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Philosophisches Seminar – Die Religionsphilosophie Immanuel Kants

Protokoll 25.04.2023 (Andreas Löw)

Lektüre und Diskussion: Philosophische Religionslehre, Zweites Stück: B 67-84

In der Einleitung (B 67-72) beschreibt Kant die mögliche Entwicklung zur Moralität des Menschen
als „Kampf des guten Prinzips, mit dem Bösen, um die Herrschaft über den Menschen“ (67). Die
Stoiker, die richtigerweise das moralische Gesetz unmittelbar und ausschließlich aus der Vernunft
ableiteten, identifizierten den „Feind“ (68) fälschlicherweise mit den Neigungen selbst, weil sie
einen unverdorbenen Willen im Menschen annahmen, und den Feind nicht – wie es nach Kant
richtig ist – „in der verkehrten Maxime, und also in der Freiheit selbst“ (69) suchen.

Im ersten der beiden Abschnitte des zweiten Stücks (B73-76) behandelt Kant die „Personifizierte
Idee des guten Prinzips“ (73) in einer christologischen Denkform. Der moralphilosophischen Idee
(platonisch) der vollkommen realisierten sittliche Willensbildung der Menschheit, entspricht
theologisch reformuliert der dogmatische Topos vom nichtgeschaffenen, „eingeborenen Sohn“
(73) Gottes. Diese Idee hat (philosophisch formuliert) jeder einzelne Mensch in seiner Vernunft in
sich und wird sich ihrer als Ideal bewusst. Die Bewusstwerdung dieses Ideals ist von der Vernunft
nicht begreifbar; sie ist unableitbar. (74) Christologisch reformuliert heißt das, dass der Sohn
Gottes die menschliche Natur angenommen (Zwei-Naturen-Christologie) und sich der Menschheit
offenbart hat. (75) Mit dem praktischen Glauben der Gläubigen an den Sohn Gottes reformuliert
Kant theologisch das Vertrauen der moralisch gesetzbebenden Vernunft, dass die Realisierung des
Sittengesetzes in allen moralischen Herausforderungen durch jeden Menschen möglich sein muss:
„Wir sollen ihr [sc. der moralisch gesetzgebenden Vernunft] gemäß sein, und wir müssen es daher
auch können.“ (76)

Im zweiten Abschnitt des zweiten Stücks (B76-84) behandelt Kant die „Objektive Realität dieser
[personifizierten] Idee [des guten Prinzips]“ (76). Objektive Realität bedeutet philosophisch, dass
diese Idee „ihre Realität in praktischer Beziehung vollständig in sich selbst hat“ (76), d.h. sie ihren
Ort nicht in der Geschichte, sondern in der Vernunft selbst hat und empirisch nicht zu belegen ist
(77). In seinen christologischen Überlegungen, in denen Kant „Lehre, Lebenswandel und Leides“
(79) des die menschliche Natur angenommenen Sohnes Gottes als beispielhaft benennt, spricht
Kant deshalb auch durchgehend hypothetisch (Konjunktiv) von einem historischen Jesus („Wäre
nun ein solcher wahrhaftig göttlich gesinnter Mensch zu einer gewissen Zeit gleichsam vom
Himmel auf die Erde herabgekommen […]“ (78f.)). Es ist ein Versuch, moralische Begriffe, d.h.
Vernunftbegriffe auf sinnliche Zusammenhänge abzubilden. Kant nimmt damit auch theologische
Diskussionen seiner Zeit über die christologische Bedeutung der Leben-Jesu-Forschung auf.
Entscheidend aber, dass der Urbildchristologie philosophisch nur eine begrenzte Bedeutung hat,
ist die philosophische Erkenntnis, dass „das Urbild, welches wir dieser Erscheinung unterlegen,
doch immer in uns […] selbst gesucht werden muss“ (79). Dazu kommt, dass die christologische
Theoriebildung auch interne Fragen aufwirft, die einer „praktischen Anwendung der Idee
desselben auf unsere Nachfolge, nach allem, was wir einzusehen vermögen, eher im Wege sein“
(79) werde.

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