateinamerikas.
Ein weiteres ema hat im Jahre 2001 eine heige Debae ausgelöst, als die
Mailänder Tageszeitung Il Corriere della sera einer Diskuion zwisen dem
amerikanisen Historiker David Kertzer, Autor des Bues Die Päpste gegen
die Juden, und Pater Giovanni Sale, Historiker der Gesellsa Jesu, Raum
gab. Kertzer hae der Kire vorgeworfen, sie habe dur ihr
jahrhundertelanges Antijudentum dem Antisemitismus das Terrain bereitet.
Zum Beweis zitierte der Autor unter anderem eine Reihe von Artikeln, die in
dem 1850 gegründeten, zweimal im Monat erseinenden Jesuitenorgan La
civiltà cattolica (etwa: Die katholise Zivilisation) ersienen war. 1882
hae Civiltà caolica mit besonderer Genugtuung die ersten Kongree der
modernen antisemitisen Bewegungen angekündigt. 1890 hae es drei
Artikel über die «Judenfrage» publiziert, mit Behauptungen, die die
diffamierendsten Verleumdungen der Nazis vorwegnahmen. Später waren
diese Beiträge in einem in mehreren Spraen herausgegebenen Bu
versammelt worden.
Der Historiker der Jesuiten entgegnete, da das von Civiltà caolica
demonstrierte Antijudentum umgehend korrigiert worden sei; da si die
Zeitsri im Gegenteil 1938 als einziges Publikationsorgan Muolinis
Raengesetzen entgegengestellt habe. In der Tat gab es unter den
katholisen Priestern einsließli der Jesuiten zahlreie Fälle von
Opposition gegen das Regime und in der Zeit der Resistenza (des
Widerstandes gegen die deutsen Besatzer) sogar von Nähe zu den
Freiheitskämpfern. Zur Frage des Antisemitismus aber bleibt das Image der
Gesellsa substantiell uneindeutig, ähnli wie das des Vatikans.
Sogar Pater Sale hat, als er im November 2008 in Civiltà cattolica auf das
ema einging, die Haltung Eugenio Pacellis als Staatekretär, also bevor er
Papst Pius XII. wurde, als «eccessivamente prudente» (übertrieben
vorsitig) bezeinet: «In dieser Frage nahm das Staatekretariat eine eher
vorsitige Haltung ein, in dem Glauben, man könne auf diese Weise etwas
Konkretes zum Vorteil der Juden erreien, insbesondere für diejenigen, die
zum Katholizismus konvertiert waren.» Mit diesem Verhalten erhoe man
von der fasistisen Regierung, da diese «als Diskriminierungskriterium
nit die biologis-raise Zugehörigkeit heranziehen würde, sondern die
religiöse», weshalb es, so ergänzt Pater Sale, «heute, vor allem na der
Öffnung des Zweiten Vatikanisen Konzils in der Materie, für den
katholisen Historiker peinli ist, diese Einstellung und diese Art des
Vorgehens mit moralisen oder religiösen Kategorien zu retfertigen».
Eine Haltung ähnlier Uneindeutigkeit war im Übrigen gegen Ende des
Zweiten Weltkriegs festzustellen. Na der Außerkrasetzung der
Raengesetze dur die Badoglio-Regierung vertrat der von
Kardinalstaatekretär Luigi Maglione zum Sondervermiler bei der
italienisen Regierung bestellte Jesuitenpater Luigi Taci Venturi, da
«[das Raengesetz] na den Prinzipien und der Tradition der katholisen
Kire zwar Vorsrien enthält, die abgesa gehören (diejenigen, die
si auf die Konvertiten und die Misehen beziehen), es aber au andere
enthält, die eine Bestätigung verdienen würden». Bei der Bestimmung
einiger dieser Normen, die «eine Bestätigung verdienen würden», versute
man wieder einmal, den religiösen Aspekt (die Konversion) zu isolieren, und
gab damit praktis die Empfehlung, die von raisen Vorurteilen
diktierten Einsränkungen aufretzuerhalten.
Seit der Regierung Pater Arrupes hae die Gesellsa Jesu dagegen dur
ihre breite Öffnung sowohl auf sozialem Gebiet als au in Fragen der
Doktrin immer wieder auf si aufmerksam gemat. Wenige Tage bevor im
Januar 2008 in der Person des spanisen eologen Adolfo Nicolas der neue
Pater General der Gesellsa gewählt wurde, hat Papst Benedikt XVI. von
den Jesuiten einen treuen Dienst «bei der unversehrten und sieren
Verkündigung des Evangeliums in unserer Zeit» gefordert, insbesondere,
was «gewie Aspekte der Befreiungstheologie sowie bestimmte Punkte der
Sexualmoral» betri. Die Botsa ist klar, die Beunruhigung des Papstes
über emen, die er zu den Marksteinen seines Pontifikats maen will,
offensitli.
Ein weiterer Jesuit, der dem Vatikan große Sorge bereitet hat, ist der
amerikanise eologe Roger Haight. Son 2004 hat die Kongregation für
die Glaubenslehre (das ehemalige Sant’Ufficio – das Heilige Offizium),
damals unter dem Vorsitz von Kardinal Ratzinger, seine esen verdammt
und ihm an der von Jesuiten geführten Weston Sool of eology in
Cambridge, Maauses, die Lehrerlaubnis entzogen. Im Sommer 2008
wurde der eologe erneut verurteilt. Der Entzug der Lehrerlaubnis wurde
diesmal auf alle, au nit-katholise Sultypen erweitert, hinzu kam
au ein Publikationsverbot, «solange seine Positionen nit ritiggestellt
werden».
Der Hauptvorwurf Haight gegenüber ist die Anwendung einer
theologisen Methode, bei der die Glaubensinhalte ihrer Akzeptanz in der
zeitgenöisen Gesellsa untergeordnet würden. Der Betroffene
entgegnet, die katholise eologie habe größere Überlebensancen, wenn
sie für die im Westen dominierende Kultur, vor allem die der Jugendlien,
verständlier würde. Im Grunde sagen die Hierarien und der
kämpferise Jesuitentheologe daelbe, betraten die Dinge aber von exakt
entgegengesetzten Standpunkten aus. Die Kire hat im Laufe der
Jahrhunderte vielfa demon striert, wie snell sie si an Erfordernie der
Politik oder der gesellsalien Sien und Gepflogenheiten anzupaen
weiß. Es geht also nit nur um die Frage, ob zuerst die Gesellsa oder
zuerst die Doktrin komme. Es geht wieder einmal um eine Frage der
Suprematia oder, wenn man will, des Gehorsams.
Im Übrigen ist Pater Haight au im Innern der Gesellsa Jesu auf
Opposition getroffen. Der Jesuitentheologe Pater Gerald O’Collins, der an
der angesehenen Gregoriana Universität lehrt, hat Haights Positionen mit
der Bemerkung kritisiert: «Für einen Jesus wie dem von Haight
konzipierten» würde es si «sier nit lohnen zu sterben». Sehr heikle
Fragen, in die si einzusalten nit einfa und vielleit nit einmal
zuläig ist. Aber au ein Zeien der Unruhe, von der die Gesellsa Jesu
in einem für die römise Kire so swierigen Augenbli ergriffen ist.
Na den Berenungen des Vatikanisten Sandro Magister sind von den
sieben eologen, gegen die zur Zeit von der Glaubenskongregation ermielt
wird, vier Jesuiten.
Jesuit ist übrigens au einer der größten lebenden eologen, Kardinal
Carlo Maria Martini, der nahe daran war, zum Papst gewählt zu werden,
wenn es sein theologiser und sozialer Standort nit verhindert häe. In
seinem bereits zitierten Bu Conversazioni notturne a Gerusalemme
(Nätlie Gespräe in Jerusalem, 2009) diskutiert Pater Martini mit dem
österreiisen Ordensbruder Georg Sporsill über prinzipielle Fragen der
katholisen Glaubenslehre. Aus seinen Worten sprit eine humanisierte
Konzeption der Kire, zum Beispiel zum swierigen ema des
Priesterzölibats («Vielleit haben nit alle die Gnade»), über die
Möglikeit des weiblien Priestertums, über die Homosexualität. Zur
Empfängnisverhütung brit Martini das von drei Päpsten (Paul VI.,
Johannes Paul II., Benedikt XVI.) fortgesriebene Tabu. Zur berühmten, von
Paul VI. 1968 herausgegebenen Enzyklika Humanae Vitae mit der Lehre
über den strikt an die Fortpflanzung gebundenen sexuellen Akt in der Ehe
erinnert Martini daran, da der Papst die Entseidungen zu diesem ema
den Berater-Patres entzogen und auließli si selbst vorbehalten hae:
«Leider hat die Enzyklika Humanae Vitae au negative Entwilungen zur
Folge gehabt … die Einsamkeit einer Entseidung mit so langfristiger
Wirkung ist keine positive Prämie für die Behandlung der emen
Sexualität und Familie gewesen.»
Vielleit aber zeigt si der fundamentale Punkt, die größere Öffnung zu
einem Christentum, das mehr auf die Liebe konzentriert ist als auf den Stolz,
im Besitz der alleinigen Wahrheit zu sein, wenn si Martini Muer eresas
berühmten Aupru «Go ist nit katholis» zu eigen mat und mit
den Worten paraphrasiert: «Du kannst Go nit zu einem Katholiken
maen.» Die Implikationen dieser ese sind enorm und sie müen in der
Vision des Kardinals in der Tat auf die Figur Jesu selbst angewandt werden,
die er viel milder sieht, also au weit entfernt von der des «wahren Goes
und wahren Mensen», wie er in Joseph Ratzingers Bu Jesus von
Nazareth erseint.
Die Gesite der Jesuiten ist eine bewegte Gesite, gezeinet von
Unruhe und Widersprüen, übersät von viel Bösem, an dem es gewi nit
gefehlt hat, und von viel Gutem, wie es aber eigentli für jedes große
Abenteuer der Mensheit die Regel ist. In ihrem konkreten Wirken seint
si die Gesellsa Jesu die Mahnung Martin Luthers an seinen witigsten
Süler und faktis ideologisen Erben Philipp Swartzerdt Melanthon
tatsäli zu eigen gemat zu haben: In einem Brief hae ihm der große
Reformator ein später viel zitiertes und o miverstandenes Gebot gesit:
«Esto peccator et pecca fortiter, sed fortius fide et gaude in Christo, qui
victor est peccati, mortis et mundi!» – «Sei ein Sünder und sündige kräig,
aber mit no größerer Kra vertraue und freue di in Christus, weler der
Sieger ist über die Sünde, den Tod und die Welt!». Das war keine
Aufforderung zur Sünde, wie man häufig glauben maen wollte. Es war im
Gegenteil eine Einladung, stets vollkommen aufritig mit Go zu sein,
dur die Kra des Glaubens.
Man kann die Jesuiten sehr negativ beurteilen, und in der Tat ist dies
häufig gesehen. In der intellektuellen und dialektisen Spannkra dieser
Gesellsa Jesu ist heute allerdings eines der wenigen Zeien doktrinärer
Vitalität gegenüber einer vatikanisen Politik zu erkennen, die si immer
mehr auf eine kurzsitige, von Konformismus und zuweilen leider au von
der Arroganz der Mat gezeinete Vision zurüzieht.
XI. GOTTES BANKIERS
DER ÜBLE GERUCH DES GELDES
I
N DEM WUCHTIGEN FESTUNGSTURM von Papst Nikolaus V., direkt
am Apostolisen Palast, der Residenz des Papstes, hat der IOR seinen
Sitz, ein sehr bekanntes Akronym, das für Istituto per le Opere di Religione
steht, also die Bank des Vatikans. Das imposante Gebäude kann man au
von außen sehen, dur die Porta Angelica hindur, dem von
Sweizergardisten bewaten Eingangstor. Die Gründung der Bank geht
auf den Juni 1942 zurü, als Papst Pacelli, Pius XII. (1939–1958), einige
vorher existierende Institute zu einer einzigen Bank mit eigener
Retspersönlikeit zusammenführte.
Ziel war es, wie bei jedem Institut dieses Typs, das Kapital
gewinnbringend anzulegen, mit der Besonderheit jedo, da ein großer Teil
der Gewinne satzungsgemäß und um dem Namen geret zu werden eben
für opere di religione (Werke der Religion) aufgewendet werden sollte. Es
gibt in der Politik (fast) nits Auagekräigeres als den Gebrau, der vom
vorhandenen Geld gemat wird. Deshalb mu die Frage gestellt werden, ob
und in welem Maße die vatikanise Politik, die au dur ihre Bank
gemat wird, der eines jeden beliebigen anderen Staates ähnelt, der si
nit des besonderen Beistands aus himmlisen Höhen erfreut.
Es gibt dazu eine bedeutsame Vorgesite. Um das gewaltige Vermögen
zu verwalten, das dem Vatikan dur das Konkordat von 1929 zufällt, beru
Pius XI. Bernardino Nogara, einen Ingenieur und sehr fähigen Bankier.
Bevor er das Amt übernimmt, stellt Nogara eine Bedingung: Die
Investitionen müen überall in der Welt frei von jedweder religiösen
Erwägung oder Rüsitnahme getätigt werden dürfen. So wird es au
sein, jedenfalls wird nit einmal der Zweite Weltkrieg den vatikanisen
Finanzen etwas anhaben können, weil Nogara mit Hilfe mätiger
katholiser Vermiler einen Gueil dieser Gelder in die Vereinigten Staaten
transferiert hae, von wo er sie bei Kriegsende mit einem ordentlien
Wertzuwas zurüerhielt.
In der Tradition fähiger Finanziers und Investoren, die für den Vatikan
tätig waren, kann man historis no einen weiteren Sri zurügehen.
Als 1862 offenbar wurde, da si trotz des Widerstandes von Pius IX. die
weltlie Herrsa der Päpste ihrem Ende zuneigte, ließ Erzbisof
Francesco Saverio de Merode, ein genialer, abenteuerlustiger Mann
belgiser Herkun, von der Società Immobiliare die Grundstüe rund um
den künigen Bahnhof Termini auaufen. Zu einem läerlien Preis, da
das Gebiet für die Urbanisierung als wertlos galt. De Merode hae aber
intuitiv erkannt, da die künige Hauptstadt des Königreis Italien si
gerade in diesem höhergelegenen Areal erhebli mehr entwieln würde als
in der Talsenke der mielalterlien und Renaiancestadt. Während der
Papst si na der Porta-Pia-Brese (siehe Kapitel VII) smollend in den
heiligen Palästen einslo, konsolidierten seine Finanziers auf dem Boden
des «Drien Rom» (Terza Roma – na dem der Cäsaren und dem der
Päpste nun das der Könige) das Immobilien-Dominium des Heiligen Stuhls.
Diese Präzedenzfälle werfen ein Problem von enormer Komplexität auf,
das in einem Gesprä zwisen dem Historiker Ernesto Galli della Loggia
und Kardinal Camillo Ruini zum ema «Cristianesimo e mondo
contemporaneo» («Christentum und heutige Welt», auf Italienis 2009
unter dem Titel Confini – «Grenzen» publiziert) aufgegriffen wird. An
einem bestimmten Punkt sagt der hohe Prälat: «Das Verhältnis … der
ristlien Präsenz … zu den Mäten der Gesite ist ein sehr
swieriges, aber unvermeidlies ema.» Und weiter: «Die Absolutheit
der Moral mu mit dem historisen Realismus verbunden werden, das ist
die Herausforderung.» In der Tat ist genau dies die Herausforderung
angesits der Finanzgesite des Heiligen Stuhls und der
bemerkenswerten Elastizität an der Grenze zwisen «ristlier Präsenz»
und «historisem Realismus».
Zu dieser Frage gibt es selbst innerhalb der Kire ebenso maßgeblie
wie untersiedlie Meinungen. Im Gesprä mit Eugenio Scalfari[1] im
Juni 2009 zu ähnlien emen hat Kardinal Carlo Maria Martini
unterstrien: «Aufgabe der Kire ist es, Zeugnis abzulegen vom Wort
Goes, dem Fleis gewordenen Wort, der Welt der Gereten, die da
kommen wird. Alles andere ist sekundär.» Und später: «Jedenfalls ist im
Verhältnis zur diplomatisen und theologisen immer die pastorale
Fähigkeit und Berufung vorrangig.»
Zwei Standpunkte, zwisen denen Welten liegen. Ruini ist der Ansit,
da man die Konzepte «verbinden» mu; Martini, da man sie gewiten
und für das Konzept Partei ergreifen mu, das in dieser «Verbindung»
vorherrsen soll.
Wenn es ein Gebiet gibt, auf dem der Ausgang einer solen
Herausforderung gemeen oder, genauer gesagt, sogar «gezählt» werden
kann, ist das eben der Umgang mit dem Geld. Am Verhältnis zum Geld, also
zum Finanzwesen und folgli zu Herkun und Verwendung großer
Summen ist klar abzulesen, wo Umstände, Wille, Gelegenheiten und Bedarf
die Grenze zwisen «ristlier Präsenz» und «Mäten der Gesite»,
zwisen «moraliser Absolutheit» und «historisem Realismus» ziehen.
Man kann au sehen, bis zu welem Punkt der Gedanke des Evangelisten
Mahäus no gültig ist, der sreibt: «Ihr könnt nit beiden dienen, Go
und dem Mammon» (6.24),[2] also nit Go und Geld bzw. Profit.
Und tatsäli seinen die Gesäe des IOR dieses Dilemma zu
bestätigen. Im Verglei zu jeder anderen italienisen Bank hat der IOR
einige Privilegien, die ihm einen Sonderstatus einräumen. Erstens zahlt er
auf die Dividenden keine Steuern, und au die Kontoinhaber zahlen keine
Steuern auf die erhaltenen Zinsen; zweitens – und damit ist er jeder
«Offshore»-Bank gleigestellt – mu ein jedes Auskunsersuen anderer
Staaten, angefangen bei Italien, von einer riterlien Anordnung gedet
und offiziell dur das Außenministerium übermielt sein (über ein
Retshilfeersuen). Bis heute aber hat der Heilige Stuhl einem seine Bank
betreffenden Retshilfeersuen no nie zugestimmt.
Ein dries Privileg mu allein son wegen der Bedeutung für die in
diesem Kapitel beriteten Ereignie genannt werden. Das Konkordat
zwisen dem Heiligen Stuhl und der damaligen italienisen Regierung
(Februar 1929) sowie einige spätere Urteilprüe der italienisen
Geritsbarkeit legen fest, da das Führungspersonal des IOR sowie ganz
allgemein alle Personen, die in zentralen Einritungen des Heiligen Stuhls
tätig sind, vollständige Immunität genießen, weshalb sie geritli nit
belangt und au nit verhaet werden können. Ein Sutz, der jedem
juristisen Versu, einen führenden vatikanisen Manager für ein in
Italien begangenes Verbreen zur Verantwortung zu ziehen, die Stirn bietet.
An der Spitze des IOR stand neunzehn Jahre lang (1971–1989) ein Mann,
der es aufgrund seiner außerordentlien Gesmeidigkeit und
Manövrierfähigkeit, seiner Zähigkeit, Energie und Erfindungsgabe (mane
sagen au: Naivität) verdient hat, zur Legende zu werden – und in der Tat,
das ist er son –, sowie natürli au aufgrund der vielen von ihm
begangenen Fehler: Monsignor Paul Marcinkus, der streng genommen au
Priester war, also Seelenhirte, ein Umstand, der in der Gesamtheit seiner
Aktivitäten jedo zweitrangig erseint. Marcinkus wurde 1922 in Cicero
geboren, einem Vorort von Chicago (Illinois), und starb 2006 in Sun City
(Arizona). Er stammte aus beseidenen Verhältnien, es zeigte si aber
snell, da der Junge Talent hae. Er ging auf katholise Sulen und zog
in den fünfziger Jahren na Rom, um an der Pontificia Università
Gregoriana zu studieren. Er arbeitete mit Bisof Giovan Baista Montini
zusammen, der im Jahre 1963 zum Papst gewählt wurde und den Namen
Paul VI. annahm.
Na OP (Oervatorio Politico), dem berütigten Investigations-Bla des
1979 ermordeten Journalisten Mino Pecorelli, erseint der Name Marcinkus
auf einer Liste von über hundert Freimaurer-Priestern, in Gesellsa
höster Funktionsträger der vatikanisen Hierarie. Sein Aufstieg
innerhalb der heiligen Mauern ist rasant, nit zuletzt weil er 1979 zum
Helden wird. In der philippinisen Hauptstadt Manila reet er Paul VI. das
Leben, indem er bei einem Meeraentat die Klinge des geistesgestörten
Täters abwehrt. Im Jahr darauf wird er Präsident des IOR. Wenn man viele
Jahre na diesen Ereignien darüber sreibt und liest, sieht man klarer,
von welen Turbulenzen und Hostapeleien, von wel anrüigen
Personen und gigantisen Betrugsmanövern, von wieviel Blut die letzten
Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts au in Italien gezeinet waren. Mit diesen
kriminellen Verfletungen, wenn nit sogar mit den Bluaten haen
Marcinkus und die Vatikanbank stets aufs Engste zu tun.
Die Gesite dieser Bank und von Monsignor Marcinkus zu erzählen
bedeutet au, die Slüelpersonen dieser dunklen Gesäe bloßzulegen
(soweit das mögli ist): Roberto Calvi, der 1982 erhängt unter einer
Londoner Brüe gefunden wurde; Miele Sindona, 1986 im Gefängnis
vergiet; der allgegenwärtige Licio Gelli, Chef der Geheimloge Propaganda
Due (abgekürzt: P2), Organisator diverser Umsturzkomploe. Aber au die
arme Graziella Corroer, Calvis Sekretärin, die am Tag, bevor ihr Chef
ermordet wurde, aus einem Fenster zu Tode stürzte.
Na Sätzungen des Mathematikers Piergiorgio Odifreddi kostet der
Heilige Stuhl die Italienise Republik jährli 9 Milliarden Euro an direkten
Subventionen, denen no mindestens 6 Milliarden für versiedene Arten
von Steuerbefreiungen hinzuzurenen sind. Genaue Berenungen sind
nit mögli, weil die Bilanzen des Vatikans sehr diskret gehandhabt
werden. Die veröffentliten Zahlen sind lüenha und gestaen daher
keine detaillierten Analysen, au wenn si die Situation seit Neuestem
leit verbeert hat. Seit 2008 wird den Kardinälen und Bisöfen na dem
Willen Papst Benedikts XVI. ein finanzieller Reensasberit
ausgehändigt. Da er in einigen tausend Kopien erseint, entsprit das
praktis einer Veröffentliung.
In finanzieller Hinsit war der Tod Papst Johannes’ XXIII. im Juni 1963 für
die Kire eine Katastrophe. Die immense Popularität dieses Papstes hae
unter anderem das Spendenauommen der Gläubigen answellen laen.
Na seinem Tod sprudelte diese Finanzquelle plötzli erhebli spärlier.
Außerdem legte die italienise Regierung Ende der seziger Jahre fest, da
na Jahrzehnten kompleer Steuerbefreiung die Aktiendividenden des
Heiligen Stuhls zu besteuern seien. Ein doppelter Slag, dem Giovan
Baista Montini, Paul VI., der Nafolger von Papst Johannes, glaubte
gegensteuern zu müen. Die heikle Aufgabe, die gewaltigen im
vatikanisen Besitz befindlien Aktienpakete ins Ausland zu überführen,
um dem Fiskus zu entgehen, wird Marcinkus übertragen und einem cleveren
sizilianisen Gesäsmann, der son in der Vergangenheit bewiesen
hae, da er über die ritigen Bekanntsaen und Fähigkeiten verfügte:
Miele Sindona.
Allerdings wurde innerhalb der Leoninisen Mauer die Tatsae
untersätzt, da Sindona, so fähig er au war, Mafiagelder versob, da
er mit einigen witigen italo-amerikanisen «Familien» verbandelt war,
außerdem Berater einiger der blutrünstigsten Boe der organisierten
Kriminalität. Auf der anderen Seite war es ein kritiser Moment, und da
man die Kire «nit allein mit Ave Maria führen kann», hae Marcinkus
immer wieder betont. Nadem er den Aurag erhalten hat, führt ihn
Miele Sindona (geboren in Pai, Meina) auf seine Weise aus. Er
organisiert einen der gewaltigsten Kapitalexporte der Gesite des
italienisen Finanzwesens. Bestimmungsort: die Sweiz. Weil au das
Leben der politisen Parteien sehr teuer ist, werden auf dem Weg zu den
helvetisen Banken einige Millionen Dollar in die Kaen der witigsten
Parteien abgezweigt. Insbesondere die der Christdemokraten, zumal gerade
die Anti-Seidungs-Kampagne finanziert werden mu, die von der Kire
nadrüli unterstützt wird.
Das von Sindona auf beiden Seiten des Atlantiks zum Teil aus etem,
zum Teil aus fiktivem Geld erritete Finanzimperium beginnt gegen Ende
1974 zusammenzubreen, aus einer komplexen Konstellation von Gründen,
nit zuletzt infolge der Spannungen im Mileren Osten, der swierigen
internationalen Lage, des Ölpreises. Als die bankroe Banca Privata Italiana
des sizilianisen Finanziers abgewielt wird, beauragt die Banca d’Italia
den Anwalt Giorgio Ambrosoli, einen der wenigen Mensen mit
Zivilcourage in diesem kranken Italien, die Operation zu leiten. Auf ihn wird
extremer Dru ausgeübt, Dokumente zu bestätigen, die beweisen sollen,
da Sindona in gutem Glauben gehandelt hat. Es geht um sehr viel Geld,
Sindona wird vom mätigen Regierungsmitglied Giulio Andreoi gesützt,
der ihn als «Reer der Lira» bezeinet. Häe Ambrosoli diesem Dru
nagegeben, wären Sindona alle strafretlien Folgen erspart geblieben
und es wäre an der Banca d’Italia gewesen, diese Sulden zu deen.
Obwohl er weiß, wel enormes Risiko er eingeht, geht Ambrosoli weder
den Smeieleien auf den Leim no gibt er den Drohungen na. In einem
Brief an seine Frau, seinem geistigen Testament, sreibt er unter anderem:
Zweifellos werde i in jedem Falle für diesen Aurag einen hohen Preis zahlen müen: das
wute i, bevor i ihn angenommen habe, und deshalb beklage i mi nit, denn für
mi ist es eine einzigartige Gelegenheit gewesen, etwas für mein Land zu tun.
Hoverehrte Eminenz … die moralise und ökonomise Glaubwürdigkeit des Vatikans ist
bereits zutiefst kompromiiert; warum will niemand eingreifen? … im Vatikan gibt es ein
Komplo, das es unter Mitwiersa der nationalen und internationalen laizistisen und
antiklerikalen Kräe auf die aktuellen Matverhältnie innerhalb der Kire abgesehen hat.
Da Kardinal Casaroli und Monsignor Silvestrini Komplizen und Gesäspartner sind, ist
bewiesen, unter anderem dur die zahlreien Besteungsgelder, die sie für Sindonas
Operationen unter si aufgeteilt haben. Und i werde, wenn Sie es wünsen, persönli
die Umstände dieser Zahlungen, die Höhe der Summen und die Kontonummern angeben!
Aber was bezween die damit? Im Übrigen laen si viele vom Banco Ambrosiano an
Parteien und Politiker gegangene Finanzierungsmiel und Smiergelder auf deren
Anordnungen zurüführen. Dabei wien die, da i weiß …
Die Absit ist erpreeris, die Sprae aber ist entlarvend. Da agiert
jemand aus einem panisen Angstzustand heraus. Erfolgreie Erpreung
setzt aber ein eiskaltes Aureten voraus. In der Tat gab es auf diesen Brief
nie eine Antwort. Deshalb spielt der Bankier, der inzwisen am Rande der
Verzweiflung ist, seine letzte Karte aus und wendet si direkt an den Papst.
Eine Kopie dieses Briefes vom 5. Juni hat Calvis Sohn im Privatariv seines
Vaters gefunden und dem Investigativ-Journalisten Pinoi übergeben. Darin
ist zu lesen:
Eure Heiligkeit,
i bin es gewesen, der si die swere Bürde der Suld und der
Fehler aufgeladen hat, die von den gegenwärtigen und ehemaligen
Vertretern des IOR begangen wurden, einsließli der Mietaten
Sindonas …; i bin es gewesen, der auf ausdrülie Anordnung
Ihrer maßgeblien Repräsentanten über beträtlie
Finanzierungsmiel zugunsten vieler Länder und politis-religiöser
Vereinigungen des Ostens und des Westens verfügt hat; i bin es
gewesen, der im Einverständnis mit vatikanisen Autoritäten in
ganz Zentral- und Südamerika die Gründung zahlreier Banken
koordiniert hat, vor allem zur Bekämpfung des Eindringens und der
Verbreitung philomarxistiser Ideologien; und i bin es sließli,
der heute von genau denselben Autoritäten verraten und im Sti
gelaen wird …
Und weiter über den Mann, den er als seinen Feind betratete, Kardinal
Casaroli:
… es intereiert mi nit, mi bei dem vielen Geswätz aufzuhalten, das über gewie
Prälaten und insbesondere über das Privatleben von Staatekretär Kardinal Casaroli im
Umlauf ist …, i halte es aber für außerordentli witig, Sie auf die guten Beziehungen
aufmerksam zu maen, die Letzterer mit notoris antiklerikalen Kreisen und
Persönlikeiten, Kommunisten und deren Sympathisanten unterhält, wie zum Beispiel mit
dem ristdemokratisen Minister Nino Andreaa, mit dem er eine Übereinkun zur
Zerstörung und Aueilung der Ambrosiano-Gruppe gefunden hat.
Calvi benutzt die einzigen Waffen, die ihm zur Verfügung stehen: Er biet
um Sutz, fordert Garantien, versut, die internen Zerwürfnie der Kurie
zu nutzen, droht damit, den Justizbehörden alles zu erzählen. Das riesige
Finanzlo der ausländisen Swestergesellsaen des Banco
Ambrosiano, 1,2 Milliarden Dollar zum damaligen Kurs, war in Wirklikeit
das der Vatikanbank und des Vatikans. Mit ungeheurer Naivität oder von
Verzweiflung getrieben biet Calvi darum, gereet zu werden. Dabei
vernaläigt er die Tatsae, da es geeignete Methoden gibt, um jedem
den Mund zu stopfen.
Der Brief an den Papst ist vom 5. Juni 1982, am 18. Juni wird Calvi unter
der Blafriars Bridge in London aufgehängt. Während des Prozees von
2005 wird die Anklage feststellen, da
… die Angeklagten si mafiöser Organisationen wie Cosa nostra und Camorra bedienten,
mit dem Ziel, den Tod Roberto Calvis herbeizuführen: um ihn dafür zu bestrafen, da er si
beatlier Geldmengen aus dem Besitz der besagten Organisationen bemätigt hae; um
Straffreiheit zu erlangen, den Profit aus den Verbreen zu erhalten und zu behalten, die zur
Anlage und zur Ausweslung von Geldern krimineller Herkun begangen wurden; um
Calvi daran zu hindern, erpreerise Gewalt auf die politis-institutionellen Referenten
der Freimaurer, der P2-Loge und des IOR auszuüben, mit denen sie Investitionen und
Finanzaktionen von beträtlien Geldsummen betrieben haen.
Ferruccio Pinoi (in seinem 2005 ersienenen Bu Poteri forti – Starke
Mäte) zufolge war es Calvi zwar gelungen, den Banco Ambrosiano zu
finanzieller Unabhängigkeit zu führen, seine Operationen haen ihn aber
persönli erprebar gemat, weshalb er si gezwungen sah, den mit dem
IOR verbundenen Gesellsaen erheblie Finanzmiel zukommen zu
laen. Als si die Swierigkeiten versärfen, versut er, die dem
vatikanisen Institut geliehenen Gelder zurüzubekommen. Es gelingt ihm
nit, weil das Geld nit mehr da ist. Es ist verwendet worden, um
vatikannahe religiöse Gruppen und politise Organisationen, insbesondere
in Polen, zu unterstützen. Calvi war das im Übrigen bekannt, und er hae
si mehrfa damit gebrüstet, dem Papst bei seinen Pro-Solidarność-
Operationen konkrete Hilfe geleistet zu haben.
Als er 1978 den ron besteigt, ist Johannes Paul II. 58 Jahre alt (geboren im
Mai 1920 in Wadowice, Südpolen). Er ist ein Mann von großer, au
physiser Energie, was nit zuletzt seine über hundert anstrengenden
Auslandsreisen demonstrieren. Vor allem aber ist er ein Mann, der es si zur
Miion gemat hat, sein Land vom Jo des sowjetisen Kommunismus zu
befreien. Ein gigantises Vorhaben, für das Entsloenheit, politises
Gesi, tragfähige Allianzen notwendig sind. Und viel Geld. Monsignor
Marcinkus ist zwar dur die Skandale kompromiiert, der Papst hält aber
an ihm fest, weil er ein unverzitbarer Handlanger für sein Projekt ist.
David Yallop zufolge gelingt es dem Vatikan, der polnisen Gewerksa
Solidarność, die mit ihrer Streikbewegung nit nur in Polen die sowjetise
Mat zum Wanken bringt, Finanzmiel in Höhe von 100 Millionen Dollar
zuzusießen.
Als die Banca d’Italia im Mai 1982 Suldnerrisiken des Banco
Ambrosiano in Höhe von einer Milliarde Dollar anzeigt, flieht Calvi na
London, weil er si dort in Sierheit wähnt und glaubt, si nit nur der
Anklage entziehen zu können, sondern au der Vendea, die jeder zu
gewärtigen hat, der mit mafiaverseuten Geldern hantiert. Vielleit hae
er Zusierungen erhalten, mit Sierheit ahnte er nits von der Falle, die
ihn dort erwartete. Wie son gesagt, wird er einen grausamen Tod finden.
Seine Kreditfähigkeit war übrigens bis ein Jahr vor dem Crash intakt
geblieben. Zum Teil, weil er zu jenen sillernden Figuren gehörte, die mit
illusionistisen Fähigkeiten in der Finanzgesite immer wieder ihr
Unwesen treiben: von John Law, der im 18. Jahrhundert das «Papiergeld»
erfand, bis Bernard Madoff, der in unseren Tagen mit inexistentem Geld
jonglierte; zum Teil, weil Calvis Nähe zur Vatikanbank na wie vor ein
wirksamer Türöffner war.
Na seinem Tod vereinigen si an die hundert Kreditorengesellsaen
zu einem Komitee, um dem Versu, ihr Geld wiederzubekommen, größeren
Nadru zu verleihen. Im Vatikan folgt eine erregte Sitzung auf die andere.
Marcinkus, der seine Mat zum Großteil verloren hat, behauptet, nie davon
gewut zu haben, da Calvi zur Realisierung seiner Projekte mit seinen
guten Beziehungen zum IOR hausieren ging. Er versut, die Wogen zu
gläen, die ihn mitzureißen drohen, do jeder weiß, da er nit die
Wahrheit sagt.
Staatekretär ist damals Kardinal Agostino Casaroli, ein gewieer
Taktiker, der mit den Tatsaen von Grund auf vertraut ist, dem die realen
Dimensionen der Miwirtsa also bekannt sind, und der eine andere
Strategie verfolgt. Bei einer der Versammlungen slägt er die vernünigste
Lösung vor, was in einem Protokoll folgendermaßen beritet wird:
Seine Eminenz, der Kardinalstaatekretär bemerkte, es müe vorrangig darum gehen, das
Ansehen des Heiligen Stuhls zu reen, und äußerte seine Ansit, da der Streit unbedingt
einvernehmli beigelegt werden müe.[5]
Marcinkus ist dagegen. Im Versu, die Bank und seinen Kopf zu reen,
entgegnet er heig: «Wenn wir nit suldig sind, müen wir au nit
zahlen.» Dem englisen Wirtsasjournalisten Charles Raw zufolge, der
den Fall ausgiebig reeriert hat (La grande truffa, 1993 – dt. etwa: Der
große Swindel), hat das fahrläige Finanzgebaren des gesäigen
Erzbisofs den Heiligen Stuhl ungefähr eine halbe Milliarde Dollar gekostet:
«Damit will i nit sagen», sreibt Raw, «da Marcinkus si persönli
bereiert hat. Den größten Gewinn haben daraus die Spitzen der P2-Loge
gezogen, Licio Gelli und Umberto Ortolani.»
Ende Mai 1984 wird das Suldenkonto des IOR definitiv gesloen. Die
Vatikanbank steht beim Banco Ambrosiano mit über 400 Milliarden Lire[6]
in der Kreide. Das Komitee der Gläubigerbanken mat Dru, der Skandal
ist riesig, der Posten wird eilends liquidiert, dur einen Verglei zu den
bestmöglien Bedingungen. Offiziell bestreitet die Vatikanbank weiterhin
jede Mitverantwortung an der Miwirtsa, erklärt si aber zu einer
«freiwilligen Ausgleiszahlung» von 240 Millionen Dollar bereit. De facto
ist das ein Eingeständnis der Miätersa. Wäre sie tatsäli an den
Ursaen des Crash nit beteiligt gewesen, wäre es folgeritig gewesen,
si mit den anderen Banken des Komitees zusammenzusließen. Im
Vertragsprotokoll ist zu lesen, da die Summe «einzig aufgrund seiner [des
IOR – Anm. d. A.] besonderen Stellung» sowie «in einem Geiste
weselseitiger Versöhnung und Zusammenarbeit» ausgezahlt werde.
Am 4. Juni betont die Tageszeitung des Heiligen Stuhls, der Oervatore
Romano, mit diesem Sri sei «die Erleiterung einer globalen Lösung zur
Konsolidierung au der internationalen Beziehungen» beabsitigt. Unter
rein finanziellem Aspekt sind 240 Millionen Dollar im Verhältnis zum realen
Umfang der Sulden ein großartiges Gesä. Marcinkus mu si damit
abfinden, zumal ihn drei Jahre später, im Februar 1987, ein Habefehl der
Mailänder Justiz ereilt. Wie wir gesehen haben, eine juristis überflüige
Maßnahme, weil es si bei Marcinkus um eine strafretli nit
verfolgbare Persönlikeit handelt. Der Vorstoß des Gerits mat aber sein
weiteres Verbleiben an der Spitze des IOR vollkommen intolerabel, au
wenn si der Vatikan mit traditioneller Langsamkeit und Bedätigkeit zwei
Jahre Zeit lät, um ihn seines Postens zu entheben. Johannes Paul II.
persönli wird ihn von den Spalten des Oervatore Romano aus im
März 1989 verabsieden.
Knapp und bier der Kommentar des Erzbisofs: «Im Fall Calvi werde
i immer als derjenige in Erinnerung bleiben, der die Rolle des Surken
gespielt hat.» Marcinkus ist jedenfalls bis 1997 im Vatikan geblieben, na
Erreien des Pensionsalters von 75. Jahren hat er alle seine Ämter
niedergelegt und ist in die Vereinigten Staaten zurügekehrt, wo er bis zu
seinem Tode 2006 in der Pfarrei St. Clemens in Sun City das beseidene
Amt eines Vikars bekleidete.
Zynis? Naiv? Chaotis? Die Verdätigungen und Ansuldigungen
gegen seine Person waren zahllos, keine davon führte zu einer
retskräigen Verurteilung.[7] Um eine angemeene Bilanz seines Wirkens
zu ziehen, müte man mehr über die vielen geheim gebliebenen
Maensaen und Winkelzüge wien, die vielleit erst in einigen
Jahrhunderten ans Lit kommen werden, falls sie jemals ans Tageslit
kommen. 1989 fällt die Berliner Mauer; 1991 wird auf dem Kreml in Moskau
die Fahne der Sowjetunion eingeholt. Damit ist die furtbare Gesite des
20. Jahrhunderts mit seinen zwei Weltkriegen, den Gräueltaten und dem
Kalten Krieg abgesloen. Es ist nit allzu gewagt zu sagen, da der
clevere Marcinkus zu dieser Entwilung einen nit unerheblien Beitrag
geleistet hat, mit all dem smutzigen und sauberen Geld, das er
zusammengetragen hat und dort hat hinfließen laen, wo in dieselbe
Ritung gearbeitet wurde.
Na Marcinkus’ Abgang bleibt im Vatikan der Mann zurü, der sein treuer
Gefolgsmann war, der ihm nageeifert hat und der ihn im Endeffekt sogar
no übertreffen wird: Er heißt Donato De Bonis, ist ein Priester aus dem
Süden Italiens, 1930 in einfaen Verhältnien in Pietragalla (Basilikata)
geboren. Zwar ist Marcinkus sein Lehrmeister gewesen, De Bonis wird si
aber als sehr viel zyniser und no cleverer erweisen. Seine Erfindung ist
eine Art geheimer IOR, zu dem auließli er den Generalslüel besitzt,
ein etes Offshore-System mien im Herzen Roms, reine Manövriermae
von vielen Milliarden (Lire), die beliebig versoben werden können, und bei
dem man so viel Zinsen bekommt, wie sie keine europäise Bank sonst in
der Lage wäre auszuzahlen, vor allem dank der fiskalisen Privilegien, von
denen der Vatikan no immer profitiert.
Besonders florierend ist das auf den Namen von Kardinal Francis J.
Spellman (1889–1967) eingetragene Konto. Ein Name von großem Gewit
vor allem, seit der mätige Erzbisof von New York als Protagonist des
glühendsten Antikommunismus hervorgetreten ist und als unermüdlier
Verfeter der finanziellen Intereen der Kire. Sein Miionseifer war so
ausgeprägt, da er nit davor zurüsrete, jedesmal gegen Eleanor
Roosevelt und sogar John F. Kennedy zu polemisieren, wenn er die
Bundesmiel für die katholisen Sulen in Frage gestellt sah. Diese
Leidensa ging so weit, da er si im Wahlkampf 1960 nit für den
katholisen Kandidaten John F. Kennedy, sondern für deen Gegner
Riard Nixon aupra, der ihm größere Garantien für eine konkrete
Unterstützung der Kire zu bieten sien. Zu keiner Zeit hat der
kämpferise Kardinal ein Hehl aus seiner Unterstützung für die (eindeutig
verfaungswidrige) Kampagne des Senators Joseph McCarthy gegen
«unamerikanise Umtriebe» gemat, und au später nit aus seiner
Sympathie für übelste Diktatoren, zum Beispiel Nicaraguas Anastasio
Somoza.
Da ausgerenet er der Namensgeber für das geheime Bankkonto des
Vatikans war, kann also eher in einen psyologisen als politisen
Kontext eingeordnet werden, man könnte es als eine Frage gemeinsamer
«Ideale» bezeinen, wenn nit der Begriff «Affinität» do geeigneter
ersiene. Im Übrigen war es Spellmann, der in den unmielbaren
Nakriegsjahren die geheimen amerikanisen Fonds zur Finanzierung der
Democrazia Cristiana (Christdemokratisen Partei Italiens) koordinierte.
Na Gianluigi Nuzzis Rekonstruktion in Vatikan AG wurden allein in
den Jahren 1987 bis 1992 auf das Konto mit der genauen Bezeinung
Fondazione cardinale Francis Spellman (Stiung Kardinal Francis
Spellmann) nit weniger als 26 Milliarden Lire in Form von Bargeld und
Wertpapieren eingezahlt. Ein kleiner Teil dieses Satzes geht als Almosen
und Senkungen an Mönsorden, Priester, Swestern, Klöster,
Kinderdörfer. Der bei weitem größte Teil dieser Gelder aber hat weitaus
irdisere und fast immer zwielitige oder zumindest undursitige
Empfänger. Es kommt so weit, da der neue Präsident des IOR, Angelo
Caloia, beunruhigt über diese Geldflüe, deren smutzige Zwee er ahnt,
na reiflier Überlegung im August 1992 Papst Johannes Paul II.
informiert. Er hat den Verdat, da diese als wohltätige Werke getarnten
Hunderte von Milliarden in Wahrheit «retswidrige Operationen»
kasieren. Besonders zynis sind die Denamen sol illegaler, einzig und
allein auf Profit ausgeriteter Geldwäse-Operationen, die si der
«Armen Kinder» (Bimbi poveri), der «Dienerinnen der gölien
Vorsehung» (Ancelle della Divina Provvidenza), der «Heiligen
Totenmeen» (Sante Messe per i defunti) und versiedener Heiligenfiguren
bedienten.
Dies ist aber jedenfalls nur der Auakt deen, was kurz darauf paieren
wird, als ein Großteil der sogenannten « Maxitangente[8] Enimont » dur
den IOR gesleust wird, au bekannt als «die Muer aller Smiergelder»
– Paraphrase einer Floskel von Saddam Huein. Um annähernd zu
begreifen, worum es geht, mu man bis zum Mai 1989 zurügehen, zur
Geburttunde des italienisen Chemiegiganten Enimont, deen Aktien zu
80 Prozent je zur Häle zwisen der staatlien Gesellsa Eni und der
privaten Montedison aufgeteilt sind, dem Familienkonzern der Ferruzzis aus
Ravenna.
Aus dieser Fusion erwäst eine der weltgrößten Chemie-Gruppen. Chef
des privaten Teils der Gruppe ist Raul Gardini, genannt «der Korsar». Der
Swiegersohn des Gründers Serafino Ferruzzi ist die unheimlie
Verkörperung eines Unternehmer-Abenteurers, eines Visionärs, der
auließli von Großprojekten umgetrieben ist. Wie es Gardinis
Temperament entsprit, ist er nit mit der Häle zufrieden, er will den
ganzen Konzern und betreibt seinen Aufstieg in der Gruppe von innen. An
dem Punkt verlangt Eni-Präsident Gabriele Cagliari, das Bündnis mit dem
«Korsaren» zu beenden. Gerade einmal anderthalb Jahre na der Gründung
ist der Traum einer italienisen Chemie-Gruppe von Weltrang ausgeträumt.
Gardini wird vor die Wahl gestellt: entweder er kau alles oder er
verswindet von der Bühne. Er entseidet si für die zweite Option, und
für eine Summe von 2 800 Milliarden Lire (mehr als anderthalb Milliarden
Euro) verkau er seine Anteile wieder an Eni zurü.
Hier nimmt die Affäre eine sehr hälie Wende, denn diese Summe ist
unverhältnismäßig ho. Später erfährt man, da zur Einwilligung der
versiedenen an der Transaktion beteiligten Parteien (und das waren viele)
unter der Hand diesen Parteien, Strohmännern, Gesäemaern, Agenten
und Maklern beträtlie Summen gespendet werden muten. Es soll dabei
um eine Gesamtsumme zwisen 130 bis 170 Milliarden Lire gegangen sein,
die genaue Zahl konnte nie ermielt werden. Und ein großer Teil dieses
Geldes, etwa 100 Milliarden, nimmt seinen Weg dur den IOR, bevor es auf
versiedene Konten in aller Welt gelangt, vor allem in der Sweiz. Als die
Affäre auffliegt, setzen die beiden Hauptfiguren Raul Gardini und Gabriele
Cagliari ihrem Leben dur Selbstmord ein Ende und verlängern so die Liste
der gewaltsamen Tode, die der Flu all jener zu sein seint, deren Weg si
in irgendeiner Weise mit dem IOR kreuzt.
Der eigentlie Protagonist, der «Verteiler» der Maxitangente, bleibt
Monsignor De Bonis. In seinem Bu Patria (Vaterland, 2009) beritet der
Journalist Enrico Deaglio über die folgende Szene vom 27. April 1993, die
eine Idee von dem Milieu und der Atmosphäre vermielt, in der si dieser
Monsignore äußerst ungeniert bewegte. Wir sind
… in der römisen Kire Santa Maria della Fiducia, in Anwesenheit von mehr als 1000
Personen, fünfzehn Kardinälen, vierzig Bisöfen, dem ehemaligen Minister Colombo, dem
ehemaligen Staatspräsidenten Coiga. Zum Bisof geweiht wird Monsignor Donato De
Bonis, ehemals rete Hand von Erzbisof Paul Marcinkus, ehemals Generalsekretär des
IOR, der Vatikanbank. Der neue Prälat begibt si zum Altar und verkündet: «I möte
Präsident Andreoi dafür danken, da er uns mit seinem Rat gereet hat. Mien in der
Nat hat er uns in unseren Büros mit seinen Ratslägen vor ernsten Gefahren bewahrt.» In
der Kire brandet ein viele Minuten lang anhaltender Beifall auf.
Ganz unverhohlen also dankt De Bonis Andreoi für die Hilfe, die dieser
ihm in den sweren Zeiten des Ambrosiano-Skandals zukommen ließ. Nit
unerwähnt bleiben sollte die Tatsae, da der Monsignore denselben
Andreoi im Falle seines Todes als Erben des Girokontos «Stiung
Spellman» eingesetzt hae.
In dieser Gesite, die si beinahe son wie ein Roman noir liest, hat
nun eine Nebenfigur ihren Auri, die nit weniger romanha ist: Luigi
Bisignani. Na beseidenen Anfängen als Journalist bei einer
Preeagentur mat Bisignani plötzli Karriere und wird zum Leiter
parastaatlier Unternehmen befördert. Er lernt snell, mit eigenem und
dem Geld anderer Handel zu treiben. Wie es für jeden erfolgreien
Gesäsmann dieser Jahre obligatoris gewesen zu sein seint, sreibt er
si bei der P2-Loge ein (Mitgliedsnummer 1689) und findet in der von De
Bonis verwalteten Vatikanbank ein Terminal für seine Transaktionen. Kurz:
Er wird einer der Hauptakteure deen, was später als Tangentopoli[9] in die
Zeitgesite eingeht, und er wird seine Fehler mit 3. Jahren und 4 Monaten
Gefängnis bezahlen, aber, wie wir sehen werden, nit nur seine eigenen.
Zu Beginn des Jahres 1993 eröffnen die Staatsanwaltsaen von Rom und
Mailand intensive Ermilungsverfahren zur sogenannten Maxitangente. Um
zu verstehen, was das hieß, mu man si kurz in Erinnerung rufen, was für
eine Atmosphäre in diesen Monaten in Italien herrste. Die Ermilungen
der Staatsanwälte waren von der Sympathie des ganzen Landes getragen, die
sole Ausmaße annahm, da sie gelegentli sogar in Fanatismus
umslug. Die Mailänder Staatsanwälte wurden als Räer aller
Ungeretigkeiten gefeiert, auf der Straße wurde ihnen von allen Seiten
Beifall geklatst. Sie wurden angespornt, nit loerzulaen und vor
allem, si von niemandem einsütern zu laen. Angesits dieser
matvollen und zuglei gefährlien Welle von Popularität wird De Bonis’
Position unhaltbar. Der Vatikan sieht si genötigt, ihn von seinem Posten in
der Bank zu entfernen und damit aus der Sulinie zu nehmen. Er wird
zum geistlien Aistenten beim Souveränen Malteserorden wegbefördert,
eines im 11. Jahrhundert aus einem Pilgerspital im Heiligen Land
hervorgegangenen geistlien Rierordens, der heute vor allem Kranken-
und Sozialdienst leistet. Das neue Amt erseint erhebli weniger
einflurei als das vorhergehende, und do zieht der
unternehmungslustige Monsignore au von dort aus no lange
unvermindert die geheimen Strippen des IOR.
Dur die Auagen einiger redseliger Zeugen ist es den Staatsanwälten
inzwisen gelungen, die Geldflüe der Maxitangente nazuvollziehen.
Klar ist inzwisen au, da am Ende dieses Weges die Vatikanbank steht,
die si aber, als sie von der Staatsanwaltsa um Erklärungen gebeten
wird, wie übli auf die Antwort besränkt, die Anfrage müe offiziell über
ein internationales Amtshilfeersuen zugestellt werden. Bisignani ahnt, was
die Gloe geslagen hat, erkennt, da dies der Moment zum Verswinden
ist. Eilig sließt er die Konten, füllt einige Koffer mit allem Bargeld, deen
er habha werden kann, und mat si aus dem Staub. Inzwisen
bezitigt IOR-Präsident Caloia, ersüert von der unerhörten Menge der
von ihm festgestellten Geldtransaktionen, De Bonis ganz offen «bewut
krimineller Maensaen». Im Oktober sreibt er einen dramatisen
Brief an den vatikanisen Staatekretär Angelo Sodano. In dem ebenfalls in
Gianluigi Nuzzis Bu abgedruten Dokument ist unter anderem zu lesen,
da die dur den IOR transferierten Wertpapiere
… von Smiergeldzahlungen an Politiker [stammen] und die Beträge mit Sierheit als
sauberes Geld an sie zurügingen. Es sind exakt dieselben Meanismen wie in der
Vergangenheit … Man kann si des Gefühls nit erwehren, da wir es hier mit einem
hoexplosiven Sprengsatz zu tun haben, der den hösten Amtsträgern zur Kenntnis
gebrat werden mu.[10]
Tatsäli informiert Sodano Papst Johannes Paul II. Mit dem Ergebnis, da
die Haltung des Vatikans, als im November das offizielle Amthilfeersuen
eintri, wieder einmal gespalten ist. Die einen sind der Auffaung, da es
nun an der Zeit sei, etwas zuzugeben; die anderen dagegen halten es – selbst
wenn man diese Linie verfolgen wollte – für opportun, so wenig wie mögli
offenzulegen, nur die Geldgesäe zuzugeben, die absolut nit geleugnet
werden können, und den Rest zu versweigen. Vor allem mu weiterhin De
Bonis’ Gesit gewahrt werden, der bei Gefahr imstande wäre, einen
Großteil der Hierarie in einen Skandal ohnegleien hineinzuziehen.
Der venezolanise Kardinal José Rosalio Castillo Lara, Satzminister
und Präsident des Aufsitsrates des IOR, wird beauragt,
Verteidigungtrategien zu entwieln, damit die Reputation des Heiligen
Stuhls keinen Saden nimmt, worin er si als äußerst gesit erweist. In
Interviews bekräigt er mehrfa, da der Vatikan mit den Behörden der
Republik ohne Einsränkungen zusammenarbeite und da der IOR ein
Opfer von Manövern geworden sei, die ihren Ausgang anderswo genommen
häen: «Der Vatikan ist für eine Operation instrumentalisiert worden, deren
Sinn und Zwe wir nit kennen.»
Vor allem zeigt er si überzeugt, da De Bonis vom unzuläigen
Gebrau der dur seine Hände gegangenen Gelder keinerlei Kenntnis
hae. Au fehlt nit der Hinweis, da De Bonis als
Führungspersönlikeit des Vatikans na den Bestimmungen des
Konkordats vor der Strafverfolgung dur einen fremden Staat (gemeint ist
Italien) gesützt sei. Zum Sündenbo wird in diesem Fall Luigi Bisignani,
auf den der größte Teil der Verantwortlikeit abgewälzt wird. Als dieser
einige Monate später wieder auaut, wird er versuen, diesem Slag
auszuweien, indem au er behauptet, keine Kenntnis über die Natur
dieser für Smiergeldzahlungen vorgesehenen Geldflüe gehabt zu haben.
Wie ging es weiter mit der Affäre Enimont? Die Antwort auf den
Amtshilfeantrag der Ermilungsriter geht na zwei Monaten an die
Mailänder Staatsanwaltsa, also im Dezember. Sie ist sehr gesit
formuliert: Ein Minimum an Zugeständnien wird mit einer so
nadrülien Willensbekundung zur Zusammenarbeit verpat, da sie
wie das Maximum deen wirkt, was man unter den gegebenen Umständen
tun kann.
Na Auage Carlo Samas, eines weiteren Swiegersohns des
Montedison-Gründers Serafino Ferruzzi, soll der Preis für die «Wäse» der
Besteungsgelder 9 Milliarden Lire gewesen sein. Im Mai 2009 wurde Sama
von Gian Antonio Stella für den Corriere della Sera interviewt und unter
anderem gefragt, wozu denn alle diese Besteungsgelder an die Parteien
gezahlt wurden. Und als sei es das Selbstverständliste von der Welt, war
seine Antwort: «Wenn wir unseren Weg weitergehen wollten …, war es
unmögli, si den Besteungsgeldern zu entziehen.»
Der Proze um die Maxitangente Enimont begann im Juli 1994. Auf der
Anklagebank saßen die hösten politisen Repräsentanten des Landes:
darunter Arnaldo Forlani, Beino Craxi, Umberto Boi, Gianni De Mielis,
Giorgio La Malfa, Paolo Cirino Pomicino.[11] Im Oktober 1995 wurden fast
alle zu Strafen verurteilt, die in den folgenden Instanzen au bestätigt
wurden.
Der kriminelle Komplex Tangentopoli, besonders aber dieser Proze, hat
die Gesite der Ersten Republik besiegelt, deren letzte Stunde also nit in
einem Parlament, sondern in einem Geritaal slug. Bei den
Parlamentswahlen von 1994 präsentierte si eine neue Partei, für die man
einen genialen Namen fand: Forza Italia! – «Vorwärts, Italien!», der Ruf, mit
dem Fußballfans ihre Mannsa anfeuern. Die Partei wird von einem
ebenso umstrienen wie dynamisen Unternehmer geführt, der si zu
diesem Zeitpunkt in großen Swierigkeiten befindet: Silvio Berlusconi,
übrigens au er ein Mitglied der P2-Loge (Mitgliedsnummer 1816).
Innerhalb weniger Monate wird in einer wahren Blitzaktion die Struktur
seiner Werbeagentur Publitalia in eine politise Partei umgewandelt und in
einem Land politis durgesetzt, das in Saen Glaubwürdigkeit seiner
Institutionen gerade eine beispiellose Krise durgemat hat.
Was den IOR betri – ob es nun eine Umstrukturierung der Methoden
und der Verwaltung gegeben hat oder nit –, so ist das Institut jedenfalls
eine Zeitlang aus den Slagzeilen verswunden, die es mit der Affäre
Ambrosiano und der Affäre Montedison jahrelang beherrst hae. Von den
Milliardengebirgen hat si fast jede Spur verloren. Die Vatikanbank hat
jedenfalls nie etwas zurüerstaet.
Am Ende dieser Erzählung sei no einmal das Grundproblem aus dem
bereits zitierten Kolloquium mit Kardinal Ruini angeführt: «Es mu
gelingen, die moralise Absolutheit mit dem historisen Realismus zu
verbinden, das ist die Herausforderung.»
In unserem Fall hat der historise Realismus jedenfalls die Oberhand
behalten.
XII. DIE GÖTTLICHE KAPELLE
MICHELANGELO FORDERT DIE EWIGKEIT
HERAUS
B
EIM BETRETEN DER SIXTINISCHEN KAPELLE ist man wie
geblendet. I sage das ganz ohne Rhetorik, ohne Emphase, als einfae
Feststellung. Wer zu sehen weiß, ist überwältigt von der geballten Menge
der 150 Figuren, von der Rätselhaigkeit einzelner Szenen, von der Illusion
der inexistenten aritektonisen Reliefs und Ornamente, von der
Meistersa der Proportionen in gigantisem Maßstab, von der Aueilung
der riesigen Fläe, von der verdoppelten und verdreifaten, offenen und
verdeten gölien Majestät. Hunderte von Gesitern und Gliedmaßen,
bekleidet und nat, verteilt über das Gewölbe und die Stirnwand mit dem
Giudizio, dem Jüngsten Gerit: den Himmel und die Erde vor Augen. Zu
sagen, da es auf der Welt nits Vergleibares gibt, ist wohlfeil; aber zu
wien, wie diese Figuren entstanden sind, wele geradezu bösartigen
Gründe den Aurag an Mielangelo begünstigt haben, in weler Art und
Weise er die Arbeit konzipiert und in einem titanisen Unternehmen zu
Ende geführt hat, ist notwendig, wenn man begreifen will, was das für ein
Werk ist, mit dem man es hier zu tun hat.
Mit den Mauern mu man beginnen, denn die Kapelle wurde zwisen
1475 und 1481 na dem Willen von Papst Sixtus IV. della Rovere (1471–
1484) in koloalen Dimensionen erbaut: 40 mal 13 Meter für die
Grundfläe, fast 21 Meter in der Höhe. Kaum war der Bau beendet, rief der
Papst einige der bekanntesten Künstler aus der Toskana und aus Umbrien
zusammen, also damals die besten der Welt, damit sie die Wände mit
Fresken bemalten. So maten si Boicelli und Ghirlandaio, Perugino und
Pinturicio, Luca Signorelli und Piero Di Cosimo an die Arbeit und
verliehen dem größten Gemäldezyklus des späten 15. Jahrhunderts Gestalt.
Diese großen Meister führten an den Wandfläen unterhalb der Fenster
einen Fries mit großformatigen Freskenzyklen aus. Mit Bli aufs Jüngste
Gerit zur Linken sind Gesiten aus dem Leben Moses’ dargestellt, zur
Reten Gesiten aus dem Leben Jesu bis zum Letzten Abendmahl.
An der Stirnseite war na der Mode der Zeit ursprüngli ein mit
vergoldeten Sternen bestiter blauer Himmel nagebildet.
Und genau an diese Stirnseite date Papst Julius II. (1503–1513) zunäst,
der als Sixtus’ Neffe ebenfalls zur Familie della Rovere gehörte und mit
28. Jahren zum Kardinal befördert worden war. Er wollte, da dieses
beeindruende Bauwerk erneuert und einzigartig würde. Für die
Ausführung des ehrgeizigen Projektes berief er Mielangelo Buonarroti. Die
Beziehung zwisen diesen beiden sehr starken Persönlikeiten hae
Höhen und Tiefen durlaufen, au Momente von eter Spannung und
Streit. Der Künstler hae dem Papst gegenüber Verhaltensweisen an den Tag
gelegt, die si auf der Welt nur wenige häen leisten dürfen, vor allem
gegenüber diesem Papst. Den Meister grämte zudem die Ungewiheit über
einen anderen Aurag, den der Papst ihm zuvor erteilt hae und über den er
nits mehr in Erfahrung bringen konnte. Dabei ging es darum, im Innern
des Petersdoms ein monumentales, mit mehr als vierzig Statuen
gesmütes Grabmal zu erriten, ein grandioses Projekt, absolut neuartig,
das Mielangelo sehr am Herzen lag und das auf eindrusvolle Weise
Aritektur und Skulptur vereinigen sollte.
In der Zwisenzeit hae Papst Julius aber seine Meinung geändert.
Vollkommen absorbiert vom Bau des neuen Petersdoms dur Donato
Bramante date er nit mehr an das Grab, wollte stadeen die Kapelle
von Papst Sixtus erneuern laen. Das war der erste Streit. 1508 war
Mielangelo etwas über 30 Jahre alt, berühmt zwar, aber mehr aufgrund
seiner Marmorwerke (die Pietà, der David) als für seine Malerei. Es war
Bramante selbst, der Aritekt und Maler, der Öl ins Feuer go. Er brate
den Papst auf Mielangelo, aus versiedenen Gründen, wobei au die
Rivalität, die er ihm gegenüber empfand, eine Rolle spielte. Bramante hae
den vielverspreenden Raffael zu protegieren, der aus den Marken stammte
wie er und fast ein Verwandter war, dazu mit seinen 25. Jahren no jung.
Verweigerte Mielangelo den Aurag, häe er den Papst erneut verärgert;
nahm er ihn an, war es unwahrseinli, da es ihm gelingen würde, in
diesen Dimensionen ein zufriedenstellendes Werk abzuliefern.
Die Anfangsidee für das Gewölbe war eigentli nit einmal allzu
kompliziert: Der Meister häe in die Gewölbezwiel zwisen den Lüneen
die zwölf Apostel malen sollen. Mielangelo übernahm den Aurag, aber
unter einer Bedingung: Er würde nur das malen, was er na seinen
Vorstellungen für ritig hielt. Es ist heute nur swierig zu ermeen, wie
kühn ein soles Ansinnen damals war. Dieser junge Mann von dreißig
Jahren verweigerte si allen Vorsrien und Regeln, verlangte von einem
Papst, der doppelt so alt war wie er selbst und einen eisernen Willen besaß,
an einem heiligen Ort mit absoluter Freiheit und na eigenem Gutdünken
malen zu dürfen. Nit nur die Gewölbezwiel, sondern die gesamte Dee,
die Lüneen, die Dreiesfläen darüber, eine Fläe von mehr als 1000
Quadratmetern. Und tatsäli, der unglaublien Forderung des Künstlers
wurde eine ebenso unglaublie Antwort dieses Papstes zuteil, der sonst in
allen Entseidungen so hart war wie das Holz der Eie auf seinem
Familienwappen: In Ordnung, i akzeptiere.
Nun ging es darum, die Arbeit zu organisieren. Um si auf Armlänge den
Mauern und Gewölben nähern zu können, entwielte und konstruierte der
Meister selbst ein spezielles Gerüst. Dieses Gerüst wurde zunäst an der
Eingangeite montiert, dann stüweise zum Altar vorgesoben, immer so,
da die Goesdienste und kirlien Funktionen au während der
Arbeiten weiter stafinden konnten. Der Künstler hae keine besondere
Erfahrung in der Freskenmalerei, die, wie der Name son sagt, sehr snell
auf den no feuten Putz aufgetragen wird, soda si die Farben mit der
Mae «verkieseln» – wie das Fawort für diesen emisen Proze heißt
– und sie ein integraler Bestandteil davon werden.[1] Zu diesem Mangel an
Erfahrung kam no die unausweilie Konfrontation seines Werkes mit
denen einiger der besten Künstler des vorangegangenen Jahrhunderts, direkt
darunter. Glei zu Anfang wandte si der Meister an ein paar Freunde,
damit sie in Florenz ein kleines Spezialistenteam versierter Maler
rekrutierten, die imstande wären, ihm beim praktisen Teil der Arbeit zu
helfen. Eine Gruppe von sieben eifrigen Helfern wurde zusammengestellt,
einige bekannt, andere weniger oder gar nit, alle jung, tütig und treu
ergeben.
Das ging aber nit gut. Aus Gründen, die wir erahnen können, in der
Substanz aber nit kennen, wurden die Helfer, so tütig sie au waren,
na Florenz zurügesit. Dazu Vasari:
Als er aber sah, da ihre Bemühungen weit von seinen Vorstellungen entfernt waren und
ihn nit zufriedenstellten, entsied er eines Morgens, alles abzuslagen, was sie gesaffen
haen. Dann slo er si in der Kapelle ein, verweigerte ihnen den Einla und ließ si
au nit sehen, wenn er zu Hause war. Als ihnen diese Farce zu lange dauerte, braen sie
auf und kehrten gedemütigt na Florenz zurü.[2]
Einige Helfer aber müen auf jeden Fall dageblieben sein, und sei es nur, um
ihm die einfasten Aufgaben abzunehmen: die Vorbereitung des Putzes, das
Zerstoßen der Farben, ihre Misung, der Transport, die Reinigung und
Wartung des Handwerkszeugs.
Die praktisen Arbeitsbedingungen waren unmensli. Stundenlang
mute er mit erhobenem Arm dastehen, die Nase wenige Zentimeter vom
Gewölbe entfernt, wobei ihm ständig die Farbe ins Gesit trope. Das
grenzte an Folter. Während er mit seinem Werk voransri, hae
Mielangelo die Kritiker im Zaum zu halten, si vor seinen Gegnern zu
hüten, den Papst dazu zu bringen, ihm das Zustehende zu bezahlen und
wurde außerdem von den penetranten Beeleien seiner eigenen
Familienangehörigen bedrängt. Dem ältesten seiner vier Brüder, Buonarroto,
sreibt er na der soundsovielten Geldforderung: «I mu Eu mieilen,
da i kein großes Vermögen habe und da i, wie man sagen könnte,
barfuß und nat bin und da i meinen Rest nit bekomme, bevor i das
Werk vollendet habe, und i mae sehr große Entbehrungen und
Mühsalen dur.» Und dem Vater: «I bin hier weiterhin unzufrieden, nit
allzu gesund und mühe mi unabläig ab, ohne Hilfe und ohne Geld.»[3]
An den rüsitslosesten seiner Brüder, Giovan Simone, ritet
Mielangelo eines Tages den äußerst heigen Vorwurf:
Seit zwölf Jahren durziehe i elend genug ganz Italien, ertrage jede Sande, erdulde jede
Strapaze, zerreiße mir den Körper in allen nur möglien Mühen, setze mein Leben tausend
Gefahren aus – und das alles nur für meine Familie. Und jetzt, da i begonnen habe, deren
Rang ein wenig zu erhöhen, willst du derjenige sein, der in einer Stunde alles verdirbt und
ruiniert, was i in so langen Jahren mit so unsäglien Anstrengungen erreit habe – beim
Leibe Christi, so wird es nit kommen! Wenn nötig, nehme i es mit zehntausend von
deinem Slag auf![4]
Nadem dieses Werk fertig war, konnte Mielangelo, da er beim Malen so lange die Augen
das Gewölbe hinauf geritet hae, slet sehen, wenn er na abwärts blite, so da er,
wenn er einen Brief oder sonst etwas Kleines zu lesen hae, es mit den Armen über den Kopf
halten mute.[7]
Eine o gestellte Frage ist, ob si der Meister bei der Konzeption der
Erzählung – oder au: der eologie – der Gewölbefresken Rat und Hilfe
holte. Einige Historiker halten es für mögli, da hinter dem komplexen
ikonographisen Programm ein Fagelehrter, ein profunder Kenner der
Materie gestanden hat, deen Namen man sogar ausfindig maen könnte.
Auf jeden Fall wien wir, wie er methodis vorging. Die großen Künstler
des 15. Jahrhunderts haen mit ihren Freskenzyklen zum Leben Moses’ und
zum Leben Jesu die Chronologie der Erzählung vorgegeben und waren dabei
vom Altar ausgegangen.
Au Mielangelos Gesiten beginnen am Altar mit der Ersaffung
der Welt und kommen in neun Bildern bis zur rätselhaen Szene der
«Trunkenheit Noahs». Der Meister aber beginnt am Eingang zu malen, das
heißt im Sinne der Chronologie der Erzählung in entgegengesetzter
Ritung. Er mu also bereits zu Beginn seiner Arbeit genau gewut haben,
was er auf den darauf folgenden 40 Metern darstellen wollte. Bei genauem
Hinsehen springt au ins Auge, da die Figuren fortlaufend an Statur und
Ausdruskra gewinnen, als habe ihr Söpfer mit der Zeit an Sierheit
gewonnen, seine immensen Energien freizusetzen.
Von den Seitenwänden tri ein illusionistises Seingefüge, eine
gemalte Seinaritektur hervor, die Episoden und Figuren einrahmt,
organisiert und trennt. In den die Fensterbögen umgebenden Nisen, den
sog. Lüneen, sind die Vorfahren Christi dargestellt, na der Liste, die
Mahäus seinem Evangelium voranstellt, bis zu Maan, dem Vater Josefs,
also Jesu Großvater. Die Namen der größer dimensionierten Persönlikeiten
sind auf Sritafeln verzeinet. An die Stelle der ursprüngli für die
Zwielfläen vorgesehenen Apostel sind sieben Propheten und fünf
Sibyllen getreten, Männer und Frauen, Juden und Heiden. Sie repräsentieren
die Seher, die na der Vulgata die Geburt des Meias vorausgesagt haen.
Unter den Sibyllen ist die «Cumäise» am beeindruendsten: das
finstere Gesit einer Alten mit dem Körper eines Athleten, im Vordergrund
ein gewaltiger Arm. Eine widersprülie Figur, die das Dunkel des
Heidentums no einmal aulitzen lät. Die verführerisste dagegen ist
die Delphise Sibylle (Delphica auf der Insri), die mit apollinisem
Gesit als junge Frau dargestellt ist, erleutet von der Ausdruskra eines
intensiven, leit verstörten, fast no kindlien Blis. Gekrönt hat der
Künstler die Propheten und Sibyllen mit zehn Paaren nater junger Männer
in versiedenen Posen, die als Hommage an den Papst della Rovere Kränze
aus Eienbläern tragen: die berühmten Ignudi. Mielangelo hat no
viele weitere Figuren und Dekors eingefügt, auf die i in dieser
summarisen Besreibung nit eingehen kann. Die Literatur zum
Deenfresko der Sixtinisen Kapelle ist im Übrigen grenzenlos.
Der witigste Teil des Werks ist natürli das Mielfeld mit seinen neun
Freskengemälden, vier großen und fünf kleineren. Am dramatissten,
deshalb au am populärsten, sind zwei Szenen: Dio crea il sole, la luna e la
terra (Go ersa Sonne, Mond und Erde), in der Go zweimal dargestellt
ist; zur Reten ist er dabei, mit zuglei majestätiser wie mahnender
Gebärde die Sonne ins Firmament zu setzen; in der Szene, die als Folgeszene
betratet wird, dreht er dem Betrater den Rüen (und das nate Gesäß)
zu und sit si an, in der unergründlien Tiefe des Raums zu
verswinden.
Die zweite, no berühmtere Darstellung, ist die Creazione di Adamo (Die
Ersaffung Adams), wo ein halb liegender, verträumt auehender jungen
Mann zu sehen ist, deen Glieder si vom Grün-Blau eines Hügels
absetzen. Inmien eines Swarms von Engeln swebt in einem
windgeblähten violeen Tu Go auf ihn zu; den gölien Arm geret,
der ausgestrete Zeigefinger kurz davor, den Finger Adams zu berühren, um
ihm die Seele einzuhauen; die beiden Hände aber erreien einander nit,
die Geste erstarrt in dem unmielbar ihrer Vollendung vorausgehenden
Augenbli. Mit genialer Intuition hat es der Künstler dem Betrater
überlaen, ihn na seinem Gutdünken zu Ende zu bringen. Diese Bilder
sollten in ihrer Synthese des Menslien und des Gölien, der jüdisen
Bibel und der neuplatonisen Lehre zum Inbegriff, ja zum Symbol der
Renaiance-Kunst werden.
Die beiden kurzen Querseiten des Gewölbes sind von den Propheten
Saarja (über dem Eingang) und Jona (über dem Altar) besetzt. Viele
Kritiker sehen in der Gegenüberstellung dieser beiden Figuren die
exemplarise Veransauliung von Mielangelos Stilevolution. Saarja
sitzt in die Lektüre eines Bues versunken, in dem er bläert. Seine
Proportionen sind nit vollkommen, trotz des wallenden Bartes ist der Kopf
zu klein im Verhältnis zum Körper, der verzerrt wirkt, nit zuletzt aufgrund
des reihaltigen Faltenwurfs seines Gewandes. Jona ist von riesigen
Dimensionen, die größte Figur des gesamten Werkes, er sprengt sogar den
aritektonis vorgegebenen Rahmen, die Beine hängen irgendwie in der
Lu, während in der gewagten Drehung des Körpers seine Revolte zum
Ausdru kommt. Auf der reten Seite des Bildes glotzt dumäuseris der
(zoologis ein wenig approximativ gestaltete) «Wal» vor si hin, der ihn
eigentli verslingen müte. In einem Text von 1926 besreibt der
Kunstkritiker Adolfo Venturi die Szene so: «Eine vollkommene Statue, mit
Wut aus der Wand gerien, eine wunderbare gemalte Skulptur.»
Es ist o gefragt worden, aus welem Grund Jona so überdimensioniert
ist und weshalb er seinen Platz direkt über dem Altar hat, also genau da, wo
si na dem ersten Plan Petrus befinden sollte. Und weshalb er vom
Meister in dieser verdrehten und aufgewühlten Körperhaltung dargestellt
wurde, mit angstverzerrtem Mund und Bli.
Die Antwort liegt in der kuriosen Gesite dieser Persönlikeit, in der
si Glaube und Rebellion vermisen. Jona ist, obwohl die Bibel ihn zu den
zwölf «kleinen» Propheten zählt, eine einzigartige Figur: von Go gesandt,
um den Heiden zu predigen. Und er rebelliert, weil er seine Aufgabe für
undankbar hält. Um ihr zu entgehen, besteigt er sogar ein Siff, das in eine
ganz andere Ritung fährt. Do Go entfat einen Sturm, der das Siff
beinahe zum Kentern bringt. Beim Versu, die übrigen Insaen vor einer
Strafe bewahren, die nur ihm zugedat ist, biet er die Seeleute, ihn ins
Meer zu werfen, wo er allerdings soglei von einem großen Fis
verslungen wird. Aus dem Bau des Ungeheuers betet er zu Go, dem er
versiert, er werde den ihm anvertrauten Aurag ausführen. Na drei
Tagen sput es ihn aus und Jona landet unversehrt an einem Strand. Mit
einer Reihe von ähnlien Abenteuern geht die dramatise Gesite
weiter, um sließli damit zu enden, da es Jona gelingt, au in den
Heiden den Willen zur Reue zu erween.
Heute erinnern si nur no die Experten an ihn, do zu Zeiten
Mielangelos wurde diese Gesite vor allem aus zwei Gründen immer
wieder zitiert: zum einen wegen der Wiederauferstehung na drei Tagen
aus dem Grab in Gestalt des Walbaues. Wir sind da der Auferstehung Jesu
sehr nahe, wie sie au Mahäus (12, 38–40) besreibt:
Zu dieser Zeit sagten einige Srigelehrte und Pharisäer zu ihm: Meister, wir möten von
dir ein Zeien sehen. Er antwortete ihnen: Diese böse und treulose Generation fordert ein
Zeien, aber es wird ihr kein anderes gegeben werden als das Zeien des Propheten Jona.
Denn wie Jona drei Tage und drei Näte im Bau des Fises war, so wird au der
Mensensohn drei Tage und drei Näte im Innern der Erde sein.[8]
Der zweite und ebenso gewitige Grund ist na der anfänglien Rebellion
die Erleutung des Propheten über die gölie Barmherzigkeit. In der Tat
gibt es in seiner Legende ein Bewutsein von Sünde und Reue, die zum
Verständnis der Mat eines Goes führt, der das Herz der Mensen kennt
und zu vergeben weiß. Die Botsa des Jona in der Sixtina soll si auf die
potestas clavium (die Slüelgewalt) beziehen, dur die der Bisof von
Rom, wie Jona, die Welt zur Buße aufru. Diese Anmerkung bringt uns
zurü zu einer anderen Darstellung in der Kapelle, die nit von
Mielangelo ist, sondern aus dem vorangegangenen Zyklus aus dem
15. Jahrhundert: Peruginos Consegna delle iavi (Übergabe der Slüel).
In dieser durkomponierten, sehr feierlien Szene sieht man Christus, der
dem vor ihm niederknienden Petrus die Slüel der beiden Reie übergibt.
Es ist der malerise Naweis für den gölien Ursprung der später von
Petrus auf seine Nafolger übergegangenen Mat. Im aktuellen
Kateismus der katholisen Kire ist zu lesen:
Das in der Heiligen Überlieferung und in der Heiligen Sri enthaltene «heilige Erbe» des
Glaubens ist von den Aposteln der Kire als ganzer anvertraut worden … Die Aufgabe aber,
das gesriebene oder überlieferte Wort Goes authentis auszulegen, ist allein dem
lebendigen Lehramt der Kire – das heißt den Bisöfen in Gemeinsa mit dem
Nafolger Petri, dem Bisof von Rom – anvertraut, deen Vollmat im Namen Jesu
Christi ausgeübt wird.[9]
Die Szene verweist also auf die Funktion, die die Sixtina inzwisen
dauerha übernommen hae: Die Kapelle ist, wenn man es so ausdrüen
darf, das Wahllokal des hösten Amtes der katholisen Welt.
In dieser Funktion wird die dur die Meistersa so vieler Künstler
göli gewordene Sixtinise Kapelle wieder mensli, sogar allzu
mensli, kann man sagen; denn um gewählt zu werden benötigt au ein
Papst, wie alle Mätigen der Erde, Kompromie und Verhandlungen, wie
sie jeder Sue na Konsens vorausgehen. In der Vergangenheit kam no
die Grausamkeit hinzu, die jene Zeiten zuließen, die die abgrundtiefe
Korruptheit zwemäßig erseinen ließ und die in Anbetrat der Höhe des
Einsatzes, der auf dem Spiel stand, unumgängli war.
Exemplaris dafür ist die Gesite der Marozia, die kurz vor dem Jahr
1000 einige Jahrzehnte lang die wahre Herrin des Papsums war, eine
Gesite von düsterer Faszination, die sehr eindrusvoll den «Geist»
jener Zeiten widerspiegelt. Maria, die Mariozza und später Marozia genannt
wurde, wird um 890 als Toter der eodora, einer ehemaligen
Prostituierten, und des eophylakt geboren, eines römisen Senators
germanisen Ursprungs. Der Überlieferung na war sie sehr sön,
jedenfalls wute sie ihre Sönheit offenbar sehr intelligent einzusetzen.
Ihre Muer eodora, Analphabetin zwar, aber ziemli slau, war die
Geliebte Johannes’ X. (914–928) gewesen. Marozia erreite weit mehr. Und
obwohl au sie Analphabetin war, gelang es ihr mindestens zwei Jahrzehnte
lang, dur Einflunahme auf die Wahl dreier Päpste das Leben Roms zu
beherrsen: Leos VI., Stephans VII. und Johannes’ XI. In seiner Gesite
der Stadt Rom im Mittelalter besreibt Ferdinand Gregorovius die beiden
Frauen mit diesen Worten: «Wir haben innerhalb des verkleinerten Kreises
der römisen Welt in eodora und Marozia keine neuen Mealinen zu
suen, sondern ehrgeizige Frauen von großem Verstande und Mut,
herrsbegierig und genusütig.»[10] Gierig waren sie gewi, au
slau, sehr gesite Taktikerinnen, die Toter no mehr als die Muer.
Bereits mit 15. Jahren war Marozia die Konkubine Papst Sergius’ III., ihres
Cousins. Eine Beziehung, die in Rom, wo die Korruptheit des Papsums der
Spiegel der allgemeinen gesellsalien Verhältnie war und jeder, der
über ausreiende Miel verfügte, si ihrer in diesem Sinne au bediente,
vor aller Augen ganz offen ausgelebt wurde. Im Jahre 910, als sie no nit
einmal 20 Jahre alt war, wurde der gemeinsame Sohn Giovanni geboren, der
seinerseits als Johannes XI. Papst werden sollte. Anseinend ließ Marozia,
weil sie von der Beziehung genug hae, Sergius III. kurze Zeit darauf
umbringen, der si im Übrigen ledigli dur den katastrophalen
Niedergang einen Namen mate, in den er die Kire hineingerien hae.
Mit ihm beginnt jene Periode, die Liutprand (920–972), Bisof von Cremona
und Historiker, als «Pornokratie» oder die Herrsa der Prostituierten
bezeinen wird.
Marozia heiratet dreimal. Zuerst Alberi I., Herzog von Spoleto, mit dem
sie einen weiteren Sohn haben wird, Alberi II., auf den wir glei no zu
spreen kommen. Na dem Tode des Gaen (vielleit in einer Slat)
heiratet sie erneut, diesmal Guido, Markgraf von Tuszien, einen stolzen
Opponenten Johannes’ X., deen Absetzung Marozia dann au erreit;
kurze Zeit später wird der unglülie Papst erdroelt. 931 lät diese
furteinflößende Frau ihren erst 21 Jahre alten Sohn Johannes, der einen
fragilen Charakter und eine dramatise Unerfahrenheit für das swierige
Amt mitbringt, auf den Petrusthron steigen. In der Tat wird es die Muer
sein, die an seiner sta herrst, und möglierweise hat ihre aufdringlie
Präsenz dazu beigetragen, die Legende der sogenannten «Päpstin Johanna»
heraufzubeswören, der Frau also, die eine Zeitlang in Männerkleidern die
römise Kire regierte. Dazu no einmal Gregorovius: «Johannes XI. war
der Sohn dieser berütigten Römerin, wele si Senatrix, selbst Patricia
nennen ließ, weil sie in der Tat die weltlie Herrin der Stadt war und au
die Päpste ernannte. Man hielt für seinen Vater Sergius III., was indes
ungewi ist.»[11]
Im Jahre 932 heiratete Marozia zum drien Mal. Der Auserwählte war
diesmal Ugo di Provenza (Hugo), König von Italien, den Gregorovius – und
wieder einmal greife i auf seine faszinierende Gesite der Stadt Rom im
Mittelalter zurü – so besreibt:
Ränkevoll und arglistig, wollüstig und habgierig, kühn und gewienlos, mit den treulosesten
Mieln dana strebend, sein italienises Königtum zu erweitern, war Hugo der wahre
Repräsentant seiner Zeit … Wäre es uns erlaubt, lange außerhalb Rom zu verweilen, so
würden wir dartun, wie jener Hugo die Bistümer und Abteien Italiens verkaue, mit freen
Günstlingen besetzte, jeder Begier den Zügel nahm und jedes Gefühl für das Ret erstite.
[12]
Da aber au Marozia zweifellos eine Persönlikeit ist, die ihre Epoe sehr
gut repräsentiert, waren die beiden sier ein Paar in perfektem Einklang mit
seiner Zeit.
Den Charakter dieses Hugo beleutet sehr sön ein Ereignis, das mit
eben dieser Heirat zu tun hat. Hugo war der Bruder von Marozias zweitem
Mann Guido. Also häe er sie gar nit heiraten dürfen, denn Ehen unter
Verswägerten galten als Inzest. Um das Hindernis zu umgehen, war er
skrupellos genug, seine eigene Muer zu verleumden und zu swören, er sei
der Spro einer ehebreerisen Beziehung, also nur Guidos Stieruder.
Befriedigt über die Eroberung der königlien Tiara, aber no immer
unersäli, bat Marozia den Papst, ihren Sohn Hugo zum Kaiser zu
proklamieren, und «sie sah si bereits im Purpur der Kaiserin glänzen, denn
ihr Sohn, Johannes XI., dure si nit weigern, seinem baldigen Stiefvater,
dem Könige Italiens, die Kaiserkrone aufs Haupt zu setzen.»[13] Es wäre ihr
ohne Weiteres au diesmal gelungen, denn Johannes war ein Spielzeug in
ihren Händen, wenn si nit ihr zweiter Sohn Alberi II. widersetzt häe,
der Hugo vertrieb, seine Muer gefangennehmen und Johannes XI. im
päpstlien Palast unter Bewaung stellen ließ.
Die öffentlie Gesite Marozias endet hier, um aber der düsteren
Atmosphäre der Epoe einen weiteren Farbtupfer hinzuzufügen, führe i
no eine vielsagende Begebenheit dieser authentisen «Pornokratie» an.
Als Marozia beinahe sezig und ein ganzes Leben lang ihren Ambitionen
hinterhergelaufen war, site sie si an, ihre Tage als Gefangene in der
Festung des Castel Sant’Angelo zu besließen. Dort erfuhr sie, da
Oktavian von Spoleto, der Sohn Alberis II., also ihr Enkel, unter dem
Namen Johannes XII. zum Papst gekürt worden war. Er war ein junger
Mann von knapp atzehn Jahren, völlig ungeeignet für das Amt, was er
au ausgiebig unter Beweis stellen sollte. Selbst Kardinal Bellarmin wute
das und sagte über ihn: «Fuerit fieri omnium deterrimus.» («Von allen
Päpsten wird er der sleteste gewesen sein»).
Die Liste seiner Verbreen ist endlos, man sagte über ihn, er habe sogar
Sünden erfunden, die es vorher gar nit gab; der Gipfel war jenes Roma
deplorabilis (Rom der Sande), gegen das si einige Jahrhunderte später
Luther heig wenden wird. Im Lateranpalast hielt der Papst einen Harem
junger Frauen und Knaben, die seinen Gelüsten jederzeit zur Verfügung
standen, er plünderte die Spenden der Pilger und versleuderte sie im Spiel,
füerte seine 2000 Pferde (was wahrseinli eine Übertreibung ist) mit
weingesäigten Mandeln und Feigen.
Kaiser Oo I. aus der säsisen Dynastie ritete ein sarfes Sreiben
an ihn:
… alle, sowohl Weltlie als au Geistlie, haben Eu angeklagt des Mordes, des Meineids,
der Tempelsändung, der Blutsande mit Eurer eigenen Verwandten und mit zweien
Swestern. Sie erklären no anderes, wovor das Ohr si sträubt, da Ihr dem Teufel
zugetrunken und beim Würfeln Zeus, Venus und andere Dämonen angerufen habt.[14]
Wie ein römiser Kaiser der Dekadenz starb er ganz jung, mit kaum
24. Jahren, von einem eifersütigen Ehemann aus dem Fenster geworfen,
der ihn in flagrante delicto erwist hae, mit anderen Worten: im Be mit
seiner Ehefrau, einer gewien Stefanea, von der wir nits weiter wien.
Jedenfalls wurde er in San Giovanni in Laterano bestaet.
In den Jahren unmielbar zuvor hae es ein wenig bekanntes, aber sehr
bedeutsames Ereignis gegeben. Papst Formosus (891–896), der versut hae,
si zwisen zwei Potentaten durzulavieren, wurde na dem Willen
seines Nafolgers Stephan VI. sogar exhumiert. Der mit den päpstlien
Gewändern angetanen, auf einem ron platzierten Leie wird in einer
sauerlien Geritsfarce der Proze gemat. Mit Spitzfindigkeiten
überführt und für suldig erklärt, wird Formosus für alle Ewigkeit
verurteilt, ansließend werden ihm die drei Finger der reten Hand
abgesnien, mit denen er den Segen erteilt hae, und seine Leie wird in
den Tiber geworfen. Vor allem aber, und das ist der eigentlie Grund für die
makabre Prozedur, werden alle seine Maßnahmen (also inklusive der
Ernennungen und Ordinationen) für null und nitig erklärt. Au
Stephan VI. nahm kein beeres Ende. Wenige Monate später wurde er na
einem Volksaufstand ins Gefängnis geworfen und dort umgehend erdroelt
(897).
Es hat zwar lange gedauert, denno ist es der Kire von Rom gelungen,
si eine klare Prozedur für die Wahl ihrer Spitze zu geben. Eine Reihe von
Regeln sind studiert und geprü worden, um wenigstens die offensitliste
Willkür zu vermeiden. Es hae Jahrhunderte gegeben, in denen der
Papshron an den Meistbietenden ging, Fälle erfolgreier Wahlen dank der
Ermordung des Konkurrenten, andere Fälle, in denenmätige römise
Familien (die Crescenzi, die Grafen von Tusculo) ret unverhohlen auf
Meuelmörder zurügegriffen haen, um zu besteen und zu töten.
Dabei ist zu berüsitigen, da der Petrusthron lange Zeit dem
Matkalkül, gelegentli au den Extravaganzen des Kaisers ausgesetzt
war, während das «Volk», das bei den Wahlen anfängli ein gewies
Gewit gehabt hae, wenn au nur wegen des Drus der Mae,
zunehmend beiseitegedrängt wurde. Eine der fundamentalen Reformen
verwirklite Papst Nikolaus II., der in seinem sehr kurzen Pontifikat (1058–
1061) das Wahlret auließli auf die römisen Kardinalbisöfe
besränkte. Erst später, wenn die Würfel son gefallen waren, sollten die
übrigen Kardinäle, der Klerus, das Volk ihrer Meinung Ausdru verleihen,
was dann aber nit mehr entseidend war. Heute würde man eine
derartige Reform äußerst negativ beurteilen. Damals war sie notwendig
geworden, um der Kire eine größere Freiheit vor säkularen Einmisungen
zu garantieren, die eines der größten Probleme darstellten; dabei ging es
nit so sehr darum, si dem Einflu des Volkes zu entziehen, das damals
wie heute leit zu manipulieren war, sondern dem der wahren Mathaber,
vor allem natürli des Kaisers.
Die Kämpfe zwisen Papsum und Kaisertum haben nit nur die
Chronisten der Zeit, sondern au die Historiker lange besäigt. Die
Auseinandersetzungen wurden besonders erbiert, wenn zwei große
Persönlikeiten aufeinandertrafen, wie im Falle des deutsen Kaisers
Heinri IV. und Papst Gregors VII., des berühmten Hildebrand von Soana,
der plötzli vom Status des Aridiakons zum Papst aufgestiegen war. Wir
sind im Jahr 1073, als Gregor auf eine sehr irreguläre Weise gewählt wird,
durgedrüt dur einen Teil der Hierarie, akklamiert vom Volk, das si
vor der Kire San Pietro in Vincoli versammelt hae.
Hildebrand hae eine sehr hohe Einsätzung von der Würde seines
Amtes und von si selbst, er war der Überzeugung, da jeder Papst, wenn
ihm einmal die Matbefugnie übertragen worden waren, persönli ein
Heiliger sei, während der Rang des Kaisers selbst potenziell gute Mensen
per se zu sleten Mensen mae. Er war ferner überzeugt, da der
Papst das Ret habe, über jedermann Urteile zu fällen, selbst dagegen von
niemandem verurteilt werden dürfe, da also auließli er die Mat
habe, Bisöfe einzusetzen und wieder abzusetzen, und au die Mat,
sogar den Kaiser abzusetzen. Das waren keine absoluten Neuheiten, neu war
aber die Entsiedenheit, mit der diese enorme Matfülle reklamiert wurde,
so als ob Gregor ganz Europa als eine Ansammlung von Lehen zu seinen
Diensten betratete.
Gleizeitig arbeitete er an einer Neuordnung der Kire von innen heraus
und weerte gegen den Verkauf der kirlien Pfründe, ein sehr verbreitetes
Übel, und gegen die Priesterehe. Zum Beispiel ließ er alle Bisöfe
suspendieren, die dem Klerus gegen Geld das Konkubinat gewährt haen.
Regelrete Blitze wurden gegen Heinri IV. gesleudert, der es gewagt
hae, einige Bisöfe und Äbte zu ernennen. Dieser Akt war eine
konsequente Umsetzung seiner zuvor abgegebenen Erklärungen, gleizeitig
aber au der Auakt zu jenem «Investiturstreit», der zu einem gnadenlosen
Duell zwisen diesen beiden führen und si über Jahre hinziehen sollte.
Der Papst exkommunizierte Heinri, und Heinri erklärte den Papst für
abgesetzt, sute ihn dann aber aufgrund der negativen Reaktionen einiger
seiner Feudalherren bei der Markgräfin Mathilde in Canoa auf. Gregor ließ
ihn im eisigen Reggianer Winter (Januar 1077) drei Tage lang reumütig
warten, bevor er si dazu entslo, ihn einzulaen und wieder in die
Gemeinsa der Gläubigen aufzunehmen. Der Kaiser war in die Knie
gezwungen worden, der Papst hae ihm einen Vorgesma auf die
Bierkeit der Niederlage geboten, gerade so viel wie notwendig war, damit
si dies unauslösli in seinem Gedätnis einprägte. Do die Dinge
liefen dann nit wie vorgesehen (vgl. au Kapitel III).
Die erliene Sma verzeiht Heinri dem Papst nie. Na Deutsland
zurügekehrt und in seiner Mat bestätigt, bezwingt er die rebellisen
Feudalherren, verlangt vom Papst, da dieser einen seiner Rivalen absetzt.
Gregor VII. lehnt das ab, geht sogar no weiter und exkommuniziert ihn ein
zweites Mal. Heinri verweigert ihm den Gehorsam und designiert einen
Gegenkandidaten für den Petrusthron, Erzbisof Wibert von Ravenna, der,
zum Papst (oder Gegenpapst) geweiht, den Namen Clemens III. (1080–1100)
annehmen wird. Gregor versut zu reagieren, do seint si der Kaiser
erneut einer derartigen Gunst zu erfreuen, da der Papst zum Abdanken
gezwungen ist.
Im März 1084 gelingt es Heinri sließli, in Rom Einzug zu halten,
und am Ostersonntag krönt ihn «sein» Papst zum Kaiser, während si
Gregor in der Engelsburg versanzt. Inzwisen seint die Situation für
ihn auitslos, do mat er no einen verzweifelten Versu: Er ru ein
von Robert Guiskard befehligtes, im Süden Italiens operierendes Heer der
Normannen zu Hilfe. Die Normannen kommen, dringen in Rom ein,
Heinri flieht, der Papst wird befreit. Die Römer erleben eine der
grausamsten Plünderungen, der gewaltigsten Verwüstungen in der
Gesite der Stadt. Au fünf Jahrhunderte na diesen entsetzlien
Ereignien, als Luthers Reformation si auszubreiten beginnt, werden si
die Protestanten no immer an jene Tage erinnern und sie mit diesen
Worten zusammenfaen: «Gregor I. reete Rom vor den Langobarden,
Gregor VII. ließ es von den Normannen zerstören.» Hildebrand, ein
politiser Papst par excellence, ein Gigant der Politik, gab der eigenen
Reung und der seiner Residenz den Vorzug vor der Reung der Stadt. Die
Römer der Zeit verziehen ihm das nit, und der Papst sah si na den
Plünderungen gezwungen, gemeinsam mit Guiskard Rom zu verlaen. Ein
Jahr später starb er sezigjährig in Salerno, wo er mit den Psalmversen
seine Unsuld beteuerte, die zu seiner Grabinsri werden sollten: «Dilexi
Justitiam, odivi iniquitatem, propterea morior in exilio» («I liebte die
Geretigkeit, i hate das Böse, deswegen mute i in der Verbannung
sterben»). Die von ihm in Kra gesetzte Kirenreform überlebte ihn bis fast
in unsere Tage. Ein kurzer Paus aus der Gesite des Gregorovius gibt
mit bemerkenswerter Intensität die Bedeutung dieses Pontifikats und der
ganzen Tragödie wieder:
Die Verwüstung Roms bleibt ein dunklerer Fleen in der Gesite Gregors als in der
Guiscards; es war die Nemesis, wele diesen Papst zwang, ob saudernd und widerwillig,
denno in die Flammen Roms zu starren. War Gregor VII. im brennenden Rom (und es
brannte um seinetwillen) nit ein so srelier Mann des Fatum wie Napoleon, wenn er
ruhig über blutige Slatfelder dahinri? Sein sönes Gegenbild ist Leo der Große, der die
Heilige Stadt vor Aila bewahrt und ihr Los vor dem Grimme Geiseris mildert. Nit einer
unter den Zeitgenoen hat bemerkt, da Gregor den Versu gemat hat, Rom vor der
Plünderung zu reen, oder über den Fall der Stadt eine mitleidige Träne geweint habe. Was
war diesem Mensen des Sisals das halb zerstörte Rom im Verhältnis zu der Idee,
weler er den Frieden der Welt zum Opfer brate?[15]
Na der Bulle Nikolaus’ II. war na einem Sisma, das fast zwanzig Jahre
gedauert hae, die darauffolgende Reform der Regeln diejenige von Papst
Alexander III. (vermutl. Rolando Bandinelli, 1159–1181). Hauptzwe der
Maßnahme war es, die Wahl in eine strenge Prozedur zu zwingen und damit
individuelle oder «Flügel»-Intereen abzuwehren. Son der Titel, der
dieser Konstitution 1179 gegeben wurde (Licet de vitanda discordia – Zur
Vermeidung von Zwietrat ist es erlaubt), mate ihre Absit explizit. In
der Praxis handelte es si darum, allen Kardinälen, und nur ihnen, das
Ret zu verleihen, am Konklave teilzunehmen. Außerdem wurde
vorgesrieben, da zur Wahl des Papstes fortan eine Mehrheit von zwei
Drieln notwendig war:
Wenn bei der Wahl des Papstes unter den Kardinälen Einheit nit zu erreien ist, wenn
aber zwei Driel einig sind, der drie Teil aber mit ihnen nit übereinstimmen will, so soll
ohne jeglie Ausnahme derjenige von der allgemeinen Kire als Papst angesehen werden,
weler von zwei Drieln in Einmütigkeit gewählt ist. Maßt si jemand im Vertrauen nur
eines Driels den Namen des Papstes an, so sollen er und seine Anhänger der
Exkommunikation verfallen und mit Auließung aus dem geistlien Stande bestra
werden.
Diese Norm, die von besonderem Gewit war, weil sie von einem
ökumenisen Konzil verabsiedet wurde, kappte jeden möglien Einflu
der Bisöfe beim Kampf um die ronfolge. Das Kardinalskolleg und der
Papst an seiner Spitze waren als einzige autorisiert, die Leitlinien der Kire
festzulegen und anzuwenden, in geistlien wie in rein politsen
Angelegenheiten, eine Reform, die at Jahrhunderte lang Gültigkeit
besitzen sollte, bis zu Johannes Paul II. Mit Alexander III. besleunigt si
die «monarise» Organisation der Kire. Wie Giancarlo Zizola in seiner
Gesite der Konklaven ritig anmerkt, wird «die Berufung auf die
apostolisen und gemeinsalien Legitimationen der Mat in der
Kire immer fragmentariser und meistens rhetoris».[16]
Mit der Zeit wird si außerdem die Doktrin dursetzen, na der, wenn
der Papst (König) als Nafolger Petri betratet wird, die Kardinäle
(Kirenfürsten) die Erben der Apostel sind und damit die Gruppe der
Männer repräsentieren, die si in der Ursprungszeit des Christentums um
Jesus herum formiert hae.
Nit einmal die Regel der Zweidrielmehrheit konnte allerdings
verhindern, da einige Jahrzehnte lang immer weiter Päpste und
Gegenpäpste gewählt wurden, mit brutalen Auseinandersetzungen zwisen
den beiden Kontrahenten, und da das Volk von Rom, au wenn es
inzwisen keinerlei Legitimation mehr hae, weiter lautstark mal den
einen, mal den andere Kandidaten unterstützte, wobei es si mal von der
Sympathie, mal von dem Einflu leiten ließ, den die mätigsten Familien
auszuüben wuten.
Um die Mie des 13. Jahrhunderts, mit Innozenz IV. (Sinibaldo Fiesi,
1243–1254), präzisieren die Wahlbestimmungen darüber hinaus die
versiedenen Kompetenzen, stellen den Papst in den Mielpunkt der
Jurisdiktion, als Quelle jeder geistlien und weltlien Legitimität, umgeben
von einem mit Privilegien und ausgedehnten Matbefugnien
ausgestaeten Kardinalshof. Dies mat jeden anderen Herrser zum
Untergebenen der päpstlien Mat. Mit Papst Fiesi wird das Christentum
zu einem eten Regime, das mit geeigneten praktisen Instrumenten und
Drumieln ausgestaet ist, von der Exkommunikation bis zur Folter, die je
na «Gegner» entspreend dosiert werden können: Ketzer, Juden, dem
Gehorsamsgebot widerstrebende Herrser. Es war übrigens au
Innozenz IV., der mit der Bulle Ad extirpanda der Inquisition «falls
notwendig» den Gebrau der Folter als Instrument der Wahrheitsfindung
gestaete.
Viel Zeit und viele mühsame Verhandlungen waren nötig, um eine
ausreiend stabile Wahlprozedur zu etablieren. In den Jahrhunderten des
Homielalters entsteht das «Konklave», etymologis cum clave – «mit
dem Slüel». Wie Zizola anmerkt, bildet si die temporäre
Eingesloenheit der Kirenfürsten zu Anfang «als gewaltsame, leit
erpreerise Revane für das verletzte Ret des Volkes [heraus]. Das Volk
ist von der Wahl ausgesloen worden, das Volk sließt die Kardinäle ein,
die ihm das Wahlret geraubt haben.»
Do aller Vorsorge und Zusierung zum Trotz ist die Wahl des Summus
Pontifex angesits der vielen widerstreitenden Intereen, die dabei im Spiel
waren, nie ganz einfa oder ganz und gar friedli abgelaufen. Ein
eklatantes Beispiel für sole Swierigkeiten, allerdings mit gravierenden
Folgen, ist die Situation na dem Tode Clemens’ IV. (Gui Foucois, 1265–
1268). Mehr als drei Jahre braute man, um einen Nafolger zu finden. Den
im päpstlien Palast von Viterbo versammelten atzehn Kardinälen,
aufgespalten in Fraktionen, die von versiedenen europäisen Herrsern
unterstützt wurden, gelang es nit, si auf einen Kandidaten zu einigen.
Angesits dieser Trödelei begannen die Einwohner von Viterbo zunäst
zu grollen, dann mauerten sie die Kardinäle in dem Palast ein, sließli
kleerten sie an dem Gebäude ho und deten das Da ab. Diese Öffnung
setzte die Wahlberetigten den Unbilden des Weers aus, dur sie wurde
au die Nahrung herabgelaen, die auließli aus Brot und Waer
bestand. Die strenge Diät war es sließli, die eine Einigung herbeiführte.
Im September 1271 wurde ein obskurer Aridiakon aus Piacenza zum Papst
gemat, Tedaldo Visconti, der den Namen Gregor X. annahm. Diese drei
langen Jahre waren aber nit nur das Ergebnis der von den Kirenfürsten
gesmiedeten Ränke oder der gegensätzlien Intereen gewesen. Die
extrem lange Wartezeit hae au etwas mit den Vorteilen zu tun, die die
Kardinäle aus den Zeiten einer Sedisvakanz heraulagen konnten.
Gregor X. war ein einfaer Aridiakon. Um ihn zum Papst zu küren,
mute er in Windeseile erst zum Priester geweiht und glei darauf zum
Kardinal ernannt werden. Es zeigte si jedo, da ihm die Legitimität des
hohen Amtes so sehr am Herzen lag, da er umgehend ein neues Dekret Ubi
(maius) periculum (1274) erließ, das no strengere Normen für das
Konklave festlegte, einsließli der Ernährungsvorsrien. In Viterbo
hae das Menü auf der Basis von Brot und Waer Wunder gewirkt; Gregor
übernahm dies und bestimmte, da im Falle des ergebnislosen Verstreiens
der ersten drei Tage «an den fünf darauffolgenden Tagen sowohl beim
Miag- wie au beim Abendeen die Kardinäle si mit jeweils nur einem
Gang zufriedengeben müen. Wenn au diese ohne Ergebnis verstrien
sind, soll ihnen nur Brot, Wein und Waer gegeben werden, bis die Wahl
vollzogen ist.»
Au die mit der Sedisvakanz verbundenen Privilegien wurden auf Diät
gesetzt: Für die gesamte Dauer des Konklaves wurden alle Gewinne und
Vorteile, die es vorher gegeben hae, abgesa. Die Wirkung war zwar
positiv, aber nit allzu dauerha. Trotz aller Regeln traten gegensätzlie
Intereen und Matgier sehr snell wieder zutage. Beim Tode Nikolaus’
IV. (Girolamo Masci, Papst ab 1288) im Jahre 1292 zog si die Sedisvakanz
mehr als zwei Jahre in die Länge, bis der fromme Eremit Pietro da Morrone
im Juli 1294 zum Papst gewählt wurde, ein heiliger Mann, atzig Jahre alt,
der auf dem Monte Maiello in einer Höhle gelebt und gebetet hae. Er nahm
den Namen Cölestin V. an, es sollte neben der 33-Tage-Regierung Johannes
Pauls I. im 20. Jahrhundert eines der kürzesten Pontifikate der Gesite
werden.
Wie Albino Luciani war au Pietro da Morrone ein einfaer Mann und
mehr von Frömmigkeit geleitet als von Intrigantentum, also ungeeignet für
die Leitung der komplexen Matmasinerie, zu der die Kire geworden
war. Während Johannes Paul I. Papst für nur 33 Tage war, war es Cölestin V.
fünf Monate lang, dann dankte er vor einem außerordentli
zusammengerufenen Konsistorium ab. Petrarca pries (in De Vita solitaria –
Vom einsamen Leben) seine Beseidenheit, Dante dagegen stellte ihn zu
den feigen Seelen und brandmarkte ihn im 3. Gesang der Hölle mit dem
harten Urteil, das in diesem berühmten Vers zusammengefat ist: «Und als
i manen dort erkennen konnte / Sah und erkannte i den Saen
deen,/ Der feig die große Weigerung begangen.»[17]
In Wahrheit hae der maßlos ehrgeizige Kardinal Benedeo Caetani alles
daran gesetzt, damit es zu dieser «großen Weigerung» kam, und si mit
diesem Sazug seine eigene Nafolge gesiert. Er wird der berütigte
Papst Bonifaz VIII. sein, deen erste Handlung es ist, den armen Pietro da
Morrone in einer Burg einzusperren. Der fromme Eremit häe in seine
Höhle und zu seinen Gebeten zurükehren wollen, do fürtete Bonifaz,
da ein so naiver Mann in den Händen der Opposition zu einer Waffe
werden, vielleit sogar ein Sisma auslösen konnte. Er zog es vor, ihn in
den Jahren, die ihm no blieben, unter Verslu zu halten.
Die Modalitäten der Wahl haben si also unter vielen Widerständen und
Verdätigungen und mit großer Kraanstrengung entwielt. Eigentli hat
fast jeder neue Papst sie na seinem Aufstieg zum ron modifiziert, und
zwar bis in unsere Tage, wie wir glei sehen werden. Tatsae ist aber, da
si die Kire in dem Maße, in dem sie ihre weltlien Ansprüe betonte
und si zum Königrei unter den Königreien Europas mate, vom
evangelikalen Geist des frühen Christentums entfernte, da si ihr
Finanzbedarf erhöhte und die Bürde ihrer ausgedehnten Mat swerer
wurde.
Bonifaz VIII. ist der «Erfinder», wenn man es so nennen darf, des Heiligen
Jahres. Das erste Mal wurde es unter seinem Pontifikat im Jahre 1300
gefeiert. Den Pilgern, die na Rom kommen würden, wurde die vollständige
Vergebung ihrer Sünden versproen, eine Art Amnestie für die Strafen nit
des Körpers, sondern der Seele. Das Eo war enorm.
Papst Bonifaz nahm diesen Zustrom als Zeien seines persönlien
Erfolges und holte genügend Gewinn dabei heraus, um die Kaen des
Vatikans aufzufüllen und vor allem sein maßloses Matbewutsein zu
befriedigen. Zwei Jahre später erließ er die Bulle Unam sanctam, der großer
Ruhm besieden war und mit der das theokratise Regime des Papsums
begründet wurde: Es gibt nur eine Kire, behauptet das Dokument, außer
ihr gibt es kein Heil und keine Vergebung der Sünden. Ihr Oberhaupt ist
Christus, der dur den Papst wirkt, seinen Stellvertreter auf Erden; die
Kire nutzt die geistlie Mat direkt, delegiert die politise an den
Fürsten, der gehalten ist, na den von der Kire erteilten Vorgaben
Gebrau von ihr zu maen. Die kirlie Mat darf die politise
verurteilen, während niemand, ausgenommen Go, si zum Riter der
Kire aufswingen darf. Jedermann, der sein ewiges Heil zu siern
beabsitigt, suldet dem Bisof von Rom Gehorsam.
Mit diesem niemals zuvor von irgendeinem anderen Souverän gewagten
Akt im Namen der gölien Mat stellte Papst Bonifaz die Weien für
zahllose Kämpfe und Tragödien. Tatsäli wurden von vielen au damals
son diese so weltlien Ansprüe, die jede ete Spiritualität
beiseitesoben, für übertrieben gehalten. Unter ihnen Dante, der Bonifaz
no zu Lebzeiten in die Reihen der Simonisten jagte (Hölle, 19. Gesang), das
heißt derjenigen, die ihr religiöses Amt mibrauen, um heilige Objekte
(z.B. Reliquien) oder Vorteile (z.B. Pfründen, Sakramente) zu verkaufen oder
zu kaufen.
Papst Caetani erwies weder seiner Religion no seiner Kire einen
Dienst. Na Bonifaz gingen die Matkämpfe unauörli weiter, Päpste
und Gegenpäpste führten weiter Krieg gegeneinander, von 1309 an war das
Papsum siebzig Jahre lang in Avignon im Exil, und die Situation wurde
au na der Rükehr na Rom nit beer. Im Gegenteil, die Jahre
Urbans VI. (Bartolomeo Prignano, 1378–1389) waren gezeinet vom
«Großen Sisma», der dunkelsten Phase der mielalterlien Kire, mit
drei Päpsten, die si gegenseitig exkommunizierten. Na dem Urteil von
Ferdinand Gregorovius wäre jede andere Monarie unter diesen Prüfungen
zerbroen. Und in einem gewien Sinne widerfuhr das ja au der Kire
von Rom, die von 1517 an mit der Reformation ganze Provinzen und eine
erheblie Anzahl ihrer Gläubigen verlor.
Der erste Papst, der in der Sixtinisen Kapelle gewählt wurde, war am
11. März 1513 Giovanni de’ Medici, der zweitgeborene Sohn Lorenzo de’
Medicis (au il Magnifico, der Prätige genannt), der den Namen Leo X.
annahm. Gregorovius: «Erst am 6. März kam Giovanni Medici, von Florenz
her in einer Säne na Rom getragen. Er war krank; sein unheilbares Übel,
eine aureende Fistel, mate ihn fast unnahbar. No im Konklave
operierte ihn sein Wundarzt.»[18] Die Tatsae, da er Lorenzos Sohn war,
hae Giovanni sein Leben lang beatlie Privilegien besert. Mit sieben
Jahren hae Innozenz VIII. ihn zum apostolisen Protonotar ernannt, mit
at Jahren zum Abt von Montecaino, mit sezehn Jahren zum Kardinal.
Den ron erlangte er, als er siebenunddreißig Jahre alt war. Er war ein
mielmäßiger Papst, zumal im Verglei zu seinem Vorgänger Julius II.,
Urheber und Opfer beklagenswerter Taten, von Raffael mit psyologisem
Sarli porträtiert: mit weiem Gesit und abwesendem,
versleiertem Bli.
1517, in einem sisalhaen Jahr für die Gesite der Kire, wurde
Leo zum Opfer einer von Kardinal Alfonso Petrucci angezeelten
Verswörung, der den päpstlien Chirurgen angestiet hae, die Fistel
während einer Behandlung zu infizieren. Das Komplo wurde entdet, die
Verswörer auf grauenhae Weise getötet: «Der Chirurg und Petruccis
Sekretär wurden unter srelien Martern hingeritet. Der Kardinal
selbst empfing sein Todesurteil mit wilden Flüen auf den Papst; er wies
den Beitvater von si; der Mohr Roland erdroelte ihn in der
Engelsburg.»[19] Die Furt des Papstes war so groß, da er si beeilte, 31
neue Kardinäle gleizeitig zu ernennen, um das «Kolleg» mit seinen
Getreuen aufzufüllen. Nur Pius XII. wird ihn übertreffen, als er 1946 auf
einen Slag 33 Kardinäle ernennt.
Leo X. war nit nur Nepotist und ein Liebhaber des Luxus, sondern au
Sodomist – falls wir Francesco Guicciardini Glauben senken, der 1525 über
ihn sreibt:
Von vielen wurde er in der ersten Zeit seines Pontifikats für sehr keus gehalten; es stellte
si dann aber heraus, da er in übertriebenem Maße, und zu allem Überflu au no
vollkommen samlos, jenen Gelüsten verfallen war, die man als anständiger Mens gar
nit beim Namen nennen darf.
Rom war ein einziges Fesheater, ein einziges Sauspielhaus. Wie der Tribunus voluptatum
der Römer ersien der Papst in seinem von Musikanten, Saupielern und Sarlatanen, von
Poeten und Künstlern, von Hofsranzen und Parasiten swärmenden Vatikan. Da ließ er
alte und neue Komödien, die samlosesten Zoten aufführen. Wir würden ein buntes
Gemälde vor uns haben, vermöten wir ein römises Jahr aus der Zeit Leos X. zu umfaen
und diese Kee von Festen zu sehen, grell gemist aus Heidentum und Christentum: die
Maskenzüge des Karneval, antike Göermythen, römise Historien in pratvollen
Sauszenen, wieder Prozeionen, glänzende Kirenfeste; das Paionpiel im Coloeum,
klaise Deklamation im Kapitol, Feste und Reden zum Geburtstage Roms; täglie
Kavalkaden der Kardinäle, zeremoniöse Aufzüge von Gesandten und Fürsten mit
heergleiem Gefolge.[20]
Wel ein greuli Volk ist das gewesen! I hä’ nit geglaubt, da das Papshumb so ein
großer Greuel sei, wenn i den römisen Hof nit selbst gesehen hä. Ist eine Hölle, so ist
Rom drauf gebaut.[21]
… son seit vielen Jahren ergießt si … von Rom aus in die Welt nits anderes als
Verheerung der Güter, der Körper und der Seelen und ersreende Fälle allerslimmsten
Übels … und aus der Römisen Kire, die einst die Heiligste von allen war, ist nun eine
Räuberhöhle ohne jedes Gesetz geworden, das allersamloseste Bordell, ein Rei der
Sünde, des Todes und der Hölle, so da nit einmal der Antirist, falls er käme, si no
etwas ausdenken könnte, was da an Sletigkeit no fehlte. … die Römise Kurie … ist ja
unvergleili viel goloser als die Türken, so da sie, während sie einstmals das Tor des
Himmels war, nun wahrhaig als Höllentor offen steht.[22]
Papst Leo untersätzte diesen Zorn, glaubte, er könne si mit einer
Exkommunikation aus der Affäre ziehen, die aber von Luther inmien einer
jubilierenden Menge vor dem Wienberger Alstertor öffentli verbrannt
wurde. Es ist ein trauriges Paradox, da die gölie Kapelle ausgerenet
mit der Wahl eines so unzulänglien, seinen Pfliten und dem Evangelium
unendli fernen Papstes eingeweiht wurde.
Die beiden letzten Reformen zur Wahlordung sind von Johannes Paul II. und
vom deutsen Papst Benedikt XVI. vorgenommen worden. 1996
verabsiedete Papst Wojtyła die apostolise Konstitution Universi
dominici gregis, mit der die 1179 festgelegte Norm der Zweidrielmehrheit
abgesa wurde. Der Papst wollte das Risiko vermeiden, da eine
Sperrminorität (glei 34 Prozent der Stimmen) das Konklave für eine
unbestimmte Zeit bloieren konnte, mit allen negativen Folgen au für das
Image, die man si leit vorstellen kann.
Seine Reform legte fest, da na Ablauf von dreizehn Tagen, in denen
keine Wahl zustande gekommen war, die absolute Mehrheit der Kardinäle
(51 und nit mehr 66 Prozent) entsied, wie weiterverfahren werden sollte:
ob man also mit der Zweidrielmehrheit weitermaen, zur absoluten
Mehrheit übergehen oder eine Stiwahl einleiten wollte. Au diese Regel
hae, wie jedes Wahlgesetz, einen Swapunkt, nämli dur die
Möglikeit, da eine relative Mehrheit von 50 Prozent der Kardinäle
geduldig den Ablauf der ersten Wahlgänge abwartete und dabei ihren
Kandidaten in der Hinterhand behielt, um ihn in dem Moment aus dem Hut
zu ziehen, sobald man zur einfaen Mehrheit übergegangen war.
Im April 2005 war gut informierten Quellen zufolge Kardinal Ratzinger
Nutznießer dieser Regel. Die Zweidrielmehrheit, die vor der Reform
Johannes Pauls II. in Kra war, häe er vermutli nur swierig erreit.
Wenn es stimmt, da die ihm geneigten wahlberetigten Kardinäle bereit
waren, bis zum Übergang zur einfaen Mehrheit abzuwarten, damit ihr
Kandidat Papst würde, dann trieb dies die Opposition so auseinander, da
damit Joseph Ratzinger der Weg geebnet wurde.
Nadem er Papst geworden war, beeilte si Benedikt XVI., Wojtyłas
Regel zu ändern, und setzte die Zweidrielmehrheit wieder in Kra, mit der
Maßgabe, da na dreizehn ergebnislos verstrienen Tagen zur Stiwahl
unter den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen überzugehen sei,
wobei allerdings das Zweidriel-Quorum beibehalten wurde. Wie man sieht,
gehen die Swierigkeiten weiter. Und nit einmal der angerufene Beistand
des Heiligen Geistes bietet Sutz vor menslier, sehr menslier
Swäe.
XIII. 16. OKTOBER 1943
DIE RÖMISCHEN JUDEN ZWISCHEN HITLER
UND PIUS XII.
A
LLE ORTE BEWAHREN EIN ECHO der kapitalen Ereignie, deren
Sauplatz sie geworden sind. Man mu den ritigen Bli dafür
haben, die Zeien erkennen, die Erinnerung aktivieren, die ritigen Worte
lesen. Zum Beispiel diese hier, mit denen Giacomo Debenedeis söne und
tragise Erzählung über ein für Rom, für seine Juden, für den Vatikan
fatales Datum beginnt: den 16. Oktober 1943, so au der Titel dieses
Kapitels. In memoriam.
Wer si stadeen an jenem Freitagabend, dem 15. Oktober, im ehemaligen Gheo von
Rom einfand, war eine Frau in swarzen Kleidern, abgehetzt, zerzaust, vom Regen
durnät. Sie bringt kein Wort hervor, die Aufregung snürt ihr die Kehle zu, treibt ihr
den Saum vor den Mund. Sie ist von Trastevere hierher gelaufen. Kurz zuvor hat sie bei
einer Frau, der sie die Bedienung mat, die Frau eines Carabiniere getroffen, und die hat ihr
gesagt, da ihr Mann, der Carabiniere, einen Deutsen getroffen hat, und dieser Deutse
hae eine Liste in der Hand, von zweihundert jüdisen Familienvätern, die mit der ganzen
Familie fortgebrat werden sollten … So fiel es der abgehetzten Frau nit swer, eine
große Zahl von Juden um si zu saren, um sie vor der drohenden Gefahr zu warnen. Do
niemand wollte ihr glauben, alle laten nur …[1]
Der Frau, die Celeste hieß, wurde also nit geglaubt. Sie war arm, in
Lumpen gekleidet, in ihrer Familie, so wurde überall gesagt, seien alle leit
mesugge. Außerdem war sie zu erregt, sie srie, mit Tränen in den
Augen, die Hände in einer pathetis besützenden Geste auf den Köpfen
der Kinder. Do leider sollte si nur wenige Stunden später diese so
überspannt wirkende Prophezeiung bewahrheiten, auf die sreliste
Weise.
Der Ort ist eine seit Jahrhunderten unverändert gebliebene, ein wenig
unförmige Straßenverbreiterung, die si dort befindet, wo die Via di
Sant’Angelo in Peseria auf die Via Catalana tri. Hinter si hat man die
mätigen Arkaden des Teatro di Marcello, vor si den größten Tempel, die
große Synagoge der römisen Juden. An der Seite ein majestätiser
Rundbogen, einer der wenigen Überreste des antiken Portikus der Octavia,
eines grandiosen, von Augustus zur Erinnerung an seine Swester
erriteten Bauwerks, von dem heute nur no wenige verstreute Fragmente
übrig sind, ein paar verstümmelte Säulen von den über 300, die es
smüten.
Auf diesem Platz standen am Morgen des 16. Oktober 1943, einem
Samstag, die Lastwagen, auf die unter Stößen und Gebrüll die Bewohner des
römisen Gheos verladen wurden. Eine Marmortafel erinnert daran: ein
ehrenwerter Versu, die Erinnerung an die Ungeheuerlikeit des
Ereignies zu bewahren, do reit eine Tafel allein nit aus. Auf den
Mauern von Rom wimmelt es von Tafeln. Man mu son etwas mehr
wien, um sie zu deiffrieren, um wirkli zu verstehen.
Der Prolog zu diesen Ereignien hae kurze Zeit zuvor stagefunden,
zwanzig Tage na dem zwisen Italien und den Alliierten unterzeineten
und am 8. September des Jahres verkündeten Waffenstillstand. Am Ende des
Monats rief SS-Oberstleutnant Herbert Kappler die Vorsteher der jüdisen
Gemeinden zu si in die Deutse Botsa und befahl ihnen, innerhalb
von 36 Stunden einen halben Zentner Gold abzuliefern. Im Falle der
Niteinhaltung wurde die Deportation einer großen Anzahl von Juden
angedroht. Die Sammelaktion begann am Morgen des 27. September. Ein
Buhalter protokollierte die Übergaben, ein jüdiser Goldsmied prüe
die Qualität des Goldes.
In den ersten Stunden gingen die Spenden ret zögerli ein,
sierheitshalber wurde der Vatikan um Hilfe gebeten. Um 16 Uhr traf die
Antwort ein: Der Vatikan erklärte si zu einem langfristigen Darlehen
bereit. Es wurde nit benötigt, denn am Ende kamen innerhalb der
vorgegebenen Frist die 50 Kilo zusammen, sogar mit einem kleinen
Übersu. Dur die Goldübergabe mote der eine oder andere römise
Jude bei si gedat haben, eine Art Lebensversierung abgesloen zu
haben. Da der halbe Zentner nur ein Vorwand gewesen war, ein
Ablenkungsmanöver, vielleit au nur eine tragise Farce, verstand man
am Ende des Krieges, als das Gold der römisen Juden in Berlin no
originalverpat in den Kisten wiedergefunden wurde. Sie waren nit
einmal geöffnet worden.
An diesem Samstag, dem 16. Oktober, um 5.30 Uhr morgens – es regnete
in Strömen – umzingelten 370 SS-Männer, denen als Gehilfen für die
untergeordneten Aufgaben fasistise Soldaten zur Hand gingen, das
Gheo und begannen, es Haus für Haus zu durkämmen. Ob sie nun
sliefen, krank waren, ein Baby stillten oder si auf die Feier des Sabbats
vorbereiteten, alle wurden gewaltsam auf die Straße getrieben, mit
Gewehrkolben traktiert, und wer nit snell genug war, mit jenen
gebrüllten deutsen Worten in Sa gehalten, die damals jedes Kind in
Rom kannte: «Snell!», «Raus!», «Jude!», «Atung!», «Kapu!»[2]. Die
Lastwagen warteten, um die Abfahrt zu besleunigen, bereits in Ritung
Trastevere aufgereiht auf dem Platz. Die Gefangenen wurden im Collegio
Militare des Palazzo Salvati in der Via della Lungara (am Fuße des
Gianicolo) gesammelt. Immer wieder setzten si die Lastwagen vom Gheo
aus in Bewegung, bis dort nits mehr blieb als die Stille eines traurigen
Herbsages, das Plätsern des Regens, eine vom Wind zugeslagene Tür
und ein paar vom Waer vollgesogene Stofffetzen, die auf der Straße
liegengeblieben waren.
Für diese Aufgabe war eine Spezialeinheit der SS na Rom gesit
worden. Mit beklemmender Naivität baten die Neuankömmlinge ihre
Kollegen, do am Petersplatz vorbeizufahren, und weil es die Stree mit
einem geringen Umweg erlaubte, wurde ihnen dieser Wuns erfüllt. Die
Lastwagen mit ihrer tragisen Frat aus sreienden, weinenden, betenden
Mensen näherten si also der Grenze zwisen Italien und dem
Vatikanstaat (gekennzeinet dur unauffällig in den Boden eingelaene
Steinplaen). Ein Umstand, der den Botsaer des Deutsen Reies am
Heiligen Stuhl, Ernst von Weizsäer, dazu bewog, na Berlin zu sreiben,
da si «der Vorgang sozusagen unter den Fenstern des Papstes abgespielt
hat».[3] In Wahrheit gab es Versue, Kontakt aufzunehmen, Pius XII.
beauragte seinen Staatekretär Luigi Maglione, den deutsen Botsaer
zu si zu rufen und den Diplomaten zur Intervention aufzufordern, um den
Deportationen Einhalt zu gebieten. Andernfalls würde der Vatikan
protestieren. Diese Begebenheit wird in den vatikanisen Dokumenten
referiert, nit aber in den deutsen.
Einige Dutzend Nit-Juden konnten ihre Freilaung erreien. Eine
swangere Frau, bei der die Wehen einsetzten, wurde zur Entbindung in
den Kasernenhof gezerrt. Umgehend wurde au der Säugling für verhaet
erklärt. In der Nat von Sonntag auf Montag, den 18. Oktober, wurden die
Gefangenen, in Kolonnen formiert, zum Tiburtina-Bahnhof geleitet, wo man
sie in Viehwaggons verstaute, die verplombt wurden, sobald sie voll waren.
Eine ganze Woe dauerte die Reise, unter mensenunwürdigen
Bedingungen von Erniedrigung und Entbehrung, bis man zum
Bestimmungsort, dem Konzentrationslager Auswitz, gelangte.
Am 25. Oktober publizierte die vatikanise Tageszeitung Osservatore
Romano eine Eloge auf den Papst: «Mit dem Anwasen so viel Leids hat
si die universale väterlie Fürsorge des Heiligen Vaters beinahe no
vermehrt, die keinerlei Grenzen kennt, weder der Nationalität no der
Religion no der Rae.» Experten für diplomatise Formeln erkannten in
dem italienisen Terminus stirpe (Stamm/Rae) einen Bezug zur tragisen
jüdisen Frage. Deen war si au der deutse Botsaer von
Weizsäer bewut, der eine Übersetzung des Artikels na Berlin site,
begleitet von einem Brief, in dem er srieb:
Der Papst hat si, obwohl dem Vernehmen na von versiedenen Seiten bestürmt, zu
keiner demonstrativen Äußerung gegen den Abtransport der Juden aus Rom hinreißen laen
… Gegen diese Veröffentliung sind Einwendungen umso weniger zu erheben, als ihr
Wortlaut … von den wenigsten als spezieller Hinweis auf die Judenfrage verstanden werden
wird … Da hier in Rom weitere deutse Aktionen in der Judenfrage nit mehr
durzuführen sein düren, kann also damit gerenet werden, da diese für das deuts-
vatikanise Verhältnis unangenehme Frage liquidiert ist.[4]
Au die römisen Juden wurden snell liquidiert. Nit von ungefähr
notierte Monsignor Montini (der spätere Papst Paul VI.) in seinem Tagebu:
«Diese Juden werden nit mehr in ihre Häuser zurükehren.» Innerhalb
weniger Tage na ihrer Ankun in Auswitz kamen fast alle um. Einige
waren son während der Reise gestorben.
Aus allen besetzten Ländern werden Juden unter den grälisten und brutalsten
Bedingungen na Osteuropa transportiert … Die Kräigeren werden in Arbeitslagern
langsam dur Arbeit vernitet. Die Swaen lät man sterben, dur Hunger
umkommen oder sie werden in Maenhinritungen planmäßig niedergemetzelt. Die Zahl
der Opfer dieser blutigen Grausamkeiten geht in viele Hunderausende völlig unsuldiger
Männer, Frauen und Kinder.
In Wahrheit hae die Zahl der Opfer zu diesem Zeitpunkt bereits zwei
Millionen übersrien. Die «Interalliierte Erklärung» ist von großer
historiser Relevanz, weil seit Dezember 1942 keiner von denen, die si in
verantwortlien Positionen befanden, mehr behaupten konnte, von der
Maenvernitung der Juden nits gewut zu haben.
Wie reagierte der Vatikan? Der Heilige Stuhl unterzeinete die Erklärung
der elf Regierungen und des nationalen französisen Befreiungskomitees
nit. Eine Woe später, am Heiligen Abend, ließ Papst Pacelli eine
Radiobotsa verbreiten, in der au politise emen aufgegriffen
wurden. Zum Beispiel verdammte er den Kommunismus (nit aber den
Nationalsozialismus). Er gedate der Opfer des Krieges: der an den
versiedenen Fronten gefallenen Soldaten, der ins Exil Getriebenen, der
Opfer der Bombardierungen. Er spra si für eine größere Gemeinsa
der Mensen mit Go aus und slo:
Dieses Gelöbnis suldet die Mensheit den hunderausenden von Mensen, die, obzwar
persönli suldlos, bisweilen einzig und allein um ihrer Volkszugehörigkeit oder
Abstammung willen dem Tode geweiht oder einer allmählien Vernitung preisgegeben
sind.
Das «Gelöbnis» war seine Antwort auf die Erklärung der alliierten
Regierungen, in der der Völkermord beim Namen genannt und in der starke
Worte wie «Jude», «Horror», «Gemetzel», «Barbarei» verwendet wurden.
In ihrer kalten Sprae der Diplomatie klangen die Worte Pius’ XII. für die
Insider vielleit eindeutig, für die dursnilien Gläubigen aber
nebulös. Papst Pacelli wute da bereits alles. Andrea Tornielli zitiert in
seinem Bu Pio XII. Un uomo sul trono di Pietro (Pius XII. Ein Mann auf
dem ron Petri) einen Zeugen, der ihn «weinen sah wie ein Kind», so
überwältigt war er von den Meldungen. Aber er reagierte nit, und genau
dazu, zu den Motiven dieser Untätigkeit sind seit Jahren Ermilungen von
Spezialisten und natürli Polemiken im Gange.
Mit Sierheit war Pius’ Verhalten von Jahrhunderten antijudaistiser
Tradition belastet, na der die «perfiden Juden» in der Liturgie als Volk des
Deizids, als Christusmörder bezitigt werden. Die (von vielen Exegeten als
nit historis angesehenen) Worte des Mahäus «Da rief das ganze Volk:
Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!»[6] wurden über
Jahrhunderte als Stigma eines ganzen Volkes betratet. Von Ereignien
besonderer Grausamkeit abgesehen, wurden die Juden in der ristlien
Gemeinsa generell als minderwertige oder heimtüise Wesen
angesehen, die zumindest eine Ausgrenzung verdienten. Papst Paul IV. (Gian
Pietro Carafa, 1555–1559) ließ sie 1555 in seinen Ländern in Gheos
einsließen und verpflitete die Männer dazu, als Erkennungszeien
einen gelben Hut zu tragen.[7] Hans Küng hat einmal gesagt: «Der rais
bedingte national-sozialistise Antisemitismus, der im Holocaust seine
terroristise Aufgipfelung erreite, wäre ja unmögli gewesen ohne den
jahrhundertelangen religiösen Antijudaismus der ristlien Kiren.»[8]
Es gibt jede Menge Dokumente, die für diese Mentalität bezeinend sind.
Einen entlarvenden Brief zum Beispiel site der Apostolise Gesandte
Angelo Giuseppe Roncalli (später Papst Johannes XXIII.) aus Istanbul an den
vatikanisen Staatekretär Kardinal Luigi Maglione:
Bezugnehmend auf meinen ergebenen Berit n. 4332 vom 20. August dieses Jahres gebe i
hiermit weitere Anfragen weiter, die mir zu Gunsten der Israeliten unterbreitet werden. Die
zweite von diesen versut, eine Intervention des Heiligen Stuhles zu erreien, um
zahlreien Juden die Ausreise aus italienisem Staatsgebiet zu erleitern … I gestehe,
da diese Überführung der Juden na Palästina, gewiermaßen zur Wiedererritung des
jüdisen Reies, ausgerenet dur den Heiligen Stuhl … in meinem Geiste einige
Ratlosigkeit auslöst. Da ihre Landsleute oder politisen Freunde dies tun, ist zu verstehen.
Es erseint mir aber nit sehr gesmavoll, da ausgerenet die einfae und erhabene
Ausübung von Barmherzigkeit dur den Heiligen Stuhl die Gelegenheit oder den Ansein
bieten könnte, damit au eine Art zumindest initialer und indirekter Kooperation zur
Realisierung des meianisen Traums zu identifizieren … Ohnehin ist ganz sier, da die
Wiederherstellung des Reies Juda und Israel nits als eine Utopie ist.
Wir beten ja au für sie: da ihr Sinn erleutet werde. Gerade heute begeht die Kire das
Fest eines Ungläubigen …, der auf dem Wege na Damaskus auf wunderbare Weise zum
«reten» Glauben bekehrt wurde. Und so, wenn Sie na Palästina kommen und Ihr Volk
ansiedeln werden, wollen wir Kiren und Priester bereit halten, um Sie alle zu taufen.[9]
Was die jüdisen Kinder betri, die während der deutsen Besatzung katholisen
Institutionen und Familien anvertraut wurden und deren Rügabe jetzt von den jüdisen
Institutionen gefordert wird, hat die Kongregation des Heiligen Uffiziums eine Entseidung
getroffen, die so zusammengefat werden kann: 1.) so weit wie mögli vermeiden,
srili auf die jüdisen Behörden zu antworten, sondern mündli; 2.) jedesmal, wenn
si eine Antwort nit umgehen lät, mu gesagt werden, da die Kire erst
Naforsungen anstellen mu, um jeden Einzelfall zu prüfen; 3.) die Kinder, die getau
worden sind, können nit an Institutionen übergeben werden, die nit in der Lage sind,
eine ristlie Erziehung zu garantieren; 4.) bei Kindern, die keine Eltern mehr haben und
für die die Kire die Verantwortung übernommen hat, ist es nit angemeen, da sie von
der Kire abgegeben oder Personen anvertraut werden, die keinerlei Retsanspru auf sie
haben, es sei denn, diese sind in der Lage, si selbst zu versorgen. Dies gilt natürli nur für
Kinder, die nit getau sind; 5.) wenn die Kinder von ihren Eltern [der Kire] anvertraut
worden sind und die Eltern sie nun wiederhaben wollen, können sie zurügegeben werden,
wenn den Kindern nit die Taufe erteilt wurde. Es ist zu beaten, da diese Entseidung
der Kongregation des Heiligen Uffiziums vom Heiligen Vater gebilligt worden ist.
Am 13. Juni 1960 empfing Roncalli, der inzwisen unter dem Namen
Johannes XXIII. Papst geworden war, den Historiker Jules Isaac zu einer
Audienz, der gemeinsam mit anderen Intellektuellen die berühmten «Zehn
Seelisberger esen» verfat hae, mit denen na der Tragödie versut
wurde, den Dialog zwisen Christen und Juden wieder in Gang zu bringen.
Die vorausgegangenen Versue waren alle entsieden entmutigend
gewesen. Eine Begegnung zwisen Isaac und Pius XII. am 16. Oktober 1949
war sehr ungut verlaufen, der Tatsae zum Trotz, da sie aufgrund eines
kuriosen Zufalls auf den Tag genau ses Jahre na der Deportation der
Juden aus Rom stafand. Als der Historiker dem Pontifex die
Dokumentenmappe überreien wollte, hae Pius kühl gesagt: «Legen Sie
sie do auf den Tis dort.»
Mit Johannes XXIII. liefen die Dinge erhebli anders. Bei dem auf
abenteuerlie Weise von Venezianer Freunden vermielten Treffen
präsentierte Isaac (deen Familie Auswitz nit überlebt hae) das
Dokument no einmal, und nit genug damit, da der Papst es sehr
herzli aufnahm, sagte er auf Jules Isaacs Frage, ob er denn eine gewie
Hoffnung nähren dürfe: «Vous avez droit à plus que de l’espoir» («Sie haben
das Ret» – und Roncalli benutzte ausdrüli das Wort «Ret» – «auf
mehr als nur Hoffnung.»). Denno ist die Spur, die der Besu in Papst
Roncallis Tagebu hinterließ, dürig, sie besränkt si auf fünf Worte:
«Interessante l’ebreo prof. Jules Isaac.» («Intereant, der Jude Prof. Jules
Isaac.»).
Papst Roncalli starb am 3. Juni 1963, Jules Isaac drei Monate später. Weder
der eine no der andere also konnte die Publikation der Enzyklika Nostra
Aetate no erleben, zu deren zahlreien Prämien mit Sierheit au die
Begegnung dieser beiden gehörte. Die 1965 verkündete Erklärung des
Zweiten Vatikanisen Konzils zu den nitristlien Religionen besagt in
Punkt 4:
Bei ihrer Besinnung auf das Geheimnis der Kire gedenkt die Heilige Synode des Bandes,
wodur das Volk des Neuen Bundes mit dem Stamme Abrahams geistli verbunden ist …
Deshalb kann die Kire au nit vergeen, da sie dur jenes Volk, mit dem Go aus
unsagbarem Erbarmen den Alten Bund gesloen hat, die Offenbarung des Alten
Testamentes empfing … Denn die Kire glaubt, da Christus, unser Friede, Juden und
Heiden dur das Kreuz versöhnt und beide in si vereinigt hat … Au hält sie si
gegenwärtig, da aus dem jüdisen Volk die Apostel stammen, die Grundfesten und Säulen
der Kire, sowie die meisten jener ersten Jünger, die das Evangelium Christi der Welt
verkündet haben … Obglei die jüdisen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod
Christi gedrungen haben, kann man denno die Ereignie seines Leidens weder allen
damals lebenden Juden ohne Untersied no den heutigen Juden zur Last legen … Im
Bewutsein des Erbes, das sie mit den Juden gemeinsam hat, beklagt die Kire, die alle
Verfolgungen gegen irgendwele Mensen verwir, nit aus politisen Gründen,
sondern auf Antrieb der religiösen Liebe des Evangeliums alle Haausbrüe, Verfolgungen
und Manifestationen des Antisemitismus, die si zu irgendeiner Zeit und von irgend
jemandem gegen die Juden geritet haben.
Diese Worte lösten eine unerhörte, bewegte Hoffnung aus und änderten
jedenfalls das Verhalten der Kire oder zumindest von Teilen der Kire. Es
swanden der alte Ha auf die Juden, das Konzept der Kollektivsuld des
«Volkes der Goesmörder», die Karfreitagsfürbie für die «perfiden Juden».
Feierli und zum ersten Mal wurde anerkannt, da das Christentum aus
dem Soß des Judaismus geboren war und da Jesus selbst ein Jude war
und dies bis zu seinem Tode blieb. Die Enzyklika Nostra Aetate sien
wahrli eine neue Ära der swierigen Beziehungen zwisen Katholiken
und Juden einzuläuten, den «älteren Brüdern», wie sie Johannes Paul II. bei
seinem Besu der Synagoge von Rom im April 1986 nennen wird.
I habe versiedenen Präsidenten immer wieder die Frage gestellt, warum die Vereinigten
Staaten, obwohl sie wuten, was in den Lagern gesah, nits taten, um die Vernitung
aufzuhalten. Die Befürtung, da au Gefangene in Mitleidensa gezogen würden, ist
eine alte Ausrede. Jedes Mal, wenn meine Freunde und i die alliierten Flugzeuge über
unsere Köpfe hinwegfliegen hörten, wünsten wir uns, da die Bomben fielen. Ein soler
Tod wäre der Gaskammer sier vorzuziehen gewesen. Ohnehin haen die Alliierten die
Alternative, die Gleise der Zugstree na Auswitz zu bombardieren. Das häe das Leben
Tausender und Abertausender von ungarisen Juden gereet, der letzten, die ins Lager
gesit wurden, nadem die ganze Welt son von den Gräueln wute. I werde nie die
Begegnung mit dem damaligen Präsidenten des Jüdisen Weltkongrees, Nahum Goldman,
vergeen, der mir na dem Krieg sagte: «Wir wuten es, aber wir haben geswiegen.» Die
Gewiensbie haben ihn sein ganzes Leben lang verfolgt.
Zu behaupten, Pacelli sei ein Nazifreund oder gar Hitler’s Pope gewesen, so
der provokatorise Titel eines Bues von John Cornwell (John Le Carrés
Bruder, 1999), ist historis fals und gewollt polemis. In Wahrheit begriff
Pius XII. sehr früh die geradezu «teuflise» Natur des Nazismus und li bis
zu Tränen an der Tragödie des jüdisen Volkes. Abgesehen von den
Umständen, der Erziehung, die er genoen hae, seinem ausgeprägten
Antikommunismus war seine Paivität slit Ausdru seines
Temperaments. Er dursaute vieles, denno sae er es nit, «über
seinen Saen zu springen» – wie eine deutse Redewendung heißt. Er
zog es vor, seine Kire über den Parteien zu halten, si als «Vater aller»
nit auf eine Seite zu slagen.
Hinter der würdevollen Strenge seines Äußeren war er ein seuer
Mens, zur Diplomatie erzogen, mit der Neigung, seine Pfliten
bürokratis und gewienha, mit Bedat zu erfüllen. Er hae wilde Tiere
vor si und versute, sie dur Mediation und Vorsit zu besänigen,
nit zuletzt weil er in Hitler-Deutsland ein Bollwerk gegen den
Bolsewismus sah. Ernst von Weizsäer, seit Juli 1943 als Botsaer am
Heiligen Stuhl, sreibt na dem Antrisbesu beim Papst am 7. Juli:
Bemerken mu i aber do den großen und nüternen Realismus, der bei ihm zutage kam
in Bezug auf die Behandlung deutsvatikaniser Angelegenheiten und au hinsitli
der ungeheuren Swierigkeit, für Frieden und Auören der europäisen Zerstörungswut
etwas Wirksames zu tun … Man hat im ganzen genommen mehr das Gefühl, einem Mann
voll geistigen Eifers gegenüber zu sein als einem Politiker, der er do in Wirklikeit in
hohem Grade gleifalls ist.[13]
Für meine Aufgabe wäre es mir lieber, wenn derjenige Mann, auf den es hier für mi allein
ankommt, etwas weniger Asket und von minder zartem Gemüt wäre. Er seint do in
erster Linie unerbili gläubig-katholis zu sein und erst in zweiter Linie praktis
handelnd.[14]
Pacelli ist nit in die Gewaltpolitik Pius’ XI. involviert … im Gegenteil hat er si mehrfa
um die Sue na Kompromien bemüht und dieser Botsa gegenüber den Wuns na
freundsalien Beziehungen zum Ausdru gebrat.[16]
So also wurde von den Nazis die Enzyklika Humani generis Unitas gesehen,
die Pius XI. no verbreiten laen wollte: als Gewaltpolitik.
Was au immer seine Motivationen gewesen sein mögen, unleugbar bleibt
das «Sweigen» Pius’ XII. Eine Charakteristik, die auf der historisen
Bedeutung seiner Figur lastet, vielleit jenseits seiner unbestreitbaren
Versäumnie: Vorsit, Bedatsamkeit, Unslüigkeit. In einer absoluten
Monarie wie der katholisen Kire, in der die Figur des Souveräns als
«unfehlbar» gilt, werden Verdienste und Suld automatis, beinahe per
Trägheitsgesetz, tendenziell auf denjenigen projiziert, der sie offiziell
repräsentiert. Bei einer genauen Betratung der Fakten springt ins Auge,
da das Verhalten der versiedenen kirlien Strukturen in der Realität
eher offen war. Sehr viele Antifasisten und Juden wurden in Klöster und
Kiren aufgenommen und dort besützt, die Glülisten unter ihnen (im
Allgemeinen Katholiken von Rang, wie zum Beispiel Alcide De Gasperi)
sogar im Innern des Vatikans. Ähnlie Hilfe wird im Übrigen bei
Kriegsende zahlreien NS-Rädelsführern und Kriminellen zuteil, denen
Päe und über die sogenannte Rat line[17] Siffspaagen na Südamerika
versa werden.
Die Gesite Pius’ XII. ist sier tragis sowohl im Hinbli darauf,
was sie in jenem historisen Moment bedeutete, als au wegen der
Wirkung, die eine resolutere Haltung (vielleit) häe haben können. In
diesen Jahren häe die Kire einen Propheten als Papst gebraut, fähig, der
Welt die Werte des Evangeliums vor Augen zu führen und weniger die
Rüsiten der Diplomatie. Es war nit so. Beim drien Wahlgang wählte
das Konklave Pacelli, der alles andere war als ein Prophet. Es war eine
rase, aber keine einmütige Wahl. Monsignor Tardini, witiger Mitarbeiter
Pius’ XII., erklärte die während des Konklaves aufgetretenen Gegensätze so:
«Kardinal Pacelli ist ein Mann des Friedens, und die Welt braut jetzt einen
Papst des Krieges.» Vielleit konnte nit einmal er si in diesem Moment
vorstellen, wie ritig er mit dieser Einsätzung lag.
Im Laufe der Jahre ist die Figur Pius’ XII. immer wieder neu und anders
bewertet worden. Der sier extremen Position des deutsen Dramatikers
Hohuth steht eine ebenso extreme, bedingungslose Verteidigung dur die
Spitzen des Vatikan gegenüber; sie haben dur Fehleinsätzung oder
Zurühaltung objektiver Elemente und Dokumente, die eine korrekte
Beurteilung häen ermöglien können, gewi nit zum Dialog
beigetragen.
Am 12. März 2000 hat Papst Johannes Paul II. im Petersdom für die
Irrtümer und die Suld der Kinder der Kire gegenüber den Juden seit der
Geburt Jesu um Verzeihung gebeten. Offenbar konnte er nit sagen, da
au die Suld (zumindest dur Unterlaung) seines Amtsvorgängers
Eugenio Pacelli darin eingesloen war. Auf jeden Fall war es ein positiver
Sri, konterkariert leider dur seinen Nafolger Benedikt XVI., der im
Dezember 2009 die «heldenmütigen Tugenden» (virtù eroie) Pius’ XII.
verkündete. Amos Luzzao, emeritierter Präsident der Italienisen Juden,
hat das so kommentiert: «I weiß nit, was man in der eologie unter
virtù eroie versteht. Im allgemeinen Verständnis ist ein ‹Held› jemand, der
sein eigenes Leben riskiert, um das anderer zu reen.» Das war bei Papst
Pacelli nit der Fall. Seine Gaben waren andere: diplomatises Gesi,
die Behutsamkeit des Hirten, die Besonnenheit des Mediators. Aber
Heldentum wahrli nit.
XIV. EMANUELA
EIN MÄDCHEN VERSCHWINDET
D
ER CORSO RINASCIMENTO endet in einem herrli aotisen
Gewirr aus Straßenerweiterungen und Plätzen, beredtes Zeugnis für
die Irrungen und Wirrungen der Stadtplaner: Piazza delle Cinque Lune,
Piazza Sant’Apollinare, Piazza Sant’Agostino, Piazza Tor Sanguigna. Lauter
bemerkenswerte Orte, von denen ausgerenet der topographis am
wenigsten gelungene der mit dem sönsten Namen ist: Piazza delle Cinque
Lune (Platz der fünf Monde). Er soll vom Firmensild einer Traoria mit
fünf Monden in versiedenen Stadien des Zunehmens herrühren. Piazza Tor
Sanguigna heißt so, weil dort der Sanguigni-Turm steht. Er ist als einziger
Rest von der Burg der einst so mätigen Familie Sanguigni aus dem
13. Jahrhundert übrig geblieben und dient heute als Wohnhaus. Die kleine
Piazza Sant’Agostino hat ihren Namen von der Kire, in der si
Caravaggios berühmtes Altargemälde Madonna dei pellegrini (Madonna der
Pilger) befindet; zu ihrer Reten der Eingang zur Biblioteca Angelica aus
dem 17. Jahrhundert, einem der verblüffendsten «geheimen» Orte Roms.
Au Piazza Sant’Apollinare hat ihren Namen von einer gleinamigen
Kire, die sehr alt ist und in ariprespyteratu genannt wird, weil ihr ein
Erzpriester (au: Aripresbyter) vorsteht. Ihr Gründer war Papst
Hadrian I., der sie 780 dem Sutzheiligen von Ravenna weihte. Auf
Anregung Benedikts XIV. (Prospero Lambertini, 1740–1758) – geboren in
Bologna und Held von Alfredo Testonis Komödie Il cardinal Lambertini
(1905) – wurde sie von Grund auf neu gebaut. Berühmt-berütigt für die
Freiheiten, die er si herausnahm, bewies dieser Papst immer wieder seinen
etwas bizarren Sinn für Humor. Er liebte es zum Beispiel, seine Sätze mit
einem bekräigenden «Cazzo!» zu beenden (im Sinne von «Seiße!» oder
«Verdammt no mal!», wörtli aber «Swanz!»). Er tat dies als Kardinal
und sah au als Papst keine Veranlaung, davon abzulaen. Er sagte sogar:
«I werde dieses Wort heilig halten und demjenigen, der es zehnmal am
Tag auprit, die vollständige Vergebung der Sünden einräumen.»
Papst Lambertini war also ein handfester, sehr umgänglier Papst, er
pflegte wie ein x-beliebiger Priester herumzulaufen, unterhielt si mit den
Leuten aus dem Volk, wurde selbst zum Mann des Volkes. Es gibt mehr als
nur einen Historiker, der ihn deshalb mit Papst Roncalli, Johannes XXIII.
verglien hat. Benedikt also beauragte den genialen Aritekten
Ferdinando Fuga (1699–1781) mit dem Wiederauau des Gebäudes. In der
Kire hat der Baromusiker Giacomo Cariimi sein Grab, der hier
Kapellmeister war. In einer Krypta ist aber au Enrico De Pedis beigesetzt,
«Renatino», einer der Boe der berütigten Magliana-Bande.[1] Seltsame
Grabstäe für einen Mann, deen Leben aus nits als Verbreen bestand,
aus Morden, Raubüberfällen, Drogenhandel, und der dann selbst von Killern
einer rivalisierenden Bande ermordet wurde. Das war am 2. Februar 1990 in
der Via del Pellegrino, da hae er die Absit, sein Leben zu ändern, do
blieb ihm keine Zeit mehr dafür.
Da einem Berufsverbreer die Ehre eines Grabmals zuteil wird, das
eigentli Päpsten vorbehalten ist, darf nit allzu sehr erstaunen. Die
offizielle Begründung für dieses ungeheure Privileg war seine besondere
Großzügigkeit gegenüber den Armen. Kardinal Ugo Polei, Vikar von Rom,
genehmigte es aufgrund eines Briefes von Don Vergari, dem früheren
Gefängnispfarrer der römisen Strafanstalt Regina Coeli, in dem unter
anderem beseinigt wurde, da «Signor Enrico De Pedis ein großer
Wohltäter der Armen gewesen ist, die zu den regelmäßigen Besuern der
Basilika gehörten, und da er sehr vielen religiösen und sozialen
Hilfsorganisationen ganz konkrete Hilfe geleistet hat … an seiner sta wird
seine Familie weiter wohltätige Werke tun ….» Plädoyer und Verspreen
zuglei, jedenfalls mu es überzeugend geklungen haben, zumindest
ausreiend.
Im Übrigen hat es, wenn man die Gesite betratet, in der
Vergangenheit ähnlie Fälle gegeben, und zwar immer aufgrund
großzügiger Spenden. Der berühmten Edelprostituierten Fiammea, der na
den damaligen Regeln eine Grube in ungeweihter Erde zugestanden häe,
war es gelungen, si in der Chiesa di Sant’Agostino bestaen zu laen;
außerdem wurde ein Platz na ihr benannt, Piazza Fiammea, der si no
heute ganz in der Nähe befindet. Das war zu Beginn des 16. Jahrhunderts.
Fiammea Miaelis, gebürtige Florentinerin, war die Geliebte Cesare
Borgias gewesen, nadem dieser zum Kardinal gemat worden war. In
fortgesrienem Alter hae sie offenbar ihr Leben geändert und der Kire
großzügige Spenden gewährt. In dem Aretino zugesriebenen Dialogo dello
Zoppino (Dialog des Zoppino) liest man: «Die Fiammea nahm ein gutes
Ende, und in Sant’Agostino habe i ihre Kapelle gesehen.» Es seint also,
da sie, als sie im Februar 1512 starb, von ihren Sünden erlöst worden war.
Keine sole Erlösung hae es dagegen bei der Magliana-Bande gegeben,
die in den siebziger und aziger Jahren in die blutigsten Kriminalfälle, au
politise Verbreen verwielt war: von grausam ausgeführten Morden
und Raubüberfällen über den «Selbstmord» des Bankiers Roberto Calvi
(siehe Kapitel XI), die tragise Entführung und Ermordung des
Staatsmannes Aldo Moro bis zur Besteung von Parteifunktionären in
großem Stil. «Renatino» und weitere seiner Komplizen könnten au beim
Verswinden des fünfzehnjährigen Mädens Emanuela Orlandi eine Rolle
gespielt haben, der Titelfigur dieses Kapitels.
Eine Tragödie, die an einem hellen Juninamiag auf der Piazza delle
Cinque Lune begann, dem Platz mit dem so faszinierenden Namen. In der
Nähe befand si die von Emanuela besute Musiksule, in der Nähe
liegen au die päpstlie Universität und versiedene Kollegien. Lauter
exterritoriale Orte, das heißt außerhalb der italienisen Geritsbarkeit.
Dort wurde Emanuela Orlandi zum letzten Mal gesehen, bevor sie auf immer
verswand, in einem der mysteriösesten Kriminalfälle, die si in Rom je
ereignet haben – wegen der internationalen Implikationen, wegen der nit
zu entslüelnden Dynamik der Ereignie, wegen der Unklarheit über die
wirklien Motive.
Einer der Protagonisten, wenn au ein fiktiver, ist lange Zeit der Türke
Mehmet Alì Ağca gewesen, der wegen des Aentats auf den Papst zu einer
lebenslangen Freiheittrafe verurteilt und am 18. Januar 2010 na
«Strafende» aus einem Gefängnis in Ankara entlaen wurde. Die vielen
versiedenen von ihm gelieferten Versionen über die Motivation seiner Tat
und ihre Verknüpfung mit Emanuelas Sisal sind allein son Beweis
genug für eine aus obskuren Beweggründen oder irrationalem Kalkül
inszenierte Vieldeutigkeit.
Vor dem Riter Martella sagt Ağca, er habe mit seinen Komplizen bereits
vorab die Abmaung getroffen, im Falle seiner Verhaung die Ermilungen
dur die Vermisung von ein bien Wahrheit mit viel Lüge in die Irre zu
leiten. Im Laufe eines Verhörs im Geritaal erklärt er, Emanuela sei von
Licio Gellis P2-Loge entführt worden: «Diese Leute wuten, da i Jesus
Christus bin. Sie wollten mi in den Vatikan einsleusen und als
Instrument benutzen.» Wenige Tage später widerru er diese Auage: «I
habe die P2 ins Spiel gebrat, weil die Grauen Wölfe und die Bulgaren
Emanuela entführt haben. Sie wollten, da i den Proze störe, indem i
die westlie Pree wegen ihres Vorwurfs an die UdSSR und Bulgarien, den
internationalen Terrorismus zu begünstigen, in Mikredit bringe.»
Sieben Jahre na Emanuelas Verswinden behauptet Ağca, in einem
gewien Ates Bedri, einem im französisen Gefängnis von Poiy
einsitzenden Türken, seinen Freund Oral Çelik wiedererkannt zu haben, der,
wie er sagt, die Entführung Emanuelas organisiert haben soll. 1993 beteuert
er in einem Interview mit Antonio Fortiiari vom Woenmagazin Gente,
da die Entführung Emanuelas Teil eines internationalen Komplos gegen
den Vatikan gewesen sei, deen Köder das Mäden war, mit anderen
Worten die Gegenleistung für eine Erpreung der Kire aus nit
eingestehbaren Gründen. Diese Möglikeit, die si wiederum mit allen
möglien absurden Lügen vermist, erregte seinerzeit kein allzu großes
Aufsehen. Die jüngsten Entwilungen des Falles verleihen ihr aber eine
intereante Plausibilität.
1997 nimmt Ağca in einem Brief an die Riter Imposimato und Martella
eine frühere Version wieder auf. Er sreibt, in Wahrheit seien der
sowjetise KGB und der bulgarise Geheimdienst seine Auraggeber
gewesen und die Entführung habe dazu gedient, na der Verhaung Dru
auszuüben, um seine Freilaung zu erreien. Etwa gleizeitig sreibt er
Ercole Orlandi und versiert ihm, da es seiner Toter «gut geht, ihre
physise und moralise Integrität absolut garantiert ist». Bei einer
früheren Gelegenheit hae er gesagt, das Mäden sei tot; ein anderes Mal,
alle beiden Mäden, Mirella und Emanuela, seien am Leben und in
Lietenstein: «Die beiden jungen Frauen sind nie entführt worden, sie
befinden si in Lietenstein. Das ist nits als eine internationale Intrige.»
Der Ermilungsriter Rosario Priore wird die totale Unzuverläigkeit
des Mannes feststellen und hinzufügen: «Gegen eine derartige Persönlikeit
kann man keinen Proze führen.» Die einzige Gewiheit oder
Gesetzmäßigkeit in dieser wilden Misung aus Ammenmären und
Phantasien, die teilweise konstruiert sind, teilweise aber einem mentalen
Chaos entspringen, ist die Tendenz des türkisen Killers, die Öffentlikeit
dur die Kombination aus Wahrheitsfetzen und nageplapperten
Halbsätzen aus den Zeitungen, vagen Verspreungen ständig auf die Folter
zu spannen und an der Nase herumzuführen und si selbst dabei, solange es
geht, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu halten. Wahrseinli fürtet er,
da ihm, einmal in Vergeenheit geraten, eines Tages ein unerfreulier
Unfall zustoßen könnte. Ob er dem Papst bei dem vertraulien Gesprä im
Gefängnis von Rebibbia am 27. Dezember 1983 die Wahrheit gesagt hat,
wien wir nit. Vorausgesetzt, er selbst kennt sie, die Wahrheit.
Ein zweiter Protagonist ist denn au Papst Johannes Paul II., der, wie wir
gesehen haben, am selben Tag aus Polen zurükehrte, an dem Emanuela
verswand. Wenige Tage später, am Sonntag, dem 3. Juli, fügt er dem
Angelus-Gebet auf dem Petersplatz vom Fenster seiner Wohnung aus
folgende Worte hinzu:
I möte meine lebhae Anteilnahme zum Ausdru bringen, mit der i der Familie
Orlandi in ihrer tiefen Verzweiflung wegen der Toter Emanuela nahe bin, die seit
Miwo, 22. Juni nit wieder na Hause gekommen ist, und i verliere nit die
Hoffnung in den Sinn für Menslikeit desjenigen, der die Verantwortung in diesem Fall
hat.
Emanuela war braves Mäden, wir wollten sie reen, aber ihr seid böse gewesen, sie
verdiente nit. Ihre Leie vielleit findet ihr nit mehr, aber Aliz ist sreli gewesen,
er kann kein Turkesh sein, wir töten nit Turkesh, wir gut. Emanuela weinte immer, wollte
wieder in Leben zurü, ihre war Traurigkeit, wie o hat sie zu fliehen versut und Aliz hat
sie geslagen, man slägt nit so nee Seelen. I heiße Dragan und bin aus Slawien,
vielleit deshalb verstehe i nit Suigkeit von Aliz, warum Emanuela getötet, i
fliehe jetzt mit Mirella … usw. usw.
Dies ist ein so plump verfälstes Italienis, da es gewollt wirkt. Wer den
Gebrau des Präsens Indikativ eines Verbs nit kennt, kann nit sreiben
«comprendo» sta des geläufigeren «capisco» (beides: «i verstehe») oder
«bastardaggine» («Suigkeit», von bastardo), ein sehr wenig
gebräulier, umständlier Begriff.
Tribrefahrer also, Leute, die im Trüben fisen. Staatsanwalt Giovanni
Malerba wird in seiner Anklagesri sreiben:
In den Fall haben si Mythomanen, Seher, Rutengänger, Mensen mit übersinnlien
Fähigkeiten, Medien, Wahrsager, Bauernfänger, Sakale, Hälinge und untergetaute
Gangster eingeslien, alle auf der Sue na Prozevorteilen.
In Wahrheit lagen die Dinge aber no komplizierter. In die finstere Intrige
wurden au zwei ausländise Journalisten verwielt. Der erste, Riard
Roth, Rom-Korrespondent des amerikanisen Senders CBS, erhielt einen
Brief aus Boston. Darin wurde im Gegenzug zur Freilaung Emanuelas
wieder einmal die Freilaung einiger Türken gefordert, darunter Ağcas. Eine
von einem weiteren Riter, Domenico Sica (zahllose Riter waren im Laufe
der Jahre mit diesem Fall befat), angeordnete forensise Untersuung
stellte fest, da die Botsa authentis war und vor allem, da dem Autor
offenkundig der Inhalt eines Briefes bekannt war, der von Staatspräsident
Pertini an Mirellas Familie gesit worden war. Hier handelte es si also
nit um obskure Mythomanen, sondern um Leute vom Fa, die fähig
waren, si au vertraulie Informationen zu versaffen.
Die zweite Ausländerin war Claire Sterling, eine amerikanise
Journalistin und Sristellerin, Italien-Expertin. In einem von ihr in der
New York Times veröffentliten Artikel breitete sie eine Hypothese aus,
über die vorher nur unter der Hand spekuliert worden war: Die ganze Sae
sei im Aurag der Sowjetunion vom bulgarisen Geheimdienst organisiert
worden. Die logise Basis dieser Hypothese sei das Interee Moskaus und
des Ostblos, die Mat Johannes Pauls II. zu destabilisieren, bevor dieser
das kommunistise System in Europa destabilisiere. Claire Sterling, die ein
ausgebuer Profi ist, legte dabei einen so glühenden Antikommunismus an
den Tag, da der Verdat auam, sie sei eine verdete CIA-Agentin. Was
nie bewiesen wurde.
Bewiesen ist dagegen, da an einem bestimmten Punkt der Geheimdienst
der DDR auf den Plan trat, genauer gesagt die 10., für Desinformation
zuständige Abteilung der Stasi. Am 4. August wird bei der Ansa von
Mailand ein Einsreiben mit Rüsein (sic!) zugestellt. Absender ist eine
sogenannte «Türkise antiristlie Freiheitsfront Turkesh». Dort ist zu
lesen: «Emanuela Orlandi unsere Gefangene wird zur umgehenden
Exekution überstellt am ristlien 30. Oktober ihr wit da dieses Datum
die Kapitulation unseres hoheiligen und unbesiegbaren Landes im Jahr
eurer Gnade 1918 ist …» usw. Wieder einmal ein bewut ungrammatises
Italienis und dazu der originelle Hinweis auf das weit zurüliegende Ende
des Ersten Weltkriegs.
Die türkise Botsa in Italien beeilt si, mitzuteilen, da eine
Turkesh-Front nit existiere. Denno gibt es einige Personen, darunter
au Verwandte Emanuelas und ein undursitiger Retsanwalt der
Familie Orlandi (ausgesut und bezahlt vom italienisen Geheimdienst),
die dem «Einsreiben» Glauben senken. Es werden weitere
Kommuniqués der mysteriösen antiristlien Front eingehen. Na dem
Ende der DDR wird Generaloberst Bohnsa, ein Mitarbeiter von Markus
Wolf, einem Journalisten der Tageszeitung Repubblica entdeen, da es
seine Stasi-Abteilung war, die mit der «Operation Papst» befat war, also
damit, eine false türkise Fährte zu legen, um die Aufmerksamkeit vom
Freundesland und Alliierten Bulgarien abzulenken.
Ein weiterer mysteriöser Mitspieler in dieser immer komplizierter
werdenden Gesite ist eine sog. Gruppe Phoenix. Wer au immer die
Mitglieder dieser Gruppe sind, sie sien jedenfalls eine Narit, in der
behauptet wird, Emanuela sei ermordet worden. Es folgen einige pseudo-
moralise Verurteilungen, zum Beispiel: «Swere Suld ist es, einem
jungen Leben ein sweres Unret angetan zu haben.» Einige Monate
später lät die Turkesh-Front wieder von si hören, um Bedingungen für
die Freilaung Emanuelas zu diktieren, hier wird also wieder zu verstehen
gegeben, das Mäden sei no am Leben. Weitere Woen vergehen, und
eine drie Organisation namens NOMLAC (Nuova Organizzazione
Musulmana per la Lotta Anticristiana – Neue muslimise Organisation für
den antiristlien Kampf) tri auf den Plan, die sreibt: «Das Mäden ist
keine Gefangene der Türkisen anti-ristlien Freiheitsfront Turkesh, es
befindet si in Europa …» Wenn das Ganze nit so tragis wäre – denn
Emanuela ist wirkli verswunden –, könnte man es für eine Farce halten.
Aber eine kunstvoll organisierte Farce, die Konfusion erzeugen soll.
Keine dieser Phantom-Organisationen wird jemals einen einzigen eten
Beweis vorlegen, da Emanuela am Leben und in ihren Händen ist, wie man
es normalerweise häe erwarten dürfen, wenn es si um eine ete
Entführung gehandelt häe, um so mehr bei einer Entführung mit
politisem Hintergrund. Riterin Adele Rando wird in ihrem Urteil
sreiben, das politise oder terroristise Motiv sei ledigli «ein
gesites Ablenkungsmanöver vom realen Motiv der Entführung von
Emanuela Orlandi» gewesen, und: «Na sieben Jahren Ermilungen
erweist si das politis-terroristise Motiv der Entführung als bar jeder
Grundlage.» Ein weiterer Ermilungsriter, Severino Santiapii,
erfahrener Geritspräsident, wird erklären: «Das Verswinden von
Emanuela Orlandi hat nits mit dem später daraus konstruierten Fall zu
tun.»
… da eine konstante Zurühaltung des Heiligen Stuhls spürbar war, der de facto jede Art
von Naforsung behindert habe … Er [Parisi] slo also von Seiten des Heiligen Stuhls
den Willen zu jeglier Zusammenarbeit aus, die die Ermilungen häe voranbringen
können …
I bin der Ansit, da die Naforsungen zu dem Fall dur die zwisen dem
italienisen Staat und dem Heiligen Stuhl aufgeritete Barriere regelret hintertrieben
wurden, der gesamte Verlauf des Falls war von zahlreien Desinformations-Initiativen
gekennzeinet, ganz offensitli zum Zwe der Irreführung und zur Verwirrung der
ermielnden Akteure.
Die Riterin merkt zu dieser Analyse in ihrem Urteilpru an, da si
diese Erklärungen «mit den Überzeugungen deten, zu denen na und
na ihr gesamtes Referat gekommen war».
Die italienise Staatsanwaltsa hat diverse Amtshilfeersuen «an die
zuständigen Justizbehörden» der Vatikanstadt geritet, die alle mit
untersiedlien Begründungen ohne ete Antwort geblieben sind. Was
Monduzzi betri, der ebenfalls um Amtshilfe gebeten wurde, so wird er si
auf die Auage besränken, das Treffen mit Parisi habe nie stagefunden.
Darauf konnte der Präfekt allerdings nit mehr reagieren, weil er in der
Zwisenzeit gestorben war.
Mit der fehlenden Bereitsa der vatikanisen Behörden zur
Zusammenarbeit haen si praktis alle Beamten der italienisen
Republik, die mit dem Fall befat waren – Staatsanwälte, Ermilungsriter,
Geheimdienstleiter –, herumzuslagen. Für die abslägige Antwort auf
eines der Amtshilfeersuen wurde beispielsweise die folgende Begründung
gegeben: «Von den vatikanisen Justizbehörden sind keine Ermilungen
eingeleitet worden, weil es si um Vorfälle handelt, die si außerhalb des
Staatsgebietes ereignet haben», also in Italien. Die vatikanisen Behörden
riteten nit einmal eine direkte Telefonnummer ein, die es den
«Entführern» gestaet häe, si snell mit den zuständigen Stellen in
Verbindung zu setzen, die gegebenenfalls ihre Forderungen häen umsetzen
müen.
In den Akten findet si au ein Dokument, das diesen Willen zur Nit-
Zusammenarbeit explizit enthüllt. Es ist die Aufzeinung eines
Telefongespräs vom 12. Oktober 1983 um 19.53 Uhr zwisen einer Person,
die als Capo (Chef) bezeinet wird, und Raoul Bonarelli, der Nummer Zwei
der vatikanisen Polizei, der am Tag darauf von den italienisen Ermilern
befragt werden sollte. Hier ein kurzer Auni:
Capo: «Hallo!»
Bonarelli: «Ja bie …»
Capo: «Was weißt du über Orlandi? Nits! … Wir wien nits! … Wir wien nur, was in den
Zeitungen steht, aus den Nariten, die allen zugängli sind! … Über den Fall. Das, was dur
die Zuständigkeit … der italienisen Behörden herausgekommen ist.»
Bonarelli: «A, das soll i sagen?»
Capo: «Na ja, also …Was wien wir son? Wenn du sagst: ‹I habe nie Ermilungen
angestellt … Die Behörde hat das ins Innere [des Vatikans] delegiert … die Sae ist weitergeleitet
worden …› Sag aber nit, da sie ans Staatekretariat gegangen ist.»
Bonarelli: «Nein, nein … Wir, i darf intern nits sagen. Gar nits.»
Capo: «Na außen aber … da es die vatikanise Justizbehörde gewesen ist … da si die
vatikanise Justizbehörde damit befat … unter ihnen der hier … Nits, sagst du, na allem,
was du weißt, nits!»
Bonarelli: «Die werden mir aber vorhalten, da i ein Angestellter des Vatikans bin, wele
Aufgaben i erfülle, was weiß i, die werden mi identifizieren müen, die werden wien,
wer i bin …»
Capo: «Ja, die werden wien, warum du das mast, du mast Sitdienst und Sierheit der
Vatikanstadt, das ist alles.»
Bonarelli: «Also, gut, dann mae i morgen früh diese Auage und dann komme i, ja?»
Capo: «Dann kommst du, ja, ja.»
In einer seiner öffentlien Reden hae Johannes Paul II. gesagt:
Den Eltern von Emanuela bringe i erneut meine Anteilnahme an ihrem Drama zum
Ausdru. Was mi betri, so kann i versiern, da das Mensenmöglie getan wird,
um zu einer glülien Lösung der smerzhaen Angelegenheit beizutragen. Möge Go es
gewähren, da na dem Bangen dieser Tage endli die Freude folgt, da das Mäden und
ihre Familie einander wieder in die Arme sließen können.
Wir wien nit, bis zu welem Punkt der Papst über die Strategie seiner
Mitarbeiter informiert war. Es ist jedenfalls sier, da sein Verspreen, das
«Mensenmöglie» zu tun, nit den Tatsaen entsprit.
Dieselbe unkooperative und irreführende Haltung haen die italienisen
Ermiler im Übrigen au son (ausgerenet) bei den Ermilungen über
das Aentat auf den Papst selbst feststellen müen. Am Ende seiner
mühsamen Untersuung beklagte si Ermilungsriter Rosario Priore: «…
die Amtshilfeersuen [bei den vatikanisen Justizbehörden, Anm. d. A.]
haben nit zu den gewünsten Resultaten geführt … Anfragen, die nit
selten in einer knappen Folge negativer Antworten abgewiesen wurden …,
haben si daher häufig als rein formal erwiesen, während sie substantieller
Natur häen sein können und müen.»
Emanuela ist an jenem Namiag [am Tag ihres Verswindens – Anm. d. A.] na
Beendigung ihrer Musikstunde in die Vatikanstadt zurügekehrt. Man hat sie an Bord einer
Luxuslimousine ankommen sehen … i glaube, der Fahrer ist nit mit [in den Vatikan]
gekommen, um von den Sweizergarden nit erkannt zu werden. Das Mäden dagegen
ging an den Sweizern vorbei und in Ritung ihrer Wohnung. Dort blieb sie eine gewie
Zeit. Dann kam sie wieder heraus, stieg in das Auto und fuhr davon.
Demna war der Mann am Steuer des Wagens eine im Vatikan bekannte
Person und fürtete, von den Sweizergarden erkannt zu werden. Bei
einem Interview wenige Woen später in der Fernsehsendung Mixer fügte
der Kardinal hinzu:
Meiner Meinung na … gehört Emanuela zu diesen Fällen von Versleppung junger
Damen, junger Mäden oder zu den Fällen, in denen bei jungen Mäden nageholfen
wurde, die freiwillig in ein Milieu drängen, wo es ihnen beer geht, wo sie rei sind, einen
zahlungskräigen Mann heiraten und sehr viel Geld haben … Es kann au sein, da i
mi irre. Aber meiner Ansit na ist das die Basis.»[5]
Emanuela Orlandi könnte na gewien Hinweisen, auf die i dur Zufall gestoßen bin, in
irgendeinem Seitum gelandet sein, wenn es stimmt, da diese unermeli reien
Muslime Entführungen söner europäiser Mäden in Aurag geben, um ihren Harems
frises Blut zuzuführen.
Ähnlie Ansiten hae der Kardinal au son der Familie gegenüber
zum Besten gegeben und bei seinen vertraulien Mieilungen einen Ton
angeslagen, als berite er über ein Ereignis, das wirkli stagefunden
hae und nit auließli seiner Phantasie entsprungen war. Leider hat
er si erst zehn Jahre na Emanuelas Verswinden dazu entsloen zu
spreen. Wenn der Kardinal diese Dinge glei enthüllt häe, häen sie
nützlie Hinweise sein können. Zumal es in den Ermilungsakten zum Fall
Orlando einen an die «Doorea Adele Rando, Procura della Repubblica,
Roma» geriteten anonymen Brief gab, der über einen ähnlie Vorfall
beritet bzw. einen ähnlien Verdat äußert. Abgesit aus der Cià del
Vaticano im Oktober 1993, trägt das Sreiben die Übersri Testimonianza
raccolta in confessione (Bei der Beite vernommene Zeugenauage). Hier
der Text:
Der Wagen, der Emanuela Orlandi in der Nat des 22. Juni 1983 einlud, wurde von [Vor-
und Zuname eines bekannten Prälaten] gesteuert, der gegenwärtig das Amt [es folgt das Amt
des Prälaten] innehat. Sie fuhren na Civitavecia, wo sie die Nat gemeinsam
verbraten, am Morgen brate er sie na Rom zurü, in die Nähe der Pyramide [Cestia],
do aus Angst vor den Eltern kehrte sie nit na Hause zurü. Hier endet die Beite. I
kenne Monsignor [Name], er ist ein vielleit zu sehr von den fleislien Lüsten
angezogener Mann, um Priester zu sein, und hat son in der Vergangenheit mit nit
wirkli sauberen Leuten Gesäe gemat … Aus naheliegenden Gründen kann i als
Geistlier nit mit meinem Namen untersreiben.
Er behandelte mi wie ein Kind, er brate mi in die Sauna des Grand Hotels, wir führten
ein Leben wie im Film «Der Pate». Er mate mir tausend Gesenke, Louis-Vuion-Koffer
voll mit 100.000 Lire-Banknoten, er sagte: «Gib sie alle aus! Wenn du na Hause kommst
und nit alles ausgegeben hast, mae i dir gar nit erst die Tür auf.» I ging zu
Bulgari, zu Cartier, und als i zwei goldene Uhren mit Bargeld bezahlen wollte, daten die
Verkäufer, es wäre die Beute eines Banküberfalls. I habe sie aber beruhigt, i habe gesagt:
«Die habe i von meinem Mann, wien Sie, das ist ein extravaganter Typ.»
E
S GIBT EIN BAUMONUMENT, das die Majestät Roms im gleien
Maße repräsentiert wie das Koloeum oder das Pantheon: das Hadrian-
Mausoleum, beer bekannt unter dem Namen Castel Sant’Angelo
(Engelsburg), und die dazugehörige Brüe, die das Marsfeld mit dem
Mausoleum verbindet, der Ponte Elio (lat. pons Aelius, dt. Engelsbrüe).
Burg und Brüe sind dur viele Ereignie und eine lange Gesite
miteinander verbunden.
Seit dem Beginn des 2. Jahrhunderts, als es erbaut wurde, hat das Kastell
oder Hadrianeum immer wieder sein Auehen und seine Funktion
geändert, wobei es jedo in den dramatisen Weselfällen der
Stadtgesite immer eine witige Rolle gespielt hat. Nur no wenige
erinnern si daran, da dieses imposante Bauwerk ursprüngli als
Mausoleum der Antoniner gedat war, was es über ein Jahrhundert lang
au gewesen ist. Neben dem Grab Hadrians und seiner Frau Sabina
befinden si darin die Grabstäen von Antoninus Pius und Faustina,
vielleit Mark Aurels, sier Caracallas, der 217 vom Chef seiner Leibwae
ermordet wurde. Das witigste Grab ist natürli das Hadrians, des großen
Kaisers, der in seinem Namen das Prädikat Aelius trug, um den Bezug zu
Apollon und Helios herzustellen; der dem Krieg den Frieden vorzog und dem
es häufig gelang, ihn au zu bewahren; der die Wunder der Länder
kennenlernen wollte, über die er herrste, au die sehr weit entfernten; der
in Liebe zu dem sönen Jüngling Antinoos entbrannte.
Seinen Namen verdankt Castel Sant’Angelo einer Legende: Im Jahre 590,
just in dem Moment, in dem eine von Papst Gregorius Magnus (Gregor I. der
Große) angeführte Prozeion dur die Straßen der Stadt zog, um das Ende
einer srelien Pest-Epidemie zu beswören, soll über der Burg ein
Engel ersienen sein. Das himmlise Wesen sien ein Zeien zu sein,
da die Gebete erhört worden waren.
Zur Erinnerung an dieses Wunder wurde zunäst eine Votivkapelle
erritet, dann eine Engeltatue auf die Spitze des Gebäudes gesetzt, die
über die Jahrhunderte mehrfa ausgetaust wurde. Eine dieser Statuen, die
von 1544, ist heute no in einem Innenhof zu sehen. Sie ist mehr als 3 Meter
ho, wurde (Raffaello da Montelupo zufolge) aus der Trommel einer
römisen Säule herausgearbeitet, die Flügel sind aus Kupfer und
zwemäßigerweise mit Löern versehen, um dem Wind keinen allzu
großen Widerstand entgegenzusetzen. Zwei Jahrhunderte lang blieb dieser
Engel dort und betratete die Stadt von oben, dann wurde 1752 der
gigantise Bronzeengel des Flamen Peter Anton van Versaffelt gegoen.
Au er verkündet mit der altbekannten Geste das Ende der Pest und stet
das Swert des gölien Zorns in die Seide. Ein stalies Werk, das den
Umwälzungen der Zeiten und den Unbilden des Weers widerstanden hat.
Es lohnt si, auf die Spitze der Engelsburg zu steigen und es von Nahem zu
betraten.
Wir wien nit genau, wie das Mausoleum ursprüngli ausgesehen hat.
Wir wien, da es mit dem mehr als ein Jahrhundert zuvor erbauten
Mausoleum des Augustus konkurrierte, das in Lulinie nit sehr weit
entfernt liegt, allerdings auf der anderen Seite des Tibers. Weil die
Grundstruktur no vorhanden ist, wien wir zumindest, da der Bau auf
einfaen geometrisen Formen basierte: einem quadratisen Podium, das
den riesigen, zylindrisen Rundbau trug, der an der Spitze vielleit von
einem Erdhügel im Stile der Etrusker bedet war. Auf dem Zylinder erhob
si ein Turm, der wahrseinli von einer Quadriga gekrönt war. Der Kreis
und das Quadrat, die Göer und die Welt, die Seele und der Körper, das
Einfae und das Vielfae. Hadrian war ein Intellektueller, er wollte, da
das Bauwerk nit nur seine Ase und die seiner Angehörigen bewahrte,
sondern darüber hinaus seine Vision der Welt überlieferte.
Als Standort hae er den Grund des ager vaticanus[1] an der äußersten
städtisen Peripherie gewählt, eine Ebene, die vom Volk als entlegen und
verwildert angesehen wurde. Es ist die Gegend, in der unter Konstantin die
dem Petrus geweihte Kire erstehen wird. Eine Nabarsa, die das
Sisal der beiden Gebäude für immer miteinander verbindet: die Burg
und die Basilika. Als 404 Kaiser Honorius na Rom kam, srieb Augustinus
von Hippo, da er, vor die Wahl gestellt, seinen Kniefall im Tempel des
Kaisers Hadrian oder vor dem Altar (memoria) des Fisers zu maen, si
dort auf die Brust slug, wo si der Körper Petrus’, des Fisers, befand.[2]
Kurz vor seinem Tod srieb Hadrian, der die Literatur und die Künste liebte,
berühmt gewordene Absiedsverse, ein bewegendes Beispiel für das zarte,
vibrierende, melanolise Latein der Dekadenz, das so weit entfernt ist
von der episen Prosa des Marmors und des Eisens, des Feuers und der
unstillbaren Leidensaen:
Eine freie, aber, wie i glaube, ret treue Übersetzung wäre: Kleine Seele,
sweifende, zärtlie,/ Gast und Gefährtin des Leibs,/ Die du nun
entswinden wirst dahin,/ Wo es blei ist, starr und bloß,/ Und nit wie
gewohnt mehr serzen wirst …» Und weiter: «Einen Augenbli no
sauen wir/ Die vertrauten Ufer, die Dinge,/ Die wir sier nie wieder sehen
werden …»
Grab, Festung, Kerker? Das Kastell ist in den 2000. Jahren seines Lebens all
dies gewesen, eins na dem anderen, nit selten aber au gleizeitig. Im
Jahre 403, zu Zeiten von Honorius, wurde es als vorgelagerte Zitadelle
jenseits des Flues in den Befestigungsring einbezogen und entwielte si
sehr snell zu einer eten Festung, verstärkt dur eine zinnenbewehrte
Mauer, mit Laufgräben und geheimen Verliesen (den berütigten segrete).
Die mätigsten römisen Familien maten si die Burg gegenseitig
streitig, ebenso wie ein zweites Zylindergrab, das der Caecilia Metella auf
der anderen Seite der Stadt, auf der Via Appia. In so ungewi und blutig
gewordenen Zeiten kamen diese Grabmonumente wie gerufen, um nun eher
den Lebenden Sutz zu gewähren als den Toten. In der Tat war eine der
Bedingungen, die Papst Urban V. na dem Avignonesisen Exil für seine
Rükehr na Rom stellte, die Übergabe der Kastell-Slüel, unabdingbare
Garantie für die Kontrolle über die Stadt.
Die Jahre vergingen, und die milerweile verstümmelte, weitgehend ihrer
Verzierungen, Marmorversalungen, Statuen beraubte Ruine wurde zur
Notresidenz der römisen Päpste. Wer Castel Sant’Angelo heute besut,
kann am äußeren Gebäude-Korpus ganz klar die von einer Travertinzarge
gekennzeinete Grenze erkennen, wo der römise Teil an den jüngeren
Bauabsni stößt: im unteren Teil eine Basis aus einer großen
Tuffsteinmae, im oberen Teil eine ordentlie Ziegelsteinmauer. Auf dieser
oberen Ebene entstanden mit der Zeit die von versiedenen Päpsten
gestalteten, prätig ausgestaeten Wohnungen. Da dies Bu aber kein
Kunstführer im traditionellen Sinne ist, werde i hier nur auf zwei
Hauptfiguren dieser bewegten Gesite eingehen: Papst Alexander VI.
Borgia und Papst Paul III. Farnese.
Ein nit allzu zerstreuter Besuer bemerkt die Anwesenheit von Papst
Borgia bereits am Eingang des Kastells, wo eine Insri über der Tür
besagt: ALEXANDER VI PONT MAX INSTAURAVIT AN. SAL.
MCCCCLXXXXV (Pontifex maximus Alexander VI. hat dies im Jahre 1495
wiederhergestellt). 1495 ist das Jahr, in dem die von Papst Alexander in
Aurag gegebenen Restaurierungsarbeiten vollendet wurden. Glei darüber
sein Wappen, das jedo besädigt ist. 1798 slugen die französisen
Soldaten die Verzierungen ab, bei denen es si sehr wahrseinli um das
Triregnum mit den Slüeln sowie das beredte heraldise Emblem seiner
Familie handelte: den Stier. Ein einziges dieser Wappen ist in dem
darüberliegenden Hof, auf der Seite der Brunnenbrüstung, vor Zerstörung
bewahrt geblieben.
Papst Borgia konzentrierte si vor allem auf den Ausbau der
Verteidigung, der Bastionen, der äußeren Befestigungsanlagen einsließli
eines Waturms, der die Brüe auf der vatikanisen Seite absierte, auf
die Restauration des Passetto di Borgo,[3] also dem oberirdisen, in die
Mauer integrierten Verbindungsgang zwisen den Apostolisen Palästen
und der Engelsburg. Diesen Gang benutzte Papst Clemens VII., als die
kaiserlien Truppen Karls V. die Stadt 1527 in Su und Ase legten.
Au in jenen blutigen Kriegstagen erwies si das Kastell als eine
uneinnehmbare Festung.
No bedeutsamer ist die Prägung, die Paul III. Farnese hinterlaen hat,
ein sehr bemerkenswerter Papst, ein großer Humanist und wahrer Erbe der
klaisen Antike, au wenn er auf fragwürdige Weise zum Purpur
gekommen ist. Papst Borgia hae den gerade Fünfundzwanzigjährigen auf
Empfehlung von deen Swester Giulia zum Kardinal gemat, die mit
fünfzehn Jahren die Geliebte des Papstes geworden war. Respektlos hae
ihm das römise Volk den slüpfrigen Beinamen «Kardinal Fregnese»[4]
verpat.
Paul III. steigt 1534 auf den ron, wenige Jahre na Luthers Bru mit
der katholisen Kire und dem dramatisen Sacco di Roma, kurze Zeit
vor einem weiteren swerwiegenden Sisma, der von Heinri VIII.
vollzogenen Loagung der anglikanisen von der römis-katholisen
Kire. Er hat die feste Absit, die religiöse und imperiale Autorität der
Kire wiederherzustellen. Er genehmigt die Gründung des Jesuitenordens,
stellt die Römise Inquisition wieder her, vor allem aber befördert er das
Konzil von Trient, dur das die Kire der um si greifenden Reformation
eine moralise Regeneration entgegenzusetzen versut, um auf diese Weise
die Legitimität einer katholisen Universalordnung zu festigen.
Für das Kastell gibt Papst Farnese die prätigen Fresken in Aurag, in
denen er si als neuer Kaiser zu präsentieren beabsitigt, als Reinkarnation
des großen Hadrian, Erbe einer Zivilisation, die es verstanden hae, die Welt
mit Waffengewalt, aber au mit der Weisheit der Gesetze zu beherrsen. In
gewier Weise mat si Paul die bewegenden Verse der Aeneis (VI, 852–
53) zu eigen, in denen Anises die künige Rolle Roms umsreibt:
So lebte i, elend genug, auf der ganz verfaulten Matratze, denn in drei Tagen war alles na
geworden. Wegen meines zerbroenen Fußes konnte i mi nit regen, und wenn i um
einer Notdur willen aus dem Bee mute, so hae i mit großer Not auf allen vieren zu
krieen, um den Unrat nur nit nahe zu haben.[8]
Cellini hae als prominenter Gefangener das Glü, über ein rudimentäres
Klo zu verfügen (das man heute no besitigen kann), ein Luxus, der
gewöhnlien Hälingen vorenthalten blieb.
Das letzte illustre Opfer der Inquisition war Giuseppe Balsamo, Graf von
Cagliostro. Dem genialen Hostapler und Abenteurer aus Palermo gelang
es, mit seinem Talent als Medium, Alemist und Zauberer die Höfe halb
Europas hinters Lit zu führen. In Wahrheit war er nits als ein mit
außerordentliem Einfallsreitum begabter, zu Lügen, verblüffenden Tris
und Hostapeleien fähiger Exzentriker. 1789 ließ si Cagliostro, von der
Siphilis gezeinet, in Rom nieder, wo er eine Freimaurerloge des
ägyptisen Memphis-Misraïm-Ritus gründete. Er hae nur zwei Anhänger,
einen Marquis und einen Kapuzinermön, der der Geliebte seiner Frau
Lorenza wurde.
Von seiner eigenen Frau angezeigt, wurde ihm der Proze gemat, dem
er wegen Goeslästerung und häretiser Auagen über Go, Jesus
Christus, die Jungfrau, die Heiligen, die Sakramente, das Fegefeuer, die
kirlien Vorsrien, außerdem wegen falser Lehren über Sexualität
und samlose Handlungen zum Tode verurteilt wurde (April 1791). In der
tragikomis anmutenden Begründung wurde er definiert als «ein Mann, der
nits glaubt, ohne Religion, also ein Tier, verleumderis und ziemli böse,
Gauner, rasender und bestialiser Sarlatan, Swärmer und Surke,
dreist, äußerst verrufen.»
Der Kapuzinermön bekam zehn Jahre Gefängnis, die Gain Lorenza
kam mit der Verbannung in ein Kloster davon. Cagliostro gelang es, dem
Safo zu entgehen, weil der Papst seine Strafe in «lebenslängli»
umwandelte. Er wurde dann ins Festungsgefängnis von San Leo gesperrt, wo
er aufgrund seiner Krankheit und au der häufigen Stosläge, die er dort
erhielt, langsam verrüt wurde.
Die Römise Inquisition verfügte no über weitere Gefängnie: das
Gefängnis von Tor di Nona (wo Giordano Bruno gefangengehalten wurde),
später abgerien, um den Dammmauern des Tibers Platz zu maen, und
sließli das eigentlie Gefängnis des Sant’Uffizio, das im Herbst 1566 mit
großen Festivitäten und Artilleriesalven feierli eingeweiht wurde. Heute
dient es anderen, weniger grausamen Zween. Der Palazzo
dell’Inquisizione erhebt si auf dem gleinamigen Platz ganz in der Nähe
des Petersplatzes und ist der Sitz der Glaubenskongregation. 24 Jahre lang
hat Kardinal Ratzinger dieses maive Portal dursrien, ist in den ersten
Sto gestiegen und hat in seinem Büro Platz genommen. Die Einritung ist
karg: ein Sreibtis in swarzem Nubaum, ein altes Magdalena-
Gemälde an der Wand, ein Kruzifix. Der Name des Palazzo beswört
Folterqualen herauf, der Name ist aber au die einzige Spur, die no von
dem ehemaligen Justiz-Komplex übriggeblieben ist, der 1542 na dem
Willen Pauls III. entstanden war. Die Santa Romana e Universale
Inquisizione (Heilige Römise und Universale Inquisition) entstand als
Bollwerk zum Sutz des Glaubens und gegen die Häresien.
Was also war genau die Inquisition, wele Rolle spielte sie in der
Gesamtstrategie des Heiligen Stuhls? Au die Congregazione della Sacra
Romana e Universale Inquisizione war eine Söpfung Papst Pauls III.
Farnese. Ins Leben gerufen wurde sie dur die Apostolise Konstitution
Licet ab initio (1542): ein Kollegium aus Kardinälen und hohen Prälaten
unter der direkten Leitung des Papstes. Aufgabe dieses Organismus war die
Aufreterhaltung und Verteidigung der Unversehrtheit des Glaubens, die
Prüfung und Ätung von Irrtümern und Irrlehren. Unerlälier Appendix
war von 1571 an der Index librorum prohibitorum (Index der verbotenen
Büer), mit den Aufgaben, auf die wir glei kommen werden. Die
römisen Inquisitoren haen Geritszuständigkeit für das gesamte
katholise Universum, au wenn si ihre Aktivität in der Praxis fast
auließli auf Italien begrenzte. Die beiden berühmtesten Prozee waren
die gegen Giordano Bruno und Galileo Galilei.
Die dominikanisen Inquisitoren Jakob Sprenger und Heinri Kramer,
die von Papst Innozenz VIII. na Deutsland gesit worden waren,
faten alle dienlien Methoden, wie man Hexen und Ketzer erkennen,
verhören und bestrafen konnte, in einem Handbu zusammen. Das Werk
wurde 1486 in Speyer publiziert und sollte unter dem Titel Malleus
Maleficarum (Der Hexenhammer) zu großer Berühmtheit gelangen. Das
Bu wurde immer wieder neu aufgelegt, no das gesamte 17. Jahrhundert
hindur, und erreite die damals unglaublie Auflage von 35.000
Exemplaren.
Die si bei den «Hexen» manifestierenden Verhaltensänderungen
wurden von den Beitvätern (die dem Tribunal die Verdatsfälle meldeten)
der Präsenz des Dämons zugesrieben, der si fast immer in den Genitalien
festsetzte. In der Tat betraf das Gros der Besuldigungen unzütige
Sexualpraktiken, ausgefallene Teniken des Gesletsverkehrs, obszöne
Küe, vor allem den osculum infame («Sandku»), also den im
Satanismus rituellen Akt, dem Teufel auf den Anus zu küen. Bei vielen
Maßnahmen sien die Vorstellung von der sexuellen Unersälikeit der
Frau dur, weshalb den Besuldigten, um dem Dämon eines seiner
bevorzugten Verstee zu rauben, häufig die Samhaare rasiert wurden.
Abhilfe erwartete man si von gewien, sehr speziellen Exorzismen, au
mit Hilfe eines Blasebalgs und bestimmten Manipulationen in loco, d.h. an
den Gesletsorganen.
Das vorgesehene Verfahren war dem aller übrigen Strafprozee ähnli:
Anklage, mündlie oder srilie Zeugenauagen, möglierweise
zusätzlie Beweismiel, Rede und Gegenrede von Anklage und
Verteidigung, Urteil. So weit die eorie. In der Praxis genügte als
geritlies Beweismiel bereits geringfügiges konfuses Geswätz. Son
die Leugnung der Existenz des Teufels war Häresie und somit ein
Eingeständnis der Suld. Die Verhöre konnten stricte sein, also unter
Gebrau der Folter, euphemistis als «peinlie Befragung» umsrieben.
Wenn der Angeklagte seinen Irrtümern nit abswor, drohte der Inquisitor
mit Folter, im Falle weiterer Verweigerung wurde er den Folterkneten
übergeben.
Im Falle, da der Angeklagte au unter Folter kein Geständnis ablegte,
erklärte das Tribunal seine Unfähigkeit, den Ketzer zum reten Glauben
zurüzuführen, und übergab ihn zur Vollstreung der Strafe dem
sogenannten braccio secolare (dem weltlien Arm), also dem zuständigen
Ziviltribunal. Diese Aueilung von Zuständigkeiten führte mehrmals zu
zweisneidigen Kompromien: Um ihre Urteile vollstreen zu laen,
stützte si die Kire auf die politise Mat, während sie den Demantel
der Doktrin benutzte, um ihre Unterdrüungskampagnien zu legitimieren.
Die Gefängnitrafe wurde im Allgemeinen dur eine rituelle Formel
verkündet:
Wir verurteilen di auf ewig zu förmliem Kerker dur dieses Heilige Offizium, ohne
Hoffnung auf Begnadigung, damit du gezwungen bist, dur ständiges Wehklagen und
Bußetun bei Go Barmherzigkeit und die Verzeihung deiner Sünden und Irrtümer in der
Vergangenheit zu erflehen.
Du willst in die Welt gehen und gehst mit leeren Händen, mit irgendsoeinem Verspreen
von Freiheit, das sie [die Mensen, Erg. d. Ü.] in ihrer Einfalt und angeborenen
Aufsäigkeit nit einmal begreifen können, vor dem sie si fürten und ängstigen; denn
niemals und nirgends gab es etwas, was für den Mensen und für die menslie
Gesellsa unerträglier gewesen wäre als die Freiheit! … I sage dir, der Mens kennt
keine quälendere Sorge als die, denjenigen zu finden, dem er möglist snell das Gesenk
der Freiheit übergeben könnte, mit dem er, dieses unglülie Wesen, geboren wird …
Ansta ein für allemal feste Grundlagen für die endgültige Beruhigung des menslien
Gewiens zu geben, hast du all das gewählt, was es an Ungewöhnliem, Rätselhaem und
Unbestimmtem gibt, alles, was über die Kräe der Mensen geht; und darum hast du
gehandelt, als liebtest du sie überhaupt nit, obwohl du do derjenige warst, der
gekommen war, für sie Sein Leben hinzugeben![9]
Kardinal Carafa, der spätere Papst Paul IV, hae Clemens VII. 1532 eine außerordentlie
Denksri gesit, die in feurigen Worten das Überhandnehmen von Häresien und
Sienverfall, Korruption und Ignoranz des Klerus denunzierte, dazu die Paivität der
Bisöfe und des Heiligen Stuhls selbst, lauter Probleme, die eng miteinander in Verbindung
standen. Es war ein klares und kravolles Aktionsprogramm, das auf eine Reform der Kire
zielte, die vor allem dazu geeignet sein sollte, der protestantisen Reformation wirksam
Contra zu bieten. Innerhalb weniger Jahre setzte si seine hartnäige und unnagiebige
Initiative dur, die auf das Prinzip gegründet war: «Häretiker mu man wie Häretiker
behandeln», das in der zweiten Häle des 16. Jahrhunderts offizielle Politik der Kire
wurde, also das, was wir als Controriforma [Gegenreformation] bezeinen. Die Einritung
des Sant’Ufficio bot eine vorzüglie Waffe zur Bekämpfung der in Italien verbreiteten
Ketzergruppen, einsließli derer innerhalb der Kire, die zu einer Einigung mit den
Protestanten tendierten, sogar zur Annahme einiger ihrer theologisen Prinzipien. Das
beweist der bedenkenlose Gebrau, den Carafa von der Inquisition mate: Er sammelte
Beweise (heute würde man sagen, er stellte ein «Doier»zusammen), die bei den Konklaven
genutzt wurden, um die Wahl seiner Gegner zu verhindern. Von einem römisen
Informanten wien wir beispielsweise, da Carafa im Konklave von 1555 die Prozeakten
aller Anwärter auf den Papshron mit si führte. Es ist nit weiter erstaunli, da er
dabei selbst als Papst hervorging und soglei daranging, «die Gefängnie im Aurag der
Inquisition mit Kardinälen und Bisöfen zu füllen», wie es eines seiner Opfer besrieb.
Und es verwundert au nit, da die Inquisition, nadem sie si erst einmal der
Meanismen der Papstwahl bemätigt hae, die Päpste auswählte und die Kire auf diese
Weise na ihrer eigenen religiösen und politisen Linie ausritete. Erst später, nadem es
si an der Spitze der Kurie etabliert hat, wird das Sant’Uffizio seine Aktivitäten au auf die
Peripherie ausdehnen: gegen die Häretikergruppen, die es in fast allen italienisen Städten
gab. In meinen Augen mu das als eine nit nur religiöse, sondern au politise
Handlungsweise definiert werden, also eine ganz bewut auf ein politises Ziel geritete
Aktion, die imstande war, si die für ihre Realisierung notwendigen Instrumente zu
versaffen, in Konkurrenz zu anderen, entgegengesetzten theologisen und pastoralen
Strömungen der Kire. So ist zu verstehen, wie die Kongregation des Heiligen Offiziums, die
höste römise Kongregation, die einzige, bei der der Papst persönli den Vorsitz hat,
sließli zu dem geworden ist, was si heute Glaubenskongregation nennt, die bis vor
kurzem no von Kardinal Joseph Ratzinger geleitet wurde, heute Papst Benedikt XVI. Son
im 16. Jahrhundert bildete die Inquisitionsbehörde der Kire einen privilegierten Kanal für
die Rekrutierung ihrer hohen Würdenträger und für erfolgreie Karrieren.
Ist es denkbar, da dieser mätige Apparat einen Einflu auf die
Entstehung des italienisen Nationalstaats gehabt hat? Und da er
sließli in gewiem Maße sogar seine Form und Besaffenheit bestimmt
hat? Maimo Firpo beantwortet das so:
Die Tatsae, da Rom oder Italien mit dem Zentrum der Christenheit zusammenfallen, hat
sehr viele Konsequenzen gehabt. Die Problematik ist aber beer zu verstehen, wenn man
si nit allein auf den Aspekt besränkt, da die Kire immer in Italien gewesen ist, als
Erbin au der staatlien Mat na der Auflösung des römisen Reies. Hinzu kommt
die Tatsae, da hier ein Staat gefehlt hat. Italien ist immer das Land seiner antiken Städte
gewesen, die später zu Kommunen geworden sind, regiert von ihren Familienoligarien und
ihrer unvergänglien Aristokratie, häufig zerrien von Parteienkämpfen, ununterbroen
aber beherrst vom korporativen Denken, alle vereint in einer gefährlien Vermisung des
Öffentlien mit dem Privaten. Der swierige Proze der Konstruktion eines modernen
Staates, der in England, Frankrei, Spanien seit dem 15. Jahrhundert in Gang gekommen ist,
läu in Italien erst spät und slet an. Zu lange sind die südlien Königreie in den
Händen der Barone geblieben, das heidnise Italien bei seinen kleinen dynastisen
Fürstentümern, Genua oder Venedig bei einigen dominierenden Oligarien, ebenso wie
Florenz, und zwar bis mien ins 16. Jahrhundert hinein. Es ist kein Zufall, da der nationale
Vereinigungsproze von Piemont ausgegangen ist, dem einzigen kleinen Staat, der si
zwisen dem 16. und dem 18. Jahrhundert an einem Modell absolutistisen Typs orientiert
und Stärke gewonnen hae: Heer, Steuerwesen, Bürokratie, Adel als Vorauetzung für die
Bekleidung von Ämtern etc. Was die päpstlie Monarie betri, so ist dur das
Wahlsystem, den Nepotismus, die Vermisung zwisen staatliem und spirituellem
Steuerwesen daraus ein beispielhaes Modell von Miwirtsa geworden.
Son im 16. Jahrhundert srieb Francesco Guicciardini in den Ricordi: «I weiß nit,
wem mehr als mir der Ehrgeiz, der Geiz und die Wolllust der Priester mifallen: weil ja jede
dieser Untugenden son für si verabseuenswert ist, weil ja jede einzelne und alle
zusammen si für jemanden, der ein Leben in Abhängigkeit zu Go zum Beruf gemat hat,
wenig ziemen, und außerdem, weil es so gegensätzlie Untugenden sind, da sie nit
zusammenleben können, es sei denn, in einem sehr seltsamen Subjekt.» Und denno – so
fuhr er fort – hae ihn seine Arbeit im Dienste der Medici-Päpste gezwungen, «zu meinem
eigenen Vorteil ihre Größe zu lieben; und wenn nit dieser Respekt gewesen wäre, häe i
Martin Luther so geliebt wie mi selbst: nit um mi vom Gesetz der ristlien Religion
zu befreien, so wie es allgemein ausgelegt und verstanden wird, sondern um diesen Haufen
Ruloser in angemeener Weise verswinden zu sehen, also da sie entweder ohne
Untugenden oder ohne Autorität bleiben.» Die Kire der Gegenreformation hat nit
aufgehört, ihre Untugenden zu haben, sie hat es aber verstanden, sie in der jesuitisen
Praxis des «si non caste tamen caute» –«wenn nit keus, so do vorsitig» zu
versteen, im pastoralen Paternalismus, in den Formalitäten einer dem Gewien
entzogenen, häufig auf rein devote Praxis reduzierten, jeden Diens unterdrüenden
Religion.
Chiara, die Ehefrau Angelo del Borgos, wurde im Jahre 1712 von einer Neugetauen
fälsli als bekehrungswillig gemeldet. Die Frau wurde über alle Maßen festgehalten und
der Gae protestierte beim Sant’Uffizio, hae sogar die Absit, mit dem Beistand eines
gesiten und wohlpräparierten katholisen Retsanwalts geritli dagegen
vorzugehen … Do obwohl Chiara swanger war und entsieden gegen eine Konversion,
gab die Kongregation zweimal dem Rektor ret, der sie bis zur Entbindung festhielt. Das
kleine Mäden wurde umgehend getau, und Angelo bat das Sant’Uffizio, man möge ihm
wenigstens seine Frau zurügeben. Ganz plötzli aber gab sie dem auf sie ausgeübten
Dru na. Am 17. März 1713 beslo sie zu konvertieren, wie es der Rektor dem
Referenten des Sant’Uffizio triumphierend mieilte: «Mit dem Beistand des Heiligen Geistes
hat sie si zur Christin erklärt, wurde sie überzeugt dur die Lieblikeit des heiligen
Evangeliums, aus einer rebellisen Tigerin hat sie si in ein sanmütiges Lamm
verwandelt, denn wie man sehr wohl weiß, Spiritus spirat, ubi vult [Der Geist atmet, wo er
will], und diese armen Seelen müen si ja irgendwie helfen, um si die Verdammnis des
jüdisen Volkes und die Heiligspreung begreifli zu maen, die den Gläubigen dur
unseren lieben Heiland zuteil wird.»
Dieser Ausgang, so kommentiert Del Col, zeigt die Wirksamkeit der illegalen
Methode des Freiheitsentzugs und die Zwelosigkeit jeder Beswerde bei
der Inquisition.
Die Verbreitung freiheitlier Ideale na der Französisen Revolution
reite nit aus, um die Lebensbedingungen der Juden in den päpstlien
Herrsasgebieten zu erleitern. No zu Beginn des 19. Jahrhunderts
sürten antijüdise Smähsrien weiter die glühendsten Vorurteile.
Zum Beispiel besrieb 1825 der französise Dominikaner Fra’ Ferdinand
Jabalot die Gesinnung der Juden mit diesen Worten:
Goesmord, maßlose Gier na Bereierung, die auf den Ruin der Christen aus ist,
Matambitionen, die auf die Übernahme der Weltherrsa zielen und der Moral und den
Sien Saden zuzufügen, Ha auf die ristlie Religion, der au zu slimmsten
Barbareien fähig ist («si die Hände im Blut der Christen zu wasen, Kiren anzuzünden,
geweihte Hostien mit Füßen zu treten, aus Ha auf Jesus Christus die Gläubigen zu
kreuzigen, Kinder zu rauben und zu maakrieren, die Go heiligen Jungfrauen zu sänden
und die getauen zu mibrauen»).
Au der Index der verbotenen Büer hat eine kuriose Gesite. Mit der
Erfindung der beweglien Metall-Leern 1444 dur Gutenberg waren
Büer zum Hauptvehikel möglier Verstöße geworden. Büer wurden zu
Medien, mit denen man snell und in einem bis dahin nie gekannten
Ausmaß die «Seue» gefährlier Meinungen verbreiten konnte. Seit der
Gründung also wurde den Generalinquisitoren die Amtsgewalt erteilt,
häretise Büer auf den Index zu setzen und damit zu verbieten. Das erste
Verzeinis mit den Titeln von 230 Büern (in lateiniser und französiser
Sprae), die als verboten zu betraten waren, wurde 1544 von der
eologisen Fakultät der Pariser Sorbonne herausgeben.[12] Die erste
offizielle Ausgabe des Index librorum prohibitorum, also der für den
Glauben und die Moral der Katholiken für gefährli erateten Büer,
wurde von der Santa Congregazione dell’Inquisizione Romana 1557 erstellt.
Damals war mit dem Namen Paul IV. der sehr gestrenge Gian Pietro Carafa
auf den ron gestiegen, der vom Botsaer Venedigs in einer Depese so
besrieben wird: «Dieser Papst hat ein braiales und feuriges
Temperament …, er ist ungestüm in der Verritung seiner Gesäe und
duldet keinen Widerspru.» Der erste Index ist ausgesproen restriktiv. Er
zensiert sogar einen Teil der Bibel und einige Srien der Kirenväter.
Au Boccaccios Decamerone ist darin enthalten und Maiavellis Fürst,
aber au Il Novellino von Masuccio Salernitano (1420–1480) und die Werke
des Erasmus von Roerdam, des größten Humanisten der Epoe, der si
allerdings suldig gemat hae, von der Kire eine Reform zu fordern, die
sie wieder zur Reinheit ihres Ursprungs zurübringen sollte.
Die Veröffentliung des ersten römis-päpstlien Index erfolgt zu
Beginn des Jahres 1559. Vorangestellt war ihm ein Dekret der Inquisition, das
befahl,
Es folgten die Namen der Werke, unterteilt in drei Kategorien: Die erste
umfate diejenigen von Autoren, die ex professo («berufsmäßig», also:
absitli) geirrt haen und deren Gesamtwerk infolgedeen abgelehnt
wurde; in der zweiten ersienen nur einzelne häretise Werke; in der
drien sließli die Werke häretisen Inhalts, die anonym publiziert
worden waren.
Eine Neuausgabe des Index von besonderer Bedeutung wird die von Papst
Pius IV. na Abslu des Konzils von Trient herausgegebene sein. Sie war
von zehn Regeln bzw. Normen begleitet, die bis 1896 in Kra blieben.
Darunter das Verbot für Laien, die Bibelübersetzungen in ihren jeweiligen
Volkpraen zu lesen. In Trient nämli wurde festgelegt, da die einzige
autorisierte Version der Heiligen Sri die lateinise Vulgata war, unter
Aulu jeder anderen: von den grieisen oder hebräisen
«Originalen» bis zu den modernen Übersetzungen.
Der beim Konzil von Trient aufgestellte Index ersien im Frühjahr 1564
mit dem ellenlangen Titel Index librorum prohibitorum cum regulis
confectis per Patres a Tridentina Synodo delectos, auctoritate Sanctiss. D. N.
Pii IV, Pont. Max. comprobatus, was heißt: «Index der verbotenen Büer
mit den von den Vätern beim Konzil von Trient zusammengestellten Regeln,
genehmigt von unserem Santiimo Padre Pius IV.» Die Kongregation hae
si ein gigantises Zensurprogramm zu allen Autoren und Werken
vorgenommen, die aus irgendwelen Gründen nit im Einklang mit der
offiziellen Lehre standen. Darunter fielen, wie son gesagt, die Kirenväter
(von Ambrosius und Tertullian bis zu omas von Aquin); medizinise
Werke, in denen die menslie «Masine» bloßgelegt wurde:
Hippokrates, Galenos, Paracelsus; Philosophen wie Platon und Aristoteles;
Historiker wie Herodot, Tacitus, ukydides; die Klaiker praktis
vollständig: Ovid, Vergil, Horaz, Sallust, Livius, Plutar, Homer, Cato,
Plautus, Aesop.
Besondere Aufmerksamkeit war dem jüdisen Talmud vorbehalten,
zusammengesetzt aus der Misna, also dem Gesetzeskodex, und der
Gemara, den Rabbiner-Kommentaren. Diese fundamentalen Büer der
jüdisen Frömmigkeit und Gelehrsamkeit waren 1533 unter Papst Julius III.
in Rom verbrannt worden. In Trient wurde festgelegt, da die Juden sie
wieder lesen duren, aber in bereinigter Form. Gestrien wurden alle Teile,
die im Gegensatz zum Neuen Testament standen, «die Smähungen und
Blasphemien gegen die katholise Kire», die «Obszönitäten». Es ist
allerdings nit verbürgt, ob sole Vorsrien jemals effektiv angewendet
wurden.
Die Kongregation des Index blieb im Verhältnis zur gefürteten Suprema
Congregatio der Inquisition, die finanziell üppig ausgestaet war und si
regelmäßig zweimal in der Woe traf, davon einmal sogar in Anwesenheit
des Papstes, immer ein wenig untergeordnet. Die Index-Kommiion
verfügte über geringere Miel und hae eine geringe Personalautaung.
Selbst die Termine ihrer Treffen waren sporadiser. Au wenn den
offiziellen Vorsitz ein Kardinal hae, so war in der Praxis Fareferent der
Sekretär, der vom Dominikanerorden gewählt wurde. Außerdem war da der
Maestro del Sacro Palazzo, der (Haus-)eologe des Papstes, der sowohl zur
Inquisition als au zum Index gehörte und die Zuständigkeit für den
römisen Index hae. Sehr viel vorteilhaer war die Karriere eines
«Sekretärs» der Inquisition, der am Ende seiner Dienstzeit (zwisen einem
und neun Jahren) in den Rang eines Kardinals aufstieg.
Die Verantwortlien für die Büerzensur haen die Aufgabe, von Zeit
zu Zeit eine «öffentlie Bekanntmaung» zu erlaen, mit der die
Verdammung eines Werkes oder eines Autors dekretiert wurde. Ungefähr
alle zwanzig Jahre wurden die in den Bekanntmaungen ersienenen Titel
in alphabetiser Anordnung in die neue Generalausgabe des Index
integriert. Katholiken duren diese Texte weder lesen no besitzen,
andernfalls drohte die Exkommunikation, eine Strafe, die swerwiegende
Folgen au für das praktise Leben mit si brate.
Die «Philosophie», mit der Zensur und Verbot geretfertigt wurden, war
ganz offensitli, beginnend mit dem Umslag des Index, auf dem eine
lebhae Vignee figurierte: oben zwei Engel, die eine Srirolle mit dem
Titel Index librorum prohibitorum und dem Emblem des regierenden Papstes
halten. Im mileren Berei die Heiligen Petrus und Paulus, der eine mit
Slüeln, der andere mit Swert ausgestaet, die einen Seiterhaufen
betraten, auf dem gerade Büer verbrannt werden, während die Helfer
immer mehr Büer in die Flammen werfen. Unten fungieren zwei dem
Paulus zugesriebene Verse (Apostelgesite 19,19) als Bilduntersri
und Retfertigung für diese lodernden Seiten: «Multi eorum, qui fuerant
curiosa sectati, contulerunt libros, et combusserunt coram omnibus» –
«Viele von denen, die Zauberei getrieben haen, braten ihre Büer herbei
und verbrannten sie in aller Öffentlikeit».
Dur Höhen und Tiefen, Zeiten großer Betriebsamkeit und andere – das
mu au erwähnt werden – weniger erhitzte hat die Congregazione
dell’Indice weitergemat bis ins 20. Jahrhundert hinein, in dem sie aufgrund
des seit Pius IX. offenen Konfliktes zwisen der römisen Kire und der
modernen Welt ihre Aktivitäten wieder verstärkte. Ein ema
leidensalier Gegensätzlikeit war zum Beispiel die Praxis der
protestantisen Konfeionen, die heiligen Srien mit historis-kritisen
Methoden zu analysieren. Mit der Exegese der Srien beginnt die
Moderne in der Aulärung, mit Leing, der 1776 das Fragment eines
«anonymen» Werkes veröffentlit, deen Autor alle kannten: Samuel
Reimarus, Hamburger Gymnasialprofeor für orientalise Spraen.
In dem Fragment Vom Zwe Jesu und seiner Jünger wagt dieser erstmals
die Hypothese, da zwisen den Intentionen des Propheten Jesus und
denen seiner Jünger keine Übereinstimmung bestehe. Jesus stellt si seinem
historisen Seitern und überwindet es dank der apostolisen Initiative,
die aus ihm dur die «Erfindung» der Wiederauferstehung eine mythise
Figur mat. Es wird also zum ersten Mal ein Bru zwisen dem
historisen Jesus – der als einer von vielen Propheten in Israel betratet
wird – und dem Christus des Glaubens hergestellt.
Ein weiterer Konflikt besteht in der Haltung der Kire zu den totalitären
Ideologien des 20. Jahrhunderts: Kommunismus, Fasismus,
Nationalsozialismus. Die römise Inquisition verfuhr eher streng mit
solen Werken, in denen die politise Doktrin Merkmale einer laizistisen
Religion anzunehmen sien. Zwar wurde das eine oder andere Werk über
Raismus indiziert, nit aber das brisanteste von allen, Adolf Hitlers Mein
Kampf, deen Programm sein Autor aber zu einem Großteil umsetzen wird.
Es gab die versiedensten Hypothesen, wodur diese gravierende
«Unatsamkeit» verursat worden sein mag. In seinem Bu Die Arive
des Vatikan und das Dritte Rei[14] führt der Kirenhistoriker Hubert
Wolf die Tatsae an, da es Eugenio Pacelli, zunäst als Staatekretär,
dann als Papst Pius XII. für inopportun gehalten haben könnte, einen
Konflikt mit dem mätigen Deutsland des Drien Reies zu eröffnen.
Und er sließt: «Mein Kampf kam nit auf den Index der verbotenen
Büer … [aber] au Muolini, Lenin oder Stalin sut man hier
vergebli.»[15]
Allmähli verlor der Index jedo an Bedeutung, aufgrund des snellen
Wandels der Zeiten, des Auommens neuer Medien zur Verbreitung von
Ideen, au weil er von vielen Lesern einsließli der katholisen als ein
inzwisen überholtes Instrumentarium angesehen wurde. Die letzte
Ausgabe kam 1948 heraus. 1954 ordnete Pius XII. den Dru eines
Zusatzblaes mit den letzten fünfzehn Verdammungen an. Dann begann die
Zeit für das Zweite Vatikanise Konzil zu reifen, bei dem der Kölner
Kardinal Frings deutlie Worte der Mibilligung für den Index fand:
«I weiß wohl, wie swer, wie swierig und dornenrei die Aufgabe derer ist, die über
viele Jahre hin im Heiligen Offizium arbeiten, um die offenbarte Wahrheit zu sützen, do
seint mir die Forderung angebrat zu sein, da au in diesem Dikasterium niemand
wegen seines reten oder nit reten Glaubens angeklagt, geritet oder verurteilt wird
[«damnetur»], ohne vorher gehört zu werden, ohne zuvor die Argumente zu kennen, die
gegen ihn oder gegen das von ihm gesriebene Bu streiten, bevor ihm die Gelegenheit
gegeben wurde, si oder das Bu, das ihm zum Verhängnis zu werden seint, zu
korrigieren.»[16]
Auf das Trauma der Reformation reagierte der Heilige Stuhl also nit,
indem er si selbst in der Tiefe des Denkens oder in einem erneuerten
Streben na Nästenliebe reformierte, sondern dur die Organisation von
Herrsasinstrumenten, mit denen miliebige Ansiten abgewürgt,
kritise Stimmen verbannt oder eliminiert werden konnten, au physis.
Die Verweigerung einer frutbareren Spiritualität hae nits mit bösem
Willen zu tun, sondern mit der Tatsae, da das Akzeptieren einer Reform
den Verzit auf die Ausübung der politisen Mat bedeutet häe, mit
Folgen, die in Anbetrat der komplexen gesamteuropäisen Situation
unabsehbar waren.
Der einfaste Weg sien also die Repreion zu sein, was nit nur
Seiterhaufen bedeutete, auf denen Ketzer und Hexen verbrannt wurden,
sondern au die Auslösung, die Isolierung des freien Gedankens, der
philosophisen Forsung, der wiensalien Entdeungen, der
historis-kritisen Exegese der Srien. Mit anderen Worten, die Kire
der Inquisition verhielt si wie jedes andere absolutistise Regime, von der
Antike bis zu den Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Wenn die Prozee der
Stalin-Ära mit ihren erzwungenen Geständnien und den bereits vorher
feststehenden Urteilen ein Vorbild haben, dann ist es sier nit verkehrt, es
in den erbarmungslosen Prozeduren der Inquisition zu sehen.
Sole weit zurüliegenden Ritungsentseidungen haen natürli
großen Einflu auf die Gesite der Kire und auf die Italiens, nit
zuletzt auf die verspätete Bildung eines Nationalstaates und sogar auf die
Kultur- und Siengesite der Halbinsel. Man mu also Maiavellis
Weitbli bewundern, wenn er bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts
sreibt, da die Kire in Italien die Einheit verhindert und die Italiener
«religionslos und slet» gemat habe.
XVI. DAS WERK GOTTES
OPUS DEI – VITA UND MIRACOLO
DER «KATHOLISCHEN FREIMAURER»
I
N EINER STADT WIE ROM, in der es von Geheimnien, ja von
Aritekturen des Geheimen nur so wimmelt, könnte man si den Sitz
einer geheimen Kongregation par excellence wie Opus Dei in einem jener
ständig feuten, verborgenen Gänge der Stadeile des 17. Jahrhunderts
vorstellen, wo selbst im Sommer die Sonne nur mit Mühe hinkommt,
durdrungen von starken Gerüen und einer finsteren Vergangenheit.
Es ist nit so. Der Sitz dieser mätigen, geheimnisumwierten
Organisation befindet si stadeen im Viale Bruno Buozzi 73, einer
eleganten, breiten und kurvenreien Straße, die mien dur den Parioli
führt: seit den Zeiten des Fasismus ein Viertel des kapitolinisen
Großbürgertums. Es ist eine unauffällige weiße Palazzina aus den fünfziger
Jahren, genau wie viele andere. Fünf Stowerke, kein Sild an der
Eingangstür, keine Namen auf den Klingelsildern. Einziger Hinweis: drei
Videokameras mit Endlosaufzeiung zur Überwaung des Eingangs. An
der Straßenee ein Mosaik, von dem eine Madonna mit Kind einen milden
Bli auf die Paanten wir. Die Saltzentrale dieser reien und
umstrienen Organisation präsentiert si also mit allen Merkmalen der
Anonymität.
Hier in Rom, könnte man sagen, befindet si das «politise» Zentrum,
das «ökonomise» dagegen hat seinen Sitz jenseits des Atlantiks. Es besetzt
dort gut siebzehn Stowerke eines luxuriösen Hohauses in New York:
Murray Hill Place, Lexington Avenue Nr. 243, zwisen der 34. und der 35.
Straße. Konferenz- und Lesesäle, Bibliothek, Fitnecenter, eine Kapelle,
Unterküne für Studenten und Gäste, Ruhe, Bequemlikeit, alles sehr
amerikanis, keine Finsternis.
In Rom liegen die Dinge nit ganz so einfa. Hinter der anonymen
Faade des Viale Bruno Buozzi verbirgt si ein größerer Gebäudekomplex:
eine smulose, ziegelsteinrote Villa mit Türmen und Dafenstern. Es ist
die Frauen-Wohnanlage von Opus Dei, ein verzweigter, vielgestaltiger Bau,
eine unendlie Abfolge von Speisesälen, Kapellen, Zimmern, Fluren, Türen.
[1] Do nit einmal dieses kleine Labyrinth vermielt eine angemeene
Vorstellung vom Geist, der diese «Prälatur» prägt. Um einen genaueren
Begriff davon zu bekommen, mu man si zunäst auf die Ebene
unterhalb der Straße begeben. Eine Marmortreppe führt nämli zu einer
smalen unterirdisen Kapelle. In ihrem Inneren zur Reten und zur
Linken (längs des Siffes) drei Reihen Bänke und unter dem Altar ein
großer Saukasten aus vergoldetem Metall. In diesem versteten Winkel
liegt, vor den Blien Neugieriger und Fremder gesützt, der Leinam des
Gründers von Opus Dei, Josemaría Escrivá de Balaguer (1902–1975),
seliggesproen von Johannes Paul II. im Mai 1992, heiliggesproen zehn
Jahre später.
An seinem Grab hae der polnise Kardinal übrigens am Vorabend des
Konklaves, das ihn zum Papst wählen sollte, lange zum Beten niedergekniet.
Wenige Srie entfernt in einer kleinen Seitenkapelle eine swarze
Marmorplae über einem weiteren Grab, dem von Don Álvaro del Portillo
(1914–1994), Escrivás Nafolger. Sweigsame unterirdise Gewölbe,
feierli, spiegelblank poliert, Wallfahrts- und Gebetsort für die zahlreien
Gläubigen dieser mätigen Organisation.
Wenn man den Viale Bruno Buozzi in Ritung Tiber hinuntergeht, bis zu
den Ausläufern des Parioli, tri man auf die Basilika Sant’Eugenio, die mit
ihrer wutigen Travertinfaade den Viale delle Belle Arti dominiert. Es ist
ein Bauwerk, das na dem Willen Eugenio Pacellis (Pius XII.) in den
vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts auf einem von den Cavalieri di
Colombo, den Kolumbusriern gestieten Grundstü erbaut wurde. Der
Bau wurde dur die Spenden von Katholiken aus der ganzen Welt
finanziert, um damit des 25. Jahres der Bisofsweihe des Papstes zu
gedenken. Na einem Entwurf von Enrico Galeazzi und Mario Redini
wurde er zwisen Sommer 1943 und März 1951 erritet. Am 2. Juni
deelben Jahres weihte der Papst die Basilika zu Ehren seines
Namensveers Sant’Eugenio.
Im September 1980 ist das Pfarramt den Priestern von Opus Dei übergeben
worden, die si dafür eingesetzt haen, den Karren in die vom örtlien
Bisof gewollte Ritung zu ziehen, im vollen Bewutsein, «wele Freude
[es ist], aus tiefster Seele sagen zu können: I liebe meine Muer, die heilige
Kire».[2] Zur Basilika gehören ein 33 Meter hoher Kampanile, ein Kloster
und ein großer Sportplatz. Die Kire hat einen Grundri in Form eines
lateinisen Kreuzes, drei Siffe, ses Seitenkapellen, elf Altäre, die
Apsismosaiken sind von Ferruccio Ferrazzi, einige der bronzenen Stationen
der Via Crucis von Giacomo Manzù.[3] Das Presbyterium wird beherrst
von einer imposanten Statue des hl. Eugenio. Zu seiner Linken eine kleine
Kapelle mit zwei Kniebänken. Auf einem Altar das Porträt des Gründers des
Opus.
Am 2. Oktober 1928 gefiel es dem Herrn beim Fest des Heiligen Sutzengels, da Opus Dei
geboren wurde, eine Mobilmaung von Christen, die bereit waren, si mit Freude für die
anderen zu opfern, um alle Wege des Mensen auf Erden göli zu maen, jede ehrlie
Arbeit zu heiligen, jedes retsaffene Werk, jede irdise Besäigung.
Au wenn i jeglier politisen Aktivität fernstehe, kann i do, als Priester und als
Spanier, meine Freude darüber nit verhehlen, die bedeutende Stimme des
Staatsoberhauptes verkünden zu hören, da für die spanise Nation die Verbundenheit mit
Goes Gesetz ein Zeien der Ehre ist, gemäß der Lehre der Heiligen Katholisen
Apostolisen Römisen Kire, dem einzigen und wahren Glauben, untrennbar vom
nationalen Gewien, der die Gesetzgebung inspirieren wird.
Wenn er in seinem Leben etwas hate, dann war es der Kommunismus. Das war das Böse
für ihn, weil er darunter gelien hae … Er sah Nazi-Deutsland als einen Kreuzzug gegen
den Kommunismus. Er sah Hitler als Führer in einem Kreuzzug gegen den Kommunismus.
[Und weiter:] Jedes einzelne Mitglied des Opus Dei meldete si freiwillig für die Blaue
Division [eine spanise Freiwilligentruppe, die auf deutser Seite im Zweiten Weltkrieg
gegen die Sowjetunion kämpe]. … Sie wurden nit genommen, aber sie meldeten si
freiwillig.[6]
Felzmann erzählt au, da ihm Escrivá einmal anvertraut habe: «… wenn
die Leute behaupten, Hitler habe ses Millionen Juden getötet, dann
übertreiben sie. So slet sei Hitler nit gewesen. Er könne nit mehr als
drei oder vier Millionen Juden getötet haben.»[7] Unerträglie Worte, die
vom Naritenmagazin Newsweek am 13. Januar 1992 aufgegriffen
wurden. Wenige Woen später erfolgte das harse Dementi von Prälat
Álvaro de Portillo.
Allen Vorwürfen des Antisemitismus gegen ihren Gründer begegnet Opus
Dei am 14. Februar 1975 mit einem Filmdokument. Bei einem Treffen in
Venezuela tri ein Mann auf, der das Wort ergrei:
«Pater, i bin Jude …».
Escrivá unterbrit ihn: «I liebe die Juden sehr, denn i liebe Jesus Christus bis zum
Wahnsinn, und er ist Jude. I sage nit war, sondern ist. Iesus Christus eri et hodie ipse et
in saecula. Jesus Christus lebt weiter und ist Jude wie du. Und die zweite Liebe meines
Lebens ist au Jüdin: die Heilige Jungfrau Maria, die Muer Jesu Christi. Deshalb betrate
i di mit Zuneigung …»
Und der Mann: «I glaube, Sie haben auf meine Frage geantwortet, Pater.»
Es hat au nie an Kritik gegen Opus Dei aus der katholisen Kire selbst
gefehlt, vor allem von Seiten der Jesuiten, deren Rivalität si nie ganz gelegt
hat. Der General der Societas Jesu, Włodzimierz Ledoówski (1866–1942),
äußerte in einem für die vatikanise Kurie verfaten Berit, Opus Dei sei
«für die Kire in Spanien sehr sädli», besrieb ihre arakteristise
Geheimhaltungspraxis, in der er «die Zeien einer verdeten Tendenz zur
Weltbeherrsung dur eine spezielle Form der ristlien Freimaurerei»
sah.
Don Giuani, der Gründer der Bewegung Comunione e Liberazione[8]
hat im Gesprä mit Viorio Meori (der dies in seinem 1995 au in
Deutsland ersienenen Bu Der «Fall» Opus Dei beritet) einmal
gesagt:
Sehen Sie, wir von CL sind die Pimpfe, die Irregulären, die Steine werfen. Sie aber, die vom
Opus, haben die Panzer: die sind gut gerüstet auf dem Vormars, mit Raupenkeen, au
wenn sie sie mit Gummi ummantelt haben. Man hört sie nit, sie sind aber da, und wie.
Und wir werden uns deen immer mehr bewut.
I kann Ihnen nur empfehlen, im Commentarium pro religiosis … den Auszug aus einem
Dokument der Religiosenkongregation[9] zu suen, der das Opus Dei ermätigte, in den
Diözesen zu operieren, nadem es den Bisöfen nur einen Extrakt der eigenen Statuten
zugängli gemat hae. Wir befinden uns hier in einem total demokratiefreien Raum … Es
ist klar, da die Bisöfe darauf heig reagiert haben. Außerdem sind da diese geheimen
Verfahren. Wo ist hier der Untersied zur Freimaurerei?
Am 28. November 1982, na einem Weg dur die Instanzen, der ein halbes
Jahrhundert gedauert hae, wurde das Opus Dei von Papst Johannes Paul II.
als Personalprälatur erritet, die erste (und bis 2009 einzige) der
katholisen Kire, und er ernannte Álvaro del Portillo zum Prälaten.
Dieser feierlie Akt markierte den Abslu eines zähen Kampfes innerhalb
der päpstlien Kurie. In den Jahren Pauls VI. war das Opus von der Spitze
des Vatikans mit Argwohn beäugt worden. Aus den Akten von Escrivás
Seligspreungsproze geht hervor, da si Paul VI. ses Jahre lang, von
1967 bis 1973, weigerte, den Gründer des Opus zu empfangen.
Erst sein Nafolger Del Portillo fand einen Weg, zum Papst persönli
vorgelaen zu werden, die Vorauetzung für jeden folgenden Sri. Mit
der Ankun Karol Wojtyłas auf dem ron und der augenseinlien
Gunst, die die Organisation bei ihm geno, wurden die Dinge dann sehr viel
einfaer und das führte sließli au zur Erhebung des Opus in den
Rang einer Prälatur. Nit zuletzt wollte der polnise Papst damit den
Beistand der Organisation in zwei sehr sweren Krisen würdigen: der des
IOR-Ambrosiano (siehe Kapitel XI – «Goes Bankiers») und der seiner
Heimat Polen, wo die katholis geprägte Gewerksa Solidarność
begonnen hae, mit ihren Streiks die Einheitspartei der Regierung von
sowjetisen Gnaden zu destabilisieren.
Die Bezeinung «Prälatur» deutet auf eine Art nit-territorialer Diözese
hin, die in direkter Abhängigkeit vom Summus Pontifex von einem
«Prälaten» geleitet wird, organisatoris und finanziell autonom ist, mit der
Befugnis, eigene Priester zu weihen. Dem Päpstlien Jahrbu 2004
entnehmen wir, da das Opus in der Welt 1850 Priester und 83.641 Laien
(davon 55 % Frauen) zählt. Der erste Italiener, der dazugehörte, war 1947 ein
junger römiser Anwalt. Heute beläu si die Zahl der Gläubigen der
Prälatur in Italien auf ca. 4000, die meisten atbare Beamte und Angestellte,
Freiberufler, es fehlt aber au nit an Politikern. Im April 2006 ist Paola
Binei[10] in den Senat gewählt worden, eine Supernumerarierin des Opus
Dei. Vor ihr war Alberto Mielini, au er Supernumerarier, Abgeordneter
von Berlusconis Partei Forza Italia. Zentren und Apostolise Werke der
Prälatur sind in mehr als 27 italienisen Städten tätig.
Der bürokratise Weg bis zur Aufnahme als Mitglied von Opus Dei ist
lang, er hat eine Reihe von Zwisenstationen, die strengen Prüfungen
gleizusetzen sind, und weist viele Ähnlikeiten mit den
Geheimgesellsaen auf. Der erste Sri ist in der Regel ein
eingesriebener Brief mit der Bie um Aufnahme in das «Werk». Das
Mindestalter für diesen Antrag ist sezehneinhalb, als «Aspirant» kann
man si aber bereits ab vierzehneinhalb Jahren registrieren laen. Na
ses Monaten erfolgt die «Zulaung» (Admissio): eine kurze Zeremonie in
Anwesenheit zweier interner Mitglieder, bei der der Novize einwilligt, «im
Geiste des Opus Dei zu leben». Anderthalb Jahre später erfolgt die
«Oblation»: ein formaler Vertrag, der die juristise Eingliederung des neuen
Mitglieds in Kra setzt.
I, [der Name], in voller Ausübung meiner Freiheit, erkläre hiermit, da i den festen
Vorsatz habe, all meine Kräe darauf zu verwenden, na dem Geist und der Praxis des Opus
Dei die Heiligkeit zu suen und apostolis tätig zu sein; und i verpflite mi, von
diesem Augenbli an bis zum nästen 19. März (i verpflite mi für mein ganzes
Leben) … mi unter die Jurisdiktion des Prälaten und der übrigen zuständigen Leiter der
Prälatur zu stellen …»[11]
Der Vertrag mu am 19. März eines jeden Jahres (Fest des hl. Joseph, des
Sutzpatrons der arbeitenden Mensen und Besützer des «Werkes»)
bestätigt und erneuert werden. Na fünf Jahren kommt die «Fidelitas»: die
permanente Mitgliedsa, ohne die Notwendigkeit einer jährlien
Erneuerung.
Es gibt versiedene Kategorien von Angehörigen. Den größten Teil
(ca. 70 %) bilden die Supernumerarier, meist verheiratete Personen, die zu
Hause leben, arbeiten, einen Numerarier als geistlien Führer haben und bei
den Priestern des «Werkes» ihre Beite ablegen.
Die Numerarier (ca. 20 %) dagegen wohnen in den Zentren des Opus Dei,
verpfliten si zum Zölibat, stehen für Initiativen des Apostolats und das
Bildungsprogramm der Prälatur zur Verfügung. Von einem kleinen
Tasengeld abgesehen, geben sie zur Finanzierung der Organisation alle
ihre Einküne ab. Mindestens zwei Stunden tägli, ausgenommen Sonn-
und Feiertage, tragen sie das cilicium (Bußgürtel), ein mehrgliedriges
Metallband, das mit na innen geriteten sarfen Metallteilen (Dornen)
besetzt ist und um den naten Obersenkel gebunden wird. Einmal in der
Woe wird beim Spreen des Vaterunsers au die disciplina benutzt: eine
Handgeißel mit Lederriemen zur Kasteiung des Rüens. Die niederen
Instinkte des Körpers gelten dem Opus als Feind, der unterworfen werden
mu, und der Smerz als ein gesegnetes Miel der Sühne. Der Gründer
sagt es mit klaren Worten: «Gesegnet sei der Smerz. – Geliebt sei der
Smerz. – Geheiligt sei der Smerz … Verherrlit sei der Smerz!» (Der
Weg, 208).[12] Und weiter: «Wenn du begriffen hast, da der Leib dein Feind
und Feind der Verherrliung Goes ist, weil er deine Heiligung bedroht,
warum fat du ihn dann so wei an?» (Der Weg, 227).[13] Nadrüli
wird zur Keusheit geraten. In einer anderen Paage von Der Weg hat der
Gründer gesrieben: «Um seine Reinheit zu verteidigen, wälzte si der
heilige Franziskus im Snee. Der heilige Benedikt sprang in ein
Dornengestrüpp. Der heilige Bernhard stürzte si in einen eisigen Tei … –
Und du? Was tust du?» (Der Weg, 143).[14]
In seiner Rangordnung sieht das Opus, wie bereits erwähnt, die
«Auxiliarnumerarierinnen» vor, dabei handelt es si um mehr als 4000
Frauen, die als Vollzeitbesäigte in den versiedenen Zentren der
Organisation vorwiegend mit der Hauswirtsa befat sind. Bei der
Ausübung ihrer Tätigkeiten haben sie eine Uniform zu tragen und sind einer
strengen Überwaung unterworfen, die bis zur Kontrolle ihrer privaten
Korrespondenz reit.
Einige Kritiker haben in der rigiden Unterteilung von Männern und
Frauen in «Klaen» nit so sehr die üblie latente Frauenfeindlikeit der
Kire, sondern vor allem das Symptom einer regelreten sexistisen
Ausbeutung ausgemat, umso mehr als der Gründer in einem speziell an
die Frauen geriteten Paus im Weg vorsreibt:
Wenn ihr eu Go in der Welt hingeben wollt, mu no vor eurer Gelehrsamkeit die
Frömmigkeit kommen (die Frauen brauen nit gelehrt zu sein; es genügt, daß sie klug
sind); ihr müt eng verbunden sein mit dem Herrn im Gebet; ihr müt einen unsitbaren
Mantel tragen, der alle eure Sinne und jede eurer Kräe umhüllt: beten, beten und beten;
sühnen, sühnen und sühnen.[15] (Der Weg, 946)
Die der Institution eigene Askese erfordert das, was intern «strenge Bewaung des
Herzens» genannt wird. Sie mu au in den übrigen Situationen des alltäglien Lebens
befolgt werden, unter Kollegen und im Verhältnis zu Bekannten aller Art. Von den
Numerarierinnen, wie au von den Numerariern der Männerabteilung, wird verlangt, mit
allen Mieln Situationen zu vermeiden, gewohnheitsmäßig oder au nur ausnahmsweise in
Anwesenheit von Kollegen des anderen Geslets allein in einem Raum zu arbeiten, und
dafür zu sorgen, da die Tür des Zimmers, in dem man si gerade auält, stets offen bleibt.
Man vermeidet au, si von Personen des anderen Geslets im Auto mitnehmen zu
laen oder diese im Auto mitzunehmen. Wenn die Arbeitsbedingungen einer Numerarierin
si so entwieln, da die Beatung dieser Vorsitsmaßnahmen swierig wird, wird eher
auf die Ausübung des Berufes verzitet, als die freiwillige Entseidung eines Lebens im
apostolisen Zölibat einer Gefahr auszusetzen.
Sließli die Priester. Die Prälatur hat 1 850 eingegliederte Priester, die
direkt dem Prälaten unterstellt sind. Weitere 2000 Priester gehören zur eng
an das Opus gebundenen Società sacerdotale della Santa Croce
(Priestergesellsa vom Heiligen Kreuz). Die von der Organisation
geleiteten und kontrollierten «Apostolisen Werke» sind zahlrei.
Darunter fünfzehn Universitäten mit mehr als 80.000 Studierenden (die
größte ist die Universidad de Navarra in Pamplona, die jüngste ist der
Campus Biomedico in Rom). Sieben Krankenhäuser mit 1000 Ärzten und 1
500 Personen Pflegepersonal; elf Sulen für Betriebswirtsa; 36 Grund-
und Realsulen, 96 Berufulen; 166 Studentenwohnheime; eine TV-
Preeagentur (Rome Reports). Eine imposante Organisation, deren
Vermögen vom Naritenmagazin Time (24. April 2006) auf
ca. 3 Milliarden Dollar gesätzt wurde.
Was in der kollektiven Wahrnehmung von Opus Dei am meisten auffällt, ist
zweifellos der Nimbus mysteriöser Geheimhaltung, der das «Werk» umgibt.
Die Organisation hält nit nur ihre Bilanzen geheim, sondern au die
Namen derer, die Mitglieder sind oder es nit mehr sind. Artikel 190 der
Konstitution von 1950 besagte: «Die Mitglieder müen wien, da sie im
Hinbli auf die Namen der übrigen Mitglieder stets ein wohlbedates
Sweigen zu bewahren haben und niemals irgendjemandem entdeen
dürfen, da sie zum Opus gehören.» Der Artikel ist in den Statuten von 1982
modifiziert worden. Heute steht es theoretis jedem Mitglied frei, seine
Zugehörigkeit zu offenbaren, in der Praxis aber ist die alte Reserviertheit
geblieben. Eine Ausnahme bilden diejenigen Mitglieder, die offiziell
autorisiert sind, si zu erklären. Tatsae ist, da no heute Namen und
Nummern der Mitglieder geheim bleiben.
Nit alle halten auf die Dauer dem psyologisen Dru stand, den der
Eintri in das Opus, die Bußübung mit dem cilicium, die ständige
Überwaung und Kontrolle mit si bringen. Do ist man einmal Mitglied,
ist au der Austri nit einfa. Mit den Jahren ist eine Reihe von Büern
veröffentlit worden, in denen ehemalige Mitglieder die Swierigkeiten
und nit selten Sikanen sildern, von denen sole Erfahrungen begleitet
waren, vor allem im Falle von Frauen. Sehr beeindruend die Memoiren
von María del Carmen Tapia in ihrem Bu Oltre la soglia, una vita
nell’Opus Dei (Dt. 1993 ersienen: Hinter der Swelle. Ein Leben im Opus
Dei). Dort werden in einfaen und unversnörkelten Worten das Leben,
der Zeitplan, das o unerträglie Verhältnis zu den Aufseherinnen, die
Demütigungen besrieben. Als die junge Frau die Absit erkennen lät,
da sie die Organisation verlaen will, um zu ihrer Familie und zur Welt
zurüzukehren, artet die gewohnte Härte in den zwisenmenslien
Beziehungen zur offenen Verfolgung aus. Sie sreibt:
Wenn i na diesen Verhören in mein Zimmer zurükehrte, stellte i jedes Mal fest, da
Dinge von mir verswunden waren … Alles, wirkli alles wurde auf den Kopf gestellt …
Au das Telefon neben der Galleria della Madonna wurde ständig überwat. Man ließ
mi nit am Saubermaen teilnehmen. Au dure i nit in den Esaal
hinuntergehen. Man brate mir ein Table mit dem Een herauf … Infolge des Terrors
befiel mi ein ronises Ziern. I hae Angst, man könnte mi in eine Irrenanstalt
bringen, da i wute, da man dies son zuvor mit anderen getan hae.[16]
Eines Tages kann sie einen Moment der Unatsamkeit ihrer Vorgesetzten
nutzen und den Mann einer Freundin anrufen. Eine sehr kurze Narit, in
der Furt, erwist zu werden. Der Mann begrei jedenfalls, was sie sagt,
und sorgt dafür, da sie herausgelaen wird. Die Demütigungen der Frau
sind aber no nit zu Ende. Vor der Entlaung
Es war ersreend: Beim Opus Dei wurde mir davon abgeraten, mit meinen Eltern darüber
zu spreen … mir wurde gesagt: «Sie sind außerhalb unserer Welt, sie haben nit unseren
Geist und werden es wahrseinli nit verstehen … sie können nit im notwendigen
Stand der Gnade sein, um dir einen guten Rat zu geben. Es ist beer, da du jemanden von
uns oder einen Priester des Werkes um Rat biest.»
Mit dem Leben als Numerarierin beginnt Amina, die typisen Rituale der
Organisation zu praktizieren:
Mit 17. Jahren habe i mit der körperlien Abtötung begonnen: I mute das cilicium am
Obersenkel tragen und mi mit der disciplina geißeln. Das ist keine freiwillige
Entseidung oder eine fakultative Sae – das wird ausdrüli von einem verlangt, die
körperlie Abtötung … Von dem Moment an war meine Beziehung zum Opus Dei ganz und
gar auf Suldgefühl gegründet.
ein aus Staelringen mit Staeln zusammengesetzter Metallgürtel und mu am oberen Teil
des Obersenkels angelegt werden. Man kann ihn regulieren und enger snallen, wie man
will, es hängt natürli von der Bereitwilligkeit der Person ab, ob er enger oder weiter
gezogen wird. Die Narben habe i heute no. Inzwisen sieht man sie ein bien
weniger, aber wenn sie fris sind, sind sie seußli anzusehen.
Amina trägt das cilicium jeden Tag: «I trug es zwei Stunden tägli.
Solange man es nur beim Lernen anhat, verliert das Bein allmähli an
Empfindlikeit. Im Sitzen ist es no erträgli, wenn man aber aufsteht
und herumläu, tut es ritig weh.» Die körperlie Abtötung ist begleitet
von der psyisen Abhängigkeit. Dazu wieder Amina:
Der Slüel zur Unterwerfung des Willens der Leute ist folgender: Sie bringen dir bei, an
dir selbst und deiner Urteilsfähigkeit zu zweifeln und auließli dem zu vertrauen, was
von den Direktoren und vom Opus kommt. Sri für Sri zeigen sie dir, da du kein
guter Führer für di selbst sein kannst. Du mut den Anweisungen der Vorgesetzten folgen,
die beer wien als du selbst, was dir gut tut … Das Moo ist: «Wer gehort, kann nie
einen Fehler maen!»
Der Proselytismus wurde sehr profeionell betrieben. Man bekam Zahlen, die erreit
werden muten, regelrete Planvorgaben, und es gab immer wieder Ad-hoc-Aktivitäten,
um neue Numerarierinnen zu rekrutieren: Journalismus-Seminare, Lateinkurse, Konferenzen,
Tagungen. Das Ziel war, dort neue Numerarier-Aspirantinnen anzuwerben.
Das Opus Dei war eine Organisation na fasistisem Muster. Zu den Zeiten, als i dort
eintrat, war sie sehr geheim. Den Jesuiten waren sie zutiefst feindli gesinnt. Ihren Gründer
verehrten die Mitglieder rühaltlos, zuglei aber lebten sie in Furt und Sreen vor
ihm. Er hae Zornausbrüe, die eines Hitler würdig gewesen wären.
I war überrast über die Tatsae, da junge Numerarier, die si die Evangeliums-
Gelübde Armut, Keusheit und Gehorsam zu Eigen gemat haen, so erpit darauf
waren, in Banken, an Börsen, in Firmen, in Import-Export-Gesellsaen zu arbeiten, um
Finanzreourcen zu saffen, die Opus Dei zugute kommen sollten. Stolz kultivierten sie die
Idee des Reitums.
[Und weiter: Das «Werk»]… kontrolliert eine große Zahl multinationaler Unternehmen und
eine riesige Busine-Organisation. Dur ihre mit ihm verbundenen Gesellsaen [Pinoi
sprit von «Auxiliargesellsaen» und meint damit Vereine, Stiungen etc.; Erg. d. Ü.],
d.h. die von Opus Dei kontrollierten und von ihren Laien-Mitgliedern verwalteten
Wirtsasunternehmen, ist es enorm rei geworden … Opus Dei kontrolliert Zeitungen,
Zeitsrien, Verlage, Journalismus-Fakultäten, Preeagenturen, es ist am Film- und
Fernsehgesä beteiligt.
Ähnlie Anklagen kann man in einem offenen Brief lesen, den eine Gruppe
von Ex-Numerariern im Oktober 2005 an Papst Ratzinger geritet hat: «Es
ist beunruhigend zu beobaten», sreiben sie, «in welem Ausmaß die
leitenden Mitglieder des Opus Dei Verletzungen des Kiren- und des
Zivilretes begehen.» Verletzt würden au
… die moralisen und staatlien Normen bezügli der Verwendung des Geldes, der
Vertragsklauseln und der Steuerpfliten … Die leitenden Mitglieder verhindern den
Abslu von unmoralisen und illegalen Gesäen nit und wirken bei der
Manipulation diesbezüglier Informationen mit.
I habe sehr viele Bildungs-Initiativen organisiert, immer mit Hilfe meiner Familie und sehr
vieler weiterer Familien, die mit Freude sahen, wie si ihre Töter in spannenden
Unternehmungen engagierten … I erinnere mi an die Kurse zu wirtsalien emen
oder die Seminare über weiblie Identität und Arbeit, die kleinen Projekte in der
Freiwilligenarbeit mit Behinderten, Alten oder Kindern in Verona oder in Ungarn kurz na
dem Ende des Kommunismus. Begeisternd war die Teilnahme so vieler Mäden an den
«Tagen der Jugend» in Loreto, Paris und Rom. Oder das Abenteuer der Weihnats- und
Neujahrstage in Kroatien mit Gruppen couragierter Veroneser Studentinnen, die den Mut
haen, Kriegsflütlingen Beistand zu leisten … Die Lehren und das Beispiel des hl.
Josemaría ermutigen mi zum Einsatz für diejenigen, die mir auf meinem Weg begegnen:
für die Jüngsten, um ihnen bei der Entdeung ihrer Fähigkeiten zu helfen, dabei, Go zu
vertrauen, aber au si selbst und den anderen, und dabei zu lernen, einfa und natürli
mit Go zu spreen.
Harte Vorwürfe auf der einem Seite, beharrlier Enthusiasmus auf der
anderen. «Gesegnet sei deine Unterwerfung», hae der Gründer empfohlen.
Es ist mögli, da dieselben Entbehrungen, Einmisungen, Absoungen
für die einen intolerable Verletzungen sind, für die anderen dagegen ein
Beweis für Liebe und «gesegnete Unterwerfung». Aber au jenseits der
untersiedlien Erfahrungsberite und Zeugenauagen lösen gewie
Aspekte des Innenlebens von Opus Dei weiter Ratlosigkeit und Kritik aus.
Zum Beispiel unterseidet si der für die Mitglieder herausgegebene
interne Index verbotener Büer («Vademecum für die örtlien Räte») nit
allzu sehr von jenem Index librorum prohibitorum, der 407 Jahre lang, von
1559 bis 1966, bestimmt hat, wele Büer die katholisen Gläubigen nit
lesen duren. Die 60.541 rezensierten Büer sind mit Noten von 1 bis 6
klaifiziert: von den Büern für alle (1) bis zu denen (5 und 6), deren
Lektüre ohne Erlaubnis des Prälaten verboten ist. Abgeraten wird von Isabel
Allende, Norberto Bobbio, Benedeo Croce, Oriana Fallaci, Antonio
Gramsci, Karl Marx, John Stuart Mill, Baru Spinoza. Aber au Umberto
Ecos Der Name der Rose, die Romane Alberto Moravias, Elsa Morantes,
Mario Soldatis, die Werke Pasolinis, die Romane von Philip Roth, einem der
größten Sristeller der Gegenwart, von Jean-Paul Sartre und Max Weber,
Gore Vidal, Voltaire und Emile Zola. Dagegen wird zum Beispiel Tolkiens
Der Herr der Ringe ausdrüli empfohlen.
Auf die Kritik antwortet Opus Dei folgendermaßen:
Im Opus Dei wird empfohlen, si über die Lektüre, die man vorhat, zu informieren, wovon
die dem Einzelnen vorbehaltene Entseidungsfreiheit unberührt bleibt. Es handelt si also
um eine spirituelle Praxis: verstehen, was es verdient, gelesen zu werden, und si vom
Wuns leiten zu laen, Büer auszuwählen, die im Einklang mit dem eigenen Glauben
und der freien Wahl des Lebens sind. Nits könnte von einem «Index verbotener Büer»
entfernter sein.[19]
Einfae Ratsläge also, die allerdings son allein deshalb eine gewie
Perplexität auslösen, da die «zu vermeidenden» Büer nit unbeträtlie
Teile der Kultur, der Literatur, des Denkens unserer Zeit enthalten.
Gibt es eine von Opus Dei empfohlene politise Vision für die Art zu leben,
auf die Welt zu reagieren oder zu «denken»? Wenn man den Begriff
«politis» im weitesten Sinne interpretiert, sier ja. Dazu no einmal
Prof. Roe:
Das Opus Dei wird von der gesamten Weltpree angeklagt, eine politise Organisation zu
sein. In Wirklikeit ist es vor allem an den herrsenden Klaen und an denen intereiert,
die an der Mat sind. Dur sie versut es, politisen Einflu zu gewinnen. Sol ein
Einflu impliziert aber keine bestimmte Ideologie … Das Werk ist auf jeden Fall extrem
autokratis und von Ideen durdrungen, die aus dem spanisen Fasismus abgeleitet und
für religiöse Zwee zugesnien wurden.
In der Tat sreibt Escrivá vor: «Das Opus agiert nit, seine Mitglieder
agieren.» Was (von geringfügigen Ausnahmen abgesehen) die
untersiedlien Erfahrungen eint, ist die Tatsae, da die Anhänger des
Opus, trotz des Fehlens einer offiziell deklarierten politisen Linie, stets
auließli die konservativsten politisen Kräe unterstützen. Unleugbar
ist die ausgeprägte Tendenz, si immer dann, wenn ethise Fragen im Spiel
sind, zum Beispiel die Anerkennung der nitehelien
Lebensgemeinsaen, die Euthanasie, die Abtreibung, die Verhütung, die
künstlie Befrutung, die Homosexualität, stets an der Seite der
Konservativsten in Stellung zu bringen.
Wie jeder Organismus, der si seiner Bedeutung bewut ist, ist das
vordringlie Ziel au des Opus Dei die Erweiterung und Aufwertung
seiner eigenen Rolle. Dies ist die eigentlie Leitlinie seiner «Politik». Zu
Zeiten Pauls VI., der si der Organisation entgegenstellte und ihr, wie oben
erwähnt, unter anderem die ersehnte Anerkennung als «Personalprälatur»
verweigerte, erwog Escrivà für den Fall, da diese Verweigerung fortgesetzt
würde, sogar eine Abspaltung. In der Zeitsri Cronica (II, 1972) ging er zu
einer offenen Drohung über: «Das Übel kommt aus dem Inneren der Kire
und von ihren Spitzen. In der Kire gibt es eine ete Fäulnis und
manmal seint es, als sei der mystise Körper Christi ein Kadaver in
übelrieender Verwesung.» Mit dem Pontifikat Wojtyłas änderte si die
Haltung der Kire, snell kam es zur Personalprälatur (1983) und zur
Heiligspreung des Gründers (2002).
Mit Papst Ratzinger seint dem «Werk» das Glü weiter hold zu sein.
Am Tag na seiner Wahl zum Papst erinnerte Prälat Bisof Javier
Eevarría daran: «Der neue Papst kennt die Miion der Prälatur gut und
weiß, da er auf die eifrigen Bemühungen der ihr angehörenden Priester
und Laien zählen kann, um der Kire zu dienen, einziges Traten von San
Josemaría Escrivá.»
Im März 2002 hae der damalige Kardinal Joseph Ratzinger bei der
Präsentation von Giuseppe Romanos Bu Opus Dei. Il messaggio, le opere,
le persone (Opus Dei. Die Botsa, die Werke, die Personen) gesagt:
Escrivá de Balaguers Goeszentrismus ist für mi eine Botsa von größter Bedeutung.
Denn sie stimmt mit den Worten Jesu überein, das heißt sie gründet auf diesem Vertrauen,
da Go si nit von der Welt zurügezogen hat, da Go jetzt am Werk ist und wir uns
ihm nur zur Verfügung stellen müen, fähig sein, auf seinen Ruf zu reagieren. Es ist eine
Botsa, die zur Überwindung deen führt, was man die große Versuung unserer Zeit
nennen könnte: des Postulats also, da Go si na dem Urknall aus der Gesite
zurügezogen habe.
Der künige Papst hae das Ziel des Opus fokuiert: Go in der Gesite
aufspüren, wo immer er si befindet und mit allen Mieln.
NACHWORT
WENN EINE KIRCHE ZUM STAAT WIRD
D
ER BEGRIFF «VATIKAN» stammt aus der Antike. Er bezeinete
zunäst eine Örtlikeit, ein Gebiet. Ager vaticanus war der
verrufene, finstere Ort, von dem Aulus Gellius[1] sprit, der den Ortsnamen
von vaticinium (Weiagung) herleitet: «Sowohl das vatikanise Gebiet
(Vaticanus ager) als au der Sutzgo dieses Gebietes sollen ihren Namen
erhalten haben von den Weiagungen, wele dur die Mat und
Eingebung dieser Goheit auf besagtem Gebiete gegeben zu werden
pflegten.»[2] Das Gebiet fiel immer wieder den Überswemmungen des
Flues zum Opfer, war also lange Zeit morastig, von wilden Tieren
heimgesut und malariaverseut. Die Ebene fand ihr natürlies Ende am
Mons vaticanus, einer zu der flaen Bergkee zwisen dem Monte Mario
im Westen und dem Gianicolo im Süden gehörenden Erhebung. Auf der
Höhe des Petersdoms ist der Hügel aufgrund der gewaltigen
Planierungsarbeiten, die als Vorauetzung für den Bau der Basilika
notwendig waren, bereits seit geraumer Zeit praktis verswunden.
Tacitus sprit vom vatikanisen Tal als «einem verrufenen Ort»,
vielleit au deshalb, weil auf diesem öden Gelände eine Nekropole lag,
die seine düstere Aura no verstärkte und deren Überreste bei den
zahlreien für die Fundamente der Basilika oder ihre Befestigung
notwendigen Planierungen immer wieder zum Vorsein gekommen sind.
Später, vom 1. Jahrhundert an, ist das Gebiet na und na troengelegt
worden, und das Areal, auf dem heute der Petersdom, ein Teil der Borghi
und das Ospedale di Santo Spirito stehen, entwielte si allmähli zu
einem Wohngebiet.
Agrippina maior (die Ältere), Ehefrau des Germanicus[3] und damit
künige Großmuer – wenn man das so banalisieren darf – Neros, ließ hier
einen Palast mit Gartenanlagen bauen, wo Kaiser Caligula, der Tiberius auf
den ron gefolgt war, seinen später von Nero fertiggestellten Circus bauen
sollte. Im Circus des Kaisers wurden die in Rom sehr populären
Pferderennen mit zweirädrigen Streitwagen und Quadrigen veranstaltet; hier
wurden außerdem, vielleit wegen des nahegelegenen Friedhofs, einige
Hinritungen von Christen durgeführt, die für suldig eratet worden
waren, den großen Brand Roms im Jahre 64 verursat zu haben. Das Gebiet
wurde also sukzeive urbanisiert, au wenn es im Verhältnis zum
Stadtzentrum immer Peripherie blieb.
Bei der Ausübung der hösten, vollen und unmielbaren Gewalt über die Gesamtkire
bedient si der Papst der Behörden der römisen Kurie. Diese versehen folgli ihr Amt in
seinem Namen und mit seiner Vollmat zum Wohle der Kiren und als Dienst, den sie den
geweihten Hirten leisten.
Dem Heiligen Stuhl, in dem si die Leitungsaufgaben der Katholisen Kire und des
Staates der Vatikanstadt bündeln, ist die Völkerretubjektivität für beide Bereie der
Matausübung zuerkannt worden, und dies au in der Periode, in der die Amtsführung
jeglier staatlier Gewalt eingestellt ist.
Die Besitzungen des Heiligen Stuhls besränken si nit auf die 44 Hektar
der Vatikanstadt, sie umfaen au zahlreie weitere Immobilien von
großem historisem und kunsthistorisem Wert, nit nur in Rom. Wie in
den Lateranverträgen von 1929 vereinbart, genießen alle diese
Liegensaen das Privileg der Exterritorialität. Einige Beispiele: die Basilika
San Giovanni in Laterano; der Lateranspalast; die Basilika Santa Maria
Maggiore; die Basilika St. Paul vor den Mauern, einsließli des Klosters;
Immobilien auf dem Gianicolo-Hügel und an der Piazza di Spagna, die zum
Collegio di Propaganda Fide gehören; der Palazzo dei Santi Apostoli,
daneben die gleinamige Basilika; der Palazzo della Cancelleria zwisen
Corso Viorio Emanuele und Campo de’ Fiori; der Palazzo del Sant’Uffizio
direkt an der Porta Cavalleggeri; versiedene Standorte der Gregorianisen
Universität in der Via Del Seminario und auf der Piazza della Piloa. Aber
au außerhalb Roms ist der Heilige Stuhl Eigentümer ausgedehnter
Liegensaen: vom päpstlien Palast Castel Gandolfo bis zu den Basiliken
von Loreto, Aisi, Padua.
Grob zusammengefat kann man sagen, da die Bezeinung «Heiliger
Stuhl» die Körpersa bedeutet, die die volle Souveränität einsließli
des Eigentumsrets über den Staat der Vatikanstadt ausübt.
Unter der «katholisen Kire» sließli versteht man die ristlie
Konfeion, die si zum Primat des Papstes bekennt und zu seiner ex
cathedra als unfehlbar, da direkt vom Heiligen Geist inspiriert, betrateten
Lehre. Dieses Sonderret wurde im Juli 1870 dur die mit Mat von Papst
Pius IX. durgesetzte dogmatise Konstitution Pastor Aeternus
vorgegeben, der das Ende seiner weltlien Herrsa drohen sah. Das
Dokument legt fest:
Im treuen Anslu also an die Überlieferung, wie wir sie von der ersten Zeit des
Christentums an übernommen haben, lehren Wir zur Ehre Goes, unseres Heilandes, zur
Verherrliung der katholisen Religion und zum Heil der ristlien Völker, unter
Zustimmung des heiligen Konzils, und erklären es als von Go geoffenbartes Dogma: Wenn
der römise Papst «ex cathedra» sprit – das heißt, wenn er in Ausübung seines Amtes als
Hirte und Lehrer aller Christen mit seiner hösten Apostolisen Autorität erklärt, da eine
Lehre, die den Glauben oder das silie Leben betri, von der ganzen Kire gläubig
festzuhalten ist –, dann besitzt er kra des gölien Beistandes, der ihm im heiligen Petrus
verheißen wurde, eben jene Unfehlbarkeit, mit der der gölie Erlöser seine Kire bei
Entseidungen in der Glaubens- und Sienlehre ausgerüstet wien wollte. Deshalb laen
sole Lehrentseidungen des römisen Papstes keine Abänderung mehr zu, und zwar
son von si aus, nit erst infolge der Zustimmung der Kire.
Zur Katholisen Kire, die ihre Gründung auf Jesus, genannt Christus
(Meias, der Gesalbte), zurüführt, gehören alle getauen Christen, die si
zu ihr bekennen. «Katholis» leitet si von dem grieisen Adjektiv
καθoλικóζ (katholikòs) her, was «universal, allgemeingültig» bedeutet.
Die Tatsae, da der Heilige Stuhl seinen Hauptsitz in einer Enklave des
Staatsgebiets der italienisen Republik hat, hat für diese (von gewien
Vorteilen abgesehen, wie der Tatsae des speziell auf die sakralen Orte der
Stadt Rom geriteten Tourismus) besondere Belastungen zur Folge. Die
Koexistenz zweier versiedener Träger souveräner Gewalt, des italienisen
und des vatikanisen, auf mehr oder weniger demselben Territorium hat in
der Vergangenheit Konflikte und Miverständnie hervorgerufen und tut
dies weiter, zumal die Grenzen si über wenige Meter erstreen.
Zu dieser Materie, zu der endlos viele Büer und Veröffentliungen
vorliegen, besränke i mi auf ein sehr beredtes visuelles Beispiel, das
au mit der Zeit nits von seiner Suggestivkra verloren hat. Es gibt ein
berühmtes Foto, das 1944 während der deutsen Besatzung Roms
aufgenommen wurde. Es zeigt zwei deutse Soldaten mit
Masinengewehren auf dem Rüen, die auf dem Petersplatz patrouillieren
und dabei an dem Travertinsteinband entlanggehen, das zwisen den
beiden Flügeln von Berninis Kolonnaden am Boden die Grenze des Heiligen
Stuhls markiert und virtuell ihr Rondell sließt. Hier ist Italien, dort der
Vatikan. Nur wenige wien das, niemand senkt dieser Tatsae besondere
Aufmerksamkeit, prinzipiell aber begibt man si mit der Überquerung
dieser Pflastersteine von einem «Land» in ein anderes.
In der Zeit seiner größten Ausdehnung erstrete si das Territorium des
Heiligen Stuhls, der Kirenstaat oder Papststaat, über einen Großteil
Zentralitaliens (ohne das Großherzogtum Toskana) von Terracina, wo das
Königrei Neapel begann, bis zur Mündung des Po an der Grenze zu den
Territorien der Republik Venedig, der Sereniima. Dieses beatlie
Staatsgebiet wurde na und na kleiner und sließli na dem
20. September 1870 auf die aktuellen Dimensionen festgelegt, als die
Bersaglieri von La Marmora, nadem sie mit Kanonensüen wenige
Meter neben der Porta Pia eine beseidene Brese geslagen haen, in
Rom einmarsierten und die «Ewige Stadt» mit dem neun Jahre zuvor
(1861) proklamierten Königrei Italien vereinten (siehe Kapitel VII).
Regierender Papst war damals Pius IX. (Giovanni Mastai-Ferrei), der,
wie wir gesehen haben, uneinsitig auf seinem weltlien Dominium
beharrte, obwohl die politise und wirtsalie Lage des Staates
unhaltbar geworden war. Vergebli hae Graf Cavour, der brillanteste
politise Kopf des Risorgimento, versut, ihm die spirituellen Vorteile
klarzumaen, die der Kire dur das Aufgeben einer Mat zuteil
geworden wäre, die in der neuen Zeit nit mehr tolerierbar war.
1871 bot das Parlament des Königreis dem Papst das sogenannte
Garantiegesetz (legge delle Guarentigie) an, mit dem na der Auflösung des
Kirenstaates die Rete des Papstes und sein Verhältnis zum italienisen
Königrei geregelt werden sollten. Es garantierte dem Summus Pontifex
begrenzte Souveränitätsrete, die «Heiligkeit und Unverletzlikeit» seiner
Person, außerdem eine jährlie Rente in Höhe von 750.000 Lire sowie die
exterritorialen Gebiete des Vatikans, des Lateran und Castel Gandolfo. Auf
dieses Angebot antwortete Pius IX., er bevorzuge es, vom Peterspfennig zu
leben, erklärte si zum «Gefangenen» Italiens und zog si hinter die
Mauern des Vatikans zurü. Katholisen Staatsoberhäuptern wurde
verboten, si im Quirinalspalast empfangen zu laen, der zur Residenz des
Königs von Italien geworden war, im Übrigen war allen italienisen
Gläubigen mit der berühmen, mehrfa wiederholten, später immer weiter
abgeswäten und offiziell erst 1919 abgesaen Formel Non expedit (Es
ist nit angebrat) verboten worden, an politisen Wahlen teilzunehmen.
Der «Kalte Krieg» zwisen dem Königrei Italien und dem Heiligen
Stuhl wurde erst im Februar 1929 beendet, als Pius XI. und der damalige
Regierungsef Benito Muolini das Konkordat unterzeineten. Dem Staat
der Vatikanstadt wurde für die 1870 vorgenommenen Enteignungen eine
stalie Entsädigung zugesproen. In der Finanzkonvention wurden
no weitere Vergünstigungen ökonomiser Art geregelt, die den Profiten
Renung trugen, die Italien infolge der Präsenz des Vatikans dur den
Zustrom an Pilgern zufloen. Darüber hinaus wurde die katholise Religion
als Staatsreligion anerkannt. Die politise Vernun und die Sue na dem
Zuspru des Volkes haen Benito Muolini, der in seiner Jugend ein
glühender Antiklerikaler gewesen war, aus reinem Matinteree zu einem
Ausglei mit dem Vatikan geführt und zu einem gefügigen Werkzeug in den
Händen der Kuriendiplomatie gemat.
Dieses erste Konkordat ist später teilweise von dem neuen Abkommen
zwisen dem Heiligen Stuhl und der Republik Italien revidiert worden, das
1984 von Kardinalstaatekretär Agostino Casaroli und Regierungsef
Beino Craxi ausgehandelt wurde. Zu den Kernabspraen, die dank eines
zähen Ringens um Kompromie getroffen werden konnten, gehört der
Verlust der Anerkennung des Katholizismus als «Staatsreligion». In dem
Text heißt es: «Das ursprüngli von den Lateranverträgen bestätigte Prinzip
der katholisen Religion als einziger Religion des Staates Italien wird als
nit mehr gültig eratet.»
Au witig: die neue Unterhaltsregelung für den Klerus, na der eine
At-Promille-Steuer auf alle Einkommen physiser Personen erhoben
wird, die bei den Steuerzahlern direkt einzuziehen ist, es sei denn, sie häen
explizit erklärt, diese Summe anderen Zween zuführen zu wollen. Weitere
Vereinbarungen betrafen die Reform der kirlien Körpersaen und
Güter, die Ernennung der kirlien Amtsleiter, die zivilretlie
Anerkennung der religiösen Feiertage, die Freiwilligkeit des katholisen
Religionsunterrits in den Sulen, die Anerkennung akademiser Titel der
vom Heiligen Stuhl akkreditierten Fakultäten, der Sutz der Kulturgüter
von religiösem Interee sowie der kirlien Arive und Bibliotheken.
Die Beziehungen zwisen dem Heiligen Stuhl und dem italienisen
Staat sind nie einfa gewesen, au weil es si um ein erklärtermaßen
asymmetrises Verhältnis handelt. Erzbisof Rino Fisiella, Rektor der
Pontificia Universitas Lateranense (Päpstlie Lateranuniversität), hat das in
seinem Bu Identità dissolta (etwa: Aufgelöste Identität, 2009) resümiert:
Aufgrund seiner demokratisen Verfaung mu der Staat die Auseinandersetzung mit der
Kire nit nur akzeptieren, sondern er mu ihre etwaigen Einmisungen au aufgreifen
und erst in einem zweiten Moment zu temperieren wien … Die Kire hingegen, die si
auf Prinzipien beru, die einen höheren als den menslien Ursprung haben, könnte
niemals eine irgendwie geartete Einmisung des Staates in ihre Inhalte akzeptieren.
Wenn man dieser ese das Dogma der päpstlien Unfehlbarkeit hinzufügt,
sieht man, wie in diesen Worten, kaum verbrämt von der Zeit, die alte, nie
widerrufene Idee der politisen Vormatstellung wieder hokommt, die in
den längst vergangenen Kämpfen zwisen Papsum und Kaiserrei
offenbar tiefe Wurzeln geslagen hat.
Im Versu, das Gesit zu wahren, sind der Papst – und mit ihm die Kire
– als Opfer eines «heigen Angriffs» dargestellt worden. Der persönlie
Prediger Papst Benedikts, Pater Cantalamea, hat die Kritik an der
katholisen Kire im Zusammenhang mit den Mibrausfällen mit der
Judenverfolgung in der Nazizeit verglien. Während der
Ostersonntagsmee im Vatikan sagte Kardinal Sodano, das «Volk Goes
lät si gewi nit vom Geswätz des Augenblis beeindruen»,
womit er nahezu die gesamte Weltöffentlikeit zu «Swätzern»
degradierte. Einige Woen später wird der Erzbisof von Wien, Kardinal
Christoph Sönborn, Sodano wegen dieser unglülien Formulierung
Leitfertigkeit vorwerfen und ihn außerdem besuldigen, fünfzehn Jahre
zuvor verhindert zu haben, da der Vatikan die Mibrausvorwürfe gegen
Kardinal Hans Herrmann Groer, Sönborns Vorgänger im Amt des Wiener
Erzbisofs, untersute.
Sodano hae no einen draufgesetzt und die Angriffe auf Papst Ratzinger
mit denen gegen Pius XII., Papst Pacelli, wegen seines Sweigens zur Shoah
verglien. Der Präsident der jüdisen Gemeinden Italiens, Renzo Gaegna,
nannte dies in seiner Replik im Corriere della Sera «unangemeen,
inopportun, gefährli». Der emeritierte Bisof von Groeto, Monsignor
Giacomo Babini, bezeinete in einem am 11. April 2010 auf der Website
«Pontifex» (Blog di informazione cattolica – Katholiser Informationsblog)
veröffentliten Interview den Pädophilie-Skandal als einen «Angriff der
Zionisten … sie wollen die Kire nit, sind ihre natürlien Feinde. Im
Grunde sind die Juden, historis gesehen, Goesmörder.» Swerwiegende
Worte, die wenige Stunden später zurügenommen wurden. Jedenfalls aber
eine Serie von aus der Hüe gesoenen Statements, ein falser Sri
na dem anderen, die man bestenfalls als Symptome von Verlegenheit und
Ratlosigkeit bezeinen kann angesits einer Situation, die si son zu
lange hingezogen hae, ohne da jemand den Mut aurate, si
gründli damit auseinanderzusetzen. In Deutsland dagegen hat der
Bisof von Trier, Stephan Aermann, der von der Deutsen
Bisofskonferenz als Mibrausbeauragter eingesetzt wurde, Klartext
gesproen und die Courage beseen, ganz offen von «Vertusung» und
«falsen Rüsiten» innerhalb der Kire zu spreen (Rhein Zeitung,
16. März 2010).
Ähnlie Äußerungen kommen von dem Journalisten Clark Hoyt, dem
internen Sliter und Leservertreter der New York Times. Angesits der
Vorwürfe, seine Zeitung betreibe Anti-Papst-Beriterstaung sreibt er am
25. April 2010:
Ob es einem nun gefällt oder nit, es gibt Umstände, die diesen Slendrian jahrelang
legitimiert haben, einsließli eines gut dokumentierten Systems von Leugnung und
Vertusung in einer Institution mit Milliarden von Anhängern. So smerzli es au sein
mag, die Zeitung hat die Pflit, diese Angelegenheit zu verfolgen, wo au immer sie
hinführt, und sei es direkt vor die Tür des Papstes.
I gratuliere Ihnen, einen Priester nit der staatlien Administration angezeigt zu haben
… Sie haben gut daran getan und i beglüwünse mi, einen Mitbruder zu haben, der in
den Augen der Gesite und aller übrigen Bisöfe der Welt das Gefängnis der
Denunziation seines Priester-Sohnes vorgezogen hat.
[Es ist] nun Eure Aufgabe, das Problem des Mibraus aufzuarbeiten, der in der
katholisen Gemeinsa von Irland gesehen ist, und dies mit Mut und Entsloenheit
zu tun. Niemand erwartet, da si diese smerzhae Situation snell lösen lät. Es sind
positive Srie getan worden, aber es bleibt no viel zu tun.
Die Erzählung der Fakten endet hier. Eine Galerie von Ereignien, die si
im Laufe der Jahrhunderte abgespielt haben, in untersiedliem
historisem Kontext und untersiedli in den von ihnen ausgelösten
Folgen, mit einer Gemeinsamkeit jedo: Sie entspringen alle jener
Staatsräson, die den Heiligen Stuhl de facto zu einer politisen Einheit
mat, die si nit allzu sehr von den übrigen 192 Staaten unterseidet,
die zur Generalversammlung der Vereinten Nationen gehören. Abgesehen
von dem Umstand, und der ist in der Tat einzigartig, da der vatikanise
«Beobater» bei der UNO[5] der einzige Repräsentant eines Staates ist, der
si selbst zu einer direkten gölien Emanation proklamiert. Es ist das
ewige Dilemma, die konstante Herausforderung zwisen unvereinbaren
Zielsetzungen: der politisen Mat und der spirituellen Verpflitung. Hier
kommen wieder die Worte des Kardinals Carlo Maria Martini aus den
«Nätlien Gebeten in Jerusalem» in den Sinn. Wir haben sie son als
Moo des Bues gelesen, denno seint es mir angebrat, sie no
einmal in Erinnerung zu rufen:
Es gab eine Zeit, da habe i von einer Kire der Armut und der Demut geträumt, die
unabhängig ist von den Mäten dieser Welt. Einer Kire, die den Leuten Raum gibt, die
weiter denkt. Einer Kire, die Mut mat, vor allem denjenigen, die si klein oder als
Sünder fühlen. Einer jungen Kire. Heute habe i sole Träume nit mehr. Seit i 75 bin,
habe i besloen, für die Kire zu beten.
ANHANG
DANKSAGUNG DES AUTORS
I
sulde vielen Mensen großen Dank für ihren Beitrag zu diesem
Bu, das viele Jahre Arbeit gekostet hat. Vladimiro Poli hat mi mit
Spürsinn, Findigkeit, Sorgfalt und Sarfsinn bei den Reeren unterstützt.
Claudio Rendina verdanke i freundsalie Hilfe und witige
Informationen. Laura Bainis und Nunzio Giustozzis wertvolle Erläuterungen
haben mein Verständnis von der Gesite der Engelsburg vertie. Andrea
Cane und Nicolea Lazzari von Mondadori haben den Text lektoriert und
mit kritisen Anmerkungen versehen. I möte die Gelegenheit nutzen,
um auf eine Frage zu antworten, die mir o gestellt wird: warum i meine
Büer trotz der umstrienen Besitzverhältnie weiter bei Mondadori
publiziere. Die Antwort ist einfa: wegen der profeionellen und
freundsalien Beziehungen, die si im Laufe der Zeit mit einigen der
Verantwortlien und Redakteure dort aufgebaut haben. Pier Angela
Mazzarino hat den Text mit außerordentlier Akribie und Kompetenz
durgesehen und überarbeitet. Sabine Heymann hat mi während ihrer
Arbeit an der für das Frühjahr 2011 geplanten deutsen Ausgabe auf einige
Unstimmigkeiten hingewiesen. Antonella Colombo und Mara Samaritani
vom römisen Sitz des Verlagshauses Mondadori haben mir die Arbeit
dur ihre großzügige Unterstützung erleitert.
Dieses Bu enthält tausende von Namen, Daten, Ereignien. Trotz aller
no so sorgfältiger Korrekturen ist es mögli, da in der Darstellung no
die eine oder andere Ungenauigkeit zu finden ist. Natürli habe i allein
sole Fehler zu verantworten.
Corrado Augias
DANKSAGUNG DER ÜBERSETZERIN
D
ie Übersetzung dieses Bues war für mi alles andere als ein
Routine-Aurag.
I kannte Corrado Augias bereits von der Übersetzung seines zuvor
ersienenen Bues «Die Geheimnie Roms». Bei diesem Bu waren wir
snell übereingekommen, da eine Reihe von Dingen für deutse Leser
ausführlier erläutert werden müen als für italienise. Corrado Augias
hat mir freie Hand gegeben, erläuternde Anmerkungen hinzuzufügen. Bei
den «Geheimnien des Vatikan» sind wir no einen Sri weiter
gegangen: Mane kurze Erläuterung haben wir direkt in den Text eingefügt.
Teilweise grei die Übersetzung auf das vom Originalverlag Mondadori no
nit gekürzte und bearbeitete Originalmanuskript zurü, wenn hier
bestimmte Saverhalte ansaulier erklärt waren. Die Erläuterungen im
Anhang, die Papstliste und die Literaturhinweise wurden von mir in
Absprae mit dem Autor eigens für die deutse Ausgabe
zusammengestellt. Für diese vertrauensvolle und unkomplizierte
Zusammenarbeit per e-Mail Tag und Nat und bei unserem dreitägigen
Arbeitstreffen in Rom, das wegen einer isländisen Asewolke fast nit
zustande gekommen wäre, möte i Corrado Augias von Herzen danken.
Sehr viele Mensen haben zum Gelingen der Übersetzung beigetragen.
Großer Dank geht an meine Freunde omas Clasen, Barbara Jeen und
Henning Lobin für ihre Lektorate und Einsätzungen in versiedenen
Phasen des Projektes sowie an Barbara Lynker, die als Altphilologin die
Latein-Zitate und -Übersetzungen überprü hat. Albret von der Heyden
hat mi bei Fragen zur staats- und völkerretlien Terminologie, Brigie
Zypries bei der allgemeinen retlien Terminologie beraten. Der
Kunsthistoriker Marcel Baumgartner wute Rat bei Quellenfragen im
Zusammenhang mit Bernini und Borromini. Der katholise eologe Jörg
Johannes Lener und ein wiensalier Mitarbeiter bei der
Katholisen Bisofskonferenz haben mi in die Hintergründe katholiser
und kirengesitlier Terminologie eingeführt. Guido Eisfeller war mir
bei ingenieurwiensalien Fabegriffen eine große Hilfe. Mit der
Italienis-Lektorin Grazia Caiati habe i immer wieder vertrate
Übersetzungsprobleme bespreen können. Die großartigen Poesie-
Übersetzer Ernst-Jürgen Dreyer und Geraldine Gabor haben swierige
Belli-Zitate und Carducci-Verse kongenial ins Deutse übertragen. I
danke meinem Sohn Stefano Di Buduo, der mit mir in Rom geduldig viele
der Originalsauplätze des Bues besitigte und mi bis ins Herz der
Opus Dei-Zentrale im Viale Bruno Buozzi begleitete. I danke meiner
Toter Beatrice Di Buduo, die si mit mir an einem heißen Tag im Mai in
die endlosen Slangen vor den Vatikanisen Museen eingereiht hat, nur
damit i in der Sixtinisen Kapelle – inmien hunderter amerikaniser
und japaniser Touristen – einige Details von Mielangelos Fresken
überprüfen konnte. Der Historikerin Gabi von der Heyden danke i für die
Überprüfung der Papstliste. Nicolea Lazzari und den anderen Mitarbeitern
von Mondadori danke i für die stets zuverläige Zusammenarbeit.
Ein besonderer Dank geht an den Historiker Volker Reinhardt für die
kritise Dursit des Manuskripts, an Petra Rehder für ihr kluges,
einfühlsames und akkurates Lektorat und an den Lektor des Verlags
C.H.Be, Ulri Nolte, der mir in den Monaten der langen Arbeit am Text
ein witiger Gespräspartner war.
Sabine Heymann
VERZEICHNIS DER IM BUCH GENANNTEN
PÄPSTE
ALEXANDER III. (vermutli Rolando Bandinelli, um 1100 oder 1105 bis 1181), Papst ab 1159.
ALEXANDER VI. (Rodrigo Borgia, um 1431 bis 1503), Papst ab 1492.
ALEXANDER VII. (Fabio Chigi, 1599 bis 1667), Papst ab 1655.
ANAKLET II. (um 1090 bis 1138), (Gegen-)Papst ab 1130.
BENEDIKT XI. (Niccolò di Boccasio, au Nikolaus Boccasini, 1240 bis 1304), Papst ab 1303.
BENEDIKT XIII. (Pietro Francesco Orsini, 1649 bis 1730), Papst ab 1724.
BENEDIKT XIV. (Prospero Lambertini, 1675 bis 1758), Papst ab 1740.
BENEDIKT XV. (Giacomo Marese della Chiesa, 1854 bis 1922), Papst ab 1914.
BENEDIKT XVI. (Joseph Alois Ratzinger, geb. 1927), Papst seit 2005.
BONIFAZ VIII. (Benedeo Caetani, 1235 bis 1303), Papst ab 1294.
CLEMENS III. (Wibert von Ravenna oder Guibert von Ravenna, geb. zwisen 1020 und 1030 bis
1100), Gegenpapst ab 1080 (gegenüber Gregor VII., Viktor III., Urban I. und Pasalis II.).
CLEMENS IV. (Gui Foucois, Guido Foucois, au Fulcodi oder Guido le Gros, um 1200 bis 1268), Papst
ab 1265.
CLEMENS V. (Bertrand de Got, um 1250/65 bis 1314), Papst ab 1305.
CLEMENS VII. (Giulio de’ Medici, 1478 bis 1534), Papst ab 1523.
CLEMENS VIII. (Ippolito Aldobrandini, 1536 bis 1605), Papst ab 1592.
CLEMENS IX. (Giulio Rospigliosi, 1600 bis 1669), Papst ab 1667.
CLEMENS X. (Giovanni Baista Emilio Altieri, 1590 bis 1676), Papst ab 1670.
CLEMENS XI. (Giovanni Francesco Albani, 1649 bis 1721), Papst ab 1700.
CLEMENS XIII. (Carlo della Torre di Rezzonico, 1693 bis 1769), Papst ab 1758.
CLEMENS XIV. (Lorenzo Ganganelli, eigentl. Giovanni (Gian) Vincenzo Antonio Ganganelli, 1705 bis
1774), Papst ab 1769.
CÖLESTIN V. (Pietro Angeleri da Morrone, um 1209/15 bis 1296), Papst von Juli bis Dezember 1294.
DAMASUS I. (um 305 bis 384), Papst ab 366.
EUGEN III. (Bernardo Paganelli, gest. 1153), Papst ab 1145.
FORMOSUS (816 bis 896), Papst ab 891.
GREGOR I. genannt der Große (au: Gregorius Magnus, ca. 540 bis 604), Papst ab 590.
GREGOR II. (669 bis 731), Papst ab 715.
GREGOR VII. (Hildebrand von Soana, um 1020 bis 1085), Papst ab 1073.
GREGOR X. (Tebaldo Visconti, 1210 bis 1276), Papst ab 1271.
GREGOR XIII. (Ugo Boncompagni, 1502 bis 1585), Papst ab 1572.
GREGOR XV. (Aleandro Ludovisi, 1554 bis 1623), Papst ab 1621.
GREGOR XVI. (Bartolomeo Alberto Cappellari, 1765 bis 1846), Papst ab 1831.
HADRIAN I. (gest. 795), Papst ab 772.
INNOZENZ II. (Gregorio Paparesi di Guidoni, vor 1116 bis 1143), Papst ab 1130.
INNOZENZ III. (Lotario dei Conti di Segni, 1160 oder 1161 bis 1216), Papst ab 1198.
INNOZENZ IV. (Sinibaldo Fiesi Conte di Lavagna, 1195 bis 1254), Papst ab 1243.
INNOZENZ VIII. (Giovanni Baista Cibo, 1432 bis 1492), Papst ab 1484.
INNOZENZ X. (Giovanni Baista Pamphilj, 1574 bis 1655), Papst ab 1644.
INNOZENZ XI. (Benedeo Odescali, 1611 bis 1689), Papst ab 1676.
JOHANNES VIII. (vor 852 bis 882), Papst ab 872.
JOHANNES X. (Toignano, gest. 929), Papst von 914 bis 928.
JOHANNES XI. (Graf von Tusculum, gest. 935), Papst ab 931.
JOHANNES XII. (Octavian von Spoleto, von 937 oder 939 bis 964), Papst von 955 bis zu seiner
Absetzung 963.
JOHANNES XXIII. (Angelo Giuseppe Roncalli, 1881 bis 1963), Papst ab 1958.
JOHANNES PAUL I. (Albino Luciani, 1912 bis 1978), im August 1978 zum Papst gewählt und 33 Tage
später gestorben. 1978 ging daher als das Dreipäpstejahr in die Gesite ein.
JOHANNES PAUL II. (Karol Wojtyła, 1920 bis 2005), Papst ab 1978.
JULIUS II. (Giuliano della Rovere, 1443 bis 1513), Papst ab 1503.
JULIUS III. (Giovanni Maria Cioci del Monte, 1487 bis 1555), Papst ab 1550.
LEO I. (um 400 bis 461), Papst ab 440.
LEO III. (gest. 816), Papst ab 795.
LEO IV. (um 400 bis 461), Papst ab 440.
LEO VI., 928 Papst.
LEO VIII. (gest. 965), Papst ab 963.
LEO X. (Giovanni de’ Medici, 1475–1521), Papst ab 1513.
LEO XIII. (Vincenzo Gioacino dei conti Pecci, 1810 bis 1903), Papst ab 1878.
NIKOLAUS II. (Gerhard von Burgund, um 990/95 bis 1061), Papst ab 1058.
NIKOLAUS III. (Giovanni Gaetano Orsini, um 1210/20 bis 1280), Papst ab 1277.
NIKOLAUS IV. (Girolamo Masci, 1227 bis 1292), Papst ab 1288.
NIKOLAUS V. (Tommaso Parentucelli, 1397 bis 1455), Papst ab 1447.
PAUL III. (Aleandro Farnese, 1468 bis 1549), Papst ab 1534.
PAUL IV. (Gian Pietro Carafa, 1476 bis 1559), Papst ab 1555.
PAUL V. (Camillo Borghese, 1552 bis 1621), Papst ab 1605.
PAUL VI. (Giovanni Baista Montini, 1897 bis 1978), Papst ab 1963.
PIUS IV. (Giovanni Angelo Medici, 1499 bis 1565), Papst ab 1559.
PIUS V. (Antonio Miele Ghislieri, 1504 bis 1572), Papst ab 1566.
PIUS VI. (Giovanni Angelo Brasi, 1717 bis 1799), Papst ab 1775.
PIUS VII. (Luigi Barnabà Niccolò Maria Chiaramonti, 1742 bis 1823), Papst ab 1800.
PIUS IX. (Giovan Maria Graf Mastai-Ferrei, 1792 bis 1878), Papst ab 1846. Längstes historis
naweisbares Pontifikat in der Gesite der Römis-Katholisen Kire.
PIUS X. (Giuseppe Meliorre Sarto, 1835 bis 1914), Papst ab 1903.
PIUS XI. (Aille Ambrogio Damiano Rai, 1857 bis 1939), Papst ab 1922.
PIUS XII. (Eugenio Pacelli, 1876 bis 1958), Papst ab 1939.
SERGIUS II. (gest. 847), Papst ab 844.
SERGIUS III. (gest. 911), Papst ab 904.
SILVESTER I. (gest. 335), Papst ab 314.
SIXTUS IV. (Francesco della Rovere, 1414 bis 1484), Papst ab 1471.
SIXTUS V. (Felice Perei, 1521 bis 1590), Papst ab 1585.
STEPHAN II. (gest. 757), Papst ab 752.
STEPHAN VI. (VII.), Papst 896/97.
STEPHAN VII. (gest. 931), Papst ab 929.
URBAN II. (Odo de Châtillon, Odo de Lagery oder Eudes de Châtillon, um 1035 bis 1099), Papst ab
1088.
URBAN V. (Guillaume de Grimoard, 1310 bis 1370), Papst ab 1362.
URBAN VI. (Bartolomeo Prignano, ca. 1318 bis 1389), Papst ab 1378.
URBAN VIII. (Maffeo Barberini, 1568 bis 1644), Papst ab 1623.
URSINUS (gest. na 384), Papst von 366 bis 367.
ERLÄUTERUNGEN
VORWORT
1 Summus Pontifex Ecclesiae Universalis bedeutet: Oberster Priester der Weltkire; au die
Bezeinung Pontifex maximus ist gebräuli.
DER QUIRINAL
1 1989 in der Libreria dello Stato ersienen
2 Der fast 60 Jahre andauernde Konflikt um den Status Roms als italieniser Hauptstadt einerseits
und andererseits den staatsretlien Status des Vatikans im Hinbli auf Rom na der Einnahme
des verbliebenen Kirenstaates dur italienise Truppen am 20. September 1870 und deen
Integration 1861 in den bestehenden Nationalstaat Italien.
3 Dt. «Wiedergeburt/Wiedererstehung»; politis-soziale Bewegung im Italien des 19. Jahrhunderts,
die für einen Nationalstaat kämpe. Held dieser Bewegung war Giuseppe Garibaldi, deen
Anhänger die Garibaldini genannt wurden.
4 Katholis geprägte politise Bewegung im Italien des 19. Jahrhunderts, deren Vorreiter der
Politiker und Philosoph Vincenzo Gioberti (1801–1852) war.
5 August Bernhard Hasler: Wie der Papst unfehlbar wurde. Mat und Ohnmat eines Dogmas,
Münen/Züri 1979, S. 241.
6 Unter anderem wurde den Katholiken die aktive und paive Teilnahme an demokratisen Wahlen
verboten.
RÄTSELHAFTE KRIEGERMÖNCHE
1 François-René de Chateaubriand: Erinnerungen (Memoires d’outre-tombe). Herausgegeben, neu
übertragen und mit einem Nawort von Sigrid von Maenba, Münen 1968, S. 533.
2 Enrico Guazzoni (1876–1949), Spezialist für Historien- und Sandalenfilme; Carlo Ludovico Bragaglia
(1894–1998), Bruder des Futuristen Anton Giulio Bragaglia (1890–1960), drehte 1957 La
Gerusalemme liberata, frei na Torquato Tao.
3 Chateaubriand, Erinnerungen, a.a.O., S. 516.
4 Dt. Ariost (1474–1533), großer italieniser Humanist, Militär, Höfling und Autor. Sein Versepos
Orlando furioso (Der rasende Roland), einer der witigsten Texte der italienisen Literatur,
wurde in ganz Europa begeistert rezipiert.
5 Fuler von Chartes: Historia hierosolymitana, I, 3, 7, R. H. C., Hist. occ,. Bd. III, S. 324; dt. Historia
Hierosolymitana (1095–1127), hg. von H. Hagenmeier, Heidelberg 1913, Bu I, 3, 7.
6 Jakob von Vitry: Historia Hierosolymitana, zit. von M. Melville: La vie des templiers, Paris 1951,
S. 18f. Dt. zit. na Alain Demurger: Die Templer. Aufstieg und Untergang 1120–1314, Münen
2007 (1991), S. 17.
7 Das Tatzenkreuz symbolisiert das Leiden Christi, die Farbe Rot das von Christus vergoene Blut,
ist aber au ein Symbol des Lebens.
8 Vgl. dazu Demurger, a.a.O., S. 116f.: «Die siitise Sekte der Ismaeliter teilte si in einen
persisen Zweig mit Sitz in el-Alamuth südli des Kaspisen Meeres und einen syrisen Zweig
im Gebirgszug der Aainen. Ein Oberhaupt mit starker Autorität, der ‹Alte vom Berge›, leitete
diese mystise Sekte; ihre reinsten und zuverläigsten Mitglieder wurden Aainen genannt,
weil sie si für bestimmte Aktionen mit Hasis [franz. hai] berausten. Das Wort setzte
si dur und nahm im Französisen deswegen seinen heutigen Sinn an [assassin = Mörder], weil
die bevorzugte Aktionsmethode des ‹Alten› und der fanatisierten Gläubigen, die ihm gehorten,
der terroristise Meuelmord war.»
9 Im Londoner Imperial War Museum kann man no heute den Lorbeerkranz aus Bronze
bewundern, den Lawrence von Arabien damals als Trophäe vom Grab des Sultans Salah ad-Din al-
Aiyubi entwendet hat.
10 Dante, a.a.O., S. 75.
11 Z.B. dur Verringerung des Edelmetallgehaltes neu geslagener Münzen oder Entwertungen
älterer Münzen.
12 Zit. na Demurger, a.a.O., S. 242.
13 Zit. na Alain Demurger: Der letzte Templer. Leben und Sterben des Großmeisters Jacques de
Molay, Münen 2005 (2004), S. 271.
14 Vgl. ebd., S. 250.
15 Vgl. ebd. Demurger zitiert hier seinerseits: L. Harff-Lancner und M. N. Polino, Le gouffre de satalie:
survivance médiévale du mythe de Méduse. Le Moyen Age XCIV (1988), S. 100.
16. OKTOBER 1943
1 Giacomo Debenedei: Am 16. Oktober 1943. Eine Chronik. Aus dem Italienisen übersetzt von
Lieseloe Kienberger, Berlin 1993, S. 15f.
2 Im Original deuts.
3 Akten zur deutsen auswärtigen Politik 1918–1945, Serie E, Bd. 7, S. 85 (zit na MiaelF.
Feldkamp: Pius XII. und Deutsland, Göingen 2000, S. 150).
4 Ebd., S. 130f.
5 «Die Interalliierte Erklärung zur Vernitung der Juden 1942» wurde von den zwölf alliierten
Regierungen von Belgien, Großbritannien, den Niederlanden, Grieenland, Luxemburg,
Norwegen, Polen, USA, Sowjetunion, Tseoslowakei, Jugoslawien und Frankrei verfat.
6 Die Bibel, a.a.O., S. 1119.
7 Die Frauen muten ein gelbes angenähtes Tu tragen. Diese Kennzeinung war bei
Strafandrohung verpflitend.
8 Hans Küng in einer Ansprae zu seinem 75. Geburtstag 2003 am Institut für Ökumenise
Forsung der Universität Tübingen. In seinem Bu Das Judentum (Münen 2007) hat er diese
ese bekräigt und ausgeführt.
9 eodor Herzl: Briefe u. Tagebüer 3: Zionistises Tagebu 1899–1904, Berlin/Frankfurt/Wien
1985, S. 656f.
10 Na der Absetzung Muolinis setzte der König den politis sehr unerfahrenen Marsall
Badoglio als ersten italienisen Ministerpräsidenten der postfasistisen Zeit ein. Obwohl au
die neue Regierung aus dem Umfeld Muolinis kam, versute sie eine Balance zwisen den
Alliierten und dem Bündnispartner Deutsland und begann gegen den Willen des Königs mit
zaghaen Säuberungen unter den Fasisten. Als die Alliierten ihre Bombenangriffe auf die Städte
forcierten, nahm Badoglio Waffenstillstandsverhandlungen mit ihnen auf. Am 8. September 1943
wurde der Frontwesel verkündet, allerdings ohne die italienisen Soldaten zu informieren. Die
Deutse Wehrmat slo darauin Rom ein und nahm 800.000 italienise Soldaten gefangen.
11 Bürgsa eines Bürgers des Aufnahmelandes für einen Einwanderer.
12 Deuts: Adressat unbekannt, Hamburg 2002.
13 Aus einem von Weizsäers «Rundbriefen aus Rom», die er von seiner Ankun im Juni 1943 bis zur
Besetzung dur die Alliierten fortlaufend srieb und die unter den Mitgliedern der Familie in
Deutsland rundgereit wurden. Zit. na: Leonidas E. Hill (Hg.): Die Weizsäer-Papiere. 1933–
1950, Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1974, S. 341.
14 In einem Brief Weizsäers an seine Muer. Ebd.
15 In einem «Rundbrief» vom 3. März 1944. Ebd., S. 371.
16 Das Originalzitat konnte nit gefunden werden, daher wurde hier aus dem Italienisen
rüübersetzt.
17 Als Rat Line, zu deuts «Raenlinie», bezeineten die amerikanisen Alliierten den Flutweg
vieler führender Nationalsozialisten, SS- und Ustasa-Leute, auf dem diese mit Hilfe vatikaniser
Kreise meist über Südtirol na Rom und von dort aus vor allem in südamerikanise, aber au
arabise Staaten gesleust wurden.
EMANUELA
1 Die Banda della Magliana, benannt na einer Gegend in der römisen Peripherie, ist die einzige
kriminelle Bande mafiöser Struktur, die in Rom je operiert hat, und zwar in den 1970er und 80er
Jahren. Der (Sauspieler und) Regieur Miele Placido erzählt die Gesite der Bande in
seinem Film Romanzo criminale, basierend auf einem Tatsaenroman des Riters Giancarlo De
Cataldo. Die römisen Kriminellen sollen systematis vom italienisen Geheimdienst
unterwandert und au gesützt worden sein. Sie sollen als Provokation gedate Aentate des
reten Terrorismus und Dutzende von politisen Morden ausgeführt haben. Als ab 1989 die
«blutige Faust des italienisen Antikommunismus» (Dirk Sümer) nit mehr gebraut wurde,
habe man die Gangster fallengelaen.
2 Im italienisen Sulsystem gehen die Noten von 0 bis 10, wobei 0 die sleteste und 10 die beste
Note ist. In der Regel jedo wird in Betragen eine 10 gegeben.
3 Das «Gelbe Telefon» war eine Sendung des Autors Corrado Augias im italienisen
Staatsfernsehen RAI, die si mit ungelösten Kriminalfällen befate und versute, sie aufzuklären
oder do zumindest als exemplarise Fälle der Kultur- und Siengesite, manmal au der
politisen Gesite Italiens nazuerzählen. Das «Giallo» rührt von einer in Italien populären
Grosenkrimi-Reihe, deren gelber Einband das arakteristise äußerlie Erkennungsmerkmal
war. Inzwisen wurde Giallo, losgelöst vom fiktionalen Krimigenre, zum Synonym für
unaufgeklärte Fälle und Verbreen.
4 Im Original deuts.
5 Im Original sehr holpriges Italienis.
NACHWORT
1 Vgl. Kapitel EIN HAUS GANZ AUS GOLD, Erläuterung 13.
2 Aulus Gellius: Die attisen Näte. Zum ersten Male vollständig übersetzt und mit Anmerkungen
versehen von Fritz Wei, Darmstadt 1992 (Nadru der Leipziger Ausgabe von 1876), zweiter
Band, S. 343f.
3 Nero Claudius Germanicus (15 v. Chr.–19 n.Chr.) römiser Feldherr.
4 Na Mahäus,16,18: «I aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde i meine
Kire bauen und die Mäte der Unterwelt werden sie nit überwältigen.» Die Bibel a.a.O.,
S. 1102.
5 Der Staat der Vatikanstadt nimmt selbst keine diplomatisen Beziehungen zu anderen Staaten auf.
Das überlät er dem Heiligen Stuhl. Er ist daher kein Mitglied der Vereinten Nationen, während
der Heilige Stuhl permanenten Beobaterstatus genießt.
LITERATURHINWEISE