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Ueber eine Eigenschaft des Inbegriffes aller reellen

algebraischen Zahlen.
(Von Herrn Cantor w. Halle a. S.)

U nter einer reellen algebraischen Zahl wird allgemein eine reelle


Zahlgrösse verstanden, "welche einer nicht identischen Gleichung von der
Font* genügt:
(1.) 0 * -4- ! ~ h an = 0,
wo U) a09 OH · · · a« ganze Zahlen sind; wir können uns hierbei die Zahlen
n und «o positiv, die Coefficienten a^ al9 · · · an ohne gemeinschaftlichen
Theiler und die Gleichung (i.) irreductibel denken; mit diesen Festsetzungen
wird erreicht, dass nach den bekannten Grundsätzen der Arithmetik und
Algebra die Gleichung (L), welcher eine reelle algebraische Zahl genügt,
eine völlig bestimmte ist; umgekehrt gehören bekanntlich zu einer Gleichung
von der Form (1.) höchstens soviel reelle algebraische Zahlen co, welche
ihr genügen, als ihr Grad n angiebt« Die reellen algebraischen Zahlen
bilden in ihrer Gesammtheit einen Inbegriff von ZaMgrössen, welcher mit ( )
bezeichnet werde; es hat derselbe, wie aus einfachen Betreibungen hervor-
geht, eine solche Beschaffenheit, dass in jeder Nähe irgend einer ge-
dachten Zahl a unendlich viele Zahlen aus ( ) liegen; um so fe;ffalleii~
der dürfte daher für den ersten Anblick die Bemerkung sein, dsiss man
den Inbegriff ( ) dem Inbegriffe aller ganzen positiven Zahlen r, welcher
durch das Zeichen (v) angedeutet werde, eindeutig zuordnen kann, so dass
zu jeder algebraischen Zahl eine bestimmte ganze positive Zahl v und
umgekehrt zu jeder positiven ganzen Zahl v eine völlig bestimmte reelle
algebraische Zahl gehört, dass also, um mit anderen Worten dasselbe
zu bezeichnen, der Inbegriff (<**) in der Form emer unendlichen gesetz-
mässigen Reihe:
(2.) töj» tt>2, · · * ^ * · ·

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C&ntor, zw Theorie der algebraischen Zahlen. 2Ö§

gedacht werden kann, in welcher sämmtliche Individuen von (o>)


kommen und ein jedes von ihnen sich an einer bestimmten Stelle in (2*)^
welche durch den zugehörigen Index gegeben ist, befindet. Sobald man
ein Gesetz gefunden hat, nach welchem eine solche Zuordnung gedacht
werden kann, läset sich dasselbe nach Willkür modificiren; es wird daher
genügen, wenn ich in §. l denjenigen Anordnungsmodus mittheile, welcher,.
wie mir scheint, die wenigsten Umstände in Anspruch nimmt.
Um von dieser Eigenschaft des Inbegriffes aller reellen algebraischen
Zahlen eine Anwendung zu geben, füge ich zu dem §. l den §. 2 hinzu,
in welchem ich zeige, dass, wenn eine beliebige Reihe reeller Zahlgrössen
von der Form (2.) vorliegt, man in jedem vorgegebenen Intervalle («···/?)
Zahlen ^'bestimmen kann, welche nicht in (2.) enthalten sind1; coöibinirt
man die Inhalte dieser beiden Paragraphen, so ist damit ein neuer Beweis
des zuerst von Liouville bewiesenen Satzes gegeben, dass es in jedem vor»
gegebenen Intervalle (a · · · /3) unendlich viele transcendente, d. h. nicht alge-
braische reelle Zahlen giebt. Ferner stellt sich der Satz in §. 2 als der
Grund dar, warum Inbegriffe reeller Zahlgrössen, die ein sogenanntes Con-
tinuum bilden (etwa die sämmtlichen reellen Zahlen, welche > 0 und < l
sind) sich nicht eindeutig auf den Inbegriff (v) beziehen lassen; so fand ich
den deutlichen Unterschied zwischen einem sogenannten Continuum und einem
Inbegriffe von der -Art der Gesammtheit aller reellen algebraischen Zahlen.

§. i. ·
Gehen wir auf die Gleichung (1.), welcher eine algebraische Zahl
gentigt und welche nach den gedachten Festsetzungen eine y öllig bestimmte
ist, zurück, so möge die Summe der absoluten Betrage ihrer Coefficienten,
vermehrt um die Zahl n— l, wo n den Grad von co angiebt, die Hohe
der Zahl genannt und mit N bezeichnet werden; es ist also, unter An-
wendung einer üblich gewordenen Bezeichnungsweise:
(3.) JV =* n— l ,+- [oo] -h M -* ----- h[aj.
Die Höhe JV" ist darnach fthr jede reelle algebraische Zahl eine
bestimmte positive ganze Zahl; umgekehrt giebt es zu jedem positiven
ganszäMigen Werthe von N nur ekie endliche Anzahl algebraischer
Zahlen mit der Höhe N; die Anzahl derselben sei (- ); es ist
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C.antor, zur Theorie der algebraischen Zahlen.

weise (1) F= 1} (2) = 2; (3)=:4. Es lassen sich alsdann die Zahlen


des Inbegriffes (o>), d. h. sämmtliche algebraischen reellen Zahlen folgender-
anordne»; man nehme als erste Zahl 0*1 die eine Zahl mit der
N = l ; lasse auf sie, der Grosse nach steigend, die cp(2) aas 2 alge-
braischen reellen Zahlen mit der Höhe 2 folgen, bezeichne sie mit
o% «is; an diese mögen sich die #>(3) =* 4 Zahlen mit der Höhe JV~= 3,
ihrer Grosse nach aufsteigend, anschliessen; allgemein mögen, nachdem in
dieser Weise «ämmtliche Zahlen aus («*) bis zu einer gewissen Höhe N= Nt
abgezählt und an einen bestimmten Platz gewiesen sind, die reellen alge-
braischen Zahlen mit, der Höhe N =* JVi -f- l auf sie folgen und zwar der
Grosse nach aufsteigend; so erhält man den Inbegriff (ai) aller reellen alge-
braischen Zahlen in der Form:

und kann mit Rücksicht auf diese Anordnung von der i/ten reellen alge-
braischen Zahl reden, wobei keine einzige au§ dem Inbegriffe (o>) ver-
gessen ist. —

§. 2.
Wenn eine nach irgend einem Gesetze gegebene unendliche Reihe
von einander verschiedener reeller Zahlgrössen :
(4.) cuj, 0*8, · · · ,,· · · . · ·
vorliegt, so lässt sich in jedem vorgegebenen Intervalle («···/?) eine Zahl
(und folglich unendlich viele solcher Zahlen) bestimmen, welche in der
Reihe (4.) ni0ht vorkommt; dies soll nun bewiesen werden.
Wir g€fhen zu deüi Ende von dem Intervalle (« · · · /3) aus, welches
beliebig vorgegeben sei, und es sei a < /i; die ersten beiden Zahlen
Reihe (4.), welche im Innern dieses Intervalles (mit Ausschluns der
en, mögen mit «', /3r bezeichnet werden, und es sei a! < ß'$
ebenso bezeichne man; in ansertr Reihe die ersten beiden Zahlen, welche
im Innern von (a' · · · ß') liegen, mit a", fl\ und es sei a" .< /3", und nach
demselben Gesetze bilde man «in folgendes Intervall (ce"' · * * ß'") u. s. w.
Hier , siod um «;, a" * * - der Definition nach bestimmte, Zahlen unserer
Reihe (4*)f -denea Jpdiees im fortwährenden Steigen sich befiridej% und das
Gleiche gilt von dm Zahlen ^ //'··* ^ferner nehmen^di© Zahlen ', ' ·**

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y zur Theorie der algebraischen ZaMm.

ihrer Grosse nach fortwährend zu, die Zahlen (f, /?",··· nehmen ihrer
Grosse nach fortwährend ab; von den Intervallen (a · · · /?), (a1 · · · /?'),
(«·'. · · · /3"), · · · schliesst eiö jedes alle auf dasselbe folgenden ein. — Hier*
bei sind nun zwei Fälle denkbar.
Entweder die Anzahl der so gebildeten Intervalle ist endlich; das
letzte von ihnen sei (a(l/) · · · /3(")); da im Innern desselben höchstens eine
Zahl der Reihe (4.) liegen kann, so kann eine Zahl in diesem Intervalle
angenommen werden, welche nicht in (4.) enthalten ist, und es ist somit
x
der Satz für diesen Fall bewiesen. —
Oder die Anzahl der gebildeten Intervalle ist unendlich gross; dann
haben die Grossen a, ec', a", · · ·, weil sie fortwährend ihrer Grosse nach
zunehmen, ohne ins Unendliche zu wachsen, einen bestimmten Grenzwerth a 00 ;
ein gleiches gilt für die Grossen /?, ß', ß", · · ·, weil sie fortwährend ihrer
Grosse nach abnehmen, ihr Grenzwerth sei /300; ist a**> = ß*> (ein Fall,
der bei dem Inbegriffe ( ) aller reellen algebraischen Zahlen stets eintritt),
so tiberzeugt man sich leicht, wenn man nur auf die Definition der Inter-
valle zurückblickt, dass die Zahl = 00 = /2°° nicht in unserer Reihe ent-
halten sein kann*); ist aber a00 </?°°, so genügt jede Zahl im Innern
des Intervalles (a00 · · · /3°°) oder auch an den Grenzen desselben der ge-
stellten Forderung, nicht in der Reihe (4.) enthalten zu sein. —
Die in diesem Aufsatze bewiesenen Sätze lassen Erweiterungen nach
verschiedenen Richtungen zu, von welchen hier nur eine erwähnt sei:
„Ist o>!, eo2> · · · · > · · · eine endliche oder unendliche Reihe von
einander linear unabhängiger Zahlen (so dass keine Gleichung von der Form
% a>! ·+· ö2 <*>2 H- · · · ~h ®n u>n = 0 mit ganzzahligen Coefficienten, die nicht
sämmtlich verschwinden, möglich ist) und denkt man sich den Inbegriff (12)
aller derjenigen Zahlen 12, welche sich als rationale Functionen mit ganz-
zahligen Coefficienten aus den gegebenen Zahlen co darstellen lassen, so
giebt es in jedem Intervalle ( « · · · / ? ) unendlich viele Zahlen, die nicht in
(12) enthalten sind."
In der That überzeugt man sich durch eine ähnliche Schlussweise,
*) Wäre die Zahl in unserer Reihe enthalten, so hätte man *=* , wo p
ein bestimmter Index ist; dies ist aber nicht möglich, denn i^ liegt nicht im Innern
des Intervalles < > . . .^), während die Zahl ihrer Definition nacM im Innern die-
ses Intervalles hegt.

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262 Cantor, zur Thtwie der algebraischen Zahlen.

wie in $. l, dass der Inbegriff (ß) sich in der Reihenform:


*i2tj * 2, · · * · v
auffassen läset,' woraus, mit Rücksieht auf diesen §. 2, die Richtigkeit des
Satzes folgt.
Ein ganz specieller Fall des hier angeführten Satzes (in welchem
die Reihe «t»*, 00», · · »· · '· · eine endliche und der Grad der rationalen
Functionen, welche den Inbegriff ( ) liefern, ein Torgegebener ist) ist,
unter Zurüclrführüng auf iraiöf^sche Prineipien, von Herrn B. Minnigerode
bewiesen worden. (Siehe Math. Annalen von Clebsch und Neumann,
Bd. IV. S. 497.)

Berlin, den 23. December 1873.

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