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Andreas Löw

Das Gebet
Das Gebet im Horizont der
neuzeitlichen Religionskritik

Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft,
B 296-314

9. Mai 2023, Universität Wien


Andreas Löw
Matrikel-Nr. 12245329

Literatur:

1. Alois Winter, Gebet und Gottesdienst bei Kant: nicht


„Gunstbewerbung“, sondern „Form aller Handlungen“,
ThPh 52, 1977, 341-377
Kath. Theologe und Philosoph (*29.10.1931 – +26.03.2011)

2. Hans Jürgen Luibl, Des Fremden Sprachgestalt. Beobach-


tungen zum Bedeutungswandel des Gebets in der Geschichte
der Neuzeit, Tübingen 1993; Kant: (42)59-80
Evang. Theologe (*1959), Dissertationsschrift Zürich 1990.

3. Jörg Wüst-Lückl, Theologie des Gebets, Forschungsbericht


und systematisch-theologischer Ausblick, Fribourg 2007 ;
Kant: 61-75
Kath. Theologe (*1971), Dissertationsschrift Fribourg 2006.
Andreas Löw
Matrikel-Nr. 12245329

Fragestellungen:

1. Wie argumentiert der Autor?

2. Welche Position bezieht Kant nach Meinung des Autors


gegenüber dem traditionellen Gebet (mit Worten) und
dem Geist des Gebets (Anbetung und Gebet als Form aller
Handlung)?

3. Inwiefern kann das Gebet im Horizont der neuzeitlichen


Religionskritik bestehen?

4. Was können wir von Kant lernen?


Drei Positionen: Andreas Löw
Matrikel-Nr. 12245329
1. Alois Winter – Kants Gebetskritik „kann als philosophisch
artikulierende Frömmigkeit“ (276) vom Einzelnen und von der
Kirche gedeutet und konstruktiv rezipiert werden.

2. Hans Jürgen Luibl - Kants Gebetskritik kann als „Prozeß vom


Gebets-Ich zum transzendentalen Subjekt […] mit psychologischen
Hilfsmitteln rekonstruiert“ werden (75). Es ist ein Prozess der „Ent-
sprachlichung: das Gebet als Klangkörper, als Medium zwischen
Gott und Mensch, verstummt“ (79), „muß“ sich auflösen (63).

3. Jörg Wüst-Lückl – Das Gebet als Gnadenmittel „lehnt Kant rigo-


ros ab.“ (68) Es kann bestehen blieben, sofern es die Vernunftre-
ligion fördert (volkspädagogische Gründe). Mit dem moralischem
Fortschritt des Menschen verstummt das Gebet und „wird
[letztlich] ganz entbehrlich“ (71). Schwach vorhanden ist bei Kant
aber auch die positive Deutung des Gebets als „symbolische
Verdichtung, […] Einschärfung und Einübung konkreter Freiheit“
(74, im Anschluss an Salmann).
1. Alois Winter – Argumentation
• Kants Stellung zu Gottesdienst und Gebet anhand seines biographischen Hintergrunds und der
einschlägigen Textstellen (341-345). Fazit: „innerprotestantische Kritik“ (345). (situiert!)
• Rahmen des Themas: Vernunftglaube (ihm „gilt Kants uneingeschränkte Zustimmung und sein volles
Engagement“ (346) und Offenbarungsglaube („nur Hilfsmittel der Gesinnung, […] das den
vernunftgemäßen Kern nicht verdrängen darf (ebd.)).
• Gefahr der „Mißdeutung“, d.h. „einer verfälschten Praxis“ (348) des Gottesdienstes. Kants Begriff:
„Gunstbewerbung“ (350ff.; seit 1775): Frömmigkeit als Ersatz für mangelnde Moralität. Es folgt eine
Darstellung der Traditionen, in denen Kant steht: (situiert!)
• - soziologisch: Gunst der Fürsten im Zeitalter des Absolutismus (354f)
• - philosophisch: Aufkläungsphilosophie bzw. -theologie (vor allem engl. (Hobbes, Cherbury, Locke, Toland,
Shaftsbury … Hume 360-367,), frz. (Voltaire) und dt. Reimarus)
Ergebnis: Kant „sucht für die Frömmigkeit den Platz, der ihr angemessen ist“ (371). „Kants Lösung trägt
die Züge eines eigenen tiefen religiösen Erlebens, das nicht verallgemeinerbar ist“ (372). Bis 1775 gilt:
„Daher bete ich und arbeite“; Moralische Gebrechlichkeit wird vor Gott dargelegt und von ihm
„ergänzt“. Ab 1775 gilt: „Auf den Geist des Gebets kommt alles an.“ Röm 8,26f. – ohne Buchstaben
beten – „ohn Unterlaß“, „in den Gott geheiligten Gesinnungen, die im Leben durch Handlungen thätig
sind“ (374): „Die Gottesfurcht und der Gottesdienst sind keine besonderen Handlungen, sondern die
Form aller Handlungen.“ (AK 27,1/328)
Folgerungen für das Gebet: Gegenstand allgemein, außer es geht „auf moralische Gesinnung“ (375).
Vaterunser ist das unerreichte Vorbild. Im privaten Bereich möglichst wortlos – Anbetung.
Winter argumentiert textnah mit vielen Belegen, die er philologisch, quellen- und traditions-
geschichtlich sowie philosophisch intensiv darstellt und aufarbeitet.
1. Alois Winter – Zentrale inhaltliche Punkte
• Rahmen: Kants biographischer Hintergrund und der Aufklärungsdiskurs
• Das worthaften „(buchstäblichen) Gebet“ (Religion, B 303 Anm.) ist in
der Gefahr als „Gunstbewerbung“ (Religion, B 286 Anm. Lösung:
Vaterunser und das Gebet philosophisch interpretiert als „Form aller
Handlungen“(AK 27,1/328).
• Gebet als Gunstbewerbung bedeutet, dass sich der Gläubige bei Gott
durch viele Worte, Schmeichelei, Kriecherei und letztlich Unlauterkeit
einen Vorteil verschaffen will, statt das Sittengesetz, die moralischen
Forderung der praktischen Vernunft zu erfüllen.
• Gebet als „Form aller Handlungen“bedeutet, dass das auf das
allgemeine Sittengesetz sich fokussierende menschliche Subjekt, alle
Handlungen, alles Tun und Lassen in diesem Geist ausführt.
1. Alois Winter - Fazit

Inwiefern kann das Gebet im Horizont der neuzeitlichen


Religionskritik bestehen?
• Kant legt eine philosophische Reinterpretation des Gebets vor., die es kirchlich zu
würdigen und zu rezipieren gilt.

Was können wir daraus lernen?


• Fehlformen des Gebets sind zu vermeiden und zu korrigieren:
• Konzentration auf das Vaterunser (und persönlich auf das „Suscipe“ von Ignatius);
• Begrüßung der Liturgiereform des 2. Vatikanischen Konzils.
2. Hans Jürgen Luibl – Argumentation
• Zwei große Abschnitte:
• 1. „Kant I: Das Gebet und der Sieg der Vernunft“ (59-67). Nach aufzeigen der
Spannung in der Rezeption und Nennung der Quellen (59) folgt eine knappe
Rekonstruktion von Kants Gebetskritik (60-63). In ihr wird das „Wahn-Gebet“
vom „wahren Gebet“ unterschieden (60f.) und die Logik „Von der Sinnlichkeit des
Gebets zur Sittlichkeit“ (61f.) und „Von der sinnlichen Sittlichkeit des Gebets zur
sittlichen Gesinnung“ (62f.) dargestellt. „Dieses Gebetsverständnis Kants dient
dann als hermeneutischer Schlüssel für Kants Vernunft-Religion […] wie dessen
Transzendentalphilosophie“ (63-67)
• 2. „Kant II: Das Opfer der Vernunft ist das Gebet“ (67-80). Dieser Abschnitt dient
der Rekonstruktion des Prozesses „vom Gebets-Ich zum transzendentalen Subjekt
[…] mit psychologischen Hilfsmitteln“ (75), wozu Kants Biographie und Angaben
zu seiner Frömmigkeit herangezogen werden. (situiert?)
• Luibl argumentiert rhetorisch elaboriert und zeichnet pointiert seine Abfalls- bzw.
Verfallsthese (von Loibls Lutherdeutung her) mit Berufung auf ausgewählte
Literatur (z.B. Erikson, Böhme / Böhme) nach.
2. Hans Jürgen Luibl – Zentrale inhaltliche Punkte
• Luibl liest bzw. interpretiert Kant auf der Folie seiner Rekonstruktion von
Luthers Gebetstheologie: „Indem nun aber – um ein Bild zu verwenden – das Medium des
Kampfes um Gewißheit sich verändert hat (vom Gebet zur Vernunft und damit von der Rechtfertigung
zur Transzendentalphilosophie), hat auch der Kampfplatz sich verwandelt: aus den Polen Gott und
Mensch werden die Pole empirisches und transzendentales Subjekt: Der Kampf hat sich in das Subjekt
verlagert. Während bei Luther das sich des Heils ungewisse Ich nach Gott ruft und sich bei ihm heilsam
(ver-)birgt, ruft in der Aufklärung ebendieses in seinem Ruf nach Gott ungewiß gewordene Ich nach
der Vernunft. Dabei wird aus dem bei Gott geborgenen Gebets-Ich das transzendentale Subjekt. Hier
beginnt der Kampf des transzendentalen mit dem empirischen Ich.“ (66)
• Kants persönliche Gebetspraxis, die dem wortverbundenen Gebet kritisch,
dem andächtig sprachlosen Gebet mit Bezug auf das Erhabene positiv
gegenübersteht, weist eine „verbale Aggression“ auf, mit der Kant versucht,
„sich seiner Ängste [vor dem Gebet] zu entledigen“ (70f.). ZITAT S. 72
• In der Epoche zwischen Luther und Ebeling, die im Wesentlichen durch Kant
geprägt wurde, schlägt die selbstinszenierte Befreiung des Menschen „dia-
lektisch“ in ihr Gegenteil um. Das Ergebnis: „Hier [in Auschwitz] ver-endet das
Projekt neuzeitlicher Subjektemanzipation, hier verstummt das Gebet“ (285).
2. Hans Jürgen Luibl - Fazit
Inwiefern kann das Gebet im Horizont der neuzeitlichen
Religionskritik bestehen?
• Die durch Kant geprägte Entwicklung des Gebetsverständnis ist, gemessen an der
Gebetstheologie Luthers, eine Verfallsgeschichte. Das Gebet verstummt und wird
überflüssig. Die Subjektkonstitution der Neuzeit führt nach Auschwitz.
Was können wir daraus lernen?
• Die Aufklärung und das Gebetsverständnis von Kant sind ein Irrweg. Die „Trauerarbeit
des Gebets“ besteht darin: „Verluste zu artikulieren und vom Verlorenen endgültig
Abschied zu nehmen“ (303-304).
• Luibl steht in einer in der evang. Theologie verbreiteten Interpretation der Aufklärung,
die „die Selbstherrlichkeit des selbstbezogenen Menschen in der ,aufgeklärten Vernunft´ und
deren ,Selbstemanzipation´ konstatiert, in der ,der Einzelne durch Vernunft, das heißt aus sich
selbst durch sich selber für sich selber´ die Befreiung und das Gewißwerden seiner selbst
angesichts faktischer Ungewissheit selbstmächtig selbst ins Werk zu setzen unternimmt […] und als
,Bevollmächtigter´ Gottes und seiner, des Menschen, selbst mit ,Perfektionslogik´ durchsetzt.“ (Rez.
Koch, 332f.)
3. Jürg Wüst-Lückl – Argumentation
• Lückl beschreibt, nachdem er die geistesgeschichtlich Situation Kants
skizziert hat, Kants Konzeption der Vernunftreligion (61-66):
1. die Moralität als Ziel der Vernunftreligion und Gefährdung durch
„Gunstbewerbung“;
2. der wahre Dienst Gottes: der gute Lebenswandel;
3. drei Grenzüberschreitungen der Offenbarungsreligion (Glaube an
Wunder, Aussagen über Gott, das undurchdringliche Geheimnis;
Erzwingung der Gnade Gottes).
• Anschließend zeigt er Kants Folgerungen für das Gebet aus dieser
Konzeption auf (66-73):
1. Das Gebet als Sichtbarkeit der moralischen Gesinnung;
2. Gebet als Herzenswunsch (nicht worthaft) und „Form aller Handlungen“;
3. Gebet kann nicht Dialog sein.
• Abschließend fasst er die Ergebnisse zusammen, erwägt positive
Deutungen des Gebets und deutet die Rezeption dieser positiven Ansätze
(73-75).
3. Jürg Wüst- Lückl – Zentrale inhaltliche Punkte
• Insgesamt teilt Wüst-Lückl Winters Sich, mit zwei Ausnahmen:
• Wüst-Lückl interpretiert Kants Ausführungen zum worthaften Gebet
restriktiver als Winter: „Wird dieser Vorsatz zum guten Lebenswandel in der
Praxis lebendig und macht der Mensch durch das Gebet Fortschritte im
Gunten, verstummt es nicht nur, sondern wird ganz entbehrlich.“ (71).
• Er stellt gegen Winter auch in Frage, „ ob bei Kant von ,Überzeugung von
Gottes Dasein´ gesprochen werden darf.“ (71 Anm. 201). Er verweist dafür auf
die kritische Aufgabe der reinen Vernunft. Allerdings bezeichnet Kant explizit
die „Annehmung seines (sc. Gottes) Daseins“ als synthetischen Satz a priori der
praktischen Vernunft (Religion, B IX-X Anmerkung), auch wenn Kant mit Blick
auf die theoretische Vernunft immer wieder betont, dass der Mensch sich
anmaßen könne „selbst das Dasein Gottes als völlig gewiß beteuern zu
können“ (Religion, B 303 Anmerkung).
• Luibl wird oft zitiert, aber inhaltlich nicht beurteilt.
3. Jürg Wüst-Lückl - Fazit

Lückl folgt in seinem Ausblick komplett Salman, Elmar, Andacht. Philosophen


vor dem Problem der Liturgie, Stuttgart 2000.
Inwiefern kann das Gebet im Horizont der neuzeitlichen
Religionskritik bestehen?
• Kant legt eine philosophische Reinterpretation des Gebets vor, deren „positiven
Aussagen“ (74) weiterentwickelt werden können. Kants Verständnis „wahrt und fördert
[…] die Würde und Freiheit des Menschen“ und setzt „bei seinem Können, seiner Stärke
an“ (74).
Was können wir daraus lernen?
„Das Gebet kann als „symbolische Verdichtung, erspriessliche Erinnerung,
Ausweitung, Vertiefung menschlicher Verhältnisse und ihrer Spiel- und Vor-
stellungsräume, Einschärfung und Einübung konkreter Freiheit“ (74)
gedeutet werden .
Drei Positionen: Andreas Löw
Matrikel-Nr. 12245329
1. Alois Winter – Kants Gebetskritik „kann als philosophisch
artikulierende Frömmigkeit“ (276) vom Einzelnen und der Kirche
gedeutet und konstruktiv rezipiert werden.

2. Hans Jürgen Luibl - Kants Gebetskritik kann als „Prozeß vom


Gebets-Ich zum transzendentalen Subjekt […] mit psychologischen
Hilfsmitteln rekonstruiert“ werden (75). Es ist ein Prozess der
„Entsprachlichung: das Gebet als Klangkörper, als Medium
zwischen Gott und Mensch, verstummt“ (79).

3. Jörg Wüst-Lückl – Das Gebet als Gnadenmittel „lehnt Kant rigo-


ros ab.“ (68) Es kann bestehen blieben, sofern es die Vernunftre-
ligion fördert (volkspädagogische Gründe). Mit dem moralischem
Fortschritt des Menschen verstummt das Gebet und „wird
[letztlich] ganz entbehrlich“ (71). Schwach vorhanden ist bei Kant
aber auch die positive Deutung des Gebets als „symbolische
Verdichtung, […] Einschärfung und Einübung konkreter Freiheit“
(74, im Anschluss an Salmann).
Andreas Löw
Matrikel-Nr. 12245329

... es geht übrigens noch weiter


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