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Verformung und Schädigung von Werkstoffen

der Aufbau- und Verbindungstechnik


Steffen Wiese

Verformung und Schädigung


von Werkstoffen der Aufbau-
und Verbindungstechnik
Das Verhalten im Mikrobereich

1C
Dr.-Ing. Steffen Wiese
Fraunhofer-Center für
Silizium-Photovoltaik CSP
Walter-Hülse-Str. 1
06120 Halle
Deutschland
stw.post@googlemail.com

ISBN 978-3-642-05462-4 e-ISBN 978-3-642-05463-1


DOI 10.1007/978-3-642-05463-1
Springer Heidelberg Dordrecht London New York

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Vorwort V

Vorwort

Dieses Buch ist aus den Bedürfnissen universitärer Forschung und Lehre ent-
standen. Der Autor beschäftigt sich seit ca. 15 Jahren mit den Fragen des werk-
stoff- und bruchmechanischen Verhaltens von Weichloten in kleinstvolumigen
Kontakten der Mikroverbindungstechnik in der Elektronik. In dieser Zeit erreichte
ihn eine große Anzahl von Anfragen - vor allem von Doktoranden, aber auch von
Ingenieuren aus der Industrie - aus welchen die grundsätzlichen Verständnispro-
bleme bei der Behandlung von Schadensfällen bzw. der Beurteilung der Zuverläs-
sigkeit (mikro-)elektronischer Aufbauten offensichtlich wurden. Ausgehend von
diesem konkreten Beratungsbedarf entstand die Idee, wesentliche Grundlagen die-
ses interdiziplinären Gebietes in einem Buch zusammenzufassen.
Im Mittelpunkt des Buches stehen Zuverlässigkeits- und Lebensdauerfragen in
Zusammenhang mit mikroskopisch kleinen Bauteilstrukturen, wie sie für die
Mikroelektronik und Mikrosystemtechnik typisch sind. Diesem zentralen Thema
nähert sich das Buch über eine systematische und detaillierte Darstellung des
mikrostrukturellen Aufbaus von Werkstoffen, der Werkstoffverformung sowie des
Verlaufes von Materialschädigungen, die letztlich den Ausfall von Bauteilstruktu-
ren herbeiführen. Hierbei werden besonders die Beziehungen zwischen diesen drei
Säulen der thermomechanischen Zuverlässigkeit aufgezeigt, um so zu einer ver-
ständlichen und übersichtlichen Darstellung von Ursache-Wirkung-Beziehungen
zu gelangen, welche Voraussetzung für ein rationales Verständnis der Auswirkung
der Miniaturisierung von Bauteilstrukturen ist. Eine konkrete Vorstellung des
abstrakten Begriffes der miniaturisierten Bauteilstrukturen als auch das Verständ-
nis für die Besonderheiten einer technologisch bedingten Zuverlässigkeitsproble-
matik werden dabei zunächst in einem vorangestellten Kapitel durch eine
Beschreibung des Gebietes der Aufbau- und Verbindungstechnik der Mikroelek-
tronik vermittelt. Abschließend widmet sich das Buch in mehreren Kapiteln kon-
kreten auf die Werkstoffforschung im Mikrobereich bezogenen Themen, in denen
spezielle experimentelle Untersuchungsmethoden, konkrete Versuchsergebnisse
als auch sich daraus ergebende Schlussfolgerungen bezüglich der Werkstoffmodel-
lierung und der entwicklungsbegleitenden Werkstoffuntersuchung dargestellt wer-
den. Dabei wird besonders der Werkstoffuntersuchung im Mikrobereich viel Platz
eingeräumt und an vielen konkreten Beispielen werden ihre methodischen Beson-
derheiten gegenüber der klassischen Werkstoffprüfung erläutert.
Das Buch hat das Ziel, einer breiten Gruppe von Nichtexperten (Studenten,
Doktoranden, Entwicklungsingenieure, Quereinsteiger) den Einstieg in die Proble-
matik der Schadensfälle und Zuverlässigkeit elektronischer Aufbauten zu ermögli-
chen und so viel Hintergrundwissen an Grundlagen- und Spezialkenntnissen zu
vermitteln, dass der Leser in die Lage versetzt wird, Projekte zu planen und zu lei-
ten, Fachartikel zu verstehen und ihre Ergebnisse in Bezug auf die eigenen Zuver-
lässigkeitsprobleme richtig einzuordnen.
Ein großer Teil des Buches widmet sich der Thematik der Prüfmaschinen (klas-
sisch und im Mikrobereich). Zu diesem Thema existiert kaum (klassische Werk-
VI Vorwort

stoffprüfung) bzw. keine Literatur (Werkstoffprüfung im Mikrobereich). Der Nut-


zen für den Leser besteht darin, dass er einen tiefen Einblick in die spezielle
Problematik der Werkstoffprüfung im Mikrobereich bekommt. Besonders für Ent-
wicklungsingenieure in der Industrie, die über die Anschaffung von Prüftechnik
entscheiden müssen, als auch für Doktoranden/Wissenschaftler, die spezielle Mes-
sungen vornehmen wollen, sind diese kritischen und gegenüber Firmenprospekten
neutralen Darstellungen hilfreich.
Die Art der Darstellung ist so gehalten, dass eine unnötige Mathematisierung
bei der Erläuterung der verschiedenen Sachverhalte vermieden wurde. Mathemati-
sche Terme wurden nur an solchen Stellen eingesetzt, an denen die Komplexität
eines Sachverhaltes eine entsprechende Abstraktion verlangt. Dies soll die Zugäng-
lichkeit auch für Leser aus mathematikfremden Studienrichtungen (z.B. Chemie,
Materialkunde, Wirtschaftsingenieurwesen) erleichtern. Gleichzeitig wurden für
die Erläuterung allgemeiner Sachverhalte stets solche Beispiele ausgewählt, die im
konkreten Anwendungsfeld elektronischer Aufbauten in der Mikroelektronik zu
finden sind, um so die zu vermittelnden Sachverhalte für Praktiker in der Industrie
fassbar zu machen.
Das Buch, welches aus einer Habilitationsschrift hervorgegangen ist, entstand
am Institut für Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik an der Techni-
schen Universität Dresden, Fakultät Elektrotechnik und Informationstechnik.
Besonders möchte ich mich bei Prof. Dr.-Ing. habil. K.-J. Wolter für seine Bereit-
schaft bedanken, mich an seinem Institut aufzunehmen und mir dort Bedingungen
einzuräumen, welche ich für meine wissenschaftliche Forschung benötigte.
Herrn Prof. Dr. rer. nat. habil. B. Michel vom Fraunhofer Institut für Zuverläs-
sigkeit und Mikrointegration, Berlin und Herrn Prof. Dr. rer. nat. habil.
W. H. Müller von der Technischen Universität Berlin danke ich für ihre
gutachterliche Tätigkeit sowie für die vielen kritischen, aber immer fruchtbaren
wissenschaftlichen Diskussionen, die wir in den vergangenen Jahren geführt
haben.
Ohne die Unterstützung durch die Mitarbeiter des Institutes wären die sehr
umfangreichen experimentellen Untersuchungen nicht möglich gewesen. Mein
Dank gilt in diesem Zusammenhang vor allem den Doktoranden meiner Arbeits-
gruppe Herrn Dr.-Ing. M. Röllig, Herrn Dipl.-Ing. M. Müller, Herrn Dipl.-Ing.
K. Meier, Herrn Dipl.-Ing. R. Metasch, Herrn Dipl.-Ing. S. Schindler.
Im Zusammenhang mit der Erstellung des Manuskriptes gilt mein besonderer
Dank Frau C. Hasenauer für die sorgfältige Anfertigung der Zeichnungen.
Die Untersuchungen wurden durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (För-
derkennzeichen WI 2030/1-1 und WI 2030/1-2) gefördert. Der DFG sei ausdrück-
lich für die von ihr gewährte finanzielle Unterstützung gedankt, ohne die die
Anfertigung dieser Arbeit nicht möglich gewesen wäre.

Leipzig, im Januar 2010 Steffen Wiese


Inhaltsverzeichnis VII

Inhaltsverzeichnis

1 Problematik ........................................................................................................ 1
1.1 Ausfälle in elektronischen Aufbauten ....................................................... 1
1.2 Rolle der Werkstoffuntersuchung im Entwicklungszyklus ........................ 4
1.3 Werkstoffverhalten und Miniaturisierung .................................................. 8
1.4 Verformungsverhalten von Metallen ....................................................... 10
1.4.1 Bedeutung .......................................................................................... 10
1.4.2 Verformungsverhalten ....................................................................... 12
1.5 Untersuchungsmethoden .......................................................................... 15
1.6 Ziel der Arbeit .......................................................................................... 17

2 Untersuchungsgegenstand ................................................................................ 19
2.1 Zusammenhang zwischen Gegenstand und Methodik der Untersuchung 19
2.2 Wesen und Entwicklung des Untersuchungsgegenstandes ...................... 22
2.2.1 Begriff der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik .......... 22
2.2.2 Inhalt der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik ............ 23
2.2.3 Entwicklung der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik .. 24
2.3 Architektur elektronischer Aufbauten ...................................................... 27
2.3.1 Grundkonzept und Aufbauhierarchie................................................. 27
2.3.2 Erste Verbindungsebene .................................................................... 29
2.3.3 Zweite Verbindungsebene ................................................................. 41
2.3.4 Architekturentwicklung .................................................................... 55
2.3.5 Strukturabmessungen in elektronischen Aufbauten .......................... 59
2.4 Thermisch-mechanische Problematik elektronischer Aufbauten ............. 61
2.4.1 Ursachenherkunft .............................................................................. 61
2.4.2 Grundlegende physikalische Ursachen .............................................. 63
2.4.3 Aspekte der Architektur- und Entwicklungskonzeption .................... 65
2.4.4 Werkstoffphysikalische Seiteneffekte ............................................... 68
2.4.5 Belastungsszenarien ........................................................................... 68

3 Struktur metallischer Werkstoffe ..................................................................... 71


3.1 Zusammenhang zwischen Verformung und strukturellem Aufbau ......... 71
3.2 Struktureller Aufbau ................................................................................. 73
3.2.1 Strukturebenen ................................................................................... 73
3.2.2 Atomarer Aufbau ............................................................................... 78
3.2.3 Werkstoffgefüge ................................................................................ 83
3.3 Legierungen .............................................................................................. 94
3.3.1 Formen von Legierungen ................................................................... 94
3.3.2 Eutektische Systeme .......................................................................... 95
3.3.3 Systeme mit intermediären Phasen .................................................... 99
3.3.4 Andere Systeme ............................................................................... 100
3.3.5 Drei- und Vielstoffsysteme .............................................................. 103
VIII Inhaltsverzeichnis

3.4 Gefügeausbildung bei Erstarrung von Legierungen ...............................104


3.4.1 Entstehung des Erstarrungsgefüges ..................................................104
3.4.2 Erstarrungsgefüge von Sn-Basis-Loten ............................................113
3.5 Gefügeveränderung .................................................................................134
3.5.1 Gefügeveränderung durch thermische Belastung .............................134
3.5.2 Gefügeveränderung durch thermisch-mechanische Belastung .........139

4 Elastische Verformung ....................................................................................143


4.1 Phänomenologie der elastischen Verformung ........................................143
4.2 Physikalischer Hintergrund der elastischen Verformung .......................144
4.2.1 Verzerrung des Kristallgitters ...........................................................144
4.2.2 Nichtlinearität der elastischen Verformungsreaktion .......................146
4.3 Beschreibung der elastischen Verformung .............................................147
4.3.1 Elastizitätsmodul ...............................................................................147
4.3.2 Die Querkontraktionszahl .................................................................151
4.3.3 Der Schubmodul ...............................................................................152
4.3.4 Der Bulkmodul .................................................................................152
4.3.5 Richtungsabhängigkeit der elastischen Konstanten ..........................153
4.3.6 Temperaturabhängigkeit der elastischen Konstanten .......................156

5 Plastische Verformung ....................................................................................157


5.1 Phänomenologie der plastischen Verformung ........................................157
5.1.1 Erscheinungsformen .........................................................................157
5.1.2 Verformungsmechanismenkarten .....................................................158
5.2 Kinetik der plastischen Verformung .......................................................160
5.2.1 Versetzungsbewegung ......................................................................160
5.2.2 Versetzungskinetik ............................................................................164
5.2.3 Bedeutung der Kinetik der Versetzungsbewegung für die Beschrei-
bung und Charakterisierung der plastischen Verformung ................172
5.3 Niedertemperaturplastizität .....................................................................174
5.3.1 Merkmale ..........................................................................................174
5.4 Hochtemperaturplastizität .......................................................................179
5.4.1 Merkmale ..........................................................................................179
5.4.2 Beschreibung des zeitabhängigen Verformungsverhaltens ..............182
5.4.3 Grundmechanismen ..........................................................................185
5.5 Wechselverformung ................................................................................201
5.5.1 Merkmale ..........................................................................................201
5.5.2 Beschreibung der Wechselverformung .............................................203
5.5.3 Mechanismencharakteristik bei Wechselverformung .......................207
5.5.4 Materialgedächtniseffekte .................................................................211
Inhaltsverzeichnis IX

6 Schädigung ..................................................................................................... 213


6.1 Technische Ursachen von Ausfällen ...................................................... 213
6.2 Materialphysik der Schädigung .............................................................. 215
6.2.1 Problematik der Ursacheninterferenz ............................................... 215
6.2.2 Wichtige nichtmechanische Schädigungsmechanismen .................. 216
6.2.3 Mechanismen der mechanischen Schädigung von Werkstoffen ...... 219
6.3 Modellierung der Materialschädigung ................................................... 235
6.3.1 Problematik der Schädigungsmodellierung ..................................... 235
6.3.2 Bruchmechanische Konzepte ........................................................... 236
6.3.3 Empirische Ermüdungsmodelle ....................................................... 261
6.3.4 Kontinuums-Schadensmechanik ...................................................... 269

7 Experimentelle Untersuchungsmethoden ....................................................... 273


7.1 Problematik der experimentellen Untersuchung .................................... 273
7.2 Entwicklung, Ziele und Verfahren der klassischen Werkstoffprüfung .. 275
7.2.1 Historische Entwicklung .................................................................. 275
7.2.2 Verfahren und Ziele ......................................................................... 276
7.2.3 Entwicklung miniaturisierter Versuche ........................................... 280
7.3 Werkstoffprüfung für stark miniaturisierte Proben ............................... 282
7.3.1 Grundproblematik ............................................................................ 282
7.3.2 Besonderheiten der Prüfmaschinen für miniaturisierte Proben ....... 283
7.4 Probekörper für miniaturisierte Versuche .............................................. 306
7.4.1 Ziele der Probengestaltung .............................................................. 306
7.4.2 Idealisierte Bulkproben .................................................................... 309
7.4.3 Idealisierte Mikroproben .................................................................. 312
7.4.4 Reale Mikroproben .......................................................................... 318
7.5 Realisierungen von Prüfmaschinen für miniaturisierte Proben ............. 323
7.5.1 Prüfmaschinenkonzepte ................................................................... 323
7.5.2 Kleinlastprüfmaschinen ................................................................... 325
7.5.3 Prüfmaschinen für Scherversuche an kleinvolumigen Kontakten ... 333
7.5.4 Ring-Pin-Prüfmaschinen für Lot in Durchkontaktierungen ............ 346

8 Experimentelle Ergebnisse ............................................................................. 349


8.1 Bewertung des Datenmaterials ............................................................... 349
8.2 Einstoffsystem - Zinn ............................................................................. 350
8.2.1 Auswahl des Datenmaterials ............................................................ 350
8.2.2 Elastische Eigenschaften .................................................................. 351
8.2.3 Instantanplastische Verformung ...................................................... 353
8.2.4 Kriechverhalten ................................................................................ 355
8.3 Zweistoffsystem mit Mischkristallbildung - Zinn Blei ......................... 356
8.3.1 Auswahl des Datenmaterials ............................................................ 356
8.3.2 Elastische Eigenschaften .................................................................. 359
8.3.3 Instantanplastische Verformung ...................................................... 361
8.3.4 Kriechverhalten ................................................................................ 369
X Inhaltsverzeichnis

8.3.5 Rissausbreitungsverhalten ................................................................379


8.4 Zweistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber ...............................386
8.4.1 Auswahl des Datenmaterials .............................................................386
8.4.2 Elastische Eigenschaften ...................................................................388
8.4.3 Instantanplastische Verformung .......................................................390
8.4.4 Kriechverhalten .................................................................................394
8.5 Dreistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber Kupfer ....................418
8.5.1 Auswahl des Datenmaterials .............................................................418
8.5.2 Elastische Eigenschaften ...................................................................419
8.5.3 Instantanplastische Verformung .......................................................422
8.5.4 Kriechverhalten .................................................................................425
8.5.5 Rissausbreitungsverhalten an Flip-Chip-Kontakten .........................445

9 Schlussfolgerungen und zukünftige Herausforderungen .................................447


9.1 Mechanik und Werkstoffphysik für die Elektronik ................................447
9.2 Der Größeneffekt in Werkstoffstrukturen elektronischer Aufbauten .....450
9.2.1 Ausgangspunkt ..................................................................................450
9.2.2 Auswertung des Datenmaterials an Sn-basierten Loten ...................452
9.2.3 Bezug zur Werkstoffstruktur der Lotlegierungen .............................458
9.2.4 Schlussfolgerungen bezüglich der Mikrofügetechnologien .............460
9.3 Modelle - Schnittstelle zwischen Experiment und Simulation ...............461
9.4 Gestaltung einer entwicklungsbegleitenden Werkstoffdatenermittlung .467
9.4.1 Erfordernisse .....................................................................................467
9.4.2 Retrospektive der eigenen Untersuchungen .....................................469
9.4.3 Ableitungen für die Zukunft einer entwicklungsbegleitenden
Werkstoffdatenermittlung .................................................................471

Literaturverzeichnis ..............................................................................................475

Weiterführende Literatur zu den Kapiteln............................................................509

Sachverzeichnis ....................................................................................................511
1.1 Ausfälle in elektronischen Aufbauten 1

1 Problematik

1.1 Ausfälle in elektronischen Aufbauten

Ausfälle sind ein Phänomen, welches eng mit der technischen Entwicklung ver-
bunden ist. Besonders bei der Einführung neuer Konstruktions- und Funktionsprin-
zipien oder bei Werkstoffsubstitutionen zur Gewichtseinsparung und Kostensen-
kung kommt es gehäuft zum Versagen bestimmter technischer Strukturen. In der
Geschichte der Technik wurden diese Ausfallprobleme sehr oft durch eine iterative
Weiterentwicklung überwunden, welche zum einen die Anwendung neuer Prinzi-
pien oder Werkstoffe erlaubte, auf der anderen Seite jedoch einen hohen Grad der
Zuverlässigkeit einer technischen Konstruktion gewährleistete. Die Zuverlässig-
keit, d. h. die Aufrecherhaltung einer bestimmten technischen Funktion über einen
definierten Zeitraum, war und ist ein die technische Entwicklung begrenzender
Faktor. Aus diesem Grund ist die Beschäftigung mit Ausfällen und Versagen in
technischen Strukturen ein wichtiger Baustein für die Konstruktion neuartiger
technischer Anordnungen.
Auch bei der Entwicklung der modernen Elektronik, welche nach der Erfindung
des Transistors Ende der vierziger und mit der Entwicklung des Konzeptes der
integrierten Schaltkreise während der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts mitt-
lerweile in allen Bereichen der Technik und Gesellschaft Einzug gehalten hat,
spielt das Auftreten von Ausfällen eine bedeutende Rolle. Die geradezu explosi-
onsartige Entwicklung der Elektronikanwendungen wurde nur durch die ständige
Veränderung des Aufbaus mikroelektronischer Bauelemente sowie der für ihre
Herstellung notwendigen Technologien möglich. Diese Veränderungen waren ver-
bunden mit einer exponentiellen Verkleinerung der Transistorabmessungen zur
Erhöhung der Integrationsdichte, d. h. Transistoren pro Fläche, bei gleichzeitiger
Vergrößerung der Chipflächen mit dem Ziel der Erhöhung des Gesamtintegrations-
grades, d. h. Transistoren pro integriertem Schaltkreis.
Diese dynamische Entwicklung führte nicht nur im Gebiet der Halbleitertechnik
zu einem erheblichen Bedarf an der systematischen Untersuchung von Ausfällen in
den sich permanent verändernden Strukturelementen integrierter Schaltkreise, son-
dern erzeugte - wenngleich mit etwas Verzögerung - auch bei dem angrenzenden
Gebiet der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik ein vergleichbares
wissenschaftlich-technisches Betätigungsfeld. Zwar war die Aufbau- und Verbin-
dungstechnik, welche sich vorrangig mit der physischen Systemintegration, d. h.
der Verbindung verschiedener spezialisierter Bauelemente (z. B. Sensoren, Spei-
cher- und Logikschaltkreise, Leistungstreiber) zu kompletten Geräten (elektroni-
schen Systemen), befasst, zunächst in der Lage, mit den von ihr entwickelten Tech-
niken zum Aufbau elektronischer Geräte integrierte Schaltkreise weiterverarbeiten
zu können, jedoch zog die dynamische Entwicklung in der Halbleitertechnik bald
eine drastische Erhöhung des Entwicklungstempos in der Aufbau- und Verbin-
2 1 Problematik

dungstechnik nach sich, um die steigenden Anforderungen durch höhere


Anschlusszahlen und Integrationsdichten befriedigen zu können.
Dieser Prozess ist durch eine Reihe tiefgreifender Änderungen in den Aufbau-
strukturen, in den Herstellungstechnologien sowie im Werkstoffeinsatz gekenn-
zeichnet. Durch diese permanenten Veränderungen entstehen jedoch auch immer
wieder neue Ausfälle, von denen ein Großteil auf eine thermisch-mechanische
Beanspruchungsproblematik zurückzuführen ist. Darunter fallen Ausfälle, deren
Ursache entweder thermischer oder mechanischer Natur ist. In den meisten Fällen
liegt jedoch eine Kombination thermischer und mechanischer Ursachen vor. Durch
diesen Umstand hat das zur Elektrotechnik gehörende Gebiet der Aufbau- und Ver-
bindungstechnik der Elektronik in der Frage der Zuverlässigkeit von Einzelstruktu-
ren bzw. Aufbauten einen großen Grad an Gemeinsamkeit mit den in Teilgebieten
des Maschinen-, Anlagen- oder Fahrzeugbaus gestellten Fragen zur Betriebssicher-
heit von Anlagen bzw. Bauteilen. In Abb. 1.1 sind Totalausfälle an einem Lotkon-
takt eines elektronischen Aufbaus sowie einer Turbinenschaufel gegenübergestellt.
In beiden Fällen führten thermisch-mechanische Beanspruchungen während des
Betriebes zu einem letalen Riss, welcher die Aufrechterhaltung der technischen
Funktion dieser Strukturen beendete. Durch solche Gemeinsamkeiten in den Fra-
gen der Ausfallproblematik ergibt sich für die Aufbau- und Verbindungstechnik
der Elektronik auf den ersten Blick die Möglichkeit der transdisziplinären Nutzung
der in den anderen Gebieten bereits erarbeiteten Methoden zur Lösung der Ausfall-
problematik.
Anders als bei der Konstruktion von großtechnischen Anlagen, wie Kraftwer-
ken, Schiffen, Schienenfahrzeugen, Flugzeugen oder Ölplattformen, spielte die
tiefgehende wissenschaftliche Beschäftigung mit dem mechanischen Verfor-
mungs- und Schädigungsverhalten der eingesetzten Werkstoffe bei der Entwick-
lung, Konstruktion und Fertigung elektronischer Geräte in den letzten Dekaden
eine eher untergeordnete Rolle. Zwar waren bestimmte Ausfälle in großtechni-
schen Anlagen als auch in elektronischen Geräten auf eine vergleichbare Ursache -

Abb. 1.1 Bilder vergleichbarer Schadensfälle in der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elek-
tronik und im Anlagenbau: Metallografischer Querschliff vom Bruch in einer Flip-Chip-Lotver-
bindung (links); Bruchfläche einer zerborstenen Turbinenschaufel aus [1] (rechts)
1.1 Ausfälle in elektronischen Aufbauten 3

wechselnde thermische und mechanische Beanspruchungen - zurückzuführen,


jedoch waren die Strategien, mit denen versucht wurde, diese Problematik zu
bewältigen, verschiedene. Um die Zuverlässigkeit elektronischer Geräte zu
gewährleisten, welche z. B. mit einer neuen Technologie bzw. einem erhöhten
Technologieniveau realisiert werden sollten, wurden entsprechende Versuchsmus-
ter in unterschiedlichen Realisierungsvarianten aufgebaut und verschiedenen
Umwelttests, welche einen beschleunigten Ausfall hervorriefen, unterzogen. Aus
den so ermittelten Testausfällen ging hervor, ob eine Realisierungsvariante unter
dem Aspekt der Zuverlässigkeit für eine Massenproduktion tauglich war bzw. wel-
che Schwachstellen an den bisher getesteten Realisierungsvarianten verbessert
werden mussten, um zu einer zuverlässigen Lösung zu gelangen. Ein solches Vor-
gehen war für die Konstruktion und Realisierung eines hochseetauglichen Öltan-
kers oder gar eines Atomkraftwerkes natürlich undenkbar. Für die Konstruktion
solcher großtechnischen Realisierungen war ein methodisches Vorgehen notwen-
dig, welches durch geeignete wissenschaftliche Durchdringung der Problematik
die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls weitgehend minimierte. Aus diesem metho-
dischen Vorgehen entwickelten sich zum einen das eher theoretisch geprägte Wis-
senschaftsgebiet der Berechnung von kritischen mechanischen Beanspruchungen
in technischen Strukturen sowie das eher experimentell geprägte Gebiet der Cha-
rakterisierung des Verformungs- und Schädigungsverhaltens von Werkstoffen.
Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurden von akademischer
Seite verstärkt Versuche unternommen, die von anderen Gebieten der Ingenieur-
wissenschaft bekannte Methodik der theoretischen Beurteilung der Zuverlässigkeit
elektronischer Aufbauten durch Berechnung kritischer Beanspruchungen auch bei
der Konstruktion elektronischer Geräte einzusetzen. Um die Jahrhundertwende
wurde diese methodische Veränderung in der Zuverlässigkeitsarbeit auch von den
FuE-Abteilungen großer Elektronikkonzerne anerkannt. So formulierte Zhang von
der Philips CFT in verschiedenen Aufsätzen [2, 3], dass der traditionelle Entwurfs-
ansatz über Trail-and-Error-Methodik (d. h. Entwurf, Aufbau und Test einer Varia-
tion verschiedener physischer Prototypen) gegenwärtig nicht mehr wettbewerbsfä-
hig sei, da er nicht garantiere, dass ein Packageentwurf Leistungs- und
Zuverlässigkeitskriterien erfülle und gleichzeitig schnell, ökonomisch und umwelt-
freundlich produziert werden könne.
Aus dem derzeitigen Stand und den voraussehbaren Tendenzen der Entwick-
lung in der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik lässt sich aus der
momentan entstandenen Ausfallproblematik ableiten, dass unbekannte Zuverläs-
sigkeitseigenschaften sich zu einem erheblichen Moderator bei der Umsetzung
neuer Technologien entwickeln könnten. Daher scheint eine tiefgehende wissen-
schaftliche Beschäftigung mit dem mechanischen Verformungs- und Schädigungs-
verhalten der eingesetzten Werkstoffe in Zusammenhang mit Simulationstechniken
und nummerischen Bewertungsverfahren notwendig, um mangelnde Zuverlässig-
keit bei zukünftigen Produktlösungen zu verhindern.
4 1 Problematik

1.2 Rolle der Werkstoffuntersuchung im Entwicklungszyklus

Durch den Einsatz von Simulationstechniken zur Analyse thermisch-mechani-


scher Schädigungsprozesse lässt sich eine Bewertung der Zuverlässigkeitseigen-
schaften neuartiger elektronischer Aufbaukonzepte während der Entwurfsphase
durchführen. Im Gegensatz zu traditionellen Vorgehensweisen soll diese Bewer-
tung nicht mehr durch Aufbau und Erprobung physischer Technologie- bzw. Pro-
duktdemonstratoren erfolgen, sondern Teil einer virtuellen Prototypenentwicklung,
-erprobung und -optimierung sein. Dieses unter den englischen Termini „Upfront-
Modeling“, „Virtual-Reliability-Methodology“ oder „Virtual-Prototyping“ zusam-
mengefasste Vorgehen wird momentan als Lösungsmethodik für die mit zukünfti-
gen Produktentwicklungen verbundenen Probleme, welche aus dem Zwang der ste-
tigen Miniaturisierung und Integrationserhöhung und dem damit verbundenen
Einsatz immer komplexerer Herstellungsverfahren resultieren, gesehen [4-6].
Dadurch sollen z. B. die relativ langen Vorlaufzeiten (mehrere Jahre) für die Ent-
wicklung neuer Bauelementetypen für integrierte Schaltkreise befriedigt werden,
indem sowohl die Komponentenzuverlässigkeit (First-Level-Reliability) als auch
die Bauteilzuverlässigkeit (Second-Level-Reliability) für die Verarbeitung und den
Betrieb eines neu konzipierten Bauelementetyps über Simulationsuntersuchungen
bewertet werden [5]. Zur Bewertung neuer Aufbaukonzepte sowie zur Ableitung
von Gestaltungshinweisen werden in der Regel verschiedene Typen von Analysen
durchgeführt. Zu den gebräuchlichsten Analysen zählen dabei [7]:
• Die Lokalisierung von Gebieten kritischer thermo-mechanischer Beanspruchun-
gen. Hieraus lassen sich wichtige Hinweise ableiten, welche die Durchführung
von Experimenten zur Beschleunigung von Ausfallmechanismen, wie z. B.
Temperaturwechseltests, wesentlich effektivieren können, indem der Umfang
der durchzuführenden Experimente beschränkt wird und eine gezielte Suche
nach zu erwartenden Ausfällen, z. B. durch metallografische Präparationen,
erfolgen kann.
• Parameterstudien zur Optimierung gestaltungs- und materialtechnischer Kombi-
nationen in neuartigen Aufbaukonzepten. Durch verschiedene Hypothesen über
die geometrische Gestaltung neuer Aufbauten und über die für solche Aufbau-
ten einzusetzenden Werkstoffe lassen sich virtuell Aufbaukonzepte optimieren,
ohne dass dafür physisch existierende Prototypen realisiert werden müssen. Die-
ses Vorgehen spart in erheblichem Maße Zeit und Kosten im Entwurfsprozess.
• Die Vorhersage von zu erwartenden Lebensdauern eines Aufbaukonzeptes bei
Belastung durch einen spezifischen Qualifizierungstest (z. B. Temperaturwech-
seltest). Ohne Aufbau von Prototypen und ohne Durchführung zeitraubender
Tests können neue Aufbaukonzepte bezüglich der zu erwartenden Lebensdau-
ern bewertet werden, wodurch sich weitgehend aussichtslose Konzepte frühzei-
tig aussortieren lassen.
1.2 Rolle der Werkstoffuntersuchung im Entwicklungszyklus 5

Abb. 1.2 FEM-Simulation thermomechanischer Beanspruchungen in elektronischen Aufbauten:


Metallografischer Querschliff der Lotstelle eines Chipkondensators (CC 1812) in einer Vergrö-
ßerung von X 100 (links), FEM-Netz eines Viertels des Chipkondensators (Symmetrieausnutzug)
auf einem Verdrahtungsträgersegment (rechts)

Zur Durchführung von Simulationen hat sich die den verschiedenen Software-
paketen, wie ANSYS, ABAQUS oder MARC, zugrunde liegende Methode der
Finiten Elemente (FEM) als die effektivste herausgestellt (Abb. 1.2). Dadurch ist
es methodisch möglich, zielgerichtet und mit einem gut kalkulierbaren Zeitauf-
wand die zum Teil komplexen geometrischen Verhältnisse der verschiedenen Ein-
zelstrukturen in elektronischen Aufbauten nachzubilden. Weiterhin erlauben die
genannten Softwarepakete die Berücksichtigung nichtlinearer Materialeigenschaf-
ten, welche bei den in elektronischen Aufbauten verwendeten Werkstoffen elemen-
tar sind. Zur Erzielung aussagekräftiger Ergebnisse mit FEM-Simulationen sind
jedoch eine Reihe von Vorbereitungen notwendig. Diese umfassen mindestens die
Kenntnis der folgenden drei die Simulationsergebnisse bestimmenden Faktoren
[7, 8]:
• Geometrie: Die konkrete Anordnung der Einzelstrukturen mit ihren spezifi-
schen Abmaßen müssen dem Simulationsprogramm vorgegeben werden. Dabei
ist zu entscheiden, welche Details, z. B. komplizierte Geometrien von Phasen-
übergängen, entsprechend vereinfacht werden, um den Simulationsaufwand in
vernünftigen Grenzen zu halten.
• Belastung: Der Verlauf der Temperatur- bzw. der mechanischen Belastungen
(z. B. bei Biegung oder Vibration) müssen vorgegeben werden.
• Werkstoffeigenschaften: Bestimmte Materialeigenschaften müssen den darge-
stellten Einzelstrukturen zugewiesen werden. Diese umfassen in der Regel
mechanische, d. h. E-Modul, Querkontraktionszahl, Fließgrenze etc., gegebe-
nenfalls auch thermische Größen, d. h. Wärmeleitfähigkeit etc., und Koppelgrö-
ßen, wie den thermischen Ausdehnungskoeffizienten.
6 1 Problematik

Der praktische Einsatz von Simulationstechniken im Entwurfszyklus während


der letzten Jahre hat gezeigt, dass besonders die Bereitstellung von Werkstoffdaten
eine sehr aufwendige und methodisch noch nicht vollständig durchdrungene Auf-
gabe ist. Dabei ist zu beobachten, dass sich die Werkstoffdatenermittlung seit der
Einführung von FEM-Simulationstechniken im Entwurfszyklus elektronischer
Aufbauten zunehmend verselbstständigt. Ausschlaggebend für die Emanzipation
der experimentellen Untersuchung des Verformungs- und Schädigungsverhaltens
von der ihr funktionell übergeordneten Gesamtaufgabe der Simulationsuntersu-
chung sind sowohl der zeitliche als auch der methodische Aspekt, in dem sich die
experimentelle Untersuchung der Werkstoffe und die eigentlichen Simulationsun-
tersuchungen gegenüberstehen. Alle bisherigen Erfahrungen deuten darauf hin,
dass der für experimentelle Werkstoffuntersuchungen benötigte Zeitumfang ein
Vielfaches des für die eigentliche Simulationsuntersuchung benötigten beträgt und
dass dieses Verhältnis tendenziell steigt.
Wird die Ausgangsintention des Einsatzes von Simulationstechniken betrachtet,
so wird klar, dass der erhebliche zeitliche Aufwand, welcher mit der Ermittlung
bestimmter Werkstoffeigenschaften verbunden ist, dem eigentlichen Konzept der
virtuellen Prototypenentwicklung entgegenwirkt, da einer der wesentlichen Vor-
teile dieses Ansatzes in der Verkürzung von Entwicklungszeiten gesehen wird. Aus
dieser zeitlichen Diskrepanz ergibt sich die Notwendigkeit, zeitintensive Werk-
stoffuntersuchungen dem Prozess der virtuellen Prototypenentwicklung vorzula-
gern, sodass alle mit einem hohen zeitlichen Untersuchungsaufwand verbundenen
Werkstoffeigenschaften bereits zu Beginn einer simulationsgestützten Bewertung
und Optimierung neuartiger Aufbaukonzepte vorliegen, um die durch den Einsatz
von Simulationstechniken angestrebten zeitlichen Verkürzungen bei der Erarbei-
tung aussichtsreicher Aufbaukonzepte innerhalb der Entwurfsphase erreichen zu
können. Aufgrund dieses zeitlichen Aspektes teilen sich die für den Zweck von
Simulationsuntersuchungen betriebenen Werkstoffcharakterisierungen in den
Bereich der methodisch unaufwendigen, schnell durchführbaren Standarduntersu-
chungen, wie E-Modul-Bestimmung, und in den Bereich methodisch oder zeitlich
sehr aufwendiger Charakterisierungen, wie z. B. Kriechversuche, auf. Durch die
notwendige Vorverlegung zum eigentlichen Simulationsprozess verlieren alle mit
hohem zeitlichen oder methodischen Aufwand verbundenen experimentellen
Werkstoffuntersuchungen jedoch ihre unmittelbare Unterordnung gegenüber der
Simulationsuntersuchung im konkreten Entwurfsprozess (Abb. 1.3). Dies hat wie-
derum weitreichende Folgen für die Kernfragen, welche durch die experimentelle
Charakterisierung von Werkstoffeigenschaften beantwortet werden sollen. Da
durch die mit der Vorverlegung verbundene Loslösung von konkreten Simulations-
untersuchungen auch keine gezielten Anforderungen der Simulation an die Werk-
stoffuntersuchung gestellt werden können, müssen die Untersuchungsziele für
diese Werkstoffcharakterisierungen aus anderen Ansätzen, d. h. allgemeinen
Betrachtungen zur Entwicklung von Aufbaukonzepten, abgeleitet werden, um dem
Ziel der Bereitstellung relevanter Werkstoffdaten gerecht zu werden.
1.2 Rolle der Werkstoffuntersuchung im Entwicklungszyklus 7

Problemstellung

Design of Experiment
Materialdaten-
bestimmung
Vorverlegung

Simulationsrechnung

Verkürzung
Materialdaten-
bestimmung

Response Surface Model


(Antwortfläche)

Zuverlässigkeits-
kriterien erfüllt?

Abb. 1.3 Schematische Darstellung der Zeiteinsparung im Entwicklungsprozess durch Vorver-


legung der Werkstoffuntersuchung zur Bereitstellung von Werkstoffdaten

Die dargestellte Loslösung und Verselbstständigung der Werkstoffcharakteri-


sierung hat weitreichende Folgen für die Ausrichtung von Experimenten und die
Entwicklung experimenteller Methoden. Waren zunächst konkrete Probleme
bestimmter Aufbaukonzepte, wie z. B. die Bewertung der Zuverlässigkeit von
Flip-Chip-Aufbauten [9-13], bestimmend für Zielrichtung und Umfang werkstoff-
und schädigungsmechanischer Charakterisierungen, so entstehen im Zuge der Ver-
selbstständigung den konkreten Untersuchungen übergeordnete Untersuchungs-
ziele. Diese übergeordneten Untersuchungsziele sind auf eine langfristige Beant-
wortung grundsätzlicher Fragestellungen ausgerichtet, welche sich aus den
verschiedenen konkreten Charakterisierungsaufgaben ergeben. Aus der schrittwei-
sen Beantwortung dieser Fragestellungen ergeben sich Möglichkeiten der Qualifi-
zierung und Weiterentwicklung der bisher erarbeiteten Methoden zur Werkstoff-
charakterisierung als auch eine bessere wissenschaftliche Durchdringung der mit
der Charakterisierung verbundenen werkstoffphysikalischen Grundeffekte [14-16].
8 1 Problematik

Die übergeordneten Untersuchungsziele ergeben sich aus verschiedenen mit den


Werkstoffen und der Aufbautechnik der Elektronik zusammenhängenden Aspek-
ten. Zu den wichtigsten zählen dabei das Verformungsverhalten, der funktionelle
Einsatz der verschiedenen Werkstoffklassen in elektronischen Aufbauten, die zu
erwartende Entwicklung der Aufbaukonzepte und die zu erwartenden thermisch-
mechanischen Problemfelder in elektronischen Aufbauten.
Grundsätzlich teilen sich die übergeordneten Untersuchungsziele nach den
Werkstoffklassen Metalle und Polymere auf. Die Werkstoffklasse der Keramiken
erfordert aufgrund ihres vergleichsweise einfach charakterisierbaren mechanischen
Verhaltens keine übergeordneten Grundlagenuntersuchungen. Die grundsätzliche
Unterscheidung der übergeordneten Untersuchungsziele nach metallischen und
polymeren Werkstoffen hängt mit der sehr verschiedenen Werkstoffstruktur, dem
sich daraus ergebenden qualitativ unterschiedlichen Verformungs- und Schädi-
gungsverhalten und der unterschiedlichen funktionellen Verwendung in elektroni-
schen Aufbauen zusammen. Gemeinsam ist den Werkstoffen beider Klassen ein
komplexes, von Temperatur-, Zeit- und Herstellungsbedingungen abhängiges Ver-
formungs- und Schädigungsverhalten, welches in der Regel eine sehr umfangrei-
che Werkstoffcharakterisierung und Modellierung notwendig macht. Aufgrund der
allgemeinen strukturellen Aufbauprinzipien werden polymere Werkstoffe in der
Regel als großflächige Trägerwerkstoffe eingesetzt, während metallische Werk-
stoffe in dünnen Schichten auf ihnen aufgebracht und strukturiert werden. Obwohl
eine solche funktionelle Aufteilung nicht generell auf alle Bereiche elektronischer
Aufbauten zutrifft, zeigt sich, dass Verformungs- und Schädigungsverhalten metal-
lischer Werkstoffe grundsätzlich im Zusammenhang mit den Aspekten geringer
Werkstoffabmessungen (also miniaturisierter Werkstoffstrukturen) diskutiert wird,
während die Fragen der Miniaturisierung für die Charakterisierung polymerer
Werkstoffe eine geringe bis keine Bedeutung haben.

1.3 Werkstoffverhalten und Miniaturisierung

Im Zuge der Herstellung miniaturisierter elektro-mechanischer Systeme durch


die Nutzung mikroelektronischer Verfahrenstechniken (MEMS) wurde klar, dass
sich die mechanischen Eigenschaften von Werkstoffen in mikroskopischen Struk-
turgrößen deutlich von denen in gewöhnlichen Abmessungen unterscheiden. Die-
ser Größeneffekt der mechanischen Eigenschaften von Werkstoffen wurde
zunächst vor allem im Zusammenhang mit der Entwicklung der Mikrosystemtech-
nik besprochen. Die Strukturen, an denen Größeneffekte beobachtet wurden, waren
Dünnschichten oder stark miniaturisierte mechanische Elemente, wie z. B. Mikro-
pinzetten oder Mikrofedern [17-21]. Ihre typischen Strukturabmessungen lagen im
μm-Bereich. Aus diesem Grund war es zunächst unklar, ob sich diese Größenef-
fekte auch in Strukturelementen elektronischer Aufbauten zeigten, deren kleinste
Abmessungen wenigsten mehrere μm betragen.
1.3 Werkstoffverhalten und Miniaturisierung 9

Besonders umstritten war dabei beispielsweise die Frage nach größenabhängi-


gen Kriecheigenschaften des eutektischen Zinn-Blei-Lotes Ende der achtziger,
Anfang der neunziger Jahre. Die Lotkontakte, in denen dieser Werkstoff verwendet
wurde, hatten Abmaße im Bereich zwischen 0.1 mm ...1 mm, wobei je nach Alte-
rungszustand mittlere Korngrößen im Bereich von ca. 5 μm ... 30μm für die Lot-
kontakte ermittelt wurden. Bei Berechnungen zum Schädigungsverhalten der Lot-
kontakte [22, 23] wurde auf eine Beschreibung des konstitutiven Verhaltens
zurückgegriffen, welche aus Versuchen zum superplastischen Verhalten des SnPb-
Systems stammten [24-26]. In diesen Versuchen wurde extrudiertes Material mit
Korngrößen zwischen 1...10 μm verwendet. Im Vergleich mit späteren Untersu-
chungen an realen Lotkontakten [27-29] stellte sich jedoch heraus, dass das an
großvolumigen Proben aufgenommene Materialverhalten bei der gleichen Korn-
größe zwar ein vergleichbares qualitatives Kriechverhalten hatte, jedoch eine um
Größenordnungen höhere Kriechgeschwindigkeit aufwies. In späteren Untersu-
chungen an dünnen Lotspalten wurde außerdem eine umgekehrte Abhängigkeit der
Kriechgeschwindigkeit von der Korngröße wie in den Untersuchungen zur Super-
plastizität an großvolumigen Proben festgestellt [30], ohne dass dafür eine befriedi-
gende werkstoffphysikalische Erklärung gefunden werden konnte.
Die Schwierigkeit, die den Diskussionen, wie z. B. den um die Größenabhän-
gigkeit des Kriechverhaltens in Lotkontakten, zugrunde lag, resultierte aus dem
mangelhaften Verständnis der materialphysikalischen Hintergründe des Größenef-
fekts. Der Größeneffekt ist kein einzelnes Phänomen, sondern ergibt sich aus einer
Kombination verschiedener werkstoffphysikalischer Erscheinungen. Für metalli-
sche Werkstoffe - welche innerhalb dieser Arbeit im Zusammenhang mit dem Grö-
ßeneffekt betrachtet werden - werden bisher vor allem die Gefügeabhängigkeit
mechanischer Eigenschaften sowie Gradienten- und Oberflächeneffekte als Auslö-
ser für größenabhängige mechanische Eigenschaften gesehen.
Die Gefügeabhängigkeit mechanischer Eigenschaften ist eine schon lange
bekannte werkstoffphysikalische Erscheinung. Die Tatsache, dass die Größe intrin-
sischer struktureller Elemente, Körner, Phasen oder Ausscheidungen eines Werk-
stoffes, sehr stark seine mechanischen Eigenschaften bestimmt, wurde zunächst im
Zusammenhang mit der gezielten Erzeugung bzw. Verbesserung mechanischer
Eigenschaften metallischer Werkstoffe verwendet. Zu den bekanntesten Effekten
zählen dabei die Hall-Petch-Beziehung, der Orowan-Effekt und der Friedel-Effekt.
Während durch Ausnutzung dieser Effekte, d. h. durch Einstellung bestimmter
Korn- und Ausscheidungsgrößen, die mechanischen Eigenschaften von Werkstof-
fen in makroskopischen Strukturgrößen gezielt eingestellt werden können, ergibt
sich aufgrund der gleichen Effekte in mikroskopischen Strukturabmessungen oft
eine unbeabsichtigte Änderung der mechanischen Eigenschaften. Der durch die
Gefügeabhängigkeit hervorgerufene Größeneffekt kommt in der Regel aufgrund
der durch kleine Abmessungen hervorgerufenen qualitativen Unterschiede bei der
Formierung eines Werkstoffes, z. B. beim Erstarren oder Aufwachsen, zustande.
Gradienteneffekte, welche die mechanischen Eigenschaften von Werkstoffen
beeinflussen können, sind darauf zurückzuführen, dass die Größe mikrostrukturel-
10 1 Problematik

ler Elemente gegenüber dem Verlauf einer Beanspruchung nicht zu vernachlässi-


gen ist. In metallischen Werkstoffen sind Beanspruchungsgradienten mit einer stär-
keren Biegewirkung auf das Kristallgitter verbunden, wodurch ein plastisches
Abgleiten hervorgerufen werden kann, welches wiederum zu einer beträchtlichen
Verfestigung des Werkstoffs führt. Sehr eindrucksvoll wurden Gradienteneffekte
in einem Experiment von Stolken und Evans [31] demonstriert, welche einen Bie-
geversuch an einer weichgeglühten Nickelfolie durchführten. Die größte Verfesti-
gung (400%) wurde dabei beim kleinsten Verhältnis zwischen der Dicke und
Länge der gebogenen Folie erreicht.
Für bestimmte Strukturen, wie z. B. dünne Schichten, können Größeneffekte
durch ein verändertes Verhältnis von Volumen zu Oberflächen zustande kommen.
Oberflächen stellen eine Materialgrenze dar, an der qualitativ andere Gesetzmäßig-
keiten herrschen als im Materialinneren. Wird beispielsweise eine polykristalline
metallische Schicht betrachtet, so ist davon auszugehen, dass Versetzungen diese
an freien Oberflächen sehr leicht verlassen können, wodurch sich die Verformbar-
keit der Schicht erhöht. Ist die metallische Oberfläche jedoch beispielsweise durch
einen Oxidfilm bedeckt, so stauen sich Versetzungen an dieser auf, was zu einer
Verfestigung führt. Da der Einfluss der Oberflächeneffekte auf die Gesamtverfor-
mung der Schicht umso größer wird, je dünner diese ist, ergibt sich daraus eine
Größenabhängigkeit der mechanischen Eigenschaften.
Aus den aufgeführten werkstoffphysikalischen Erscheinungen wird deutlich,
wie verschieden die Hintergründe für Größeneffekte des mechanischen Verhaltens
in Werkstoffen sein können. Aus diesem Grund ist bei der Bewertung experimen-
teller Erkenntnisse, welche durch Versuche an miniaturisierten Proben gewonnen
wurden, eine sehr differenzierte Betrachtungsweise nötig. Neben der eigentlichen
Größe können auch andere Randbedingungen, wie z. B. veränderte Herstellungsbe-
dingungen, Ursache experimentell beobachteter Veränderungen im mechanischen
Verhalten sein.

1.4 Verformungsverhalten von Metallen

1.4.1 Bedeutung

1.4.1.1 Werkstoffmodelle in Simulationsrechnungen

Um die mechanische Integrität eines elektronischen Aufbaus bewerten zu kön-


nen, ist es notwendig, die Verformungen der einzelnen Strukturelemente dieses
Aufbaus unter bestimmten Belastungen zu berechnen. Eine wichtige Vorausset-
zung für derartige Berechnungen ist die Kenntnis des Verformungsverhaltens eines
Stoffes, welche darüber Auskunft gibt, welchen Widerstand ein aus diesem Werk-
stoff bestehendes Strukturelement der Verformung unter einer bestimmten Belas-
1.4 Verformungsverhalten von Metallen 11

tung entgegenbringt. Das generelle Verformungsverhalten eines metallischen


Werkstoffs ist jedoch sehr komplex und hängt von einer Vielzahl äußerer und inne-
rer Faktoren ab. Aus diesem Grund ist es nahezu unmöglich, eine vollständige
Beschreibung des Verformungsverhaltens eines Werkstoffes anzufertigen. Statt-
dessen werden Beschreibungen angestrebt, die die wichtigsten Merkmale des Ver-
formungsverhaltens eines Werkstoffes unter definierten Grenzen für die Wahl
äußerer Parameter (Temperatur, Last) und innerer Parameter (Gefüge, Verfor-
mungszustand) widerspiegeln. Um solche Beschreibungen anzufertigen, d. h. das
Verformungsverhalten eines Werkstoffes richtig zu modellieren, ist es notwendig,
die wichtigsten Erscheinungsformen der Verformung den entsprechenden Randbe-
dingungen der Verformung zuzuordnen.

1.4.1.2 Experimentelle Untersuchung und Physik der Verformung

Neben seiner Bedeutung für die Berechnung der Verformungsreaktion in der


Simulation von Beanspruchungsfällen ist die genaue Vorstellung über das qualita-
tive Verformungsverhalten auch bei der Charakterisierung der mechanischen
Eigenschaften eines Werkstoffes sehr wichtig. Dies gilt besonders wenn - wie für
die mechanische Bewertung neuer elektronischer Aufbaukonzepte angestrebt (vgl.
1.2) - die Werkstoffcharakterisierung dem Entwurfsprozess zeitlich begrenzt vor-
gelagert ist. Aus der zweckgebundenen Aufgabe, relevante und hinreichend genaue
Werkstoffmodelle für Simulationsrechnungen zur Verfügung zu stellen, ergeben
sich an die Werkstoffdatenermittlung besondere Anforderungen. Die spezifische
Problematik der experimentellen Charakterisierung wird daher im Wesentlichen
durch zwei Aspekte bestimmt.
Der erste hängt mit den in 1.3 besprochenen Größeneffekten des mechanischen
Verhaltens von Metallen zusammen und erwächst aus dem Zweifel der Übertrag-
barkeit der an makroskopischen Probekörpern gewonnenen Daten auf den Mikro-
bereich. Unter diesem Aspekt müssen vor allem methodische Fragen, welche mit
Versuchsaufbauten und dem Probekörperaufbau zusammenhängen, gelöst werden.
Der zweite Aspekt wird durch die zeitlichen und evolutionären Charakteristika
des Entwurfszyklus für neue elektronische Aufbauten hervorgerufen. Verschiedene
Entwicklungsstufen elektronischer Aufbauten sind sehr oft durch erhebliche mate-
rialtechnische Veränderungen gekennzeichnet, da strukturelle und technologische
Innovationen oft unzureichend sind, um die mit der permanenten Steigerung der
Integrationsdichte verbundenen Probleme vollständig zu lösen. Bevor material-
technische Veränderungen vorgenommen werden können, ist es im Vorfeld eines
Entwurfszyklus jedoch erforderlich, durch einen Selektionsprozess geeignete
Werkstoffe für bestimmte konzeptionelle Veränderungen in elektronischen Auf-
bauten zu finden. Für viele der in diesem Selektionsprozess betrachteten Werk-
stoffe liegen jedoch in der Regel keine oder nur wenige Materialdaten vor.
Durch diesen Umstand ergibt sich für die experimentelle Untersuchung des
mechanischen Verhaltens die Notwendigkeit, in einem zeitlich begrenzten Rahmen
12 1 Problematik

einen Werkstoff mit weitestgehend unbekannten Eigenschaften zu charakterisie-


ren. Dies erfordert eine sehr effektive Untersuchungsmethodik. Günstig erweist
sich hierbei ein iteratives Vorgehen, wobei bei jeder Iteration ein Abgleich zwi-
schen dem ermittelten Verformungsverhalten, der zugrunde liegenden Werkstoff-
physik und dem aus der Simulationsrechnung der ermittelten Verformungsreaktion
abgeleiteten Lastbereich vorgenommen wird. Dabei lässt sich aus den werkstoff-
physikalischen Modellen die Art der durchzuführenden Versuche, z. B. Kriechver-
such, ableiten, wobei gleichzeitig aus den gewonnenen Experimentalergebnissen
der tatsächliche Geltungsbereich der Modelle im durch den aus der Verformungs-
reaktion abgeleiteten Lastbereich (z. B. Spannung, Dehnungsrate, Temperatur) ein-
geschätzt werden kann. Ein solches Vorgehen erfordert eine genaue Kenntnis der
zugrunde liegenden werkstoffphysikalischen Mechanismen, da die Annahme nicht
zutreffender Werkstoffmodelle zu Fehlinterpretationen der prinzipbedingt nicht
sehr umfangreichen Experimentalergebnisse führen kann.

1.4.2 Verformungsverhalten

1.4.2.1 Begriff, Darstellung und Ermittlung des Verformungsverhaltens

Das Verformungsverhalten eines Werkstoffes kennzeichnet den Zusammen-


hang zwischen der äußeren Belastung und der dadurch in einer aus dem Werkstoff
bestehenden Struktur (d. h. in einem Bauteil) hervorgerufenen Gestaltänderung. Da
es eine nur vom Werkstoff abhängige Eigenschaft verkörpert, bezieht sich das Ver-
formungsverhalten in der Regel auf eine relative Gestaltänderung eines in der
Struktur befindlichen Volumenelementes und dessen Beanspruchung durch eine
äußere Belastung. Dabei ist es üblich, beide Größen für allgemeine Betrachtungen
zum Verformungsverhalten auf eindimensionale Parameter - die Dehnung zur
Beschreibung der Gestaltänderung und die Spannung zur Beschreibung der Bean-
spruchung - zu reduzieren. Hintergrund dieser Vereinfachungen ist die Tatsache,
dass die meisten technisch genutzten metallischen Werkstoffe polykristallin sind
und keine richtungsabhängigen Eigenschaften aufweisen. Die Umrechnung mehr-
dimensionaler Spannungs- und Dehnungszustände in eindimensionale Größen
erfolgt über sogenannte Vergleichshypothesen, unter denen die von Huber-Mises-
Hensky die am meisten verwendete ist. Die mit diesen Umrechnungen verbunde-
nen Ungenauigkeiten sind insofern akzeptabel, da die Erfahrung ist, dass es eine
exakte quantitative Vorhersage des gesamten Verformungsverhaltens unter kom-
plexen Bedingungen nicht gibt [32] und dass es bei der experimentellen Bestim-
mung mechanischer Eigenschaften zu nicht unerheblichen Unsicherheiten kommt.
Selbst bei einer scheinbar einfach zu bestimmenden Größe, wie der Fließspannung
von metallischen Werkstoffen, gehen Frost und Ashby von einem Fehler von
± 10 % aus. Bei schwieriger zu bestimmenden Eigenschaften, wie dem Kriechver-
halten, wird sogar ein Unterschied von zwei Größenordnungen für die Dehnungs-
1.4 Verformungsverhalten von Metallen 13

e s

a) b)
t t
s e

c) d)
t t

Abb. 1.4 Spannungs-Dehnungs-Diagramm, zusammengesetzt aus dem zeitlichen Verlauf von


Spannung und Dehnung während des Versuches

rate bei gleicher Spannung angenommen [33]. Ursache dieser Unsicherheiten ist
neben Messabweichungen vor allem die Schwierigkeit, die vielfältigen strukturel-
len Merkmale metallischer Stoffe zu erfassen und zu beschreiben, um zwischen
verschiedenen Experimenten vergleichbare Verhältnisse zu schaffen.
Zur Beschreibung des Spannungs-Dehnungs-Zusammenhangs wird das Werk-
stoffverhalten im Zugversuch betrachtet, bei dem die Probe eine homogene einach-
sige Beanspruchung erfährt. Im Versuch soll die Probe entweder einer Dehnungs-
beanspruchung (Abb. 1.4a) oder einer Spannungsbeanspruchung (Abb. 1.4b)
ausgesetzt und die Verformungsreaktion in Form der Spannungsantwort
(Abb. 1.4c) bzw. der Dehnungsantwort (Abb. 1.4d) aufgezeichnet werden. Da die
Zeit bei niedrigen homologen Temperaturen ( T ≤ 0, 3 ⋅ Ts ) für die meisten Metalle
und Legierungen zumeist eine untergeordnete Rolle spielt, können die aus den bei-
den Versuchen für bestimmte Zeitpunkte existierenden Dehnungs-Spannungspaare
bzw. Spannungs-Dehnungswerte in einem Spannungs-Dehnungs-Diagramm auf-
getragen werden. Die sich aus den beiden Versuchen ergebenden Kurven liegen
möglicherweise wegen ihres unterschiedlichen Zeitbezuges der Dehnung bzw.
Spannung nicht ganz genau übereinander, jedoch ergibt sich in erster Näherung
eine Kurve, welche das grundsätzliche Verformungsverhalten eines Metalls oder
einer Legierung beschreibt.
14 1 Problematik

Das typische Aussehen von Spannungs-Dehnungs-Diagrammen für Metalle und


ihre Legierungen ist in Abb. 1.5 skizziert. Folgt man dem Pfad des Spannungs-
Dehnungs-Zusammenhanges, so stellt sich die typische Verformungscharakteristik
von Metallen unter den eingangs genannten Bedingungen dar. Es ist zu erkennen,
dass das Material zunächst der aufgebrachten Beanspruchung einen erheblichen
Verformungswiderstand entgegensetzt, dass dieser aber bei Überschreiten einer
bestimmten Spannung σF bzw. Dehnung εF deutlich zu sinken beginnt und das
Material der fortan aufgebrachten Beanspruchung einen sehr viel geringeren Ver-
formungswiderstand entgegen bringt. Dieser Wechsel im Verformungswiderstand
markiert den Wechsel zwischen zwei Arten der Verformung, welche im entspre-
chenden Bereich dominieren - der elastischen Verformung ( 0 < σ < σF ) und der
plastischen Verformung ( σ ≥ σF ) . Beide Arten der Verformung unterscheiden
sich sowohl in den ihnen zugrunde liegenden mikrophysikalischen Mechanismen
als auch in der phänomenologisch erfassbaren Gestalt der Verformung. Um die
grundlegenden Unterschiede zwischen diesen beiden Arten der Verformung darzu-
stellen, sollen beide in den folgenden Abschnitten getrennt voneinander behandelt
werden, wobei sowohl der Zusammenhang zwischen phänomenologischen
Erscheinungsformen und mikrophysikalischen Mechanismen als auch die Bedeu-
tung und Anwendung der mit ihnen verbundenen typischen Werkstoffparameter
besprochen werden soll.

s elastisch plastisch

sF

e
Abb. 1.5 Charakteristisches Spannungs-Dehnungs-Diagramm metallischer Werkstoffe

1.4.2.2 Arten der Verformung

Das Grundproblem bei der Beschreibung der Verformung von Metallen ist, dass
es eine Vielzahl von funktionalen Zusammenhängen zwischen verschiedenen die
Verformung bestimmenden Parametern gibt. Aus werkstoffphysikalischer Sicht
existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Mechanismen, welche das Verformungs-
verhalten von Metallen dominieren können, was eine einheitliche Betrachtung
1.5 Untersuchungsmethoden 15

schwierig macht. Neben der grundsätzlichen Einteilung in elastische und plastische


Verformung existieren für die plastische Verformung eine Reihe von verschiede-
nen Erscheinungsformen und Mechanismen.
Um eine Übersicht über die verschiedenen, die plastische Deformation von
Metallen dominierenden Mechanismen zu erhalten, wurde von Ashby und Frost
[33] die Schaffung einer "Deformation Mechanism Map", ein Begriff, der in der
deutschsprachigen Literatur als "Verformungsmechanismuskarte" oder "-land-
karte" übersetzt wird, vorgeschlagen. Eine solche Karte soll alle für ein Material
publizierten Daten auf der Basis der für die plastische Verformung formulierten
theoretischen Modelle zusammenfassen. Obwohl sich aufgrund der Vielzahl von
Eingangsparametern eine große Reihe von Karten ergäbe, sind nach Ansicht von
Frost und Ashby vor allem Scherspannung-Temperatur-Diagramme mit überlager-
ten Äquidehnungsratelinien für den ingenieurtechnischen Gebrauch nützlich. Mit-
hilfe der den Karten überlagerten Äquidehnungsratelinien ist z. B. der für einen
konkreten Belastungsfall auftretende Hauptmechanismus der plastischen Verfor-
mung leicht ablesbar und damit die für die Modellierung des Deformationsverhal-
tens des Metalls notwendige Gleichung ableitbar.

1.5 Untersuchungsmethoden

Die Problematik des Größeneffektes im mechanischen Verhalten von metalli-


schen Werkstoffen hat wohl die größten Implikationen auf die Art und Weise, in
der das Werkstoffverhalten zweckmäßigerweise untersucht werden muss. Die
Frage der Größenabhängigkeit als wichtige Einflussgröße auf das mechanische
Verhalten zieht die Notwendigkeit erheblicher Veränderungen der Untersuchungs-
methodik gegenüber der klassischen Werkstoffprüfung nach sich.
Die grundsätzliche Schwierigkeit bei der experimentellen Untersuchung des
mechanischen Verhaltens besteht darin, dass dieses von einer großen Zahl äußerer
und innerer Zustandsvariablen beeinflusst wird. Um die vielfältigen Phänomene
des Deformations- und Schädigungsverhaltens qualitativ und quantitativ fassbar zu
machen, ist es erforderlich, eine große Anzahl beschreibender Kennwerte bzw.
Parameter experimentell zu ermitteln, damit die vielen Einzelreaktionen des Mate-
rials bei Veränderung der äußeren und inneren Zustandsvariablen möglichst exakt
wiedergegeben werden können. Bei der Bestimmung von Materialparametern
spielt vor allem der Bezug zu den durch werkstoffphysikalische Betrachtungen
gefundenen halbquantitativen Beschreibungen eine wichtige Rolle. Diese physika-
lisch ausgerichteten Betrachtungen führen dazu, dass die Werkstoffparameter in
der Regel nicht direkt aus den experimentellen Rohdaten, sondern über den
Umweg der Modellierung der mechanischen Werkstoffreaktion bestimmt werden
müssen.
Die Aufgabe der Modellierung und somit auch die der Extraktion von Werk-
stoffparametern wird wesentlich erleichtert, wenn eine entsprechend einfache und
16 1 Problematik

klare Gestaltung des Werkstoffexperiments vorgenommen wird. Hierzu zählen die


Wahl einer einfach zu definierenden Belastung auf eine günstige Probekörperform
(z. B. eine auf die Symmetrieachse einer Doppelschulterprobe aufgebrachte Zug-
belastung), sodass ein einfach zu simulierender einachsiger Beanspruchungszu-
stand im Material entsteht. Dadurch kann aus der probekörperabhängigen Kraft-
Längenänderungs-Kurve durch eine einfache Reskalierung eine probekörperunab-
hängige, das Materialverhalten beschreibende Kurve erzeugt werden. Außerdem
gestaltet sich durch die Wahl günstiger experimenteller Randbedingungen das Auf-
bringen einer definierten Beanspruchung auf die Probe (z. B. die Aufrechterhal-
tung einer konstanten Dehnungsrate während des Experiments) wesentlich einfa-
cher.
Das Bestreben nach einfach auszuwertenden Versuchen führte in der klassi-
schen Werkstoffprüfung zu bestimmten Prinzipien beim Aufbau von Prüfmaschi-
nen. Bei der Entwicklung einer experimentellen Versuchsmethodik für die Unter-
suchung stark miniaturisierter kleinvolumiger Proben besteht eine der wichtigen
Fragen darin, ob an den bisher erarbeiteten Prinzipien zum Aufbau von Prüfma-
schinen weiterhin festgehalten werden soll oder ob aufgrund der stark veränderten
Problematik die Erarbeitung neuer Konzepte zweckmäßig ist. Dabei existiert eine
große Bandbreite von Ansätzen, welche sich von der Adaption bisheriger Prüfanla-
gen für den Bereich kleinvolumiger Proben über die Fortführung bisheriger Kon-
zepte in kleinen Dimensionen bis zu völlig neuen Konzepten beim Prüfmaschinen-
aufbau erstreckt. Für den Vergleich experimenteller Ergebnisse ist es daher sehr
wichtig, die Möglichkeiten der einzelnen Konzepte, ihre Stärken und ihre Schwä-
chen miteinander zu vergleichen. Dies setzt eine Diskussion der Eignung neuarti-
ger Konzepte in Bezug auf die veränderten Ziele der experimentellen Untersuchun-
gen voraus. Eine solche Diskussion muss dabei über die sehr einfache
Argumentation über Auflösung und Genauigkeiten von Kraft- und Verschiebungs-
messungen hinausgehen, da die Aussagekraft experimentell ermittelter Werkstoff-
daten von sehr vielen Gegebenheiten des tatsächlichen experimentellen Aufbaus
abhängt.
Ohne diese sehr komplizierte Diskussion über die konzeptionelle Entwicklung
experimenteller Versuchsaufbauten ist es jedoch sehr schwierig, die Grenzen
bestimmter Untersuchungsmethoden und damit den Gültigkeitsbereich der experi-
mentell ermittelten Werkstoffdaten genau abzustecken. Im Gegensatz zur klassi-
schen Werkstoffprüfung mit ihren oftmals einfach zu handhabenden als auch zu
vermessenden großvolumigen Prüfkörpern bestehen im Bereich der experimentel-
len Untersuchung kleinvolumiger Proben sehr oft konkrete technisch-konzeptio-
nelle Grenzen für eine ausreichende Genauigkeit einer Messung. Die Analyse die-
ser Grenzen sowie die Ableitung eines konzeptionell veränderten Vorgehens zur
Werkstoffuntersuchung sind daher sehr wichtige Voraussetzungen für die spätere
Erarbeitung relevanter Werkstoffmodelle.
1.6 Ziel der Arbeit 17

1.6 Ziel der Arbeit

Da die traditionelle Methodik der Zuverlässigkeitsabsicherung kaum noch den


Anforderungen an den Entwurfszyklus elektronischer Baugruppen und Geräte
gerecht werden kann, macht sich eine starke methodische Veränderung in der
Zuverlässigkeitsanalyse erforderlich. Anstelle empirischer Beziehungen zur
Lebensdauervorhersage und eines heuristischen Vorgehens bei der Absicherung
der Zuverlässigkeitseigenschaften muss ein detailliertes Verständnis über die einen
Ausfall verursachenden Mechanismen treten, welche eine theoretische Beschrei-
bung des Schädigungsprozesses über wissenschaftlich begründete Modelle zulässt.
Nur so lassen sich die an die an zukünftige Entwurfsprozesse gerichteten nicht mit-
einander einherlaufenden Ansprüche der Erzielung kürzerer Entwicklungszeiten
und niedrigerer Kosten bei Beibehaltung befriedigender Zuverlässigkeitseigen-
schaften erreichen.
Der vielversprechendste Ansatz besteht darin, genaue Berechnungs- und Bewer-
tungsmethoden zu nutzen, wie sie in anderen Bereichen der Technik, z. B. dem
Fahrzeugbau, der Luft- und Raumfahrttechnik oder dem Kraftwerksbau, schon
lange eingesetzt werden. Durch Anwendung erprobter Simulationsverfahren, wie
z. B. der Finite-Elemente-Methode, ergibt sich die Möglichkeit, die Beanspru-
chung an verschiedenen Stellen eines elektronischen Aufbaus während eines will-
kürlichen Belastungsprofiles verhältnismäßig genau errechnen zu können. In Ver-
bindung mit geeigneten Bewertungsverfahren, z. B. bruch- oder
schädigungsmechanischen Konzepten, können aus diesen Berechnungen Aussagen
über die Art und Größe einer lokal zu erwartenden Schädigung gewonnen werden.
Um diesen Ansatz auf dem Gebiet der Aufbau- und Verbindungstechnik im
Sinne hochpräziser Aussagen zur Schädigungsentwicklung tatsächlich verwirkli-
chen zu können, ist neben der effektiven und zweckmäßigen Anwendung von
Berechnungs- und Bewertungsmethoden auf die verschiedenen Problemfälle bei
elektronischen Aufbauten vor allem auch eine genaue Kenntnis des mechanischen
Verhaltens der in den elektronischen Aufbauten eingesetzten Werkstoffe notwen-
dig. Ohne eine genaue Vorstellung über die z. T. vielschichtigen physikalischen
Phänomene der Verformung und Schädigung der Werkstoffe kann auch der
Erkenntnis- und Genauigkeitsgewinn, welcher sich durch die verfeinerten und sehr
komplexen Beanspruchungsanalysen auf der Basis moderner Berechnungsmetho-
den, wie FEM-Simulationen, ergeben könnte, nicht genutzt werden, da die durch
die Berechnungsmethodik grundsätzlich erzielbare hohe Genauigkeit immer durch
die ungenauen Kenntnisse zum Werkstoffverhalten beschnitten würde. Diese Pro-
blematik wird in besonderer Weise dadurch verschärft, dass durch die besonderen
geometrischen Verhältnisse der einzelnen Strukturen innerhalb elektronischer Auf-
bauten das Verformungs- und Schädigungsverhalten der Werkstoffe nicht mehr
größenunabhängig betrachtet werden kann. Die Einbeziehung dieser größenabhän-
gigen Phänomene des Verformungs- und Schädigungsverhalten ist in Bezug auf
die Genauigkeit der Beanspruchungs- und Schädigungsanalysen, vor allem für den
Bereich der metallischen Werkstoffe, von ausschlaggebender Bedeutung (vgl. 1.2).
18 1 Problematik

Durch das Vorhandensein des Größeneffekts gehen die mit der Beschreibung
des Verformungs- und Schädigungsverhaltens von metallischen Werkstoffen ver-
bundenen Ziele weit über Aufgaben einer klassischen Werkstoffdatenermittlung
hinaus. Für die erfolgreiche Umsetzung einer neuen Methodik zur genauen Berech-
nung und Bewertung von Schädigungsprozessen ist daher eine umfangreichere
Betrachtung des mechanischen Werkstoffverhaltens notwendig, welche sich nicht
nur auf eine einfache Messung und Modellierung des mechanischen Verhaltens
beschränkt, sondern darüber hinaus auch die Zusammenhänge zwischen diesem
Verhalten und der Werkstoffstruktur hinterfragt und auch die Zusammenhänge
zwischen den strukturellen Werkstoffeigenschaften und den spezifischen technolo-
gischen und topografischen Besonderheiten elektronischer Aufbauten aufdeckt.
Aus dem dargestellten Bestreben eines umfassenden Verständnisses über die
Verformung und Schädigung metallischer Strukturen in elektronischen Aufbauten
als Vorausetzung wissenschaftlich begründeter Modelle und theoretischer Betrach-
tungen zur Verwirklichung neuartiger Methoden der Zuverlässigkeitsbewertung
während des Entwicklungszyklus elektronischer Baugruppen und Geräte macht
sich unter der aus materialwissenschaftlicher Sicht bedeutenden Problematik des
Größeneffektes im mechanischen Verhalten metallischer Werkstoffe eine Klärung
verschiedener Sachverhalte notwendig:
• Welche Belastungen sind für elektronische Aufbauten typisch und wie kommen
diese zustande?
• Welche geometrischen Abmessungen besitzen metallische Strukturen in elek-
tronischen Aufbauten? Werden sich diese Abmessungen in Zukunft verändern,
sodass es zu einer deutlichen Verkleinerung kommt?
• Wie wirkt sich der Herstellungsprozess und die geometrische Größe der metalli-
schen Strukturen auf ihr Werkstoffgefüge aus?
• Welche Zusammenhänge bestehen zwischen bestimmten mechanischen Eigen-
schaften und dem Gefüge metallischer Werkstoffe?
• Wirkt sich Verformung und Schädigung auf das Werkstoffgefüge aus und hat
diese Änderung des Gefüges wiederum eine Rückwirkung auf die Verfor-
mungs- und Schädigungseigenschaften eines metallischen Werkstoffs?
• Wie lässt sich das mechanische Verhalten metallischer Werkstoffe allgemein
erfassen?
• Welche Besonderheiten bestehen, wenn das mechanische Verhalten in kleinvo-
lumigen Strukturen erfasst werden soll?
Die Klärung dieser verschiedenen Sachverhalte im Sinne einer ganzheitlichen
Betrachtung soll über eine systematische Betrachtung erfolgen, welche sich aus
Einzelbetrachtungen zum Untersuchungsgegenstand, zum Aufbau der Werkstoffe,
zur Physik der Verformung, zur Phänomenologie der Verformung und Schädigung
sowie zur experimentellen Untersuchung zusammensetzt.
2.1 Zusammenhang zwischen Gegenstand und Methodik der Untersuchung 19

2 Untersuchungsgegenstand

2.1 Zusammenhang zwischen Gegenstand und Methodik der


Untersuchung

Bei Beschäftigung mit der Schädigung und der Verformung von Werkstoffen
besteht das Bemühen, alle dazu notwendigen Betrachtungen nur auf einen
bestimmten Werkstoff oder eine Werkstoffklasse zu richten, ohne dabei Bezug auf
ein konkretes technisches Artefakt zu nehmen. Eine solche Methode der Betrach-
tung geht davon aus, dass die der Verformung und Schädigung zugrunde liegende
Physik für eine bestimmte Werkstoffklasse, z. B. Metalle, gleich ist und sich folg-
lich die für ein bestimmtes technisches Problem erarbeiteten Untersuchungsmetho-
den und Bewertungsverfahren auf ein anderes technisches Problem übertragen las-
sen, sofern bei diesem Werkstoffe der gleichen Klasse, d. h. Werkstoffe mit
vergleichbarem qualitativen Verhalten, eingesetzt werden.
Bei der Übertragung der an verschiedenen Problemfällen des Fahrzeug-, Anla-
gen- und Maschinenbaus entwickelten Untersuchungsmethoden und Bewertungs-
verfahren der Materialprüfung auf scheinbar vergleichbare Problemfälle der Auf-
bau- und Verbindungstechnik der Elektronik zeigten sich die Grenzen einer vom
konkreten technischen Artefakt unabhängigen Betrachtungsweise. Besonders deut-
lich wurde dies beim Versuch, das Kriechverhalten von eutektischem Zinn-Blei-

Titan- Nickelsuper- Stahl- Pb95Sn5 Sn63Pb37


legierung legierung legierung
Homologe Temperatur ( T/Ts )

1,0
125 °C

0,8
1050 °C 125 °C

0,6
650 °C 650 °C
-55 °C

0,4
-55 °C
25 °C
0,2 25 °C
25 °C

1600 1500 1400 400 300 200 100


Schmelztemperatur ( °C )

Abb. 2.1 Vergleich der homologen Temperaturen verschiedener Konstruktionswerkstoffe im


Maschinen- und Anlagenbau und in der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik. Die auf
den Schmelzpunkt des jeweiligen Materials bezogenen Einsatztemperaturen von konventionellen
Lotwerkstoffen in elektronischen Aufbauten liegen höher als die von für den Anlagen- und
Maschinenbau konzipierten Hochtemperaturlegierungen (adaptiert aus [34]).
20 2 Untersuchungsgegenstand

Lot zu beschreiben. Hierzu wurde eine große Anzahl experimenteller Charakteri-


sierungen [35-48] durchgeführt, welche zu einem großen Spektrum von Ergebnis-
sen und Auffassungen über das Kriechverhalten von eutektischem Zinn-Blei-Lot
führten, die wiederum eine umfangreiche Diskussion über die Art und Weise der
Charakterisierung und der Bewertung der Kriechdaten auslöste [49-52]. Zunächst
konzentrierte sich die Diskussion auf einen Größeneffekt [54-55], später wurden
jedoch auch andere Aspekte, wie die des Modellansatzes [56], der Belastungspro-
file [57] und der Herstellungsbedingungen, einbezogen [44]. Obwohl die Frage
nach dem Kriechverhalten des eutektischen Zinn-Blei-Lotes bis heute nicht
abschließend beantwortet werden konnte, zeigen die bisher für diesen technischen
Problemfall gewonnenen Erkenntnisse, dass eine vom konkreten technischen Arte-
fakt entkoppelte Betrachtung des Schädigungs- und Verformungsverhaltens,
zumindest in Bezug auf die mit der Aufbau- und Verbindungstechnik in Zusam-
menhang stehenden Problemfälle, nicht zu einer befriedigenden Beschreibung des
Materialverhaltens führt.
Um die sehr starken Unterschiede zwischen den in letzter Zeit in der Aufbau-
und Verbindungstechnik auftretenden und den oft zitierten klassischen Problemfäl-
len, wie denen im Anlagenbau [33, 58, 59], deutlich zu machen, soll exemplarisch
die thermomechanische Ermüdung eines Lotkontaktes in einer elektrischen Schal-
tung und einer Turbinenschaufel in einem Kraftwerk miteinander verglichen wer-
den. Ein solcher Vergleich wird sehr oft vorgenommen [59], da in beiden Fällen
zum einen eine Temperaturänderung die alleinige Ursache des Entstehens mecha-
nischer Beanspruchungen im Werkstoff ist und zum anderen beide Werkstoffe,
z. B. die Sn-Ag-Cu-Legierung des Lotkontaktes und der Cr-Mo-V Stahl der Turbi-
nenschaufel, hohe Einsatztemperaturen haben, bei denen diffusionskontrollierte
Verformungsmechanismen wie das Kriechen dominieren (Abb. 2.1). Der oftmals
einzige betrachtete Unterschied zwischen beiden Problemfällen ist die Größe der
kritischen Strukturen. Zwar ist dies eine wichtige Ursache für Veränderungen im
Materialverhalten, bei einer näheren Betrachtung ist jedoch festzustellen, dass Lot-
kontakte trotz ihres geringen Volumens von V = ( 10 –7 …10 –13 )m 3 eine ausrei-
chende Zahl von Körnern besitzen, um sie wie großvolumige polykristalline Struk-
turen betrachten zu können. Größere Unterschiede zwischen beiden Problemfällen
ergeben sich, wenn die Funktion der kritischen Strukturen sowie Problemursachen
in den unterschiedlichen Anwendungen miteinander verglichen werden.
Die primäre Funktion der Turbinenschaufel ist mechanische Kraftübertragung.
Die Temperaturwechsel, durch die die thermomechanische Ermüdung der Schaufel
zustande kommt, werden prinzipbedingt beim Anfahren und Abschalten einer
Dampfturbine in einem Kraftwerk hervorgerufen. Im Gegensatz dazu ist primäre
Funktion eines Lotkontaktes keine mechanische, sondern die Herstellung eines
elektrischen Kontakts. Die Ursache für die thermomechanische Ermüdung des Lot-
kontaktes liegt im kostengünstigen Aufbau der elektronischen Baugruppe und ist
nicht prinzipieller Natur. Die Temperaturwechsel werden bis auf die wenigen Fälle
starker Eigenerwärmung der Bauelemente in der Regel durch die Umwelt einge-
bracht, z. B. Elektronik im Motorraum eines Kfz, und haben mit dem Prinzip der
2.1 Zusammenhang zwischen Gegenstand und Methodik der Untersuchung 21

elektrischen Schaltung nichts zu tun. Für den Lotkontakt ergeben sich im Gegen-
satz zur Turbine sehr undefinierte Belastungsbedingungen, durch die der Ausfall
hervorgerufen wird. Gleichzeitig muss die Lebensdauer der Strukturen anders
bewertet werden. Während beim Lotkontakt ein nahezu komplettes Zerreißen des
Kontaktes nicht zum Verlust der elektrischen Funktion führt (Abb. 2.2) und damit
Risslängen von bis zu 95% der Bauteilabmessungen akzeptabel sind, muss eine
Turbinenschaufel aufgrund der mit den hohen Beschleunigungen verbundenen
Kräfte schon bei geringen Schädigungsgraden ausgetauscht werden. Ein Versagen
der Struktur muss bei der Turbinenschaufel aufgrund der gewaltigen Folgeschäden
unbedingt vermieden werden, ein Versagen eines Lotkontaktes ist hingegen unkri-
tisch und führt nicht notwendigerweise auch zum elektrischen Ausfall, da sich auch
zwischen zwei aufeinanderliegenden Bruchflächen ein ausreichender Strompfad
ergeben kann.

a)

b)

Abb. 2.2 Zusammenhang zwischen elektrischem und mechanischem Ausfall. In [60] wurde die
Zuverlässigkeit verschiedener bleifreier Lote untersucht. Dabei wurden sowohl elektrische
Messungen zum Kontaktwiderstand als auch metallografische Querschliffe zur Bewertung der
mechanischen Degradation der Lotkontakte angefertigt. Die dargestellten Querschliffe dokumen-
tieren den Zustand von Lotverbindungen an Chipwiderständen (Typ 0805) auf FR4-Leiterplatten
mit NiAu-Oberflächenmetallisierung, die einer Anzahl von 2000 Temperaturwechseln von -40 °C
bis +125 °C ausgesetzt wurden. Während der mechanisch vollkommen geschädigte Lotkontakt in
Bild a) gleichzeitig auch einen elektrischen Ausfall aufweist, wurde beim äquivalent mechanisch
geschädigten Kontakt in Bild b) lediglich eine Erhöhung des Kontaktwiderstandes von
ΔR = 164 mΩ festgestellt, was in der Regel nicht zu einer Einschränkung der elektrischen
Funktion führt.
22 2 Untersuchungsgegenstand

Diese durch die konkrete Anwendung hervorgerufenen Unterschiede bei der


Funktion der kritischen Strukturen sowie Ursachen ihres Ausfall erfordern neben
des in 1.3 besprochenen Größeneffektes trotz einer sehr vergleichbaren Physik des
Ausfalls ein angepasstes Vorgehen bei der Untersuchung und Bewertung relevan-
ter Materialeigenschaften und schränken eine einfache Übertragung bekannter
Untersuchungsmethoden auf qualitativ andere technische Problemfälle ein. Die
Frage, wie ein eingesetzter Werkstoff untersucht werden muss und wie die Ergeb-
nisse dieser Untersuchungen zu bewerten sind, wird bei einem sehr komplexen
Werkstoffverhalten, wie dem Verformungsverhalten von Metallen bei hohen Tem-
peraturen, nicht allein durch die elementaren Mechanismen der Verformung
bestimmt, sondern auch durch Aspekte, die sich durch den konkreten technischen
Problemfall ergeben. Aus diesem Grund ist es wichtig, den Untersuchungsgegen-
stand und die Ursachen für die dort entstehenden (thermisch-) mechanisch verur-
sachten Ausfälle zu verstehen.

2.2 Wesen und Entwicklung des Untersuchungsgegenstandes

2.2.1 Begriff der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik

Beim Begriff der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik gibt es


Unterschiede in der Bezeichnung des Gebietes zwischen der deutschen Sprache
und der für dieses Gebiet maßgeblichen englischen Sprache. Im Englischen wird es
als „Electronics Packaging“ oder schlicht als „Packaging“ bezeichnet, ein Begriff,
welcher im Deutschen zunächst keine sinnvolle Entsprechung hat. Der Begriff ist
dem Substantiv „Package“ bzw. dem Verb „to pack“ entlehnt. Neben seiner
Bedeutung, Dinge in einem schützenden Behälter unterzubringen, bedeutet „to
pack“ auch gleichzeitig, Dinge auf engstem Raum zu komprimieren [61, 62]. Dem-
entsprechend versteht man im Ingenieurwesen unter einem „Package“ eine Bau-
gruppe oder einen Aufbau im Sinne einer kompakten geschlossenen Baueinheit
[63]. Der englische Begriff des „Packaging“ bezieht sich also auf die Vorstellung
über den zu erzeugenden Gegenstand. Der deutsche Begriff der „Aufbau- und Ver-
bindungstechnik der Elektronik“ ist abstrakter gefasst und weist Parallelen zu art-
gleichen Gebieten der Technik auf. Die Verbindungstechnik beschäftigt sich mit
den Vorgängen beim Fügen, durch das Verbindungspartner miteinander gekoppelt
werden [64]. Hierbei steht die Untersuchung und Optimierung verschiedener
Fügeverfahren sowie die Bewertung ihrer Eignung für entsprechende Anwendun-
gen im Vordergrund. Die dabei für elektronische Aufbauten verwendeten Verfah-
ren unterscheiden sich nicht von denen anderer Technikdisziplinen. Der Begriff der
Aufbautechnik verweist hingegen auf den konzeptionellen Inhalt des Gebietes.
Hierbei steht die Systematik des Zusammenfügens der einzelnen Komponenten im
Vordergrund, um so ein universelles Konzept zu entwickeln, das die spezifischen
Anforderungen aller wichtigen Anwendungen erfüllen kann.
2.2 Wesen und Entwicklung des Untersuchungsgegenstandes 23

2.2.2 Inhalt der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik

Elektronische Erzeugnisse haben in vielen Bereichen moderner Gesellschaften


Einzug gehalten. Während sie in einigen entbehrlich scheinen, üben sie in anderen
so elementare Funktionen aus, dass die Elektronik als vergleichsweise junges Teil-
gebiet der Technik sehr wesentlich den derzeitigen Grad der Zivilisation bestimmt.
Beispiele für wichtige Bereiche, in denen Elektronik unentbehrlich ist, sind die
Steuerung und Überwachung von Kraftwerken, großtechnischen Anlagen sowie
modernen Fertigungsstätten, die Koordination von Verkehrsströmen sowie die
Steuerung von Fahr- und Flugzeugen im Transportwesen, die Unterstützung ärztli-
chen Handelns in der Medizin sowie der Fernkommunikation zwischen Individuen.
Um seine vielfältigen Aufgaben übernehmen zu können, musste Elektronik sehr
anpassungsfähig sein, sich sehr kostengünstig und in hohen Stückzahlen herstellen
lassen sowie sehr zuverlässig funktionieren. Diese drei Forderungen erscheinen
besonders dann sehr schwierig erfüllbar zu sein, wenn die notwendige Komplexität
der dazu notwendigen Schaltungen betrachtet wird. Ein durchschnittliches Rechen-
werk, welches in vielen Steuerungen enthalten ist, besitzt allein mehr als eine Mil-
lion Schaltelemente und stellt damit bereits an die Verdrahtung der Schaltung eine
Aufgabe, die ohne eine fundierte wissenschaftliche Entwicklung geeigneter
Methoden nicht zu bewältigen ist. Dabei darf nicht übersehen werden, dass jede
Verbindung neben ihrer grundsätzlichen Funktion, einen Kontakt zwischen ver-
schiedenen Funktionselementen der Schaltung herzustellen, auch bestimmte quan-
titative Leistungsmerkmale wie Übertragungseigenschaften, Signallaufzeiten,
Stromtragfähigkeit, Wärmeabführung erfüllen muss. Da von den Prognosen für die
Halbleiterentwicklung ausgehend sowohl die Anzahl der zu verdrahtenden Funkti-
onselemente als auch die Anforderungen an die quantitativen Leistungsmerkmale
steigen werden, ergibt sich für das Gebiet der Aufbau- und Verbindungstechnik die
Notwendigkeit, neue Methoden für eine leistungsgerechte systematische Verdrah-
tung hochkomplexer elektronischer Schaltungen zu erforschen. Hinzu kommen
Forschungsfelder, welche durch die mit der Leistungssteigerung verbundenen
Koppeleffekte, z. B. Erzeugung großer Mengen an Verlustwärme, Entstehung
mechanischer Beanspruchungen, bzw. durch die Erschließung und Erweiterung
von Anwendungsfeldern, z. B. Schutz gegen Schlagbeanspruchungen bei Mobilte-
lefonen oder Vibrationsbeanspruchungen in Avionikanwendungen, hervorgerufen
werden.
Zur Bewältigung dieser Aufgaben unterteilt sich das Wissenschaftsgebiet der
Aufbau- und Verbindungstechnik in eine Reihe spezialisierter Subdisziplinen, wel-
che selbst zu unterschiedlichen anderen Wissenschaftsgebieten gehören. Zu den
wichtigsten dieser Subdisziplinen gehören die angewandte Physik und Chemie
zum Verständnis technologischer Prozesse und Abläufe, die Keramiktechnik zum
Verständnis der Erzeugung und Prozessierung keramischer Träger, die Metallurgie
zum Verständnis galvanischer Abscheidungen, des Lötens und des Schweißens,
die Polymerchemie und -physik zum Verständnis der Anwendung und Verarbei-
tung polymerer Materialien für Träger und Verkapselungen, die Polygrafie zum
24 2 Untersuchungsgegenstand

Verständnis von Druck- und Transferverfahren, die Wärmetechnik zum Verständ-


nis von Kühlstrukturen, die Elektrotechnik zum Verständnis des elektrischen
Signal- und Energieflusses sowie unerwünschter Koppeleffekte, die Materialphy-
sik zum Verständnis elektrischer, thermischer, optischer und mechanischer Cha-
rakteristiken verwendeter Werkstoffe. Eine große Zahl der Inhalte der Aufbau- und
Verbindungstechnik der Elektronik werden durch Inhalte dieser Disziplinen
bestimmt, wodurch sich dieses Gebiet sehr heterogen darstellt.

2.2.3 Entwicklung der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik

Zu Beginn der Elektronikentwicklung wurden die Schaltungen zunächst aus


einzelnen diskreten Bauelementen zusammengesetzt. Dabei erfolgte zuerst eine
Befestigung dieser Bauelemente auf einem Chassis als erster Schritt. Danach wur-
den die elektrischen Verbindungen zwischen den Bauelementen über Drähte herge-
stellt, welche bei Überwindung längerer Entfernungen zu Kabelbäumen zusam-
mengebunden wurden. Die Ablösung der Elektronenröhren durch
Halbleitertransistoren hatte eine deutliche Verkleinerung der Energieaufnahme als
auch des Gewichts und der Abmessungen der Bauelemente zur Folge. Dies ermög-
lichte ein neues Konzept der Bauelementemontage, bei der die mechanische Fixie-
rung über die Anschlussbeine der Bauelemente erfolgen konnte. Durch die gleich-
zeitige Entwicklung der Leiterplatte entstand ein neues Verdrahtungskonzept, über
das anfangs zunächst Elektronenröhren mit den sie umgebenden passiven Bauele-
menten montiert wurden [65].
Die großindustrielle Einführung der Leiterplatte fand Anfang der 50er Jahre
statt und stellte für die industrielle Fertigung elektronischer Geräte eine technisch
und ökonomisch effiziente Verdrahtungstechnik zu Verfügung. Die weiteren Stu-
fen der Entwicklung waren die durchkontaktierte Zweiebenenleiterplatte (1953),
die Mehrlagenleiterplatte (1961) und die Einführung eines volladditiven Verfah-
rens zur Erzeugung des Leiterbildes (1963) [66]. Gegenüber den bis zu diesem
Zeitpunkt verwendeten Verdrahtungstechniken bot die Leiterplatte den Vorteil,
eine konstruktive Einheit mit gut definierten elektrischen und geometrischen Ver-
hältnissen darzustellen, welche zur Anwendung produktiver automatisierbarer
Massenherstellungsverfahren bei der Bauelementebestückung und -kontaktierung
geeignet war. Die Einführung der Mehrlagentechnik erlaubte eine erhebliche Stei-
gerung der Verdrahtungsdichte, wie sie für die Montage hochintegrierter Halblei-
terbauelemente notwendig ist. Gleichzeitig ergab sich aus ihrer Trägerfunktion
eine definierte mechanische Stabilität aller Verbindungen, welche wiederum half,
die Zuverlässigkeit der Verdrahtungstechnik zu erhöhen, wodurch die Funktionsfä-
higkeit immer komplexer werdender Schaltungen gewährleistet werden konnte
[67]. Bis heute wird die Leiterplatte als Verdrahtungsträger für nahezu alle elektro-
nischen Produkte eingesetzt [68], ohne dass sich das Grundprinzip ihres Aufbaus
geändert hat. Die Innovationen, welche Leiterplatten den wachsenden Anforderun-
gen im Bereich der Verdrahtungsdichte, neuen Anwendungen, wie z. B. Mikrowel-
2.2 Wesen und Entwicklung des Untersuchungsgegenstandes 25

a) b) c)

d) e) f)

Abb. 2.3 Vergleich der Aufbautechnik elektronischer Schaltungen verschiedener Technologie-


stufen: a) Fliegende Verdrahtung im Chassis eines Fernsehgerätes b) Durchstecktechnik mit
diskreten Halbleiterbauelementen, c) Durchstecktechnik mit integriertem Schaltkreis, passiven
Bauelementen, HF-Filtern d) Durchstecktechnik mit integrierten Schaltkreisen, e) Oberflächen-
montagetechnik, f) HDI-Aufbauten in einem Mobiltelefon mit HF-Subsystemen

lenschaltungen, oder den veränderten Forderungen nach Umweltverträglichkeit


gerecht machen sollen, betreffen das Basismaterial und die Schaffung kleinster
Durchkontaktierungen (engl. Microvia). Für die zukünftige Entwicklung von Lei-
terplatten stehen die Einbettung von lichtoptischen Fasern [69] sowie passiven
Komponenten [70] im Vordergrund.
Am Anfang ihrer Entwicklung fand die Verdrahtung elektrischer Schaltungen
ausschließlich auf der Leiterplatte statt. Dies änderte sich jedoch durch die Einfüh-
rung der Siliziumplanartechnik. Ausgangspunkt für die Entwicklung der Silizium-
planartechnik zur Herstellung hochintegrierter Schaltkreise waren nach der Erfin-
dung des Transistors (Ge-Bipolar-Transistor) [71-73] die Entwicklung eines
Planarprozesses sowie die Ideen zur Realisierung integrierter Schaltkreise [74, 75]
Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre. Zunächst wurde die Entwicklung
der Halbleitertechnik durch das amerikanische Militär und die NASA vorangetrie-
ben, sodass zunächst keine ökonomischen Aspekte, sondern die Zuverlässigkeit
und Miniaturisierung im Vordergrund standen [76, 77]. Zivile Anwendungen, wie
26 2 Untersuchungsgegenstand

z. B. die Konstruktion des dritten transatlantischen Telefonkabels 1963, wurden


nach wie vor in Röhrentechnik ausgeführt. Eine von wirtschaftlichen Gesichts-
punkten getriebene Nutzung integrierter Halbleiterschaltkreise begann erst Mitte
der sechziger Jahre und erreichte ihren Durchbruch Anfang der siebziger Jahre mit
der Verwendung der MOS-Schaltungstechnik und der Erfindung des Mikroprozes-
sors durch INTEL. Letztere erlaubte eine flexible Verwendung der zuvor in ihrer
Funktionsvielfalt eingeschränkten festverdrahteten integrierten Schaltungen. Seit
dieser Zeit ist die Herstellung integrierter Schaltkreise von einem exponentiellen
Wachstum gekennzeichnet. Dieses betrifft sowohl technische Kennzahlen, wie
z. B. die Kapazität von Speicherschaltkreisen (Vervierfachung aller drei Jahre)
oder von minimalen Strukturabmessungen (Halbierung aller fünf Jahre), als auch
wirtschaftliche Parameter, wie die Senkung der Kosten pro Bit und die Steigerung
der Investitionskosten für neue Fertigungsstätten. Diese einzigartige Entwicklung
der Halbleitertechnologie wurde maßgeblich durch die Wechselbeziehungen von
spezifischen Technologieeigenschaften, hohen Investitions- und Technologiekos-
ten sowie kurzen Produktlebenszyklen erreicht. Diese erzwingen den Vorrang der
Weiterentwicklung der Produktionstechnik gegenüber grundlegenden Technolo-
gieveränderungen, da diese aufgrund der hohen Ausrüstungskosten ein zu großes
wirtschaftliches Risiko darstellen. Hierdurch kristallisierten sich die Erhöhung des
Integrationsgrades und die Verkleinerung von Strukturabmessungen als die
wesentlichen Triebkräfte dieser Technologie heraus [76].
Die Entwicklung der Siliziumplanartechnik (Abb. 2.4) und der mit ihr erreich-
ten Integrationsdichten hatte auch weitreichende Folgen auf die Art und Weise, wie
die Verdrahtung elektronischer Schaltungen erfolgt. Bedingt durch die verschiede-
nen Fertigungstechniken für die Herstellung von integrierten Schaltkreisen und
Leiterplatten, musste zur Erzielung hoher Integrationsdichten ein großer Teil der
Verdrahtung auf die Chipoberfläche verlagert werden, da die Erzeugung einer der-
art feinen Verdrahtung nur mit den Fertigungsmethoden der Halbleitertechnik

SiN

Al
SiO2
TiW

TiSi2
Poly-Si
LOCOS
n+ n+ p+ p+
p-Wanne n-Wanne

p-Epitaxie

p-Substrat

Abb. 2.4 Siliziumplanartechnik: Aufbau eines CMOS-Gatters (schematisch)


2.3 Architektur elektronischer Aufbauten 27

möglich ist. Obwohl die kapazitiven Fähigkeiten der Verdrahtung auf dem Schalt-
kreis ausreichen würden, die Schaltungsverdrahtung vorzunehmen, muss für
bestimmte Aufgaben eine Weiterverdrahtung auf einem Verdrahtungsträger, wie
einer Leiterplatte, erfolgen. Zu diesen Aufgaben zählt z. B. die Einbindung passi-
ver Bauelemente bzw. von Bauelementen mit großen Abmessungen (Elektrolyt-
kondensatoren, Quarze, Stecker). Hierdurch ergibt sich eine Auffächerung der Ver-
drahtung auf mindestens zwei Ebenen - einer ersten (der Chipebene), welche einen
hohen Integrationsgrad zulässt, und einer zweiten (der Verdrahtungsträgerebene),
welche eine große Flexibilität bezüglich der Art der zu verdrahtenden Bauelemen-
tetypen ermöglicht.

2.3 Architektur elektronischer Aufbauten

2.3.1 Grundkonzept und Aufbauhierarchie

Der Aufbau elektronischer Schaltungen wird neben technologischen Aspekten


durch Architekturkonzepte bestimmt. Während sich die Technologie mit der Art
und Weise der Herstellung beschäftigt und vor allem Fragen des Zusammenwir-
kens der Prozesse und des Materialeinsatzes berührt, wird durch das Architektur-
konzept der topologische Aufbau elektronischer Geräte bestimmt. Architekturkon-
zepte berühren daher Problemfelder, wie die Anschlusszahlentwicklung, die
Erhöhung der Schaltfrequenzen, die Steigerung der Verlustleistung oder den Auf-
bau leichter, miniaturisierter, tragbarer Geräte. Für den Aufbau elektronischer
Geräte gibt es eine große Anzahl verschiedener Architekturkonzepte. Um diese
systematisch betrachten zu können, müssen die Konzepte nach bestimmten
Gesichtspunkten unterschieden werden. Hierzu ist es hilfreich, zunächst die funk-
tionellen Aspekte zu betrachten, die für verschiedene Konzepte ausschlaggebend
sind. Obwohl eine Reihe von funktionellen Aufgaben, wie die Verteilung elektri-
scher Signale zwischen verschiedenen Schaltelementen, die Versorgung der Schal-
tung mit elektrischer Energie, die Abführung von Verlustleistung, der Schutz der
Schaltelemente vor Feuchte, Chemikalien und mechanischen Belastungen, die
Gewährleistung elektromagnetischer Verträglichkeit oder die Formgebung für
nachfolgende Prozessschritte, die Architekturkonzepte bestimmen [78], liegt die
grundlegende Aufgabe der Architektur in der zuverlässigen Verdrahtung aller in
einer elektronischen Schaltung enthaltenen Funktionselemente. Wie in 2.2.3
bereits beschrieben, hat es sich als zweckmäßig herausgestellt, diese Verdrahtung
auf zwei verschiedenen Ebenen durchzuführen - der Verdrahtung auf dem Schalt-
kreis, welche einen hohen Integrationsgrad erlaubt, und der Verdrahtung auf einem
Verdrahtungsträger, welche eine hohe Flexibilität erlaubt (Abb. 2.5).
Aufgrund dieser Verdrahtungsphilosophie ergibt sich der grundsätzliche struk-
turelle Zusammenhang durch Zuordnung verschiedener Elemente eines Architek-
28 2 Untersuchungsgegenstand

Chip (Ebene 0)

stoffschlüssige Verbindungen
Wafer

einzeln gehäustes Multichip 1. Verbindungsebene


Nacktchip
Halbleiterbauelement Modul

2. Verbindungsebene

Hybridbaugruppe Baugruppe auf Baugruppe


auf Keramikträger flexibler Polymerfolie auf Leiterplatte

formschlüssige Verbindungen
3. Verbindungsebene

Baugruppenträger zur Realisierung


komplexer elektronischer Geräte

Abb. 2.5 Hierarchie elektronischer Aufbauten (schematisch)

turkonzeptes in hierarchisch geordnete Verbindungsniveaus [78-83]. Ausgangs-


punkt der hierarchischen Ordnung sind die Anschlussstellen der Verdrahtung auf
dem Halbleiterchip. Da die auf dem Halbleiterchip befindlichen Strukturen funkti-
onsbedingt sehr empfindlich gegen Umwelteinflüsse, wie z. B. Fremdionen, Strah-
lung oder Feuchte sind, werden sie in einem ersten Verbindungsniveau (engl. first
level interconnect) zunächst auf das nächste Verbindungsniveau vorbereitet. Diese
Vorbereitung umfasst die geometrische Adaption an die größeren Rastermaße des
nächsten Verbindungsniveaus, den Schutz vor Umwelteinflüssen durch eine ent-
sprechende Häusung und - falls notwendig - Maßnahmen zur Abführung von Ver-
lustwärme sowie den Ausgleich von thermischen Fehldehnungen durch den gerin-
gen Ausdehnungskoeffizienten von Si. Nach dieser Vorbereitung liegen aktive
Bauelemente als gehäuste Halbleiterbauelemente zur Weiterverarbeitung vor,
sodass sie zusammen mit den passiven Bauelementen in einem zweiten Verbin-
dungsniveau (engl. second level interconnect) auf einen Verdrahtungsträger mon-
tiert werden können. Eine Ausnahme bildet die Verarbeitung aktiver Bauelemente
2.3 Architektur elektronischer Aufbauten 29

mit Direktmontagetechniken, wie Flip-Chip oder Chip on Board. In diesem Fall


entfällt das erste Verbindungsniveau und die aktiven Bauelemente werden gleich
zusammen mit den passiven auf einen Verdrahtungsträger zu einer Baugruppe
montiert. Diese Baugruppe kann nun direkt in ein fertiges Endgerät, z. B. einen
Taschenrechner, ein Telefon oder eine Motorsteuerung, eingebaut werden oder sie
wird, wie z. B. bei einem Computer oder einer Industriesteuerung, mit anderen
Baugruppen auf einer Mutterplatine (engl. motherboard) oder Rückseitenplatine
(engl. backplane) zu einem Gesamtsystem zusammengesetzt. In beiden Fällen
kommt üblicherweise eine dritte Verbindungsebene (engl. third level interconnect)
zum Einsatz. Im Falle des Endgerätes wird die Baugruppe über diese dritte Verbin-
dungsebene, z. B. mit Ein- und Ausgabeeinheiten, einer Stromversorgung oder
einer Geräteschnittstelle verbunden, wobei diese Verbindungen in einigen Fällen
bereits über die zweite Verbindungsebene erfolgen. Im Fall großer komplexer
Systeme dient die dritte Ebene der Verbindung verschiedener spezialisierter Bau-
gruppen untereinander, was in der Regel einen modularisierten Geräteaufbau
ermöglicht. Neuere Betrachtungen [78, 81] beenden die Verbindungshierarchie
elektronischer Aufbauten inzwischen nach der dritten Ebene, ursprünglich wurde
in insgesamt fünf Ebenen [82, 83] unterteilt. Wichtig für alle weiteren Betrachtun-
gen sind jedoch nur die beiden unteren Ebenen, welche von allen gleich betrachtet
werden. Aus technologischen Gründen werden in den beiden unteren Ebenen
gewöhnlich stoffschlüssige Verbindungen benutzt, während in allen höheren Ebe-
nen üblicherweise formschlüssige Verbindungen zum Einsatz kommen.
Für die Betrachtung verschiedener Architekturkonzepte ist es zweckmäßig, sich
zunächst auf die Darstellung einzelner Verbindungsniveaus zu konzentrieren.
Während Architekturkonzepte sehr starken Veränderungen und Diversifizierungen
unterzogen sind, ist zu beobachten, dass die Lösungen für einzelne Verbindungsni-
veaus vergleichsweise unveränderlich bleiben.

2.3.2 Erste Verbindungsebene

2.3.2.1 Entwicklung und Aufgaben der ersten Verbindungsebene

Um die Entwicklung der verschiedenen Techniken zur Realisierung der ersten


Verbindungsebene zu verstehen, müssen diese im Zusammenhang mit der Ent-
wicklung integrierter Schaltkreise gesehen werden. Vor der industriellen Fertigung
integrierter Schaltkreise Mitte der sechziger Jahre bestanden Halbleiterbauele-
mente aus diskreten Transistoren oder Dioden, welche in hermetischen Metallkap-
pengehäusen einzeln gekapselt wurden. Für die Verbindung der Chipanschlüsse
(Al-Flächen) mit den Gehäuseanschlüssen wurde zunächst ein Thermokompressi-
onsschweißverfahren mit Au-Drähten eingesetzt, welches allerdings aufgrund sei-
ner hohen Verfahrenstemperaturen (350°C-400°C) zur Bildung der schlecht haf-
tenden und als Purpurpest bekannten AuAl2-Phase führte. Um die mit diesem
30 2 Untersuchungsgegenstand

Verfahren verbundenen Zuverlässigkeitsprobleme zu überwinden, wurden andere


Verfahren, wie die Beam-Lead- und die Flip-Chip-Technik, entwickelt. Beiden
Techniken war gemein, dass der Chip mit einer Passivierungsschicht vor Umwelt-
einflüssen geschützt wurde und somit keines hermetischen Einzelgehäuses mehr
bedurfte, was eine direkte Verbindung verschiedener diskreter Halbleiterbauele-
mente untereinander ermöglichte, indem diese beispielsweise auf einen Dick-
schicht-Keramik-Träger montiert wurden. Mit der Fertigung der ersten integrierten
Schaltkreise wurden diese auf einem äußeren Träger befindlichen Verbindungen
durch Al- oder Au-Dünnschichtverdrahtungen auf der Passivierung des Silizium-
chips ersetzt. Die erhebliche Steigerung der Integrationsdichte seit den siebziger
Jahren führte zur Herausbildung einer Dünnschichtmehrebenenverdrahtung auf
dem Siliziumchip, wie sie schematisch in Abb. 2.6 dargestellt ist.
Diese Mehrebenenverdrahtung wird durch eine Passivierungsschicht abge-
schlossen, welche Öffnungen zum Kontaktieren der Anschlussflächen aufweist.
Zur elektrischen Verbindung dieser Anschlüsse werden zz. hauptsächlich drei Ver-
fahren eingesetzt - die Drahtbondtechnik, die Flip-Chip-Technik und die Träger-
filmtechnik [84, 85]. Andere Verfahren tragen eher Nischencharakter. Die Reali-
sierung der elektrischen Verbindung ist gleichzeitig mit der Forderung nach der
Versiegelung der geöffneten Passivierungsfenster verbunden, da der integrierte
Schaltkreis an diesen Stellen ungeschützt ist. Während beim Drahtbonden der

Passivierung Anschlussfläche
Dielektrika

Globale Lage
Verbindung 6

5
Semi-globale
Verbindung 4

3
Lokale
Verbindung 2
1
Kontakte
Bauelemente

Halbleiterchip

Abb. 2.6 Schematische Darstellung einer Mehrebenenverdrahtung auf der Oberfläche eines inte-
grierten Schaltkreises. Die Mehrebenenverdrahtung besteht aus übereinandergelagerten durch
Isolationsschichten getrennten Verdrahtungsebenen, welche die Verbindung der einzelnen Schalt-
elemente auf der Halbleiteroberfläche übernehmen. Höher gelegene Verdrahtungsleitungen haben
größere Abmaße als tiefer gelegene, damit sie eine höhere Stromtragfähigkeit aufweisen. Die
Mehrebenenverdrahtung wird durch eine Schicht mit Anschlussflächen zur Weiterverdrahtung
des Halbleiterbauelements in einer elektronischen Schaltung abgeschlossen.
2.3 Architektur elektronischer Aufbauten 31

Schutz durch eine anschließend aufgebrachte Vergussmasse bzw. einen hermeti-


schen Gehäuseverschluss hergestellt wird, erfolgt die Versiegelung bei den ande-
ren beiden Verfahren durch das Einbringen einer metallischen Barriereschicht in
das geöffnete Passivierungsfenster, wodurch vorgelagerte Prozessschritte auf
Scheibenniveau erforderlich sind. Neben der Schutzfunktion ist die Herstellung
einer elektrischen Verbindung auch durch thermische und mechanische Aspekte
begleitet. Diese betreffen das Abführen hoher lokaler Verlustwärmen als auch die
mechanische Integrität während des Fügevorgangs und des Betriebes. Ursache
mechanischer Schädigungen können zum einen durch den Fügeprozess einge-
brachte Druckspannungen (z. B. beim Drahtbonden) sein, aber auch hohe Verfah-
renstemperaturen, welche durch die unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizienten
verschiedener Schichtmaterialien zum Einfrieren hoher lokaler mechanischer
Spannungen an der Verbindungsfläche des Chips führen.

2.3.2.2 Drahtbondtechnik

Die Drahtbondtechnik ist ein reines Kontaktanschlussverfahren, welches vor-


aussetzt, dass der Halbleiterchip -in der sogenannten Chipmontage- zuvor fest mit
dem zu kontaktierenden Gehäuse oder Träger verbunden wurde. Sie zeichnet sich
dadurch aus, dass ein sehr feiner Draht dazu verwendet wird, die Anschlussfläche
auf dem Chip mit einer Kontaktfläche eines Anschlusses des späteren Bauelemen-
tegehäuses bzw. eines Zwischenverdrahtungsträgers zu verbinden. Beide Verbin-
dungen werden nacheinander erzeugt. Dadurch gewinnt die Drahtbondtechnik
gegenüber den anderen Techniken erheblich an Flexibilität, da sie sich gut auf ver-
änderliche Montagebedingungen einstellen kann. Obwohl die Drahtbondtechnik
das heute dominierende Verfahren für die Realisierung der ersten Verbindungs-
ebene ist, wies die Technik bei ihrer Einführung in den sechziger Jahren derart fun-
damentale Probleme auf, dass anderen Techniken, wie der Flip-Chip-, der Beam-
Lead- und der Trägerfilmtechnik, zunächst größere Erfolgsaussichten zugeschrie-
ben wurden.
Zur Erzeugung einer Schweißverbindung zwischen der Al-Chipanschlussfläche
und dem Au-Draht wurde zuerst eine Thermokompressionstechnik eingesetzt, wel-
che durch Einbringung höherer Verfahrenstemperaturen die gegenüber einem rei-
nen Pressschweißverfahren notwendigen Drücke senken sollte. Zu hohe Verfah-
rensdrücke führen zu zwei Problemen. Zum einen besteht das Risiko darin, im
wenig risszähen Einkristallsilizium unterhalb der Anschlussfläche einen Muschel-
bruch zu erzeugen, zum anderen kann dies im sehr duktilen Au-Draht zu erhebli-
chen festigkeitsmindernden Einschnürungen führen. Um letzteres Problem zu
umgehen, wird der Druck über den Mantel einer Kapillare (Bondwerkzeug) auf
einen mit dem Draht verbundenen Kugelkopf übertragen, wobei der Draht mittig
aus dieser Kugel kommend durch die Kapillare geführt wird. Prozesstechnisch
muss dazu der in einer Kapillare geführte Draht an seiner Spitze umgeschmolzen
werden. Erst als dieser zuerst über eine Wasserstoffflamme realisierte Umschmelz-
32 2 Untersuchungsgegenstand

prozess durch die Verwendung eines Lichtbogens besser beherrscht wurde, gelang
es, reproduzierbare Kugeldurchmesser herzustellen, welche Voraussetzung für die
Erzielung eines reproduzierbaren Verbindungsdruckes sind. Das zweite Problem
waren die hohen Verfahrenstemperaturen des Thermokompressionsprozesses
sowie der nachfolgenden Gehäuseverschlussprozesse. Hierdurch wurden sowohl
die Bildung der AuAl2-Phase sowie die Bildung von Kirkendalllöchern begünstigt,
welche die Verbindungsfestigkeit stark verminderten. Erst durch die Einführung
einer Ultraschallübertragung an das Bondwerkzeug und damit dem Einbringen von
senkrecht zur Kompressionsrichtung wirkenden mechanischen Schwingungsener-
gien konnten die Verfahrenstemperaturen erheblich gesenkt werden, sodass sich
die Drahtbondtechnik seit Anfang der siebziger Jahre zu einer zuverlässigen Ver-
bindungstechnik mit hohen Prozessausbeuten entwickelte [86].
Der Einsatz von Ultraschallenergie führte zu zwei Verfahrensvarianten, dem
sogenannten Ultrasonic-Verfahren (Abb. 2.7), hinter dem sich ein ultraschallunter-
stütztes Thermokompressionsverfahren verbirgt, und dem Ultraschallbonden
(Abb. 2.8), bei dem ein Keilbondwerkzeug anstelle der Bondkapillare
(vgl. Abb. 2.9) verwendet wird und das ohne thermische Unterstützung auskommt.
Als Drahtmaterialien kommen zz. Gold-, Kupfer- und Aluminiumdrähte zum
Einsatz, welche zur Eigenschaftsverbesserung auch mit Fremdstoffen dotiert sein
können. Drahtdurchmesser liegen im Bereich von 17μm ... 75μm für normale
Anschlusskontaktierung bzw. 100μm ... 625μm für Hochstromanschlüsse.
Das Thermosonic-Bonden wird üblicherweise mit Au- oder Cu-Drähten durch-
geführt, während für das Ultraschallboden in der Regel Aluminiumdrähte verwen-
det werden. Grund für diese Materialabhängigkeit der Bondverfahren ist die Tatsa-
che, dass Aluminium auf seiner Oberfläche ein dünnes, stabiles und sehr hartes

1 2
Au-Draht

Drahtzange
Bondkapillare
Elektrode

Chip Leitbahn

Substrat

3 4

Abb. 2.7 Drahtbondtechnik: Verfahrensablauf beim Thermosonic Ball/Wedge-Bonden


2.3 Architektur elektronischer Aufbauten 33

1 2
Drahtzange

Bondkeil

Al-Draht
Chip Leitbahn

Substrat

3 4

Abb. 2.8 Drahtbondtechnik: Verfahrensablauf beim Ultraschall Wedge/Wedge-Bonden (unten)

Oxid bildet, welches eine zwingende Voraussetzung für den sehr komplizierten
Verbindungsvorgang beim Ultraschallschweißen zu sein scheint. Es wird dabei
davon ausgegangen [87], dass es im Randbereich des während des Bondvorgangs
stark deformierten Aluminiumdrahtes zu einer Schwingungsfortpflanzung kommt,
da die eingebrachte vertikale Kraft zum Rand hin stark abnimmt. Durch diese im
Randbereich auftretenden Schwingungen kommt es zu einer vollständigen Reini-
gung der Kontaktfläche von Oxiden und Adsorbaten, in deren Folge sich oxid- und
adsorbatfreie Metallflächen gegenüberliegen. Durch die horizontal wirkende Kraft
nähern sich beide gleichzeitig soweit an, dass es zum Verschweißen einer ringför-
migen Randfläche des Wedgebondes kommt. Bei Gold und Kupferdrähten, welche
kein stabiles und hartes Oxid auf ihrer Oberfläche ausbilden, wird durch kombi-
nierten Ultraschall und Temperatureintrag ein Verschweißen erreicht. Um den-
noch solche Drähte für den Ultraschallprozess nutzbar zu machen, besteht die
Möglichkeit, diese mit einem nm-dicken Aluminiummantel zu beschichten [88].
Für die Verbindungsbildung beim Thermosonic-Bonden wird davon ausgegan-
gen, dass es durch die plastische Verformung während des Andrückens des Drahtes
auf dessen Oberfläche zur Ausbildung von Gleitstufen kommt, welche bei Einlei-
tung einer horizontalen Ultraschallschwingung zur partiellen Aufbrechung der
Oberflächenoxid- und Adsorbatschichten führt, sodass thermisch aktivierte Inter-
diffusionsvorgänge zur Verbindungsbildung führen. Infolge dieser sehr unter-
schiedlichen thermisch-mechanischen Belastungen kommt es zu spezifischen
Gefügeänderungen im Draht (vgl. Abb. 2.10).
Im zz. üblichen Verfahrensablauf wird der zentrisch in einer Kapillare geführte
Draht beim Thermosonic-Bonden zuerst durch einen Lichtbogen aufgeschmolzen,
sodass am Drahtende eine Kugel mit dem 1,5-2,5 fachen Drahtdurchmesser ent-
steht. Diese Kugel wird dann durch einen kombinierten thermisch-mechanischen
34 2 Untersuchungsgegenstand

a) b)

c) d)

e) f)

Abb. 2.9 Drahtbondtechnik: a) Kapillarwerkzeug und Substrathalter für Thermokompressions-


bonden; b) Querschliff durch eine Ball-Bondverbindung, c) Rasterelektronenmikroskopische
Aufnahme der Topografie einer Ball-Bondverbindung, d) eines Ball-Wedge-Loopes, e) einer
Wedge-Bondverbindung eines Ball-Wedge-Drahtbonds, f) einer Wedge-Bondverbindung eines
Wedge-Wedge-Drahtbonds
2.3 Architektur elektronischer Aufbauten 35

Verformungstextur
durch
Drahtformung

Rekristallisation
während des
Kugelan-
schmelzens Verformungs-
textur durch
Wedgebonden
Verformungs-
textur durch
Ballbonden stark gestörtes
Gebiet am Heel

Abb. 2.10 Drahtbondverbindungen, Verbindungszonen, Drahtgefüge, Verformung und Bruch am


sogenannten „Heel“ eines Wedge-Kontaktes (adaptiert aus [86])

Energieeintrag mit dem Anschlusspad der Halbleiterchips verschweißt (Ballbond).


Danach wird der Draht nach außen gezogen und mit der Anschlussfläche des Bau-
elementekontakts oder der eines Verdrahtungsträgers verschweißt (Wedgebond).
Danach wird der Draht abgerissen (Abb. 2.7). Neuste Verfahrensoptimierungen
lassen offensichtlich auch ein Thermosonic-Ball/Wedge-Bonden ohne zusätzlichen
Temperatureintrag zu [89].
Beim Ultraschallbonden wird ein Werkzeug verwendet, welches der Draht in
einem Winkel von 30°-60° zur Fußfläche durchläuft. Wie beim Thermosonic-Ver-
fahren wird zuerst der Anschlusskontakt am Chip und danach der Kontakt am Bau-
elementeanschluss erzeugt (Abb. 2.7). Aufgrund der schiefwinkligen Drahtführung
lässt sich der Draht beim Ultraschallschweißen im Gegensatz zum Thermosonic-
Verfahren nur in einer Richtung wegziehen, wodurch es notwendig wird, den Chip
mehrfach zu drehen, um alle vier Anschlussseiten zu kontaktieren. Die Vorteile des
langsameren, d. h. unproduktiveren und damit wesentlich weniger verbreiteten,
Ultraschallbondens liegen in der sehr stabilen Kontaktierung bei Raumtemperatur.
Besonders bei Verwendung verschiedener Verbindungstechniken auf einem Trä-
ger, wie z. B. der Kontaktierung von Halbleiterchips auf einer Dickschichthybrid-
schaltung, hat dies erhebliche Vorteile.

2.3.2.3 Flip-Chip-Technik

Anders als beim Drahtbonden erfolgt bei der Flip-Chip-Technik keine Chip-
montage vor der Anschlusskontaktierung. Stattdessen wird das Halbleiterbauele-
ment mit der aktiven Seite gegen den Verdrahtungsträger gedreht (daher die
Bezeichnung "Flip") und über Bumps - welche sich auf mindestens einem der bei-
den Fügepartner befinden - mit diesem verbunden. Über diese Anschlusskontaktie-
36 2 Untersuchungsgegenstand

rung erfolgt auch eine räumliche Fixierung des Halbleiterbauelementes, sodass der
Schritt Chipmontage entfällt.
Neben dem Fügeprozess besteht ein sehr wesentlicher Unterschied zum Draht-
bonden auch in der Notwendigkeit, die Anschlüsse des Halbleiterchips vor dem
eigentlichen Fügeprozess als lötfähige Flächen, sogenannte Bumps (Lothügel), zu
gestalten. Da die Drahtbondtechnik das für die erste Verbindungsebene derzeit
dominierende Verfahren ist, ist das Anschlussflächenlayout für Halbleiterbauele-
mente jedoch oft auf einen Drahtbondprozess ausgerichtet. Um ein Halbleiterbau-
element Flip-Chip-fähig zu machen, reicht es jedoch nicht, auf die vorhandenen
Anschlussflächen Bumps aufzubringen. Klassische Drahtbondlayouts können für
den späteren Flip-Chip-Montageprozess eine Reihe erheblicher Nachteile mit sich
bringen. Aus diesem Grund wird in einigen Fällen auf dem schon vorhandenen
Drahtbondlayout eine weitere Umverdrahtung (z.B. mit BCB) aufgebracht, um das
Halbleiterbauelement Flip-Chip-fähig zu gestalten. Ein gutes laterales Flip-Chip-
Layout ist dadurch gekennzeichnet, dass es eine regelmäßige Anordnung der
Anschlussflächen über der Chipfläche gibt, da unregelmäßige Anordnungen zu
ungleichmäßigen Druckbildern bzw. Potenzialverteilungen bei galvanischer
Abscheidung führen. Bei der Gestaltung der Öffnungen müssen ausreichende Zwi-
schenabstände gewährleistet sein, um entweder ein Überdrucken der Anschlussflä-
chen oder ein galvanisches Anwachsen von Pilzstrukturen beim Waferbumping zu
ermöglichen. Aufgrund dieser Besonderheiten beim Layout weist die Verbin-
dungsanordnung eines Flip-Chip-montierten Halbleiterbauelements keine beliebig
eng nebeneinanderstehenden Kontakte auf. In der Regel ist das Verhältnis von
Zwischenraum und Kontaktdicke in etwa gleich. Andere geometrische Einschrän-
kungen ergeben sich durch die verwendbaren Leitbahndicken sowie durch die
Gestaltung des Lotstoplackes auf organischen Verdrahtungsträgern. Leitbahndi-
cken müssen erheblich kleiner sein als die Höhe der Lotbumps, da sich ansonsten
ein zu geringer Lotspalt ergibt. Für die Gestaltung der Lotstopmaske zur Definition
der Landeplätze von Flip-Chip-Bauelementen hat sich auf organischen Verdrah-
tungsträgern ein sogenanntes Steglayout bewährt. Dadurch bekommt das Unterfül-
lungsmaterial mehr Platz zum Fließen und erhält eine gute Kopplung zum Basis-
material. Die Summe der verschiedenen geometrischen Einschränkungen führt zu
der in Abb. 2.11 dargestellten Topologie von Flip-Chip-Verbindungen.
Gegenüber der Drahtbondtechnik weist die Flip-Chip-Technik wesentliche
technische Vorteile auf, welche ihr für die zukünftige Entwicklung elektronischer
Aufbauten einen Vorzug einräumen. Zu diesen Vorteilen zählen die Möglichkeit,
höhere Anschlusszahlen realisieren zu können (wie es für den Prozessorbereich
bereits notwendig ist), ihre besseren elektrischen Eigenschaften zur Erzielung guter
HF-Eigenschaften und niedrigere erreichbare Bauhöhen sowie geringere laterale
Abmessungen, was vor allem bei kleinen tragbaren Geräten, aber auch bei Spei-
cherriegeln und Smart-Cards von Bedeutung ist.
Anders als aus den derzeit die technologische Ausrichtung bestimmenden Vor-
zügen ersichtlich, waren die Gründe, die zur Entwicklung der Flip-Chip-Technik
führten, zunächst andere. Die erste großtechnische Anwendung der Flip-Chip-
2.3 Architektur elektronischer Aufbauten 37

Chip Raster
DO

RM
Spalt HSpalt
Lotkontakt

Lotstop HLotstop

Leitbahn HLeitbahn

Substrat

Abb. 2.11 Flip-Chip-Verbindungen mit den entsprechenden geometrischen Bezügen

Technik begann im Jahr 1964. Damals wurden Logikbausteine für den IBM Sys-
tem/360 gefertigt. Dafür wurden Halbleiterbauelemente in Flip-Chip-Technik auf
Al2O3-Keramik gefügt. Zu diesem Zeitpunkt erwies sich die eingeführte Flip-
Chip-Technik als wesentlich zuverlässiger als die damals bestehende manuelle
Drahtbondtechnik, welche vor allem mit Problemen wie Whiskerbildung und Pur-
purpest zu kämpfen hatte. Auch unter ökonomischen Aspekten hatte die Flip-Chip-
Technik keinen Nachteil gegenüber der Drahtbondtechnik, da der Lotbump auf-
grund seiner rein vakuumtechnischen Herstellung ein integraler Bestandteil der
hermetischen Versiegelung der Waferoberfläche durch die Glaspassivierung war
(vgl. Abb. 2.12). Die meisten über Drahtbondtechnik montierten Halbleiterbauele-
mente hatten demgegenüber sehr aufwendige hermetische Metallkappengehäuse
mit Glasdurchführungen. Zu dieser Zeit wurden selbst diskrete Transistoren und
Dioden auf keramischen Hybridträgern in Flip-Chip-Technik montiert, da hier-
durch Überschläge und Kurzschlüsse zwischen den ungeschützten Chipkanten und
freiliegenden Dickfilmanschlussflächen vermieden werden konnten. Mit den Fort-
schritten in der Drahtbondtechnik und der Einführung kostengünstiger nichtherme-
tischer organischer Gehäuse für Halbleiterbauelemente trat die Flip-Chip-Technik
immer weiter in den Hintergrund. Anwendung fand sie vor allem in Nischenpro-
dukten, wie den TC-Modulen (Thermal Conduction Module) von IBM, welche für
die Realisierung leistungsstarker Prozessoren über eine Multichiptechnik verwen-
det wurden.
Ihre Renaissance erlebte die Flip-Chip-Technik Anfang der 90er Jahre. Hierfür
waren zwei Schlüsselentwicklungen ausschlaggebend - kostengünstige Prozesse
zur Bumperzeugung und die Einführung des Unterfüllungsprozesses. Nasschemi-
sche Prozesse oder gar Siebdruck wurden für die Fertigung von Wafern lange Zeit
nicht in Betracht gezogen, da der grundsätzliche Einwand bestand, dass diese Pro-
zesse zu viele Verschmutzungen auf die Waferoberfläche bringen würden, welche
38 2 Untersuchungsgegenstand

Kurzschluss
Ni (stromlos 1,25µm)
Au (stromlos 0,25µm) Si
Cu
Lot

Problem: Kurzschluss an der Chipkante


Sn Au (0,1µm)
Pb Cu (0,5µm)
Cr+Cu
Glas Cr (0,15µm)
Al-Si

Lot Cu

Lösung A: Stand-Off durch Kupferkugel

Ni
Ni-Sn (intermetallisch)
Pb-Sn-Lot Cu
Cu-Sn (intermetallisch)
Cr+Cu
Glas Cr
Lot Glas Lot
Al-Si

Lösung B: kontrolliertes Kollabieren des Lot-Bumps

Abb. 2.12 Verschiedene Bumpingtechniken der Flip-Chip-Entwicklung (adaptiert aus [85])

langfristig zu Kennliniendegradationen der Bauelemente führten. Die Entwicklung


leistungsfähiger Passivierungen und Barrieren ermöglichte später jedoch die Ein-
führung dieser Prozesse in die Waferbearbeitung. Die beiden wichtigsten Prozesse
zur Herstellung von Lotbumps sind die chemische Abscheidung einer NiAu-Unter-
bumpmetallisierung mit anschließendem Lotpastendruck und die galvanische
Abscheidung einer Cu/Ni-Unterbumpmetallisierung mit galvanischer Lotabschei-
dung. Beide Prozesse führen zu einem unterschiedlichen Aufbau einer Flip-Chip-
Verbindung, welche in Abb. 2.13 dargestellt ist.
Die stark unterschiedlichen thermischen Ausdehnungskoeffizienten zwischen
Silizium und organischen Trägermaterialien verhinderten lange Zeit aus thermo-

Lot Lot

Cu 7µm Passivierung
WTi 50nm Ni
AlSi1
Oxid Passivierung Oxid AlSi1

Si Si

a) b)

Abb. 2.13 Vergleich: Aufbau galvanisch abgeschiedener Flip-Chip-Bumps auf a) Cu-UBM und
b) gedruckter FC-Bumps auf Ni-Au UBM
2.3 Architektur elektronischer Aufbauten 39

a) b)

Abb. 2.14 Reduzierung der thermisch-mechnisch bedingten Scherung von Flip-Chip-Kontakten


durch den Einsatz eines Unterfüllungsmaterials (engl. Underfill): a) Flip-Chip-Aufbau ohne Unter-
füllungsmaterial, b) Flip-Chip-Aufbau mit Unterfüllungsmaterial

mechanischen Gründen eine Anwendung auf diesen kostengünstigen Trägern.


Damit blieb der Flip-Chip-Technik nur der kostenintensivere Bereich der kerami-
schen Träger vorbehalten [90].
Erst durch die Einführung eines Unterfüllungsprozesses (engl. Underfilling)
gelang es Ende der 80er Jahre, der Flip-Chip-Technik eine mit anderen Verbin-
dungstechniken vergleichbare Zuverlässigkeit zu verleihen. Der Unterfüllungspro-
zess erfolgt, nachdem der Siliziumchip mit der aktiven Seite gegen das Substrat
gebondet wurde. Hierbei wird unter Nutzung von Kapillarkräften ein Polymerma-
terial in den dünnen Spalt (h = 30 ... 100 μm) zwischen Chip und Substrat einge-
bracht, welches am Ende dieses Prozessschrittes die gesamte Fläche unter dem
montierten Chip ausfüllt - daher auch der Name "Unterfüllungsprozess". Die
Absicht des Unterfüllens von Flip-Chip-Verbunden besteht in der Schaffung einer
ganzflächigen Klebeverbindung zwischen Chip und Substrat. Dadurch werden
Chip und Substrat zu einem Bimaterialverbund vereint. Der Vorzug dieses gegen-
über dem nicht unterfüllten Flip-Chip-Verbund sehr steifen Bimaterialverbundes
bei Temperaturwechseln ist in Abb. 2.14 dargestellt. Anstelle der nahezu freien,
entkoppelten thermischen Dehnung von Chip und Substrat beim nicht unterfüllten
FC-Verbund, welcher eine große Scherung im FC-Kontakt erzeugt, kommt es bei
Temperaturveränderungen zu einer Verwölbung des unterfüllten FC-Verbundes.
Durch diese Verwölbung wird die Scherung in den FC-Kontakten erheblich redu-
ziert und damit die Zuverlässigkeit des gesamten Aufbaus gesteigert.

2.3.2.4 Trägerfilmtechnik

Für die Trägerfilmtechnik existieren verschiedene Namen. Am weitesten ver-


breitet ist TAB, welches vom französischen „Transfert Automatique sur Bande“
abgeleitet ist. In Japan wird auch der Begriff Tape-Carrier-Package (TCP) verwen-
det.
Die Grundidee der Trägerfilmtechnik ist es, zur Kontaktierung der Anschlüsse
auf dem Halbleiterbauelement ein Folienmaterial zu verwenden, auf dem sich, ähn-
lich wie auf einer flexiblen Leiterplatte, strukturierte Leitbahnen befinden. Diese
Leitbahnen liegen in einem ausgesparten Innenbereich sowie im Außenbereich
40 2 Untersuchungsgegenstand

frei, sodass diese mit dem Halbleiterchip sowie mit einem Verdrahtungsträger ver-
bunden werden können. Zur Verbindung auf dem Halbleiterchip sind auf diesem
die Anschlusskontakte über metallische Festdepots (Au, Cu) deutlich über der Pas-
sivierungsoberfläche erhaben. Auf der Oberfläche der metallischen Festdepots
kann eine lötbare Schicht aus einer Sn-Legierung vorhanden sein. Die Kontaktie-
rung erfolgt in der Regel simultan durch Feinschweißen oder Löten. Nach der Kon-
taktierung der Halbleiterchips, welche in einem Rolle-zu-Rolle-Verfahren durch-
geführt wird, erfolgt die Herstellung der Außenverbindungen. Dazu wird der
Einzelträger aus der Trägerfolie ausgeschnitten und es werden gegebenenfalls die
äußeren Anschlussbahnen abgewinkelt. Die Außenkontakte der Leitbahnen kön-
nen über Löten oder Feinschweißen auf dem Verdrahtungsträger aufgebracht wer-
den (Abb. 2.15).
Die Entwicklung der Trägerfilmtechnik kam - wie die der Flip-Chip-Technik -
aufgrund der vielfältigen Probleme, welche mit der frühen Drahtbondtechnik ver-
bunden waren, zustande. Ziel war es, ein hochgradig automatisierbares Rolle-zu-
Rolle-Simultanbondverfahren zu entwickeln, welches aufgrund seiner Mechanisie-
rung bei in hohen Stückzahlen hergestellten Halbleiterbauelementen geringer
Anschlusszahlen zu geringeren Kosten als Drahtbonden führen würde [91]. Dieses
Ziel wurde durch die Trägerfilmtechnik bis etwa Ende der achtziger Jahre erreicht,
bis sich auch für die Montage einfacher TTL-Schaltkreise Drahtbonden als die
kostengünstigere Technik herausstellte. Der Trägerfilmtechnik kam zunächst große
Bedeutung bei der Realisierung von Workstations und Supercomputern zu, da sich
auf dem Folienmaterial sehr enge Rastermaße realisieren ließen [92]. Allerdings

einlagiger Trägerstreifen

Bump Anschlussbeinchen
Kunststoffrahmen
Chip
Außenkontakt

Innenkontakt
zweilagiger Trägerstreifen
Anschlussbeinchen
Bump Chip
Kunststoffrahmen
Bump
Anschlussbeinchen
Chip
b)

zweilagiger Trägerstreifen

Klebstoffschicht
Bump Kunststoffrahmen
Anschlussbeinchen
Chip

a)

Abb. 2.15 Trägerfilmtechnik (schematisch): a) unterschiedliche Ausführung des Trägerstreifens,


b) vierseitige Kontaktierung des Halbleiterchips
2.3 Architektur elektronischer Aufbauten 41

war die Anwendung der Technik auf Anschlusszahlen von weniger als 1000
Anschlüsse beschränkt [93]. Auch bei der Einführung flächenkontaktierbarer Bau-
elemente, wie BGA und CSP, kam die Trägerfilmtechnik zur Realisierung der
ersten Verbindungsebene sehr stark zum Einsatz [94]. Allerdings weist die Flip-
Chip-Technik auf lange Sicht in diesen Anwendungen die besseren elektrischen
Eigenschaften sowie die Realisierung höchster Anschlusszahlen auf. Ihre Vorteile
wird die Trägerfilmtechnik überall dort behalten, wo ohnehin flexible Leiterplatten
als Verdrahtungsträger zum Einsatz kommen, wie z. B. bei Uhren, Druckköpfen,
Taschenrechnern, Kameras, Hörgeräten, Smart-Cards usw.usf.

2.3.3 Zweite Verbindungsebene

2.3.3.1 Entwicklung und Aufgaben der zweiten Verbindungsebene

Die zweite Verbindungsebene war bezüglich ihres Aussehens und der durch sie
zu übernehmenden Funktionen verschiedenen Wandlungen unterzogen. Bis in die
sechziger Jahre hinein wurden Schaltelemente über Röhren und Relais realisiert,
welche zunächst durch Drähte untereinander verbunden wurden. Diese Verdrah-
tung wurde in verschiedenen Varianten, z. B. als Mattenverdrahtung, geschriebene
Blankverdrahtung oder Wirewrapverdrahtung, ausgeführt und in einem Gestell
(bzw. Rahmen) aufgebaut, durch das die geometrische Anordnung und mechani-
sche Befestigung von Bauelementen und Drähten erfolgte [93].
Durch die Einführung der Leiterplatte Anfang der fünfziger Jahre wurde dann
eine Verdrahtungstechnik realisiert, welche die mechanische Befestigung und geo-
metrische Anordnung der Bauelemente sowie die Herstellung der elektrischen Ver-
bindungen zwischen ihnen in einer konstruktiven Einheit verband. Sie ermöglichte
die Herstellung von Schaltungsverdrahtungen mit reproduzierbaren Eigenschaften
und schuf die Grundlage für eine wirtschaftliche automatisierte Fertigung [67, 93].
Zur Bauelementemontage wurde eine Durchstecktechnik verwendet, welche den
Vorteil einer Lagesicherung des Bauelementes vor dem Anlöten hatte. Dazu waren
Löcher in die Leiterplatte eingebracht, welche später metallisiert wurden, um
Durchkontaktierungen in Zwei- und Mehrebenenleiterplatten zu realisieren. Durch
Mehrebenenleiterplatten konnten komplexere Verdrahtungen ermöglicht werden,
um den mit der Einführung integrierter Schaltkreise gestiegenen Anforderungen
nach höheren Packungsdichten gerecht zu werden. Die in den siebziger Jahren ein-
setzende zunehmende Verwendung integrierter Schaltkreise führte zur Verdrän-
gung schwerer, voluminöser Bauelemente, z. B. Relais, aus der Schaltungstechnik.
Bedingt durch die gleichzeitige Notwendigkeit, immer höhere Packungsdichten auf
einem Verdrahtungsträger zu erreichen, wurde die bisherige Durchstecktechnik in
den achtziger Jahren durch eine Oberflächenmontage- bzw. Aufsetztechnik (engl.
Surface Mount Technology = SMT) ersetzt. Die Funktion der mechanischen Fixie-
rung der Bauelemente wurde nun vollständig durch den Lotkontakt übernommen.
42 2 Untersuchungsgegenstand

a) b)

c) d)

Abb. 2.16 Evolution der zweiten Verbindungsebene:a) Durchstecktechnik (THT) auf einseitig
metallisierten Verdrahtungsträgern, b) Durchstecktechnik auf Mehrlagenverdrahtungsträgern
(Multilayer), c) Oberflächenmontagetechnik (SMT) auf Mehrlagenverdrahtungsträgern, d)
flächenhafte Anschlussmontage (Area Array) auf hochdichten Mehrlagenverdrahtungsträgern
(HDI)

Dies setzte nicht nur leichte Bauelemente voraus, sondern auch eine entsprechende
Gestaltung ihrer Anschlussflächen. Diese mussten - vor allem bei mehrpoligen
Bauelementen - über eine ausreichende Planarität und Kontaktfläche verfügen. Die
Größe der Kontaktfläche war aus zwei Gründen entscheidend. Zum einen sorgte
sie für eine ausreichende Haltekraft für das Bauelement nach dem Löten, zum
anderen erhöhten größere Flächen die Benetzungskraft während des Lötvorganges,
wodurch es zu einer nachträglichen Ausrichtung lageabweichend aufgesetzter Bau-
elemente während des Lötvorgangs kommt. Vor allem bei der Bewältigung sehr
enger Anschlussraster hatte dies sehr positive Auswirkungen bezüglich der Auf-
setzgenauigkeit von Bestückautomaten. Die vollständige Automatisierung der
Bestückung war ein weiterer wichtiger Aspekt, welcher mit der Herausbildung der
Oberflächenmontagetechnik einherging. Die automatische Bestückung war zwar
mit der Durchstecktechnik möglich, allerdings war der Prozessablauf komplizierter
und weniger produktiv.
Die weitere technische Entwicklung der integrierten Schaltkreise führte zu einer
Erhöhung der Anschlusszahlen und Schaltfrequenzen, welche durch die bisherigen
Konzepte für Bauelementeformen nicht mehr zu bewältigen waren. Aus diesem
Grund kam es Ende der achtziger und Anfang der neunziger zu zwei wichtigen
Entwicklungen bei den Bauelementeformen - den Multichipmodulen (engl. Multi-
2.3 Architektur elektronischer Aufbauten 43

Drahtbondverbindung
Leistungshalbleiter
Lotverbindung
Kupfer (DBC)

Keramiksubstrat (DBC)

Kupfer (DBC)
Klebstoffverbindung

Kühlkörper

Abb. 2.17 Realisierung der zweiten Verbindungsebene durch keramische Verdrahtungsträger zur
Fertigung von Baugruppen für höhere Betriebstemperaturen: Leistungshalbleiter auf DBC-
Substrat (direct bonded copper), welches auf einen Kühlkörper montiert ist

chip Module = MCM) und den flächenkontaktierbaren Bauelementen (engl. Area


Array Components). Die Idee der Multichipmodule besteht darin, einen Zwischen-
verdrahtungsträger einzusetzen, auf dem mehrere Halbleiterchips zunächst unter-
einander verbunden werden und von dem Bauelementekontakte zur eigentlichen
zweiten Verbindungsebene abgehen. Aufgrund der besonderen Beschaffenheit des
Zwischenverdrahtungsträgers sowie der räumlichen Nähe der Halbleiterchips sind
auf diesem Träger höhere Schaltfrequenzen als auf einem außerhalb des Bauele-
mentegehäuses liegenden Verdrahtungsträger möglich. Die mit den Multichipmo-
dulen verbundene Entwicklung von Zwischenverdrahtungsträgern erleichterte
gleichzeitig die Entwicklung gehäuster flächenkontaktierbarer Bauelementeformen
zur Erzielung hoher Anschlusszahlen. Vor der Entwicklung der hauptsächlich
unter der Bezeichnung Ball-Grid-Array (BGA) und Chip-Scale-Package (CSP)
bekannten Bauelementeformen waren flächenhafte Kontaktierungen höchstpoliger
Bauelemente nur über eine Flip-Chip-Montage möglich, welche allerdings den
Nachteil sehr feiner Anschlussraster und die Problematik der Nacktchipmontage
nach sich zog. Auf Verdrahtungsträgerseite wurde die Einführung hochpoliger
Bauelementeformen durch die Entwicklung von HDI-Leiterplatten (HDI = High-
Density-Interconnect) begleitet, welche sich in ihrer Grundstruktur jedoch nicht
von Mehrlagenleiterplatten unterscheiden (Abb. 2.16).
Auf Mehrebenenleiterplatten aufgelötete Bauelemente bilden die Hauptrealisie-
rungsvariante für die zweite Verbindungsebene. Jedoch existieren für bestimmte
Anwendungsfälle auch alternative Realisierungen. Die wichtigste Alternativvari-
ante besteht in der auf keramischen Substraten angewendeten Dickschichttechnik.
Bei Verwendung der Dickschichttechnik können passive Bauelemente, wie Wider-
44 2 Untersuchungsgegenstand

Abb. 2.18 Nischenvarianten der zweiten Verbindungsebene: Flexible Leiterplatten zur Reali-
sierung gebogener vieladriger Verbindungen auf einer Druckerpatrone und an einem Verbindungs-
stecker einer Festplatte

stände oder Kondensatoren, direkt gedruckt werden. Halbleiterbauelemente kön-


nen durch Löten, Kleben oder Drahtbonden auf den Dickschichtschaltungen mon-
tiert werden. Aufgrund der guten Temperaturbeständigkeit werden
Dickschichtschaltungen z. B. in der Kfz-Elekronik eingesetzt (Abb. 2.17). Andere
Varianten der Verbindungstechnik der zweiten Ebene betreffen den Träger, z. B.
durch Verwendung von flexiblen Leiterplatten oder dreidimensionalen MID-Sub-
straten (MID = Mould-Injection-Devices, d. h. thermoplastische Spritzgußmasse
wird als Träger verwendet), oder sie betreffen die Verbindungstechnik, z. B. Leit-
kleben statt Löten (Abb. 2.18).
Die Vielfalt der Realisierungsvarianten entspricht den sehr unterschiedlichen
Aufgabenstellungen, welche durch die zweite Verbindungsebene zu bewältigen
sind. Im Gegensatz zu den Aufgaben der ersten Ebene werden diese viel stärker
von der Anwendung vorgegeben. Zu den beiden Grundaufgaben zählen die mecha-
nische Fixierung der Bauelemente und die Verdrahtung der Bauelementean-
schlüsse. Letztere Aufgabe besteht dabei aus vielen Teilaspekten, wie der Gewähr-
leistung stabiler Energieversorgung, Gewährleistung einer integeren
Signalübertragung (d. h. Flankenzeiten, Signalstörungen durch Reflexionen),
Berücksichtigung der Entstehung von Rauschsignalen, Signaleinkopplungen, Lei-
tungsimpendanzen, Anpassung von Leitungsquerschnitten und Leitungsabständen,
Erfüllung von EMV-Anforderungen (d. h. Gewährleistung der Störfestigkeit, Mini-
mierung der Störsendung), dem Bereitstellen großer Betriebsspannungs- und Mas-
seflächen zur Minimierung von Versorgungsspannungsschwankungen bei exzessi-
ven Schaltvorgängen. Neben diesen Grundaufgaben sind in Abhängigkeit von der
Anwendung auch weitere Aufgaben, wie Wärmeabführung, Aufnahme voluminö-
ser, schwerer Bauelemente oder die Bereitstellung besonderer Funktionselemente,
zu bewältigen. Die Aufgabe der Wärmeabführung wird über die Bereitstellung von
Kühlflächen, thermischen Vias (d. h. vertikale Strukturen zur Wärmeleitung) oder
durch die geeignete Montage von oder an Kühlkörpern erreicht. Zu den typischen
voluminösen bzw. schweren Bauelementen, welche durch die zweite Verbindungs-
2.3 Architektur elektronischer Aufbauten 45

ebene aufgenommen werden müssen, zählen beispielsweise große Elektrolytkon-


densatoren, Leistungswiderstände, Stecker, Relais oder Transformatoren, welche
in der Regel in Durchstecktechnik montiert werden. Besondere Funktionselemente
umfassen beispielsweise Antennen oder die Kontaktflächen von Tastern, welche
direkt durch Verdrahtungsträgerstrukturen bereitgestellt werden.
Die Vielfalt von spezifischen Aufgaben, welche durch die zweite Verbindungs-
ebene erfüllt werden, führen auch zu einer Vielfalt von Bauelemente-, Verdrah-
tungsträger- und Verbindungsformen. Aus diesem Grund richtet sich die Beschrei-
bung von Verdrahtungsträgern und Bauelementeformen der zweiten
Verbindungsebene nach der Erfüllung der genannten Grundaufgaben.

2.3.3.2 Verdrahtungsträger

Verdrahtungsträger bestehen aus einem elektrisch isolierenden Trägermaterial,


auf dem Leiterzüge zur Verdrahtung der einzelnen Bauelemente aufgebracht sind.
Für verschiedene Anwendungen und Anforderungen existieren verschiedene Arten
von Verdrahtungsträgern, welche jedoch das gleiche Grundkonzept besitzen. Ver-
drahtungsträger werden vor allem nach dem Trägermaterial, der mechanischen Fle-
xibilität des Trägers, nach der Anzahl der Lagen und nach der Leiterzugdichte
unterschieden. Die Unterscheidung nach dem Trägermaterial ist dabei die wich-
tigste in Bezug auf das mechanische Verhalten von Verdrahtungsträgern. Träger-
materialien werden dabei grundsätzlich in organische und keramische Träger
unterteilt, wobei die organischen wiederum in starre und flexible Träger unter-
schieden werden. Im Gegensatz zu den flexiblen sind starre Träger Verbundmate-
rialien, welche aus einer steiferen Armierung und einem dieses umschließendes
Harzsystem bestehen. Zusätzlich können noch weitere dünne Polymerschichten zur
Realisierung hochdichter Verdrahtungen aufgebracht sein. Als Armierungsmate-
rialien werden u. a. Hartpapiere, Glasvliese und -gewebe, Aramidvliese und -
gewebe als auch PTFE-Gewebe eingesetzt. Übliche Harzsysteme sind Phenol-
harze, Polyesterharze, Epoxidharze, Bismaleinimid/Triazin-Harze, Cyanatester-
harze und PTFE [66, 68, 95].
Organische Träger sind sehr kostengünstig und erlauben aufgrund ihrer hohen
Risszähigkeit die Herstellung von großflächigen Trägern, wie z. B. Mutterplatinen
von Computern. Überdies besitzen sie gute mechanische Dämpfungseigenschaften
und reduzieren effektiv die Einleitung mechanischer Stöße bzw. Vibrationen.
Nachteilig ist die niedrige Glastemperatur einiger organischer Trägermaterialien,
die bei Hochtemperaturanwendungen durchaus im Betriebstemperaturbereich lie-
gen kann.
Die Leiterzüge bestehen in der Regel aus Kupfer, welches an seiner Oberfläche
zur besseren Kontaktierbarkeit mit einer Beschichtung versehen sein kann. Typi-
sche Beschichtungen sind NiAg, Sn und OSP (Polymerbeschichtung). Für den
Aufbau starrer organischer Verdrahtungsträger existieren verschiedene Aufbauva-
rianten. Zu den klassischen Varianten zählen dabei die in Abb. 2.19 dargestellten
46 2 Untersuchungsgegenstand

Einebenenleiterplatte
Kupferleitbahn
Basismaterial

undurchkontaktierte Zweiebenenleiterplatte

nicht durchkontaktierte
Bohrung

durchkontaktierte Zweiebenenleiterplatte

durchkontaktierte
Bohrung

Mehrlagenleiterplatte

Abb. 2.19 Aufbauvarianten starrer organischer Verdrahtungsträger

Aufbauten der einseitigen Leiterplatte, der doppelseitigen Leiterplatte mit und


ohne Durchkontaktierung und der mehrlagigen durchkontaktierten Leiterplatte.
Komplizierter als die Darstellung klassischer Aufbauvarianten von starren orga-
nischen Verdrahtungsträgern gestaltet sich die strukturelle Beschreibung moderner
hochdichter Verdrahtungsträger, sogenannter HDI-Leiterplatten (HDI = High-Den-
sity-Interconnect). Die Notwendigkeit zur Entwicklung hochdichter Verdrahtungs-
träger ergab sich aus der Anschlusszahlentwicklung und der aus ihr folgenden Ein-
führung von Bauelementen mit flächenhaften Anschlusskontakten. Die hohe
Kontaktdichte dieser Bauelemente war mit herkömmlichen Aufbauvarianten von
Verdrahtungsträgern nicht mehr zu entflechten. Hinzu kamen erhöhte Anforderun-
gen bezüglich der HF- und EMV-Eigenschaften der Verdrahtungsträger. Schlüssel-
entwicklungen zur Realisierung solcher hochdichten Träger waren verbesserte
Methoden der Locherzeugung, wie Laserbohren, Plasmabohren oder -ätzen und
Mikrostanzen, neue Methoden zur Erzeugung additiver strukturierter Dielektrika
mit Hilfe photosensitiver Werkstoffe, neue Methoden zur Metallisierung der Vias
2.3 Architektur elektronischer Aufbauten 47

gefüllte Polyimidkern
Mikrovias
Hochtemperaturklebstoff
Polyimidkern

Polyimidkern

plasmageätztes Mikrovia

Standard FR-4
Leiterplattenaufbau

Standard FR-4
Leiterplattenaufbau
Umverdrahtungslagen (PERL )

mechanisch gebohrte Durchkontaktierung

Abb. 2.20 HDI-Aufbaustrukturen

über leitfähige Polymere oder Viafüllen. Einige Beispiele für Aufbauvarianten von
HDI-Leiterplatten sind in Abb. 2.20 gezeigt.
Flexible organische Verdrahtungsträger sind aus Polymerfolien aufgebaut, auf
denen sich analog zu starren organischen Verdrahtungsträgern Leiterzüge aus Kup-
fer mit entsprechenden Oberflächenbeschichtungen befinden. Typische Folienma-
terialien sind Polyester und Polyimid. Der Aufbau eines flexiblen organischen Trä-
gers ist in Abb. 2.21 gezeigt.
Organische Materialien besitzen den Nachteil, ihre mechanischen Trägereigen-
schaften bei hohen Betriebstemperaturen signifikant zu verändern. Aus diesem
Grund erweist sich für Anwendungen mit höheren Betriebstemperaturen der Ein-
satz keramischer Träger als vorteilhaft. Neben der Konstanz der mechanischen
Eigenschaften über den gesamten Temperaturbereich kommt bei diesen Trägerma-
terialien auch die Möglichkeit der Herstellung von Hybridschaltkreisen durch
Dickschichttechnik zum Tragen. Dies ermöglicht die integrierte Herstellung aller
passiven Bauelemente auf dem Trägermaterial, ohne dass störungsanfällige Löt-
oder Klebeverbindungen notwendig sind. Deshalb werden keramische Träger für
bestimmte Anwendungen, z. B. zur Realisierung hochstabiler analoger Sensoraus-
werteelektroniken, trotz ihres höheren Preises bevorzugt. Noch höheren Anforde-
rungen genügen keramische Trägermaterialien, wie bestimmte Gläser oder Sili-
zium. Auf ihnen lassen sich Dünnschichtstrukturen abscheiden, welche z. B. zur
Erzeugung von Verdrahtungsstrukturen für Hochfrequenzanwendungen geeignet
sind. Die Aufwendungen für solche Dünnschichtverdrahtungen sind jedoch so
hoch, dass sie nur als Nischenanwendungen zum Einsatz kommen. Klassische
keramische Trägermaterialien für den Bereich der Dickschichttechnik sind Alumi-
48 2 Untersuchungsgegenstand

a)

Chip Leitbahn

Lage 1

Lage 2 Durchkontaktierung

Lage 3

b) R, C, L

Abb. 2.21 Aufbaustruktur flexibler organischer Träger: a) klassischer ein- oder zweilagiger
Aufbau; b) zukünftiger funktioneller mehrlagiger Aufbau

niumoxid, Berylliumoxid und Aluminiumnitrid. Die Erzeugung von Leitbahn-


strukturen und Strukturen für passive Bauelemente erfolgt durch den Druck ver-
schiedener Pasten. In der Regel muss jede Paste dabei einzeln gedruckt, getrocknet
und gebrannt werden. Zur Erzeugung komplizierter Verdrahtungen existieren eine
Mehrebenen- und eine Mehrlagentechnik. Bei der Mehrebenentechnik werden
mehrere Leitebenen erzeugt, welche durch eine Isolationsschicht voneinander
getrennt sind. Die Verbindung zwischen den Leitebenen wird durch Leitpastenfül-
len der Vias der Isolationsschicht erreicht. Bei der Mehrlagentechnik werden ein-
zelne Leitebenen auf jeweils gesonderten Substraten aus ungesinterter grüner Kera-
mik gedruckt. Anschließend werden diese einzelnen Substrate gestapelt und
gemeinsam gebrannt. Die Verbindung zwischen den Leitebenen erfolgt durch Fül-
lung gestanzter Vias der Einzelsubstrate. Der Aufbau keramischer Verdrahtungs-
träger ist in Abb. 2.22 gezeigt.

2.3.3.3 Bauelementeformen von integrierten Schaltkreisen

Bauelementeformen für integrierte Schaltkreise werden in der Regel nach ihrem


äußeren Erscheinungsbild eingeteilt, welches vor allem Informationen über
Anschlusszahl, Rastermaß und Anschlussanordnung enthält. Für die Beschreibung
des mechanischen Verhaltens dieser Bauelementeformen ist jedoch der innere Auf-
bau dieser Bauelemente entscheidend, da dieser das thermisch-mechanische Ver-
halten dieser Bauelemente bestimmt. Bezogen auf dieses Kriterium unterteilen sich
Bauelementeformen integrierter Schaltkreise in Trägerstreifenbauelemente und in
Bauformen mit Zwischenverdrahtungsträger.
2.3 Architektur elektronischer Aufbauten 49

a)

b) c)

Abb. 2.22 Aufbaustruktur keramischer Verdrahtungsträger: a) Multilayeraufbau in Mehrschicht-


technik, b) Durchkontaktierung durch eine Mehrlagen-LTCC-Keramik, c) Lötstelle (SnAg-Lot auf
Ag-Leitbahn) eines aufgesetzten Chipwiderstandes

Trägerstreifenbauelemente sind die klassischen Bauformen mit peripheren


Anschlüssen, wie DIP, SOP (TSOP), PLCC und QFP (TQFP). Hierbei wird der
Halbleiterchip mit seiner Rückseite auf einen Trägerstreifen montiert und die Chip-
anschlüsse über Drahtbonden mit den Anschlussbeinchen des Trägerstreifens ver-
bunden. Zur Verkapselung werden Trägerstreifen und Halbleiterbauelement mit
einer Polymermasse umspritzt. In der Anfangszeit erfolgte die Montage des Halb-
leiterchips auf dem Trägerstreifen durch eutektisches Au-Si Bonden. Deshalb war
es notwendig, den thermischen Ausdehnungskoeffizienten des Trägerstreifens an
den des Si-Chips anzupassen, wofür die unter dem Namen Kovar bekannte
FeNiCo-Legierung als Trägerstreifenmaterial verwendet wurde. Später erfolgte die
Chipmontage über elastische Klebeverbindungen, sodass Kupfer als Trägerstrei-
50 2 Untersuchungsgegenstand

DIP PLCC TSOP PQFP

a) b) c) d)

Abb. 2.23 Trägerstreifenbauformen: a) mit geraden Durchsteckstiften (DIP = Dual Inline


Package), b) mit nach innen gebogenen J-Leads (PLCC = Plastic Leaded Chip Carrier ), c, d) mit
nach außen gebogenen Gull-Wings (TSOP = Thin Small Outline Package, (PQFP = Plastic Quad
Flatpak)

fenmaterial eingesetzt werden konnte, welches später zum Teil durch Alloy42
(FeNi-Legierung) ersetzt wurde. Für die Ausformung der Anschlussbeine wurden
drei verschiedene Varianten verwendet - gerade Stifte für die Durchsteckmontage
und J-Leads sowie Gull-Wings für die Oberflächenmontage. Beispiele für wichtige
Aufbauvarianten von Trägerstreifenbauformen sind in Abb. 2.23 gezeigt
Trägerstreifenbauelemente erlauben nur eine periphere Anordnung der
Anschlüsse entlang der Kanten des Bauelementes. Dieses führte durch die ständige
Erhöhung der Integrationsdichten in Halbleiterbauelementen zu Problemen bei der
Beherrschbarkeit der Anschlusszahlen. Eine Methode, die Zahl der Ein- und Aus-
gänge N p auf einem Chip abzuschätzen, welcher eine bestimmte Anzahl Gatter
N g besitzt, besteht in der folgenden als Rent’sche Regel bekannten Beziehung:

n
N p = K ⋅ Ng , (2.1)

Tabelle 2.1 Parameter der Rent’schen Regel [96]

Baustein n K

Statischer Speicher 0,12 6

Mikroprozessor 0,45 0,82

Gate Array 0,50 1,9

Hochleistungsrechner
Chip und Modul 0,63 1,4
Board und System 0,25 82
2.3 Architektur elektronischer Aufbauten 51

wobei K und n empirische Konstanten sind, welche von der Art der Schalt-
kreise abhängen und für die Beispiele in Tabelle 2.1 gegeben sind. Dieser 1969 von
E. Rent empirisch gefundene Zusammenhang stellt eine wichtige Grundlage für
das Verständnis der Entwicklung von Ein- und Ausgangsleitungen bei Logik-
schaltkreisen dar. Da durch höhere Integration und höhere Taktfrequenzen auch die
Verlustleistung der Schaltkreise zunimmt, steigen auch die Anschlusszahlen für die
Versorgungsleitungen. Unter der Annahme, dass aus verschiedenen Gründen, wie
z. B. der Elektromigrationsfestigkeit, die Lastgrenze pro Anschluss bei 200 mA
liegt, ergibt sich folgende Beziehung für die Abschätzung der notwendigen Versor-
gungsanschlüsse N s pro Schaltkreis [97]:

Ps [ W ]
N s = 10 ⋅ --------------- , (2.2)
Vs [ V ]

wobei P s die Verlustleistung und V s die Versorgungsspannung des Schaltkrei-


ses sind. Zukünftige Schaltkreise werden daher über die gleiche Anzahl von Ver-
sorgungsleitungen und Ein- und Ausgängen verfügen. Durch steigende Leistungs-
aufnahme und hohe Taktfrequenzen kam zusätzlich die Forderung nach Senkung
von Induktivitäten der Anschlussleitungen auf, um das Entstehen starker Störim-
pulse an den Anschlüssen zu verhindern. Unter Berücksichtigung all dieser Fakto-
ren stellte sich die Frage nach den maximal auf einem Chip platzierbaren
Anschlüssen. Diese kann aus sehr einfachen geometrischen Überlegungen beant-
wortet werden. Für ein quadratisches Bauelement ergibt sich die maximale
Anschlusszahl M p bei peripherer Kontaktanordnung aus

X
M p = 4 §© --- – 1·¹ , (2.3)
p

und die maximale Anschlusszahl M a bei matrixförmiger Anordnung aus

2
Ma = § X
--- – 1· , (2.4)
©p ¹

wobei X einer Kantenlänge des Bauelements und p dem Kontaktraster ent-


spricht [68]. Aus dem Vergleich der Gleichungen (2.3) und (2.4) geht hervor, dass
Bauelementeformen mit matrixförmiger (= flächenhafter) Kontaktanordnung bei
größer werdenden Bauelementeabmaßen X oder bei kleiner werdendem Kontakt-
raster p wesentlich mehr Anschlusskontakte zur Verfügung stellen können als
Bauelemente mit peripherer Anschlussanordnung (z. B. Trägerstreifenbauele-
mente).
52 2 Untersuchungsgegenstand

CPGA PBGA
Gehäusedeckel Chip Drahtbondverbindung organische Chip Drahtbondverbindung
(Metall) (erste Verbindungsebene) Spritzgusskappe (erste Verbindungsebene)

Keramikträger Glasdurchführung Anschlussstifte organischer Zwischenverdrahtungsträger Lotbälle

a) b)

Abb. 2.24 Bauformen mit flächenhafter Anschlussmontage: a) keramische Pin-Grid-Array-


Gehäusebauform (CPGA), b) organsiche Ball-Grid-Array-Bauform (PBGA)

Für die Realisierung von Bauelementeformen mit flächenhafter Anschlussan-


ordnung gibt es eine Reihe verschiedener Realisierungsvarianten. Ausgangspunkt
für die Entwicklung dieser Gehäusebauformen waren Ceramic-Pin-Grid-Arrays
(CPGA), eine Bauform, welche sich aus dem von IBM während der achtziger Jahre
entwickelten Multichipmodulen (MCM) abgeleitet hatte. Kernstück dieser Multi-
chipmodule war ein keramischer Zwischenverdrahtungsträger, der eine Dünn-
schichtmehrebenenverdrahtung enthielt und auf dem auf der einen Seite Si-Chips
über Flip-Chip-Technik montiert waren und auf der anderen Seite Pins zur Ein-
steckmontage abgingen [98]. Durchsteckkontakte machten jedoch die Vorteile zur
Erzielung höherer Integrationsdichten durch Flächenkontaktierung zunichte, da
zum einen ihr Rastermaß zunächst auf 2,54 mm begrenzt war und sie zum anderen
die Leitungsentflechtung unterhalb des Bauelementes in der Leiterplatte behinder-
ten [85]. Aus diesem Grund versuchte man, die Pins durch Lotkugeln zu ersetzen
[99]. Diese Substitution führte zum Ceramic-Ball-Grid-Array (CBGA), einer
SMT-kompatiblen Bauelementeform [100, 101]. Zur Erhöhung der Zuverlässigkeit
wurde aus dieser Bauform der Ceramic-Column-Grid-Array (CCGA) entwickelt,
bei welchem die Lotkugeln durch hochschmelzende (Pb90Sn10) Lotsäulen ersetzt
wurden. Durch Verbesserungen bei der Verdrahtungsdichte auf starren organi-
schen Trägern (vgl. 2.3.3.2) sowie die Einführung eines Unterfüllungswerkstoffes
für die Flip-Chip-Technik (vgl. 2.3.2.3) konnten keramische durch starre organi-
2.3 Architektur elektronischer Aufbauten 53

Chip
Passivierungsschicht

Trägerstreifen

Chip
Ring
Elastomer Anschlussbeinchen
Flex Anschlussbumps

Chip
Lotbumps
Leiterplatte

Abb. 2.25 CSP-Bauformen mit peripherer und flächenhafter Anschlussmontage (Schnittdarstel-


lungen)

sche Zwischenverdrahtungsträger ersetzt werden. Aus diesen Entwicklungen ent-


stand der Plastic-Ball-Grid-Array (PBGA), in welchem zur Realisierung der Chip-
verbindungen neben der Flip-Chip-Technik auch die Drahtbondtechnik eingesetzt
wurde. Die Weiterentwicklung dieser Bauelementeform führte zum Chip-Scale-
Package (CSP) bzw. Fine-Pitch-Ball-Grid-Array (FBGA). Diese Bauformen zeich-
nen sich dadurch aus, dass die äußeren Abmessungen des gehäusten Halbleiterbau-
elementes die des Chips um höchstens 20% überragen. Zur Realisierung solcher
Bauformen wurden eine Reihe von Varianten entwickelt, von denen einige in
Abb. 2.25 dargestellt sind.

2.3.3.4 Formen passiver Bauelemente

Obwohl passive Bauelemente in der Regel als oberflächenmontierbare Bauele-


mente verarbeitet werden, ist es aufgrund von Größe und Gewicht einiger passiver
Bauelemente, z. B. Elektrolytkondensatoren, Leistungswiderstände, Spulen, not-
wendig, diese als Einsteckbauformen auszuführen, sodass über den Verdrahtungs-
träger ein Großteil der mechanischen Stabilisierung übernommen wird. Die Bau-
formen von Einsteckbauelementen sind aus mechanischer Sicht jedoch zumeist
ohne Belang, da der Hauptteil der thermischen Fehldehnungen über die
Anschlussstifte abgefangen wird. Bauformen oberflächenmontierbarer passiver
Bauelemente sind in der Regel quaderförmig oder zylindrisch. Tabelle 2.2 und
Abb. 2.26 enthalten die Abmaße der größeren quaderförmigen Bauformen von
54 2 Untersuchungsgegenstand

Widerständen und Kondensatoren, welche wegen ihrer relativ hohen absoluten


thermischen Fehldehnungen gegenüber organischen Verdrahtungsträgern mecha-
nisch kritisch sind.

Tabelle 2.2 Abmessungen von Chipwiderständen und Chipkondensatoren [102]

Bezeichnung Länge [mm] Breite [mm] Höhe [mm] Kontakttiefe [mm]

R1206 3,2 1,6 0,7 0,3

R1210 3,2 2,5 0,7 0,3

R2010 5,0 2,5 0,7 0,4

R2512 6,4 3,2 0,7 0,4

C1206 3,2 1,6 1,4 0,3

C1210 3,2 2,5 1,4 0,3

C1812 4,5 3,2 1,4 0,3

C1825 4,5 6,4 1,4 0,3

Neben den aufgeführten Keramikkondensatoren existieren auch Tantalkonden-


satoren als gepolte Kondensatoren mit hohen Kapazitätswerten für Stromversor-
gungsanwendungen. Diese besitzen jedoch einen anderen Aufbau mit nachgiebi-
gen Anschlussfahnen. Kritisch durch steifen Aufbau sind jedoch zylindrische
MELF-Bauformen. Diese besitzen für Widerstände und Kondensatoren einen
Durchmesser von 2,2 mm und eine Länge von 5 mm [103].

Schutzschicht
(Glas)
Widerstands-
Keramik Innere Elektrode element
(BaTiO3) (z.B. Ag/Pd; Ni/Cu)

Keramik
(Al2O3)
Anschlusselektrode
Substratelektrode Anschlusselektrode
(z.B. Ag; Cu) Substratelektrode
Nickelbarriere (Ag/Pd - min. 10µm)
Nickelbarriere
Äußere Elektrode (min. 2µm)
(z.B. Sn) Äußere Elektrode
(z.B. Sn - min. 2µm)

Abb. 2.26 Aufbau von SMD-Kondensatoren und SMD-Widerständen


2.3 Architektur elektronischer Aufbauten 55

2.3.4 Architekturentwicklung

Obwohl sich das Grundprinzip der Architektur elektronischer Aufbauten über


Dekaden scheinbar nicht geändert hat, ist die Argumentation, welche hinter diesem
Gestaltungsprinzip steht, starken Wandlungen unterzogen. Ausgangspunkt für die
Technologie- und Architekturentwicklung in der Aufbau- und Verbindungstechnik
der Elektronik war die Aufgabe, sehr komplexe Schaltungsanordnungen mit einer
unübersehbaren Anzahl an Bauelementen effektiv und rationell verdrahten zu kön-
nen. Die komplexesten Schaltungsanordnungen wurden dabei für die Herstellung
von Rechenanlagen benötigt. Zur Realisierung von Zentralrecheneinheiten (CPU)
mussten einige hunderttausend Einzelschaltungen miteinander verdrahtet werden,
welche selbst aus diskreten bzw. niedrigintegrierten Schaltkreisen aufgebaut waren
[104]. Die Erhöhung des Integrationsgrades bei den integrierten Schaltkreisen ver-
einfachte die Verdrahtungsaufgabe erheblich und verringerte die Anzahl der Ver-
bindungsebenen. Gleichzeitig vergrößerten sich aber auch die Integrationsdichte
auf dem Verdrahtungsträger und auch die Anschlusszahlen der integrierten Schalt-
kreise. Die ursprüngliche Verdrahtungsaufgabe, welche zum größten Teil durch die
Mehrebenenmetallisierung auf dem Halbleiterchip übernommen wurde, wandelte
sich in eine Integrationsaufgabe [65]. Auf der zweiten Verbindungsebene wurde
die Einstecktechnik durch die Oberflächenmontagetechnik abgelöst. Hierdurch
wurde eine Erhöhung der Verdrahtungsdichte durch Verkleinerung von Leitbahn-
abmessung, Einführung neuer Bauelementeformen mit engerem Raster sowie klei-
neren lateralen Abmessungen und eine Erhöhung von Lagenanzahlen des Verdrah-
tungsträgers möglich. Gleichzeitig entwickelte sich für den
anschlusszahlintensiven Logikbereich das Multichipmodul [85, 104]. Der für die
Multichipmodule eingesetzte Zwischenverdrahtungsträger stellte innerhalb des
Architekturprinzipes eine weitere Verdrahtungsebene dar, welche in ihrer Verdrah-
tungsdichte zwischen der Mehrebenenmetallisierung auf dem Chip und der Leiter-
platte lag. Zunächst wurde der Vorteil dieses Zwischenverdrahtungsträgers nur in
der Erhöhung der Integrationsdichte gesehen [98], bei den Nachfolgetypen der
ersten Multichipmodule wurden durch den Einsatz neuer Dielektrika sowie durch
spezielle Anordnungen entscheidende Fortschritte bei Signallaufzeiten und Wär-
meabführung erreicht [105-107]. Obwohl die Anwendung von Multichipmodulen
aufgrund der mit dem keramischen Träger verbundenen hohen Kosten auf den
Bereich von Hochleistungsrechnern beschränkt blieb [85, 108], begünstigte die mit
ihnen verbundene Technologieentwicklung bei den mehrlagigen Zwischenverdrah-
tungsträgern die Entwicklung neuer Bauformen für Halbleiterbauelemente, wie
den Ball-Grid-Arrays [101], welche durch ihre flächenhafte
Anschlusskontaktierung den inzwischen gewachsenen Anschlusszahlen gerecht
wurden. Die Kosten für diese zunächst auf keramischen Trägern (CBGA) realisier-
ten Bauformen [99] konnten später durch den Einsatz organischer Zwischenver-
drahtungsträger [109, 110] deutlich gesenkt werden. Trotz aller weiteren Innova-
tionen im Bereich Gehäusebauformen, wie z. B. der Einführung von Chip-Scale-
und Wafer-Level-Bauformen, gelang es nicht, die Kosten pro Anschluss im glei-
56 2 Untersuchungsgegenstand

chen Maße zu senken, in welchem die Anschlusszahlen von Halbleiterbauelemen-


ten stiegen [111]. Hält diese Entwicklung an, so kommt es zu einer signifikanten
Erhöhung der relativen Kosten für die Einzelhäusung von Halbleiterbauelementen,
sodass die Kosteneinsparungen, welche auf Halbleiterebene bei Einführung eines
neuen Technologieniveaus entstehen, sich nicht im gleichen Maße auf den Preis
des gehäusten Bauelementes niederschlagen. Gleichzeitig ergibt sich durch die
Steigerung der Integrationsdichte und der mit ihr verbundenen Anschlusszahlerhö-
hung bei einigen Typen von Schaltkreisen das Problem, dass der Platzbedarf, wel-
cher zur Anordnung der Anschlussflächen auf dem Chip notwendig ist, den der
integrierten Schaltung übersteigt [108], was zu einer uneffizienten und ökonomisch
nicht vertretbaren Nutzung der zu prozessierenden Siliziumfläche führen würde.
Beide Probleme stellen den Ausgangspunkt für das System-on-Chip-Konzept
(SoC) dar, welches die Systemintegration verschiedener, bisher einzeln gehäuster
Schaltungsteile, wie Logik, Speicher, Analog- oder HF-Schaltungen, auf einem
Chip zum Ziel hat. Dabei wird davon ausgegangen, dass die zusätzlichen Kosten,
welche durch die geringeren Prozessausbeuten bei der Halbleiterfertigung zustande
kommen, durch die Einsparungen bei der Bauelementehäusung mehr als kompen-
siert werden [108]. Auf lange Sicht sieht das System-on-Chip-Konzept die Integra-
tion aller Komponenten, also auch optoelektronischer Komponenten, Sensoren und
MEMS-Komponenten, auf einem Chip vor. Der Aufgabenbereich der Aufbau- und
Verbindungstechnik würde sich dann auf die Montage eines „System-Chips“ und
einiger wegen ihrer Größe nicht integrierbarer passiver Bauelemente beschränken
[112].

Tabelle 2.3 Dielektrische Eigenschaften von Isolations- und Substratmaterialien [113]

Material εr tan δ α
–6
[ 10 ⁄ K]

PTFE (60 GHz) 2,1 0,0001 100-120

PTFE mit Glasflies (10 GHz) 2,2 0,0009 12-16

FR-4 4,2-4,5 0,025 12-16

Getek 3,6-4,2 0,010-0,015 12-16

Al2O3 (96%) 9 0,0006 7

AlN 8-10 0,0007-0,002 4,5

SiC 40 0,05 3,7

Aufgrund der zunehmenden Bedeutung von drahtloser Kommunikation zwi-


schen elektronischen Geräten wird die System-on-Chip-Vision jedoch angezwei-
2.3 Architektur elektronischer Aufbauten 57

felt, da Si, so wie es heute in Standard-CMOS-Prozessen verwendet wird, kein


guter Substratwerkstoff zur Realisierung der für HF-Schaltungsteile notwendigen
Spulen, Kondensatoren und Filter ist. Die hervorragenden dielektrischen Eigen-
schaften keramischer und organischer Materialien (Tabelle 2.3) sind Ausgangs-
punkt für das System-on-Package-Konzept (SoP), welches der vom SoC-Konzept
getragenen Idee eines „System-Chips“ die eines „System-Boards“ entgegensetzt.
Das System-Board löst den klassischen Verdrahtungsträger der zweiten Verbin-
dungsebene ab und ist durch einen sehr komplizierten Schichtaufbau gekennzeich-
net. In den aus vielen unterschiedlichen Werkstoffen bestehenden Schichten sollen
die verschiedenen passiven Komponenten, Antennen, Filter, aber auch Lichtleiter
sowie Leitbahnen und Vias, für die Verdrahtung erzeugt werden, sodass auf dem
System-Board nur noch die hochdichte Montage von Halbleiterbauelementen
erfolgt. Das Konzept des System-Boards ist kein vollständiges Gegenkonzept zum
System-Chip, jedoch verneint es die vollkommene Systemintegration schwierig
miteinander prozessierbarer Systemkomponenten auf einem Chip [114]. Für die
Durchsetzung des SoC-Konzepts gibt es jedoch selbst bei unaufwendig miteinan-
der auf einem Halbleiterchip integrierbaren Schaltungsteilen bestimmte Grenzen,
da bei der Verkleinerung von Strukturen auf dem Halbleiterchip auch die Höhe und
Breite der Leitbahnen herunterskaliert wird. Dies führt wiederum zu einer Erhö-
hung des RC-Produktes, einer Verbindung zwischen zwei Schaltelementen, und
damit zur Erhöhung der Signallaufzeit. Da sich bei bestimmten Schaltkreisen, z. B.
Mikroprozessoren, die Chipflächen erhöhen, begrenzen die auf ihnen befindlichen
langen Leitbahnen die maximal erreichbare Taktfrequenz. Für dieses als Long-
3
Lossy-Lines ( L ) -Effekt bekannte Problem wurde in [115] errechnet, dass für eine
Strukturbreite von 0,5 μm eine außerhalb des Chips durch einen Zwischenverdrah-
tungsträger gezogene Leitung ab einer Länge von etwa L = 10 mm eine gerin-
gere Signalverzögerung auftritt als in einer auf dem Chip verlegten Leitung. Daher
ist eine Zerteilung großer Chips in einzelne Funktionseinheiten, welche über eine
Mehrlagendünnfilmverdrahtung auf einem Keramikträger untereinander verdrahtet
werden, von Vorteil. In [115] wird gezeigt, dass diese als Few-Chips-Module
(FCM) bezeichnete Lösung bei kostenintensiven Schaltkreisen (> 1000 $) gegen-
über einer in einer BGA-Bauform gehäusten Einzelchiplösung keine Kostennach-
teile besitzt.
Für kostengünstige Schaltkreise, welche aufgrund niedrigerer Anschlusszahlen
keiner hochdichten Verdrahtung auf einem Zwischenträger bedürfen, hat sich unter
der Bezeichnung System-in-Package (SiP) eine Aufbauvariante entwickelt, die ent-
weder gleichartige Schaltkreise (z.B. DRAMs) oder verschiedenartige Schaltkreise
(z. B. Prozessor, DRAM, Flash-Speicher) oder Schaltkreise mit diskreten aktiven
und passiven Komponenten auf einem Zwischenverdrahtungstäger integriert. Als
Zwischenverdrahtungsträger kommen dabei in der Regel die bereits für die BGA-
und CSP-Bauformen entwickelten Träger zum Einsatz, sodass SiP-Gehäuse von
außen denen der BGAs und CSPs gleichen. Im Unterschied zum klassischen MCM
werden die Chips im SiP nicht mehr lateral, sondern horizontal über eine Reihe
verschiedener Stapeltechniken angeordnet. Durch die Verwendung abgedünnter
58 2 Untersuchungsgegenstand

Einzelchips in Stapeln gelingt es, die Bauhöhen traditioneller Halbleiterbauformen


nicht zu überschreiten. Typische Beispiele für SiPs sind spannungsgesteuerte
Höchstfrequenzoszillatoren (UHVVCO) oder Synthesiser, wie sie in Mobiltelefo-
nen eingesetzt werden, welche auf einem Si/Polymer-Stapelzwischenverdrahtungs-
träger aufgebaut sind, ein Metallkappengehäuse besitzen und sich wie ein CSP ver-
arbeiten lassen [116]. Auch im Bereich der Speicherschaltkreise hat sich das SiP-
Konzept durchgesetzt, da es hierdurch gelingt, die Kapazität eines gehäusten Spei-
cherbausteins um das Vierfache zu steigern. Das SiP-Konzept begrenzt dass SoC-
Konzept von der Seite kostengünstiger Schaltkreise mit niedrigen Anschlusszah-
len, da es einfachere und damit schnellere Design-Verifikationen erlaubt, woraus
sich wesentlich kürzere Entwicklungszeiten und schnellere Produktzyklen ergeben
[114]. Neben diesem Time-to-Market-Aspekt besitzt SiP gegenüber den SoC-,
SoP- und FCM-Konzepten den technischen Vorteil der vertikalen Integration,
wodurch die lateralen Abmessungen eines SiP-Aufbaus unabhängig von der
Anzahl der integrierten Bauelemente etwa auf der eines Einzelchips gehalten wer-
den.
Die verschiedenen Konzepte, welche aus heutiger Sicht die Entwicklung des
Aufbaus elektronischer Geräte wesentlich bestimmen werden, haben sehr unter-
schiedliche Auswirkungen auf die Architekturentwicklung. Das SoC-Konzept
wirkt konservierend, da es die Anschlusszahlentwicklung einfriert und damit die
Entwicklung neuer Aufbauvarianten weitestgehend überflüssig macht. Die FCM-,
SiP- und SoP-Konzepte führen zu sehr grundsätzlichen Änderungen, da sie die
Anordnung und die Funktion der einzelnen Verbindungsebenen verändern. Beim
FCM-Konzept sind diese Änderungen am geringsten. Zwar wird ein Teil der Inte-
grationsaufgabe von der Mehrebenenmetallisierung auf dem Chip an den Zwi-
schenverdrahtungsträger des Bauelementegehäuses übergeben, jedoch würde auch
ein nicht zerteilter Chip im Gehäuse über einen Zwischenverdrahtungsträger verfü-
gen. Komplizierter gestaltet sich die Bewertung der Aufgaben des Zwischenver-
drahtungsträgers beim SiP-Konzept, da dieses von einfachen Verdrahtungsaufga-
ben bei Speicherchipstapeln bis hin zur Realisierung von Subsystemen, wie z. B.
den UHVVCOs, reicht. Im letzteren Fall kommt es zu einer Veränderung gegen-
über den traditionellen Aufgaben der ersten Verbindungsebene. Ähnlich muss das
System-Board des SoP-Konzeptes bewertet werden, da es im Vergleich zu einem
traditionellen Verdrahtungsträger der zweiten Verbindungsebene neben seinen
Verdrahtungsaufgaben auch funktionelle Elemente bereitstellt.
Trotz dieser erheblichen Veränderungen bezüglich der Funktions- und Aufga-
benverteilung ist zu erwarten, dass die Architektur elektronischer Aufbauten -
bezogen auf ihre topologische und mechanische Struktur - sich nicht wesentlich
ändert. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass ein flacher Träger existiert, auf dem
Halbleiterbauelemente entweder direkt oder über Zwischenträgerstrukturen mon-
tiert sind. Dabei ist nicht zu erwarten, dass sich die in 2.3.2 und 2.3.3 beschriebe-
nen Verfahren und Anordnungen grundlegend ändern.
2.3 Architektur elektronischer Aufbauten 59

2.3.5 Strukturabmessungen in elektronischen Aufbauten

Neben den bisher dargestellten funktionellen und architektonischen Aspekten


zeichnet sich die Aufbau- und Verbindungstechnik auch durch charakteristische
Strukturabmessungen aus, welche aus einem technisch-ökonomischen Kompro-
miss zwischen informationstechnischen Anforderungen auf der einen und techno-
logischen Möglichkeiten auf der anderen Seite resultieren. Dabei ergibt sich aus
den informationstechnischen Bestrebungen nach einer hochauflösenden Gewin-
nung, schnellen Übertragung und Verarbeitung sowie massenhaften Speicherung
von informationstragenden Signalen die Forderung nach einer immer größeren
Anzahl von Verbindungen auf immer kleinerem Raum. Demgegenüber ergeben
sich durch die technologische Realisierbarkeit grundsätzliche Einschränkungen bei
der Verkleinerung von Strukturabmessungen. Je kleiner die zu erzeugenden Struk-
turen werden sollen, um so höher werden auch die Kosten der notwendigen Her-
stellungstechnologie, wobei zwischen Kosten und minimaler Strukturbreite oft ein
exponentieller Zusammenhang besteht. Die sich aus diesem Kompromiss ergeben-
den charakteristischen Strukturbreiten sind von der Art der Struktur bzw. der Ver-
bindungstechnologie abhängig. Im Folgenden werden die Strukturbreiten der wich-
tigsten metallischen Strukturelemente deshalb in bestimmten Gruppen dargestellt.
Die erste Gruppe bilden die Strukturbreiten in der ersten Verbindungsebene.
Die Tatsache, dass die Erhöhungen der Integrationsdichte zwangsweise auch zu
einer Erhöhung der Anschlusszahlen führt (vgl. Rent’sche Regel, 2.3.3.3), zieht
auch relativ schnelle Änderungen der Strukturabmessungen für die erste Verbin-
dungsebene nach sich, deren Prognosen in Tabelle 2.4 dargestellt sind.

Tabelle 2.4 Prognose der minimalen Strukturabmessungen (Rastermaße) der ersten Verbin-
dungsebene [117, 118]

Chipseitiges Anschlussraster [μm] für 2005 2007 2010 2013 2020


entsprechendesVerbindungsverfahren

Drahtbonden Ball/Wedge 35 30 25 20 20

Drahtbonden Wedge/Wedge 30 25 20 20 20

TAB 35 30 20 20 20

Flip-Chip (flächenhaft) 150 120 90 90 70

Flip-Chip (peripher) 60 30 20 20 20

Während diese Anschlussraster für den Bereich der Drahtbondtechnik außer der
Verringerung der Drahtdurchmesser keine grundsätzlichen Änderungen nach sich
ziehen, sind für den Bereich der Flip-Chip-Technik Änderungen jenseits des Pro-
portionenschrumpfens zu erwarten. Bei Rastermaßen von 20 μm kann durch das
60 2 Untersuchungsgegenstand

starke Phasenwachstum nicht mehr von der Ausbildung eines klassischen Lotkon-
taktes ausgegangen werden. Dementsprechend werden sich auch Änderungen in
materialtechnischen Aspekten ergeben, unter denen die Verwendung von Cu-Säu-
len bzw. Federelementen [119] aus heutiger Sicht am wahrscheinlichsten erscheint.
Die zweite Gruppe bilden die Strukturbreiten in der zweiten Verbindungsebene.
Diese werden sehr stark von den auf einer Leiterplatte erreichbaren Strukturbreiten
bestimmt. Mit der Erhöhung der Anschlusszahlen werden zunehmend auch hoch-
dichte Träger zum Einsatz kommen, da dann die veränderten Kosten pro Anschluss
den Einsatz solcher teureren Verdrahtungsträger rechtfertigen. Dadurch werden
auch im Bereich Leiterplatte Rastermaße unterhalb der heute üblichen 300 μm
möglich. Die Prognosen für die Entwicklung der Rastermaße im Bereich der zwei-
ten Verbindungsebene sind in Tabelle 2.5 dargestellt. Aufgrund der sehr unter-
schiedlichen Anwendungen mit ihren verschiedenen Anforderungen an Kosten und
Leistungsfähigkeit der Bauelemente ist eine weite Spanne für die minimal zu reali-
sierenden Rastermaße bis zum Jahr 2020 vorauszusehen. Diese wird etwa von 150
μm für CSP/FBGA Bauelemente bis zu den heute bereits üblichen 500 μm für
BGA-Bauelemente reichen. Für passive Bauelementebauformen wird eine Verklei-
nerung bis auf Abmessungen von 400 μm X 200 μm vorausgesagt. Für Leitbahnen
auf Verdrahtungsträgern sind Dicken bis < 10 μm und Breiten zwischen 3 ... 5 μm
zu erwarten [120].

Tabelle 2.5 Prognose der minimalen Strukturabmessungen (Rastermaße) der zweiten Verbin-
dungsebene [117, 118]

Substratseitiges Anschlussraster [μm] 2005 2007 2010 2013 2020


für entsprechende Bauformen

CSP (flächenhaft) 300 200 200 150 150

BGA 800 650 500 500 500

FBGA 400 300 150 150 150

FLGA 400 300 300 300 300

QFP/QFN 400 400 300 300 200

Für die relevanten zu untersuchenden metallischen Strukturen ergeben sich zum


einen kompakte Körper (wie z. B. bei Lotkontakten), d. h. Kugeln oder Würfel,
und zum anderen langgezogene linienförmige Körper (wie z. B. Drähte, Leitbah-
nen), d. h. Zylinder oder Quader. Die Abmessungen der kompakten Körper über-
spannen dabei einen Bereich von 0.02 mm ... 1 mm (bezogen auf die Kantenlänge
eines Würfels oder den Durchmesser einer Kugel). Die Abmessungen der langge-
streckten linienförmigen Körper reichen von 0.01 mm ... 0.5 mm (bezogen auf die
2.4 Thermisch-mechanische Problematik elektronischer Aufbauten 61

Gehäustes Nacktchip
Halbleiter-Bauelement

Matrix

Peripher

PGA BGA CSP WLP FC TAB COB

>1,27

1,0

0,8

0,5

0,3
Raster (mm)
0,2

0,15

>2

1...2

Bauhöhe (mm) <1

Abb. 2.27 Momentane Rastermaße und Bauhöhen von Bauelementen in der AVT

Diagonale eines rechteckigen Querschnitts bzw. auf den Durchmesser eines runden
Querschnitts). Die maximalen Strukturabmessungen werden durch die Raster der
heute existierenden Bauelemente beschrieben, welche in Abb. 2.27 schematisch
dargestellt sind.

2.4 Thermisch-mechanische Problematik elektronischer


Aufbauten

2.4.1 Ursachenherkunft

Aus einer prinzipiellen Analyse der Architekturkonzepte unter dem Gesichts-


punkt der thermisch-mechanischen Integrität, d. h. der Robustheit eines Aufbaus
gegenüber thermischen, mechanischen bzw. gekoppelten thermisch-mechanischen
62 2 Untersuchungsgegenstand

Belastungen, werden sehr schnell die grundsätzlichen Schwachpunkte elektroni-


scher Aufbauten deutlich. Betrachtet man eine spezifische Bauform eines Halblei-
terbauelementes, wie den in Abb. 2.28 schematisch dargestellten BGA, so zeigt
sich ein thermisch-mechanisch sehr problematischer, aus verschiedenen Materia-
lien bestehender Schichtaufbau. Kritisch sind dabei vor allem die großen Differen-
zen im thermischen Ausdehnungskoeffizienten, die zwischen den einzelnen mit-
einander verbundenen Schichten bestehen. Temperaturänderungen bauen in einem
solchen Schichtaufbau mechanische Spannungen auf, da sich die einzelnen Schich-
ten nicht frei dehnen können. Hierdurch kommt es zu Verformungen im gesamten
Aufbau, welche auf lange Sicht zum Versagen einzelner Strukturen führen. Andere
äußere Belastungen, wie z. B. mechanische Schwingungen, führen zu starken Ver-
formungen der gegenüber dem Bauelement verhältnismäßig kleinen BGA- Kon-
takte, was langfristig ebenfalls zu einem Versagen dieser Kontakte führt.
Allgemein hat die unzureichende Robustheit elektronischer Aufbauten gegen-
über bestimmten thermisch-mechanischen Belastungen multilaterale Ursachen.
Diese komplexe Fehlerursachenherkunft führt zu einer sehr schweren Überschau-
barkeit der Problematik mit der Konsequenz, dass es keine einfachen Entwurfs-
richtlinien gibt, welche die Konzeption zuverlässiger und grundsätzlich robuster
Aufbauten zulässt. Um die thermisch-mechanische Problematik elektronischer
Aufbauten verstehen zu können, müssen neben den grundlegenden physikalischen
Ursachen des Ausfalls auch die konzeptionellen Kompromisse eines elektroni-
schen Aufbaus, die entwicklungshistorisch gewachsenen Besonderheiten der Auf-
bauprinzipien sowie bestimmte werkstoffphysikalische Mechanismen betrachtet
werden.

Epoxy Vergussmasse a = 20 (ppm/K)


Si a = 2,6 (ppm/K)
Unterfüllungsmaterial a = 30 (ppm/K)
Flip-Chip-Lotkantakte a = 26 (ppm/K)
Zwischenverdrahtungsträger a = 20 (ppm/K)
BGA - Lotkontakte a = 26 (ppm/K)
Cu a = 17 (ppm/K)

FR4 - Leiterplatte a = 15 (ppm/K)

Al - Strangpresskörper a = 23 (ppm/K)

Abb. 2.28 Struktur eines BGA-Bauelementes auf einem Verdrahtungsträger mit Kühlungstruk-
turen unter thermisch-mechanischen Gesichtspunkten
2.4 Thermisch-mechanische Problematik elektronischer Aufbauten 63

2.4.2 Grundlegende physikalische Ursachen

Unter rein physikalischem Gesichtspunkt resultiert aus der Funktionsvielfalt,


die die verschiedenen Strukturen eines Aufbaus zur Realisierung einer elektroni-
schen Schaltung aufweisen müssen, ein grundsätzliches architektonisches Problem
bei der Anpassung der thermischen Ausdehnung. Die drei Hauptfunktionen - das
Führen (bzw. Leiten), das Isolieren und das gezielte Steuern des elektrischen
Stromflusses - können aus werkstoffstrukturellen Gründen nur durch Materialien
aus unterschiedlichen Stoffklassen erfolgen.
Zur Realisierung von elektrischen Leitungen und Widerständen werden metalli-
sche Werkstoffe eingesetzt. Die wichtigsten Vertreter sind dabei Cu, Al für Leit-
bahnen sowie bestimmte Legierungen, z.B. CrNi, für ohmsche Widerstände. Diese
Auswahl liegt im Kristallaufbau von Metallen begründet, welches durch das Prin-
zip der höchsten Packungsdichte (vgl. 3.2.2.2) bestimmt wird. Hierdurch entsteht
eine hohe Wechselwirkung zwischen den elektrostatischen Feldern der einzelnen
Atome. Dies hat eine Aufspaltung der diskreten Energieniveaus in Energiebänder
zur Folge, von denen die höheren Bänder nicht mehr durch Potenzialwälle vonein-
ander getrennt sind. Elektronen, die sich in diesen Bändern aufhalten, sind nicht
mehr an ein bestimmtes Atom gebunden. Entscheidend für die Leitfähigkeit des
Festkörpers ist das oberste Band, welches im unangeregten Zustand noch Elektro-
nen enthält. Beim metallischen Bindungstyp (vgl. 3.2.2.1) ist die obere Elektronen-
schale der Atome im Kristallgitter nicht vollständig gefüllt, wodurch diese auch
durch Elektronen der Nachbaratome besetzt werden kann. Aufgrund dieser Tatsa-
che kann es durch die Wirkung eines elektrischen Feldes (also Energiezufuhr) zu
einer gerichteten Elektronenbewegung kommen [121]. Daher eignen sich Metalle
zur Realisierung von Leitungsstrukturen bzw. Widerständen.
Keramische Werkstoffe besitzen zwar wie die Metalle einen kristallinen Auf-
bau. Durch den in ihnen vorherrschenden kovalenten und ionischen Bindungstyp
ist jedoch das oberste Band (Valenzband) vollständig mit Elektronen gefüllt. In
einem voll besetzten Band existieren keine freien Energieterme, wodurch die Elek-
tronen in diesem Band auch keine durch ein äußeres elektrisches Feld eingebrachte
Energie aufnehmen können. Daher kann es in keramischen Werkstoffen zu keiner
gerichteten Elektronenbewegung kommen. Die Isolationswirkung eines kerami-
schen Festkörpers hängt vom Abstand des Valenzbandes zum nächst höheren
unbelegten Band (Leistungsband) ab. Keramische Werkstoffe, bei denen dieser
Abstand groß ist (etwa 5 bis 10 eV), eignen sich zur Realisierung von Isolations-
strukturen. Die wichtigsten Vertreter der keramischen Isolationswerkstoffe sind
Al2O3 und AlN. Ist der Bandabstand hingegen sehr klein (etwa 0,5 bis 1 eV), ent-
stehen Materialien mit sogenannten halbleitenden Eigenschaften [121], welche
zum Steuern des Stromflusses genutzt werden können, wie z. B. Si und Ge.
Wegen des höheren Preises sowie der technologisch aufwendigeren Bearbei-
tung keramischer Werkstoffe werden zur Realisierung von Isolations- und Träger-
strukturen in elektronischen Aufbauten bevorzugt polymere Werkstoffe eingesetzt.
Im Gegensatz zu Metallen und Keramiken weisen Polymere keine kristallinen,
64 2 Untersuchungsgegenstand

sondern kettenförmige Strukturen auf. Bei thermohärtenden Polymeren und Elasto-


meren sind die Ketten in dreidimensionalen Netzwerken untereinander verbunden.
In Thermoplasten werden die einzelnen Ketten hingegen durch Nebenvalenzbin-
dungen zusammengehalten. Eine gerichtete Bewegung von Elektronen ist nur ent-
lang der Ketten möglich. Diese kann jedoch durch die kovalenten und ionischen
Bindungen der Atome entlang der Kette im Allgemeinen nicht stattfinden,
wodurch sich polymere Werkstoffe ausschließlich zur Realisierung von Isolations-
strukturen eignen. In Ausnahmefällen, wie z. B. in Kohlenstoffnanoröhrchen [122],
PTCDA-Filmen [123] und dotierten Polythiophenschichten [124], können durch
Ausnutzung bestimmter quantenmechanischer Mechanismen bzw. Einbau von
Ionen auch halbleitende und leitende Strukturen gebildet werden. Grundlegend die-
nen Polymere jedoch der Isolation, der Verkapselung sowie der mechanischen Trä-
gerfunktion.

Tabelle 2.6 Physikalische Eigenschaften ausgewählter Materialien aus [125-130]

Werkstoff bei 300 K spez. elektr. Elastizitäts- therm. Aus- Poisson-Zahl


Widerstand modul dehnkoeff.
ρ (Ω m) E (GPa) α (ppm/K) ν

Cu 1,78 . 10-8 119 17 0,35

Au 2,20 . 10-8 79 14,3 0,42

Al 2,87 . 10-8 71 23,8 0,34

Sn63Pb37 1,45 . 10-7 29 26 0,36

Si 6,40 . 102 148 2,5 0,18

Al2O3 > 1012 386 6 0,28

FR-4 (x,y - Richtung) > 1010 18 16 0,10

Polyimid > 1016 4 20 0,3

Neben der elektrischen Funktionalität beeinflusst der Bindungstyp und die dar-
aus resultierende Gitter- bzw. Kettenstruktur jedoch auch andere fundamentale
Werkstoffeigenschaften, wie z. B. den thermischen Ausdehnungskoeffizienten, die
thermische Leitfähigkeit oder den Elastizitätsmodul. Werden Vertreter der entspre-
chenden Materialklassen miteinander verglichen, so lässt sich erkennen, dass bei-
spielsweise viele keramische Werkstoffe einen sehr geringen, metallische Werk-
stoffe einen mittleren und polymere Werkstoffe einen sehr hohen thermischen
2.4 Thermisch-mechanische Problematik elektronischer Aufbauten 65

Ausdehnungskoeffizienten besitzen. Das Verhältnis der Elastizitätsmoduli ist etwa


umgekehrt. Zwar lässt sich durch Legieren der Ausdehnungskoeffizient metalli-
scher Werkstoffe in bestimmten Grenzen ändern. Allerdings hat dies gleichzeitig
Auswirkungen auf den spezifischen elektrischen Widerstand. Für die Werkstoff-
auswahl zur Realisierung elektronischer Aufbauten ergeben sich in der Regel nur
Materialgruppierungen, bei welchen bestimmte grundsätzliche Eigenschaften, wie
spezifischer elektrischer Widerstand, thermischer Ausdehnungskoeffizient und E-
Modul, in bestimmten Verhältnissen vorkommen. Aus dieser aus der Werkstoff-
struktur resultierenden Verknüpfung physikalischer Werkstoffeigenschaften ergibt
sich ein wichtiger Aspekt der thermisch-mechanischen Problematik elektronischer
Aufbauten. Die schaltungsfunktionsbedingte Verwendung von Werkstoffen mit
stark unterschiedlichen elektrischen Eigenschaften verhindert einen körperlichen
Aufbau elektronischer Schaltungen mit aneinander angepassten thermisch-mecha-
nischen Eigenschaften - insbesondere mit aneinander angepassten thermischen
Ausdehnungskoeffizienten (engl. CTE-matching) und Elastizitätsmoduli. Hier-
durch entsteht für die Architektur elektronischer Aufbauten das prinzipbedingte
Problem der thermisch-mechanischen Fehlanpassung (engl. thermo-mechanical
mismatch).

2.4.3 Aspekte der Architektur- und Entwicklungskonzeption

Das Ausmaß, in dem durch nicht angepasste thermische Ausdehnungskoeffizi-


enten Verspannungen in einem Materialverbund auftreten, hängt neben der Diffe-
renz der Ausdehnungskoeffizienten auch von der Topologie des Aufbaus ab. Die-
ser Zusammenhang ist in Abb. 2.29 illustriert. Sind zwei Materialien mit
unterschiedlichen thermischen Ausdehnungskoeffizienten ganzflächig miteinander
verbunden und es findet eine Temperaturänderung um den Betrag ΔT statt, so
kommt es zu einer Verwölbung des Verbunds. Das entstehende Biegemoment ent-
lang der Verbindungsfläche hat dabei einen konstanten Wert. Sind die beiden nur
in der Mitte verbunden und können sich frei dehnen, kommt es weder zu Verfor-
mungen noch zum Auftreten von Verspannungen im Verbund. Werden die beiden
Materialien hingegen nur an den Endpunkten miteinander verbunden, so kommt es
an diesen Punkten zum Auftreten sehr hoher lokaler Biegemomente, die den Betrag
des Biegemoments im Fall des ganzflächigen Verbundes weit übersteigen. Mit den
hohen lokalen Biegemomenten sind auch hohe lokale Verformungen verbunden,
die in Abhängigkeit von der Steifigkeit (E-Modul) der beteiligten Materialien auch
zu einer leichten Verwölbung des Gesamtverbundes, jedoch vor allem zu mit einer
starken Schädigung verbundenen hohen Deformationen im Bereich der Verbindun-
gen führen.
Wird die Entwicklung elektronischer Aufbauten betrachtet, so ist festzustellen,
dass die Topologie früherer Bauelementeformen, z.B. Flat-Packs oder DIPs, dem
thermo-mechanisch sehr ungünstigen letzten Fall (Abb. 2.29) entsprechen. Dies ist
nicht verwunderlich, denn zunächst waren für die Architekturentwicklung elektro-
66 2 Untersuchungsgegenstand

Fall A Fall B Fall C

a1 > a2
a1 a1 a1
a2
a2 a2

DT

Dx

M M M

x x x

Abb. 2.29 Ausbildung von Biegemomenten in Abhängigkeit von der Aufbaustruktur eines Bima-
terialverbundes

nischer Aufbauten technologische Fragen vordergründig. Am Anfang der Entwick-


lung war es vor allem wichtig, einen Weg zu finden, die verschiedenen Bauele-
mente einer Schaltung effektiv miteinander verbinden zu können. Betrachtungen
zu thermisch-mechanischen Aspekten spielten aufgrund der geringen Integrations-
dichten und den damit verbundenen geringen Verlustleistungsdichten kaum eine
Rolle. Die ersten Probleme aufgrund fehlender Betrachtung zur thermisch-mecha-
nischen Integrität elektronischer Aufbauten entstanden bei der Einführung der
Ceramic-Chip-Carrier (CCC) [131-134]. Diese Bauelementeform wies aufgrund
der beinchenlosen Anschlusskontaktierung hervorragende Hochfrequenzeigen-
schaften auf. Allerdings provozierte der sehr steife Keramikträger in den peripher
angeordneten Kontakten derart hohe mechanische Beanspruchungen, dass diese
Bauelemente bei Montage auf organischen Verdrahtungsträgern keine ausreichen-
den Zuverlässigkeitskennzahlen erreichten. Der geringe Grad tiefgründiger mecha-
nischer Überlegungen zur Bauelementegestaltung dokumentiert sich bei den CCC-
Bauelementen darin, dass alle Anstrengungen, die thermisch-mechanische Integri-
tät dieser Aufbauvariante zu erhöhen, vor allem darauf hinausliefen, eine sehr
kostenaufwendige Anpassung der thermischen Ausdehnungskoeffizienten des Ver-
drahtungsträgers vorzunehmen [135]. Dagegen wurde die kostengünstige Variante
der Verringerung der mechanischen Beanspruchung durch innere (passive) Stütz-
kontakte nicht in Betracht gezogen. Diese Architekturvariante entstand erst mit der
Einführung der BGA-Bauformen, jedoch nicht aus mechanischen Erwägungen.
Die erste Innovation unter dem Gesichtspunkt der thermisch-mechanischen Integri-
2.4 Thermisch-mechanische Problematik elektronischer Aufbauten 67

tät bestand in der Einführung des Unterfüllungsprozesses bei der Flip-Chip-Mon-


tage, mit der der historisch entstandene und aus thermisch-mechanischer Sicht
ungünstige Fall C (in Abb. 2.29) in den günstigeren Fall B überführt wurde. Im
Gegensatz zu anderen mechanischen Überlegungen, wie der zur Gestaltung von
Anschlussbeinen [136, 137], wurde mit dem Unterfüllungsprozess eine bemerkens-
werte Steigerung der thermisch-mechanischen Integrität erreicht, ohne dass andere
Eigenschaften des elektronischen Aufbaus verschlechtert wurden. Aufgrund dieses
bemerkenswerten Erfolges stellt sich die Frage, ob ein konsequentes Codesign,
welches technologische, elektrische und thermisch-mechanische Aspekte bei der
Konzeption neuer Aufbauten in gleicher Weise berücksichtigt, zu neuen Aufbau-
formen führen würde, welche einen vergleichsweise geringen Grad thermisch-
mechanischer Probleme aufwiesen.
Wenn die Gesamtproblematik der Aufbau- und Verbindungstechnik besonders
in Bezug auf ihre weitere Entwicklung betrachtet wird, erscheinen solche Hypothe-
sen wenig realistisch. Dies hängt damit zusammen, dass Architekturkonzepte für
neue Aufbauformen immer einen Kompromiss zwischen verschiedenen Erforder-
nissen darstellen, unter denen technologische und elektrische Aspekte die wichtigs-
ten sind. Beispielsweise bringen periphere Kontaktanordnungen gegenüber zentra-
len Anordnungen, wie sie dem thermisch-mechanisch eher ungünstigen Fall C in
Abb. 2.29 gegenüber dem günstigeren Fall B entsprechen, eine Reihe von techno-
logischen Vereinfachungen mit sich. So ergibt sich bei peripheren Kontaktanord-
nungen eine Vereinfachung bei der Umverdrahtung, eine gute visuelle Beurteilung
der Kontakte und eine bessere Ausrichtung des Bauelementes durch die Benet-
zungskräfte beim Löten. Bauelemente mit zentralen Kontaktanordnungen würden
hingegen sehr leicht zum Verkippen neigen und wären für Reparaturzwecke
schwieriger zu demontieren. Obwohl sich solche Argumentationen immer nur
exemplarisch auf bestimmte Aufbaukonzepte anwenden lassen, ist aus der Betrach-
tung der bisherigen Entwicklung zu entnehmen, dass bestimmte, aus thermisch-
mechanischer Sicht ungünstige Aufbauprinzipien (wie z.B. Fall C in Abb. 2.29)
wohl auch in zukünftigen Aufbauten enthalten sein werden. Weiter verstärkt wird
die thermisch-mechanische Problematik durch die angestrebte vertikale Verdich-
tung der Aufbauten, wie z. B. Stapelaufbauten für SiP (vgl. 2.3.4). Hierdurch ent-
steht neben der traditionell bekannten lateralen Ausdehnungsproblematik (= Fall C
in Abb. 2.29) eine vertikale mechanische Wechselwirkung. Mercado et al. [138]
führen eine der ersten Erörterungen zu dieser neuen Qualität von thermisch-mecha-
nischen Wechselwirkungen in modernen Aufbauten. Dabei zeigen sie den komple-
xen Weg der Ursachen für Schädigungen in der Mehrebenenmetallisierung eines
Halbleiterbauelements in einem BGA, welche durch thermisch-mechanische Bean-
spruchungen in der zweiten Verbindungsebene verursacht werden. Andere Unter-
suchungen, wie die von Dudek [139], zeigen, dass die Ausfallproblematik in
modernen Bauelementeformen durchaus nicht mehr der klassischen DNP-Proble-
matik (DNP = Distance to Neutral Point) entspricht, bei der sich das Versagen
eines Anschlusskontaktes in Abhängigkeit von seinem Abstand zum Bauelemente-
mittelpunkt berechnen ließ.
68 2 Untersuchungsgegenstand

2.4.4 Werkstoffphysikalische Seiteneffekte

Ein anderer Aspekt der thermisch-mechanischen Problematik elektronischer


Aufbauten besteht in der Verschärfung der Umweltbedingungen. In bestimmten
Anwendungsgebieten, wie z.B. der Kfz-Elektronik oder der Luft- und Raumfahrt-
technik, wird die Elektronik immer höheren Temperaturen von bis zu 150 °C aus-
gesetzt. Diese hohen Temperaturen beschleunigen in hohem Maße Diffusionspro-
zesse, durch welche sich die Struktur der Werkstoffe verändert. Bei metallischen
Werkstoffen kommt es hierdurch in der Regel zu Korn- und Phasenvergrößerun-
gen, bei thermohärtenden Polymeren kann hierdurch eine nachträgliche Härtung
erfolgen. Mit den Strukturänderungen ist sehr oft auch eine Änderung des werk-
stoffmechanischen Verhaltens der Materialien verbunden. Das veränderte Verfor-
mungsverhalten der Materialien kann zu Verschiebungen in einer ursprünglich
optimierten Mechanik eines Aufbaus führen, welche wiederum zur Konzentration
der Beanspruchung in bestimmten Strukturen führt.
Andere durch Diffusion hervorgerufene werkstoffphysikalische Seiteneffekte
bestehen in der Schwächung von Grenzflächen. Hierfür sind vor allem der Feuch-
tetransport (in Polymeren), die thermische Aktivierung der Bildung schwach haf-
tender intermetallischer Phasen sowie die Bildung von Kirkendall-Löchern durch
heterogene Interdiffusion verantwortlich.

2.4.5 Belastungsszenarien

Elektronische Aufbauten werden in sehr unterschiedlichen Bereichen einge-


setzt. Dadurch können die Belastungen, die auf einen elektronischen Aufbau ein-
wirken, sehr unterschiedlicher Natur sein. In Abb. 2.30 sind die wichtigsten Belas-
tungsszenarien unter den Gesichtspunkten der Intensität und Dauer klassifiziert.
Dabei wird in impulsartige Belastungen, Vibrationsbelastungen, Biegung und ther-
misch-mechanische Ermüdungsbelastungen unterschieden. Impulsartige oder
Schock-Belastungen sind die kürzesten und intensivsten Belastungen, denen eine
elektronische Baugruppe ausgesetzt sein kann. Sie treten vor allem dann auf, wenn
Baugruppen - vor allem in tragbaren Geräten wie Mobiltelefonen - nach einem
freien Fall auf einen steifen unnachgiebigen Boden auftreffen (z. B. Stein). Der
Aufprall regt Eigenschwingungen der im Gerät befindlichen Aufbauten an, welche
jedoch schnell in ihrer Amplitude abfallen, sodass nur wenige Schwingungen zu
mechanischen Beanspruchungen des Aufbaus führen. Im Gegensatz dazu wirken
Vibrationsbelastungen, wie sie in vibrierenden Umgebungen (z. B. Fahrzeugen,
Flugzeugen, Baumaschinen) vorkommen, als dauerhafte Schwingungsbelastungen.
In Abhängigkeit von der Art und Weise, wie ein elektronisches Gerät technisch
realisiert wurde, können auch erhebliche Biegebelastungen auf die Elektronik ein-
wirken. Dies ist beispielsweise in Mobiltelefonen oder PDAs der Fall, wenn aus
Gründen der Raumeinsparung die Tastatur direkt auf der Hauptplatine zusammen
mit allen wichtigen Bauelementen montiert ist. Ein anderes sehr typisches Beispiel
2.4 Thermisch-mechanische Problematik elektronischer Aufbauten 69

für Biegebelastungen sind Smart-Cards, welche aufgrund ihrer geringen Dicke für
die in ihnen aufgebaute Elektronik keinen steifen Rahmen bilden, sodass diese sich
jeder von außen aufgebrachten Biegung anpassen muss. Neben diesen rein mecha-
nischen Belastungen sind thermisch induzierte mechanische Verspannungen, wel-
che durch die in 2.4.1 angesprochenen Unterschiede der thermischen Ausdeh-
nungskoeffizienten zustande kommen, die vielleicht wichtigste Art der
Belastungen für elektronische Aufbauten. Abgesehen von wenigen Ausnahmen ist
jeder elektronische Aufbau ständigen Temperaturänderungen ausgesetzt. Diese rei-
chen von einfachen Tag-Nacht-Schwankungen mit einem Temperaturhub von
ΔT = 20 °C bis zu komplizierten Temperaturprofilen, wie sie vor allem in Kfz-
und Avionikanwendungen vorkommen. Als Beispiel für komplexere Temperatur-
belastungen sind in Abb. 2.31 Temperaturkurven gezeigt, welche an verschiedenen
Bauelementen einer Motorsteuereinheit im Betrieb aufgenommen wurden 140. Die
Auswahl der Bauteile erfolgte anhand eines Thermografiebildes der Baugruppe,
welche zuvor an einem Motorsimulator aufgenommen wurde. Die Temperaturver-
läufe während verschiedener Fahrsituationen, von denen die Startphase, Stadtver-
kehr und Autobahn exemplarisch in Abb. 2.31 dargestellt sind, zeigen die sehr
unterschiedlichen Temperaturverläufe individueller Komponenten einer Bau-
gruppe. Wie anhand der in Abb. 2.31 gezeigten Diagramme abzulesen ist, werden
die Temperaturverläufe der einzelnen Komponenten zum einen von der Außentem-
peratur (in diesem Fall der Temperatur des Motorraums) und zum anderen durch
die Verlustleistungen der Bauelemente selbst bestimmt. Letzterer Beitrag hängt
von der konkreten Funktion des Bauelementes in der Schaltung ab, wodurch sich
keine generellen Aussagen zur Größe von Temperaturbelastungen treffen lassen.

Intensität
Schock
hohe G-Last
Millisekunden
1x ... 6x

Biegung
hohe Auslenkung
0,5 ... 3 s
2...20*103 Zyklen
Thermische Wechsel
Vibration hohes DT, a
niedrige G-Last 5 s ... 24 h, 500 ... 10000 Zyklen
0,005 ... 0,05 s
1...20*106 Zyklen

Dauer

Abb. 2.30 Verschiedene Belastungsmodi von elektronischen Aufbauten


70 2 Untersuchungsgegenstand

a) b)

c) d)

Abb. 2.31 Aufgenommene Temperaturprofile aus Thermoelementmessungen in einer Motorsteu-


ereinheit (ECU) während verschiedener Fahrsituationen: a) Startphase, b) Stadtverkehr, c)
Autobahn. Die Anordnung der Thermopaare ist im Thermografiebild d) eingezeichnet, welches zur
Bestimmung relevanter Messstellen mit einem Motorsimulator aufgezeichnet wurde. Die numme-
rierten Messstellen entsprechen folgenden Bauelementen auf der Motorsteuerplatine: 1: Zener-
Diode (Überspannungsschutz Zündspule), 2: Leiterplattenrückseite, 3: 1206 CR (Spannungsteiler
für Analogmasse), 4: PLCC68 Mikroprozessor, 5: THT-Diode, 6: THT-Leistungswiderstände
(3W), 7: Außenseite Gehäuse [140]
3.1 Zusammenhang zwischen Verformung und strukturellem Aufbau 71

3 Struktur metallischer Werkstoffe

3.1 Zusammenhang zwischen Verformung und strukturellem


Aufbau

Die Komplexität und Vielfalt von Erscheinungen bei der Verformung von
Werkstoffen wirft für deren Beschreibung folgendes grundsätzliche Problem auf.
Geht man über die Beschreibung grundsätzlicher Verhaltensformen, wie elasti-
sches Verhalten, Materialfließen oder Bruch, hinaus und kommt in den Bereich
sehr spezieller Verhaltensformen, so treffen diese in einigen Fällen nur für die
Beschreibung einer bestimmten Untergruppe von Werkstoffen zu, während sie für
einen Großteil industriell eingesetzter Werkstoffe entweder keine bzw. nur eine
geringe Bedeutung besitzen. Um zu verstehen, welche Gruppen von Werkstoffen
welche Formen des Verformungsverhaltens aufweisen, ist es wichtig, sie in ihrem
strukturellen Aufbau, d. h. ihrem Werkstoffgefüge, zu vergleichen. Der Schlüssel
zu einem umfassenden und vertieften Verständnis des Verformungsverhaltens der
Werkstoffe liegt in deren mikroskopischem Aufbau, d. h. dem Gefüge. Auf den
Begriff des „Gefüges“, der in der unter dem Begriff „Microstructure“ in der eng-
lischsprachigen etwas abweichend von der deutschsprachigen Literatur behandelt
wird und dem für das Verständnis des Verformungsverhaltens von Metallen beson-
dere Bedeutung zukommt, soll später detaillierter eingegangen werden. Um den
Begriff des Gefüges zunächst grob zu illustrieren, befindet sich in Abb. 3.1 und in
Abb. 3.2 eine Zusammenstellung von rasterelektronenmikroskopischen Aufnah-
men, welche das Gefüge der zweiphasigen Legierung des eutektischen SnPb-Lotes
in verschiedenen Zustandsformen zeigen.
Um den Zusammenhang zwischen der makroskopisch beobachtbaren Verfor-
mungsreaktion eines Werkstoffes und seinem Gefüge herstellen zu können, muss
eine Beschreibung der Werkstoffcharakteristik aus zwei Betrachtungswinkeln
erfolgen. Zum einen ist es notwendig, eine qualitative und quantitative Beschrei-
bung der Gefügebestandteile eines metallischen Werkstoffes vorzunehmen, wozu
die verschiedenen in der Metallografie genutzten Untersuchungsmethoden Aussa-
gen liefern. Die andere Betrachtungsrichtung besteht in den qualitativen Vorstel-
lungen sowie in den quantitativen Modellansätzen, welche den Einfluss bestimmter
Gefügemerkmale auf das mechanische Verhalten beschreiben. Diese auf wirksa-
men Elementarmechanismen der Verformung, d. h. mikrophysikalischen Einzel-
vorgängen, basierende Beschreibung des Deformationsverhaltens ergänzt und ver-
tieft die klassische phänomenologisch-werkstoffmechanische Beschreibung der
Verformungseigenschaften [141,142].
Neben der Beschreibung physikalischer Hintergründe zum besseren Verständ-
nis des phänomenologisch beobachteten Verformungsverhaltens ermöglicht die
strukturelle Beschreibung metallischer Werkstoffe auch die Zuordnung zu
bestimmten Untergruppen. Dies kann zum einen nützlich sein, da sich dadurch
72 3 Struktur metallischer Werkstoffe

a) Vergrößerung: x500 b) Vergrößerung: x575

c) Vergrößerung: x2000 d) Vergrößerung: x2000

Abb. 3.1 Darstellung des Gefüges der zweiphasigen Legierung des eutektischen SnPb-Lotes
durch rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen: a, b) Unterschied zwischen äußerer Gestalt
eines Werkstoffs in einer Struktur und dem Gefüge des Werkstoffs in dieser Struktur. Im Bild a)
ist ein SnPb-Flip-Chip-Lotkontakt im Sekundärelektronenkontrast aufgenommen worden,
wodurch seine Topografie deutlich zu erkennen ist (dunklere Muster auf der Oberfläche
entsprechen dabei Flussmittelrückständen). Im Abbildung b) ist der gleiche SnPb-Flip-Chip-
Lotkontakt im Rückstreuelektronenkontrast aufgenommen worden, wodurch sein zweiphasiges
Gefüge gut zu erkennen ist und gleichzeitig die im Sekundärelektronenkontrast hervorgehobenen
Unebenheiten der Oberfläche, welche durch die Flussmittelrückstände hervorgerufen wurden,
verschwinden. Die dunklen Gebiete im Rückstreuelektronenkontrast entsprechen der zinnreichen
Phase, während die hellen Gebiete der bleireichen Phase zugeordnet werden müssen. c, d) Unter-
schiede in der Gefügemorphologie eines Werkstoffes, dargestellt an Querschliffen von SnPb-Flip-
Chip-Lotkontakten nach der Erstarrung im Fügeprozess, welche im Rückstreuelektronenkontrast
aufgenommen wurden. Abbildung c) zeigt sehr bleireiche Phasen mit tendenziell globularem
Aussehen, welche sich fein verteilt in der zinnreichen Phase befinden. Im Gegensatz dazu sind in
Abbildung d) laminare Gefügestrukturen zu erkennen, welche durch bleireiche und zinnreiche
Phasen gebildet wurden.

Erkenntnisse zum Verformungsverhalten von Werkstoffen aus anderen Anwen-


dungen auch auf die in der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik ver-
wendeten Metalle übertragen lassen. Zum anderen lässt sich dadurch aber auch die
3.2 Struktureller Aufbau 73

a) Vergrößerung: x2000 b) Vergrößerung: x5000

Abb. 3.2 Darstellung des Gefüges der zweiphasigen Legierung des eutektischen SnPb-Lotes
durch rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen: Abbildung a) zeigt das Gefüge der SnPb-
Legierung im Querschliff eines SnPb-Flip-Chip-Kontaktes nach thermischer Auslagerung.
Gegenüber Abb. 3.1 c, d) sind die Gebiete der zinnreichen und bleichreichen Phase größer und in
geringerer Anzahl vorhanden (Gefügevergröberung). Gleichzeitig ist eine stärkere Zuordnung der
Phasen zu einzelnen Körnern zu beobachten, sodass die Phasengrenze oft einer Korngrenze
entspricht. Abbildung b) zeigt das feine Erstarrungsgefüge aus Abb. 3.1 c) mit herausgeätzter blei-
reicher Phase. Dadurch ist ein Eindruck zu gewinnen, wie die bleireiche in die zinnreiche Phase
eingebettet ist.

Behandlung des Verformungsverhaltens auf das begrenzen, was für die in der Auf-
bau- und Verbindungstechnik eingesetzten Werkstoffe zutreffend ist. Hierbei ist zu
beachten, dass die Auswahl der für diesen Anwendungsbereich geeigneten Werk-
stoffe nach bestimmten physikalischen Eigenschaften, wie Leitfähigkeit, Schmelz-
punkt und Verarbeitbarkeit, getroffen wurde, welche wiederum mit bestimmten
strukturellen Merkmalen korrelieren, wodurch von vornherein die Anzahl
bestimmter Klassen metallischer Werkstoffe einschränkt wird. Durch diese einge-
schränkte Auswahl an eingesetzten Materialien ergibt sich wiederum die Möglich-
keit, für diese die vielfältigen Formen der Verformung bei den zum Teil sehr kom-
plexen Beanspruchungszuständen der Werkstoffe detaillierter betrachten zu
können.

3.2 Struktureller Aufbau

3.2.1 Strukturebenen

Werkstoffe besitzen, ausgenommen von einigen Sonderfällen wie dem für die
Herstellung von Halbleiterbauelementen verwendeten einkristallinen Silizium, in
der Regel einen mehrschichtigen Strukturaufbau. Dabei herrschen auf unterschied-
74 3 Struktur metallischer Werkstoffe

lichen Größenniveaus, z. B. nm-, μm- und mm-Niveau, unterschiedliche Organisa-


tionsstrukturen der diesen Niveaus zugehörigen Strukturelemente vor. Diese ver-
schiedenen Organisationsstrukturen sind in einer strukturellen Hierarchie einander
zugeordnet, welche während der Formierung des Werkstoffes, z. B. bei der Erstar-
rung einer Metallschmelze, entsteht. In den verschiedenen Phasen der Werkstoff-
formierung, welche durch eine Aggregation individueller Struktureinheiten
gekennzeichnet ist, kommt es zuerst zur Ausbildung struktureller Einheiten niede-
rer Hierarchie, aus deren Zusammenschluss sich nach und nach Strukturelemente
höherer Hierarchie ergeben. Beim Arrangement individueller Struktureinheiten tre-
ten in der Regel Baufehler auf, welche zusätzliche Zwischenebenen in die Hierar-
chie regulärer Strukturelemente einschieben.
Die Struktureinheiten verschiedener Hierarchieebenen befinden sich auf sehr
unterschiedlichen Größenniveaus. Die strukturelle Hierarchie eines metallischen

0,1 mm Korngefüge

10 µm einzelnes Korn

0,2 µm Versetzungszelle

10 nm individuelle Versetzung

0,5 nm Kristallgitter

Abb. 3.3 Struktureller Aufbau der Metalle nach ASME [149]


3.2 Struktureller Aufbau 75

Leerstelle Substituiertes
Fremdatom

Zwischengitter-
atom

Stufenversetzung

Kleinwinkelkorngrenzen
Großwinkelkorngrenze

Korngrenzentripel

Versetzungsquelle
Elementarzelle,
z.B. kubisch

Schraubenversetzung hoch-
Versetzungsaufstauung schmelzende
an Korngrenzen Fremdphase

inkohärente
Ausscheidungen Korngrenzen-
ausscheidungen

kohärente
Ausscheidungen

schalenförmige
Korngrenzen-
ausscheidungen

Abb. 3.4 Schematische Darstellung der Strukturebenen einer metallischen Legierung - die
Darstellung erfolgt verzerrt, um die einzelnen Strukturelemente trotz ihrer stark unterschiedlichen
Größenniveaus in einem Schema gemeinsam zu zeigen (adaptiert aus [150])

Werkstoffes ist schematisch in Abb. 3.3 und Abb. 3.4 dargestellt. Die niedrigste
strukturelle Hierarchieebene ist die Einheitszelle des Kristallgitters, in welchem
sich Metallatome aufgrund ihrer Bindungsart anordnen. Die Dimension einfacher
Elementarzellen, wie sie für Gitter reiner Metalle üblich sind, liegt bei knapp 1 nm.
Ordnen sich hingegen Atome verschiedener metallischer Elemente in einer soge-
nannten intermetallischen Phase an, so können sich kompliziertere Elementarzellen
bilden, deren Größe bis zu einigen nm betragen kann.
Innerhalb eines Gitters befinden sich Baufehler, wie Leerstellen oder Versetzun-
gen, welche den regulären Gitteraufbau abändern. Während punktförmige Baufeh-
ler, wie Leerstellen, Zwischengitter- oder Fremdatome, den Gitteraufbau nur lokal
stören, führen linienhafte Baufehler, wie Versetzungen, zu weitreichenden Abän-
derungen des Gitteraufbaus und stellen daher die nächste Ebene der strukturellen
Hierarchie dar. Versetzungen können als einzelne linienhafte Störungen oder als
eine Verknäulung ineinander verhakter Versetzungslinien, d. h. als Versetzungs-
76 3 Struktur metallischer Werkstoffe

netzwerk, auftreten. Um die Größe einer Versetzungsstruktur anzugeben, wird


üblicherweise der durchschnittliche Abstand zwischen Versetzungen herangezo-
– 1⁄ 2
gen, welcher sich mit ρ ändert, wobei ρ der Versetzungsdichte entspricht.
Charakteristische Versetzungszellstrukturen haben Abmessungen im Mikrometer-
bereich [149] (siehe Abb. 3.3).
Die nächste Hierarchieebene wird durch Korngrenzen dargestellt, welche anein-
andergrenzende Kristallite voneinander abgrenzen. Korngrenzen sind schalenartige
Gebilde, welche eine Schalendicke von wenigen Atomlagen besitzen. Die Größe
der von ihnen eingeschlossenen Körner umfasst einen weiten Bereich, welcher
etwa bei 1 μm beginnt und bei etwa 1 mm endet. Die Größe der Körner eines
metallischen Werkstoffes liegt jedoch in der Regel innerhalb einer Größenordnung.
Die verschiedenen Körner eines Werkstoffes bilden durch ihre Anordnung unter-
einander eine Kornstruktur, aus der sich eine Textur des Werkstoffgefüges ergibt.
Neben der Form und Ausrichtung einzelner Körner ist eine solche Textur in mehr-
phasigen Systemen auch von der Anordnung der Phasen untereinander bzw. von
der Verteilung und Größe von Ausscheidungen und Fremdteilchen abhängig. Auf-
grund dieser vielfältigen Abhängigkeiten ergibt sich bei mehrphasigen Gefügen
eine große Vielfalt morphologischer Varianten (Abb. 3.5), welche sich schwer
systematisieren und einheitlichen Größenbereichen zuordnen lässt.
Terminologisch wird der strukturelle Aufbau über die beiden Begriffe atomarer
Aufbau und Gefüge bezeichnet. Der atomare Aufbau (engl. atomic structure, nano-
structure) betrifft die Struktur der Atome und den aus ihren interatomaren Wech-
selwirkungen folgenden Aufbau der Grundgitter. Der Begriff des Gefüges (engl.
microstructure) umfasst alle höher liegenden Ebenen der Strukturhierarchie, wel-
che im Größenbereich zwischen 1 nm ... 1 mm liegen und durch die Methoden der
Licht- und Elektronenmikroskopie sichtbar gemacht werden können [141].
Der mehrschichtige strukturelle Aufbau von Metallen wird in verschiedenen
Quellen [146-149, 164] unterschiedlich dargestellt. Aufgrund der Vielfalt von
Möglichkeiten, wie die verschiedenen in der strukturellen Hierarchie enthaltenen
Elemente miteinander verankert sein können, ist es sehr schwierig, alle Ebenen in
einer Abbildung darzustellen. Eine detaillierte Darstellung der einzelnen Struktur-
elemente (in Kap. 3.2.2, 3.2.3) soll ihren zum Teil vielfältigen Charakter verdeutli-
chen1.

1. Eine Ausnahme bilden nanokristalline Materialien, welche Körner im Nanometerbereich besit-


zen. Jedoch trifft bei nanokristallinen Materialien aufgrund der in ihnen hervorgerufenen Beson-
derheiten der Nanostruktur die gesamte hier vorgenommene Beschreibung der Strukturhierarchie
nicht mehr zu. Alle in der Arbeit vorgenommenen Betrachtungen beziehen sich aber auf den hier
dargestellten gewöhnlichen strukturellen Aufbau von metallischen Werkstoffen, da in nanokris-
tallinen Materialien aufgrund der Besonderheiten ihres Aufbaus oft völlig andere Zusammen-
hänge in Bezug auf das Zusammenwirken der der Verformung zugrunde liegenden Elementarme-
chanismen vorherrschen. Alle Betrachtungen zu Versetzungsbewegungen, welche eine
wesentliche Grundlage für diese Arbeit bilden, werden hinfällig, wenn sich Korngrößen aus dem
Submikrometerbereich deutlich in den Nanometerbereich verschieben. In den meisten in der Auf-
bau- und Verbindungstechnik vorkommenden Strukturen erreichen die Korngrößen allerdings im
Mittel ein Niveau, welches oberhalb dieses kritischen Nanometerbereiches liegt.
3.2 Struktureller Aufbau 77

a) Vergrößerung: x500 b) Vergrößerung: x250

c) Vergrößerung: x1600 d) Vergrößerung: x500

e) Vergrößerung: x1600 f) Vergrößerung: x500

Abb. 3.5 Morphologie mehrhphasiger Gefüge, linke Spalte (Bilder a, c, e): zinnreiche (hell) und
bleireiche Phase (dunkel) in naheutektischen SnPb-Loten; rechte Spalte (Bilder b, d, f): β-Sn-
Matrix (hell), Ag3Sn-Phasen (dunkel), Cu6Sn5-Phasen (mitteldunkel) in naheutektischen
SnAgCu-Loten
78 3 Struktur metallischer Werkstoffe

3.2.2 Atomarer Aufbau

3.2.2.1 Atombindungen

Atome, welche die elementaren Bausteine eines Festkörpers repräsentieren,


bestehen grundsätzlich aus einem von einer Elektronenhülle umgebenen Kern (vgl.
Abb. 3.6). Viele grundsätzlichen Verformungseigenschaften eines Festkörpers
hängen dabei davon ab, wie diese Elektronenhülle aufgebaut ist. Betrachtet man
z. B. Elemente des Periodensystems mit metallischem Charakter, so wird man fest-
stellen, dass diese oft nur eine geringe Zahl von Elektronen auf der äußersten
Schale besitzen. Dies hängt damit zusammen, dass die äußerste Schale die Wech-
selwirkung mit anderen Atomen bestimmt. Das dominierende Prinzip dieser Wech-
selwirkung besteht in der Auffüllung bzw. der Leerung der äußeren Schale, sodass
die nach dieser Wechselwirkung äußerste besetzte Schale - bei allen höheren Scha-
len - mit acht Elektronen gefüllt ist (Edelgaskonfiguration). Dieses Prinzip bildet
die Grundlage der chemischen Bindung.
In Abhängigkeit von der Anzahl der Außenelektronen wechselwirkender Atome
können sich unterschiedliche Bindungstypen ergeben, welche wiederum das Ver-
formungsverhalten des Festköpers sehr stark beeinflussen. Hauptvalenzbindungen,
d. h. starke Bindungen kurzer Reichweite, werden dabei in heteropolare und kova-
lente Bindungen sowie Metallbindungen unterschieden. In Abb. 3.6 wird in einer
schematischen Darstellung eine Übersicht über diese drei Arten von Hauptvalenz-
bindungen gegeben. Während die ersten beiden Bindungstypen dadurch gekenn-
zeichnet sind, dass die beteiligten Partneratome die Elektronen der äußersten
Schale so austauschen, dass eine Edelgaskonfiguration erreicht wird, ist die Metall-
bindung dadurch charakterisiert, dass die Zahl der Außenelektronen aller beteilig-
ten Partneratome bei weniger als vier liegt und somit eine zueinander gerichtete
räumliche Anordnung über eine Ionenbindung oder eine kovalente Bindung nicht
möglich ist. In diesem Fall versuchen die Atome, eine Edelgaskonfiguration zu
erreichen, indem sie ihre Außenelektronen an ein sie umgebendes Elektronengas
abgeben, wodurch die Elektronen nicht mehr einem bestimmten Atom zugeordnet
sind. Die Bindung der positiv geladenen Ionenrümpfe zueinander resultiert aus
dem sie umgebenden negativ geladenen Elektronengas. Die Metallbindung ist die
unter den Elementen des Periodensystems am weitesten verbreitete, da zum einen
etwa 3/4 aller natürlichen Elemente einen metallischen Charakter aufweisen und
zum anderen kein besonderes stöchiometrisches Verhältnis für diese Art der Bin-
dung notwendig ist. Aus ihrem besonderen Charakter folgt eine gegenüber der
kovalenten und heteropolaren Bindung geringere Bindungskraft der Atome unter-
einander sowie eine erhöhte Möglichkeit der so gebundenen Ionenrümpfe, einen
Platzwechsel innerhalb ihrer räumlichen Anordnung vorzunehmen. Beides ist für
die Verformungseigenschaften metallischer Festkörper von besonderer Bedeutung
[143].
3.2 Struktureller Aufbau 79

Atomkern
Cl Na
vollbesetzte
Schale
Valenz-
elektronen Abgabe eines
Elekrtons
Ionenbindung

Si Me+ Me+
Si

Elektronen- Elektronengas
paar

Si
Si Me+
Me+

Atombindung Metallbindung

Abb. 3.6 Schematische Darstellung von Atom-, Ionen- und Metallbindung

3.2.2.2 Kristallsysteme, Raumgitter

Die Bindung zwischen Atomen gibt zunächst keine genaue Auskunft darüber,
wie die Atome räumlich untereinander angeordnet sind. Für diese Anordnung exis-
tiert die Möglichkeit, amorphe und kristalline Strukturen auszubilden. Im Gegen-
satz zur amorphen Struktur ist ein kristalliner Aufbau durch eine bestimmte regel-
mäßige Ordnung gekennzeichnet. Metalle verfügen mit Ausnahme stark
unterkühlter Schmelzen über einen kristallinen Aufbau.
Diese regelmäßige Anordnung der Metallatome kann mit den Punkten eines
Raumgitters verglichen werden. Die Struktur der Metallgitter wird aufgrund des
richtungsunabhängigen Charakters der Metallbindung vor allem durch das Prinzip
der dichtesten Packung bestimmt. Der Hauptteil der Metalle kristallisiert dabei in
drei Gittertypen - dem kubisch-flächenzentrierten Gitter (kfz), dem kubisch-raum-
zentrierten Gitter (krz) und dem hexagonal dicht gepacktesten Gitter (hdp).
Betrachtet man die in der Aufbau- und Verbindungstechnik vorrangig verwendeten
Metalle - Cu, Al, Ni, Pb, Au, Ag, Pt - so fällt auf, dass diese im kfz-Gitter kristalli-
80 3 Struktur metallischer Werkstoffe

sieren. Einzige Ausnahme bilden Sn und Bi. Sn kristallisiert in zwei unterschiedli-


chen Gittertypen, wobei für seine Verwendung in der Aufbau- und Verbindungs-
technik der Elektronik das tetragonal raumzentrierte Gitter wichtig ist. Bi bildet ein
monoklines Gitter aus. Andere metallische Elemente kommen in der Regel nur als
Legierungsbestandteile bzw. in intermetallischen Phasen vor, weshalb ihr Gittertyp
ohne Interesse für die weitere Betrachtung ist. In Abb. 3.7 sind das kubisch-flä-
chenzentrierte Gitter sowie das raumzentrierte-tetragonale β-Sn Gitter schematisch
dargestellt.

kubisch-flächenzentrierte Elementarzelle tetragonal-raumzentrierte


Elementarzelle von b-Zinn

1/2 1/4

1/2 1/2 3/4 3/4


1/2

1/2 1/4

Abb. 3.7 Schematische Darstellung der Elementarzelle eines kubisch-flächenzentrierten Gitters


(rechts, entspricht Elementen: Cu, Al, Ni, Pb, Au, Ag, Pt) und eines β-Sn Gitters (links) [555]

3.2.2.3 Intermetallische Phasen

Wenn zwei oder mehrere metallische Elemente in einem bestimmten stöchio-


metrischen Verhältnis vorliegen, so können diese ebenfalls in einem bestimmten
Gitter kristallisieren, welches sich von den Ausgangsgittern der beteiligten Ele-
3.2 Struktureller Aufbau 81

mente unterscheidet. Solche Gitter werden als intermetallische Phasen bezeichnet


und sind in der Regel komplizierter als die reiner Metallgitter [158]. Obwohl sich
der Terminus „Intermetallische Phase“ auf die Kombination zweier oder mehrerer
metallischer Elemente beschränken sollte, wird auch die große Gruppe metalli-
scher Phasen, die nichtmetallische Elemente, wie z. B. Bor, Phosphor, Schwefel
oder Kohlenstoff enthalten, unter diesem Begriff behandelt [159]. Während die
Anzahl der in der Aufbau- und Verbindungstechnik verwendeten Metalle begrenzt
ist, gibt es eine große Anzahl intermetallischer Phasen, die für sie wichtig sind. Die
kristalline Struktur der beiden wichtigsten intermetallischen Phasen - der sich zwi-
schen Sn und Cu ausbildenden Cu3Sn- und Cu6Sn5-Phase - sind in Abb. 3.8 und
Abb. 3.9 schematisch dargestellt. Die Cu6Sn5-Phase lässt sich im Lotgefüge in der
Regel gut erkennen, da sie aufgrund ihrer kristallinen Struktur dazu neigt, hexago-
nale Querschnitte auszubilden.
Hintergrund der Ausbildung intermetallischer Phasen sind die höheren Bin-
dungskräfte zwischen ungleichen Atomen im Gittertyp der intermetallischen Phase

Sn

g - Phase e-Cu3Sn - Phase


Cu

Abb. 3.8 Elementargitter der γ-Phase [153] und der ε-Sn3Cu-Phase des SnCu-Systems [154, 155].
Beide Phasen kommen im gleichen Konzentrationsbereich jedoch bei unterschiedlichen Tempera-
turen vor.
82 3 Struktur metallischer Werkstoffe

h-Cu6Sn5 - Phase Sn

Cu

Abb. 3.9 Elementargitter der η-Sn5Cu6-Phase [156, 157] und rasterelektronenmikroskopische


Aufnahme einer Sn5Cu6-Phase in einem SnAgCu-Lot, in der sich die hexagonale Grundstruktur
widerspiegelt

im Vergleich zu den Bindungskräften zwischen den gleichen Atomen in den mono-


metallischen Gittern der Ausgangselemente. Daher ordnen sich die verschiedenen
Atomtypen in einer bestimmten Art und Weise im Gitter der Phase an, sodass
geordnete Kristallstrukturen entstehen, in welchen die Atome einer Sorte bevor-
zugt von den Atomen anderer Sorten umgeben sind. Die Kristallstruktur einer
intermetallischen Phase wird durch die Bindungskräfte zwischen den Atomen
bestimmt, welche wiederum von den spezifischen Elektronenkonfigurationen
abhängen. Der Zusammenhang zwischen den atomaren Eigenschaften der Aus-
gangselemente und der Gitterstruktur der entstehenden Phasen ist jedoch nicht tri-
vial, wodurch verschiedene Kriterien existieren, um Struktur- und Phasentypen
miteinander in Beziehung zu setzen, d. h. eine Kristallstruktur für eine bestimmte
Phase bzw. einen bestimmten Phasentyp zu erklären. In diesem theoretischen Kon-
text hat sich herausgestellt, dass anders als für monometallische Gitter für die inter-
metallischen Phasen nicht grundsätzlich von einem metallischen Bindungstyp aus-
gegangen werden kann. Intermetallische Phasen lassen sich daher nicht einheitlich
besprechen und werden üblicherweise in verschiedene Gruppen, z. B. Zintl-Pha-
sen, Laves-Phasen, Hume-Rothery-Phasen usw., eingeteilt [160].
Um einen Eindruck von Komplexität und Größe verschiedener Elementarzellen
zu vermitteln, sind verschiedene für den Bereich der Aufbau- und Verbindungs-
technik der Elektronik wichtige metallische Elemente und intermetallische Phasen
3.2 Struktureller Aufbau 83

in Tabelle 3.1 mit ihren Kristallstrukturen, Gitterkonstanten, Dichten und Elemen-


tarzellenvolumina einander gegenübergestellt. Es ist zu erkennen, dass die Gitter
dieser Elemente und Phasen bezüglich ihrer Volumina und Gitterkonstanten ver-
gleichbare Dimensionen aufweisen, was eine wichtige Voraussetzung für den Auf-
bau stabiler Phasengrenzflächen ist.

Tabelle 3.1 Kristallstruktur, Gitterkonstante, Dichte, Elementarzellenvolumen ausgewählter


metallischer Elemente und intermetallischer Phasen [151-158]

Element Kristallstruktur Gitterkonstanten Dichte V(Elementarzelle)


IMV (Raumgruppe) (nm) (g/cm3) (nm3)

Sn tetragonal (I41/amd) a = 0,58 c = 0,32 7,28 0,108

Cu kubisch (Fm 3 m) a = 0,36 8,93 0,047

Ag kubisch (Fm 3 m) a = 0,41 11,68 0,068

Pd kubisch (Fm 3 m) a = 0,39 10,52 0,059

Cu3Sn orthorhombisch (Cmcm) a = 0,55 b = 0,48 8,97 0,114


c = 0,43

Cu6Sn5 hexagonal (P63/mmc) a = 0,42 c = 0,51 8,28 0,120

Ag3Sn orthorhomb. (Pmmn) a = 0,59 b = 0,48 10,03 0,147


c = 0,51

Ag5Sn hexagonal (P63/mmc) a = 0,29 c = 0,48 9,94 0,036

Pd3Sn2 hexagonal (P4/mmm) a = 0,44 c = 0,57 9,79 0,095

PdSn orthorhomb. (Pmmn) a = 0,63 b = 0,39 9,4 0,149


c = 1,22

3.2.3 Werkstoffgefüge

3.2.3.1 Arten von Gitterbaufehlern

Die perfekte Gitterstruktur eines Kristalls ist ein theoretisches Konzept. In


natürlich vorkommenden Metallen wird die Fernordnung, welche durch die Peri-
odizität des Kristallaufbaus der Metalle zustande kommen würde, durch soge-
nannte Gitterstörungen räumlich begrenzt. Gitterstörungen führen zu Unregelmä-
ßigkeiten und Abweichungen vom Idealkristall und fügen im strukturellen Aufbau
84 3 Struktur metallischer Werkstoffe

der Metalle höhere Strukturebenen ein, durch die unter anderem die mechanischen
Eigenschaften metallischer Werkstoffe beeinflusst werden. Frenkel [144] führte als
Erster aus, dass bei einer vom absoluten Nullpunkt verschiedenen Temperatur die
Anordnung der Atome im Kristall nicht der eines natürlichen Gitters entspricht.
Die Entropie der Mischung, welche durch die große Anzahl der möglichen Konfi-
gurationen in den Gitterstörungen, die im Kristall auftreten können, entsteht, wird
immer zu einer Verringerung in der Freien Energie führen, egal wie hoch die Bil-
dungsenergie für die Störung auch sein mag. Gitterstörungen können dabei ver-
schiedene geometrische Ausmaße annehmen. Die geringste geometrische Störung
des Idealgitters besteht in punktförmigen Defekten, wie Leerstellen, Zwischengit-
teratomen und Substitutionsatomen. Versetzungen stellen linienhafte Defekte dar.
Flächenhafte Gitterstörungen kommen durch Korngrenzen und Phasengrenzflä-
chen zustande. Der Entropiegewinn durch eine Störung verhält sich umgekehrt zur
geometrischen Ausdehnung und ist für punktförmige Defekte am größten [145].

3.2.3.2 Punktdefekte

Punktdefekte, wie Leerstellen, Zwischengitteratome und Substitutionsatome,


sind in der Regel intrinsischer Natur. Dabei ist die Störung, welche durch Leerstel-
len und Substitutionsatome erzeugt wird, in der Regel kleiner als die der Zwischen-
gitteratome, da diese sich ins ungestörte Gitter einbauen. In metallischen Werkstof-
fen sind Leerstellen der dominierende Punktdefekt. Da sie durch den Wechsel von
Gitterplätzen einen Atomtransport ermöglichen, kommt ihnen für alle mit der Fest-
körperdiffusion verbundenen Verformungsprozesse, z. B. Kriechen, eine beson-
dere Bedeutung zu. Zwischengitter- und Substitutionsatome treten oft in Zusam-
menhang mit metallischen Legierungen auf. Durch die durch sie hervorgerufenen
Gitterstörungen können bestimmte Verformungseigenschaften verändert werden
[145]. Für die in der Aufbau- und Verbindungstechnik verwendeten Legierungen
sind vor allem Substitutionsatome von Bedeutung. In der schematischen Darstel-
lung in Abb. 3.10 wird ein Überblick über die verschiedenen Arten von Punktde-
fekten gegeben. Wegen ihrer Bedeutung für die Mechanismen der Verformung für
die in der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik verwendeten Metalle
und Legierungen sind unter diesen Defekten vor allem Leerstellen und Substituti-
onsatome wichtig, welche nachfolgend näher erläutert werden sollen.

Leerstellen: Gitterplätze, die nicht von einem Atom besetzt sind, heißen Leer-
stellen. Leerstellen sind Bestandteile der Realstruktur von Metallen im thermody-
namischen Gleichgewicht. Ihre Konzentration ist temperaturabhängig und wird als
Leerstellendichte ( c v ) bezeichnet. Für die meisten Metalle beträgt sie bei Raum-
temperatur etwa 10-12 und nimmt mit der Temperatur exponentiell zu, sodass sie
kurz vor dem Schmelzpunkt einen Wert von etwa 10-4 erreicht. Diese exponenti-
elle Zunahme der Leerstellendichte mit der Temperatur ist die wesentliche Ursache
für die Dominanz sogenannter diffusionskontrollierter Mechanismen bei hohen
3.2 Struktureller Aufbau 85

Leerstelle Zwischengitteratom

kleineres Fremdatom größeres Fremdatom

Abb. 3.10 Überblick über die verschiedenen Typen von Punktdefekten in Kristallgittern (Sche-
matische Darstellung)

homologen Materialtemperaturen. In Abb. 3.11 ist der Zusammenhang zwischen


Leerstellendichte und Temperatur, welche experimentell an Kupferproben ermittelt
wurde, dargestellt [145], wobei sich für die temperaturstellenabhängige Leerstel-
lendichte der folgende Zusammenhang ergibt:

ln ( c v ) ∼ – --1- (3.1)
T

Substitutionsatome: Aufgrund ihres Bindungstyps können die meisten Metalle


in ihrem Gitter bestimmte Mengen anderer Atome aufnehmen. Dabei wird der Git-
tertyp des Grundmetalls nicht geändert. Fremdatome werden in das Wirtsgitter des
Grundmetalls eingebaut, wodurch es in Abhängigkeit von der Größe des Fremd-
atoms elastisch verspannt wird. Kristalle mit gelösten Fremdatomen werden im
Deutschen als Mischkristalle und im Englischen als „solid solution“ (feste Lösung)
86 3 Struktur metallischer Werkstoffe

-3 Au

-4
log cv

Cu

-5

1000 900 800 700 600 500 400


T in °C

Abb. 3.11 Zusammenhang zwischen Leerstellendichte und Temperatur bei Gold (Abwärtspfeil)
und Kupfer (Aufwärtspfeil), ermittelt durch Positronenannihilation bzw. Differenzielle Dilato-
metrie (in einer 1/T Darstellung), adaptiert aus [145]

bezeichnet. Die Anzahl der Fremdatome, die sich im Wirtsgitter lösen lassen, hängt
von der Temperatur und vom Größenunterschied zwischen Fremd- und Wirts-
gitteratomen ab. Unterscheiden sich die beiden Atomsorten in ihrer Größe um
weniger als 15%, so kann sich eine vollständige Mischbarkeit zwischen den Metal-
len ergeben. Grundlegend erreichen die verschiedenen Elemente des Periodensy-
stems trotz ihrer sehr unterschiedlichen Anzahl von Elementarladungen recht ähn-
liche Atomradien, da mit der steigenden Anzahl von Elektronen in der Hülle auch
die Gesamtladung steigt, wodurch es zu einer stärkeren Kontraktion kommt. Die
präzise Ableitung der Größe aus der Ordnungszahl ist schwierig, da die Elektro-
nenhülle im engeren Sinne keine scharfen Grenzen aufweist. Zwar ließe sich auf-
grund der Wellengleichung für die äußere besetzte Schale ein Radius ableiten, da
sich die Betrachtung der Lösung von Fremdatomen jedoch nicht auf ein Gas, son-
dern auf ein Gitter bezieht, ist die Entfernung zwischen zwei benachbarten Atomen
ausschlaggebend, welche wiederum sehr stark von der interatomaren Bindungs-
kraft abhängt. Tabelle 3.2 gibt einen Überblick über verschiedene Atomradien in
Bezug zum jeweiligen Bindungstyp.
Die für die Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik wichtigsten
Systeme mit vollständiger Mischbarkeit sind Cu-Ni, Au-Ag und Au-Cu. Systeme
mit vollständiger Mischbarkeit sind aber eher die Ausnahme. In der Regel ist die
Löslichkeit der Fremdatome im Wirtsgitter beschränkt. Im Falle begrenzter Lös-
lichkeit von Fremdatomen in einem Wirtsgitter nimmt diese in der Regel mit der
Temperatur ab. Im Sn-Pb System betragen die Löslichkeiten der Sn-Atome im Pb-
Gitter bzw. der Pb-Atome im Sn-Gitter jeweils 19,1% und 2,5% am eutektischen
3.2 Struktureller Aufbau 87

Punkt und fallen bei Raumtemperatur auf Werte von 3,8% bzw. auf eine nahezu
Unlöslichkeit von Pb-Atomen im Sn-Gitter.

Tabelle 3.2 Berechnete Radien von Atomen und Ionen ausgewählter Elemente in Abhängigkeit
vom Bindungstyp in Ångström [184]

Element Bindungstyp

van der kovalent metallisch ionisch (Anzahl freier Ladungen


Waals (Koordinationszahl) der Kationen (-) o. Anionen (+))

O 1,4 0,74 - 1,35 (-2); 0,09 (+6)

Al - 1,25 1,43 (12) 0,55 (+3)

P 1,9 1,1 - 1,86 (-3); 0,44 (+3); 0,35 (+5)

Cr - 1,17 1,25 (8) 0,89 (+2); 0,65 (+3); 0,36 (+6)

Ni - 1,15 1,25 (12) 0,87 (+2)

Cu - 1,17 1,27 (12) 0,96 (+1); 0,72 (+2)

Pd - 1,28 1,37 (12) 0,80 (+2); 0,65 (+4)

Ag - 1,34 1,44 (12) 1,13 (+1); 0,89 (+2)

Pt - 1,29 1,38 (12) 1,06 (+2); 0,92 (+4)

Au - 1,29 1,37 (12) 1,37 (+1); 0,85 (+3)

Pb - 1,54 1,71 (12) 2,15 (-4); 1,32 (+2); 0,84 (+4)

Bi - 1,52 1,74 (12) 2,13 (-3); 1,20 (+3); 0,74 (+5)

In - 1,50 1,57 (12) 0,92 (+3)

Sn - 1,41 1,58 (12) 2,94 (-4); 1,02 (+2); 0,74 (+4)

Sb 2,2 1,41 1,61 (12) 2,08 (-3); 0,90 (+3); 0,62 (+5)

3.2.3.3 Linienförmige Defekte

Versetzungen ziehen sich als linienförmiger Baufehler durch den Kristall. Tat-
sächlich sollte man jedoch von röhrenförmigen Defekten mit einem Radius von
einigen Atomabständen sprechen, welche sich durch den Kristall ziehen. Innerhalb
dieser Röhre sind die Atome zueinander verschoben, sodass sich ihre Koordinaten
von dem des perfekten Gitters deutlich unterscheiden. Außerhalb der Röhre liegt
jedoch eine perfekte Gitteranordnung vor. In der Realität gibt es jedoch keine
88 3 Struktur metallischer Werkstoffe

Versetzungskern

Abb. 3.12 Stufenversetzung

scharfe Grenze zwischen dem Inneren und dem Äußeren der Versetzungsröhre,
sondern vielmehr einen allmählichen Übergang. Überdies muss der Querschnitt der
Röhre, welche etwas irreführend als Versetzungskern bezeichnet wird, keinen
kreisförmigen Querschnitt besitzen [161].
Versetzungen können in zwei verschiedenen Formen auftreten - als Stufenver-
setzung und als Schraubenversetzung. In Abb. 3.12 ist eine Stufenversetzung sche-
matisch dargestellt. Sie teilt den Kristall in zwei Ebenen, wobei die obere Ebene
eine Atomreihe mehr enthält als die untere. Bei Schraubenversetzungen
(Abb. 3.13)werden die Gitterebenen des Kristalls um die senkrecht zu ihnen ste-
hende Versetzungslinie wendelförmig verzerrt. Reale Versetzungen treten in der
Regel als gemischte Versetzung auf, d. h., verschiedene Abschnitte der Verset-
zungslinie treten als Stufen- und Schraubenversetzung auf. Im Allgemeinen enden
oder beginnen Versetzungen an der Oberfläche des Kristalls. Innerhalb des Kris-
talls bilden sie geschlossene Linienzüge. Versetzungen sind eine wichtige Voraus-
setzung für die leichte plastische Verformbarkeit von Metallen. Ihre Häufigkeit im

Versetzungskern

Abb. 3.13 Schraubenversetzung


3.2 Struktureller Aufbau 89

Kristall, die sogenannte Versetzungsdichte, hängt von verschiedenen Faktoren, wie


der Temperatur und der mechanischen Spannung, ab. Versetzungen können sich
vervielfachen, aber auch annihilieren (sich gegenseitig vernichten).

3.2.3.4 Körner und Korngrenzen

Korngrenzen trennen Bereiche gleicher Kristallstruktur, aber unterschiedlicher


Orientierung voneinander. Durch eine Drehung im Raum wäre es möglich, diese
getrennten Bereiche wieder ineinander zu überführen. Für kubisch-flächenzen-
trierte Kristalle gibt es aufgrund der Symmetrie des Gitters 24 Möglichkeiten für
diese Drehung. Der kleinste dieser möglichen Drehwinkel wird als Missorientie-
rungswinkel bezeichnet. In Abhängigkeit vom Betrag dieses Winkels lassen sich
Korngrenzen in Kleinwinkelkorngrenzen und Großwinkelkorngrenzen einteilen.
Als Kleinwinkelkorngrenzen werden alle Korngrenzen mit einem Missorientie-
rungswinkel unterhalb 15° angesehen, als Großwinkelkorngrenzen alle mit einem
größeren Missorientierungswinkel θ . Diese Klassifizierung geht von der Annahme
aus, dass Missorientierungen bis zu 15° allein durch Versetzungen entstehen kön-
nen. Zur Realisierung größerer Winkel müsste der Abstand der Versetzungen so
klein werden, dass sich die Versetzungskerne überlagern würden. Großwinkelkorn-
grenzen besitzen daher keine regelmäßige Atomanordnung und sind oft einige
Atomlagen breit, wodurch sie für die Versetzungsbewegung sehr effektive Hinder-
nisse darstellen. Aus diesem Grund werden die durch die Korngrenzen zueinander
abgegrenzten Bereiche auch in Körner und Subkörner unterschieden. Als Korn ist
ein dreidimensionaler Bereich zu verstehen, der vollständig von einer Großwinkel-
korngrenze eingeschlossen wird. Innerhalb solcher Körner können Subkörner exis-
tieren, die voneinander durch Kleinwinkelkorngrenzen abgegrenzt sind.
Die Struktur von Kleinwinkelkorngrenzen lässt sich als eine bestimmte Anord-
nung von Versetzungen darstellen. Den einfachsten Fall bildet dabei eine symme-
trische Kipp-Korngrenze (Abb. 3.14), welche sich durch eine parallele Anordnung
von Stufenversetzungen ergibt. Die Korngrenze verläuft entlang der sich daraus
resultierenden Stufenversetzungswand und steht senkrecht auf der Gleitebene. Der
Missorientierungswinkel dieser Kipp-Korngrenze ergibt sich aus dem Abstand der
Versetzungen entlang der Korngrenze h mit

b
θ = --- , (3.2)
h

wobei b dem Burgersvektor entspricht, die Energie einer solchen Kippkorn-


grenze γ s ergibt sich aus [162]:

γ s = γ 0 ⋅ θ ⋅ ( A – ln ( θ ) ) , (3.3)
90 3 Struktur metallischer Werkstoffe

wobei γ 0 = G ⋅ b ⁄ 4π ( 1 – ν ) mit G = Schubmodul und ν = Querkontrak-


tionszahl, A = 1 + ln ( b ⁄ 2πr 0 ) mit r 0 = Radius des Versetzungskerns, welcher
zwischen 1…5 ⋅ b angenommen wird. Gemäß der Formulierung in Gleichung
(3.3) nimmt die Energie der Kleinwinkelkorngrenze degressiv mit dem Missorien-
tierungswinkel θ bzw. der Zahl der Versetzungen zu.
Ein zweiter einfacher Grenzfall von Kleinwinkelkorngrenzen ergibt sich aus der
Anordnung von zwei Scharen von Schraubenversetzungen. Hierbei entsteht eine
Drehkorngrenze (Abb. 3.14), deren Missorientierungswinkel θ senkrecht zur
Korngrenze steht und sich wiederum aus Gleichung (3.2) ergibt. Im allgemeinen
Fall ergibt sich die Kleinwinkelkorngrenze jedoch aus Versetzungen mit zwei oder
mehr verschieden gerichteten Burgersvektoren, sodass sich ihre Gestalt aufgrund
der unterschiedlichen Typen an beteiligten Versetzungen schwer einheitlich
beschreiben lässt.
Die Gestalt von Großwinkelkorngrenzen lässt sich nicht so einfach beschreiben
wie die der Kleinwinkelkorngrenzen. Die bis heute plausibelste Erklärung lieferten
Kronberg und Wilson [163] über das Konzept eines Koinzidenzgitters, welches die

Drehkorngrenze Kleinwinkelkorngrenze

Grenze

Korngrenze Drehachse

asymmetrische Kippkorngrenze symmetrische Kippkorngrenze

Q
Symmetrie-
ebene

Korn-
grenze

Kippachse und
Achse der
Korngrenzenrotation

Abb. 3.14 Schematische Darstellung der prinzipiellen Möglichkeiten, Korngrenzen in einem


Gefüge ausbilden zu können. Reale Korngrenzen bilden sich in der Regel als Mischtypen und
enthalten Elemente aus verschiedenen prinzipiellen Möglichkeiten der Korngrenzenausbildung
(adaptiert aus [164]).
3.2 Struktureller Aufbau 91

a) b)

Abb. 3.15 Großwinkelkorngrenzen: a) Koinzidenzgitter Σ5 , welches sich aus zwei um einen


Missorientierungswinkel von 36,9 ° entlang der <001> Achse gegeneinander verdrehten
einfachen kubischen Gittern ergibt. Die gefüllten Kreise entsprechen den gemeinsamen Gitter-
plätzen, b) kohärente Zwillingsgrenze mit Σ = 3 (adaptiert aus [165]).

Anzahl der gemeinsamen Gitterplätze zweier beliebig gegeneinander orientierter


Kristallgitter beschreibt. Der reziproke Wert der aufeinandersitzenden Gitterplätze
zur Gesamtanzahl der Gitterplätze wird mit Σ bezeichnet. Die Energie einer Groß-
winkelkorngrenze hängt neben Σ auch von anderen Faktoren, wie z. B. vom
Abstand der Netzebenen parallel zur Korngrenze, ab, weshalb niedrige Werte von
Σ nicht zwingend zu niedrigen Korngrenzenergien führen [164, 165]. Ein Sonder-
fall der Großwinkelkorngrenze ist die kohärente Zwillingsgrenze, welche je nach
Kristallsymmetrie niedrigen Werten von z. B. Σ = 3 entsprechen kann und eine
Grenzfläche zweier spiegelsymmetrisch angeordneter Kristallgitter darstellt.

3.2.3.5 Phasen und Phasengrenzen

Wenn ein metallischer Werkstoff aus mehreren Atomarten aufgebaut ist, kann
er mehrere Phasen aufweisen. Als Phasen werden alle gleichartigen einheitlichen
Bestandteile bezeichnet. Ausschlaggebend ist neben der Zusammensetzung auch
die Kristallstruktur. In der Regel treten in metallischen Werkstoffen verschiedene
Phasen in Form der reinen Metalle, in Form von Mischkristallen und als interme-
tallische Phasen auf. Verschiedene Phasen werden durch Phasengrenzflächen von-
einander abgegrenzt. Der Aufbau von Phasengrenzen ist komplizierter als der von
Korngrenzen, da neben Missorientierungen in der Regel auch unterschiedliche Git-
92 3 Struktur metallischer Werkstoffe

a1 semikohärente Phasengrenze

b)
a2
inkohärente Phasengrenze

a) c)

Abb. 3.16 Arten von Phasengrenzen: a) homogen, b) quasihomogen, c) heterogen

tertypen bzw. unterschiedliche Gitterkonstanten (bei gleichem Gittertyp) miteinan-


der verbunden werden müssen (vgl. Abb. 3.16). Aufgrund dieser vielen Anpas-
sungsunterschiede werden Phasengrenzflächen in kohärente, semikohärente und
inkohärente Grenzflächen eingeteilt. Kohärente Grenzflächen sind mit Kleinwin-
kelkorngrenzen vergleichbar und stellen die Verbindung zwischen strukturell ähn-
lichen Phasen her. In semikohärenten Grenzflächen werden beispielsweise Unter-
schiede in der Gitterkonstante zwischen Phasen gleichen Gittertyps durch
Versetzungen ausgeglichen. Inkohärente Grenzflächen sind hingegen ein Pendant
zu Großwinkelkorngrenzen und stellen ein effektives Hindernis für die Verset-
zungsbewegung dar [164].

3.2.3.6 Kristallgemische

Die Mischung zwischen zwei Metallsorten durch Einbau einer Atomsorte in das
Gitter der anderen (Mischkristallbildung) ist, wie in 3.2.3.2 dargelegt, nur inner-
halb eines begrenzten Verhältnisses der Atomradien der beiden Metallsorten mög-
lich. Sind die Atomradien hingegen sehr unterschiedlich, kommt es zur Ausbildung
eines Kristallgemisches. Dieses kann entweder aus den Kristalliten der reinen
Komponenten bzw. aus Mischkristallen bestehen, wenn zwischen den beiden
3.2 Struktureller Aufbau 93

A-Kristalle

B-Kristalle

Abb. 3.17 Kristallgemisch (schematisch)

Komponenten eine begrenzte Mischbarkeit vorliegt. Da zwischen den Kristalliten


eines Kristallgemisches immer Phasengrenzen vorliegen, unterscheiden sie sich in
bestimmten Aspekten von den Mischkristallgefügen. Zu diesen Aspekten zählen
z. B. das Kristallwachstum als auch der Aufbau thermisch induzierter Spannungen
durch unterschiedliche Ausdehnungskoeffizienten der verschiedenen Kristallite.
Das schematische Aussehen eines Kristallgemisches ist anhand eines zweiphasigen
Gefüges in Abb. 3.17 dargestellt.

3.2.3.7 Ausscheidungen

Unter einer Ausscheidung versteht man einen Bereich, in dem die chemische
Zusammensetzung gegenüber der sie umgebenden Metallmatrix geändert ist, ohne
dass sich dabei die Kristallstruktur dieser Matrix geändert hat. Ausscheidungen
entstehen durch eine Phasenumwandlung im festen Zustand. Grund für eine Aus-
scheidungsreaktion ist zum Beispiel die Übersättigung der Metallmatrix mit
Fremdatomen, da deren Löslichkeit mit sinkender Temperatur abgenommen hat.
Die Bildung einer Ausscheidung erfolgt oft über eine Sequenz metastabiler Zwi-
schenphasen. Bei Ausscheidungsreaktionen wird in zwei Mechanismen kontinuier-
licher Entmischung unterschieden - in Keimbildung und Wachstum oder in spin-
odale Entmischung. Im ersten Prozess bilden sich durch thermische Schwankungen
an einzelnen Stellen Keime der 2. Phase, die bereits die Zusammensetzung der im
Zustandsdiagramm (vgl. 3.3.1) auftretenden Gleichgewichtsphase haben. Diese
Keime wachsen durch normale Diffusion im Konzentrationsgradienten der Verar-
mungszone. Im Fall der spinodalen Entmischung kommt es hingegen zur Zunahme
ursprünglich kleiner Konzentrationsschwankungen durch eine sogenannte „Berg-
94 3 Struktur metallischer Werkstoffe

aufdiffusion“ innerhalb einer Spinodalen. Neben diesen kontinuierlichen Entmi-


schungsprozessen existieren aber auch diskontinuierliche, bei denen z. B. die Aus-
scheidung längs einer sich in das übersättigte Material hineinschiebenden
Entmischungsfront abläuft.
Ausscheidungen werden nach der Beschaffenheit der Phasengrenzfläche zur
Matrix in kohärente, semikohärente und inkohärente Ausscheidungen eingeteilt.
Mit dem Wachstum von Ausscheidungen kann ein Übergang von kohärenten zu
inkohärenten Ausscheidungen verbunden sein. Das Wachstum von Ausscheidun-
gen kann mit einer Verringerung der Anzahl der Ausscheidungen einhergehen, da
größere Ausscheidungen auf Kosten kleinerer wachsen (Ostwaldreifung). Trieb-
kraft dieser Wachstumsprozesse ist das Bestreben, die Grenzflächenenergie zu ver-
mindern. Aus diesem Grund lagern sich Ausscheidungen auch bevorzugt in Korn-
grenzentripeln an.

a) b) c)

Abb. 3.18 Ausscheidungen mit a) kohärenter, b) teilkohärenter, c) inkohärenter Phasengrenz-


fläche zur Matrix

3.3 Legierungen

3.3.1 Formen von Legierungen

Reine Metalle werden in technischen Anwendungen sehr selten eingesetzt. Dies


hängt damit zusammen, dass monometallische Systeme über Eigenschaften verfü-
gen, die sie für technische Anwendungen unbrauchbar machen. Zu solchen Eigen-
schaften zählen beispielsweise starke Oxidationsneigung, schlechte Benetzung,
hohe Schmelzpunkte, Gefügeinstabilität oder mangelnde Festigkeit. Durch Zumi-
schung anderer metallischer Elemente können viele dieser Eigenschaften signifi-
kant verbessert werden. Mischungen zweier oder mehrerer metallischer Elemente
werden als Legierungen bezeichnet. Da die Eigenschaften von Legierung weitest-
3.3 Legierungen 95

gehend durch die Gleichgewichte bestimmt werden, in denen die Elemente, aus
denen die Legierung aufgebaut ist, nebeneinander vorliegen, ist die Bestimmung
und Darstellung dieser Gleichgewichtsverhältnisse zur Herstellung und Nutzung
metallischer Legierungen notwendig. Diese Darstellung erfolgt in der Regel über
Zustandsschaubilder, in denen die im Gleichgewicht befindlichen Phasen in
Abhängigkeit von ihrer Konzentration und der Temperatur dargestellt sind. Aus
der Gibbs’schen Phasenregel folgt, dass in einem Zweiphasengebiet, in der z. B.
eine feste Phase mit einer Schmelze im Gleichgewicht steht, entweder die Konzen-
tration oder die Temperatur dieses Gleichgewichtes frei wählbar ist. Daraus folgt,
dass bei einer vorgegebenen Temperatur die Zusammensetzung der im Gleichge-
wicht befindlichen Phasen eindeutig gegeben ist [146]. In Abhängigkeit von der
Art der metallischen Elemente gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie sich diese
miteinander mischen können. Wird davon ausgegangen, dass alle Bestandteile der
Zweistofflegierung in der Schmelze in beliebigen Verhältnissen mischbar sind, so
ergeben sich folgende Grundtypen für die Entstehung der festen Phase: a) die
Bestandteile kristallisieren aus der Schmelze im reinen Zustand aus, b) die
Bestandsteile bilden eine kongruent schmelzende Verbindung mit einem Schmelz-
punktmaximum, c) die Bestandteile bilden eine Verbindung mit einem verdeckten
Maximum, die unter Zersetzung inkongruent schmilzt, d) die Bestandteile bilden
miteinander eine lückenlose Reihe von Mischkristallen, e) die Bestandteile bilden
begrenzte Mischkristallreihen mit einem Eutektikum, f) die Bestandteile bilden im
flüssigen Zustand Mischkristallreihen mit einem Peritektikum [147].
Für die in der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik verwendeten
Lote sind vor allem die Varianten a), e) von Bedeutung, da Lote, die nicht an einem
bestimmten Punkt sofort erstarren oder aufschmelzen und einen großen Schmelz-
bereich aufweisen, eine Reihe verfahrenstechnischer Nachteile mit sich bringen
würden. Der Fall a) ist als Grenzfall zu betrachten, da in der Praxis üblicherweise
zumindest eine geringe Löslichkeit zur Bildung von Mischkristallen immer vor-
handen ist. In Zusammenhang mit der Bildung intermediärer Kristallarten, z. B.
intermetallischer Phasen, ist oft Variante c) von Interesse. Allerdings reduziert sich
das Problem in der Praxis durch den gewählten Zusammensetzungs- und Tempera-
turbereich auf eine den Varianten a), e) vergleichbare Betrachtung. Eine Ausnahme
bildet das System SnSb, welches in Variante f) erstarrt. Auch für Stoffgemische,
die nicht aufgeschmolzen werden, stellt sich die durch das Zustandsdiagramm dar-
gestellte Phasenverteilung ein. Der Zeitraum, in dem dies passiert, hängt aber von
der konkreten Aktivierung der Transportprozesse der Festkörperdiffusion ab [148].

3.3.2 Eutektische Systeme

Eutektikum ist vom griechischen Wort „eutektos“ abgeleitet und bedeutet


„leicht schmelzbar“. Diese Bezeichnung folgt der Beobachtung, dass bei einer
bestimmten Zusammensetzung der Schmelzpunkt der Legierung unterhalb der
Schmelzpunkte der Einzelkomponenten liegt. Für binäre eutektische Systeme exis-
96 3 Struktur metallischer Werkstoffe

Gewichtsprozent Silizium
2 4 6 8 10 15 20 25 30 40 50 6070 80 90
1600

1404°
1400

1200

1063°
Temperatur C°

1000

800

600

400
~31 370°
(~6)
200
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

Atomprozent Silizium

Abb. 3.19 Zustandsschaubild Au-Si System

tieren zwei Möglichkeiten: ein System mit völliger Mischbarkeit im flüssigen und
Unmischbarkeit im festen Zustand (= Variante a) in 3.3.1) und ein System mit völ-
liger Mischbarkeit im flüssigen und begrenzter Mischbarkeit im festen Zustand
(= Variante e) in 3.3.1). Wie schon angeführt, ist das erste ein Grenzfall des zwei-
ten. Jedoch gibt es eine Reihe von Legierungen, in welchen die Löslichkeit der
Bestandteile ineinander an der Nachweisgrenze liegt. Das System Au-Si
(Zustandsdiagramm in Abb. 3.19) ist ein typisches Beispiel für ein solches System.
Es wird zum Diebonden von Halbleiterchips auf Trägerstreifen genutzt. In diesem
Prozess wird die Rückseite des Siliziumchips auf den mit einer dünnen Gold-
schicht versehenen und auf die eutektische Temperatur von T E = 370°C aufge-
heizten Trägerstreifen gedrückt, sodass sich zwischen Si und Au eine eutektische
Legierung ausbildet. Das Gefüge dieser Legierung ist durch fein verteilte Au- und
Si-Kristallite gekennzeichnet, welche in einem Verhältnis vorliegen, aus dem sich
die eutektische Zusammensetzung aus 31 at% Au und 69 at% Si ergibt.
Das typische Beispiel für ein eutektisches System mit einer begrenzten Misch-
barkeit in der festen Phase ist SnPb (siehe Zustandsdiagramm in Abb. 3.20). Das
eutektische SnPb-Lot wurde früher als universeller Lotwerkstoff in elektronischen
Aufbauten eingesetzt. Mit dem im Jahre 2006 einsetzenden Bleiverbot kommt es
nur noch in Bereichen, wie der Kfz-Elektronik, zum Einsatz, für die bisher kein
3.3 Legierungen 97

Gewichtsprozent Blei
10 20 30 40 50 60 70 80 85 90 95
350
327°
1 2
6 5
300

250
232° 4
3
Temperatur C°

200
183° (Pb)
1,45 26,1 71
150
(Sn)

100
7 93

50

96,8
0
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Sn Pb
Atomprozent Blei

Abb. 3.20 Zustandsschaubild Sn-Pb System

gleichwertiger Substitutionswerkstoff gefunden werden konnte. Weiterhin werden


hochbleihaltige SnPb-Werkstoffe für die Flip-Chip-Montage von Mikroprozesso-
ren und anderen hochpoligen Halbleiterbauelementen eingesetzt. Im Gegensatz
zum Au-Si-System ist das Sn-Pb-System dadurch gekennzeichnet, dass bei der
Erstarrung keine Entmischung in eine Sn- und eine Pb-Phase erfolgt, sondern dass
durch die beschränkte Löslichkeit von Sn und Pb ineinander aus der Schmelze
zinnreiche α - und bleireiche β -Mischkristalle kristallisieren. Bei schneller Erstar-
rung, wie sie für das Löten typisch ist, ergibt sich die Zusammensetzung der
Mischkristalle aus der Löslichkeit bei der eutektischen Temperatur T E , d. h., die
Zusammensetzung des zinnreichen α -Mischkristalls beträgt 97,5%Sn-2,5%Pb und
die des bleireichen β -Mischkristalls beträgt 19,1%Sn-70,9%Pb. Da beide Misch-
kristalle bei Raumtemperatur übersättigt sind, tritt langfristig eine Segregation der
überschüssigen Fremdatome aus den Mischkristallen auf. Da dieser Prozess aber
aufgrund der hohen homologen Temperatur T h ( 20°C ) = 64% ⋅ T E parallel zu
einer Phasenvergröberung abläuft, kommt es nicht zur Ausbildung eines Korngren-
zensegregats im Gefüge des eutektischen SnPb-Lotes.
Aus dem Sn-Pb-Zustandsdiagramm lassen sich für verschiedene Zusammenset-
zungen der Sn-Pb-Legierung folgende Erstarrungsreaktionen ableiten. Hatte die
SnPb-Schmelze eine eutektische Zusammensetzung von 63%Sn-37%Pb, so zerfällt
98 3 Struktur metallischer Werkstoffe

diese bei Erreichen der eutektischen Temperatur T E = 183°C sofort in die beiden
Mischkristalle (Linie 1).
Hatte die Schmelze eine nichteutektische Zusammensetzung, welche allerdings
oberhalb der Zusammensetzung der Mischkristalle bei T E liegt, z. B. 42%Sn-
58%Pb (Linie 2), so fällt bei Erreichen der Liquiduslinie zunächst der entspre-
chende Mischkristall (bleireicher β -Mischkristall ), welcher die Zusammenset-
zung (Punkt 4) bei der entsprechenden Temperatur ( T ≈ 240°C ) besitzt, aus,
sodass die Schmelze bei sinkender Temperatur immer weiter an Pb verarmt, bis sie
bei der eutektischen Temperatur die eutektische Zusammensetzung erreicht. An
dieser Stelle erstarrt die Restschmelze wie die eutektischer Zusammensetzung,
d. h. wie bei Linie 1. Die Anzahl der im Gefüge der entstehenden zinnreichen α -
und β -Mischkristalle richtet sich nach der Zusammensetzung der Schmelze.
Hatte die Schmelze eine nichteutektische Zusammensetzung, welche allerdings
unterhalb der Zusammensetzung eines Mischkristalles bei T E liegt (Linie 3), z. B.
5%Sn-95%Pb, so fällt bei Erreichen der Liquiduslinie ( T ≈ 320°C ) der bleireiche
β -Mischkristall mit Zusammensetzung (Punkt 5) bei der entsprechenden Tempe-
ratur aus, sodass die Schmelze bei sinkender Temperatur immer weiter an Pb ver-
armt, bis sie bei der Solidustemperatur ( T ≈ 310°C ) für die Zusammensetzung
5%Sn-95%Pb erreicht und endgültig mit einem bleireichen β -Mischkristall bei
dieser Zusammensetzung (Punkt 6) erstarrt. Das Gefüge besteht nur aus diesem
Mischkristall, wobei sich die leichten Zusammensetzungsunterschiede bei hohen
Temperaturen sofort wieder auszugleichen beginnen, bis eine homogene
5%Sn-95%Pb-Zusammensetzung erreicht ist. Da dieser Mischkristall aufgrund der
mit der Temperatur absinkenden Löslichkeit ab einer Temperatur ( T ≈ 115°C )
übersättigt ist (Punkt 7), beginnt Sn unterhalb dieser Temperatur durch eine Aus-
scheidungsreaktion auszusegregieren. In realen Kontakten können daraufhin zwei
Dinge passieren, entweder das aussegregierende Sn wird durch der Reaktion mit
Leitbahnmetall (z. B. mit Cu oder Ni) gebunden, sodass keine Segregation zu
beobachten ist, oder es tritt im Betrieb durch Temperaturwechsel1 ein zyklisches
Lösen und Ausscheiden des Sn in bzw. aus dem Pb-reichen Mischkristall auf
[166-171].
Die dargestellten, aus dem Zustandsdiagramm entnommenen Erstarrungsreak-
tionen gelten jedoch nur für den Fall des thermodynamischen Gleichgewichts, d. h.
bei unendlich langsamer Abkühlung. Bei den schnellen Abkühlungsbedingungen,
wie sie für Lötprozesse in der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik
typisch sind, wird die Entstehung jedoch von weiteren Faktoren bestimmt (vgl.
3.4.1, 3.4.2) und kann nicht direkt aus dem Zustandsdiagramm entnommen wer-
den. Der durch das Zustandsdiagramm beschriebene Fall des thermodynamischen

1. Bleireiche SnPb-Lote, wie z. B. Pb90Sn10, Pb95Sn5, Pb 96,5Sn3,5 oder Pb97,5Sn2,5 wurden


bevorzugt zur Flip-Chip-Montage von Mikroprozessoren verwendet, z. B. in den TC-Modulen
von IBM. Die im Betrieb auftretenden zyklischen Temperaturschwankungen können daher sehr
leicht Temperaturen von 115 °C übersteigen, da sich die Flip-Chip-Lotkontake unmittelbar über
den aktiven Strukturen der Schaltkreise befinden.
3.3 Legierungen 99

Gleichgewichts ist jedoch bei nachträglicher Erwärmung schnell erstarrter Gefüge


ausschlaggebend.

3.3.3 Systeme mit intermediären Phasen

Für Lotwerkstoffe kommen auch Systeme zum Einsatz, welche intermediäre


Kristalle (in der Regel intermetallische Phasen, vgl. 3.2.2.3) bilden. Ein typisches
Beispiel ist das in Abb. 3.21 dargestellte Ag-Sn-System. Dieses System kommt vor
allem in eutektischen SnAg-Loten zum Einsatz, welche zu den momentan favori-
sierten Substitutionswerkstoffen für das eutektische SnPb-Lot für Flip-Chip-Lot-
kontakte zählen. Dieses System enthält zwei intermediäre Phasen, die eine ist die
bei einer Temperatur von T = 724°C inkongruent schmelzende Ag4Sn-Phase und
die andere die bei einer Temperatur von T = 480°C inkongruent schmelzende
Ag3Sn-Phase. Das Ag-Sn-System verfügt über zwei peritektische und einen eutek-

Gewichtsprozent Zinn
10 20 30 40 50 60 70 80 90
1600
950,6°

1400

1200

724°
11,5 19,5
1000

800
Temperatur C°

600
22,85 49,6
25 480°

400

300

221° 96,2 232°

200
9,35 18

100
11,8 23,7
18°
0
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Ag Sn
Atomprozent Zinn

Abb. 3.21 Zustandsschaubild Ag-Sn System


100 3 Struktur metallischer Werkstoffe

tischen Phasenübergang [172]. Da die Temperatur für die inkongruent schmelzen-


den Phasen sowie für die peritektischen Phasenübergänge in realen Elektronik-Löt-
prozessen nie erreicht wird und die Zusammensetzung der SnAg-Lote in einem
Bereich zwischen 1%...5% Ag-Anteil liegt, reduziert sich die Betrachtung auf den
eutektischen Phasenübergang, welcher auf der rechten Seite des Zustandsdia-
gramms zu finden ist und dem des eutektischen Au-Si-Systems (vgl. 3.3.2,
Abb. 3.19) ähnelt.
Die feste Phase setzt sich aus Ag3Sn-Phasen, welche in einer aus mehreren β -
Sn-Kristalliten bestehenden Matrix eingebettet sind ( β -Sn ist eine Kristallform des
Zinns und kein Mischkristall), zusammen. In den β -Sn-Kristalliten können sich
jedoch zu einem kleinen Teil Ag-Atome lösen. Die Morphologie des Gefüges lässt
sich nicht aus dem Zustandsdiagramm entnehmen, sondern hängt sehr stark von
den Erstarrungsbedingungen ab (vgl. 3.4.2.2).
Die eutektische Reaktion wird in [172] mit L = Ag 3 Sn + Sn beschrieben und
einer eutektischen Temperatur von T E = 221°C zugeschrieben. Demgegenüber
haben Kattner und Boettinger [173] aus einem thermodynamischen Modell den
eutektischen Punkt bei einer Zusammensetzung von Sn-3,87at%Ag und einer Tem-
peratur von T E = 220, 9°C ermittelt.

3.3.4 Andere Systeme

Unter bestimmten Umständen, u. a. wenn die Atomradien zweier metallischer


Elemente sehr ähnlich sind (vgl. 3.2.3.2, Tabelle 3.2), können sich Atome vollstän-
dig miteinander mischen, d. h. bei der Erstarrung bildet sich eine lückenlose Reihe
verschieden zusammengesetzter Mischkristalle. Ein Beispiel für ein binäres Sys-
tem mit vollständiger Mischbarkeit bildet die in Abb. 3.22 mit ihrem Zustandsdia-

1500
1452°
Schmelze
1400
Temperatur C°

1300

Schmelze und
Mischkristalle
1200

1100
1083° Mischkristalle

1000
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Cu Ni
Atomprozent Nickel

Abb. 3.22 Zustandsschaubild Cu-Ni


3.3 Legierungen 101

gramm dargestellte Legierung aus Cu und Ni. Zur Verwendung als Lotwerkstoffe
eignet sich ein solches System nicht nur wegen seiner hohen Schmelztemperatur
nicht. Ein wesentlicher Nachteil besteht vor allem darin, dass anstelle eines defi-
nierten Schmelzpunkts ein großer Schmelzbereich vorhanden ist und dass das bei
der Erstarrung entstehende Gefüge Mischkristalle sehr unterschiedlicher Zusam-
mensetzung aufweist. Allerdings hat das Zustandsdiagramm Bedeutung für das
Verständnis von Diffusionsvorgängen in mehrschichtigen Leitbahnmetallisierun-
gen, in denen das System Cu-Ni häufig vorkommt.
Ein anderes Beispiel für eine beschränkte Mischbarkeit von metallischen Ele-
menten sind peritektische Systeme, wie das mit seinem Zustandsdiagramm in
Abb. 3.23 dargestellte System Sn-Sb [174]. Das System verfügt über drei peritekti-
sche Punkte. Am untersten dieser drei Punkte ( T P = 250 °C ) beträgt die Löslich-
keit von Sb im Sn-Gitter etwa 10,2 % und die von Sn im Sb-Gitter etwa 10 %. Bei

Gewichtsprozent Antimon
10 20 30 40 50 60 70 80 90
650
630,75°C

600

550

500

450
Temperatur C°

425°C
51,0 65,8 87,7
400

350
324°C 48,3
21,4
300
Sn3Sb2

6,7
10,2 250°C
250
43,6
231,96°C 9,6 242°C
(Sn) b (Sb)
200

150

100
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Sn Sb
Atomprozent Antimon

Abb. 3.23 Zustandsschaubild Sb-Sn


102 3 Struktur metallischer Werkstoffe

Raumtemperatur betragen die Löslichkeiten ca. 2,2 % bzw. 10 %. Weiterhin wird


bei tiefen Temperaturen eine intermetallische Phase ( β-Phase ) paritätischer
Zusammensetzung (SbSn) ausgebildet, welche einen weiten Bereich verschiedener
Zusammensetzungen überstreicht und durch die Nutzung zweier Subelementarzel-
lenmodelle beschrieben werden kann. Die zweite intermetallische Phase Sn3Sb2
besitzt hingegen nur einen extrem schmalen Zusammensetzungsbereich und exis-
tiert auch nur in einem begrenzten Temperaturbereich von T = 242°C…324°C
[174, 175].
Wenn von einer SnSb5-Legierung ausgegangen wird, wie sie für Weichlote zur
Verwendung kommt [176-178], so spielen die peritektischen Phasenreaktionen des
SnSb-Systems keine Rolle, da sich die Zusammensetzung unterhalb des letzten
peritektischen Punktes befindet. Wenn die Temperatur der sich abkühlenden
Schmelze die Liquidusline bei T L ≈ 243°C erreicht, beginnt der Sn-Mischkristall
direkt aus der Schmelze auszufallen bis die Restschmelze knapp über dem
Schmelzpunkt der reinen β -Sn-Phase ( T s ≈ 232°C ) vollständig erstarrt. Bei die-
ser Temperatur liegt die Löslichkeit des Sb im Sn-Mischkristall noch bei ca. 10%
und nimmt bei sinkender Temperatur immer weiter ab, sodass sich ab einer Tempe-
ratur von T = 192°C die β -Phase (SnSb) fein verteilt im Sn-Mischkristall aus-
zuscheiden beginnt [179].
Zur Beschreibung der peritektischen Reaktion soll der untere peritektische
Punkt betrachtet werden, wobei von einer ebenfalls als Weichlot einsetzbaren
SnSb8-Legierung ausgegangen wird [180]. Wenn die Temperatur der sich abküh-
lenden Schmelze die Liquidusline bei T L ≈ 260°C erreicht, beginnt zunächst die
properitektische Sn3Sb2-Phase aus der Schmelze auszufallen, wodurch diese an Sb
verarmt, sodass die Zusammensetzung der Restschmelze entlang der Liquidusline
auf den peritektischen Punkt ( T P = 250 °C ) zuläuft, wo es zu einer peritektischen
Reaktion in der Form Schmelze + Sn3Sb2 → Sn-Mischkristall kommt [174].
Wird weiter abgekühlt, bildet sich die neue Sn-Mischkristall-Phase unterhalb der
peritektischen Temperatur entlang der Grenzfläche zwischen der Sn3Sb2-Phase
und der flüssigen Restschmelze aus, wodurch die Sn-Mischkristall-Phase die
Sn3Sb2-Phase von einer Reaktion mit der Schmelze zu isolieren beginnt.
Aus dem Phasendiagramm in Abb. 3.23 ist abzuleiten, dass die Sn-Mischkris-
tall-Phase sich dort bildet, wo die beiden Ausgangsphasen vorhanden sind. Mögli-
cherweise kann der Sn-Mischkristall jedoch auch primär aus der Schmelze, d. h.
ohne peritektische Phasenreaktion, ausgeschieden werden. Infolgedessen ist eine
peritekische Phasenumwandlung als Überlagerung von zwei Phasenbildungspro-
zessen zu verstehen, welche die Prozesse einer peritektischen Phasenreaktion und
einer peritektischen Phasentransformation beinhaltet [181, 182]. Erstere verlangt
den Kontakt aller drei Phasen, sodass durch die Reaktion der Schmelze mit der
Sn3Sb2-Phase eine β-Sn -Phase gebildet wird. Bei der peritektischen Transforma-
tion sind die Schmelze und die Sn3Sb2-Phase jedoch nicht mehr direkt in Kontakt,
sodass das Wachstum der β-Sn -Phase unter Verbrauch der Sn3Sb2-Phase durch
Diffusionsprozesse erfolgt. Dieser Transformationsprozess ist zunächst sehr
schlecht von der Erstarrung der reinen β-Sn -Komponente unterhalb seiner
3.3 Legierungen 103

Schmelztemperatur ( T S = 232 °C ) zu unterscheiden. Allerdings bildet sich bei


langsamer Abkühlung und damit vollständiger peritektischer Transformation eine
thermodynamisch ausgeglichene Legierung, während im Fall der schnellen Erstar-
rung die peritektische Transformation, d. h. die Bildung von β-Sn unter Verbrauch
der Sn3Sb2-Phase, weiter fortgesetzt würde. Aufgrund des begrenzten Temperatur-
bereiches, in welchem die Sn3Sb2-Phase existiert und, da es sich bei der Sn3Sb2-
Phase um eine Strichphase handelt, ist die genaue Beschreibung der Transforma-
tion ohne Betrachtung der Transformationskinetik jedoch schwierig [183]. Analog
zur SnSb5-Legierung beginnt sich bei weiter sinkender Temperatur die β -Phase
(SnSb) fein verteilt im Sn-Mischkristall auszuscheiden. Die beschriebenen Trans-
formationsvorgänge und der sich einstellende Schmelzbereich sind die wesentli-
chen Nachteile von peritektischen gegenüber eutektischen Systemen für die Nut-
zung als Lotwerkstoffe. Als Vorteil erweist sich jedoch der gegenüber den
eutektischen Systemen höhere Schmelzpunkt (bzw. Schmelzbereich), welcher
oberhalb des Schmelzpunktes von reinem β-Sn liegt, ohne dass sich, wie bei ande-
ren Systemen mit höheren Schmelzpunkten (z. B. SnAu), spröde intermetallische
Phasen ausbilden.

3.3.5 Drei- und Vielstoffsysteme

Werden mehr als zwei Komponenten miteinander vermischt, ergeben sich Pro-
bleme in der Darstellung in ebenen Diagrammen. Bei Dreistoffsystemen (Kompo-
nenten A, B, C), wie z. B. dem SnAgCu-System, kann dieser Problematik noch
über eine Hilfsdarstellung in einem gleichseitigen Dreieck entgangen werden, wel-
ches allerdings nicht gleichwertig zu den Zustandsschaubildern von Zweistoffsys-
temen ist und sich oft auch nur über das Verständnis der diesem Dreieck zugrunde
liegenden drei binären Zustandsdiagramme (A - B, B - C, A - C) vollständig
erschließen lässt. Das Dreieck ABC (Abb. 3.24) entspricht dabei einer Projektion
der gewölbten Schmelzflächen der ternären Legierung. Um die Wölbung sichtbar
zu machen, werden oft auch Temperaturisolinien in das Diagramm eingezeichnet.
Um den Weg der Erstarrung im ternären Dreieck verfolgen zu können, werden in
der Regel die sich zwischen den eutektischen Punkten (eutektische Ausgangszwei-
stofflegierungen vorausgesetzt) ergebenden Rinnen bis zum eutektischen Punkt des
Dreistoffsystems weitergeführt. Aus den ternären Zustandsdiagrammen lassen sich
die Phasenreaktionen sowie die Lage intermediärer Phasen ablesen. Qualitativ
ergeben sich in Mehrstoffsystemen bezüglich der Phasenreaktionen gegenüber
Zweistoffsystemen keine Besonderheiten, nur ihre grafische Darstellung ist kom-
plizierter.
104 3 Struktur metallischer Werkstoffe

C B

Abb. 3.24 Schematische Darstellung eines Dreistoffsystems in einem gleichseitigen Dreieck. Die
Schmelzflächen der Phasendiagramme aus Zweistoffsystemen werden auf das Dreieck projiziert.

3.4 Gefügeausbildung bei Erstarrung von Legierungen

3.4.1 Entstehung des Erstarrungsgefüges

3.4.1.1 Faktoren

Obwohl Zustandsdiagramme eine große Anzahl von Informationen über das


Zusammenwirken verschiedener metallischer Elemente in einer Legierung geben,
lassen sich aus ihnen keine Informationen über die genaue Beschaffenheit des
Gefüges nach der Erstarrung ableiten. Zustandsdiagramme beschreiben den spezi-
ellen Fall der Phasenumwandlung unter Beibehaltung des thermodynamischen
Gleichgewichtes, der aber im Prinzip nur bei einer unendlich langen Abkühlung
eintreten würde. Reale Erstarrungsvorgänge sind jedoch durch schnelle Abkühlung
und damit mit adiabatischen anstelle isothermer Umwandlungsprozesse verbun-
3.4 Gefügeausbildung bei Erstarrung von Legierungen 105

den, sodass es nicht zur Einstellung eines Gleichgewichtes kommen kann. Aus die-
sem Grund wird das Aussehen des Erstarrungsgefüges - neben der Zusammenset-
zung der Legierung - vor allem von der Erstarrungsgeschwindigkeit, dem
Temperaturgradienten an der Erstarrungsfront bzw. der damit verknüpften Größe
der Abkühlungsgeschwindigkeit bestimmt. In Abhängigkeit von diesen Größen
stellen sich für eine gegebene Schmelze folgende ein Erstarrungsgefüge charakteri-
sierende Merkmale ein [185]:

• Gefügefeinheit (Korngröße, Dendriten- oder Phasenabstände)


• Gefügekomponenten (Phasen)
• Gefügeausrichtung (Textur)
• Makroskopische Gefügefehler (Lunker, Poren, Warmrisse)
• Seigerungszustand bzw. chemische Homogenität des Gefüges
• Innerer mechanischer Spannungszustand

Oft kommt es vor, dass Erstarrungsgefüge offensichtlich Eigenschaften aufwei-


sen, die so nicht mit den aus dem Zustandsdiagramms zu gewinnenden Aussagen
übereinstimmen. Dazu zählt z. B., dass die Konzentration einer Atomsorte die nor-
male Löslichkeitsgrenze in einer festen Phase übersteigt. Derartige Verschiebun-
gen gegenüber den normalen Phasengleichgewichten werden durch den Über-
schuss an freier Enthalpie hervorgerufen, die vorhanden ist, wenn eine Schmelze
im Laufe des Erstarrungsvorganges unterkühlt ist. Eine unterkühlte Schmelze kann
im Gegensatz zur Erstarrung nahe dem thermodynamischen Gleichgewicht über
eine Reihe von Erstarrungswegen in unterschiedlichen festen Phasen kristallisie-
ren. Aus diesem Grund spielt die Kenntnis der Erstarrungskinetik eine wesentlich
größere Rolle für das Verständnis der Gefügeausbildung bei technologischen Pro-
zessen mit Flüssig-Fest-Übergängen als die eigentlichen Zustandsschaubilder der
beteiligten Legierungen. In Abb. 3.25 sind verschiedene rasterelektronenmikrosko-
pische Aufnahmen von Querschliffen benachbarter Flip-Chip-Kontakte aus
SnPb37-Lot einander gegenübergestellt, welche aus zwei verschiedenen Flip-Chip-
Aufbauten stammen, die mit unterschiedlichen Prozessparametern hergestellt wur-
den. Aus diesen Gefügebildern wird deutlich, dass die Gefügeausbildung einerseits
deutlich von den Erstarrungsbedingungen, andererseits jedoch auch von anderen
eher „stochastischen Faktoren“ abhängt.
Die vollständige theoretische Beschreibung der vielfältigen physikalischen Pro-
zesse, die während der Erstarrung ablaufen, ist schwierig. Dies liegt unter anderem
daran, dass in Bezug auf reale Schmelzen in den Strukturen elektronischer Aufbau-
ten immer von Temperatur und Dichtegradienten ausgegangen werden muss,
sodass sich zur exakten Beschreibung der Erstarrungsreaktion umfangreiche
Betrachtungen der Fluiddynamik erforderlich machen. Diese umfassen neben Kon-
106 3 Struktur metallischer Werkstoffe

a) b)

c) d)

e) f)
Abb. 3.25 Rasterelekronenmikroskopische Aufnahmen von Gefügen benachbarter Flip-Chip-
Kontakte aus SnPb37-Lot (d. h. zinnreiche (dunkel), bleireiche Phase (hell)). Gegenübergestellt
sind Querschliffe von Kontakten aus zwei verschiedenen Flip-Chip-Aufbauten (FC), welche mit
unterschiedlichen Prozessparametern hergestellt wurden. In der linke Spalte (Bilder a, c, e) sind
aus dem ersten FC-Verbund die Kontakte mit den Nummern #1, #2, #3 dargestellt. In der rechten
Spalte (Bilder b, d, f) sind aus dem zweiten FC-Verbund die Kontakte mit den Nummern #1, #3,
#7 dargestellt. Aus dem Vergleich der Gefügebilder der beiden Spalten untereinander geht hervor,
dass es entsprechend dem verwendeten Lotprofil, d.h. den Erstarrungsbedingungen, zuordenbare
Unterschiede in der Gefügeausbildung gibt. Im Gegensatz dazu geht aus dem Vergleich der Gefü-
gebilder einer Spalte hervor, dass es offensichtlich auch stochastisch wirkende und damit nicht
deterministisch an die Erstarrungsbedingungen gebundene Faktoren gibt.
3.4 Gefügeausbildung bei Erstarrung von Legierungen 107

tinuitätsgleichungen auch eine mathematische Behandlung von Hydrostatik, Poten-


zialströmung, Rheologie, Stoff- und Wärmetransport [186]. Darüber hinaus treten
sehr oft Ablegierungsreaktionen als Teil der technologisch genutzten Verbindungs-
vorgänge auf. Diese führen zu schwer beschreibbaren dynamischen Verschiebun-
gen der Schmelzzusammensetzung während des in der Regel sehr kurzen Zeit-
raums des Auftretens der flüssigen Phase. Deshalb werden sich die nachfolgenden
Beschreibungen auf die grundsätzlichen Prozesse der Keimbildung und des Keim-
wachstums sowie ihres Zusammenhanges mit der Unterkühlung einer Schmelze
beschränken, die für das phänomenologische Verständnis der Erstarrung wichtig
sind.

3.4.1.2 Keimbildung

Die Erstarrung einer Schmelze beginnt mit der Bildung von festen Keimen.
Durch das anschließende Wachstum dieser Keime wird die schmelzflüssige Phase
nach und nach in eine feste Phase überführt. Voraussetzung für die Bildung von
stabilen Keimen ist eine Unterkühlung ΔT u = T s – T der Schmelze, d. h., die
Schmelze muss auf eine Temperatur T unterhalb der Schmelztemperatur T s abge-
kühlt werden, bevor eine stabile Keimbildung einsetzen kann. Diese Unterkühlung
ΔT u ist notwendig, da sich die Freie-Energie-Bilanz der Keimbildung aus zwei
konkurrierenden Termen ergibt. Auf der einen Seite kommt es durch die Ausbil-
dung einer Phasengrenzfläche zur Erhöhung der Freien Energie

2
ΔF O = σ SL ⋅ 4πr , (3.4)

wobei σ SL der Grenzflächenenergie und r dem Keimradius entspricht, sodass


aufgrund dieser positiven Energiebilanz keine Ausbildung stabiler Keime bei T s
möglich ist. Auf der anderen Seite besitzt die feste Phase bei einer Temperatur
unterhalb von T s eine geringere Freie Energie pro Volumeneinheit f S als die
Schmelze f L . In erster Näherung ist diese Differenz Δf v = f s – f L proportional zur
Unterkühlung Δf v = α ⋅ ΔT u [164]. Die Gesamtbilanz der Freien Energie für
einen kugelförmigen Keim in einer Schmelze ergibt sich aus

2 4 3
ΔF ges = σ SL ⋅ 4πr – Δf v ⋅ --- πr (3.5)
3

Nachdem diese Funktion bei

2σ SL 2σ SL
r * = -----------
- = -----------------
- (3.6)
Δf v α ⋅ ΔT u

ein Maximum mit dem Betrag


108 3 Struktur metallischer Werkstoffe

3
* 16π ⋅ σ SL
ΔF ges = -----------------------------
- (3.7)
2 2
3 ⋅ α ⋅ ΔT u

durchläuft, erhält sie einen negativen Anstieg, wodurch die Bildung stabiler
Keime ermöglicht wird, da Keime nun unter Energiegewinn wachsen können. Bei
der beschriebenen homogenen Keimbildung wird davon ausgegangen, dass nur
Keim und Schmelze beteiligt sind, wodurch die Keimbildung allein von den intrin-
sischen Eigenschaften der Legierung abhängt.
In realen Schmelzen liegen in der Regel Fremdphasen vor, die am Keimbil-
dungsprozess beteiligt sind. In einem Lotkontakt sind solche Fremdphasen zum
Beispiel die Kontaktflächen, die vom schmelzflüssigen Lot benetzt werden. Aber
auch innerhalb des Lotkontaktes können beispielsweise Reste von Oxidhäuten,
welche in die Lotschmelze geraten, solche Fremdphasen bilden. Die zur Keimbil-
dung aufzuwendende Energie entspricht der der homogenen Keimbildung
(vgl. Gleichung (3.7)) zuzüglich eines Faktors, der sich aus dem
Benetzungswinkel Θ ergibt [187, 188]:

3
* * 16π ⋅ σ LS ⋅ f ( Θ )
ΔF het = ΔF hom ⋅ f ( Θ ) = ----------------------------------------
- (3.8)
2 2
3 ⋅ α ⋅ ΔT u

1 3
f ( Θ ) = --- ( 2 – 3 cos ( Θ ) + cos ( Θ ) ) , (3.9)
4

wobei sich der Benetzungswinkel Θ gemäß der in Abb. 3.26 gegebenen Defini-
tionen an einem Flüssigkeitstropfen auf einer Festkörperoberfläche aus

σ LF – σ SF
cos ( Θ ) = -----------------------
- (3.10)
σ LS

1,0

Schmelze (L) 0,8


DF*het (Q) /DF*hom

0,6
Keim (S) sLS
Q 0,4

sSF sLF
0,2
Fremdphase (F)

0 0,25 0,5 0,75 1,00

cos Q

Abb. 3.26 Heterogene Keimbildung auf Fremdphase


3.4 Gefügeausbildung bei Erstarrung von Legierungen 109

ergibt. Da der kritische Keimbildungsradius für Metalle in der Größenordnung


–9 –8
von 10 …10 m liegt [164, 187], ist dieser für die Gesamtkinetik des Erstar-
rungsvorgangs nicht von Bedeutung. Diese wird vor allem von der Bildungsrate
von Keimen kritischer Größe bestimmt [188] und lässt sich für die heterogene
Keimbildung aus

*
0 § ΔF hom ·
I het = I het ⋅ exp ¨ – ---------------- ⋅ f ( Θ )¸ (3.11)
© k⋅T ¹
0
ermitteln, wobei k der Boltzmann-Konstante entspricht und I het einen vorex-
ponentiellen Faktor darstellt, der sich aus

ns ⋅ k ⋅ T ΔF
I het = ------------------- ⋅ exp § – ---------A-·
0
(3.12)
h © k ⋅ T¹

ergibt [187], wobei h dem Plank’schen Wirkungsquantum entspricht, n s der


Zahl der Grenzflächenatome entspricht, welche in die Keimbildung eingebunden
sind, und ΔF A die Aktivierungsenergie zum Transport der Atome über die Grenz-
fläche darstellt.
Aus den Gleichungen (3.11) und (3.12) geht hervor, dass die Temperaturabhän-
gigkeit der Keimbildungsrate durch einen thermodynamischen und einen kineti-
schen Anteil bestimmt wird. Dabei wird vom Exponentialterm in Gleichung (3.11)
mit der Aktivierungsenergie im Argument die Abweichung vom thermodynami-
*
schen Gleichgewicht beschrieben. Der Verlauf von ΔF hom ( T ) (vgl. (3.7)) führt zu
einem starken Anstieg der Keimbildungsrate mit zunehmender Unterkühlung.
Gleichzeitig nimmt jedoch die Mobilität der Atome mit sinkender Temperatur ab.
In reinen Metallen und metallischen Legierungen dominiert jedoch der Exponenti-
alterm die Temperaturabhängigkeit von I het [188]. Daraus folgt, dass in der Regel
die Keimbildungsrate mit steigender Unterkühlung zunimmt.

3.4.1.3 Keimwachstum und Morphologie der Erstarrungsfront

Die Art und Weise, wie die gebildeten stabilen Keime wachsen, eine gemein-
same Erstarrungsfront ausbilden, wie sich diese ausformt und somit die Morpholo-
gie des während der Erstarrung entstehenden Gefüges ausbildet, hängt wesentlich
davon ab, wie die bei der Kristallisation entstehende Wärme abgeführt wird. Für
die Abführung der Kristallisationswärme wird grundsätzlich zwischen zwei Fällen
unterschieden - dem freien (unterkühlten bzw. richtungsunabhängigen) Wachstum
und dem gezwungenen (stabförmigen oder gerichteten) Wachstum.
Im ersten Fall liegt eine unterkühlte Schmelze vor, durch welche eine Keimbil-
dung ausgelöst wird. Hierzu ist es notwendig, dass die heterogene Keimbildung an
einer Tiegelwand energetisch ungünstiger ist als eine heterogene Keimbildung mit
110 3 Struktur metallischer Werkstoffe

Wärmestrom

Erstarrungsrichtung
T
Kristall Schmelze

Ts

dT dT
dx > 0 dx > 0

z
a)
Zeit

Wärmestrom

T Erstarrungsrichtung

Kristall Schmelze

Ts
dT dT
dx = 0 dx < 0

b) z

Abb. 3.27 Morphologie der Erstarrungsfront in Abhängigkeit von der Richtung der Wärmeabfuhr
aus der Schmelze: a) gerichtete Erstarrung mit facettierter (glatter) Erstarrungsfront, b) freie
Erstarrung mit diffuser (ausgebeulter) Erstarrungsfront (adaptiert aus [190])

Partikeln innerhalb der Schmelze. Kristalle wachsen daraufhin mit einer Grenzflä-
chentemperatur oberhalb der Temperatur der sie umgebenden Schmelze. Die ent-
stehende Kristallisationswärme wird in die unterkühlte Schmelze abgeführt, was
einen negativen Temperaturgradienten an der Fest-Flüssig-Grenzfläche voraus-
setzt. Es findet kein Wärmetransport in den gebildeten Kristall statt (Abb. 3.27).
Im Fall des gezwungenen Wachstums ist der Temperaturgradient an der Fest-
Flüssig-Grenzfläche positiv. Keime bilden sich durch Kontakt mit der kälteren Tie-
gelwand oder sind bereits vorhanden. Die beim Wachstum entstehende Kristallisa-
tionswärme wird in den gebildeten Kristall abgeführt. Beim freien Wachstum
bestimmt die Unterkühlung der Schmelze die Wachstumsgeschwindigkeit und
somit die geometrischen Verhältnisse des sich ergebenden Erstarrungsgefüges. Bei
gezwungenem Wachstum bestimmt der Wärmefluss durch den sich gebildeten
Kristall die Wachstumsgeschwindigkeit, da hierdurch die Grenzflächentemperatur
(d. h. die Unterkühlung) bestimmt wird, woraus sich wiederum die geometrischen
Verhältnisse des Erstarrungsgefüges ergeben [189].
Mit den unterschiedlichen Wegen der Abführung der Kristallisationswärme sind
auch unterschiedliche Morphologien der sich ausbildenden Erstarrungsfront ver-
3.4 Gefügeausbildung bei Erstarrung von Legierungen 111

bunden. Wird die Wärme durch den Kristall abgeführt, besteht für ein individuelles
Atom aus der Schmelze der energetisch günstigste Ort für seine Anlagerung an die
Oberfläche des Kristalls dort, wo es möglichst viele Bindungen mit Nachbarato-
men eingehen kann. Daraus folgt, dass das Füllen von Grübchen oder offenen Kan-
ten gegenüber dem Anlagern auf einer ebenen Atomlage bevorzugt wird, sodass
beim Kristallwachstum zunächst immer eine Ebene aufgefüllt wird, bevor mit der
nächsten begonnen wird. Dadurch bleibt die Erstarrungsfront auf atomarer Ebene
immer glatt und der entstehende Kristall ist facettiert [190].
Dieses facettierte Wachstum tritt jedoch nicht mehr auf, wenn die Wärme statt
über den Kristall in die unterkühlte Schmelze abgeführt wird. Für die sich aus der
Schmelze an den Kristall anlagernden Atome ist es dann energetisch vorteilhaft,
sich in Richtung der unterkühlten Schmelze anzuordnen, weil dort die entstehende
Kristallisationswärme am besten abgeführt wird. Dadurch wird das Wachstum von
sich aus der ebenen Kristalloberfläche herauslösenden Ausbeulungen (Dendriten)
unterstützt.
Die dadurch entstehende wellige Erstarrungsfront weist jedoch verschiedene
Krümmungen auf, wodurch ihre Grenzflächenenergie nicht mehr der einer ebenen
Phasengrenzfläche entspricht. Die auf ein Mol der Schmelze bezogene freie Enth-
alpie ergibt sich aus g L = h L – T ⋅ s L , wobei h L dem Anteil der Enthalpie und
T ⋅ s L dem Anteil der Entropie entspricht. Für den Kristall ergibt sich analog mit
g S = h S – T ⋅ s S + σ ⋅ Ω m ⋅ K eine von der Krümmung1 K abhängige, auf das Mol
bezogene freie Entropie, wobei σ der spezifischen Grenzflächenenergie und Ω m
dem mittleren Molvolumen entspricht. Im thermodynamischen Gleichgewicht sind
die partiellen freien molaren Enthalpien von Kristall und Schmelze gleich
g L ( T∗ ) = g S ( T∗ ) , wobei T∗ der lokalen Schmelztemperatur an der gekrümmten
Phasengrenzfläche entspricht. Durch Einsetzen der einzelnen Beziehungen inein-
ander ergibt sich:

Δh σ ⋅ Ωm ⋅ K
T∗ = ---------m- – -----------------------
- , (3.13)
Δs m Δs m

wobei Δh m = h L – h S der molaren Schmelzenthalpie und Δs m = s L – s S der


molaren Schmelzentropie entsprechen. Beide Größen sind über die Schmelztempe-
ratur T s der ebenen Phasengrenzfläche, für die die Krümmung K = 0 ist, mitein-
ander verbunden Δs m = Δh m ⁄ T s . Dementsprechend lässt sich T∗ auch als

σ ⋅ Ωm
T∗ = T s – ---------------- ⋅ K (3.14)
Δs m

1. Da sich Krümmung auf eine Fläche im Raum bezieht, wird sie im allgemeineren Fall über die
beiden Hauptkrümmungsradien R 1, R 2 ausgedrückt: K = 1 ⁄ R 1 + 1 ⁄ R 2 , wobei beide Radien
ortsabhängig sein können [191].
112 3 Struktur metallischer Werkstoffe

in Abhängigkeit von T s ausdrücken. Definiert man mit Γ = σ ⋅ Ω m ⁄ Δs m eine


spezifische Kapillarlänge, so lässt sich die relative Abweichung der Schmelztem-
peratur der gekrümmten von der ebenen Phasengrenzfläche als

ΔT T∗ – T
------- = -----------------s = – Γ ⋅ K (3.15)
Ts Ts

ausdrücken. Aus Gleichung (3.15) geht hervor, dass die lokale Schmelztempera-
tur umso stärker abgesenkt wird, je größer die Krümmung1 der Phasengrenzfläche
ist [191]. Durch diese Erniedrigung des Schmelzpunktes an den Spitzen der aus der
ebenen Phasengrenzfläche heraustretenden Dendriten wird deren weiteres Wachs-
tum verzögert. Hierdurch entsteht eine sogenannte diffuse Morphologie der Erstar-
rungsfront, welche regelmäßige Ausbuchtungen besitzt, die eine von dem Grad der
Unterkühlung abhängige Geometrie besitzen.
In Abb. 3.28 ist schematisch das Temperatur-Zeit-Profil für die Erstarrung einer
unterkühlten Schmelze dargestellt. Diese Darstellung nimmt insofern eine Verein-
fachung des Sachverhaltes vor, als dass in der Schmelze ein sich zeitlich verän-
derndes Temperaturfeld vorliegt, dessen Verlauf sehr stark von den Randbedingun-
gen, z. B. dem Volumen, d. h. der räumlichen Ausdehnung der Schmelze, abhängig
ist. Wird jedoch angenommen, dass an einem bestimmten Punkt der Schmelze ein
idealer Temperaturaufnehmer eingelassen wird, der dadurch gekennzeichnet ist,
dass er weder eine räumliche Ausdehnung besitzt und auch das Temperaturfeld der
Schmelze nicht beeinflusst, so ließe sich an diesem Temperatursensor der in
Abb. 3.28 schematisch dargestellte Temperatur-Zeit-Verlauf aufnehmen.
Aus diesem Verlauf lässt sich erkennen, dass der Prozess der Erstarrung mit
Wärmeabführung in die unterkühlte Schmelze in der Regel zweistufig erfolgt. In
der ersten Phase (Wiedererwärmungsphase bzw. Rekaleszenz, engl. recalescence)
erstarrt die Probe zunächst dendritisch. Infolge dieses schnellen Erstarrungsprozes-
ses wird jedoch ein nicht unbeträchtlicher Betrag an Kristallisationswärme in die
Schmelze freigesetzt. Hierdurch kommt es zu einer Wiedererwärmung der
Schmelze, bis die Schmelztemperatur T s erreicht wird, wodurch weiterer dendriti-
scher Erstarrung die Triebkraft genommen wird. Die verbliebene Restschmelze
erstarrt deshalb erst allmählich in der nun folgenden zweiten Phase (Plateauphase).
Die so unter Gleichgewichtsbedingungen erstarrende Restschmelze umgibt dabei
die primär erstarrten Dendriten. Der dendritisch erstarrte Anteil nimmt mit dem
Grad der Unterkühlung ΔT u zu, wobei sich die Plateauphase verkürzt. Überschrei-
tet die Unterkühlung ΔT u die sogenannte Hypercooling-Grenze ΔT hyp , erstarrt
die Probe vollständig während der ersten Phase [190].

1. Der Begriff der Krümmung wird hierbei als absolute Krümmung und nicht als der Betrag der
Krümmung verstanden. Eine positive Krümmung erhält man dabei, wenn der Mittelpunkt eines
Kreises, der die Phasengrenzfläche nur an dem Punkt berührt, an dem die Krümmung ermittelt
werden soll, in der festen Phase liegt. Liegt der Mittelpunkt dieses Kreises hingegen im Gebiet
der Schmelze, handelt es sich um eine negative Krümmung.
3.4 Gefügeausbildung bei Erstarrung von Legierungen 113

T
Wiederer-
wärmung

Plateauphase
Ts

DT DThyp

Abb. 3.28 Temperatur-Zeit-Profil für die Erstarrung einer unterkühlten Schmelze. Durch das
schnelle Dendritenwachstum wird in kurzer Zeit ein erheblicher Betrag an Kristallisationswärme
frei, welcher die Restschmelze bis zur Schmelztemperatur erwärmt. Die Restschmelze erstarrt
unter Gleichgewichtsbedingungen zwischen den Dendriten in der sich anschließenden Plateau-
phase. Der dendritisch erstarrte Anteil nimmt mit dem Grad der Unterkühlung ΔT zu. Erreicht die
Unterkühlung die sogenannte Hypercooling-Grenze ΔThyp, erstarrt die Probe vollständig dendri-
tisch [190].

3.4.2 Erstarrungsgefüge von Sn-Basis-Loten

3.4.2.1 Experimentelle Untersuchung der Loterstarrung

Unter den in der Aufbau- und Verbindungstechnik eingesetzten metallischen


Materialien wird besonders die Gefügeausbildung und -entwicklung der für Ver-
bindungen eingesetzten zinnhaltigen Lotwerkstoffe untersucht. Das hängt zum
einen damit zusammen, dass sich die Gefügeausbildung über die technologischen
Parameter des Lötprozesses sowie der Verbindungspartnerauswahl beeinflussen
lässt, und zum anderen damit, dass die Ausbreitung von Ermüdungsrissen in Lot-
kontakten durch eine starke Wechselwirkung mit dem Gefüge gekennzeichnet ist.
Außerdem ist der Grad der durch thermische Fluktuationen induzierten mechani-
schen Beanspruchungen sehr stark von den Verformungseigenschaften der Lot-
werkstoffe abhängig, welche wiederum mit dem Gefüge korrelieren. Aus diesem
Grund kommt dem Verständnis der Gefügeausbildung und -entwicklung in Loten
114 3 Struktur metallischer Werkstoffe

besondere Bedeutung zu, da die mechanischen Eigenschaften der Lotwerkstoffe


sehr stark vom Gefüge beeinflusst werden.
Für andere Werkstoffe, wie z. B. Stähle [192, 193], Superlegierungen [194] und
supraleitende Legierungen [195], existiert eine Reihe von theoretischen Ansätzen,
um die Gefügeausbildung während der Erstarrung zu beschreiben. Bisher werden
solche Ansätze jedoch noch nicht auf dem Gebiet der Lotwerkstoffe eingesetzt.
Zum einen fehlt die Datenbasis für exakte Berechnungen, zum anderen resultiert
aus experimentellen Betrachtungen über die Individualität der Gefügeausbildung in
benachbarten Kontakten ein genereller Zweifel, ob eine theoretische Beschreibung
der Gefügeausbildung überhaupt zu brauchbaren Ergebnissen führt. Aus diesem
Grund werden zu Aussagen zur Gefügeausbildung in der Regel qualitative und
halbquantitative Aussagen herangezogen, deren Grundlage durch verschiedene
Experimente zur Gefügeausbildung und -entwicklung gelegt wird.
Ziel vieler Untersuchungen ist es dabei, die in realen Lotkontakten vorzufinden-
den Gefüge mit solchen aus experimentellen Probekörpern ins Verhältnis zu set-
zen. Um Aufschluss darüber zu haben, unter welchen Bedingungen eine Erstarrung
in Schmelzen verschiedener Zusammensetzung oder Größe erfolgt, wird üblicher-
weise das Maß der Unterkühlung ΔT u einer Schmelze herangezogen, da diese das
bestimmende Maß für die Prozesse der Keimbildung und des Keimwachstums ist
(vgl. 3.4.1.2, 3.4.1.3).
Zur experimentellen Bestimmung von ΔT u werden üblicherweise die Verfah-
ren der Differentiell-Thermischen-Analyse (DTA) und der Differentiellen-Scan-
ning-Kalometrie (DSC) eingesetzt. Beide Verfahren sind ähnlich und beruhen dar-
auf, dass der Temperaturverlauf einer Schmelze bei der Erstarrung mit dem einer
nicht schmelzenden Referenzsubstanz verglichen wird. In Abb. 3.29 ist der sche-
matische Aufbau einer Apparatur zur Durchführung einer DTA gezeigt. Dazu wer-
den Messsubstanz und Referenzsubstanz in einem Heizblock gesteuert aufgeheizt
oder abgekühlt, wobei gleichzeitig der Temperaturunterschied zwischen beiden
Substanzen gemessen und aufgezeichnet wird. Im Gegensatz dazu wird bei einer
DSC die Temperatur der beiden Substanzen während des Abkühlprozesses durch
zwei separat geregelte Heizungen gleich gehalten und der Unterschied in der
Zuführung von Wärmeenergie bestimmt.
Aus den Untersuchungen mit DTA oder DSC lassen sich bestimmte physikali-
sche Parameter, wie der Schmelzpunkt T s , die Unterkühlung ΔT u oder die
Schmelzwärme Q c , sehr gut bestimmen. Allerdings haben kommerziell gefertigte
Geräte für DTA- oder DSC-Untersuchungen bestimmte Einschränkungen bezüg-
lich der Probengestaltung und der Abkühlbedingungen.
Aus diesem Grund sind alternative Experimente notwendig, um einen Zusam-
menhang zwischen der in der Praxis vorkommenden Gefügeausbildung und der die
Erstarrung beschreibenden Parameter zu finden. Die einfachste Möglichkeit, ver-
schiedene Abkühlraten zu erzeugen, besteht in der Erstarrung des Lotes über soge-
nanntes Abschrecken in Wasser, Luftkühlung und Ofenkühlung. Auf diese Weise
erhält man Erstarrungsbedingungen mit sehr weit auseinanderliegenden Abkühl-
–1
gradienten ( ∂T ⁄ ∂t = { 24; 0,5; 0,08 }Ks [196]). Obwohl diese einfachen Expe-
3.4 Gefügeausbildung bei Erstarrung von Legierungen 115

rimente sehr gut die Wirkung verschiedener Abkühlbedingungen auf die Gefüge-
ausbildung zeigen, lassen sich aufgrund der nicht genau einstellbaren
Abkühlbedingungen keine genauen Schlüsse über den Zusammenhang zwischen
den für die Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik relevanten Abkühlge-
schwindigkeiten und Gefügeausbildung ziehen. Aus diesem Grund wurde in der
Arbeitsgruppe des Autors ein neuer experimenteller Ansatz zur Untersuchung des
Erstarrungsverhaltens von Lotwerkstoffen erarbeitet. Dieser umfasst unterschiedli-
che Aufbauten, mit welchen sich verschiedene Erstarrungsbedingungen einstellen
lassen [197].
Ein erster Versuchsaufbau wurde entwickelt, um den generellen Zusammen-
hang zwischen Abkühlgradient ∂T ⁄ ∂t , Unterkühlung ΔT u und Gefügeausbil-
dung untersuchen zu können. Hierfür wurde ein 80 mm X 80 mm X 84 mm großer
Aluminiumblock mit Bohrungen versehen, sodass in 8 mm Standard-Reagenzglä-
sern befindliches Lot aufgeschmolzen und erstarrt werden kann (Abb. 3.30). Das
–6 3
dabei untersuchte Lotvolumen ist mit 1 ⋅ 10 m um etwa zehntausendfach größer
als durchschnittliche Lotkontakte. Dieses bewusst gewählte große Volumen dient
zum einen dazu, Keimbildungseffekte, welche durch Wechselwirkung mit der Rea-
genzglaswand entstehen, von der Erstarrung des reinen Lotwerkstoffes trennen zu
können. Wesentlich wichtiger ist es jedoch, die entstehenden Gefügemuster in
allen Größenniveaus beobachten zu können. Durch zu klein gewählte Probenvolu-
mina besteht immer die Gefahr, nur einen Teil der sich wiederholenden Muster
erkennen zu können und dadurch die mit der Erstarrung zusammenhängenden Pro-
zesse nicht vollständig verstehen zu können.
Ein wichtiges Anliegen bei der Konzeption des Experimentieraufbaus war die
Realisierung einer Abkühlvorrichtung, welche eine simultane Abkühlung mehrerer
Proben mit genau definierten Abkühlraten erlaubt. Hierdurch sollte ein Versuchs-

DT

Thermopaar 1 Thermopaar 2

Mess- Referenz-
substanz substanz
Heizer

Abb. 3.29 Prinzipieller Aufbau einer Apparatur zur Differentiell-Thermischen-Analyse (DTA).


Mit einem Heizblock werden Messsubstanz und Referenzsubstanz gesteuert aufgeheizt oder abge-
kühlt. Gleichzeitig wird der Temperaturunterschied zwischen beiden Substanzen gemessen und
aufgezeichnet.
116 3 Struktur metallischer Werkstoffe

a)

b) c)

Abb. 3.30 Vorrichtung zur gezielten Erstarrung von Lot mit verschiedenen Abkühlgradienten: a)
Gesamtansicht des Versuchsaufbaus, b) Heiz- und Kühlblock (Aluminium) für 8 in Reagenz-
gläsern befindliche Lotproben, c) Steuergerät zum gezielten Abkühlen mit konstanten Abkühlgra-
dienten [207]

programm ermöglicht werden, welches sowohl die Gefügeanalyse direkt nach der
Erstarrung als auch nach mehreren Auslagerungsschritten ermöglicht. Durch die
simultane Abkühlung mehrerer Proben wird gewährleistet, dass alle Proben den
gleichen Abkühlprozess durchlaufen haben. Die Verwendung von Reagenzgläsern
bot eine einfache Realisierung einer inerten Form zur Herstellung von Gussstücken
(Proben) mit den gewünschten Abmaßen ( ∅ = 7 mm / l = 23 mm ) .
Die Heizung des Aluminiumblockes erfolgte über Leistungswiderstände, die
Kühlung über vier 92 mm große Lüfter. Widerstände und Lüfter wurden über einen
OMRON EC5CJK Prozessregler angesteuert. Eine hochlineare Abkühlung konnte
im Temperaturbereich von 250°C bis 150°C mit Abkühlraten von 0,35 K/min bis
zu 35 K/min erreicht werden. Pro Versuch wurden jeweils 7 identische Proben
umgeschmolzen. Die Messung der Temperatur erfolgte durch ein K-Thermopaar
im Zentrum der Probe. Die Vergleichstemperatur wurde über ein Thermopaar
durch eine gleich große Referenzprobe aus Blei aufgenommen.
Um einheitliche Probenvolumina zu erhalten, wurde Stangenlot zunächst in
einem Messbecher umgeschmolzen und danach in die erhitzten Reagenzgläser
gefüllt. Die auf diese Weise erhaltenen Gussstücke wurden entnommen und so
lange abgedreht, bis alle ein einheitliches Gewicht aufwiesen. Diese bearbeiteten
Gussstücke wurden dann zur Durchführung des Versuches wieder in die Reagenz-
gläser eingeführt. Um eine vollständige Durchmischung des Lotes in den
Gussstücken, d. h. die Auflösung aller während der Vorpräparation entstandenen
Phasenbestandteile, sicherzustellen, wurde dieses zu Beginn des Experiments
3.4 Gefügeausbildung bei Erstarrung von Legierungen 117

a) b)

c)

Abb. 3.31 Vorrichtung zur gerichteten Erstarrung von Lot: a) Segementheizvorrichtung (Seiten-
perspektive), b) Segementheizvorrichtung mit Reagenzglas (Draufsicht), c) Zerteilung des aus
dem Versuch erhaltenen Lotingots in 5 einzelne Segmente zur Anfertigung von Querschliffen
[207]

zunächst für 15 min auf einer Temperatur von T = 250 °C gehalten. Während
dieses Zeitraums wurden die Thermopaare in die Proben eingetaucht. Danach
erfolgte die Erstarrung gemäß dem für das Experiment angestrebten Abkühlre-
gime.
Eine zweite Versuchseinrichtung wurde aufgebaut, um die Gefügeausbildung
entlang einer sich gerichtet bewegenden Erstarrungsfront untersuchen zu können.
Sie besteht aus einem Aluminiumblock der Größe 40 mm X 40 mm X 115 mm,
welcher in 5 gleich große Segmente unterteilt ist (Abb. 3.31). Diese sind mit einem
Abstand von 0,3 mm Abstand aufeinander gesetzt und können separat beheizt wer-
den. Die Realisierung der Heizregelung erfolgte analog zum ersten Aufbau. In
allen Segmenten befindet sich eine Zentralbohrung für ein 12 mm Standard-Rea-
genzglas, welches im untersten Segment als Sackloch ausgeführt ist. Für das Expe-
riment wird das Reagenzglas bis zu einer Höhe von 95 mm mit Lot gefüllt, sodass
das letzte Segment um 5 mm über das Lot hinausragt. Zur Durchführung der Expe-
rimente wird schmelzflüssiges Lot in die ca. 250 °C heiße Apparatur gegossen.
Danach erfolgt die Abkühlung, indem zunächst das mittlere Segment, dann die bei-
den inneren und zuletzt die äußeren Segmente abgekühlt werden
In einem dritten Versuchsaufbau wurde eine Messstruktur entwickelt, um den
Erstarrungsvorgang von realen Lötstellen auf Leiterplatten untersuchen zu können
(Abb. 3.32). Die Grundidee dieses Aufbaus besteht darin, die Temperatur der Löt-
118 3 Struktur metallischer Werkstoffe

Thermopaar- Datenaufnahme und -verarbeitung


verstärker
+5V

A USB Datenlogger U(t)


H(U)
T(t)
U(therm)(t) OV D prog. "Monitor"

-5V

neg. Schenkel (CuNi)


pos. Schenkel (Cu) Lotpaste
Cu-Leitbahn

Leiterplatte

a) b)

Abb. 3.32 Messstruktur zur Untersuchung des Erstarrungsvorgangs von realen Lötstellen auf
Leiterplatten: a) Prinzip des Messaufbaus, b) Aufbau auf Leiterplatte mit Mess- und Vergleichs-
stelle [207]

stelle über ein T-Thermopaar aufzunehmen. T-Thermopaare bestehen aus einem


Cu- und einem CuNi-Schenkel, wodurch sich die Möglichkeit ergibt, einen der bei-
den Schenkel als Leitbahn auf der Leiterplatte auszulegen. Über den Kurzschluss
der beiden Schenkel durch das Lot der Lötstelle wird genau deren Temperatur auf-
genommen. Zur Auswertung des stark nichtlinearen T-Thermopaars wurde ein spe-
zieller Messverstärker aufgebaut, der eine Kalibrierung dieser Temperaturmessan-
ordnung vor dem eigentlichen Experiment ermöglichte. Danach wurde eine
Leiterplatte mit einer Lotstellenmessstelle und einer Vergleichsmessstelle präpa-
riert und die Temperaturen der beiden Messstellen während eines Reflowprozesses
aufgenommen.
Für ein weiteres Experiment wurden kleine Lotplättchen aus einer Folie ausge-
stanzt, welche zuvor durch mehrere Walzvorgänge aus einer handelsüblichen Lot-
stange hergestellt wurde. Die Lotplättchen wurden mit verschiedenen Durchmes-
sern ausgestanzt, sodass sich nach dem Umschmelzen Lotkügelchen mit
Durchmessern von d = 130 μm, 270 μm, 580 μm, 1100 μm ergaben. Das
Umschmelzen erfolgte auf zwei übereinanderliegenden Dickschichtkeramiken,
wobei die obere Keramik kreisförmige Aussparungen entsprechend der angestreb-
ten Lotballgröße enthielt (siehe Abb. 3.33). Beim Erstarrungsvorgang wurde durch
das Anbringen verschieden großer thermischer Massen unter der Dickschichtkera-
mik die Abkühlgeschwindigkeit zwischen 0,14 K/s ... 10,9 K/s variiert.

3.4.2.2 Erstarrungsgefüge von Sn-Ag-Cu-Loten

Zu Beginn der Untersuchungen lagen vor allem die in [198-201] publizierten


Erkenntnisse zur Gefügeausbildung in SnAg- und SnAgCu-Loten vor. Während
der Laufzeit des Forschungsprojektes wurden folgende weitere wichtige experi-
mentelle Befunde bzw. theoretische Überlegungen [202-203] veröffentlicht. Die
genannten Veröffentlichungen [198-203], welche den Kern des momentanen Ver-
3.4 Gefügeausbildung bei Erstarrung von Legierungen 119

Thermopaare (K-Typ)

Al2O3-Keramik
mit Vertiefungen
für Lotkugeln Datenlogger

Heizplatte

a) b)
Abb. 3.33 Messstruktur zur Untersuchung des Erstarrungsvorgangs von realen Lötstellen auf
Leiterplatten: a) Prinzip des Messaufbaus, b) Aufbau auf Leiterplatte mit Mess- und Vergleichs-
stelle aus [208]

ständnisses zur Gefügeausbildung in SnAg- und SnAgCu-Loten widerspiegeln,


konnten durch die nachfolgend beschriebenen Untersuchungen in wichtigen Punk-
ten erweitert werden. Der wesentliche methodische Unterschied zu den bisher
publizierten Untersuchungen besteht (analog zu den Kriechuntersuchungen) in der
Wahl eines umfangreichen Untersuchungsbereiches für die Probenvolumina, wel-
cher sich von Bulk-Proben mit V = 1.10-6 m3 bis hin zu kleinstvolumigen Lotkü-
gelchen mit V = 1.10-12 m3 erstreckt, wodurch sich im Gegensatz zu vielen publi-
zierten Untersuchungen [198-203], welche sich auf kleinvolumige Lotkugeln
beschränken, ein für die Interpretation der Gefügebilder vollständigeres Bild
ergibt.
Der Gesamtumfang der in [197] beschriebenen Untersuchungen an großen
Bulk-Ingots zur Ermittlung des Zusammenhangs zwischen Abkühlrate und Gefü-
geausbildung betrug 46 Proben, welche metallografisch präpariert und in ca. 1500
lichtmikroskopischen Aufnahmen dokumentiert wurden. In Abb. 3.34 ist die Aus-
wertung der einzelnen Gussstücke exemplarisch dargestellt. Im ersten Schritt
wurde eine Gesamtaufnahme des metallografisch bearbeiteten Gussstückes aus ca.
30 Einzelaufnahmen hergestellt, sodass eine Gesamtaufnahme des Gefüges mit
7
einem Bildinhalt von ca. 4 ⋅ 10 Pixeln entsteht. Aus dieser Gesamtaufnahme lässt
sich zum einen ein Eindruck von der Gesamterscheinung des Gefüges gewinnen,
aber es lassen sich auch Gefügedetails stufenlos herausvergrößern, sodass ein
Überblick des Gefüges in jeder beliebigen Größendimension entsteht.
Aus den bisher ausgewerteten Daten dieser Untersuchung konnten verschiedene
Schlüsse über das Erstarrungsverhalten des SnAgCu-Systems gezogen werden. Im
Vergleich mit anderen Untersuchungen [199-201] ergeben sich neue, den bisheri-
gen Erkenntnisstand ergänzende Einsichten zur Gefügeausbildung des SnAgCu-
Lotes.
Betrachtet man das sich im SnAgCu-Eutektikum ausbildende Gefüge nicht nur
unter einer bestimmten, sondern unter verschiedenen Vergrößerungen (dies ist der
wesentliche Unterschied bei der Auswertungsmethodik dieser zu vorangegangenen
120 3 Struktur metallischer Werkstoffe

Abb. 3.34 Lichtmikroskopisches Gefügebild eines in einem Reagenzglas erstarrten


SnAg3,8Cu0,7 Lotes mit Ausschnittsvergrößerung einzelner Bereiche [207]
3.4 Gefügeausbildung bei Erstarrung von Legierungen 121

Untersuchungen), so ist festzustellen, dass im Gefüge der gleichen Probe zum


einen sich wiederholende Strukturmuster in einer Größe von mehreren hundert
Mikrometern und zum anderen sich einzelne Strukturelemente im Submikrometer-
bereich befinden.
Anders als in [199] vermutet, wird die Ausbildung bestimmter Muster nicht
allein durch die Legierungszusammensetzung, sondern auch durch die gewählten
Erstarrungsbedingungen bestimmt. Deshalb kann mit der in [199] getroffenen
Annahme, dass aus dem tenären Eutektikum des SnAgCu-Lotes grundsätzlich drei
verschiedene Phasen (β-Sn, Ag3Sn, Cu6Sn5) sequentiell in der Reihenfolge
α −> α + β −> α + β + γ ausfallen, das unter praxisrelevanten Abkühlraten im
SnAgCu-Lot entstehende Gefüge nicht vollständig erklärt werden.
Aus den an Bulk-Probekörpern durchgeführten Experimenten geht hervor (siehe
Abb. 3.34, Abb. 3.35), dass im Erstarrungsgefüge Ag3Sn-Phasen in Form großer
Platten sowie Cu6Sn5-Phasen in Form von Hexagonen oder scherenartigen Struk-
turen von β-Sn-Dendriten umgeben sind, welche untereinander durch Gebiete
umschlossen sind, die aus in einer β-Sn-Matrix eingebetteten Ag3Sn- und Cu6Sn5-
Partikeln (in Form kleiner Nadeln oder Sphären) bestehen. Die Ausbildung der
sehr großen Ag3Sn-Platten bzw. der Cu6Sn5-Hexagone findet um so stärker statt je
niedriger die Abkühlraten sind. Bei sehr hohen Abkühlraten wird die Ausbildung
dieser Phasen komplett unterdrückt. Bei sehr niedrigen Abkühlraten besteht das
Gefüge nur aus diesen Phasen, welche dann in eine β-Sn-Matrix eingebettet sind
(vgl. [204]). Die Größe der β-Sn-Dendriten nimmt mit zunehmenden Abkühlraten

SnAg3,8Cu0,7 SnAg3,5Cu0,4 SnAg3,0Cu0,5

-0,5 K/min -0,35 K/min -0,34 K/min

-35,1 K/min -33 K/min -37,4 K/min


Abb. 3.35 Darstellung des Einflusses der Abkühlrate auf die Mikrostruktur großvolumiger Bulk-
proben aus verschiedenen bleifreien Lotlegierungen anhand von lichtmikroskopischen Gefüge-
bildern (Ausschnittsvergrößerungen) [207].
122 3 Struktur metallischer Werkstoffe

a) b)

Abb. 3.36 Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen vom Gefüge von SnAg-Lot: In Abhän-


gigkeit von der Abkühlrate entstehen entweder a) sub-μm-große Sphären (schnelle Abkühlrate)
oder b) μm-große Nadeln (langsame Abkühlrate).

ab, wobei sich gleichzeitig die Größe der Ag3Sn, Cu6Sn5-Partikel in den die β-Sn-
Dendriten umgebenden Gebieten verkleinert, d. h., es entstehen eher sub-μm-große
Sphären als μm-große Nadeln (vgl. Abb. 3.35, Abb. 3.36).
Zu vergleichbaren Ergebnissen gelangt auch Swenson [203], welcher - ausge-
hend von dem von Moon et al. [199] im Jahr 2000 veröffentlichten Phasendia-
gramm unter Berücksichtigung weiterer in der Zwischenzeit veröffentlichter
Erkenntnisse zum Erstarrungsverhalten von SnAgCu-Loten - zu einer Interpreta-
tion des Erstarrungsvorgangs gelangt, welche die Reihenfolge der ausfallenden
Phasen gegenüber [199] dahingehend erweitert, dass auch monovariante (z.B. β-Sn
+ Ag3Sn) oder quasieutektische Phasen direkt aus der Schmelze ausfallen können.
Als weiterer wichtiger Gesichtspunkt wird in [203] eine unterdrückte β-Sn-Keim-
bildung als entscheidende Ursache für die sehr hohen Flächenanteile von β-Sn-
Dendriten gesehen, welche den Hauptanteil des Gefüges in SnAgCu-Loten ausma-
chen.
Diesen Überlegungen liegen die verhältnismäßig hohen Werte der Unterküh-
lung, welche für die homogene Keimbildung von β-Sn (ΔT = 0,37 Ts [205]) bzw.
die heterogene Keimbildung von β-Sn (ΔT = 0,05 ... 0,08 Ts [199], [201] ) ermittelt
wurden, zugrunde (durchschnittliche Werte für Unterkühlung bei heterogener
Keimbildung in Metallen liegen bei ΔT = 0,02 Ts ). Ausgehend von der Annahme
einer unterdrückten β-Sn-Keimbildung wird in [203] aus einer virtuellen Projek-
tion der im Sn-Ag-Cu-Phasendiagramm aus [199] errechneten Ag3Sn-Cu6Sn5-
Liquiduslinie die Zusammensetzung der Restschmelze unter Annahme einer spezi-
fischen Unterkühlung für die β-Sn-Keimbildung ermittelt (z. B. Sn-1,5wt%Ag-
0,25wt%Cu für ΔT = 30 K). Für die Erstarrung dieser Restschmelze wird in [203]
davon ausgegangen, dass nach einsetzender Keimbildung aufgrund der hohen
Unterkühlung die Bedingungen für ein rasches Wachstum von β-Sn-Dendriten
gegeben sind, an deren Phasengrenzfläche zur Schmelze es zu einer erheblichen
Anreicherung von Ag und Cu kommt, sodass die Ausscheidung monovarianter (β-
3.4 Gefügeausbildung bei Erstarrung von Legierungen 123

Sn + Ag3Sn bzw. β-Sn + Cu6Sn5) Phasen bzw. ternärer Phasen (β-Sn + Ag3Sn +
Cu6Sn5) zwischen den Dendritenarmen aufgrund konstitutioneller Unterkühlung
sehr wahrscheinlich erscheint. Aus den Experimenten an Bulk-Probekörpern geht
jedoch hervor, dass sich in diesen größeren Volumen im Gegensatz zum Erstar-
rungsgefüge kleiner Lotbälle durchaus große zusammenhängende Gebiete einer
monovarianten (β-Sn + Ag3Sn bzw. β-Sn + Cu6Sn5) bzw. ternären Phase (β-Sn +
Ag3Sn + Cu6Sn5) ergeben, welche nicht von β-Sn-Dendriten durchzogen sind.
Für die Experimente, in denen die Gefügeausbildung entlang einer vorgegebe-
nen Erstarrungsrichtung untersucht werden sollte, wurde SnAg3Cu0,5-Lot umge-
schmolzen. Zusätzlich wurden zwei weitere Proben dieser Legierung mit Zusätzen
von 0,14 % Au und 1 % Cu untersucht. In Abb. 3.37 sind die Gefüge des mittleren
Segments (Beginn der Erstarrung) und die eines äußeren Segments (Ende der
Erstarrung) gegenübergestellt. Hierbei ist zu erkennen, dass sich an der Stelle des
zuerst erstarrten Lotes ein ungeordnetes Gefügebild ergibt, während im später
erstarrtem Lot eine sehr regelmäßige Anordnung der Gefügebestandteile zu beob-
achten ist. Eine Zulegierung von 0,14 % Au bewirkte keine signifikante Änderung
des Gefügebildes. Eine Zulegierung von 1 % Cu führte zur Ausscheidung großer
plattenförmiger Cu6Sn5-Phasen sowohl im zuerst als auch im später erstarrten Lot.
Diese waren stets von β-Sn-Dendriten umgeben.
Für das vollständige Verständnis des Erstarrungsverhaltens des SnAgCu-
Systems war eine vergleichende Betrachtung des Erstarrungsvorgangs in räumlich
begrenzten Schmelzen notwendig. Aus den Untersuchungen zum Erstarrungsge-
füge an kleinstvolumigen Lotkugeln (d = 1100 μm, 590 μm, 270 μm, 130 μm)
ergeben sich Anhaltspunkte, welche Schlüsse über den Verlauf von Keimbildung
und Keimwachstum in diesen volumetrisch stark begrenzten Schmelzen zulassen.
Wie aus den lichtmikroskopischen Aufnahmen im Phasen- und Interferenzkontrast
(Abb. 3.38 - Abb. 3.40) hervorgeht, ist das Gefüge der Lotkugeln mit einem
Durchmesser von 1100 μm durch einen Kernbereich gekennzeichnet (siehe
Abb. 3.38), in welchem sich eine hohe Anzahl kleiner Körner mit einer zueinander
möglicherweise in einem Winkel von ca. 60° verteilten Orientierung (vgl. [203])
befindet. Dieser Kern ist von einem Bereich umschlossen, welcher durch wenige
große Körner einer ebenfalls um ca. 60° verschobenen Orientierung gekennzeich-
net ist. Bezogen auf die metallografische Schliffebene entspricht die Form dieser
Körner der von Tortenstücken. Wie aus den summarisch in Abb. 3.40 dargestellten
Polarisationsaufnahmen hervorgeht, ergibt sich nicht notwendigerweise die in
Abb. 3.38 gezeigte tortenähnliche Erscheinungsform des Gefüges. Sehr oft ergeben
sich kompliziertere Erscheinungsformen, die keine einheitliche Beschreibung
zulassen. Generell lassen sich jedoch zwei Phänomene erkennen. Zum einen
scheint die Größe der Kernzone mit zunehmender Abkühlgeschwindigkeit zuzu-
nehmen, zum anderen nimmt der relative Anteil der Kernzone am Gesamtgefüge
mit kleiner werdenden Kugeldurchmessern zu, sodass die Kernzone mit ihren vie-
len kleinen, definiert zueinander orientierten Körnern in Lotkugeln mit einem
Durchmesser von d = 130 μm das gesamte Gefüge ausmacht, wenngleich es auch
hier Ausnahmen gibt. Werden die Polarisationsaufnahmen zusammen mit den Auf-
124 3 Struktur metallischer Werkstoffe

Abb. 3.37 Gefügebilder von SnAg3Cu0,5 Lot mit 0,14% Au Zusatz bei gezielter gerichteter
Erstarrung vom mittleren Segment (links) zum äußeren Segment (rechts) [207].
3.4 Gefügeausbildung bei Erstarrung von Legierungen 125

c)
b)

a) b) c)

d) e) f)

Abb. 3.38 Lichtmikroskopische Aufnahmen im Polarisationskontrast (= a, b, c) und im Phasen-


indifferenzkontrast (= d, e, f) zur Gegenüberstellung von Korn- und Dendritenstruktur im Erstar-
rungsgefüge einer kleinvolumigen Lotkugel (1100μm; 1 K/s) aus SnAg3,0Cu0,5 Lot [208]

nahmen im Phasendifferenzkontrast betrachtet (Abb. 3.38, Abb. 3.39), so lässt sich


klar ableiten, dass die Erstarrung mit der Bildung einer größeren Anzahl von Kei-
men in einer Kernzone beginnt, an die sich ein dendritisches Wachstum einer
geringen Anzahl von Keimen anschließt. Das Ergebnis der Untersuchungen an den
Lotkugeln weist auf einen Größeneffekt in der Erstarrung von Mikroschmelzen
hin, welcher sich vermutlich durch eine Erhöhung der für stabiles Keimwachstum
notwendigen Unterkühlung bei kleiner werdenden Schmelzen ergibt.
In Untersuchungen von Cotts [206] wurde die Erhöhung der zur Erstarrung von
SnAgCu-Kugeln notwendigen Unterkühlung durch DTA-Messungen bestimmt.
Dabei ergab sich eine Unterkühlung von ca. 60 K für kleinvolumige Flip-Chip-
Kontakte. Die in den eigenen Messungen an Bulkproben (Reagenzglasproben,
–6 3
V ≈ 1 ⋅ 10 m ) ermittelten Werte der Unterkühlung lagen im Bereich von
5 ... 10 K. Hierbei muss allerdings beachtet werden, dass aufgrund der großen
räumlichen Ausdehnung der Proben, die Messung verschieden von der an kleinen
Proben ist. Die Messstelle im Lotvolumen befand sich auf der halben Länge der
Probe im Zentrum des Querschnitts. Bei den Messung an einem kleinen Lotkontakt
–8 3
(SMD-typische Größe, V ≈ 1 ⋅ 10 m ) auf einer Leiterplatte mit Cu-Metallisie-
rung wurden Werte der Unterkühlung im Bereich von 50 K bestimmt. Das dazuge-
hörige Temperatur-Zeit-Diagramm, welches Aufschluss über die Temperatur des
Lotkontaktes gegenüber der Temperatur einer freien (d. h. ohne aufgetragene Lot-
paste) Cu-Anschlussfläche gibt, ist in Abb. 3.41 dargestellt.
Geht man davon aus, dass die beim Wachstum von stabilen Keimen entstehende
Kristallisationswärme über ein Temperaturfeld an der Erstarrungsfront in die
unterkühlte Schmelze abgegeben wird, so ergibt sich die Wachstumsgeschwindig-
126 3 Struktur metallischer Werkstoffe

keit in einer genügend großen Schmelze allein aus der Unterkühlung dieser
Schmelze, da die Abmessungen der unterkühlten Schmelze gegenüber der charak-
teristischen Länge dieses Temperaturfeldes einen nahezu unendlichen Raum dar-
stellen. Werden die Abmessungen der Schmelze jedoch verkleinert, so ist der
Effekt der Erwärmung der unterkühlten Schmelze vor der Erstarrungsfront durch
die abgeführte Kristallisationswärme entsprechend größer. Infolgedessen verklei-
nert sich der Gradient des Temperaturfeldes so stark, dass kein stabiles Keim-
wachstum mehr stattfinden kann. D. h., um ein stabiles Keimwachstum zu ermögli-
chen, ist in sehr kleinen Schmelzen eine höhere Unterkühlung notwendig. Da
gleichzeitig die Keimbildungsrate mit der Unterkühlung exponentiell zunimmt,
ergibt sich ein Punkt, an dem ein Umschlag zwischen einem Erstarrungsprozess,
der durch das Wachstum weniger Keime gekennzeichnet ist, und einem Erstar-
rungsprozess, bei dem es durch eine größenbedingte hohe Unterkühlung zu einer
massiven Zunahme der Keimbildungsrate kommt, stattfindet. Ist diese Vermutung
zutreffend, so hängt die Ausbildung des Erstarrungsgefüges bei großen Schmelzen
von der Abkühlgeschwindigkeit ab, während es bei kleinen Schmelzen vor allem
durch die Abmessungen der Schmelze bestimmt wird. Folgt man den Ergebnissen
der Untersuchungen, so liegt der Umschlagpunkt zwischen großen und kleinen
Schmelzen für untereutektische SnAgCu-Legierungen sowie für SnAg-Legierun-
gen bei etwa V = 10-11 m3, was einem Kugeldurchmesser zwischen 300 ... 500 μm
entspricht. Eine Ausnahme bildet jedoch die SnAgCu-Legierung mit eutektischer

a) d = 130 μm / 1,1 K/s b) d = 270 μm / 1,1 K/s c) d = 590 μm / 1,1 K/s

d) d = 1100 μm / 1,1 K/s e) Ingot / 0,15 K/s

Abb. 3.39 Lichtmikroskopische Aufnahmen (Phasenindifferenzkontrast) zur Darstellung des


Einflusses des Lotvolumens auf die Größe der β-Sn Dendriten (SnAg3,0Cu0,5 Lot). Gezeigt
werden Querschliffe von kleinvolumigen Lotkugeln mit Durchmessern von (d = 1100 μm, 590 μm,
270 μm, 130 μm) und ein Querschliff einer großvolumigen Reagenzglasprobe [208].
3.4 Gefügeausbildung bei Erstarrung von Legierungen 127

a) b)

c) d)

e) f)
Abb. 3.40 Polarisationsaufnahmen von Lotkugeln aus SnAg3,5 Lot (linke Spalte, Bilder a, c, e)
und von Lotkugeln aus SnAg3,7Cu0,8 Lot (rechte Spalte, Bilder b, d, f). Die Kugelgrößen betragen
130 μm (Bild a,b); 270 μm (Bild c,d) und 1100 μm (Bild e,f) [209].

Zusammensetzung (SnAg3,8Cu0,7), welche ausschließlich aus wenigen dendri-


tisch erstarrten Körnern zu bestehen scheint. Bisher ist ungeklärt, weshalb bei die-
ser Legierungszusammensetzung ein solcher Effekt auftritt.
Aus den Ergebnissen der in [197, 208] beschriebenen Grundsatzuntersuchung
ergeben sich durch den Vergleich mit den Gefügen in realen kleinvolumigen Lot-
128 3 Struktur metallischer Werkstoffe

Abb. 3.41 Erstarrungsdiagramm an Lotkontakten [207]

kontakten folgende Erkenntnisse. Bei gleicher Abkühlrate ergibt sich in kleinvolu-


migen Lotkontakten ein feineres Gefüge als in Bulkproben, d.h. kleinere Dendriten
und kleinere Ag3Sn-, Cu6Sn5-Partikel. Dennoch können sich sehr große Ag3Sn-,
Cu6Sn5-Platten in diesen sehr kleinen Volumen bilden. In Übereinstimmung mit
den in [201] veröffentlichten Ergebnissen ist zu schlussfolgern, dass die für die Bil-
dung der β-Sn-Phasen notwendige Unterkühlung bei kleiner werdenden Schmelzen
zunimmt, während die Unterkühlung zur Bildung großer Ag3Sn-, Cu6Sn5-Platten
größenunabhängig ist. Dies bedeutet, dass in kleinvolumigen Kontakten grundsätz-
lich andere Gefüge entstehen als in Bulkproben.
Die zwischen benachbarten Lotkontakten beobachteten unterschiedlichen
Gefüge lassen sich offensichtlich auf unterschiedliche Verläufe der Erstarrungs-
fronten in diesen Kontakten zurückführen. Ursache der unterschiedlichen Start-
punkte der Erstarrung könnte heterogene Keimbildung an den zuerst entstehenden
Ag3Sn-, Cu6Sn5-Platten sein. Das Zulegieren von Cu führt zum Ausfällen großer
Cu6Sn5-Platten bzw. Hexagonen, ohne dass es zu signifikanten Änderungen des
restlichen Gefügebildes kommt.

3.4.2.3 Erstarrungsgefüge von Sn-Pb-Loten

Ausgangspunkt für die in [210] durchgeführten Untersuchungen zum Erstar-


rungsverhalten von Sn-Pb-Loten waren Gefügeinhomogenitäten, welche in Flip-
Chip-Kontakten gefunden wurden. Hierzu wurden zunächst kleinvolumige Kon-
takte von Flip-Chip-, CSP- bzw. μBGA-Bauelementen analysiert. Im Rahmen der
in [12] durchgeführten Arbeiten wurden diese Analysen durch generelle Untersu-
chungen an Schmelzen unterschiedlicher Volumen vervollständigt, um Aufschluss
3.4 Gefügeausbildung bei Erstarrung von Legierungen 129

darüber zu erhalten, ob das in Flip-Chip-Kontakten erstarrte Lot bestimmte mikro-


strukturellen Besonderheiten gegenüber dem SnPb37-Lot in größeren Volumen
(V > 10-9 m3) hat. Hierzu wurde handelsübliches LSn62-Lot aufgeschmolzen und
dann in Lotvolumina zwischen 10-9 m3 < V < 10-8 m3 erstarrt. Die Erstarrung des
Lotes erfolgte zum einen an Luft, d. h. normale Abkühlrate, und zum anderen in
Wasser, d. h. hohe Abkühlrate. Die durch diese beiden Erstarrungsbedingungen
entstandenen Mikrostrukturen sind in Abb. 3.42 dargestellt. Das Gefüge des in
Wasser abrupt erstarrten Lotes erscheint wesentlich feiner als das des in Luft nor-
mal erstarrten. Werden die Größen einzelner Phasengebiete miteinander vergli-
chen, so fällt auf, dass im Gefüge des schnell erstarrten Lotes die Größe einzelner
Phasengebiete gering streut und die Phasengebiete eine globulare Form aufweisen,
während im Gefüge des normal erstarrten Lotes sehr starke Größenunterschiede
zwischen einzelnen Phasengebieten auftreten, welche zum Teil eine laminare Form
aufweisen. Der markanteste Unterschied zwischen beiden Gefügen besteht in der
Form der Bleiausscheidungen. Im Fall schnell erstarrten Lotes sind diese kreuzför-
mig (bzw. dendritenartig) und im Fall normal erstarrten Lotes sind sie kugelförmig.
Diese Besonderheit der in Abhängigkeit von der Abkühlgeschwindigkeit im
Gefügebildes von SnPb-Lot auftretenden großen Bleiausscheidungen lassen sich
verstehen, wenn die in [211] ermittelten Werte für die zur Keimbildung einer Kom-
ponente α notwendigen Unterkühlung in einem zweiphasigen System mit und
ohne Anwesenheit einer zweiten Komponente β , welche in Tabelle 3.3 zusam-
mengefasst sind, betrachtet werden. Hieraus wird deutlich, dass die in den eutekti-
schen und naheutektischen Zinn-Blei-Legierungen zu beobachtenden Bleiausschei-
dungen aufgrund des nichtreziproken Keimbildungsverhaltens des SnPb-Systems
entstehen. Während Zinn bei Anwesenheit von Blei eine hohe Unterkühlung
(ΔT = 55 K) benötigt, genügt Blei bei Anwesenheit von Zinn eine geringe Unter-
kühlung (ΔT =0 K ... 0,5 K) zur Keimbildung [211]. Durch dieses nichtreziproke
Keimbildungsverhalten bilden sich bei der Erstarrung eutektischen Blei-Zinn-
Lotes zuerst Keime der bleireichen Phase. Da bei der Keimbildung Wärme freige-
setzt wird, verlangsamt sich die Abkühlung, sodass zunächst ein Keimwachstum
der bleireichen Phase auftritt, bevor die Schmelze so weit unterkühlt ist, dass auch
die zinnreiche Phase Keime bildet. Durch die sich zuerst bildenden bleireichen
Ausscheidungen verschiebt sich die Zusammensetzung der noch flüssigen Rest-
schmelze. Erreicht diese ein Verhältnis von 80wt%Sn-20wt%Pb, so ist die notwen-
dige Unterkühlung für die Keimbildung von bleireicher und zinnreicher Phase
gleich [212, 213]. Aufgrund dieses dargestellten Mechanismus weist das Gefüge
von realen Flip-Chip-Kontakten (Abb. 3.43) ohne Einbeziehung der Bleiausschei-
dungen eine übereutektische Zusammensetzung zwischen (70wt% ... 80wt%)Sn-
Pb auf.
Werden lokale Bereiche betrachtet, so bestehen diese entweder aus einem über-
eutektischen Zinn-Blei-Lot oder aus Bleiausscheidungen. Die Zusammensetzung
des übereutektischen Lotes ist im gesamten Volumen gleich, schwankt aber zwi-
schen verschiedenen Proben im Bereich von 70wt% bis 80wt% Zinnanteil. Die
Zusammensetzung der Bleiausscheidungen beträgt 19,2wt%Sn-Pb [215]. Durch
130 3 Struktur metallischer Werkstoffe

In Wasser (schnell) erstarrtes Lot An Luft (normal) erstarrtes Lot

a) Übersichtsbild typisches Gefüge b) Übersichtsbild typisches Gefüge


(280 X) (360 X)

c) Detailbild typisches Gefüge (2800 X) d) Detailbild typisches Gefüge (2800X)

e) Detailbild Bleiausscheidung (5500 X) f) Detailbild laminarer Bereich (2800X)

Abb. 3.42 Mikrostruktur (SE-Kontrast) erstarrten SnPb37-Lotes (V > 10-9m3), linke Seite:
schnelle Erstarrung in Wasser; rechte Seite: normale Erstarrung an Luft [12]
3.4 Gefügeausbildung bei Erstarrung von Legierungen 131

Tabelle 3.3 Unterkühlung ΔT für die Keimbildung der Komponente α bei gleichzeitiger Anwe-
senheit der Komponente β aus [211]

System ΔT von α ΔT von α bei Anwesenheit von β


α − β (max.) (unter α-Liquidus)

Pb - Sn 72 K 0,5 K

Sn - Pb 52 K > 55 K

Ag3Sn - Sn - > 50 K

Sn - Ag3Sn 35 K >42 K

Sn - Cu6Sn5 50 K > 45 K

die aufgrund des nichtreziproken Keimbildungsverhaltens des SnPb-Systems und


des mehrfachen Aufschmelzens des Zinn-Blei-Lotes bei der Herstellung und Ver-
arbeitung zustande kommenden Mechanismen bei der Loterstarrung ist die
ursprüngliche Zusammensetzung des Lotes ohne Einfluss auf das später in den
Lotkontakten entstehende Gefüge. Der die Materialeigenschaften prägende Haupt-
teil an übereutektischem Lot hat im Mittel, unabhängig von der Ausgangszusam-
mensetzung, die gleiche Zusammensetzung, da sich diese aus dem nichtreziproken
Keimbildungsverhalten des SnPb-Systems ergibt [12].
Dadurch hat z. B. die Ausgangszusammensetzung von SnPb-Bumps keinen Ein-
fluss auf die spätere Zusammensetzung des Gefüges in den daraus gefertigten Flip-
Chip-Kontakten. Allerdings kann durch extreme Abkühlraten eine solche Unter-
kühlung erzielt werden, dass die Bildung von Bleiausscheidungen unterbunden
wird und ein homogenes Gefüge mit der Lotzusammensetzung des Flip-Chip-
Bumps im gesamten Kontakt entsteht [210].
Um diese zunächst auf Flip-Chip-Kontakte bezogenen Aussagen zu verallge-
meinern, wurden verschiedene Analysen vorgenommen, um festzustellen, welches
Gefüge sich in einem produktionstypischen Lötprozess in realen Bauelementekon-
takten einstellt. Hierzu wurden verschiedene, auf eine FR4-Leiterplatte gelötete
Bauelemente zusammen mit einem Flip-Chip-Probekörper in einem Reflow-Ofen
umgeschmolzen. Um das zweite Aufschmelzen der Lotkontakte zu garantieren,
wurde das SMT-typische Temperaturprofil des Reflow-Ofens in allen Zonen um
30 K angehoben. Die untersuchten Bauelemente bestanden aus einem μBGA,
einem CSP und einem TC1 (Testchip). Die aus dem zweiten Umschmelzen ent-
standenen Gefüge sind in Abb. 3.43 dargestellt. Daraus ist abzulesen, dass zwar
zwischen den Flip-Chip-Kontakten, CSP- und μBGA-Kontakten Unterschiede im
Gefüge bestehen, dass aber der auf Leiterplattenmetallisierung gelötete Flip-Chip
sich nicht von dem auf Si-Metallisierung gelöteten Flip-Chip unterscheidet. Wer-
den weiterhin die Gefüge der Realkontakte mit denen aus dem umgeschmolzenen
Bulkmaterial verglichen, so ist festzustellen, dass das Gefüge der Flip-Chip-Kon-
takte zwar Bleiausscheidungen derselben Form und Größe wie die an Luft erstarrte
132 3 Struktur metallischer Werkstoffe

a) Flip-Chip-Kontakt (Si auf FR4) b) Flip-Chip-Kontakt (Si auf Si)


Reflow-Ofen gelötet (420 X) Reflow-Ofen gelötet (390 X)

c) microBGA-Kontakt (Si auf FR4) d) gestreckter CSP-Kontakt (Si auf FR4)


Reflow-Ofen gelötet (140 X) Reflow-Ofen gelötet (110 X)

e) Flip-Chip-Kontakt (Si auf Si) SET 950 f) Flip-Chip-Kontakt (Si auf Si)
mit N2-Kühlung gelötet (280 X) SET 950 ohne Kühlung gelötet (280 X)

Abb. 3.43 Mikrostrukturen (BSE-Kontrast) realer Bauelementelotkontakte aus eutektischem bzw.


naheutektischem Blei-Zinn-Lot, gelötet im Reflow-Ofen (obere 4 Bilder), im Flip-Chip-Bonder
SET 950 (untere 2 Bilder) [12]
3.4 Gefügeausbildung bei Erstarrung von Legierungen 133

ausscheidungen) aber einen ganz anderen Charakter trägt. Die im Gefüge der CSP-
und μBGA-Kontakte zu beobachtenden Bleiausscheidungen besitzen eine Kreuz-
form (bzw. eine Dendritenform), sind aber wesentlich größer als die der in Wasser
erstarrten Schmelze des Lotdrahtes. Kreuzförmige Bleiausscheidungen wurden
auch in den mit dem SET 950-Bonder gelöteten Flip-Chip-Kontakten beobachtet,
wenn diese durch das Einleiten eines kalten Gasstroms beschleunigt abgekühlt
wurden. Beim normalen Abkühlen in stehender Luft waren die Gefüge der im Flip-
Chip-Bonder SET 950 mit denen der im Reflow-Ofen gelöteten Flip-Chip-Kon-
takte vergleichbar. Aus den durchgeführten Experimenten zur Erstarrung des Zinn-
Blei-Lotes in Flip-Chip-Kontakten können keine weitreichenden Schlüsse gezogen
werden, da die Möglichkeit einer lokalen Temperaturmessung (unterhalb eines
Bondpads) auf dem verfügbaren Testchip TC1 [214] fehlte. Aus dem Vergleich
zwischen dem Gefüge eines Flip-Chip-Kontaktes mit dem von CSP-, μBGA-Kon-
takten kann abgeleitet werden, dass im Zinn-Blei-Lot der Bumps bereits hetero-
gene Keimbildner für Blei vorhanden sind. Ansonsten würden Flip-Chip-Kontakte,
welche das kleinste Volumen besitzen und damit voraussichtlich die höchste
Abkühlrate im Lot hervorrufen, nicht genauso große und genauso geformte Blei-
ausscheidungen besitzen wie die sehr viel voluminösere LSn62- Schmelze, welche
ein um den Faktor 104 größeres Volumen besitzt und dadurch wahrscheinlich sehr
viel langsamer erstarrt.

3.4.2.4 Volumenabhängigkeit des Sn-Ag-Cu- und des Sn-Pb-Systems

Aus dem Vergleich des in 3.4.2.2 dargestellten Sn-Ag-Cu-Systems und des in


3.4.2.3 dargestellten SnPb-Systems wird ersichtlich, dass das sich einstellende
Gefügebild bei ersterem vorrangig vom Schmelzvolumen abhängig ist, während
das sich einstellende Gefügebild bei letzterem vor allem von der Abkühlgeschwin-
digkeit bestimmt wird, wobei zu beachten ist, dass bei großen Volumen die
Abkühlgeschwindigkeit auch beim Sn-Ag-Cu-System ein wichtiger Faktor ist, der
allerdings bei abnehmendem Schmelzvolumen an Einfluss verliert.
Diese deutlichen Unterschiede in der Größenabhängigkeit des Gefügebildes im
Sn-Ag-Cu-System gegenüber dem Sn-Pb-System lassen sich verstehen, wenn die
in [211] ermittelten Werte für die zur Keimbildung einer Komponente α notwen-
dige Unterkühlung in einem zweiphasigen System mit und ohne Anwesenheit einer
zweiten Komponente β , die in Tabelle 3.3 zusammengefasst sind, untereinander
verglichen werden. Hieraus wird deutlich, dass sich die für die Keimbildung einer
Phase im Sn-Ag-Cu-System notwendigen Unterkühlungen der einzelnen Kompo-
nenten kaum unterscheiden, unabhängig davon, ob eine Komponente allein vor-
liegt oder mit einer anderen Komponente wechselwirkt. Hierdurch wird die für die
Keimbildung notwendige Unterkühlung vor allem durch das Schmelzvolumen
bestimmt, da dieses wiederum den Verlauf des Temperaturfeldes vor der Erstar-
rungsfront bestimmt. Demgegenüber wird in den eutektischen und naheutektischen
Zinn-Blei-Legierungen die Pb-Keimbildung durch das nichtreziproke Keimbil-
134 3 Struktur metallischer Werkstoffe

dungsverhalten des SnPb-Systems bestimmt. Der einzige Weg, die Dominanz des
nichtreziproken Keimbildungsverhaltens auf die Gefügeherausbildung zu unter-
drücken, besteht in der Erzeugung sehr hoher Unterkühlungswerte. Im betrachteten
Größenbereich sind die aufgrund geometrischer Begrenzungen erreichten unge-
zwungenen Unterkühlungen offensichtlich nicht so groß, dass eine signifikante
Veränderung der Erstarrungsreaktion auftritt, woraus sich die relative Unabhängig-
keit der Gefügeausbildung vom Schmelzvolumen erklären ließe. Ein anderer
Unterschied zwischen dem Sn-Ag-Cu-System und dem Sn-Pb-System ergibt sich
aufgrund der mit dem nichtreziproken Keimbildungsverhalten des Sn-Pb-Systems
verbundenen Entmischung der Restschmelze während des Erstarrungsprozesses.
Diese bewirkt eine relative Unabhängigkeit der Erstarrungsreaktion von der Aus-
gangszusammensetzung. Im Gegensatz dazu gibt es beim Sn-Ag-Cu-System eine
starke Abhängigkeit der Erstarrungsreaktion von der Ausgangszusammensetzung,
sodass das Erstarrungsgefüge sich qualitativ sehr stark ändern kann, wenn eine
Komponente eine gegenüber dem Eutektikum höheren Anteil an der Legierung hat.

3.5 Gefügeveränderung

3.5.1 Gefügeveränderung durch thermische Belastung

3.5.1.1 Kornwachstum

Wie in 3.2.3.4 dargestellt wurde, besitzen Korngrenzen in Abhängigkeit vom


Missorientierungswinkel eine Freie Energie, welche gleichzeitig eine Triebkraft
für eine Neuanordnung von Körnern darstellt mit dem Ziel, diese Freie Energie
z. B. durch die Schaffung von Σ3 -Korngrenzen zu minimieren. Normales Korn-
wachstum führt in der Regel zu einer uniformen Gefügeänderung, d. h., die Korn-
größenverteilung bleibt unabhängig von der absoluten Korngröße und der Wachs-
tumszeit gleich. Die Wachstumsgeschwindigkeit wird vor allem durch die
Faktoren Temperatur, gelöste Mischkristallatome bzw. Ausscheidungen, Struktur-
größe und Gefügetextur bestimmt. Die Temperatur ist dabei der Hauptfaktor, da sie
die Korngrenzenmigration von Großwinkelkorngrenzen über deren Mobilität
bestimmt. Korngrenzen können durch gelöste Mischkristallatome besonders aber
durch Ausscheidungen gepinnt und damit unbeweglich werden, wodurch ein Korn-
wachstum erheblich gebremst werden kann. Eine starke Verlangsamung setzt auch
dann ein, wenn Körner größer als charakteristische Strukturgrößen, z. B. die Dicke
eines Bleches oder eines Films, werden, da das Wachstum in nur zwei Dimensio-
nen gegenüber dem allseitigen Wachstum eine wesentlich geringere Triebkraft hat.
Ähnlich liegt der Fall in stark texturierten Gefügen, welche eine hohe Zahl an
Kleinwinkelkorngrenzen aufweisen. Aus theoretischen Überlegungen lässt sich
3.5 Gefügeveränderung 135

ableiten, dass die mittlere Korngröße R einem parabolischem Wachstumsgesetz


folgen sollte [165]

R = α⋅ t (3.16)

Demgegenüber zeigen experimentelle Ergebnisse, dass eine allgemeinere For-


mulierung zur Beschreibung des Kornwachstums in der Form

1⁄n
R = α⋅t (3.17)

notwendig ist, wobei α ein Vorfaktor ist und n als Kornwachstumsexponent


bezeichnet wird. Typische Werte für n liegen zwischen 2 und 4 [165]. In
Abb. 3.44 ist das Phänomen des Kornwachstums am Beispiel des SnPb-Lotes
gezeigt. Aufgrund des zweiphasigen Gefüges lassen sich die Wachstumsprozesse
durch die damit verbundenen Phasenvergröberungen gut beobachten. Die Sichtbar-
machung der Körner im Ausgangszustand ist schwierig, da diese sehr klein sind
und unregelmäßige Korngrenzen besitzen. Es ist zu erkennen, dass aufgrund der
hohen homologen Materialtemperaturen Kornvergröberungsreaktionen bereits in
erheblichem Maße bei Raumtemperatur stattfinden und daher in Lotkontakten
elektronischer Aufbauten kein Phänomen ist, welches unbedingt an das Vorhan-
densein hoher Betriebstemperaturen gekoppelt ist.

3.5.1.2 Ostwaldreifung

Die Ostwaldreifung behandelt die Vergröberung von Phasen, z. B. Ausschei-


dungen, in einem Zweiphasengemisch durch Umlösung. Die Theorie der Ostwald-
reifung wurde Anfang der sechziger Jahre von Lifshitz, Slyozov [217] und Wagner
[218] entwickelt. Die Bezeichnung Ostwaldreifung geht auf Wilhelm Ostwald
[219] zurück, der bei der Untersuchung von HgO-Niederschlägen in Wasser ent-
deckte, dass kleinere Teilchen eine größere Löslichkeit haben als große. Als Ursa-
che für dieses Phänomen benannte er die Abhängigkeit des chemischen Potenzials
eines Teilchens von seinem Radius.
Wird eine zweiphasige ausscheidungsgehärtete Legierung betrachtet, so ist fest-
zustellen, dass das Gefüge sich nicht im Gleichgewicht befindet, obwohl die Kon-
zentration der β -Phase in der Matrix α durch die Entmischung während der Aus-
scheidungsreaktion den Wert der Löslichkeit c β erreicht hat. Ursache hierfür ist
die in den α – β -Phasengrenzflächen befindliche Freie Energie, welche durch Rei-
fung, d. h. dem Wachstum größerer Ausscheidungen unter Verbrauch kleinerer
Ausscheidungen, minimiert werden soll. Werden zwei kugelförmige Ausscheidun-
gen mit den Radien r 1, r 2 betrachtet, so unterscheiden sich ihre chemischen Poten-
ziale um
136 3 Struktur metallischer Werkstoffe

a) Vergrößerung x500 b) Vergrößerung x500

c) Vergrößerung x2000 d) Vergrößerung x2000

Abb. 3.44 Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen von kombinierter Korn- und Phasenver-


gröberung an Flip-Chip-Kontakten aus eutektischem SnPb-Lot: a) Querschliff eines Flip-Chip-
Kontaktes im Ausgangszustand und b) nach 5 Jahren Lagerung des Querschliffs bei Raumtempe-
ratur, c) Ausschnittsvergrößerung eines Flip-Chip-Kontaktes im Ausgangszustand mit feinen lami-
naren Phasenstrukturen, d) Ausschnittsvergrößerung eines Flip-Chip-Kontaktes aus Bild b)

1 – ---- Δc β
1 · = kT ⋅ --------
Δμ p = 2 ⋅ E αβ ⋅ Ω ⋅ § ---- - (3.18)
©r r ¹ cβ
1 2

Durch den Konzentrationsunterschied Δc β = c β ( r 1 ) – c β ( r 2 ) in der Matrix α


zwischen gelösten β -Teilchen unterschiedlichen Radius kommt es zu einem Diffu-
sionsstrom, in dessen Resultat das größere Teilchen durch Auflösung des kleineren
wächst, bis c β ( r → ∞ ) = c ∞ erreicht wird. Befinden sich in der Matrix viele will-
kürlich räumlich verteilte Teilchen unterschiedlichen Radius, so lässt sich aus der
Gibbs-Thomson-Gleichung ableiten, dass es einen kritischen Radius r c gibt, der
die Gleichgewichtskonzentration mit der Matrix charakterisiert. Teilchen mit
einem in Vergleich zu r c geringeren Radius lösen sich auf, während Teilchen mit
3.5 Gefügeveränderung 137

einem größeren Radius wachsen. Infolge dieses Prozesses nimmt aber gleichzeitig
auch r c zu. Die Beschreibung dieses sehr komplexen Umlösungs- und Wachs-
tumsprozesses gelang erstmalig durch die Arbeiten von Lifshitz, Slyozov [217]
und Wagner [218] (LSW-Theorie). Hierbei wurde vereinfacht angenommen, dass
die Matrix eine stark verdünnte Lösung der β -Phase in der α -Phase ist, d. h., dass
das Volumen der Ausscheidungen sehr klein ist und dass die Teilchen nur mit einer
unendlichen Matrix wechselwirken. Weiterhin wird von der Annahme ausgegan-
gen, dass die Entmischung fast beendet ist und die Übersättigung der Lösung daher
annähernd null ist. Diese Annahme beschränkt die LSW-Theorie auf die späten
Stadien der Entmischung, welche kurz nach der Erstarrung von mehrphasigen
Schmelzen nicht notwendigerweise erreicht sind. Vereinfachend wird außerdem
eine linearisierte Gibbs-Thomson-Gleichung verwendet, die die Konzentration in
der Nähe der Ausscheidungen beschreibt. Unter Verwendung dieser Näherungen
ergibt die LSW-Theorie eine Proportionalität zwischen dem mittleren Radius der
Ausscheidungen und der Zeit

2
3 3 8 ⋅ γ αβ ⋅ D ⋅ Ω ⋅ c ∞
r – r0 = ---------------------------------------------- ⋅ t = C LSW ⋅ t , (3.19)
9⋅k⋅T

wobei r der mittlere Ausscheidungsradius zur Zeit t und r 0 der anfängliche


mittlere Ausscheidungsradius ist, D dem Diffusionskoeffizienten entspricht, γ αβ
die spezifische Grenzflächenenergie darstellt und Ω das mittlere Atomvolumen
ist.
1/3
Der durch die LSW-Theorie vorausgesagte t -Zusammenhang wurde nicht in
allen Fällen bestätigt [220]. Die beobachteten Größenverteilungen sind generell
breiter und symmetrischer als die Voraussagen der LSW-Theorie. Weiterhin zeigte
sich, dass die LSW-Konstante vom Volumenanteil der Ausscheidungen abhängig
ist.

r < rc
Konzentration c(r)

c(rc)

r > rc

Beliebiger Ort der Teilchen in einer Matrix

Abb. 3.45 Konzentrationsgefälle zwischen verschiedenen Phasenteilchen


138 3 Struktur metallischer Werkstoffe

a) Vergrößerung x3000 b) Vergrößerung x3500

Abb. 3.46 Rasterelektronenmikroskopische Gefügeaufnahmen von SnAgCu-Flip-Chip-


Kontakten (Querschliff): a) Erstarrungsgefüge, b) Gefüge nach 1500 h thermischer Auslageung bei
150°C. Aus dem Vergleich beider Bilder lässt sich die Vergröberung von kleinen Phasenteilchen
durch Ostwaldreifung erkennen.

3.5.1.3 Wachstumserscheinungen an Mehrphasengrenzflächen

Während die bisher besprochenen Vergröberungserscheinungen eine intrinsi-


sche Gefügeveränderung beschreiben, ist es in Strukturen der Aufbau- und Verbin-
dungstechnik oft auch notwendig, Gefügeveränderungen in Werkstoffverbunden
beschreiben zu können. Ein typisches Beispiel für solche Werkstoffverbunde sind
Sn-haltige Lotkontakte auf Cu-Metallisierungen, die eine Schichtfolge Cu-
Metallisierung / Cu3Sn-Phase / Cu6Sn5-Phase / Sn-haltiger-Lotwerkstoff aufwei-
sen. Langfristig ist dabei zu beobachten, dass in Abhängigkeit von der Betriebs-
temperatur die Schichtdicken der Cu3Sn-Phase und der Cu6Sn5-Phase unter Ver-
brauch von Cu aus der Metallisierung und Sn aus dem Lotwerkstoff kontinuierlich
in ihrer Schichtdicke zunehmen. Grundlage zur Beschreibung der Kinetik der
Schichtdickenzunahme ist das diffusionsgesteuerte Wachstum von intermetalli-
schen Phasen. Dabei wird die thermische Aktivierung der Diffusion durch den
Arrhenius-Ansatz berücksichtigt. Dies führt zur Annahme des parabolischen
Wachstumsgesetzes (vergleichbar mit Kornwachstum, siehe Gleichung (3.16)) mit
einer von der Temperatur abhängigen Wachstumskonstante k:

Q
d = k ⋅ t mit k = k 0 ⋅ exp § – ----------· , (3.20)
© k ⋅ T¹

wobei d die Schichtdicke der entsprechenden Phase ist. Bei einem Mehrpha-
sensystem, wie es in der Cu / Sn-Grenzfläche vorkommt, kann es in Abhängigkeit
von der Temperatur jedoch dazu kommen, dass eine Phase unter Verbrauch der
angrenzenden Phase wächst, wodurch kompliziertere Formulierungen für das
3.5 Gefügeveränderung 139

a) Vergrößerung x3000 b) Vergrößerung x3500

Abb. 3.47 Rasterelektronenmikroskopische Gefügeaufnahmen von der Phasengrenzfläche


zwischen Cu-UBM und SnAgCu- Lot in einem Flip-Chip-Kontakt (Querschliff): a) Grenzfläche
nach dem Löten, b) Grenzfläche nach 1500 h thermischer Auslagerung bei 150°C. Aus dem
Vergleich beider Bilder lässt sich das Wachstum der intermetallischen Sn5Cu6-Phase und Cu3Sn-
Phase unter Verbrauch der Cu-Metallisierung erkennen. Die Sn5Cu6-Phase und Cu3Sn-Phase
lassen sich nicht unterscheiden, da die Bilder im Sekundärelekronenkontrast aufgenommen
wurden.

Wachstumsgesetz notwendig werden. In Abb. 3.46 sind rasterelektronenmikrosko-


pische Gefügeaufnahmen von der Phasengrenzfläche zwischen Cu-UBM und
SnAgCu- Lot in einem Querschliff eines Flip-Chip-Kontaktes dargestellt. Aus den
Bildern lässt sich das Wachstum der intermetallischen Sn5Cu6-Phase und Cu3Sn-
Phase unter Verbrauch der Cu-Metallisierung nachvollziehen.

3.5.2 Gefügeveränderung durch thermisch-mechanische Belastung

3.5.2.1 Rekristallisation

Der Umstand, dass die während des Betriebs in elektronischen Geräten auftre-
tenden Beanspruchungen einen kombinierten thermisch-mechanischen Charakter
besitzen, führt zu spezifischen Prozessen bei der Gefügeentwicklung von Werk-
stoffen, welche zum Aufbau der entsprechenden Strukturen verarbeitet wurden.
Während durch eine reine thermische Beanspruchung vor allem Prozesse des
Wachstums intermetallischer Phasen an Grenzflächen, der Vergröberung interme-
tallischer Ausscheidungen durch Ostwaldreifung und des Kornwachstums ausge-
löst werden, kommt es bei einer kombinierten thermisch-mechanischen Beanspru-
chung zum komplexen Prozess der Rekristallisation, d. h. der Neubildung des
Gefüges im festen Zustand (ähnlich der Gefügeausbildung durch Kristallisations-
vorgänge bei Erstarrung einer Schmelze, vgl. 3.4). Obwohl Rekristallisationspro-
zesse in allen kristallinen Materialien auftreten, d. h. z. B. in natürlichen (geologi-
140 3 Struktur metallischer Werkstoffe

a) b)

c) d)

e) f)

Abb. 3.48 Gefügeentwicklung durch kombinierte thermisch-mechanische Beanspruchung: a)


kaltverformter Zustand, b) Erholung, c) beginnende Rekristallisation, d) vollständige Rekristalli-
sation, e) Kornwachstum, f) anormales Kornwachstum (adaptiert aus [165])

schen) Gesteinsbewegungen als auch bei der Verarbeitung technischer Keramiken,


wird dieses Phänomen vor allem in Zusammenhang mit Umformprozessen und
Wärmenachbehandlung von metallischen Werkstoffen besprochen, da hier der
Hauptteil der technischen Anwendung liegt, welcher darauf ausgerichtet ist, eine
Gefügeoptimierung typischer Umformprodukte, z. B. von Walzblechen, zu errei-
chen. In diesem Kontext lässt sich das Zusammenwirken verschiedener Prozesse
bei der Gefügeentwicklung, wie sie in Abb. 3.49 dargestellt sind, am einfachsten
illustrieren. In einem ersten Schritt erhöht sich die Freie Energie des kristallinen
Materials infolge der durch Kaltverformung eingebrachten Baufehler (vor allem
Versetzungen), welche den Werkstoff in einen thermodynamisch instabilen
Zustand versetzen (Abb. 3.48 a). Bei niedrigen homologen Materialtemperaturen,
in denen atomistische Ausgleichprozesse nur sehr langsam vonstattengehen, kann
dieser instabile Zustand lange aufrechterhalten werden. Erst durch thermische
Aktivierung, d. h., wenn das Material bei einer höheren homologen Temperatur
wärmebehandelt wird, laufen Festkörperdiffusionsvorgänge in einem solchen
Umfang ab, dass eine deutliche Verringerung der Freien Energie durch Umord-
nung bzw. Annihilation der bei der Kaltverformung eingebrachten Versetzungen
eintritt (Abb. 3.48 b). Die Versetzungsumordnungen während die Erholungsphase
verändern für gewöhnlich nicht die Korngrenzen des Gefüges aus dem kalt ver-
3.5 Gefügeveränderung 141

formten Zustand. Im Anschluss an diesen Erholungsprozess setzt der Rekristallisa-


tionsprozess ein, in welchem neue versetzungsarme Körner aus den alten verset-
zungsreichen Körnern gebildet werden, wodurch eine völlig neue Kornstruktur
entsteht (Abb. 3.48 c, d). Da bei diesem Rekristallisationsprozess üblicherweise
eine hohe Zahl kleiner Körner mit vielen Korngrenzen entstehen, bleibt das Gefüge
thermodynamisch weiterhin instabil, sodass sich ein Prozess des Kornwachstums
anschließt, welcher die vielen kleinen Körner zugunsten größerer Körner wandelt,
deren Korngrenzen eine niedrigere Grenzflächenenergie besitzen (Abb. 3.48 e,
Abb. 3.49). Dieser Wachstumsprozess kann auch durch das überproportionale
Wachstum einzelner Körner bestimmt sein (Abb. 3.48 f) [165, 221].

Abb. 3.49 Schematische Darstellung des Kornwachstums infolge der Verringerung der Verset-
zungsdichte über Erholungsprozesse nach erfolgter Verformung

Der in Abb. 3.48 dargestellte Vorgang der Gefügeentwicklung durch kombi-


nierte thermisch-mechanische Beanspruchung ist in dieser stark sequenziell geglie-
derten Form vor allem für Umformprozesse bei der Metallverarbeitung, jedoch
nicht für Gefügeveränderungen in Strukturen elektronsicher Aufbauten gültig. Die
Tatsache, dass die mechanische Beanspruchung in elektronischen Aufbauten kein
singulärer Prozess bei einer niedrigen Temperatur ist, welcher von einem davon
getrennten Prozess der Wärmebehandlung gefolgt wird, sondern eine Folge der
sich zyklisch ändernden Betriebstemperatur ist, führt zu einer Parallelität der in
Abb. 3.48 sequenziell dargestellten Prozesse. Hinzu kommt, dass bei sehr hohen
homologen Materialtemperaturen, wie sie z. B. in Lötverbindungen auftreten,
Kriechverformungen dominieren, welche von Prozessen der dynamischen Erho-
lung und dynamischen Rekristallisation begleitet sein können. Aufgrund dieser
verschiedenen Umstände sind die den Gefügeveränderungen in Strukturen elektro-
nischer Aufbauten zugrunde liegenden Einzelmechanismen sehr schwer zurückzu-
verfolgen.
Die Komplexität der Rekristallisationsprozesse an Lotkontakten ist in Abb. 3.50
am Beispiel von rasterelektronenmikroskopischen Aufnahmen des Gefüges von
SnPb-Flip-Chip-Lotkontakten im Ausgangszustand und nach jeweils 300 Zyklen;
1800 Zyklen; 2300 Zyklen; 5100 Zyklen; 16000 Zyklen in einem Temperatur-
wechseltest -40°C/125°C dargestellt [216]. Der Flip-Chip-Probekörper wurde für
diesen Versuch aus zwei gegeneinandergelöteten Si-Chips aufgebaut, wodurch die
142 3 Struktur metallischer Werkstoffe

Kontakte keine globale Fehldehnungsbeanspruchung erfuhren, wie dies der Fall


wäre, wenn ein Si-Chip über Flip-Chip-Lotkontakte auf einer Leiterplatte montiert
werden würde. Die Rekristallisationserscheinungen im Gefüge der SnPb-Flip-
Chip-Lotkontakte, welche in den Bildern in Abb. 3.50 sichtbar sind, kommen aus-
schließlich infolge der unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizienten der bleirei-
chen und zinnreichen Phase im Gefüge des eutektischen SnPb-Lotes zustande.
Aber auch das SnAgCu-Lot zeigt derartige Rekristallisationserscheinungen.
Dadurch dass der β -Sn Einkristall eine starke Anisotropie des E-Moduls und der
thermischen Ausdehnungskoeffizienten hat, können bei SnAgCu-Lotkontakten die
gleichen Rekristallisationserscheinungen wie bei SnPb-Lot auftreten.
Zur Aufklärung der vielschichtigen Prozesse, die in Zusammenhang mit Rekri-
stallisationserscheinungen in Lotkontakten stehen, wurden von Dreyer und Müller
[222, 223] Anstrengungen unternommen, Einzelprozesse, z. B. Vergröberungsre-
aktionen in den Gefügen durch Simulationsverfahren auf der Grundlage von Pha-
senfeld-Modellen sowie der LSW-Theorie (vgl. 3.5.1.2), nachzubilden, um so die
Voraussetzung für die Einbindung von sogenannten Strukturparametern in Verfor-
mungs- und Schädigungsmodelle zu ermöglichen. Wie in [223] eingeräumt wird,
fehlt für die praktische Anwendung dieser Modelle zur Beschreibung mikrostruk-
tureller Änderungen in bleifreien Lotwerkstoffen infolge thermisch-mechanischer
Beanspruchungen zz. eine ausreichende experimentelle Datenbasis.

Ausgangszustand 300 Zyklen 1800 Zyklen

2300 Zyklen 5100 Zyklen 16000 Zyklen

Abb. 3.50 Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen von Rekristallisation von SnPb-Flip-


Chip-Lotkontakten infolge der unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizienten der bleireichen und
zinnreichen Phase im Gefüge des eutektischen SnPb-Lotes. Der Flip-Chip-Probekörper wurde aus
zwei gegeneinandergelöteten Si-Chips gefertigt, wodurch die Kontakte keine globale Fehldeh-
nungsbeanspruchung erfuhren. In den Bildern sind in der Reihenfolge von links auch rechts und
von oben nach unten die Gefügezustände im Ausgangszustand und nach jeweils 300 Zyklen; 1800
Zyklen; 2300 Zyklen; 5100 Zyklen; 16000 Zyklen in einem Temperaturwechseltest -40°C/125°C
dargestellt [216].
4.1 Phänomenologie der elastischen Verformung 143

4 Elastische Verformung

4.1 Phänomenologie der elastischen Verformung

Um die charakteristischen makroskopisch beobachtbaren Erscheinungen bei der


elastischen Verformung deutlich zu machen, wird der in Abb. 1.5 dargestellte Zug-
versuch geringfügig abgeändert (siehe Abb. 4.1). Die Beanspruchung, d. h. die
Dehnungsänderung über der Zeit, wird dabei beginnend bei null (A) nur bis zu
einem Wert gesteigert, welcher unterhalb der Grenze εF liegt (B), danach wird die
Belastung wieder auf null abgesenkt (D).
Werden die in diesem Experiment ermittelten Spannungs- und Dehnungsver-
läufe in ein Spannungs-Dehnungs-Diagramm übereinander aufgetragen, so ergibt
sich in diesem Diagramm für den Belastungsteilabschnitt A-B-C eine im Ursprung
beginnende Gerade mit dem Anstieg E, welcher den Werkstoffwiderstand des
Materials unterhalb von σF bzw. εF charakterisiert und der - wie später noch
beschrieben wird - als Elastizitätsmodul bezeichnet wird. Der im Ursprung des
Spannungs-Dehnungs-Diagramms liegende Anfangspunkt der Geraden korrespon-
diert mit den Lastpunkten A und C, der Endpunkt korrespondiert mit dem Last-
punkt B. Daraus lässt sich ablesen, dass die Verformung unterhalb von σF , εF bei
Belastungssteigerungen und -absenkungen auf der gleichen Linie verläuft, d. h.
reversibel ist. Dieses reversible Verhalten zu Beginn der Verformung wird als
linear-elastisches Verhalten bezeichnet.

s s

C C
sF sF

B B

A D E E
t A, D eF e
1. Belastungsprofil
A-B-D elastische Verformung
2. Belastungsprofil
A-C-E elastisch-plastische Verformung

Abb. 4.1 Zugversuch mit verschiedenen Belastungsregimen


144 4 Elastische Verformung

4.2 Physikalischer Hintergrund der elastischen Verformung

4.2.1 Verzerrung des Kristallgitters

Die Beschreibung der physikalischen Grundmechanismen der elastischen Ver-


formung ist durch die zum Teil komplexe Argumentation [143, 158, 164], welche
aus der Vielzahl von verschiedenen Gittertypen resultiert, nicht einfach. Außer für
spezielle Fälle, wie z. B. dem des NaCl-Gitters, für das Rosental [224] eine
Beschreibung der elastischen Verformung auf der Basis zwischenatomarer Kräfte
vornimmt, welche für NaCl zu über 98% aus Coulomb-Wechselwirkungen besteht,
ist es aufgrund der unterschiedlichen Natur der zwischenatomaren Wechselwirkun-
gen sowie der z. T. komplizierten Gitterstrukturen schwierig, eine allgemeine
Theorie über die elastische Verformung auf konkreten zwischenatomaren Wech-
selwirkungen aufzubauen. Daher stützen sich die meisten Autoren [32, 225] auf die
Atomabstands-Potenzialkurve als Grundlage für eine allgemeine Theorie des elas-
tischen Verhaltens. Diese beschreibt die potenzielle Energie eines Atoms in
Abhängigkeit vom Abstand zum Nachbaratom. In Abb. 4.2 ist die Atomabstands-
Potenzialkurve schematisch dargestellt, deren exakte Berechnung für Metalle
höherer Ordnung bzw. für Legierungen jedoch nicht möglich ist [32]. Die asymme-
trische Form bezüglich der Ruhelage r 0 ergibt sich unabhängig vom Bindungstyp
aus der Überlagerung eines mit dem Atomabstand r langsam ansteigenden attrak-
tiven Energieterms gegenüber einem im Vergleich dazu schneller abfallenden
repulsiven Energieterm. Der Verlauf der Atomabstands-Potenzialkurve kann allge-
mein durch einen Polynomansatz beschrieben werden:

2 3
U ( r ) = U0 + A1 ( r – r0 ) + A2 ( r – r0 ) + A3 ( r – r0 ) + … , (4.1)

wobei U 0 die potenzielle Energie in der Ruhelage ist und A 1 …A n Vorfaktoren


der einzelnen Polynomglieder sind. Aus der ersten Ableitung des Potenzials U ( r )
ergibt sich die innere Wechselwirkungskraft F i ( r ) zwischen den Atomen:

Fi ( r ) = – d U(r)
-------------- (4.2)
dr

2
Fi ( r ) = –( A1 + 2 ⋅ A2 ( r – r0 ) + 3 ⋅ A3 ( r – r0 ) + … ) (4.3)

Ausgehend davon, dass die Ruhelage dadurch gekennzeichnet ist, dass die
Wechselwirkungskraft zwischen den Atomen F i ( r 0 ) = 0 ist, ergibt sich, dass für
die Beschreibung der Potenzialkurve kein lineares Glied notwendig ist: A 1 = 0 .
Vernachlässigt man bei den für die elastische Verformung üblichen kleinen Deh-
nungen, d. h. kleinen Atomverschiebungen, alle Polynomglieder höherer Ordnung,
so lässt sich das Potenzial in der Nähe der Ruhelage sehr einfach über:
4.2 Physikalischer Hintergrund der elastischen Verformung 145

2
U ( r ) = U0 + A2 ( r – r0 ) (4.4)

beschreiben, und es folgt für die Wechselwirkungskräfte zwischen den Atomen

Fi ( r ) = –2 ⋅ A2 ( r – r0 ) (4.5)

Wird eine äußere Kraft F a auf einen Körper aufgebracht, so wirkt die bei der
dadurch hervorgerufenen Verschiebung der Atome aus ihrer Ruhelage erzeugte
innere Kraft F i dieser entgegen, sodass bei Gleichheit dieser Kräfte die Atome in
dieser Lage gehalten werden. Unter Hinzuziehung der Definitionen für die mecha-
nische Spannung und Dehnung

Fa
σ = -----
- (4.6)
A

U Abstoßung
Anziehung
Überlagerung

0
r

Fi

0
r

Fmin

0
0 r0 rD r

Abb. 4.2 Schematische Darstellung der Wechselwirkung zwischen zwei Atomen (Potenzial U,
innere Wechselwirkungskraft Fi=-dU/dr, Steifigkeit C=d2U/dr; Ruhelage: r0, Destabilisierung der
Bindung: rD) [225]
146 4 Elastische Verformung

r–r
ε el = ------------0- (4.7)
r0

erhält man in Analogie zu Gleichung (4.5) den Zusammenhang für die linear-
elastische Verformung:

σ = E 0 ⋅ ε el , (4.8)

wobei E 0 der Elastizitätsmodul ist, welcher die elastische Verformung als


werkstoffabhängiger Parameter beschreibt. Eine theoretische Berechnung von E 0
aus A 2 erscheint nicht zweckmäßig, da selbst bei Bekanntsein der genauen Atom-
abstands-Potenzialkurve aufgrund des mehrschichtigen Aufbaus eines Festköpers
mit Gitterdefekten, Fremdatomen sowie durch die in Körnern verschiedener Orien-
tierung (vgl. 3.2) geometrisch sehr unterschiedlich angeordneten Atome sich nie
der reale E-Modul des Werkstoffes ergeben würde.

4.2.2 Nichtlinearität der elastischen Verformungsreaktion

Bei der Beschreibung der werkstoffphysikalischen Grundmechanismen der


elastischen Verformung wurde bei der Berechnung der inneratomaren Kräfte (Glei-
chung (4.5)) - unter der Annahme kleinster Verformungen - ein Abbruch des das
Potenzial beschreibenden Polynoms nach dem quadratischen Glied vorgenommen.
Geht man von dieser Einschränkung weg und nimmt eine Beschreibung des elasti-
schen Verhaltens bei größeren Verformungen vor, so ergibt sich in Analogie zu
Gleichung (4.3) ein Ansatz höherer Ordnung, wobei - wie aus experimentellen
Daten [226] hervorgeht - zumindest ein quadratischer Ansatz zur Beschreibung des
elastischen Verhaltens bei größeren Deformationen notwendig ist

2
σ = E 0 ⋅ ε el + E 1 ⋅ ε el , (4.9)

welcher zu den in Abb. 4.3 dargestellten - experimentell nachweisbaren - nicht-


linearen elastischen Reaktionen einkristalliner Stoffe führt.
Weiterhin wurde für die Betrachtung des Zusammenhangs zwischen einer
makroskopisch aufgebrachten Kraft und der mikroskopischen Gitterverformung
von einem idealen Gitter ausgegangen. In der Realität weisen reale Gitter aufgrund
der in 3.2.3.1 benannten thermodynamischen Gründe verschiedene Defekte auf
(Versetzungen, Leerstellen), welche zu Abweichungen gegenüber der Verfor-
mungsreaktion eines Idealgitters führen und so zu einer gegenüber der in 4.2.2
idealisiert betrachteten linearen elastischen Reaktion nichtlinearen elastischen
Reaktion des Realgitters beitragen.
4.3 Beschreibung der elastischen Verformung 147

s
7 -2
10 Nm
Fe [111]
1000

900

800
zunehmende Dehnung
700
abnehmende Dehnung
600

500

400 Fe [100]
300

200
Cu [100]
100

0,01 0,02 0,03 0,04


e

Abb. 4.3 Spannungs-Dehnungs-Kurven im elastischen Bereich, adaptiert aus den in [227] veröf-
fentlichten Untersuchungen an Fe und Cu

4.3 Beschreibung der elastischen Verformung

4.3.1 Elastizitätsmodul

Der Elastizitätsmodul ist der grundsätzlichste aller werkstoffabhängigen Para-


meter, die das mechanische Verhalten einer Struktur beschreiben. Im Gegensatz zu
allen anderen materialabhängigen Parametern ist er für jede auch noch so verein-
fachte Beschreibung des mechanischen Verhaltens unentbehrlich und besitzt
gleichzeitig in vielen Problemfällen eine sehr hohe Bedeutung für die exakte
Berechnung mechanischer Spannungen und Dehnungen in elektronischen Verbun-
den. Aus diesem Grund ist für die Berechnung derartiger Probleme eine tiefer
gehende Betrachtung des Parameters Elastizitätsmodul notwendig. Obwohl der
Elastizitätsmodul zunächst ein sehr einfacher Parameter zu sein scheint, ist für
seine zweckmäßige Festlegung oft eine profunde Betrachtung des zu berechnenden
Problems als auch der vorliegenden experimentellen Werkstoffdaten notwendig.
Dies ist zum einen auf die Schwierigkeiten bei der experimentellen Bestimmung -
hierfür existieren verschiedene Verfahren, welche in der Regel auch unterschiedli-
che Ergebnisse liefern - und zum anderen auf seinen Einfluss auf das errechnete
Ergebnis zurückzuführen, da, wie z. B. bei kritischen Lotkontakten, sich die prakti-
schen erreichten elastischen und plastischen Dehnungen etwa die Waage halten,
148 4 Elastische Verformung

d. h., dass in Abhängigkeit von der Größe des E-Moduls sich der Anteil der plasti-
schen Dehnung sehr deutlich verändert.
Für die Schwierigkeiten bei der exakten Bestimmung des E-Moduls existieren
werkstoffphysikalische (vgl. 4.2.2) als auch messtechnische Gründe.
Letztere liegen vor allem darin begründet, dass eine rein elastische Verformung
nur bei einer Temperatur von T = 0 K möglich wäre. Bei von 0 K verschiedenen
Temperaturen - besonders bei Werten von T > 0, 3 ⋅ T s - kommt es im Werkstoff zu
Mechanismen der Festkörperdiffusion, welche wiederum zu Versetzungsbewegun-
gen (vgl. 5.2.1) führen, die in Kombination mit Versetzungsgleiten von der Gitter-
verformung unabhängige Beiträge zur makroskopischen Verformung leisten. Da
der Elastizitätsmodul temperaturabhängig ist (vgl. 4.3.6), macht sich grundsätzlich
eine Bestimmung bei Einsatztemperatur erforderlich.
Die messtechnischen Schwierigkeiten bei der exakten Bestimmung des E-
Moduls hängen bei den nicht auf die Bestimmung des E-Moduls spezialisierten
Versuchen, z. B. Zugversuch, Biegeversuch, Scherversuch, mit technischen
Beschränkungen bei der Probeneinspannung, der Versuchsgeschwindigkeit und
der Auflösung der Längen- oder Verschiebungsmessung zusammen. Da die Mes-
sung des elastischen Verhaltens entweder aus Stillstand oder nach einem Last-
wechsel erfolgt, kann es durch Einspanneffekte, d. h., das effektive Greifen der
Probe erfolgt erst nach einem bestimmten Lastauftrag, oder durch Probenausrich-
ten, z. B. bei folienartigen Proben, zur Messung von Verformungen kommen, wel-
che nicht durch eine Werkstoffreaktion hervorgerufen werden. Beide Effekte füh-
ren zu einer Krümmung im Nullpunkt, sodass der E-Modul erst ab einer
bestimmten Spannung ausgewertet werden kann. Die Notwendigkeit, das elasti-
sche Verhalten aus einem Nullpunkt bzw. abrupten Lastwechsel zu bestimmen,
wirft auch für die Einhaltung einer definierten Verformungsgeschwindigkeit erheb-
liche Probleme auf. Besonders bei hohen Versuchsgeschwindigkeiten, wie sie zur
Unterdrückung zeitabhängiger plastischer Verformungsanteile zu bevorzugen sind,
ist es schwierig, eine genau definierte als auch konstante Verformungsgeschwin-
digkeit, z. B. aus dem Ruhezustand, zu erreichen, sodass gut definierte Versuchs-
bedingungen erst nach einer bestimmten Anfangsdehnung erreicht werden. Daraus
folgt für die Bestimmung des E-Moduls, dass dieser in der Regel erst ab einem
geringen Verformungszustand der Probe bestimmbar ist (Abb. 4.4). Hinzu kommt,
dass das elastische Verhalten in der Regel auf einen sehr kleinen Verformungsbe-
reich beschränkt ist, sodass die Genauigkeit von Dehnungs- oder Längenmesssys-
temen nicht ausreicht, um beispielsweise leichte Krümmungen im Bereich des
elastischen Verhaltens darzustellen.
Aus den genannten Gründen werden für die E-Modul-Bestimmung speziali-
sierte Verfahren, wie die Ultraschallausbreitung, verwendet, um eine genaue
Bestimmung des Elastizitätsmoduls vornehmen zu können. Wird ein homogener,
isotroper Festkörper angenommen, so besitzt die Wellengleichung zwei Lösungen
- eine für die longitudinale Welle und eine für die transversale Welle, die den rota-
tionsfreien bzw. divergenzfreien Teil des Verschiebungsfeldes u darstellen:
4.3 Beschreibung der elastischen Verformung 149

s s
Krümmung:
D(Ds/De) Obere Grenze:
De 0,5 Rm
Ds
Limit +
0
Limit -

Untere Grenze:
0,05 Rm

e e
a) b)
Abb. 4.4 Messtechnische Probleme bei Bestimmung des E-Moduls: a) Bestimmung der Grenzen
des elastischen Teils aus der Krümmung des Spannungs-Dehnungs-Astes, b) starre Festlegung der
unteren und oberen Grenze des elastischen Bereiches als Funktion der Festigkeit (Rm) [228]

2
d u E(1 – ν) E
-------- = ----------------------------------------- grad div u – ------------------------ rot rot u , (4.10)
dt
2 ρ ( 1 + ν ) ( 1 – 2ν ) 2ρ ( 1 + ν )

wobei ρ der Dichte des Festkörpers entspricht, dessen Volumenelemente bei


longitudinalen Wellen in Ausbreitungsrichtung und bei transversalen Wellen senk-
recht zu dieser schwingen. Die Ausbreitungsgeschwindigkeiten für diese beiden
Wellenmoden c L, c T sind abhängig von den elastischen Eigenschaften des homo-
genen, isotropen Festkörpers, welche sich durch die Parameter Elastizitätsmodul
E und Querkontraktionszahl ν (vgl. 4.3.2) charakterisieren lassen:

E(1 – ν )
cL = ----------------------------------------- (4.11)
ρ ( 1 + ν ) ( 1 – 2ν )

E -
cT = ----------------------- (4.12)
2ρ ( 1 + ν )

Über das Verhältnis der Ausbreitungsgeschwindigkeit der longitudinalen Wel-


len c L zu der der transversalen Wellen c T lassen sich die elastischen Konstanten
eines Materials sehr genau bestimmen [229]. Zur experimentellen Bestimmung
der elastischen Eigenschaften unter Nutzung von Ultraschallausbreitung lassen
sich verschiedene Methoden, wie das Interferenzverfahren oder das Puls-Echo-
Verfahren, einsetzen. Beim Interferenzverfahren wird die Frequenz gemessen, bei
der sich zwei verschiedene Ultraschallimpulse gegenseitig auslöschen oder verstär-
ken, wodurch sich die Werkstoffeigenschaften sehr genau bestimmen lassen.
Apparatetechnisch weniger aufwendig ist jedoch das Puls-Echo-Verfahren, bei
dem die Laufzeit eines hochfrequenten Pulses durch die Probe gemessen wird. Die
Ausbreitungsgeschwindigkeit c ergibt sich aus der Probenlänge l und der Lauf-
zeit Δt :
150 4 Elastische Verformung

2l (4.13)
c = -----
Δt

In Einkristallen ist die longitudinale bzw. transversale Schallgeschwindigkeit


richtungsabhängig (vgl. 4.3.5). So ergibt sich für einen [110]-orientierten Einkris-
tall (kubisches System) folgender Zusammenhang zwischen den elastischen Kon-
stanten und den longitudinalen und transversalen Ausbreitungsgeschwindigkeiten

2 1
ρ ⋅ c L = --- ⋅ ( C 11 + C 12 + 2C 44 ) = C L (4.14)
2

2 1
ρ ⋅ c T = --- ⋅ ( C 11 – C 12 ) = C T (4.15)
1 2

2
ρ ⋅ c T = C 44 = C T , (4.16)
2

wobei sich die Indizes T 1 und T 2 auf die Polarisationsrichtung [ 110 ] und
[ 001 ] der transversalen Schallwellen beziehen [230-232]. Wenn, wie im Fall von
polykristallinen Festkörpern, die Richtungsabhängigkeit der elastischen Konstan-
ten nicht gegeben ist, so ergibt sich der Zusammenhang zwischen der Ausbrei-
tungsgeschwindigkeit und den das elastische Verhalten eines Festkörpers beschrei-
benden Parametern Elastizitätsmodul E , Schubmodul G (vgl. 4.3.3) und
Bulkmodul K (vgl. 4.3.4) aus

2 4 4G – E
ρ ⋅ c L = K + --- ⋅ G = G ⋅ ----------------- (4.17)
3 3G – E

2
ρ ⋅ cT = G (4.18)

Bei der Bestimmung der Temperaturabhängigkeit des E-Moduls (vgl. 4.3.6)


ergibt sich für die Anwendung der Puls-Echo-Methode die Schwierigkeit, ein
geeignetes Koppelmedium zu finden, welches das üblicherweise verwendete,
jedoch in seinem Temperaturbereich sehr begrenzte Wasser ersetzt [230].
Vergleicht man die verschiedenen in Abb. 4.5 dargestellten Ergebnisse aus
experimentellen Untersuchungen zum E-Modul von Weichloten [235-239], so fällt
eine große Streuung zwischen den einzelnen Untersuchungen auf, welche wahr-
scheinlich auf die oben genannten Schwierigkeiten bei der experimentellen
Bestimmung zurückzuführen sind. Dies wirft die Frage auf, ob man für die Nach-
bildung des elastischen Verhaltens überhaupt auf Experimentaldaten zurückgreifen
sollte, die aus nicht spezialisierten Versuchen, wie dem Zugversuch, gewonnen
wurden, oder ob man nur Daten aus spezialisierten Versuchen, wie der Utraschall-
4.3 Beschreibung der elastischen Verformung 151

Abb. 4.5 Temperaturabhängigkeit des E-Moduls von SnPb37, SnAg3.5 und SnAg3,8Cu0,7 aus
[240]. Die Werte entstammen verschiedenen Messungen, die unter (1) = [237], (2, 4) = [236], (3)
= [235], (5) = [239]; 6 = [238], (7) = [237] aufgenommen wurden.

ausbreitung, vertrauen sollte. Die Beantwortung dieses Problems hängt mit der ter-
minologischen Frage nach der Bedeutung des Begriffes elastisches Verhalten bzw.
E-Modul zusammen. Aus einem streng physikalischen Blickwinkel, welcher die
elastische Verformung mit Gitterverzerrungen assoziiert, sollten für den E-Modul
nur Werte aus den spezialisierten Versuchen verwendet werden. Aus einem inge-
nieurtechnischen Blickwinkel spielt jedoch der Zusammenhang mit mikrophysika-
lischen Mechanismen eine untergeordnete Rolle, hier liegt das Augenmerk auf dem
makroskopisch beobachteten Phänomen der Verformung einer bestimmten Struk-
tur. Aus diesem Grund sind für ingenieurtechnische Betrachtungen in der Regel die
Werkstoffparameter aus den nicht spezialisierten Versuchen, wie dem Zugversuch,
maßgebend, da die elastische Verformung in der Regel als die Verformung unter-
halb eines Fließpunktes angesehen wird, auch wenn die dabei makroskopisch
beobachtete Verformung nicht ausschließlich auf Gitterverzerrungen zurückzufüh-
ren ist.

4.3.2 Die Querkontraktionszahl

Wenn, wie in 4.2 beschrieben, Atome durch Wirken einer äußeren Spannung
aus ihrer Ruhelage im Gitter gebracht werden, hat dies auch eine Änderung des
zwischenatomaren Potenzialfeldes zur Folge. Durch diese Feldveränderung kommt
es neben dem Auseinanderziehen der Atome in Spannungsrichtung gleichzeitig zu
einem Zusammenziehen der Atome in den normal zur Spannungsrichtung verlau-
fenden Kristallrichtungen (Abb. 4.6). Dieser Effekt wird durch die Querkontrakti-
onszahl (Poisson-Zahl) ν beschrieben, welche den Zusammenhang zwischen der
152 4 Elastische Verformung

y y y

B B B
B`

A C
F A` A C C`
F F A` C`
F
x x x

D`
D D D

Abb. 4.6 Querkontraktion des Gitters bei elastischer Verzerrung

Dehnung in Richtung der Beanspruchung und der Kontraktion quer zur Beanspru-
chungsrichtung ausdrückt:

d0 – d l0
ν = – §© -------------- ⋅ -----·¹ (4.19)
l0 – l d0

Der Wert der Poisson-Zahl hängt stark von der Kristallstruktur und den dort
wirkenden zwischenatomaren Kräften ab. Für die meisten polykristallinen Metalle
entspricht ν ≈ 0,3 .

4.3.3 Der Schubmodul

Während der Elastizitätsmodul das elastische Verformungsverhalten unter Wir-


kung einer Zugspannung beschreibt, lässt sich dieses für den Fall der Wirkung
einer reinen Schubspannung über den Schubmodul G bescheiben.

τ = G ⋅ γ el (4.20)

Der Schubmodul wird in der Regel aus dem Torsionsversuch bestimmt. Für
seine exakte Bestimmung treten in etwa die gleichen Probleme auf wie für die
Bestimmung des E-Moduls. E-Modul und Schubmodul hängen über die Querkon-
traktion miteinander zusammen:

E
G = ------------------ (4.21)
2 ( 1+ν )

4.3.4 Der Bulkmodul

Um die elastische Verformung für den Fall des hydrostatischen Druckes (bzw.
Zuges) zu beschreiben, wird der Bulkmodul K verwendet. Dieser Beanspruchungs-
4.3 Beschreibung der elastischen Verformung 153

fall liegt dann vor, wenn alle drei Hauptspannungen gleich sind
( σ 1 = σ 2 = σ 3 = p ) und dadurch eine Kontraktion (bzw. Expansion) des Materi-
als in alle 3 Raumrichtungen erfolgt. Dann wird das elastische Materialverhalten
über

p = K ⋅ εv (4.22)

ausgedrückt, wobei p dem hydrostatischen Druck und ε v der volumetrischen


Dehnung entspricht, welche sich aus der Differenz des Ausgangsvolumens v 0 des
unbeanspruchten Raumquaders mit den Kantenlängen a, b, c

v = a0 ⋅ b0 ⋅ c0 (4.23)

und des Endvolumens v des beanspruchten Raumquaders mit den Kantenlägen


a, b, c

v = ( a0 + Δ a ) ⋅ ( b0 + Δ b ) ⋅ ( c0 + Δ c ) = a ⋅ b ⋅ c , (4.24)

Δa Δb Δc
ergibt. Aufgrund der geringen Dehnungen ------, ------, ------ können die Glieder
a0 b0 c0
höherer Ordnung vernachlässigt werden, sodass sich ε v aus

v–v a–a b–b c–c


ε v = -------------0 = Δ
-----a- + Δ
-----b- + Δ
-----c- = -------------0- + -------------0- + -------------0 (4.25)
v a0 b0 c0 a0 b0 c0

εv = εx + εy + εz (4.26)

ergibt. Bulkmodul und E-Modul hängen über die Querkontraktion miteinander


zusammen:

E
K = ------------------------ (4.27)
3 ( 1 + 2ν )

4.3.5 Richtungsabhängigkeit der elastischen Konstanten

Da in einem Metallgitter (vgl. 3.2.2.2) die Abstände zwischen den Atomen in


unterschiedlichen Raumrichtungen variieren, existieren für Einkristalle unter-
schiedliche E-Moduli in den verschiedenen Raumrichtungen. Dicht gepackte Rich-
tungen (z. B. ¢ 111 ² Ebenen) weisen dabei höhere Steifigkeiten auf als weniger
154 4 Elastische Verformung

dicht gepackte Richtungen (z. B. ¢ 100 ² Ebenen). In Tabelle 4.1 sind die richtungs-
abhängigen E-Moduli verschiedener kubisch-flächenzentrierter Metalle aufgeführt.

Tabelle 4.1 Elastische Moduln bei Raumtemperatur für verschiedene Raumrichtungen, E ist der
Elastizitätsmodul eines polykristallinen Materials [241, 242]

Metall E ¢ 100 ² E ¢ 111 ²


E
[GPa] [GPa] [GPa]

Al 70 64 76

Au 78 43 117

Cu 121 67 192

Ni 207 137 305

Um in einem elastisch verformten Festkörper den Zusammenhang zwischen


dem Spannungstensor σ ij mit den Normalanteilen σ xx, σ yy, σ zz und den Tangenti-
alanteilen τ xy = τ yx, τ xz = τ zx, τ yz = τ zy

σ xx τ xy τ xz
σ ij = τ yx σ yy τ yz (4.28)
τ zx τ zy σ zz

und dem Dehnungstensor ε ij mit den Normalanteilen ε xx, ε yy, ε zz und den Tan-
gentialanteilen γ xy = γ yx, γ xz = γ zx, γ yz = γ zy

ε xx γ xy γ xz
ε ij = γ yx ε yy γ yz (4.29)
γ zx γ zy ε zz

auszudrücken, wird ein generalisiertes Hooke’sches Gesetz für anisotrope


Werkstoffe verwendet

σ ij = c illm ⋅ ε lm (4.30)

Da σ ij und ε ij symmetrische Tensoren sind, reduziert sich die Zahl der elasti-
schen Konstanten von 81 auf 36, mit denen der Zusammenhang zwischen Span-
nungs- und Dehnungstensor über 6 lineare Gleichungen ausgedrückt werden kann:
4.3 Beschreibung der elastischen Verformung 155

σ xx = C 11 ε xx + C 12 ε yy + C 13 ε zz + C 14 γ yz + C 15 γ xz + C 16 γ xy (4.31)

σ yy = C 21 ε xx + C 22 ε yy + C 23 ε zz + C 24 γ yz + C 25 γ xz + C 26 γ xy (4.32)

σ zz = C 31 ε xx + C 32 ε yy + C 33 ε zz + C 34 γ yz + C 35 γ xz + C 36 γ xy (4.33)

τ yz = C 41 ε xx + C 42 ε yy + C 43 ε zz + C 44 γ yz + C 45 γ xz + C 46 γ xy (4.34)

τ xz = C 51 ε xx + C 52 ε yy + C 53 ε zz + C 54 γ yz + C 55 γ xz + C 56 γ xy (4.35)

τ xy = C 61 ε xx + C 62 ε yy + C 63 ε zz + C 64 γ yz + C 65 γ xz + C 66 γ xy (4.36)

bzw. in der abgekürzten Form

σ i = C ij ⋅ ε j (4.37)

Da C ij eine symmetrische Matrix ist, werden die elastischen Konstanten eines


beliebigen anisotropen Mediums durch 21 unabhängige elastische Moduli
beschrieben [233]. Weist das Kristallgitter weitere Symmetrien auf, so reduziert
sich die Zahl der elastischen Konstanten mit steigender Symmetrie. Ein Überblick
über die Anzahl der elastischen Konstanten in Abhängigkeit vom Gittertyp wird in
Tabelle 4.2 gegeben [234].

Tabelle 4.2 Anzahl der elastischen Konstanten in Abhängigkeit von der Symmetrie der Elemen-
tarzelle [234]

Kristallstruktur Raumgruppe Zahl der elastischen Konstanten

triklinisch 1 21

monoklinisch 2/m 13

rhombisch mmm 9

rhombohedral 6/m 6

tetragonal 4 7

tetragonal 4/m 6

hexagonal 6/mmm 5

kubisch m3m 3

sphärisch (isotrop) 2
156 4 Elastische Verformung

4.3.6 Temperaturabhängigkeit der elastischen Konstanten

Da eine vom absoluten Nullpunkt verschiedene Temperatur eine Erhöhung der


Energie der Atome um den temperaturabhängigen Betrag U th bewirkt, schwingen
diese um den Ruhepunkt ihrer Gleichgewichtslage im Kristall. Wie aus der sche-
matischen Darstellung der Atomabstand-Potenzialkurve in Abb. 4.2 hervorgeht,
besitzt die abstoßende Wechselwirkung einen höheren Gradienten als die anzie-
hende Wechselwirkung. Dadurch kommt es zu einer asymmetrischen Amplitude
gegenüber dem Ruhepunkt bei 0K , wodurch sich der Mittelpunkt der Schwingung
zu größeren Abständen hin verschiebt (Abb. 4.7). Makroskopisch lässt sich dieses
Phänomen als thermische Ausdehnung von Werkstoffen beobachten. Die thermi-
sche Ausdehnung eines Materials entspricht mikroskopisch der Vergrößerung der
Atomabstände, d. h. einer Verschiebung der Ruhelage r 0 zu größeren Werten, bei
denen der Anstieg der Wechselwirkungskraftkurve F i ( r ) (vgl. Gleichung (4.2),
(4.3); Abb. 4.2) geringer ist, wodurch sich bei Temperaturerhöhung ein niedrigerer
E-Modul ergibt (vgl. Gleichung (4.5) - (4.8)). Bei niedrigen Temperaturen
( T < 0,5 ⋅ T s ) ergibt sich für Metalle eine nahezu lineare Abhängigkeit des E-
Moduls von der Temperatur.

T
E ( T ) = E ( 0K ) ⋅ § 1 - 0,5 ⋅ -----· (4.38)
© T s¹

Bei höheren Temperaturen ergibt sich jedoch oft eine nichtlineare Abhängigkeit
des E-Moduls von der Temperatur. In der Regel reicht jedoch ein quadratischer
Ansatz aus, um die Temperaturabhängigkeit des E-Moduls auch für höhere Tempe-
raturen ( T < 0,8 ⋅ T s ) zu beschreiben. Die Temperaturabhängigkeit des E-Moduls
für verschiedene Lotwerkstoffe ist in Abb. 4.5 dargestellt.

mittlerer Aufenthaltsort

0
r
T2 > 0 K

U th 0K

r 0 (0K) r 0 (T2 )

Abb. 4.7 Schematische Darstellung der Temperaturabhängigkeit der Atomabstand-Potenzial-


kurve, adaptiert aus [225]
5.1 Phänomenologie der plastischen Verformung 157

5 Plastische Verformung

5.1 Phänomenologie der plastischen Verformung

5.1.1 Erscheinungsformen

Die plastische Verformung eines polykristallinen Metalls wird üblicherweise


mit dem in Abb. 1.5 dargestellten Verformungsverhalten assoziiert, bei dem das
Material nach dem Erreichen einer Fließspannung sich plastisch zu verformen
beginnt und der Deformation nur noch einen geringen Widerstand entgegensetzt,
während es sich unterhalb dieser Fließgrenze elastisch verformt und der Deforma-
tion einen hohen Widerstand entgegenbringt. Ein solches Verhalten existiert aller-
dings nur bei T = 0K .
Oberhalb 0K ergibt sich ein wesentlich differenzierteres Bild. Die Art und
Weise, wie sich ein Werkstoff plastisch verformt, kann dann nicht mehr einem
bestimmten Beanspruchungsparameter zugeordnet werden, sondern hängt von
einem komplexen Zusammenhang zwischen verschiedenen Parametern ab, unter
denen die Spannung, die Verformungsgeschwindigkeit, die Temperatur sowie die
Werkstoffstruktur die wichtigsten sind. Der Werkstoffwiderstand, den ein sich
plastisch verformendes Material einer bestimmten Beanspruchung, z. B. einer
Spannung, entgegenbringt, kann bei einer explosionsartigen Verformung, welche
nur wenige Millisekunden bzw. Mikrosekunden dauert, sehr viel größer sein als bei
einer instantanen Verformung, welche im Sekundenbereich abläuft. Trägt eine
plastische Verformung hingegen einen allmählichen Charakter, sodass diese sich in
einem Zeitraum von mehreren Minuten bis zu einigen Jahren hinzieht, so ist der
durch den Werkstoff aufgebaute Widerstand gegen die Verformung in der Regel
sehr viel geringer als bei einer instantanen Verformung.
In typischen Strukturen von elektronischen Produkten, wie z. B. dem Lotkon-
takt eines flächenkontaktierten Halbleiterbauelementes in einem Mobiltelefon, tre-
ten sehr oft alle Möglichkeiten der plastischen Verformung auf (vgl. 2.4.5),
wodurch eine sehr grundlegende Darstellung der vielfältigen Erscheinungsformen
plastischer Verformung notwendig wird, welche sich im Gegensatz zur phänome-
nologischen Beschreibung der elastischen Verformung (vgl. 4.1) nicht über eine
einfache Darstellung der Werkstoffreaktion durch einen funktionalen Zusammen-
hang zwischen den Verformungsparametern Spannung und Dehnung erreichen
lässt.
Im Diagramm in Abb. 4.1 sind die Werkstoffreaktionen der elastischen und
plastischen Verformung einander gegenübergestellt. Hieraus lässt sich die Abgren-
zung der plastischen gegenüber der elastischen Verformung ersehen. Wird im
Gegensatz zur elastischen Verformung die Beanspruchung, d. h. die Dehnungsän-
derung über der Zeit, beginnend bei null (A) bis zu einem Wert gesteigert, welcher
158 5 Plastische Verformung

oberhalb der Grenze εF liegt (C), und danach wieder auf null abgesenkt (E), so
ergibt sich in diesem für den Belastungsteilabschnitt A-C eine im Ursprung begin-
nende Gerade mit dem Anstieg E0, welche beim Erreichen des Punktes σF bzw.
εF ihren Anstieg (= Werkstoffwiderstand) verringert. Für den Belastungsteilab-
schnitt C-E ergibt sich eine in Punkt C beginnende Gerade mit dem Anstieg E0, die
rechts vom Ursprung (in Punkt E) die Abszisse schneidet. Plastische Verformung
verläuft bei Belastungssteigerungen und -absenkungen nicht auf der gleichen
Linie, d. h., sie ist irreversibel. Der Abstand zwischen Ausgangspunkt A und End-
punkt E entspricht dem Betrag der plastischen Gesamtverformung des Werk-
stoffes. An Punkten, die nicht auf der Abszisse liegen, setzt sich die Gesamtverfor-
mung des Werkstoffes sowohl aus Anteilen plastischer als auch elastischer
Verformung zusammen, wodurch es nicht möglich ist, den Betrag der reinen plasti-
schen Verformung in einem beliebigen Spannungszustand direkt zu bestimmen.
Der Verlauf der plastischen Verformung kann jedoch auch abweichend von dem in
Abb. 4.1 dargestellten Regelfall erfolgen, weshalb das Bemühen bestand, andere
Formen der Darstellung zu finden, welche geeignet sind, die Gesamtphänomenolo-
gie der plastischen Verformung adäquat wiederzugeben.

5.1.2 Verformungsmechanismenkarten

Um zu einer übersichtlichen Darstellung der verschiedenen Erscheinungsfor-


men plastischer Verformung zu gelangen, haben verschiedene Autoren [33, 243,
244] versucht, ein zusammenhängendes Bild der plastischen Verformung von kris-
tallinen Werkstoffen über sogenannte Verformungsmechanismenkarten (engl.
Deformation Mechanism Maps) zu geben. Die bekanntesten Arbeiten stammen
dabei von Frost und Ashby [33], welche für eine große Anzahl von Werkstoffen
Verformungsmechanismenkarten entwickelt haben. Die Idee der Karten besteht
darin, verschiedene der plastischen Verformung zugrunde liegende Einzelmecha-
nismen, z. B. Versetzungsgleiten, Versetzungsklettern, Korngrenzengleiten oder
Diffusionsprozesse, als einen kinetischen Vorgang zu betrachten, welcher durch
einen Zusammenhang zwischen Spannung, Verformungsgeschwindigkeit, Tempe-
ratur und Struktur gekennzeichnet ist.
In den Karten wird dargestellt, in welchem Spannungs-Temperatur-Verfor-
mungsgeschwindigkeitsregimen ein bestimmter Mechanismus für die phänomeno-
logisch erfassbare Verformung des Werkstoffes ausschlaggebend ist. Nach Ansicht
von Frost und Ashby sind vor allem Scherspannungs-Temperatur-Diagramme mit
überlagerten Äquidehnungsratelinien für den ingenieurtechnischen Gebrauch nütz-
lich. Es lassen sich jedoch auch andere Formen der Darstellung, z. B. Scherspan-
nungs-Scherrate-Diagramme verwenden (vgl. Abb. 5.1). Um Karten verschiedener
Materialien miteinander vergleichen zu können, sind die Achsen des Diagramms
auf die Werkstoffparameter Schmelztemperatur T s und Schermodul τ normiert
worden. In den Verformungsmechanismenkarten wird der ( T ⁄ T s ;τ ⁄ G ) -Parame-
terbereich in einzelne Sektionen unterteilt, in denen jeweils ein bestimmter Mecha-
5.1 Phänomenologie der plastischen Verformung 159

nismus vorherrschend ist. Die Sektionsgrenzen entsprechen ( T, τ ) -Parameterpaa-


ren, bei denen 2 oder mehr Mechanismen den gleichen Beitrag zur
Gesamtdehnungsrate leisten. Die in Abb. 5.1 dargestellte Verformungslandkarte
hat das typische Aussehen einer Karte für kubisch-flächenzentrierte Metalle (z. B.
Cu, Ni, Ag, Al, Pb). Die darin eingezeichneten vorherrschenden Mechanismen,
wie Versetzungsgleiten, Versetzungsklettern, Korngrenzengleitung durch KG-Dif-
fusion oder Korngrenzengleitung durch Volumendiffusion, beruhen auf den
Erkenntnissen zur plastischen Verformung von Metallen, welche bei Publikation
der ersten Verformungsmechanismenkarten Anfang der siebziger Jahre vorlagen.
Inzwischen existieren eine Reihe neuer Erkenntnisse [245-252], welche die von
Frost und Ashby [33] zusammengefassten Grundgedanken zur Kinetik der plasti-
schen Verformung in vielen Punkten erweitern. Dennoch soll sich die Erläuterung
der metallphysikalischen Hintergründe an der in [33] vorgenommenen Darstellung
orientieren, da sich diese durch ihre Transparenz und Klarheit sehr gut eignet, um
später die wichtigen Zusammenhänge in der messtechnischen Erfassung und
modellhaften Beschreibung der plastischen Verformung einordnen zu können. Um
sehr umfangreiche Abhandlungen zu vermeiden, wird auf den Versuch einer detail-
lierten Darstellung aller bisherigen Ansätze zu den Elementarmechanismen, wie er
beispielsweise in [252] vorgenommen wurde, verzichtet. Stattdessen soll ein Kurz-
abriss zur Versetzungskinetik in 5.2 erfolgen, welcher den Ausgangspunkt für alle
weiteren Betrachtungen zu den verschiedenen Erscheinungsformen der plastischen
Verformung (5.3 - 5.5) bildet.

-1
10

-2
10 A
Normierte Scherspannung t/G

-3
10 10-1s -1
B

-4
10 C

-5 D
10

10-10s -1 E
-6
10
0,2 0,4 0,6 0,8 1,0
Homologe Temperatur T/Ts

Abb. 5.1 Verformungsmechanismenkarte aus [33], A: Versetzungsgleiten, B:Versetzungs-


klettern, C: Korngrenzengleitung, D: Diffusionskontrollierte Verformung durch Korngrenzendif-
fusion, E: Diffusionskontrollierte Verformung durch Matrixdiffusion
160 5 Plastische Verformung

Wichtige ergänzende, auf neueren Experimenten beruhende Detailerkenntnisse


sollen in den Abschnitten 5.4.3.1 bis 5.4.3.7 direkt im Zusammenhang mit den spe-
ziellen Phänomenen bei der plastischen Verformung bestimmter metallischer
Werkstoffklassen besprochen werden. Hierbei sei darauf verwiesen, dass viele der
neueren Modelle zu den Elementarmechanismen nicht widerspruchsfrei sind und
sehr oft das experimentell ermittelte Werkstoffverhalten nicht wiederzugeben ver-
mögen [246, 253]. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache sowie im Bestreben
einer möglichst breiten Darstellung des plastischen Verformungsverhaltens kon-
kreter in der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik verwendeter Werk-
stoffe wird eine in ihrer Allgemeingültigkeit möglicherweise eingeschränkte Dar-
stellung der Versetzungskinetik gewählt, welche jedoch alle für das Verständnis
der beschriebenen Sachverhalte notwendigen Grundgedanken enthält.

5.2 Kinetik der plastischen Verformung

5.2.1 Versetzungsbewegung

Der Hauptmechanismus plastischer Verformung ist die Bewegung von Verset-


zungen durch den Kristall. Da es eine große Anzahl von Möglichkeiten gibt, in
denen Versetzungen plastische Deformationen in makroskopischen Strukturen her-
vorrufen können, ist die Beschreibung der Grundmechanismen plastischer Verfor-
mung sehr komplex. Metalle können sich beispielsweise in ihrem plastischen Ver-
formungsverhalten bereits deutlich unterscheiden, sobald sie unterschiedlichen
Kristallsystemen angehören. Neben dieser starken strukturellen Abhängigkeit plas-
tischer Verformung existiert die schon erwähnte Abhängigkeit von äußeren Para-
metern, wie Dehnungsgeschwindigkeit, Temperatur oder Art der Beanspruchung,
welche eine kurze, übersichtliche bzw. vollkommene Beschreibung der Mechanis-
men plastischer Verformung unmöglich macht. Aus diesem Grund soll hier eine
vereinfachte Beschreibung der Grundmechanismen erfolgen, welche die wesentli-
chen Phänomene darstellt, um so eine Beschreibung des grundsätzlichen theore-
tisch qualitativen Verständnisses plastischer Verformung mit dem Ziel einer sach-
gemäßen Einordnung bestimmter experimentell beobachteter Phänomene
anzustreben.
Um die der makroskopisch beobachteten plastischen Verformung zugrunde lie-
genden Elementarmechanismen zu verstehen, ist es zunächst notwendig, die Wir-
kung einer aufgebrachten Scherspannung auf die im realen Kristallgitter vorhande-
nen Versetzungen darzustellen. Wie in Abschnitt 3.2.3.3 dargestellt, existieren
zwei Arten von linienhaften Gitterstörungen in einem Kristall - Stufenversetzun-
gen und Schraubenversetzungen. Die Bewegung einer Stufenversetzung unter Wir-
kung einer Scherspannung ist schematisch in Abb. 5.2 dargestellt. Dazu ist der
Kristall so geschnitten worden, dass der Versetzungskern normal zur Bildebene
5.2 Kinetik der plastischen Verformung 161

t t t

A D A D

B C B C

t t t

t t

t t

Abb. 5.2 Bewegung einer Stufenversetzung unter Wirkung einer Scherspannung

steht und die Scherkräfte entlang der Ober- und Unterseite des Kristalls aufge-
bracht werden. Im spannungsfreien Zustand hat Atom A den gleichen Abstand zu
Atom B wie zu Atom C. Beim Aufbringen einer Scherspannung nähert sich Atom
A jedoch immer mehr Atom C und entfernt sich von Atom B. Im Ergebnis dieser
Bewegung findet einer Umordnung der Atome in der Nähe des Versetzungskerns
statt, sodass dieser sich nicht mehr zwischen den Atomen A, B, C befindet, son-
dern zwischen die Atome C, D, E bewegt wurde. Diese Bewegung des Verset-
zungskerns führt zunächst nicht zu einer äußerlich feststellbaren plastischen Ver-
formung des Materials. Erst wenn nach und nach weitere Umordnungen der Atome
in der Nähe des Versetzungskerns erfolgen, sodass dieser eine Materialoberfläche
erreicht, wird auch makroskopisch eine plastische Verformung sichtbar. Die Bewe-
gung von Versetzungen unter Wirkung einer Scherspannung wird als Versetzungs-
gleiten bezeichnet. Die Ebene, auf der sich der Versetzungskern bewegt, ist die
Gleitebene und die Richtung, in der die Gleitung erfolgt, entspricht der Gleitrich-
tung.
Die Bewegung einer Schraubenversetzung ist in Abb. 5.3 schematisch darge-
stellt. Der durch die Wendel einer Schraubenversetzung (vgl. 3.2.3.3) gestörte
Kristallbereich entspricht dem Mantel eines Zylinders, dessen Achse vertikal von
A nach B verläuft. Wird eine Scherkraft entlang der Ober- und Unterseite des Kris-
162 5 Plastische Verformung

A
B C

t t

D D

A
A'
B A
B
C C

t t

Abb. 5.3 Bewegung einer Schraubenversetzung unter Wirkung einer Scherspannung

talls aufgebracht, erfolgt das Abgleiten dieser Schraubenversetzung nach links. Im


Unterschied zur Stufenversetzung, welche in Richtung der wirkenden Scherspan-
nung abgleitet, bewegt sich die Schraubenversetzung entlang der Normalen der
aufgebrachten Scherspannung. Durch die fortlaufende Bewegung der Schrauben-
versetzung nach links kommt es zu einer Relativbewegung der unteren und oberen
Kristallhälfte, sodass makroskopisch eine plastische Verformung erfassbar ist,
wenn die Schraubenversetzung an die Werkstoffoberfläche gelangt.
In realen Kristallen liegt jedoch oftmals ein gemischter Versetzungstyp vor,
sodass die Segmente der Versetzungslinie sich sowohl aus Stufen- als auch aus
Schraubenversetzungen zusammensetzen. Die Abgleitung einer solchen gemisch-
ten Versetzung ist schematisch am Beispiel eines Versetzungsrings in Abb. 5.4
dargestellt. Dieser Versetzungsring vergrößert oder verkleinert unter einer wirken-
5.2 Kinetik der plastischen Verformung 163

b
b

b
b b

Abb. 5.4 Bewegung eines Versetzungsrings unter Wirkung einer Schubspannung, gleichmäßig
(links) und ungleichmäßig

den Schubspannung seinen Durchmesser, da sich die Stufenversetzungssegmente


in Richtung dieser Spannung bewegen (Abb. 5.4a), während die Schraubenverset-
zungssegmente quer zu ihr abgleiten. Für den Fall, dass einer der beiden Verset-
zungstypen über eine höhere Beweglichkeit im Kristall verfügt, verlängern sich vor
allem die Segmente dieses Typs unter Wirkung einer angelegten Schubspannung
(Abb. 5.4b).
Neben dieser grundlegenden vereinfachten Betrachtung des Abgleitens von Stu-
fen- und Schraubenversetzungen ergeben sich aus der Atomanordnung im Kristall-
gitter weitere Argumente für die Art und Weise, in der die Abgleitung im Kristall
stattfindet. Da die Abgleitung durch die Bewegung von Versetzungen entlang einer
Gleitebenen erfolgt, müssen die Versetzungslinie v und die Bewegungsrichtung r
der Versetzung in dieser Gleitebene liegen. Auch der Burgersvektor b , der die
Gleitrichtung angibt, muss in dieser Ebene liegen. Für die Lage der Gleitebene mit
dem Normalenvektor n ergibt sich unter Einhaltung der genannten Bedingungen

n⊥b und n⊥v und n⊥r , (5.1)

dass eine Stufenversetzung bzw. eine gemischte Versetzung diese fest vorge-
ben, da b und v nicht parallel sind. D. h., die Lage der Gleitebene ergibt sich für
die Stufenversetzung aus

b×v
n = -------------- (5.2)
b×v
164 5 Plastische Verformung

Nur für den Fall einer reinen Schraubenversetzung, bei der b und v parallel
sind, ergibt sich keine zwingende Festlegung für die Bewegungsrichtung der Ver-
setzung. Daher kann diese durch sogenanntes Quergleiten auch Hindernisse umge-
hen.

5.2.2 Versetzungskinetik

5.2.2.1 Verformungsrategleichungen

Um zu einer einheitlichen Darstellung der verschiedenen, die plastische Verfor-


mung bestimmenden Mechanismen zu gelangen, werden diese über die makrosko-
pischen Variablen Spannung (genauer Scherspannung) τ , Temperatur T und Ver-
·
formungsrate (genauer Scherrate) γ dargestellt, wobei letztere in Abhängigkeit
von den beiden ersten bestimmt wird:

·
γ = f ( τ, T ) (5.3)

Dieser Betrachtung liegt eine Vereinfachung bezüglich der Werkstoffstruktur


zugrunde, welche als konstant angesehen wird, was im Fall mittlerer und hoher
homologer Temperaturen nur für eine quasistatische Verformung (vgl. 5.4.3.1)
zutreffend ist.
Der Betrag einer makroskopisch erfassbaren Deformation in Form einer Sche-
rung hängt auf der einen Seite von der Anzahl der in einem Kristall bewegten Ver-
setzungen und auf der anderen Seite von dem von ihnen zurückgelegten Gleitweg
ab. Abb. 5.5 verdeutlicht dies anhand der Bewegung von Stufenversetzungen in
einem idealisierten Kristallquader. Definiert man die makroskopisch sichtbare
Scherung als

s
γ = --- , (5.4)
h

wobei h der Höhe des Kristallquaders entspricht und s die Verschiebung der
oberen parallel zur Scherkraft τ verlaufenden Deckfläche gegenüber der Grundflä-
che des Quaders ist. Geht man für diese Betrachtung davon aus, dass alle Verset-
zungen nach der plastischen Deformation die Oberfläche des Kristalls erreichen, so
ergibt sich ihre individuelle Gleitbewegung aus b ⋅ x i ⁄ L , wobei b dem Burger-
vektor entspricht, x i der Abstand der Versetzung von der linken Kristallfläche ist
und L der Länge des Kristalls in Gleitrichtung entspricht. Da sich die makroskopi-
sche Verschiebung der Deck- zur Grundfläche s aus der Summe der individuellen
Gleitbewegungen der Versetzungen ergibt, erhält man für die Scherung des Kris-
talls:
5.2 Kinetik der plastischen Verformung 165

b b
γ = ---------- ⋅ ¦ x i = ---------- ⋅ N ⋅ x tot , (5.5)
L⋅h L⋅h

wobei N der Gesamtmenge der Versetzungen entspricht und x tot die durch-
schnittliche Versetzungsbewegung auf den einzelnen Gleitebenen darstellt. Ersetzt
man den Term N ⁄ Lh durch die Versetzungsdichte ρ (eigentlich ρ = Nz ⁄ L hz ,
wobei z die Dicke des betrachteten Kristallquaders ist), so erhält man:

γ = ρ ⋅ b ⋅ x tot (5.6)

Aus Gleichung (5.6) geht hervor, dass die makroskopisch erfassbare plastische
Scherung mit den mikroskopischen Größen Versetzungsdichte ρ und durch-
schnittliche Gleitlänge bx tot einer Versetzung zusammenhängt [241]. Wird Glei-
chung (5.6) nach der Zeit abgeleitet, so ergibt sich eine Beziehung zwischen Scher-
·
dehnungsrate ( γ ) und der durchschnittlichen Versetzungsgeschwindigkeit
( v tot = dx tot ⁄ dt ) aller Versetzungen:

·
γ = ρ ⋅ b ⋅ v tot (5.7)

Aufgrund der Tatsache, dass im Gegensatz zu dem in Abb. 5.5 dargestellten


vereinfachten Beispiel in einem realen Kristall in der Regel nicht alle Versetzun-
gen frei beweglich sind, ist es zweckmäßig, sich anstelle des Produktes ρ ⋅ v tot ,
welches sich auf die Gesamtheit aller Versetzungen sowie ihrer Durchschnittsge-
schwindigkeit bezieht, sich alternativ über das Produkt ρ m ⋅ v nur auf die Verset-
zungsdichte aller beweglichen Versetzungen ρ m und deren durchschnittliche

D
L
Di

h
xi

t
Abb. 5.5 Beziehung zwichen einer makroskopisch beobachtbaren Scherung und der mikroskopi-
schen Versetzungsbewegung
166 5 Plastische Verformung

Geschwindigkeit v zu beziehen. Hierdurch gelangt man zur Orowan-Gleichung


[254], welche die Kinetik der Versetzungsbewegung beschreibt.

·
γ = ρm ⋅ b ⋅ v (5.8)

Die funktionale Abhängigkeit der Versetzungsdichte ρm von der Spannung wird


von Argon [255] mit

σ 2
ρ m = α ⋅ § -----------· (5.9)
© G ⋅ b¹

angegeben, wobei α eine Konstante ist. Die Durchschnittsgeschwindigkeit v


einer Versetzung ergibt sich aus der auf sie wirkenden Kraft pro Längeneinheit
F = b ⋅ τ und ihrer Mobilität M .

v = F⋅M (5.10)

Das Problem der Beschreibung der Versetzungskinetik wird damit auf die
Beschreibung bzw. Berechnung der Mobilität M einer Versetzung zurückgeführt.
Diese ist davon abhängig, wie schnell das Segment einer Versetzungslinie
bestimmte Hindernisse (z. B. das periodische Potenzial des Gitters, Versetzungs-
wälder, Ausscheidungen) überwinden kann. Damit hängt die Mobilität neben der
mechanischen Spannung und Temperatur vor allem von Form und Natur der Hin-
dernisse ab. Auf den ersten Blick behindert die Vielfalt von Hindernissen die Ent-
wicklung einheitlicher Verformungsrategleichungen. Bei genauerer Betrachtung
lassen sich Hindernisse jedoch in zwei große Gruppen einteilen, solche, die indivi-
duell umgangen bzw. durchschnitten werden (z. B. harte Ausscheidungen), und
solche, die kollektiv überwunden werden (z. B. das periodische Potenzial des Git-
ters). Im Folgenden sollen die Verformungsrategleichungen in Abhängigkeit von
den für die Mobilität wichtigen Größen Spannung, Temperatur und Natur des Hin-
dernisses beschrieben werden.

5.2.2.2 Niedertemperaturplastizität

Im Bereich niedriger Temperaturen, d. h. T < 0,3 ⋅ T s , finden vor allem die unter
5.3.1.1 und 5.3.1.2 beschriebenen Prozesse der instantanplastischen Verformung
statt. Obwohl diese Verformungsprozesse zunächst nicht als zeitabhängig einge-
stuft wurden, ist die Kinetik der Versetzungsbewegung nahezu immer hindernis-
kontrolliert, d. h., die Wechselwirkung mit anderen sich bewegenden Versetzun-
gen, mit Korngrenzen, mit dem periodischen Potenzial des Gitters oder mit
Ausscheidungen bestimmt die Verformungsgeschwindigkeit bzw. bei einer gege-
benen Verformungsgeschwindigkeit (so ist in der Regel das Vorgehen zur Aufstel-
5.2 Kinetik der plastischen Verformung 167

lung des in Abb. 1.5 dargestellten Spannungs-Dehnungs-Diagramms) wird die


Größe der Fließspannung bestimmt. Jedoch ist in vielen polykristallinen Metallen
die Fließspannung nur sehr gering (sowohl absolut als auch im Vergleich mit ande-
ren Faktoren, wie der Korngröße) von der Dehnungsrate abhängig, wodurch
gerechtfertigterweise in den meisten gängigen Beschreibungen der Fließspannung
eine Abhängigkeit von der Dehnungsrate (und damit eine zeitabhängige Beschrei-
bung) nicht betrachtet wird.
Geht man für den beschriebenen Temperaturbereich von Einzelhindernissen
aus, die überwunden werden müssen, so lässt sich die Durchschnittsgeschwindig-
keit einer Versetzung beim Überwinden dieser Einzelhindernisse, welche mit einer
Frequenz φ auftritt, aus

ΔF τ
v = β ⋅ b ⋅ φ ⋅ exp – ------- ⋅ § 1 – -----· (5.11)
kT © τ 0¹

berechnen [33, 256], wobei β eine Konstante ist, ΔF der Aktivierungsenergie


entspricht, bei der das Hindernis auch ohne äußere Scherspannung überwunden
werden würde, und τ0 die Fließspannung darstellt, bei der das Hindernis auch ohne
thermische Aktivierung überwunden werden würde. Aus (5.8), (5.9) und (5.11)
ergibt sich eine Beziehung der Dehnungsgeschwindigkeit für eine durch die Über-
windung von Einzelhindernissen bestimmte plastische Verformung:

· τ 2 ΔF τ
γ = α ⋅ β ⋅ φ ⋅ § ----· ⋅ exp – ------- ⋅ § 1 – -----· (5.12)
© G¹ kT © τ 0¹

Durchdringen Versetzungen kollektiv das Metallgitter, so oszilliert das Poten-


zial ihres Versetzungskerns in der Bewegungsrichtung mit einer Wellenlänge, wel-
che dem Gitterabstand der Kristallmatrix entspricht. Um den Potenzialberg zu
überwinden, der zwischen den zwei angrenzenden und als stabile Verweilposition
zu betrachtenden Potenzialmulden liegt, ist das Aufbringen einer bestimmten
Scherspannung τp notwendig, die als Peierls-Nabarro-Spannung bezeichnet wird.
Das kollektive Überwinden eines Potenzialberges findet oberhalb 0 K versetzt
statt. Nachdem zuerst ein kurzes Segment der Versetzungslinie mit thermischer
Unterstützung in die nächste Potenzialmulde gelangte, wird der verbliebene Teil
der Versetzungslinie unter Wirkung der anliegenden Scherspannung Stück für
Stück in die nächste Potenzialmulde gezogen. Für diesen Prozess, welchem eine
Aktivierungsenergie ΔFp zugeordnet ist, kann die Versetzungsgeschwindigkeit wie
folgt beschrieben werden

· ­ ΔF p τ p q ½
v = γ p ⋅ b ⋅ exp ® – ---------- ⋅ § 1 – § -----· · ¾ , (5.13)
© © τ p¹ ¹
¯ k⋅T ¿
168 5 Plastische Verformung

wobei γp eine materialabhängige Konstante ist, welche, wie die Exponenten p,


q, aus dem Experiment bestimmt wird. Für viele Metalle ergibt sich mit p = 3 ⁄ 4
und q = 4 ⁄ 3 ein guter Fit an die experimentellen Daten [33, 256]. Aus den Glei-
chungen (5.8), (5.9) und (5.13) lässt sich somit eine Beziehung für die Dehnungs-
geschwindigkeit einer von Versetzungsbewegungen durch das Metallgitter
bestimmten Plastizität formulieren:

4
---
­ 3
--- 3½
· · § ---τ· ° ΔF p § τ · 4 °
γ = γ p ⋅ - ⋅ exp ® – ---------- ⋅ 1 – ----- ¾ (5.14)
© G¹ © ¹
° k⋅T τp °
¯ ¿

5.2.2.3 Hochtemperaturplastizität - Gleiten und Klettern

Wird ein polykristallines Metall einer Temperatur von über 0,5 Ts ausgesetzt,
das entspricht bei SnPb37 einer Temperatur von -45 °C, so gelangt es in den
Bereich der Hochtemperaturplastizität. In diesem Bereich ist die plastische Verfor-
mung sehr stark von Temperatur und Zeit (bzw. Dehnungsrate) abhängig. Das liegt
daran, dass bei hohen Temperaturen Versetzungen die Fähigkeit des Kletterns
gewinnen. Der Prozess des Kletterns ist schematisch in Abb. 5.6 dargestellt. Dabei
wird die Lage einer Stufenversetzung im Kristallgitter durch die Adsorption einer
Leerstelle um eine Ebene verschoben. Klettern, d. h. die Verschiebung der Stufen-
versetzung in die entgegengesetzte Richtung, kann durch den Einbau einer zusätz-
lichen Leerstelle in das Atomgitter erfolgen. Für das Überwinden von Hindernissen
ist die Kletterbewegung von Bedeutung, da die in ihrer Gleitbewegung durch ein
Hindernis festgehaltenen Versetzungen hierdurch die Möglichkeit erhalten, sich
durch eine Kletterbewegung von diesem Hindernis zu befreien, um dann frei weiter
gleiten zu können.
Weertman [257, 270, 272] unternahm einen der ersten Ansätze, Kriechverfor-
mung über den Mechanismus des Versetzungskletterns zu beschreiben. Er ging
dabei davon aus, dass der Kriechprozess aus einem Gleitprozess besteht, durch den
Versetzungen relativ große Wege x g zurücklegen, welcher von einem Kletterpro-
zess gefolgt wird, bei dem zwar nur eine geringe Distanz x c zurückgelegt wird, der
aber aufgrund seiner geringen Geschwindigkeit der Versetzungsbewegung v c der
die Gesamtverformungsrate bestimmende Prozess ist. Die Geschwindigkeit, mit
der Versetzungen klettern und annihilieren, wird durch den Konzentrationsgradien-
ten zwischen der Leerstellenkonzentration im thermodynamischen Gleichgewicht
und der Leerstellenkonzentration nahe der kletternden Versetzung bestimmt.
Erstere ergibt sich aus

Q
c v = c 0 ⋅ exp § – ------v-· , (5.15)
© KT¹
5.2 Kinetik der plastischen Verformung 169

Abb. 5.6 Schematische Darstellung des Kletterns einer Stufenversetzung

wobei Q v der Energie zur Bildung einer Versetzung entspricht, wenn sich das
Material im spannungsfreien Zustand befindet. Wirkt jedoch eine Spannung auf
das Kristallgitter, so kommt es in der Umgebung einer Versetzung aufgrund der
durch den Kletterprozess geleisteten Arbeit zu einer Änderung der Leerstellenkon-
zentration. Entsteht infolge des Kletterprozesses eine Leerstelle, so entspricht die
veränderte Leerstellenkonzentration an diesem Ort

Q – σΩ
= c 0 ⋅ exp §© – ------v-·¹ ⋅ exp §© -----------·¹ .
d+
cv (5.16)
KT kT

Analog ergibt sich die Leerstellenkonzentration für den Fall, dass durch den
Kletterprozess eine Leerstelle absorbiert wird

Q +σ n ⋅ Ω
c v = c 0 ⋅ exp § – ------v-· ⋅ exp § ------------------· ,
d-
(5.17)
© KT¹ © kT ¹

wobei σ n die Spannung ist, unter deren Wirkung sich das Metall verformt und
Ω dem Atomvolumen entspricht. Der Gradient der Leerstellenkonzentration Δc v
zwischen Orten, an denen das Klettern von Versetzungen mit der Abgabe von
Leerstellen verbunden ist, und solchen, an denen es zur Absorption von Leerstellen
kommt, ergibt sich aus

Q –σn ⋅ Ω
Δc v = c 0 ⋅ exp § – ------v-· ⋅ sinh § ------------------· , (5.18)
© KT¹ © kT ¹
170 5 Plastische Verformung

wobei sich unter der Annahme kleiner Spannungen der Ausdruck in (5.18) zu

Q σn ⋅ Ω
Δc v = c 0 ⋅ exp §© – ------v-·¹ ⋅ exp §© ---------------·¹ (5.19)
KT kT

vereinfacht. Aus dem Gradienten der Leerstellenkonzentration Δc v zwischen


kletternden Versetzungen ergibt sich ein Leerstellenfluss zwischen diesen Orten.
Die Größe dieses Leerstellenflusses und damit die Geschwindigkeit des Kletterme-
chanismus von Leerstellen hängt von der tatsächlichen Anordnung der Versetzun-
gen im Kristallgitter ab. Unter Annahme eines Diffusionsradius R 0 , welcher mit
dem Abstand zwischen Versetzungen zusammenhängt, gelangt Weertman zu fol-
gendem Ausdruck für die Geschwindigkeit v c , mit der eine Versetzung unter der
Wirkung einer in Richtung ihres Burgersvektors b wirkenden Spannung σ n klet-
tert

Dv σn ⋅ Ω R0
v c = 2π ⋅ § ------· ⋅ § ---------------· ⋅ ln § ------· , (5.20)
© b ¹ © kT ¹ © b¹

wobei D v der Diffusionskoeffizient für die korrespondierende Leerstellenbewe-


gung ist, welche bei Temperaturen oberhalb 0,6 Ts durch Matrixdiffusion domi-
niert wird. Zu vergleichbaren Ergebnissen bei der Beschreibung des Kletterprozes-
ses gelangten auch andere Autoren, wie Hirth und Lothe [258]. Wenn die
durchschnittliche Versetzungsgeschwindigkeit v mit

xg
v ≅ ----- ⋅ v c (5.21)
xc

angenähert wird, so ergibt sich aus (5.8), (5.9) die quasistatische Kriechrate mit

· D V EΩ xg τ 3
γ = A 1 ⋅ ------2- ⋅ § --------· ⋅ § -----· ⋅ § ---· , (5.22)
© kT ¹ © x c¹ © E¹
b

wobei A 1 einer Konstante entspricht, D V den Koeffizienten für Selbstdiffusion


darstellt und E den Elastizitätsmodul repräsentiert. Der Wert von 3 für den Span-
nungsexponenten in (5.22) repräsentiert das sogenannte natürliche Potenzgesetz-
kriechen.
Alternativ zu dem von Weertman ausgearbeiteten theoretischen Modell des
Versetzungskletterns zeigen spätere Ansätze [252, 253] andere Mechanismen zur
kletterbeherrschten Versetzungsbewegung auf. Gemeinsam ist all diesen Ansätzen,
dass sie einen Spannungsexponenten von 3 voraussagen. Verschiedene experimen-
telle Ergebnisse zeigen jedoch, dass das so beschriebene Verformungsverhalten
5.2 Kinetik der plastischen Verformung 171

eher eine Ausnahme ist und sich stattdessen folgende Formulierung zur Beschrei-
bung der Dehnungsrate für diesen Mechanismus eignet:

· DV ⋅ G ⋅ b τ n
γ = A 2 ⋅ ----------------------- ⋅ § ----· , (5.23)
k⋅T © G¹

wobei n Werte zwischen 3 und 10 annimmt. Die zurzeit existierenden theoreti-


schen Modelle können das über (5.23) beschriebene Verhalten nicht ausreichend
erklären und finden keine Begründung für die experimentell ermittelten Werte von
n und A2. Für Temperaturen unterhalb 0,6 Ts wird angenommen, dass die Diffu-
sion durch Versetzungskerne der dominierende Transportmechanismus für die
Bewegung von Versetzungen ist [317]. Der Beitrag dieser Diffusion für die Deh-
nungsrate kann über (5.23) ausgedrückt werden, indem der Matrixdiffusionskoeffi-
zient DV durch einen effektiven Diffusionskoeffizienten Deff ersetzt wird

10 ⋅ a c § σ · 2
D eff = D V + D C ⋅ --------------
- ⋅ ---- , (5.24)
2 © G¹
b

wobei ac dem Durchmesser des Gebietes des Versetzungskerns entspricht, in


welchem gegenüber der Matrixdiffusion erhöhte Diffusionsgeschwindigkeiten
erreicht werden, und Dc den Diffusionskoeffizienten in diesem Gebiet darstellt,
welcher in vielen Fällen dem Korngrenzendiffusionskoeffizienten entspricht.
Übersteigt die Spannung Werte von etwa 10-3 G, so wird die Dehnungsgeschwin-
digkeit zunehmend vom Versetzungsgleiten bestimmt. In diesem Fall kann die
Dehnungsrate auch nicht mehr über ein einfaches Potenzgesetz (wie (5.23))
beschrieben werden. Stattdessen wird ein Ansatz nach (5.25) verwandt, der sowohl
zur Beschreibung der Dehnungsrate für mittlere Spannungen (Versetzungsklettern
und Diffusion durch Versetzungskerne) als auch für hohe Spannungen (Verset-
zungsgleiten) geeignet ist

· D eff ⋅ G ⋅ b τ n
γ = A 3 ⋅ -------------------------- ⋅ sinh § α ⋅ ----· , (5.25)
k⋅T © G¹

wobei A3 und α Materialkonstanten sind.

5.2.2.4 Diffusionskontrollierte Verformung

Ist das Material sehr geringen Spannungen ausgesetzt, wird die plastische Ver-
formung durch Diffusionsprozesse dominiert. Hierunter fällt z. B. die Deformation
eines Korns aufgrund der Bewegung von Leerstellen, welche einem Potenzialfeld
172 5 Plastische Verformung

folgen, das durch ein äußeres Spannungsfeld hervorgerufen wurde. Die Dehnungs-
geschwindigkeit bei Diffusion ergibt sich nach [33]

· 42 D σ ⋅ Ω-
γ = ------ ⋅ ---------- ⋅ ----------- (5.26)
π k ⋅ T d2
g

π ⋅ δ ⋅ D GB
D = D V + -------------------------
- , (5.27)
dg

wobei dg die Korngröße, Ω das Atomvolumen, DV der Bulkdiffusionskoeffizi-


ent, DGB der Korngrenzendiffusionskoeffizient und δ der effektive Korngenzenab-
stand sind. Bei hohen Temperaturen tritt diffusionsdominierte plastische Verfor-
mung infolge Matrixdiffusion (Nabarro-Herring-Kriechen) und bei niedrigen
Temperaturen infolge Korngrenzendiffusion (Coble-Kriechen) auf. Bei großen
Korngrößen, welche für die Größenverhältnisse der Mikroelektronik allerdings
keine Rolle spielen, wurde anstatt des Diffusionskriechens ein auf Klettern und
Gleiten von Versetzungen basierender Mechanismus beobachtet, welcher durch
einen linear-viskosen Ansatz beschrieben werden kann und als Harper-Dorn-Krie-
chen bezeichnet wird.
Die Temperaturabhängigkeit der Kriechmechanismen kommt im Wesentlichen
durch die Temperaturabhängigkeit der Diffusion zustande, welche – bezogen auf
den Diffusionskoeffizienten – sich im Allgemeinen aus dem Arrhenius-Ansatz
ergibt

Q
D = D 0 ⋅ exp § – ----------· , (5.28)
© k ⋅ T¹

wobei Q der dem dominierenden Transportmechanismus zugehörigen Aktivie-


rungsenergie entspricht und D0 als eine Kalibrierungskonstante für den Diffusions-
koeffizienten zu betrachten ist.

5.2.3 Bedeutung der Kinetik der Versetzungsbewegung für die Beschreibung


und Charakterisierung der plastischen Verformung

Wie den Darstellungen in 5.2.1 bis 5.2.2.4 entnommen werden kann, existieren
in Abhängigkeit von den äußeren Parametern Spannung, Temperatur und Verfor-
mungsgeschwindigkeit unterschiedliche Mechanismen, welche der plastischen
Verformung von Metallen zugrunde liegen. Diese bewirken auch ein qualitativ
unterschiedliches phänomenologisches Verformungsverhalten. Aus diesem Grund
ist es für die Beschreibung des plastischen Verformungsverhaltens nicht möglich,
eine einfache zusammenhängende Darstellung zu verwenden wie für das elastische
5.2 Kinetik der plastischen Verformung 173

Verformungsverhalten. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die in 5.2.1 bis


5.2.2.4 vorgenommenen Betrachtungen die Zeit- und Strukturabhängigkeit des
plastischen Verhaltens außer Betracht lassen, um zu einer in ihrer Gesamtkomple-
xität erfassbaren Gesamtdarstellung des plastischen Verhaltens in Form von Ver-
formungsmechanismenkarten (siehe Abb. 5.7) zu gelangen. Diese mechanismen-
orientierte Unterteilung der plastischen Verformung soll auch als Grundlage für die
weitere Beschreibung dienen.
Dabei sollen in Abschnitt 5.3 zunächst die Erscheinungsformen plastischer Ver-
formung besprochen werden, welche mit dem Versetzungsgleiten assoziiert wer-
den. Die Dominanz der auf Versetzungsgleiten basierenden Verformungsmecha-
nismen liegt in der Regel im Bereich niedriger homologer Temperaturen, da hier
durch die geringe thermische Aktivierung alle auf Festköperdiffusion beruhenden
Mechanismen eine eher untergeordnete Rolle spielen. Im Anschluss daran soll im
Abschnitt 5.4 eine sehr detaillierte Darstellung der der zeit- und temperaturabhän-
gigen Verformung zugrunde liegenden Mechanismen erfolgen, welche üblicher-
weise im Bereich hoher homologer Temperaturen auftreten und daher mit dem
durch die hohe thermische Aktivierung verbundenen Mechanismen der Festköper-
diffusion assoziiert werden können. Die in 5.3 und 5.4 besprochenen Mechanismen
unterscheiden sich jedoch nicht nur bezüglich der Temperatur, sondern auch im
Hinblick auf die im Werkstoff auftretenden Spannungsbeanspruchungen. In der
Verformungsmechanismenkarte in Abb. 5.7 wird eine grobe Einteilung zwischen
diesen grundsätzlichen Verformungsarten und den damit in Zusammenhang ste-
henden globalen Beanspruchungen gegeben, um eine allgemeine Orientierung zwi-
schen den später zu besprechenden Details der Elementarmechanismen und den für
die phänomenologische Erscheinung der Verformung wichtigen Grundparametern

-1
10

-2
10
Normierte Scherspannung t/G

Instantanplastische
-3 Verformung
10
(siehe 5.3)

-4
10
Zeitabhängigkeit und
Temperaturabhängigkeit
10
-5 der plastischen Verformung
(siehe 5.4)

-6
10
0,2 0,4 0,6 0,8 1,0
Homologe Temperatur T/Ts

Abb. 5.7 Einteilung der Arten der Deformation in einer Verformungslandkarte


174 5 Plastische Verformung

zu erhalten. Grundsätzlich sind mit den in Abschnitt 5.3 dargestellten Erschei-


nungsformen plastischer Verformung im Bereich niedriger homologer Temperatu-
ren auch hohe Spannungsbeanspruchungen verbunden, damit eine plastische Ver-
formung des Werkstoffs überhaupt einsetzt. Im Gegensatz setzt plastische
Verformung bei den in Abschnitt 5.4 beschriebenen Mechanismen im Bereich
hoher homologer Temperaturen oft schon bei sehr geringen Spannungsbeanspru-
chungen ein.
Zum Abschluss sollen in Abschnitt 5.5 die Besonderheiten der plastischen Ver-
formungsreaktion bei wechselnder Beanspruchung angerissen werden, bei denen
Materialgedächtniseffekte eine wichtige Rolle spielen, welche sich so nicht mehr
einfach, d. h. analog zu den Verformungsmechanismenkarten für einsinnige Bean-
spruchung, darstellen lassen, da die Vielfalt der entstehenden Effekte sowie deren
unterschiedliche Ausbildung in Abhängigkeit von der Materialstruktur eine einfa-
che, übersichtliche Beschreibung unmöglich macht.

5.3 Niedertemperaturplastizität

5.3.1 Merkmale

Die plastische Verformung von Metallen im Bereich geringer homologer Tem-


peraturen wird in der Regel mit der in Abb. 5.8 dargestellten Spannungs-Deh-
nungs-Kurve assoziiert, d. h., die plastische Verformung beginnt nach Überschrei-
ten eines als Fließspannung gekennzeichneten Beanspruchungswerts. Anders als in

s
E Einschnürung
R
m

R
Zugfestigkeit

p0,2
sF Bruch
0,1% Fließgrenze

Fließgrenze

0,1 % Dehnung e

Bruchdehnung A

Abb. 5.8 Typisches Spannungs-Dehnungs-Diagramm eines metallischen Werkstoffs mit wich-


tigen mechanischen Werkstoffkennwerten, adaptiert aus [316]
5.3 Niedertemperaturplastizität 175

Energie

A D

Spannung
tf
0

A D
Position des Versetzungskerns

Abb. 5.9 Potenzialverlauf und daraus abgeleiteter Kraftverlauf für die Bewegung einer
Versetzung von A nach D (vgl. Abb. 5.2)

den Betrachtungen zur Kinetik der Versetzungsbewegung (vgl. 5.2.2) wird bei der
phänomenologischen Betrachtung der plastischen Verformung bei niedrigen Tem-
peraturen ein Zusammenhang zwischen Spannung und Verformung anstatt zwi-
schen Spannung und Verformungsrate bevorzugt. Diese Betrachtungsweise wird
plausibel, wenn man die der Niedertemperaturverformung zugeordneten Ratenglei-
chungen (5.12) und (5.14) genauer analysiert. Der funktionale Zusammenhang
zwischen Verformungsrate und Spannung ist in beiden Gleichungen durch einen
quadratischen und einen exponentiellen Term gekennzeichnet. Wenn die Aktivie-
rungsenergie hoch ist, was vor allem beim Überwinden von Einzelhindernissen der
Fall ist, bestimmt der exponentielle Term die Spannungsabhängigkeit der Verfor-
mungsrate. Für den umgekehrten Fall bedeutet dies, dass die Abhängigkeit der
Fließspannung von der Verformungsrate gering ist. Gleichzeitig existiert eine hohe
Abhängigkeit des plastischen Fließens von der Werkstoffstruktur, sodass die vor-
handene geringe Abhängigkeit von der Verformungsrate für eine Beschreibung des
plastischen Verhaltens bei niedrigen Temperaturen unbedeutend ist. Diese starke
Abhängigkeit von der Werkstoffstruktur wird plausibel, wenn der Unterschied zwi-
schen der Niedertemperaturplastizität von ein- und polykristallinem Material
betrachtet wird.

5.3.1.1 Plastische Deformation in Einkristallen

Wird die Versetzungsbewegung unter Berücksichtigung der anziehenden und


abstoßenden zwischenatomaren Wechselwirkungen betrachtet, so ergibt sich die in
Abb. 5.9 schematisch dargestellte Potenzial-Positions-Kurve bzw. die daraus abge-
leitete Kraft-Positions-Kurve für die Bewegung einer Versetzung durch das Atom-
gitter. Daraus ist zu erkennen, dass das Gitter der Versetzungsbewegung einen
periodisch auftretenden Widerstand entgegenbringt. Peirels und Nabarro haben
176 5 Plastische Verformung

diesen Widerstand unter Annahme einer sinusförmigen Potenzialänderung wäh-


rend der Versetzungsbewegung mit

2πa
τ f = G ⋅ sin § – --------------------· (5.29)
© ( 1 – ν )b¹

abgeschätzt, wobei G der Schubmodul, ν die Querkontraktionszahl, a der ver-


tikale Abstand zwischen Gleitebenen und b das Gleitinkrement ist. Aus Gleichung
(5.29) lässt sich ableiten, dass der periodische Widerstand des Gitterpotenzials am
kleinsten ist, wenn a groß und b klein ist, d. h., Gleitung erfolgt bevorzugt in den
dicht gepackten Ebenen eines Kristallgitters. Für einen kubisch-flächenzentrierten
Kristall sind beispielsweise die Ebenen vom Typ [111] und die Richtungen vom
Typ <110> am dichtesten gepackt. Da in diesem Kristallgitter vier solche Ebenen
existieren, auf denen jeweils drei unabhängige Gleitrichtungen vorhanden sind,
ergeben sich insgesamt 12 unabhängige Gleitsysteme, d. h. Kombinationen aus
Gleitebenen und Gleitrichtungen.
Da eine auf einen Kristall aufgebrachte Schubspannung τ in der Regel nicht
parallel zu einem Gleitsystem ausgerichtet ist, trägt nur die parallel zum Gleitsys-
tem wirkende Komponente τ GS zur Versetzungsbewegung bei. Für einen einach-
sig belasteten Zugstab (Abb. 5.10), wie er auch in den Betrachtungen zum Span-
nungs-Dehnungs-Diagramm in Abschnitt 1.4.2.2 herangezogen wird, ergibt sich
diese Komponente aus dem Schmid’schen Schubspannungsgesetz:

τ GS = σ ⋅ cos λ ⋅ cos θ (5.30)

wobei der Term cos λ ⋅ cos θ dem Schmidfaktor entspricht. Nimmt man das
Spannungs-Dehnungs-Diagramm eines kubisch-flächenzentrierten Einkristalls,

q
n

A0

Abb. 5.10 Lage eines Gleitsystems innerhalb eines Zugstabes


5.3 Niedertemperaturplastizität 177

wie z. B. Cu, auf, so ergeben sich die in Abb. 5.11 dargestellten Verläufe, wobei
Abb. 5.11a die tatsächlich in [318] ermittelten Verläufe darstellt und Abb. 5.11b
eine schematische Darstellung des Verlaufes für den Fall vornimmt, bei welchem
der Kristall gegenüber der Belastungsachse so ausgerichtet ist, dass die resultie-
rende Schubspannung in einem bestimmten Gleitsystem deutlich größer als die
resultierenden Schubspannungen in allen anderen Systemen ist. In diesem Fall ist
der Verlauf plastischer Verformung im Spannungs-Dehnungs-Diagramm in 3
Bereiche unterteilt. Bereich I beginnt nach elastischer Verformung des Kristalls bei
Erreichen der notwendigen resultierenden Schubspannung im dominierenden
Gleitsystem. In diesem Bereich können die Versetzungen lange Wege zurücklegen,
bis sie miteinander wechselwirken. Er wird daher auch als Bereich der Einfachglei-
tung bezeichnet und besitzt nur eine geringe Verfestigung (d. h. einen geringen
Verformungswiderstand). Ihm schließt sich Bereich II mit einer stark ansteigenden
Verfestigung an, die auf Reaktionen zwischen Versetzungen primärer und sekun-
därer Gleitsysteme sowie auf Versetzungsvervielfachung - und damit Zunahme der
Versetzungsdichte - durch Frank-Read-Quellen zurückzuführen ist. Im sich daran
anschließenden Bereich III nimmt der Anstieg der Verfestigung durch Prozesse der
dynamische Erholung, wie z. B. dem Quergleiten von Schraubenversetzungen,
wieder ab.

5.3.1.2 Plastische Deformation in Polykristallen

Wird das Spannungs-Dehnungs-Verhalten bei der plastischen Verformung eines


Einkristalls mit dem eines polykristallinen Werkstoffes des gleichen Metalls, z. B.
Cu, verglichen, so zeigen sich deutliche Unterschiede (Abb. 5.12). Das Einsetzen
plastischer Verformung findet im polykristallinen Metall erst bei wesentlich höhe-
ren Spannungen statt und auch der Bereich von Einfachgleitung, d. h. geringe Ver-

III 50
I II
Effektive Scherspannung [MPa]

t III
40
3
C2

29
Scherspannung t

C23 7
30
C2

20 6
C29 C2
C26 C27
t II
10
tI
0 0
0 0 0,05 0,1 0,15 0,2 0,25 0,3 0,35
Scherdehnung Scherdehnung

Abb. 5.11 Abgleitkurven eines Cu-Einkristalls aus [318]


178 5 Plastische Verformung

festigungszunahme, ist im Gegensatz zum Einkristall nicht zu beobachten. Diese


Unterschiede zwischen plastischer Ein- und Vielkristallverformung sind vor allem
auf zwei Gründe zurückzuführen. Zum einen führt die unterschiedliche Orientie-
rung der verschiedenen Körner im polykristallinen Werkstoff bei einer gegebenen
äußeren Spannung zu einem individuellen Abgleitverhalten der Versetzungen in
jedem einzelnen Korn (vgl. Abb. 5.11). Was aber noch viel wichtiger ist, ist die
Tatsache, dass abgeglittene Versetzungen, wenn sie eine Korngrenze erreichen,
aufgrund der unterschiedlichen Orientierung der Gleitsysteme im Nachbarkorn
nicht in diesem weitergleiten können. Andererseits können sie auch das Korn an
dessen Oberfläche nicht verformen, d. h. von der Korngrenze einfach aufgenom-
men werden, da hierdurch der Zusammenhalt der Körner nicht mehr gewährleistet
wäre. Infolgedessen stauen sich die Versetzung und alle ihr auf der gleichen Gleit-
ebene folgenden Versetzungen vor der Korngrenze auf. Schließlich wird die durch
diese Aufstauung erzeugte lokale Spannungskonzentration so groß, dass dadurch
im Nachbarkorn trotz ungünstiger Orientierung Versetzungsquellen aktiviert wer-
den. Die in den benachbarten Körnern bereitgestellten Versetzungen lagern sich
daraufhin so in Korngrenzennähe an, dass bei plastischer Verformung der Körner
der Zusammenhalt unter ihnen trotzdem gewahrt bleibt. Da die durch die Verset-
zungsaufstauung erzeugte Spannungskonzentration mit wachsender Korngröße
zunimmt [164], wird der Spannungs-Dehnungs-Verlauf bei instantanplastischer
Verformung neben dem Abgleitverhalten des Einkristalls auch sehr stark durch die
Gefügestruktur bestimmt (vgl. 3.2.3), wodurch sich für die instantanplastische Ver-
formung in polykristallinen Metallen ein Spannungs-Dehnungs-Verlauf ergibt, der
sich zunächst durch eine sehr hohe Verfestigung auszeichnet, welche mit zuneh-
mender Dehnung rasch absinkt. Durch die beschriebenen Versetzungswechselwir-
kungen an den Korngrenzen ist die Fließspannung im polykristallinen Werkstoff
deutlich höher.

s in MPa
300
Cu-Polykristall

200

100 Cu-Einkristall

10% 20% 30% 40% 50%


e
Abb. 5.12 Abgleitkurven eines Cu-Einkristalls und eines Cu-Polykristalls
5.4 Hochtemperaturplastizität 179

5.4 Hochtemperaturplastizität

5.4.1 Merkmale

Wie in 5.2.2 ausgeführt, wird bei der plastischen Verformung bei hohen Materi-
altemperaturen das Versetzungsgleiten durch einen Kletterprozess ergänzt, welcher
mit einer Leerstellendiffusion zusammenhängt und wesentlich die Geschwindig-
keit der Versetzungsbewegung beeinflusst. Aus diesem Grund weist die plastische
Verformung bei hohen Materialtemperaturen sowohl starke Zeitabhängigkeit, d. h.
eine Abhängigkeit der Fließspannung von der Verformungsgeschwindigkeit, als
auch eine hohe Temperaturabhängigkeit auf. Zunächst sollen die durch die Zeitab-
hängigkeit entstehenden vielfältigen Erscheinungsformen der plastischen Verfor-
mung von Metallen bei hohen Materialtemperaturen dargestellt werden, indem die
· ·
mehrseitigen Beziehungen zwischen den Verformungsvariablen ( σ, σ, ε, ε, t )
durch eine Reihe verschiedener spezialisierter Experimente charakterisiert werden.
Zu den grundlegenden und etablierten Versuchen, mit denen das zeitabhängige
plastische Verformungsverhalten untersucht wird, zählen der Versuch mit konstan-
ter Dehnungsrate, der Kriechversuch und der Relaxationsversuch.
Beim Versuch mit konstanter Dehnungsrate wird die Probe einer Dehnungsbe-
·
anspruchung ausgesetzt, welche die Bedingung ε = const. erfüllt. Aus dieser
·
Lastbedingung ergibt sich mit ε = ε ⋅ ( t – t 0 ) ein von der Verformungsreaktion
·
unabhängiger Zusammenhang zwischen Verformungsvariablen ε, ε, t , sodass
·
sich die Verformungsreaktion über die Variablen σ, σ als Funktion von ε oder t
ergibt. Für das Darstellung des zeitabhängigen Verhaltens hat sich wegen seiner

s
e1, T 1

e1, T 2

e2, T 1

e1, T 3

e3, T 1

e1 > e2 > e3

T1 < T2 < T3

e
Abb. 5.13 Spannungs-Dehnungs-Diagramm des gleichen Werkstoffs bei unterschiedlichen
Verformungsgeschwindigkeiten und Materialtemperaturen
180 5 Plastische Verformung

Vergleichbarkeit zum Spannungs-Dehnungs-Diagramm die Form σ = f ( ε ) als die


zweckmäßigste herausgestellt (Abb. 5.13 a). Da es sich hierbei in der Regel um
·
eine monotone Funktion handelt, enthält die Darstellung von σ = f ( ε ) keine
zusätzlichen Informationen, verdeutlicht jedoch den Verlauf der Verfestigung
(Abb. 5.13 b). Für das in Abb. 5.13 a dargestellte zeitabhängige Verformungsver-
halten wurden vier verschiedene Versuche mit mittleren Verformungsgeschwin-
· –4 –7 –1
digkeiten, z. B. ε = ( 10 …10 ) ⋅ s durchgeführt und eine Versuchstempera-
tur gewählt, die einer mittleren bis hohen homologen Materialtemperatur
entspricht, z. B. T h = 0,5 ⋅ T s . Aus den in Abb. 5.13 a eingetragenen Verfor-
mungsreaktionen wird ersichtlich, dass das plastische Fließen eines metallischen
Werkstoffes sich bei hohen Temperaturen in Abhängigkeit von der Verformungs-
geschwindigkeit ändert. Die Spannung, bei der die plastische Verformung einsetzt,
wird um so niedriger je langsamer die Verformung stattfindet. Weiterhin ist zu

e
I II III

e
I II III

t
e I II III

e
Abb. 5.14 Kriechversuch, I: primäres Kriechen, II: sekundäres Kriechen, III: tertiäres Kriechen
5.4 Hochtemperaturplastizität 181

Abb. 5.15 Relaxationsversuch

beobachten, dass nach einer anfänglichen Verfestigung, welche in einem kleinen


Anfangsdehnungsbereich stattfindet, keine weitere Verfestigung bei weiterer
Werkstoffverformung einsetzt.
Beim Kriechversuch wird die Probe einer Spannungsbeanspruchung ausgesetzt,
welche die Bedingung σ = const. erfüllt. Aus dieser Lastbedingung ergibt sich,
·
dass σ = 0 ist und demzufolge sich die Verformungsreaktion als Beziehung
·
unter den Variablen ε, ε, t ergibt. Die Diagramme in Abb. 5.14 zeigen die aus
dem Versuch folgenden Verformungsreaktionen in den Darstellungen ε = f ( t )
· ·
(Abb. 5.14 a), ε = f ( t ) (Abb. 5.14 b) und ε = f ( ε ) (Abb. 5.14 c), wobei auf-
grund der mit der Zeit stetig wachsenden Kriechdehnung eine der drei Kurven zur
Charakterisierung der Verformungsreaktion beim Kriechversuch ausreichend
wäre. Allerdings ist es zum Verständnis der offensichtlich dreigeteilten Kriech-
kurve nützlich, alle drei Darstellungen des Verformungsverlaufes zu betrachten.
Beim Relaxationsversuch wird die Probe zunächst einer Spannungs- oder Deh-
nungsbeanspruchung (bzw. einer kombinierten Beanspruchung) ausgesetzt und
dann zu Beginn des Versuches in dem momentan erreichten Verformungszustand
·
eingefroren, d. h. ε = const. bzw. ε = 0 . Während des Versuches wird σ über
t aufgezeichnet. In der Regel ergibt sich der in Abb. 5.15 dargestellte Spannungs-
abfall über der Zeit.
Aus den in den Abb. 5.13 bis Abb. 5.15 dargestellten Verformungsreaktionen
lassen sich die verschiedenen, äußerlich wahrgenommenen Erscheinungsformen
des zeitabhängigen plastischen Verformungsverhaltens ablesen. Wird ein Material
bei einer erhöhten Temperatur über einen bestimmten Zeitraum mit einer Span-
nung beansprucht bzw. mit einer mittleren Geschwindigkeit gedehnt, so ist eine
allmähliche plastische Verformung des Materials zu beobachten. Die Spannung,
bei der diese plastische Verformung einsetzt, ist um so niedriger je langsamer die
182 5 Plastische Verformung

Probe verformt wird (Gleiches gilt auch andersherum). Wird das Material nach
Auftrag einer Beanspruchung in einem bestimmten Verformungszustand eingefro-
ren, so findet ein Abbau der Spannung im Material statt. In der Anwendung findet
die zeitabhängige Verformung jedoch nicht nur als Folge der bisher dargestellten
Beanspruchungsarten statt, bei welchen eine oder mehrere Variablen als konstant
bzw. null angenommen werden. In solchen Fällen kann es z. B. gleichzeitig zur
plastischen Verformung und zum Spannungsabbau im Material kommen. Aus die-
sem Grund gibt es für die Charakterisierung und Beschreibung des zeitabhängigen
Verhaltens über Werkstoffparameter verschiedene Ansätze, von denen die wich-
tigsten nachfolgend besprochen werden sollen.

5.4.2 Beschreibung des zeitabhängigen Verformungsverhaltens

Aus der Vielschichtigkeit der Erscheinungsformen beim zeitabhängigen Verfor-


mungsverhalten ergibt sich das Problem, eine einfache und nachvollziehbare
Beschreibung des Verhaltens zu finden, welche eine Charakterisierung über
wenige aussagekräftige Parameter ermöglicht und damit zum einen eine Vorstel-
lung von Verformungsverhalten gibt und andererseits einen Vergleich zwischen
verschiedenen Werkstoffen zulässt. Für eine solche Beschreibung ist es notwendig,
einen Verformungszustand zu finden, der für verschiedene Arten der Belastung
vergleichbar ist und sich eindeutig definieren lässt. Werden die Verläufe der Bean-
spruchungsfunktion und der Verformungsreaktion beim Versuch mit konstanter
Dehnungsrate (Abb. 5.13) mit denen des Kriechversuchs (Abb. 5.14) verglichen,
so ergibt sich zwar für den in beiden Diagrammen eingezeichneten Bereich I eine
voneinander verschiedene Charakteristik, im Bereich II weisen beide Verläufe
jedoch dieselben Spezifika auf - eine konstante Dehnungsrate sowie eine konstante
·
Spannung. Dieser Verformungszustand σ, ε = const. wird in beiden Versu-
·
chen über unterschiedliche Beanspruchungen - ε = const. für den Versuch mit
konstanter Dehnungsrate und σ = const. für den Kriechversuch - erreicht und
kann auch über viele dazwischen liegende Beanspruchungszustände erreicht wer-
den. Offensichtlich handelt es sich bei diesem Zustand um einen eingeschwunge-
nen Verformungszustand bei der zeitabhängigen Verformung, der über das Durch-
laufen von von der Beanspruchungsart abhängigen Zwischenzuständen (Bereich I-
Verformung) eingenommen wird. Aufgrund seiner Unabhängigkeit von der Bean-
spruchungsart ist dieser eingeschwungene Zustand, welcher sich durch
·
σ, ε = const. auszeichnet und als quasistatische Kriechverformung bezeichnet
wird, sehr gut geeignet, um das zeitabhängige Verformungsverhalten in einer
ersten Näherung effektiv zu beschreiben. Wie später noch gezeigt wird (vgl.
5.4.3.3 - 5.4.3.7), lässt sich dabei die Dehnungsrate bei quasistatischer Kriechver-
·
formung ε ss sehr einfach als Funktion der Spannung und der Temperatur ausdrük-
ken:
5.4 Hochtemperaturplastizität 183

·
ε ss = f ( σ, T ) (5.31)

Obwohl die Beschreibung des quasistatischen Kriechverhaltens bereits eine sehr


effektive Möglichkeit bietet, das zeitabhängige Verformungsverhalten für viele
technische Anwendungen mit hinreichender Genauigkeit zu beschreiben, ist für
einzelne Belastungsfälle in der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik
eine weiter reichende und detailliertere Beschreibung erforderlich. Hierzu ist es
notwendig, sich mit dem Verlauf des transienten Bereiches (Bereich I) bei der
Kriechverformung zu befassen. Besonders für die in Abb. 5.14 dargestellte Kriech-
kurve existieren in der Literatur eine Reihe unterschiedlicher Beschreibungen.
Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, den Verlauf der Kriechkurve als Potenz-
reihe darzustellen [319]:

· –ni
ε = ¦i ai ⋅ ti , (5.32)

wobei a i und n i Funktionen der Temperatur T und der Spannung σ sind. In


der Regel sind mehrere Glieder dieser Potenzreihe für eine befriedigende Beschrei-
bung notwendig. In besonderen Fällen, wie in Gleichung (5.33)

· 1 3 –2
ε = --- ⋅ β ⋅ t ⋅ ( ε – ε 0 ) , (5.33)
3

reicht jedoch das erste Glied aus. Die Formulierung in Gleichung (5.33) geht
aus der Lösung einer Differenzialgleichung hervor, welche sich wiederum auf die
Gleichung für das sogenannte Andrade-Kriechen zurückführen lässt [252, 320]

1⁄3
ε = β⋅t + ε0 , (5.34)

wobei β ein konstanter Vorfaktor ist und ε 0 die instantane Dehnung bei Last-
auftrag charakterisiert. Um den Zustand des quasistatischen Kriechens (Bereich II
in Kriechkurve, Abb. 5.14) isoliert zu beschreiben, muss in der Potenzreihe in
Gleichung (5.32) n = 0 gesetzt werden, sodass sich folgender Ausdruck für ε
ergibt

·
ε = ε ss ⋅ t + ε 0 , (5.35)

·
wobei ε ss der quasistatischen Kriechrate entspricht. Durch Kombination von
Gleichung (5.35) mit der Formulierung für das Andrade-Kriechen ergibt sich

1⁄3 ·
ε = β⋅t + ε ss ⋅ t + ε 0 (5.36)
184 5 Plastische Verformung

Diese Formulierung lässt sich um einen weiteren Term zur Beschreibung des
tertiären Kriechens (Bereich III in Kriechkurve, Abb. 5.14) erweitern, welche von
Graham und Walles vorgeschlagen wurde [319]

1⁄3 · 3
ε = ε0 + β ⋅ t + ε ss ⋅ t + γ ⋅ t (5.37)

Aus dieser Gleichung, welchen den gesamten Verlauf der Kriechkurve in


Abb. 5.14 wiedergibt, ergibt sich allerdings, dass für den Grenzwert t → 0 die
·
Kriechrate ε → ∞ strebt, was den Vorstellungen über die Kinetik des Kriechpro-
zesses grundsätzlich widerspricht. Von McVetty wurde daher eine andere mathe-
matische Formulierung vorgeschlagen, welche das Problem einer unendlichen
Anfangskriechrate umgeht [321]. Zusammen mit adäquaten Formulierungen für
den Bereich des tertiären Kriechens ergibt sich [322]

t ·
ε = ε 0 + ε p ⋅ 1 – exp § – ----- · + ε ss ⋅ t + ε t ⋅ exp [ p ⋅ ( t – t t ) ] , (5.38)
© τp ¹

wobei ε p die Dehnung ist, die der primären Kriechphase zugerechnet werden
kann, t t der Zeitpunkt ist, an dem die tertiäre Kriechphase beginnt und τ p , ε t und
p weitere Materialkonstanten sind. Für die Beschreibung des tertiären Kriechens
mit dem Term ε t ⋅ exp [ p ⋅ ( t – t t ) ] ergibt sich das praktische Problem, den Zeit-
punkt t t zu bestimmen. Aus diesem Grund wurde die Formulierung aus Gleichung
(5.38) wie folgt modifiziert [252, 323]

t · t – tf
ε = ε 0 + ε p ⋅ 1 – exp § – ----- · + ε ss ⋅ t + ε t ⋅ exp § ---------- · , (5.39)
© τp ¹ © τt ¹

wobei t f die experimentell leicht bestimmbare Zeit bis zum Bruch ist, ε t die
Dehnung ist, die der tertiären Kriechphase zugerechnet werden muss und τ t eine
weitere Materialkonstante darstellt. Da der Term für das quasistatische Kriechen
·
aufgrund des geringen Wertes von ε ss ebenso wie der Term für die instantane
Dehnung ε 0 nur einen unbedeutenden Beitrag an der Gesamtdehnung leisten,
wurde von Evans und Wilshire eine vereinfachte Beschreibung der Kriechkurve
über das sogenannte Theta-Konzept vorgeschlagen [324, 325]

ε = θ 1 [ 1 – exp ( – θ 2 ⋅ t ) ] + θ 3 [ exp ( – θ 4 ⋅ t ) – 1 ] , (5.40)

welches auf der additiven Überlagerung zweier Exponentialfunktionen besteht,


die über vier Parameter θ 1 …θ 4 charakterisiert werden, welche aufgrund dieser
völlig empirischen Kurvenbeschreibung keinen physikalischen Bezug mehr besit-
zen und anhand experimentell gewonnener Kriechkurven als spannungs- und tem-
peraturabhängige Größen gewonnen werden müssen.
5.4 Hochtemperaturplastizität 185

Alle in den Gleichungen (5.32) - (5.40) dargestellten empirischen Beschreibun-


gen der Kriechkurve beziehen sich auf den Beanspruchungsfall σ, T = const. ,
welcher in praktischen Beanspruchungsfällen in der Aufbau- und Verbindungs-
technik der Elektronik jedoch selten vorhanden ist. Dennoch bestehen verschie-
dene Bemühungen [326 - 328], die aus den Kriechkurven gewonnenen Parameter
zur Beschreibung des transienten Verformungsverhaltens von Sn-basierten-Loten
in elektronischen Aufbauten einzusetzen. Am weitesten gehen dabei die Arbeiten
von Deplanque [328], der versucht, über eine Verformungs-Zeit-Relation auch eine
Veränderung der Spannungsbeanspruchung bei der Beschreibung des transienten
Verformungsverhaltens zu berücksichtigen.
Eine andere Möglichkeit, transientes Verformungsverhalten zu beschreiben,
besteht in der Verwendung viskoplastischer Stoffgesetze. Wippler, Kullig und
Kuna [329] haben dabei eine auf den Materialmodellen von Chaboche [330] beru-
hende Materialroutine für das FEM-Programm ABAQUS entwickelt und auf der
Basis von verschiedenen Experimenten an SnAgCu-Lot kalibriert.

5.4.3 Grundmechanismen

5.4.3.1 Kinetik der Versetzungsbewegung und Strukturentwicklung

Um einen Zusammenhang zwischen den phänomenologisch beobachteten


Erscheinungsformen der zeitabhängigen Verformung und ihren physikalischen
Grundmechanismen herstellen zu können, ist es wichtig, zwischen der Kinetik zeit-
abhängiger (und gleichzeitig temperaturabhängiger) plastischer Verformung für
eine konstante Struktur und der Kinetik der Strukturentwicklung zu unterscheiden.
Der Unterschied zwischen der Kinetik konstanter und variabler Strukturen wurde
über verschiedene Experimente verdeutlicht [331, 332]. Am deutlichsten geht er
aus dem in Abb. 5.16 dargestellten transienten Kriechexperiment hervor. Die bei-
den gestrichelten Linien zeigen die zeitabhängige Verformungsreaktion für den
Fall einer konstanten Spannungsbeanspruchung zweier verschiedener Spannungs-
niveaus. Die Volllinien zeigen hingegen die zeitabhängige Verformungsreaktion,
wenn während des Kriechexperiments die Beanspruchung zwischen diesen beiden
Spannungsniveaus hin und her wechselt. Dabei ist zu erkennen, dass im Fall der
Spannungsreduzierung von σ1 auf σ2 die Verformungsgeschwindigkeit unter den
Wert der zugehörigen Verformungsgeschwindigkeit bei einer konstanten Span-
nungsbeanspruchung mit σ2 fällt. Dies zeigt, dass bei zeitabhängiger Verformung
bei einer höheren Beanspruchung ( σ1 ) eine „härtere“ Struktur entwickelt wird,
welche der Verformung einen höheren Widerstand entgegensetzt. Im Zeitpunkt der
Beanspruchungsreduzierung bleibt diese Struktur erhalten, woraus sich eine
zunächst niedrigere Verformungsrate als bei der gleichen Beanspruchung mit
jedoch niedrigerer Beanspruchungsvorgeschichte ergibt. Bei Aufrechterhaltung
dieser niedrigeren Beanspruchung ( σ2 ) erhöht sich jedoch mit zunehmender Ver-
186 5 Plastische Verformung

10-2

4,31 MPa

10-3
Kriechrate [1/s]

10-4

2,84 MPa

10-5
0 0,08 0,16 0,24
Kriechdehnung

Abb. 5.16 Transientes Kriechverhalten, verbunden mit Spannungsänderungen [331, 332]

formung die Verformungsrate wieder und läuft gegen den Wert der Verformungs-
geschwindigkeit bei konstanter Beanspruchung mit σ2 . Wird daraufhin die Bean-
spruchung wieder von σ2 auf σ1 gesteigert, so ergibt sich aus der nun
vorhandenen „weicheren“ Struktur eine gegenüber dem Fall mit konstanter Bean-
spruchung ( σ1 ) höhere Verformungsrate, welche sich im Verlauf einer weiteren
Verformung wieder auf den Wert der Verformungsrate bei konstanter Beanspru-
chung σ1 absenkt.

5.4.3.2 Versetzungsstruktur

Um einen Zusammenhang zwischen der Versetzungsbewegung und der makro-


skopisch erfassbaren Verformung herzustellen, wurde in 5.2.2.1 die Orowan-Glei-
·
chung (5.8) verwendet, welche die Schergeschwindigkeit γ in Abhängigkeit von
der Versetzungsdichte aller beweglichen Versetzungen ρ m und deren durch-
schnittlicher Geschwindigkeit v darstellt. Wird ein Kriechversuch betrachtet, so
ändern sich die Beträge von ρ m und v infolge der Verformung und müssen daher
als zeitabhängige Größen behandelt werden. Neben dieser Zeitabhängigkeit exis-
tiert jedoch auch noch eine Ortsabhängigkeit, wenn nicht die globale Verformung
des gesamten Probekörpers, sondern eine lokale Verformungsrate betrachtet wird.
Die makroskopisch beobachtete plastische Verformung ergibt sich aus einer hete-
5.4 Hochtemperaturplastizität 187

rogenen lokalen Abgleitung. Obwohl momentan noch keine durchgehende Theorie


existiert, gibt es zahlreiche experimentelle Befunde, die zeigen, dass es zwischen
der makroskopisch beobachteten Verformungsgeschwindigkeit und der über
mikrostrukturanalytische Verfahren (TEM, SAED, EBSD) ermittelten Verset-
zungsstruktur einen Zusammenhang gibt.
Nach dem momentanen Erkenntnisstand zur Entwicklung der Versetzungsstruk-
tur bei der plastischen Verformung von Metallen bei erhöhten Temperaturen
erhöht sich mit dem Beginn der plastischen Verformung zunächst die Gesamtver-
setzungsdichte. Durch die Wechselwirkungen zwischen den Versetzungen kann es
zum Aufbau von Zellwänden mit geringem Orientierungsunterschied Θ kommen.
Wird weiterhin von einem polykristallinen Werkstoff ausgegangen, in welchem die
Fehlwinkel zwischen Körnern zwischen Θ = 10° - 62° betragen, so bilden sich
innerhalb dieser Körner Subkörner aus, deren niedrig-energetische Korngrenzen
durch die Versetzungswechselwirkungen während der Kriechverformung gebildet
werden. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass die Fehlwinkel der Subkorn-
grenzen Θ ≤ 1° betragen.
Aus der Bildung von Subkörnern folgt, dass die Mikrostruktur von polykristalli-
nen Metallen nicht allein durch die durchschnittliche Korngröße, sondern für den
Fall der Kriechverformung auch durch die durchschnittliche Subkorngröße λ , den
durchschnittlichen Fehlwinkel der Subkorngrenzen Θ λ und die Dichte der nicht in
den Subkorngrenzen befindlichen Versetzungen ρ f gekennzeichnet ist.

5.4.3.3 Mechanismencharakteristik der Verformungskinetik

Wenn, wie in 5.4.1 dargestellt, die plastische Verformung eines Werkstoffs bei
höheren Materialtemperaturen unter Wirkung einer konstanter Last hervorgerufen
wird, so lässt sich experimentell in der Regel eine Verformungsreaktion beobach-
ten, welche sich in drei Bereiche unterteilen lässt (vgl. Abb. 5.14). Nachdem der
erste Bereich bzw. das primäre Kriechen, in welchem sich das Material durch
Änderungen in der Versetzungsstruktur verfestigt, durchlaufen wurde, beginnt der
zweite Bereich bzw. das sekundäre Kriechen bzw. das quasistatische Kriechen. In
diesem Bereich kommt es zu keiner weiteren Materialverfestigung. Aufgrund der
komplexen Vorgänge während der Strukturentwicklung im ersten Bereich ist es
zweckmäßig, anstelle einer Gesamtbeschreibung eingeschränkte Beschreibungen
bestimmter Verformungszustände anzufertigen. Anfang der 1950er Jahre wurde
erkannt, dass die Charakterisierung des Kriechverhaltens über den Zusammenhang
zwischen der quasistatischen Verformungskinetik und bestimmten Beanspru-
chungsparametern, wie Scherspannung τ und der Temperatur T , sehr nützlich ist.
Auf der Basis dieser Zusammenhänge war es möglich, verschiedene Arten der
plastischen Hochtemperaturverformung zu klassifizieren und diese über experi-
mentell gestützte theoretische Betrachtungen zu werkstoffphysikalischen Grund-
mechanismen identifizieren zu können.
188 5 Plastische Verformung

Die Vorstellungen über bestimmte Grundmechanismen der Verformung und


ihre Zuordnung zu bestimmten Werkstoffklassen waren eine elementare Voraus-
setzung, um überhaupt geeignete Methoden zur experimentellen Untersuchung der
Hochtemperaturplastizität sowie Ansätze zur Modellierung des Verformungsver-
haltens zu finden. Durch die vielfältigen gegenseitigen Abhängigkeiten der die
Hochtemperaturverformung von metallischen Werkstoffen bestimmenden physika-
lischen Parameter, wie Spannung, Dehnungsgeschwindigkeit, Temperatur und
Werkstoffstruktur, ergäbe sich für die Charakterisierung der Hochtemperaturver-
formung eines bestimmten Werkstoffes ein nahezu nicht beherrschbares Experi-
mentalprogramm, lägen nicht Vorstellungen über das zu erwartende qualitative
Verformungsverhalten vor. Für diese experimentelle Charakterisierungsaufgabe
hat sich die Beschreibung der Verformungskinetik über drei Parameter etabliert -
die mechanische Spannung σ , die Temperatur T und einen Mikrostrukturparame-
ter, wie z. B. die Korngröße d g , den Phasenabstand d λ oder die Größe von Aus-
scheidungen d p . Dazu wird üblicherweise der Betrag der quasistatischen Kriech-
·
geschwindigkeit ε ss über folgende Beziehung bestimmt

· A⋅D⋅G⋅b b p σ n
εss = ---------------------------- ⋅ § -----· ⋅ § ----· , (5.41)
k⋅T © d g¹ © G¹

wobei D dem Diffusionskoeffizienten entspricht (mit D = D 0 ⋅ exp ( – Q ⁄ RT ) .


Q entspricht der Aktivierungsenergie, R ist die Gaskonstante und D 0 stellt die
spezifische Diffusionsgeschwindigkeit dar, G der Schermodul bei der entspre-
chenden Temperatur T ist, b den Burgersvektor darstellt, k der Boltzmannkon-
stante entspricht und A ein dimensionsloser Vorfaktor ist. Die Charakteristik eines
vorherrschenden Kriechmechanismus lässt sich anhand der beiden Exponenten
ablesen, welche als inverser Korngrößenexponent p und als Spannungsexponent
n bezeichnet werden. Da die Kriechverformung in der Regel mit spezifischen Dif-
fusionsmechanismen verbunden ist, gibt die im Diffusionskoeffizienten D implizit
enthaltene Aktivierungsenergie Q Auskunft über den der Kriechverformung
zugrunde liegenden Mechanismus, wenngleich dieser Wert oft weniger eindeutig
ist als die sehr charakteristischen Werte für p und n [247].
Im Gegensatz zur Niedertemperaturplastizität, die durch die Wechselwirkung
der Versetzungsbewegung mit bestimmten Elementen der Werkstoffstruktur (z. B.
Gitter, Korngrenzen) gekennzeichnet war, können bei der Hochtemperaturplastizi-
tät verschiedene Wechselwirkungen zwischen den unterschiedlichen Elementen
der Werkstoffstruktur (z. B. Gitter, Leerstellen, Versetzungen, Korngrenzen, Aus-
scheidungen) gleichzeitig auftreten und darüber hinaus kooperativ zusammenwir-
ken, was eine eindeutige Zuordnung oft erschwert. In der Regel treten die mit einer
Versetzungsbewegung verbundenen Mechanismen vor allem innerhalb einzelner
Körner auf. Diese intergranularen Mechanismen repräsentieren häufig den Haupt-
mechanismus der Hochtemperaturverformung, wenn von üblichen Belastungsbe-
dingungen ausgegangen wird. Unter besonderen Voraussetzungen kann jedoch
auch ein Abgleiten einzelner Körner entlang ihrer Korngrenzen stattfinden. Ebenso
5.4 Hochtemperaturplastizität 189

Tabelle 5.1 Mechanismencharakteristik der Verformungskinetik bei hohen Temperaturen [247]

Mechanismus Q p n Kornde- Korngrenz- Quelle


formtion effekte

Intragranulare Versetzungsbewegungsmechanismen (Abgleiten von Kristallebenen)

Versetzungsklettern QV 0 4,5 ja nein [266]

Gleiten und Klettern von Versetzungen QV 0 3 ja nein [267]

Haper-Dorn-Kriechen QV 0 1 ja nein [268]

Korngrenzengleiten (Abgleiten verschiedener Körner gegeneinander)

Korngrenzengleiten bei Kriechverformung QV 1 3 nein ja [269]

Korngrenzengleiten bei Superplastizität Q KG 2 2 nein ja [269]

Diffusionskriechen

Nabarro-Heering-Kriechen QV 2 1 ja ja [262],
[263]

Coble-Kriechen Q KG 3 1 ja ja [264]

kann der Leerstellendiffusion eine dominante Rolle zukommen, wenn die homolo-
gen Materialtemperaturen zwar hoch, jedoch die mechanischen Beanspruchungen
sehr niedrig sind. Tabelle 5.1 gibt einen kurzen Überblick über verschiedene
Mechanismen mit den dazugehörigen charakteristischen Werten für Q , p und n
sowie ihre Zuordnung zu intergranularen Versetzungsbewegungsmechanismen,
Korngrenzengleiten und Diffusionskriechen.

5.4.3.4 Charakteristik intragranularer Versetzungsbewegungsmechanismen

Als intragranulare Mechanismen werden solche verstanden, welche nur durch


Wechselwirkung mit Strukturelementen entstehen, welche in der Strukturhierar-
chie (vgl. 3.2.1) unterhalb von Körnern angesiedelt sind. Die plastische Verfor-
mung der meisten ingenieurtechnisch verwendeten polykristallinen Werkstoffe
lässt sich bei hohen Temperaturen sehr oft auf intragranulare Versetzungsbewe-
gungen zurückführen, da diese in der Regel sehr große Körner besitzen. In Werk-
stoffen mit einer feinen Kornstruktur - wie sie aufgrund der allgemeinen Struk-
turabmessungen in elektronischen Aufbauten gewöhnlich vorkommen - können
intragranulare Mechanismen dann von Bedeutung sein, wenn nur ein Korn bzw.
wenige Körner über dem Querschnitt der Werkstoffstruktur zu finden sind, da
diese dann wie einkristalline Materialien behandelt werden müssen.
Nachdem Anfang der 1950er Jahre aus experimentellen Befunden klar gewor-
den war, dass sich die plastische Verformung metallischer Werkstoffe bei erhöhten
190 5 Plastische Verformung

Temperaturen von der bei niedrigen Temperaturen unterscheidet [333], bestand das
Bemühen, diese auch theoretisch nachvollziehen zu können. Die Aufgabenstellung
einer solchen theoretischen Modellbetrachtung bestand grundlegend darin, zu
erklären, wodurch es ohne Spannungssteigerung zu einem kontinuierlichen Abglei-
ten von Kristallebenen kam und weshalb die Geschwindigkeit dieses Abgleitvor-
ganges mit einem Mechanismus zusammenhing, der selbst durch Prozesse der
Festkörperdiffusion bestimmt war.
In einem ersten theoretischen Modell ging Weertman [270] davon aus, dass sich
Vesetzungsaufstauungen (pile-ups) an unbeweglichen Versetzungskonfigurationen
(Lomer-Cottrell-Versetzungen) bilden, welche gleichmäßig im Kristall verteilt
sind. Da die Existenz von Lomer-Cottrell-Versetzungen jedoch experimentell nicht
bewiesen werden konnte, entwickelte Weertman [271, 272] eine modifizierte Vari-
ante dieses Modells, welche davon ausgeht, dass Versetzungsringe auf verschiede-
nen Gleitebenen von gleichmäßig verteilten Quellen (z. B. Frank-Read-Quellen)
emittiert werden (siehe Abb. 5.17). Durch die Spannungsfelder um die Verset-
zungsringe entstehen verschiedene Wechselwirkungen, wenn zwei Ringe auf
benachbarten Ebenen einander passieren wollen. Durch ihre Fähigkeit zum Quer-
gleiten annihilieren sich passierende Schraubenversetzungssegmente, wenn diese
ein unterschiedliches Vorzeichen aufweisen. Dieses Annihilieren der Schrauben-
versetzungssegmente blockiert wiederum die Bewegung der verbleibenden Stufen-
versetzungssegmente, welche sich infolgedessen aufstauen und dadurch eine Rück-
spannung erzeugen, die die Emission neuer Versetzungsringe zum Erliegen bringt.
Im Modell wird nun angenommen, dass die äußersten Stufenversetzungssegmente
der Versetzungsringaufstauung durch Kletterprozesse annihilieren, wodurch wie-
derum ein neuer Versetzungsring durch die Quelle emittiert werden kann. Unter
der in 5.2.2.3 ausgeführten Annahme, dass kletternde Versetzungen je nach Rich-
tung Leerstellen absorbieren bzw. generieren, entsteht eine vom Kletterprozess und
damit von der Leerstellendiffusion abhängige Verformungskinetik mit einem
Spannungsexponenten von n = 4,5 und einer Aktivierungsenergie, die der Volu-
mendiffusion entspricht (Q = Qv).
In späteren Versionen seines Modells modifiziert Weertman wiederum seine
Vorstellungen über die Versetzungsanordnung, da experimentelle Beobachtungen
keine Hinweise auf Versetzungsaufstauungen geben [252, 265]. Dies ändert jedoch
nichts an der ermittelten Spannungsabhängigkeit der Verformungsrate mit n = 4,5.
Diese kommt allerdings durch die Annahme einer konstanten und von der wirken-
den Spannung unabhängigen Dichte von Versetzungsquellen zustande. Verwirft
man diese experimentell nicht zu belegende Idee, so gelangt man zu den bereits in
5.2.2.3 ausführlich dargestellten Modellvorstellungen über einen kletterprozes-
skontrollierten quasistatischen Kriechprozess mit einem Spannungsexponenten
von n = 3 und einer Aktivierungsenergie, die der Volumendiffusion Q V entspricht.
Aufgrund der intragranularen Betrachtungsweise dieses Modells existiert keine
Korngrößenabhängigkeit, d. h. der Korngrößenexponent p = 0.
Ein anderer theoretischer Ansatz für intragranulare Versetzungsbewegungsme-
chanismen stützt sich auf die Bewegung von Schraubenversetzungen mit Sprün-
5.4 Hochtemperaturplastizität 191

Abb. 5.17 Modellvorstellung eines intergranularen Kletter- und Gleitprozesses nach Weertman
[271]

gen. Die bekanntesten Arbeiten stammen dabei von Barett und Nix [273]. Ausge-
hend von der Annahme, dass Sprünge in Schraubenversetzungen, welche sich nicht
innerhalb einer selben Gleitebene befinden, nur bewegt werden können, wenn
Leerstellen emittiert werden, ergibt sich eine Erhöhung der Leerstellenkonzentra-
tion gegenüber der Gleichgewichtskonzentration in der Umgebung der Sprünge. Es
wird weiterhin davon ausgegangen, dass die Rückstellkraft auf den Sprung gleich
der wirkenden äußeren Kraft ist, woraus sich analog zu den Betrachtungen von
Weertman (vgl. 5.2.2.3, Gleichung (5.15) - (5.22)) eine entsprechende Rate für das
Klettern von Schraubenversetzungen berechnen lässt. Dadurch, dass die Abhängig-
keit der Versetzungsdichte von Schraubenversetzungen mit der dritten Potenz
angenommen wird, gelangt der Ansatz zu einem Spannungsexponenten von n = 4.
Neuere Ansätze beruhen auf komplexeren Gleichungssystemen, welche die par-
allele Wirkung mehrerer Mechanismen unter Ausbildung spezifischer infolge plas-
tischer Verformung entstehender werkstoffstruktureller Elemente, z. B. Verset-
zungsdipole, berücksichtigt. Für diese komplexen Ansätze ergeben sich jedoch nur
nummerische Lösungen. Diese sagen Spannungsexponenten im Bereich von
n = 3 ... 4 voraus [274, 275].
In einer Betrachtung einer großen Anzahl vorliegender Kriechdaten kommen
Frost und Ashby in [33] zu dem Schluss, dass das theoretisch beschriebene Verfor-
mungsverhalten eher eine Ausnahme ist, da experimentell für die meisten Metalle
und Legierungen ein charakteristischer Spannungsexponent zwischen n = 4…10
bestimmt wurde. In einer neueren Analyse jüngerer Kriechdaten von Al, Cu und
Cr0,5Mo0,5V0,25-Stahl gelangt Wilshire [246] zu der Aussage, dass der Span-
nungsexponent bei mittleren Spannungen bei n ≥ 4 liegt. Blum [245] widerspricht
jedoch der Anschauung, dass tatsächlich eine Diskrepanz zwischen der theoreti-
schen Beschreibung und der experimentellen Charakterisierung des Kriechverhal-
tens vorliegt, indem eine nichtadäquate Versuchsführung als Ursache für die ermit-
telten Unterschiede verantwortlich gemacht wird. Dabei argumentiert er, dass der
192 5 Plastische Verformung

Zustand einer quasistatischen Kriechverformung, welcher allein durch ein Gleich-


gewicht zwischen der Generation und Annihilierung von Versetzungen gekenn-
zeichnet ist, bei gleichzeitigem Auftreten dynamischer Rekristallisationsvorgänge,
wie sie bei hohen Spannungen und Temperaturen vorkommen, nicht erreicht wer-
den kann. Viele Modellmaterialien, wie z. B. Cu, Ni, Ag, neigen jedoch zu starken
Rekristallisationserscheinungen. Eine Ausnahme bilden jedoch Al und α -Fe. Tat-
sächlich konnte ein Spannungsexponent von n = 3 an Aluminiumproben bei
niedrigen Spannungen nachgewiesen werden [260, 261]. Ein zum theoretischen
Ansatz adäquates Experiment verlangt seiner Ansicht nach die Aufrechterhaltung
einer konstanten Versetzungsstruktur, was versuchsmethodisch jedoch sehr
schwierig ist.

5.4.3.5 Charakteristik von Korngrenzgleitprozessen

Beim Korngrenzengleiten, d. h. beim Abgleiten von Körnern gegeneinander,


handelt es sich um einen Prozess, der auf einer hohen Ebene der Strukturhierarchie
stattfindet. Um einen solchen Verformungsmechanismus unter Beibehaltung der
allgemeinen Strukturintegrität eines Werkstoffes zu ermöglichen, sind jedoch
begleitende Prozesse notwendig, welche von niedriger gestellten Elementen der
Strukturhierarchie, z. B. Leerstellen und Versetzungen, getragen werden. Korn-
grenzgleitprozesse werden vor allem in Zusammenhang mit superplastischer Ver-
formung von metallischen Werkstoffen diskutiert. Zum Erreichen sehr hoher Ver-
formungsgrade (mehrere hundert bis tausend Prozent) müssen unter
kontinuumsmechanischen Gesichtspunkten, z. B. bei der Betrachtung eines Zug-
versuches, besondere Bedingungen erfüllt werden. Dies lässt sich am einfachsten
nachvollziehen, wenn der Zusammenhang zwischen der zeitabhängigen Proben-
verlängerung dl ⁄ dt und der bei einsetzender Kriechverformung der Probe zu
erwarteten Versuchskraft F in einer vereinfachten impliziten Form aufgestellt
wird:

dl n
----- ⋅ 1
--- = C ⋅ § F
---· , (5.42)
dt l © A¹

Hierbei entspricht l der Probenlänge, A dem Probenquerschnitt, C einer tem-


peratur- und gefügeabhängigen Konstanten und n dem Spannungsexponenten.
Wird in Gleichung (5.42) die erste Zeitableitung der Gleichung zur Berechnung
des Probenvolumens eingesetzt (unter Annahme eines konstanten Probenvolumens
während des gesamten Zugversuches)

dl
----- ⋅ 1
1
--- = – dA
------- ⋅ --- , (5.43)
dt l dt A
5.4 Hochtemperaturplastizität 193

so ergibt sich eine Beziehung für die Abhängigkeit der Querschnittsverjün-


gungsrate – d A ⁄ d t vom Probenquerschnitt A

dA n (1 – n)
– ------- = C ⋅ F ⋅ A (5.44)
dt

Aus Gleichung (5.44) kann abgeleitet werden, dass die auf Versetzungsgleiten
und -klettern basierenden Verformungsmechanismen n ≥ 3 zu einer Beschleuni-
gung der Verjüngungsrate bei abnehmendem Probenquerschnitt führen (d. h.
selbstbeschleunigende Einschnürung), die um so stärker wird je höher n ist. Infol-
gedessen werden bei monotoner plastischer Verformung nur geringe Bruchdehnun-
gen erreicht. Bei auf Diffusionsprozessen ( n = 1 , Coble- oder Nabarro-Herring-
Kriechen) basierenden Verformungsmechanismen ist die Verjüngungsrate unab-
hängig vom Probenquerschnitt (d. h. stabile Einschnürung), wodurch sehr große
Verformungen erzielt werden könnten. Allerdings sind die geringen Verformungs-
geschwindigkeiten dieser Mechanismen irrelevant für die meisten technischen
Belange. Bei Korngrenzgleitprozessen beträgt n = 2…3 . Hierdurch schreitet die
Einschnürung zwar konstant fort, allerdings beschleunigt sich dieser Prozess kaum
selbst. Dadurch sind größere Verformungen als bei auf Versetzungsgleiten und -
klettern basierenden Verformungsmechanismen möglich. Pearson [276] war einer
der Ersten, der superplastische Verformung an speziell präparierten SnPb- und
SnBi-Legierungen nachwies. Voraussetzung für das Zustandekommen superplasti-
scher Verformung sind jedoch bestimmte Gefügemerkmale und Verformungsbe-
dingungen [277], wie geringe Korngröße (d < 10 μm) und globulare Kornform,
hohe Verformungstemperaturen T > 0,5 Ts und moderate Verformungsraten ε/
dt = 10-2 ... 10-6.
Die der superplastischen Verformung zugrunde liegenden physikalischen
Mechanismen sind zum Teil umstritten [278]. Viele Autoren gehen allerdings von
Korngrenzengleiten und Korngrenzenmigration als den grundlegenden Mechanis-
men aus [45, 277, 279, 280], welche sich aufgrund der Größe von Körnern gut
experimentell beobachten lassen.
Das Prinzip des Korngrenzengleitens ist schematisch in Abb. 5.18 dargestellt.
Die Verschiebung findet in allen drei Raumrichtungen (x, y, z) gleichzeitig statt.
Der Spannungsvektor zeigt dabei entweder schräg zur Abgleitfläche (entspre-
chende Korngrenze) oder liegt in der Ebene dieser Fläche. In der Regel sind der
Abgleitvektor a und der Spannungsvektor und die Raumwinkel θ, ϕ gegeneinan-
der verdreht. Diese Verdrehung, welche für gleichzeitig ablaufende Einzelabgleit-
prozesse jeweils unterschiedlich ist, macht eine Modellbetrachtung des Korngren-
zengleitens sehr schwierig. Die offensichtliche Komplexität von
Korngrenzenabgleitmechanismen führt jedoch zu der These, dass dieser Prozess
nur in Verbindung mit anderen Verformungsmechanismen stattfinden kann. Da
reale polykristalline Materialien mannigfaltige Individualformen von Körnern auf-
weisen, ist der Abgleitprozess nur in Zusammenhang mit Prozessen der Korngren-
zenmigration vorstellbar, welche wiederum Versetzungs- oder Leerstellenbewe-
194 5 Plastische Verformung

Korn 1 q

w Korn 2
s
a
v
y s
u

A A
w
s

B B

Abb. 5.18 Schematische Darstellung eines Abgleitprozesses zwischen zwei Körnern, wobei a der
Abgleitvektor zwischen Korn 1 und Korn 2 ist und u, v und w die Verschiebungen in x-, y- und z-
Richtung charakterisieren (aus [247]).

gungen voraussetzen. Vorstellungen über das Zusammenwirken von


Leerstellenbewegung und Korngrenzengleiten sind schematisch in Abb. 5.19 dar-
gestellt. Die linke Abbildung skizziert dabei den Fall für einen Werkstoff mit ver-
hältnismäßig großen Körnern, welche eine Subkornbildung innerhalb des Korns
erlauben. Die Bewegung von Versetzungen entlang der Korngrenze führt zu einem
Aufstau am Tripelpunkt A. Die dadurch hervorgerufene Spannungskonzentration
aktiviert die Versetzungsbewegung im Nachbarkorn. Diese führt zu intergranula-
ren Mechanismen der Versetzungsbewegung, welche, wie in 5.4.3.4 beschrieben,
durch Kletterprozesse bestimmt werden. Diese bestimmen wiederum die
Geschwindigkeit des Abgleitens, sodass der Gesamtverformungsprozess durch
einen Spannungsexponenten von n = 3 und eine Aktivierungsenergie, die der Volu-
mendiffusion Q V entspricht, charakterisiert ist. Es existiert eine Korngrößenab-
hängigkeit mit p = 1.
Wenn die Körner allerdings so klein werden, dass intragranulare Mechanismen
nicht mehr zum Tragen kommen können, führt die durch den Versetzungsaufstau
hervorgerufene Spannungskonzentration im Korngrenzentripel A zu einer Verset-
zungsaufstauung an der gegenüberliegenden Korngrenze in Punkt B (rechte Skizze
in Abb. 5.19). Versetzungen dieser Aufstauung klettern in die Korngrenze. Dieser
Mechanismus kontrolliert die Geschwindigkeit des Abgleitprozesses, welcher
infolgedessen durch einen Spannungsexponenten von n = 2 und eine Aktivierungs-
energie, die der Korngrenzendiffusion Q KG entspricht, charakterisiert ist. Es exis-
5.4 Hochtemperaturplastizität 195

d >l d<l

(a) (b)

D
B
A C

(c) (d) (e)

Abb. 5.19 Schematische Darstellung von Rachinger-Korngrenzengleiten für große Körner (a), in
denen eine Subkornbildung stattfindet, und Korngrenzengleiten für kleine Körner ohne Subkorn-
bildung (b-e) [247]

tiert jedoch eine Korngrößenabhängigkeit mit p = 2. Im Gegensatz zum davor


beschriebenen Mechanismus resultiert die Gesamtverformung ausschließlich auf
Korngrenzengleiten, da intragranulare Mechanismen aufgrund der kleinen Korn-
größe nicht stattfinden können.

5.4.3.6 Charakteristik von Diffusionsmechanismen

Um plastische Deformation von metallischen Werkstoffen zu erklären, wird in


der Regel die Kinetik der Versetzungsbewegung betrachtet (vgl. 5.2.1), da Verset-
zungen als Träger plastischer Verformungsinkremente angesehen werden. Es gibt
jedoch auch die Möglichkeit, dass plastische Verformung ohne Beteiligung von
Versetzungen hervorgerufen wird, indem ein beanspruchungsgerichteter Massen-
transport durch Festkörperdiffusion stattfindet. Die Ersten, die die Möglichkeit
eines solchen Mechanismus theoretisch in Betracht zogen, waren Nabarro [262]
und Herring [263]. Später betrachtete Coble [264] die Möglichkeit eines beanspru-
chungsgerichteten Massentransportes, welcher anders als bei den Betrachtungen
von Nabarro und Herring nicht durch das Kristallgitter, sondern über Korngrenzen
erfolgt.
Das Zustandekommen eines gerichteten Massentransportes kann sehr einfach
verstanden werden, wenn, wie in Abb. 5.20 skizziert, ein kubischer Einkristall an
zwei gegenüberliegenden Seiten einer Zugspannung σ z ausgesetzt wird, während
196 5 Plastische Verformung

(a) (b)

Leerstellenfluss entleerte
Zone

Einlagerungs-
zone

Abb. 5.20 Prinzip diffusionskontrollierter plastischer Verformung: a) Leerstellenfluss innerhalb


eines idealisiert gedachten kubischen Einkristalls bzw. entlang seiner Korngrenzen, b)
Entwicklung von entmischten Gebieten durch gerichtete Festkörpertransportmechanismen [247]

auf alle orthogonal dazu verlaufenden Seiten eine Druckspannung σ d wirkt.


Gleichzeitig wird angenommen, dass der Einkristall keine Versetzungen enthält
und dass alle Quellen und Senken für Leerstellen sich an den Kristalloberflächen
befinden. Vergleicht man die Erzeugung einer Leerstelle an der Oberfläche mit der
Entfernung eines Atoms aus dem Kristallgitter, so wird klar, dass bei der Diffusi-
onsbewegung dieses Atoms zu einer unter Druckspannung stehenden Oberfläche
Arbeit mit dem Betrag von σd Ω verrichtet wird, wobei Ω dem Atomvolumen ent-
spricht. Damit entsteht an den Druckspannungsflächen eine gegenüber dem ther-
modynamischen Gleichgewicht verringerte Leerstellenkonzentration mit

Q +σd ⋅ Ω
c v = c 0 ⋅ exp § – ------v-· ⋅ exp § -----------------·
d-
(5.45)
© KT¹ © kT ¹

An den Zugspannungsflächen kommt es analog zu einer Erhöhung der Leerstel-


lenkonzentration mit

Q – σz ⋅ Ω
= c 0 ⋅ exp § – ------v-· ⋅ exp § ----------------·
d+
cv (5.46)
© KT¹ © kT ¹

Dieser Unterschied in der Leerstellenkonzentration zwischen Zug- und Druck-


flächen führt zu dem in Abb. 5.20 a) skizzierten Leerstellenfluss, welcher entweder
durch den Kristall oder über die Korngrenzen erfolgen kann. Der in der Gegenbe-
wegung zum Leerstellenfluss stattfindende Atomtransport führt zu einer Ablage-
rung von Atomen an den Druckflächen sowie zu einer Anlagerung an den Zugflä-
chen, in dessen Folge eine Streckung des Einkristalls in Zugrichtung und eine
Stauchung in Druckrichtung entsteht. Für den Fall des Leerstellenflusses durch das
5.4 Hochtemperaturplastizität 197

Kristallgitter (Nabarro-Herring-Kriechen) ist der Gesamtverformungsprozess


durch einen Spannungsexponenten von n = 1 und eine Aktivierungsenergie, die der
Volumendiffusion Q V entspricht, charakterisiert. Die Korngrößenabhängigkeit
beträgt p = 2. Für den Fall des Leerstellenflusses entlang der Korngrenze (Coble-
Kriechen) ist der Gesamtverformungsprozess durch einen Spannungsexponenten
von n = 1 und eine Aktivierungsenergie, die der Korngrenzendiffusion Q KG ent-
spricht, charakterisiert. Die Korngrößenabhängigkeit beträgt p = 3.
Ein weiteres Merkmal des Diffusionskriechens ist in Abb. 5.20 b) skizziert.
Wenn ein durch Diffusionskriechen verformter Werkstoff gleichmäßig verteilte
harte Ausscheidungen bzw. Teilchen enthält, kommt es dort, wo der Werkstoff
durch Zugspannungen gestreckt wird, zu einer Verarmung an diesen Ausscheidun-
gen bzw. Teilchen, während es an den Druckspannungsflächen zu einer Anreiche-
rung kommt.
Um bei der durch Diffusionskriechen hervorgehobenen Streckung von Körnern
in Zugrichtung sowie ihre Stauchung in Druckrichtung nicht die strukturelle Inte-
grität des Werkstoffs zu verlieren, d. h., um eine Porenbildung in den Korngrenzen
zu verhindern, ist eine laterale Verschiebung der Körner gegeneinander notwendig.
Dieser Prozess wird im Allgemeinen als Lifshitz-Gleiten bezeichnet. Obwohl er
phänomenologisch sehr stark dem in 5.4.3.5 besprochenen Prozess des Rachinger-
Gleitens ähnelt, ist er auf einen grundlegend anderen physikalischen Hintergrund
zurückzuführen. Lifshitz-Gleiten erlaubt die beim Diffusionskriechen entstehenden
Formveränderungen der Körner, wobei es jedoch nicht zu einer Veränderung der
Kornanzahl kommt.

5.4.3.7 Mechanismencharakteristik in Legierungen

Die bisherige Behandlung der Mechanismencharakteristik der Versetzungsbe-


wegung bezog sich auf reine Metalle, wenngleich einige der besprochenen Mecha-
nismen, z. B. Korngrenzengleiten, auch in mehrphasigen Metallen, d. h. in Legie-
rungen, stattfinden. Generell ist die Beschreibung der Versetzungsbewegung in
Legierungen, d. h. in der Mehrzahl technisch angewendeter metallischer Werk-
stoffe, schwierig, da es aufgrund ihres vielschichtigen Aufbaus (vgl. 3.2.1) zu einer
großen Anzahl verschiedener Wechselwirkungen kommen kann, welche sich
neben den Problemen in der theoretischen Beschreibung vor allem sehr schwer
experimentell nachweisen lassen, da die verschiedenen Strukturelemente eines
mehrphasigen Stoffgemischs selten in klar definierten geometrischen Formen bzw.
Größen vorliegen. Zu den für die Kinetik der Versetzungsbewegung in Legierun-
gen wichtigsten Wechselwirkungen zählen solche mit gelösten Substitutionsato-
men (vgl. 3.2.3.2), Ausscheidungsteilchen (vgl. 3.2.3.7) oder Teilchen einer zwei-
ten Phase (vgl. 3.2.3.5).
Aus versetzungstheoretischer Sicht ist es zunächst unerheblich, mit welchen
Hindernissen, d. h. gelösten Fremdatomen oder Fremdteilchen, die Versetzungen
wechselwirken. Der Mechanismus, mit dem es einer Versetzung gelingt, ein Hin-
198 5 Plastische Verformung

dernis zu überwinden, hängt von der Steifheit der Versetzung und der Hindernis-
stärke, genauer vom Verhältnis zwischen der Hinderniskraft F und der Verset-
zungslinienspannung T , ab. Wenn die maximale Hinderniskraft ( F max = 2 ⋅ T )
infolge der Wechselwirkung zwischen Versetzungen mit einem Hindernis entste-
hen kann, so wird dieses als hart (bzw. nicht schneidbar) betrachtet und muss durch
die Versetzungslinie umgangen werden. Bei dieser als Orowan-Mechanismus
bezeichneten Hindernisumgehung biegt sich die Versetzungslinie durch, sodass
hinter einem Hindernis zwei Liniensegmente entgegengesetzten Vorzeichens in
eine antiparallele Position kommen und annihilieren. Dadurch wird die Verset-
zungslinie vom Hindernis abgetrennt, um das sie einen konzentrischen Verset-
zungsring hinterlässt. Die zur Durchbiegung des freien Versetzungsliniensegments
der Länge l erforderliche Schubspannung ergibt sich nach der Peach-Köhler-Glei-
chung [141, 288] aus

F = τ⋅b⋅l, (5.47)

wobei b dem Burgersvektor entspricht und F eine am Versetzungslinienseg-


ment angreifende vorwärtstreibende Kraft ist, welcher der Linienspannung T , d. h.
der Spannung, die versucht, die Versetzungslinie immer wieder gerade zu ziehen,
entgegenwirkt, die sich aus

2
G⋅b
T = -------------- (5.48)
l

ergibt, wobei G dem Schubmodul entspricht. Beim kritischen Wert von


2
F = 2 ⋅ T = G ⋅ b ergibt sich die notwendige Durchbiegeschubspannung τ min
für die halbkreisförmige Durchbiegung der Versetzungslinie

F G⋅b
τ min = --------- = ----------- , (5.49)
b⋅l l

welche gleichzeitig die aufzubringende Schubspannung zum Abgleiten der


Kristallebenen ist. Dementsprechend ergibt sich bei harten Hindernissen die für
den Umgehungsmechanismus aufzuwendende Spannung (Orowan-Spannung,
Δτ OR ) aus

G⋅b
Δτ OR = § -----------· , (5.50)
© lH ¹

wobei l H dem planaren Hindernisabstand, d. h. den Abstand zwischen zwei


benachbarten Hindernissen in der jeweilig angenommenen Gleitebene, entspricht.
Handelt es sich um ein sogenanntes weiches Hindernis, so hält dieses der maxima-
len erreichbaren Kraft in der Wechselwirkung mit einer Versetzungslinie nicht
5.4 Hochtemperaturplastizität 199

stand, d. h. F < F max = 2 ⋅ T , wodurch es durch die Versetzungslinie geschnitten


wird, noch bevor diese die kritische halbkreisförmige Durchbiegung für den Oro-
wan-Prozess erreicht. Nach einer Rechnung von Friedel [141, 281-283], bei der
eine Versetzungslinie als gestreckt betrachtet wird ( F ≤ 0,2 ⋅ T ), folgt für diesen
Fall

l 2 ⋅ T·
§ ----------
----- = , (5.51)
lH © F ¹

was plausibel erscheint, wenn davon ausgegangen wird, dass die Versetzungsli-
nie mit zunehmender Krümmung gleichzeitig immer mehr Hindernisse berührt,
sodass sich die mittlere freie Versetzungslinienlänge l immer mehr dem Hinder-
nisabstand l H nähert. Durch Kombination der Gleichungen (5.48) und (5.51) folgt
für die Schneidspannung

F · 3 § G ⋅ b·
§ -----------
Δτ S = ⋅ ----------- (5.52)
© G ⋅ b¹ © l H ¹

Verschiedene Untersuchungen und Überlegungen, welche andere Aspekte des


Werkstoffgefüges (z. B. räumliche Verteilung der Hindernisse) bzw. der Art der
Wechselwirkungen betrachten, kommen zu dem Schluss, dass die in einer realen
Legierung tatsächlich auftretende Orowan-Spannung um etwa 20 % niedriger liegt
[141, 284-287]

G⋅b
Δτ OR = 0,8 ⋅ § -----------· , (5.53)
© lH ¹

wenngleich dieser Vorfaktor in Abhängigkeit von der Geometrie der Hinder-


nisse in weiten Grenzen schwanken kann. Für den Fall weicher Hindernisse wurde
die Fleischer-Friedel-Abschätzung (Gleichung (5.52)) von Schwarz und Laubusch
korrigiert, da z. B. nur bei sehr kleinen Zumischungen von Substitutionsatomen in
einem Mischkristall von einer wechselwirkungsfreien Konfiguration zwischen
ihren elastischen Feldern auszugehen ist. Unter Berücksichtigung weiterer Wech-
selwirkungseffekte gelangen sie auf folgende Abschätzung für die Schneidspan-
nung bei einer üblichen Mischkristallhärtung [141]

4⁄3 2⁄3
Δτ MKH = k ⋅ G ⋅ β ⋅c , (5.54)
2
wobei für die Konzentration gelöster Substitutionsatome c = ( b ⁄ l H ) ange-
nommen wird, β einem Wechselwirkungskoeffizienten entspricht, der verschie-
dene Effekte, wie z. B. die paraelastische Wechselwirkung durch Atomradienun-
200 5 Plastische Verformung

terschiede (vgl. 3.2.3.2; Tabelle 3.2) oder die dielastische Wechselwirkung durch
die Veränderung des Schubmoduls beinhaltet, und k ein Vorfaktor ist.
Die in einem Mischkristallgitter gelösten Substitutionsatome wirken auf atoma-
rem Niveau und stellen gegenüber der Versetzungsbewegung weiche Hindernisse
dar. Neben den bereits aufgeführten Wechselwirkungen mit sich bewegenden Ver-
setzungslinien ergeben sich durch die gelösten Substitutionsatome auch Änderun-
gen bezüglich der Festkörperdiffusion, welche unter Beteiligung verschiedener
Atomsorten stattfindet, wodurch sich in Abhängigkeit der Anordnung der Substitu-
tionsatome verschiedene Diffusionsgeschwindigkeiten einstellen können. Da die
gelösten Substitutionsatome bei höheren homologen Materialtemperaturen an
Beweglichkeit zunehmen, können sie zu Kristallpositionen mit großer Wechselwir-
kungsenergie in der Nähe von Versetzungen diffundieren. Dadurch bilden sich
sogenannte Wolken von Substitutionsatomen um die Versetzung, welche die
Bewegung der Versetzungen behindern. Die Bewegung der Versetzungen mit Sub-
stitutionsatomwolken erfolgt als viskoses Gleiten, d. h. ν ∼ σ , und die Wolken
werden mit den sich bewegenden Versetzungen mitgeführt. Beim Überschreiten
einer kritischen Spannung reißen sich die Versetzungen allerdings von den Wolken
los und verfügen dadurch schlagartig über eine höhere Geschwindigkeit, wodurch
es zu Instabilitäten in der plastischen Gesamtverformung kommen kann. Aufgrund
des viskosen Charakters der Versetzungsbewegung mit Substitutionsatomwolken
ergeben sich für die Mischkristallhärtung Spannungsexponenten von n = 3…5
[252, 259]. Demgegenüber kann der Spannungsexponent in teilchengehärteten
Legierungen sehr hohe Werte bis zu n = 40 annehmen [252, 287, 290]. Derart
hohe Werte von n, welche durch die klassische Theorie der Kriechdeformation
nicht abgedeckt werden, wurden unter anderem auch in bleifreien Lotwerkstoffen,
wie z. B. eutektischem SnAgCu [289] ( n = 13…19 ) , festgestellt.
Aus diesem Grund wurde in [290-292] für die werkstoffmechanische Modellie-
rung von Kriechprozessen in ausscheidungs- und teilchengehärteten Legierungen
ein Modell vorgeschlagen, welches die Behinderung der Versetzungsbewegung
durch harte Teilchen über ein Kriechfestigkeitsinkrement σ th = σ – σ m ( σ :
äußere Spannung; σ m Kriechfestigkeit der entsprechenden teilchenfreien Metall-
matrix) berücksichtigt. Mit dem empirischen Wert von σ th kann die Spannungsab-
hängigkeit der quasistatischen Kriechrate teilchengehärteter Legierungen mit

· σ – σ th Q
ε = A 2 ⋅ § -----------------· ⋅ exp § – ----------· (5.55)
© E ¹ © k ⋅ T¹

beschrieben werden, wobei der Spannungsexponent n einen Wert von ca. 4


annimmt und Q der Aktivierungsenergie für Selbstdiffusion der teilchenfreien
Metallmatrix entspricht.
Über den Charakter des Kriechfestigkeitsinkrements σ th existieren verschie-
dene Erkenntnisse. So wurde in Experimenten an einer Ni-20Cr-2ThO2-Legierung
[287] festgestellt, dass es sich bei σ th um eine konstante Schwelle handelt, unter-
halb derer kein Kriechen stattfindet. Demgegenüber kam Lagneborg [291] durch
5.5 Wechselverformung 201

Experimente an einer Ni-18,4Cr-2,6Al-Legierung zu der Erkenntnis, dass das


Kriechfestigkeitsinkrement bei σ > σ th konstant ist ( σ th = const. ), während es
bei σ ≤ σ th zu einer Funktion

σ' th = k ⋅ σ σ ≤ σth
(5.56)

der angelegten äußeren Spannung σ wird. In diesem Fall erfolgt die Beschrei-
bung des Kriechverhaltens teilchengehärteter Materialien für den Spannungsbe-
reich σ ≤ σ th mit einer aus den Gleichungen (5.55) und (5.56) abgeleiteten Formu-
lierung:

σ n Q ·
ε = A 3 ⋅ ( 1 – k ) ⋅ § ---· ⋅ exp § – ---------
n
- , (5.57)
© E¹ © k ⋅ T¹

wobei n wiederum einen Wert von ca. 4 annimmt und Q der Aktivierungsener-
gie für Selbstdiffusion der partikelfreien Metallmatrix entspricht. Auch für teil-
chengehärtete Lotwerkstoffe, wie z. B. SnAg4Cu0,5 [293], konnten bei Raumtem-
peratur unterhalb einer Spannung von σ = 6,5 MPa konstante Werte von n = 4,4
und Q = 88,4 KJ/mol (Q = 96.7 KJ/mol für Kriechen von β-Sn [294]) ermittelt
werden, während oberhalb dieser Spannung (bei Anwendung von Gleichung
(5.23)) sich der Wert des Spannungsexponenten bis auf n = 20 (bei σ = 25 MPa )
steigerte.
Der Zweck der Einführung eines teilweise variablen (vgl. Gleichung (5.56))
Kriechfestigkeitsinkrements σ th besteht darin, die Wirkung der Mikrostruktur auf
das Kriechverhalten über σ th = f ( Mikrostruktur ) darstellen zu können. Experi-
mente haben gezeigt, dass der Wert von σ th sowohl mit dem Volumenanteil als
auch mit der Größe und Form der harten Ausscheidungen korreliert [295-297].
Dabei besteht bei ausscheidungs- und teilchengehärteten Werkstoffen die Beson-
derheit, dass aufgrund von verformungsbedingten mikrostrukturellen Veränderun-
gen des Werkstoffes unterschiedliche Werte von σ th bei verschiedenen Verfor-
mungsgraden zu beobachten sind [287, 298].

5.5 Wechselverformung

5.5.1 Merkmale

In allen bisherigen Betrachtungen zur plastischen Verformung wurde immer


eine Beanspruchung gewählt, welche entweder kontinuierlich gesteigert wurde
(vgl. Abb. 4.1) bzw. über einen bestimmten Zeitraum konstant gehalten wurde
(vgl. Abb. 5.14; Abb. 5.15). Die Möglichkeit, die Beanspruchungsrichtung umzu-
kehren, um somit eine Deformation in entgegengesetzter Richtung zu erzielen,
202 5 Plastische Verformung

wurde von allen bisherigen Betrachtungen nicht berührt. Aufgrund ihrer vielfälti-
gen Erscheinungsformen bei einsinniger Verformung ist die Phänomenologie einer
plastischen Rückverformung bei weitem komplexer als die einer elastischen Rück-
verformung, welche sich sehr einfach als Übergang einer Federstreckung in eine
Federstauchung vorstellen lässt. Hierbei steht vor allem die Frage im Vordergrund,
wie die sich bei einsinniger Beanspruchung entstandene Versetzungsstruktur bei
Gegenbeanspruchung weiterentwickelt.
Analog zu dem in Abb. 4.1 dargestellten Versuch sollen die wesentlichen Merk-
male der Werkstoffreaktion bei Wechselverformung anhand eines klassischen
Wechselbeanspruchungsexperimentes mit einem einfachen Beanspruchungsprofil
dargestellt werden. Die Beanspruchung, d. h. die Dehnungsänderung über der Zeit,
wird dabei beginnend bei null (A) nur bis einem Wert gesteigert, welcher oberhalb
der Fließgrenze εF , σF liegt (B), danach wird die Beanspruchung mit dem inver-
sen Anstieg der bisherigen Dehnungs-Zeit-Gerade (zwischen A-B) wieder abge-
senkt, sodass diese, nachdem sie die Abszisse geschnitten hat, bis zu Punkt C läuft.
Der Ordinatenwert von C hat dabei den negativen Betrag von B. Von C aus wird
die Beanspruchung mit dem Anstieg der ersten Dehnungs-Zeit-Geraden (zwischen
A-B) bis zum Punkt D gesteigert, wobei wiederum die Abszisse geschnitten wird.
Der Ordinatenwert von D entspricht dem von B (vgl. Abb. 5.21).
Werden die in diesem Experiment ermittelten Spannungs- und Dehnungsver-
läufe in ein Spannungs-Dehnungs-Diagramm übereinander aufgetragen, so ergibt
sich zunächst der in 5.1.1 besprochene und in Abb. 4.1 dargestellte Verlauf. Nach
der Lastumkehr in Punkt B ergibt sich eine von dort beginnende Gerade mit dem
Anstieg E0 (elastische Verformungsreaktion), die rechts vom Ursprung die
Abszisse schneidet. Nachdem in Ordinatenrichtung ein charakteristischer Wert
(beispielsweise 2 ⋅ σF ) durchlaufen wurde, beginnt sich der Anstieg, d. h. der

s s

B D B, D

sF

A A e
t

-sF
C C

Abb. 5.21 Versuch mit zyklischer Dehnungsbeanspruchung in Form einer symmetrischen Drei-
ecksfunktion über der Zeit
5.5 Wechselverformung 203

Werkstoffwiderstand, gegen die Rückverformung abzusenken, da sich das Material


in entgegengesetzter Richtung plastisch rückverformt. Nachdem in Punkt C eine
Lastumkehr eingeleitet wurde, verformt sich das Material in entgegengesetzte
Richtung wieder mit einem Anstieg E0 und schneidet links vom Ursprung die
Abszisse. Nachdem in Ordinatenrichtung wiederum ein charakteristischer Wert
(z. B. 2 ⋅ σF ) durchlaufen wurde, beginnt sich der Anstieg, d. h. der Werkstoffwi-
derstand, gegen die Rückverformung abzusenken, da sich das Material nun wieder
in Vorwärtsrichtung plastisch zu verformen beginnt. Bei weiterer Verformung wird
Punkt D erreicht, der abhängig vom zyklischen Verfestigungsverhalten (vgl.
Abb. 5.23) mit Punkt B identisch sein kann, sodass der Verformungsverlauf des
Werkstoffes im Spannungs-Dehnungs-Diagramm zwischen den Lastpunkten B und
D eine Hysteresenform um den Ursprung beschreibt.

5.5.2 Beschreibung der Wechselverformung

Im Gegensatz zum äquivalenten Versuch mit monotoner Belastung, welcher mit


einer konstanten Dehnungsrate durchgeführt wird (vgl. 5.1.1 und Abb. 4.1), erhält
man beim zyklischen Versuch keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Span-
nung und Dehnung, sondern eine Spannungs-Dehnungs-Hysterese, welche in ein
auf vier Quadranten erweitertes Spannungs-Dehnungs-Diagramm aufgetragen wird
(Abb. 5.22). Aus der Hysterese lassen sich bestimmte Werkstoffkennwerte direkt
bestimmen. Der Elastizitätsmodul entspricht dem Anstieg der Spannungs-Deh-
nungs-Kurve direkt nach dem Lastumkehrpunkt. Die doppelte Gesamtdehnungs-

ε s
Neukurve

Ds
t Depl
e

De

Abb. 5.22 Spannungs-Dehnungs-Hysterese, Δσ = doppelte Spannungsamplitude,Δε = doppelte


Dehnungsamplitude, Δεpl = doppelte plastische Dehnungsamplitude
204 5 Plastische Verformung

amplitude 2Δε = 2 ( Δε el + Δε pl ) , die der Werkstoff erfährt, entspricht dem


Abstand der beiden Lastumkehrpunkte. Entsprechendes gilt für die Gesamtspan-
nungsamplitude. Die reine plastische Dehnungsamplitude Δε pl ⁄ 2 ergibt sich aus
der Hälfte der Strecke zwischen den beiden Schnittpunkten der Hysterese mit der
Dehnungsachse. Dadurch lassen sich aus der Spannungs-Dehnungs-Hysterese

a) Zyklische Verfestigung
ε σ σ

t t ε

b) Zyklische Entfestigung
ε σ σ

t t ε

c) Zyklische Relaxation
ε σ σ

t t ε

d) Zyklisches Kriechen
ε σ σ

t t ε

Abb. 5.23 Mögliche Verformungsreaktionen infolge zyklischer Belastung in Abhängigkeit des


Werkstofftyps und der Beanspruchungsart: a) zyklische Verfestigung, b) zyklische Entfestigung,
c) zyklische Relaxation, d) zyklisches Kriechen [304, 312]
5.5 Wechselverformung 205

(Abb. 5.22) - im Gegensatz zur monotonen Spannungs-Dehnungs-Kurve


(Abb. 5.8) - auch sehr kleine plastische Dehnungen sehr genau bestimmen.
Beim zyklischen Aufbringen einer Dehnung in Form einer symmetrischen Drei-
ecksfunktion über der Zeit wird durch die Kombination der verschiedenen Bean-
spruchungsparameter (Dehnungsamplitude Δε ⁄ 2 , Periodendauer t p oder Fre-
quenz f und Zyklenzahl N ) ein bestimmtes Aussehen der Verformungshysteresen
in der Werkstoffreaktion erzeugt. Aus den Unterschieden zwischen diesen Hystere-
sen lassen sich weitere Eigenschaften bzw. Parameter des Werkstoffes ablesen.
Eine Möglichkeit der Gestaltung zyklischer Verformungsexperimente besteht im
Beibehalten von Dehnungsamplitude Δε ⁄ 2 und Periodendauer t p mit dem Ziel,
die Veränderung der Hysterese über der Zyklenanzahl zu beobachten (Abb. 5.23).
Dadurch lässt sich feststellen, ob sich ein Werkstoff bei Wechselbeanspruchung
ver- oder entfestigt.
Eine andere Gestaltungsmöglichkeit von Verformungsexperimenten mit zykli-
scher Beanspruchungsfunktion besteht in der Veränderung der Amplitude Δε ⁄ 2
unter Beibehaltung der Verschiebegeschwindigkeit. Dadurch erhält man die Dar-
stellung des zyklischen Werkstoffverhaltens in Bezug auf mehrere Dehnungsam-
plituden, mit der die Hysteresen ermittelt wurden. In dem in Abb. 5.24 dargestell-
ten Versuch werden dazu jeweils zwei Zyklen mit konstanter Amplitude
durchgeführt und die Werkstoffreaktion aufgezeichnet.
Im nächsten Schritt wird die Amplitude um das Inkrement ε i gesteigert und
weitere zwei Zyklen mit konstanter Amplitude durchgeführt. Das Ausführen von
zwei aufeinanderfolgenden identischen Dreiecksdehnungen ist erforderlich, da sich
das Gedächtnis des Materials (vgl. 5.5.4) zu Beginn des ersten Zyklus in einem
unbekannten Zustand befindet. Bei der Durchführung zweier aufeinanderfolgender
identischer Belastungszyklen determiniert hingegen der erste Zyklus das Material-
gedächtnis, wodurch der zweite Zyklus eine klar definierte Spannungs-Dehnungs-
Hysterese erzeugt. Im Ergebnis dieses Versuches entsteht ein Satz von Spannungs-

t e

Abb. 5.24 Spannungs-Dehnungs-Hysteresen für unterschiedliche Amplituden [32]


206 5 Plastische Verformung

Dehnungs-Hysteresen. Durch Verbindung der Wendepunkte im ersten Quadranten


ergibt sich eine eindeutige Spannungs-Dehnungs-Kurve, wie sie auch im Versuch
mit monotoner Belastung und konstanter Dehnungsrate entsteht. Diese wird als
Zyklische-Spannungs-Dehnungs-Kurve bezeichnet. Die Darstellung der Zykli-
schen-Spannungs-Dehnungs-Kurve wird sehr oft unter Abzug der elastischen Ver-
formungsreaktion in der Form σ = f ( Δε pl ) vorgenommen. Bei der Charakterisie-
rung eines Werkstoffes über eine Spannungs-Dehnungs-Kurve wird - wie beim
Spannungs-Dehnungs-Diagramm - keine wesentliche Abhängigkeit der Verfor-
mung von der Zeit angenommen, d. h., es wird vom Auftreten niedertemperatur-
plastischer Verformungsmechanismen ausgegangen.
Um die Dehnungsrateabhängigkeit, d. h. die Zeitabhängigkeit, der Spannungs-
Dehnungs-Hysterese zu bestimmen, wird der Versuch mit zyklischer Dehnungsbe-
anspruchung einer symmetrischen Dreiecksfunktion über der Zeit unter Beibehal-
tung einer konstanten Amplitude mit veränderlicher Periodendauer ausgeführt
(Abb. 5.25). Analog zur Versuchsvariante mit veränderlicher Amplitude werden
jeweils zwei identische Zyklen pro Periodendauer ausgeführt. Zwischen diesen
Doppelzyklen wird eine Relaxationsperiode durchgeführt, die die im Material ver-
bleibenden Spannungen nach Beendigung zweier Zyklen abbauen sollen. Blei-
bende Spannungen, welche beim direkten Übergang von einer zur nächsten Peri-
odendauer auftreten, führen zwar nicht zu einer Verfälschung der Messung, in
Einzelfällen können jedoch die dadurch entstehenden asymmetrischen Hysteresen
nur schlecht ausgewertet werden, da sie von einer Materialrelaxation überlagert
werden, da die Dehnungsrateabhängigkeit der Spannungs-Dehnungs-Hysteresen
vor allem auf Kriechprozesse zurückzuführen ist. Die soeben beschriebene Ver-
suchsvariante mit sich zyklisch wiederholender Dreiecksdehnung unterschiedlicher
Periodendauern korrespondiert - bezogen auf Experimente monotoner Belastung -
mit Experimentalreihen von Zugversuchen, welche mit verschiedenen konstanten
Dehnungsraten durchgeführt wurden.

σ
ε

t t3 ε
t2
t1
tRELAX tRELAX tRELAX
2.t1 2.t2 2.t3

Abb. 5.25 Spannungs-Dehnungs-Hysteresen für verschiedene Dehnungsraten


5.5 Wechselverformung 207

5.5.3 Mechanismencharakteristik bei Wechselverformung

5.5.3.1 Verformungsreaktion bei zyklischer Beanspruchung

Um die Besonderheiten der elementaren werkstoffphysikalischen Mechanismen


der Wechselverformung geeignet darzustellen, soll zunächst der phänomenologi-
sche Zusammenhang zwischen Versagen und Beanspruchung betrachtet werden. In
Abb. 5.26 ist das Werkstoffversagen bei einsinniger und bei sich zyklisch wieder-
holender Wechselbeanspruchung gegenübergestellt. Wie in den Abschnitten
5.3.1.1 und 5.3.1.2 angeführt, ist die Verfestigung bei plastischer Verformung
infolge einsinniger Beanspruchung durch Elementarprozesse der Versetzungsver-
vielfachung gekennzeichnet. Durch diese Versetzungsmultiplikation entsteht eine
immer höhere Anzahl von auf verschiedenen Ebenen abgleitenden Versetzungen,
welche aufgrund ihrer steigenden Dichte im Kristall sich in ihrer Abgleitbewegung
zunehmend zu blockieren beginnen. Das mit zunehmender Verformung steigende
Spannungsniveau (sowohl global über der Probe als auch lokal zwischen Verset-
zungen) führt im Zusammenhang mit der sich ausbildenden Versetzungsstruktur je
nach Verformungsbedingungen zu verschiedenen ein Versagen des Werkstoffes
hervorrufenden Mechanismen, wie dem Aufreißen zwischenatomarer Bindungen
(vgl. 3.2.2.1) durch starke Zugspannungen, dem Lunker- bzw. Porenwachstum und
der Hohlraumbildung im Werkstoffinneren bzw. der Kerbbildung an der Werk-
stoffoberfläche. Im Spannungs-Dehnungs-Diagramm (Abb. 5.26) wird das Einset-
zen dieser Versagensmechanismen durch ein scheinbares Abflachen des Werk-
stoffwiderstandes bei zunehmender Verformung gekennzeichnet. Wie aus den
Entlastungskurven (E3 gegenüber E2) hervorgeht, ist dieses Abflachen jedoch auf
eine Verringerung des effektiven Probenquerschnittes durch Versagensmechanis-
men zurückzuführen [299].
Bei sich zyklisch wiederholender Wechselbeanspruchung tritt Werkstoffversa-
gen auf, auch wenn die Dehnungsbeanspruchung innerhalb eines einzelnen Zyklus
so niedrig ist, dass sie bei einsinniger Beanspruchung noch nicht zum Versagen
geführt hätte (entspricht Beanspruchung bei Fall 2 in Abb. 5.26). Versagen infolge
Wechselbeanspruchung kann in Abhängigkeit vom Werkstoff sogar dann auftre-
ten, wenn global, d. h. über der gesamten Probenlänge, eine rein elastische Verfor-
mung vorgenommen wird. Es gibt jedoch auch sogenannte dauerfeste Werkstoffe,
die unter einer zyklischen elastischen Beanspruchung nicht zum Versagen neigen
(entspricht Fall 4 in Abb. 5.26). Das Auftreten von Versagensmechanismen bei
Spannungsniveaus, die signifikant unterhalb der Streckgrenze liegen, hängt mit
den Besonderheiten der sich bei zyklischer Wechselbeanspruchung ausbildenden
Versetzungsstrukturen zusammen, durch die stark lokalisierte plastische Verfor-
mungsreaktionen hervorgerufen werden können, welche pro Zyklus zwar nur zu
einer geringen, z. T. kaum nachweisbaren Schädigung des Werkstoffes führen, die
sich in kumulativer Weise jedoch zu einem Wert steigern, bei dem dann ein voll-
ständiges Werkstoffversagen auftritt.
208 5 Plastische Verformung

5.5.3.2 Versetzungsanordnungen bei zyklischer Beanspruchung

Im Ergebnis zahlreicher Untersuchungen an einkristallinen Werkstoffen mit


einem kubisch-flächenzentrierten Kristallgitter [299-310] konnten verschiedene
Formen der Versetzungsanordnung bei eingeschwungener Werkstoffreaktion
ermittelt werden. Die schematische Darstellung in Abb. 5.27 verdeutlicht das Auf-
treten der verschiedenen Formen von Versetzungsanordnungen in Abhängigkeit
von der zyklischen Dehnungsamplitude (bzw. Lastwechselzahl) und dem Gleitcha-
rakter im jeweiligen Werkstoff. Für das Verständnis der weiteren Beschreibungen
zu den Versetzungsanordnungen ist es in Bezug auf die Vorstellungen bei einsinni-
ger Beanspruchung wichtig, wahrzunehmen, dass die Verformungen, welche im
linken Teil des Diagramms in Abb. 5.27 erreicht werden, so klein sind
–5
( Δε pl < 10 ) , dass sie bei einer plastischen Verformung infolge einsinniger Bean-
spruchung in der Regel nicht betrachtet werden. Bei diesen sehr kleinen Verfor-
mungen führen Versetzungsbewegungen als auch die Wechselwirkung zwischen
verschiedenen Versetzungen bzw. zwischen Versetzungen und Hindernissen wie
Korngrenzen und Fremdphasen zu Veränderungen in der Mikrostruktur, so dass
infolge einer zyklischen plastischen Wechselverformung typische Arten bestimmer
Mikrostrukturänderungen hervorgerufen werden.
Eine Art der Mikrostrukturänderung, welche aus einer stabilen Versetzungsan-
ordnung resultiert, besteht in der Bildung persistente Gleitbänder. Durch sie wird
eine Konzentration der plastischen Verformung auf bestimmte Materialgebiete her-
vorgerufen, da die Versetzungsbewegung hauptsächlich innerhalb dieser Gleitbän-
der stattfindet. Persistente Gleitbänder wurden vor allem in kfz-Metallen, wie Cu

s s s s
s Ds
2 e e e e
1 2 3 4

3 2 1 1
Bruch
2
m3 m2 m1
3
4
4
m4 m4 > m3 > m2 > m1

e 4 5 6 7 8
10 10 10 10 10 NB

a) b)

Abb. 5.26 Zusammenhang von Versagen und Beanspruchung bei a) einsinniger und b) sich
zyklisch wiederholender Beanspruchung. Bild a) zeigt eine Spannungs-Dehnungs-Kurve. Bild b)
zeigt den Verlauf der Spannungsamplitude der Spannungs-Dehnungs-Hysterese über der
Zyklenzahl.
5.5 Wechselverformung 209

oder Ni, beobachtet und waren dort in der Regel parallel zur Ebene dichtester
Packung ausgerichtet [305-307]. Sie bilden sich jedoch nur dann aus, wenn eine
zyklische plastische Wechselverformung mit sehr geringen Amplituden auftritt.
Eine andere Art der Mikrostrukturänderung, welche ebenfalls aus einer stabilen
Versetzungsanordnung resultiert, besteht in der Bildung von Versetzungszellstruk-
turen, die im fortschreitenden Stadium zu Subkorngrenzen führen können, wie sie
auch für die Kristallerholung typisch sind [308-310]. Versetzungszellen sind drei-
dimensionale Gebilde. Sie bilden sich dann aus, wenn eine zyklische plastische
Wechselverformung mit sehr großen Amplituden auftritt.
Die Ausbildung von Versetzungszellen bzw. Subkörnern wurde vor allem bei
erhöhten Temperaturen bzw. bei Werkstoffen mit großer Stapelfehlerenergie in
Zusammenhang mit sogenannter welliger Gleitung beobachtet. Form und Größe
der Versetzungszellen bzw. Subkörner sind vor allem von der Amplitude der plas-
tischen Wechselverformung, der Temperatur, der Anzahl der Wechselverfor-
mungszyklen als auch von den Wechelwirkungen mit Korngrenzen und Fremdpha-
sen abhängig [311]. So geht aus [312] beispielsweise hervor, dass die Zellgröße
mit zunehmender Dehnungsamplitude sinkt.
Die Folge der Bildung von Versetzungszellen ist, dass sich - vergleichbar zur
Kristallerholung vor dem Einsetzen von Rekristallisationsprozessen (vgl. 3.5.2.1) -
Versetzungen annihilieren als auch sich innerhalb von Versetzungszellgrenzen
bzw. Subkorngrenzen energetisch günstig anordnen [305, 306]. Wenn die Verset-
zungsdichte innerhalb der Versetzungszellen sinkt, ergeben sich für die noch vor-
wellige Gleitung

Versetzungs-
Stapelfehlerenergie

zellen

Aderstrukturen, Dipole,
persistente Gleitbänder
planare Gleitung

Gemischte Strukturen

Planare Anordnungen, Versetzungsgruppen

5 6 7
10 10 10
Bruchlastspielzahl N B
plastische Dehnungsamplitude Δεpl

Abb. 5.27 Schematische Übersicht der Versetzungsanordnung von kubisch-flächenzentrierten


Metallen bei Ermüdungsversuchen [299]
210 5 Plastische Verformung

handenen frei beweglichen Versetzungen größere freie Weglängen, welche wie-


derum zu einem geringeren Widerstand gegen plastische Verformung führen.
Hieraus ergibt sich eine zyklische Entfestigung des Materials, die nicht auf die Bil-
dung von Mikrorissen oder Poren im Material zurückzuführen ist [305, 313].

5.5.3.3 Aufbau von Subkörnern

Metallische Werkstoffe mit mittlerer und höherer Stapelfehlerenergie zeigen


schon bei geringen Anfangsverformungen eine ausgeprägte Neigung zur Vielfach-
gleitung, d. h., neben dem primären Gleitsystem sind auch eine Reihe sekundärer
Gleitsysteme aktiviert. Aufgrund der Wechselwirkung zwischen diesen sich auf
kreuzenden Gleitebenen bewegenden Versetzungen kommt es zur Ausbildung von
Versetzungszellstrukturen, die bei steigender Verformung zunehmen und dann
Subkorngrenzen bilden können. Die Unterscheidung zwischen Versetzungszell-
wänden und Subkorngrenzen ergibt sich aus dem geometrischen Arrangement der
Versetzungen. Der Terminus Versetzungszellwände wird im Allgemeinen dann
gebraucht, wenn die Grenze Dipole oder Multipole enthält, welche sich ausbilden,
wenn sich Stufenversetzungen entgegengesetzten Vorzeichens auf naheliegenden
parallelen Ebenen (ca. 20 ... 30 nm) anordnen, jedoch im Unterschied zu quergleit-
fähigen Schraubenversetzungen sich nicht annihilieren können. Hierdurch haben
Versetzungszellwände eine bestimmte räumliche Ausdehnung senkrecht zur
Grenzfläche, d. h. eine Dicke. Bei Subkorngrenzen handelt es sich hingegen um
Kleinwinkelkorngrenzen (vgl. 3.2.3.4), d. h. um Versetzungsnetzwerke ohne
Dipole. Bei zunehmender Verformung kommt es zur Aufstauung von immer mehr
Dipolen in den Versetzungszellwänden und damit zur Erhöhnung der Versetzungs-
dichte, wodurch zunehmend Prozesse der dynamischen Erholung einsetzen,
wodurch die Zellwände der Versetzungszellen immer schärfer werden und zuneh-
mend einen Subkorngrenzencharakter einnehmen.
Eine andere Form der Umwandlung von Versetzungszellwänden in Subkorn-
grenzen tritt bei thermischer Aktivierung auf, da hierdurch Dipole annihilieren
können und nur geometrische Versetzungen übrig bleiben, die einen bestimmten
Missorientierungswinkel zwischen benachbarten Subkörnern hervorrufen. Durch
die Umwandlung von Versetzungszellwänden in Subkorngrenzen sinkt der relative
Anteil von Dipolen in den Grenzen (zu Beginn nahe 100%) gegen null.
Bei höheren homologen Materialtemperaturen erhöht sich der Subkorngrenzen-
charakter der Zellwände mit zunehmender Verformung, bis der Zustand einer qua-
sistatischen Kriechverformung erreicht wird. Versetzungszellwände sind daher
eher typisch für Niedrigtemperaturplastizität, welche durch eine permanente Ver-
festigung gekennzeichnet ist, während Subkorngrenzen vor allem bei Hochtempe-
raturverformung ausgebildet werden, wenn sich ein eingeschwungener Verfor-
mungszustand, d. h. keine Verfestigung, einstellt [141, 251, 259, 314].
5.5 Wechselverformung 211

5.5.4 Materialgedächtniseffekte

5.5.4.1 Der Bauschinger-Effekt

Im vorhergehenden Abschnitt konzentrierte sich die Beschreibung verschiede-


ner Versuchsvarianten zur Ermittlung der Spannungs-Dehnungs-Hysterese
zunächst auf einen Vergleich zu äquivalenten Versuchen mit monotoner Belastung.
Neben solchen Parametern, die sich sowohl aus monotonen Versuchen als auch aus
reversiblen Versuchen bestimmen lassen, liefern letztere noch zusätzliche Aussa-
gen über die Verformungsreaktion von Werkstoffen. Ein wichtiges Phänomen ist
dabei das Materialgedächtnis. Erfährt ein Material zunächst eine Zugbeanspru-
chung (Abb. 5.28) bis in den Bereich der plastischen Verformung (Punkt B), so
erfolgt die nachfolgende Entlastung zunächst so lange elastisch, bis eine plastische
Rückverformung einsetzt (Punkt C). Dabei ist die Elastizitätsgrenze für das Einset-
zen plastischer Rückverformung erniedrigt. Dieser Effekt wird nach seinem Ent-
decker [315] als Bauschinger-Effekt bezeichnet. Bei erneuter Zugbeanspruchung
über den Punkt B hinaus folgt das Material jedoch nicht der erwarteten gestrichel-
ten Kurve, sondern erinnert sich an die Vorverformung und verformt sich entlang
der Linie, die ohne Entlastung beschritten worden wäre. Diese scheinbare Fähig-
keit des Werkstoffs, sich den bisher durchlaufenen Spannungs-Dehnungs-Pfad zu
merken, wird als Materialgedächtnis bezeichnet.

s s

B
E
D B, D

C C
A A

t e

Abb. 5.28 Materialgedächtnis und Bauschinger-Effekt (adaptiert aus [32])

5.5.4.2 Lastwechseleffekte

Alle bisherigen Betrachtungen bezogen sich vor allem auf stetige Beanspru-
chungsänderungen und ließen den Fall einer sprunghaften Beanspruchungsände-
212 5 Plastische Verformung

rung weitestgehend unbetrachtet. Obwohl sprunghafte Beanspruchungsänderungen


sich nicht notwendigerweise aus typischen Feldbelastungen ergeben, sind diese
sehr nützlich, um typische Charakteristika des transienten Verformungsverhaltens,
d. h. der Übergangsreaktion, zu erhalten [141, 252, 259]. Grundsätzlich lässt sich
jede Sprungantwort in folgende drei Anteile zerlegen:
• Eine instantan einsetzende elastische Verformungsreaktion, welche aufgrund
des in 4.2.1 beschriebenen Mechanismus der Gitterverzerrung direkt an jede
Änderung der Spannung gekoppelt ist.
• Eine anelastische Reaktion, welche bei einer Spannungsreduktion mit einer
Rückbewegung der sich an Hindernissen aufgestauten bzw. durchgebogenen
Versetzungssegmente verbunden ist und damit zu einer Relaxation weitreichen-
der innerer Rückspannungen führt oder welche bei einer Spannungserhöhung zu
einer Vorwärtsbewegung, d. h. einer stärkeren Durchbiegung der an Hindernis-
sen aufgestauten Versetzungssegmente, und damit zu einem Aufbau der weit-
reichenden inneren Rückspannungen führt.
• Eine plastische Verformungsreaktion, welche einer Versetzungsbewegung bei
der wirkenden Spannung entspricht, welche zusätzlich zur anelastischen Reak-
tion stattfindet.
Es ist schwierig, deutlich zwischen den beiden Arten nichtelastischer Verfor-
mung zu unterscheiden. Allerdings findet die anelastische Reaktion in der Regel in
einem kurzen Zeitraum nach dem Spannungssprung statt, während die plastische
Reaktion unabhängig von der verstrichenen Zeit nach dem Sprung ist und nur von
der Höhe der wirkenden Spannung abhängt.
Sind die aufgebrachten Spannungsreduktionen klein, so ist in der Regel zu
beobachten, dass sich die plastische Verformung mit verringerter Geschwindigkeit
fortsetzt, ohne dass sich anelastische Rückverformungen im Zeit-Dehnungs-Ver-
lauf bemerkbar machen. Haben die aufgebrachten Spannungsreduktionen hingegen
einen beträchtlichen Betrag, wird die weitere Verformung nach dem Spannungs-
sprung zunächst von anelastischen Rückverformungen dominiert und die Verfor-
mungsgeschwindigkeit ändert das Vorzeichen. Diese Rückverformung ist eine
Folge der weitreichenden, während der vorangegangenen Verformung aufgebauten
inneren Rückspannungen.
Es existieren vielfältige Anstrengungen, den Betrag der inneren Rückspannung
zu bestimmen, welche vor allem zum sogenannten Dip-Test geführt haben. Hierbei
wird versucht, den Betrag der Spannungsreduktion so zu wählen, dass die durch
die wirkende Spannung verursachte Vorwärtsbewegung von Versetzungen genau
durch die durch Rückspannung verursachte Rückwärtsbewegung ausgeglichen
wird, sodass die globale Verformungsgeschwindigkeit null ist. Jedoch haben eine
Reihe von Untersuchungen gezeigt, dass die experimentelle Bestimmung der inne-
ren Rückspannung ein sehr komplexes und experimentell sehr schwierig zu beherr-
schendes Thema ist [252]. Trotz dieser Komplikationen liefert der Spannungsre-
duktionstest wichtige Hinweise zur Abschätzung der inneren Rückspannung [141].
6.1 Technische Ursachen von Ausfällen 213

6 Schädigung

6.1 Technische Ursachen von Ausfällen

Das Versagen einer mechanisch funktionellen Struktur zeigt sich phänomenolo-


gisch durch einen Bruch, welcher die jeweilige Struktur in mindestens zwei nicht
mehr miteinander verbundene Bereiche teilt. Diese für einen (mechanischen) Aus-
fall charakteristische makroskopisch beobachtbare Erscheinung des Bruches ist
allerdings nur der Endzustand, welchem üblicherweise eine weniger sichtbare kon-
tinuierliche Schädigung des Werkstoffes vorausgeht. Bevor die physikalischen
Einzelmechanismen dieser Schädigung als auch die Methoden ihrer Beurteilung
bzw. Berechnung beschrieben werden, soll zuvor kurz auf den Zusammenhang
zwischen den Ausfällen und der Zuverlässigkeit eines technischen Systems einge-
gangen werden, da es für die Einordnung der verschiedenen Konzepte zur theoreti-
schen Analyse von Schädigungsvorgängen notwendig ist, zunächst die Beziehun-
gen der einzelnen Termini untereinander deutlich zu machen und voneinander
abzugrenzen.
Der Begriff der Zuverlässigkeit eines technischen Systems bezeichnet die
Eigenschaft, eine bestimmte Funktion fehlerfrei unter definierten Bedingungen
über einen festgelegten Zeitraum zu erfüllen. Unter dem Oberbegriff der Zuverläs-
sigkeit sind verschiedene technische Kennwerte definiert, welche die Zeitperiode
angeben, in der ein Bauelement, eine Baugruppe oder ein Gerät mit einer bestimm-
ten Wahrscheinlichkeit einwandfrei funktioniert.
Das Problem des Begriffes der Zuverlässigkeit eines technischen Systems ist,
dass dieser eine Eigenschaft kennzeichnet, die sich nicht direkt untersuchen bzw.
beschreiben lässt. Um die Zuverlässigkeit beschreiben zu können, ist es notwendig,
ihre Komplementärgröße, die Unzuverlässigkeit bzw. den Ausfall zu beschreiben
bzw. zu untersuchen. In dieser Weise ist die nichtmessbare Eigenschaft Zuverläs-
sigkeit an das erfassbare Ereignis eines Ausfalls gebunden. In umgekehrter Rich-
tung gilt diese Beziehung jedoch nicht. Zum Verständnis der Beziehung zwischen
den Begriffen Zuverlässigkeit und Ausfall der Zuverlässigkeit ist es zweckmäßig,
den Begriff der Zuverlässigkeit eines technischen Systems von dem der Qualität zu
unterscheiden (vgl. Tabelle 6.1). Diese klare Trennung von Zuverlässigkeit und
Qualität wird in der Fachliteratur nicht immer vollzogen, da beide Aspekte die
Lebensdauer eines Produktes in gleicher Weise beeinflussen.
Die Qualitäts- und Zuverlässigkeitssicherung komplexer elektronischer
Systeme erfordert eine Reihe von Aktivitäten während der Entwicklungs- und Pro-
duktionsphase. Zu diesen gehören u. a. die Berechnung der Betriebsfestigkeit, die
Durchführung von Analysen und Prüfungen, die Wahl und Qualifikation von Bau-
teilen und Materialien, eine Dokumentation der Fertigungsschritte, eine Beurtei-
lung der Eignung der Fertigungsverfahren für das angestrebte Produkt und eine
Überprüfung von Fertigungstoleranzen während der laufenden Produktion. Wäh-
214 6 Schädigung

rend die Qualitätsarbeit darauf ausgerichtet ist, Konformität zu getroffenen Spezifi-


kationen zu erreichen und die Stabilität des Fertigungsprozesses zu verbessern,
zielt die Zuverlässigkeitsarbeit darauf ab, die fehlerfreie Funktion eines Produktes
für definierte Umgebungsbedingungen abzusichern. Dabei beziehen sich Zuverläs-
sigkeitsbetrachtungen oftmals auf ein noch zu entwickelndes Produkt und gehen
davon aus, dass dieses ein Idealprodukt ist, welches in höchster Qualität und ohne
strukturelle Mängel gefertigt wurde.

Tabelle 6.1 Ziele und Methoden in den Bereichen Qualität und Zuverlässigkeit zur Vermeidung
von Ausfällen in technischen Erzeugnissen während einer von der Anwendung geforderten Min-
destlebensdauer

Qualität Zuverlässigkeit

-Eingangskontrolle -Design
-Prozesskontrolle -Werkstoffauswahl
-Prozessverifikation -Last- und Feldbedingungen
-Technologieoptimierung -Ausfallmechanismen
-Konformitätsprüfung -Transformationsgleichungen
-Akzeptanzkriterien -Lebensdauerprognosen

Für die Einordnung bestimmter Arten von Ausfallen zu zuverlässigkeitsrelevan-


ten und zuverlässigkeitsirrelevanten Typen ist es notwendig, ihre Ursachen genau
zu betrachten. Für die Beantwortung der Frage, warum es im Laufe der Geschichte
in technischen Anlagen und Geräten immer wieder zu zum Teil in ihrer Auswir-
kung sehr katastrophalen Ausfällen kam, konnten aus den historisch gesammelten
Erfahrungen in [334] zwei wichtige Ursachen ausgemacht werden:

(1) Nachlässigkeiten während der Entwurfs-, Konstruktions- und Fertigungs-


phase oder der Nutzung einer technischen Anlage, d. h., durch Berechnungs-
fehler, Fabrikationsmängel oder Überlasten bei Fehlbedienung kommt es
zum Ausfall eines strukturellen Elementes der Anlage.

(2) Verwendung neuer Materialien oder Technologien, wodurch unerwartete


(unerwünschte), nicht vorhersehbare Effekte hervorgerufen werden.

Zwischen diesen beiden Arten von Ursachen ist bei der angestrebten Vermei-
dung von Ausfällen grundsätzlich zu unterscheiden. Beide enthalten sowohl zuver-
lässigkeitsrelevante als auch qualitätsrelevante Aspekte. Die im ersten Fall zusam-
mengefassten Fehler kommen, wenn sie nicht durch eine mangelnde Qualifikation
bzw. Nachlässigkeit der Nutzer (Qualitätsproblem) bzw. durch eine Fehleinschät-
zung von potenziellen Umweltbelastungen hervorgerufen werden (kein den Werk-
stoff betreffendes Problem), vor allem durch eine unsachgemäße Anwendung von
Rechenmethoden und Bewertungskriterien zustande. Letzteres hängt in der Regel
6.2 Materialphysik der Schädigung 215

mit unzureichenden Vorstellungen über die vielfältigen Wege zusammen, auf


denen ein Fehler im Werkstoff entstehen kann.
Die dem zweiten Fall zugeordneten Fehlermöglichkeiten lassen sich wesentlich
schwieriger verhindern, da die Verwendung neuer Materialien oder Technologien
neue unbekannte Fehlermechanismen hervorrufen kann, die beim Entwurf nicht
vorhersehbar waren. In der Regel treten bei der Einführung neuer Werkstoffe oder
Technologien aus Mangel an Erfahrung in nicht unbeträchtlichem Umfang Quali-
tätsprobleme während der Fertigung auf. Methodisch ist die Bewältigung solcher
Probleme vor allem an Technologieoptimierungen gebunden, in denen stabile
Werkstoffkombinationen zusammen mit dafür geeigneten Fertigungsverfahren
gesucht werden müssen, um unvorhersehbare werkstoffphysikalische Mechanis-
men der Materialschwächung weitestgehend zu unterdrücken. Dies wird zweckmä-
ßigerweise am schnellsten über die experimentellen Methoden der physikalischen
Fehleranalyse erreicht. Zwar existieren für verschiedene prominente werkstoffphy-
sikalische Schädigungsmechanismen entsprechende theoretische Berechnungsmo-
delle. Allerdings können diese in der Regel erst dann nutzbringend angewendet
werden, wenn eine entsprechend breite Basis experimenteller Befunde vorhanden
ist.

6.2 Materialphysik der Schädigung

6.2.1 Problematik der Ursacheninterferenz

Aufgrund der hohen Komplexität der verschiedene Schädigungen hervorrufen-


den Prozesse kommt es selbst bei scheinbar überschaubaren Verhältnissen immer
wieder zu Überraschungen, wodurch eine deterministische Gesamtmethodik zur
Bewertung oder Berechnung zuverlässigkeitsrelevanter Schädigungsprozesse tech-
nischer Systeme unmöglich ist. Bei der Darstellung der verschiedenen einer Schä-
digung zugrunde liegenden Mechanismen sollen daher zunächst einige der für die
Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik häufig auftretenden nichtmecha-
nischen Degradationsvorgänge in metallischen Strukturen kurz umrissen werden,
bevor dann auf typische mechanische Mechanismen der Schädigung eingegangen
wird und die wichtigsten damit verbundenen Möglichkeiten sowie die Methoden,
mit denen der Grad der Schädigung berechnet werden kann, dargestellt werden.
Die werkstoffphysikalisch technischen Ursachen von Ausfällen in elektroni-
schen Aufbauten sind sehr vielfältig und umfassen mehr Faktoren als die in 2.4
innerhalb der thermisch-mechanischen Problematik beschriebenen Mechanismen.
Sehr oft hängen diese von den spezifisch zum Einsatz gebrachten Werkstoffkombi-
nationen, Montagetechnologien, Bauelementen bzw. Verdrahtungsträgern ab.
Auch die sich später aus den konkreten Feldbedingungen ergebenden Lastbedin-
gungen haben großen Einfluss auf das Auftreten bestimmter Ausfälle. Es ist
unmöglich, hierfür eine allgemeine Klassifizierung vorzunehmen - dafür ist die
216 6 Schädigung

Zahl der verschiedenen möglichen Schädigungsmechanismen zu groß. Nachfol-


gend sollen daher eine Auswahl der wichtigsten in elektronischen Aufbauten auf-
tretenden nichtmechanischen werkstoffphysikalischen Schädigungsmechanismen
kurz mit den ihnen zugrunde liegenden Wirkmechanismen dargestellt werden.

6.2.2 Wichtige nichtmechanische Schädigungsmechanismen

Die Schädigungsproblematik in elektronischen Aufbauten ist sehr viel komple-


xer als die klassischer Schädigungsszenarien im Anlagen-, Fahrzeug- oder Maschi-
nenbau. Eine Ursache dieser Komplexität besteht in der paritätischen Kombination
von metallischen, keramischen und polymeren Werkstoffen, welche eine Reihe
problematischer Grenzflächen nach sich zieht und aufgrund des qualitativ unter-
schiedlichen mechanischen Verhaltens dieser Werkstoffgruppen auch immer zu
thermisch induzierten mechanischen Spannungen führt, welche oft Auslöser für die
Aktivierung anderer nichtmechanischer Mechanismen sind. Ein anderer Grund
ergibt sich aus der zahlreichen Verwendung verschiedener chemischer Prozesse bei
der Herstellung elektronischer Aufbauten. In Kombination mit den während des
Betriebes vorhandenen elektrischen Potenzialfeldern führen die aus diesen Prozes-
sen stammenden Rückstände oft zu schwer vorhersehbaren elektrochemischen
Reaktionen in verschiedenen Strukturen des Aufbaus. In Zusammenhang mit den
für die eingesetzten Werkstoffe oft hohen homologen Temperaturen im Betrieb
ergeben sich darüber hinaus nicht unbeträchtliche Möglichkeiten für Stofftrans-
portprozesse. Insgesamt lässt sich die Vielzahl der verschiedenen in elektronischen
Aufbauten ablaufenden Schädigungsmechanismen kaum überblicken. Im Schema
in Abb. 6.1 wird ein grober Überblick über die verschiedenen grundlegenden
Triebkräfte und ihre bevorzugten Wirkungsorte in elektronischen Aufbauten gege-
ben. Bei katastrophalen Ausfällen aufgrund eines spezifischen Mechanismus ist es
oft nicht leicht, diesen in seiner Ursache-Wirkung-Kette zurückzuverfolgen.
Manchmal haben geringfügige Änderungen, z. B. bei den in der Produktion einge-
setzten Hilfsstoffen, langfristig verheerende Auswirkungen auf die Zuverlässigkeit.
Jedoch gibt es bestimmte Erscheinungen, die besonders häufige nichtmechanische
Ursachen katastrophaler Schäden in elektronischen Aufbauten darstellen. Über-
blicksartig ist eine Auswahl dieser wichtigen nichtmechanischen Mechanismen
nachfolgend dargestellt, wobei die Reihenfolge der Aufzählung keinen Bezug zur
Bedeutung der jeweiligen Mechanismen hat.

Elektrische Ausfallmechanismen: Elektrische Ausfallmechanismen treten vor


allem am Halbleiterbauelement, aber auch in passiven Bauelementen auf. Infolge
dieser elektrischen Ausfälle kann es zur Überhitzung kommen und nachfolgend
auch ein nicht ursächlicher mechanischer Schaden hervorgerufen werden. Zu den
wichtigsten elektrischen Ausfallmechanismen gehören beispielsweise: 1) elektri-
sche Durchbrüche in Isolationsschichten, wie Gateoxiddurchbrüche durch Genera-
tion von Traps aufgrund von Leckströmen oder Durchbrüche im Dielektrikum von
6.2 Materialphysik der Schädigung 217

Hauptwirkungsort im elektronischen Aufbau Triebkraft Mechanismus


(Beispiel)
1. Verbindungsebene 2. Verbindungsebene 3. Verbindungsebene

elektrisches physisches Baugruppe


Funktionselement Bauelement
z.B. Transistor, z.B. BGA, CC
Kondensatorplatten

nuklear a-Strahlung

elektrisch Dielektrikumsdurchschlag

elektrisch-chemisch Elektrolytische Migration

chemisch Korrosion

thermisch-chemisch Feuchtigkeitsmigration

thermisch Gefügevergröberung

thermisch-mechanisch Schichtspannungen

mechanisch Stoß, Vibration

Abb. 6.1 Natur der verschiedenen Triebkräfte von Schädigungsmechanismen mit ihren bevor-
zugten Wirkungsorten in elektronischen Aufbauten

Keramikkondensatoren aufgrund mechanischer Beanspruchung, 2) Hot Carrier


Degradation, stark beschleunigte Ladungsträger bauen sich nach Streuung am
Gateoxidgitter in dieses ein und verschlechtern dessen elektrische Eigenschaften,
3) Elektrostatische Entladung (ESD), die Energie zu hoher Spannungsimpulse
kann z. B. mikroelektronische Strukturen (Source-Drain-Bereich, Vias, Leitbah-
nen) aufschmelzen oder zu Durchbrüchen in dünnen Isolationsschichten führen.

Kirkendall-Effekt: Der Kirkendall-Effekt ist eine zur Festkörperdiffusion gehö-


rige Erscheinung, bei der sich durch unterschiedliche Interdiffusionsgeschwindig-
keiten eine asymmetrische Leerstellenkonzentration entlang der Diffusionsgrenz-
fläche ausbildet. Ist beispielsweise die Diffusionsgeschwindigkeit von A-Atomen
im B-Gitter größer als die von B-Atomen im A-Gitter, ergibt sich als Konsequenz
ein Fluss der für die Festkörperdiffusion verantwortlichen Leerstellen vom B-Git-
ter in das A-Gitter. Durch Vereinigung von Leerstellen ergeben sich innere Ober-
flächen in Form von Poren, welche als Senken für den Leerstellenfluss von B nach
A wirken. Durch das Aufsammeln immer neuer antransportierter Leerstellen ver-
größern sich diese Poren zu makroskopisch sichtbaren Hohlräumen - den soge-
nannten Kirkendall-Voids (Löchern). Dadurch wird das A-Material porös und ver-
liert an Festigkeit.

Unerwünschte intermetallische Phasenbildung: In Abhängigkeit von den


Materialkonzentrationen und einwirkenden Temperaturen kann es in metallischen
Mehrkomponentenverbunden zur Ausbildung von intermetallischen Phasen kom-
men, durch welche die Festigkeit des Verbundes, z. B. durch mangelnde Kompati-
bilität der Phasengrenzfläche, herabgesetzt wird.
Ein typisches Beispiel für solche unerwünschten intermetallischen Phasenbil-
dungen ist die beim Golddrahtbonden zur Anschlusskontaktierung von Si-Chips an
218 6 Schädigung

der Au/Al Grenzfläche stattfindende intermetallische Phasenausbildung und -


umwandlung. Bei ungünstig gewählten Materialvorräten kann es zur Bildung der
Au4Al-Phase (Purpurpest) kommen, welche schlechte Hafteigenschaften besitzt
und zum Ablösen des Bonddrahtes führt. Gleiches passiert bei vollständiger
Umwandlung des Al-Vorrates in die entsprechenden AuAl-Phasen, da diese nicht
auf Si haften. Ähnliche Vorgänge können auch beim Löten mit Sn-haltigen Loten
stattfinden. Die beim Lötvorgang gebildeten Cu3Sn- und Cu6Sn5-Phasen wachsen
unter Temperatureinfluss beständig weiter und verspröden damit die Verbindungs-
stelle. Solche Versprödungen könnten bei entsprechenden (thermo-)mechanischen
Belastungen zum Abriss der Cu-Pads von der Leiterplatte führen.

Versprödungen: Materialversprödungen können durch Legierungsreaktionen


bei oder nach Verbindungsvorgängen auftreten und durch die Herabsetzung der
Duktilität eines Verbindungswerkstoffs zu Brüchen in den Verbindungspartnern
führen. Erhebliche Versprödungen in Sn-basierten Loten können auch durch in Lot
gelöstes Tauchgold hervorgerufen werden, welches ursprünglich auf den Lötpads
zum Oxidationsschutz aufgebracht war.

Elektromigration: Wenn Leitbahnen, wie die von Umverdrahtungen auf Halb-


leiterbauelementen, sehr dünn sind, können sehr hohe Stromdichten auftreten.
Diese verursachen einen sogenannten Elektronenwind, welcher Atome innerhalb
der Leitbahn bewegen kann. Infolgedessen wird Material von der einen Seite zur
anderen bewegt, sodass dort, wo es wegbewegt wird, Unterbrechungen entstehen
können, während es dort, wo das Material angelagert wird, es zu Kurzschlüssen
kommen kann.

Elektrolytische Migration: Salze aus z. B. Flussmittelresten, aber auch chemi-


sche Funktionsgruppen in Harzen von Basismaterialien können bei Feuchteeinwir-
kung Kriechstrompfade zwischen Leitbahnen unterschiedlichen Potenzials erzeu-
gen. Entlang dieser Strompfade kann Leitbahnmaterial elektrolytisch aufwachsen,
bis es zwischen den Leitbahnen zum Kurzschluss kommt.

Die verschiedenen aufgeführten nichtmechanischen Mechanismen stehen in


einem sehr unterschiedlichen Verhältnis zu mechanischen Schädigungsmechanis-
men. Bestimmte Mechanismen, wie z. B. der Kirkendall-Effekt oder die Versprö-
dungsreaktionen, haben direkten Einfluss auf die strukturelle Integrität und die
mechanischen Eigenschaften eines Werkstoffs und sind daher meist Vorläuferme-
chanismen für eine spätere mechanische Schädigung einer entsprechenden Struk-
tur. Andere Mechanismen, wie z. B. die elektrolytische Migration, wirken in der
Regel unabhängig von mechanischen Aspekten der Schädigung. Sie können jedoch
indirekt, z. B. über starke Wärmeentwicklung in Kurzschlussstrompfaden, ther-
misch induzierte mechanische Spannungen bzw. Werkstoffeigenschaftsänderun-
gen hervorrufen und auf diese Weise zu Vorläufermechanismen einer späteren
mechanischen Schädigung werden.
6.2 Materialphysik der Schädigung 219

6.2.3 Mechanismen der mechanischen Schädigung von Werkstoffen

6.2.3.1 Problematik der Mechanismenvielfalt im Schädigungsverlauf

Die Mechanismen der Schädigung von Werkstoffen hängen mit den in Kapitel 4
und Kapitel 5 dargestellten Mechanismen der Verformung zusammen. Um diesen
Zusammenhang grob einzuordnen, soll auf das zur Erläuterung der Grundbegriffe
von Verformungsreaktionen in Abb. 1.5 dargestellte Spannungs-Dehnungs-Dia-
gramm zurückgegriffen werden. Der in diesem Diagramm eingezeichnete Zusam-
menhang zwischen Spannungsbeanspruchung und Gestaltänderung wurde dort
zunächst idealisiert dargestellt. Eine in einem realen Experiment aufgenommene
Kraft-Verlängerungs-Kurve würde, wie in Abb. 6.2 dargestellt, nicht dem in
Abb. 1.5 angedeuteten idealisierten Verlauf folgen, sondern ab einer bestimmten
Dehnung unter ihm wegknicken. Ursache für die Diskrepanz zwischen der ideali-
sierten und der real in einem Experiment aufgenommenen Verformungskurve ist
das Auftreten von Schädigungsprozessen, welche in Begleitung der ablaufenden
Verformungsmechanismen auftreten. Im Unterschied zur idealisierten Verfor-
mungskurve durchläuft die reale Kurve ein Maximum und fällt von dort kontinu-
ierlich wieder ab, bis es zum Versagen, d. h. zum letalen Bruch, kommt. Dieser
nichtmonotone Verlauf der Kurve kommt durch Überlagern der durch Verfor-
mungsmechanismen hervorgerufenen Materialverfestigung gegenüber der durch
Schädigungsmechanismen hervorgerufenen lokalen plastischen Einschnürung
zustande. Während durch den ersten Mechanismus der Werkstoffwiderstand mit
fortschreitender Verformung ansteigt, wird durch den zweiten Prozess der effek-
tive Querschnitt der Probe kontinuierlich verringert. Bei Erreichen von Punkt B

s
elastisch plastisch idealisierte Verformungskurve

B
reale in einem Experiment
C aufgenommene Verformungskurve
sF
A

e
Abb. 6.2 Idealisierte und reale experimentell aufgenommeneVerformungskurve für metallische
Werkstoffe im Spannungs-Dehnungs-Diagramm
220 6 Schädigung

halten sich beide Prozesse die Waage, wodurch der Strukturkörper (in diesem Fall
die Probe) instabil wird, da sein Widerstand gegen Verformung bei weiterer Ver-
formung sinkt. Anhand dieses sehr einfachen Beispiels für das Zusammenwirken
von Verformungs- und Schädigungsprozessen wird unter Berücksichtigung der in
Kapitel 4 und Kapitel 5 dargestellten Vielfalt der Verformung deutlich, wie
schwierig es ist, für Werkstoffe Beanspruchungsgrenzen festzulegen, in denen ihre
strukturelle Integrität gewahrt bleibt, d. h., es nicht zum Versagen des Werkstoffs
kommt.
Exemplarisch sollen dazu die im Spannungs-Dehnungs-Diagramm in Abb. 6.3
dargestellten realen Deformationskurven für unterschiedliche Arten der Verfor-
mung betrachtet werden. Kurve A zeigt das Verhalten eines Werkstoffes, dessen
plastische Fließfähigkeit mit dem Ziel, eine höhere Festigkeit zu erreichen, durch
das Zusetzen bestimmter Legierungselemente drastisch herabgesetzt wurde. Im
Spannungs-Dehnungs-Diagramm weist das Material ein für spröde Werkstoffe
charakteristisches Verhalten auf und verformt sich weitestgehend linear-elastisch,
bis bei Erreichen seiner Festigkeit σ A abrupt zerbricht. Die Kurven B und C zeigen
das übliche duktile Verhalten eines metallischen Werkstoffs bei unterschiedlichen
Verformungsbedingungen, wobei sich die Kurve B auf instantanplastische Verfor-
mung, d. h. eine Verformung bei hohen Geschwindigkeiten und niedriger homolo-

sA A

W Bruch A
W Bruch B
sB
B

W Bruch C
sC
C

eA eB eC e

Abb. 6.3 Schematische Darstellung real experimentell aufgenommener Verformungskurven für


metallische Werkstoffe im Spannungs-Dehnungs-Diagramm für unterschiedliche Formen von
Verformungsverhalten: A) gehärtete Legierung mit geringer plastischer Fließfähigkeit; B)
gewöhnliche duktile Metalllegierung bei instantanplastischer Verformung (hohe Verformungsge-
schwindigkeit oder niedrige homologe Temperatur), C) gewöhnliche duktile Metalllegierung bei
Kriechverformung (niedrige Verformungsgeschwindigkeit bei hoher homologer Temperatur)
6.2 Materialphysik der Schädigung 221

ger Temperatur, bezieht, während Kurve C den entgegengesetzten Fall einer


Kriechverformung, d. h. eine Verformung bei niedrigen Geschwindigkeiten und
hoher homologer Temperatur, darstellt. Für die einzelnen Kurven ergeben sich
unterschiedliche Bedingungen, unter denen es zum letalen Riss kommt. Während
dieser bei Kurve A mit dem Erreichen der maximalen Festigkeit zusammenfällt,
tritt er bei den Kurven B ein, wenn sequenziell zunächst die maximale Festigkeit
erreicht und danach auch eine maximale Bruchdehnung überschritten wurde. Im
Fall der Kurve C spielt hingegen die im Material auftretende Spannungsbeanspru-
chung keine Rolle (es wird nicht einmal die Fließspannung erreicht). Stattdessen
hängt das Auftreten eines letalen Bruches allein mit dem Erreichen der maximalen
Bruchdehnung zusammen.
Werden die beim Verformungsvorgang bis zum Bruch aufgetretenen maxima-
len Spannungsbeanspruchungen im Werkstoff verglichen, so ergibt die Reihen-
folge σ A > σ B > σ C . Bei den erreichten Bruchdehnungen ergibt sich hingegen die
umgekehrte Reihenfolge ε C > ε B > ε A . Wird stattdessen die zum Erreichen des
Bruches aufgewendete Energie als Kriterium herangezogen, ergeben sich die höch-
sten Werte für den in Kurve B dargestellten Verformungsprozess
W Bruch B > W Bruch C > W Bruch A . Aus diesem Vergleich wird deutlich, dass schon
bei sehr einfachen und leicht überschaubaren Randbedingungen, wie sie für die im
Spannungs-Dehnungs-Diagramm in Abb. 6.3 dargestellten Verformungsformen
vorherrschen, eine sehr differenzierte Betrachtungsweise notwendig ist, um das
Eintreten von Materialschädigungen nachzubilden. Betrachtet man nicht einen ein-
zelnen Werkstoff im Probekörper, sondern einen Verbund von Werkstoffen, wie er
in einem elektronischen Aufbau auftritt, so wird klar, dass für die Beschreibung
des schädigungsmechanischen Verhaltens eine einfache Kenngröße, wie z. B. die
Festigkeit oder die maximale Bruchdehnung, nicht ausreichend sein kann.
Aufgrund des komplexen strukturellen Aufbaus von metallischen Werkstoffen
(vgl. 3.2) und der Vielfalt der den verschiedenen werkstoffmechanischen Verfor-
mungsreaktionen zugrunde liegenden Mechanismen (vgl. 4.2, 5.2 - 5.5) existiert
auch eine Vielzahl von unterschiedlichen Wegen, auf denen es zum Versagen des
Materials kommt. Welche dieser Wege bis zur letztendlichen Ausbildung eines
letalen Risses eingeschlagen wird, hängt wesentlich von den Beanspruchungen,
wie der Temperatur, dem Spannungszustand, dem zeitlichen Verlauf der aufge-
brachten Spannungen und Dehnungen als auch der zeitlichen Entwicklung der
Werkstoffstruktur infolge der wirkenden Umweltbedingungen, ab.
Obwohl es bei einer bestimmten Form der Beanspruchung (z. B. einem Kriech-
bruch durch konstante statische Belastung bis zum Ausfall) gelingt, den genauen
Mechanismus vom unbeanspruchten Ausgangszustand bis zum Versagen detailliert
aufzuzeigen, ist es in der Regel nicht möglich, das komplexe Zusammenwirken
verschiedener Mechanismen in nichttrivialen Beanspruchungssituationen nachzu-
verfolgen. Um dennoch Schädigungsverläufe für die in realen Anwendungen nicht
untypischen komplexen Beanspruchungssituationen voraussagen zu können, wird
in der Regel eine Bewertung der Schädigung über bestimmte Schädigungskriterien
vorgenommen, welche nicht notwendigerweise an einen konkreten physikalischen
222 6 Schädigung

Mechanismus gekoppelt sein müssen. Üblicherweise geht man für die Berechnung
der Gesamtschädigung von einer Superposition der Schädigungswirkung verschie-
dener Einzelmechanismen aus, wie sie schematisch in Abb. 6.4 dargestellt ist [14].
Voraussetzung für solche zusammenfassende Betrachtungen ist jedoch das Vor-
handensein einzelner Schädigungskriterien, mit denen es gelingt, die Wirkung spe-
zifischer Beanspruchungen unter Berücksichtigung der struktureller Gegebenhei-
ten gut nachzubilden. Hierzu haben sich im Zusammenhang mit bestimmten im
Laufe der technischen Entwicklung aufgetretenen Schadensfällen verschiedene
Konzepte herausgebildet, welche es ermöglichen, Aussagen über Schädigungsver-
halten in technischen Strukturen zu treffen.
Da die Mechanismen der mechanischen Schädigung für den Entwurf funktio-
nell-struktureller Verbunde in elektronischen Aufbauten eine wichtige begren-
zende Randbedingung dahin gehend darstellen, dass sichergestellt werden muss,
dass die in diesem Verbund auftretenden Beanspruchungen nicht zum Werkstoff-
versagen in einzelnen Bereichen dieses Verbundes führen, gab es in den letzten
Jahren vielfältige Bemühungen, die in der Regel aus dem Maschinen-, Flugzeug-
und Anlagenbau stammenden Konzepte für diesen Bereich nutzbar zu machen.
Die ersten Ansätze bestanden dabei in der Nutzung einfacher Beziehungen, wie
sie zur Absicherung der Betriebsfestigkeit im Anlagen-, Kraftwerks- und Fahr-
zeugbau verwendet wurden. Im Gegensatz zu den typischen Problemfällen in die-
sen Anwendungsgebieten sind Schadensfälle im Bereich elektronischer Aufbauten
durch verschiedene, mit den Merkmalen dieser Aufbauten verbundene Besonder-

Zeitstands- Umgebungs- Mikroskopische


Ermüdung Kriechen fertigkeit bedingungen Schädigung

Sa e S Rm Eij

log (N) Zeit Dauer Temperatur Zeit / Durchlauf

N (t)= N (s / X (t)) E (t) = > s ij(t) X (t) X (t) G (t), v (t)


= > s ij(t)

ò ( ( )) ( ) ( )
t j-1
Fr ( t ) = 1 - 1 - Fa s(t)ij *j* n d n
0 X(t)ij N(t) N(t)

Abb. 6.4 Berechnung der Lebensdauer aus verschiedenen Komponenten der Materialschädigung
- entnommen aus [14]. Dargestellt wird die Berechnung einer normalisierten verbleibenden
Festigkeit Fr in Abhängigkeit von einem generalisierten Fehlerkriterium Fa, einer Anzahl von Last-
wechseln n und dem Schädigungszustand eines kritischen Elementes N.
6.2 Materialphysik der Schädigung 223

heiten gekennzeichnet. Aus Werkstoffsicht sind elektronische Aufbauten kom-


plexe Materialverbunde, welche eine große Anzahl heterogener Grenzflächen auf-
weisen, von denen viele sogar einen Übergang zwischen Werkstoffen
unterschiedlicher Klassen, d. h. Metall/Polymer, Keramik/Polymer oder Metall/
Keramik, darstellen. Schäden im Sinne eines funktionellen Ausfall des elektroni-
schen Systems sind in vielen Fällen ein Resultat unterschiedlicher, in ihrer Ursa-
chennatur (vgl. 6.2.2, Abb. 6.1) nicht identischer, oft an verschiedenen Orten des
Aufbaus parallel als auch sequenziell ablaufender Schädigungsprozesse. Die übli-
chen Ausfälle im Anlagen-, Kraftwerks- und Fahrzeugbau sind - abgesehen von
einigen Sonderformen, wie der Spannungsrisskorrosion - oft das Resultat eines in
einer kritischen Struktur aufgrund einer eindeutigen Ursachennatur auftretenden,
zum Teil in verschiedenen Stadien fortschreitenden Schädigungsprozesses. Aus
diesem Grund ist es wichtig, beim Versuch der Übertragung der in den genannten
Anwendungsgebieten erarbeiteten Konzepte zur Schädigungsbewertung auf den
Bereich der elektronischen Aufbauten zunächst den Ausgangspunkt zu verstehen,
von welchem aus das entsprechende Konzept in den genannten Gebieten erarbeitet
wurde. Obwohl sich viele dieser Konzepte als fester Bestandteil in der Betriebsfe-
stigkeitsbewertung von technischen Anlagen und Geräten etabliert haben, verlangt
ihre transdisziplinäre Nutzung im Gebiet der Aufbau- und Verbindungstechnik der
Elektronik unter Umständen eine Weiterentwicklung oder Modifizierung dieser
Konzepte (z. B. Versagenshypothesen, Lebensdauermodelle), um diese auf die
beschriebenen Besonderheiten von Schädigungsvorgängen in elektronischen Auf-
bauten anpassen zu können. Von Michel [335, 336] wurde daher beispielsweise der
Begriff „Fracture Electronics“ eingeführt, welcher als verkürzender Arbeitsbegriff
für die Bruchprobleme in der Mikroelektronik und Mikrotechnik steht und eine
Abgrenzung von den unter dem Begriff „Fracture Mechanics“ bekannten klassi-
schen Bruchproblemen (vgl. 6.3.2.1 und 7.2.2) vorzunehmen versucht. In ähnlicher
Weise wird von Reifsnider [14] darauf hingewiesen, dass die klassischen Versa-
genshypothesen (wie von Coulomb, Tresca oder von Mieses), wie sie für homo-
gene isotrope Werkstoffe Verwendung finden, für die Schadensanalyse im Bereich
elektronischer Aufbauten nicht nützlich seien, stattdessen müssten Wege gefunden
werden, wie lokale Beanspruchungs- und Schadengrößen miteinander korreliert
werden können.
Werden die bisher für die Bewertung der Schädigung in elektronischen Aufbau-
ten eingesetzten Konzepte betrachtet, so ist festzustellen, dass sich ein Großteil der
zu Beginn gemachten Schädigungsbetrachtungen auf die Nutzung der Coffin-Man-
son-Beziehung (vgl. 6.3.3.3) bezog. Jedoch wurde sehr schnell klar, dass aufgrund
der hohen homologen Materialtemperaturen sowie der sehr verschiedenen Tempe-
ratur-Zeit-Belastungen elektronischer Aufbauten eine detailliertere Betrachtung
der verschiedenen Schädigungsmechanismen notwendig war. Ein Ausweg aus die-
sem Dilemma wurde durch Anwendung des Strain-Range-Partioning-Konzeptes
(vgl. 6.3.3.3) gesucht [28]. Ein anderer Ansatz, eine universale Lösung zu finden,
welche in der Lage ist, die verschiedenen Formen der Schädigung zu berücksichti-
gen, bestand in der Betrachtung der treibenden Kräfte bei Rissvorgängen durch
224 6 Schädigung

Methoden der Bruchmechanik. Durch ein unzureichendes Verständnis für bruch-


mechanische Methoden auf der einen Seite und der komplexen Schädigungsab-
läufe in spezifischen Werkstoffen (z. B. SnPb-Lot) der Aufbau- und Verbindungs-
technik auf der anderen Seite gelang es allerdings nicht, die erwarteten genauen
Voraussagen für Schädigungsverläufe zu erzielen [337]. Große Erfolge bei der
Anwendung bruchmechanischer Konzepte wurden hingegen auf dem Gebiet der
Mikrosystemtechnik erzielt. Allerdings betrafen die dort vorgenommenen Bewer-
tungen vor allem keramische Werkstoffe, wie das wegen der umfangreichen Mög-
lichkeiten seiner Funktionalisierung sehr breit eingesetzte Silizium [338].

6.2.3.2 Mechanismencharakteristik der Schädigungskinetik

Obwohl sich im Resultat der verschiedenen in einem Werkstoff auftretenden


Schädigungsprozesse immer ein letaler Bruch einstellt, welcher die jeweilige
Struktur in mindestens zwei nicht mehr miteinander verbundene Bereiche teilt,
können die phänomenologischen Erscheinungsformen dieser Brüche sehr verschie-
den sein. Die finale Erscheinungsform des Bruches hängt von Werkstofftyp und
den aufgetretenen Belastungsbedingungen ab. Daher lassen Bruchbilder oft Rück-
schlüsse auf die Ursachen des Werkstoffversagens zu. Die Analyse der Bruchflä-
che ist eine praktikable und recht eindeutige Möglichkeit, Hinweise auf die Ursa-
chen für einen Versagensvorgang zu finden. Zum Beispiel sind für eine
Ermüdungsbruchfläche Schwingungsstreifen typisch oder eine Wabenstruktur für
einen Gewaltbruch. In dem sich damit beschäftigenden wissenschaftlichen Teilge-
biet der Fraktografie werden die phänomenologischen Erscheinungsformen der
Brüche grundsätzlich nach ihrem äußerem Erscheinungsbild in Spaltbrüche oder
Duktilbrüche, nach ihrem Risspfad in transgranulare oder intergranulare Brüche,
nach dem Belastungsverlauf in Gewaltbrüche, Schwingungsbrüche oder Kriech-
brüche eingeteilt [150, 339, 340].
Um einen Zusammenhang zwischen den phänomenologisch beobachteten
Erscheinungsformen des Bruches und seinen physikalischen Grundmechanismen
herstellen zu können, ist es wichtig, zwischen den verschiedenen Mechanismen der
Schädigungskinetik zu unterscheiden. Bruchvorgänge in metallischen Festkörpern
unter konstanter bzw. monoton steigender Beanspruchung sind in der Regel auf
folgende Grundmechanismen zurückzuführen [341, 342]:
• Aufreißen von Atombindungen durch starke Zugspannungen ( = Spaltbruch)
• Intragranulares Porenwachstum an Einschlüssen und Lunkern ( = Duktilbruch)
• Einschnürung durch plastisches Fließen (= Duktilbruch)
• Intergranulares Porenwachstum durch spannungsgerichtete Festkörperdiffusi-
onsprozesse (= Kriechbruch)
• Verformungsunterstützter chemischer Angriff an Rissspitzen (= Spannungsriss-
korrosion)
6.2 Materialphysik der Schädigung 225

In Abhängigkeit vom Verformungsverhalten des Werkstoffs und der Form der


Beanspruchung (konstant, monoton steigend oder zyklisch wechselnd) kann sich
der Bruchverlauf in bis zu vier verschiedene Phasen einteilen, in welchen unter-
schiedliche Schädigungsmechanismen dominieren. Diese treten vor allem dann als
deutlich unterscheidbare Einzelschädigungsphasen auf, wenn es keine eindeutigen
äußeren Faktoren gibt, welche zu Rissvorgängen führen, d. h. an einer unbean-
spruchten glatten Probe, welche mit einer homogen verteilten, in ihrem absoluten
Betrag sehr niedrigen Wechselbeanspruchung beaufschlagt wird. In einem solchen
Fall ergibt sich der in Abb. 6.5 dargestellte Ablauf der Schädigung [343-347].

Versetzungs- Risskeim- Mikroriss- Makroriss- Rest-


bewegung bildung wachstum wachstum bruch

Rissfortschritt physikalisch Rissfortschritt stabil Rft. instabil

Rissfortschritt technisch Risseinleitung technisch

Technischer Anriss
(0,5 mm ... 1 mm)

Abb. 6.5 Phasen der Materialschädigung aus [343]

Eine Unterscheidung der vier Schädigungsphasen ist sowohl aus werkstoffphy-


sikalischer (grundlagenbezogen) als auch aus technischer Sicht (anwendungsbezo-
gen) zweckmäßig. In der ersten Phase tritt in der Regel eine Schädigung (Verände-
rung) des mikrostrukturellen Werkstoffaufbaus in einer ansonsten anrissfreien
Ermüdungsphase mit Verfestigung bzw. Entfestigung auf. Die durch Versetzungs-
bewegungen und Risskeimbildung gekennzeichnete werkstoffphysikalische Riss-
einleitungsphase und der durch Mikrorisswachstum charakterisierte Teilprozess
des stabilen Rissfortschritts bilden aus ingenieurmäßiger Sicht die Schädigungs-
phase bis zum sogenannten technischen Anriss (vgl. Abb. 6.5 - Risseinleitung tech-
nisch). In der Regel kann hier nicht eindeutig zwischen einer mikrostrukturellen
Schädigung und dem Entstehen eines technischen Anrisses differenziert werden
[346, 347].
Der Risskeimbildungs- und Mikrorisswachstumsprozess hängt stark von den
Gefügeeigenschaften des Werkstoffes ab. Die entstandenen Risslängen liegen
noch in der Größenordnung der einzelnen Körner des Gefüges (vgl. 3.2.1). Experi-
mentelle Befunde weisen bei Vorliegen einer Zug-Druck-Belastung auf ein stark
gefügebeeinflusstes und daher in der Regel intergranulares Mikrorisswachstum in
der Ebene maximaler Schubspannung hin, wobei die Risslängen das drei- bis fünf-
fache der Korndurchmesser betragen [348]. Aufgrund dieser starken Wechselwir-
kung mit der Werkstoffstruktur lässt sich der Rissfortschritt aufgrund seiner beson-
ders stark ausgeprägten statistischen Streuung nur sehr schwer über allgemeine,
226 6 Schädigung

von der konkreten Werkstoffstruktur unabhängige Kenngrößen beschreiben, was


einfache mathematische Ansätze zur Rissfortschrittsberechnung erschwert
[343, 346].
Nachdem sich ein technischer Anriss gebildet hat, erfolgt in der Regel eine Ver-
änderung des Ausbreitungspfades und es stellt sich ein stabiles Wachstum des Ein-
zelrisses oder mehrerer koaleszierender Mikrorisse (vgl. Abb. 6.5 - Rissfortschritt
technisch) senkrecht zur Richtung der größten wirkenden Zugspannung in einer
bestimmten kritischen Bruchebene ein [349]. In dieser Phase ist die Wechselwir-
kung des sich ausbreitenden Risses mit der Werkstoffstruktur von eher untergeord-
neter Bedeutung, sodass die Rissfortschrittsberechnung über geeignete mathemati-
sche Ansätze möglich wird.

6.2.3.3 Bruchmechanismenkarten

Da die Art und Weise, wie die Schädigung eines Werkstoff abläuft, nicht einem
bestimmten Beanspruchungsparameter zugeordnet werden kann, sondern von
einem komplexen Zusammenhang zwischen verschiedenen Parametern abhängt,
unter denen die Spannung, die Verformungsgeschwindigkeit, die Temperatur
sowie die Werkstoffstruktur die wichtigsten sind, ist es für die Beschreibung der
Schädigung wichtig, die verschiedenen Formen der Schädigungsmechanismen
richtig zuzuordnen.
Mit dem Ziel, eine übersichtliche Darstellung der verschiedenen Erscheinungs-
formen von Schädigungsprozessen zu erstellen, wurde analog zu den Bemühungen
bei der Darstellung des Verformungsverhaltens in den sogenannten Verformungs-
mechanismenkarten (vgl. 5.1.2) von verschiedenen Autoren [350-356] mit der
Erarbeitung sogenannter Bruchmechanismenkarten begonnen. Die heute verbrei-
tetesten Arbeiten stammen dabei von Ghandi und Ashby [353, 354], welche für
eine große Anzahl von metallischen Werkstoffen Bruchmechanismenkarten ent-
wickelt haben. In Abb. 6.6 ist eine Bruchmechanismenkarte vereinfacht schema-
tisch dargestellt. Einer solchen Karte liegt die Idee zugrunde, verschiedene phäno-
menologische Erscheinungsformen von Brüchen, die in der Regel mit bestimmten
Schädigungsmechanismen zusammenhängen, in einen allgemeinen Zusammen-
hang mit den Beanspruchungsgrößen Spannung und Temperatur (zum Teil auch
mit Verformungsgeschwindigkeit und Werkstoffstruktur) zu bringen.
In den Karten wird angezeigt, welche phänomenologische Erscheinungsform
eines Bruches in welchem Spannungs-Temperatur-Bereich zu erwarten ist. Um
Karten verschiedener Werkstoffe untereinander vergleichen zu können, sind die
Achsen des Diagramms auf die Werkstoffparameter Schmelztemperatur T s und
Elastizitätsmodul E normiert worden. In den Bruchmechanismenkarten wird der
( T ⁄ T s ; ( σ ⁄ E ) ) -Parameterbereich in einzelne Sektionen unterteilt, in denen
jeweils eine bestimmte Bruchform vorherrschend ist. Im Bereich niedriger Tempe-
raturen tritt in der Regel Spaltbruch ein, wenn eine kritische Spannung überschrit-
ten wird. Oberhalb einer bestimmten Spröd-zu-Duktilbruch-Übergangstemperatur
6.2 Materialphysik der Schädigung 227

ändert sich die Bruchform in einen intragranularen Duktilbruch, dem in der Regel
Mechanismen des Porenwachstums an Einschlüssen und Lunkern zugrunde liegen.
Der Bereich des intragranularen Duktilbruchs verbreitert sich zu höheren Tempera-
turen hin, da die Prozesse des plastischen Fließens zunehmend von der Verfor-
mungsrate abhängig werden. Dies bedeutet, dass die Prozesse des Porenwachstums
auch unterhalb der kritischen Spannung für einen Bruch bei instantaner plastischer
Verformung stattfinden. Sinken die Spannungen im Bereich höherer homologer
Temperaturen noch weiter ab, kommt es zu einem Übergang von intragranularen
zu intergranularen Porenwachstumsprozessen. Letztere finden an Korngrenzen
statt und basieren auf diffusiven Prozessen, wie spannungsgerichteten Leerstellen-
bewegungen, während den zuerst genannten eher Versetzungsbewegungen
zugrunde liegen [342].
Zum Verständnis der Schwierigkeiten, welche sich bei der Modellierung der
Materialschädigung ergeben, sollen in den folgenden Abschnitten wichtige, den
verschiedenen Formen von Brucherscheinungen zugrunde liegende werkstoffphy-
sikalische Mechanismen kurz umrissen werden. In Abschnitt 6.2.3.4 werden die
grundlegenden physikalischen Betrachtungen zum Spaltbruch dargelegt. Um die
verschiedenen Formen von Schädigungsverläufen bei Duktil- und Kriechbruch
darstellen zu können, ist es notwendig, die Mechanismen, welche zum Entstehen
von Rissen führen, getrennt von Mechanismen zu betrachten, mit denen diese ent-
standenen und sehr kleinen Risse im Laufe einer fortgeführten Beanspruchung zu
wachsen beginnen. Diese Unterscheidung ist deshalb wichtig, da in Abhängigkeit
davon, wie ein Bauteil beschaffen ist und welcher Beanspruchung es ausgesetzt

10 -1
transgranularer
Duktilbruch
Zerreißen
10 -2 infolge
Spaltbruch
dynamischer
Normierte Normalspannung s/E

Rekristallisation

10 -3

10 -4 intergranularer
Kriechbruch

10 -5

kein Bruch
10 -6
0,2 0,4 0,6 0,8 1,0

Homologe Temperatur T/Ts

Abb. 6.6 Schematische Darstellung einer Bruchmechanismenkarte (adaptiert aus [342])


228 6 Schädigung

wird, entweder die Phase der Rissentstehung oder die des Risswachstums den
Schädigungsverlauf dominieren kann. Aus diesem Grund werden in den Abschnit-
ten 6.2.3.5 und 6.2.3.6 die verschiedenen dem intragranularen oder dem intergra-
nularen Porenwachstum zugehörigen Mechanismen getrennt nach den Phasen der
Rissbildung und des Risswachstums dargelegt.

6.2.3.4 Bruch auf atomarem Niveau

Rissvorgänge in einem Material treten dann ein, wenn zum einen ein ausrei-
chend hoher Betrag an mechanischer Spannung vorhanden ist und gleichzeitig
genügend mechanische Arbeit verrichtet wird, um auf dem untersten Strukturni-
veau (vgl. 3.2.1 und 3.2.2.1) Atombindungen entweder im Kristallgitter oder zwi-
schen einzelnen Kristalliten aufzubrechen. Für das grundsätzliche Verständnis die-
ses Vorgangs auf atomaren Niveau soll zwischen diesen beiden Varianten der
Einfachheit halber nicht unterschieden werden, da sich bezüglich der nun folgen-
den allgemeinen Abschätzung für die erforderliche Spannung und Arbeit keine
Unterschiede ergeben. Aufbauend auf den in 4.2.1 gemachten Betrachtungen zur
Verzerrung des Kristallgitters beziehen sich alle folgenden Überlegungen auf den
hinteren Teil der in Abb. 4.2 dargestellten Wechselwirkungskraft-Atomabstands-
Kurve, welcher in Abb. 6.7 noch einmal mit den für die Bruchproblematik relevan-
ten Details dargestellt ist.
Um die Bindung zwischen zwei Atomen zu lösen, muss eine Kraft der darge-
stellten Anziehungskraft entgegenwirken, damit die Atome aus der Ruhelage r0
über dem Punkt der Destabilisierung der Bindung rD auseinandergezogen werden.
Zur Abschätzung der Anziehungskraft auf Atomniveau wird deren Verlauf als die
erste Hälfte der vollen Periode einer Sinusfunktion idealisiert angenommen:

π⋅r
F = F min ⋅ sin § ----------------· , (6.1)
© r D – r 0¹

wobei F min die interatomare Bindungskraft ist und alle anderen Variablen den
in Abb. 4.2 bzw. Abb. 6.7 dargestellten Funktionen entsprechen. Im Sinne einer
weiteren Vereinfachung für die hier vorgenommene Abschätzung wird die Sinus-
funktion in Gleichung (6.1) durch ihr Argument ersetzt

π⋅r
F = F min ⋅ ---------------- (6.2)
rD – r0

Entsprechend dieser vereinfachenden Annahme ergibt sich die Steifigkeit der


Bindung k aus:
6.2 Materialphysik der Schädigung 229

0
r
Bindungsenergie

Fi
Bindungsenergie

k
F = Fmin sin (pr/(rD-r0))

0
r
Bindungskraft
Fmin

r0 rD

Abb. 6.7 Schematische Darstellung der Anziehung zwischen zwei Atomen (Potenzial U, innere
Wechselwirkungskraft Fi=-dU/dr, Steifigkeit in der Ruhelage k=d2U/dr). Um die Bindung
zwischen zwei Atomen aufzubrechen, müssen die Atome aus der Ruhelage r0 bis zum Punkt der
Destabilisierung der Bindung rD auseinander gezogen werden [334].

π
k = F min ⋅ ---------------- (6.3)
rD – r0

Werden beide Seiten dieser Gleichung mit der Anzahl von Bindungen pro Flä-
cheneinheit und der Distanz der Ruhelage multipliziert, lässt sich sehr leicht eine
Formulierung ableiten, in der der Elastizitätsmodul E an die Stelle von k rückt
und F min durch eine Kohäsivspannung σ K ersetzt wird. Aufgelöst nach σ K ergibt
sich dann:

E ⋅ ( rD – r0 )
σ K = ----------------------------
- (6.4)
π ⋅ r0
230 6 Schädigung

Wird weiterhin davon ausgegangen, dass der Abstand zwischen dem Punkt der
Ruhelage und dem Punkt der Destabilisierung, ( r D – r 0 ) , etwa dem Atomabstand
in der Ruhelage r 0 entspricht, so ergibt sich folgende einfache Abschätzung für die
Beziehung zwischen σ K und E :

E
σ K ≈ --- (6.5)
π

Da sich nach Aufbrechen der Atombindungen zwei neue Oberflächen mit der
jeweiligen Oberflächenenergie γ s bilden, lässt sich folgende Energiebilanz für den
Bruch auf atomarer Ebene formulieren:

EB = ³ F dx = 2 ⋅ γs , (6.6)
r0

wobei E B der Bindungsenergie entspricht und F eine in Zugrichtung wirkende


Kraft ist. Damit ergibt sich die Oberflächenenergie aus

rD – r0
1 π⋅r rD – r0
γ s = --- ³ σ K ⋅ sin §© ----------------·¹ dx = σ K ⋅ ---------------- (6.7)
2 rD – r0 π
0

Aus der Substitution von Gleichung (6.4) in Gleichung (6.7) und Auflösung
nach σ K ergibt [334]:

E ⋅ γs
σK = ------------ (6.8)
r0

Wie aus der oben durchgeführten Abschätzung hervorgeht, liegt der theoreti-
sche Wert für die Festigkeit eines Materials im Bereich von E ⁄ π . Tatsächlich lie-
gen experimentell bestimmte Festigkeiten jedoch viel niedriger. Bei spröden Werk-
stoffen beträgt der Unterschied zwischen theoretischer und experimentell
bestimmter Festigkeit sogar drei bis vier Größenordnungen [334]. Aus diesen deut-
lichen Diskrepanzen zwischen makroskopisch beobachteter Festigkeit und korre-
spondierender atomarer Kohäsivspannung lässt sich schlussfolgern, dass Inhomo-
genitäten der Werkstoffstruktur zu einer drastischen Erhöhung des Betrages des
Spannungszustandes an einzelnen Atombindungen führen. Diese festigkeitsmin-
dernden Inhomogenitäten können entweder Poren, Oberflächenrisse oder Mikro-
risse im Werkstoffgefüge sein. Aber auch durch plastische Verformung erzeugte
Versetzungsstrukturen können zu lokalisierten Spannungserhöhungen auf atomarer
Ebene führen, wodurch Rissinitiierungen entstehen, aus denen sich bei weiterer
6.2 Materialphysik der Schädigung 231

mechanischer Belastung große Makrorisse bilden können. Hieraus ergibt sich eine
bestimmte Komplexität bei der theoretischen Beschreibung von Rissentstehung
und -wachstum, da sich in Abhängigkeit von Material und Beanspruchung sehr
unterschiedliche Möglichkeiten für die Erzeugung lokal erhöhter Spannungszu-
stände ergeben, welche Auslöser von Rissen sind.

6.2.3.5 Rissentstehung

Wie zahlreiche Untersuchungen gezeigt haben, sind die Prozesse der Rissentste-
hung vielschichtig und lassen daher keine einheitliche werkstoffunabhängige
Beschreibung zu. Eines der elementaren Probleme besteht darin, dass viele der bei
der Rissentstehung ablaufenden Prozesse auf atomaren Niveau stattfinden, sodass
sie sich nur an sehr speziellen Laborproben untersuchen lassen. Einer Rissbildung
gehen in der Regel Prozesse der Lokalisierung der plastischen Verformung voraus,
d. h., spezifische, der plastischen Verformung zugrunde liegende Mechanismen
treten örtlich gebündelt auf, sodass an dieser Stelle eine für die Schädigung auf ato-
maren Niveau notwendige Beanspruchung auftritt. Beim Prozess der Lokalisierung
kommt es analog zu den Verformungsmechanismen (vgl. 5.3.1, 5.4.3, 5.5.3) zu
einer Wechselwirkung zwischen den Versetzungen und Leerstellen mit bestimmten
Elementen der Werkstoffstruktur (z. B. Gitter, Korngrenzen, Ausscheidungen). In
Abhängigkeit von der Art dieser Wechselwirkung treten unterschiedliche Mecha-
nismen der Rissentstehung auf. Sie unterteilen sich grob in intragranularen Rissbil-
dungsmechanismen, dazu zählen alle Mechanismen, die auf einer Wechselwirkung
mit Elementen der Strukturhierarchie (vgl. 3.2.1) unterhalb von Körnern basieren,
und intergranulare Mechanismen, d. h. Mechanismen, die an Korngrenzen bzw.
Phasengrenzen wirken.
Eine typische Form von intragranularen Rissbildungsmechanismen sind Verfor-
mungslokalisierungen aufgrund der Ausbildung persistenter Gleitbänder bei zykli-
scher Verformung (vgl. 5.5.3.2). In diesen werden bei zyklischer Verformung Ver-
setzungen ständig erzeugt und annihiliert. Infolge der Annihilation von
Versetzungsdipolen des Leerstellentyps kommt es zur Bildung von Leerstellen,
wodurch der Werkstoff in Form einer Protrusion an der Oberfläche austritt [341].
Die im Gitter einzelner Körner auftretenden persistenten Gleitbänder können
jedoch auch intergranulare Mechanismen der Rissbildung auslösen, indem ein Ver-
setzungsaufstau im persistenten Gleitband an der Korngrenze eine Spannungskon-
zentration hervorruft. In Abhängigkeit von der Beschaffenheit der Korngrenze
können die so induzierten Zugspannungen ausreichen, um die Korngrenze aufzu-
reißen [341]. Allerdings ist bei diesem eher bei niedrigen homologen Materialtem-
peraturen auftretenden Mechanismus der Rissbildung eher von intragranularen
Rissbildungen auszugehen. Der Übergang zu intergranularen Mechanismen findet
vor allem bei hohen homologen Materialtemperaturen in Zusammenhang mit den
mit der Kriechverformung zusammenhängenden Elementarmechanismen statt
[357, 358]. Einer der wichtigsten Mechanismen besteht dabei in der Bildung von
232 6 Schädigung

Poren an den Korngrenzen infolge der durch Spannungsgradienten verursachten


Bewegung von Leerstellen oder Versetzungen (vgl. Abb. 6.8). Wenn ein einzelnes
Korn in einem Werkstoffgefüge an einer Seite Druckspannungen und an einer
anderen Zugspannungen erfährt, so kommt es gemäß dem in 5.2.2.3 in Zusammen-
hang mit dem Versetzungsklettern dargestellten Mechanismus des Leerstellenflus-
ses (Gleichungen (5.15) - (5.20)) zur gerichteten Leerstellenbewegung. Damit an
der Korngrenze eine Kondensation dieser Leerstellen zu einer Pore erfolgen kann,
muss jedoch analog zu den Ableitungen in 6.2.3.4 und 3.4.1.2 eine für die mit den
sich bildenden Porenoberflächen hinzukommende Oberflächenenergie γ s sich
ergebende Energiebilanz erfüllt werden. Aus den Abhandlungen in [359-361]
*
ergibt sich, dass die Porenbildungsrate P stark von der Temperatur T und der
wirkenden Spannungsbeanspruchung σ abhängig ist

ΔF
P ∼ exp § – -------· ,
*
(6.9)
© kT ¹

wobei

3
16 ⋅ π ⋅ γ
ΔF = ----------------------s- (6.10)
2
3⋅σ

der aufzubringende Betrag an Freier Energie für die Bildung einer stabilen Pore
ist. Die für die Bildung stabiler Poren erforderlichen Spannungen sind zwar niedri-
ger als beim einfachen Zerreißen von Atombindungen, liegen jedoch mit einer
Größenordnung von etwa E ⁄ 100 deutlich über den für Kriechverformungen übli-
chen Spannungsbeanspruchungen [358]. Daraus folgt, dass Porenbildung durch
Leerstellenkondensation an Korngrenzen nur dann erfolgen kann, wenn gleichzei-
tig durch andere Mechanismen hohe lokale Spannungskonzentrationen erzeugt
werden. Hierfür werden in der Literatur drei Mechanismen vermutet. Zum einen
können an Korngrenzentripeln hohe lokale Spannungskonzentrationen auftreten,
wenn dort gleichzeitig Prozesse der Korngrenzengleitung ablaufen. Eine andere

n s
K

ite
or

le
ng

s ng
re

e
nz

nz Gleitband
en

re
s
gl

ng
ei

or
te

K Korngrenze
n

Teilchen

s
s s

Abb. 6.8 Schematische Darstellung der Porenbildungsmechanismen aus [358]


6.2 Materialphysik der Schädigung 233

Möglichkeit ergibt sich in teilchengehärteten Legierungen, wenn die harten Pha-


senteilchen sich genau auf einer Korngrenze der weichen Matrix befinden, an der
ebenfalls Korngleitprozesse ablaufen. Eine Möglichkeit, welche kein Korngren-
zengleiten voraussetzt, ist das Aufstauen von Versetzungen an Korngrenzen.

6.2.3.6 Risswachstum

Bleiben die Spannungsbeanspruchungen, welche zur Bildung kleiner Initialrisse


bzw. Poren geführt haben, bestehen, so können in der unmittelbaren Umgebung der
Rissspitze aufgrund lokaler Spannungsüberhöhungen Mechanismen der plasti-
schen Verformung ablaufen. Als Rissspitze wird dabei der Teil des Initialrisses
bzw. der Pore verstanden, welcher den kleinsten Radius besitzt. Je nach Beanspru-
chung und homologer Materialtemperatur kann es an der Rissspitze zu kristallogra-
fischem Gleiten, zu Versetzungsbewegungen durch Kriechmechanismen oder zur
Leerstellendiffusion kommen [358]. Da die ersten beiden den in 5.3 und 5.4
besprochenen Verformungsmechanismen entsprechen, sollen sich die folgenden
Betrachtungen auf das Porenwachstum durch Leerstellendiffusion konzentrieren.
Die Pfade der Leerstellendiffusion an einer Pore des Radius a sind für den Fall
weniger, gleichmäßig entlang der Pore verteilter Leerstellen in Abb. 6.9 darge-
stellt. Das Wachstum der Pore wird dabei ausschließlich durch gerichtete Diffusion
hervorgerufen, ohne dass Mechanismen der plastischen Verformung daran beteiligt
sind. Die Diffusion der Leerstellen findet zunächst entlang der Porenoberfläche
und danach entlang der angrenzenden Korngrenzen statt. Die Wachstumsge-
schwindigkeit entspricht folglich dem langsamsten dieser beiden Transportpro-
zesse, d. h. entweder dem Korngrenzen- oder dem Oberflächendiffusionsprozess.
Wird davon ausgegangen, dass der Korngrenzendiffusionsprozess der langsamere
und damit bestimmende Prozess ist, so ergibt sich die Porenwachstumsgeschwin-
digkeit nach den in [362, 363] getroffenen Ableitungen aus

2b

Oberflächendiffusion
Korngrenzendiffusion

2a

Abb. 6.9 Schematische Darstellung des Porenwachstums durch Leerstellendiffusion aus [358].
234 6 Schädigung

da d KG ⋅ D KG ⋅ Ω ⋅ σ
-,
------ = ----------------------------------------- (6.11)
dt 2
a ⋅k⋅T

wobei d KG die Dicke der Korngrenze, D KG der Koeffizient für Korngrenzen-


selbstdiffusion und Ω das Atomvolumen ist. Die aus Gleichung (6.11) hervorge-
hende lineare Spannungsabhängigkeit des Porenwachstums durch Leerstellendiffu-
sion konnte jedoch über experimentelle Befunde nur selten bestätigt werden [358].
Wird davon ausgegangen, dass der Oberflächendiffusionsprozess der langsa-
mere und damit bestimmende Prozess ist, so nimmt das Porenwachstum eine
äußere Gestalt an, welche mit einem klassischen Risswachstum vergleichbar ist, da
Leerstellen an der Rissspitze schneller abdiffundieren, als sie von der Porenober-
fläche nachgeliefert werden. Die Porenwachstumsgeschwindigkeit, welche im
Gegensatz zum zuerst beschriebenen Prozess nicht mehr mit einer Formstabilität
der Pore verbunden ist, ergibt sich für den Bereich niedriger Spannungen nach den
in [364] getroffenen Ableitungen aus

3
da- ds ⋅ Ds ⋅ Ω ⋅ σ
----- = ----------------------------------
-, (6.12)
dt 2 ⋅ k ⋅ T ⋅ γs
2

wobei d s ⋅ D s der Oberflächendiffusionsrate entspricht. Die aus Gleichung


(6.12) hervorgehende Spannungsabhängigkeit des Porenwachstums mit der dritten
Potenz entspricht experimentellen Beobachtungen [365, 366]. Die beschriebenen
diffusionsgesteuerten Porenwachstumsprozesse können durch Wechselwirkung
mit umgebenden Prozessen der Kriechverformung beschleunigt werden, da hier-
durch die charakteristische Diffusionslänge für den Leerstellentransport durch die
Korngrenze verkürzt wird. Dies ist besonders bei hohen Spannungen und hohen

2b

L L

Oberflächendiffusion
Potenzgesetz- Korngrenzen- Korngrenzen- Potenzgesetz-
kriechen diffusion diffusion kriechen

2a

Abb. 6.10 Schematische Darstellung des gekoppelten Porenwachstums durch Leerstellendif-


fusion und Potenzgesetzkriechen aus [358].
6.3 Modellierung der Materialschädigung 235

Dehnraten der Fall, wodurch es zu einer starken Beschleunigung des Porenwachs-


tums kommen kann (vgl. Abb. 6.10).

6.3 Modellierung der Materialschädigung

6.3.1 Problematik der Schädigungsmodellierung

Wie aus den Ausführungen zur Rissbildung (vgl. 6.2.3.5) und zur Rissfortpflan-
zung (vgl. 6.2.3.6) hervorgeht, handelt es sich bei Schädigungsprozessen in der
Regel um lokalisiert im Werkstoff ablaufende physikalische Mechanismen. Im
Gegensatz zur Verformung, bei der angenommen wird, dass sie bei homogener
äußerer Belastung gleich verteilt über dem Querschnitt des Werkstoffs stattfindet,
muss bei Schädigungsprozessen davon ausgegangen werden, dass trotz homogener
äußerer Belastung sich an einer bestimmten Stelle im Querschnitt des Werkstoffs
ein Anriss bildet, der sich von dort aus über den Querschnitt auszubreiten beginnt.
Der Ort der Rissentstehung hängt dabei nicht unmittelbar mit der Belastung zusam-
men.
Für die Nachbildung von Schädigungsprozessen in einem Modell wirft dies ein
Problem auf, wenn - wie bei den werkstoffmechanischen Modellen - ein funktiona-
ler Zusammenhang zwischen vorgegebener Belastung und im Werkstoff erfolgen-
der Schädigungsreaktion angestrebt wird. Grundsätzlich wäre es zwar möglich, die
konkreten werkstoffstrukturellen Spezifika, d. h. Korngrenzen, Ausscheidungen,
harte Phasenteilchen usw., einem Modell vorzugeben, um so lokale Spannungs-
überhöhungen zu ermitteln und Orte der Rissentstehung abzuschätzen. Für prakti-
sche ingenieurtechnische Belange ist ein solches Vorgehen sehr aufwendig, da der-
selbe Werkstoff in verschiedenen in einer Serienproduktion gefertigten Bauteilen
gleichen Typs immer ein anderes strukturelles Aussehen haben wird und somit
viele Varianten möglicher Werkstoffgefüge in die Berechnungen einbezogen wer-
den müssen. Auch die Nachbildung der Rissbildung ist für ingenieurtechnische
Anwendungen schwierig. Zwar liegen für die verschiedenen möglichen Mechanis-
men physikalische Modelle vor, allerdings ist die experimentelle Verifizierung die-
ser Prozesse sehr aufwendig, sodass nur für wenige ausgesuchte “Modellwerk-
stoffe“, wie Cu oder Ni, entsprechende Modellparameter vorliegen. Eine
Ausweitung dieser Experimente auf alle technisch verfügbaren Legierungen
erscheint unrealistisch. Überdies ist die Modellierung mechanischer Prozesse über
viele Größenordnungen hinweg, d. h. von der Makroebene bis auf das atomare
Niveau, sehr schwierig, da hierzu viele Zwischenmodelle notwendig sind, welche
die Zusammenhänge zwischen den Mechanismen in den einzelnen Strukturebenen
herstellen.
Aus den genannten Gründen haben sich für ingenieurtechnische Belange For-
men der Modellierung durchgesetzt, bei denen durch die Vorgabe bestimmter
Randbedingungen bzw. durch bestimmte Vereinfachungen die eingangs für die
236 6 Schädigung

Nachbildung schädigungsmechanischer Prozesse genannten Schwierigkeiten


umgangen werden, sodass für die Anwendung praktisch nutzbare Schädigungsbe-
rechnungen ermöglicht werden. Zu den weit verbreitetsten Modellformen zählen
dabei die kontinuumsmechanisch abgeleiteten Konzepte der Bruchmechanik und
der Kontinuumsschädigungsmechanik sowie verschiedene empirische Ermüdungs-
modelle.

6.3.2 Bruchmechanische Konzepte

„Die Bedeutung des Pilotprogramms beim U.S. Naval Research


Laboratory und die der Risstheorie von Griffith aus dem Jahr 1920
sollte nicht überbetont werden. Die grundsätzlichen Ideen der Analysen
ergaben sich nahezu offensichtlich aus allgemeinen Prinzipien und
wären zu jeder Zeit bei Vorhandensein einer ausreichenden Motivation
zustande gekommen. Tatsächlich war es so, dass die bestehende Praxis,
Sicherheitsfaktoren über vorhandene Schadensfälle abzuschätzen, ein-
fach zu teuer wurde und dringend einer Ablösung durch ein rationaleres
Vorgehen bedurfte. Innovativer Fortschritt bei Werkstoffen und Kon-
struktionen benötigte ein besseres Verständnis der Bruchfestigkeit und
verbesserte Methoden der Bruchvermeidung.“
George R. Irwin in Journal of Metals, Juli 19971

6.3.2.1 Hintergrund bruchmechanischer Konzepte

Der Zweck bruchmechanischer Konzepte besteht darin, die Analyse und Vor-
aussage des Risswachstums ohne explizite Kenntnis der werkstoffphysikalischen
Schädigungsmechanismen durchführen zu können. Das methodische Vorgehen
besteht dabei in der Verwendung verschiedener Konzepte, welche die Verteilung
von Spannung und Dehnung in der Nähe der Rissspitze charakterisieren. In Versu-
chen an speziellen Modellproben wird der Zusammenhang zwischen einem
bestimmten bruchmechanischen Parameter und der Rissausbreitung bestimmt. Mit
Hilfe der so erhaltenen Kennwerte lassen sich durch Anwendung der bruchmecha-
nischen Konzepte auf Rissvorgänge in realen Strukturen Aussagen zum Rissfort-
schritt ableiten [357].
Die heute bekannten bruchmechanischen Konzepte gehen auf Arbeiten von Ing-
lis [367] aus dem Jahr 1913 zurück, in denen er das Konzept von Spannungskon-
zentrationen an geometrischen Diskontinuitäten vorschlug, um so eine Erklärung
dafür zu geben, weshalb Brüche in der Regel von Rissen, Löchern oder anderen

1. Das Zitat stammt aus einem Übersichtsaufsatz über die historische Entwicklung des Bruchver-
ständnisses [374] (übersetzt durch den Autor).
6.3 Modellierung der Materialschädigung 237

Defekten ausgehen. Diese Überlegungen wurden wenige Jahre später von Griffith
[368] weitergeführt, indem er diese mit Hypothesen zur Energiebilanz während der
Rissbildung kombinierte und daraus das Konzept einer kritischen Risslänge ablei-
tete, ab der es in spröden Werkstoffen zur instabilen Rissausbreitung kommt. In
theoretischen Analysen leitete er eine inverse Beziehung zwischen der Bruchspan-
nung und der Wurzel der Risslänge ab. Experimentell konnte dieser Ansatz jedoch
nur an sehr spröden Glasproben bestätigt werden. Alle Versuche, das Griffith-Kon-
zept auch auf Metalle anzuwenden, scheiterten, wodurch keine praktische Nutzbar-
keit des Konzeptes gegeben war.
Erst im Jahr 1956 wurde durch Irwin ein für ingenieurtechnische Belange geeig-
netes Energiefreisetzungsrate-Konzept vorgestellt, welches auf den theoretischen
Ansätzen von Griffith aufbaute und vorhergegangene Überlegungen [372, 370]
zum lokalen plastischen Fließen an der Rissspitze berücksichtigte. Kurze Zeit spä-
ter veröffentlichte Irwin seinen wichtigsten Aufsatz [372] zur Bruchmechanik, in
welchem er durch Nutzung der Westergaard-Näherung [373] zeigte, dass die
Amplitude der Spannungen oder Verformungen vor der Rissspitze in sich elastisch
verformenden Medien durch einen einzigen Parameter charakterisiert werden
kann. Die Einführung dieses heute allgemein als Spannungsintensitätsfaktor K
bezeichneten Parameters war einer der wichtigsten Meilensteine für das sich ent-
wickelnde Gebiet der Bruchmechanik. Die Größe von K hängt von der äußeren
Belastung sowie der Größe und Form von Riss und Bauteil ab. Es konnte weiter
gezeigt werden, dass K eindeutig zur Energiefreisetzungsrate ins Verhältnis
gesetzt werden kann, was zeigt, dass eine Korrelation zwischen den Spannungs-
und Energieansätzen besteht [375, 334].
In Abhängigkeit vom Verformungsverhalten der Werkstoffe werden verschie-
dene bruchmechanische Konzepte zur Bewertung rissbehafteter Bauteile verwen-
det. Grundsätzlich wird zwischen der linear-elastischen Bruchmechanik (LEBM)
und der elastisch-plastischen Bruchmechanik (EPBM), welche auch als Fließ-
bruchmechanik (FBM) oder Zähbruchmechanik bezeichnet wird, sowie der zeitab-
hängigen Bruchmechanik (ZBM) unterschieden. Ausschlaggebend ist, in welchem
Ausmaß plastische Verformungen vor der Rissspitze den Bruchvorgang begleiten
und ob diese sich zeitlich verändern. Sind die Fließbereiche vor der Rissspitze groß
und ist damit der Radius der plastischen Zone nicht mehr klein gegenüber der Riss-
länge, verlieren die einfacheren Konzepte der LEBM ihre Gültigkeit und es muss
die EPBM zur Anwendung kommen. Sollen darüber Zeitabhängigkeiten betrachtet
werden, kommt in Abhängigkeit von der Rissgeschwindigkeit und vom Material-
verhalten eines von mehreren Konzepten innerhalb der ZBM zum Tragen - die
dynamische Bruchmechanik für schnelle Risse in der Größenordnung der Schall-
geschwindigkeit im jeweiligen Werkstoff, die viskoelastische Bruchmechanik für
zeitabhängige Rissvorgänge in Polymeren sowie die Kriechbruchmechanik für
langsame Rissausbreitung in Keramiken und Metallen.
238 6 Schädigung

6.3.2.2 Linear-elastische Bruchmechanik

Das LEBM-Konzept ermöglicht die quantitative Vorhersage des Versagens


eines angerissenen Bauteiles als Folge von instabiler Rissausbreitung. Zunächst
wird das Spannungsfeld um einen Riss betrachtet. Dabei wird angenommen, dass
das Spannungsfeld auf eine elastische Verzerrung zurückgeführt werden kann.
Dies ist nur möglich, wenn die am Körper anliegende Spannung gleichmäßig ver-
teilt und der Körper um den Riss homogen und isotrop ist. Um einen solchen Spalt-
bruch unter überwiegend linear-elastischen Verformungsbedingungen vorauszusa-
gen, existieren zwei wesentliche Konzepte. Das erste baut auf einer Energiebilanz
auf, welche die notwendigen Bedingungen für den Bruch formuliert. Das zweite
verwendet die Amplitude einer Rissspitzen-Spannungsintensität, welche einen kri-
tischen Wert überschreiten muss, damit es zum Bruch kommt.

Energiebilanz-Ansatz

In der von Griffith [368] durchgeführten Energiebilanz-Betrachtung wird als


Voraussetzung für die Vergrößerung einer Bruchfläche A um dA formuliert, dass
die Gesamtenergie H sich entweder verkleinern sollte oder zumindest konstant
bleiben muss. Wird eine Platte betrachtet, welche durch eine konstante Spannung
σ beansprucht wird und einen Anriss der Länge 2a enthält, so ergibt sich unter
der Annahme, dass die Breite der Platte b » 2a ist und dass ein ebener Spannungs-
zustand vorherrscht, die folgende Energiebilanz

d H- = d Π- + d W
---------s = 0
------ ------ (6.13)
dA dA dA

bzw.

dΠ dW
– ------- = ---------s , (6.14)
dA dA

wobei Π die potenzielle Energie ist, welche durch die elastische Streckung der
Platte zustande kommt. Zur ihrer Berechnung nutzt Griffith die Spannungsanalyse
von Inglis [367], um für den in Abb. 6.11 abgebildeten Riss zu zeigen, dass

2 2
π⋅σ ⋅a ⋅d
Π = Π 0 – ------------------------------- , (6.15)
E

wobei Π 0 die potenzielle Energie der ungerissenen Platte ist und d der Platten-
dicke entspricht. W s entspricht der Arbeit, welche zur Bildung der zwei neuen
Oberflächen notwendig ist und sich aus
6.3 Modellierung der Materialschädigung 239

2a

Abb. 6.11 Riss durch die Dicke einer dünnen Platte, welche unter Zugbeanspruchung steht.

Ws = 4 ⋅ a ⋅ d ⋅ γs (6.16)

ergibt, wobei γ s die Oberflächenenergie des Materials ist [334], d. h.

2
dΠ π⋅σ ⋅a
– ------- = --------------------- (6.17)
dA E

und

dW s
--------- = 2 ⋅ γ s (6.18)
dA

Aus den Gleichungen (6.17) und (6.18) ergibt sich eine Bruchspannung von

2 ⋅ E ⋅ γs
σB = -------------------- . (6.19)
π⋅a

Gleichung (6.19) gilt jedoch nur für sehr spröde Werkstoffe. Bei der Anwen-
dung auf Metalle zeigte sich, dass es zu einer deutlichen Unterbewertung der
240 6 Schädigung

Bruchfestigkeit kommt. Irwin und Orowan modifizierten daher die Lösung von
Griffith, indem sie einen zusätzlichen Energiebetrag für plastische Verformung vor
der Rissspitze in die Bilanz mit aufnahmen, sodass sich die Bruchspannung aus

2 ⋅ E ⋅ ( γs + γp )
σB = -----------------------------------
- (6.20)
π⋅a

ergibt, wobei γ p die plastische Verformungsarbeit ist, die im Material vor der
Rissspitze geleistet wird, welche in Metallen üblicherweise deutlich größer als γ s
ist [334]. Im Gegensatz zu Bruchvorgängen in spröden Werkstoffen, in denen
Risse hauptsächlich durch das Aufreißen von Atombindungen gebildet werden,
kommt es in Metallen zu einer erheblichen Versetzungsbewegung in der Nähe der
Rissspitze, aus welcher ein zusätzlicher Betrag von Verformungsarbeit resultiert.
Obwohl Irwin und Orowan die Formulierung in Gleichung (6.20) ursprünglich für
Metalle gemacht haben, lässt sich durch die Einführung einer spezifischen Bruch-
energie w B folgende Generalisierung dieser Formulierung erreichen

2 ⋅ E ⋅ wB
σB = ---------------------- , (6.21)
π⋅a

wobei durch w B in Abhängigkeit vom Werkstoff auch Anteile viskoelastischer


bzw. zeitabhängiger plastischer Verformungen vor der Rissspitze als auch andere
Effekte, wie das Verzweigen von Rissen, berücksichtigt werden können.

Spannungsintensitätsfaktoren-Ansatz

Bei der Bewertung von Rissen mit dem Rissspitzen-Spannungsintensitäts-


Ansatz wird in drei verschiedene sogenannte Bruchmoden (Abb. 6.12) unterschie-
den, mit denen ein Riss in Abhängigkeit von der Form der Beanspruchung an der
Rissspitze vorangetrieben wird. Der üblicherweise mit dem Index römisch eins
bezeichnete Modus I, ist der sogenannte Rissöffnungsmodus, d. h., es werden die
Rissufer spiegelsymmetrisch gegenüber der x-z-Ebene in Richtung der x-y-Ebene
auseinandergezogen. Der Modus II ist der sogenannte Gleitmodus, d. h., die Riss-
ufer gleiten symmetrisch auf der x-z-Ebene und in Richtung der x-y-Ebene gegen-
einander ab. Modus III ist der Zerreiß- oder Torsionsmodus, d. h., die Rissufer
gleiten spiegelsymmetrisch zur x-y-Ebene in Richtung y-z-Ebene gegeneinander
ab.
Bruchmechanische Betrachtungen beziehen sich in der Regel auf Mode I-Belas-
tungen, da die meisten in Metallen auftretenden Risse unter dieser Bedingung statt-
finden. In der Praxis reißen Bauteile mit Innen- bzw. Oberflächenrissen, die auf
Zug oder Biegung beansprucht werden, überwiegend in Modus I. Überdies exis-
6.3 Modellierung der Materialschädigung 241

F
y x F

z
F

F F

Mode I Mode II Mode III

Abb. 6.12 Bruchmodi

tiert für Risse in den Moden II und III bzw. für sich überlagernde Bruchmoden
(engl. mixed-mode) keine vollständig etablierte Theorie [375].
Das Konzept der Spannungsintensitat ermöglicht die quantitative Erfassung der
das Risswachstum vorantreibenden Kräfte unter Annahme eines überwiegend
linear-elastischen Verformungsverhaltens des Werkstoffes. Ausgangspunkt für den
Spannungsintensitätsfaktor-Ansatz waren geschlossene mathematische Ausdrücke
zur Spannungsberechnung in einem sich als isotrop linear-elastisch verformenden
rissbehafteten Körper, welche durch verschiedene Autoren [372, 373, 376] vorge-
legt wurden. Eine generalisiertere Lösung zur Spannungsberechnung im Raum vor
der Rissspitze, welche nicht auf die unmittelbare Rissspitzenumgebung begrenzt
ist, wurde von Williams [377] formuliert:

m
----
k ∞
= § ------· ⋅ f ij ( θ ) + ¦
2 (m)
σ ij A m ⋅ r ⋅ g ij ( θ ) , (6.22)
© r¹ m=0

wobei σ ij dem Spannungstensor entspricht (vgl. 4.3.5), die (Polar-)Koordina-


tenparameter r und θ gemäß der in Abb. 6.13 gegebenen Definition zu verwenden
sind, k eine Konstante ist und f ij eine dimensionslose Funktion von θ ist, die nur
von der Geometrie des Bauteils (bzw. der Probe) und der Risslänge abhängt. Wie
aus der Formulierung von Gleichung (6.22) hervorgeht, leisten die Terme höherer
Ordnung nur für größere Werte von r einen signifikanten Beitrag. Mit anderen
Worten, in der Nähe der Rissspitze, d. h. r → 0 , wird die Spannungsverteilung
nahezu ausschließlich vom ersten Term bestimmt. Aus diesem geht hervor, dass
die Spannungsverteilung direkt vor der Rissspitze immer einer 1 ⁄ r Funktion
folgt, unabhängig davon, wie die konkrete Geometrie des rissbehafteten Körpers
aussieht. In gleicher Weise kann gezeigt werden, dass die Verformung an der
Rissspitze sich proportional zu r verhält. Durch Gleichung (6.22) wird eine Sin-
242 6 Schädigung

syy

txy sxx

tyx
q
Rissspitze
x

Abb. 6.13 Rissspitzenkoordinatensystem mit entsprechenden Spannungszuständen vor der


Rissspitze. Die z-Achse steht normal zum Blatt.

gularität an der Rissspitze ( r = 0 ) für den asymptotischen Spannungsverlauf im


rissbehafteten Körper beschrieben.
Jeder Bruchmodus besitzt die gleiche 1 ⁄ r Singularität an der Rissspitze,
jedoch hängen die anderen beiden Faktoren ( k und f ij ) vom Bruchmodus ab. Zur
Vereinfachung wird k gegen einen sogenannten Spannungsintensitätsfaktor K
ausgetauscht, wobei K = k 2π . Die drei möglichen Spannungsintensitätsfakto-
ren erhalten den gleichen Index wie die Bruchmoden, also K I , K II oder K III . Ent-
sprechend finden für die Bruchmoden I, II, III folgende Formulierungen für die
Spannungsfelder vor der Rissspitze in einem isotropen, linear-elastischen Material
Verwendung:

(I) KI (I)
lim σ ij = ------------- ⋅ f ij ( θ ) (6.23)
r→0 2πr

( II ) K II ( II )
lim σ ij = ------------- ⋅ f ij ( θ ) (6.24)
r→0 2πr

( III ) K III ( III )


lim σ ij = ------------- ⋅ f ij ( θ ) (6.25)
r→0 2πr

Wenn das singuläre Spannungsfeld im Modus I auf der Rissebene, d. h. θ = 0 ,


betrachtet wird, ergeben sich die gleichen Spannungsverläufe in x- und in y-Rich-
tung
6.3 Modellierung der Materialschädigung 243

KI
σ xx = σ yy = ------------
- (6.26)
2πr

Für θ = 0 ergibt sich keine Schubkomponente, was bedeutet, dass in der Ris-
sebene eine reine Mode I-Belastung vorliegt.
Das Diagramm in Abb. 6.14 zeigt schematisch den Verlauf von σ yy , d. h. die
normal zur Rissebene stehende Spannungskomponente über der Entfernung von
der Rissspitze. Die Gültigkeit des über Gleichung (6.26) berechneten Verlaufes
beschränkt sich auf die unmittelbare Umgebung vor der Rissspitze, welche durch
die 1 ⁄ r Singularität beherrscht wird. Die weit von der Rissspitze im Bauteil vor-
liegende Spannungsverteilung wird von den äußeren Randbedingungen bestimmt.
Wird ein rissbehaftetes Bauteil beispielsweise durch eine homogen angreifende
Zugkraft belastet, so nähert sich σ yy mit zunehmender Entfernung vom Riss einem
konstanten Wert σ ∞ an. Innerhalb der singulären Zone gelten die unter 6.2.3.4 for-
mulierten Ableitungen zum Bruch auf atomarer Ebene.
Der Spannungsintensitätsfaktor K gibt über die Amplitude der Singularität an
der Rissspitze Auskunft, d. h., Spannungen in der Nähe der Rissspitze verhalten
sich proportional zu K . Über K lässt sich auch die Spannungs- und Dehnungsver-
teilung in der Nähe der Rissspitze als Funktion von den Koordinatenparametern r
und θ bestimmen. Der Spannungsintensitätsfaktor K ist damit eine einparametrige
Beschreibung der Rissspitzenbeanspruchung, da er die Einflussgrößen äußere
Kräfte und vorhandene Risslänge miteinander kombiniert, d. h., ein rissbehaftetes
Bauteil ist der gleichen wirksamen Rissspitzenbeanspruchung ausgesetzt, wenn
entweder eine hohe äußere Kraft auf einen kurzen Riss wirkt oder eine niedrige
äußere Kraft auf einen langen Riss. Der quantitative Betrag der Rissspitzenbean-
spruchung, welcher darüber entscheidet, ob der Riss wächst, lässt sich einfach an
K ablesen, wodurch der Rissspitzen-Spannungsintensitäts-Ansatz das effektivste
und damit bedeutungsvollste Konzept der Bruchmechanik ist [334].

syy

KI
2pr
Rissspitze
r

durch Singularität
beherrschte Zone

Abb. 6.14 Spannungsverteilung normal zur Rissebene bei Mode I-Belastung


244 6 Schädigung

6.3.2.3 Nichtlineare Bruchmechanik

Aufgrund des relativ einfach beschreibaren werkstoffphysikalischen Mechanis-


mus für das Aufbrechen von Atombindungen lassen sich die verschiedenen
Ansätze zur Beurteilung von Rissvorgängen in der linear-elastischen-Bruchmecha-
nik in einer Art und Weise ableiten, in der ein sehr enger Zusammenhang zwischen
den werkstoffphysikalischen Elementarmechanismen und dem kontinuumsmecha-
nischen Ansatz (z. B. Spannungsintensitätsfaktor-Ansatz) herrscht. Legt man
anstelle der idealisierten Voraussetzung eines rein linear-elastischen Verformungs-
verhaltens das im Realfall wahrscheinlichere Auftreten elastischer und inelasti-
scher Verformungserscheinungen zugrunde, so ist es aufgrund der verschiedenen
diesen Deformationsphänomenen zugrunde liegenden Mechanismen schwer, eine
umfassende mechanismenorientierte Beschreibung von Bruchvorgängen anzuferti-
gen. Zwar ist es möglich, bestimmte Vorgänge isoliert in verschiedenen Einzelmo-
dellen zu betrachten. Jedoch ergeben sich daraus keine klaren Ableitungen für das
Aufstellen kontinuumsmechanischer Beschreibungen. Aus diesem Grund existiert
im Fall nichtlinearen Verformungsverhaltens eine stärkere Diskrepanz zwischen
den kontinuumsmechanischen Analysen der den Riss vorantreibenden Kräfte auf
der einen Seite und den tatsächlich an der Rissspitze auftretenden werkstoffphysi-
kalischen Elementarmechanismen auf der anderen Seite [342].
Unter Berücksichtigung der aufgeführten Problematik bei nichtlinearem Verfor-
mungsverhalten besteht das Ziel einer effektiven kontinuumsmechanischen Ana-
lyse, eine universelle Charakterisierung des Rissspitzenbeanspruchungsfeldes
anzufertigen, welche dieses für verschiedene Belastungsbedingungen über geeig-
nete Parameter beschreibt. Die heute am weitesten verbreiteten Ansätze sind das J-
Integral und das C*-Integral. Außerdem existiert das sogenannte Rissspitzenauf-
weitungsverfahren (Crack Tip Opening Displacement, CTOD), welches allerdings
nicht näher besprochen werden soll.

Der J-Integral-Ansatz

Für ebene Verformungsfelder wurde in unabhängigen Arbeiten von Cherepanov


[379] und Rice [380] ein wegunabhängiges Linienintegral diskutiert, mit dem sich
das Bruchverhalten bei elastisch-plastischem Verformungsverhalten beschreiben
lässt. Dieser als J-Integral bezeichnete Ansatz beruht auf einem Linienintegral mit
geschlossenem Integrationsweg um die Rissspitze

du j
J = ³ §© W ⋅ dy – σ ij ⋅ n i ⋅ ------
dx
- ⋅ ds·
¹ (6.27)
Γ

mit
6.3 Modellierung der Materialschädigung 245

Ti

uj

q
Rissspitze
0 x

ds

ni

Abb. 6.15 Definition des J-Integrals

ε ij

W = ³ σij ⋅ dεij , (6.28)


0

wobei Γ ein beliebiger Integrationsweg um die Rissspitze ist, n i den nach


außen gerichteten Normalenvektor auf Γ darstellt, W der Verformungsenergie-
dichte entspricht und σ ij der Spannungstensor und ε ij der Verschiebungstensor
ist, u j dem entsprechenden Verschiebungsvektor und ds dem zugehörigen Bogen-
element des Integrationsweges entspricht (vgl. Abb. 6.15). [375] Aufgrund der
Formulierung des J-Integrals besteht eine wichtige Bedingung darin, dass die Ver-
formungsenergiedichte Potenzialcharakter besitzt. Das hat zur Folge, dass nur
monoton belastete Bauteile bzw. Proben über das J-Integral bewertet werden kön-
nen, während Wechsellasten unzulässig sind.
Die Bestimmung des J-Integrals kann sowohl experimentell als auch numme-
risch erfolgen. Die experimentelle Bestimmung des J-Integrals erfolgt, indem die
zur Verformung eines rissbehafteten Körpers verrichtete mechanische Arbeit bei
zwei inkrementell nacheinander erreichten Risslängen zugrunde gelegt wird:

∂ F
∂a ³ b
J = – ⋅ --- ⋅ dx , (6.29)

wobei F der Kraft, welche auf den Probekörper der Dicke b aufgebracht
wurde, entspricht und dx die inkrementellen Verschiebungen des Lastangriffs-
246 6 Schädigung

punktes während des Experimentes sind [342]. Die nummerische Bestimmung des
J-Integrals ist hingegen sehr viel komplizierter [378]. Im Spezialfall einer linear-
elastischen Verformung ergibt sich für den Fall des ebenen Spannungszustandes
folgende Beziehung zwischen J und K

2
K
J = -----I- (6.30)
E

bzw.

2 2
KI ( 1 – ν )
J = -------------------------
- (6.31)
E

für den Fall des ebenen Verzerrungszustandes.

Der C*-Integral-Ansatz

Nachdem sich das J-Integral als Konzept zur Bewertung von Brüchen bei elas-
tisch-plastischen Verformungsverhalten etabliert hatte, entwickelten sich Ansätze
zur Beschreibung des Kriechrissverhaltens bei Hochtemperaturanwendungen. Das
C*-Integral, mit dem sich das Risswachstumsverhalten bei quasistatischer Kriech-
verformung beschreiben lässt, wurde unter anderem von Landes und Begley vorge-
schlagen [383]. Hierbei wird auf die Hoff’sche Analogie [384] zurückgegriffen,
dass, wenn ein nichtlinearer elastischer Körper, welcher der Beziehung
ε ij = f ( σ ij ) folgt, und ein viskoser Körper, welcher durch die Beziehung
·
ε ij = f ( σ ij ) gekennzeichnet ist, demselben zeitlichen Spannungsverlauf ausge-
setzt sind, dann entwickelt sich in beiden die gleiche Spannungsverteilung für die-
selbe Belastung [334]. Das C*-Integral zeichnet sich dadurch aus, dass gegenüber
dem J-Integral Spannungen gegen Spannungsraten und Verschiebungen gegen
Verschiebungsraten ausgetauscht werden

du· j
C* = ³ §© w· ⋅ dy – σij ⋅ ni ⋅ ------
dx
- ⋅ ds· ,
¹ (6.32)
Γ

wobei w· die Verformungsrateenergiedichte mit

·
ε kl
·
w· = ³ σij ⋅ dεij (6.33)
0
6.3 Modellierung der Materialschädigung 247

ist. Durch verschiedene Autoren wurde das C*-Integral als Beanspruchungspa-


rameter zur Beschreibung für Kriechrisswachstum vorgeschlagen. Analog zum J-
Integral ergibt sich die Möglichkeit, es über die Bewegung der Lastangriffspunkte
an einem Probekörper zu bestimmen. Durch eine Pfadunabhängigkeit charakteri-
siert es das Rissspitzenfeld und steht damit in engem Zusammenhang mit dem
Bruchverlauf [342].

6.3.2.4 Problematik der Rissspitzenplastizität

Bei einer rein linear-elastischen Betrachtung der Spannungsverteilung vor der


Rissspitze wird an dieser eine unendlich große Spannung vorausgesagt. Tatsäch-
lich ist dies jedoch nicht möglich, da bei sehr hohen, im Bereich vor der Rissspitze
auftretenden Spannungen werkstoffphysikalische Mechanismen aktiviert werden,
in deren Folge inelastische Verformungen in einem kleinem Bereich um die
Rissspitze auftreten, welche diese abstumpfen, sodass immer ein endlicher
Rissspitzenradius entsteht. Gleichzeitig wird die Spannung im Bereich der
Rissspitze durch diese Verformungen reduziert.
Ist der Bereich der inelastischen Verformung klein (Kleinbereichsfließen, engl.
small-scale yielding) lässt sich durch Korrekturen an einfachen LEBM-Beschrei-
bungen der Spannungsverteilung das veränderte Spannungsfeld vor der Rissspitze
abschätzen. Um die Größe der plastischen Zone zu ermitteln, wurde von Irwin vor-
geschlagen, die Entfernung von der Rissspitze r F , bei welcher die Spannung bei
der rein elastischen Analyse der Spannungsverteilung der Fließspannung σ F des
Materials entspricht, zu verwenden (siehe Abb. 6.16). Da es aufgrund der inelasti-
schen Verformungen jedoch zu einer Spannungsumverteilung kommt, ist der
Radius r p der plastischen Zone größer als der bei der elastischen Abschätzung
angenommene. Für die Abschätzung von r p wird angenommen, dass die Flächen
unter der elastischen und der elastisch-plastischen Spannungsverteilungsfunktion
vor der Rissspitze gleich sein müssen, damit das Kräftegleichgewicht gegenüber
der äußeren Belastung erhalten bleibt, sodass sich aus der Bedingung

ry
K
³ -------------
2πx
dx – σ F ⋅ r F = σF ⋅ ( rp – rF ) (6.34)
0

folgende Lösung für r p ergibt

1 K 2
r p = 2 ⋅ r F = --- § ------· (6.35)
π © σ F¹

Ist die Größe der plastischen Zone klein gegenüber der Risslänge, bleibt die
Lösung für Spannungsverteilung um die Rissspitze erhalten und wird nur durch
248 6 Schädigung

syy

sF

Rissspitze
r

rF
rp

ideal elastisches Verhalten ideal elastisch-plastisches Verhalten

Abb. 6.16 Rissspitzenplastizität

eine kleine Fließzone vor der Rissspitze ergänzt, welche den bisherigen Verlauf
dort abschneidet.
Wenn sich das Problem der Rissspitzenplastizität aufgrund der Größe der plasti-
schen Zone nicht mehr durch den Fall des Kleinbereichfließens abdecken lässt, las-
sen sich Form und Größe der plastischen Zone nur mit nummerischen Verfahren
ermitteln, da beide dann stark von der Form des Bauteils abhängig sind. Bei stei-
gender Belastung kann sich die plastische Zone über den gesamten Querschnitt des
Bauteils ausbreiten. Die Berechnung der Spannungsverläufe in der Nähe der
Rissspitze wurde von Hutchinson [381] und von Rice und Rosengreen [382] vorge-
nommen. Dabei gingen sie davon aus, dass das Verfestigungsverhalten des Werk-
stoffes bei einsetzender plastischer Verformung einer Potenzfunktion folgt, wie sie
von der Ramberg-Osgood-Beziehung [386] vorhergesagt wird. Unter Berücksichti-
gung der gleichzeitig stattfindenden elastischen Verformung ergibt sich folgende
Beziehung für den einachsigen Beanspruchungsfall:

ε σ σ N
----- = ------ + α ⋅ § ------· , (6.36)
εF σF © σ F¹

wobei σ F , ε F die entsprechende Fließspannung und -dehnung sind, α ein


dimensionsloser Vorfaktor ist und N der Verfestigungsexponent (engl. strain har-
dening exponent) ist. Das von Hutchinson, Rice und Rosengreen berechnete Span-
nungsfeld (HRR-Feld) hat die Form
6.3 Modellierung der Materialschädigung 249

1 -
------------
§ E⋅J ·N+1
σ ij ( r, θ ) = σ F ⋅ ¨ -----------------------------
2
-¸ ⋅ σ ij ( N, θ ) (6.37)
© α ⋅ σ F ⋅ I n ⋅ r¹

N -
------------
α ⋅ σF § E⋅J ·N+1
ε ij ( r, θ ) = -------------- ⋅ ¨ -----------------------------
-¸ ⋅ ε ij ( N, θ ) , (6.38)
E © α ⋅ σ 2 ⋅ I ⋅ r¹
F n

wobei σ ij dem Spannungstensor und ε ij dem Verschiebungstensor entspricht


(vgl. 4.3.5), die (Polar-) Koordinatenparameter r und θ gemäß der in Abb. 6.13
gegebenen Definition zu verwenden sind und σ ij ( N, θ ) , ε ij ( N, θ ) dimensionslose
Winkelfunktionen sind, welche nummerisch bestimmt werden müssen. I n ist eine
Integrationskonstante, welche sowohl von N als auch vom Spannungszustand
(d. h. ebener Verformungszustand oder Spannungszustand) abhängt. Aus den Glei-
chungen (6.37) und (6.38) geht hervor, dass sich für verschiedene Risse in unter-
schiedlichen Bauteilen des gleichen Werkstoffs, welche den gleichen Wert für J
aufweisen, der gleiche asymptotische Spannungsverlauf ergibt und das entspre-
chende Rissverhalten daher identisch sein sollte - wenngleich einschränkend hin-
zugefügt werden muss, dass die Spannungen in der plastischen Zone im ebenen
Verzerrungszustand kleiner sind als im ebenen Spannungszustand.
Während das J-Integral die Spannungsfelder vor der Rissspitze in einem sich
elastisch oder elastisch-plastisch verformenden Werkstoff charakterisiert, werden
in einem sich viskos, d. h. sich zeitabhängig plastisch verformenden Werkstoff, die
Spannungsfelder vor der Rissspitze ausschließlich durch das C*-Integral definiert.
Die Hoff’sche Analogie impliziert dabei, dass das C*-Integral pfadunabhängig ist,
da auch das J-Integral pfadunabhängig ist. Wenn davon ausgegangen wird, dass
sich das Material im Zustand der quasistatischen Kriechverformung befindet und
zur Beschreibung des ratenabhängigen Verformungsverhaltens ein einfaches
Potenzgesetz angewendet werden kann

· n
ε ij = A ⋅ σ ij , (6.39)

wobei der Vorfaktor A und der Spannungsexponent n Materialkonstanten sind,


ist es möglich, ein HHR-Feld für Spannungen und Dehnraten nahe der Rissspitze
zu formulieren

1 -
-----------
C* n+1
σ ij ( r, θ ) = § -------------------· ⋅ σ ij ( n, θ ) (6.40)
© A ⋅ I n ⋅ r¹
250 6 Schädigung

n -
-----------
C* n+1
ε ij ( r, θ ) = § -------------------· ⋅ ε ij ( n, θ ) , (6.41)
© A ⋅ I n ⋅ r¹

wobei σ ij , ε ij , r , θ , σ ij ( n, θ ) , ε ij ( n, θ ) und I n die gleiche Bedeutung wie die


entsprechenden Parameter in den HRR-Feld-Beziehungen in Gleichung (6.37) und
(6.38) haben.
Bei Kriechrissbildung und -fortpflanzung durch Kondensation von Leerstellen
an Korngrenzen mit anschließendem Porenwachstum (vgl. 6.2.3.5 und 6.2.3.6)
lässt sich bei monotoner Belastung das Versagen in der Regel dem Erreichen einer
kritischen Bruchdehnung ε B zuordnen [385]. Somit lässt sich über das HRR-Feld
ein Ausdruck für die Kriechrissrate ableiten.

1 -
----------- n -
-----------
n+1 n+1
( A ⋅ Δa ) ⋅ ( C* )
a· = -------------------------------------------------------- (6.42)
εB

Die von Gleichung (6.42) vorhergesagte Abhängigkeit des Kriechrisswachs-


n -
-----------
n+1
tums von ( C* ) konnte experimentell bestätigt werden [342].

6.3.2.5 Bewertung der Rissausbreitung bei Wechselbelastung

In allen bisherigen Betrachtungen zur Bewertung rissbehafteter Bauteile über


bruchmechanische Konzepte wurde immer eine Beanspruchung zugrunde gelegt,
welche entweder kontinuierlich gesteigert wird oder über einen bestimmten Zeit-
raum konstant gehalten wird. Die Möglichkeit, rissbehaftete Bauteile einer Wech-
selbeanspruchung auszusetzen, wurde von allen bisherigen Betrachtungen nicht
berührt. Dafür ist es zunächst notwendig, bestimmte etablierte Formen der
Beschreibung von Wechselbeanspruchungen über festgelegte ingenieurtechnische
Kennwerte zu erläutern. Diese Formen der Beschreibung von Wechselbeanspru-
chungen haben nicht ursächlich mit den Konzepten der Bruchmechanik zu tun,
sondern entstanden ursprünglich in Zusammenhang mit der Entwicklung von
empirischen Ermüdungsmodellen (vgl. 6.3.3). Ausgangspunkt für die in Abb. 6.17
schematisch gezeigte Darstellung von Wechselbeanspruchungen war die Intention,
die an technische Anlagen und Fahrzeugen auftretenden Schwingungsbeanspru-
chungen über geeignete Kennwerte darzustellen. Aus diesem Grund liegt der Dar-
stellung die Überlegung zugrunde, dass die Bemessung des Bauteils gegenüber der
Amplitude einer Schwingbeanspruchung so erfolgt ist, dass diese in ihrem Betrag
deutlich unterhalb einer für die Formstabilität des Bauteils kritischen Beanspru-
chung liegt. Zur grundsätzlichen Beschreibung einer Schwingbeanspruchung wer-
6.3 Modellierung der Materialschädigung 251

smax3

smax2
smin3

0
t
smax1

smin2

smin1
Druckschwellbeanspruchung Wechselbeanspruchung Zugschwellbeanspruchung
1<R<µ -µ < R < 0 0<R<1

Abb. 6.17 Schematische Darstellung der Beanspruchungsbereiche einer Wechselbeanspruchung


mit Angabe der kennzeichnenden Beanspruchungsgrößen

den daher vor allem die Spannungen in den Lastumkehrpunkten benutzt und daraus
die Kennwerte Spannungsverhältnis R

σ min K min
R = ----------- -,
- = ----------- (6.43)
σ max K max

Spannungsamplitude Δσ ⁄ 2 bzw. S a (andere Notation für Wöhler-Kurven (S-


N-Kurven) üblich, vgl. 6.3.3.2)

Δσ ⁄ 2 = S a = σ max – σ min = σ max ⋅ ( 1 – R ) (6.44)

bestimmt. Um die Anwendung des Spannungsintensitätsfaktors K nicht auf eine


statische Rissausbreitung zu begrenzen, kann in analoger Weise ein Spannungsin-
tensitätsfaktor für Wechselbelastungen ΔK

ΔK = K max – K min = K max ⋅ ( 1 – R ) (6.45)

bestimmt werden. Eine symmetrische Wechselbeanspruchung liegt für


σ max = – σ min und damit R = – 1 vor. In Abhängigkeit vom Spannungsverhält-
nis und der Belastung stellt sich eine entsprechende Rissfortschrittsrate ein. Wenn
252 6 Schädigung

Bereich I: Bereich II: Bereich III:


Risswachstum unterhalb kontinuumsmechanische Instabilität
kontinuumsmechanischer Beschreibung d. Risswachstums d. Risswachstums
Beschreibungsmöglichkeiten über Potenzgesetz

Bereich III
log (da/dN)

Bereich II

da n
dN = A(DK)

Bereich I

DK th K IC
log (DK)

Abb. 6.18 Schematische Darstellung des typischen Risswachstumsverhaltens in metallischen


Werkstoffen bei Wechselbeanspruchung

dieser Zusammenhang in einem doppeltlogarithmischen Diagramm dargestellt


wird (Abb. 6.18), ergibt sich ein S-förmiger Verlauf, welcher sich in drei Bereiche
unterteilen lässt [387].
Der Bereich I ist durch ein sehr langsames Risswachstum gekennzeichnet, wel-
ches unterhalb eines kritischen Schwellenwertes ΔK th aussetzt. Die Beschreibung
des Risswachstums auf der Basis kontinuumsmechanischer Ansätze ist im Bereich
I nicht möglich, da die dem Risswachstum zugrunde liegenden Prozesse komple-
xere Wechselwirkungen mit der Werkstoffstruktur beinhalten. Die durchschnittli-
chen Risswachstumsraten im Bereich I liegen üblicherweise in einem Bereich von
–9
da ⁄ dN ≤ 10 m ⁄ Zyklus , wodurch klar wird, dass der tatsächlich erreichte
Rissfortschritt stark von lokalen Charakteristika der Werkstoffstruktur (3.2.1), wie
Versetzungsdichten, Leerstellenkonzentration, Korngrenzenbeschaffenheit oder
Einschlüssen, abhängt [387].
Im Bereich II tritt in der Regel ein sogenanntes Potenzgesetzrisswachstum auf,
welches sich über die Paris-Erdogan-Gleichung [388] beschreiben lässt

da m
------- = A ⋅ ( ΔK ) (6.46)
dN
6.3 Modellierung der Materialschädigung 253

und kaum von den werkstoffstrukturellen Gegebenheiten abhängt. Hierbei sind


A und m Werkstoffparameter, welche über die Beständigkeit eines Materials
gegenüber Wechselbeanspruchungen Auskunft geben. Auf der Bruchfläche eines
im Bereich II ermüdeten metallischen Werkstoffs ergeben sich charakteristische
Schwingungsstreifen, an denen sich die Rissfortschrittsgeschwindigkeit posthum,
z. B. nach Schadensfällen, bestimmen lässt.
Der Bereich III ist aufgrund des hohen Spannungsintensitätsfaktors durch eine
sehr schnelle Rissausbreitung gekennzeichnet, welche stark von der Bauteilgeome-
trie und den werkstoffstrukturellen Gegebenheiten abhängt. Mit zunehmenden
Werten von ΔK ergibt sich ein Übergang zur instabilen Rissausbreitung, die bei
einem kritischen Wert K IC erreicht wird.
Um dem Fall großer plastischer Zonen vor der Rissspitze und damit dem Fehlen
eines dominierenden asymptotisch verlaufenden Spannungsfeldes Rechnung tra-
gen zu können, wurde von Dowling und Begley [389], Dowling [390] und Wüth-
rich [391] vorgeschlagen, das J -Integral-Konzept auf den Bereich des Ermüdungs-
risswachstums mit starker elastisch-plastischer Wechselverformung vor der
Rissspitze auszuweiten. Analog zur Nutzung von ΔK bei elastischen Wechselbe-
anspruchungen wurde das ΔJ -Integral definiert, welches in einer der Paris-Erdo-
gan-Gleichung verwandten Formulierung genutzt wird, um einen Ausdruck für das
zyklische Risswachstum da ⁄ dN zu erhalten

da- = A′ ⋅ ( ΔJ ) m′
------ , (6.47)
dN

wobei A′ und m' vom Werkstoff abhängige Parameter sind. Für die Berech-
nung des ΔJ -Integrals muss die Spannungs-Dehnungs-Hysterese in Abb. 6.19
betrachtet werden, in welcher die Spannungen und Dehnungen am unteren Wende-
(1) (1) (2) (2)
punkt die Werte σ ij , ε ij und am oberen Wendepunkt die Werte σ ij , ε ij
haben. Unter Verwendung dieser Definition für die elastisch-plastische Wechsel-
beanspruchung vor der Rissspitze ergibt sich das ΔJ -Integral als Linienintegral
mit geschlossenem Integrationsweg um die Rissspitze [334]

dΔu j
ΔJ = ³ §© ΔW ( Δεij ) ⋅ dy – ΔTi ⋅ ----------
dx
- ⋅ ds·
¹
(6.48)
Γ

mit

(2)
ε kl ε kl
(1)
ΔW ( ε kl ) = ³ Δσ ij ⋅ d( Δε ij ) = ³ ( σ ij – σ ij ) ⋅ dε ij , (6.49)
0 (1)
ε kl
254 6 Schädigung

wobei Γ ein beliebiger Integrationsweg um die Rissspitze ist, ΔT i und Δu j den


Veränderungen im nach außen gerichteten Normalspannungsvektor auf Γ und
dem entsprechenden Verschiebungsvektor zwischen den Umkehrpunkten (1) und
(2) in der Spannungs-Dehnungs-Hysterse in Abb. 6.19 entsprechen. ΔW ist die
entsprechende Verformungsenergiedichte für den Fall elastisch-plastischer Wech-
selverformungen, wobei ΔW nur der Verformungsarbeit entspricht, welche auf
dem von Punkt (1) nach Punkt (2) verlaufenden Hysteresehalbast verrichtet wird,
und nicht der Verformungsarbeit, welche durch die vollständige Hystereseschleife
eingeschlossen wird [334]. Alle anderen Größen entsprechen den Definitionen des
J -Integrals in Gleichung (6.27).
Das Konzept des ΔJ -Integrals hat verschiedene Schwächen, aus denen Zwei-
fel für die Anwendbarkeit auf praktische Fälle resultieren. Dadurch, dass die Ver-
formungsenergiedichte ΔW Potenzialcharakter besitzt, bezieht sich das über die
Gleichungen (6.48) und (6.49) definierte Integral nur auf den Belastungshalbast
der Spannungs-Dehnungs-Hysterese. Da auch über das ΔJ -Integral nur monoton
belastete Bauteile bzw. Proben bewertet werden können, verlangt seine Anwen-
dung auf den Bereich von Wechselbeanspruchungen symmetrische Hysteresenfor-
men bei den elastisch-plastischen Verformungen vor der Rissspitze. Diese lassen
sich zwar mit den in der Literatur beschriebenen Standardmethoden [389, 392] für
spannungs- und dehnungskontrollierte Versuche an Probekörpern zur Bestimmung
der ΔJ -Werte einfach erreichen, sind aber in der Praxis an rissbehafteten Bautei-
len nicht notwendigerweise vorhanden, was die Gültigkeit bei der Übertragung der
Werte möglicherweise einschränkt. Experimentelle Befunde [390] in verschiede-

s (sij(2); eij(2))

Neukurve

(sij(1); eij(1))

Abb. 6.19 Schematische Darstellung der Spannungs-Dehnungs-Hysterese aufgrund des elastisch-


plastischen Verformungsverhaltens vor der Rissspitze bei Wechselbeanspruchung
6.3 Modellierung der Materialschädigung 255

nen Legierungen zeigen, dass der elastisch-plastische ΔJ -Ansatz besonders gut


für die bruchmechanische Charakterisierung bei hohen Spannungsamplituden, kur-
zen Risslängen und Rissausbreitung an Kerben geeignet ist. Diese Korrelationen
sind insofern überraschend, als dass die Bedingungen für symmetrische Hysterese-
formen kaum gegeben sein dürften, wenn ein schnell wachsender Ermüdungsriss in
der Phase der elastischen Entlastung betrachtet wird, besonders wenn die Risslän-
gen kurz und die Spannungsamplituden hoch sind [393].
Im Bereich sicherheitsrelevanter Bauteilauslegungen für die in Kernkraftwerken
eingesetzten Reaktordruckbehälter existieren erhebliche Zweifel an der Verwen-
dung des J -Integrals (und damit auch des ΔJ -Ansatzes) als geeigneter bruchme-
chanischer Parameter. Als kritischer Belastungsfall werden hierbei sogenannte
„Notkühltransienten“ angesehen, wobei von einem nicht vernachlässigbaren Grad
der Plastifizierung an der Rissspitze bei der Betrachtung rissbehafteter Reaktorbe-
hälterdruckwände ausgegangen wird. Wie in [394] ausgeführt wird, verliert das
J -Integrals seine ursprüngliche Deutung, sobald diese Plastifizierung eintritt. In
seiner originären Formulierung ist das J -Integral wegunabhängig und ein Maß für
die Singularität des Spannungsfeldes vor der Rissspitze bei elastisch-plastischem
Verformungsverhalten. Treten jedoch Entlastungen oder Spannungsumlagerungen
vor der Rissspitze auf, so verliert die Annahme eines singulären Feldes vor der
Rissspitze ihre Gültigkeit, sodass die eindeutige Beziehung zwischen den Span-
nungen und Dehnungen verloren geht und das J -Integral wegabhängig wird. Zur
Veranschaulichung ist die Notkühltransiente in einer schematischen Darstellung
eines Spannungsintensitäts-Temperatur-Diagramms in Abb. 6.20 gezeigt.
Um die beschriebenen Schwierigkeiten, die bei der Verwendung des J -Integral
auftraten, zu umgehen, wurden verschiedene Modifikationen [395-401] des Linien-
integrals vorgeschlagen, deren Vor- und Nachteile in [394, 402, 337] diskutiert
werden. Diese Erweiterungen berücksichtigen jedoch nur den Fall rein mechani-
scher Belastung unter der Annahme infinitesimaler Dehnungen. Allerdings können
Volumenkräfte und Rissuferbelastungen etc. über zusätzliche Integrale noch hinzu-
*
gefügt werden. Nachfolgend soll das ΔT -Integral von Atluri, Nishioka und
Nakagaki [397] näher erläutert werden.
*
Zur Erläuterung des ΔT -Integrals wird in den Ausführungen in [394] zunächst
vom ΔJ -Integral ausgegangen. Dabei werden die in Abb. 6.21 gezeigten Pfad-
und Geometriebezeichnungen verwendet. Betrachtet wird ein rissbehaftetes Bau-
teil mit einem Riss in x-Richtung. An der Rissspitze wird dieser Riss von zwei Pfa-
den umfasst. Γ bezeichnet den Pfad um die Rissspitze im Abstand ε und
C 2 + C 3 + C 4 einen weiter außen liegenden Pfad. Die entsprechenden Richtungen
der Normalenvektoren m und n sind in Abb. 6.21 dargestellt.
Wird die x-Komponente (Rissrichtung) des wegunabhängigen J -Vektors
betrachtet, die Formänderungsarbeit ΔW gemäß der in Gleichung (6.49) gegebe-
nen Definition verwendet und weiterhin angenommen, dass t i die Komponente des
Spannungsvektors bezüglich des orientierten Oberflächenelements t i = σ ij ⋅ m j
und u i die Komponente des Verschiebungsvektors ist, so ergibt sich analog zu
Gleichung (6.48) das ΔJ -Integral für die beiden Pfade um die Rissspitze:
256 6 Schädigung

Bruchzähigkeit, Spannungsintensität K

elastisch-plastisches Wekstoffverhalten
Lastmaximum
J-Integral Formulierung
nicht gültig

Zeit

elastisches Werkstoffverhalten

Temperatur

Abb. 6.20 Schematische Darstellung eines Spannungsintensitäts-Temperatur-Diagramms zur


Beschreibung einer Notkühltransiente [394]

ΔJ 1 = lim
ε→0
³ [ ΔW ⋅ m1 – ( ti + Δti ) ⋅ Δu i, 1 – ( Δti ⋅ Δui, 1 ) ] ds , (6.50)
Γ

= ³ [ ΔW ⋅ m 1 – ( t i + Δt i ) ⋅ Δu i, 1 – ( Δt i ⋅ Δu i, 1 ) ] ds
C2 + C3 + C4

wobei die mit Δ beschriebene Differenz dem Inkrement der jeweiligen Größe
von Lastschritt n auf Lastschritt n + 1 entspricht. Werden die die Verformung vor
der Rissspitze charakterisierenden Spannungs-Dehnungs-Hysteresen in Abb. 6.22
betrachtet, so wird klar, dass bei elastisch-plastischem Verformungsverhalten vor
der Rissspitze die Formänderungsarbeit ΔW von der Belastungsgeschichte
abhängt. Hierdurch entsteht eine Wegabhängigkeit von ΔJ 1 , sodass das Integral
entlang des Pfades Γ nicht mehr dem Integral entlang des Pfades C 2 + C 3 + C 4
entspricht. Beim T*-Integral von Atluri wird nun zum äußeren Pfad ein Integral mit
der Eigenschaft addiert, dass die Summe von ΔJ 1 entlang des äußeren Pfades
C 2 + C 3 + C 4 und einem hinzugefügten Integral ΔI 1 gleich dem ΔJ 1 -Integral ent-
*
lang des inneren Pfades Γ ist. Der resultierende Integralwert von ΔT 1 wird
dadurch definiert, dass der Abstand des Γ -Pfades von der Rissspitze gegen null
läuft.
6.3 Modellierung der Materialschädigung 257

C=C2+C3-G+C4

C3

Rissspitze
0 x
ni
C4
G
mi

V ds
Va

C2
ni, mi

Abb. 6.21 Definition des T*-Integrals

*
ΔT 1 = lim
ε→0
³ [ ΔW ⋅ m 1 – ( ti + Δti ) ⋅ Δui, 1 – ( Δti ⋅ Δui, 1 ) ] ds (6.51)
Γ

= lim
ε→0
³ [ ΔW ⋅ m 1 – ( t i + Δt i ) ⋅ Δu i, 1 – ( Δt i ⋅ Δu i, 1 ) ] ds + ΔI 1
C2 + C3 + C4

Demzufolge ergibt sich ΔI 1 aus der Differenz der Integrale entlang der unter-
schiedlichen Pfade

ΔI 1 = – lim
ε→0
³ [ ΔW ⋅ m 1 – ( t i + Δt i ) ⋅ Δu i, 1 – ( Δt i ⋅ Δu i, 1 ) ] ds (6.52)
C2 + C3 + C4 – Γ

Im nächsten Schritt lässt sich das Linienintegral durch Anwendung des Satzes
von Gauß in ein Volumenintegral überführen [394]:

ΔI 1 = – lim
ε→0
³ [ ΔW ,1 – ( σ ij + Δσ ij ) ⋅ Δu i, 1 – ( Δσ ij ⋅ Δu i, 1 ) ] dV (6.53)
V – Vε
258 6 Schädigung

Rissspitze 1 2 3 4
x

zyklische elastisch-plastische
Verformung
rpc
rpm
monotone elastisch-plastische
Verformung

s s

sF sF

1 2
e e

s s

sF sF

3 4
e e

Abb. 6.22 Die Verformung des Werkstoffs charakterisierende Spannungs-Dehnungs-Hysteresen


in unterschiedlichen Abständen vor der Rissspitze
6.3 Modellierung der Materialschädigung 259

Gemäß den Ausführungen in [394] ergibt sich unter Berücksichtigung der


Gleichgewichtsbedingung σ ij, j = 0 und der Kompatibilitätsbedingung
ε ij = 1 ⁄ 2 ⋅ ( u i, j + u j, i ) sowie durch näherungsweise Berechnung des Inkrements
der Formänderungsarbeit ΔW über Anlegen einer Sekante an das gekrümmte
Stück der Spannungs-Dehnungs-Hysterese, d. h. ΔW ≈ ( σ ij + 1 ⁄ 2Δ σ ij )ε ij , fol-
gende Formulierung für ΔI 1 :

ΔI 1 = – lim
ε→0
³ [ ( σ ij, 1 + 1 ⁄ 2 ⋅ Δ σ ij, 1 )ε ij – ( ε ij, 1 + 1 ⁄ 2 ⋅ Δ ε ij, 1 )σ ij ] dV (6.54)
V – Vε

Durch Wiedereinsetzen in Gleichung (6.51) ergibt sich das weg- und gebietsun-
*
abhängige, inkrementell formulierte ΔT -Integral von Atluri:

*
ΔT 1 = ³ [ ΔW ⋅ m 1 – ( t i + Δt i ) ⋅ Δu i, 1 – ( Δt i ⋅ Δu i, 1 ) ] ds (6.55)
C2 + C3 + C4

+ lim
ε→0
³ [ ( σ ij, 1 + 1 ⁄ 2 ⋅ Δ σ ij, 1 )ε ij – ( ε ij, 1 + 1 ⁄ 2 ⋅ Δ ε ij, 1 )σ ij ] dV
V – Vε

Wird zum Ausgangspunkt der Herleitung in Gleichung (6.50) zurückgekehrt, so


wird klar, dass der erste Term dem ΔJ -Integral entspricht, während das darauf fol-
gende Volumenintegral offensichtlich als Korrekturterm zur Erzielung einer Weg-
*
und Gebietsunabhängigkeit für das ΔT -Integral dient, d. h.

*
ΔT 1 = ΔJ 1 + (6.56)

lim
ε→0
³ [ ( σ ij, 1 + 1 ⁄ 2 ⋅ Δ σ ij, 1 )ε ij – σ ij ( ε ij, 1 + 1 ⁄ 2 ⋅ Δ ε ij, 1 ) ] dV
V – Vε

Zur Interpretation von Gleichung (6.56) wird in [394] ausgeführt, dass sich das
Volumenintegral über das gesamte Gebiet zwischen Rissspitze und dem Weg der
*
ΔJ -Integralauswertung erstreckt. Der Wert des ΔT -Integrals entspricht der
Summe der Inkremente aller Lastschritte, welche so zu wählen sind, dass die Span-
nungs-Dehnungs-Hysterese im ausgewerteten Gebiet um die Rissspitze vollständig
abgefahren wird.
Aus Abb. 6.21 wird weiterhin ersichtlich, dass das Integral dem Grenzwert des
Wegintegrals für einen auf die Rissspitze schrumpfenden Integrationspfad ent-
*
spricht, d. h. dass das ΔT -Integral und das ΔJ -Integral an der Rissspitze gleich
*
sind. Durch das ΔT -Integral eröffnet sich die Möglichkeit, eine Berechnung
durch ein Wegintegral über einen beliebigen äußeren Pfad und ein Gebietsintegral
über das von diesem Pfad und dem Rissspitzenpfad eingeschlossene Volumen aus-
*
zuführen. Die Anwendbarkeit des ΔT -Integrals für zyklisches Risswachstum mit
Entlastungs- und Wiederbelastungsphasen wurde in [398-400] gezeigt. Auersperg
260 6 Schädigung

*
et al. [403] demonstrierten die Anwendung des ΔT -Integrals für zyklisches Riss-
wachstum in Lotkontakten in elektronischen Aufbauten, welche Temperaturwech-
seln unterzogen worden sind.
Allen bisherigen Betrachtungen zur Bewertung rissbehafteter Bauteile bei
Wechselbeanspruchung betrafen vor allem die Analyse rein mechanischer Bean-
spruchungen. Was in diesem Zusammenhang bisher nicht diskutiert wurde, ist die
Möglichkeit, rissbehaftete Bauteile einer thermisch-induzierten Wechselbeanspru-
chung auszusetzen, wodurch sich eine Betrachtung der Schädigungswirkung
sowohl durch mechanische Beanspruchung als auch durch Temperaturbeanspru-
chung erforderlich macht. Wie in 2.1 bereits ausführlich diskutiert, sind solche
Belastungen für den Bereich der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik
typisch. Sie gehören allerdings auch zu den oft zitierten klassischen Problemfällen
im Kraftwerksbau [58, 59, 378, 404-406]. In beiden Fällen sind Temperaturände-
rungen die vorherrschende Ursache des Entstehens mechanischer Wechselbean-
spruchungen, welche außerdem im Zusammenhang mit den für die relevanten
Werkstoffe hohen Einsatztemperaturen stehen, bei denen diffusionskontrollierte
Verformungsmechanismen wie das Kriechen dominieren (vgl. 2.1, Abb. 2.1). Aus
diesem Grund ist es angebracht, auf die speziellen Erfahrungen bei der Bewertung
von Kriech-Ermüdungs-Rissen aus der Kraftwerkstechnik einzugehen, welche
einen dominierenden Schadensfall für Kraftwerke im Mittel- und Spitzenlastbe-
reich darstellen, da das komplexe Zusammenwirken von Kriech- und Ermüdungs-
mechanismen eine drastische Wirkung auf die zulässige Betriebsdauer der jeweili-
gen Kraftwerkskomponenten haben kann [378, 404].
Die beobachtete beschleunigte Schädigung bei Kriech-Ermüdungs-Rissausbrei-
tung hat keine leicht durchschaubaren Ursachen. Es wird vermutet, dass zeitabhän-
gige Vorgänge der Verformung und die zyklisch induzierten Ermüdungsvorgänge
aufgrund ihrer verschiedenen Grundmechanismen gleichzeitig additiv zur Schädi-
gung beitragen können. Die Effektivität ihres Zusammenwirkens hängt von der
Bildungsgeschwindigkeit der Kriechporen im Vergleich zur Ermüdungsrisswachs-
tumsgeschwindigkeit ab.
Wenn die Kriechporenbildungsrate deutlich höher ist als die Ermüdungsriss-
wachstumsgeschwindigkeit, d. h., wenn es zu einem überwiegend intergranularen
Verlauf des Hauptrisses kommt, wird die Schädigung vorwiegend durch den Anteil
der Kriechrissausbreitung bestimmt sein (Abb. 6.23 a).
Wenn die Kriechporenbildungsrate hingegen erheblich langsamer ist als die
Ermüdungsrisswachstumsgeschwindigkeit, d. h., es kommt überwiegend zu einem
transgranularen Verlauf des Hauptrisses, wird die Schädigung vorwiegend durch
die Ermüdungsrissausbreitung (Abb. 6.23 b) bestimmt sein.
Bei einer Parität des eingebrachten Schädigungsbetrages durch beide Prozesse
kommt es zu einer sehr effektiven Schwächung der Werkstoffintegrität durch
Überlagerung beider Schadensmechanismen (Abb. 6.23 c). Eine schematische
Darstellung aller drei möglichen Arten der Kriech-Ermüdungs-Rissausbreitung ist
in Abb. 6.23 gezeigt [378].
6.3 Modellierung der Materialschädigung 261

Weil keines der etablierten Konzepte der Bruchmechanik den Fall der Kriech-
Ermüdungs-Rissausbreitung behandelt, werden die damit verbundenen Betrachtun-
gen in der Regel mithilfe einer Kombination aus LEBM- und FBM-Konzepten
behandelt. In dem Fall, dass das Risswachstum vorwiegend zeitunabhängig ist,
wird das Risswachstum durch den Spannungsintensitätsfaktor ΔK beschrieben.
Wenn die Kriechprozesse dominieren, sind Konzepte der Fließbruchmechanik, wie
das C*-Integral, gefordert [406]. Ein wichtiger Transformationsparameter für die
Berechnung des Kriech-Ermüdungs-Rissfortschritts bei zyklischer, thermisch
induzierter mechanischer Wechselbeanspruchung sind die Haltezeit und die Fre-
quenz des Temperaturzyklus. Dabei errechnet sich die Frequenz aus der Zyklus-
zeit. Abnehmende Frequenz bzw. zunehmende Haltezeit bewirken hierbei eine
Zunahme der Rissfortschrittsrate da ⁄ dN über einen weiten Bereich der Rissfort-
schrittskurve [378, 405].

überwiegendes überwiegendes gemischtes Kriech-


Kriechrisswachstum Ermüdungsrisswachstum Ermüdungs-Risswachstum

s s s

s s s

a) b) c)

Abb. 6.23 Schematische Darstellung der möglichen Formen von Kriech-Ermüdungs-Rissaus-


breitung: a) überwiegendes Kriechrisswachstum; b) überwiegendes Ermüdungsrisswachstum; c)
gemischtes Kriech-Ermüdungs-Risswachstum

6.3.3 Empirische Ermüdungsmodelle

6.3.3.1 Hintergrund empirischer Ermüdungsmodelle

Empirische Ermüdungsmodelle verwenden in der Regel einen Spannungsampli-


tude-Lebendauer- oder einen Dehnungsamplitude-Lebensdauer-Ansatz, um das
Versagen eines unter zyklischer Wechselbeanspruchung stehenden Bauteils vor-
262 6 Schädigung

herzusagen. Empirische Ermüdungsmodelle finden oft Verwendung, wenn die


Auswirkungen von Veränderungen der Betriebsbedingungen, der Werkstoffaus-
wahl oder der Bauteilgeometrie auf die Lebensdauer abgeschätzt werden sollen. Im
Bereich des Maschinen- und Anlagenbaus werden sie außerdem dazu verwendet,
das Ermüdungsrisswachstum bis zu Risslängen von ca. 1mm nachzubilden. Ihr
ingenieurtechnisches Anwendungsfeld liegt im Gegensatz zu bruchmechanischen
Konzepten vor allem in der Beschreibung des Rissbildungsprozesses, während sie
zur Charakterisierung von Risswachstumsprozessen nur unter besonderen Bedin-
gungen geeignet sind. Eine Ausnahme bildet jedoch das Risswachstum im Bereich
kleiner Risse, in dem mit empirischen Ermüdungsmodellen oft zutreffende
Beschreibungen erzielt werden können. Daher sind empirische Ermüdungsmodelle
für solche Versagensbeschreibungen prädestiniert, in denen die Prozesse der
Rissbildung und des Kurzrisswachstums die Lebensdauer eines Bauteils dominie-
ren [407].
Die meisten der heute bekannten empirischen Ermüdungsmodelle gehen auf die
Arbeiten von August Wöhler [408] für das preußische Ministerium für Handel,
Gewerbe und öffentliche Arbeiten zurück. Obwohl Wöhler nicht der einzige war,
welcher sich frühzeitig mit Fragen der Ermüdung von metallischen Werkstoffen
beschäftigte, wurde er durch seine zwischen 1850 und 1875 durchgeführten Versu-
chen an Eisenbahnwagenachsen der bekannteste. Er führte Biege-, Zug-, Druck-
und Torsionsversuche durch, um kritische Spannungen zu ermitteln, unterhalb
derer es nicht mehr zum Versagen bei schwingender Beanspruchung kam. Für
seine Versuche verwendete er richtige Achsen als auch verkleinerte Modellprobe-
körper und entwickelte darüber ein Dauerfestigkeitskonzept, aus welchem Richt-
werte für die Maschinen- und Fahrzeugkonstruktion ableitbar waren.
Ausgehend von Spannungsamplitude-Lebendauer-Ansätzen, welche sich vor
allem zur Beschreibung der hochzyklischen Ermüdung (engl. High Cycle Fatigue,
HCF) eignen, entwickelten sich später Dehnungsamplitude-Lebensdauer-Ansätze
(z. B. die Coffin-Manson-Beziehung), welche die Effekte plastischer Verformung
im Bereich der niederzyklischen Ermüdung (engl. Low Cycle Fatigue, LCF) besser
zu berücksichtigen in der Lage sind. Später zeigte sich, dass diese Konzepte auch
zur Beschreibung der thermischen Ermüdung geeignet waren, bei der bei zykli-
schen thermischen Schwankungen in Materialverbunden bzw. durch Temperatur-
gradienten in einem Material mechanische Beanspruchungen ausgelöst wurden.
Aus diesem Grund schienen die Modelle auch zur Beschreibung von Ermüdungs-
ausfällen in elektronischen Aufbauten geeignet zu sein, in denen Temperaturzy-
klen, z. B. durch Selbsterwärmung bei Ein- und Ausschalten, die Hauptbeanspru-
chungsart sind.

6.3.3.2 Spannungsamplitude-Lebendauer-Ansätze

Der Spannungsamplitude-Lebendauer-Ansatz ist eine einfache Methodik, in der


Daten aus Schwingversuchen in einem sogenannten Wöhler-Diagramm (oder S-N-
6.3 Modellierung der Materialschädigung 263

Spannungsamplitude log (Sa)

Spannungsamplitude log (Sa)


Wöhlerkurve Wöhlerkurve

Dauerfestigkeitsgrenze

Dauerfestigkeitsgrenze

Zeitfestigkeit Dauerfestigkeit Zeitfestigkeit Dauerfestigkeit

Bruchschwingspielzahl log (NB) Bruchschwingspielzahl log (NB)

a) b)

Abb. 6.24 Qualitative Verläufe von charakteristischen Wöhler-Kurven für (a) Werkstoffe mit
echtem Dauerfestigkeitsverhalten und (b) Werkstoffe mit Grenzschwingzahl

Diagramm) eingetragen werden, wobei die Spannungsamplitude S a über dem


Logarithmus der Bruchlastspielzahl N B aufgetragen wird. Das Wöhler-Diagramm
ist aus ingenieurtechnischer Sicht nach wie vor die wichtigste Darstellung für das
Versagensverhalten bei zyklischer Wechselbelastung, welche für die Auswahl von
Werkstoffen bzw. für die Auslegung von Bauteilen genutzt wird. Die Erstellung
einer Wöhler-Kurve verlangt jedoch eine hohe Anzahl von Dauerschwingversu-
chen, welche bei verschiedenen Spannungsamplituden S a und einer konstanten
Mittelspannung bis zum Werkstoffversagen durchgeführt werden, da es oft eine
nicht unerhebliche Schwankungsbreite in den Ergebnissen für eine bestimmte
Spannungsamplitude S a bezüglich einer konstanten Mittelspannung gibt [309].
Der Verlauf der Wöhler-Kurve, d. h. der funktionale Zusammenhang zwischen
der Spannungsamplitude S a und der Bruchlastspielzahl N B , nimmt in Abhängig-
keit vom Werkstoff eine charakteristische Form an. Bestimmte Werkstoffe, z. B.
Stähle mit raumzentriertem Fe-Gitter als auch heterogene Nichteisenmetalllegie-
rungen, zeigen dabei ein Wechselverformungsverhalten, bei dem unterhalb einer
bestimmten Spannungsamplitude kein Ausfall infolge zyklischer Belastung fest-
stellbar ist (vgl. Abb. 6.24). Diese Spannungsamplitude wird als Dauerschwingfes-
tigkeit bezeichnet.
Andere Werkstoffe - darunter alle kubisch-flächenzentrierten Metalle, wie Cu,
Ni, Al, aber auch α -Messing als auch austenitische Stähle - weisen allerdings kein
derartiges Verhalten auf und besitzen daher eine Grenzschwingzahl, welche sich
7 8
im Bereich von 10 …10 Schwingspielen aufhält [309, 410, 411]. In Abb. 6.24
sind die qualitativen Verläufe der charakteristischen Typen von Wöhler-Kurven für
diese verschiedenen Arten von Werkstoffen einander gegenübergestellt.
264 6 Schädigung

Für die Nachbildung der im Wöhler-Diagramm aufgetragenen Zusammenhänge


zwischen Bruchlastspielzahl N und Spannungsamplitude S ergaben sich im Laufe
der Zeit folgende Modellgleichungen [409]:

1870 Wöhler lg(N B) = a – b ⋅ S a (1)

1910 Basquin lg(N B) = a – b ⋅ lg(S a ) (2)

1914 Stromeier lg(N B) = a – b ⋅ lg(S a – S D ) (3)

1955 Stüssi lg(N B) = a – b ⋅ lg(S a – S D ⁄ ( R m – S a ) ) (4)


c
1963 Bastenaire lg(N B) = a – b ⋅ lg(S a – S D ) – b ⋅ ( R m – S a ) (5)

Hierbei sind a, b, c die entsprechenden Modellparameter und S D entspricht der


Dauerfestigkeit. Wenn die Modellgleichungen in einem halb- oder doppeltlogarith-
mischen Diagramm aufgetragen werden, ergeben sich aus den Gleichungen (1) und
(2) Geraden, welche den Zusammenhang im Bereich der Zeitfestigkeit (vgl.
Abb. 6.25) wiedergeben. Der asymptotische Übergang vom Bereich der Zeitfestig-
keit in den Bereich der Dauerfestigkeit wird durch Gleichung (3) wiedergeben,
während die Gleichungen (4) und (5) einen S-förmigen Verlauf der Wöhler-Kurve
darstellen, um sowohl den Übergang in die Dauerfestigkeit als auch den in die
Kurzzeitfestigkeit darzustellen. Mit den letzten beiden Gleichungen gelingt zwar
bereits eine gute Beschreibung des in Schwingversuchen experimentell ermittelten
Versagensverhaltens, jedoch fehlen bisher verallgemeinerungsfähige Angaben
über die Parameterwerte der entsprechenden Wöhlerliniengleichungen [409].
Folgt man der in Abb. 6.25 gezeigten allgemeinen Darstellung einer Wöhler-
Linie, so ergibt sich zur Modellierung des Versagens im Zeitfestigkeitsbereich fol-
gende Formulierung [409]

S a –k
N = N D ⋅ § ------· für S a ≥ S D , (6.57)
© S D¹

mit der Abgrenzung zum Dauerfestigkeitsbreich in der Form

N = ∞ für S a < S D (6.58)

und einer Abgrenzung zum Kurzzeitfestigkeitsbereich bei der Formdehngrenze


S F mit S a < S F ⋅ ( 1 – R ) ⁄ 2 , wobei R das Spannungsverhältnis zwischen der unte-
ren und oberen Spannung in der Schwingungsamplitude ist, d. h. R = – 1 , wenn
die Mittelspannung null ist. Wenn aufgrund des Werkstoffverhaltens kein Dauer-
festigkeitswert S D mit der zugehörigen Schwingspielzahl N D am Abknickpunkt
von Zeit- zur Dauerfestigkeitslinie zu Verfügung steht, lässt sich Gleichung (6.57)
gleichwertig auch wie folgt formulieren
6.3 Modellierung der Materialschädigung 265

Formfestigkeit

Kurzzeit-
Spannungsamplitude log (Sa)

festigkeit Formdehngrenze

Zeitfestigkeitsgerade
Zeit-
festigkeit
k

Dauerfestigkeitsgrenze

Dauer-
festigkeit

Kurzzeitfestigkeit Zeitfestigkeit Dauerfestigkeit

Schwingspielzahl log (Na)

Abb. 6.25 Kennwerte einer Wöhler-Linie und Abgrenzung der Bereiche Dauerfestigkeit, Zeitfe-
stigkeit und Kurzzeitfestigkeit

S a –k
N = N A ⋅ § -----· für S a ≥ S D , (6.59)
© S A¹

wobei S A und N A Versuchspunkte auf der Zeitfestigkeitslinie mit dem Expo-


nenten k sind.

6.3.3.3 Dehnungsamplitude-Lebensdauer-Ansätze

Wie aus dem Diagramm in Abb. 6.25 und den Gleichungen (6.57) - (6.59) her-
vorgeht, liefert der Spannungsamplitude-Lebendauer-Ansatz keine Aussagen für
den Kurzzeitfestigkeitsbereich, in dem es aufgrund der hohen Beanspruchungen
zum Auftreten plastischer Verformungen kommt. Mit steigender plastischer Deh-
nungsamplitude nimmt die Abhängigkeit der Ausfallschwingspielzahl von der
Spannungsamplitude ab, bis diese im Bereich der niederzyklischen Ermüdung vor
allem von der Dehnungsamplitude abhängt.
Die grundlegenden Zusammenhänge zum Versagensverhalten im Kurzzeitfe-
stigkeitsbereich, d. h. zum Versagen bei den mit hohen Beanspruchungen verbun-
denen zyklischen plastischen Wechselverformungen, wurden unabhängig vonein-
266 6 Schädigung

ander durch Arbeiten von Coffin [413] und Manson [414] erbracht. Aus
umfangreichen experimentellen Untersuchungen konnte der folgende empirische
Zusammenhang zwischen der aufgebrachten plastischen Dehnungsamplitude
Δε pl ⁄ 2 und der Bruchlastspielzahl N B gefunden werden

1
---
Δε pl c
NB = A 1 ⋅ § ----------· , (6.60)
© 2 ¹

wobei A 1 ein Vorfaktor ist und c der Anstieg der Fitgeraden in der sogenann-
ten Coffin-Manson-Auftragung in der doppellogarithmischen Darstellung von
Δε pl ⁄ 2 über N B ist. Die Verwendung von Δε pl ⁄ 2 anstelle von Δε pl ergibt sich
aus der Tatsache, dass bei zyklischer Wechselbeanspruchung der Werkstoff inner-
halb einer Spannungs-Dehnungs-Hysterese die doppelte Gesamtdehnungsampli-
tude Δε = Δε el + Δε pl erfährt (vgl. 5.5.2, Abb. 5.22).
Bei sehr kleinen plastischen Dehnungsamplituden ergibt sich das Problem, dass
sich diese vor allem bei großen Zyklenzahlen nur sehr schwierig experimentell
bestimmen lassen [412]. Aufgrund der zu erwartenden Fehler bei der Bestimmung
von kleinen Δε pl wurde von Landgraf [415] vorgeschlagen, die Gesamtdehnungs-
amplitude Δε ⁄ 2 doppellogarithmisch über der Bruchlastspielzahl N B aufzutra-
gen. Im Diagramm in Abb. 6.26 ist diese Auftragung schematisch dargestellt.
Diese Darstellung widerspiegelt den Zusammenhang zwischen dem in 6.3.3.2 dar-
gestellen Spannungsamplitude-Lebendauer-Ansatz und dem in diesem Abschnitt
erläuterten Dehnungsamplitude-Lebensdauer-Ansatz. Wie sich sehr leicht erken-
nen lässt, ergibt sich aus der in Abb. 6.26 vorgenommenen Darstellung der
Gesamtdehnungsamplitude über der Bruchlastspielzahl eine bessere Möglichkeit,
das Versagensverhalten über den gesamten Belastungsbereich darzustellen als mit
der in Abb. 6.25 vorgenommenen Auftragung der Spannungsamplitude über der
Bruchlastspielzahl, da durch die Verwendung der Gesamtdehnungsamplitude

Δε Δε el Δε pl Δσ Δε pl
------ = ---------
- + ---------- = ----------- + ---------
- (6.61)
2 2 2 2⋅E 2

als Beanspruchungsparameter dieser sowohl die Spannungsamplitude über den


Term Δσ ⁄ 2 E als auch die plastische Dehnungsamplitude Δε pl ⁄ 2 als additive
Größe enthält, wodurch der in der Basquin-Gleichung (Gleichung (2)) formulierte
Zusammenhang für den Bereich der Zeitfestigkeit und der im Coffin-Manson-
Ansatz (Gleichung (6.60)) formulierte Zusammenhang für den Bereich der Kurz-
zeitfestigkeit sich additiv in der Formulierung eines funktionalen Gesamtzusam-
menhanges zwischen der Gesamtdehnungsamplitude Δε ⁄ 2 und der Bruchlast-
spielzahl N B ergänzen
6.3 Modellierung der Materialschädigung 267

eB
Gesamtdehnungsamplitude log (e/2)

sB
E

NB ~ 103...104
b

Niederzyklische Ermüdung (LCF) Hochzyklische Ermüdung (HCF)

Bruchlastspielzahl log (NB)

Abb. 6.26 Schematische Darstellung des Zusammenhangs zwischen Gesamtdehnungsamplitude


(elastisch + plastisch) und Bruchlastspielzahl

Δε σB b
c
------ = ------ ⋅ ( N B ) + ε B ⋅ ( N B ) , (6.62)
2 E

sodass alle Bealstungszustände unterhalb der Dauerfestigkeit über eine Formu-


lierung erfassbar sind. Die Vorfaktoren σ B und ε B ergeben sich aus den Schnitt-
punkten mit der entsprechenden Fitgeraden für die Basquin- und Coffin-Manson-
Gleichung mit der Dehnungsamplitudenachse und korrelieren im Idealfall mit der
Dauerfestigkeit und der Bruchdehnung des Materials.
Die in den Gleichungen (1) - (6.62) formulierten empirischen Beziehungen
beruhen auf der Korrelation experimentell ermittelter Ermüdungslastspielwechsel
mit einem messtechnisch vergleichsweise einfach erfassbaren Beanspruchungspa-
rameter, welcher das aufgebrachte Belastungsprofil wiedergibt. Grundsätzlich
betrachtet keiner der beiden dargestellten Parameter (Spannungsamplitude bzw.
Dehnungsamplitude) die Art und Weise, wie die entsprechende Belastung aufge-
bracht wurde. So wird in der in Gleichung (6.60) dargestellten Coffin-Manson-
Beziehung die Ermüdungslastspielwechselzahl ausschließlich mit der plastischen
Dehnungsamplitude in Verbindung gebracht ohne das Beanspruchungsprofil, d. h.
268 6 Schädigung

die Temperatur bzw. die Frequenz, mit der die entsprechenden Dehnungsamplitu-
den aufgebracht wurden, zu berücksichtigen.
Wie unter anderem in Versuchen an Kupfer [416] bei niedrigen homologen
Temperaturen ( T = 77 K … 295 K ) nachgewiesen werden konnte, ergibt sich für
den durch die Coffin-Manson-Beziehung dargestellten Zusammenhang zwischen
der Bruchlastspielzahl N B und der plastischen Dehnungsamplitude Δε pl keine
Abhängigkeit von der Temperatur T . Wie jedoch andere Versuche [417-421]
gezeigt haben, lassen sich diese Aussagen nicht ohne weiteres auf den Bereich
höherer homologer Materialtemperaturen übertragen, da die dann im Material auf-
tretenden Spannungen mit der entsprechenden Dehnrate zusammenhängen. Infol-
gedessen hängt das Ermüdungsverhalten dann nicht nur vom Betrag der Beanspru-
chung ab, sondern wird auch vom Beanspruchungsprofil beeinflusst. Um diesen
Effekt zu berücksichtigen, wurde von Coffin [422] folgende Modifikation der
Beziehung in Gleichung (6.60) vorgenommen

k–1 β
Δε pl = A 2 ⋅ ( ν ⋅ NB ) , (6.63)

wobei ν die Frequenz der Wechselbeanspruchung ist und A 2 , k , β Material-


konstanten sind. Diese Form der Formulierung einer Frequenzabhängigkeit wurde
aus experimentellen Beobachtungen abgeleitet, nach denen

k
ν ⋅ t B = const. (6.64)
k–1
ist, wobei t B die Zeit bis zum Versagen ist. Der Term ν ⋅ N B wird daher oft
als frequenzmodifizierte Ermüdungslastspielwechselzahl bezeichnet [10]. In ver-
schiedenen Fällen erwies sich diese Formulierung jedoch nicht als adäquate
Beschreibung der Frequenz- und Zeitabhängigkeit bei erhöhten homologen Materi-
altemperaturen [423].
Alternativ zu den Versuchen von Coffin, die Abhängigkeit der Ermüdung von
der Belastungsfrequenz in eine empirische Formulierung einzubringen, entwickelte
die Gruppe um Manson [424, 425] das sogenannte Strain-Rate-Partitioning-Kon-
zept (SRP), um den Einflüssen der Belastungsfrequenz auf die Werkstoffermüdung
gerecht zu werden. Dabei wurde angenommen, dass die Schädigung während der
Kriechverformung verschieden von der bei instantanplastischer Verformung ist.
Außerdem bringen Zugbeanspruchungen einen anderen Schädigungsgrad als
Druckbeanspruchungen ein. Die plastische Gesamtdehnungsamplitude Δε pl wird
folglich in vier Komponenten Δε pp , Δε pc , Δε cc , Δε cp zerlegt, wobei die Indizes
c für Kriechverformung und p für instantanplastische Verformung stehen. Der
jeweils erste Index steht für Zug- und der zweite für Druckbeanspruchung während
eines Ermüdungswechselbeanspruchungszyklus. Zu den vier Komponenten der
Gesamtdehnungsamplitude gehören entsprechend vier Teilermüdungsparameter
n pp , n pc , n cc , n cp , sodass die Gesamtermüdungslastspielwechselzahl sich aus
6.3 Modellierung der Materialschädigung 269

1 n pp n pc n cc n cp
------ = -----------
- + ----------- + ----------
- + ----------- (6.65)
NB N Bpp N Bpc N Bcc N Bcp

ergibt, wobei die Ermüdungslastspielwechselzahlen der vier Einzelkomponen-


ten N Bpp , N Bpc , N Bcc , N Bcp unabhängig voneinander über einen entsprechenden
Coffin-Manson-Ansatz bestimmt werden müssen.

6.3.3.4 Dehnungsenergie-Lebensdauer-Ansätze

Alternativ zu den empirischen Spannungsamplitude-Lebendauer- und Deh-


nungsamplitude-Lebensdauer-Beziehungen entwickelte Morrow [426] einen
Ansatz, welcher sowohl die in einem Bauteil auftretenden Spannungen als auch
Dehnungen berücksichtigen sollte, um das Versagen bei zyklischer Wechselbean-
spruchung vorhersagen zu können. Als Kriterium für die Schädigung wählte er
dabei die plastische Dehnungsenergie pro Zyklus, welche sich aus dem Flächenin-
halt der entsprechenden Spannungs-Dehnungs-Hysterese ergibt (vgl. 5.5.2,
Abb. 5.22). Hierbei ergibt sich der folgender Zusammenhang zwischen der Ermü-
dungslastspielwechselzahl N B und der zyklischen plastischen Dehnungsenergie
ΔW pl

1 + 5η
– ----------------
1+η
ΔW pl = W B ⋅ NB , (6.66)

wobei η dem zyklischen Verfestigungsexponenten entspricht und W B die


sogenannte zyklische Ermüdungszähigkeit ist. Dabei wird angenommen, dass die
Anzahl der Belastungswechsel bis zum Versagen sich als eine kumulative Funk-
tion aufeinanderfolgender Spannungs-Dehnungs-Hysteresen ergibt und sich daher
anders als in den Spannungsamplitude-Lebendauer- und Dehnungsamplitude-
Lebensdauer-Beziehungen nicht einfach auf einen Spitzenwert der Spannung bzw.
Dehnung während eines Belastungswechsels bezieht.

6.3.4 Kontinuums-Schadensmechanik

Schadensmodellierung wird auf verschiedenen Größenniveaus durchgeführt


und beginnt bei der Beschreibung elementarer Prozesse auf atomarem Niveau, wie
sie beispielsweise durch die in 6.2.3.4 - 6.2.3.6 aufgeführten Modellgleichungen
wiedergegeben wird. Durch solche mikromechanischen Ansätze, welche interato-
mare Potenzialfelder oder Gitter- und Fehlstellenanordnungen betrachten, ist es
jedoch nicht möglich, die Schadensentwicklung in makroskopischen Bauteilen zu
beschreiben. Hierzu ist es notwendig, ein Quasikontinuum einzuführen, indem Dis-
kontinuitäten und heterogene Festkörper bei gleichzeitigem Ablauf von Schädi-
270 6 Schädigung

gungsprozessen durch ein idealisiertes pseudo-ungeschädigtes Kontinuum über die


Nutzung von Zustandsvariablen und Dissipationsfunktionen dargestellt werden
können.
Der Ansatz der Kontinuums-Schadensmechanik (engl. continuum damage
mechanics = CDM) besteht daher darin, durch Verwendung zeitlich veränderlicher
Feldvariablen die durch Schädigungsvorgänge hervorgerufene Veränderung des
mechanischen Verhaltens einer Struktur bechreiben zu können. Um die Schädi-
gungsentwicklung auch für komplexe Beanspruchungsverhältnisse, wie Kriech-
Ermüdung, Wechselbeanspruchung mit veränderlichen Amplituden oder mehrach-
sige Beanspruchungszustände nachbilden zu können, wird angestrebt, reale Schä-
digungsmechanismen, wie die Entstehung und das Wachstum von Mikrorissen und
Poren, im Modell nachzubilden. Solche Risse und Poren werden in der Kontinu-
ums-Schadensmechanik als räumlich diskrete Materialdefekte in einer Kontinu-
umsdarstellung abgebildet [427].
Im Gegensatz dazu werden Risse in bruchmechanischen Konzepten explizit
durch die Einführung von Rissoberflächen in einem ansonsten ungeschädigten
Material nachgebildet. Dies beschränkt die Anwendung der Bruchmechanik in der
Regel auf die Betrachtung weniger großer makroskopischer Risse, da diese Art der
Schadensanalyse grundsätzlich davon ausgeht, dass nur ein Hauptriss vorhanden
ist, welcher wächst, bzw. dass die Anzahl der Risse gering ist [428]. Für die
Beschreibung des Rissfortschrittes unterliegen bruchmechanische Konzepte wei-
terhin dem Nachteil, dass sie die Vorschädigung von nicht in unmittelbarer Nähe
des Risses liegenden Volumenelementen nicht berücksichtigen können. Schadens-
mechanische Konzepte umgehen diesen Nachteil, indem sie jedem Volumenele-
ment eine virtuelle Pore zuordnen, die mit zunehmender Schädigung wächst und
damit die Steifigkeit des Volumenelementes herabsetzt. Füllt die Pore das Volu-
menelement zu 100 % aus, so gilt dieses als durchgerissen.
Die Anwendung der Kontinuums-Schadensmechanik ist jedoch komplizierter
als die bruchmechanischer Methoden. Zur Bestimmung schadensmechanischer
Parameter ist ein experimentell höherer Aufwand notwendig. Der Vergleich zwi-
schen schadens- und bruchmechanischen Betrachtungsweisen ist in Abb. 6.27
schematisch dargestellt [427].
Zur Beschreibung der Poren- und Mikrorissbildung sowie ihres weiteren
Wachstums verwendet die Kontinuums-Schadensmechanik eine Kontinuumsdar-
stellung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass nicht mehr der einzelne Mikroriss
betrachtet wird, sondern die Darstellung über Rissdichte erfolgt. Anstelle dieser
Rissdichte wird oft die Auswirkung der Risse auf die lokal gemittelten elastischen
Eigenschaften verwendet, welche über eine Schädigungsvariable dargestellt wer-
den kann [428].
Zur Definition dieser Schädigungsvariable an einem bestimmten Punkt des
makroskopischen Kontinuums betrachtet man ein sogenanntes repräsentatives
Volumenelement (RVE). Dieses kann eine beliebige Anzahl von Poren bzw.
Mikrorissen enthalten. Die Mindestgröße des RVE bestimmt sich allein dadurch,
dass die Kennwerte, welche durch die vorgenommene Mittelung im RVE gewon-
6.3 Modellierung der Materialschädigung 271

nen werden, die zugehörigen Mikroprozesse repräsentieren können. Gleichzeitig


darf das RVE auch nicht zu groß gewählt werden, damit auch die Gradienten der
makroskopischen Zustandsgrößen gut erfasst werden können. Die Mindestgröße
eines RVE ist vom Material abhängig und hängt von den typischen strukturellen
Inhomogenitäten einer bestimmten Werkstoffklasse ab. Von Leimaitre [429] wur-
den folgende RVE-Mindestvolumina vorgeschlagen

• Metalle und Keramiken (0,1 mm)3

• Polymere und Kompositwerkstoffe (1 mm)3

• Holz (10 mm)3

• Beton (100 mm)3


Um die Wirkung der Schädigung auf das Materialverhalten darzustellen, wird
das sogenannte Konzept der effektiven Spannung verwendet, d. h., bei einer
Belastung durch eine äußere Kraft F trägt nicht mehr der gesamte RVE-Quer-
schnitt die Last, sondern nur noch der ungeschädigte Teil des RVE [427, 428].
Liegt kein rein elastisches Werkstoffverhalten vor, ergibt sich eine sehr kompli-
zierte Formulierung von Modellen, welche die grundlegenden Ideen der Schadens-
mechanik für praktische Anwendungen umsetzen können. In der Regel ist es für
die Nachbildung des mechanischen Materialverhaltens daher nicht möglich, auf
gewohnte physikalisch basierte Modelle zurückzugreifen. Hieraus resultiert einer
der wesentlichen Nachteile schadensmechanischer Ansätze.

Versetzungen Poren Mikro- Mikro- Makro- Makro-


Gleitbänder rissbildung rissausbreitung rissbildung rissausbreitung

0,0001 0,001 0,01 0,1 1,0 10,0 mm

Schadensmechanik Bruchmechanik

Oberfläche Oberfläche

Körner

Makros-
kopische Bruchmechanische
Anrisse Idealisierung

Makroskopischer
Hauptriss

Abb. 6.27 Vergleich zwischen schadensmechanischen und bruchmechanischen Ansätzen, adap-


tiert aus [427]
272 6 Schädigung

Im Vergleich mit den anderen Methoden der Schädigungsbeschreibung verlan-


gen sie in der Regel sehr aufwendige experimentelle Versuchsprogramme zur
Materialdatenbestimmung. Überdies sind Daten aus willkürlichen Zuverlässig-
keitstests nicht nutzbar, um vorhandene Modelle gegenüber den neuen experimen-
tellen Befunden besser anzupassen.
7.1 Problematik der experimentellen Untersuchung 273

7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

7.1 Problematik der experimentellen Untersuchung

„Die Versuchsanordnung wird einzig aus bekannten, in einer


bestimmten Situation vorhandenen Methoden und Verfahren kombi-
niert. Während der Konfigurierung können jedoch praktische Unvoll-
kommenheiten des Forschungspotentials den Problemlösungsprozeß
aufhalten oder abbrechen. Unabhängig vom Experimentator wirkende
(zufällige) Bedingungen oder solche, die bei der Konstruktion des Auf-
forderungssystems nicht bekannt waren, übersehen wurden, können
einen Rückgriff zur Phase der Aufgabenstellung nötig machen und eine
Umstrukturierung des Aufforderungssystems veranlassen. Das Experi-
ment kann sogar jetzt undurchführbar werden und damit Unvermögen,
ungelöste (methodenorientierte) Probleme nachweisen. Andererseits
kann die praktische Konfigurierung der Versuchsanordnung über den
raumzeitlichen und ökonomischen Aufwand zur Durchführung des
Experiments entscheiden. Dem Auslassen dieses funktionalen Elements
aus dem Verständnis des Begriffs Experiment kann daher nicht zuge-
stimmt werden.“
Gert Wangermann in „Der Problemlösungsprozeß in der naturwissenschaftlich-experimentellen Forschung“, 19841

Die mit der Entwicklung der Werkstoffprüfung verbundene Schaffung von Nor-
men und die Etablierung bestimmter Verfahren und Methoden auf diesem Gebiet
lassen die experimentelle Ermittlung des mechanischen Verhaltens von Werkstof-
fen sehr oft als eher unproblematische Aufgabe erscheinen. Tatsächlich existieren
jedoch in Abhängigkeit vom Werkstoff und den zu ermittelnden mechanischen
Verhaltensformen nach wie vor eine Reihe offener Fragen. Hierbei ist es von
außerordentlicher Bedeutung, zwischen den unterschiedlichen Zielen einer Werk-
stoffprüfung zu unterscheiden. Zu Beginn der Entwicklung der klassischen Werk-
stoffprüfung im 18. und 19. Jahrhundert stand zunächst die Ermittlung der Festig-
keit eines Werkstoffs im Vordergrund. Untersuchungen dienten beispielweise
dazu, die Sicherheit neuartiger Brückenkonstruktionen experimentell zu überprü-
fen [432]. Ganz anders war die Situation als Anfang der achtziger Jahre des 20.
Jahrhunderts verstärkt versucht wurde, die thermisch-mechanischen Beanspru-
chungen in elektronischen Aufbauten durch theoretische Überlegungen zu bewer-
ten. Dafür war die genaue Kenntnis des werkstoffmechanischen Verhaltens sowie
der Schädigungsfunktion des zur Montage der Anschlusskontakte eingesetzten

1. Das Zitat stammt aus einem Beitrag von G. Wangermann in den im Akademie Verlag, Berlin
erschienenen Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften der DDR [431]
274 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

Zinn-Blei-Lotes von fundamentaler Bedeutung. Sehr schnell begann man zu hin-


terfragen, ob die bisher an großen Standardprobekörpern gewonnenen Erkennt-
nisse zum Deformations- und Schädigungsverhalten tatsächlich die Verhältnisse in
den sehr kleinen Strukturen der Lotkontakte repräsentieren [452].
Mit den Methoden der klassischen Werkstoffprüfung war diese Frage jedoch
nicht zu beantworten, da sich durch die unterschiedlichen Größenverhältnisse die
Philosophie der Werkstoffprüfung grundsätzlich änderte. Die Gestaltung von Pro-
ben und Belastungsbedingungen zielte in der Regel auf die Untersuchung eines für
einen Werkstoff repräsentativen Volumens, in welchem bestimmte Gefügemerk-
male (z. B. Zahl und Größe von Körnern) vorhanden waren, welche der Werkstoff
so auch, z. B. in einem zu bemessenden Bauteil, enthielt. Der Vorteil der Untersu-
chung an speziell gestalteten Proben gegenüber einer Bauteilprüfung besteht in
einer guten Auswertbarkeit der Untersuchungen sowie in der Möglichkeit der
gezielten Provozierung bestimmter Verformungs- und Schädigungsmechanismen.
Die stark reduzierten Geometrieverhältnisse in Strukturen elektronischer Auf-
bauten verhindern jedoch das Konzept der Probenprüfung, da bei der Unterschrei-
tung bestimmter Größendimensionen eine deutliche Wechselwirkung zwischen der
Form, der Größe, den Herstellungsbedingungen und der Gefügeausbildung in
kleinvolumigen Strukturen zu beobachten ist. Hieraus ergeben sich für die akkurate
Bestimmung des mechanischen Verhaltens von Werkstoffen in kleinvolumigen
Strukturen besondere Anforderungen an die Gestaltung entsprechender Versuche,
d. h., die experimentelle Untersuchung kleinvolumiger Strukturen ist nicht durch
einfache Verkleinerung bekannter Versuche und der dazugehörigen Probekörper-
geometrien zu erreichen. Für die Erzielung relevanter Erkenntnisse zum Deforma-
tions- und Schädigungsverhalten ist es notwendig, eine bauteilorientierte und
betriebsfallnahe Untersuchung an konkreten kleinvolumigen Strukturen durchzu-
führen, da die Abhängigkeit der Gefügeausbildung von Größe und Form dieser
Strukturen sowie deren Herstellungsbedingungen keine zuverlässige Nachbildung
eines repräsentativen Volumens zulässt.
Aus diesen veränderten Anforderungen ergeben sich eine Reihe nicht einfach zu
überblickender Besonderheiten, welche weitreichende Konsequenzen für die
Gestaltung von Versuchsausrüstungen für kleinvolumige Probenkörper haben. Im
Gegensatz zu klassischen Prüfmaschinen muss die Konzeption von Versuchsappa-
raturen für kleinvolumige Körper immer unter den vielen Einschränkungen, wel-
che die begrenzten Möglichkeiten der Probekörpergestaltung und die Spezifika der
konkreten Werkstoffanwendung mit sich bringen, gesehen werden. Hinzu kom-
men Einschränkungen, welche mit der begrenzten Erfassbarkeit der Verformungs-
reaktionen an miniaturisierten Proben zu tun haben, sodass zum Teil besondere
Strategien erforderlich sind, um bestimmte Verformungseigenschaften messtech-
nisch erfassen zu können. Zur Gewährleistung einer korrekten Bestimmung
bestimmter mechanischer Eigenschaften an miniaturisierten Proben ist daher die
Lösung vieler Detailprobleme notwendig.
Trotz der erheblichen Unterschiede zur klassischen Werkstoffprüfung bildet
diese den Ausgangspunkt für die Konzeption von Versuchen an kleinvolumigen
7.2 Entwicklung, Ziele und Verfahren der klassischen Werkstoffprüfung 275

Proben. Daher ist es wichtig, zunächst die Entwicklung der klassischen Werkstoff-
prüfung zu betrachten und die Grundgedanken ihrer wichtigsten Untersuchungs-
techniken nachzuvollziehen. Ausgehend von diesen Betrachtungen können die
Vor- und Nachteile verschiedener technischer Umsetzungen beim apparativen Auf-
bau für die Untersuchung von Bulkproben und miniaturisierten Proben diskutiert
werden. Die Diskussion konkreter technischer Umsetzungen beim apparativen
Aufbau ist für die Bewertung verschiedener Versuchsergebnisse von entscheiden-
der Bedeutung, da im Gegensatz zur klassischen Werkstoffprüfung im Mikrobe-
reich keine etablierten Ansätze und Methoden beim experimentellen Vorgehen
existieren, die wiederum Einfluss auf das ermittelte Werkstoffverhalten haben. Ein
möglicher Fehler bei der wissenschaftlichen Interpretation von Versuchsergebnis-
sen aus dem Mikrobereich besteht in der unzureichenden kritischen Betrachtung
verschiedener Unzulänglichkeiten bei der experimentellen Erfassung des Verfor-
mungs- und Schädigungsverhaltens an kleinstvolumigen Proben. Für die tiefgrün-
dige Beantwortung der mit dem Größeneffekt in Verbindung stehenden Fragen ist
daher eine Betrachtung notwendig, welche Versuchsergebnisse nicht als absolut
gültige Erkenntnisse einstuft, sondern diese stets in Verbindung mit der Art und
Weise der Erzielung dieser Ergebnisse betrachtet.

7.2 Entwicklung, Ziele und Verfahren der klassischen


Werkstoffprüfung

7.2.1 Historische Entwicklung

Der Ausgangspunkt der klassischen Werkstoffprüfung wird von vielen im 18.


Jahrhundert in England und Schweden angesiedelt [432, 433]. Vor allem im
Zusammenhang mit dem Geschütz- und Brückenbau werden erste systematische
Festigkeitsversuche durchgeführt mit dem Ziel, Kennwerte für die Abnahme von
Stahlhalbzeug festzulegen. Zu diesem Zeitpunkt herrscht vor allem die Untersu-
chung ganzer Elemente und Profile vor. Der Bau von Prüfmaschinen nimmt dage-
gen in Frankreich seinen Anfang, wo 1758 durch Perronet eine Einrichtung zur
Durchführung von Zug-Druck-Biege-Versuchen entwickelt wurde [432]. Ver-
gleichbare Prüfmaschinen wurden auch in Deutschland, z. B. zur Prüfung von Ket-
tenstäben für Brücken (1829), benutzt [435]. Ab dem Jahr 1850 nimmt die Zahl der
Festigkeitsprüfungen deutlich zu und wurde zunehmend von staatlicher Seite
unterstützt. So kamen die zwischen 1860-1870 durch Wöhler durchgeführten
Schwingungsversuche an Stahl und Eisen auf Anordnung des preußischen Mini-
sters für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten zustande [436]. Auch in der
Stahlindustrie setzte eine Entwicklung der Materialprüfung ein. So wird bereits
1875 bei Krupp eine „Probieranstalt“ eingerichtet. Neben der Entwicklung von
Prüfmaschinen kommt es auch auf methodischem Gebiet zu Fortschritten. Im Jahr
1884 findet auf Initiative von Bauschinger in München eine „Konferenz zur Ver-
276 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

einbarung einheitlicher Prüfmethoden“ statt [432]. Die Art und Weise, wie Werk-
stoffe am zweckmäßigsten zu untersuchen sind, wurde zunächst sehr stark durch
die begrenzten apparativen Möglichkeiten bestimmt. Dabei muss beachtet werden,
dass es in der frühen Phase der Werkstoffprüfung durch fehlende Regel- und Steu-
ertechnik kaum möglich war, komplexe Belastungsverläufe an Proben zu erzeu-
gen. Selbst das Einstellen einer konstanten Traversengeschwindigkeit war noch bis
in die 1960er Jahre ein bedeutendes Problem [434]. Erst durch die Verfügbarkeit
elektronischer und später computergesteuerter Maschinenregelungen ergaben sich
vielfältige Möglichkeiten der freien Versuchsgestaltung. In der Zwischenzeit hat-
ten sich jedoch bestimmte Arten der Versuchsdurchführung etabliert, welche bis in
die heutige Zeit die Methodik der Werkstoffuntersuchung nicht unwesentlich
bestimmen.

7.2.2 Verfahren und Ziele

Das ursprünglichste und bis heute grundsätzlichste Ziel der mechanischen


Werkstoffprüfung ist die Beurteilung der Befähigung eines aus einem bestimmten
Werkstoff bestehenden Bauteils, die an ihm in der Praxis auftretenden Kraftwir-
kungen aufnehmen zu können [432, 437]. Diese Beurteilung erfolgt entweder am
Bauteil selbst oder an einem Probeköper, welcher alle wesentlichen Eigenschaften
des Werkstoffes in den entsprechenden Volumenelementen des Bauteils wieder-
gibt. Als zentrales Merkmal der Beurteilung wurde der Begriff der Festigkeit
geprägt, der bis heute die Werkstoffcharakterisierung beherrscht. Die Festigkeitsei-
genschaften eines Werkstoffes lassen sich jedoch im Gegensatz zum Elastizitäts-
modul oder der Poissonzahl nicht durch einen reinen Werkstoffkennwert charakte-
risieren, da es sich hierbei nicht um intrinsische Materialeigenschaften handelt. Je
nachdem, auf welche Art und Weise ein Werkstoff beansprucht wird, stellt sich
eine andere Werkstofffestigkeit ein. Aus diesem Grund haben sich eine Reihe ver-
schiedener Werkstoffprüfverfahren entwickelt, um die Festigkeit von Werkstoffen
für verschiedene in der Praxis auftretende Belastungen zu charakterisieren.
Stand zu Beginn der Werkstoffprüfung die rein statische Festigkeitsprüfung im
Mittelpunkt, so stellte sich bald heraus, dass bei wiederholten Belastungen durch
die sogenannte Werkstoffermüdung die Festigkeit eines Werkstoffes weit unter der
der einmaligen Belastung liegt [32, 447, 448]. Ausgelöst durch ein schweres Eisen-
bahnunglück 1842 in der Nähe von Versailles begann in vielen Ländern eine
Untersuchung der Eisenbahntechnik mit dem Ziel, Ermüdungsbrüche sicher zu
vermeiden [412]. Im Rahmen dieser Bestrebungen führte Wöhler seine Untersu-
chungen zur Ermüdung von Eisenbahnachsen durch [408]. Im Ergebnis dieser
Untersuchungen entstand eine neue Versuchs- und Beurteilungssystematik, die
anstelle der bis dahin üblichen einsinnigen Belastungen Wechselbelastungen ver-
wendete. Die aus dieser Beurteilungssystematik abgeleitete Wöhler-Kurve, welche
die Spannungsschwingbreite gegenüber der möglichen Lastwechselzahl darstellt,
wurde in den Folgejahren immer weiter verbessert. Coffin [413] und Manson [414]
7.2 Entwicklung, Ziele und Verfahren der klassischen Werkstoffprüfung 277

Ds De
2 2
-3
10

-4
Legierung 1 10
s0 T1
T2
s0 Legierung 2
-5
10
4 5 6 7 8 4 5 6
10 10 10 10 10 NB 10 10 10 NB

a) b)

Abb. 7.1 Verschiedene grafische Darstellungen zur Beurteilung der Festigkeit eines aus einem
bestimmten Werkstoff bestehenden Bauteils: a) Wöhler-Kurve und b) Ermüdungsrissausbrei-
tungskurve (Δσ/2 = Spannungsamplitude und Δε/2 = Dehnungssamplitude der Wechselbeanspru-
chung, NB = Lastspielzahl bis zum Bruch (d. h. zum Versagen des Werkstoffs), adaptiert aus [309]

entdeckten später, dass die maximal mögliche Lastwechselzahl mit der Amplitude
der plastischen Dehnung verknüpft ist (vgl. 6.3.3).
Ein anderer, auf die Arbeiten von Griffith [368] und Inglis [367] zurückgehen-
der Ansatz zur Bewertung der Festigkeit entwickelte sich rasch als Reaktion auf
die zahlreichen Schäden an den während des zweiten Weltkrieges hergestellen
„Liberty Schiffen“. Aus den Forschungsaktivitäten einer am Naval Research Labo-
ratory in Washington arbeitenden Gruppe entwickelten sich sogenannte bruchme-
chanische Konzepte (vgl. 6.3.2). Im Unterschied zu den bisherigen Versagenskon-
zepten wird die für das Versagen verantwortliche Ausbreitung von Rissen mit
einem lokalen Spannungs- und Dehnungsfeld in der Rissspitze in Verbindung
gebracht und gezeigt, dass sich dieses durch einen einzigen Parameter, den Span-
nungsintensitätsfaktor, beschreiben lässt [372].
Die verschiedene Konzepte, welche sich im Laufe der Zeit zur Bewertung der
Festigkeit herausbildeten, führten zu einer Reihe spezieller Versuchstechniken,
welche oft auch mit einer eigenen Terminologie verbunden sind. Welche Ver-
suchstechnik zur Bewertung der Festigkeit herangezogen wird, hängt in entschei-
dender Weise von der favorisierten Auslegung eines Bauteils ab [309]. So wird
z. B. zur Auslegung eines Bauteils gegen Ermüdungsbeanspruchung die Zahl der
Belastungszyklen bis zum Bruch an einer glatten Probe ermittelt. Die aus diesem
Versuch gewonnenen Werte - Beanspruchungsamplitude gegen Bruchzyklenzahl -
werden dann in ein Wöhler-Diagramm (Abb. 6.24) eingetragen, aus dem später die
zur Auslegung eines Bauteils aus einem bestimmten Werkstoff zulässigen Belas-
tungen entnehmbar sind. Die Wöhler-Kurve liefert jedoch keine Angaben über den
Verlauf der Schädigung, d. h. Rissentstehung und -ausbreitung, sondern erfasst nur
den Zeitpunkt des Versagens. Aus diesem Grund existieren andere Verfahren, wel-
che z. B. ausschließlich die Rissausbreitung in einem Material betrachten und
278 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

LCF-Probe
(Ermüdungsprobe)
ausgedehnte plastische Zone
über gesamte Probe

CT-Probe
Risspfad (Bruchmechanikprobe)
Bauteil kleine plastische Zone um
Rissspitze

Abb. 7.2 Schematische Darstellungen verschiedener Arten von Versuchen sowie ihrer Probe-
körper zur Auslegung eines Bauteils (adaptiert aus [412]).

davon ausgehen, dass das Bauteil schon rissbehaftet sei. Die Auslegung des Bau-
teils richtet sich dann nach der Anzahl der Belastungszyklen, innerhalb derer der
Anfangsriss bis auf eine kritische Risslänge gewachsen ist. Für die Länge des
Anfangsrisses, sofern diese nicht durch zerstörungsfreie Verfahren detektierbar ist,
wird die Auflösungsgrenze der eingesetzten zerstörungsfreien Verfahren angenom-
men. Die Abschätzung der Risswachstumszahl erfolgt auf der Basis bruchmechani-
scher Ansätze, deren Parameter aus Werkstoffversuchen an Proben mit einem defi-
nierten Anriss gewonnen werden [309].
Die beiden dargestellten Konzepte, welche zur Auslegung eines Bauteils dienen
sollen, stützen sich auf völlig unterschiedliche Versuchstechniken. Diese Ver-
suchstechniken sind durch eine bestimmte Spezifik in Probengestaltung, Lastein-
leitung, Versuchsverlauf, Messgrößenaufnahme und Ergebnisdarstellung gekenn-
zeichnet. Hierbei wird das Ziel verfolgt, bestimmte Sachverhalte der
Werkstoffverformung und -schädigung an verschiedenen Bauteilen über einen spe-
ziell gestalteten Probeköper so nachzubilden, dass allgemeine, für beliebige Bau-
teilgeometrien verwendbare Werkstoffkennwerte gewonnen werden. Abb. 7.2
zeigt, wie durch die beiden dargestellten Konzepte eine Nachbildung der tatsächli-
chen Verhältnisse am Probekörper erfolgt. Durch die glatte Probe, in welcher beim
Versuch eine homogene Beanspruchung herrscht, wird sehr gut der Fall einer gro-
ßen plastischen Zone nachgebildet, wie er in einem intakten Bauteil in der Regel
vorhanden ist. Die Probe mit Anriss, in welcher beim Versuch ein heterogener
Beanspruchungszustand vorherrscht, widerspiegelt den Fall eines geschädigten
Bauteiles mit einer kleinen plastischen Zone, welche sich an der Spitze eines
Anrisses ausbildet.
7.2 Entwicklung, Ziele und Verfahren der klassischen Werkstoffprüfung 279

Die Gegenüberstellung dieser beiden beispielhaft dargestellten Versuchstechni-


ken zeigt, wie sehr sich die Methodik der Werkstoffprüfung gegenüber den
ursprünglichen Ansätzen der Beurteilung der Festigkeit über einfache statische
Lasten gewandelt hat. Anstelle einfacher ingenieurmäßiger Verfahren und
Beschreibungsformen sind eine Reihe hoch spezialisierter Versuche getreten, mit
denen es möglich ist, die vielfältigen Erscheinungsformen der Schädigung eines
Werkstoffes an einer Modellprobe nachzuvollziehen und entsprechende Beschrei-
bungen ableiten zu können.
Obwohl inzwischen eine große Vielfalt von Versuchsmethoden zur Bewertung
der Festigkeit von Werkstoffen existiert, mit denen es möglich ist, die verschiede-
nen Erscheinungsformen des Werkstoffversagens in Bauteilen an spezialisierten
Probekörpern im Labor nachzubilden, stößt das Konzept der reinen Festigkeitsprü-
fung auf ein grundsätzliches Problem. Aufgrund des komplexen Festigkeitsverhal-
tens ist es schwierig, einen Werkstoffersatz für ein bestimmtes Bauteil zu beurtei-
len. Festigkeitskennwerte lassen keine Schlussfolgerungen auf das Verhalten eines
Bauteils im Betrieb zu, da sie nur Grenzbeanspruchungen betrachten, das Formän-
derungsverhalten jedoch unberücksichtigt bleibt. Einen Ausweg aus dieser Proble-
matik bietet die Werkstoffmechanik, durch die die Zusammenhänge zwischen
Werkstoffkennwert und Festigkeitsverhalten eines Bauteils berechenbar sind
[432]. Werkstoffmechanische Berechnungen setzen jedoch wiederum eine
umfangreiche Beschreibung des Verformungsverhaltens voraus, wodurch weitere
Versuche notwendig werden, welche das Ziel haben, die Verformungsreaktion
eines Werkstoffes unter einer bestimmten Beanspruchung zu beschreiben. Insge-
samt ergibt sich hierdurch ein vielschichtiges Netzwerk verschiedener Versuche,
welche zwar in ihrer Gesamtheit das Ziel der Eignungsbewertung eines Bauteils
für eine bestimmte Anwendung verfolgen, als Einzelversuch jedoch zunächst
Kennwerte liefern, aus welchen sich die Eignungsbewertung nicht unmittelbar
ableiten lässt. Diese Bewertung ergibt sich oft aus komplexen Berechnungsmodel-
len, in denen Kennwerte aus verschiedenen Versuchen einfließen, d. h., jede
Festigkeitsbewertung von Bauteilen setzt eine große Anzahl von Versuchen vor-
aus.
Bei der Betrachtung der Verfahren und Ziele von Werkstoffprüfverfahren muss
deshalb zwischen vielschichtigen komplexen werkstoffwissenschaftlichen Materi-
alprüfmethoden und einfachen standardisierten Verfahren unterschieden werden.
Während erstere das Ziel verfolgen, die sehr komplexen und oftmals unbekannten
Zusammenhänge der Werkstoffphysik zu untersuchen, werden letztere z. B. zur
Qualitätssicherung bei der Fertigung von Halbzeugen oder Bauteilen eingesetzt.
Daraus ergeben sich auch unterschiedliche Anforderungen an die einzusetzenden
Prüfmethoden und - anlagen. Aus diesem Grund ist für die erste Gruppe vor allem
Erreichung höchster Genauigkeiten bei der Erfassung von Messdaten wesentlich,
während für die zweite Faktoren wie Vergleichbarkeit, Prüfdauer und Proben-
durchsatz von entscheidender Bedeutung sind.
280 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

7.2.3 Entwicklung miniaturisierter Versuche

Mit der Entwicklung immer höher integrierter Schaltkreise während der siebzi-
ger Jahre wurde klar, dass die konventionelle Aufbautechnik mit DIP-Bauformen
auf Leiterplatten nicht mehr den Anforderungen, die durch komplexe Systemarchi-
tekturen gestellt wurden, genügte. Da die Verwendung von Multichipmodulen
jedoch mit einem erheblichen Ausbeute- und Kostenproblem verbunden war,
erschien die Verwendung von sogenannten Ceramic-Chip-Carriern (CCC) als
geeigneter Ausweg [131-135]. Ceramic-Chip-Carrier bestanden aus einem zumeist
quadratischen Keramikträger, in dessen Zentrum der Schaltkreis befestigt war und
dessen Anschlusskontakte durch umlaufende Metallisierungen realisiert wurden
(Abb. 7.3) Gegenüber den klassischen DIP-Bauformen besaßen sie den Vorteil
eines deutlich verminderten Flächenbedarfs (1/5...1/3), wesentlich kleinerer
Anschlussinduktivitäten, geringerer Kosten, eines geringeren Gewichts, einer
höheren Bauelementezuverlässigkeit und höherer Anschlusszahlen [134]. Ihr Ein-
satzbereich war jedoch zunächst auf den sogenannten High-Perfomance-Bereich
beschränkt, in dem keramische Substrate zum Einsatz kamen [132].
Anders als bei den DIP-Bauformen wurden die durch die unterschiedlichen
thermischen Ausdehnungskoeffizienten des für den Bauelementekörper verwende-
ten Al2O3- (α = 6 ppm/K) und des für kostengünstige Anwendungen als Substrat
eingesetzten FR4-Trägermaterials (α = 17 ... 20 ppm/K) erzeugten thermischen
Fehldehnungen nicht mehr durch Federwirkung der Anschlussbeine aufgenom-
men. Dadurch führten thermische Wechselbelastungen sehr schnell zum Versagen
der Lotverbindungen, da diese bei CCC-Bauformen durch starke Verformungen
der Lotkontakte ausgeglichen werden mussten [449]. Die Bewältigung dieses Pro-
blems wurde auf zwei verschiedenen Wegen versucht. Zum einen unternahm man
Anstrengungen, den Ausdehnungskoeffizienten der Trägermaterialien, z. B. durch
Kupfer-Invar-Einlagen [135], deutlich zu senken, zum anderen führte man oberflä-

Drahtbondverbindungen
Halbleiterbauelement
Gehäusedeckel (Keramik)

Anschlusskontakte

Chipbondmetallisierung

Umverdrahtungsmetallisierung

Gehäusegrundkörper (Keramik)

Abb. 7.3 Schematische Darstellung einer Ceramic-Chip-Carrier-Bauelementeform (CCC)


7.2 Entwicklung, Ziele und Verfahren der klassischen Werkstoffprüfung 281

chenmontierbare Bauelementeformen mit nachgiebigen Anschlussbeinen ein


[136, 137, 449].
Durch experimentelle Untersuchungen mit Dehnmessstreifen und holografi-
scher Interferometrie gelang es Hall, Dudderar und Argyle [450], die sehr kompli-
zierten Verformungsreaktionen an Lotkontakten von CCC-Aufbauten aufzuzeigen,
welche durch die vereinfachte Annahme zweier steifer Platten, wie sie beispiels-
weise von Engelmaier [451] für die Ermüdungsfestigkeitsberechnungen verwendet
wurden, nicht widergespiegelt wird. Hall [449] führt die experimentellen Arbeiten
mit Dehnmessstreifen fort und schlussfolgert aus theoretischen Überlegungen auf
einen komplexen Beanspruchungszustand der Lotkontakte während eines Tempe-
raturzyklus, welcher sich nicht einfach aus dem Unterschied der Ausdehnungsko-
effizienten von Bauelement und Verdrahtungsträger ergibt. Fox, Sofia und Shine
[452] zeigen durch Temperaturwechseltests und isotherme Ermüdungsversuche an
CCC-Aufbauten, dass die Art der der Lotkontaktverformung zugrunde liegenden
Mechanismen (z. B. Kriechen) einen entscheidenden Einfluss auf die Ermüdungs-
festigkeit der Kontakte hat. Diese Erkenntnis bildet den Ausgangspunkt für alle
weiteren Arbeiten zur experimentellen Untersuchung mechanischer Eigenschaften
an miniaturisieren Proben für Werkstoffe der Aufbau- und Verbindungstechnik der
Elektronik. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits von Hannula, Wanagel und Li [453]
umfangreiche Experimente an dünnen Au-Drähte (25 μm Durchmesser) zum
Drahtbonden durchgeführt worden. Rückblickend sind es jedoch vor allem die
Arbeiten zu den mechanischen Eigenschaften der Lotkontakte, welche maßgebend
für die Entwicklung einer experimentellen Methodik zur Untersuchung miniaturi-
sierter Proben im Bereich der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik
sind.
Für das Verständnis der besonderen Problematik dieser Untersuchungen ist es
wichtig, die mit dem mechanischen Verhalten der Lotkontakte verbundenen wis-
senschaftlichen als auch die technisch pragmatischen Fragen genauer zu betrach-
ten. Weichlote sind - bezogen auf ihre Verwendung als mechanische Strukturele-
mente - eine sehr ungünstige Werkstoffauswahl. Aufgrund der hohen homologen
Temperaturen im Einsatzbereich ( T hom = 0, 5…0, 9 T s ) können in Abhängigkeit
von der momentanen Beanspruchungssituation verschiedene werkstoffphysikali-
sche Mechanismen zur Verformung und Schädigung beitragen. Weiterhin muss
von einer ständigen Veränderung des Lotgefüges ausgegangen werden, sodass
anzunehmen ist, dass sich die mechanischen Eigenschaften der Lotwerkstoffe wäh-
rend der Lebensdauer ständig ändern. Bei der Erarbeitung von Experimenten für
miniaturisierte Lotproben müssen daher neben der eigentlichen Verkleinerung
auch eine Reihe von Besonderheiten für die korrekte Beschreibung des werkstoff-
mechanischen und schädigungsmechanischen Verhaltens von Weichloten im
Anwendungstemperaturbereich beachtet werden. Die Konzeption von Prüfmaschi-
nen für kleine Proben wird daher nicht nur durch einen geometrischen, sondern
auch durch einen werkstoffspezifischen Aspekt bestimmt. Im mikrotechnischen
Bereich kommen andere Werkstoffe als im makroskopischen Bereich zum Einsatz,
da die Werkstoffauswahl hier vor allem technologisch bestimmt wird.
282 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

7.3 Werkstoffprüfung für stark miniaturisierte Proben

7.3.1 Grundproblematik

Die Entwicklung von Prüfmaschinen zur Untersuchung des mechanischen Ver-


haltens von Werkstoffen in sehr kleinsten Probengeometrien entstand verstärkt im
Zusammenhang mit der Entwicklung der Mikrosystemtechnik in den letzten zwei
Dekaden. Vor diesem Zeitpunkt wurde den sogenannten Kleinprüfmaschinen ver-
gleichsweise entweder keine [433, 446] oder nur wenig Aufmerksamkeit
geschenkt, da sie im Vergleich mit Standardprüfmaschinen kaum spezifische
Besonderheiten aufwiesen [437]. Vergleicht man zum heutigen Zeitpunkt anhand
des zur Verfügung stehenden Kraftmessbereiches die prinzipielle Anwendungs-
breite von Groß-, Standard- und Kleinprüfmaschinen, so zeigt sich, dass die
Spanne der Kraftmessbereiche bei den klassischen Standardprüfmaschinen, welche
in etwa zwischen 1 kN ... 1000 kN liegt, oder die der Prüfmaschinen für große Pro-
ben, welche sich zwischen 1 MN ... 1000 MN aufhält, wesentlich kleiner ist als die
der Prüfmaschinen für miniaturisierte Proben, die den gesamten Bereich von
1 mN ... 1 kN überdeckt. Dieser gewaltigen, über 6 Größenordnungen verlaufen-
den Spanne der erfassbaren Kraftreaktionen liegen verschiedene Aufbauprinzipien
der Prüfmaschinen zugrunde, die wiederum in verschiedenen Untersuchungszielen
begründet liegen. Um die Unterschiede zwischen den verschiedenen Prinzipien
verstehen und ihre Eignung für die Bestimmung bestimmter Werkstoffkennwerte
bewerten zu können, ist es notwendig, die einzelnen Entwicklungen anhand der
ihnen zugrunde liegenden Fragestellungen zu spiegeln. In dieser problemorientier-
ten Betrachtung, welche sich bei der Bewertung von Prüfmaschinen nicht nur auf
die technischen Parameter, wie Kraftauflösung, Beanspruchungsgeschwindigkeit
oder Maschinensteifigkeit, stützt, liegt einer der wesentlichen Unterschiede zur
Besprechung von Standardprüfmaschinen, wie sie in [433, 437-446] vorgenommen
wird.
Ursache dieser unterschiedlichen Betrachtungsweise sind die unterschiedlichen
Ausgangspunkte, welche zur Entwicklung der klassischen Standardprüfmaschinen
und zur Entwicklung von Prüfmaschinen für stark miniaturisierte Proben führte.
Anders als für die klassische Werkstoffprüfung hat das Versagen von Bauteilen in
mikrotechnischen Aufbauten einen anderen Stellenwert, da es in der Regel keine
wesentlichen Sachschäden bzw. Gefahr für menschliches Leben nach sich zieht.
Zwar werden auch für den mikrotechnischen Bereich eine große Anzahl von
Untersuchungen zur Festigkeit und zum Versagen von Werkstoffen durchgeführt,
jedoch bilden diese in den seltensten Fällen die Grundlage sicherheitsrelevanter
Bauteilauslegungen. Aufgrund der niedrigen Herstellungskosten und der unerheb-
lichen Folgen eines Bauteilversagens ist es in der Praxis oft einfacher, die Betriebs-
sicherheit an den konkreten mikrotechnischen Aufbauten direkt zu überprüfen,
anstatt diese aus aufwendigen Berechnungen umfangreicher Werkstoffuntersu-
chungen zu erhalten.
7.3 Werkstoffprüfung für stark miniaturisierte Proben 283

Die verhältnismäßig starke Trennung von Bauteil und Werkstoff, die in der
klassischen Werkstoffprüfung zur Entwicklung spezifischer Probekörper und Prüf-
verfahren führte, welche auf einen weiten Bereich zu untersuchender Werkstoffe
angewendet wird, ist so in den Mikrotechniken nicht vorhanden. Aufgrund der
vielschichtigen Funktionsanforderungen (z. B. elektrische, thermische, technologi-
sche und mechanische Eigenschaften) beschränkt sich zum einen die Auswahl auf
eine kleine Gruppe von bevorzugten metallischen Werkstoffen, wie z. B. Au, Ag,
Cu, Fe, Ni, Sn (bzw. ihre Legierungen), und es ergeben sich zum anderen enge
Fenster bei der Herstellung verschiedener Legierungen. Zudem ergeben sich durch
die besonderen Fertigungstechnologien auch Einschränkungen bezüglich der
erreichbaren Geometrien von Bauteilen. Beide Faktoren haben einen nicht uner-
heblichen Einfluss auf die Konzeption von Prüfapparaturen und -methodiken für
miniaturisierte Proben.

7.3.2 Besonderheiten der Prüfmaschinen für miniaturisierte Proben

7.3.2.1 Grundsätzlicher Aufbau

Die Entwicklung der Werkstoffprüfung wurde zum einen durch die im Laufe
der Zeit gewonnenen Erkenntnisse zu den Schädigungsmechanismen bestimmt,
aus welchen bestimmte Versuchsabläufe und Bewertungsverfahren abgeleitet wur-
den. Zum anderen bestimmte jedoch auch die Entwicklung der Prüftechnik selbst,
auf welche Art und Weise das Verhalten der Werkstoffe charakterisiert werden
konnte. Um das Verformungsverhalten eines Werkstoffes zu ermitteln, wurden
bevorzugt Versuche mit einer sogenannten zügigen Beanspruchung eingesetzt
[432]. Dabei wurde auf die Probe in einem Zug (daher zügig) eine zwangsläufige
Verformung aufgebracht. Diese konnte auch stufenweise steigend oder mit zwi-
schengeschalteten Entlastungen erfolgen. Da zu Beginn der Prüfmaschinenent-
wicklung die Möglichkeiten einer effektiven Steuerung der Versuche sehr begrenzt
waren, wurde als vorgegebene Probenbelastung eine zwangsweise Reckung (bzw.
Biegung) der Probe eingesetzt und deren Widerstand gegen diese Zwangsverfor-
mung, z. B. über ein Pendelmanometer, gemessen. Ausschlaggebend für diese Art
der Versuchsführung war die gute technische Realisierbarkeit einer konstanten
Reckgeschwindigkeit, welche wiederum zur Darstellung des Verformungsverhal-
tens in einem Spannungs-Dehnungs-Diagramm führte. In diesem Diagramm, aus
dem auch viele wichtige mechanische Werkstoffkennwerte abgeleitet werden, wird
die Verformung, d. h. die mechanische Dehnung, als unabhängige Variable und der
Widerstand gegen die Verformung, d. h. die mechanische Spannung, als abhängige
Variable dargestellt, obwohl werkstoffphysikalisch eine gegenseitige Abhängigkeit
beider Variablen besteht. Diese Art der Versuchsführung und Darstellung des Ver-
formungsverhaltens hat sich trotz der inzwischen entwickelten Möglichkeiten zur
effektiven Versuchssteuerung erhalten. Hierdurch hat sich Laufe der Entwicklung
284 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

auch ein bestimmter systematischer Aufbau aus bestimmten Funktionskomponen-


ten als günstig erwiesen. Dieser besteht im Allgemeinen aus einer Krafteinleitungs-
struktur und einer Probeneinspannung, aus einem Antrieb, aus Messaufnehmern
zur Kraft- und Verformungsmessung, aus einem Maschinenrahmen und einer Ein-
heit zur Messdatenerfassung und Maschinensteuerung [432, 433, 437-446].
Für die Entwicklung von Ausrüstungen für Versuche an kleinvolumigen Proben
war es zweckmäßig, sich an den aus der klassischen Prüftechnik bekannten Prinzi-
pien zu orientieren. Jedoch mussten aufgrund der stark veränderten Anforderungen
andere technische Lösungen als die, welche in typischen Zugprüfmaschinen ver-
wendet werden, gefunden werden. Der prinzipielle Aufbau einer Prüfmaschine zur
Durchführung von Zugversuchen ist in Abb. 7.4 dargestellt. Für Zugversuche wird
in der Regel eine stabförmige Probe verwendet, welche unter Einwirkung einer
momentfrei und monoton ansteigenden einachsigen Zugbeanspruchung gestreckt
wird. Zur Durchführung eines Zugversuches muss zunächst eine geeignete Probe
hergestellt und in den Einspannköpfen befestigt werden. Um eine Zugbeanspru-
chung auf die Probe aufbringen zu können, kann eine der beiden Einspannungen
über einen mit dem Rahmen verbundenen Antrieb bewegt werden. Dabei entsteht
eine Kraftwirkung gegen die andere Einspannung, welche über einen Kraftsensor
fest dem Rahmen verbunden ist.
Um die Unterschiede in der Realisierung klassischer Prüfmaschinen zu denen
von Apparaturen für die Untersuchung kleinvolumiger Proben deutlich zu machen,
sollen die entsprechenden Realisierungen für die einzelnen Komponenten einer
Prüfmaschine einander gegenübergestellt werden. Ziel dieser Gegenüberstellung
ist dabei nicht eine Aufstellung aller bisher verwendeten Lösungsmöglichkeiten.
Vielmehr soll durch eine detaillierte Darstellung wesentlicher Merkmale wichtiger
Lösungen der Zusammenhang zwischen den spezifischen Zielen und den daraus
abgeleiteten Anforderungen zwischen der Prüfung groß- und kleinvolumiger Pro-
ben verdeutlicht werden. Dadurch soll eine Voraussetzung für eine kritische
Bewertung verschiedener Gesamtkonzeptionen von apparativen Aufbauten
geschaffen werden. Diese soll neben der Darstellung der sich ergebenden Grenzen
für bestimmte Untersuchungen an kleinvolumigen Proben auch Vergleiche zu den
grundsätzlichen Möglichkeiten solcher Untersuchungen gegenüber klassischen
Versuchen ermöglichen.

7.3.2.2 Krafteinleitung und Einspannung

Um eine Probe zu verformen, müssen an wenigstens zwei Stellen Kräfte auf die
Probe übertragen werden. Ziel der Krafteinleitung ist die Herstellung eines defi-
nierten Beanspruchungszustandes in der Probe. In Abhängigkeit von der Art der zu
erzielenden Beanspruchung und der Form der Probe kann sich die Notwendigkeit
der Einspannung einer Probe ergeben. Eine solche Einspannung muss die ange-
strebte Krafteinleitung auf die Probe gewährleisten, ohne dass beim Einspannvor-
gang die Probe vorverformt wird [437].
7.3 Werkstoffprüfung für stark miniaturisierte Proben 285

Verhältnismäßig unkompliziert ist die Einspannung beim Druck- und Biegever-


such, da in beiden Fällen die angestrebte Krafteinleitung so gerichtet ist, dass sie
die Probe gleichzeitig fixiert. Im Fall des Druckversuches erfolgt die Einleitung der
Druckkraft über zwei Druckplatten, wobei die obere in der Regel kugelig gelagert
ist, um beim Aufsetzen auf die Probe Fehlwinkel zwischen den beiden Platten und
somit das Entstehen von Biegemomenten zu verhindern [432]. Im Fall des Biege-
versuches gibt es verschiedene Möglichkeiten der Krafteinleitung. Zum einen wird
in Dreipunktbiegung zur Erzielung eines maximalen Momentes in der Probenmitte
und in Vierpunktbiegung zur Erzielung einer gleichmäßigen Momentverteilung

5
4

7
3

Abb. 7.4 Schematischer Grundaufbau einer Zugprüfmaschine: Querhaupt (1), Spindeln (2),
Einspannvorrichtung (3), Maschinenrahmen (4), Kraftmessdose (5), Spindelantrieb mit Riemen-
getriebe und verschiedenen Übersetzungen (6), Muttern zur Bewegung des Querhauptes (7) (adap-
tiert aus [433])
286 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

F F
F 2 2

F F F F
2 2 2 2

a) b)

F F

F F F F
2 2 2 2

c) d)

Abb. 7.5 Krafteinleitung beim Biegeversuch: a) Dreipunktbiegung, b) Vierpunktbiegung, c) lini-


enförmige Probenlager, d) kreisförmige Probenlager

über die gesamte Probenlänge unterschieden. Weiterhin können die Probenlager


linienförmig oder kreisförmig gestaltet werden (Abb. 7.5). Die letztere Gestal-
tungsvariante kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn bei spröden Proben ein
Rissbeginn an den Probenkanten verhindert werden soll. Die Problematik der Ein-
spannung besteht beim Biegeversuch darin, dass die durch sie übertragenen Druck-
kräfte in Abhängigkeit vom Probenmaterial sowohl kritische Spannungskonzentra-
tionen als auch verfälschende Reibungskräfte an den Einspannstellen erzeugen
können. Zu hohe Spannungskonzentrationen können eine Verformung bzw. Schä-
digung der Probe an den Einspannpunkten hervorrufen. Durch Abrundung der Ein-
spannlager lassen sich entstehende Spannungskonzentrationen absenken, aller-
dings entstehen durch einen immer größeren Radius dieser Abrundungen und der
damit erhöhten Kontaktflächen auch immer höhere Reibungskräfte an den Ein-
spannungen. Da sich jedoch bei Biegung die Außenfläche des Körpers verlängern
muss, bewirkt ein Fixieren der Probe durch Reibungskräfte an den Einspannungen
7.3 Werkstoffprüfung für stark miniaturisierte Proben 287

a)

b)

Abb. 7.6 Formschlüssige Einspannung von Zugproben: a) gelochte Einspannflächen, b) Gewin-


deköpfe

einen unerwünschten Spannungszustand in der Probe, in dessen Folge eine zu


große Steifigkeit bzw. zu hohe Biegefestigkeit gemessen werden kann. Diesem
Effekt kann durch Verwendung geeigneter Dreh- oder Festkörpergelenke, welche
mit den Einspannlagern verbunden sind, entgegengewirkt werden [437]. Durch
Verwendung von Drehgelenken mit einem Festlager zur Probeneinspannung ist es
möglich, Wechselbiegeversuche durchzuführen, wie sie z. B. in isothermen Ermü-
dungsversuchen [438] oder zu beschleunigten Thermowechselversuchen [439] an
bestückten Leiterplatten verwendet werden.
Anders als beim Druck- oder Biegeversuch wirken die beim Zugversuch zu
übertragenen Zugkräfte einer Fixierung in der Einspannung entgegen. Um zu ver-
hindern, dass beim Einleiten der gewünschten Zugkräfte die Probe aus der Ein-
spannung herausgezogen wird, ist es notwendig, die Einspannung entweder form-
schlüssig oder reibungsschlüssig zu gestalten [437]. Da an der Stelle der form- als
auch reibungsschlüssigen Krafteinleitung in die Probe ein für den Zugversuch
unerwünschter Beanspruchungszustand hervorgerufen wird, muss die Probe so
gestaltet werden, dass sie an beiden Seiten Einspannflächen aufweist, welche eine
Kraftübertragung auf den eigentlichen Prüfbereich der Probe zulassen. Übliche
Realisierungen für formschlüssige Einspannungen sind Proben mit gelochten Ein-
spannflächen bzw. Proben mit Gewindeköpfen (Abb. 7.6). Bei reibungsschlüssigen
Einspannungen muss eine Druckspannung auf den Einspannbereich der Probe ein-
wirken, die zwar groß genug ist, um bei Übertragung der Zugkraft auf die Probe
diese zu halten, gleichzeitig aber nicht so groß ist, dass sie unerwünschte Bean-
spruchungen in der Probe auslöst. Aus diesem Grund werden zur Realisierung
einer reibungsschlüssigen Einspannung bevorzugt Einspannköpfe mit Keilbacken
eingesetzt. Bei ihnen entsteht die für das Einklemmen der Probe erforderliche
Querkraft als Folge des Gleitens der Backen in ihren Lagerungen. Dadurch steht
die Klemmkraft stets in einer definierten Relation zur augenblicklich wirkenden
288 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

Zugkraft (Abb. 7.7). Die rein mechanische Funktion der Keilbacken wurde später
durch eine Spannhydraulik unterstützt. Dadurch sind auch Lastwechselreaktionen
möglich, ohne dass die Gefahr besteht, dass sich die Probe ausspannt [437]. Neben
der Keilbackenspannung existieren auch andere Arten hydraulisch, pneumatisch
oder mechanisch betriebener Spannfutter. Schwierig ist die reibungsschlüssige
Einspannung an Proben, welche nicht über Einspannflächen verfügen (z. B.
Drähte, Folien, Seile). Für solche Proben existieren besondere, an die Probe ange-
passte Einspannvorrichtungen, z. B. Rollenaufnahmen.
Bei anderen Belastungsarten, wie z. B. Scher- oder Torsionsbeanspruchung,
ergibt sich in der Regel eine wesentlich komplexere Einspannproblematik als beim
Druck- , Biege- oder Zugversuch, sodass sich die gewünschte Beanspruchungs-
form oft nur näherungsweise im Probekörper erreichen lässt.
Ein typisches Beispiel für solche Einspannungen ist der Isiopescu-Probekörper
(vgl. 7.4.3) für Scherbeanspruchungen, bei welchem prinzipbedingt keine klare
Aufteilung in Probe und Einspannung vorgenommen werden kann. Die Güte der
erreichten Scherspannung ist bei diesem Probekörper vom zu untersuchenden
Materialverhalten abhängig, wodurch er - verglichen mit den bisher besprochenen
Einspannungen - eine weniger generische Lösung darstellt, sodass in der Regel
eine theoretische Analyse zur richtigen Interpretation der experimentell erzielten
Ergebnisse notwendig wird. Noch komplizierter wird der Sachverhalt, wenn eine
kombinierte Belastung, z. B. Zug- und Torsionsbeanspruchung, auf die Probe auf-
getragen werden soll. Für solche Fälle sind angepasste Lösungen erforderlich, wel-
che unter anderem die werkstoffmechanischen Besonderheiten des zu untersuchen-
den Materials berücksichtigen, welche sich allerdings dann für eine Gruppe sich
ähnlich verhaltender Werkstoffe einsetzen lassen.
Wird die Problematik der Einspannung in Bezug auf Untersuchungen im Mikro-
bereich betrachtet, so besteht einer der entscheidenden und grundlegenden Unter-
schiede im Aufbau von Prüfmaschinen der klassischen Werkstoffprüfung und
Apparaturen zur Untersuchung kleinvolumige Proben in der Art und Weise, wie
Einspannungen zur gezielten Krafteinleitung an den Probeköpern realisiert werden.
Für die Genauigkeit, mit der mechanische Kennwerte eines kleinvolumigen Probe-
körpers aufgenommen werden können, ist das mit dem Konzept der Einspannung
verbundene Prinzip der gezielten Krafteinleitung von ausschlaggebender Bedeu-
tung. Wie in 7.1 bereits erläutert, wird bei Versuchen an kleinvolumigen Proben
eine bauteilorientierte und betriebsfallnahe Untersuchung des Verformungs- und
Schädigungsverhaltens angestrebt. Im Gegensatz dazu bestand die Absicht bei den
dargestellten Einspannungen für Druck-, Biege- und Zugversuch darin, einen idea-
lisierten Versuch mit einem klar definierten Beanspruchungszustand zu schaffen,
welcher eine hohe Vergleichbarkeit erlaubt. Eine Vergleichbarkeit bestünde eher
mit Einspannungen für Versuche an großen Bauteilen, jedoch wird an solchen in
der Regel kein werkstoffmechanisches Verhalten aufgenommen.
Die konkrete Gestaltung der Einspannungen für Versuche an kleinvolumigen
Proben muss immer in Verbindung mit der Probekörpergestaltung gesehen werden.
Unabhängig von dieser existieren jedoch bestimmte Gesichtspunkte, die zu
7.3 Werkstoffprüfung für stark miniaturisierte Proben 289

Hydraulikstempel

Schnitt

Keilbacke Probe

a) b)

Abb. 7.7 Reibschlüssige Einspannung mit a) Keilbacken, b) hydraulischen Keilbacken (adaptiert


aus [437])

bestimmten generellen Lösungsaspekten für die Einspannung kleinvolumiger Pro-


ben führen:
• Belastungsarme Einspannung: In der klassischen Werkstoffprüfung sind Pro-
ben in der Regel so gestaltet sind, dass sie sich manuell einfach handhaben las-
sen und dadurch sehr einfach ohne eine bedeutsame Probenvorverformung in
eine Prüfmaschine einspannen lassen. Das Problem der Vorverformung bzw.
Schädigung ist bei der Einspannung kleinvolumige Proben aufgrund der gerin-
gen Verformungskräfte jedoch ein sehr bedeutsames. Dabei kommt erschwe-
rend hinzu, dass Vorverformungen oder Schäden an der Probe aufgrund der
kleinen Abmaße oft nicht detektierbar sind, sodass hierdurch sehr leicht falsche
Messergebnisse entstehen können. Aus diesem Grund ist es bei der Gestaltung
einer Einspannung wichtig, zum einen eine leichte Handhabbarkeit der Probe
beim Einspannvorgang zu gewährleisten und zum anderen ein solches Ein-
spannprinzip zu wählen, welches eine belastungsarme Fixierung der Probe in
der Versuchsapparatur ermöglicht.
• Ausrichtung der Probe: Aufgrund ihrer geringen Größe lässt sich im Gegensatz
zur klassischen Werkstoffprüfung die richtige Ausrichtung der Probe gegenüber
der angestrebten Belastung in der Regel nicht durch gezieltes manuelles Ein-
spannen erreichen. Daher ist es bei der Gestaltung einer Einspannvorrichtung
290 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

wichtig, dass diese entweder Einrichtungen zur Lagejustage der Probe gegen-
über der Belastungsrichtung besitzt oder dass das Eintragen unerwünschter
Belastungen durch das Konstruktionsprinzip verhindert wird.
• Überprüfen der Einspannung: Die ordnungsgemäße Einspannung kleinvolumi-
ger Proben lässt sich nur in Ausnahmefällen visuell überprüfen. Hiermit ist
immer das Risiko von Fehlmessungen durch falsche Einspannung gegeben. Bei
der Gestaltung der Einspannung müssen deshalb potenzielle Einspannfehler
berücksichtigt und durch konstruktive Maßnahmen weitestgehend ausgeschlos-
sen werden.
• Belastungsarme Probenentnahme: Für die Auswertung von Versuchen an klein-
volumigen Proben ist es sehr wichtig, diese nach dem Versuch, z. B. durch
metallografische Analysen, weiter bewerten zu können. Hierdurch kann festge-
stellt werden, ob eine Probe beim Versuch beschädigt wurde, oder es kann eine
absichtlich eingetragene Schädigung bewertet werden. Zur aussagekräftigen
Durchführung solcher Analysen ist es notwendig, die Probe so entnehmen zu
können, dass keine zusätzlichen, nicht vom eigentlichen Experiment stammen-
den Schäden in sie eingetragen werden. Aus diesem Grund sollte bei der Gestal-
tung der Einspannung auf die Möglichkeit einer belastungsarmen Probenent-
nahme geachtet werden.
• Zeitdauer des Ein- und Ausspannvorgangs: Für das Ein- und Ausspannen klein-
volumiger Proben gibt es eine Reihe von Möglichkeiten. Anders als bei der
klassischen Werkstoffprüfung erfolgt diese nicht notwendigerweise durch eine
instantane mechanische Probenfixierung, sondern auch durch langwierige Ver-
fahren, wie das Einkleben. Bei der Abwägung der Vor- und Nachteile sollte
beachtet werden, dass die Zeitdauer des Einspannvorgangs in einem ausgewo-
genen Verhältnis zur Versuchsdauer steht (z. B. sollte der Einspannvorgang für
Schlagversuche im Minutenbereich liegen, während für Kriech- oder Ermü-
dungsversuche auch Einspanndauern im Bereich mehrere Tage akzeptabel
sind). Die Gestaltung der Einspannung muss deshalb auch effektive kombinierte
Verfahren einbeziehen (z. B. das Einkleben auf Zwischenträger), um Einspann-
zeiten gering zu halten.
Um den verschiedenen Forderungen an die Einspannung von miniaturisierten
Proben gerecht zu werden, haben sich für verschiedene Arten von Versuchen ver-
schiedene Lösungen durchgesetzt. Die einfachste unter ihnen besteht in der einsei-
tigen Einspannung. Dazu wird die Probe direkt oder über einen Träger auf einem
Einspanntisch gehalten, mit dem sie gegenüber einem Verformungswerkzeug aus-
gerichtet werden kann (Abb. 7.8). Zur Realisierung der zweiten Einspannung wird
ein entsprechendes Verformungswerkzeug gegen die Probe gefahren. Typische
Verformungswerkzeuge sind Haken (z. B. für den Ziehtest an Drahtbondbrücken),
Schermeißel und Greifer. Der Vorzug einseitiger Einspannungen liegt in der kur-
zen Einspanndauer. Bezüglich der Genauigkeit der Krafteinleitung weisen sie
allerdings den prinzipiellen Nachteil auf, dass die Lage von Verformungswerkzeug
7.3 Werkstoffprüfung für stark miniaturisierte Proben 291

Abb. 7.8 Einspann- und Positioniertisch am Schertester Dage 4000

zur Probe nur in bestimmten Grenzen genau einstellbar ist. Kritisch ist weiterhin
der Kompromiss zwischen Steifigkeit und Stellfeinheit des Einspanntisches. Hohe
Steifigkeiten über den gesamten Lastbereich lassen sich durch die Verwendung
von Schwalbenschwanzführungen in Kombination mit Arretierungsschrauben
erreichen. Kugel- und Wälzlagerführungen besitzen zwar eine wesentlich höhere
Stellfeinheit, weisen jedoch eine Verkippungsproblematik am Lastumkehrpunkt
auf, was sich besonders bei geringen Versuchskräften sehr negativ auf eine defi-
nierte Krafteinleitung auswirken kann.
Bei der Realisierung zweiseitiger Einspannungen, welche neben einer besser
definierten Krafteinleitung vor allem auch Versuche mit Lastumkehr erlauben,
besteht das Problem, die Probe zum einen beanspruchungsfrei einzuspannen zu
können und zum anderen gegenüber der Lastrichtung der Prüfmaschine ausrichten
zu können. Als zweckmäßige Variante hat sich hier das Einkleben der Probe mit
einem Epoxidharzkleber herausgestellt [440, 441]. Hierbei wird die Tatsache aus-
genutzt, dass ein Zweikomponenten-Epoxidharzklebstoff während seiner Vernet-
zungsreaktion zunächst seine Viskosität absenkt und dann nach und nach aushärtet.
Durch das Absenken der Viskosität fließt der Epoxidharzkleber sehr gut an die
Einspannflächen der Probe und ist auch in der Lage, einen sehr engen Spalt voll-
ständig auszufüllen, sodass großflächige Verklebungen entstehen können. Bei der
Einspannung mit Epoxidharzklebstoffen muss beachtet werden, dass diese bei
Erhöhung der Versuchstemperatur wieder in einen Gel-Zustand gelangen können,
sodass nach solchen Temperaturerhöhungen zunächst das Nachhärten des Epoxid-
harzklebstoffes abzuwarten ist. Die Aushärtezeit von Epoxidharzklebstoffen ist
sehr stark abhängig von der Genauigkeit, mit der die entsprechenden Masseverhält-
nisse von Härter- und Binderkomponente zusammengemischt wurden. Durch die
geringen Mengen an Klebstoff, die für die Einspannung von miniaturisierten Pro-
ben verwendet werden, ist es schwierig, das richtige Verhältnis immer zu treffen.
Aus diesem Grund sollte für die Kontrolle der Aushärtung immer Vergleichsmasse
des angerührten Klebers abgezweigt und aufgehoben werden. Da in Abhängigkeit
von Versuchstemperatur und verwendetem Kleber Aushärtezeiten von mehreren
292 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

Tagen auftreten können, ist die Klebstoffeinspannung nur für Maschinen geeignet,
welche die Einspannköpfe über diesen Zeitraum in absoluter Ruhe halten können.
Die Ausrichtung der Probe gegenüber der Belastungsrichtung erfolgt über ent-
sprechende Positioniertische, für deren Steifigkeits-Feinstell-Kompromiss das
Gleiche gilt wie für einseitige Einspannungen. Zur Ausrichtung wird die Probe
zunächst (falls notwendig mit einer entsprechenden Vorrichtung) auf einer Seite
eingespannt und dann vor dem Verkleben auf der zweiten Seite gegenüber dieser
ausgerichtet.
Alternativ existieren mechanische oder magnetische Fixierungen als zweiseitige
Einspannkonzepte. Beide bieten den Vorteil einer schnellen Einspannung, lassen
sich aber nur auf bestimmte Probenformen anwenden. Bei mechanischen Einspan-
nungen sind in der Regel Stützstrukturen notwendig, welche vor dem Test entfernt
werden.

7.3.2.3 Antrieb

Zur Übertragung der zur Verformung erforderlichen Energie muss eine Relativ-
bewegung zwischen den Krafteinleitungsstrukturen erzeugt werden. Die hierfür
eingesetzten Antriebe müssen bestimmte Bedingungen bezüglich der Feinheit die-
ser Relativbewegung und den dabei zu übertragenden Kräften erfüllen.
Für Universalprüfmaschinen, d. h. Maschinen, die je nach Einspannung Druck-,
Biege- und Zugversuche durchführen können, werden üblicherweise hydraulische
oder mechanische Antriebe eingesetzt. Hydraulische Antriebe bestehen aus einem
mit einer Kolbenstange verbundenen Zylinder. Der Kolben wird durch elektrische
Servoventile gesteuert, welche das von einem Hydraulikaggregat auf hohen Druck
gebrachte Hydrauliköl präzise auf die beiden Druckkammern des Zylinders vertei-
len (Abb. 7.9). Mechanische Antriebe bestehen aus einer Kugelumlaufspindel,
durch welche die durch eine von einem Motor über ein Getriebe bewegte Mutter
gehoben und gesenkt werden kann [446].
Der entscheidende Unterschied in der Auswahl von Antriebssystemen zwischen
klassischer Prüftechnik und Prüfmaschinen für kleinvolumige Proben ergibt sich
aus einer Verschiebung von Lastanforderungen zu Genauigkeitsanforderungen.
Antriebe für klassische Prüfmaschinen müssen in der Lage sein, unter hoher Last
definierte Bewegung erzeugen zu können. Aus diesem Grund werden Antriebssys-
teme bevorzugt, die sich auch bei starken Laständerungen sehr gut steuern lassen,
sodass beispielsweise die Vorschubgeschwindigkeit einer Traverse konstant bleibt.
Durch die verringerten Abmessungen sind die durch miniaturisierte Proben her-
vorgerufenen Kraftreaktionen in der Regel gegenüber den von Antriebssystemen
erzeugten Stellkräften nicht in gleichem Maße kritisch. Vielmehr rückt die Not-
wendigkeit, sehr kleine Weginkremente stellen zu können, um in den verringerten
Abmessungen der Proben die gewünschten Beanspruchungen zu erzeugen, in den
Vordergrund. Es ist deshalb sehr naheliegend, sich bei der Konzeption von
Antriebssystemen für Prüfmaschinen zur Untersuchung kleinvolumiger Proben an
7.3 Werkstoffprüfung für stark miniaturisierte Proben 293

Kolbenstange

Gewindemutter

Regelventil
Gewindespindel

Motor Umsteuerventil

Kolben
Regelgetriebe

a) b)

Abb. 7.9 Schematische Darstellung eines a) mechanischen und b) hydraulischen Antriebs einer
Zugprüfmaschine

Lösungen zu orientieren, die bereits für den Bereich der Feinpositionierung erar-
beitet wurden. Von den verschiedenen Lösungen, die zur translatorischen Feinpo-
sitionierung eingesetzt werden können, eignen sich vor allem mikromotorische
Verschiebetische und piezoelektrische Aktoren zur Verwirklichung geeigneter
Antriebe. Während sich beide Lösungen in Bezug auf die Feinpositionierung vor
allem durch Stellauflösung und Verfahrweg unterscheiden, treten in Bezug auf ihre
Verwendung als Antriebseinheiten weitere Unterschiede in den Vordergrund.
Aufgrund ihres Funktionsprinzipes als Festkörperantrieb arbeiten Piezoaktoren
reibungsfrei. Das ermöglicht ihnen eine nahezu unbegrenzte Stellauflösung.
Wegen des mit dem Übergang von Haft- zu Gleitreibung veränderten Reibwider-
standes existiert für mikromotorische Antriebe immer eine definierte kleinste Stell-
bewegung, in der sie mit Sicherheit eine Bewegung vollführt haben. Wird eine
Vor- und Rückbewegung betrachtet, so werden die Unterschiede noch größer.
Während ein Piezoaktor diese präzise (wenn auch hystereseartig) ausführt, ist es
aufgrund der möglichen Führungsfehler der Lineareinheiten mikromotorischer
Verschiebetische bei Auslenkungsamplituden unterhalb von 1 μm nicht klar defi-
niert, welche Bewegung ausgeführt wird, da der Tisch innerhalb dieser Bewe-
gungsamplitude sowohl gieren, neigen oder rollen kann, sodass die Rotationsbewe-
gung des Motors nicht vollständig in eine entsprechende Linearbewegung des
Tisches umgesetzt werden muss.
Eine andere wichtige Eigenschaft, die aus dem Funktionsprinzip des Piezoak-
tors folgt, ist die hohe Krafterzeugung und das schnelle Ansprechverhalten. Mikro-
motorische Systeme sind aufgrund ihres Aufbaus eher träge und erzeugen je nach
Motorgröße nur kleine bis mittlere Kräfte. Allerdings können sie diese in beide
Richtungen gleichermaßen erzeugen. Piezoaktoren können dagegen nur in Druck-
richtung hohe Kräfte erzeugen, in Zugrichtung ist die Krafterzeugung begrenzt, da
die spröde Piezokeramik unter Wirkung von Zugkräften sehr leicht reißen kann.
Noch empfindlicher als auf Zugkräfte sind Piezoaktoren auf Querkräfte. Dies ist
294 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

einer der wesentlichen Vorzüge von mikromotorischen Antrieben, die sich sehr
robust gegenüber komplexen Belastungssituationen als auch verschiedenen
Umweltbedingungen, wie der Temperatur, verhalten. Piezoaktoren besitzen hinge-
gen sowohl eine temperaturabhängige Auslenkfunktion als auch eine nach oben
begrenzte Betriebstemperatur, welche z. B. für Niedervoltpiezotranslatoren nur
T c = 80°C beträgt.
Aus diesem Grund bestimmt die Wahl des Antriebselements auch den weiteren
Aufbau der Prüfmaschine. Zum einen besteht hierbei die Möglichkeit, unter Ver-
wendung eines Piezoaktors eine sehr steife Prüfmaschine zu erzielen, die in der
Lage ist, sehr kleine Deformationen mit sehr hoher Genauigkeit auszuführen,
jedoch auf der anderen Seite durch die eingeschränkte Robustheit des Piezoaktors
bestimmte Anforderungen an die Gestaltung der Probe setzt. Als Gegenkonzeption
zu diesem Aufbaukonzept existiert die Möglichkeit des Aufbaus einer vergleichs-
weise nachgiebigen Prüfapparatur unter Verwendung eines mikromotorischen
Antriebs. Durch die Nachgiebigkeit der Apparatur, die z. B. durch eine geeignete
Gestaltung des Kraftsensors erreicht werden kann, werden die Unzulänglichkeiten
des mikromotorischen Antriebs bei der Erzeugung sehr kleiner Verschiebungen
heruntergesetzt und somit wird eine geeignete Belastung der Probe erreicht. Durch
die Robustheit des Antriebes entstehen kaum Einschränkungen für die Gestaltung
der Apparatur und der Proben, sodass sich sehr vielfältige Möglichkeiten der Prü-
fung mit einem solchen Aufbau ergeben.
Um nach der Entscheidung für ein bestimmtes Antriebskonzept die Eignung
eines konkreten Antriebes zur Durchführung bestimmter Versuche einschätzen zu
können, ist eine genaue Betrachtung der technischen Spezifika der verschiedenen
Antriebsprinzipien notwendig.

Piezoelektrische Aktoren unterscheiden sich grundsätzlich in Niedervolt- und


Hochvolt-Piezoaktoren mit maximalen Betriebsspannungen von ca. 100 V bzw.
1000 V. Die geringeren Spannungen der Niedervoltaktoren vereinfachen grund-
sätzlich die zur Versorgung der Piezoaktoren notwendige Steuer- und Treiberelek-
tronik. Durch die hohe Steifigkeit der Piezoaktoren sind sie sehr anfällig gegen alle
Störsignale auf der Betriebsspannung, die Frequenzanteile von weniger als 10 KHz
aufweisen. Aus diesem Grund ist für die Auflösung und Stabilität der durch einen
Piezoaktor erzeugten Feinstellung die Qualität der Betriebsspannung von außeror-
dentlicher Bedeutung. Niederfrequente Rauschanteile bzw. periodische Störsignale
führen zur Vibrationen des Piezoaktors, die sich bei Versuchen mit Submikrome-
terstellwegen als störend erweisen können. Ein grundsätzliches Problem entsteht
aus stochastisch auftretenden Störspitzen, welche durch kurzzeitige Netzausfälle
bzw. Spannungsspitzen auf den Netzleitungen hervorgerufen werden können.
Durch die enorme Krafterzeugung der Piezoaktoren kann es infolge solcher Stö-
rungen zu erheblichen Probenschädigungen bis hin zur Probenbeschädigung kom-
men. Aus diesem Grund ist bei Einsatz von piezoelektrischen Antrieben für Dauer-
versuche die Bereitstellung einer störungsfreien Netzversorgung notwendig sowie
eine Detektion ungewünschter Störauslenkungen des Piezoaktors vorzusehen.
7.3 Werkstoffprüfung für stark miniaturisierte Proben 295

Abhängig von der Ausführung erzeugen Piezoaktoren grundsätzlich ausrei-


chend hohe Kräfte (50 ... 30000 N) für die Verwendung in Prüfmaschinen, ihre
Auswahl kann jedoch bezüglich ihrer Zugbelastbarkeit, welche nur 5 ... 10 % der
Druckbelastbarkeit beträgt, kritisch sein. Grundsätzlich können Hochvoltaktoren
höhere Kräfte erzeugen als Niedervoltaktoren. Der große Vorzug von Hochvoltak-
toren besteht aber vor allem in ihrer höheren zulässigen Betriebstemperatur von
150 °C gegenüber einer maximalen Betriebstemperatur von 80 °C von Nieder-
voltaktoren.
Piezoaktoren weisen ein sehr hohes Positionskriechen auf, welches in etwa 1 %
der aufgebrachten Dehnung pro Zeitdekade beträgt. Um eine dauerhaft exakte Stel-
lung zu ermöglichen, ist es daher notwendig, die Dehnung des Piezoaktors perma-
nent nachzuregeln. Deshalb werden Piezoaktoren vorzugsweise im positionsgere-
gelten Betrieb eingesetzt. Die Dehnung des Piezoaktors wird hierzu entweder
durch einen Dehnmessstreifen, einen LVDT oder einen kapazitiven Wegsensor
aufgenommen und über eine entsprechende Regelung ständig nachgestellt. Durch
den geregelten Betrieb wird neben dem Kriechen auch die Last- und Temperatur-
abhängigkeit der Stellfunktion kompensiert und das Hystereseverhalten der Stell-
funktion eliminiert. Dieses Hystereseverhalten wird bei Piezoaktoren durch Polari-
sationseffekte und molekulare Reibung hervorgerufen [442] und führt im
ungeregelten Betrieb dazu, dass die Spannungs-Auslenkungs-Kurve eines Piezoak-
tors im aufsteigenden und abfallenden Ast auf unterschiedlichen Wegen durchlau-
fen wird.
Kommerziell werden Piezoaktoren mit dazugehöriger Steuerelektronik z. B.
von der Fa. Physik-Instrumente angeboten. Die bevorzugte Bauform besteht dabei
aus einem in einem zylindrischen Stahlmantel eingefassten Piezostapel, der über
ein geeignetes Kopfstück sehr leicht montiert werden kann. Die erreichbaren Stell-
wege betragen bis zu 180 μm. Für raumbegrenzte Anwendungen, z. B. in Raster-
elektronenmikroskopen, existieren auch kompakte Bauformen mit Festkörperge-
lenken, welche allerdings einen begrenzten Kraftbereich aufweisen.

Mikromotorische Verschiebetische bestehen in der Regel aus einem Gleich-


strom- oder Schrittmotor, dessen Drehbewegung über eine durch ein Linearlager
geführte Spindel in eine translatorische Bewegung umgesetzt wird. Durch die Art
und Weise, wie die einzelnen Komponenten ausgeführt sind und miteinander kom-
biniert wurden, werden die relevanten Parameter eines solchen Stellantriebes
bestimmt.
Aus der Wahl des Motors ergibt sich, in welchem Geschwindigkeitsbereich der
entsprechende Antrieb eingesetzt werden kann. Gleichstrommotoren können bei
entsprechender Regelung im Prinzip sowohl sehr hohe als auch sehr niedrige
Umdrehungszahlen erreichen, wodurch sich ein sehr großer über mehrere Größen-
ordnungen ergebender Bereich von Verfahrgeschwindigkeiten ergäbe. Allerdings
durchläuft der Wirkungsgrad bei einer motorabhängigen Nenndrehzahl ein Maxi-
mum und fällt sowohl bei immer größeren als auch immer kleineren Drehzahlen
auf null zurück. Aus diesem Grund sind Gleichstrommotoren sehr oft mit Unterset-
296 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

zungsgetrieben versehen, um bei niedrigen Drehzahlen die notwendigen Antriebs-


leistungen zu erreichen. Untersetzungsgetriebe sind jedoch mit dem Nachteil höhe-
rer Umkehrspiele behaftet. Um gute Richtungsumkehreigenschaften des Antriebs
zu erreichen, ist deshalb eine direkte Kopplung des Gleichstrommotors mit der
Spindel zu bevorzugen. Die Erzielung der erforderlichen Antriebsleistungen im
gesamten Geschwindigkeitsbereich kann durch eine entsprechende Überdimensio-
nierung der Motorleistung erreicht werden.
Die Erzeugung hoher Antriebsleistungen bei sehr niedrigen Umdrehungszahlen
ist einer der großen Vorzüge von Schrittmotoren gegenüber Gleichstrommotoren.
Durch ihr Aufbauprinzip erzeugen sie lastunabhängig einen genau definierten Vor-
schub, wodurch sich sehr gute Regelmöglichkeiten unabhängig vom zu prüfenden
Deformationsverhalten ergeben. Allerdings führt das Aufbauprinzip auch zu einer
sehr nachteiligen Vibrationserzeugung, welche sich vor allem bei leistungsstarken
Motoren bemerkbar macht. Um die Vibrationen niedrig zu halten, eignen sich 5-
Phasen-Motoren zusammen mit sogenannten Mikroschrittsteuerungen. Durch
Mikroschritte werden die für hohe Drehzahlen ungeeigneten Schrittmotoren jedoch
noch langsamer, sodass sich je nach Grad der Unterteilung von Einzelschritten
schnellere Steuerungen erforderlich werden, wodurch der Vorteil der einfacheren
Ansteuerung von Schrittmotoren wieder verloren geht [442-445].
Die Genauigkeit der translatorischen Bewegung des Antriebs, welche in star-
kem Maße die Genauigkeit der Krafteinleitung auf die Probe bestimmt, ergibt sich
im Wesentlichen aus der Bahngenauigkeit einer Stellplattform, die durch zwei
Linearlager bestimmt wird, durch die diese Plattform geführt wird. Zur Realisie-
rung der Linearlager werden in der Regel entweder Kugelführungen, Kreuzrollen-
führungen oder Umlaufführungen eingesetzt. Aufgrund ihrer größeren Kontaktflä-
chen sind Kreuzrollenführungen wesentlich steifer als Kugelführungen und
kommen somit mit einer geringeren Vorspannung aus, was wiederum die Reibung
reduziert und einen gleichmäßigeren Lauf ermöglicht. Grundsätzlich zeichnen sich
Kreuzrollenlager durch höhere Führungsgenauigkeiten und Belastbarkeiten aus,
sind jedoch empfindlicher gegen Verschmutzungen. Umlaufführungen (Kugel-
oder Rollenführungen) zeichnen sich durch die höchste Führungsgenauigkeit und
Belastbarkeit aus. Allerdings sind sie aufgrund der Tatsache, dass Kugel oder Rol-
len den Bereich der Vorspannung verlassen, um über einen Kanal in der Mutter
wieder zurückgeführt zu werden, nicht so leichtgängig wie Kreuzrollenführungen
[442-444].
Die Güte der Umsetzung der durch den Motor erzeugten Rotations- in eine
Translationsbewegung hängt wesentlich von der eingesetzten Spindel ab. Dabei
können in Abhängigkeit vom Anwendungsfall sowohl einfache Gewindespindeln
als auch Kugelumlaufspindeln eingesetzt werden. Letztere besitzen den Vorteil
einer wesentlich geringeren Reibung, was vor allem zur Erzeugung hoher Transla-
tionsgeschwindigkeiten bzw. bei der Übertragung höherer Kräfte von Bedeutung
ist. Bei der Fertigung von Kugelumlaufspindeln kann durch ein geeignetes Abstim-
men von Kugeldurchmesser und Kontur der Gewindegänge eine Vorspannung der
Mutter erreicht werden, um das Umkehrspiel zu eliminieren [442-444].
7.3 Werkstoffprüfung für stark miniaturisierte Proben 297

Der Aufbau kommerziell gefertigter motorisierter Lineartische wird sehr stark


durch wirtschaftlich-technische Kompromisse bestimmt, welche zu bestimmten
Aufbauvarianten führen, die im untersten Preissegment mit einer Kombination aus
kurzen Stellwegen, Motoren kleiner Leistung, Gewindespindeln geringer Steigung
und Kugelführungen beginnen und im obersten Preissegment mit Kombination aus
langen Stellwegen, Motoren großer Leistung, Kugelumlaufspindeln, Gewindespin-
deln höherer Steigung, hochpräzisen Umlaufführungen enden. Aus diesem Grund
bieten kommerziell gefertigte Lineartische nicht unbedingt eine optimale Antriebs-
lösung für eine Prüfmaschine. Bei der Verwendung preisgünstiger kleiner Tische
schränken mangelnde Führungspräzision, hohes Umkehrspiel und geringe Stetig-
keit die Versuchsgenauigkeit ein, während bei Verwendung großer kostenintensi-
ver Tische das Verhältnis zwischen den geometrischen Abmaßen des Antriebes zur
Prüfmaschine nicht gegeben ist (vgl. 7.3.2.5). Ein Eigenaufbau motorischer Linear-
antriebseinheiten bietet den Vorteil, durch eine effektive Kombination aus Kreuz-
rollenführungen und einer kurzen Kugelumlaufspindel mit geringer Steigung die
Voraussetzung für einen sehr kompakten Antrieb mit leichtem Lauf, hoher Stellge-
nauigkeit und geringem Umkehrspiel zu erhalten, dessen kurzer Verfahrweg für
die Prüfung kleinvolumiger Proben völlig ausreichend ist.
Die Wahl des Motors ergibt sich aus den Versuchen, die bevorzugt durchgeführt
werden sollen. Gleichstrommotoren sind wegen ihres ruhigen Laufes und des gro-
ßen Geschwindigkeitsbereiches sehr gut zur Realisierung konstanter Dehnraten
(klassischer Zugversuch) geeignet, während Schrittmotoren sich sehr gut zur Ein-
regelung konstanter Versuchskräfte (Kriechversuch) eignen, da sie lastunabhängig
schnelle und definierte Vor- und Rückbewegungen erlauben. Die Eigenschaften
des Antriebes werden weiter verbessert, indem eine Überdimensionierung des
Motors vorgenommen wird. Dadurch lässt sich bei Gleichstrommotoren der
Geschwindigkeitsbereich erweitern und bei Schrittmotoren über eine Mikroschritt-
steuerung die Stellauflösung erhöhen und die Vibrationsneigung senken [444].
Die Eignung eines Feinstellantriebs wird vor allem durch die Parameter Auflö-
sung, kleinste inkrementale Stellweite, Stabilität, Linearität, Umkehrspiel, Bahnge-
nauigkeit, Belastbarkeit und Stellgeschwindigkeit bestimmt. Genauigkeit und
Reproduzierbarkeit haben eine eher untergeordnete Bedeutung, da die Prüfma-
schine über ein gesondertes Wegmesssystem verfügt.

7.3.2.4 Messaufnehmer

Zur Charakterisierung des Verformungsverhaltens einer Probe müssen Span-


nung und Dehnung während des Versuchsablaufes an ihr messtechnisch erfasst
werden. Das Grundprinzip der mechanischen Dehnungsmessung beruht darauf, die
an der Probe eintretende Form- oder Längenänderung messtechnisch zu erfassen.
Bei einem Zugversuch wird dazu beispielsweise die Längenänderung Δl der Probe
gemessen und zur Ausgangslänge l 0 ins Verhältnis gesetzt:
298 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

Δl
ε = ----- (7.1)
l0

Zur Bestimmung der mechanischen Spannung σ wird die Kraft F , die erzeugt
werden muss, um die Probe zu verformen, messtechnisch erfasst. Um die Span-
nung zu ermitteln, wird diese dann z. B. beim Zugversuch zur Querschnittfläche
A 0 ins Verhältnis gesetzt:

F
σ = ------ (7.2)
A0

In klassischen Universalprüfmaschinen werden für die Kraftmessung in der


Regel Kraftmessdosen eingesetzt, welche in ihrem Inneren Biegemembranen besit-
zen, auf denen Dehnmessstreifen aufgeklebt sind. Bei hydraulischen Antrieben
kann die Kraftmessung auch über eine Druckmessdose, welche mit dem Arbeitszy-
linder verbunden ist, realisiert werden. Zur Realisierung der Längenmessung wer-
den verschiedene Varianten eingesetzt. Am einfachsten und am genausten ist das
Aufkleben von Dehnmessstreifen auf die Probe, was jedoch eine bestimmte Pro-
bengeometrie sowie einen begrenzten Messtemperaturbereich voraussetzt. In der
Regel werden aber Messschneiden auf die Probe aufgesetzt, welche mit einem
mechanisch-elektrischen Messsignalwandler verbunden sind. Typische Signal-
wandler sind Biegefedern mit aufgeklebten Dehnmesssteifen und induktive Weg-
aufnehmer [437].
Für die messtechnische Erfassung von Längen- bzw. Formänderungen und
Reaktionskräften für klassische Prüfmaschinen und für Experimentalaufbauten
ergeben sich zwei wesentliche Unterschiede. Zum einen lassen sich die Formände-
rungen kleinvolumiger Proben nicht mehr direkt an der Probe aufnehmen, z. B.
durch das Aufsetzen von Messschneiden oder das Aufkleben von Dehnmessstrei-
fen. Zum anderen sind die Anforderungen an die Genauigkeit bei den sehr viel
kleineren Proben wesentlich höher als bei üblichen Probenabmessungen der klassi-
schen Werkstoffprüfung. Deshalb werden neben etablierten Messwandlern zur
Dehnungsmessung auch optische Messverfahren eingesetzt, die zwar wesentlich
aufwendiger sind, dafür aber die Möglichkeit der kraftfreien Probenabtastung
erlauben.
Für die Verformungs- und Kraftmessung werden sehr oft dieselben Wandler-
bausteine eingesetzt. Zu ihnen zählen Dehnmessstreifen (ohmisch), Differenzial-
transformatoren (induktiv) und kapazitive Wegaufnehmer. Ob Verformungen,
Kräfte oder Momente gemessen werden, hängt davon ab, wie die Wandlerbau-
steine in eine Messstruktur eingearbeitet sind. Im Falle des Kraftsensors wird z. B.
die Kraft zunächst über einen Biegebalken in eine Verschiebung transformiert,
welche dann durch das Wandlerelement in ein elektrisches Signal umgewandelt
wird. Die Bewertung der Eignung bestimmter Messaufnehmer sollte daher getrennt
nach dem entsprechenden Wandlerbaustein mit der dazugehörigen Auswerteelek-
7.3 Werkstoffprüfung für stark miniaturisierte Proben 299

tronik und der Messstruktur erfolgen, wenngleich beide Elemente des Messaufneh-
mers nicht immer vollständig getrennt betrachtet werden können.

Dehnmessstreifen (DMS) sind heute die am meisten verwendeten Wandlerbau-


steine. Ihr Aufbau und ihre Auswertung mit einer Sensorelektronik ist vergleichs-
weise einfach, wodurch sie das Feld der Kraft- und Dehnungsmessung bis heute
dominieren. Der Effekt der Widerstandsänderung eines gedehnten Drahtes wurde
1856 durch William Thomson, dem späteren Lord Kelvin, entdeckt. Da dieser
Effekt beliebig wiederholbar ist, bildet er eine gute Grundlage für eine elektrisch
auswertbare Dehnungsmessung. Moderne Dehnmessstreifen bestehen anstelle
eines massiven Drahtes aus einer auf einem isolierenden Träger abgeschiedenen
metallischen Schicht. Die geometrische Gestaltung der Dehnmessstreifen ist viel-
fältig, sodass sie für eine große Anzahl von Anwendungen eingesetzt werden kön-
nen. Neben der geometrischen Gestaltung entscheidet auch die Materialauswahl
über die Eigenschaften des Dehnmessstreifens. Dabei existieren verschiedene Trä-
germaterialien und Schichtmetalle, um den Dehnmessstreifen an verschiedene
Temperaturbereiche und Applikationswerkstoffe anzupassen.
Neben metallischen Dehnmessstreifen, die ihren Dehnmesseffekt aus einer Län-
gen- und Querschnittsänderung beziehen, existieren auch sogenannte Halbleiter-
Dehnmessstreifen, welche im Gegensatz zu den metallischen Dehnmessstreifen
jedoch einen piezoresistiven Effekt im Halbleitermaterial ausnutzen. Piezoresistive
Wandlerelemente haben eine um zwei Größenordnungen höhere Empfindlichkeit
als metallische Dehnmessstreifen. Diesem Vorteil stehen allerdings eine große
Anzahl von Nachteilen, besonders bezüglich der Temperaturstabilität, Eigenstörsi-
gnale, Hystereseerscheinungen, Reproduzierbarkeit und Langzeitdrift, entgegen.

Brückenschaltungen zählen zu den elementarsten und effektivsten Möglichkei-


ten die durch Wandlerbausteine veränderten elektrischen Größen, z. B. den elektri-
schen Widerstand, effektiv in ein gut auswertbares und weiterverarbeitbares Signal
umzuwandeln. Sie stellen dabei das elektrische Analogon zur mechanischen
Wägung dar. Eine elementare Anordnung einer Widerstandsbrücke ist in Abb. 7.10
dargestellt. Diese unter dem Name Wheatstone-Brücke bekannte Anordnung
wurde jedoch vermutlich von S. H. Christie bereits 1833 aufgebaut [457-459].
Werden die komplementären Wandlerpaarungen in einem oder beiden Zweigen der
Brücke eingesetzt, so ergibt sich ein zur Widerstandsänderung lineares Ausgangs-
signal. Für eine genaue Auswertung der Wandlerbausteine ist es notwendig, die
Linearität, Empfindlichkeit und Stabilität der Brückenschaltung zu optimieren. Die
in einer Brückenschaltung zusammengefassten Wandlerbausteine liefern in der
Regel ein zu niedriges Ausgangssignal. Deshalb ist eine Verstärkung dieses
Signals notwendig, durch die allerdings auch Fehler- und Störanteile des Brücken-
signals mitverstärkt werden. Aus diesem Grund sind neben der Verstärkung auch
schaltungstechnische Maßnahmen zur Minimierung der Fehler- und Störanteile
erforderlich.
300 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

In Abb. 7.10 ist eine übliche Realisierung einer Brückenauswerteschaltung


gezeigt. Durch OV2 wird der linke Brückenmittelpunkt auf Masse gezogen,
wodurch eine hohe Gleichtaktunterdrückung erreicht wird. Hierdurch wird eine
sehr einfache Verstärkung des rechten Brückensignals über einen nichtinvertieren-
den Verstärker (OV1) ermöglicht, dessen Verstärkungsfaktor sehr genau über das
Widerstandsverhältnis ( R 1 ⁄ R 2 ) eingestellt werden kann. Hieraus resultieren eine
hohe Verstärkungsfaktorgenauigkeit und eine niedrige Verstärkungsfaktor-Drift.
Durch die hohe Gleichtaktunterdrückung werden viele Störanteile im Brückensi-
gnal stark unterdrückt. Obwohl eine solche Realisierung viele Fälle abdeckt, kann
unter extremen Messbedingungen ein hohe Messgenauigkeit nur durch weitere
spezifische schaltungstechnische Realisierungen erreicht werden. Zu solchen nicht
6
gewöhnlichen Messbedingungen gehören Langzeit- ( t > 10 s ) und Ultrakurzzeit-
–3
messungen ( t < 10 s ) . Für Langzeitmessungen sind vor allem Drifterscheinun-
gen der Verstärker kritisch. Diese betreffen sowohl intrinsische Drifterscheinungen
der Bauelementematerialien als auch Temperaturdriften, da in gewöhnlichen Labo-
rumgebungen immer Tages-Nacht-Schwankungen der Raumtemperatur vorhanden
sind. Für die Unterdrückung solcher Drifterscheinungen ist eine günstige Wahl an
Schaltungsrealisierungen und Bauelementen notwendig. Dazu gehören zum Bei-
spiel chopperstabilisierte Verstärker. Ihre funktionsbedingte Bandbreitenbegren-
zung von ca. 1 Hz sind für Langzeitversuche ohne Belang. Durch die Verwendung
von Widerständen mit sehr niedrigen Temperaturkoeffizienten und durch die Ver-
meidung von driftanfälligen elektromechanischen Kontakten, wie sie z. B. in
Potenziometern vorhanden sind, lassen sich Drifterscheinungen weiter minimieren.
Für Kurzzeitmessungen ist vor allem eine hohe Bandbreite des Verstärkers not-
wendig.

Versorgungs-
spannung

RA
+ RC

OV2

+
-

OV1 verstärktes
Ausgangssignal
-
RB RD
RA
RC

R1

Bückenausgangs-
Versorgungs- spannung
spannung

RB RD R2

a) b)
Abb. 7.10 a) Prinzip der elementaren Wheatstone-Brücke, b) praktische Realisierung mit Opera-
tionsverstärkern zur Gleichtaktunterdrückung und Verstärkungsfaktorabstimmung
7.3 Werkstoffprüfung für stark miniaturisierte Proben 301

Linear Variable Differenzial Transformer (LVDT) gehören zu den ältesten prak-


tisch eingesetzten Wandlerbausteinen. Ihr Wandlungsprinzip basiert auf magneti-
scher Induktion. Dabei verteilt ein beweglicher ferromagnetischer Kern die von
einer Primärwicklung eingebrachte magnetische Energie auf zwei koaxial hinter-
einander angebrachte Sekundärwicklungen. Bei gegenüber den Spulenabmessun-
gen kleinen Verschiebungen des Kerns ändert sich das Verhältnis der in die Sekun-
därwicklungen induzierten Spannungen nahezu linear mit der Verschiebung.
Prinzipbedingt bieten LVDT eine gute Temperatur und eine ausgezeichnete Lang-
zeitstabilität, wodurch sie in der Anfangszeit gegenüber DMS bevorzugt eingesetzt
wurden, da sie zur Aufrecherhaltung der Nullpunktstabilität keiner leistungsstarken
Auswerteschaltungen bedurften. Ein weiterer Vorteil von LVDT besteht in der
direkten Messung der Verschiebung des Ankers. Im Prinzip könnten mit LVDT
beliebig kleine Verschiebungen gemessen werden, jedoch ergibt sich durch die
Gleichrichtung des Wechselspannungssignals der Sekundärwicklungen eine Rest-
welligkeit, welche die Auflösung begrenzt. LVDT-Sensoren besitzen prinzipbe-
dingte Vorteile, welche ihren Einsatz zur der Dehnungsmessung an Proben sehr
attraktiv macht. Aufgrund ihres elektromagnetischen Wandlerprinzips sowie ihrer
differenziellen Arbeitsweise sind sie vergleichsweise unempfindlich gegenüber
den bei der Materialprüfung schwer beherrschbaren Umwelteinflüssen, wie Tem-
peratur und Feuchte. Durch sein Aufbauprinzip ist der LVDT verhältnismäßig
unempfindlich gegenüber Temperaturdehnungen der Gehäuse und Koppelmateria-
lien, da der durch sie verursachte Fehleranteil in der Größe der thermischen Aus-
dehnungskoeffizienten, also im ppm-Bereich, liegt. Die dominante Fehlerquelle
liegt dadurch nicht im Sensor, sondern in der Qualität der Treiber- und Auswerte-
schaltung sowie der richtigen induktiven Anpassung der Zuleitungskabel, wodurch
keine besonderen Erfordernisse aus der Aufnahme von LVDT-Sensoren in ein
Prüfmaschinenkonzept resultieren.

Kapazitive Sensoren bieten die höchste Auflösung. Ihr Wandlungsprinzip


beruht auf der Veränderung der Kapazität bei Veränderung des Plattenabstandes.
Der Sensor ist dabei Teil einer kapazitiven Brücke, die im Gegensatz zur resistiven
Brücke in Abb. 7.10 mit einer hochfrequenten Wechselspannung gespeist wird und
durch eine geeignete Brückenschaltung ausgewertet werden muss. Trotz der höhe-
ren Auflösung haben kapazitive Sensoren in Bezug auf ihre Anwendung zur Deh-
nungsmessung an Proben eine Reihe von Nachteilen gegenüber DMS und LVDT,
die ihren Einsatz sehr oft unattraktiv machen. Diese hängen damit zusammen, dass
die Gesamtkapazität des Sensors direkt von der Dielektrizitätskonstante des Umge-
bungsmediums abhängig ist, sodass Schwankungen in der Umgebungstemperatur
und -feuchte sehr starke Messfehler verursachen können. Gleichzeitig kann eine
thermische Fehlpassung der mechanischen Kopplungselemente im Unterbau der
Kondensatorplatten bei Veränderung der Versuchstemperatur zur Durchbiegung
der Kondensatorflächen führen, wodurch sich ein anderer Proportionalitätsfaktor
des Sensors ergibt. Diese Probleme lassen sich zwar durch Maßnahmen, wie die
Verwendung spezieller Umgebungsmedien (z. B. N2) und Kalibrationen vor
302 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

Messbeginn, umgehen, jedoch wird dadurch die Anwendung kapazitiver Sensoren


sehr aufwendig und deshalb nur dort gerechtfertigt, wo LVDT-Sensoren aufgrund
ihres Gewichts oder ihrer mangelnden Auflösung nicht in Frage kommen.

Optische Verfahren bieten die attraktivste Lösung zur Messung von Verschie-
bungen, da sie als Feldmessverfahren in der Lage sind, Auskunft über lokale Ver-
schiebungen in x- und y-Richtung zu geben. Traditionelle optische Verfahren, wie
Moiré-Interferometrie [460, 461], Holografie [462] und Speckle-Interferometrie
[463], sind etablierte Methoden für Verschiebungsmessungen im Makrobereich.
Allerdings haben interferometrische Verfahren sehr stringente Anforderungen
bezüglich der Stabilität des gesamten Messaufbaus. Darüber hinaus ist das Auszäh-
len von Interferenzstreifen zeitaufwendig. Diese technischen Schwierigkeiten von
traditionellen optischen Feldmessverfahren beförderten die Entwicklung computer-
gestützter Bildverarbeitungsverfahren zur Verschiebungsmessung. Dabei hat sich
vor allem eine unter dem englischen Terminus „Digital Image Correlation“ (DIC)
bekannte Methode entwickelt, bei welcher zwei oder mehr nacheinander gemachte
Digitalaufnahmen einer Probe untereinander verglichen werden, um die Unter-
schiede zwischen diesen Aufnahmen (z. B. die Verschiebungen in unterschiedli-
chen Belastungszuständen) zu analysieren. Die schnelle Verbreitung und hohe
Akzeptanz der DIC-Methode in der experimentellen Werkstoffforschung lässt sich
auf die deutlichen Leistungsverbesserungen im Bereich der Computer, CCD-
Kameras und Frame-Grabber-Karten zurückführen [464]. Das DIC-Verfahren geht
auf Peters und Ranson [465] sowie auf Sutton [466, 467] zurück, welcher das DIC-
Verfahren zunächst für Speckle-Bilder einsetzte. Anfangs wurde eine Grob-Fein-
Suche verwendet, um Pixelverschiebungen zu finden, welche sehr zeitaufwendig
war. Ein deutlicher Geschwindigkeitsgewinn konnte durch die Verwendung der
Newton-Raphson-Methode erzielt werden [468]. Später wurde durch Vendroux
und Knaus [469] eine Korrelation über die Methode der kleinsten Quadrate anstelle
der bisher verwendeten Kreuzkorrelation eingesetzt, um die Berechnungen weiter
zu vereinfachen und eine bessere Robustheit in der Konvergenz des Algorithmus
zu erzielen. Für den Bereich der experimentellen Forschung sind eine Reihe von
Anwendungen der DIC-Methodik in verschiedenen Arten von Werkstoffuntersu-
chungen publiziert [470-473].
Auf dem Gebiet der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik wurde von
Vogel und Michel [474-477] das sogenannte microDAC-Verfahren (micro Defor-
mation Analysis by means of Correlation Algorithms) vorgestellt. Die Qualität die-
ser Arbeiten unterschied sich von vergleichbaren Anwendungen optischer Feld-
messverfahren im Bereich elektronischer Aufbauten darin, dass es gelang, die
Verformungen innerhalb kleinstvolumiger Flip-Chip-Kontakte während eines
Temperaturwechseltests (-40°C/+125°C) aufzunehmen. Dazu wurde mit einer
Grauwertkorrelation das Verschiebungsfeld im Flip-Chip-Kontakt experimentell
bestimmt. Das Verfahren nutzt dabei Werkstofftexturen aus, z. B. die stark unter-
schiedlichen Kontraste, die sich entweder bei licht- oder bei elektronenoptischer
Abbildung durch die bleireiche und zinnreiche Phase des SnPb-Lotes bilden. Bei
7.3 Werkstoffprüfung für stark miniaturisierte Proben 303

Werkstoffen mit kontrastärmeren Texturen (z. B. Polymerwerkstoffe) werden


brauchbare Texturen durch geeignete Oberflächenbehandlungen erzeugt. Der Vor-
zug des Verfahrens gegenüber den von anderen Gruppen [478, 479] zur Verfor-
mungsmessung auch eingesetzten Moiré- und Speckle-Prinzipien besteht zum
einen darin, dass weder besondere Testchips verwendet werden müssen noch Ein-
schränkungen bei der Versuchsmethodik bestehen (das Verfahren ist prinzipbe-
dingt sehr robust, z. B. gegen Temperaturänderungen, Vibrationen etc.), wodurch
eine höchstmögliche Realitätsnähe gewährleistet wird. Da die Deckungsgleichheit
zwischen dem im Experiment bestimmten und dem durch die FEM-Simulation
errechneten Verschiebungsfeld bei inexakten Werkstoffparametern unwahrschein-
lich ist, lässt sich das Verfahren sehr gut einsetzen, um die Qualität von Simulati-
onsrechnungen zu überprüfen (d. h. zu validieren). Neben dieser Möglichkeit exis-
tieren noch viele andere Anwendungen für das microDAC-Verfahren im
Anwendungsfeld elektronischer Aufbauten, wie z. B. Verschiebungsbestimmun-
gen an Rissspitzen oder die Bestimmung von thermischen Ausdehnungskoeffizien-
ten [480].
Im Verlauf der Konzeptionen zum Aufbau der ersten Prüfmaschinen für Scher-
versuche an kleinvolumigen Lotkontakten (vgl. 7.5.3) wurde das Verfahren vom
Autor auch auf seine Eignung zur Messung der Verformung an Flip-Chip-Kontak-
ten bei der Durchführung von Kriechmessungen geprüft [12, 481]. Hierbei erwies
sich das Verfahren allerdings aus spezifischen Gründen des Versuchsaufbaus
gegenüber den zuvor dargestellten Verschiebungsmessverfahren nicht als vorteil-
haft. Ein wesentlicher Grund bestand darin, dass die Abbildung nicht speziell
durch Querschliffe präparierter Flip-Chip-Kontakte aufgrund der geringen Tiefen-
schärfe über ein Lichtmikroskop nicht möglich war. Die einzige Möglichkeit, von
diesen sehr kleinen dreidimensionalen Strukturen scharfe Abbildungen zu erzeu-
gen, bestand in rasterelektronenmikroskopischen Aufnahmen. Die Erzeugung
rauscharmer rasterelektronenmikroskopischer Bilder lag zum damaligen Zeitpunkt
jedoch im Minutenbereich, wodurch das Aufnehmen vieler Verschiebungsfeldbil-
der in kleinen Zeitintervallen, d. h. das Durchführen einer quasikontinuierlichen
Verschiebungsfeldmessung, nicht möglich war. Hierbei ist zu beachten, dass
Kriechverformung einen transienten Anfangsbereich aufweist (vgl. 5.4.). Um den
Verlauf dieses transienten Bereiches aufzuzeichnen, die Zeitdauer seines Auftre-
tens abschätzen zu können und mit großer Sicherheit den eingeschwungenen
Zustand eines Mechanismus zu detektieren, ist es unabdingbar, isotherme Versu-
che so durchzuführen, dass das Material über einen ausreichenden Verformungs-
weg mit gut definierten Deformationsbedingungen, z. B. konstanter Dehnungsge-
schwindigkeit, beansprucht wird. Dies verlangt eine permanente Rückführung von
Dehnungssignalen zur Prüfmaschinensteuerung, die so durch optisches Feld-
messverfahren nur schwer zu realisieren gewesen wäre.
Für die zukünftigen Anforderungen werkstoffmechanischer Charakterisierun-
gen im Gebiet elektronischer Aufbauten erscheint eine Weiterentwicklung des Ver-
fahrens unter der Bezeichnung nanoDAC allerdings die traditionellen Verschie-
bungsmessverfahren aufgrund ihrer nach unten begrenzten Auflösungen doch
304 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

möglicherweise abzulösen [482, 483]. Die grundlegende Idee des nanoDAC-Ver-


fahrens besteht darin, anstelle der bisherigen Mikrostrukturabbildungsverfahren,
wie Licht- oder Elektronenmikroskopie, Verfahren, welche auf atomarem Niveau
arbeiten, z. B. Rasterkraftmikroskopie (engl. SFM) oder Rastertunnelmikroskopie
(engl. STM), mit den bisher genutzten Bildverarbeitungsalgorithmen zu koppeln.
Eine auf Rastertunnelmikroskopie basierende Verformungsmessung wurde von
Vendroux und Knaus vorgestellt [469]. Hierbei wurde das Rastertunnelmikroskop
mechanisch an die sich verformende Probe gekoppelt und mit einem DIC-Algo-
rithmus ausgewertet. Die Untersuchung der Genauigkeit dieser Messung ergab
einen Fehler für die Verschiebungsmessung von 0,08 Pixeln, was ca. 2,4 nm ent-
spricht, sodass für dieses Verfahren eine Auflösung von 4,8 nm auf einem
Messfeld von 10 μm x 10 μm ermittelt wurde [484]. (Zum Vergleich: die Auflö-
sung des für die in 7.5.3.2 beschriebenen Flip-Chip-Schertester eingesetzten Zwei-
strahllaserinterferometers beträgt für eine Punktmessung 8 nm).

7.3.2.5 Rahmen

Zur Verbindung der einzelnen Elemente dient ein Maschinenrahmen. Durch


diesen wird zum einen der Kraftfluss als auch die topologische Anordnung der
Messwertaufnehmer realisiert. Die Rahmen für Universalprüfmaschinen bestehen
üblicherweise aus stehenden Säulen, an deren zwei Traversen (Querbalken) befes-
tigt sind. Im Rahmeninneren wird eine dritte Traverse vom Antrieb vertikal
bewegt. Bei Verwendung von hydraulischen Antrieben kann die obere Traverse
zur Anpassung an die Probenlänge auch verstellbar sein, da der verfügbare Kolben-
hub im Gegensatz zum mechanischen Spindelantrieb oft nicht ausreicht, um sich
auf alle gewünschten Probenlängen einzustellen [437].
Neben der Verstellbarkeit der einzelnen Elemente, durch welche eine gute
Anpassung der Prüfmaschine an verschiedene Probekörper erreicht werden kann,
ist eine hohe Steifigkeit eine der wichtigsten Eigenschaften eines Maschinenrah-
mens. In vielen Versuchskonzepten wird irrtümlicherweise davon ausgegangen,
dass die Maschinensteifheit wesentlich höher ist als die der Probe. Jedoch liegt die
Probensteifigkeit gerade im Bereich der elastischen Verformung oft in der Größen-
ordnung der des Maschinenrahmens, wodurch es zu erheblichen Verformungen des
Rahmens kommen kann. Bei direkter Abtastung an der Probe führt dies zwar nicht
zu Fehlern in der Dehnungsmessung, es hat allerdings einen erheblichen Einfluss
auf die Einhaltung einer angestrebten Belastungsfunktion. Die Einregelung einer
gewünschten Belastung wird besonders dann schwierig, wenn sich die Steifigkeit
der Probe beim Einsetzen plastischen Fließens sehr stark zu ändern beginnt. Noch
größer werden die Probleme, wenn bei Lastumkehr eine schnelle Rückverformung
des Rahmens einsetzt. In Zusammenhang mit der Nachgiebigkeit anderer Kompo-
nenten hat dies erheblichen Einfluss auf die Systemfunktion der Prüfmaschinen-
Proben-Kombination [485].
7.3 Werkstoffprüfung für stark miniaturisierte Proben 305

Die Erzielung einer hohen Steifigkeit und einer hohen Flexibilität durch Ver-
stellbarkeit sind oft entgegengesetzte Ziele, sodass durch geeignete konstruktive
Maßnahmen ein guter Kompromiss gefunden werden muss. Bei diesen konstrukti-
ven Überlegungen müssen darüber hinaus Aspekte, wie unerwünschte Längenän-
derung bei Temperaturschwankungen, Schwingungsanfälligkeit, Gewicht oder
Montierbarkeit mit anderen Geräten (z. B. speziellen optischen Systemen zur Deh-
nungsmessung), einbezogen werden.

7.3.2.6 Datenerfassung und -verarbeitung/Steuerung

Die Entwicklung computergestützter Datenerfassungs- und Steuersysteme war


eine der entscheidenden Entwicklungen in der experimentellen Prüftechnik, durch
welche zum einen eine sehr genaue Erfassung von Werkstoffdaten und zum ande-
ren ein hoher Freiheitsgrad bei der Gestaltung und Auswertung komplexer Belas-
tungsfolgen erreicht werden konnte. Besonders im Bereich sehr schneller und sehr
langsamer Verformungen haben sich durch die Einführung computergestützter
Datenerfassungs- und Steuersysteme sehr starke qualitative Verbesserungen für die
Erzielung genauer Versuchsabläufe und die exakte Erfassung von Messdaten erge-
ben.
Zur Erzielung eines angestrebten Versuchverlaufs muss aufgrund der unbekann-
ten Verformungsreaktion der Probe eine permanente Steuerung der Krafteinleitung
erfolgen. Dazu werden die von den Messwertaufnehmern bereitgestellten Signale
aufbereitet und verarbeitet. In Abhängigkeit von einem zuvor festgelegten Algo-
rithmus wird dann ein entsprechendes Steuersignal für den Antrieb erzeugt.
Gleichzeitig kann eine geeignete Archivierung und Visualisierung der aufgenom-
menen Daten erfolgen.
Für die Durchführung komplexer Versuchsverläufe kommt der Art und Weise
der Umsetzung einer computergestützten Versuchsapparatursteuerung und der
damit in Zusammenhang stehenden automatisierten Datenerfassung besondere
Bedeutung zu. Hierbei ergibt sich die Problematik, auf der einen Seite für schnelle
Versuchsabläufe Daten in hoher zeitlicher Dichte aufzunehmen, mit einem korrek-
ten Zeitstempel zu versehen und abspeichern zu müssen, während auf der anderen
Seite für langsame Versuche die große Menge an anfallenden Daten durch eine
geeignete Vorverarbeitung so reduziert werden muss, dass aussagekräftige und
handhabbare Datensätze entstehen. Zusätzlich ist es für die Durchführung langsa-
mer zeitaufwendiger Versuche nützlich, eine Anzeige des aktuellen Versuchsab-
laufes - verbunden mit einer kontrollierten Abbruchmöglichkeit des ursprünglich
geplanten Versuchsablaufes - vorzusehen, sodass eine vorzeitige Beendigung eines
laufenden Versuches bei unerwünschtem Versuchsverlauf erfolgen kann. Ein typi-
scher Versuchstyp, bei dem sich ein vorzeitiger Abbruch erforderlich macht, sind
Kriechversuche, bei denen sich aufgrund einer zu niedrig gewählten Versuchslast
keine messtechnisch erfassbaren Verformungsraten ergeben. Die Bandbreite von
durchführbaren Verformungsgeschwindigkeiten und Lastwechselraten wird
306 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

wesentlich von der Leistungsfähigkeit der Datenerfassungs- und Steuereinheit


bestimmt, welche sich wiederum aus der Effektivität des Zusammenwirkens zwi-
schen der programmiertechnischen Softwareumsetzung mit den entsprechenden
Hardwarebausteinen bestimmt. Hierbei gibt es keine universelle Lösung, sondern
es müssen - ausgehend von einem beabsichtigten Versuchsablauf und dem dafür
vorgesehenen Prüfmaschinenkonzept - entsprechend angepasste Hardwarebau-
steine ausgewählt und über ein dafür geeignetes Softwarekonzept gesteuert wer-
den. Besonders bei der Planung von unkonventionellen Versuchsarten hat sich die
Programmierung einer geeigneten Versuchssteuerung als ein die Qualität und Zeit-
effizienz der Versuchsausführung wesentlich bestimmender Aspekt herausgestellt.

7.4 Probekörper für miniaturisierte Versuche

7.4.1 Ziele der Probengestaltung

Wie in Abschnitt 7.2.1 bereits angeführt, kam es im Laufe der historischen Ent-
wicklung von Prüfmethoden und Prüfmaschinen zu einem Übergang von der rei-
nen Bauteilprüfung zu einer werkstofforientierten Prüfung auf der Basis speziell
gestalteter Probekörper. Dieser Übergang war eine wesentliche Konsequenz aus
der Erfahrung, dass die Überprüfung der Festigkeit eines bestimmten Bauteils
durch das Aufbringen einer rein statischen Belastung für praktische Belange unzu-
reichend war, da sich die mechanische Integrität eines Werkstoffes gegenüber den
sehr vielfältigen Beanspruchungen im Feld nicht über einen einfachen Werkstoff-
kennwert absichern ließ. Die Prüfung speziell gestalteter Werkstoffproben ermög-
lichte gegenüber der Bauteilprüfung ein gezieltes Aufbringen gewünschter Bean-
spruchungsformen und damit eine differenzierte Bewertung des
Werkstoffversagens. Besonders die Entwicklung schädigungsphysikalisch moti-
vierter Konzepte, wie z. B. die der Bruchmechanik, wäre ohne die Prüfung spezi-
fisch gestalteter Probekörper undenkbar gewesen [334, 375, 412, 432]. Grundvor-
aussetzung für diese mittelbare Form der Bewertung der Eignung von Werkstoffen
für bestimmte Anwendungsfälle ist jedoch die Widerspiegelung eines dimensions-
unabhängigen Werkstoffverhaltens in dem in der Regel begrenzten Volumen eines
Probekörpers. Deshalb folgt die Probengestaltung in der klassischen Werkstoffprü-
fung in der Regel dem Prinzip des repräsentativen Volumens, d. h., die Abmessun-
gen eines Probekörpers übersteigen die eines werkstoffspezifischen Volumenele-
mentes, welches so groß ist, dass die Einzelverformungsreaktionen bestimmter
Gefügeelemente, wie z. B. einzelner Körner, nicht mehr nach außen sichtbar wer-
den, sondern sich ein Gesamtverhalten aus der Mittelung einer bestimmten Min-
destanzahl kritischer Gefügeelemente (in der Regel Körner oder Phasen) ergibt.
Neben dieser grundsätzlichen Berücksichtigung eines repräsentativen Werk-
stoffvolumens richtet sich die Gestaltung von Probekörpern nach einer Reihe von
Anforderungen, welche durch die Prüfmaschine bzw. durch die Prüfmethodik vor-
7.4 Probekörper für miniaturisierte Versuche 307

gegeben werden. Zu den wichtigsten prüfsystemrelevanten, d. h. den sich aus dem


Zusammenwirken von Probekörpergestaltung und Prüfmaschinenaufbau ergeben-
den, Anforderungen gehören:
• Einspannbarkeit: Das Problem der Einspannung wurde im Abschnitt 7.3.2.2
bezüglich der prüfmaschinenrelevanten Aspekte behandelt. Tatsächlich ist die
Probeneinspannung jedoch eine bilaterale Problematik, welche einen ganzheitli-
chen Gestaltungsansatz sowohl auf der Seite der Prüfmaschine als auch auf der
der Probe verlangt. Da die Einspannung in der Regel mit Kraftwirkungen im
Einspannbereich der Probe verbunden ist, verlangt der üblicherweise ange-
strebte gezielte Eintrag einer bestimmten Beanspruchung in der Probe neben
einer geeigneten Gestaltung der Verformungszone gleichzeitig eine Gesamtpro-
bengestaltung, welche zum einen weitgehende Entkopplung der Beanspru-
chungszustände im Einspann- und Verformungsbereich ermöglicht und zum
anderen mögliche Deformationen in der Einspannzone so gering hält, dass es zu
keiner signifikanten Abweichung von der angestrebten Krafteinleitungsrichtung
kommt.
• Messbarkeit: Für die Erfassung der Verformungsreaktion muss die Gestaltände-
rung der Probe während der Prüfung üblicherweise entweder mechanisch oder
optisch abgetastet werden. Um eine hohe Messgenauigkeit zu erreichen, sollte
die Probengestaltung an dem entsprechenden Messverfahren sowohl bezüglich
ihrer Form als auch ihrer Dimension ausgerichtet werden. Eine optimale Pro-
bendimensionierung ist in der Regel nur über umfangreiche Tests herauszufin-
den, da eine Dimensionserhöhung (z. B. eine Probenverlängerung) zwar höhere
theoretische Auflösungen ermöglicht, gleichzeitig jedoch die Wahrscheinlich-
keit von Verformungsinhomogenitäten steigt, wodurch bei ungeeigneter Dimen-
sionierung eine sehr hohe Diskrepanz zwischen Auflösung und Genauigkeit
auftritt. Einfacher gestaltet sich sehr oft die Erfassung der Kraftreaktion, da sie
vor allem Anforderungen an die Dimensionierung des Probenquerschnittes
stellt.
• Beobachtbarkeit: Die Möglichkeit einer gezielte Beobachtung des Deformati-
onsvorganges während der Prüfung ist zwar keine zwingende Voraussetzung
zur Erzielung genauer Messungen. Allerdings erleichtert sie das Erkennen gro-
ber Unzulänglichkeiten bei der Prüfung, was vor allem bei Einschränkungen der
Wiederholbarkeit von Messungen (z. B. aufgrund hoher Messzeiten oder gerin-
ger Probenmengen) von Bedeutung ist.
• Handhabbarkeit: In Abhängigkeit von der Probengröße sowie dem Probenwerk-
stoff sollte die Art und Weise der Einspannung und Probenentnahme bei der
Gestaltung der Probe berücksichtigt werden, um Vordeformationen bzw.
Beschädigungen beim Einspann- bzw. Ausspannvorgang zu vermeiden. Beson-
ders dann, wenn Proben sehr klein- bzw. sehr großvolumig sind, spielt das Pro-
blem der Handhabbarkeit eine vordergründige Rolle. Demgegenüber lassen sich
308 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

Proben mittlerer Größe (d. h. üblicher Größe) oft sehr unkompliziert manuell
einspannen.
Zu den wichtigsten aus der Prüfmethodik gestellten Anforderungen gehören:
• Herstellbarkeit eines adäquaten Probenwerkstoffes: Aus der Repräsentation
typischer werkstoffphysikalischer Merkmale eines Bauteils ergibt sich eine
besondere Problematik für die Probenherstellung, sofern diese nicht durch Ent-
nahme aus dem Bauteil erfolgt. Besonders dann, wenn Bauteil und Probe in sehr
unterschiedlichen Dimensionen vorliegen, ist es schwierig, vergleichbare struk-
turelle Merkmale aus dem schmelzflüssigen Zustand zu erzeugen. Bei der
Gesamtprobengestaltung müssen deshalb die Möglichkeiten einer sehr weit
gefassten Beeinflussbarkeit bei der Ausbildung gefügespezifischer Merkmale
bezüglich der Herstellungsprozedur bedacht werden. Hierbei ist in besonderer
Weise zu berücksichtigen, dass es in kleinen Schmelzvolumina, wie sie für typi-
sche Probenformen genutzt werden, zu inhomogenen Verteilungen bestimmter
Gefügemerkmale kommen kann, welche bestimmten konzeptionellen Gesichts-
punkten einer Probengestaltung entgegenwirken. So ist z. B. die Schaffung rota-
tionssymmetrischer Formen mit der Absicht, dadurch einen homogenen Bean-
spruchungszustand über einem großen, messtechnisch leicht erfassbaren
Verformungsvolumen zu erzeugen, nur dann tragbar, wenn es gelingt, innerhalb
dieses Volumens ein homogenes Gefüge einzustellen. Ein anderer, damit eng in
Zusammenhang stehender Aspekt ist der der Volumenkontraktion beim Flüssig-
Fest-Übergang metallischer Schmelzen. Hierdurch kann es besonders bei hohen
Abkühlgeschwindigkeiten sehr leicht zur Ausbildung von kleinen Hohlräumen
(Lunkern bzw. Poren) im Probenvolumen kommen, welche letztlich zu Fehlbe-
wertungen der Verformungsreaktionen führen.
• Analysefähigkeit: Um einen Nachweis bestimmter werkstoffphysikalischer
Vorgänge während der Verformung zu ermöglichen, muss bei der Probengestal-
tung die Möglichkeit einer postexperimentalen Analyse der verformten Probe
berücksichtigt werden. Dazu muss die Probe in der Regel so aus der Versuchs-
apparatur entnehmbar sein, dass sie entweder während der Entnahme keine wei-
tere Verformung erfährt bzw. dass sie vor Entnahme so getrennt wurde, dass die
während des Experiments entstandenen Bruchflächen unbeschädigt bleiben.
Weitere Erfordernisse sind von den jeweiligen Analyseverfahren abhängig, wel-
che zum Einsatz kommen sollen. So ist es z. B. für spätere metallografische
Analysen von Vorteil, wenn der Probenaufbau aus Strukturen ähnlicher Härte
besteht.
Die Gestaltung eines Probekörpers unter Berücksichtigung dieser vielfältigen
Aspekte ist ein oftmals in seiner Komplexität unterschätzter Prozess, welcher
jedoch die wesentliche Grundlage für die Aussagekraft der durchgeführten Verfor-
mungsexperimente bildet. Durch die Schaffung verschiedener Standards für Pro-
benformen ist die besondere Problematik der Probekörpergestaltung möglicher-
weise aus dem zentralen Blickfeld geraten. Hierbei muss jedoch beachtet werden,
7.4 Probekörper für miniaturisierte Versuche 309

dass es bedeutende Unterschiede im Anliegen und den Zielen zwischen einer übli-
chen Werkstoffprüfung (z. B. zur Wareneingangskontrolle) und einem werkstoff-
physikalischen Grundlagenexperiment gibt. Für Letzteres hängt der tatsächlich
erzielbare Erkenntnisgewinn wesentlich davon ab, in welchem Maße eine speziell
gestaltete Probe an die zu untersuchende wissenschaftliche Problemstellung ange-
passt werden konnte. Aus diesem Grund ist die Probekörpergestaltung die erste
fundamentale Aufgabenstellung bei der Durchführung wissenschaftlich ausgerich-
teter Verformungsexperimente. Besonders bei der Frage nach der Größenabhän-
gigkeit der mechanischen Eigenschaften von Werkstoffen kommt der Probekörper-
gestaltung eine besondere Rolle zu, da diese direkt die Ergebnisse der
Untersuchung und damit die gewonnenen Aussagen beeinflusst.

7.4.2 Idealisierte Bulkproben

Bei der Gestaltung von Probekörpern in der klassischen Werkstoffprüfung


spielten vor allem Überlegungen eine Rolle, die darauf abzielten, gewünschte
Beanspruchungszustände gezielt zu erreichen, eine hohe Auflösung bei der Verfor-
mungsmessung erhalten zu können und eine Vergleichbarkeit von ermittelten
Kennwerten zwischen verschiedenen Prüflabors zu ermöglichen. Da bei der Festle-
gung der Dimensionen und Formen der Probeköper keine bzw. nur wenige Ein-
schränkungen bestanden, bildeten sich verschiedene idealisierte Probekörperfor-
men heraus, unter denen die Doppelschulterprobe (Abb. 7.11) für die Zugprüfung
die bekannteste und am häufigsten verwendete Probenform ist. Doppelschulterpro-
ben sind grundlegend so gestaltet, dass ein gegenüber zwei Kopfstücken verjüngtes
Mittelstück mit konstantem Querschnitt als Messabschnitt genutzt wird, in wel-
chem die Verformungsreaktion des Werkstoffs integral bestimmt wird. An den bei-
den Kopfstücken, welche sich an den Enden der länglichen Probe befinden, wird
die Einspannung vorgenommen mit dem Ziel, die Kräfte von der Prüfmaschine auf
die Probe so zu übertragen, dass im Mittelstück ein einachsiger Beanspruchungszu-
stand erzeugt wird. Ausgehend von diesem grundsätzlichen Gestaltungsprinzip
existieren für Doppelschulterproben eine Reihe verschiedener konkreter Geome-
trien, welche in Abhängigkeit vom zu untersuchenden Werkstoff vor allem die Art
der Verjüngung, die Länge des Mittelstücks sowie die Form des Querschnitts
betreffen. In Abb. 7.11 sind Beispiele für verschiedene Probekörpergeometrien von
Doppelschulterproben gezeigt.
Ein anderes Beispiel für einen idealisierten Probeköper ist der in Abb. 7.12 dar-
gestellte CT-Probeköper (CT = Compact-Tension) zur Ermittlung bruchmechani-
scher Kennwerte. Anders als bei der Doppelschulterprobe, bei der ein einfach aus-
wertbarer einachsiger Spannungszustand erzeugt wurde, verfolgt das
Gestaltungsprinzip des CT-Probekörpers das Ziel, an einer bewusst eingebrachten
Kerbe eine Spannungsüberhöhung, d. h. einen komplexen, aber dennoch gut aus-
wertbaren zweiachsigen Spannungszustand, zu erzielen. Um die Gültigkeit des K-
Bruchkonzeptes nicht zu verletzen, wird die Probe so dimensioniert, dass die plas-
310 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

12,5 + 0,1
20
3

R
6

20
50

75 50

d = 16 200

d = 13

20

36 10
0
R2
8

63
,1
14

6,0
R

25

R
25
,2
25

33

80
200

Abb. 7.11 Doppelschulterprobengeometrien für metallische Werkstoffe mit a) recheckigem


Querschnitt und glattem Kopf, b) rundem Querschnitt und Gewindkopf, c) für keramische Werk-
stoffe mit glattem Kopf und d) für polymere Werkstoffe mit recheckigem Querschnitt und glattem
Kopf [432, 433, 437, 446]
7.4 Probekörper für miniaturisierte Versuche 311

tische Zone um den Kerbgrund im Verhältnis zur Probenlänge (w) hinreichend


klein bleibt. Die Relativmaße der CT-Probe folgen aus der Dicke B. Die Bedeu-
tung der Probendicke ist darauf zurückzuführen, dass die plastische Zone um den
Kerbgrund an den Seitenflächen aufgrund des vorherrschenden ebenen Spannungs-
zustandes (ESZ) deutlich größer ist als in der Probenmitte, in welcher eher von
einem ebenen Verzerrungszustand (EVZ) auszugehen ist. Dadurch wäre der mit
dieser Probe ermittelte K IC -Wert bei kleinen Dicken von B abhängig, woraus eine
materialabhängige Mindestbreite der Probe mit

K IC 2
B ≥ 2,5 ⋅ § ---------· (7.3)
© σF ¹

erforderlich wird. Hierbei entspricht σ F der Fließspannung des untersuchten


Werkstoffes.
Neben den beiden aufgeführten Beispielen gibt es noch eine große Anzahl wei-
terer idealisierter Probekörperformen zur Ermittlung spezifischer Werkstoffkenn-
werte, welche im Rahmen dieses Unterabschnittes jedoch nicht dargestellt werden
sollen, da die wesentlichen Aspekte der Gestaltung idealisierter Bulkprobekörper
aus den beiden genannten Beispielen ausreichend deutlich werden. In der Regel ist
die Probekörpergestaltung dadurch geprägt, dass angestrebt wird, in einem
bestimmten Probekörperabschnitt einen spezifischen Beanspruchungszustand ein-
zustellen. Dieser Beanspruchungszustand - das zeigt das Beispiel der CT-Probe -

F a0 BN

W B

Abb. 7.12 CT-Probeköper [334]


312 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

muss dabei nicht notwendigerweise ein einfach auszuwertender homogener sein.


Jedoch ergibt sich dieser aus bestimmten vorausgehenden Überlegungen, welche
wiederum eine Idealisierung des Experiments im Sinne der Eindeutigkeit bzw.
guten Nutzbarkeit des erhaltbaren Ergebnisses verfolgen. Diese Fokussierung wird
dadurch möglich, dass es aufgrund der nicht vorgegebenen Dimensions- und For-
menwahl nahezu keine Einschränkungen durch z. B. prüfmaschinenrelevante
Aspekte bei der Probekörpergestaltung gibt.

7.4.3 Idealisierte Mikroproben

Um der Frage der Veränderung mechanischer Eigenschaften bei kleineren


Strukturabmessungen nachzugehen, existieren verschiedene Ansätze zur Gestal-
tung geeigneter Probekörper. Diese gehen in der Regel auf verschiedene Intentio-
nen und Überlegungen bezüglich der Untersuchungsziele sowie der Experimental-
methodik zurück. Um Unterschiede in den Ergebnissen verschiedener Studien am
selben Material verstehen und richtig interpretieren zu können, ist es daher notwen-
dig, sich mit den verschiedenen Grundüberlegungen bei der Herstellung miniaturi-
sierter Probekörper auseinanderzusetzen und dabei die verschiedenen einschrän-
kenden Randbedingungen, welche wiederum zu Einschränkungen in der
Aussagekraft von Messergebnissen führen, bezüglich ihrer Bedeutung für die über-
geordnete wissenschaftliche Problematik des Größeneffektes richtig einzuordnen.
Da es eine große Vielfalt an verschiedenen Typen miniaturisierter Probekörper
gibt, sollen die für die Problematik des Größeneffektes relevanten Sachverhalte
exemplarisch an wichtigen Gestaltungsvarianten dargestellt werden, ohne einen
Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Bezüglich der der Untersuchung von
Verformungseigenschaften in kleinen Strukturdimensionen zugrunde liegenden
Intentionen lassen sich die Gestaltungsvarianten für miniaturisierte Probekörper
grob in zwei Klassen unterteilen: solche, deren Gestaltung ähnlich der der Bulk-
Probekörper durch die Erzielung bestimmter Beanspruchungszustände bestimmt
wird, und solche, welche sich vornehmlich nach den in der Anwendung auftreten-
den Bauteilgeometrien ausrichten. Im weiteren terminologischen Gebrauch sollen
die Probekörperformen der ersten Klasse als idealisierte Mikroproben und die der
letzten Klasse als reale Mikroproben bezeichnet werden.
Bei der Frage, wie miniaturisierte Probekörper gestaltet werden sollten, bestand
die naheliegendste Überlegung darin, sich an den aus der traditionellen Werkstoff-
prüfung bekannten Probekörperformen zu orientieren und diese auf einen mikro-
skopischen Maßstab herunter zu skalieren. Hierzu wurden von zahlreichen For-
schergruppen [486-489] die mit der Entwicklung der Mikrosystemtechnik
entstandenen Strukturierungstechniken genutzt, um die aus dem Bulk-Bereich
bekannten Probekörperformen in mikroskopischen Abmessungen erzeugen zu kön-
nen. Zu den bevorzugten Techniken der Probekörperfertigung gehören klassische
Strukturierungstechniken der Mikroelektronik, LIGA-Abformtechniken, elektro-
erosives Bearbeiten, Laserschneiden und Ionenstrahl-Schneiden (FIB).
7.4 Probekörper für miniaturisierte Versuche 313

Die klassischen mikroelektronischen Strukturierungstechniken zur Probekör-


pererzeugung verwenden in der Regel fotolithografische Maskierungstechniken,
sodass in den durch diesen Maskierungsschritt ausgewählten Bereichen Material
hinzugefügt (Abscheidungsprozesse) oder weggenommen (Ätzprozesse) werden
kann. Als typische Abscheideverfahren kommt hierbei die Abscheidung aus der
Dampfphase (PVD oder CVD), Kathodenzerstäubung (Sputtering), elektrolytische
Abscheidung (Electroplating) und elektrochemische Abscheidung (Electroless Pla-
ting = EL) zur Anwendung. Abscheideprozesse können von Konditionierungs-
schritten, wie z. B. thermischer Auslagerung, gefolgt sein, welche der Verringe-
rung der Defektdichte in der abgeschiedenen Schicht dienen. In Abhängigkeit von
den gewählten Verfahrensparametern dieser Prozesse stellt sich eine bestimmte
Mikrostruktur der abgeschiedenen Struktur ein, welche aufgrund epitaktischen
Aufwachsens auch vom Trägerwerkstoff bestimmt sein kann.
Um den Probekörper vom Träger herauszulösen, wird in der Regel eine Ätzung
des Trägerwerkstoffs bzw. speziell aufgebrachter Opferschichten durchgeführt.
Ätzprozesse erfolgen im Standardfall nasschemisch, z. B. mit KOH für Si, oder für
spezielle Anforderungen aus der Gasphase (mit und ohne Plasmaunterstützung).
Mit diesen klassischen Strukturierungstechniken lassen sich Metallfilme mit
Dicken von weniger als 1 μm bis zu etwa 100 μm erzeugen. Die Herstellung sehr
dünner Proben ist jedoch kritisch, da sich dabei Verformungskräfte ergeben, die
mit klassischer Messtechnik nicht mehr erfassbar sind. Einen Ausweg aus dieser
Problematik liefert die integrierte Fertigung von Probe und Messapparatur durch
Anwendung mikroelektronischer Fertigungsprozesse, welche allerdings sehr auf-
wendig ist, da für jede einzelne Messung eine neue Prüfapparatur hergestellt und
kalibriert werden muss.
Die LIGA-Technik verwendet UV- oder Röntgenquellen zur Strukturierung
einer ersten Polymer-Mutterform. Durch die hohe Eindringtiefe des kurzwelligen
Lichts - vor allem wenn Synchrotronstrahlung verwendet wird - kann eine lithogra-
fische Strukturierung der Polymerform mit sehr hohen Aspektverhältnissen erzielt
werden. Durch elektrolytische Abscheidung in dieser Polymer-Mutterform werden
zunächst inverse Metall-Tochterformen erzeugt, welche dann dazu genutzt werden,
durch Abformung eine hohe Anzahl von Polymer-Tochterformen zu generieren.
Über die LIGA-Technik lassen sich Probekörper aller metallischen Legierungen
abformen, welche sich elektrolytisch abscheiden lassen. Sie besitzen - gegenüber
den mit klassischen Strukturierungstechniken erzeugten - höhere Dicken. Selbst
bei über 200 μm Dicke der abgeformten Proben ergeben sich immer noch nahezu
perfekte rechteckige Querschnitte mit glatten Oberflächen. Die sich im Probekör-
per einstellende Mikrostruktur hängt wesentlich von den gewählten Prozesspara-
metern bei elektrolytischer Abscheidung und gegebenenfalls von nachfolgenden
Konditionierungsschritten ab [490].
Beim elektroerosiven Bearbeiten wird der erosive Effekt zwischen einer Elek-
trode und einem zu bearbeitenden metallischen Werkstück genutzt, um Material
gezielt abzutragen. Elektrode und Werkstück werden dabei in einer dielektrischen
Flüssigkeit umspült, welche das herausgelöste Material abtransportiert und als
314 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

Kühlmittel wirkt. Durch die Nutzung speziell angefertigter miniaturisierter Elek-


troden können über dieses Verfahren auch Proben in Mikrodimensionen ausge-
schnitten werden. Dabei entsteht in der Regel eine zweigeteilte Mikrostruktur, wel-
che in Kernbereichen der des Ausgangsmaterials entspricht, während diese in
Randbereichen durch den elektroerosiven Bearbeitungsprozess beeinflusst ist.
Durch ein nachgelagertes elektrolytisches Polieren können die durch den beim
elektroerosiven Bearbeiten entstehenden Wärmeeintrag veränderten Randbereiche
jedoch entfernt werden, wodurch einerseits eine Probe mit der reinen Mikrostruk-
tur des Ausgangsmaterials entsteht und gleichzeitig glatte Außenkanten erzielt
werden. Alternativ zum elektroerosiven Bearbeiten können kleine Proben auch
durch Laserschneiden aus einem großflächigen Material, z. B. einer Metallfolie,
herausgeschnitten werden. Auch hierbei entsteht durch die Bearbeitung eine Rand-
zonenproblematik, welche durch nachgelagertes elektrolytisches Polieren beseitigt
werden muss.
Ionenstrahl-Schneiden (FIB = Focused Ion Beam) ist ein sehr aufwendiges Ver-
fahren, welches ursprünglich entwickelt wurde, um Querschnitte von aktiven
Bereichen in Halbleiterbauelementen anzufertigen. FIB funktioniert ähnlich wie
Rasterelektronenmikroskopie mit dem Unterschied, dass anstelle des Elektronen-
strahls ein fokussierter Ionenstrahl, gewöhnlich Ga+, verwendet wird, welcher auf
atomarer Ebene Material abträgt. Dadurch können z. B. sehr dünne Lamellen aus
prozessierten Si-Wafern für transmissionselektronenmikroskopische Untersuchun-
gen präpariert werden. In gleicher Weise können zum Beispiel auch massivere
Mikrodrähte von mehreren hundert Mikrometern Durchmesser sauber quer
geschnitten werden. Aufgrund des Abtrags auf atomarer Ebene wird die ursprüng-
liche Mikrostruktur durch das Verfahren kaum verändert.
Die bisher dargestellten Strukturierungstechniken, welche mit der Entwicklung
der Mikrosystemtechnik entstanden, eignen sich vor allem zur Probekörperherstel-
lung für reine Metalle, Keramiken oder bestimmte hochschmelzende Legierungen.
Aufgrund bestimmter prozesstechnischer Spezifika, z. B. der elektrolytischen
Abscheidung oder der Wärmeentwicklung beim Abtrag, sind sie jedoch für die
Probenherstellung im Bereich der in der Aufbau- und Verbindungstechnik übli-
chen Verbindungswerkstoffe weniger gut geeignet. Dies hängt z. B. mit den
Schwierigkeiten zusammen, welche sich bei der elektrolytischen Abscheidung Sn-
basierter Weichlote ergeben bzw. mit ihrer Empfindlichkeit gegen Wärmeeintrag.
Für andere Verbindungsmaterialien, wie z. B. Klebstoffe, ist die Situation noch
schwieriger, da diese sich mit den beschriebenen Verfahren nicht abscheiden oder
abformen lassen und da lokaler Wärmeeintrag über das Freisetzen eingefrorener
Spannungen zum Verzug des Probekörpers führen kann.
Aufgrund ihrer spezifischen Funktionalität als verbindungsherstellendes Ele-
ment erfolgt die Probenherstellung im Bereich der Verbindungswerkstoffe am ein-
fachsten durch Nutzung des Flüssig-Fest-Übergangs, d. h. entweder durch Kristal-
lisation aus einer Metallschmelze oder durch Polymerisation aus einer
Polymerschmelze. Um bei der Herstellung einer Festkörperprobe aus einer
Schmelze eine definierte Form zu erhalten, müssen sowohl die freien als auch die
7.4 Probekörper für miniaturisierte Versuche 315

Oberflächen des Schmelzvolumens, welche mit den korrespondierenden Verbin-


dungsflächen des Probenhalters in Kontakt stehen, gezielt beeinflusst werden. Als
günstig für diese Aufgabe haben sich Probekörperformen erwiesen, welche
dadurch gekennzeichnet sind, dass zwischen zwei Kontaktflächen ein dünner Spalt
im Bereich von 10 μm ... 500 μm geschaffen wird, in welchem sich der zu untersu-
chende Verbundwerkstoff befindet. Die lateralen Abmessungen dieser Verbin-
dungszone sind gegenüber den Spaltabmessungen groß und befinden sich in der
Regel im Millimeterbereich. Die Verformung des Probekörpers erfolgt durch eine
technische Scherung des im Spalt befindlichen Werkstoffes. Die einfachste Mög-
lichkeit, einen solchen Probekörper zu realisieren, besteht im sogenannten Shear-
lap-Probekörper (Abb. 7.13), bei welchem die Spaltzone einfach durch die Über-
lappung zweier Balken gebildet wird. Am einfachsten auszuführen ist diese Probe-
körperform in der Variante des Double-shear-lap-Probekörpers (Abb. 7.13 b), bei
welchem drei Metallstreifen durch den Verbindungswerkstoff zu einem Sandwich
zusammengesetzt werden und durch entsprechende Kerben zwei Verformungsbe-
reiche des zu untersuchenden Verbindungswerkstoffes erzeugt werden. Allerdings
ergeben sich bei dieser Probekörperform zum einen nachteilige Spannungsüberhö-
hungen an den Enden der Verformungsbereiche und zum andern kommt es auf-
grund der ganzflächigen Verbindung zu nicht unerheblichen Verformungen der
Metallstreifen, sodass für die präzise Bestimmung des Verformungsverhaltens kor-
rigierende Nachberechnungen der messtechnisch aufgenommenen Kraft- und Deh-
nungsreaktionen notwendig sind. Ohne diese Korrekturen kommt es zu erheblichen
Verfälschungen der Messergebnisse, welche sehr leicht zu Fehlinterpretationen der
erhaltenen Ergebnisse führen können [491].

Klemmbacke Klemmbacke

Scherprobe Scherprobe

Abstandhalter Abstandhalter

Klemmbacke Klemmbacke

a) b)
Abb. 7.13 a)Singel-shear-lap-Probekörper, b) Double-shear-lap-Probekörper
316 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

Aus diesem Grund erschien die Anwendung des vor allem im Bereich der Lami-
nate eingesetzten Isoipescu-Scher-Versuches als sehr lohnend für den Aufbau
miniaturisierter Probekörper für Verbindungswerkstoffe. Die grundlegende Idee
dieser 1967 vorgestellten Messmethode [492] besteht in der Verwendung eines
zweiseitig eingekerbten Probekörpers, welcher über einer speziellen Prüfvorrich-
tung belastet wird (Abb. 7.14). Durch diese Probenform soll in dem Gebiet zwi-
schen den beiden Kerben eine reine Scherbeanspruchung erzielt werden, wenn die
beiden Einspannstellen der Probe parallel zueinander verschoben werden, da die
angreifenden Scherkräfte aufgrund des niedrigen Biegemoments eine sehr gleich-
mäßige Scherbeanspruchung erzeugen. Dies gilt allerdings nur so lange, wie es
durch die über die durch die Kerben erzeugten Spannungskonzentrationen nicht zu
einer Materialschädigung kommt [493]. Aus diesem Grund ist die Fertigung einer
sehr präzisen Probengeometrie eine wichtige Vorrausetzung für die Anwendung
dieser Experimentalmethodik. Bei der Übertragung der Methodik auf die Untersu-
chung dünner Spalten von Verbindungswerkstoffen ergab sich daher das Problem,
einen Weg zu finden, mit dem es möglich ist, nach einem Fügevorgang einen geo-
metrisch genau bestimmten Probeköper zu erhalten. Zur Lösung dieser Aufgabe
schlug Reinikainen [495, 496] ein Konzept vor, bei welchem zunächst zwei V-Ker-
ben in einen Cu-Balken eingelassen werden, wobei der Abschnitt zwischen den
Kerben die spätere Verbindungsfläche zum Aufbringen des Verbindungswerk-
stoffs bildet. Zum Einstellen einer definierten Spalthöhe werden zwei dieser Bal-
ken unter Zuhilfenahme zweier Abstandhalter diametral miteinander verbunden.
Dieser Probekörper wurde in späteren Arbeiten von Deplanque [497, 498] weiter-
entwickelt, indem die beiden Seitenkanten der auf den Balken erzeugten Verbin-
dungsflächen ebenfalls abgewinkelt wurden, wodurch eine bessere Analysefähig-
keit des Lotspaltes über Ultraschallmikroskopie ermöglicht wird. Für beide
Probekörpergeometrien konnte auf der Basis von linear elastischen und nichtlinear
elastisch-plastischen FE-Analysen eine gute Homogenität der Scherbeanspruchung
im Lotspalt nachgewiesen werden [497]. Trotz der hervorragenden theoretischen

F F

a) b)

F F Verbindungswerkstoff

Abb. 7.14 Isoipescu-Versuchsmethodik zur Erzielung reiner Scherbelastungen: a) Typische Isio-


pescu-Probeform mit dazugehörigen Einspannbedingungen, b) Abwandlung der Isiopescu-Probe
zur Erzeugung homogener Scherspannungen in einem im Spalt befindlichen Materials
7.4 Probekörper für miniaturisierte Versuche 317

Eigenschaften dieser Probekörpergeometrie zeigte sich, dass die Herstellung eines


idealen Lotspaltes sehr schwierig ist, da es bei der Herstellung durch Flussmittelre-
aktionen zu gasförmigen Abprodukten und damit zur Entstehung kleiner Hohl-
räume (sogenannte Poren) im Lotspalt kommt [498]. Die Bildung von Poren in
Lotprobekörpern sind ein typisches Problem [499], welches der angestrebten einfa-
chen Auswertbarkeit der experimentell aufgenommenen Kraft-Verschiebungs-
Kurven entgegenwirkt, wodurch die ursprüngliche Intention der beschriebenen
Probenkörpergeometrie praktisch nicht erreicht werden kann. Der Ausweg aus die-
ser Problematik besteht in der Fertigung der Lotprobekörper im Vakuumofen
[497, 500]. Durch die veränderten Partialdrücke wird eine Herabsetzung des
Benetzungswinkels von schmelzflüssigem Lot auf den Cu-Flächen erreicht und es
können kleine Gasbläschen aus der Spaltzone gesaugt werden. Gleichzeitig ergibt
sich jedoch durch die schlechtere Wärmeleitfähigkeit im Vakuum eine Abkühlge-
schwindigkeit, die deutlich unter der natürlichen bei Normaldruck liegt, wodurch
die Einstellung adäquater Gefügemerkmale bei der Loterstarrung schwierig wird.
Neben der Variante, Lot in einem dünnen Spalt umzuschmelzen, um somit
einen Scherprobekörper zu erhalten, existieren auch Bemühungen zur Fertigung
von miniaturisierten Zugprobekörpern aus Weichlot. Ähnlich den Spaltprobekör-
pern wird dabei angestrebt, das Lot in einem Zwischenraum zweier axial zueinan-
der angeordneter Cu-Zylinder zu erstarren (Bild Abb. 7.15), da dadurch ein Probe-
körper mit zwei einfach klemmbaren Einspannsektionen entsteht. Aufgrund der
Zwangskräfte, die durch die unterschiedlichen Verformungsreaktionen der betei-
ligten Werkstoffe an der Cu-Lot-Grenzfläche entstehen, reicht es jedoch nicht aus,
den dünnen Spalt des Scherprobekörpers in Zugrichtung zu drehen [501]. Stattdes-
sen muss zur Erzielung einer durch die Grenzflächenkraftreaktionen unverfälsch-
ten Verformung des Lotes eine langgezogene Verformungszone zwischen den bei-
den Kupferzylindern existieren. Aufgrund der auf das schmelzflüssige Lot
wirkenden Oberflächenspannungen kann ein solcher langgezogener Mittelab-
schnitt der Probe nicht mehr allein durch die Benetzungsreaktionen an den Stirnflä-
chen der Cu-Zylinder geformt werden, sondern es bedarf einer geeigneten
Messing

Messing

Heizplatte

Aluminiumform Einspritzwerkzeug

abdrehen
Lot

Stempel
Lot

flüssiges Lot
Messing

Messing

Abb. 7.15 Miniaturisierte Lotzugprobe aus [501]


318 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

Schmelzform, um das Lot bei der Erstarrung in die gewünschte Form zu zwingen.
Durch die Reaktionen mit der Schmelzformwand wird der Erstarrungsvorgang des
Lotes jedoch verändert, sodass die Einstellung adäquater Gefügemerkmale gegen-
über den bei der Erstarrung von Luft umgebenen Lotkontakten fraglich ist. Weiter-
hin ist es aufgrund der Benetzungsreaktionen mit der Schmelzformwand nicht
möglich, sehr dünne Proben von weniger als 0,1 mm Durchmesser herzustellen.
Dies gelingt nur, indem das Lot während des Erstarrens durch einen dünnen Kanal
gepresst wird [501], was wiederum eine starke Veränderung gegenüber der übli-
chen Erstarrung von Lotkontakten ist.
Werden die Möglichkeiten der Fertigung idealisierter Mikroproben zusammen-
fassend betrachtet, so ist festzustellen, dass es auf der einen Seite zwar eine Viel-
zahl von Verfahren gibt, auf der anderen Seite diese jedoch in ihrer Anwendungs-
breite auf bestimmte konkrete Werkstoffe begrenzt sind. Aus diesem Grund
erscheint es unzweckmäßig, eine vollständig systematisierte Darstellung dieses
Themas anzustreben. Vielmehr sollte die Erörterung dieser Problematik werkstoff-
als auch fertigungsbezogen geführt werden. Bezogen auf wesentliche Werkstoffe
der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik zeigt sich, dass vor allem im
Bereich der Verbindungswerkstoffe erhebliche methodische Probleme existieren,
idealisierte Mikroproben für aussagekräftige Deformationsexperimente herzustel-
len.

7.4.4 Reale Mikroproben

7.4.4.1 Hintergrund

Eine systematische Gegenüberstellung idealer und realer Mikroproben ist des-


halb schwierig, weil die Entwicklung letzterer nicht tatsächlich durch systema-
tisch-theoretische Überlegungen geprägt war, sondern aus rein pragmatischen
Gründen vorgenommen wurde. Als mit der Einführung der Oberflächenmontage-
technik (vgl. 7.2.3) die Bewertung der Zuverlässigkeit von Lotverbindungen
immer weiter in den Vordergrund rückte und mit der Berechnung von Beanspru-
chungszuständen in diesen Kontakten begonnen wurde, wurde in einer Reihe von
Publikationen [27-30, 53-55, 452, 502, 503] auf eine mögliche Unzulässigkeit der
Übertragung der an homogenen makroskopischen Probekörpern gewonnenen
mechanischen Werkstoffdaten auf das Verhalten von kleinstvolumigen Lotkontak-
ten hingewiesen. Hintergrund dieser Zweifel waren verschiedenste werkstoffphysi-
kalische Überlegungen, aus denen jedoch keine Übertragungsregeln abgeleitet
werden konnten. Für die meisten der durchgeführten Rechnungen zu Beanspru-
chungszuständen wurde der Lotwerkstoff als Kontinuum aufgefasst. Vorausset-
zung für diese Annahme war allerdings, dass mikrostrukturelle Elemente, wie z. B.
Körner, in einer solchen Anzahl im Werkstoff vorhanden sind, dass ihre individu-
ellen Eigenschaften keinen signifikanten Einfluss auf das Gesamtverhalten des
7.4 Probekörper für miniaturisierte Versuche 319

Werkstoffs haben. Für das geringe Volumen (V = 1 10-12 m3) von Lotkontakten,
wie sie in der Flip-Chip-Technik verwendet wurden, gingen einige Publikationen,
z. B. [55], von einer sehr geringen Anzahl von Körnern aus. Diese Annahme ist
Ausgangspunkt für eine in [54] veröffentlichte Studie, welche sich mit dem Kon-
zept eines Vergleichsvolumens für den Werkstoff SnPb37 befasst. Die grundle-
gende Idee des Vergleichsvolumenkonzeptes besteht in der Bestimmung einer
minimalen Anzahl von Körnern, bei denen noch keine signifikanten Auswirkungen
von Individualeigenschaften der Körner auf das Verhalten des Volumenmaterials
gegeben sind. Die in [54] an Bulk-Proben ermittelte absolute Vergleichslänge von
6 mm und die relative Vergleichslänge von 8 Körnern erhärteten die These von
einem im Standard-Bulkprobekörper nicht adäquat nachzubildenden Gefüge im
Vergleich zum realen Lotkontakt. Da die Herstellung idealisierter Mikroproben zu
diesem Zeitpunkt aufgrund der unzureichenden mikrotechnologischen Expertise
schwierig schien, war es naheliegend, Lotkontakte, welche sehr leicht hergestellt
werden konnten, direkt als Proben zu verwenden. So wurde in einem der ersten
Mikroverformungsexperimente von Shine, Fox und Sophia [28] einfach ein auf
einer Leiterplatte aufgelöteter PLCC als Probekörper verwendet. Durch eine sehr
umfangreiche Studie von Darveaux [36] zu verschiedenen Lotmaterialien wurde
die Methodik der Verwendung realer Mikroproben für den Bereich der Verbin-
dungswerkstoffe in der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik weitestge-
hend etabliert.

7.4.4.2 Auswertung des Verformungsverhaltens

Die Gestaltung realer Mikroproben unterliegt denselben in 7.4.1 formulierten


Gesichtspunkten wie die idealer Bulkproben. Im Unterschied zu letzteren tritt hier-
bei aber der Gesichtspunkt der Einstellung eines bestimmten Beanspruchungszu-
standes gegenüber denen der Fertigbarkeit, Einspannbarkeit und Messbarkeit
zurück. Aus diesem Grund treten in realen Mikroproben in der Regel komplexe
Beanspruchungszustände auf, welche nicht einfach auswertbar sind. Dieses Pro-
blem konnte jedoch durch die Verwendung der Methode der Finiten-Elemente zur
Simulation des Experiments, welche durch die gestiegene Leistungsfähigkeit der
Rechentechnik Mitte der neunziger Jahre möglich wurde, gelöst werden. Bei der
nummerischen FEM-Simulation können Untersuchungen an realen mikrotechnisch
hergestellten Strukturen ausgewertet werden. Komplizierte Geometrien erhöhen
zwar den Rechenaufwand, jedoch ergibt sich - anders als bei einer analytischen
Simulation - immer eine in ihrer Genauigkeit befriedigende Lösung.
Hierdurch verändert sich die Methodik eines Werkstoffexperimentes. Während
bei der Verwendung analytischer Simulationen bei der Gestaltung des Probekör-
pers immer Rücksicht auf die nachfolgende Simulation genommen werden muss,
erfolgt die Probekörperauswahl bei der Verwendung der FEM nur unter dem
Gesichtspunkt, den realen Betriebsfall im Experiment gut nachzubilden. Der
Ablauf der indirekten Bestimmung der Werkstoffparameter aus den Experimental-
320 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

rohdaten ist in Abb. 7.16 dargestellt. Da es sich bei der FEM um ein nummerisches
Verfahren handelt, müssen zunächst Startwerte für ein erstes Werkstoffmodell vor-
gegeben werden, welche auf der Grundlage der experimentellen Ergebnisse über
eine einfache analytische Beziehung abgeschätzt werden (A). Danach wird mit die-
sem Startmodell eine Finite-Elemente-Analyse des Versuches durchgeführt, die
eine zu diesen Werkstoffparametern passende Kraft-Weg-Kurve errechnet, welche
mit der aus dem Experiment bestimmten verglichen wird. Entsprechend den
Abweichungen zwischen diesen beiden Kurven werden dann die Eingangsparame-
ter in einer ersten Iteration korrigiert (B) und die FEA des Versuches erneut durch-
geführt. Wenn nach n weiteren Iterationen eine Übereinstimmung zwischen dem
Kraft-Weg-Diagramm des Versuches und der FEA festgestellt werden kann, so
gelten die Parameter des Werkstoffmodells über die Simulation nach der FEM als
bestimmt [12, 504, 505].
Obwohl es über iterative FEM-Simulationen des Experiments möglich ist,
Werkstoffmodelle aus Experimenten mit komplexen Probekörpergeometrien exakt
zu extrahieren, zeigte sich bei der praktischen Durchführung, dass die Anzahl der
benötigten Iterationen in Abhängigkeit vom tatsächlichen Werkstoffverhalten sehr
groß werden kann. Aus diesem Grund wurde die Methodik von Röllig [506] durch
Einführung eines Formparameters verbessert. Die Idee des Formparameters besteht
darin, dass die Geometrie des Probekörpers - im konkreten Fall Lotkontakte von
flächenkontaktierten Bauelementeformen - durch eine bzw. mehrere Variablen
charakterisiert werden kann, aus denen ein Korrekturfaktor für die Ableitung der
Startwerte des Modells aus den Experimentalrohdaten bestimmt werden kann. Es
zeigte sich, dass es bei Verwendung der Korrekturformel für die Bestimmung des
Startmodells oft eine Iteration für die Werkstoffmodellbestimmung ausreicht, da
diese Abschätzung in der Regel bereits sehr nah am finalen Modell liegt.

7.4.4.3 Probekörpergestaltung

Wie in 7.4.4.1 bereits dargestellt, gibt es keine allgemeingültigen bzw. systema-


tisch aufführbaren Gestaltungsmerkmale von realen Mikroproben, da diese zum
einen immer an eine konkrete wissenschaftlich-technische Problematik gebunden
sind und auch nur dann verwendet werden, wenn triftige Gründe existieren, die die
Abkehr von den klassischen idealen Probekörperformen rechtfertigt. Aus diesem
Grund kann die Thematik der Probekörpergestaltung bei realen Mikroproben nur
exemplarisch an einem konkreten Gegenstand aufgezeigt werden. Wegen ihrer
bezüglich der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik besonderen techni-
schen Relevanz und der daraus folgenden hohen Zahl von veröffentlichten For-
schungsbeiträgen ist die Thematik der Bestimmung von Verformungseigenschaf-
ten an Lotkontakten von flächenkontaktierbaren Bauelementeformen besonders
geeignet für die angestrebte Darstellung. Derartige Lotkontakte kommen in elek-
tronischen Baugruppen an verschiedenen Stellen vor, z. B. an direkt montierten
Halbleiterbauelementen, innerhalb und außerhalb gehäuster Halbleiterbauelemente
7.4 Probekörper für miniaturisierte Versuche 321

Deformationsverhalten

Experiment Modellierung

Fs h Fs m3
m2

Abschätzung m1
a

s
ε = --------------
s

h⋅ 3
(A)
Fs ⋅ 3
σ = ----------------
-
2
a
Eingangsparameter
(B) m1,m2,m3

FEA

F
= F

s = s

Werkstoffparameter
m1 = E, m3 = h 0
E: E-Modul

Abb. 7.16 Nutzung von FEM-Simulationen zur Ermittlung von Werkstoffmodellen bei
Verwendung von Probekörpern mit komplexen Geometrien und nicht einfach auswertbaren Bean-
spruchungszuständen aus [12]

(CSP, BGA), an Wafer-Level-Packages, in Multichipmodulen etc. Die Kontakte


haben gewöhnlich eine axialsymmetrische Tonnenform mit Durchmessern im
Bereich von 0.1 mm bis 1 mm und sind sehr oft in einer Matrix oder in mehreren
Reihen angeordnet. Der grundsätzliche Aufbau eines entsprechenden Probekörpers
besteht aus zwei Substraten, welche vis-à-via über eine bestimmte Anzahl von
322 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

Kontakten zusammengefügt werden. Bezüglich der Frage, mit wie vielen Kontak-
ten die beiden Substrate miteinander verbunden werden sollen, finden sich in den
verschiedenen publizierten Untersuchungen sehr unterschiedliche Ansätze, begin-
nend bei 9 Kontakten in [27] über 16 bzw. 390 Kontakte in [9] und 68 Kontakte in
[505] bis zu 1089 Kontakte in [11]. Grundsätzlich führt eine hohe Anzahl von Kon-
takten zu einer höheren Verformungskraft am gesamten Probekörperverbund und
damit zur Vereinfachung der Kraftmessung, vor allem wenn Standardprüfmaschi-
nen zum Einsatz kommen. Dies funktioniert aber nur theoretisch. Da es bei der
Herstellung von mehreren Kontakten aus technologischen Gründen unmöglich ist,
zwei identische Kontakte zu erzeugen [12, 507], wird sich die Gesamtkraft unter-
schiedlich auf die einzelnen Kontakte aufteilen, was zu einem verschiedenen Ver-
formungszustand der einzelnen Kontakte führt, wobei das Mittel dieser Zustände
nicht die Charakteristik eines einzelnen Kontaktes widerspiegelt. Daher besteht der
ideale Probekörper aus nur einem Kontakt – eine praktisch jedoch nicht realisier-
bare Variante, da wenigstens 3 Kontakte benötigt werden, um 2 Substrate in defi-
niert paralleler Anordnung miteinander zu verbinden. In [29] wird daher grundsätz-
lich ein Probekörperaufbau mit der minimalen Anzahl von 4 Kontakten
vorgeschlagen. Diese minimale Kontaktanzahl verlangt zwar in der Regel eine
besondere Präparation des Probekörpers, hat allerdings neben den aufgeführten
Vorteilen den Vorzug, dass die durch die Kontakte in der Summe auf das Substrat
aufgebrachte Reaktionskraft niedrig bleibt, wodurch die messtechnisch sehr
schwer von den Kontaktdeformationen zu trennenden Deformationen des Substra-
tes gering gehalten werden. Dies führt zu der Frage, aus welchem Material die Sub-
strate bestehen sollen, um eine genaue Messung zu ermöglichen. Für den Bereich
der Mikroverbindungstechnik stehen dabei folgende Standardsubstratwerkstoffe
(vgl. 2.3.3.2) zu Verfügung, für die vielfältige Erfahrungen in der Strukturierung
bestehen: organische Leiterplattenmaterialien, d. h. ein mit einem Harz umgosse-
nes Glasfaservlies, Al2O3-Keramik und Silizium. Während die beiden letzten im
angestrebten Versuchstemperaturbereich ein verhältnismäßig konstantes mechani-
sches Verhalten ausweisen, besteht für Leiterplattenmaterialien eine starke Tempe-
raturabhängigkeit, bei der sie von einem steifen Verhalten bei niedrigen Versuchs-
temperaturen zu einem weit weniger steifen und darüber hinaus zeitabhängigen
Verformungsverhalten bei hohen Versuchstemperaturen übergehen. Aus diesem
Aspekt heraus musste von der Verwendung von Leiterplattenmaterialien als Probe-
körpersubstrat abgesehen werden. Diesem Argument steht jedoch gegenüber, dass
der Hauptteil der in elektronischen Aufbauten vorkommenden Lotkontakte zumin-
dest auf einer Seite mit einem organischen Leiterplattenmaterial verbunden sind.
Gleichzeitig lassen die Standardtechnologien für die Prozessierung von Al2O3-
Keramik und Silizium nicht die Erzeugung vergleichbarer Verbindungsflächen zu.
Ein Ausweg aus dieser Problematik wird in [508] dadurch erreicht, indem die
Bearbeitungstechnologien für die Leiterplatte auf das Al2O3-Keramiksubstrat
übertragen werden (vgl. 8.4.4.3).
Der dritte wesentliche Aspekt der Probekörpergestaltung ist die Wahl der Kon-
taktform, die durch zwei gegensätzliche Argumente bestimmt ist. Auf der einen
7.5 Realisierungen von Prüfmaschinen für miniaturisierte Proben 323

tonnenförmig zylindrisch hyperbolisch

MX

MX

MN MN

MX

MN

Dehnungen: niedrig hoch

Abb. 7.17 Dehnungsverteilung in verschiedenen Kontaktgeometrien von Flip-Chip-Lotkontakten


aus [505]

Seite entsprechen Kontakte mit tonnenförmiger Form dem Flip-Chip-Kontakt, der


natürlichen Kontaktform, wie sie in elektronischen Aufbauten vorkommt. Auf der
anderen Seite bieten hyperbolische Kontaktformen den Vorteil, dass sich die
Deformationen im Kontakt auf die Kontaktmitte konzentrieren (Abb. 7.17). Hier-
durch entsteht der Vorteil, dass der Einfluss der spröden intermetallischen Phasen
zwischen Lot und Metallisierung auf das Gesamtverformungsverhalten minimiert
werden kann, sodass die Messergebnisse tatsächlich das Verhalten des reinen Lot-
materials widerspiegeln und kein Verbundverhalten, welches durch die aus der här-
teren Grenzfläche auf das weichere Lot wirkenden Zwangkräfte verändert wird
[505].

7.5 Realisierungen von Prüfmaschinen für miniaturisierte Proben

7.5.1 Prüfmaschinenkonzepte

Analog zur Gestaltung von Probekörpern existieren auch beim Entwurf geeig-
neter Prüfmaschinen für den Mikrobereich sehr vielfältige Lösungen. Im Gegen-
satz zu den Probekörpern werden die Konzepte für viele Prüfmaschinen jedoch
weniger aus der konkreten physikalisch-technischen Problematik bestimmt, son-
dern ergeben sich in der Regel aus allgemeinen Aspekten in der Forschung. Hierbei
muss in Betracht gezogen werden, dass es sich bei Prüfmaschinen nicht wie bei
Proben um einen auf einen speziell auf ein Experiment zugeschnittenen Gegen-
stand handelt, welcher bei der Durchführung eines Deformationsexperimentes zer-
324 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

stört wird und aus diesem Grund nach Beendigung des Experimentes in der Regel
für eine weitere Verwendung unbrauchbar ist. Prüfmaschinen müssen mit einem
vergleichsweise sehr hohen Aufwand errichtet werden, welcher durch die aus
einem einzelnen Experiment erreichbaren Aussagen in der Regel nicht zu rechtfer-
tigen ist. Aus diesem Grund wird die Konzeption von Prüfmaschinen sehr oft von
der Forderung nach einer breiten Einsetzbarkeit bestimmt. Aus diesem ökonomi-
schen Aspekt der Materialforschung hat sich eine Spezialisierung in Prüfmaschi-
nenkonstrukteure bzw. -hersteller und Materialforscher, d. h. Prüfmaschinenan-
wender, ergeben, welche zusätzliche - von konkreten physikalisch-technischen
Problemstellungen losgelöste Aspekte - in den Entwurfsprozess einbringt. Herstel-
ler sind grundsätzlich bemüht, eine Prüfmaschine so auszulegen, dass bereits ent-
wickelte Lösungen für Einzelkomponenten dafür eingesetzt werden und dass sie
von einem breiten Anwenderspektrum verwendet werden kann. Auf der gegen-
überliegenden Seite wollen Anwender eine kostengünstige Lösung erwerben, die
gut auf ihre Forschungsaufgaben angepasst ist. Selbst wenn dieser Interessenkon-
flikt ausgeräumt ist - so räumen Erismann [437] und Kammrath [509] ein - entsteht
beim Entwurf einer neuen Prüfmaschine auf der Grundlage von Pflichtenheften
nicht notwendigerweise eine hervorragend an den Versuchzweck angepasste
Lösung, da es durch die geistige Trennung von Konstruktion und Anwendung oft
nicht gelingt, dass alle relevanten Details im Konstruktionsprozess berücksichtigt
wurden. Gerade beim Entwurf von Prüfmaschinen für den Mikrobereich von tradi-
tionellen Herstellern stellten sich die aus der beschriebenen Problematik entstande-
nen Konzeptionsansätze oft als unglücklich heraus, da sich aus dem klassischen
Vorgehen über die Aufstellung von Anforderungskatalogen eine unzureichende
Ausrichtung auf die spezifischen Besonderheiten konkreter kleinvolumiger Unter-
suchungsgegenstände ergab [510-515].
In vielen Fällen wurde den aufgrund verschiedener Probenformen und -dimen-
sionen bei Experimenten im Mikrobereich spezifischen Problemen, wie hohe Auf-
lösung der Messapparaturen, Besonderheiten der Probenhandhabung, unzurei-
chende Beobachtbarkeit des Experiments, gezielte Einstellung gewünschter
Beanspruchungen etc., gegenüber den klassischen Anforderungen, wie Kraft- oder
Temperaturbereich, zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Der Mangel an brauch-
baren marktüblichen Lösungen führte wiederum zur Entwicklung spezieller Labor-
aufbauten, welche von den direkt beteiligten Forschergruppen errichtet wurden.
Aufgrund der Vielzahl der zu erwartenden Schwierigkeiten wurde von vielen für
die Konzeption der Prüfeinrichtung eine Strategie gewählt, welche nicht versucht,
alle Probleme gleichzeitig zu berücksichtigen. Stattdessen wurden sehr oft wich-
tige Partikulärprobleme herausgegriffen und sehr tiefgründig überdacht, wodurch
eine Reihe neuartiger Konzeptionen entstanden, welche später auch auf andere
Probleme übertragbar waren. Für das Verständnis der Vor- und Nachteile bestimm-
ter erarbeiteter Lösungen ist es wichtig, die entsprechenden Konzeptionsansätze zu
berücksichtigen.
7.5 Realisierungen von Prüfmaschinen für miniaturisierte Proben 325

7.5.2 Kleinlastprüfmaschinen

7.5.2.1 Spezifische Eigenschaften

Die Entwicklung von Kleinlastprüfmaschinen setzte schon lange vor dem Auf-
kommen von Fragestellungen zum veränderten Materialverhalten bei kleinstvolu-
migen Proben ein. Häufigster Ausgangspunkt für die Anfertigung solcher Appara-
turen war die Notwendigkeit, Deformationsexperimente auf engstem Raum
durchführen zu müssen, wie dies zum Beispiel erforderlich wurde, wenn die Defor-
mation eines Festkörpers mit sehr hoher Auflösung über ein Elektronenmikroskop
beobachtet werden sollte. In den verhältnismäßig engen Probenkammern früherer
Elektronenmikroskope bestand lange Zeit die einzige Möglichkeit für einen Einbau
im Austausch einer Spezialversuchseinrichtung gegen den Standardtisch. Die unter
diesen Randbedingungen entwickelten Versuchseinrichtungen orientierten sich in
ihrem Aufbaukonzept an dem von typischen Zugprüfmaschinen, wobei alle Ele-
mente der Apparatur auf einen erheblich kleineren Maßstab herunterskaliert wur-
den, was wiederum zu einem begrenzten Lastbereich dieser Maschinen führte
[437, 509, 516-518].
Bei der Erarbeitung von Prüfmaschinenkonzepten für den Mikrobereich griffen
viele traditionelle Hersteller offensichtlich auf die Erfahrungen, welche zuvor mit
den aus anderen Gesichtspunkten entwickelten Kleinlastprüfmaschinen gewonnen
wurden, zurück, sodass im Großteil der marktüblichen Mikroprüfmaschinen die
sehr traditionellen Kleinlastprüfmaschinenkonzepte umgesetzt wurden. Es gibt
aber auch eine Reihe von speziellen Laboraufbauten, die im Prinzip dem Kleinlast-
prüfmaschinenkonzept folgen.
Im Unterschied zu Universalprüfmaschinen im Normallastbereich sind Klein-
lastprüfmaschinen sehr oft nicht vertikal, sondern horizontal ausgelegt. Dies ist
möglich, da durch die kleinere Dimensionierung schwerkraftbedingte Querkräfte,
welche wiederum zu Biegemomenten an Kraftsensoren und Probenhalterungen
führen, sehr gering ausfallen und sich sehr einfach durch Lager abfangen lassen.
Die horizontale Anordnung ermöglicht eine bessere Zugänglichkeit zur Probenein-
spannzone, welche von Bedeutung ist, wenn z. B. sehr leicht deformierbare Proben
eingespannt werden sollen. Gleichzeitig ergeben sich bessere Möglichkeiten der
Abtastung durch optische Dehnungsmessverfahren. Die horizontale Anordnung ist
allerdings nicht nur eine optionale Möglichkeit zur Verbesserung bestimmter ver-
suchsmethodischer Belange. Sie macht sich sehr oft auch erforderlich, um bei klei-
neren Probenquerschnitten bzw. einem sehr nachgiebigen Deformationsverhalten
verhältnismäßig kleine Reaktionskräfte genau zu erfassen. Hierzu muss beachtet
werden, dass sich im Gegensatz zur Probe die Einspannköpfe nicht beliebig ver-
kleinern lassen, da diese manuell bedienbar sein müssen. Dadurch könnte in einer
vertikalen Anordnung die schwerkraftbedingte Grundbelastung des Kraftsensors
höher sein als die zu ermittelnde maximale Verformungskraft der Probe. Bei einer
horizontalen Anordnung wird durch das Gewicht der Einspannungen jedoch nur
326 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

eine Reibkraft in den Lagern verursacht, welche insgesamt in der Regel eine klei-
nere Messunsicherheit bezüglich der Kraftmessung verursacht.

7.5.2.2 MTS Tytron-250

Eine der ersten markterhältlichen Prüfsysteme für kleinvolumige Proben war


der unter dem Handelsnamen Tytron erhältliche Mikro-Tester der Fa. MTS
(Abb. 7.18). Er verfügt über eine horizontale Belastungsachse und ist für einen
Lastbereich von bis zu 250 N ausgelegt. Der Antrieb besteht aus einem direkt
gekoppelten Gleichstrom-Linearmotor, welcher einen Arbeitszylinder bewegt.
Durch die Führung dieses Zylinders über ein Luftschichtlager wird eine nahezu rei-
bungslose Bewegung erreicht, durch die es möglich ist, einen sehr großen
Geschwindigkeitsbereich von 1 μm/h bis zu 0,5 m/s zu erreichen. Auf der gegen-
überliegenden Seite des Rahmens ist der Kraftsensor angebracht. Die Probenein-
spannungen werden ungelagert an den Arbeitszylinder und den Kraftsensor ange-
bracht. Aufgrund der horizontalen Ausrichtung muss letzterer alle durch das
Eigengewicht von Probeneinspannung und Probe hervorgerufenen Biegemomente
aufnehmen, was zur Einschränkung der Messgenauigkeit des Kraftsensors führen
kann.
Bei schwereren Probeneinspannungen kann daher nicht mehr von der vom Her-
steller angegebene Auflösung von 1 mN für den 250 N Messbereich [519] ausge-
gangen werden. Vor allem wenn, wie in [520] vorgestellt, in Zusammenhang mit
der Verwendung einer Temperaturkammer wassergekühlte Zwischenstücke ver-
wendet werden, welche zum einen ein erhebliches Gewicht haben und zum ande-
ren durch die Steifigkeit der Kühlmittelschläuche zu einer unbekannten Verfäl-

Computer- Antriebs- Arbeitszylinder Dehnungsmesser Kraftmessdose Einspannwinkel


schnittstelle einheit (luftgelagert) (Bändchen-DMS) (ungelagert) (verstellbar)

LVDT

Rahmen

Probekörper

Verschiebungsmessbereich LVDT

Abb. 7.18 Prüfmaschine MTS Tytron (schematisch) [519, 520]


7.5 Realisierungen von Prüfmaschinen für miniaturisierte Proben 327

schung der Kraftmessung führen, die werkstoffabhängig besonders bei erhöhten


Versuchstemperaturen ins Gewicht fällt. Da bei hohen homologen Materialtempe-
raturen in der Regel nur noch geringe Verformungskräfte auftreten, ist davon aus-
zugehen, dass sich für die Kraftmessung ein ungünstiges Verhältnis von Stör- und
Nutzsignal einstellt. Aber auch ohne Verwendung einer Temperaturkammer ist die
schwerkraftbedingte Querkraftproblematik durch das lagerlose Anbringen von Pro-
beneinspannungen am Kraftsensor als kritisch zu bewerten, da es dazu zwingt,
auch bei geringen Messkräften Kraftmessdosen mit einem großen Nennwert zu
verwenden, um den Querkrafteinfluss gering zu halten. Wie aus den in [521] veröf-
fentlichten Messergebnissen hervorgeht, liegt die Rauschamplitude der 250 N-
Dose bei ca. 1% des Messbereichs, was dem üblichen Rauschsignal solcher Instru-
mente entspricht. Bezogen auf einen 25 N Messbereich, wie er für Miniaturlotpro-
ben zu erwarten ist, ergibt sich dann jedoch allein durch das Rauschen des Kraftsi-
gnals ein Fehlerbetrag von 10%, was als sehr kritisch bezüglich einer genauen
Materialdatenbestimmung zu bewerten ist.
Die Genauigkeit der Dehnungsmessung hängt sehr stark von der gewählten Pro-
bengestaltung ab. In [521] wird hierzu ein externes Laserextensiometer zur Abtas-
tung der Streckung von Miniaturzugproben verwendet, wobei die Montage der
Gesamtanordnung, d. h. der MTS Tytron Prüfmaschine und des Laserextensiome-
ters, auf einer optischen Bank erfolgt. Eine andere Art der Dehnungsmessung wird
in [520] vorgestellt. Zur Scherwinkelmessung an einem Iosipescu-ähnlichen V-
Kerben-Probekörper (vgl. 7.4.3) wird ein Miniaturextensiometer auf Dehn-
messstreifenbasis verwendet. Durch die horizontale sehr offene Bauweise der MTS
Tytron sind sehr vielfältige Methoden zur Dehnungserfassung einsetzbar.
Die Schwierigkeit in der Bewertung des Prüfmaschinenkonzeptes der MTS
Tytron ergibt sich aus der Tatsache, dass nur wenige Experimentatoren eine kriti-
sche Auseinandersetzung mit den Grenzen und Fehlern von werkstoffmechani-
schen Untersuchungen mit der MTS Tytron gesucht haben [520, 521]. Werden die
Analysen aus diesen Berichten betrachtet, erscheint das umgesetzte Prüfmaschi-
nenkonzept nicht notwendigerweise den hohen Anforderungen bei Messungen im
Mikrobereich vollständig zu genügen. Betrachtet man die Ergebnisse zur E-Modul-
Bestimmung an Miniaturzugproben (d = 1 mm, l = 7,5 mm) verschiedener naheu-
tektischer SnAgCu-Legierungen, so ergeben sich sehr beachtliche Streuungen bei
der E-Modul-Bestimmung, welche, wie aus den dargestellten Einzelversuchskur-
ven hervorgeht, sehr klar auf die unzureichende Qualität der beiden Sensorsignale
für Weg- und Kraftmessung zurückgeführt werden können [521].
Die Bandbreite sehr unterschiedlicher Ergebnisse, welche mit der MTS Tytron
erzielt wurden, ist trotz vergleichbarer Untersuchungsobjekte nicht unerheblich
[501, 520, 521]. Dies stützt die prüfmaschinenmethodische These (vgl. 7.5.1), dass
das Konzept einer marktüblichen universell einsetzbaren Kleinlastmaschine für
den Mikrobereich bestimmte Grenzen hat. Viele der Untersuchungen mit der MTS
Tytron haben gezeigt, dass sich kleinvolumige Proben grundsätzlich charakterisie-
ren lassen. Bei bestimmten Detailuntersuchungen, wie z. B. der E-Modul-Bestim-
mung, treten jedoch offensichtlich Ungenauigkeiten in einem Maß auf, die keine
328 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

exakte Bestimmung von Werkstoffparametern zulassen. Dies wirft die bereits in


7.5.1 angeschnittene Frage auf, ob die Zweiteilung zwischen Prüfmaschinenan-
wender und -hersteller dazu führt, dass es schwierig ist, bestimmte Schwachpunkte
im Prüfmaschinenkonzept genau zu benennen und gezielt auszubessern. Dazu
müsste ein bilaterales Verständnis für die versuchsmethodischen Bedürfnisse auf
der einen und die Prinzipien des Prüfmaschinenkonzeptes auf der anderen Seite
vorhanden sein. Gerade in diesem Punkt scheint die Stärke laboreigener Aufbauten
zu liegen, ohne dass diese notwendigerweise über besser bzw. grundsätzlich andere
Aufbaukonzepte verfügen.

7.5.2.3 Kleinlastzugmaschine im Laboraufbau

Ausgangspunkt für die Konzeption der nachfolgend beschriebenen Kleinlast-


prüfmaschine waren Fragestellungen, die sich mit Untersuchungen an kleinstvolu-
migen Probekörpern nicht ausreichend beantworten ließen. Zu solchen Fragestel-
lungen zählten z. B. die nach dem Verlauf der transienten Kriechverformung oder
nach dem Relaxationsverhalten von Lotwerkstoffen. Deshalb sollte eine Versuchs-
einrichtung aufgebaut werden, welche es ermöglichte, sehr genaue Messungen an
kleinen Lotzugproben durchführen zu können. Auf der Grundlage verschiedener
Überlegungen zur Fertigung und Handhabbarkeit solcher Probekörper wurde eine
Probeköperform mit einem rechteckigen Querschnitt von 3 mm x 4 mm und einer
Länge der Verformungszone von 50 mm ... 120 mm angestrebt. Ausgehend von
diesen Annahmen wurde der Lastbereich auf 500 N ausgelegt, wodurch für die
angestrebte Probengeometrie nur eine maximale Prüfspannung von ca. 40 MPa
erreicht werden kann. Von einer Erhöhung der Maximallast in den kN-Bereich
wurde jedoch abgesehen, da zum einen diese Messungen sich auch sehr gut von
kleineren Standardzugmaschinen durchführen lassen und zum anderen für Lasten
deutlich oberhalb 500 N keine Antriebskonzepte zu Verfügung stehen, die die not-
wendigen feinen Verschiebungen zulassen. Abbildungen der Lotproben und der
Kleinlastprüfmaschine befinden sich in Abb. 7.19.
In der Frage des Antriebselementes wurde anstelle der sonst bei Kleinlastprüf-
maschinen üblichen Gleichstrommotoren ein Schrittmotor gewählt. Ausschlagge-
bend war hierfür, dass es mit einem Gleichstrommotor sehr schwierig ist, beliebig
langsame Bewegungen mit kleinen Verschiebungsinkrementen zu vollführen, wie
sie z. B. für langsame Kriechversuche bzw. Relaxationsversuche notwendig sind.
Alternativ bestünde auch die Möglichkeit der Verwendung eines Tauchspulenan-
triebes, wie er z. B. bei der Shimadzu MMT-100N [329] zum Einsatz kommt.
Allerdings erhält man dadurch eine kraftgeregelte Maschine, die sich für
bestimmte Versuchsarten (z. B. Zugversuch mit konstanter Geschwindigkeit)
gegenüber dem weggesteuerten motorisierten Antrieb nachteilig verhält.
Zur Realisierung des Antriebs wird ein handelsüblicher Verschiebetisch der Fa.
OWIS mit einem 2-Phasen Schrittmotor von Oriental Motors mit einem Schritt-
winkel von 1,8° verwendet, welcher direkt mit einer M12X2,5 Kugelumlaufspindel
7.5 Realisierungen von Prüfmaschinen für miniaturisierte Proben 329

a) b)

Abb. 7.19 a) Doppelschulter-Lotproben, b) Kleinlastmaschine im Laboraufbau (Detailvergrö-


ßerung von Einspannung und Probenkammer)

gekoppelt ist. Aus dieser Transformation der Dreh- in eine Linearbewegung ergibt
sich ein Verschiebeinkrement von 12,5 μm im Vollschritt. Feinere Verschiebein-
kremente ließen sich zwar durch Verwendung eines anderen Motors bzw. eines fei-
neren Gewindes erzielen, allerdings nimmt dann auch die maximale Geschwindig-
keit der Traverse ab, da Schrittmotoren gegenüber Gleichstrommotoren sehr viel
niedrigere Maximaldrehzahlen aufweisen. Zur Erzielung feinerer Verschiebungs-
inkremente wurde deshalb eine Mikroschrittsteuerung verwendet, welche den
Vollschritt in Abhängigkeit von der Slip-Stick-Problematik durch den Haftrei-
bungs-Gleitreibungs-Übergang auf ein Verschiebungsinkrement von 50 nm (= 256
Mikroschritte) herunterteilen kann.
Die Belastungsachse wurde horizontal gewählt, um damit einen einfachen Pro-
benzugang sowie eine einfache Adaption optischer Messverfahren zur Dehnungs-
messung zu ermöglichen. Die Kraftmessdose ist auf der gegenüberliegenden Seite
des Verschiebetisches am Rahmen angebracht. Hierdurch konnte auf die bauform-
bedingte Verwendung eines Winkels verzichtet werden, wodurch eine größere
Steifigkeit der Reaktionsstruktur, d. h. des Rahmens, erreicht werden konnte. Vom
Verschiebetisch und vom Kraftsensor führen zwei Stangen aus V2A-Stahl
(d =12 mm, l = 300 mm) zu den Probeneinspannungen. Beide Wellen sind in
Belastungsrichtung kugelgelagert geführt, wodurch sie das hohe Gewicht der Ein-
spannblöcke aufnehmen können. Durch die schlechte Wärmeleitfähigkeit des
V2A-Stahls sowie die relativ große Länge der Wellen soll eine Isolation zwischen
den beheizbaren Probeneinspannungen und der Kraftmessdose erreicht werden, um
unabhängig von der Versuchstemperatur eine genaue Kraftmessung durchführen
zu können.
Die Thermokammer besteht aus einer zweiwandigen Konstruktion, welche zur
mechanischen Befestigung eine Außenwandung aus Aluminium und zur thermi-
schen Isolation eine Innenwandung aus Teflon besitzt. Die Wellen führen über eine
Bohrung durch die Doppelwandung zur Einspannvorrichtung. Für diese kommen
330 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

verschiedene Realisierungen in Frage. Zum einfachen Klemmen von Zugproben


wurden Keilbacken entwickelt, welche Innenkeile aus Cu besitzen, die durch ther-
mopaarrückgekoppelte Dünnschichtheizer auf eine konstante Temperatur gebracht
werden können. Bei gut wärmeleitenden Proben, wie z. B. Lotproben, kann
dadurch eine Temperaurstabilität von +/- 0,1 K erreicht werden.
Zur Dehnungsmessung wird ein LVDT eingesetzt, da dieser messprinzipbedingt
ausreichend hohe Auflösungen erreicht (70 nm) und relativ temperaturunempfind-
lich ist. Um den LVDT-Sensor auf Lotproben zu applizieren, wurde ein kugelgela-
gerter Schlitten entwickelt, welcher ein geringes Gewicht aufweist, um die Lotpro-
ben auch bei hohen Temperaturen nicht zu verformen (siehe Abb. 7.19 a).
Der Laboraufbau wurde bisher an zwei Arten von Probekörpern getestet und
verbessert. Zum einen an verschiedenen SnAg- und SnAgCu -Legierungen mit der
eingangs beschriebenen Probengeometrie und zum anderen an Cu-Folien mit
0,15 mm ... 0,3 mm Dicke und 10 mm Breite. Durch diese Versuche zeigte sich,
dass es mit der beschriebenen Vorrichtung möglich ist, in einem Geschwindig-
keitsbereich zwischen beliebig langsamen Traversebewegungen bis zu 10 mm/s zu
arbeiten. Die Messkräfte für Zugversuche können mit einer Genauigkeit von 0,1 N
bei Kraftanstiegsgeschwindigkeiten von 10 N/s eingestellt werden. Bei Erreichen
der Versuchskraft ergibt sich aufgrund der begrenzten Steifheit des Rahmens ein
leichtes Überschwingen, dessen Amplitude allerdings 5% der Versuchskraftwertes
nicht übersteigt. Bei Relaxationsversuchen kann durch Nachregeln der Rahmen-
verformungen bei abfallender Belastung eine Fixed-Grips-Bedingung mit einer
Genauigkeit von 5 μm erreicht werden, was bei der beschriebenen Probengeome-
trie einer Dehnung von 0,01 % entspricht.
Die eingangs erwähnten versuchsmethodischen Ziele des Prüfmaschinenauf-
baus konnten mit dem beschriebenen Konzept nach mehreren iterativen Verbesse-
rungen befriedigend erreicht werden. Es zeigte sich, dass es mit den Experimental-
rohdaten aus typischen Kriechmessungen an den beschriebenen SnAg-/SnAgCu-
·
Lotproben möglich ist, ein ε - ε -Diagramm des Versuches ab einer Dehnung von
ε = 0,0015 zu erzeugen, welches in seiner Qualität besser ist als vergleichbare
publizierte Diagramme [327, 620], welche durch Messungen an Standardprüfma-
schinen gewonnen wurden, sodass aus wissenschaftlicher Sicht wichtige appara-
tive Voraussetzungen zur exakten Bestimmung des transienten Kriechverhaltens
von Lotlegierungen vorhanden sind. Auch bei Relaxationsversuchen an den
beschriebenen Proben ergaben sich plausible Kurvenformen im σ - t -Diagramm
bis zu einer Spannungsabfallgeschwindigkeit von ∂σ ⁄ ∂t ≈ 0,1 MPa ⁄ s , welche
aufgrund des Kraftsensorrauschens die untere Grenze der Messung darstellt. Bei
Langzeitmessungen stellte sich allerdings die horizontale Auslegung der Belas-
tungsachse als problematisch gegenüber Tagestemperaturschwankungen heraus,
sodass eine Klimatisierung des Versuchsraums erforderlich ist. Dafür konnte eine
sehr gute Temperaturhomogenität innerhalb der Temperaturkammer erreicht wer-
den, was sich darin zeigt, dass die Lotproben auch bei Hochtemperaturversuchen
mittig reißen, was bei asymmetrischen Temperaturverteilungen entlang der Pro-
benlänge nicht der Fall wäre.
7.5 Realisierungen von Prüfmaschinen für miniaturisierte Proben 331

7.5.2.4 Kleinlastrahmen im Laboraufbau

Obwohl sich mit der unter 7.5.2.3 beschriebenen Kleinlastprüfmaschine prinzi-


piell alle Versuche durchführen lassen, ist für die Durchführung langsamer Kriech-
experimente die Nutzung eines passiven Lastrahmens von Vorteil. Da eine solche
Vorrichtung über keine aktive Regelung verfügt, kann es auch bei Langzeitexperi-
menten von mehreren Monaten nicht zu kurzzeitigen Änderungen der Belastungs-
bedingungen, z. B. durch kurzzeitige Schwankungen in der Spannungsversorgung
oder durch andere äußere Störungen, kommen. Ein weiterer Vorteil besteht in dem
sehr konstanten Aufbringen sehr kleiner Lasten, da diese bei einer aktiven
Maschine kleinen Schwankungen durch permanentes Nachregeln unterworfen
sind.
Ausgangspunkt für die Konzeption der nachfolgend beschriebenen Lastrahmen
waren die gleichen Lotzugproben wie für die Kleinlastzugmaschine mit einem
rechteckigen Querschnitt von 3 mm x 4 mm und einer Länge der Verformungszone
von 50 mm ... 120 mm. Die Geometrie der Lotprobe bestimmt sehr wesentlich die
Auslegung des Lastkorbs. Dies ist insofern kritisch, als dass es zum Erzielen höhe-
rer Versuchsspannungen notwendig ist, sehr hohe Gewichte anzuhängen. Daraus
ergeben sich zum einen sicherheitsrelevante Aspekte, z. B. bezüglich des manuel-
len Einlegens der Gewichte, und zum anderen prüfmaschinenkonzeptionelle
Aspekte, z. B in der Unterbindung der Schwingungsneigung durch die beim Aufle-
gen der Gewichte auftretenden Querkräfte. Für die angestrebte Probengeometrie
wurde ein Lastkorb konzipiert, welcher über 4 Linearlager entlang von Gleitschie-
nen geführt wird. Die Lager ermöglichen eine verkippungsfreie translatorische
Bewegung des Lastkorbes. Wie die Wegsignale der oberhalb des Lastkorbes ange-
brachten LVDT-Wegaufnehmer zeigten, ergeben sich dadurch beim manuellen
Einlegen der Gewichte keine signifikanten Tangentialkomponenten gegenüber der
einachsigen Bewegung des Lastkorbes. Hierdurch wird weiterhin eine gleichmä-
ßige Bewegung des Lastschlittens gewährleistet und einen Kriechversuch störende
Einflüsse, wie z. B. ein Stick-Slip-Verhalten des Lastkorbes, werden weitestge-
hend ausgeschlossen.
Die Thermokammer besteht aus einer einwandigen Teflonisolation, welche an
der Außenseite durch Aluminiumstreben gestützt wird. Zwei Wellen - eine vom
Lastkorb und eine vom oberen Querhaupt kommend - führen über eine Bohrung
durch die Wandung zur Einspannvorrichtung. Für diese existieren verschiedene
Ausführungen. Zugproben werden durch Aluminiumschraubklemmen eingespannt,
auf welchen sich thermopaarrückgekoppelte Dünnschichtheizer befinden. Dadurch
lässt sich an gut wärmeleitenden Proben, wie z. B. Lotproben, eine Temperatursta-
bilität von +/- 0,1 K erreichen. Durch die vertikale Anordnung der Probe in der
Kammer entstehen allerdings Temperaturunterschiede zwischen Ober- und Unter-
seite, welche durch eine asymmetrische Temperierung ausgeglichen werden müs-
sen. Eine Verwendung eines Umluftlüfters kam wegen der damit verbundenen
Vibrationen, welche das hochauflösende Wegsignal verfälschen würden, nicht in
Frage.
332 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

Abb. 7.20 Kleinlastrahmen

Die Streckung der Probe wird durch einen außerhalb der Temperaturkammer
angebrachten LVDT-Wegsensor aufgenommen, welcher zwischen der Oberseite
des Lastkorbes und dem Maschinenrahmen befestigt ist. Prinzipiell lässt sich die
Probendehnung auch innerhalb der Temperaturkammer mit dem unter 7.5.2.3
beschriebenen, auf der Probe montierbaren Führungsschlitten-LVDT-Wegsensor
bestimmen. Zur Dehnungsmessung wurden zwei verschiedene LVDT-Sensoren
–6
mit Messbereichen und Auflösungen von 1 mm/140 nm ( = 2,8 ⋅ 10 Dehnungs-
–6
auflösung an 50 mm langer Probe) sowie 5 mm/1,14μm ( = 9,7 ⋅ 10 Dehnungs-
auflösung an 117 mm langer Probe) verwendet.
Aufgrund des außerhalb der Probe angebrachten LVDT-Wegsensors wurde ein
Lastkorb mit hoher Verformungsstabilität bis zu einem Zuladungsgewicht von 17
kg konzipiert, um Fehlmessungen durch Lastkorbverformungen auszuschließen.
Hierdurch ergab sich ein Grundgewicht von 5,5 kg (erste Version mit 2 Linearla-
gern) bzw. 7 kg (zweite Version mit 4 Linearlagern), wobei in letzterer Version ein
Versuchsspannungsbereich für die beschriebene Probengeometrie von 5,7 MPa ...
19,6 MPa erreicht wurde. Aufgrund dieser Einschränkungen im Versuchsspan-
nungsbereich lassen sich keine Messungen mit beliebig niedrigen Versuchsspan-
nungen durchführen.
Dieser versuchsmethodische Nachteil der Apparatur entsteht durch das einfache
horizontale Aufbaukonzept. Bei einer horizontalen Ausrichtung der Probenbelas-
tungsachse unter Verwendung von Umlenkrollen zur Kopplung mit den weiterhin
in Richtung der Gravitationsachse ausgerichteten Lastgewichten ließe sich diese
Problematik weitestgehend umgehen. Eine derartige Anordnung der Belastungs-
achse, wie sie auch beim Aufbau der in 7.5.2.3 beschriebenen Kleinlastzugma-
7.5 Realisierungen von Prüfmaschinen für miniaturisierte Proben 333

schine verwendet wird, würde darüber hinaus auch die Probleme mit der unglei-
chen Temperaturverteilung in der vertikal angeordneten Temperaturkammer lösen.
Insgesamt zeigt sich, dass durch die werkstoffphysikalischen Besonderheiten von
Weichloten gegenüber anderen Legierungen eine horizontale Ausrichtung der
Belastungsachse wesentliche versuchsmethodische Vorteile gegenüber der in der
Regel verwendeten vertikalen Ausrichtung bezüglich der Wahl der Versuchsbedin-
gungen und der Genauigkeit der Messung aufweist.

7.5.3 Prüfmaschinen für Scherversuche an kleinvolumigen Kontakten

7.5.3.1 Versuchsmethodischer Hintergrund

Lotkontakte haben in elektronischen Aufbauten neben ihrer elektrischen Funk-


tion in der Regel auch mechanische Funktionen zu erfüllen. Aufgrund des techno-
logiebedingten niedrigen Schmelzpunktes der für Lotwerkstoffe der Elektronik
üblicherweise verwendeten Sn-Legierungen stellen Lötverbindungen aus dem
mechanisch-strukturellen Blickpunkt einen erheblichen Schwachpunkt in elektro-
nischen Aufbauten dar (vgl. 2.4.3). Aus diesem Grund existieren - vergleichbar zu
Hochleistungsstählen im Maschinenbau - zahlreiche Bemühungen, die Lebens-
dauer thermisch-mechanisch beanspruchter Lotverbindungen exakt vorauszusagen,
wobei der Zweifel an der Übertragbarkeit der an homogenen makroskopischen
Probekörpern gewonnenen Werkstoffparameter auf den Mikrobereich zu zahlrei-
chen Bemühungen geführt hat, geeignete Messmethoden zu finden, mit denen es
gelingt, die mechanischen Eigenschaften dieser kleinen mikroskopischen Struktu-
ren genau zu bestimmen.
Da in einem Anwendungstemperaturbereich von -40 °C ... +125 °C homologe
Temperaturen größer 0,4 Ts (Ts = Schmelzpunkt) immer überschritten werden, ist
die Erfassung des geschwindigkeitsabhängigen plastischen Verformungsverhaltens
(Kriechen) ein weiterer wichtiger Aspekt der Untersuchung. Bezogen auf ihre
schädigungsmechanischen Eigenschaften ist in Lotkontakten in der Regel ein steti-
ges zyklisches Risswachstum zu beobachten. Aufgrund ihrer relativ hohen Bean-
spruchungen pro Zyklus ermüden Lotkontakte üblicherweise im niederzyklischen
Bereich.
Aufgrund der aufgeführten Spezifika besteht die Grundproblematik beim Ent-
wurf eines Versuches zur experimentellen Ermittlung des Konstitutiv- und Schädi-
gungsverhaltens von Weichlotkontakten darin, dass zum einen die im Anwen-
dungsfall vorzufindenden material-, bauteil- und betriebsfalltypischen
Randbedingungen (Gefüge, Geometrie, Art und Höhe der Belastung etc.) im Expe-
riment nachgebildet werden sollen, aber zum anderen zur Erzielung genauer und
aussagekräftiger Messwerte bestimmte Idealisierungen gegenüber den realen
Bedingungen vorgenommen werden müssen. Die ersten Versuche zur Erfassung
des werkstoff- und bruchmechanischen Verhaltens von Mikrolotkontakten wurden
334 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

von Mei et al. [44], Subrahmanyan [10] und Nir et al. [9] Ende der 80er bzw.
Anfang der 90er Jahre durchgeführt. Alle drei bevorzugten einen Scherversuch, da
dieser zum einen die Belastungsverhältnisse am Lotkontakt am besten nachbildete
und zum anderen dadurch die Möglichkeit für zyklische Versuche gegeben war.
Während die Untersuchungen von Mei et al. [44] an einer im Vergleich zum Unter-
suchungsobjekt relativ großen Versuchseinrichtung durchgeführt wurden, machte
Subrahmanyan [10] erste Anstrengungen, die Größe der Versuchseinrichtung deut-
lich zu verkleinern. Kleine Versuchseinrichtungen sind unanfälliger gegen Vibra-
tionen und tragen durch die kleineren Ausdehnungen bei Temperaturschwankun-
gen geringere Fehler in die Messungen ein. Der Versuchsaufbau von Nir et. al. [9]
wies als erster ein Aktuatorsystem (antiparalleler Spulenantrieb) ohne Umkehrspiel
auf. Die Probe wurde dabei über ein Epoxidharz in den Versuchsaufbau eingeklebt,
um eine geringe Belastung während des Einspannens zu gewährleisten.

7.5.3.2 Deformationseinrichtung für kleinstvolumige Flip-Chip-Kontakte

Ausgehend von diesen vorhandenen Ideen [9, 10, 44] zur Realisierung von
mechanischen Versuchen an Mikrolotkontakten, wurden ein neuer Probekörper-
aufbau und eine Versuchseinrichtung (Abb. 7.21) entworfen [12, 29, 441], welche
die noch vorhandenen Schwächen der bestehenden Aufbauten beseitigen sollten.
Ziel war dabei die Messung des E-Moduls an Mikrolotkontakten, da er ein Schlüs-
selparameter für den Nachweis der Vergleichbarkeit zu Messungen am Bulkwerk-
stoff ist. Da der E-Modul nur vom Atomgitter und von den Atombindungskräften
abhängig ist, existieren für die weit über atomaren Größenverhältnissen liegenden
Mikrolotkontakte keine Größeneffekte, d. h., für Bulkwerkstoff und Mikrolotkon-
takt muss sich derselbe E-Modul ergeben, sonst liefert die Versuchseinrichtung
keine vergleichbaren Ergebnisse.
Im Bereich mikroskopisch kleiner Probekörper ergeben sich aus diesem
Anspruch hohe Anforderungen an die Verschiebungsmessung sowie an die Repro-
duzierbarkeit der Geometrie der Probekörper. Die letztere Forderung ergibt sich
aus der Problematik der Einspannung der Probekörper. Diese erfolgt aus Gründen
der Fertigbarkeit am besten über einen Zwischenträger, welcher für die Elektronik
typische Strukturen besitzt. Für die geplanten Untersuchungen wurden zwei identi-
sche Siliziumchips (3,3mm X 3,3mm ... 4 mm X 4 mm) gewählt, welche durch 4
Flip-Chip-Kontakte miteinander verbunden wurden (Abb. 8.2). Die Flip-Chip-
Kontakte besitzen eine Grundfläche von 100μm X 100μm bzw. 200μm X 200μm
und eine Höhe von ca. 125μm bzw. 175μm. Die Form der Kontakte wurde hyper-
bolisch gewählt, damit sich der Hauptteil der Verformung im Zentrum des Kontak-
tes und nicht an der Grenzfläche zum Silizium konzentriert [12], wodurch es mög-
lich ist, das Verformungsverhalten des Lotmaterials anstelle des der Grenzfläche
aufzunehmen.
Das Ziel bei der Konzeption des Versuchsaufbaus (Abb. 7.21) bestand darin,
eine präzise steuerbare Scherung des beschriebenen Flip-Chip-Probekörpers zu
7.5 Realisierungen von Prüfmaschinen für miniaturisierte Proben 335

erreichen, indem die beiden Siliziumchips so gegeneinander bewegt werden, dass


keine außerhalb dieser Scherrichtung wirkenden Querkräfte auftreten. Um dies zu
erreichen, fand eine symmetrische Anordnung zweier Probekörper gegenüber der
Belastungsachse Anwendung, wie sie in [9] vorgeschlagen wurde. Im Laufe der
Experimente zeigte sich, dass durch die Verwendung einer zentralen Probenhalte-
rung keine Nachteile gegenüber der symmetrischen Doppelanordnung auftraten, da
die durch den Probekörper hervorgerufenen Kraftwirkungen gegenüber der für die

Laserkopf 2 90°-Prisma Justiereinheit Laserkopf 1

FC-Probe 1 FC-Probe 2

Laser-
strahl

Kraft-
sensor Justiereinheit
Justiereinheit

Einspannrahmen Verschiebe-
Rahmen tisch

Lichtleitkabel Lichtleitkabel
Fuß
a) Piezotranslator

b)

Abb. 7.21 Versuchsaufbau: a) schematisch, b) Frontansicht [12]


336 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

Probekörper 1 Probekörper 2 Probekörper Querstab

F F

Abb. 7.22 Probekörperhalterungen für symmetrische und zentrale Einspannung der Flip-Chip-
Proben in die Deformationsprüfvorrichtung [12]

manuelle Handhabung vorgenommenen Dimensionierung der Versuchsanordnung


verhältnismäßig klein waren. In der Zentralvariante der Probekörperanordnung
reduziert sich die Anzahl der untersuchten Kontakte von 8 auf 4 (Abb. 7.22).
Als Stellantrieb wurde ein piezoelektrischer Stapeltranslator der Fa.
Physik Instrumente verwandt. Mit ihm ist es möglich, Verschiebungen im Subna-
nometerbereich mit Verschiebungsgeschwindigkeiten bis zu (v > 0,1 mm/s) durch-
zuführen. Die Nachteile piezoelektrischer Antriebe, Hysterese und Kriechen, wer-
den durch einen geregelten Betrieb des Piezotranslators ausgeglichen. Dabei ist ein
an der Außenseite des Piezoaktors angebrachter Dehnungssensor mit einer Regel-
elektronik verbunden, welche die Dehnung des Piezoaktors linearisiert und Kriech-
kontraktionen ausgleicht. Die Dehnungsrichtung des Piezotranslators liegt auf der
Gravitationsachse. Dadurch sind keine Führungen notwendig, um das Eigenge-
wicht des Piezokörpers auszugleichen. Die Stellbewegung erfolgt reibungsfrei aus
einem Festkörper heraus und ermöglicht so hohe Auflösungen der Kraftmessung.
Für die hochauflösende Kraftmessung wurde ein empfindlicher Siliziumbalken-
kraftsensor, der sich zwischen Piezo und Probe befindet, ausgewählt. Der kleinste
Kraftsensor hat einen Messbereich von 500 mN und einen Nennmessweg von
1mm/N, welcher die Steifigkeit der Apparatur ungünstig beeinflusst. Um Quer-
kräfte zu minimieren, wurde der Aufbau kompakt gehalten. Diese kompakte Auf-
bauweise minimiert auch das Problem von temperaturbedingten Dehnungen in den
belastungsrelevanten Komponenten der Vorrichtung.
7.5 Realisierungen von Prüfmaschinen für miniaturisierte Proben 337

Das größte Problem für den konzipierten Versuchsaufbau stellte jedoch die Rea-
lisierung einer hochauflösenden Verschiebungsmessung dar. Um den Anforderun-
gen an die Auflösung zu genügen, wurde eine optische Lösung über ein Laserinter-
ferometer favorisiert. Ob die grundlegend sehr hohen Auflösungen, welche mit
einem Laserinterferometer erreicht werden können, tatsächlich in einem prakti-
schen Versuchsaufbau umgesetzt werden können, hängt im Wesentlichen davon
ab, inwiefern es gelingt, Fehler der Wegmessung, welche durch Wärmedehnungen
im Strahlengang des Interferometers entstehen, effektiv zu unterdrücken. Dazu
wurde im Versuchsaufbau eine symmetrische Anordnung eines Zweistrahlinterfer-
meters genutzt, welche alle thermischen Ausdehnungen kompensieren soll
(Abb. 7.23, Abb. 7.24). Der Hintergrund dieses Konzeptionsansatzes resultiert aus

Lichtleitkabel Prisma Lichtleitkabel

90°
Laserkopf 1 Laserkopf 2

Messstrahl Referenzstrahl

Probekörper
Int
Si-Chip

Si-Chip

erf r
ero ete
me fe rom
ter
a a Inter

Abb. 7.23 Symmetrische Anordnung des Laserinterferometers zur Kompensation von thermi-
schen Fehldehnungen des Rahmens [12]

dem unzureichenden Regelverhalten von Temperiereinrichtungen und der Verwen-


dung bestimmter Konstruktionsmaterialien. Thermostate sind zwar im einge-
schwungenen Zustand in der Lage, eine Temperierung mit einem Regelintervall
von einigen mK zu gewährleisten. Dies gilt allerdings nur für günstige Umge-
bungsbedingungen. Bei härteren Anforderungen, d. h. hohen Unterschieden zwi-
schen einer konstant zu haltenden Innen- und einer stark schwankenden Umge-
bungstemperatur, oszillieren Thermostate mit Amplituden von ca. 0,1 K. Derartige
Temperaturschwankungen würden sich gravierend auf die Genauigkeit der Mess-
apparatur auswirken, d. h., ein Konzeptionsansatz, der eine hohe Temperaturkon-
stanz zur Bedingung hat, ist nicht brauchbar. Auch die Idee der Verwendung von
Konstruktionswerkstoffen mit geringen thermischen Ausdehnungskoeffizienten
[9], wie z.B. Invar oder Quarzglas, liefert keinen Ausweg aus der Temperaturaus-
dehnungsproblematik, da unverzichtbare feinmechanische Konstruktionskompo-
nenten wie Verschiebetische in der Regel aus Aluminium (αAl = 23ppm/K), in
Sonderfällen aus Stahl (αStahl = 11ppm/K) gefertigt sind. Bedenkt man, dass die
Ausdehnung einer um 16 mm herausgedrehten Aluminiumspindel eines Verschie-
betisches bei einer Temperaturerhöhung von 24 mK bereits das für die Messung
des E-Moduls notwendige Genauigkeitsintervall der Wegmessung von 8 nm [12]
338 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

überschreitet, wird klar, dass das Konzept der Thermostatierung unzureichend für
den geplanten Versuchsaufbau ist. Daher wurde zur Lösung dieser Problematik ein
Konzept gewählt, welches auf der Konstanz eines Temperaturfeldes basiert. Diese
scheint wesentlich einfacher realisierbar zu sein, da für den Fall günstiger Umge-
bungsbedingungen (d.h. geringe Unterschiede zwischen Kammer- und Umge-
bungstemperatur) das durch die thermostatierte Flüssigkeit aufgebaute Tempera-
turfeld einen geringen Gradienten aufweist (z.B. Tmin = 29,995°C,
Tmax = 30,005°C) und dadurch auch eine starke Oszillation des Feldes zu nur
geringen Temperaturdehnungen führt. Im Fall ungünstiger Umgebungsbedingun-
gen (d. h. große Unterschiede zwischen Kammer- und Umgebungstemperatur) hat
der höhere Temperaturgradient des sich aufbauenden Feldes (z.B. Tmin = 99,95 K,
Tmax = 100,05°C) insofern geringe Auswirkungen auf den Verlauf der Abkühlung,
da auch der Unterschied zwischen Innen- und Umgebungstemperatur hoch ist und
es damit nur zu einer geringen Oszillation des Feldes kommt.
Im praktischen Versuchsaufbau kam ein Laserinterferometer der Fa. Polytec mit
der Typenbezeichnung OVF 502 zum Einsatz. In ihm wird ein HeNe-Gaslaser mit
einer Wellenlänge von 633 nm verwandt. Die beiden miteinander interferierenden
Strahlen werden über ein Glasfaserkabel aus dem Lasermodul zu einem Strahlteiler
geleitet und dort auf zwei Glasfaserkabel aufgeteilt, an deren Enden sich Linsen
befinden, um den Strahl auf das Objekt zu fokussieren. In dem in einer symmetri-
schen Form erfolgten Aufbau (Abb. 7.23, Abb. 7.24) sind die beiden Enden, an
denen die Laserstrahlen aus den Glasfaserkabeln austreten, in gleichem Abstand
von einem Prisma auf Positionierungsmanipulatoren montiert, welche über jeweils
2 Freiheitsgrade der Translation und Rotation verfügen. Das Prisma dient dazu, die
beiden Laserstrahlen in einem Abstand von ca. 500mm parallel auszurichten,
sodass sie die Seitenkantenflächen der beiden Siliziumchips des Probekörpers mit-
tig abtasten. Das Prisma ist in einer Rotations- und einer Transversionsachse mani-
pulierbar. Hierdurch können Fehlwinkel der Seitenkanten der Siliziumchips, wel-
che beim Sägen entstehen, ausgeglichen und der Abstand der beiden Strahlen
zueinander eingestellt werden. Die Probe ist in einer Transversionsachse ver-
schiebbar, sodass der Abstand zwischen Probe und Prisma so klein wie möglich
gehalten werden kann, da durch die Fokussierung der Laserstrahlen die Lichtfleck-
größe an den Prismenkatheten mit größerem Abstand wächst, wodurch nicht mehr
der gesamte Strahl reflektiert werden würde. Durch die Abtastung der Seitenkanten
der Siliziumchips des Probekörpers wird zwar die Frage nach der Steifigkeit der
Einspannung für die Genauigkeit der Wegmessung unerheblich, auf der anderen
Seite gibt jedoch diese Realisierungsvariante der Wegmessung eine wichtige
Randbedingung für die Einspannung vor. Diese darf die oberen Seitenkanten der
Siliziumchips des Probekörpers nicht verdecken.
Zur Temperierung ist der gesamte Versuchsaufbau in eine doppelwandige Kam-
mer, welche von einer thermostatierten Flüssigkeit durchströmt wird, eingelassen,
wodurch ein konstantes Temperaturfeld um die Apparatur aufgebaut werden kann.
Diese mittelbare Temperierung der Apparatur über eine bewegte Flüssigkeit soll
Temperaturfeldverschiebungen innerhalb der Kammer gering halten. Bei direkten
7.5 Realisierungen von Prüfmaschinen für miniaturisierte Proben 339

Temperierungen, wie z. B. dem Beheizen des Kammermantels oder einer Konvek-


tionsheizung innerhalb der Kammer, würden sich alle Regelvorgänge unmittelbar
auswirken und damit stärkere Oszillationen des Temperaturfeldes provozieren.
Durch die großflächige Temperierung aller Mess- und Steuerinstrumente innerhalb
der Temperaturkammer des Versuchsaufbaus ergibt sich jedoch eine Einschrän-
kung der Versuchstemperaturen auf einen Bereich von T = 5°C ... 50°C [12].

a)

b)

Abb. 7.24 Versuchsaufbau in der Ansicht von a) oben und b) von der Seite
340 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

Aufgrund der Empfindlichkeit des Probekörpers besteht die Forderung nach


einer belastungsarmen Einspannung. Beide Forderungen wurden durch die Ver-
wendung einer stoffschlüssigen Einspannung mit Epoxidharz erfüllt. Hierbei wird
die Eigenschaft des Harzes ausgenutzt, während des Klebeprozesses zuerst einen
sehr niederviskosen Zustand einzunehmen und dann zu einer sehr spröden Verbin-
dung auszuhärten. Durch die Kapillarwirkung füllt das Epoxidharz in seiner nie-
derviskosen Phase den gesamten Spalt zwischen einer Chiprückseite des Probekör-
pers und einer Kontaktfläche eines Einspannbolzens, ohne dabei signifikante
Kräfte auf den Probekörper auszuüben. Das Fehlen einer Kapillarwirkung an den
Seitenkanten des Siliziumchips verhindert, dass diese vom Harz benetzt werden.
Legt man für das Epoxidharz im ausgehärteten Zustand einen E-Modul von EEpoxy
= 10-2 ESnAg3.5 zugrunde, so wird klar, dass durch diese Art der Einspannung eine
hohe Steifigkeit gewährleistet wird, was für die Genauigkeit der Wegstellung von
erheblicher Bedeutung ist.

7.5.3.3 Deformationseinrichtung für kleinvolumige Lotkontakte

Mit der in 7.5.3.2 beschriebenen Vorrichtung ist es gelungen, mit einer zu Ver-
formungsversuchen an Bulk-Probekörpern in Standardprüfmaschinen vergleichba-
ren Genauigkeit Deformationsexperimente an kleinstvolumigen Flip-Chip-Kontak-
ten durchzuführen, um somit exakte Konstitutivmodelle für das Lotmaterial in
– 12 3
diesen Volumina ( V ≈ 1 ⋅ 10 m ) bestimmen zu können. Der hohen Genauigkeit
dieser Versuchseinrichtung steht jedoch prinzipbedingt der Nachteil eines begrenz-
ten Temperaturbereiches (5 °C ... 50 °C) gegenüber, welcher zu gewissen Ein-
schränkungen bei der wissenschaftlichen Interpretation von Versuchsergebnissen
führte. Deshalb bestand ein Ziel der Weiterentwicklung des in 7.5.3.2 vorgestellten
Prüfmaschinenkonzeptes in der Erweiterung des Temperaturbereichs der vorhan-
denen Versuchseinrichtung. Zunächst wurden zwei Versuche unternommen, eine
Temperaturkammer in den vorhandenen Versuchsaufbau einzupassen. Dabei
zeigte sich, dass es grundsätzlich nicht möglich ist, auf sehr begrenztem Raum eine
entsprechende thermische Isolierung mit einer mechanisch sehr steifen Kopplung
zu realisieren. Aus diesen beiden Versuchen wurde jedoch auch deutlich, dass es
einen konzeptionellen Fehler für diesen Aufbau gibt. Die hohe Steifigkeit der bis-
herigen Apparatur führt bei Inhomogenitäten der Temperaturverteilung, die beim
Aufheizvorgang in der Apparatur entstehen, zu Dehnungen, die eine Zerstörung
der Proben vor Versuchsbeginn bewirken. Aus diesem Grund wurde eine grundle-
gende Neukonzeption des Aufbaus vorgesehen, welche einen sehr weichen Kraft-
sensor verwendet, um das Problem der temporären Dehnungen während der Auf-
heizphase zu umgehen. Der Sensorbereich des Kraftsensors besteht aus vier
Festkörpergelenken, deren Biegesteifigkeit durch ihre geometrische Auslegung
bestimmt wird. Eine gezielte Einstellung einer bestimmten Sensorsteifigkeit fand
durch eine Dimensionierung der Sensorgeometrie über FEM-Rechnungen statt, bei
7.5 Realisierungen von Prüfmaschinen für miniaturisierte Proben 341

der gleichzeitig eine gewünschte Quersteifigkeit Eingang in die Berechnungen


fand. Hierzu wurde ein Steifigkeitsverhältnis kQuer : kZug von 10:1 festgelegt. Ins-
gesamt wurden vier verschiedene Kraftsensoren im Kraftbereich von
10 N ... 100 N mit Steifigkeiten von 35 N/m ... 613 N/m konzipiert [508].
Die starke Herabsetzung der Maschinensteifigkeit zog auch Änderungen im
Stellkonzept und im Gesamtaufbau nach sich. Zusätzliche Auswirkungen auf die
Prüfmaschinenkonzeption hatte die sich verändernde Forschungssituation Mitte
der 2000er Jahre. Zum einen bewegte sich das Interesse von dem bisher verwende-
ten SnPb-Lot hin zu bleifreien Legierungen - vor allem SnAg- und SnAgCu-
Systeme - zum anderen gewannen neue flächenkontaktierbare Bauelementetypen,
wie BGA, FBGA, CSP (vgl. 2.3.3.3), immer mehr an Bedeutung, sodass sich
zuverlässigkeitsrelevante Fragestellungen zunehmend auf Lotkugeln mit Durch-
messern zwischen 300 μm und 500 μm bezogen.
Im Konzept der neuen Prüfeinrichtung (Abb. 7.25) wurde ein vertikal angeord-
neter Schrittmotorverschiebetisch als Antriebseinheit verwendet. Der Schrittmotor
weist einen Schrittwinkel von 0,9° und ein Haltemoment von 106 Ncm auf. Die
Umsetzung der Dreh- in eine Linearbewegung erfolgte über eine spielfreie M6x0,5
Kugelumlaufspindel, sodass im Vollschritt ein Verschiebungsinkrement von 1,25
μm entsteht, welches durch Verwendung einer 1/8 Schrittsteuerung auf 156 nm
herabgesetzt werden kann. Ein speziell gestalteter Kraftsensor mit Lastbereichen
von 20 N, 50 N und 100 N ist direkt an die Schrittmotoreinheit gekoppelt. Er ver-
fügt über eine hohe Steifheit in x, y-Richtung sowie eine an die Messaufgabe ange-
passte Nachgiebigkeit in z-Richtung. In ersten Testversuchen stellte sich heraus,
dass mit der Steifheit des Sensors in x, y-Richtung noch keine ausreichende Füh-
rungsgenauigkeit für eine gezielte z-Bewegung der oberen Probeneinspannung am
anderen Ende des Kraftsensors erreicht werden konnte. Aus diesem Grund wird die
obere Probeneinspannung zusätzlich durch eine Lineareinheit in z-Richtung
geführt. Im Fuß der Prüfmaschine befindet sich ein x-y-Verschiebetisch mit Arre-
tierungsschrauben, auf welchem die untere Probeneinspannung befestigt ist. Der x-
y-Tisch dient dazu, die Einspannungen in Abhängigkeit von der Geometrie der
Probe gegeneinander auszurichten. Nachdem der Einspannvorgang erfolgt ist, wird
die untere Einspanneinheit mit den Arretierungsschrauben festgezogen, sodass die
Nachgiebigkeit der Einspannung minimiert wird. In Abb. 7.25 ist das Konzept der
Versuchseinrichtung schematisch dargestellt.
Die Probe wird zwischen zwei in den Einspannungen klemmenden Al2O3-Dick-
schichtkeramikplättchen festgeklebt. Auf diesen Keramikplättchen befinden sich
Dickschichtheizer mit einer PT 1000 Rückkoppelstruktur, um eine definierte Ver-
suchstemperatur an der Probe einzustellen. Laserbohrungen in den Keramikplätt-
chen dienen zur Temperaturisolation zwischen der Probenzone und der Einspann-
zone (Abb. 7.26). Wie Thermografieaufnahmen der beheizbaren
Keramikplättcheneinspannung zeigten, ergibt sich eine homogene Temperaturver-
teilung über dem Überlappungsbereich der beiden Keramikplättchen, in welchen
die Probe eingeklebt ist. Zur Temperaturregelung ist ein PT 1000-Temperatursen-
sor direkt auf den Dickschichtheizer aufgebracht. Aufgrund der geringen thermi-
342 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

A: Dickschichtkeramik-Probenhalter mit
Heizelementen

B: x-y-Probenpositioniertisch

C: LVDT-Verschiebungsmessung

D: Kraftmesssensor

E: Verschiebetisch mit Feingewindespindel

F: Schrittmotorantrieb

H: Rahmen

Abb. 7.25 Deformationsprüfvorrichtung für kleinvolumige Lotproben [508]


7.5 Realisierungen von Prüfmaschinen für miniaturisierte Proben 343

a) b)

Abb. 7.26 Al2O3-Keramikplättchen zur Probeneinspannung - durch auf den Keramiken befind-
liche Dickschichtheizer kann die Versuchstemperatur an der Probe eingestellt werden: a) Keramik-
plättchenverbund mit eingespannter Probe und Einzelkeramikplättchen, b) durch Thermografie
ermittelte Temperaturverteilung entlang des Dickschichtheizers für T = 30 °C, 75 °C [508]

schen Masse der Keramikplättchen ist eine gute Kopplung des Temperatursensors
an den Dickschichtheizer sowie eine schnelle Analogregelung erforderlich. Im
praktischen Aufbau zeigte sich, dass das Oszillieren des Heizers auf eine Ampli-
tude von ± 0,2 K für T ≤ 125°C beschränkt bleibt, wodurch sich durch die Kera-
mikplättcheneinspannung eine sehr brauchbare Miniaturtemperaturkammer für die
angestrebten Versuche realisieren lässt.
Zur Verschiebungsmessung kommen LVDT-Sensoren mit einem Messbereich
von 1 mm zum Einsatz, welche über eine Auswertelektronik auf der Basis eines
AD596-Schaltkreises und einer Analog/Digital-Wandlerkarte (12 bit) bei einem
Abtastintervall von 1 ms eine Auflösung von 70 nm sowie eine Genauigkeit von
340 nm erreichen. Gegenüber der in 7.5.3.2 vorgestellten Vorrichtung ergeben
sich durch die Begrenzungen des Wegmesssystems auch unter Berücksichtigung
der etwas größeren Probenvolumina signifikant schlechtere Möglichkeiten, hoch-
genaue Messungen durchzuführen [508].

7.5.3.4 Deformationseinrichtung für Elektronenmikroskop

Einer der Nachteile der bisher beschriebenen Deformationseinrichtungen ist die


fehlende Beobachtbarkeit der Probe während des Experiments. Deshalb wurde ein
Konzept für eine Versuchseinrichtung entwickelt, welche sehr kompakt aufgebaut
ist, sodass die in einer räumlich begrenzten Vakuumkammer eines Rasterelektro-
nenmikroskops Platz findet. Die Konzeption ist schematisch in Abb. 7.27 darge-
stellt.
344 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

Einspannvorrichtung Kraftsensor Festkörpergelenk Probekörper

Gehäuse

Piezo Tisch LVDT Einspannvorrichtung Tisch

a) b)

c) d)

Abb. 7.27 a, b) Konzept für kompakte Deformationseinrichtung zur Benutzung in der Vakuum-
kammer eines Rasterelektronenmikroskopes, c) Prüfeinrichtung auf dem Positioniertisch eines
Tesla BS 301, d) Prüfeinrichtung in vergrößerter Darstellung

Als Stellantrieb findet ein P-780 System der Fa. Physik Instrumente Verwen-
dung. Hierbei handelt es sich um einen wegübersetzten Piezotranslator, der in ein
Führungssystem aus Festkörpergelenken integriert ist. Diese drahterodierten
Gelenke ermöglichen eine hohe Führungsgenauigkeit, ohne dass Reibungskräfte
auftreten. Die Notwendigkeit zur Führung ergibt sich aus dem kompakten Aufbau
der Apparatur, bei dem nicht mehr alle Apparaturkomponenten in einer Verschie-
bungsachse angeordnet werden können. Die Verschiebungsmessung erfolgt durch
mechanische Ankopplung eines LVDT-Sensors an das Einspannwerkzeug. Die
Kraftmessung erfolgt über einen piezoresistiven Siliziumbiegebalkensensor, der
jedoch vakuumtauglich ist. In der Apparatur findet auch eine symmetrische Anord-
nung zweier Probekörper Anwendung, um Querkräfte zu minimieren. Die Verän-
derungen beim Verschiebungsmesssystem und die Anordnung der einzelnen Appa-
raturkomponenten in verschiedenen Achsen der Verschiebungsrichtung
verschlechtern die Auflösung der Verschiebungs- und Kraftmessung um den Fak-
tor 10. Hinzu kommt die fehlende Thermostatierung der Apparatur. Insgesamt
kann für die Absicht der begleitenden Beobachtung jedoch von einer ausreichen-
7.5 Realisierungen von Prüfmaschinen für miniaturisierte Proben 345

den Genauigkeit der Apparatur gesprochen werden. In Abb. 7.27 ist das Prinzip der
Versuchseinrichtung grob skizziert [12].

7.5.3.5 Ermüdungseinrichtung für kleinstvolumige Lotkontakte

Obwohl es mit den in 7.5.3.2 und 7.5.3.4 beschriebenen Versuchseinrichtungen


prinzipiell möglich ist, auch Ermüdungsexperimente durchzuführen, ergibt sich
durch die lange Dauer der Experimente das Problem, dass die Prüfmaschinen für
lange Zeit nicht für andere Messaufgaben zu Verfügung ständen. Demgegenüber
stehen geringere Anforderungen an die Genauigkeit von Weg- und Kraftmessung
beim Ermüdungsversuch. Ausgehend von diesen Grundüberlegungen wurde nach
einer Konzeption gesucht, die einen vergleichsweise unaufwendigen Aufbau
besitzt und gleichzeitig gut an die Erfordernisse von Ermüdungsexperimenten
angepasst ist. In der Frage des Antriebselementes wurde ein Piezotranslator
anstelle eines motorischen Antriebs gewählt, da der Piezotranslator in der Lage,
beliebig kleine Verschiebungen zu erzeugen. Dadurch kann ein harter Kraftsensor
verwendet werden, was insgesamt zu einer sehr steifen Charakteristik der Prüfma-
schine führt, wodurch es möglich ist, sehr genaue Verläufe bei Lastwechseln zu
erzeugen. Schrittmotorantriebe erzeugen im Betrieb verhältnismäßig starke Vibra-
tionen, wodurch sich die Notwendigkeit ergibt, diese mit einem weichen Kraftsen-
sor zu kombinieren, um die Vibrationswirkung auf die Probe zu minimieren. Durch
den weichen Kraftsensor ist es jedoch nicht möglich, sehr exakte bzw. sehr
schnelle Lastwechsel an der Probe durchzuführen. Gleichstrommotoren laufen
zwar vibrationsfrei, jedoch verhindert die Trägheit des Rotors und gegebenenfalls
das Spiel des Untersetzungsgetriebes das Durchführen schneller Lastwechsel.
Anders als beim in 7.5.3.2 beschriebenen Aufbau wurde anstelle des Niederspan-
nungspiezotranslators (LVPZT) ein Hochspannungspiezotranslator (HVPZT) ein-
gesetzt. Zwar besitzt ein LVPZT eine geringere Temperaturabhängigkeit des Pie-
zoeffektes und einen kleineren thermischen Ausdehnungskoeffizienten als ein
HVPZT. Jedoch lässt sich Letzterer in einem Temperaturbereich bis 150 °C einset-
zen, während der LVPZT nur bis 80 °C arbeitet, wodurch es möglich ist, auch bei
höheren Temperaturen Untersuchungen durchführen zu können [12].
Zur Verschiebungsmessung wurde anstelle des Laserinterferometers ein kapazi-
tives Verfahren eingesetzt, welches die in 7.3.2.4 beschriebenen Nachteile besitzt,
sich aber ebenfalls in einem Temperaturbereich bis 150°C einsetzen lässt. Das
Gewicht des Wegmesskondensators wurde durch Montage in Gravitationsrichtung
lagerfrei vom Kraftsenor aufgenommen. Es war infolgedessen notwendig, einen
Kraftsensor mit einem höheren Messbereich (50 N) zu wählen, wodurch es zur
Verminderung der Auflösung der Kraftmessung kommt. Durch die Verwendung
des beschriebenen Antriebs- und Wegmesskonzeptes kommt es zu einer Vermin-
derung der Auflösung gegenüber der in 7.5.3.2 beschriebenen Deformationsein-
richtung um etwa Faktor 5. Zwar ist der kapazitive Sensor grundsätzlich in der
Lage, mit den gleichen Auflösungen wie das Laserinterferometer Verschiebungen
346 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

Justiereinheit kapazitiver
Sensor
FC-Probe 2 FC-Probe 1

Kraft-
sensor

Rahmen

Fuß
Einspannrahmen

Piezotranslator

a) b)

Abb. 7.28 a) Konzept für Ermüdungseinrichtung, b) Prüfeinrichtung mit geöffneter Thermo-


kammer [12]

zu messen, jedoch muss der kapazitive Wegmesssensor vor jeder Messung neu
kalibriert werden. Dazu wird vor dem Experiment eine Referenzmessung mit dem
im Piezotranslator enthaltenen Dehnmessstreifen durchgeführt. Hierdurch sinkt die
minimale Auflösung auf Δs = 40nm. Die in der Praxis erreichten Auflösungen lie-
gen bei Δs = 100nm und ΔF = 24 mN. Für die Charakterisierung des Ermüdungs-
verhaltens sind diese Auflösungen allerdings ausreichend [12]. Das Gesamtkon-
zept der Ermüdungseinrichtung ist in Abb. 7.28 skizziert.

7.5.4 Ring-Pin-Prüfmaschinen für Lot in Durchkontaktierungen

7.5.4.1 Versuchsmethodischer Hintergrund

Aufgrund des viskosen Fließens organischer Leiterplattenmaterialien eignen


sich diese nicht als Probekörpersubstrate für die in 7.4.4.3 beschriebenen Probekör-
per, wenn sie für die in 7.5.3 aufgeführten Versuchseinrichtungen verwendet wer-
den sollen. Bei Verwendung harter Substrate, wie Si oder Al2O3, ist es jedoch frag-
lich, ob die Wirkung der Metallisierungen, wie sie auf Leiterplatten vorkommt,
tatsächlich berücksichtigt wird. Eine Möglichkeit, dieses Problem zu umgehen,
7.5 Realisierungen von Prüfmaschinen für miniaturisierte Proben 347

besteht darin, die Verformungsreaktion eines dünnen Lotspalts, der sich zwischen
einem Metallpin und der Metallisierung einer Durchkontaktierung in der Leiter-
platte bildet, zu untersuchen. Im Gegensatz zu den auf der Oberfläche befindlichen
Kontaktflächen sind die Durchkontaktierungshülsen sehr stark mit dem Glasfaser-
vlies im Kern der Leiterplatte verankert. Hierdurch kann es nicht zu starken vis-
koelastischen Verformungen des Harzes kommen, die unterhalb der auf der Leiter-
plattenoberseite befindlichen Kontaktflächen sehr leicht zustande kommen [508].
Aufgrund ihres einfachen Prinzips werden Ring-Pin-Probekörper in Durchkontak-
tierungen von Leiterplatten sehr häufig zur Bestimmung der Kriechfestigkeit über
die Larson-Miller-Zeitkonstante, d. h. die Zeit bis zum letalen Kriechbruch, einge-
setzt [522]. Gegenüber diesen Versuchen ist für die Bestimmung des zeitabhängi-
gen Verformungsverhaltens des Lotes im Spalt zwischen Anschlusspin und Durch-
kontaktierungshülse jedoch die Realisierung einer genauen Verschiebungsmessung
erforderlich.

7.5.4.2 Lastrahmen für Leiterplatten-Durchkontaktierungs-Probekörper

Ausgangspunkt für die Konzeption der nachfolgend beschriebenen Lastrahmen


war eine Probekörperform, bei der ein Kupferdraht in eine Durchkontaktierung
einer Leiterplatte eingelötet wurde (Abb. 7.29). Zum Einlöten wurde der Kupfer-
draht mithilfe einer Mikropositioniereinrichtung innerhalb der Durchkontaktierung
positioniert. Danach wurde Lotpaste auf der Oberseite dieser Verbindungsstelle
appliziert und die Lötung in einem Durchlaufofen durchgeführt. Dadurch entsteht
ein Probeköper, der ein ca. 35 mm langes Cu-Drahtende auf der Unterseite und
einen 2 mm kurzen Cu-Drahtstumpf auf der Oberseite besitzt.
Zur Bestimmung des Verformungsverhaltens des Lotes im Spalt sollte eine Ver-
suchseinrichtung konzipiert werden, welche es ermöglicht, das zeitabhängige Ver-
formungsverhalten genau zu bestimmen. Dazu sollen am unteren Ende des Cu-
Drahtes statische Gewichte angehangen werden und die Bewegung des Drahtes
durch die Leiterplatte messtechnisch erfasst werden. Bei der Messung der Relativ-
bewegung des mit einem Gewicht belasteten Kupferdrahtes gegenüber der Leiter-
platte muss sichergestellt werden, dass diese Messung nicht durch unerwünschte
Beiträge, wie z. B. die Verformung des Kupferdrahtes oder die Verbiegung der
Leiterplatte, verfälscht wird. Aus diesem Grund wurde die Leiterplatte zwischen
zwei 10 mm dicke Aluminiumplatten geklemmt, in denen sich eine konische Boh-
rung zur Durchführung des Kupferdrahtes befindet. Durch diese Klemmung der
Leiterplatte zwischen die starren Aluminiumplatten wird deren Formstabilität auch
bei höheren Temperaturen gewährleistet. Die Messung der Relativbewegung von
Leiterplatte zu Kupferdraht wird am unbelasteten oberen Ende des Kupferdrahtes
über einen inkrementellen optischen Wegaufnehmer (IKF 10, Fa. Feinmeß Suhl,
Auflösung 100 nm) vorgenommen. Dadurch wird sichergestellt, dass eine mögli-
che Verformung des Kupferdrahtes, wie sie am unteren, den Gewichten zugeneig-
ten Ende erfolgen könnte, nicht das Messergebnis verfälscht.
348 7 Experimentelle Untersuchungsmethoden

1,0 mm

2 mm
0,8 mm

1,5 mm
FR4-Träger

Kupfer
Nickel

35 mm
Gold
Lot
Kupferdraht

a) b)

c) d)

Abb. 7.29 a), b) Schema des Probekörpers und Querschliff des Probekörpers für Leiterplatten-
Kontakt, c) Versuchseinrichtung in Draufsicht mit Abtastung des oberen Drahtendes über einen
inkrementellen optischen Wegaufnehmer, d) Seitenansicht der Versuchsanordnung
8.1 Bewertung des Datenmaterials 349

8 Experimentelle Ergebnisse

8.1 Bewertung des Datenmaterials

Eine der Schwierigkeiten bei der Interpretation von Ergebnissen aus Verfor-
mungs- und Schädigungsversuchen besteht in der allgemeinen Neigung, experi-
mentell gewonnenen Erkenntnissen einen hohen Grad an Objektivität zuzuschrei-
ben. Hierbei wird sehr oft übersehen, dass diese Objektivität - bezogen auf ein
einzelnes Experiment - vollkommen gerechtfertigt wäre, dass es jedoch für die
Erfassung einer komplexen physikalischen Erscheinungsform, wie dem Verfor-
mungsverhalten von Werkstoffen, notwendig ist, ein aus vielen Einzelversuchen
bestehendes System von Experimenten durchzuführen. Hierbei besteht aufgrund
der großen Vielfalt möglicher Untersuchungsansätze das Bestreben, die Anzahl der
Versuche auf wesentliche Experimente zu beschränken. Die Auswahl der durchzu-
führenden Experimente - dabei kann es sich z. B. um die Festlegung von Versuchs-
temperaturen oder bestimmten Lastkräften handeln - wird von einer bestimmten
Erwartungshaltung beeinflusst, welche sich im günstigen Fall auf bestimmte theo-
retische Annahmen stützt, sich aber in vielen Fällen einfach aus willkürlichen Ent-
scheidungen ergibt oder aber durch Grenzen der Prüftechnik bestimmt wird.
Aus diesem Grund ist es wichtig, Experimentaldaten nie losgelöst vom System
der Einzelversuchsdurchführungen, von den Besonderheiten der Prüfkörper und
Versuchseinrichtungen sowie von den den Versuchen zugrunde liegenden Intentio-
nen der Materialcharakterisierung zu betrachten. Die Tatsache, dass die Bestim-
mung und die mit ihr verbundene Modellierung des Deformations- und Schädi-
gungsverhaltens von Werkstoffen der Aufbau- und Verbindungstechnik der
Elektronik eine stark interdisziplinäre Problematik und damit eine mehrere Berei-
che der Ingenieur- und Naturwissenschaften berührende Aufgabenstellung ist,
führt zwangsweise zu sehr unterschiedlichen Ansätzen bei der Planung von Versu-
chen. So kann die Untersuchung ein und desselben Werkstoffes in einer Untersu-
chung dadurch geleitet sein, einen bestimmten metallphysikalischen Effekt [24-26,
523] herauszuarbeiten, während eine andere Untersuchung darauf abzielt, anwen-
dungsrelevante Aspekte des Werkstoffes herauszuarbeiten [22, 23, 27, 28, 524].
Einfache Vergleiche des reinen Datenmaterials geben für die Betrachtung des
Werkstoffverhaltens - bezogen auf einen konkreten Anwendungsfall - kaum Auf-
schluss über die Spezifika der mit dieser Anwendung möglicherweise verbundenen
Besonderheiten - auch wenn das von einigen Autoren behauptet wird [524-526].
Ein wichtiges Anliegen des nachfolgenden Vergleiches eigener Experimental-
daten mit den in der Literatur beschriebenen ist es deshalb herauszufinden, weshalb
Unterschiede zu anderen Untersuchungen bestehen und welche Schlussfolgerun-
gen für die Beantwortung der gestellten Frage nach dem Größeneffekt daraus gezo-
gen werden können.
350 8 Experimentelle Ergebnisse

8.2 Einstoffsystem - Zinn

8.2.1 Auswahl des Datenmaterials

Reines Zinn lässt sich technologisch sehr schwer verarbeiten, wodurch es nicht
möglich ist, Probekörper mit kleinstvolumigen Lotkontakten herzustellen. Selbst
wenn es gelingen würde, solche Probekörper zu fertigen, würde durch die Reaktion
mit den entsprechenden Substratmetallisierungen kein Rein-Zinn-Lotkontakt, son-
dern immer ein Lotkontakt mit einer zinnbasierten Legierung entstehen. Aus die-
sem Grund erfolgt die Darstellung der werkstoffmechanischen Eigenschaften von
Zinn anhand von verschiedenen, in der Literatur beschriebenen Grundlagenunter-
suchungen, bei denen in der Regel makroskopische, idealisierte Probekörper ver-
wendet wurden. Ein Großteil dieser Untersuchungen ist älteren Datums, da Zinn
wegen der Besonderheiten seiner Gitterstruktur in jüngerer Zeit kaum untersucht
wurde. Es gibt jedoch eine Reihe neuerer Artikel, die das ältere Datenmaterial in
Zusammenhang mit jüngeren Untersuchungen neu verarbeitet haben [527-529].
Zinn existiert in zwei allotropischen Modifikationen - α -Zinn bzw. graues
Zinn, welches ein kubisches Diamantgitter ausbildet, β -Zinn bzw. weißes Zinn,
welches ein raumzentriertes tetragonales Gitter aufweist. Einige Publikationen
[530] gehen von einer dritten allotropischen Modifikation, einem γ -Zinn mit
einem rhombischen Gitter, aus. Letzteres hat wegen des in der Nähe des Schmelz-
punktes bei 202,8 °C stattfindenden β - γ -Übergangs für technische Anwendungen
keine Relevanz. Für die Temperatur des β - α -Übergangs existieren in der Litera-
tur Angaben zwischen 13,2 °C ... 18 °C [530-533]. Aufgrund der erheblichen
Dichteunterschiede zwischen den beiden Modifikationen führt diese als Zinnpest
bezeichnete Umwandlung in der Regel zum Auseinanderfallen des Materials.
Allerdings tritt diese Umwandlung in einer für technische Anwendungen relevan-
ten Geschwindigkeit nur bei sehr tiefen Temperaturen (-40°C [532]) und auch bloß
in hochreinem Zinn auf. Bereits kleine metallische Verunreinigungen, z. B. von
Bi, Cu, Pb oder Sb, unterdrücken die Transformation weitestgehend, sodass β -
Zinn die in den meisten technischen Anwendungen von Lotwerkstoffen vorherr-
schende Modifikation ist. Deshalb beziehen sich alle in den folgenden Abschnitten
dargestellten Daten für reines Zinn immer auf seine Erscheinungsform als β -Zinn.
Die Darstellung des werkstoffmechanischen Verhaltens von Zinn macht sich trotz
der fehlenden Anwendung erforderlich, da die in den Abschnitten 8.4 und 8.5
beschriebenen Legierungen aus einer β -Zinn-Matrix mit darin verteilten harten
intermetallischen Phasenteilchen bestehen, sodass ihre grundlegenden Eigenschaf-
ten der des β -Zinns entsprechen.
Die in ihrer grundsätzlichen Form bereits in Abb. 3.7 dargestellte und ausführ-
lich in Abb. 8.1 illustrierte raumzentrierte tetragonale Elementarzelle des β -Zinns
[555] besitzt zusätzlich zu seinen 8 Eckatomen vier weitere auf den Quaderflächen
befindliche Atome in den Positionen [0, 1/2, 3/4] und [1/2, 0, 1/4]. Durch ihre sehr
unterschiedlichen Kantenlängen a = 0, 582 nm und c = 0, 318 nm , d. h.
8.2 Einstoffsystem - Zinn 351

[001]
[101]

(101) [111]

(121)
(010)
[010]

[100]

Abb. 8.1 Elementarzelle von β -Zinn aus [555] mit üblichen Gleitsystemen

( c ⁄ a = 0, 546 ) , besitzt sie eine ausgesprochene Anisotropie ihrer grundlegenden


Eigenschaften, wie Elastizität oder thermische Ausdehnung. So ist der thermische
–6 –1
Ausdehnungskoeffizient in a-Richtung ( α = 15,4 ⋅ 10 ⋅ K ) nur etwa halb so
–6 –1
groß wie der in c-Richtung ( α = 30,5 ⋅ 10 ⋅ K ) , während der E-Modul in a-
Richtung ( E 20°C = 85 GPa ) bedeutend höher ist als in c-Richtung
( E 20°C = 54 GPa ) [529, 540]. Aus diesem Grund müssen die Eigenschaften von
Zinn immer auch in Relation zur kristallografischen Orientierung gesehen werden.

8.2.2 Elastische Eigenschaften

Für polykristallines Zinn befinden sich in der Literatur verschiedene Angaben


zum E-Modul. In Tabelle 8.1 befindet sich eine Auflistung verschiedener publi-
zierter Werte. Nicht immer geht aus den Quellen hervor, wie die Werte experimen-
tell bestimmt wurden. Es ist zu erkennen, dass die Werte für Raumtemperatur etwa

Tabelle 8.1 Elastizitätsmoduli von polykristallinem β -Sn

Material T [K] dε/dt [s-1] E [GPa] dE/dT Quelle


[MPa/K]

Sn 273 - 43,71 -113,02 [534]

Sn 0 - 76,09 -109 [38]

bei 40 GPa liegen. In Tabelle 8.2 sind neben dem Elastizitätsmodul ( E ) weitere
elastische Parameter, wie Schermodul ( G ) und Querkontraktionszahl ( ν ) , für
polykristallines Sn aufgeführt.
352 8 Experimentelle Ergebnisse

Tabelle 8.2 Elastische Parameter von reinem β -Sn bei Raumtemperatur

Material E ∂E ⁄ ∂T G ∂E ⁄ ∂T ν Bemerkung Quelle


[GPa] [GPa]
T T
[ GPa ] ⋅ ----- [ GPa ] ⋅ -----
Ts Ts

Sn 71,3 - 26,1 - 0,37 Ultraschall TUDa

Sn 51,8 -32,4 19 -12,6 Ultraschall [537]

Sn - - 17,3 - 0,36 - [535]

Sn 54 - 20,2 - 0,33 - [536]

a. Ultraschallmessungen wurden an der TU Dresden von M. Röllig und N. Gust an zylindrischen


Lotplättchen mit 3 mm Durchmesser und einer Dicke von 0,25 mm vorgenommen.

Wird reines Sn jedoch nicht als polykristalliner Körper, sondern als Einkristall
betrachtet, so ergeben sich entlang der verschiedenen kristallografischen Richtun-
gen (vgl. Abb. 8.1) die in Tabelle 8.3 aufgeführten Werte für den thermischen Aus-
dehnungskoeffizienten α und den Elastizitätsmodul E .

Tabelle 8.3 Thermischer Ausdehnungskoeffizient und Elastizitätsmodul für verschiedene kristal-


lografische Orientierungen eines β -Sn-Einkristalls aus [529]

Richtung (100) (101) (103) (001) (113) (112) (111) (110)

–6 –1
α [ 10 ⋅K ] 15,4 18,9 26,4 30,5 24,2 21,1 20,5 15,4

E [ GPa ] 54,1 48,1 55,8 84,7 42,3 34,8 25,5 26,3

Eine für kontinuumsmechanische Berechnungen nützliche Beschreibung des


anisotropen elastischen Verformungsverhaltens der β -Zinn-Elementarzelle ist
über elastische Konstanten zweiter Ordnung möglich. Da für die tetragonale Ele-
mentarzelle des β-Sn (vgl. 4.3.5) bestimmte Symmetrien existieren, keine Kopp-
lung zwischen Normaldehnungen und den Scherspannungen vorhanden ist und
Scherdehnungen in einer Ebene keine Scherspannungen in einer anderen hervorru-
fen, verringert sich die Zahl der unabhängigen elastischen Konstanten von 21 auf 6
Werte (vgl. 4.3.5), sodass anstelle der vollständigen Beschreibung eines generali-
sierten Hooke’schen Gesetzes für anisotrope Werkstoffe in den Gleichungen (4.31)
bis (4.36) zur Beschreibung des Zusammenhangs zwischen Spannungs- und Deh-
nungstensor für das tetragonale β-Sn folgende reduzierte Formulierung tritt [528]:
8.2 Einstoffsystem - Zinn 353

σ xx = C 11 ε xx + C 12 ε yy + C 13 ε zz (8.1)

σ yy = C 12 ε xx + C 11 ε yy + C 13 ε zz (8.2)

σ zz = C 13 ε xx + C 13 ε yy + C 33 ε zz (8.3)

τ yz = C 44 γ yz (8.4)

τ xz = C 44 γ xz (8.5)

τ xy = C 66 γ xy (8.6)

Für die entsprechenden elastischen Konstanten sind nur wenige ältere experi-
mentelle Untersuchungen [538] vorhanden, welche in Tabelle 8.4 einer neueren
theoretischen Berechnung dieser Werte gegenübergestellt sind.

Tabelle 8.4 Elastische Konstanten zweiter Ordnung für β -Sn in [GPa] aus theoretischen Berech-
nungen [539] und experimentellen Untersuchungen [538]

c 11 c 12 c 13 c 33 c 44 c 66 Quelle

73,5 44,2 40,7 103,0 38,3 42,8 [539]

73,5 23,4 28,0 87,0 22,0 22,65 [538]

8.2.3 Instantanplastische Verformung

Für die Beschreibung der Gleitung in β -Zinn existieren vor allem die in durch
Barett in den 50er Jahren in [540] aus verschiedenen noch älteren Veröffentlichun-
gen zusammengetragenen Werte für die notwendige resultierende Schubspannung
(engl. critical resolved shear stress, τ CRSS ) in einzelnen Gleitebenen, welche von
verschiedenen neueren Untersuchungen benutzt werden und in Tabelle 8.5 zusam-
mengefasst sind.
Die Schwierigkeit einer für den Gesamtzusammenhang der werkstoffmechani-
schen Reaktionen nützlichen Beschreibung der Niedertemperaturplastizität von rei-
nem Zinn besteht darin, dass dieses für den für die Niedertemperaturplastizität rele-
vanten Temperaturbereich ( T hom < 0,5 ⋅ T s ) als α -Zinn vorliegt, für die meisten
technischen Anwendungen jedoch seine Zustandsform als β -Zinn von Interesse
ist. Um die mit der Niedertemperaturplastizität verbundenen Mechanismen der
Gleitung (vgl. 5.2, 5.3) isoliert untersuchen zu können, wurden daher von verschie-
denen Autoren [550-552] Untersuchungen an einkristallinem β -Zinn vorgenom-
354 8 Experimentelle Ergebnisse

Tabelle 8.5 Notwendige resultierende Schubspannung, τ CRSS für verschiedene Gleitebenen und
Gleitrichtungen in β -Sn aus [540]

Gleitebene Gleitrichtung τ CRSS Temperatur Quelle


[ MPa ] [K]

( 100 ) [ 001 ] 1,863 293 [540]

( 110 ) [ 001 ] 1,275

( 101 ) [ 101 ] 1,569

( 121 ) [ 101 ] 1,667

men. Für β -Zinn wurde von verschiedenen Autoren eine nicht unbeträchtliche
Zahl verschiedener Gleitsysteme ausgemacht [541-550].
Trotz dieser hohen Anzahl von möglichen Gleitsystemen lässt sich die plasti-
sche Verformung des tetragonal raumzentrierten β -Zinns nicht mit der kubisch-
flächenzentrierter Metalle, z. B. Cu, Ag, und Pb, vergleichen, da die verschiedenen
aktiven Gleitsysteme kristallografisch nicht äquivalent sind. Hierdurch variiert die
plastische Verformungsreaktion in Abhängigkeit vom aktiven Gleitsystem und ist
gleichzeitig sehr stark von der Materialtemperatur, der initialen Versetzungsdichte
als auch dem Vorhandensein von Subkörnern abhängig [550, 551]. Verläuft die
Belastungsachse in [ 110 ] -Richtung, findet Gleitung in beiden ( 100 ) [ 010 ] -Syste-
men statt. Verläuft die Belastungsachse hingegen in [ 100 ] -Richtung, findet Glei-
tung auf den beiden ( 110 ) -Ebenen entlang der vier [ 111 ] -Richtungen statt. Glei-
che Beträge der Abgleitung in zwei [ 111 ] -Richtungen auf einer Ebene erzeugen
eine scheinbare Abgleitung in [ 110 ] -Richtung [552].
In den in [550] durchgeführten Untersuchungen wurde das Spannungs-Deh-
nungs-Verhalten von β -Zinn-Einkristallen entlang 3 verschiedener Belastungs-
richtungen zwischen 77 K und 435 K aufgenommen. Damit konnte die starke Tem-
peraturabhängigkeit der notwendigen Abgleitspannung des ( 110 ) 1--2- [ 111 ] -Systems
(ca. 11 MPa bei 160 K und ca. 50 kPa bei 435 K) gegenüber dem ( 110 ) [ 010 ] -
System gezeigt werden, welches im Temperaturbereich zwischen 320 K ... 380 K
eine konstante Abgleitspannung von ca. 210 kPa aufweist. In späteren Untersu-
chungen [551] wurde das Abgleitverhalten des ( 110 ) 1--2- [ 111 ] -Systems bei Dehnra-
–5 –1 –3 –1
ten zwischen 4 ⋅ 10 s ... 4 ⋅ 10 s und Temperaturen zwischen 200 K ...
500 K untersucht. Dabei wurden zwei Fließpunkte gefunden, wobei durch Korrela-
tion mit metallografischen Untersuchungen (Ätzgrübchen in der ( 001 ) -Ebene) der
erste Fließpunkt einer plötzlich einsetzenden Multiplikation von Versetzungen
zugeschrieben werden konnte (d. h. sein Auftreten ist von der initialen Verset-
zungsdichte abhängig), während der zweite offensichtlich aus der Ausbildung einer
Versetzungszellstruktur resultiert, welche allerdings im Verlauf weiterer Verfor-
mung wieder zerfällt. Unterhalb von 300 K liegt der erste Fließpunkt höher als der
zweite - oberhalb 300 K tritt eine Umkehrung dieses Verhaltens auf. Um einen
8.2 Einstoffsystem - Zinn 355

·
Zusammenhang zwischen den Fließpunkten τ , der Dehnrate γ und der Tempera-
tur T darzustellen, wurde in [551] der obere und untere Wert des zweiten Fließ-
punktes über Gleichung (8.7) mit den in Tabelle 8.6 aufgeführten Werten charakte-
risiert.

· A τ n Q
γ = --- ⋅ § ----· ⋅ exp § – -------· (8.7)
T © G¹ © RT¹

Tabelle 8.6 Werte für n und Q für den ersten und zweiten Fließpunkt aus [551]

Temperatur oberer Fließpunkt unterer Fließpunkt


[K]
n kJ n kJ
Q § ---------· Q § ---------·
© mol¹ © mol¹

200 - 250 4,2 48 - -

250 - 480 3,8 48 3,9 48

480 - 500 3,8 128 3,9 128

Wird der durch Nagasaka [551] an β -Zinn-Einkristallen charakterisierte


Zusammenhang zwischen den Fließpunkten τ der Spannungs-Dehnungs-Kurven
·
und der Dehnrate γ bzw. der Temperatur T zu den in 5.2.2.3 dargestellten Gleich-
ungen (5.23) und (5.28) zur Beschreibung der Versetzungskinetik bei hohen homo-
logen Temperaturen in Beziehung gesetzt, so zeigt sich, dass die ermittelte Verfor-
mungsreaktion der einer Kriechverformung entspricht, was sich unter
Berücksichtigung der hohen homologen Materialtemperaturen ( T > 0,4 ⋅ T s )
zunächst gut in den in 5.2.2 dargestellten theoretischen Rahmens einordnen ließe.
Allerdings darf hierbei nicht übersehen werden, dass die in [550, 551] beobachte-
ten Entwicklungen der Versetzungsstrukturen und der Verlauf der Spannungs-Deh-
nungs-Kurven sehr komplex sind und die in 5.4.1 dargestellte Unabhängigkeit von
der Versuchsart für die Ermittlung der Verformungsreaktion so nicht gegeben zu
sein scheint, obwohl es sich um ein reines Metall mit einer ausreichenden Anzahl
von Gleitsystemen handelt.

8.2.4 Kriechverhalten

Für die Beschreibung des Kriechverhaltens von reinem β -Zinn liegen Ergeb-
nisse aus verschiedenen Versuchen vor, welche ein weites Spektrum von Probekör-
perbeschaffenheiten und Versuchsmethodiken beinhalten. Hierbei wurden sowohl
polykristalline als auch einkristalline Proben aus reinem β -Zinn untersucht. Die
Korngrößen für die Untersuchungen an polykristallinem Zinn lagen in einem wei-
356 8 Experimentelle Ergebnisse

ten Spektrum, beginnend bei ca. 25 μm [559] bis hin zu 2 mm [562]. Für die Unter-
suchungen an einkristallinem Zinn wurden die Proben in verschiedenen kristallo-
grafischen Ebenen ([001], [100], [110]) gegenüber der Belastungsachse
ausgerichtet. Sowohl polykristalline als auch einkristalline Proben wurden über
verschiedene Versuchsmethoden - Zugversuch, Druckversuch und Eindruckver-
such - untersucht.
Im Ergebnis all dieser verschiedenen Variationen bei der Versuchsdurchführung
ergibt sich für das Kriechverhalten von reinem β -Zinn kein konsistentes Bild
bezüglich wichtiger, die Verformungsreaktion charakterisierender Parameter, wie
z. B. des Spannungsexponenten n oder der Aktivierungsenergie Q . Die aus ver-
schiedenen Publikationen entnommenen Ergebnisse zum Kriechverhalten von rei-
nem β -Zinn sind in Tabelle 8.7 und Tabelle 8.8 aufgelistet. Dazu wurden die cha-
rakteristischen Modellparameter der Gleichung (8.7), wie der Spannungsexponent
n und die Aktivierungsenergie Q , zusammen mit wichtigen Versuchsbedingun-
gen aufgeführt. Um die Werte untereinander vergleichbar zu machen, wurden die
Versuchsergebnisse gemäß der verwendeten Versuchstemperatur in eine der bei-
den Tabellen eingegliedert. Diese Unterteilung bezieht sich auf die in [563] gewon-
nenen Erkenntnisse, dass bei einer Temperatur von T ≈ 423 K ein Wechsel im
dominierenden Elementarmechanismus der Kriechverformung stattfindet, welcher
sich in verschiedenen Aktivierungsenergien oberhalb und unterhalb dieser Tempe-
ratur widerspiegelt.

8.3 Zweistoffsystem mit Mischkristallbildung - Zinn Blei

8.3.1 Auswahl des Datenmaterials

Für die eutektische Sn-Pb-Legierung existiert eine Vielzahl veröffentlichter


Untersuchungen, da sie unter den metallischen Legierungen eine Sonderstellung
einnimmt. Schon im Altertum wurden die Vorzüge des Sn-Pb-Eutektikums gegen-
über anderen metallischen Legierungen erkannt. Als Verbindungswerkstoff, z. B.
beim Bau von Aquädukten, hatte die Blei-Zinn-Legierung keine unwesentliche
Bedeutung für die technische Entwicklung in der Antike [564-566]. Auf dem Hin-
tergrund dieser weit in die Technikgeschichte zurückreichenden technologischen
Erfahrungen etablierte sich später die verbindungstechnische Materialkombination
Kupfer/Zinn-Blei auch als bevorzugte Variante für den Zusammenbau elektroni-
scher Geräte.
Die Mehrzahl der älteren Untersuchungen zum Sn-Pb-System betrifft jedoch
nicht seine Verwendung als Verbindungswerkstoff. Bis Anfang der 80er Jahre
befasst sich der Hauptteil der Untersuchungen zum Sn-Pb-System mit dem
Gesichtspunkt der superplastischen Verformung von Metallen. Hierfür war das
eutektische Sn-Pb-System besonders prädestiniert, da beide Phasen in etwa glei-
8.3 Zweistoffsystem mit Mischkristallbildung - Zinn Blei 357

Tabelle 8.7 In der Literatur angegebene Werte der Spannungsexponenten n und Aktivierungsen-
ergien Q (für den Bereich mittlerer Spannungen) zwischen Experimenten an erstarrten Lotprobe-
körpern für β -Zinn bei T < 423

n Q dε/dt σ T Bemerkung Quelle


[kJ/mol] [s-1] [MPa] [K]

3,8-4,2 48 10-5...10-2 0,1...50 200...500 [100], Zugversuch [551]

3,6-5,1 46 10-8...10-4 0,6...6 304...492 [110], Zugversuch [552]

12 46 - 0,7...13 293...373 polykristall., Zugversuch [554]

4,1-4,4 37 - 7,5...48 313...481 [001], Eindruckversuch [555]

3,9-4,5 42 - 7,5...48 313...481 [100], Eindruckversuch

4,7-5,0 39 - 7,5...48 313...481 [110], Eindruckversuch

6 36 10-8...10-1 2...78 296...448 hohe Spannung, [557]


polykristall., Zugversuch

8,6 73 10-8...10-1 2...78 296...448 niedrige Spannung,


polykristall., Zugversuch

7,6 60,3 10-8...10-3 2...15 296...423 polykristall., Zugversuch [558]

5,1 42 10-9...10-6 1,3...10 323...423 polykristallin, Eindruck- [559]


und Druckversuch

6 35 10-4...10-2 3...19 293...463 polykristallin [561]

6,6 - 10-9...10-4 0,03...2 402...495 hohe Spannung, [562]


polykristall., Zugversuch

chen Anteilen vorkamen, sodass Mechanismen der Kornvergröberung weitestge-


hend unterdrückt wurden.
Spätere Arbeiten wurden dann unter dem Aspekt der Bereitstellung von Werk-
stoffdaten für Simulationen bzw. Vorhersagen zum Ausfallverhalten von SnPb37-
Lotkontakten in elektronischen Aufbauten angefertigt. Bei der Betrachtung der
Veröffentlichungen, die sich direkt mit Vorhersagen zum Ausfall von Lotkontak-
ten aufgrund thermomechanischer Beanspruchung befassen, ist festzustellen, dass
einige Autoren Werkstoffdaten aus den weiter zurückliegenden Arbeiten zum
superplastischen Verhalten bezogen, während andere Daten aus jüngeren Untersu-
chungen bevorzugten [12]. Die unterschiedlichen Intentionen bei der Untersu-
chung des Kriechverhaltens zwischen den älteren Untersuchungen zu superplasti-
schen Eigenschaften und den jüngeren Untersuchungen zum Werkstoffverhalten
358 8 Experimentelle Ergebnisse

Tabelle 8.8 In der Literatur angegebene Werte der Spannungsexponenten n und Aktivierungsen-
ergien Q (für den Bereich mittlerer Spannungen) zwischen Experimenten an erstarrten Lotprobe-
körpern für β -Zinn bei T > 423

n Q dε/dt σ T Bemerkung Quelle


[kJ/mol] [s ] -1 [MPa] [K]

3,8-4,2 48 10-5...10-2 0,1...50 200...500 [100], Zugversuch [551]

3,6-5,1 92 10-8...10-4 0,6...6 304...492 [110], Zugversuch [552]

4,5 108 - 0,7...13 423...497 polykristall., Zugversuch [554]

4,1-4,4 37 - 7,5...48 313...481 [001], Eindruckversuch [555]

3,9-4,5 42 - 7,5...48 313...481 [100], Eindruckversuch

4,7-5,0 39 - 7,5...48 313...481 [110], Eindruckversuch

6 36 10-8...10-1 2...78 296...448 hohe Spannung, [557]


polykristall., Zugversuch

8,6 73 10-8...10-1 2...78 296...448 niedrige Spannung,


polykristall., Zugversuch

6,6 91 10-9...10-4 0,03...2 402...495 hohe Spannung, [562]


polykristall., Zugversuch

1 - 10-9...10-4 0,03...2 495 niedrige Spannung,


polykristall., Zugversuch

im Lotkontakt führen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen bei der Beschreibung


des Deformationsverhaltens [47-49].
Aufgrund der großen Menge der an Standardproben gewonnenen Literaturdaten
zum SnPb-System konzentrierten sich die eigenen Untersuchungen ausschließlich
auf Versuche an kleinstvolumigen Flip-Chip-Kontakten, deren Ziel es ist, einen
Vergleich zu den bis dahin publizierten, an kleinvolumigen Lotkontakten aus
eutektischem SnPb-Lot gewonnenen Werkstoffdaten zu erhalten, da viele der in
früheren Experimenten gewonnenen Daten über eine nicht immer geeignet schei-
nende Prüftechnik ermittelt wurden.
Für die Darstellung des Deformationsverhaltens der eutektischen Sn-Pb-Legie-
rung wurden aus der Vielzahl von Veröffentlichungen wichtige ausgewählt, wel-
che das ermittelte Verhalten in bestimmten Konstellationen von Prüfbedingungen
und Probenherstellung repräsentieren. Diese ausgewählte Darstellung erfolgt
jeweils mit Bezug zu den Randbedingungen der Untersuchung.
8.3 Zweistoffsystem mit Mischkristallbildung - Zinn Blei 359

8.3.2 Elastische Eigenschaften

Anders als bei einem Einstoffsystem ist für ein Zweistoffsystem nicht von einer
Anisotropie der elastischen Konstanten auszugehen, da es unwahrscheinlich ist,
dass kein polykristalliner Festkörper nach der Erstarrung entsteht. Wenn, wie beim
System Sn-Pb, in diesem Körper zwei Phasen mit stark unterschiedlichen E-
Moduli auftreten (ESn = 49,9 GPa1 [567], EPb =14 GPa2 [568]), besteht vielmehr
die Frage, welcher gemischte E-Modul sich durch die Anordnung der beiden Pha-
sen ergibt. Hierbei gibt es zwei Extremfälle. Auf der einen Seite kann sich der
Misch-E-Modul aus einer Parallelschaltung der elastischen Federn der beiden Pha-
sen ergeben, wobei cSn und cPb die Volumenanteile der reinen Metalle im Lot sind:

E SnPb = c Sn ⋅ E Sn + c Pb ⋅ E Pb , (8.8)

Demgegenüber ergibt sich der Misch-E-Modul bei einer Reihenschaltung der


elastischen Federn der beiden Phasen aus:

1 c Sn c Pb
- + --------- ,
-------------- = ------- (8.9)
E SnPb E Sn E Pb

wodurch sich für die eutektische Zusammensetzung der Wert des experimentell
bestimmten E-Modules zwischen einem Wert von 40,2 GPa und 29,4 GPa einstel-
len sollte [12, 47]. In Tabelle 8.9 befindet sich eine Auflistung verschiedener publi-
zierter Werte experimentell bestimmter E-Moduli für eutektisches SnPb-Lot unter
Angabe der wesentlichen Versuchsbedingungen. Es ist zu erkennen, dass für
Raumtemperatur nicht alle experimentell ermittelten Werte in dem Intervall liegen,
welches aus den theoretischen Modellen zur Einstellung eines Misch-E-Moduls
errechnet wurde. Hinzu kommt, dass sehr unterschiedliche Ergebnisse bezüglich
der Temperaturabhängigkeit des E-Moduls existieren. Während in [569] keine
Temperaturabhängigkeit des elastischen Verhaltens festgestellt werden konnte,
wird in [571] der Temperaturkoeffizient des E-Moduls mit -110,6 MPa/K angege-
ben, wodurch sich für den in [569] untersuchten Temperaturbereich von
ΔT = 160 K eine Änderung des E-Moduls von ΔE = 17,7 GPa ergeben müsste.
Diese sehr drastischen Unterschiede in den experimentellen Ergebnissen hängen
mit den in 4.3.1 beschriebenen Schwierigkeiten bei der E-Modul-Bestimmung im
Zugversuch zusammen.
Bei den später in 8.3.3.2 genauer beschriebenen Scherversuchen an Flip-Chip-
Proben wurde für den E-Modul von eutektischem SnPb-Lot ein Wert von E = 29,5

1. Anstelle des Sn-reichen Mischkristalls wurde der Wert von reinem Sn bei T = 293 K verwen-
det.
2. Anstelle des Pb-reichen Mischkristalls wurde der Wert von reinem Pb bei T = 293 K verwen-
det.
360 8 Experimentelle Ergebnisse

Tabelle 8.9 Elastizitätsmoduli von eutektischem SnPb-Lot

Legierung T [K] dε/dt [s-1] E [GPa] dE/dT Bemerkunga Quelle


[MPa/K]

60Sn-40Pb 298 dσ/dt = 38,6 ± 4 - Bulkzugprobe [38]


80 MPa/s (83 x 6,6 x 16 x mm3)
mit aufgeklebten
Dehnmessstreifen,

63Sn-37Pb 218 2.10-4 24,43 0 Bulkzugprobe [569]


2.10-3 24,87
297 2.10-4 22,69
2.10-3 24,97
378 2.10-4 24,94
2.10-3 23,99

60Sn-40Pb 303 10-3 10 - Bulkzugprobe [570]


(20 mm x 19,6 mm3)

63Sn-37Pb 300 2,78.10-1 31 -110,6 Bulkzugprobe [571]


(30 mm x 28,2 mm2)

63Sn-37Pb 300 0,017 16,7..20,6 - Bulkzugprobe [572]


0,00017 9,9...12,2 (25,4 x 9,1 x 8,6 mm3)

a. Angaben erfolgen für Proben mit rechteckigem Querschnitt in der Reihenfolge


Länge x Breite x Tiefe und für Proben mit rundem Querschnitt in der Reihenfolge
Länge x Querschnittsfläche.

GPa ermittelt, welcher konform zu den an Bulkproben ermittelten Werten ist, aller-
dings genau auf der unteren Grenze der theoretisch ermittelten Werte für einen
Misch-E-Modul liegt. Letzteres kann allerdings auch mit der inhomogenen Vertei-
lung der Phasen im Flip-Chip-Kontakt zu tun haben [12].
Alternativ zur E-Modul-Bestimmung über Verformungsversuche wurde dieser
auch durch Ultraschallmikroskopie untersucht. Als Probekörper dienten dabei
zylindrische Lotplättchen mit einer Dicke von 300 μm und einem Durchmesser
von 3 mm. Aus der Bestimmung der Signallaufzeit der Longitudinal- und Trans-
versalwellen konnten die elastischen Parameter Elastizitätsmodul ( E ) , Schermo-
dul ( G ) und Querkontraktionszahl ( ν ) bestimmt werden, welche in Tabelle 8.10
den Ergebnissen aus den Verformungsversuchen in [38] gegenübergestellt sind. Es
zeigt sich, dass der Wert für die rein elastische Verformung bei Ultraschallanre-
gung, d. h. der physikalische E-Modul, wesentlich höher ist als der technische E-
Modul aus den Verformungsmessungen (vgl. 4.3.1), welche offensichtlich durch
ein geringes Maß an Versetzungsbewegungen begleitet werden. Die Werte für die
Querkontraktion bleiben davon überraschenderweise unbeeinflusst.
8.3 Zweistoffsystem mit Mischkristallbildung - Zinn Blei 361

Tabelle 8.10 Elastische Parameter von eutektischem SnPb-Lot bei Raumtemperatur

Legierung E [GPa] G [GPa] ν Bemerkung Quelle

63Sn-37Pb 52,4 19,5 0,35 Ultraschallmessung TUDa

60Sn-40Pb 38,6 14,4 0,36 Bulkprobe [38]

Sn - 17,3 0,36 - [535]

Sn 54 20,2 0,33 - [536]

Pb - 6,2 0,45 - [535]

Pb 19,6 7,8 0,44 - [536]

a. Ultraschallmessungen wurden an der TU Dresden von M. Röllig und N. Gust an zylindrischen


Lotplättchen mit 3 mm Durchmesser und einer Dicke von 0,25 mm vorgenommen.

8.3.3 Instantanplastische Verformung

8.3.3.1 Untersuchungen an Bulkproben

Zur exakten Bestimmung der Fließspannung, d. h. zur klaren Trennung von


Mechanismen der Nieder- und Hochtemperaturplastizität (vgl. 5.2.2), wären Expe-
rimente unterhalb einer homologen Temperatur von 0,4 Ts (-90 °C) erforderlich.
Allerdings bezieht sich der überwiegende Teil der publizierten Versuche zum
instantanplastischen Verhalten von SnPb37-Lot auf Experimente bei Raumtempe-
ratur bzw. höheren Temperaturen, weil diese gleichzeitig die relevanten Betriebs-
temperaturen für Lotverbindungen sind. Die Charakterisierung des instantanplasti-
schen Verhaltens bei Raumtemperatur ist insofern kritisch zu betrachten, als dass
das ermittelte Verhalten sehr stark von den gewählten Versuchsbedingungen
abhängig ist. Vor allem die Verformungsgeschwindigkeit hat bei höheren homolo-
gen Temperaturen großen Einfluss auf das Einsetzen des Materialfließens sowie
auf den Grad der Verfestigung (Erholungsprozesse, vgl. 3.5.2.1, 5.3.1.1 und 5.4.1).
In der praktischen Durchführung von Experimenten ist die Verformungsgeschwin-
digkeit an der Probe jedoch nicht notwendigerweise konstant, da es bei der abrup-
ten Verringerung des Werkstoffwiderstandes, wie er beim plastischen Fließen ein-
tritt, für Prüfmaschinen regelungstechnisch sehr schwierig ist, eine konstante
Verformungsgeschwindigkeit aufrecht zu erhalten. In manchen Prüfeinrichtungen
wird auch nur die Geschwindigkeit der Traverse konstant gehalten, sodass es zu
einer deutlichen Steigerung der Verformungsgeschwindigkeit beim Einsetzen plas-
tischen Fließens in der Probe kommt. Weiterhin muss beachtet werden, dass es in
langen Zugprobekörpern zu einem lokal sehr unterschiedlichen Fließverhalten
kommt, was zu Missinterpretationen der aus dem Experiment erhaltenen Kraft-
362 8 Experimentelle Ergebnisse

Verschiebungs-Kurven führen kann. Aufgrund dieser besonderen Problematik


beschränkt sich die Auflistung der an makroskopischen Probekörpern bestimmten
Werte auf die Parameter Fließspannung (σF) und Verfestigung (h), welche zusam-
men mit der beim Versuch verwandten Dehnungsgeschwindigkeit (dε/dt) in
Tabelle 8.11 übersichtsartig aufgelistet sind. Wie die starke Streuung der in ver-

Tabelle 8.11 Fließspannung (σF) und Verfestigung (h) für SnPb37 bei erhöhten homologen Tem-
peraturen

σF [MPa] h [MPa] T[K] dε/dt [s-1] Bemerkunga Quelle

39 0 298 0,007 Zugversuch, Bulkprobe [42]


(34 mm x 10 x 5 mm2)

45 - 300 0,0055 Zugversuch, Miniaturprobe [46]


2
(18 mm x 3 x 0,39 mm )

37,2 4,14 208 0,002 Zugversuch, Bulkprobe [569]


31,7 2,07 273
27,6 1,38 298
20,7 0,62 348
15,2 0,34 373
8,3 0,09 398

33,0 25,2 300 4,17 Zugversuch, Bulkprobe [572]


33,3 14,5 1,67 (25,4 mm x 9,14 x 8,64 mm2)
13,6 1,6 0,17
17,6 0 0,017

30...32 - 298 (5...30).10-3 Torsionsversuch an Lotring mit [39]


37...44 Durchmesser 23,4 mm, Breite 1,27
0,2...0,5
mm, Spaltdicken von 0,25 mm und
0,7 mm

46,0 51,1 300 20 Druckversuch an Lotstangen mit [572]


37,5...38,7 3,0 2 Längen von 12,7 mm, 25,4 mm,
38,1 mm und einem Durchmesser
27,9...29,6 0...5,0 0,2 von 25,4 mm
20,1 1,7 0,02

a. Angaben erfolgen für Proben mit rechteckigem Querschnitt in der Reihenfolge


Länge x Breite x Tiefe und für Proben mit rundem Querschnitt in der Reihenfolge
Länge x Querschnittsfläche

schiedenen Untersuchungen ermittelten Werte für die Fließspannung zeigt, ist es


bei einem zweiphasigen Material, wie dem eutektischen SnPb-Lot, nicht einfach,
die Fließspannung aus der aufgezeichneten Spannungs-Dehnungs-Relation des
8.3 Zweistoffsystem mit Mischkristallbildung - Zinn Blei 363

Zugversuchs zu entnehmen. Bemerkenswert ist jedoch, dass auch die für die
Bestimmung der Fließspannung grundsätzlich geeigneteren alternativen Untersu-
chungsformen, wie Torsions- und Druckversuch, nicht zu übereinstimmenden
Ergebnissen gelangen. Eine der großen Schwierigkeiten bei der Auswertung aller
Versuchstypen besteht im allmählichen Abknicken zwischen dem elastischen und
plastischen Bereich der Spannungs-Dehnungs-Kurve. Unter diesem Gesichtspunkt
sind besonders die Ergebnisse aus [572] zu berücksichtigen. In dieser Untersu-
chung wurden die plastischen Eigenschaften eines eutektischen Lots (63,33%-Sn/
36,34%-Pb) mit denen eines naheutektischen (67,03%-Sn/32,66%-Pb) bei einer
–1
Dehnungsgeschwindigkeit von dε ⁄ dt = 0,02 s verglichen. Dabei wurde festge-
stellt, dass das Fließen des naheutektischen Lotes bei einer niedrigeren Spannung
(σF = 34 MPa) als beim eutektischen Lot (σF = 41 MPa) einsetzt. Darüber hinaus
zeigten sich auch Unterschiede im Verlauf der Spannungs-Dehnungs-Kurven bei-
der Lote. Während die Spannungs-Dehnungs-Kurve des eutektischen Lotes sehr
scharf am Fließpunkt abknickte, wies die Spannungs-Dehnungs-Kurve des naheu-
tektischen einen allmählichen Übergang zum plastischen Bereich auf, wobei das
zinnreichere Lot eine höhere Verfestigung als das eutektische aufweist. Diese
Ergebnisse geben zu der Vermutung Anlass, dass - bedingt durch die sehr unter-
schiedlichen Fließspannungen der beiden Phasen, d. h. die des zinnreichen α -
Mischkristalls (Zusammensetzung bei Raumtemperatur etwa 99,7%Sn-0,3%Pb)
mit σ F ≈ 20 MPa 1 und die des bleireichen β -Mischkristalls (Zusammensetzung
bei Raumtemperatur etwa 98,1%Pb-1,9%Sn) mit σ F ≈ 10 MPa 2 - es zu einem
inhomogenen Materialfließen kommt, wodurch die Morphologie des untersuchten
Probenbereiches sehr großen Einfluss auf den Verlauf der Verformungsreaktion
hat, denn wie aus [572] weiter hervorgeht, ergab sich bei den geringfügig unter-
schiedlich zusammengesetzten SnPb-Legierungen kein Unterschied in der Zugfes-
tigkeit.

8.3.3.2 Untersuchungen an Flip-Chip-Kontakten

Für die Untersuchung des Deformationsverhaltens von SnPb-Lot an kleinstvo-


lumigen Flip-Chip-Kontakten wurde die in 7.4.4.3 besprochene Probekörperkon-
zeption verwendet, bei welchem 2 Si-Chips über 4 Eckkontakte miteinander ver-
bunden sind (Abb. 8.2). Durch diese Probeköpergestaltung ergibt sich einerseits
eine gleiche Belastung aller Kontakte und andererseits wird die Verschmierung der
Kraft-Weg-Charakteristik eines Einzelkontaktes aufgrund der sich einstellenden
Formunterschiede zwischen den Kontakten so gering wie möglich gehalten. Eine
Probekörpergestaltung mit nur einem Kontakt ist wegen der daraus folgenden man-

1. Für den zinnreichen α -Mischkristall wurde der Wert der Fließspannung für polykristallines Sn
aus [558] bei einer Temperatur von 296 K angenommen.
2. Für den bleireichen β -Mischkristall wurde der Wert der Fließspannung für polykristallines Pb-
2wt% Sn aus [166] bei einer Temperatur von 298 K angenommen.
364 8 Experimentelle Ergebnisse

Siliziumchip
Größe = 3,3 mm X 3,3 mm

Flip-Chip-Bump
Grundfläche
100 mm X 100 mm

a)

Siliziumchip 1

b) Siliziumchip 2 c)

Flip-Chip-Kontakt

Abb. 8.2 Flip-Chip-Probekörper: a) Chiplayout mit 4 Eckbumps, b) Gefügter Probekörper,


bestehend aus zwei identischen Siliziumchips (Seitenansicht), c) Rasterelektronenmikroskopische
Aufnahme eines Eckkontaktes mit (erzwungner) hyperboloider Form

gelnden Stabilität des Probekörpers nicht möglich und eine Lösung mit 3 Kontak-
ten verletzt die Symmetriebedingungen quadratischer Grundflächen, wie sie in der
Mikroelektronik üblich sind. In der konkreten Realisierung wurden Siliziumchips
mit dem TU Dresden-Testchiplayout TC1 [576] verwendet, welche eine Kanten-
länge von 3,3 mm x 3,3 mm hatten (Abb. 8.2).
Voraussetzung für den Flip-Chip-Fügeprozess ist das Vorhandensein von Lot-
bumps (Lothügeln), die miteinander zu einem Kontakt verschmolzen werden.
Diese Bumps werden über vakuumtechnische, galvanische und/oder drucktechni-
sche Prozesse auf einen Siliziumwafer aufgebracht. Der in Abb. 8.3 dargestellte
prinzipielle Aufbau solcher Bumps besteht aus einer Unterbumpmetallisierung und
dem eigentlichen Lothügel. Die Unterbumpmetallisierung (UBM) setzt sich in der
Regel aus einer Barriereschicht (z. B. WTi) und einem Metallisierungsmaterial -
hierfür kommen alternativ Cu oder Ni zum Einsatz - zusammen. Die Herstellung
der UBM erfolgt durch vakuumtechnische Abscheidung des Barriere- und Metalli-
sierungsmaterials, welcher eine chemisch stromlose bzw. galvanische Verstärkung
der Metallisierung folgt. Die anschließende Abscheidung des Lotmaterials kann
entweder galvanisch oder drucktechnisch erfolgen.
Für die verwendeten Probekörper erfolgte die Herstellung der SnPb-Bumps
durch galvanische Abscheidung aus einem vorgefertigten Elektrolyten eutektischer
Zusammensetzung auf die in Abb. 8.3 skizzierte Unterbumpmetallisierung (TU
Dresden, Standardprozess). Zur Herstellung lötfähiger SnPb-Bumps wurde das
elektrolytisch abgeschiedene Lot in einem Glyzerinbad bei 220°C umgeschmolzen
8.3 Zweistoffsystem mit Mischkristallbildung - Zinn Blei 365

Lothügel
65...125µm
Metallisierung
Padlänge Cu, 7µm
100...200µm Barriere,
WTi, 100nm
Passivierung
Leitbahn, AlSi1
a) Oxid b)

Kontakt-
durchmesser Kontakthöhe

c) d)

Abb. 8.3 Beispiel für den Aufbau von Lotkontakten: a) Schematische Darstellung der Schicht-
folgen im Lotbump nach (galvanischem) Standard-Bumping-Prozess der TU Dresden, b) Raster-
elektronenmikroskopaufnahme (Rückstreukontrast; hell = Pb, dunkel = Sn) von umgeschmolzenen
SnPb-Lotbumps auf einem Siliziumchip, c) schematische Darstellung der Schichtfolgen im
Lotkontakt eines Flip-Chip-Probekörpers, d) Rasterelektronenmikroskopaufnahme (Rückstreu-
kontrast) eines SnPb-Lotkontaktes im Flip-Chip-Probekörper mit hyperboloider Form

[507]. Die Montage des aus zwei identischen Siliziumchips bestehenden Probekör-
pers erfolgte am Flip-Chip-Bonder SET 950, wobei durch eine spezielle z-Bewe-
gung des oberen Siliziumchips eine hyperboloide Kontaktform eingestellt wurde
(vgl. 7.4.4.3).
Zur Untersuchung der instantanplastischen Eigenschaften an den beschriebenen
Flip-Chip-Probekörpern wurde die unter 7.5.3.2 beschriebene Versuchseinrichtung
eingesetzt. Ziel der Versuche war die Charakterisierung des elastisch-plastischen
Verhaltens bei höheren Temperaturen (T = 5 °C ... 50 °C, d. h. T hom > 0,6 ) und
· –2 0 –1
mittleren Verformungsgeschwindigkeiten ( ε = 10 …10 s ) , bei denen nur eine
geringe Abhängigkeit der Fließspannung von der Verformungsgeschwindigkeit
besteht.
Da die Natur der zu erwartenden Beanspruchungen von Lotkontakten dadurch
gekennzeichnet ist, dass diese zyklisch mit einer bestimmten Dehnungsamplitude
verformt werden, wurde im ersten Schritt der Untersuchung das zyklische Verfesti-
gungsverhalten der SnPb37-Legierung charakterisiert. Dabei wird untersucht, ob
eine zyklisch wiederkehrende Beanspruchung des Werkstoffs zu Veränderungen
der Werkstoffeigenschaften aufgrund von Ver- und Entfestigungsprozessen führt
(vgl. 5.5.2). Zu diesem Zweck wurde ein Versuch mit sich zyklisch wiederholender
symmetrischer Dreiecksdehnung einer konstanten Amplitude und einer konstanten
Periodendauer durchgeführt. Das Belastungsprofil und das Ergebnis dieses Versu-
ches sind in Abb. 8.4 dargestellt. Im Kraft-Verschiebungs-Diagramm sind die Ver-
366 8 Experimentelle Ergebnisse

s
sA 0,4 T = 300 K
Zyklus 2...100
0,3

0,2

0,1

Kraft [N]
0,0
t
-0,1

-0,2

-0,3

-sA tp
-0,4

-1 0 1

Verschiebung [µm]

a) b)

Abb. 8.4 Versuch zur Ermittlung des zyklischen Ver- und Entfestigungsverhaltens an Flip-Chip-
Kontakten aus SnPb37-Lot aus [12]: a) Belastungsprofil zur Aufnahme des zyklischen Verfor-
mungsverhaltens, b) Daten für Verformungshysteresen der ersten 100 aufeinanderfolgenden
Zyklen, welche deutlich zeigen, dass der Werkstoff kein zyklisches Ver- oder Entfestigungsver-
halten aufweist.

formungshysteresen vom zweiten bis zum hundertsten Zyklus aufgezeichnet. Es


zeigt sich, dass alle Hysteresen deckungsgleich aufeinanderliegen. Daher ist davon
auszugehen, dass das SnPb37-Lot kein Ver- oder Entfestigungsverhalten bei zykli-
scher Beanspruchung aufweist [12].
Aufgrund dieser Eigenschaft konnte ein Versuchsablaufplan erarbeitet werden,
in dem nacheinander verschiedene Einzelversuche an einer Probe durchgeführt
werden. Darüber hinaus kann ein Wechsel der Versuchstemperatur nach Beendi-
gung einer bestimmten Anzahl von Versuchen erfolgen.
Zur Charakterisierung der quasistatischen Verformungseigenschaften wurden in
der in [12] beschriebenen Untersuchung verschiedene Arten von Versuchen durch-
geführt. Das linke Diagramm in Abb. 8.5 zeigt die Ergebnisse aus einem Versuch
mit Variation der Verformungsamplituden. Dabei sind vier Kraft-Verschiebungs-
Hysteresen übereinander dargestellt. Die dazugehörigen Einzelversuche fanden
nacheinander an einer Probe statt und die Amplitude der Dreiecksverschiebung
wurde von Versuch zu Versuch etwa verdoppelt. Die Verschiebegeschwindigkeit
war für alle Hysteresen gleich und wurde mit einem Wert von ds ⁄ dt = 8 μm ⁄ s
relativ hoch gewählt, um den Anteil einer möglichen Kriechverformung gering zu
halten. Die kleinste Hysterese, die aus dem Versuch mit der Amplitude von
s A = 0,25 μm entstand, weist keinen plastischen Bereich auf. Die aus dem Ver-
such mit einer Amplitude von s A = 0,5 μm entstandene nächst größere Hysterese
weist einen plastischen Anteil der Verschiebung von s pl = 0,2 μm auf beiden
Seiten der Hysterese auf. Dies bedeutet, dass die Fließgrenze bei einer Verschie-
8.3 Zweistoffsystem mit Mischkristallbildung - Zinn Blei 367

A1 = 0,25 µm T = 278 K
0,4 0,4 T = 323 K
A2 = 0,5 µm
A3 = 1,0 µm Periodendauer T3
A4 = 2,25 µm
0,2 0,2
Kraft [mN]

Kraft [mN]
0,0 0,0

-0,2 -0,2

-0,4 -0,4

-2,5 -2,0 -1,5 -1,0 -0,5 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 -2,0 -1,5 -1,0 -0,5 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0

Verschiebung [µm] Verschiebung [µm]

a) b)

Abb. 8.5 Versuche zur Ermittlung des quasistatischen Verformungsverhaltens an Flip-Chip-


Kontakten aus SnPb37-Lot aus [12]: - a) Kraft-Verschiebungs-Hysteresen für verschiedene
Amplituden aus Versuch mit Dreiecksdehnung (Amplituden s1...s4 = 0,25 mm, 0,5 mm, 1 mm,
2,25 mm; T = 278 K); b) Kraft-Verschiebungs-Hysteresen gleicher Amplitude und Periodendauer
bei unterschiedlichen Temperaturen (T1 = 278 K, T2 =323 K) aus Versuchen mit symmetrischer
Dreiecksdehnung (s = 1,5 mm, tp = 1 s)

bung von s F = 0,3 μm liegt. Wird die größte Hysterese ( s A = 2,25 μm ) auf die
Hälfte ihrer Größe herunterprojiziert und diese Projektion so verschoben, dass der
negative Wendepunkt im Ursprung des Diagramms liegt (graue Hysterese in
Abb. 8.5 a), so ist zu beobachten, dass der oberste Ast dieser Hysteresenprojektion
(im ersten Quadranten) durch die Umkehrpunkte aller vier Hysteresen läuft. Dies
bedeutet, dass die Hysteresenform unabhängig von der Amplitude der Dreiecksver-
schiebung ist. Es ist daher möglich, das Hystereseverhalten des SnPb37-Lotes über
eine zyklische Spannungs-Dehnungs-Kurve darzustellen, aus der sich eine Hyste-
rese beliebiger Amplitude erzeugen lässt [12].
Das Diagramm in Abb. 8.5 b zeigt zwei Kraft-Verschiebungs-Hysteresen, die
aus einem Versuch bei zwei unterschiedlichen Temperaturen (T1 = 278 K,
T2 = 323K) bestimmt wurden. Beide Versuche wurden nacheinander an der glei-
chen Probe mit derselben Amplitude und einer Periodendauer
( s A = 1,5 μm, t p = 1 s ) der Dreiecksverschiebung durchgeführt. Aufgrund der
apparativen Begrenzungen bei der Wahl des Versuchstemperaturbereiches (vgl.
7.5.3.2) war bei der Charakterisierung des quasistatischen Verformungsverhaltens
nur eine Abdeckung des Bereiches der homologen Materialtemperatur von 0,6 Ts
auf 0,7 Ts möglich [12].
Aufgrund der sich während der durchgeführten Versuche permanent ändernden
Spannungsverteilung im Lotkontakt war es zur Ermittlung des Spannungs-Deh-
nungs-Verhaltens des Lotmaterials notwendig, eine FE-Analyse der Versuche vor-
zunehmen, wie sie in 7.4.4.3 beschrieben ist. Dazu wurde in der FEM-Simulations-
software ANSYS™ das instantanplastische Verhalten des Lotwerkstoffes unter
Nutzung eines multilinearen Modells mit kinematischer Verfestigung implemen-
368 8 Experimentelle Ergebnisse

Messdaten
0,4 bilinear

σ3 trilinear
quadlinear
σ2 0,2

σ1

Kraft [N]
0,0

-0,2

-0,4

-2 -1 0 1 2
ε1 ε2 ε3=100% Verschiebung [µm]

a) b)

c)

T ε1 ε2 σ1 [MPa] σ2 [MPa] σ3 [MPa]

278 K 0,0007 0,003 21 41 600 erstarrt

323 K 0,0007 0,003 19 31 200

278 K 0,0007 0,003 18 35 510 ausgelagert


125 °C/
323 K 0,0007 0,003 16 26 340
500h

Abb. 8.6 a) Linear-elastisches und starr-plastisches Modell mit kinematischer Verfestigung in


trilinearer Formulierung, b) Vergleich eines bilinearen, trilinearen und quadlinearen Modells zur
Beschreibung des elastischen und plastischen Verformungsverhaltens mit Werkstoffdaten des
Experiments aus [12], c) Parameter eines trilinearen Modells für SnPb37-Lot

tiert. Hierbei zeigte sich, dass für die Nachbildung des elastisch-instantanplasti-
schen Verhaltens von SnPb37 ein trilineares Modell gegenüber einem bilinearen
besser geeignet war [12, 29].Wie aus dem Vergleich der Messdaten mit den aus der
Simulation errechneten Kraft-Verschiebungs-Werten in Abb. 8.6 b hervorgeht,
gelingt es, durch den Einschub eines Zwischenbereiches (Abschnitt II) im multili-
nearen Modell sich besser an das experimentell bestimmte Verformungsverhalten
anzunähern. Die physikalisch-werkstoffwissenschaftliche Interpretation dieses
zweiten eingeschobenen Abschnitts zwischen dem elastischen (Abschnitt I) und
dem plastischem Materialverhalten (Abschnitt III) ist vage. Obwohl die Vermu-
tungen, dass bei steigender Spannung eine zunehmende Anzahl von Gleitsystemen
aktiviert wird, bevor ein eingeschwungener Zustand der plastischen Verformung
8.3 Zweistoffsystem mit Mischkristallbildung - Zinn Blei 369

erreicht wird, oder dass sich durch die unterschiedlichen E-Module und Fließgren-
zen der beiden Phasen des Materials ein transienter Bereich ergeben muss, nahelie-
gend sind, gibt es keine zwingende Begründung für diese Hypothesen [29]. Letzt-
endlich eignete sich das trilineare linear-instantanplastische Modell mit
kinematischer Verfestigung besser als das entsprechende bilineare Modell, um das
elastisch-plastische Materialverhalten des SnPb37-Lotes zufriedenstellend wieder-
zugeben. Obwohl die Verwendung eines quadlinearen Modells eine noch bessere
Annäherung an die Messdaten ermöglichte (Abb. 8.6 b), ergab sich aufgrund der
zugrunde liegenden Genauigkeit der Messdaten keine höhere Genauigkeit dieses
Modells gegenüber dem trilinearen [12]. Aus dem Vergleich der unausgelagerten
mit den thermisch ausgelagerten Proben (500h bei 125 °C) ist ersichtlich, dass es
infolge der durch die thermische Auslagerung einsetzenden Kornvergröberung zu
einem Absinken der Fließspannung kommt, wie dies aus der Hall-Petch-Beziehung
zu erwarten ist.

8.3.4 Kriechverhalten

8.3.4.1 Untersuchungen an Bulkproben

Der Hauptteil der bis in die 80er Jahre unternommenen Anstrengungen der
experimentellen Charakterisierung des Zinn-Blei-Eutektikums geht auf eine Ent-
deckung Pearsons [276] zur superplastischen Verformbarkeit dieser Legierung
zurück. An extrudierten Stäben hatte er nachgewiesen, dass sich die eutektische
SnPb-Legierung bis auf das 20-fache ihrer Ausgangslänge dehnen lässt. Später
konnte gezeigt werden, dass die eutektische Zusammensetzung des Zinn-Blei-
Lotes keine notwendige Voraussetzung für superplastische Verformung ist [35].
Durch die eutektische Zusammensetzung kann allerdings die bei der Extrusion ent-
standene feine Kornstruktur am besten aufrechterhalten werden. Zur Untersuchung
des Phänomens der superplastischen Verformung von Metallen wurden eine Reihe
von Untersuchungen an der eutektischen SnPb-Legierung durchgeführt, wobei
festgestellt wurde, dass sich das zeitabhängige Verformungsverhalten in zwei bis
drei Bereiche einteilen lässt. Während für den untersten Spannungsbereich
(Bereich I) verschiedene experimentelle Befunde sowie metallphysikalische Inter-
pretationen bestehen, existieren übereinstimmende Erkenntnisse für den mittleren
(Bereich II; superplastische Verformung) und den oberen Spannungsbereich
(Bereich III, Kriechverformung durch Versetzungsklettern), sodass die Verfor-
mungskinetik für die letzten beiden Bereiche über folgende Gleichung modelliert
werden kann

n
· σ
II
Q II· n III Q III·
ε = A II ⋅ -------p- ⋅ exp §© – -------¹
+ A III ⋅ σ ⋅ exp § – --------
© RT ¹ ,
- (8.10)
d RT
370 8 Experimentelle Ergebnisse

wobei d der Korngröße entspricht, p den Korngrößenexponenten wiedergibt


und A II , A III Vorfaktoren sind. Der erste Term in Gleichung (8.10) beschreibt die
Verformungskinetik im Bereich II und der zweite Term die des Bereiches III. Die
für beide Bereiche aus verschiedenen Publikationen entnommenen, experimentell
ermittelten charakteristischen Modellparameter Spannungsexponent n II, n III und
Aktivierungsenergie Q II, Q III sind in Tabelle 8.12 zusammen mit wichtigen Ver-

Tabelle 8.12 Vergleich der Spannungsexponenten n und Aktivierungsenergien Q (für den


Bereich mittlerer Spannungen) zwischen Experimenten an extrudierten Lotprobekörpern sowie
Darstellung der entsprechenden Versuchsbedingungena

nII nIII QII QIII dε/dt T d V Quelle


[kJ/mol] [kJ/mol] [s-1] [K] [μm] [m3]

2,0 7,1 48,2 81,3 10-5...10-2 273...433 5,5...9,9 5·10-7 [24]

1,67 11,1 44,7b 100 10-7...10-2 273...443 9,7...32 5·10-7 [25]


81,1c

2,0 3...5 48,1 - 10-7...10-2 300 2,0 2,5·10-7 [35]


-7 -2 -7
2,4 5,7 44,0 87,2 10 ...10 298...373 2,2...6,1 1,5·10 [43]

2,0 5,0 - - 10-5...10-2 300 2,2...8,5 7,5·10-7 [577]

2,5 - 44,8 - - - - - [578]

a. Tabellenwerte teilweise aus in den Publikationen enthaltenen Grafiken entnommen.


b. Aktivierungsenergie für T < 408 K
c. Aktivierungsenergie für T > 408 K

suchsbedingungen aufgeführt. Hierbei zeigt sich, dass die superplastische Verfor-


mung des SnPb-Eutektikums durch einen Spannungsexponenten von
n = 1,67 ... 2,5 und eine Aktivierungsenergie von etwa Q = 46 kJ/mol gekenn-
zeichnet ist.
Anfang der 90er Jahre begannen verstärkt Untersuchungen, welche die experi-
mentelle Charakterisierung des Kriechverhaltens des eutektischen SnPb-Lots mit
dem Ziel, geeignete Werkstoffmodelle für Lebensdauerabschätzungen von Lotkon-
takten in elektronischen Aufbauten bereitzustellen, zum Inhalt hatten. Vorausge-
gangen waren diesen Bemühungen verschiedene theoretische Modelle zur
Lebendauerbewertung [449-452], in deren Fazit die akkurate Nachbildung des
Kriechverhaltens des SnPb-Lotes als eine wichtige Voraussetzung für zutreffende
Zuverlässigkeitsbewertungen gesehen wurde. Neben verschiedenen Versuchen, die
Kriecheigenschaften direkt an Lotkontakten zu bestimmen [10, 27, 28], wurde eine
nicht geringe Anzahl von Untersuchungen an Bulkzugproben bzw. bestimmten
Scherproben durchgeführt. In den zum Teil sehr voluminösen Probekörpern wurde
versucht, durch eine starke Unterkühlung der Schmelze eine SMT-Lotkontakt-ähn-
8.3 Zweistoffsystem mit Mischkristallbildung - Zinn Blei 371

liche Mikrostruktur zu erzeugen. In Tabelle 8.13 sind ausgewählte Untersuchungen


zu Kriecheigenschaften von erstarrten SnPb-Lot zusammen mit den gewählten
Probenvolumina und Versuchsbedingungen aufgeführt.
Eine generelle Aussage zu den an erstarrten Bulkproben gewonnenen Kriechda-
ten ist durch die Heterogenität der Ergebnisse schwierig. Jedoch zeichnen sich
zwei grundlegend unterschiedliche Arten der Versuchsergebnisse ab. Einerseits
existiert eine Gruppe von Untersuchungen [38, 47, 573, 580], welche zu dem
Ergebnis gelangt, dass das Kriechverhalten des eutektischen SnPb-Lotes durch
eine einfache Exponentialfunktion zu beschreiben ist:

· Q·
ε = A ⋅ σ ⋅ exp § – ------
n
- (8.11)
© RT¹

Eine andere Gruppe von Untersuchungen [41, 579, 581] gelangt zu dem
Schluss, dass das quasistatische Kriechverhalten - ähnlich dem der Ergebnisse an
extrudierten Proben (vgl. Tabelle 8.12) - durch eine bilineare Funktion (ähnlich
Gleichung (8.11)) im doppeltlogarithmischen Spannungs-Dehnungsrate-Dia-
gramm, d. h. mit einem Exponenten für den unteren und einem Exponenten für den

Tabelle 8.13 Vergleich der Spannungsexponenten n und Aktivierungsenergien Q (für den


Bereich mittlerer Spannungen) zwischen Experimenten an erstarrten Lotprobekörpern sowie Dar-
stellung der entsprechenden Versuchsbedingungena

n Q dε/dt σ T d V Quelle
[kJ/mol] [s-1] [MPa] [K] [μm] [m3]

7,1 - 10-9...10-2 3...30 298 5,0 5·10-8 [38]

4...6,5 113 10-8...10-1 2...40 300 3...4b 2,4·10-9 [41]

8,5 132 10-7...10-1 10...40 295...373 - 1,8·10-6 [47]

10 73 10-6...10-2 30...50 298...443 <10c 1,7·10-6 [573]

6,1 72 10-6...10-3 10...25 218...398 - 1,6·10-6 [579]

5,5 48 10-7...10-1 10...47 298...373 <10d 2·10-8 [580]

3...5 48...83 10-9...101 0,7...70 233...423 0,5...5e 1,8·10-8 [581]

a. Tabellenwerte z. T. aus in den Publikationen enthaltenen Grafiken entnommen und gerundet.


b. Phasenabstand
c. Phasenabstand
d. Phasenabstand
e. Phasenabstand
372 8 Experimentelle Ergebnisse

oberen Spannungsbereich, darzustellen ist. Die für diese Untersuchungen angege-


benen Werte für n und Q entsprechen denen des unteren Bereichs [12].

8.3.4.2 Untersuchungen an Flip-Chip-Kontakten

Für die Untersuchung des Kriechverhaltens an kleinstvolumigen Flip-Chip-


Kontakten ergeben sich mehrere versuchsmethodische Erfordernisse. Diese umfas-
sen die in 7.5.3 ausführlich beschriebenen spezifischen konzeptionellen Ansätze
zum Aufbau einer geeigneten Prüfapparatur sowie die in 7.4.4.2 und 7.4.4.3 aufge-
führten detaillierten Überlegungen zur Probekörpergestaltung. Bezüglich beider
Aspekte wurden in den konkreten Untersuchungen zum Kriechverhalten des eutek-
tischen Sn-Pb-Lots die bei der Bestimmung der instantanplastischen Verformung
verwendeten Konfigurationen genutzt (vgl. 8.3.3.2, Abb. 8.2). Ein weiterer, unmit-
telbar mit den Untersuchungen an Flip-Chip-Kontakten zusammenhängender ver-
suchsmethodischer Aspekt betrifft die Art und Weise, wie unter gegebener Probe-
körpergeometrie und Prüfmaschineneinspannung ein Belastungsregime zu wählen
ist, um das Kriechverhalten adäquat zu charakterisieren. In einigen Untersuchun-
gen an kleinvolumigen Lotkontakten [11, 27] wird der Zusammenhang zwischen
der spezifischen Problematik der für diese Untersuchungen speziell entworfenen
Probekörper und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für eine geeignete
Versuchsgestaltung oft übersehen und stattdessen auf ein Belastungsregime
zurückgegriffen, welches für einachsig beanspruchte Zugproben in einer Zeit ent-
wickelt wurde, in der die steuerungstechnischen Möglichkeiten für komplexe Ver-
suchsverläufe begrenzt waren (vgl. 7.2). Um die speziellen, für Kriechuntersuchun-
gen an kleinvolumigen Lotkontakten erarbeiteten Belastungsregime in Bezug auf
Untersuchungen an Bulkprobekörpern geeignet darzustellen, soll zunächst auf die
Ziele und Möglichkeiten der Bestimmung wesentlicher, das Kriechverhalten cha-
rakterisierender Kennwerte eingegangen werden, bevor auf die besonderen Erfor-
dernisse bei Experimenten an kleinstvolumigen Lotkontakten eingegangen wird.
Durch die Komplexität der Erscheinungsform der zeit- und temperaturabhängi-
gen Verformung von Metallen haben sich bei der experimentellen Untersuchung
des Kriechverhaltens bestimmte ingenieurtechnisch-pragmatische Vorgehenswei-
sen entwickelt, um eine fassbare Beschreibung des Verformungsverhaltens zu
erhalten. Zu den üblichen, für die meisten Anwendungen ausreichenden Charakte-
risierungen des Kriechverhaltens gehört die experimentelle Bestimmung der das
quasistatische Kriechen beschreibenden Werkstoffparameter Spannungsexponent n
und Aktivierungsenergie Q (vgl. 5.4.3.3). Hierfür folgt aus Gleichung (5.41), dass
die Bestimmung des Spannungsexponenten n über folgende Ableitung möglich ist.

·
∂ log ( ε ss )
n = -----------------------
- (8.12)
∂ log ( σ ) ·
ε, σ, T = const.
8.3 Zweistoffsystem mit Mischkristallbildung - Zinn Blei 373

Lastbedingung
s F

F = const.
s = const.

t t
Materialantwort
F s
F = const.
s = const.

t t

Abb. 8.7 Prinzipien von Versuchsverläufen zur Bestimmung des quasistatischen Kriechverhaltens

Die Erfüllung der in der Gleichung (8.12) geforderten Randbedingungen


·
ε, σ, T = const. lässt sich am einfachsten erzielen, indem bei einem isothermen
Versuch entweder die Verformungsgeschwindigkeit s· = const. oder die Ver-
suchskraft F = const. während des Versuches konstant eingeregelt werden, vor-
ausgesetzt, die Probe befindet sich auf einer ausreichend hohen homologen Tempe-
ratur (0,4 Tm für metallische Legierungen), um die dem Kriechen zugrunde
liegenden Mechanismen zu aktivieren.
Die Funktionsweise beider Versuche ist in Abb. 8.7 dargestellt. Nachdem ein
transienter Bereich des Verformungsverhaltens (links der gestrichelten Linie)
durchlaufen wurde, gelangt das Material in den Zustand, in dem in beiden Fällen
die geforderten Randbedingungen für das quasistatische Kriechen
·
ε, σ, T = const. erfüllt sind. Aus diesem rechts der gestrichelten Linie befindli-
chen Bereich lässt sich nun das Wertetripel s·, F, T entnehmen, welches das Ergeb-
nis dieses Einzelversuches darstellt. Zur Beschreibung eines funktionalen Zusam-
menhangs für das quasistatische Kriechen, wie in Gleichung (5.41), sind mehrere
solcher Einzelversuche bei verschiedenen Dehnungsgeschwindigkeiten
s·1, s·2, s·3 ... s·n bzw. verschiedenen Versuchskräften F 1, F 2, F 3 ... F n notwendig.
Für die Durchführung von Experimenten zur Ermittlung des quasistatischen
Kriechverhaltens sind die in Abb. 8.7 dargestellten Versuchsverläufe jedoch unge-
eignet. Im Gegensatz zu Experimenten an makroskopischen Probekörpern ist die
Ermittlung der s·, F, T -Tripel durch Versuche an mehreren Probekörpern ungün-
stig. Die Geometrie eines Flip-Chip-Kontakts lässt sich nicht genau einstellen, son-
dern hängt stark vom Ausgangsvolumen der Lotbumps sowie der Oberflächen-
spannung des Lotes ab. Beide Parameter sind im Flip-Chip-Prozess gewissen
Schwankungen unterworfen, sodass zwischen benachbarten Kontakten von Flip-
374 8 Experimentelle Ergebnisse

Chip-Aufbauten immer wieder starke Geometrieunterschiede beobachtet wurden


[582].
Einen Ausweg aus der Problematik der Verwendung verschiedener Proben bei
Kriechtests versuchten Lee und Hart [583] durch den Einsatz von Relaxationstests
zu finden. In einem solchen Test kann eine komplette Spannungs-Dehnungsrate-
Funktion an einem Probekörper bei einer Temperatur aufgenommen werden.
Jedoch, das räumen Lee und Hart im zitierten Artikel ein, können die aus einem
solchem Test erhaltenen Spannungs-Dehnungsrate-Funktionen stark interpretati-
onsbedürftig sein, da die Versuchsergebnisse des Relaxationstests keine Separation
von quasistatischen Kriechanteilen, transienten Kriechanteilen und anelastischen
Relaxationsanteilen zulassen. Daher ist der Relaxationstest zwar sehr gut geeignet,
bekanntes Kriechverhalten zu überprüfen, jedoch wenig geeignet, unbekanntes
Kriechverhalten zu untersuchen. Die von vielen Annahmen gekennzeichnete Pro-
zedur zur Auswertung der im Relaxationstest ermittelten zeitabhängigen Verfor-
mungseigenschaften von Weichloten wird aus den Untersuchungen in [584] sehr
deutlich.
Den besten Ausweg aus der aufgezeigten Problematik der Geometrieschwan-
kungen zwischen einzelnen Lotkontakten bieten Versuche mit einer wechselnden
Scherbelastung. Im Gegensatz zu Versuchen mit monotoner Belastung, bei denen
die Probe grundsätzlich zerstört wird, bewirkt die Ausführung eines einzelnen
Wechselbelastungszyklus (bei entsprechend kleiner Dehnungsamplitude) nur eine
geringe Degradation des Probenwerkstoffes. Hierdurch eröffnet sich für die prakti-
sche Versuchsplanung die Möglichkeit, verschiedenartige Untersuchungen nach-
einander an der gleichen Probe durchführen zu können.
Dabei muss allerdings gewährleistet bleiben, dass nach der Degradation des
Werkstoffs durch die vorausgegangenen Untersuchungen die Werkstoffeigenschaf-
ten nicht erheblich verändert wurden. Um dies zu überprüfen, kann z. B. die Rei-
henfolge der Einzeluntersuchungen bei verschiedenen Proben verändert werden.
Auch die Bestimmung des E-Moduls nach jedem Einzelversuch kann Aufschluss
über den Fortschritt der Materialdegradation geben, da diese meist mit Rissprozes-
sen und dadurch mit einer Verringerung des Querschnitts einhergeht. Veränderun-
gen der Werkstoffeigenschaften durch bei zyklischer Verformung mögliche Ver-
und Entfestigungsprozesse treten bei Sn-Pb-Lot, das haben die in 8.3.3.2
(Abb. 8.4) beschriebenen Versuche gezeigt, nicht auf.
Für die Bestimmung der Kriecheigenschaften an kleinstvolumigen Flip-Chip-
Lotkontakten wurden - ausgehend von der etablierten Vorgehensweise zur Charak-
terisierung des zeitabhängigen Verhaltens - die beiden nachfolgend aufgeführten
Versuche mit zyklischer Wechselbelastung entwickelt.
Der in Abb. 8.7 (links) dargestellte Versuch mit konstanter Verschiebungsrate
zur Untersuchung der Kriecheigenschaften wird für wechselnde Belastungen durch
einen zyklischen Versuch mit symmetrischer Dreiecksauslenkung (ZVSD) und
veränderlicher Periodendauer (Abb. 8.8) repräsentiert. Das Belastungsprofil dieses
Versuches besteht aus jeweils 2 Dreiecksauslenkungen pro Periodendauer (t1 ... t6).
8.3 Zweistoffsystem mit Mischkristallbildung - Zinn Blei 375

s
sA 0,4 t1
t2
t3
t4
0,2
t5
t6

Kraft [mN]
0,0

t
-0,2

-0,4
-sA
tRELAX tRELAX
-1,5 -1,0 -0,5 0,0 0,5 1,0 1,5
2.t1 2.t2 2.t3 Verschiebung [µm]
a) b)
Abb. 8.8 a) Belastungsprofil und b) Versuchsergebnis für einen zyklischen Versuch mit symme-
trischer Dreiecksauslenkung und veränderlicher Periodendauer aus [12]

Diese haben für den gesamten Versuch eine konstante Amplitude (sA). Zwischen
den Doppeldreiecken befindet sich eine Ruhephase zur Materialrelaxation (tRelax).
Der in Abbildung Abb. 8.7 (rechts) angedeutete Versuch mit konstanter Kraft
als Belastungsbedingung zur Untersuchung der Kriecheigenschaften wird für
wechselnde Belastungen durch einen zyklischen Kriech- und Relaxationsversuch
(Abb. 8.9) repräsentiert. Die Grundidee dieses Versuchs besteht darin, dass das
Aufbringen einer konstanten Belastungskraft nur so lange erfolgt, bis der Probe-
körper sich bis zum vorgegebenen maximalen Scherwinkel +γ u verformt hat. An
diesem Punkt wird nach Durchlaufen einer Relaxationsphase eine entgegengesetzte
Kraft aufgebracht, sodass sich der Probekörper bis zum vorgegebenen negativen
Scherwinkel – γ u zurückverformt. In der konkreten Versuchsdurchführung werden
die Kräfte treppenartig mit unterschiedlicher Stufung bis zum Kraftwert F7/F8
gesteigert. Danach beginnt eine stufenartige Senkung der Versuchskräfte. Dabei
wird von Kraftwert F7/F8 in gleicher Weise zu Kraftwert F13/F14 herabgeklettert,
wie von Kraftwert F1/F2 zu Kraftwert F7/F8 hinaufgestiegen wurde. Insgesamt
ergeben sich dadurch 7 Zyklen mit einer jeweiligen Amplitude von (su) für den
gesamten zyklischen Kriech- und Relaxationsversuch [12].
Die mit dem zyklischen Kriech- und Relaxationsversuch an SnPb37-Flip-Chip-
Kontakten für das quasistatische Kriechverhalten ermittelten Daten sind im Kraft-
Verschiebungsrate-Diagramm in Abb. 8.10 dargestellt. Insgesamt wurden Versu-
che an 10 verschiedenen Proben bei zwei Temperaturen (T1 = 278 K, T2 = 323 K)
ausgewertet. Alle ungeraden Probennummern (V1, V3, V5 ...) entsprechen unaus-
gelagerten Proben (feines Gefüge, vgl. Abb. 8.10 b) und alle geraden Probennum-
mern (V2, V4, V6 ...) entsprechen thermisch ausgelagerten Proben (T = 150° C/
168 h, grobes Gefüge, vgl. Abb. 8.10 c). Aus den Ergebnissen der Kriechversuche
ist daher kein Einfluss der Gefügeentwicklung auf die Kriecheigenschaften abzule-
sen [12].
Auf Grundlage der Ergebnisse aus dem zyklischen Versuch mit symmetrischer
Dreiecksauslenkung (Abb. 8.8) und dem zyklischen Kriechversuch (Abb. 8.10)
376 8 Experimentelle Ergebnisse

0,4

0,3

F 0,2

F3 0,1 F26
F27

Kraft [mN]
F1 0,0

-0,1
2 X F = 0,672 N
-0,2
t
-0,3

-F2 -0,4
0 2 4 6 8 10 12 14 16

Kriechperiode 1 Relaxations- Kriechperiode 2 Relaxations-


b) Zeit [s]
periode 1 periode 2
s
3
su

Verschiebung [µm] 2

t F21
F23
1
-su F25
F27
F29
0

a) c) 0 10 20 30 40 50 60

Zeit [s]

Beispiel für Lastfolge während des Versuches:

su F1 [N] F3 [N] F5 [N] F7 [N] F9 [N] F11 [N] F13 [N]

1,5mm 0,072 0,096 0,120 0,144 0,192 0,240 0,288

-su F2 [N] F4 [N] F6 [N] F8 [N] F10 [N] F12 [N] F14 [N]

-1,5mm -0,072 -0,0496 -0,120 -0,144 -0,192 -0,240 -0,288

Abb. 8.9 Belastungsprofil und Versuchsparameter für zyklischen Kriech- und Relaxations-
versuch: a) prinzipieller Verlauf von Last und Verschiebung während eines Zyklus im Kriech- und
Relaxationsversuch, b) Lastverlauf eines Verschiebungskurvenpaares, welches den gleichen
Betrag der Verschiebungsgeschwindigkeit aufweist, c) Verschiebungskurven bei Aufwärts- und
Abwärtsbewegung des Betrages der Lastfolge [12]

wurde mit dem in 7.4.4.2 beschriebenen Verfahren ein Kriechmodell für das
SnPb37-Lot erarbeitet. Zur Nachbildung des experimentell bestimmten Kriechver-
haltens wurden zwei verschiedene Modellgleichungen angesetzt. Die erste orien-
tiert sich an dem bei der theoretischen Beschreibung der Versetzungskinetik (vgl.
5.2.2.3) hergeleiteten Ausdruck in Gleichung (5.25) und wurde in vergleichbarer
8.3 Zweistoffsystem mit Mischkristallbildung - Zinn Blei 377

1 T = 278K T =323 K
quasistatische Kriechrate [µm/s]

V1 V1
V2 V2
0,1 V3 V3
V4 V4
V5 V5
0,01 V6 V6
V7 V7 b)
V8 V8
1E-3 V9 V9
V10 V10

1E-4

1E-5

1 10 100

Kraft [mN]
a)

c)

Abb. 8.10 a) Ergebnisse der Untersuchungen zum quasistatischen Kriechen von SnPb37-Flip-
Chip-Lotkontakten in einem Verschiebungsrate-Kraft-Diagramm (10 Proben bei 2 Temperaturen
T1 =278 K und T2 =323 K), b) Rasterelektronenaufnahme eines unausgelagerten SnPb37-Flip-
Chip-Kontakts, c) Rasterelektronenaufnahme eines thermisch ausgelagerten (500h bei 125 °C)
SnPb37-Flip-Chip-Kontakts [12]

Weise bereits in [27, 579] zur Beschreibung des quasistatischen Kriechverhaltens


von SnPb37-Lot verwendet:

· σ C2 C
ε = C 1 ⋅ sinh §© ------·¹ ⋅ exp §© – -----4-·¹ . (8.13)
C3 T

Dieses oft als Sinushyperbolikusansatz bezeichnete Modell beschreibt im


Bereich kleiner Spannungen den Zusammenhang zwischen Dehnungsgeschwindig-
keit und Spannung über eine einfache Potenzfunktion (mit rationalem Exponen-
ten). Im Bereich großer Spannungen verwendet das Modell nach Gleichung (8.13)
eine Potenzfunktion mit variablem Exponenten, der kontinuierlich mit der Span-
nung wächst. Über diese funktionale Beschreibung erreicht das Modell nach Glei-
chung (8.13) eine andere Beschreibung für den Bereich hoher Materialaktivierung,
in welchem ein einfaches Potenzgesetz für das stationäre Kriechen seine Gültigkeit
verliert und eine plastische Deformationsbeschreibung noch keine ausreichende
Rechtfertigung findet. Dadurch kommt es zu einer allmählichen Zunahme des
Anstieges im Spannungs-Dehnungsrate-Diagramm für das stationäre Kriechen.
Allerdings kann durch diesen einfachen mathematischen, nur mit 4 Parametern
378 8 Experimentelle Ergebnisse

auskommenden Ansatz nicht der Übergang zur instantanplastischen Verformung


beschrieben werden, sodass das Kriechmodell in Gleichung (8.13) nur bis zum
Erreichen der Fließspannung seine Gültigkeit behält. In Tabelle 8.14 sind die aus
den experimentellen Untersuchungen (vgl. Abb. 8.8, Abb. 8.10) ermittelten Para-
meter der Modellgleichung (8.13) aufgeführt [12].

Tabelle 8.14 Parameter der Modellgleichung (8.13) für SnPb37 in Flip-Chip-Kontakten aus [12]

C1 [s-1] C2 C3 [MPa] C4 [kJ/mol]

10 2 5 44,8

Die zweite Modellgleichung orientiert sich an der mit den unter 8.3.4.1
beschriebenen Untersuchungen zur Superplastizität [24, 25, 43, 577] ermittelten
Beschreibung, welche zwei Exponententerme verwendet, um jeweils eine
Beschreibung des quasistatischen Kriechverhaltens für den Bereich mittlerer und
eine Beschreibung für den Bereich hoher Spannungen vorzunehmen:

· σ C2 C σ C5 C
ε = C 1 ⋅ § ------· ⋅ exp § – ------3-· + C 4 ⋅ § ------· ⋅ exp § – ------6-· . (8.14)
© σN ¹ © RT¹ © σN ¹ © RT¹

Dieses Modell enthält 6 Parameter, wobei die Parameter C 1, C 4 keine echten


Werkstoffparameter, sondern lediglich Kalibrierungskoeffizienten des Modells
sind. Die Parameter C 2, C 5 stellen die Spannungsexponenten für zwei verschie-
dene Einzelmechanismen dar, C 3, C 6 ihre zugehörigen Aktivierungsenergien. In
Tabelle 8.15 sind die aus den experimentellen Untersuchungen ermittelten Parame-
ter der Modellgleichung (8.14) aufgeführt [12].

Tabelle 8.15 Parameter der Modellgleichung (8.14) für SnPb37 in Flip-Chip-Kontakten aus [12]a

C1 [s-1] C2 C3 [kJ/mol] C4 [s-1] C5 C6 [kJ/mol]

0,4 2 44,8 21 7 78,9

a. σ N = 1 MPa

Verglichen mit der Modellierung nach Gleichung (8.13) hebt die Modellglei-
chung (8.14) besser den Wechsel in der Vorherrschaft zwischen Korngrenzen- und
Matrixdiffusion für die Kriechdeformation hervor, welches den metallphysikali-
schen Vorstellungen über intragranulares Versetzungskriechen (vgl. 5.4.3.4) und
über Korngrenzengleiten (vgl. 5.4.3.5) entspricht. Dementsprechend kennzeichnen
C 2, C 5 den Typ der vorherrschenden Diffusionsart und C 3, C 6 entsprechen den
für die verschiedenen Arten der Diffusion notwendigen Aktivierungsenergien. Aus
den experimentellen Untersuchungen geht wegen des begrenzten Versuchstempe-
8.3 Zweistoffsystem mit Mischkristallbildung - Zinn Blei 379

raturbereiches (278 K ... 323 K) jedoch nicht eindeutig hervor, ob ein solcher
Mechanismenwechsel tatsächlich stattfindet. In den in [581] veröffentlichten, an
normal erstarrten Bulkproben durchgeführten Untersuchungen über einen größeren
Temperaturbereich (233 K ... 423 K) wurden jedoch unterschiedliche Aktivie-
rungsenergien für unterschiedliche Versuchsbedingungen ermittelt. Allerdings ist
in dieser Untersuchung die Korrelation zwischen Aktivierungsenergie und Tempe-
ratur größer als die zur Versuchsspannung, sodass sich kein konsistentes Bild mit
den Untersuchungen zur Superplastizität [24, 25, 43, 577] ergibt.

8.3.5 Rissausbreitungsverhalten

8.3.5.1 Untersuchungen an Bulkproben

Das Problem bei der Analyse der in der Literatur veröffentlichten Untersuchun-
gen zur Rissausbreitung besteht darin, dass in vielen Veröffentlichungen [503,
585-591], welche sich mit Fragen der Rissausbreitung, entsprechender Rissausbrei-
tungsmodelle bzw. bruchmechanischer Schädigungsformulierungen befassen,
Ansätze und Methoden genutzt werden, die einen Vergleich zu den an kleinen Lot-
kontakten durchgeführten Experimenten erschweren. So wird beispielsweise in
den sehr häufig zitierten Untersuchungen von Salomon [590], in welchen das
Ermüdungsverhalten des SnPb40-Lotes an dünnen, zwischen Messing- bzw. Kup-
ferquadern befindlichen Lotplättchen mit einer Dicke von 0,152 mm ... 0,229 mm
und einer Grundfläche 2,54 mm X 12,7 mm bestimmt wurde, das Schädigungsver-
halten des Lotes über das in 6.3.3.3 beschriebene Strain-Range-Partioning-Konzept
beschrieben. Wie jedoch durch Satoh, Arakawa und Harada [592] später gezeigt
wird, lassen sich aus einem materialabhägigen Dehnungsamplitude-Lebensdauer-
Ansatz keine praktischen Abschätzungen für Lotkontakte in elektronischen Auf-
bauten machen. Wie der Vergleich von Ermüdungsdaten an Lotkontakten von Flip-
Chip-Aufbauten, Small-Outline-Package-Bauelementen und Quad-Plastic-
Package-Bauelementen zeigt, existieren bei Verwendung von Coffin-Manson-ähn-
lichen Beschreibungen starke Abhängigkeiten von der Kontaktgeometrie. Um die-
ses Problem zu umgehen, wird später von Guo und Conrad [502, 593] vorgeschla-
gen, eine Rissausbreitungsgleichung auf der Basis eines Schädigungsparameters zu
verwenden, bei der die plastische Verformungsenergiedichte (ΔWpl) gegenüber
den klassischen bruchmechanischen Parametern ΔK und ΔJ als die beste Variante
der Schädigungsmodellierung ermittelt wird. In der Untersuchung von Guo [502]
wird ein scheibenförmiger (Lot zwischen zwei Cu-Scheiben) und angekerbter Lot-
probekörper mit einem Durchmesser von 4 mm verwendet. Dabei wird das Ris-
sausbreitungsverhalten in einem Bereich der Rissausbreitungsgeschwindigkeiten
von 10-7...10-4 m/Zyklus bestimmt und mit einer dem Paris-Erdogan-Gesetz
(vgl. 6.3.2.5) verwandten Fitgleichung (Gleichung (8.15)) gegenüber der plasti-
schen Verformungsenergiedichte (ΔWpl) dargestellt:
380 8 Experimentelle Ergebnisse

da β
------- = α ⋅ ( ΔW pl ) (8.15)
dN

Im Ergebnis dieser Untersuchung ergeben sich die in Tabelle 8.16 aufgeführten


Werte für die Fitgleichungsparameter α und β .

Tabelle 8.16 Parameter für ein Rissausbreitungsmodell (Gleichung (8.15)) für SnPb63-Lot

α β T [K] Probe Quelle

3,1.10-7 1,59 300 gekerbt [502]

2,8.10-7 1,50 300 glatt [502]

8.3.5.2 Untersuchungen an Flip-Chip-Kontakten

Mit den in 7.5.3.4 und 7.5.3.5 beschriebenen Versuchseinrichtungen wurde eine


große Anzahl von Kriech-Ermüdungs-Versuchen an Flip-Chip-Kontakten durchge-
führt. Als Proben wurden die in 8.3.3.2 beschriebenen Flip-Chip-Probekörper mit
jeweils 4 Eckkontakten genutzt. Das Versuchsprogramm bestand dabei aus isother-
men Ermüdungsversuchen mit einer symmetrischen, zyklischen Wechselbelastung,
wobei die Amplitude als auch die Periodendauer eines Wechselbelastungszyklus
verändert wurden. Innerhalb eines Versuches wurde von Beginn bis zur vollkom-
menen Erüdung der Lotkontakte immer mit einer konstanten Amplitude und Peri-
odendauer gearbeitet. Als Wechselbeslastungsprofil wurde eine gleichseitige Drei-
ecksdehnung verwendet. Andere Profile, wie z. B. Sinus-, Trapez- oder
Rechteckfunktionen, kamen nicht zum Einsatz. Alle Versuche wurden bei Raum-
temperatur durchgeführt [594].
Zur Ermittlung der phänomenologischen Erscheinung der Ermüdungsrissbil-
dung in Lotkontakten wurden zunächst Versuche mit der in 7.5.3.4 beschriebenen
Versuchseinrichtung im Rasterelektronenmikroskop durchgeführt. Dabei wurden
die Lotkontakte mit den oben beschriebenen Wechselbelastungszyklen bei einer
Periodendauer von T = 10 s und einer Dehnungsamplitude von Δε = 0,8
μm .... 5 μm ermüdet. In Abhängigkeit von der Dehnungsamplitude wurden in
einem festen Abstand (5 ... 25 Zyklen) rasterelektronenmikroskopische Aufnah-
men (mehrere Aufnahmen an verschiedenen Stellen der Verformungshysterese)
vom Lotkontakt gemacht, um ein kontinuierliches Bild der Schädigung zu erhalten
(vgl. Abb. 8.11, Abb. 8.12). Die Zeitdauer eines Bildaufnahmezyklus betrug ca. 30
min. Aus diesen Ermüdungsuntersuchungen an SnPb-Flip-Chip-Lotkontakten im
Rasterelektronenmikroskop geht hervor, dass sich der Riss immer im oberen bzw.
8.3 Zweistoffsystem mit Mischkristallbildung - Zinn Blei 381

Dehnungsamplitude Δε = 0,8 μm Dehnungsamplitude Δε = 2,5 μm

a) Ausgangszustand e) Ausgangszustand

b) 20000. Zyklus f) 1000. Zyklus

c) 25000. Zyklus f) 2000. Zyklus

c) 30000. Zyklus f) 3000. Zyklus

Abb. 8.11 Ergebnisse der Rissausbreitungsexperimente im Rasterelektronenmikroskop mit der in


7.5.3.4 beschriebenen Deformationseinrichtung, Ergebnisse aus Rissausbreitungsversuch in einem
SnPb37-Flip-Chip-Kontakt (1. Versuch: Dehnungsamplitude Δε = 0,8 μm, Kontakt im a)
Ausgangszustand und nach b) 20000, c) 25000, d) 30000 Wechselbelastungszyklen. 2. Versuch:
Dehnungsamplitude Δε = 2,5 μm, Kontakt im a) Ausgangszustand und nach b) 1000, c) 2000,
d) 3000 Wechselbelastungszyklen).
382 8 Experimentelle Ergebnisse

Dehnungsamplitude Δε = 5 μm

a) Ausgangszustand b) 75. Zyklus

b) 150. Zyklus d) 300. Zyklus

Abb. 8.12 Ergebnisse der Rissausbreitungsexperimente im Rasterelektronenmikroskop mit der in


7.5.3.4 beschriebenen Deformationseinrichtung, Ergebnisse aus Rissausbreitungsversuch in einem
SnPb37-Flip-Chip-Kontakt (2. Versuch: Dehnungsamplitude Δε = 5 μm, Kontakt im a) Ausgangs-
zustand und nach b) 1000, c) 2000, d) 3000 Wechselbelastungszyklen).

unteren Drittel (bezüglich der Höhe des Kontaktes) ausbreitete, sogar dann, wenn
an anderen Stellen des Kontaktes (z. B. im Zentrum) deutlich Inhomogenitäten in
Form von Oberflächenporen zu beobachten waren. Wurde der Lotkontakt mit klei-
nen Dehnungsamplituden belastet (Δε = 0,8 μm, siehe Abb. 8.11), konnte über eine
verhältnismäßig lange Phase eine gleichmäßige Schädigung des Lotkontaktes über
einen breiten Bereich beobachtet werden, welcher eine relativ kurze Phase einer
äußerlich wahrnehmbaren Rissausbreitung folgte. Wenn davon ausgegangen wird,
dass sich in der ersten Phase viele kleine Einzelrisse bilden, welche dann zu einem
Hauptriss zusammenwachsen, erfolgt die Berechnung der mittleren Rissausbrei-
tungsgeschwindigkeit da/dN über

da 2 dΔF 1
------- = n ⋅ dr ⋅ – ----------- ⋅ ---------- , (8.16)
dN dN ΔF 0

wobei dr der Kontaktdurchmesser an der Rissstelle, ΔF0 die Kraftamplitude


beim 1. Zyklus und d(ΔF)/dN der Abfall der Kraftamplitude über der Zyklenzahl N
8.3 Zweistoffsystem mit Mischkristallbildung - Zinn Blei 383

1.Zyklus 1500. Zyklus


Kraft [N]

Kraft [N]
Verschiebung [μm] Verschiebung [μm]

Abb. 8.13 Parameter aus den aufgezeichneten Hysteresen des 1. Zyklus und des 1500. Zyklus des
Rissausbreitungsexperiments, ΔWpl = durch plastische Dehnung verrichtete Arbeit, ΔWoc = durch
das Aufeinanderdrücken von Rissoberflächen scheinbar verrichtete Arbeit aus [12]

ist. Der Kontaktdurchmesser an der Rissstelle dr konnte über die In-situ-Experi-


mente im Rasterelektronenmikroskop bestimmt werden. Die Anzahl n der wach-
senden Risse lässt sich aus dem Experiment jedoch schlecht bestimmen, wodurch
die Formel nicht wirklich geeignet ist, um zu Aussagen über die Risswachstumsge-
schwindigkeit zu gelangen. Aus diesem Grund sind zur Ermittlung einer Rissaus-
breitungsgeschwindigkeit Ermüdungsexperimente mit großen Dehnungsamplitu-
den (z. B. Δε = 5 μm, siehe Abb. 8.12) besser geeignet, bei denen über die gesamte
Zeitdauer der Werkstoffermüdung die Ausbreitung eines Einzelrisses über die
Kontaktbreite beobachtet wurde [12].
Zur Ermittlung der quantitativen Zusammenhänge der Ermüdungsrissbildung in
Lotkontakten wurden in einem zweiten Schritt Versuche mit der in 7.5.3.5
beschriebenen Ermüdungseinrichtung durchgeführt. Dabei wurden die Lotkontakte
mit den eingangs beschriebenen Wechselbelastungszyklen verschiedener Peri-
odendauer und Dehnungsamplitude beansprucht. Die Periodendauer wurde bei
einer konstanten Dehnungsamplitude von Δε ~ 1,3 % (Δs = 1,3 μm) im Bereich
von T = 0,1 s ... 2500 s variiert. Die Dehnungsamplitude wurde bei einer konstan-
ten Periodendauer von T = 1 s im Bereich von Δε ~ 0,3 % .... 4 %
(Δs = 0.3μm ... 4μm) verändert. Die Ergebnisse aus den Versuchen der in 7.5.3.5
beschriebenen Versuchseinrichtung zur Bestimmung der Rissausbreitung in Flip-
Chip-Kontakten sind in Abb. 8.13 und Abb. 8.14 dargestellt. In den beiden Dia-
grammen in Abb. 8.13 sind exemplarisch die während der Rissausbreitungsexperi-
mente aufgezeichneten Kraft-Verschiebungs-Hysteresen dargestellt. Dabei werden
die mit einer Verschiebungsamplitude von Δs = 1 μm während des 1. Zyklus und
während des 1500. Zyklus aufgezeichneten Kraft-Verschiebungs-Hysteresen ein-
ander gegenübergestellt. Die Fläche innerhalb der Hysteresen entspricht der vom
Flip-Chip-Kontakt während eines Zyklus dissipierten Energie. Diese Energie kann
neben der Bildung neuer Oberflächen (= Rissausbreitung) auch in Gefügeänderun-
384 8 Experimentelle Ergebnisse

1,0

Kraftamplitude der Hysterese x 2 [N]


Anstieg nach Umkehrpunkt [N/µm]
0,9 Ds = 1,3 µm

0,8

0,7 Anstieg der Hysterese nach


dem Umkehrpunkt
0,6

0,5

0,4

0,3
Kraftamplitude der
0,2 Hysterese

0,1

0,0
0 2000 4000 6000 8000 10000 12000 14000

Zyklenanzahl

Abb. 8.14 Verringerung der Kraftamplitude und des Anstieges nach dem Umkehrpunkt über der
Zyklenanzahl bei einer Dehnungsamplitude von Δs = 1,3 μm

gen oder in Wärme umgesetzt werden. Zur korrekten Auswertung der Rissausbrei-
tungsexperimente ist es daher wichtig, den Anteil der Energie zu ermitteln, welcher
ausschließlich zur Rissausbreitung führt. Dazu wurde der Anstieg der Kraft-Ver-
schiebungs-Hysterese nach dem Umkehrpunkt bestimmt. Da dieser Anstieg mit
dem E-Modul korrespondiert, lässt sich die intakte Restfläche an der Stelle des sich
ausbreitenden Risses wie folgt abschätzen [12]:

2⋅E
A intakt = ----------- (8.17)
ΔF

Während des ersten Zyklus lassen sich die Kraftamplitude (ΔF), die durch plas-
tische Dehnung verrichtete Arbeit (ΔWpl) und der Anstieg nach dem Umkehrpunkt
(E) sehr einfach bestimmen. Bei einer etwas fortgeschritteneren Zykluszahl ändert
sich jedoch die Form der Hysterese an den Umkehrpunkten und es bilden sich
kleine Spitzen heraus. Die Ursache dieser Spitzen liegt in der Vergrößerung der
effektiven Fläche an der Rissstelle. An den Umkehrpunkten werden die bereits
geöffneten Rissflächen wieder aufeinander gedrückt werden. Deshalb muss der
Anstieg am Umkehrpunkt aus der Differenz der Anstiege nach (m1) und vor (m2)
dem Umkehrpunkt bestimmt werden. Aufgrund der Übereinstimmung im Abfall
des Anstieges nach dem Umkehrpunkt und der Kraftamplitude bei fortschreitender
Zyklenzahl (Abb. 8.14) wurde abgeleitet, dass bei großen Dehnungsamplituden ein
konstanter Anteil der durch das Material dissipierten Energie in Rissausbreitung
umgesetzt wird. Wird zur Berechnung der mittleren Rissausbreitungsgeschwindig-
8.3 Zweistoffsystem mit Mischkristallbildung - Zinn Blei 385

1,0

Ds = 1,3 mm
0,9

T=1s
0,8
DF/DFo

T=100s
0,7

T=1000s
0,6

0,5

0 1000 2000 3000 4000 5000 6000

Zyklen

Abb. 8.15 Verringerung der Kraftamplitude über der Zyklenanzahl bei einer Dehnungsamplitude
von Δs = 1,3 μm und Periodendauern von 1 s, 100 s, 1000 s

keit da/dN von einem kreisförmig wachsenden Riss ausgegangen, so lässt sich
diese aus dem Kraftabfall in der experimentell ermittelten Kraft-Verschiebungs-
Hysterese über

da ( ΔF ) ---------
§ – d--------------- 1 -· 2
------- = ⋅ ⋅d (8.18)
dN © dN ΔF 0¹ r

bestimmen [595]. Wie die durchgeführten Experimente zeigten, hängt die Riss-
wachstumsrate dabei neben der Amplitude auch sehr stark von der Wechselfre-
quenz ab (vgl. Abb. 8.15). Bei geringen Wechselfrequenzen, bei denen wahr-
scheinlich Prozesse der Kriechrissbildung eine größere Rolle spielen, kommt es zu
einer höheren Rissausbreitungsgeschwindigkeit als bei hohen Wechselfrequenzen,
für die angenommen wird, dass eine instantanplastische Verformung an der
Rissspitze dominiert.
Um die experimentell ermittelte Rissausbreitungsgeschwindigkeit einem Bean-
spruchungsparameter gegenüberzustellen, wurde eine 3D-FEM-Simulation des
Experiments durchgeführt. In Abb. 8.16 sind exemplarisch das von einer raster-
elektronenmikroskopischen Aufnahme des Flip-Chip-Kontaktes abgeleitete FEM-
Geometriemodell sowie ein Beispiel für eine Berechnung einer Spannungs-Deh-
nungs-Hysterese für einen Wechselbelastungszyklus gezeigt. Für diese Berech-
nung wurde ein kritisches Element ausgewählt, welches sich im Kontaktvolumen
befindet. Die errechnete Spannungs-Dehnungs-Hysterese wurde in den elastischen,
instantanplastischen und kriechplastischen Verformungsanteil zerlegt. Aus den
386 8 Experimentelle Ergebnisse

Berechnungen konnte für einen nichtangerissenen Kontakt abgeleitet werden, dass


bei größeren Verformungen die Kriechverformung dominiert. Aus den errechneten
Hysteresen wurden die für das Aufstellen einer Risswachstumsgleichung notwen-
digen Beanspruchungsparameter plastische Verformungsenergiedichte ΔWpl und
akkumulierte inelastische Dehnung εacc ermittelt. Auf der Grundlage dieser beiden
Beanspruchungsparameter wurden in einer zu Gleichung (8.16) analogen Formuli-
erung zwei verschiedene Rissausbreitungsgleichungen aufgestellt [595]:

da ΔW pl β [ Hz ] γ T δ
------- = α ⋅ § -----------------· ⋅ § -----------· ⋅ § --------· (8.19)
dN © [ MPa ]¹ © f ¹ © [ K ]¹

da [ Hz ] γ T δ
------- = α ⋅ ( ε acc ) ⋅ § -----------· ⋅ § --------· ,
β
(8.20)
dN © f ¹ © [ K ]¹

wobei f die Belastungsfrequenz ist und T der Temperatur entspricht. Die


Werkstoffparameter α, β, γ, δ sind für SnPb37 Lot in Tabelle 8.17 zusammenge-
fasst.

Tabelle 8.17 Parameter für Rissausbreitungsgleichungen (8.19) und (8.20) für SnPb37-Flip-
Chip-Lotkontakte aus[595]

α β γ δ

ΔWpl 8.10-7 1 0,2 -

εacc 2 10-7 1 0,15 -

8.4 Zweistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber

8.4.1 Auswahl des Datenmaterials

Der Umfang der am Zweistoffsystem Sn-Ag durchgeführten Experimente ist


wesentlich geringer als der für die metallurgischen Systeme Sn-Pb und Sn-Ag-Cu.
Dies hängt damit zusammen, dass bei verschiedenen Pilotexperimenten zur Ver-
wendung von Sn-Ag als Verbindungswerkstoff festgestellt wurde, dass dieser in
Verbindung mit bestimmten Anschlussmetallisierungen in sehr viel höherem Maße
zu zuverlässigkeitseinschränkenden metallurgischen Reaktionen neigt als das von
seinen Verarbeitungseigenschaften ähnliche Sn-Ag-Cu-Lot. Der dringende Bedarf
an Werkstoffdaten zu Beginn der Umstellung auf eine bleifreie Verbindungstech-
nik führte daher zu einer starken Fokussierung auf Experimente am Sn-Ag-Cu-
8.4 Zweistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber 387

40 FEM Results

30 Deformation
elast.
plast.
20
creep
total

Stress [Mpa]
10

0
a) -10
1 ANSYS 5.3
Y MAY 19 1999
X Z
20:58:26
PLOT NO. 1
-20
ELEMENT SOLUTION
STEP=50
SUB =16
TIME=3125 -30
EPTOEQV (NOAVG)
DMX =.650E-03
SMN =.926E-03
SMX =.012994
.926E-03 -40 -1
Wplast.= 0,176 Mpa m
-1
Wcreep= 1,522 MPa m
-1
Wtotal = 1,698 MPa m
.002267
.003608
.004949
.00629
.00763 -0,015 -0,010 -0,005 0,000 0,005 0,010 0,015
.008971
.010312
.011653
.012994
Strain
MN
c)

MX

b) Jak110/108, Amplitude=0.65um, Temp=27C, Periode=2500s

Abb. 8.16 a) Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme des Flip-Chip-Lotkontaktes, b) abgelei-


tetes FEM-Geometriemodell, c) berechnete Spannungs-Dehnungs-Hysteresen im Belastungs-
zyklus mit getrennt ausgewiesenem elastischen, instantanplastischen und kriechplastischen Anteil
für ein kritisches im Festkörpervolumen befindliches Element im nichtangerissenen Kontakt.

System, da der weitaus größte Teil der für diese Untersuchungen zu Verfügung
gestellten Forschungsmittel direkt von Industrieunternehmen gezahlt wurde und
gleichzeitig die Materialzulieferer (z. B. Lotpastenhersteller) nur wenig Interesse
zeigten, metallurgische Systeme weiterzuentwickeln, die ein geringes Marktpoten-
zial hatten. Besonders für die Durchführung von Experimenten an kleinvolumigen
Probekörpern bestand eine vollkommene Abhängigkeit von den Materialzuliefe-
rern, da es nicht gelang, die Stoffsysteme Sn-Ag bzw. Sn-Ag-Cu in ausreichender
Qualität galvanisch abzuscheiden. Aus diesem Grund konnte die Herstellung ent-
sprechender Proben nur über Siebdruck von Lotpaste erfolgen, wobei sehr oft auf
Entwicklungsversionen entsprechender Lotpasten zurückgegriffen werden musste,
welche den Anforderungen an Pastendruck in sehr kleinen Rastern nicht immer
genügten.
Durch diese komplizierten Randbedingungen entstand ein Untersuchungspro-
gramm, was sich eher an pragmatischen Gesichtspunkten als an einer rein werk-
stoffphysikalisch geprägten Systematik orientierte, dessen Ergebnisse jedoch
gegenüber den formulierten wissenschaftlichen Fragestellungen (vgl. 1.6) weitrei-
chende Schlussfolgerungen zulässt.
Die Untersuchungen am Sn-Ag-System setzten sich im Einzelnen aus Experi-
menten an großvolumigen Bulkproben, an Leiterplattendurchsteckkontakten,
kleinvolumigen Mikrolotbällen und kleinstvolumigen Flip-Chip-Kontakten zusam-
men. Innerhalb der Experimente an Bulkproben wurde in monotonen Zugversu-
chen das Kriechverhalten von Doppelschulterproben (Durchmesser 3 mm, Länge
388 8 Experimentelle Ergebnisse

117 mm) aus SnAg3,5-Lot bei Prüftemperaturen von T = 30 °C, 70 °C charakteri-


siert. In einer zweiten Versuchsserie wurde in monotonen Lastwechselversuchen
an Doppelschulterproben (rechteckiger Querschnitt 3mm x 4 mm, Länge 50 mm)
der Einfluss der Legierungselemente Ag-Anteils (2 % ... 4 %) auf das Kriechver-
halten bei Versuchstemperaturen von T = 30 °C, 60 °C, 100 °C, 150 °C untersucht.
In monotonen Scherversuchen an Leiterplattendurchsteckkontakten wurde das
Kriechverhalten des Lotes über einen in ein Durchkontaktierungsloch einer Leiter-
platte gelöteten Cu-Stift (Lotspalt = 0,1 mm X 1,6 mm) bei Prüftemperaturen von
T = 30 °C, 70 °C charakterisiert. In zyklischen Scherversuchen an kleinstvolumi-
gen Mikrolotbällen (kugelförmig, Durchmesser = 200 μm bzw. 400 μm) wurde das
Kriechverhalten verschiedener SnAgCu-Lotlegierungen bei Prüftemperaturen von
T = 20 °C, 75 °C, 125 °C charakterisiert. Die Einstellung unterschiedlicher Gefüge
wurde durch Variation der Lotlegierungen sowie der Unterbumpmetallisierungen
(Sn/Cu vs. NiAu)) vorgenommen. In einem zyklischen Scherversuch an kleinstvo-
lumigen Filp-Chip-Kontakten (Zylinder, Durchmesser = 200 μm, Höhe = 200 μm)
wurde das Kriechverhalten von eutektischem SnAg3,5-Lot bei Prüftemperaturen
von T = 5 °C, 50 °C bestimmt. Dabei wurde der Einfluss des Materiales der Unter-
bumpmetallisierungen (Cu und NiAu) sowie der Einfluss verschiedener Abkühlge-
schwindigkeiten (-40 K/min und -120 K/min) untersucht.

8.4.2 Elastische Eigenschaften

Zwar ist Sn-Ag ebenso wie Sn-Pb ein Zweistoffsystem, allerdings wird wegen
des geringen Anteils der Ag3Sn-Phase (EAg3Sn = 79 GPa1 [596]) der E-Modul der
Legierung vor allem durch die elastischen Eigenschaften der β-Sn-Phase
(ESn = 49,9 GPa2 [567]) bestimmt. Wie in Zugtests an SnAg3-Proben und dazu
korrespondierenden FE-Analysen ermittelt wurde, hat die Gefügemorphologie,
d. h. die Größe und Verteilung der Ag3Sn-Phasen in der β-Sn-Matrix (vgl. 3.2.1,
Abb. 3.5), einen unbedeutenden Einfluss auf den Wert des E-Moduls [597]. In
Tabelle 8.18 befindet sich eine Auflistung verschiedener publizierter Werte experi-
mentell bestimmter E-Moduli für eutektisches SnAg-Lot unter Angabe der wesent-
lichen Versuchsbedingungen. Es ist zu erkennen, dass die experimentell ermittel-
ten Werte stark streuen, sich jedoch für Raumtemperatur ein Wert ähnlich dem
Elastizitätsmodul von reinem β-Sn ergibt. Wie bei der SnPb-Legierung wurde der
E-Modul auch durch Ultraschallmikroskopie bestimmt. Als Probekörper dienten
dabei zylindrische Lotplättchen mit einer Dicke von 300 μm und einem Durchmes-
ser von 3 mm. Aus der Bestimmung der Signallaufzeit der Longitudinal- und
Transversalwellen konnten die elastischen Parameter Elastizitätsmodul ( E ) ,
Schermodul ( G ) und Querkontraktionszahl ( ν ) bestimmt werden, welche in
Tabelle 8.19 den Ergebnissen aus den Verformungsversuchen in [598] gegenüber-

1. Wert bei Raumtemperatur


2. Wert bei T = 20 °C
8.4 Zweistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber 389

Tabelle 8.18 Elastizitätsmoduli von eutektischem SnAg-Lota

Legierung T [K] dε/dt [s-1] E [GPa] Bemerkung Quelle

96,5Sn-3,5Ag 300 1.10-3 48 Bulkzugprobe; Be- und [597]


Entlastungstest bis 0,01 %

96,5Sn-3,5Ag 273 - 42 - [598]


323 40
473 36

96,5Sn-3,5Ag 298 - 50 Bulkzugprobe [599]

253 -
96,5Sn-3,5Ag - 35 Identationsversuch [600]
398

a. Tabellenwerte teilweise aus in den Publikationen enthaltenen Grafiken entnommen und


sinnvoll gerundet.

gestellt sind. Wie bei der SnPb-Legierung zeigt sich auch bei der SnAg-Legierung,
dass die Werte für die rein elastische Verformung bei Ultraschallanregung, d. h.
der physikalische E-Modul (vgl. 4.3.1), wesentlich höher sind als die bei Verfor-
mungsmessungen, d. h. der technische E-Modul, welche offensichtlich durch ein
geringes Maß an Versetzungsbewegungen begleitet werden. Erstaunlich ist, dass
die Unterschiede zwischen dem im Zugversuch und dem in der Ultraschallmessung
bestimmten E-Modul relativ hoch sind, obwohl gegenüber dem SnPb-Lot bei
einem SnAg-Lot mit fein verteilten Ag3Sn-Phasen von einer starken Behinderung
der Versetzungsbewegung ausgegangen werden müsste und dadurch bei Raumtem-

Tabelle 8.19 Elastische Parameter von eutektischem SnAg-Lot und seiner Legierungsbestand-
teile bei Raumtemperatur

Legierung E [GPa] G [GPa] ν Bemerkung Quelle

96,5Sn-3,5Ag 70,5 27,2 0,29 Ultraschallmessung TUDa

96,5Sn-3,5Ag 41 - 0,4 Bulkprobe [598]

Sn 71,3 26,1 0,37 Ultraschallmessung TUDa

Sn 54 20,2 0,33 - [536]

Ag3Sn 79 - - Bulkprobe [596]

Ag3Sn 81,4 - 0,347 Ultraschallmessung [601]

a. Ultraschallmessungen wurden an der TU Dresden von M. Röllig und N. Gust an zylindrischen


Lotplättchen mit 3 mm Durchmesser und einer Dicke von 0,3 mm vorgenommen
390 8 Experimentelle Ergebnisse

peraturversuchen geringere plastische Verformungsanteile im Bereich des „elasti-


schen“ Kurvenabschnittes zu erwarten wären.

8.4.3 Instantanplastische Verformung

8.4.3.1 Untersuchungen an Bulkproben

Trotz des höheren Schmelzpunktes der eutektischen SnAg-Legierung unter-


scheidet sich die Problematik der Fließspannungsbestimmung durch die höheren
homologen Materialtemperaturen im relevanten Anwendungsbereich nicht von der
des SnPb-Lotes (vgl. 8.3.3.1), weshalb sich die Auflistung der an makroskopischen
Probekörpern bestimmten Werte in Tabelle 8.20 auf die Parameter Fließspannung

Tabelle 8.20 Fließspannung (σF) und Verfestigung (h) für SnAg bei erhöhten homologen Tem-
peraturen

σF [MPa] h [MPa] T[K] dε/dt [s-1] Bemerkunga Quelle

39,4 - 298 1.10-2 Bulkzugprobe SnAg3,5 [603]


32,8 (12 mm x 12,5 x 6,5 mm ) 2
1.10-3
26,3 . -4
1 10
23,0
23,0 353 1.10-5

17,5 1.10-2
16,0 1.10-3
12,5 1.10-4
1.10-5

82 250 218 1.10-2 Bulkzugprobe, SnAg4 [604]


68 156 258 (15,3 mm x 31,6 mm ) 2

48 93 296
31 31 348
17 0 398

44 0 223 2,38.10-3 Bulkzugprobe SnAg3,5 [609]


32 298 2
(34 mm x 78,5 mm )
16 373
9 423

a. Angaben erfolgen für Proben mit rechteckigem Querschnitt in der Reihenfolge


Länge x Breite x Tiefe und für Proben mit rundem Querschnitt in der Reihenfolge
Länge x Querschnittsfläche
8.4 Zweistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber 391

(σF) und Verfestigung (h) beschränkt, welche zusammen mit der beim Versuch
verwandten Dehnungsgeschwindigkeit (dε/dt) übersichtsartig wiedergeben wer-
den. Aus diesen der Literatur entnommenen Werten ist ersichtlich, dass nicht uner-
hebliche Schwankungen für die Angabe der Fließspannung in den verschiedenen
publizierten Untersuchungen bestehen. Für Raumtemperatur liegt die Schwan-
kungsbreite zwischen σF = 32 MPa ... 48 MPa, wobei der höhere Wert bei der
Legierung mit dem höheren Ag-Anteil aufgenommen wurde. Gegenüber der SnPb-
Legierung ergibt sich im Mittel ein etwas höherer Wert sowohl für die Fließspan-
nung als auch für die Verfestigung, wenngleich die Unterschiede nicht drastisch
sind.

8.4.3.2 Untersuchungen an Flip-Chip-Kontakten

Zur Untersuchung des Verformungsverhaltens von SnAg-Lot an kleinstvolumi-


gen Flip-Chip-Kontakten wurde ein Probekörper entwickelt, der zu dem für die
Untersuchungen an SnPb-Lot eingesetzten Flip-Chip-Probekörper (vgl. 8.3.3.2)
prinzipiell identisch ist. Aufgrund spezifischer technologischer und werkstoffphy-
sikalischer Unterschiede zwischen SnAg-Lot und SnPb-Lot bezüglich der Verwen-
dung zum Fügen von Bauteilen in elektronischen Baugruppen waren bestimmte
Modifikationen erforderlich.
Die erste wesentliche Abänderung betrifft den Lotauftrag bei der Herstellung
der Lotbumps auf den einzelnen Siliziumchips. Für die Abscheidung von SnAg-
Lot musste eine drucktechnische Variante genutzt werden, da die galvanische
Abscheidung dieses Lotwerkstoffe zum Zeitpunkt der Untersuchung noch nicht
ausgereift war, da aufgrund der sehr unterschiedlichen elektrochemischen Poten-
ziale von Sn und Ag die Abscheidung eines homogenen Depots schwierig ist. Für
die Durchführung eines drucktechnischen Prozesses wurden das in Abb. 8.17 a, b
dargestellte Maskenlayout (für Lithografie und Siebdruck) entwickelt. Die Grund-
zelle dieses Layouts besteht aus 9 Chips, welche die in Abb. 8.17 b aufgezeigte
Struktur besitzen. Diese besteht aus Padflächen für das Bumping, welche jeweils
auf die 4 Chipecken verteilt sind. Die Padflächen haben eine rechteckige Grundflä-
che mit den Kantenlängen b, c. Die Chips haben jeweils eine quadratische Grund-
fläche der Kantenlänge a= 4 mm (vgl. Abb. 8.17 c). In einer Reihe von Druckver-
suchen wurde ermittelt, dass für die reproduzierbare Herstellung von Chips mit
homogenen Bumphöhenverteilungen nur die Chips mit Lotbumppads von
b = c = 200 μm und b = c = 400 μm geeignet waren. Zur Herstellung aller in den
Untersuchungen verwendeten Flip-Chip-Probekörper wurden Chips mit einer
Bumpgrundfläche von 200 μm X 200 μm eingesetzt. Zur Herstellung der SnAg-
Bumps wurden die Lotpasten Degussa Deme Print, Sn96,5-Ag3,5, Typ 4 und
Umnicore Microbond SnAg3.5-D3-DA437-7, Typ 5 eingesetzt. Beide zeigten ein
gutes Druckbild, wobei die Bumphöhenverteilung bei der erst zu einem späteren
Zeitpunkt erhältlichen Typ 5-Paste signifikant besser ausfiel als bei der Typ 4-
Paste. Vor Montage der Flip-Chip-Probekörper wurden jeweils solche Chips aus-
392 8 Experimentelle Ergebnisse

a) b)

c
b

Lotkontakt
Lot-Bump
a
Si-Chip

c) d)

Abb. 8.17 Maskenlayout für Herstellung von Testchips: a) Waferlayout mit sich wiederholenden
Strukturen, b) Layout der entsprechenden Grundzelle dieser sich wiederholenden Strukturen, c)
Gesamtaufbau des Probekörpers, d) rasterelektronmikroskopische Aufnahme eines Flip-Chip-
Kontaktes

gewählt, die eine gute Homogenität der Bumphöhen aufwiesen. Das Umschmel-
zen der drucktechnisch abgeschiedenen Lotdepots erfolgte in einem Dampfphasen-
ofen bei einer Temperatur von ca. 240 °C (Siedepunkt des Dampfphasenmediums).
Die Umschmelzdauer betrug 20 Sekunden. Zur Fertigung der Probekörper wurden
jeweils zwei identische Siliziumchips diametral miteinander verlötet, sodass ein
Flip-Chip-Verbund mit 4 Eckkontakten entsteht (Abb. 8.17 c,d), wobei durch eine
spezielle z-Bewegung des oberen Siliziumchips eine hyperboloide Kontaktform
eingestellt wurde (vgl. 7.4.4.3). Während des Fügevorgangs wurden Abkühlraten
von 120 K/min (schnell) sowie von 40 K/min (langsam) erreicht, welche allerdings
nicht zur Einstellung signifikant unterschiedlicher Gefüge im Lotkontakt führten.
Da bei den Versuchen an SnAg-Lot auch keine Unterschiede im mechanischen
Verhalten gefunden wurden, wurde bei weiteren Experimenten auf eine weitere
Variation der Abkühlraten verzichtet.
8.4 Zweistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber 393

Eine weitere Variation betraf die Wahl der Unterbumpsmetallisierung (UBM),


welche sowohl als Cu-UBM als auch als NiAu-UBM ausgelegt wurde. Die
Schichtaufbauten dieser beiden Unterbumpmetallisierungen sind in Abb. 8.18
schematisch dargestellt.

Cu-UBM NiAu-UBM

Chipgrundmaterial Si

Passivierung SiO2, 500 nm

Diffusionsbarriere WTi, 50 nm

Metallisierung Cu, 7μm Cu, 4μm

Ni, 3μm

Au, ca. 100 nm

Abb. 8.18 Schichtaufbau der Unterbumpmetallisierung (UBM) für Flip-Chip-Probekörper

Die Ermittlung des elastisch-plastischen Verformungsverhaltens von eutekti-


schem SnAg-Lot an kleinstvolumigen Flip-Chip-Kontakten fand analog zu den
Untersuchungen zum SnPb-Lot statt (vgl. 8.3.3.2). Zunächst konnte aus einem
Versuch mit sich zyklisch wiederholender symmetrischer Dreiecksdehnung
(Abb. 8.4) abgeleitet werden, dass das SnAg-Lot kein zyklisches Ver- und Entfes-
tigungsverhalten aufweist, sodass das elastisch-plastische Verformungsverhalten
über einen Versuch mit symmetrischer Dreiecksdehnung und Variation der Verfor-
mungsamplituden bei Versuchstemperaturen von T1 = 278 K und T2 = 323 K cha-
rakterisiert wurde und über eine FE-Analyse der Versuche (vgl. 7.4.4.3) die in
Tabelle 8.21 aufgeführten Modellparameter bestimmt wurden. Bei der Modellie-

Tabelle 8.21 Linear-elastisches-starr-plastisches Modell mit kinematischer Verfestigung in einer


trilinearen Formulierung für SnAg3,5-Lot in Flip-Chip-Kontakten auf einer Cu-UBM aus [605]

T ε1 ε2 σ1 σ2 σ3

278 K 0,001 0,003 41 MPa 64MPa 700 MPa erstarrt

323 K 0,001 0,003 38 MPa 57,4MPa 400 MPa

rung erwies sich anlog zu SnPb die trilineare Formulierung des in Abb. 8.6 sche-
matisch dargestellten Modells als die zweckmäßigste [605].
394 8 Experimentelle Ergebnisse

8.4.4 Kriechverhalten

8.4.4.1 Untersuchungen an Bulkproben

Im Vergleich zur SnPb-Legierung lag für das SnAg-Eutektikum ein eher


begrenztes Datenmaterial vor. Die wenigen publizierten Untersuchungen zum Ver-
formungsverhalten gaben darüber hinaus kein konsistentes Bild bezüglich wichti-
ger, die Verformungsreaktion charakterisierender Parameter, wie z. B. des Span-
nungsexponenten oder der Aktivierungsenergie. Die Unterschiede zwischen
verschiedenen veröffentlichten Versuchsergebnissen waren sogar so groß, dass sie
sich durch übliche Abweichungen bei Verformungsversuchen zwischen unter-
schiedlichen Prüfständen verschiedener Laboratorien nicht erklären ließen.
Wie spätere Untersuchungen an Bulkproben zeigten, existieren verschiedene
mikrostrukturelle als auch untersuchungsmethodische Faktoren, welche die Ergeb-
nisse der Kriechuntersuchungen beeinflussen können, was einen Großteil der
Unterschiede zwischen den verschiedenen publizierten Daten verstehen hilft. Zu
den sehr wichtigen, in ihrer Bedeutung oft unterschätzten Faktoren gehört die
Methodik der Probenherstellung. Werden die Ergebnisse aus den Untersuchungen
zum Erstarrungsverhalten (vgl. 3.4.2) herangezogen, wird klar, dass es für die
Gefügeausbildung nicht unerheblich ist, wie die Proben hergestellt werden, da sich
in Abhängigkeit von den Erstarrungsbedingungen ein sehr unterschiedliches, zum
Teil auch sehr inhomogenes Gefüge der eutektischen SnAg-Legierung ergeben
kann. Für die Herstellung von Bulkprobekörpern existieren zwei bevorzugte Wege,
welche für den Hauptteil der zum SnAg-System veröffentlichten Untersuchungen
zum Einsatz kamen. Das erste Verfahren besteht darin, die Legierung zunächst in
einem inerten Behälter, z. B. einem verschlossenen Glasröhrchen, in eine zylindri-
sche Form umzuschmelzen, um das Ingot anschließend mit zerspanenden Verfah-
ren zu einer typischen Probenform (vgl. 7.4.2, Abb. 7.11) weiterzuverarbeiten. Im
zweiten Verfahren ist die spätere Probenform in einer Metallkokille bereits einge-
lassen, sodass die Probe nach dem Umschmelzen in dieser Kokille ohne weitere
Bearbeitung in die Prüfmaschine eingespannt wird. In Abhängigkeit von der Art
der Abkühlung können sich bei beiden Varianten über dem Querschnitt der Probe
unterschiedlich starke Inhomogenitäten des Gefüges bezüglich der Phasengröße
und -verteilung als auch der Kornorientierung ergeben. Zusätzlich kann in der
ersten Variante während der zerspanenden Bearbeitung ein bestimmter charakteri-
stischer Teil dieses inhomogenen Gefüges vollständig abgetragen werden, sodass
im Probenquerschnitt ein für die Legierung nicht typisches Gefüge zurückbleibt.
Die Auswirkungen auf das Verformungsverhalten durch zerspanendes Abtragen
von Proben wurden in [602] beispielhaft analysiert. Dabei zeigte sich, dass in
Abhängigkeit von der Bearbeitung der Spannungsexponent zwischen 7...14
schwanken kann. Die Dokumentation des Probengefüges erfolgte in vielen publi-
zierten Untersuchungen meist nur über einen stark vergrößerten Einzelausschnitt,
8.4 Zweistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber 395

welcher jedoch nicht repräsentativ sein muss. Aus dieser Tatsache ergibt sich eine
eingeschränkte Interpretationsfähigkeit publizierter Untersuchungsergebnisse.
Ein zweiter Faktor, der neben der Verwendung verschiedener Methoden zur
Probenherstellung zu verschiedenen Missinterpretationen führen kann, besteht in
einer nicht werkstoffphysikalisch gestützten Modellierung von Experimentaldaten.
In einer der ersten sehr umfangreichen Untersuchungen zum Kriechverhalten von
Sn-basiserten Legierungen [27] wurden - im Sinne einer einheitlichen Darstellung
der Versuchsergebnisse - die an verschiedenen Loten (Sn62Pb36Ag2; SnPb40;
Pb97,5Sn2,5; Pb95Sn5; SnAg3,5) erzielten Resultate über denselben Modellansatz
ausgewertet, ohne zu berücksichtigen, dass es sich bei diesen um verschiedene
Arten von Legierungen handelt (vgl. 3.3.2, 3.3.3). Der aus [33] entnommene
Sinushyperbolikusansatz (Gleichung (5.25)), welcher in seiner ursprünglichen
Form nur für den Bereich von reinen Metallen erarbeitet wurde, lässt sich zwar
ohne größere Einschränkungen auf ein eutektisches System mit Mischkristallhär-
tung, wie SnPb37, anwenden, seine Verwendung im Bereich teilchengehärteter
Eutektika, wie SnAg3,5, entspricht jedoch nicht mehr dem Ursprungsgedanken der
in 5.2.2.3 formulierten kinetischen Gleichungen für die Hochtemperaturplastizität.
Im Gegensatz zu eutektischem SnPb-Lot, dessen Gefüge in der Regel aus einem
Kristallgemisch zweier Mischkristalle mit einem sehr ähnlichen Verformungswi-
derstand besteht, bilden sich bei der Erstarrung des SnAg3,5-Lotes viele harte
intermetallische Ag3Sn-Phasenteilchen, welche in eine sehr viel weichere β-Sn-
Matrix eingebettet sind. Obwohl die in 5.2.2 dargestellte Verformung durch Ver-
setzungsbewegung vor allem in der strukturell einfacher aufgebauten β-Sn-Matrix
auftritt, wird die durchschnittliche Geschwindigkeit frei beweglicher Versetzungen
dadurch bestimmt, inwiefern diese an den harten intermetallische Ag3Sn-Partikeln
festgehalten bzw. durch sie in ihrer Bewegung behindert werden. Eine nach außen
hin phänomenologisch erfassbare Kriechverformung der SnAg3,5-Legierung kann
daher erst auftreten, wenn Versetzungen die sie in ihrer Bewegung behindernden
Ag3Sn-Phasenteilchen über einen der folgenden Mechanismen überwinden:
• Scheren von Partikeln
• Orowan-Mechanismus
• Kletterbewegungen um Partikel herum.
Der Scher- und der Orowan-Mechanismus hängen nur geringfügig von der
Temperatur ab, währenddessen Klettermechanismen immer eine diffusionsgesteu-
erte Leerstellenbewegung benötigen und daher grundlegend langsamer ablaufen,
d. h., solange die Vorausetzungen für einen der ersten beiden Mechanismen gege-
ben sind, sind diese gegenüber dem dritten dominant [610]. Unterhalb einer kriti-
schen Spannung - der sogenannten Orowan-Spannung - bleiben die Versetzungen
an den Ag3Sn-Partikeln hängen, so lange wie durch thermische Aktivierung die
Möglichkeit einer Kletterbewegung und somit das Umgehen der harten intermetal-
lischen Phasenteilchen ermöglicht wird. Die Kombination dieser drei Mechanis-
396 8 Experimentelle Ergebnisse

men führt zu einem zweigeteilten Verlauf des Zusammenhangs zwischen quasista-


tischer Kriechgeschwindigkeit und Spannung, welcher sich am besten durch eine
Modellgleichung mit zwei Exponentialtermen nachbilden lässt

· σ n1 Q σ n2 Q
ε = A 1 ⋅ § ------· ⋅ exp § – ------1-· + A 2 ⋅ § ------· ⋅ exp § – ------2-· , (8.21)
© σN ¹ © RT¹ © σN ¹ © RT¹

wobei A1, A2 Vorfaktoren sind. Der erste Term in Gleichung (8.21) beschreibt
die Verformungskinetik für den Klettermechanismus und der zweite Term die für
den Scher- oder Orowan-Mechanismus. Die für beide Bereiche aus verschiedenen
Publikationen entnommenen, experimentell ermittelten charakteristischen Modell-
parameter Spannungsexponent n 1, n 2 und Aktivierungsenergie Q 1, Q 2 sind in
Tabelle 8.22 zusammen mit wichtigen Versuchsbedingungen aufgeführt. Obwohl
die Modellgleichung (8.21) in ihrer Grundstruktur der Modellgleichung (8.10)
gleicht, muss beachtet werden, dass sich beide Gleichungen auf unterschiedliche
Formen von Mechanismen beziehen.
Anders als beim SnPb-Lot ist bei den verschiedenen publizierten Ergebnissen
zum SnAg-Lot auch eine klare Zuordnung von charakteristischen Werten für die
Parameter n 1, n 2 bzw. Q 1, Q 2 zu bestimmten Mechanismen nicht ohne weiteres
möglich. Dies liegt zum einen daran, dass in der Mehrzahl der Untersuchungen ein
einfaches Potenzverhalten ermittelt wurde, während ein zweigeteilter Verlauf mit
unterschiedlichen Exponenten nur in wenigen Studien gefunden werden konnte. In
diesem Fall ergab sich für den Bereich kleiner Spannungen ein theoretisch plausi-
bler Wert für den Spannungsexponenten von n 1 = 3 , welcher auf einen Kletter-
mechanismus hinweist. Für den Bereich großer Spannungen schwanken die Werte
für den Spannungsexponenten im Bereich von n 2 = 5…18 . Zwar sind diese
Werte plausibel, wenn von einem Orowan-Mechanismus1 ausgegangen wird, aller-
dings ergeben sich keine Korrelationen zu mikrostrukturellen Eigenschaften. So
werden beispielsweise in [606] zwei Proben mit sehr unterschiedlichen Größen
intermetallischer Ag3Sn-Phasenteilchen in ihrem Kriechverhalten miteinander ver-
glichen. Dabei zeigt sich, dass die Proben mit den deutlich kleineren und feiner
verteilten intermetallischen Ag3Sn-Partikeln zwar eine höhere Kriechfestigkeit
aufweisen, an beiden Proben jedoch der gleiche Spannungsexponent von n 2 = 11
ermittelt wurde.
Um zu einem genaueren Bild des SnAg-Bulkverhaltens zu gelangen und um
festzustellen, ob das Kriechverhalten dieser Legierung grundsätzlich einem einfa-
chen Potenzgesetz oder einem zweigeteilten Verlauf folgt, wurden eigene Versu-
che an SnAg-Bulkmaterial durchgeführt, bei welchen neben dem grundsätzlichen
Kriechverhalten auch der Einfluss des Ag-Anteils auf die Kriecheigenschaften
untersucht wurde.

1. Aufgrund der Größe der Ag3Sn-Partikel wird nicht von einem Scher-Mechanismus ausgegan-
gen.
8.4 Zweistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber 397

Tabelle 8.22 Vergleich der Spannungsexponenten n und Aktivierungsenergien Q (für den


Bereich mittlerer Spannungen) zwischen Experimenten an erstarrten Lotprobekörpern sowie Dar-
stellung der entsprechenden Versuchsbedingungena

n1 Q1 n2 Q2 dε/dt T V Quelle/
[kJ/mol] [kJ/mol] [s-1] [K] [m3] Bemerkung

- - 11,3 79,5 10-5...10-2 298...353 9,7.10-7 [603]: SnAg3,5/Zug


gealtert 24 h/150°C

- - 9,6 94,0 10-6...10-2 218...398 4,8.10-7 [604]: SnAg4/Zug


zerspan. bearbeitet

3 44,2 9,2 65,7 10-7...10-3 323...423 4,9.10-6 [607]: SnAg3,5/Druck


31K/s erstarrt

- - 11 - 10-9...10-4 378 5,9.10-7 [606]: SnAg3,5/Zug


8K/s bzw. 0,015K/s
zerspan. bearbeitet

- - 13,1 78 10-6...10-2 223...423 3,9.10-6 [609]: SnAg3,5/Zug


10K/s erstarrt
zerspan. bearbeitet

- - 12-18 35 10-9...10-4 298...393 1,2.10-5 [608]: SnAg3,5/Zug


24 K/s erstarrt
komplexe
Herstellung

- - 11-14 35 10-9...10-4 298...393 1,2.10-5 [608]: SnAg3,5/Zug


0,5 K/s erstarrt
komplexe
Herstellung

- - 8-10 40 10-9...10-5 298...393 1,2.10-5 [608]: SnAg3,5/Zug


0,08 K/s erstarrt
komplexe
Herstellung

- - 11,3 46,6 10-4...10-2 298...393 1,2.10-6 [612]: SnAg3,5/Zug


Ratenwechseltest

- - 6,7 - 62,7 10-9...10-2 293...316 1,2.10-5 [611]: SnAg3,5/Zug


zerspan. bearbeitet
8,4

- - 6,5 - 70 10-5...10-1 298...398 2,4.10-7 [620]: SnAg3,5/Zug


zerspan. bearbeitet
9,4

- - 5,0 60,7 10-8...10-4 296...373 1,0.10-7 [534]: SnAg3,5/Zug


zerspan. bearbeitet

- - 5,5 56,8 10-11..10-5 293...453 2,7.10-7 [240, 616] : SnAg3,5


Zug, erstarrt

a. Tabellenwerte teilweise aus in den Publikationen enthaltenen Grafiken entnommen und


sinnvoll gerundet.
398 8 Experimentelle Ergebnisse

Um für diese Versuche Proben herzustellen, wurde eine Aluminiumgussform


gefertigt, in welcher die Proben-Achse einen Winkel von 30° mit der Waagerech-
ten einschloss. Zur Heizung der Gussform wurden an ihrer Außenseite Heizwider-
stände angebracht, welche sich in 10 Zonen einzeln ansteuern ließen. Hierdurch
wurde es ermöglicht, die Probe schrittweise von unten nach oben zu erstarren,
wodurch eine durch die starke Volumenkontraktion des Lotes sehr wahrscheinliche
Lunkerbildung innerhalb der Probe vermieden werden konnte. Ausschlaggebend
für die Probenherstellung über eine selbst gefertigte Aluminiumgussform war die
Intention, die Abkühlbedingungen für die Proben mit einfachen labortechnischen
Mitteln beeinflussen zu können. In der praktischen Erprobung zeigte sich jedoch,
dass die Einflussnahme auf die Abkühlgeschwindigkeit durch gezieltes Regeln der
abgegebenen Leistung der 2 x 5 entlang der Probe angebrachten
25 W Heizwiderstände begrenzt war, da die bei der Erstarrung des Lotes entste-
hende Kristallisationswärme die Geschwindigkeit des Flüssig-Fest-Überganges in
erheblichem Maße selbst beeinflusst. Das typische Erstarrungsprofil für die Mehr-
zahl der gefertigten Proben ist in Abb. 8.19 dargestellt.
Um niedrige Kriechraten messtechnisch erfassen zu können, wurde in einer
ersten Serie von Versuchen zunächst eine sehr lange Doppelschulterprobe mit
einem kreisförmigen Querschnitt gefertigt (Länge 117 mm, Durchmesser 3mm).
Alle Proben wurden in einem Stufenversuch untersucht, d. h., es wurde eine Probe
mit verschiedenen Lasten untersucht. Jeder Einzelversuch wurde dabei so lange
durchgeführt, bis der quasistatische Kriechbereich erreicht wurde, sodass die Pro-
ben nicht zerstört wurden. Um sicherzustellen, dass es zu keinen Degradationen
der Proben während des Tests kam, wurde dieser sowohl mit einer aufsteigenden
als auch mit einer absteigenden Lastreihenfolge gefahren. Als Prüfapparatur wurde
der unter 7.5.2.4 beschriebene Lastrahmen benutzt. Da zum Zeitpunkt der ersten
Versuchsserie für die Erfassung der Messwerte noch kein computergestütztes Sys-
tem zur Verfügung stand, wurde die LVDT-Position von einem hochauflösenden
Multimeter abgelesen, aufgeschrieben und von Hand in eine Tabelle übertragen,
aus der die in Abb. 8.20 dargestellten Diagramme erzeugt wurden. Es ist davon
auszugehen, dass bei hohen Messkräften und damit einer hohen zeitlichen Dichte
von Messwerten Ablesefehler beim manuellen Erfassen der Messwerte entstanden.
Die Auflösung des außerhalb der Probenklemmen angebrachten vorkonfektionier-
ten LVDT (Typ: Solectron Dg 2.5) betrug 1,14 μm, was einem Dehnungsinkre-
ment von 9,7 10-6 entspricht.
Die Ergebnisse aus den Kriechuntersuchungen an SnAg3,5-Lot sind in den Dia-
grammen Abb. 8.20 zu sehen. In den Diagrammen Abb. 8.20 a-e sind zunächst die
Kriechdiagramme der Einzelversuche dargestellt, aus welchen hervorgeht, bei wel-
cher Dehnung die entsprechenden Dehnraten ermittelt wurden. Die in diesen Dia-
grammen eingezeichneten Dehnungen wurden auf der Basis der während der Mes-
sungen notierten Werte ermittelt. Für die Versuche bei T = 70 °C ist diesen Werten
ein Dehnungsoffset (εos < 0,2 %) zuzurechnen, da die Proben aufgrund des sehr
zeitaufwendigen Aufheizvorganges vor dem eigentlichen Versuch stets einem kur-
zen Kriechtest bei Raumtemperatur unterzogen wurden, um die ordnungsgemäße
8.4 Zweistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber 399

a) b)

c) d)

e) f)

Abb. 8.19 Herstellung von Bulkproben: a) Probenform mit Heizwiderständen zur Realisierung
verschiedener Heizzonen, b) Innenprofil der Probenform, c) Gussprobe mit rundem Querschnitt,
d) Gussprobe mit rechteckigem Querschnitt, e, f) Erstarrungsprofil für Bulkproben. Die Tempera-
turmessstellen T1, T2, T3 entsprechen den Sektoren 1, 3, 5 der fünfteiligen Heizung an der
Gussform.

Einspannung zu überprüfen. Die Ergebnisse aller Einzelversuche sind im Dia-


gramm in Abb. 8.20 f zusammengefasst, in welchem die Abhängigkeit der Deh-
nungsgeschwindigkeit von der Spannung dargestellt ist.
Aus den Kriechversuchen an der eutektischen SnAg3,5-Legierung im Tempera-
turbereich von 293 K bis 343 K geht hervor, dass sich ein zweigeteiltes Kriechver-
halten ergibt, wie dies auch von dem in Gleichung (8.21) vorgegebenen Modell
beschrieben wird. Das Verhalten im Bereich kleiner Spannungen lässt sich gut über
eine Potenzfunktion mit einem Spannungsexponenten von n 1 = 3 nachbilden.
Aufgrund der geringen Anzahl von Daten in diesem Bereich und der schwer
erfassbaren Dehnungsgeschwindigkeiten sollte allerdings ein Wert von
n 1 = 2…4 als mit den Messergebnissen in Einklang befindlich aufgefasst wer-
400 8 Experimentelle Ergebnisse

den. Das Verhalten im Bereich höherer Spannungen lässt sich ebenfalls gut über
eine Potenzfunktion mit einem Spannungsexponenten von n 2 = 11 nachbilden,
wobei hier die Werte kaum streuen und ein verhältnismäßig eindeutiges Ergebnis
vorliegt. Als Aktivierungsenergie für diesen Bereich ergab sich ein Wert von
Q 2 = 93,1 kJ/mol , während sich für den Bereich kleiner Spannungen ein Wert
von Q 1 = 46,8 kJ/mol ergab. In Tabelle 8.23 sind die aus den experimentellen
Untersuchungen ermittelten Parameter der Modellgleichung (8.21) aufgeführt
[204].

a) b)

c) d)
1E-3

Bulk-specimen-SnAg
1E-4
T=293K
Sample#1
1E-5
Sample#3
Creep Rate [1/s]

Sample#5
1E-6
T=343K
Sample#2
1E-7 Smaple#4

1E-8

1E-9

1E-10
1 10 100

Stress [MPa]
e) f)

Abb. 8.20 Ergebnisse der Kriechuntersuchungen an SnAg-Bulkproben: a)-g): Dehnrate-


Dehnungs-Diagramme der verschiedenen Einzelversuche an der SnAg3,5-Legierung bei
T = 30 °C, 70 °C, f) zusammenfassendes Dehnrate-Spannungs-Diagramm für SnAg3,5-Bulkma-
terial
8.4 Zweistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber 401

Tabelle 8.23 Parameter der Modellgleichung (8.14) für SnAg3,5 in Bulk-Proben aus [204]a

A1 [s-1] n2 Q1 [kJ/mol] A2 [s-1] n2 Q2 [kJ/mol]

7E-4 3 46,8 2E-4 11 93,1

a. σ N = 1 MPa

Eine weitere, für das Verständnis der Kriechverhaltens der Sn-Ag- und Sn-Ag-
Cu-Legierungen wichtige Frage, zu deren Beantwortung Untersuchungen an Bulk-
proben wichtige Hinweise geben sollten, war die nach dem Einfluss des Volumen-
anteils, der Größe und der Formen der intermetallischen Ag3Sn- und Cu6Sn5-Parti-
kel. Zur Beantwortung dieser Frage wurde eine zweite Serie von Experimenten an
Bulk-Proben geplant, für welche im Vorfeld verschiedene Modifikationen am
Lastrahmen und der Probengeometrie vorgenommen wurden, um bestimmte
Schwachpunkte, welche sich bei der Durchführung der ersten Serie von Experi-
menten herausgestellt hatten, zu verbessern. Zu den wesentlichen Veränderungen
zählte dabei die Neugestaltung von beheizten Probenklemmen. Dies war notwen-
dig, da die bisherigen Klemmen, welche mit TO-220-Leistungswiderständen
beheizt wurden, eine Begrenzung des Temperaturbereichs bis zu einer Maximal-
temperatur von 70 °C aufwiesen. Durch die Verwendung selbst gefertigter Dick-
schichtheizer konnte der Temperaturbereich auf eine Maximaltemperatur 200 °C
erweitert werden. Allerdings hatte dies eine Neugestaltung der Probenklemmen zur
Folge, aus der sich wiederum die Notwendigkeit der Verkürzung der Probenlänge
auf L = 50 mm ergab. Bei der Neugestaltung der Gussform wurde auch der runde
Querschnitt der Proben auf einen recheckigen (3 mm x 4 mm) geändert, da sich
dadurch die Proben leichter aus der Form entnehmen ließen. Verbessert wurde
außerdem die Wegmessung, indem der bisherige vorkonfektionierte LVDT-Bau-
stein (Sensor mit integriertem Verstärker) durch eine Lösung mit einem selbst ent-
worfenen Sensorverstärker ersetzt wurde, welcher mit einer automatischen compu-
terbasierten Messdatenerfassung verbunden wurde. Durch diese Maßnahmen
wurde die Auflösung der Verschiebungsmessung auf ein Inkrement von 0,074 μm
verbessert, was - bezogen auf die neue Probengeometrie - einem Dehnungsinkre-
ment von 1,5 10-6 entspricht.
Da das wesentliche Ziel der zweiten Versuchsserie im Vergleich des Kriechver-
haltens zwischen verschiedenen naheutektischen Sn-Ag- und Sn-Ag-Cu-Legierun-
gen bestand und dadurch die Untersuchung eines großen Probenumfangs zu bewäl-
tigen war, wurde eine Abänderung des in der ersten Versuchsserie verwendeten
Stufenversuches vorgenommen. Für die Durchführung der Kriechexperimente in
der zweiten Versuchsreihe wurde stets mit der höchsten Last begonnen, bis der
Zustand des quasistatischen Kriechens erreicht wurde und anschließend die Ver-
suchslast sukzessive abgesenkt wird Hierbei wurden die Versuche für alle vier
Versuchstemperaturen (T = 30 °C, 60 °C, 100 °C, 150 °C) nacheinander an einer
Probe durchgeführt (Abb. 8.21).
402 8 Experimentelle Ergebnisse

a) b)

Abb. 8.21 Typisches Lastprofil des modifizierten Stufenversuches für Kriechversuche der
zweiten Versuchsreihe. Exemplarisch wurde der aufgezeichnete Versuchsverlauf für die Probe
SnAg3 ausgewählt: a) Weg-Zeit-Diagramm des Versuches bei einer Versuchstemperatur von
·
T = 100 °C, b) daraus resultierendes ε - ε -Diagramm [618].

Beim Vergleich der Ergebnisse zwischen der ersten und zweiten Versuchsserie
zeigte sich, dass es Unterschiede bezüglich der ermittelten quasistatischen Kriech-
geschwindigkeit gab. Die Ermittlung dieser weniger als eine Größenordnung betra-
genden Unterschiede ist sehr schwierig, da sie aufgrund der vielen Veränderungen,
die gleichzeitig vorgenommen wurden, schwer einem bestimmten Faktor zuzuwei-
sen sind. Auf die Werte für die Spannungsexponenten hatte das veränderte Vorge-
hen jedoch keine Auswirkungen. Aus den Ergebnissen der in der zweiten Ver-
suchsreihe untersuchten naheutektischen Legierungen SnAg2, SnAg3 und SnAg4
geht hervor, dass mit steigendem Ag-Anteil die Kriechfestigkeit der Legierung
deutlich zunimmt und es gleichzeitig zu einer leichten Erhöhung des Spannungsex-
ponenten von n = 10 auf n = 13 kommt (Abb. 8.22). Bezogen auf den gesamten
Versuchstemperaturbereich zeigt sich, dass der Ag-Anteil in der SnAg-Legierung
einen sehr wesentlichen Einfluss auf die Kriechfestigkeit hat.

8.4.4.2 Untersuchungen an Durchkontaktierungen in Leiterplatten

Da sich Lotkontakte untereinander nicht nur bezüglich ihres Volumens, sondern


auch ihrer Form und Anordnung unterscheiden, wurde zur Nachbildung der beson-
deren Verhältnisse in einem auf einem organischen Verdrahtungsträger befindli-
chen Durchkontaktierungslotkontakt ein Probekörper entwickelt, bei dem ein Kup-
ferdraht in eine Durchkontaktierung einer Leiterplatte eingelötet wurde (vgl.
7.5.4.2). In üblichen elektronischen Aufbauten kommen solche Durchkontaktie-
rungen an Stellen vor, an denen größere Bauelementetypen, wie z. B. Steckverbin-
der, Quarze, Printtransformatoren oder Leistungswiderstände, welche neben der
elektrischen Verbindung auch eine ausreichende mechanische Stabilisierung benö-
tigen, montiert werden müssen. Wegen der hohen Ausdehnung von Leiterplatten in
8.4 Zweistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber 403

a) b)

Abb. 8.22 Ergebnisse der zweiten Versuchsreihe für SnAg2, SnAg3, SnAg4: a) Darstellung aller
aufgenommenen Kriechdaten der drei Legierungen, b) Vergleich der Ergebnisse für die Versuchs-
temperatur von T = 30 °C, d. h., die entsprechenden Proben wurden im Anfangsbereich gedehnt
[636].

z-Richtung sind diese Lötstellen sehr oft wegen eines lokalen Fehlanpassungspro-
blems, welches durch die stark unterschiedlichen thermischen Ausdehnungskoeffi-
zienten von Anschlussstift und Leiterplattenmaterial hervorgerufen wird, kritisch
für die Zuverlässigkeit der Baugruppe. Aus diesem Grund sollten die Kriecheigen-
schaften einer solchen Lotverbindung gesondert untersucht werden. Um eine exakt
zentrische Position des Drahtes in der zylinderförmigen Durchkontaktierung zu
erreichen, wurde der Kupferdraht mithilfe einer Mikropositioniereinrichtung
gegenüber der Leiterplatte ausgerichtet und anschließend in dieser Position einge-
lötet. Dies hatte zur Folge, dass die Löttemperaturen gegenüber den vom Lotpas-
tenhersteller empfohlenen erheblich angehoben werden mussten, da die Mikroposi-
tioniereinrichtung eine erhebliche Wärmesenke darstellte. Auf die Übertragbarkeit
der Ergebnisse hat dies kaum Einfluss, da auch große Bauelemente, wie z. B.
Steckverbinder, eine erhebliche Wärmesenke darstellen.
Die Bestimmung des Kriechverhaltens durch Messung der Relativbewegung
des mit einem Gewicht belasteten Kupferdrahtes gegenüber der Leiterplatte
erfolgte über die in 7.5.4.2 beschriebene Vorrichtung. Für die Erfassung der Mess-
werte des für die Verschiebungsmessung eingesetzten inkrementellen optischen
Wegaufnehmers (IKF 10, Fa. Feinmeß Suhl, Auflösung 100 nm) stand zum Zeit-
punkt der Versuchsdurchführung kein computergestütztes System zur Verfügung.
Die Messwerte wurden daher abgelesen, aufgeschrieben und von Hand in eine
Tabelle übertragen, aus der die Diagramme erzeugt wurden. Es ist davon auszuge-
hen, dass bei hohen Messkräften und damit einer hohen zeitlichen Dichte von
Messwerten Ablesefehler beim manuellen Erfassen der Messwerte entstanden.
Weiterhin ist zu beachten, dass die Probenheizung über einen Zweipunktregler
gesteuert wurde, wodurch es zu thermischen Oszillationen im Bereich von
ΔT = ± 0,2 K kam, welche sich über thermische Dehnungen auf Oszillationen in
404 8 Experimentelle Ergebnisse

der Wegmessung auswirkten. Dies hatte zwar geringen Einfluss auf den gemittel-
ten Gesamtratewert, wirkte sich jedoch stärker auf lokale Ratewerte aus. Die Auf-
lösung der Wegmessung betrug 0,1 μm, was einem Dehnungsinkrement von
5,8 10-4 entspricht. Die Umrechnung von Kraft- und Wegdaten auf Spannungs-
und Dehnungswerte erfolgte über:

2⋅F⋅ 3 -, 2⋅s
σ = -------------------------------------- ε = ----------------------------------- (8.22)
π ⋅ h ⋅ ( dB + dD ) ( dB – dD ) ⋅ 3

dB
F ... Kraftwert dD
s ... Wegwert
dB ... Durchmesser der Leiterplattenbohrung
Leiterplatte

h
dD ... Durchmesser der Drahtes
h ... Leiterplattendicke Metallisierung
Lot
Draht

Die Ergebnisse aus den Kriechuntersuchungen sind in den Diagrammen


Abb. 8.23 zu sehen. Alle Proben wurden in einem Stufenversuch untersucht, d. h.,
es wurden verschiedene Lasten an eine Probe angebracht. Jeder Einzelversuch
wurde dabei so lange durchgeführt, bis der quasistatische Kriechbereich erreicht
wurde, sodass die Proben nicht zerstört wurden. Um sicherzustellen, dass es zu kei-
nen Degradationen der Proben während des Tests kam, wurde dieser sowohl mit
einer aufsteigenden als auch mit einer absteigenden Lastreihenfolge gefahren. In
den Diagrammen Abb. 8.23 a-d sind zunächst die Kriechdiagramme der Einzelver-
suche dargestellt, aus welchen hervorgeht, bei welcher Dehnung die entsprechen-
den Dehnraten ermittelt wurden. Die in diesen Diagrammen eingezeichneten Deh-
nungen wurden auf der Basis der während der Messungen notierten Werte
ermittelt. Die Ergebnisse aller Einzelversuche sind im Diagramm in Abb. 8.23 f
zusammengefasst, in welchem die Abhängigkeit der Dehnungsgeschwindigkeit
von der Spannung dargestellt ist. Aus den Messwerten für das SnAg-Lot geht her-
vor, dass ein im Vergleich zu den Ergebnissen an Bulkproben niedrigerer Span-
nungsexponent ( n 2 = 7 gegenüber n 2 = 11 bei Bulkproben) ermittelt wurde und
dass das charakterisierte Kriechverhalten einem einfachen Potenzgesetz folgt. Das
Fehlen eines zweiteiligen Verlaufes, wie er bei den Bulk-Proben ermittelt wurde,
kann jedoch auch mit den höheren Dehnraten zusammenhängen, bei denen das
SnAg-Lot an den Leiterplattenproben bestimmt wurde. Als Aktivierungsenergie
ergab sich ein Wert von Q 2 = 70,3 kJ/mol , der ebenfalls niedriger als der der
Bulk-Proben ist [204]. In Tabelle 8.24 sind die aus den experimentellen Untersu-
chungen ermittelten Parameter der Modellgleichung (8.21) aufgeführt [619].
8.4 Zweistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber 405

Tabelle 8.24 Parameter der Modellgleichung (8.14) für SnAg3,5 in Leiterplattenkontakt-Proben


aus [619]a

A1 [s-1] n2 Q1 [kJ/mol] A2 [s-1] n2 Q2 [kJ/mol]

- - - 4E-5 7 70,3

a. σ N = 1 MPa

a) b)

c) d)
1E-3

PCB-spec.-SnAg
1E-4
T = 303 K
Sample#1
1E-5
Sample#2
Creep Rate [1/s]

T = 343 K
1E-6
Sample#1
Sample#3
1E-7

1E-8

1E-9

1E-10
1 10 100

e) Stress [MPa]

Abb. 8.23 Ergebnisse der Kriechuntersuchungen an Durchkontaktierungen in Leiterplatten: a)-d):


Dehnrate-Dehnungs-Diagramme der verschiedenen Einzelversuche an der SnAg3,5-Legierung
bei T = 30 °C, 70 °C, e) zusammenfassendes Dehnrate-Spannungs-Diagramm für SnAg3,5-Leiter-
plattenkontakt
406 8 Experimentelle Ergebnisse

8.4.4.3 Untersuchungen an kleinvolumigen Lotkontakten

Mit der Entwicklung von CSP- und FBGA-Gehäusebauformen (vgl. 2.3.3.3)


entstanden Zuverlässigkeitsprobleme an deren kugelförmigen Anschlusslotkontak-
ten, welche gegenüber den klassischen BGA-Bauformen mit Durchmessern im
Bereich von 1 mm ... 0,8 mm auf Durchmesser zwischen 0,5 mm ... 0,3 mm ver-
kleinert worden waren. Deshalb bestand ein großes Interesse darin, die Verfor-
mungseigenschaften von Loten in diesen Größendimensionen zu untersuchen.
Dabei bestand einer der ersten Ansätze darin, Probekörper aus realen Bauelemen-
ten zu gewinnen, indem alle auf diesen Bauelementen befindlichen Lotkontakte bis
auf die vier an den Ecken befindlichen Lotkontakte heruntergeschert wurden.
Anschließend wurde das kontaktanzahlreduzierte Bauelement in einem Standardre-
flowprozess auf den dafür originär vorgesehenen organischen Verdrahtungsträger
gelötet. Bei ersten Messungen zeigte sich jedoch, dass durch das viskoelastische
Verhalten der organischen Träger sehr große Fehler bezüglich der Eigenschaftsbe-
stimmung des Lotmaterials entstanden [613]. Aus diesem Grund wurden Probekör-
per auf der Basis von Al2O3-Dickschichtkeramiken gefertigt. Ausschlaggebend für
die Wahl dieses Substrates gegenüber Si waren die geringen Herstellungsaufwände
bei kleinen Stückzahlen sowie der größere versuchsmethodische Spielraum durch
die Möglichkeit der Verwendung von Dickschichtpasten als Metallisierung.
Um einen zu den originären organischen Substraten vergleichbaren Schichtauf-
bau realisieren zu können, musste jedoch die veränderte Oberflächenbeschaffen-
heit der Al2O3-Dickschichtkeramik an die entsprechenden Abscheidungsprozesse
angepasst werden. Dazu wurde zunächst eine dünne Titanschicht (d = 100 nm) aus
der Dampfphase (PVD) abgeschieden, welche als Haftvermittler zwischen der
Al2O3-Dickschichtkeramik und der späteren Kupferschicht fungiert. Danach
wurde zunächst eine dünne Kupferschicht (d = 1 μm) aufgesputtert, welche als
Elektrode für nachfolgende galvanische Abscheidungsprozesse dient. Durch galva-
nische Abscheidung wurde die Kupferschichtdicke auf 12 μm - 20 μm verstärkt.
Danach erfolgte eine nasschemische Strukturierung des Kupfers in entsprechende
Anschlussflächen sowie das Aufbringen und Strukturieren eines Lotstopresistes
(WPR 1050, 7 μm Dicke) zur genauen Definition der Kontaktflächen. Anschlie-
ßend erfolgte eine Versiegelung dieser Kontaktflächen durch eine chemisch aufge-
brachte Sn-Abschlussschicht (d = 1 μm) bzw. eine Ni/Au-Abschlussmetallisierung
(d = 5 μm/0,07μm). Die Herstellung der Ni/Au-Abschlussmetallisierung erfolgte
durch Reduktion von NiSO4 durch Na2H2PO2, wodurch in die Nickelschicht Phos-
phor mit einem Gewichtsanteil von 8 % - 10 % eingebaut ist. Die Au-Deckschicht
wird durch einen Tauchgoldprozess aufgebracht [508]. In Abb. 8.24 sind die Ober-
flächen der strukturierten Al2O3-Dickschichtkeramiken sowie eine Ansicht des
gesamten Probekörpers abgebildet.
Um Lot auf den Keramikgrundkörper aufzubringen, wurden entweder handels-
übliche Lotkugeln aufgesetzt oder für spezielle Legierungszusammensetzungen
Lotformteile durch Ausstanzen aus Lotfolien hergestellt. Diese Folien wurden
zuvor durch mehrfaches Walzen aus Lotstangenmaterial gefertigt. Durch den
8.4 Zweistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber 407

a) b)

c) d)

Abb. 8.24 Keramikprobekörper: a) strukturierte Kupferflächen, b) strukturierter Lotstoplack auf


Kupferflächen, c) Queransicht, d) Lotkontakt im Querschliff [508]

Walzprozess kann die Dicke der Lotfolie eingestellt werden. Durch die Wahl eines
Stanzwerkzeuges wird der Durchmesser des zylindrischen Lotformteils festgelegt.
Um Keramikgrundkörper mit kreisförmigen Anschlussflächen von d = 400 μm
miteinander zu verlöten, wurden Lotformteile mit einer Höhe h = 140 μm und
einem Durchmesser d = 300 μm verwendet. Diese Lotformteile wurden mit
Flussmittel auf den entsprechenden Kontaktflächen fixiert. Anschließend wurden
die beiden Keramikgrundkörper durch einen Umschmelzprozess in einem Dampf-
phasenofen simultan miteinander verlötet, sodass die in Abb. 8.24 dargestellte Pro-
bekörperform entstand. Die Umschmelztemperatur betrug T = 240 °C und die
Umschmelzdauer wurde zwischen t = 45 s ... 180 s variiert. Kürzere Umschmelz-
dauern kamen nicht in Frage, da dann eine erhöhte Bildung von Hohlräumen
(Voids) in den Lotkontakten beobachtet wurde. Aufgrund dieser verhältnismäßig
langen Umschmelzzeiten kam es bei Verwendung von Cu/Sn-Metallisierungen zu
einer erheblichen Ablegierung von Cu in das SnAg3,5-Lot, sodass dieses offen-
sichtlich zu einem SnAgCu-Lot beim Umschmelzprozess transformiert wurde.
Dieser Effekt konnte umgangen werden, indem SnAg3,5-Lotformteile entweder
auf eine Ni/Au-Metallisierung oder eine Ag-Metallisierung (mit Dickschichtpaste
hergestellt) gelötet wurden.
Zur Ermittlung der Kriecheigenschaften an diesen kleinvolumigen SnAg-Lot-
kontakten wurde die in 7.5.3.3 beschriebene Apparatur verwendet. Die Charakteri-
408 8 Experimentelle Ergebnisse

Abb. 8.25 Kriechverhalten der SnAg3,5-Legierung auf Ag-Anschlussmetallisierung aus [508]

sierung erfolgte in einem zyklischen Kriechversuch, welcher mit dem unter 8.3.4.2
beschriebenen vergleichbar ist. Alle Experimente wurden nacheinander an einer
Probe bei den Versuchstemperaturen1 T = 75°C, 20 °C, 125 °C durchgeführt. In
Abb. 8.25 sind die Ergebnisse der Kriechuntersuchungen an kleinvolumigen Lot-
kontakten, welche durch das Auflöten von SnAg3,5-Formteilen auf eine Ag-
Anschlussmetallisierung erzeugt wurden, in einer zusammenfassenden Beschrei-
·
bung des quasistatischen Kriechverhaltens in Form eines ε - σ -Diagramms darge-
stellt. Aus diesem Diagramm geht hervor, dass das charakterisierte Kriechverhal-
ten einem zweigeteilten Verlauf folgt. Nur im Fall der niedrigsten
Versuchstemperatur folgt der Verlauf einem einfachen Potenzgesetz. Das Fehlen
eines zweiteiligen Verlaufes bei dieser Temperatur kann jedoch auch mit den höhe-
ren Dehnraten zusammenhängen, bei denen das Kriechverhalten bestimmt wurde.
Bei der niedrigsten Temperatur (T = 293 K) weist das auf eine Ag-Metallisierung
gelötete SnAg3,5-Lot für den Bereich hoher Spannungen einen Spannungsexpo-
nenten von n 2 = 14 auf, welcher sich bei den höheren Versuchstemperaturen
(T = 348 K, 398 K) auf Werte von n 2 = 10 bzw. n 2 = 8 verringert. Für den
Bereich niedriger Spannungen ergab sich bei den beiden höheren Temperaturen ein
Spannungsexponent von n 1 = 4 .
In einer weiteren Versuchsreihe wurden die Kriecheigenschaften der kleinvolu-
migen SnAg-Lotkontakte in Verbindung mit einer Ni/Au-Metallisierung bestimmt.
Dazu wurde - wie bei den Experimenten unter Verwendung der Ag-Metallisierung

1. Die Reihenfolge der Temperaturen entspricht der Reihenfolge der Versuche, die an einer Probe
durchgeführt wurden.
8.4 Zweistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber 409

- die in 7.5.3.3 beschriebene Apparatur verwendet sowie der unter 8.3.4.2 beschrie-
bene zyklische Kriechversuch durchgeführt. Anstelle der beschriebenen Keramik-
grundkörper zur Probeköperfertigung kamen strukturierte Leiterplatten mit Alumi-
niuminnenlage zum Einsatz, welche gegenüber herkömmlichen organischen
Substraten den Vorzug boten, auch bei hohen Versuchstemperaturen eine steife,
die Verformungsmessung des Kontaktes nicht verfälschende Unterlage zu Verfü-
gung zu stellen [508]. Wiederum wurden alle Experimente nacheinander an einer
Probe bei den Versuchstemperaturen1 T = 75°C, 20 °C, 125 °C durchgeführt. In

Abb. 8.26 Kriechverhalten der SnAg3,5-Legierung auf Ni/Au-Anschlussmetallisierung aus [508]

Abb. 8.26 sind die Ergebnisse der Kriechuntersuchungen an kleinvolumigen Lot-


kontakten, welche durch das Auflöten von SnAg3,5-Formteilen auf eine Ni/Au-
Anschlussmetallisierung erzeugt wurden, in einer zusammenfassenden Beschrei-
·
bung des quasistatischen Kriechverhaltens in Form eines ε - σ -Diagramms darge-
stellt. Anders als bei der Ag-Metallisierung folgt das Kriechverhalten bei allen
Versuchstemperaturen einem einfachen Potenzgesetz. Es ist unwahrscheinlich,
dass das Fehlen eines zweiteiligen Verlaufes mit zu hohen Dehnraten bei der Mes-
sung zusammenhängt, da auch bei der höchsten Temperatur (T = 398 K) kein
Ansatzpunkt für einen zweiteiligen Verlauf sichtbar wird. Für alle drei Versuchs-
temperaturen ergibt sich ein Spannungsexponent von n 2 = 16 . Die aus den Ver-
·
läufen im ε - σ -Diagramm ermittelte Aktivierungsenergie betrug
Q 2 = 105 kJ/mol [508].

1. Die Reihenfolge der Temperaturen entspricht der Reihenfolge der Versuche, die an einer Probe
durchgeführt wurden.
410 8 Experimentelle Ergebnisse

8.4.4.4 Untersuchungen an Flip-Chip-Kontakten

Zur Ermittlung der Kriecheigenschaften von eutektischem SnAg-Lot an Flip-


Chip-Kontakten wurden die in 8.4.3.2 beschriebenen Probekörper verwendet. Die
Charakterisierung des Kriechverhaltens erfolgte unter Nutzung der in 7.5.3.2
beschriebenen Apparatur mit dem in 8.3.4.2 beschriebenen zyklischen Kriechver-
such.
Beim Durchführen von Kriechversuchen an Flip-Chip-Proben mit SnAg-Lot-
bumps auf einer NiAu-Unterbumpmetallisierung kam es zu erheblichen Problemen
durch das Abreißen von Unterbumpmetallisierungen, wodurch eine vollständige
Durchführung von Kriechversuchen an diesen Proben nicht möglich war. Die sehr
hohen Kraftraten zu Beginn des zyklischen Kriechversuches waren vermutlich die
Ursache für das Abreißen der Unterbumpmetallisierung. Deshalb wurden die
Werte für den Kriechrate-Spannungs-Zusammenhang aus den aufgezeichneten
Spannungs-Dehnungs-Diagrammen abgeleitet (siehe Abb. 8.33 und Abb. 8.34).
Die Ergebnisse aus den zyklischen Kriechversuchen sind sowohl als Einzel-
·
kriechversuche in Form von ε - ε -Diagrammen als auch in einer zusammenfassen-
·
den Beschreibung des quasistatischen Kriechverhaltens in Form eines ε - σ -Dia-
·
gramms dargestellt. Die Einzelkriechversuche in Form von ε - ε -Diagrammen in
den Abb. 8.27 bis Abb. 8.32 sind dabei entweder auf der linken oder rechten Seite
positioniert. Diese Anordnung repräsentiert die jeweilige Sequenz des Einzelversu-
ches im gesamten zyklischen Kriechversuch (vgl. 8.3.4.2). Wurde ein symmetri-
scher Versuchspannungsverlauf (gleiche Dehnraten in Hin- und Rückrichtung) im
zyklischen Kriechversuch aufgebracht, so sind die korrespondierenden Dehnrate-
Dehnungs-Diagramme einander gegenüber in Lastreihenfolge dargestellt. Bei
einem asymmetrischen Versuchsspannungsverlauf sind die Diagramme ebenfalls
in der Reihenfolge ihrer Durchführung aufgeführt und befinden sich entsprechend
ihrer Zugehörigkeit zu Hin- oder Rückrichtung auf der linken oder rechten Seite
der Abbildung. Da die Umrechnung von Kraft- und Wegdaten auf Spannungs- und
Dehnungswerte aufgrund der sich während des Einzelversuches ständig ändernden
Spannungsverteilungen im Kontakt nicht über eine FE-Analyse des Versuches
(vgl. 7.4.4.3) bestimmt werden kann, erfolgte eine einfache Abschätzung über fol-
gende Beziehung:

σ = F ⋅ 3- ,
--------------
s -
ε = ------------- (8.23)
2
π⋅d h⋅ 3

F... Kraftwert aller 4 Kontakte


s ... Wegwert
d ... Mittendurchmesser der Kontakte
h ... Kontakthöhe

Aus den Ergebnissen für SnAg3,5-Lot (Abb. 8.35) geht hervor, dass das charak-
terisierte Kriechverhalten einem einfachen Potenzgesetz folgt. Das Fehlen eines
8.4 Zweistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber 411

zweiteiligen Verlaufes, wie er bei den Bulk-Proben ermittelt wurde, kann jedoch
auch mit den höheren Dehnraten zusammenhängen, bei denen das SnAg-Lot an
den Flip-Chip-Probekörpern bestimmt wurde. Die mit unterschiedlichen Abkühl-
geschwindigkeiten erzeugten Proben wiesen keine signifikanten Unterschiede im
Kriechverhalten auf. Deutliche Unterschiede sind hingegen in Abhängigkeit von
der gewählten UBM festzustellen. Das auf eine Cu-UBM aufgebrachte SnAg-Lot

a)

b) c)

d) e)

Abb. 8.27 Dehnrate-Dehnungs-Diagramme für Flip-Chip-Proben, SnAg, Cu-UBM, schnell abge-


kühlt, T= 5°C: linke Seite (b, d) = Hindeformation, rechte Seite (a, c, e) = Rückdeformation im
zyklischen Kriech-Scher-Versuch.
412 8 Experimentelle Ergebnisse

a) b)

c) d)

Abb. 8.28 Dehnrate-Dehnungs-Diagramme für Flip-Chip-Proben, SnAg, Cu-UBM, schnell abge-


kühlt, T= 5°C: linke Seite (a, c) = Hindeformation, rechte Seite (b, d) = Rückdeformation im zykli-
schen Kriech-Scher-Versuch.

weist einen geringeren Kriechwiderstand sowie einen geringeren Spannungsexpo-


nenten n 2 = 11 als das auf eine NiAu-UBM aufgebrachte Lot n 2 = 20 auf. Die-
ser Unterschied wird auf die Lösung des Au im Lot und auf die Anlagerung von
harten intermetallischen Au4Sn-Phasen in Korngrenzentripeln zurückgeführt
[617]. Als Aktivierungsenergie ergab sich ein Wert von Q 2 = 73,2 kJ/mol für die
Cu-UBM und Q 2 = 74,9 kJ/mol für die Ni/Au-UBM. In Tabelle 8.25 sind die

Tabelle 8.25 Parameter der Modellgleichung (8.14) für SnAg3,5 in Flip-Chip-Kontakten mit ver-
schiedenen Unterbumpmetallisierungen (UBM) aus [204]a

UBM A1 [s-1] n2 Q1 [kJ/mol] A2 [s-1] n2 Q2 [kJ/mol]

Cu - - - 2E-6 11 73,2

NiAu - - - 6E-25 20 74,9

a. σ N = 1 MPa
8.4 Zweistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber 413

aus den experimentellen Untersuchungen ermittelten Parameter der Modellglei-


chung (8.21) aufgeführt [619].

a)

b) c)

d) e)

Abb. 8.29 Dehnrate-Dehnungs-Diagramme für Flip-Chip-Proben, SnAg, Cu-UBM, schnell abge-


kühlt, T = 50°C: linke Seite (a, b, d) = Hindeformation, rechte Seite (c, e) = Rückdeformation im
zyklischen Kriech-Scher-Versuch.
414 8 Experimentelle Ergebnisse

a) b)

c) d)

e)

Abb. 8.30 Dehnrate-Dehnungs-Diagramme für Flip-Chip-Proben, SnAg, Cu-UBM, schnell abge-


kühlt, T = 50°C: linke Seite (a, c) = Hindeformation, rechte Seite (b, d, e) = Rückdeformation im
zyklischen Kriech-Scher-Versuch. Aufgrund eines mangelhaften Wegsignals des Laserinterfero-
meters wurden die Wegwerte des Diagramms c) aus der Piezodehnung errechnet.
8.4 Zweistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber 415

a) b)

c) d)

e) f)

Abb. 8.31 Dehnrate-Dehnungs-Diagramme für Flip-Chip-Proben, SnAg, Cu-UBM, langsam


abgekühlt, T = 50°C: linke Seite (a, c, e) = Hindeformation, rechte Seite (b, d, f) = Rückdefor-
mation im zyklischen Kriech-Scher-Versuch. Aufgrund eines mangelhaften Wegsignals des Laser-
interferometers wurden die Wegwerte aller Diagramme aus der Piezodehnung errechnet.
416 8 Experimentelle Ergebnisse

a) b)

c) d)

e) f)

Abb. 8.32 Dehnrate-Dehnungs-Diagramme für Flip-Chip-Proben, SnAg, Cu-UBM, schnell abge-


kühlt, T = 50°C: linke Seite (a, c, e) = Hindeformation, rechte Seite (b, d, f) = Rückdeformation im
zyklischen Kriech-Scher-Versuch. Aufgrund eines mangelhaften Wegsignals des Laserinterfero-
meters wurden die Wegwerte aller Diagramme aus der Piezodehnung errechnet.
8.4 Zweistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber 417

Abb. 8.33 Spannungs-Dehnungs-Diagramm für Flip-Chip-Proben, SnAg, unausgelagert, NiAu-


UBM, T= 5°C: Wegdaten für Kurve 1,3E-7 s-1 wurden aus der Piezodehnung rekonstruiert, da nur
ein mangelhaftes Wegsignal über das Laserinterferometer aufgezeichnet wurde. Stark driftendes
und verrauschtes Wegsignal für Kurve 1,3 E-6 s-1.

Abb. 8.34 Spannungs-Dehnungs-Diagramm für Flip-Chip-Proben, SnAg, unausgelagert, NiAu-


UBM, T= 50°C: Wegdaten für Kurve 3,9E-8 s-1 wurden aus der Piezodehnung rekonstruiert, da
nur ein mangelhaftes Wegsignal über das Laserinterferometer aufgezeichnet wurde. Stark drif-
tendes und verrauschtes Wegsignal für Kurven 5,2 E-6 s-1 u. 6,5 E-6 s-1.
418 8 Experimentelle Ergebnisse

Abb. 8.35 Ergebnisse der Kriechversuche an SnAg3,5 in Flip-Chip-Kontakten

8.5 Dreistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber Kupfer

8.5.1 Auswahl des Datenmaterials

Für das Dreistoffsystem Zinn-Silber-Kupfer existieren unterschiedliche Ansich-


ten über die genaue Lage des Eutektikums. Diese Situation wird weiterhin dadurch
erschwert, dass der Kupfer-Anteil bei der eutektischen Zusammensetzung relativ
gering ist und sich das Ausgangsmaterial für Verformungsexperimente in der
Regel nicht ganz genau bezüglich seiner exakten Zusammensetzung charakterisie-
ren lässt. Aus diesem Grund standen neben den Experimenten, welche sich auf den
Größeneffekt konzentrierten, auch solche Experimente im Vordergrund, welche
sich mit der Frage der Zusammensetzung der Legierung auf das Verformungsver-
halten befassten, da sich aufgrund der Unsicherheiten bei der Bereitstellung einer
genauen Legierungszusammensetzung in kleinvolumigen Proben beide Fragen
nicht unabhängig voneinander beantworten lassen.
Die Untersuchungen am Sn-Ag-Cu-System setzten sich im Einzelnen aus Expe-
rimenten an großvolumigen Bulkproben, an Leiterplattendurchsteckkontakten,
kleinvolumigen Mikrolotbällen und kleinstvolumigen Flip-Chip Kontakten zusam-
men. Innerhalb der Experimente an Bulkproben wurde in monotonen Zugversu-
8.5 Dreistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber Kupfer 419

chen das Kriechverhalten von Doppelschulterproben (Durchmesser 3 mm, Länge


117 mm) aus SnAg3,8Cu0,7-Lot bei Prüftemperaturen von T = 30°C, 70°C cha-
rakterisiert. In einer zweiten Versuchsserie wurde in monotonen Lastwechselversu-
chen an Doppelschulterproben (rechteckiger Querschnitt 3mm x 4 mm, Länge 50
mm) der Einfluss der Legierungselemente Ag und Cu auf das Kriechverhalten an
verschiedenen naheutektischen SnAgCu-Legierungen (Sn97.5Ag2Cu0.5,
Sn97.1Ag2Cu0.9, Sn98.8Ag2Cu1.2, Sn96.5Ag3Cu0.5, Sn96.1Ag3Cu0.9,
Sn95.8Ag3Cu1.2, Sn96.9Ag3Au0.1) bei Versuchstemperaturen von T = 30 °C,
60 °C, 100 °C, 150 °C untersucht. In monotonen Scherversuchen an Leiterplatten-
durchsteckkontakten wurde das Kriechverhalten des SnAg3,8Cu0,7-Lotes über
einen in ein Durchkontaktierungsloch einer Leiterplatte gelöteten Cu-Stift (Lots-
palt = 0,1 mm X 1,6 mm) bei Prüftemperaturen von T = 30°C, 70°C charakteri-
siert. In zyklischen Scherversuchen an kleinstvolumigen Mikrolotbällen (kugelför-
mig, Durchmesser = 200 μm bzw. 400 μm) wurde das Kriechverhalten
verschiedener SnAgCu-Lotlegierungen bei Prüftemperaturen von
T = 20 °C, 75 °C, 125 °C untersucht. Die Einstellung unterschiedlicher Gefüge
wurde durch Variation der Lotlegierungen sowie der Unterbumpmetallisierungen
(Sn/Cu vs. NiAu)) vorgenommen. In einem zyklischen Scherversuch an kleinstvo-
lumigen Filp-Chip-Kontakten (Zylinder, Durchmesser = 200 μm, Höhe = 200 μm)
wurde das Kriechverhalten von eutektischem SnAgCu-Lot auf einer Cu-Unter-
bumpmetallisierung bei Prüftemperaturen von T = 5 °C, 50 °C untersucht. Die
Einstellung unterschiedlicher Gefüge wurde durch thermische Auslagerung (bei
125°C über 24h, 168h, 1176h) vorgenommen.

8.5.2 Elastische Eigenschaften

Ähnlich wie beim Sn-Ag-Eutektikum spielen für die elastischen Eigenschaften


des Dreistoffsystems Sn-Ag-Cu die Eigenschaften der Ag3Sn-Phase
(EAg3Sn = 79 GPa1 [596]) und der Cu6Sn5-Phase (ECu6Sn5 = 85,6 GPa2 [622])
wegen ihres geringen Anteils im Eutektikum kaum eine Rolle, vielmehr wird der
E-Modul der Legierung durch die Eigenschaften der β-Sn-Phase (ESn = 49,9 GPa3
[567]) bestimmt. Im Gegensatz zu den theoretischen FE-Analysen an SnAg-Lot
[597] zum Einfluss der Gefügemorphologie auf den E-Modul weisen experimen-
telle Untersuchungen (Zugversuche) an SnAg3,9Cu0,6-Proben darauf hin, dass die
Gefügemorphologie, d. h. die Größe und Verteilung der Ag3Sn- und Cu6Sn5-Pha-
sen in der β-Sn-Matrix (vgl. 3.2.1, Abb. 3.5), einen Einfluss auf den Wert des E-
Moduls haben [623]. Allerdings wurden die Messungen bei sehr niedrigen
Geschwindigkeiten (4,2.10-5 s-1) durchgeführt, sodass nicht auszuschließen ist,
dass dieses Ergebnis aufgrund von Messfehlern durch verschiedene plastische Ver-

1. Wert bei Raumtemperatur


2. Wert bei Raumtemperatur
3. Wert bei T = 20 °C
420 8 Experimentelle Ergebnisse

Tabelle 8.26 Elastizitätsmoduli von eutektischem SnAgCu-Lot

Legierung T [K] dε/dt E [GPa] dE/dT Bemerkunga Quelle


-1 [MPa/K]
[s ]

95,5Sn-3,9Ag-0,6Cu 248 4,2.10-5 37 - Bulkdruckprobe [623]


298 48 zylindrisch
348 42 d = 10 mm
398 36 l = 19 mm
448 34
248 48
8,3.10-4
298 50
348 44
398 43
448 35

95,5Sn-3,8Ag-0,7Cu 218 - 48,5 - Zugprobe [624]


483 33,0 (60 mm x
7,1 mm2)

95,5Sn-3,8Ag-0,7Cu 298 5,6.10-2 58,0 -251,2 Zugprobe [625]


50,3 (15 mm x [626]
5,6.10-3
44,4 7,1 mm2)
5,6.10-4
348 42,4
5,6.10-2 36,0
5,6.10-3 30,7
398 . -4 32,5
5,6 10
5,6.10-2 25,7
18,8
5,6.10-3
5,6.10-4

95,5Sn-3,9Ag-0,6Cu 248 4,2.10-5 53 -80 Bulkdruckprobe [627]


bis bei zylindrisch [628]
448 273 K

96,0Sn-3,0Ag-0,6Cu 295 1.10-2 37,6 - Zugprobe [629]


(50 mm x
78,5 mm2)

a. Angaben erfolgen für Proben mit rechteckigem Querschnitt in der Reihenfolge


Länge x Breite x Tiefe und für Proben mit rundem Querschnitt in der Reihenfolge
Länge x Querschnittsfläche
8.5 Dreistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber Kupfer 421

formungsanteile bei der E-Modul-Bestimmung zustande kommt. In Tabelle 8.26


befindet sich eine Auflistung verschiedener publizierter Werte experimentell
bestimmter E-Moduli für eutektisches SnAgCu-Lot unter Angabe der wesentlichen
Versuchsbedingungen.
Wie bei der SnPb- und SnAg-Legierung wurde der E-Modul auch durch Ultra-
schallmikroskopie bestimmt. Als Probekörper dienten dabei zylindrische Lotplätt-
chen mit einer Dicke von 300 μm und einem Durchmesser von 3 mm. Aus der
Bestimmung der Signallaufzeit der Longitudinal- und Transversalwellen konnten
die elastischen Parameter Elastizitätsmodul ( E ) , Schermodul ( G ) und Querkon-
traktionszahl ( ν ) bestimmt werden, welche in Tabelle 8.27 den Ergebnissen aus

Tabelle 8.27 Elastische Parameter von eutektischem SnAgCu-Lot bei Raumtemperatur

Legierung E [GPa] G [GPa] ν Bemerkung Quelle

95,5Sn-3,8Ag-0,7Cu 69,7 26,7 0,31 Ultraschallmessung TUDa

96,5Sn-3,0Ag-0,5Cu 69,3 26,8 0,29 Ultraschallmessung TUDa

95,5Sn-2,7Ag-0,4Cu 68,5 26,5 0,29 Ultraschallmessung TUDa

95,5Sn-3,8Ag-0,7Cu 45 16,6 0,36 Bulkzugprobe [624]

95,5Sn-3,9Ag-0,6Cu 53 19,8 0,34 Bulkdruckprobe [628]

Sn 71,3 26,1 0,37 Ultraschallmessung TUDa

Sn 54 20,2 0,33 - [536]

Ag3Sn 79 - - - [596]

Cu6Sn5 85,6 - - - [622]

a. Ultraschallmessungen wurden an der TU Dresden von M. Röllig und N. Gust an zylindrischen


Lotplättchen mit 3 mm Durchmesser und einer Dicke von 0,3 mm vorgenommen.

den Verformungsversuchen in [624, 628] gegenübergestellt sind. Wie bei der


SnPb-Legierung zeigt sich auch bei der SnAg-Legierung, dass die Werte für die
rein elastische Verformung bei Ultraschallanregung, d. h. der physikalische E-
Modul (vgl. 4.3.1), wesentlich höher sind als die bei Verformungsmessungen, d. h.
der technische E-Modul, welche offensichtlich durch ein geringes Maß an Verset-
zungsbewegungen begleitet werden. Erstaunlich ist, dass die Unterschiede zwi-
schen dem im Zugversuch und dem in der Ultraschallmessung bestimmten E-
Modul relativ hoch sind, obwohl gegenüber dem SnPb-Lot bei einem SnAgCu-Lot
mit fein verteilten Ag3Sn-Phasen von einer starken Behinderung der Versetzungs-
bewegung ausgegangen werden müsste, wodurch mit geringen Abweichungen
422 8 Experimentelle Ergebnisse

durch plastische Verformungen im Bereich der elastischen Gerade zu rechnen sein


müsste.

8.5.3 Instantanplastische Verformung

8.5.3.1 Untersuchungen an Bulkproben

Die Problematik der Fließspannungsbestimmung bei den höheren homologen


Materialtemperaturen im relevanten Anwendungsbereich unterscheidet sich nicht
von der des SnPb-Lotes (vgl. 8.3.3.1). Aus diesem Grund beschränkt sich die
Beschreibung dieses Verhaltens auf die in Tabelle 8.28 aufgeführte Auflistung der
an makroskopischen Probekörpern bestimmten Werte für die Fließspannung (σF)
und Verfestigung (h), welche zusammen mit der beim Versuch verwandten Deh-
nungsgeschwindigkeit (dε/dt) in Tabelle 8.28 übersichtsartig wiedergeben werden.
Werden diese aus der Literatur entnommenen Werte untereinander verglichen,
so zeigt sich, dass die ermittelte Fließspannung sehr stark von den Versuchsbedin-
gungen sowie der genauen Zusammensetzung der Legierung als auch den Herstel-
lungsbedingungen der Proben abhängt. Die letzten beiden Faktoren werden beson-
ders deutlich, wenn die Ergebnisse aus den von Kim [630] an verschiedenen
naheutektischen SnAgCu-Legierungen durchgeführten Untersuchungen miteinan-
der verglichen werden. In diesen Untersuchungen wurden die drei naheutektischen
Legierungen SnAg3,0Cu0,5, SnAg3,5Cu0,7 und SnAg3,9Cu0,6, welche bei drei
verschiedenen Abkühlraten 0,012 K/s, 0,43 K/s und 8,3 K/s erstarrt wurden,
bezüglich ihres Gefüges und ihrer mechanischen Eigenschaften verglichen. Im
Resultat dieser Untersuchungen zeigt sich zum einen, dass die Fließspannung als
auch das sich einstellende Gefüge eine signifikante Abhängigkeit von der gewähl-
ten Abkühlgeschwindigkeit haben, und zum anderen, dass die durch DSC-Untersu-
chungen (vgl. 3.4.2.1) als eutektisch identifizierte SnAg3,5Cu0,7-Legierung die
deutlich höchsten Werte für die Fließspannung besitzt. Die Ergebnisse aus [630]
sind insofern kritisch zu bewerten, als dass aus den in der Veröffentlichung abge-
bildeten Spannungs-Dehnungs-Diagrammen deutlich hervorgeht, dass die zur Auf-
nahme der mechanischen Eigenschaften eingesetzte Prüftechnik eine unzurei-
chende Auflösung und Steifigkeit besaß, jedoch zeigen sich die bei der
Auswertung der Fließspannung gewonnenen qualitativen Aussagen so auch bei
den ermittelten Festigkeitswerten. Werden die Ergebnisse aus [630] zu denen aus
den Untersuchungen in [623, 626, 629] in Beziehung gesetzt, so zeigt sich bei
einem Vergleich der Werte für Dehnungsgeschwindigkeiten zwischen
· –4 –3 –1
ε = 10 …10 s bei Raumtemperatur, dass die eutektische SnAg3,8Cu0,7-
Legierung höhere Werte der Fließspannung als die übereutektische SnAg3,9Cu0,6
und die untereutektische SnAg3,0Cu0,5-Legierung aufweist. Zwischen den ver-
schiedenen Untersuchungen ist trotz unterschiedlicher Probengrößen und Untersu-
chungsmethoden eine beachtliche Vergleichbarkeit der Ergebnisse bei gleichen
8.5 Dreistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber Kupfer 423

Tabelle 8.28 Fließspannung (σF) und Verfestigung (h) für verschiedene naheutektische SnAgCu-
Legierungen bei erhöhten homologen Temperaturena

σF [MPa] h [MPa] T[K] dε/dt [s-1] Bemerkungb Quelle

48 - 248 8,3.10-4 Bulkdruckprobe, [623]


31 298 SnAg3,9Cu0,6
22 348 zylindrisch
16 398 d = 10 mm
13 448 l = 19 mm
. -5
40 248 4,2 10
27 298
19 348
13 398
11 448

51,1 1,9 298 5,6.10-2 Zugprobe, SnAg3,8Cu0,7 [626]


40,8 5,6.10-3 (15 mm x 7,1 mm2)
35,1 5,6.10-4
41,5 348 5,6.10-2
33,5 5,6.10-3
26,0 5,6.10-4
34,0 398 5,6.10-2
27,6 5,6.10-3
21,8 5,6.10-4

31 6.103 295 1.10-2 Zugprobe, SnAg3,0Cu0,5 [629]


30 5.103 1.10-3 (50 mm x 78,5 mm2)
25 1.103 1.10-4

36 - 298 1.10-2 Bulkzugpr., SnAg3,0Cu0,5 [630]


46 Bulkzugpr., SnAg3,5Cu0,7
38 Bulkzugpr., SnAg3,9Cu0,6
(24 mm x 4,5 x 2 mm2)
mit 8,3 K/s erstarrt

23 - 298 1.10-2 Bulkzugpr., SnAg3,0Cu0,5


29 Bulkzugpr., SnAg3,5Cu0,7
28 Bulkzugpr., SnAg3,9Cu0,6
(24 mm x 4,5 x 2 mm2)
mit 0,012 K/s erstarrt

a. Tabellenwerte z. T. aus in den Publikationen enthaltenen Grafiken entnommen und gerundet


b. Angaben für Proben mit rechteckigem Querschnitt in der Reihenfolge Länge x Breite x Tiefe
bzw. mit rundem Querschnitt in der Reihenfolge Länge x Querschnittsfläche
424 8 Experimentelle Ergebnisse

Versuchsbedingungen erkennbar, sodass für eutektische SnAgCu-Legierung für


Raumtemperatur von einer Fließspannung von σ F ∼ 50 MPa ausgegangen werden
kann, welche allerdings bereits bei geringen Veränderungen der Legierungsbe-
standteile von einen halben Gewichtsprozent offensichtlich bis auf 2/3 dieses Wer-
tes abfallen kann. Insofern unterscheidet sich das an Bulkproben charakterisierte
instantanplastische Verhalten der eutektischen SnAgCu-Legierung nur wenig von
dem der eutektischen SnAg-Legierung.

8.5.3.2 Untersuchungen an Flip-Chip-Kontakten

Für die Untersuchung des Verformungsverhaltens des SnAgCu-Lotes an


kleinstvolumigen Flip-Chip-Kontakten wurde der gleiche Flip-Chip-Probekörper
wie der für die Untersuchungen an SnAg-Lot eingesetzt (vgl. 8.4.3.2). Für die Prä-
paration der in den Untersuchungen verwendeten Flip-Chip-Probekörper wurden
Chips mit eine Bumpgrundfläche von 200 μm X 200 μm eingesetzt. Zur Herstel-
lung der SnAgCu-Bumps wurden die Lotpasten Hereaus F365, Sn95,5-Ag4-Cu0,5,
Typ 4 und Fremat FTL 020FP 18N/4/2, Sn95.5Ag3.8Cu0.7, Typ 6 eingesetzt.
Beide zeigten ein gutes Druckbild, wobei die Bumpshöhenverteilung bei der erst
zu einem späteren Zeitpunkt erhältlichen Typ 6-Paste signifikant besser ausfiel als
bei der Typ 4-Paste. Vor der Montage der Flip-Chip-Probekörper wurden deshalb
jeweils solche Chips ausgewählt, die eine gute Homogenität der Bumphöhen auf-
wiesen. Das Umschmelzen der drucktechnisch abgeschiedenen Lotdepots erfolgte
in einem Dampfphasenofen bei einer Temperatur von ca. 240 °C (Siedepunkt des
Dampfphasenmediums). Die Umschmelzdauer betrug 20 Sekunden. Beim Fügen
der Flip-Chip-Probekörper zeigte sich, dass am verwendeten Flip-Chip-Bonder
(Typ: SET 950) nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten zur Veränderung der
Abkühlraten bestanden. Mit diesen war es nicht möglich, signifikant unterschiedli-
che Gefüge in den Flip-Chip-Kontakten zu erzeugen. Aus diesem Grund konnte
nur die thermische Auslagerung (bei 150°C über 1500 h bzw. bei 125°C über 24h,
168h, 1176h für Kriechversuche) zur Gefügevariation verwendet werden.
Überdies zeigte sich während der Durchführung von Versuchen, dass sich der
vorgesehene Probekörper nicht zur Durchführung aller geplanten Versuche eig-
nete. Obwohl die Gestaltung des Probekörpers sich zuvor in Versuchen an der im
Vergleich sehr duktilen SnPb-Legierung bereits bewährte hatte, zeigte sich bei
Scherexperimenten an den kriechfesteren SnAgCu-Loten, dass es vereinzelt zum
Herausreißen der Unterbumpmetallisierung (UBM) kommt. Besonders, wenn der
Probekörper eine NiAu-UBM besaß (vgl. 8.4.3.2), trat sehr häufig ein Herausrei-
ßen der UBM schon bei geringeren Belastungen auf, sodass auf diese Probekörper-
variation verzichtet werden musste und alle Experimente an einer Cu-UBM durch-
geführt wurden.
Das elastisch-plastische Verformungsverhalten von eutektischem SnAgCu-Lot
an kleinstvolumigen Flip-Chip-Kontakten wurde analog zu den Untersuchungen
zum SnPb-Lot charakterisiert (vgl. 8.3.3.2). Im Versuchsprogramm wurde dazu
8.5 Dreistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber Kupfer 425

zuerst ein Versuch mit sich zyklisch wiederholender symmetrischer Dreiecksdeh-


nung (Abb. 8.4) durchgeführt, aus dessen Ergebnissen entnommen werden konnte,
dass das SnAgCu-Lot kein zyklisches Ver- und Entfestigungsverhalten aufweist.
Dementsprechend wurde das elastisch-plastische Verformungsverhalten über einen
Versuch mit symmetrischer Dreiecksdehnung und Variation der Verformungsam-
plituden bei Versuchstemperaturen von T1 = 278 K und T2 = 323 K charakterisiert.
Die Auswertung der Experimentalrohdaten fand über eine FE-Analyse der Versu-
che (vgl. 7.4.4.3) statt, in deren Ergebnis die in Tabelle 8.29 aufgeführten Modell-
parameter bestimmt wurden. Bei der Modellierung erwies sich analog zu SnPb die
trilineare Formulierung des in Abb. 8.6 schematisch dargestellten Modells als die
zweckmäßigste [605].

Tabelle 8.29 Linear-elastisches-starr-plastisches Modell mit kinematischer Verfestigung in trili-


nearer Formulierung für SnAg4Cu0,5-Lot in Flip-Chip-Kontakten auf einer Cu-UBM aus [605]

T ε1 ε2 σ1 σ2 σ3

278 K 0,001 0,004 57,4 MPa 80 MPa 2500 MPa erstarrt

323 K 0,001 0,004 53,2 MPa 72 MPa 1900 MPa

278 K 0,0006 0,0015 24,6 MPa 36 MPa 2100 MPa ausgelagert


150 °C/1500h
323 K 0,0006 0,0015 22,8 MPa 32 MPa 1500 MPa

8.5.4 Kriechverhalten

8.5.4.1 Untersuchungen an Bulkproben

Auch für das SnAgCu-Eutektikum lag im Vergleich mit der SnPb-Legierung ein
begrenztes Datenmaterial vor, welches darüber hinaus kein konsistentes Bild
bezüglich wichtiger, die Verformungsreaktion charakterisierender Parameter, wie
z. B. des Spannungsexponenten oder der Aktivierungsenergie, gibt. Aus diesem
Grund wurden ähnlich wie bei der SnAg-Legierung eigene Untersuchungen an
Bulk-Proben geplant, um für die Bewertung des Größeneffektes ein Referenzver-
halten definieren zu können. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen zeigen, wie
auch schon beim SnAg-Lot, dass es mikrostrukturelle und untersuchungsmethodi-
sche Faktoren gibt, welche die Ergebnisse der Kriechuntersuchungen beeinflussen
können. Dadurch dass es sich beim SnAgCu-System um eine Dreistofflegierung
handelt, trifft die in 8.4.4.1 bereits ausführlich diskutierte Problematik der Gefü-
geinhomogenitäten und Versuchsabläufe in besonderem Maße zu. Die aus ausge-
426 8 Experimentelle Ergebnisse

wählten Publikationen entnommenen Ergebnisse von Kriechexperimenten am


SnAgCu-Lot sind in Tabelle 8.30 aufgelistet. Dazu wurden wie beim SnAg-Lot die
charakteristischen Modellparameter der Gleichung (8.21), wie die Spannungsexpo-
nenten n 1, n 2 und die Aktivierungsenergien Q 1, Q 2 , zusammen mit wichtigen
Versuchsbedingungen aufgeführt.

Tabelle 8.30 Vergleich der Spannungsexponenten n und Aktivierungsenergien Q (für den


Bereich mittlerer Spannungen) zwischen Experimenten an erstarrten Lotprobekörpern aus
SnAgCu-Lot sowie Darstellung der entsprechenden Versuchsbedingungena

n1 Q1 n2 Q2 dε/dt T V Quelle/
[kJ/mol] [kJ/mol] -1
[s ] [K] [m ]3 Bemerkung

8,7 45,1 10-9...10-3 233 3,2.10-8 [625], [631]


8,4 298 SnAg3,8Cu0,7
5,2 348 Zugversuch
4,1 398

8,2 - 13 - 10-8...10-2 295 3,9.10-6 [629]:


SnAg3,0Cu0,5
Zugversuch >104s-1
Relaxation <10-4s-1

5 92,6 10 92,6 10-8...10-2 298 1.10-8 [293]:


... SnAg4Cu0,5
423 Scherversuch

- - 11,1 - 10-5...10-1 298 1,2.10-6 [632]:


SnAg3,8Cu0,7
Zugversuch

- - 13 105,2 10-9...10-6 378 Bulk [633]:


11 403 SnAg3,5Cu0,5
Zugversuch

7,76 11,9 79,6 10-8...10-5 353 4,8.10-7 [634]:


6,55 9,6 ... SnAg3,5Cu0,5
4,18 8,8 423 Zugversuch

1,8 38,2 12,1 70,6 10-9...10-3 296 4,2.10-7 [635]:


1,3 11,0 348 SnAg3,8Cu0,7
4,1 10,2 383 Zugversuch
1,7 8,3 423

a. Tabellenwerte teilweise aus in den Publikationen enthaltenen Grafiken entnommen und


sinnvoll gerundet
8.5 Dreistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber Kupfer 427

Vergleichbar mit den in Tabelle 8.22 aufgeführten Ergebnissen zum SnAg-Lot


ergibt sich aus den verschiedenen publizierten Ergebnissen zum SnAgCu-Lot
keine klare Zuordnung von charakteristischen Werten für die Parameter n 1, n 2
bzw. Q 1, Q 2 . Obwohl einige Untersuchungen ein einfaches Potenzverhalten ermit-
telt haben, geht aus dem Großteil der Untersuchungen ein zweigeteilter Verlauf mit
unterschiedlichen Exponenten hervor. Allerdings streuen die Werte für den Span-
nungsexponenten im Bereich kleiner Spannungen sehr n 1 = 1,3…8 , sodass sich
kein theoretisch plausibler Wert für einen Klettermechanismus ergibt. Für den
Bereich großer Spannungen schwanken die Werte für den Spannungsexponenten -
abgesehen von wenigen Ergebnissen bei hohen Versuchstemperaturen - im Bereich
von n 2 = 8…13 . Diese Werte sind sehr plausibel, wenn von einem Orowan-
Mechanismus1 ausgegangen wird.
Aufgrund der Tatsache, dass zum einen die Anzahl publizierter Untersuchungen
zum SnAgCu-System gering war und dass diese geringe Auswahl an Experimenten
vor allem für den Bereich kleiner Spannungen zu sehr uneinheitlichen Ergebnissen
führte, wurden Anstrengungen unternommen, eigene Untersuchungen an SnAgCu-
Bulkmaterial durchzuführen, um zu einem genaueren Bild vom Bulk-Verhalten des
SnAgCu-Lotes zu gelangen.
Zu diesem Zweck wurden - analog zu den Untersuchungen am SnAg-Lot - für
eine erste Reihe von Versuchen sehr lange Doppelschulterproben mit einem kreis-
förmigen Querschnitt (Länge 117 mm, Durchmesser 3mm) gefertigt (vgl. 8.4.4.1),
deren Untersuchung mit dem in 7.5.2.4 beschriebenen Lastrahmen erfolgte. Als
Rohmaterial zur Probekörperfertigung wurde ein mehrfach umgeschmolzenes
eutektisches SnAgCu-Lot mit einem Ag-Anteil von 3,8 % und einem Cu-Anteil
von 0,7 % verwendet. Die Versuche wurden mit dem unter 8.4.4.1 beschriebenen
Stufenversuch durchgeführt. Die verwendeten Lastfolgen für die jeweiligen Ein-
zelversuche lassen sich aus den Dehnungsrate-Dehnungs-Diagrammen in
Abb. 8.36 entnehmen. Alle anderen Details der Messung entsprechen denen am
SnAg-Lot. Die Kriechdiagramme der Einzelversuche, aus welchen hervorgeht, bei
welcher Dehnung die entsprechenden Dehnraten ermittelt wurden, sind in den Dia-
grammen Abb. 8.36 a-f abgebildet. Die eingezeichneten Dehnungen wurden auf
der Grundlage der während der Messungen notierten Dehnungswerte ermittelt. Da
die Proben vor den Versuchen bei T = 70 °C stets einem kurzen Kriechtest bei
Raumtemperatur unterzogen wurden, um die ordnungsgemäße Einspannung zu
überprüfen, ist diesen Werten ein Dehnungsoffset (εos < 0,2 %) zuzurechnen.
Die Ergebnisse aller Einzelversuche sind im Diagramm in Abb. 8.36 g zusam-
mengefasst, in dem die Abhängigkeit der quasistatischen Kriechgeschwindigkeit
von der Spannung dargestellt ist. Aus den Untersuchungen an der eutektischen
SnAg3,8Cu0,7-Legierung geht hervor, dass sich im untersuchten Temperaturbe-
reich von 293 K bis 343 K ein zweigeteiltes Kriechverhalten ergibt, wie dies auch
von den in 8.4.4.1 beschriebenen Modellen vorhergesagt wird. Das Verhalten im

1. Aufgrund der Größe der Ag3Sn-Ausscheidungen wird nicht von einem Scher-Mechanismus
ausgegangen.
428 8 Experimentelle Ergebnisse

a) b)

c) d)

e) f)
1E-3

Bulk-SnAgCu
1E-4
T=293 K
Sample#1
1E-5
Sample#3
Creep Rate [1/s]

Sample#5
1E-6
T=343 K
Sample#2
1E-7 Sample#4
Sample#6
1E-8

1E-9

1E-10
1 10 100

g) Stress [MPa]

Abb. 8.36 Ergebnisse der Kriechuntersuchungen an SnAgCu-Bulkproben: a)-f): Dehnrate-


Dehnungs-Diagramme der verschiedenen Einzelversuche an der SnAg3,8Cu0,7-Legierung bei
T = 30 °C, 70 °C, g) zusammenfassendes Dehnrate-Spannungs-Diagramm für SnAg3,8Cu0,7-
Bulkmaterial
8.5 Dreistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber Kupfer 429

Bereich kleiner Spannungen lässt sich gut über eine Potenzfunktion mit einem
Spannungsexponenten von n 1 = 3 nachbilden, wobei zu beachten ist, dass für
diesen Bereich nur wenige Werte vorliegen und diese aufgrund der geringen und
damit messtechnisch schwer erfassbaren Dehnungsgeschwindigkeiten sehr stark
streuen, sodass für diesen Bereich Werte von n 1 = 2…5 als mit den Messergeb-
nissen in Einklang befindlich aufgefasst werden müssen. Das Verhalten im Bereich
höherer Spannungen lässt sich ebenfalls gut über eine Potenzfunktion mit einem
Spannungsexponenten von n 2 = 12 nachbilden, wobei hier die Werte kaum
streuen und ein verhältnismäßig eindeutiges Ergebnis vorliegt. Als Aktivierungs-
energie für diesen Bereich ergab sich ein Wert von Q 2 = 61,1 kJ/mol , während
sich für den Bereich kleiner Spannungen ein Wert von Q 1 = 34,6 kJ/mol ergab.
Der letzte Wert ist wegen der großen Streuung der Messwerte jedoch eher als
Richtwert aufzufassen. In Tabelle 8.31 sind die aus den experimentellen Untersu-
chungen ermittelten Parameter der Modellgleichung (8.21) aufgeführt [619].

Tabelle 8.31 Parameter der Modellgleichung (8.14) für SnAg3,8Cu0,7 in Bulk-Proben aus
[619]a

A1 [s-1] n2 Q1 [kJ/mol] A2 [s-1] n2 Q2 [kJ/mol]

1E-6 3 34,6 1E-12 12 61,1

a. σ N = 1 MPa

Vergleichbar zu den in 8.4.4.1 beschriebenen Bulkkriechversuchen an der


SnAg-Legierung wurde auch für die SnAgCu-Legierung eine zweite Versuchs-
reihe mit dem Ziel durchgeführt, den Einfluss der verschiedenen Legierungsele-
mente auf das Kriechverhalten grundsätzlich zu untersuchen. Hierzu wurde der in
Abb. 8.21 dargestellte modifizierte Stufenversuch verwendet, bei welchem stets
mit der höchsten Last begonnen wird, bis der Zustand des quasistatischen Krie-
chens erreicht wird und anschließend die Versuchslast sukzessive abgesenkt wird.
Um den Versuchsumfang zu begrenzen, wurden dabei die Versuche für alle vier
Versuchstemperaturen (T = 30 °C, 60 °C, 100 °C, 150 °C) nacheinander an einer
Probe durchgeführt, was die in 8.4.4.1 bereits diskutierten Auswirkungen auf die
Vergleichbarkeit zu den Versuchsergebnissen aus der ersten Versuchsreihe hat.
Bezüglich des Sn-Ag-Cu-Systems wurden in dieser zweiten Versuchsreihe die
naheutektischen Legierungen Sn97.5Ag2Cu0.5, Sn97.1Ag2Cu0.9,
Sn98.8Ag2Cu1.2, Sn96.5Ag3Cu0.5, Sn96.1Ag3Cu0.9, Sn95.8Ag3Cu1.2,
Sn96.9Ag3Au0.1 untersucht [636, 637]. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Unter-
suchungen sind in den Abb. 8.37 bis Abb. 8.39 zusammengestellt.
In Abb. 8.37 ist das Kriechverhalten der SnAgCu-Legierung bei einem Ag-
Anteil von 2% dargestellt. Exemplarisch zeigen die Ergebnisse an den Versuchszu-
sammensetzungen Sn97.1Ag2Cu0.5 und Sn97.1Ag2Cu0.9 (Abb. 8.37 a, b), dass
430 8 Experimentelle Ergebnisse

a) b)

c) d)

Abb. 8.37 Ergebnisse der zweiten Versuchsreihe für SnAg2CuX%: a) Darstellung aller aufge-
nommenen Kriechdaten für SnAg2Cu0,5-Lot bei Versuchstemperaturen von T = 30 °C, 60 °C,
100 °C, b) Darstellung aller aufgenommenen Kriechdaten für SnAg2Cu0,9-Lot bei Versuchstem-
peraturen von T = 30 °C, 60 °C, 100 °C, 160 °C, c) Vergleich der Ergebnisse aller SnAg2CuX%-
Legierungen bei T = 30 °C, d) Vergleich der Ergebnisse aller SnAg2CuX%-Legierungen bei allen
Versuchstemperaturen [636]

die Spannungsabhängigkeit der Verformungsgeschwindigkeit trotz niedrigeren


Ag-Gehaltes den gleichen Exponenten (n = 12) wie die der eutektischen Zusam-
mensetzung Sn95,5Cu3,8Cu0,7 (Abb. 8.36 g) hat und dass sich dieser Exponent
nicht mit der Temperatur ändert. Werden alle Zusammensetzungen mit einem Ag-
Anteil von 2% bei der Versuchstemperatur von T = 30 °C untereinander verglichen
(Abb. 8.37 c), so zeigt sich, dass die SnAg-Basislegierungen (d. h. SnAg2) sowohl
eine geringere absolute Kriechfestigkeit als auch einen niedrigeren Spannungsex-
ponenten (n = 10) als die SnAgCu-Legierungen haben, wobei der Kupferanteil
innerhalb des untersuchten Zumischungsanteils, d. h. zwischen 0,5% Cu bis
1,2% Cu, zu keiner weiteren Veränderung des Kriechverhaltens führt. Ein ähnli-
ches Bild ergibt sich, wenn die Ergebnisse über alle Versuchstemperaturen mitein-
ander verglichen werden (Abb. 8.37 d).
In Abb. 8.38 ist das Kriechverhalten der SnAgCu-Legierung bei einem Ag-
Anteil von 3% dargestellt. Exemplarisch zeigen die Ergebnisse an der Versuchszu-
8.5 Dreistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber Kupfer 431

a) b)

c) d)

Abb. 8.38 Ergebnisse der zweiten Versuchsreihe für SnAg3CuX%: a) Darstellung aller aufge-
nommenen Kriechdaten für SnAg3Cu0,5-Lot bei Versuchstemperaturen von T = 30 °C, 60 °C,
100 °C, 150 °C, b) Vergleich der Ergebnisse der Legierungen SnAg3, SnAg3Cu0,5 und
SnAg3Cu1 bei T = 30 °C, c) Vergleich der Ergebnisse aller SnAg3CuX%-Legierungen bei allen
Versuchstemperaturen, d) Vergleich der Ergebnisse der SnAg3CuX%-Legierungen mit der
SnAg3Au0,1-Legierung bei allen Versuchstemperaturen [636]

sammensetzung Sn96.5Ag3Cu0.5 (Abb. 8.38 a), dass die Spannungsabhängigkeit


der Verformungsgeschwindigkeit im Vergleich zu den Legierungen mit einem Ag-
Anteil von 2 % geringfügig auf einen Exponenten von n = 11 absinkt, welcher wie-
derum unabhängig von der Temperatur ist. Werden zusätzlich die Ergebnisse aus
der SnAg-Basislegierung (d. h. SnAg3) hinzugezogen, so zeigt sich, dass sich das
Kriechverhalten der Sn96.5Ag3Cu0.5-Legierung unwesentlich vom dem der
Sn97Ag3-Legierung unterscheidet (Abb. 8.38 b). Erst bei einer weiteren Erhöhung
des Cu-Agteils ergibt sich eine Erhöhung der Kriechfestigkeit gegenüber der
SnAg-Basislegierung, ohne dass sich der Spannungsexponent wesentlich erhöht.
Wenn die Ergebnisse über alle Versuchstemperaturen miteinander verglichen wer-
den (Abb. 8.38 c), zeigt sich, dass mit steigender Temperatur die Unterschiede im
Kriechverhalten zwischen den Legierungen immer geringer werden. Werden die
Ergebnisse der Sn96.5Ag3CuX%-Legierungen über alle Versuchstemperaturen
mit denen der Sn96.5Ag3Au0,1-Legierung verglichen (Abb. 8.38 d), zeigt sich,
432 8 Experimentelle Ergebnisse

dass die Sn96.5Ag3Au0,1-Legierung grundsätzlich, aber besonders bei höheren


Temperaturen kriechfester als die Sn96.5Ag3CuX%-Legierung ist.
Aus den Ergebnissen der zweiten Versuchsreihe ging hervor, dass der Anteil der
Legierungselemente Ag und Cu nicht nur die Kriechfestigkeit und die quasistati-
schen Kriecheigenschaften bestimmt, sondern offensichtlich auch erheblichen Ein-
fluss auf das transiente Kriechverhalten hat. In Abb. 8.39 sind die in den Einzelex-

a) b)

Abb. 8.39 Lastwechselraktionen in Abhängigkeit vom Cu-Gehalt a) Vergleich der Legierungen


SnAg2; SnAg2Cu0,5; SnAg2Cu0,9; SnAg2Cu1,2 b) Vergleich der Legierungen SnAg3;
SnAg3Cu0,5; SnAg3Cu1 für eine Versuchstemperatur von T = 30 °C (Die Unterschiede im
Anstieg zwischen SnAg3 und SnAg3Cu0,5 kamen aufgrund von Unterschieden in den Probengeo-
metrien während der Messung zustande.) [618]

perimenten aufgenommenen Lastwechselreaktionen von verschiedenen


Legierungen einander gegenübergestellt. Das Diagramm in Abb. 8.39 a vergleicht
dabei die Lastwechselreaktionen einer SnAgCu-Legierung mit einem Ag-Anteil
von 2 %, deren Cu-Anteil von 0 % bis 1,2 % variiert wurde, wenn die Versuchsbe-
anspruchung abrupt von 7,4 MPa auf 6,5 MPa abgesenkt wird. Analog werden im
Diagramm in Abb. 8.39 b die Lastwechselreaktionen von SnAgCu-Legierung mit
einem Ag-Anteil von 3 %, deren Cu-Anteile von 0 % bis 1,0 % variiert wurden,
miteinander verglichen, wenn die Versuchsbeanspruchung abrupt von 9,8 MPa auf
8,2 MPa abgesenkt wird. Bei beiden Diagrammen betrug die Versuchstemperatur
T = 30 °C. Aus dem Vergleich der Lastwechselreaktionen ist abzulesen, dass die
Legierungen ohne Cu-Beimischungen einen sofortigen Wechsel von der höheren
Kriechgeschwindigkeit bei größerer Beanspruchung zu einer niedrigeren Kriechge-
schwindigkeit bei geringerer Beanspruchung aufweisen. Ist der Legierung jedoch
Cu zugemischt, ergibt sich zunächst eine Inkubationszeit, bevor der Übergang zur
niedrigeren Kriechgeschwindigkeit erfolgt. Diese Inkubationszeit wird um so län-
ger je höher der Cu-Anteil ist.
8.5 Dreistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber Kupfer 433

8.5.4.2 Untersuchungen an Durchkontaktierungen in Leiterplatten

Die Kriechuntersuchungen an Leiterplattendurchsteckkontakten aus eutekti-


schem SnAgCu-Lot erfolgten analog zu den am SnAg-Lot (vgl. 8.4.4.2). Die unter-
suchte Legierung hatte eine Zusammensetzung von Sn95,5Ag3,8Cu0,7. Die
Ergebnisse aus den Kriechuntersuchungen sind in den Diagrammen Abb. 8.40 zu
sehen. Alle Proben wurden in einem Stufenversuch (vgl. 8.4.4.1) untersucht, d. h.,
es wurden verschiedene Lasten an eine Probe angebracht. Jeder Einzelversuch
wurde dabei so lange durchgeführt, bis der quasistatische Kriechbereich erreicht
wurde, sodass die Proben nicht zerstört wurden. Die verwendeten Lastfolgen für
die jeweiligen Einzelversuche lassen sich aus den Dehnungsrate-Dehnungs-Dia-
grammen in Abb. 8.40 entnehmen. Alle anderen Details der Messung entsprechen
denen der in 8.4.4.2 beschriebenen Untersuchungen an Durchkontaktierungen mit
SnAg-Lot.
In den Diagrammen Abb. 8.40 a-f sind zunächst die Kriechdiagramme der Ein-
zelversuche dargestellt, aus welchen hervorgeht, bei welcher Dehnung die entspre-
chenden Dehnraten ermittelt wurden. Die in diesen Diagrammen eingezeichneten
Dehnungen wurden auf der Basis der während der Messungen notierten Werte
ermittelt. Die Ergebnisse aller Einzelversuche sind im Diagramm in Abb. 8.40 g
zusammengefasst, in dem die Abhängigkeit der Dehnungsgeschwindigkeit von der
Spannung dargestellt ist. Aus den Messwerten für das SnAgCu-Lot geht hervor,
dass sich - wie bei den Ergebnissen an Bulkproben (vgl. 8.5.4.1) - im untersuchten
Temperaturbereich von 293 K bis 343 K ein zweigeteiltes Kriechverhalten ergibt,
wie dies auch von den in 8.4.4.1 beschriebenen Modellen vorhergesagt wird. Das
Verhalten im Bereich kleiner Spannungen lässt sich gut über eine Potenzfunktion
mit einem Spannungsexponenten von n 1 = 3 nachbilden, wobei dieses Ergebnis
nur bei der Messung an einer einzigen Probe ermittelt wurde. Bei den beiden ande-
ren Proben konnte ein zweiteiliger Verlauf des quasistatischen Kriechverhaltens
nicht festgestellt werden. Das Fehlen dieses zweiteiligen Verlaufes kann jedoch
auch mit den höheren Dehnraten zusammenhängen, bei denen die Kriecheigen-
schaften an diesen Leiterplattenproben bestimmt wurden. Das Verhalten im
Bereich höherer Spannungen folgt ebenfalls einer Potenzfunktion mit einem Span-
nungsexponenten von n 2 = 12 , wobei hier ein einheitliches Verhalten bei allen
drei Proben festgestellt wurde. Als Aktivierungsenergie für diesen Bereich ergab
sich ein Wert von Q 2 = 61,4 kJ/mol , während sich für den Bereich kleiner Span-
nungen ein Wert von Q 1 = 26,8 kJ/mol ergab, welcher jedoch nur aus einer einzi-
gen Messung abgeleitet wurde [204]. In Tabelle 8.32 sind die aus den experimen-
tellen Untersuchungen ermittelten Parameter der Modellgleichung (8.21)
aufgeführt [619].
434 8 Experimentelle Ergebnisse

a) b)

c) d)

e) f)
1E-3

PCB-spec.-SnAgCu
1E-4
Sample #3
T=303K
1E-5 T=343K
Creep Rate [1/s]

Sample #4
1E-6 T=303K
T=343K
1E-7 Sample #5
(aged 150°C/500h)
1E-8 T=303K
T=343K
1E-9

1E-10
1 10 100
g) Stress [MPa]

Abb. 8.40 Kriechuntersuchungen an Durchkontaktierungen in Leiterplatten: a)-d): Dehnrate-


Dehnungs-Diagramme der Einzelversuche an der SnAg3,8Cu0,5-Legierung bei T = 30 °C, 70 °C,
g) zusammenfassendes Dehnrate-Spannungs-Diagramm für SnAg3,5-Leiterplattenkontakte
8.5 Dreistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber Kupfer 435

Tabelle 8.32 Parameter der Modellgleichung (8.14) für SnAg3,8Cu0,7 in Leiterplattenkontakt-


Proben aus [619]a

A1 [s-1] n2 Q1 [kJ/mol] A2 [s-1] n2 Q2 [kJ/mol]

4E-7 3 26,8 1E-12 12 61,4

a. σ N = 1 MPa

8.5.4.3 Untersuchungen an kleinvolumigen Lotkontakten

Die nachfolgend beschriebenen Untersuchungen des Kriechverhaltens von


SnAgCu-Lot (aus [508]) an kleinvolumigen Lotkontakten umfassen neben Probe-
körpern, welche aus Lotkugeln bzw. Lotformteilen einer originären SnAgCu-
Legierung hergestellt wurden, auch solche, welche aus Lotformteilen einer SnAg-
Legierung hergestellt wurden, welche auf eine Cu/Sn-Metallisierung gelötet wur-
den. Die Charakterisierung des Kriechverhaltens erfolgte unter Nutzung der in
7.5.3.3 beschriebenen Apparatur unter Verwendung eines zyklischen Kriechversu-
ches, welcher dem in 8.3.4.2 beschriebenen ähnlich ist. Die Probekörperherstellung
erfolgte nach dem in 8.4.4.3 beschriebenen Verfahren, wobei die Zeitdauer, in dem
sich das Lot im schmelzflüssigen Zustand befindet, wenigstens 45 s betrug. Hier-

a) b)

Abb. 8.41 Kriechverhalten der SnAg3,5-Legierung auf Cu/Sn-Anschlussmetallisierung:


a) Umschmelzdauer 45 s, b) Umschmelzdauer 180 s aus [508]

durch kam es zum erheblichen Ablegieren der Cu-Metallisierung in das Lot, sodass
sich infolge der Probekörperherstellung auf Cu/Sn-Metallisierungen immer eine
SnAgCu-Legierung ergab. In Abb. 8.41 sind die Ergebnisse der Kriechuntersu-
chungen an kleinvolumigen Lotkontakten, welche durch das Auflöten von
SnAg3,5-Lotkugeln (d = 450 μm) auf eine Cu/Sn-Anschlussmetallisierung erzeugt
436 8 Experimentelle Ergebnisse

wurden, in einer zusammenfassenden Beschreibung des quasistatischen Kriechver-


·
haltens in Form eines ε - σ -Diagramms dargestellt. Das rechte Diagramm
(Abb. 8.41 a) zeigt dabei die Ergebnisse, welche an einer Probe mit einer Zeitdauer
der schmelzflüssigen Phase bei Herstellung von 45 s ermittelt wurden, das linke
Diagramm (Abb. 8.41 b) zeigt die äquivalenten Ergebnisse für eine Probe mit einer
Zeitdauer der schmelzflüssigen Phase von 180 s. In beiden Fällen wurden die Pro-
ben vor der Messung für 24 h bei 110 °C ausgelagert [508].
Aus dem Vergleich beider Untersuchungen ergibt sich kein signifikanter Unter-
schied im Kriechverhalten. Wie eine Analyse der chemischen Zusammensetzung
über EDX-Untersuchungen der Kontakte gezeigt hat, wird beim Umschmelzvor-
gang offensichtlich sehr viel Cu aus der Anschlussmetallisierung in das Lot gelöst,
sodass sich nach dem Umschmelzen eine SnAgCu-Legierung mit leicht übereutek-
tischem Cu-Gehalt einstellt. Die Ergebnisse der EDX-Analyse aus [508] sind in
Tabelle 8.33 aufgeführt. Die dazugehörigen Gefügebilder sind in Abb. 8.42 zu

Abb. 8.42 Gefügebilder der SnAg3,5 Lotkugel vor und des SnAg3,5 Lotkontaktes nach dem
Umschmelzprozess [508]

Tabelle 8.33 Zusammensetzung der Lotlegierung vor und nach dem Umschmelzvorgang bei der
Herstellung von Probekörpern unter Verwendung von SnAg3,5-Lotkugeln, welche auf eine Cu/
Sn-Metallisierung aufgelötet wurden (Umschmelzzeit > 45 s, T = 240°C)

Legierung Zustand Anschluss- relativer Massenanteil (Standardabweichung)


metallisierung Sn Ag Cu

SnAg3,5 Lotkugel - 96,54 (5,4) % 3,46 (9,7) % -

SnAg3,5 Lotkontakt Cu/Sn 95,06 (3,8) % 3,88 (9,2) % 1,06 (22,5) %

sehen. Aus den Diagrammen in Abb. 8.41 geht hervor, dass das charakterisierte
Kriechverhalten einem einfachen Potenzgesetz folgt. Bei der niedrigsten Tempera-
tur (T = 293 K) weist das auf eine Cu/Sn-Metallisierung gelötete SnAg3,5-Lot
einen Spannungsexponenten von n 2 = 18 auf, welcher sich bei den höheren Ver-
8.5 Dreistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber Kupfer 437

Abb. 8.43 Kriechverhalten der SnAg3,8Cu0,7-Legierung auf Cu/Sn-Anschlussmetallisierung


[638]

suchstemperaturen (T = 348 K, 398 K) auf Werte von n 2 = 12 bzw. n 2 = 8 ver-


ringert.
In Abb. 8.43 sind die Ergebnisse der Kriechuntersuchungen an kleinvolumigen
Lotkontakten, welche durch das Auflöten von SnAg3,8Cu0,7-Lotkugeln
(d = 450 μm) auf eine Cu/Sn-Anschlussmetallisierung erzeugt wurden, in einer
zusammenfassenden Beschreibung des quasistatischen Kriechverhaltens in Form
·
eines ε - σ -Diagramms dargestellt. Aus den Diagrammen in Abb. 8.43 geht hervor,
dass das charakterisierte Kriechverhalten einem einfachen Potenzgesetz folgt,
wobei sich analog zu den Ergebnissen in Abb. 8.41 bei der niedrigsten Temperatur
(T = 293 K) ein Spannungsexponent von n 2 = 18 ergibt, welcher sich bei den
höheren Versuchstemperaturen (T = 348 K, 398 K) auf Werte von n 2 = 12 bzw.
n 2 = 8 verringert. Unterschiede ergeben sich lediglich in der absoluten Kriechfes-
tigkeit, welche bei den SnAg3,8Cu0,7-Kugeln höher liegt als bei den SnAg3,5-
Kugeln. Dies kann jedoch mehrere Ursachen haben. Unter anderem könnte es sein,
dass die SnAg3,8Cu0,7-Kugeln einen etwas höheren Ag-Anteil haben, was die
höhere Kriechfestigkeit sehr leicht erklären würde.

8.5.4.4 Untersuchungen an Flip-Chip-Kontakten

Zur Ermittlung der Kriecheigenschaften von eutektischem SnAgCu-Lot an Flip-


Chip-Kontakten wurden die in 8.4.3.2 beschriebenen Probekörper verwendet. Die
Charakterisierung des Kriechverhaltens erfolgte unter Nutzung der in 7.5.3.2
beschriebenen Apparatur mit dem in 8.3.4.2 beschriebenen zyklischen Kriechver-
such.
438 8 Experimentelle Ergebnisse

Beim Durchführen von Kriechversuchen an Flip-Chip-Proben kam es zu erheb-


lichen Problemen durch das Abreißen von Unterbumpmetallisierungen, wodurch
eine vollständige Durchführung von Kriechversuchen an diesen Proben nicht mög-
lich war. Ursachen dieses die Versuchsmethodik erheblich einschränkenden Phä-
nomens sind vermutlich sehr hohe Eigenspannungen in den Unterbumpmetallisie-
rungen sowie Änderungen am Versuchsablauf. Die Eigenspannungsproblematik ist
möglicherweise durch eine Änderung der Herstellungstechnologie entstanden, wel-
che mit dem Ziel durchgeführt wurde, neben Cu- auch NiAu-Metallisierungen
abzuscheiden. NiAu-Metallisierungen waren als Untergrund für die zu untersu-
chenden Lote aus methodischer Sicht notwendig. Weiterhin machte sich eine
Änderung des Versuchsablaufs notwendig. In dem an SnPb-Proben erarbeiteten
Versuchsablauf für zyklische Kriechversuche wurde stets mit kleinen Lasten
begonnen, welche dann stufenweise zu größeren Lasten gesteigert wurden. Bei
ersten Versuchen mit SnAgCu-Proben zeigte sich jedoch, dass dieses Verfahren
bei Versuchen mit kleinen Dehnungsraten aufgrund der hohen Spannungsexponen-
ten unpraktikabel ist. Bei der Einstellung sehr niedriger Kräfte kam es vermutlich
durch Driften des Kraftsensorverstärkers zu physikalisch nicht plausiblen Erschei-
nungen während des Kriechversuchs. So wurden neben wiederholt auftretendem
Dehnungsstillstand auch zeitlich begrenzte Dehnungen mit gegenüber der Erwar-
tung negativer Richtung (vermutlich Rückbewegungen, welche durch eine geringe
Offsetdrift des Kraftsensorverstärkers hervorgerufen werden) beobachtet. Aus die-
sem Grund wurde das Versuchsprogramm umgestellt mit dem Ziel, sich - ausge-
hend von einer hohen Versuchskraft - an die kleinstmögliche Versuchskraft im
zyklischen Kriechversuch heranzutasten. Hierdurch sollte die notwendige Zeiteffi-
zienz der Versuche sichergestellt werden. Die sehr hohen Kraftraten zu Beginn des
zyklischen Kriechversuches waren wahrscheinlich Ursache für das Abreißen der
Unterbumpmetallisierung. Sehr oft wurde ein solches Abreißen bzw. Anreißen
jedoch auch schon während der Versuche mit zyklischer Dreiecksdehnung beob-
achtet. In diesen Fällen wurden die Werte für den Kriechrate-Spannungs-Zusam-
menhang aus den aufgezeichneten Spannungs-Dehnungs-Diagrammen abgeleitet
(siehe Abb. 8.45, Abb. 8.46, Abb. 8.49, Abb. 8.50 und Abb. 8.51). Die Einzel-
·
kriechversuche in Form von ε - ε -Diagrammen in Abb. 8.44, Abb. 8.47 und
Abb. 8.48 sind dabei entweder auf der linken oder rechten Seite positioniert. Diese
Anordnung repräsentiert die jeweilige Sequenz des Einzelversuches im gesamten
zyklischen Kriechversuch (vgl. 8.3.4.2). Wurde ein symmetrischer Versuchsspan-
nungsverlauf (gleiche Dehnraten in Hin- und Rückrichtung) im zyklischen Kriech-
versuch aufgebracht, so sind die korrespondierenden Dehnrate-Dehnungs-Dia-
gramme einander gegenüber in Lastreihenfolge dargestellt. Bei einem
asymmetrischen Versuchsspannungsverlauf sind die Diagramme ebenfalls in der
Reihenfolge ihrer Durchführung aufgeführt und befinden sich entsprechend ihrer
Zugehörigkeit zu Hin- oder Rückrichtung auf der linken oder rechten Seite der
Abbildung. Da die Umrechnung von Kraft- und Wegdaten auf Spannungs- und
Dehnungswerte aufgrund der sich während des Einzelversuches ständig ändernden
Spannungsverteilungen im Kontakt nicht über eine FE-Analyse des Versuches
8.5 Dreistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber Kupfer 439

a) b)

c) d)

e) f)

g) h)

Abb. 8.44 Dehnrate-Dehnungs-Diagramme für Flip-Chip-Proben, SnAgCu, unausgelagert, T=


50°C: linke Seite (a, c, e, g) = Hindeformation, rechte Seite (b, d, f, h) = Rückdeformation im zykli-
schen Kriech-Scher-Versuch. Aufgrund eines schlechten Wegsignals des Laserinterferometers
wurden die Wegwerte aller Diagramme aus der Piezodehnung errechnet.
440 8 Experimentelle Ergebnisse

Abb. 8.45 Spannungs-Dehnungs-Diagramm für Flip-Chip-Proben, SnAgCu, unausgelagert,


T = 5°C: Wegdaten für Kurven 1,7E-7 s-1 und 1,7E-6 s-1 wurden aus der Piezodehnung rekon-
struiert, da nur ein mangelhaftes Wegsignal über das Laserinterferometer aufgezeichnet wurde.

(vgl. 7.4.4.3) bestimmt werden können, erfolgte eine einfache Abschätzung über
Gleichung (8.23).
Das Diagramm in Abb. 8.52 zeigt zusammenfassend die Ergebnisse der Kriech-
untersuchungen an Flip-Chip-Kontakten aus SnAgCu-Lot auf Cu-UBM. Es ist zu

Abb. 8.46 Spannungs-Dehnungs-Diagramm für Flip-Chip-Proben, SnAgCu, ausgelagert bei


125°C/24h, T= 5°C: Wegdaten für Kurven 1,26E-7 s-1 und 1,26E-6 s-1 wurden aus der Piezo-
dehnung rekonstruiert, da nur ein mangelhaftes Wegsignal über das Laserinterferometer aufge-
zeichnet wurde.
8.5 Dreistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber Kupfer 441

a)

b)

c)

d)
Abb. 8.47 Dehnrate-Dehnungs-Diagramme für Flip-Chip-Proben, SnAgCu, ausgelagert bei
125°C/24h, T= 50°C: linke Seite (c) = Hindeformation, rechte Seite (a, b, d) = Rückdeformation
im zyklischen Kriech-Scher-Versuch.
442 8 Experimentelle Ergebnisse

a)

b)

c)

Abb. 8.48 Dehnrate-Dehnungs-Diagramme für Flip-Chip-Proben, SnAgCu, ausgelagert bei


125°C/24h, T= 50°C: linke Seite (a, c) = Hindeformation, rechte Seite (b) = Rückdeformation im
zyklischen Kriech-Scher-Versuch. Anordnung entspricht Lastreihenfolge. Mittelspannungser-
mittlung aus Daten für 22,1 MPa. Aufgrund eines mangelhaften Wegsignals des Laserinterfero-
meters wurden die Wegwerte aller Diagramme aus der Piezodehnung errechnet.
8.5 Dreistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber Kupfer 443

Abb. 8.49 Spannungs-Dehnungs-Diagramm für Flip-Chip-Proben, SnAgCu, ausgelagert bei


125°C/168h, T= 5°C: Wegdaten für Kurven 1,2E-7s-1 und 1,2E-6 s-1 wurden aus der Piezo-
dehnung rekonstruiert, da nur ein mangelhaftes Wegsignal über das Laserinterferometer aufge-
zeichnet wurde. Aus Kurve 1,2E-6 s-1 ist die Entstehung eines Anrisses der Unterbumpmetalli-
sierung zu erkennen.

Abb. 8.50 Spannungs-Dehnungs-Diagramm für Flip-Chip-Proben, SnAgCu, ausgelagert bei


125°C/168h, T= 50°C: Driftendes Wegsignal für Kurve 7,5E-6 s-1.
444 8 Experimentelle Ergebnisse

erkennen, dass sich eine starke Änderung der Kriecheigenschaften durch thermi-
sche Auslagerung der Proben ergab. Hierdurch sank der Kriechwiderstand des
SnAgCu-Lotes als auch der Spannungsexponent von n 2 = 19 (für unausgela-
gerte Proben) auf einen Wert von n 2 = 13 (für die bei einer Temperatur von
T = 125°C ausgelagerten Proben). Unterschiede im Kriechverhalten zwischen
kurzzeitig ausgelagerten (t = 24 h) und langzeitig ausgelagerten Proben
(t = 1176 h) ergaben sich nicht. Als Aktivierungsenergie für die unausgelagerten
Proben ergab sich ein Wert von Q 2 = 84,2 kJ/mol , während sich für den Bereich
kleiner Spannungen ein Wert von Q 2 = 75,2 kJ/mol ergab. In Tabelle 8.34 sind
die aus den experimentellen Untersuchungen ermittelten Parameter der Modellglei-
chung (8.21) aufgeführt [619].

Abb. 8.51 Spannungs-Dehnungs-Diagramm für Flip-Chip-Proben, SnAgCu, ausgelagert bei


125°C/1176h, T= 50°C: Wegdaten für Kurven 4,2E-8 s-1 und 4,2E-7 s-1 wurden aus der Piezo-
dehnung rekonstruiert, da nur ein mangelhaftes Wegsignal über das Laserinterferometer aufge-
zeichnet wurde. Driftendes und verrauschtes Wegsignal für Kurve 4,2 E-6 s-1.

Tabelle 8.34 Parameter der Modellgleichung (8.14) für SnAg3,8Cu0,7 in Flip-Chip-Kontakten


mit verschiedenen Unterbumpmetallisierungen (UBM) aus [619]a

UBM A1 [s-1] n2 Q1 [kJ/mol] A2 [s-1] n2 Q2 [kJ/mol]

Cub - - - 6E-23 19 84,2

Cuc - - - 1E-12 13 75,2

a. σ N = 1 MPa
b. nicht ausgelagert
c. ausgelagert 24h ... 1176h/125°C
8.5 Dreistoffsystem mit Teilchenhärtung - Zinn Silber Kupfer 445

Abb. 8.52 Ergebnisse der Kriechversuche an SnAg3,8Cu0,7 in Flip-Chip-Kontakten

8.5.5 Rissausbreitungsverhalten an Flip-Chip-Kontakten

Analog zu den in 8.3.5.2 beschriebenen Untersuchungen wurden mit der in


7.5.3.5 beschriebenen Versuchseinrichtung Kriech-Ermüdungs-Versuche an Flip-
Chip-Kontakten durchgeführt. Als Proben wurden die in 8.4.3.2 beschriebenen
Flip-Chip-Probekörper mit jeweils 4 Eckkontakten genutzt. Aus den Ergebnissen
der Ermüdungsexperimente und aus den mit Hilfe von FEM-Simulationen des
Experiments errechneten wurden Rissausbreitungsgleichungen gemäß der Gleic-
hungen (8.19) und (8.20) aufgestellt [595]. Die Werkstoffparameter α, β, γ, δ in
diesen Gleichungen sind für SnAg4Cu0,5-Lot in Tabelle 8.35 zusammengefasst.

Tabelle 8.35 Parameter für Rissausbreitungsgleichungen (8.19) und (8.20) für SnAg4Cu0,5-
Flip-Chip-Lotkontakte aus [595]

α β γ δ

ΔWpl 2,5 10-8 1,8 - -

εacc 5 10-7 2 - -
9.1 Mechanik und Werkstoffphysik für die Elektronik 447

9 Schlussfolgerungen und zukünftige Herausforderungen

9.1 Mechanik und Werkstoffphysik für die Elektronik

Wie Alan Howard Cottrell 1966 im Prolog zu seinem ein Jahr später erstmals
herausgegebenen Grundlagenwerk „An Introduction to Metallurgy“ feststellte,
weilt über der Metallurgie nach wie vor der Geist des Mystischen, sodass kein
respektables Raumschiff in einem Science-Fiction-Roman ohne eine geheime
Wunderlegierung auszukommen scheint [184]. Eine vergleichbare Situation
bestand, als - ausgelöst durch Bestrebungen, das gesundheitsschädliche Element
Blei nicht mehr in der industriellen Warenproduktion einzusetzen - um die Jahrtau-
sendwende eine Ersatzlegierung für das in der Elektronikproduktion standardmä-
ßig verwendete Zinn-Blei-Lot gefunden werden musste. Viele der frühzeitigen
Forschungsbestrebungen resultierten aus empirischen Überlegungen, anstatt durch
Nutzung metallphysikalischer Erkenntnisse bestimmte Lösungsansätze systema-
tisch weiterzuverfolgen.
Während der allmähliche Übergang von einer rein empirischen Werkstofffor-
schung zu einer auf festkörperphysikalischen und -chemischen Betrachtungswei-
sen beruhenden Werkstoffwissenschaft sich in den meisten Anwendungsgebieten
nach Ende des zweiten Weltkriegs vollzog [650, 651], umfasste die Betrachtung
werkstoffphysikalischer Aspekte in der bisherigen Entwicklung der Elektronik vor
allem solche, welche unmittelbar auf die Konzeption technologischer Prozesse
gerichtet waren. Bei der wissenschaftlich-akademischen Auseinandersetzung mit
methodischen Fragestellungen zum Entwurfs- und Fertigungsprozess elektroni-
scher Bauelemente und Geräte existierte zunächst nur ein geringes allgemeines
Verständnis dafür, dass die aus vielen einzelnen Bauelementen und Funktions-
strukturen zusammengesetzten elektronischen Aufbauten gleichzeitig auch mecha-
nische Verbunde sind und daher bei konzeptionellen Fragen auch der Aspekt der
Mechanik eines elektronischen Aufbaus in sehr grundlegender Weise bedacht wer-
den muss. Zwar wurde die Schlüsselproblematik mechanischer Beanspruchungen
in Strukturen elektronischer Aufbauten früh erkannt, jedoch wurde daraus in der
Regel keine allgemeine Notwendigkeit für eine grundlegende vertiefende Beschäf-
tigung mit werkstoffmechanischen Fragestellungen abgeleitet [639], da die auftre-
tenden Probleme zunächst auf eine bestimmte Technologievariante beschränkt zu
bleiben schienen. Anders als in anderen ingenieurwissenschaftlichen Bereichen,
wie z. B. dem Maschinen-, Anlagen- oder Fahrzeugbau, entwickelte sich die
Untersuchung relevanter mechanischer Eigenschaften der üblicherweise verwende-
ten Werkstoffe nicht als eigenständiges wissenschaftliches Gebiet.
Wie unvollkommen der Grad des Verständnisses für das mechanische Verhalten
der in elektronischen Aufbauten eingesetzten Werkstoffe sich in der jüngeren Ver-
gangenheit darstellt, wird sehr deutlich, wenn das 1991 in seiner zweiten Auflage
erschienene Buch „Weichlöten in der Elektronik“ von Klein Wassink [640]
448 9 Schlussfolgerungen und zukünftige Herausforderungen

betrachtet wird. Die in diesem stark werkstofforientierten, zum Erscheinungszeit-


punkt für die Herstellungstechnologie der Elektronik wichtigem deutschsprachigen
Werk vorgenommenen Betrachtungen zum mechanischen Verhalten von Weichlo-
ten sind noch sehr stark den traditionellen Vorstellungen zur Festigkeit (vgl. 7.2.2)
verhaftet. Zwar wird darauf hingewiesen, dass die Erscheinungen der Hochtempe-
raturverformung, d. h. des Kriechens, für das mechanische Verhalten der Weich-
lote sehr wichtig ist, eine Erklärung der phänomenologischen Erscheinungsformen
als auch der werkstoffphysikalischen Hintergründe bleibt aber aus. Es wird dabei
auch eingeräumt, dass klare grundsätzliche Vorstellungen zum Bruchverhalten von
Loten trotz vielfältiger experimenteller Befunde völlig fehlen. Bezüglich der Ver-
wendung der FEM-Simultation wird sogar angezweifelt, dass diese überhaupt in
der Lage ist, entscheidende Beiträge zur Bewertung der Zuverlässigkeit von Löt-
stellen zu leisten, und stattdessen wird ein Vorgehen über die Durchführung von
Temperaturwechseltests favorisiert.
Die gegenüber anderen Bereichen der Technik vergleichsweise unterentwik-
kelte Nutzung theoretischer werkstoffphysikalisch geprägter Ansätze zur Betrach-
tung der strukturellen Integrität elektronischer Aufbauten hängt mit den besonde-
ren Merkmalen dieser Erzeugnisgruppe zusammen. Da die Aufwände für die
Herstellung einer elektronischen Baugruppe vergleichsweise gering sind, ist es
durchaus ökonomisch, auch größere Anzahlen von Baugruppen praktischen Belas-
tungstests zu unterziehen, um so zu Aussagen über deren Zuverlässigkeit zu gelan-
gen. Beim Bau von Atomkraftwerken, Raumschiffen oder Chemieanlagen ist ein
solches Vorgehen hingegen undenkbar. Die Bemessung von Bauteilen muss in sol-
chen Anwendungen daher schon frühzeitig durch theoretische, auf werkstoffphysi-
kalischen Erkenntnissen beruhenden Überlegungen erfolgen. Dies war nicht nur
aus ökonomischen Gründen notwendig, sondern ergab sich bei den meisten groß-
technischen Anlagen und Geräten allein aus sicherheitstechnischen Aspekten.
Für den Bereich elektronischer Baugruppen und Geräte, für den sicherheitstech-
nische Aspekte nicht vordergründig wichtig waren, musste daher ein anderer Aus-
löser die Nutzung aufwendiger theoretischer Betrachtungsweisen gegenüber ein-
fach durchzuführenden praktischen Versuchen rechtfertigen. Dieser bestand darin,
dass mit der fortschreitenden Entwicklung von Fertigungstechnologien und der
gleichzeitigen Veränderung von Geschäftsmodellen (z. B. Outsourcing) eine kaum
noch beherrschbare Komplexität im Entwurfszyklus für neue elektronische Geräte
bzw. Bauelemente entstand, wobei sich mechanische Fragestellungen zu einem der
wichtigsten Problemfelder entwickelten. Methodisch werden diese Fragestellungen
vor allem durch die transdisziplinäre Nutzung des in anderen Bereichen der Inge-
nieurwissenschaften etablierten Verfahrens der Finite-Elemente-Simulation beant-
wortet, deren spezifische Nutzung auf dem Gebiet der (Mikro-)Elektronik jüngst in
umfassenden Lehrbüchern von Rzepka [642] sowie von Zhang, van Driel und Fan
[641] ausführlich dargelegt wird. Beiden Lehrwerken ist gemein, dass sie sich vor
allem auf die Berechnung und Bewertung mechanischer Beanspruchungen konzen-
trieren. Demgegenüber wird in der vorliegenden Arbeit der Versuch unternommen,
die komplexen Erscheinungsformen der Materialverformung und -schädigung in
9.1 Mechanik und Werkstoffphysik für die Elektronik 449

elektronischen Aufbauten systematisch gegliedert darzustellen und mit den ihnen


zugrunde liegenden werkstoffphysikalischen Elementarmechanismen in Relation
zu setzen. Diese Darstellung zielt darauf ab, die aufgrund der eingangs dargestell-
ten Entwicklung entstandene Verständnislücke in Bezug auf das mechanische Ver-
halten der für elektronische Aufbauten spezifisch eingesetzten Werkstoffe zu
schließen, wobei sich die Betrachtungen besonders auf metallische Werkstoffe
konzentrieren. Metalle besitzen gegenüber Polymeren und Keramiken in Bezug auf
die Verwendung in elektronischen Aufbauten die Besonderheit, dass ihr von kom-
plexen Temperatur- und Zeitabhängigkeiten gekennzeichnetes Verformungs- und
Schädigungsverhalten gleichzeitig sehr stark von der Werkstoffstruktur beeinflusst
wird. Diese Abhängigkeiten existieren bei metallischen Werkstoffen zwar so auch
in anderen ingenieurwissenschaftlichen Bereichen, wie dem Maschinen-, Anlagen-
oder Fahrzeugbau, allerdings ergibt sich im Bereich der elektronischer Aufbauten
die Besonderheit, dass metallische Strukturen in der Regel direkt durch einen
Urformprozess gefertigt werden. Im Gegensatz zu Urformprozessen in den anderen
ingenieurwissenschaftlichen Bereichen, z. B. bei der Herstellung von Turbinenflü-
geln, sind die für diesen Urformprozess gewählten Prozessbedingungen jedoch
nicht in erster Linie darauf gerichtet, eine für die spätere mechanische Beanspru-
chung widerstandsfähige Werkstoffstruktur zu erzeugen, sondern richten sich vor
allem nach anderen Faktoren, wie Kompatibilität zur Gesamttechnologie, Prozess-
und Materialkosten, Robustheit des Verfahrensschrittes usw. usf. Gleichzeitig
besitzen metallische Strukturen in elektronischen Aufbauten geringe geometrische
Abmessungen, sodass die Aspekte von Größeneffekten von Bedeutung sind.
Um diese vielfältigen Beziehungen untereinander und ihre Auswirkungen auf
das resultierende mechanische Verhalten tatsächlich verstehen zu können, wurde
eine Darstellung gewählt, welche in besonderer Weise auf den Zusammenhang
zwischen der Messmethodik und den damit in Zusammenhang stehenden Resulta-
ten bei der Charakterisierung des mechanischen Verhaltens von Werkstoffen ein-
geht. Im Gegensatz zu anderen umfangreichen Abhandlungen über das mechani-
sche Verhalten von Werkstoffen [32, 143, 225], welche sich vor allem auf den
Werkstoffeinsatz in großvolumigen Strukturelementen beziehen, soll die nötige
Sensibilität für die Problematik der Bestimmung als auch Verwendung von
adäquaten Werkstoffdaten erzeugt werden. Wie die entsprechenden Ergebnisse in
Kapitel 8 zeigen, existieren durch die geometrisch begrenzten Volumen der Struk-
turelemente in elektronischen Aufbauten starke Abhängigkeiten des Verformungs-
und Schädigungsverhaltens zum einen von der Geometrie der entsprechenden
Strukturelemente und zum anderen von den verwendeten Fertigungsbedingungen.
Werden bei der Charakterisierung von Werkstoffdaten diese Abhängigkeiten durch
unangepasste Versuchsmethoden (z. B. durch die Verwendung standardisierter
Versuche aus dem Makrobereich) nicht beachtet, so entstehen unbewusst Fehler in
den das Verformungs- und Schädigungsverhalten beschreibenden Modellen, wel-
che wiederum zu Fehlern in den Simulationsrechnungen führen.
450 9 Schlussfolgerungen und zukünftige Herausforderungen

9.2 Der Größeneffekt in Werkstoffstrukturen elektronischer


Aufbauten

9.2.1 Ausgangspunkt

Ausgangspunkt für die in der Arbeit behandelte Problematik des Größeneffektes


im Werkstoffverhalten war der bei den ersten Berechnungen zu mechanischen
Beanspruchungen in elektronischen Aufbauten offensichtlich gewordene Bedarf an
geeigneten Beschreibungsformen des Verformungsverhaltens der relevanten
Werkstoffe. Hierbei stand die Frage im Vordergrund, ob für die Beschreibung des
mechanischen Verhaltens eines Strukturelementes, wie eines Lotkontaktes, einer
Leitbahn oder einer Durchkontaktierung, weiterhin die Beschreibung des mechani-
schen Verhaltens des Materials verwendet werden kann. Dem Konzept einer allein
auf ein Material bezogenen Beschreibung des mechanischen Verhaltens, welche
unabhängig von der konkreten Geometrie des Bauteils gültig ist, schien für den
Bereich der kleinvolumigen Bauteile (bzw. Strukturelemente) aus verschiedenen
Gründen nicht mehr gegeben zu sein. Ausschlaggebend für diese Argumentation
waren a) Zweifel an der Gültigkeit von Kontinuumsbetrachtungen aufgrund der
geringen Größenunterschiede zwischen einzelnen Elementen der Werkstoffstruktur
(z. B. Körnern) gegenüber den Gesamtabmessungen des Bauteils, b) die durch das
veränderte Verhältnis von Oberfläche zu Volumen zu berücksichtigenden Oberflä-
cheneffekte und c) die starken zu erwartenden Gradienten von mechanischer Span-
nung oder Temperatur aufgrund der kleinen Abmessungen.
Die aus dem Gesichtspunkt der Berechnung höchste Bedeutung hatte dabei das
mechanische Verhalten von Lotkontakten, wie es sich beispielsweise Anfang der
1990er Jahre in den in [652] formulierten Fragestellungen widerspiegelt. Zu die-
sem Zeitpunkt wurde in einer Vielzahl von Publikationen auf eine mögliche Unzu-
lässigkeit der Übertragung der an homogenen makroskopischen Probekörpern
gewonnenen mechanischen Werkstoffdaten auf das Verhalten von mikroskopi-
schen Flip-Chip-Kontakten aus eutektischem Blei-Zinn-Lot hingewiesen. Zum
einen existierten einige wenige experimentelle Untersuchungen an Mikrolotkon-
takten [10, 28, 36, 44], welche sehr deutliche Abweichungen von den an Bulkpro-
ben ermittelten Werkstoffdaten zeigten. Zum anderen gab es theoretische Überle-
gungen [54], aus denen sich jedoch keine Übertragungsregeln ableiten ließen. In
einem ersten Schritt wurden daher die in [12, 210] beschriebenen Untersuchungen
an Flip-Chip-Kontakten aus eutektischem Zinn-Blei-Lot durchgeführt, welchen ab
dem Jahr 2000 gemeinsam mit dem Fraunhofer IZM (Berlin) durchgeführte Unter-
suchungen zum Kriechverhalten von SnAgCu-Lot folgten [616]. Der Vergleich
aller während dieser umfangreichen Untersuchungen ermittelten Werkstoffdaten
deutete darauf hin, dass im komplexen ternären Eutektikum des SnAgCu-Lotes
eine sehr viel stärkere Abhängigkeit der werkstoffmechanischen Eigenschaften von
der Mikrostruktur besteht, als dies für das bisher in der Elektronik standardmäßig
eingesetzte SnPb-Lot der Fall gewesen ist. Beispielhaft ist dazu in Abb. 9.1 die aus
9.2 Der Größeneffekt in Werkstoffstrukturen elektronischer Aufbauten 451

Abb. 9.1 Ergebnisse der Kriechversuche an großvolumigen SnAg3,8Cu0,7 Bulkproben und


kleinstvolumigen SnAg4Cu0,5 Flip-Chip-Kontakten bei einer Temperatur von T = 20 °C aus
[616] (Die Flip-Chip-Daten, welche ursprünglich bei Temperaturen von T = 5 °C, 50 °C aufge-
nommen wurden, sind für diesen Vergleich für eine Temperatur von 20 °C korrigiert wurden).

[616] entnommene Gegenüberstellung des Kriechverhaltens von eutektischem


SnAgCu-Lot großvolumiger Proben und dem kleinvolumiger Proben aufgeführt.
Aus ihr ist klar zu erkennen, dass das eutektische SnAgCu-Lot im Bulkprobekörper
sowohl eine sehr viel geringere absolute Kriechfestigkeit als auch einen deutlich
kleineren Spannungsexponenten besitzt als das nahezu gleiche Lot im sehr viel
kleineren Volumen des Flip-Chip-Kontaktes. Aufgrund dieser mit dem Sn-Ag-Cu-
System neu gewonnenen Erkenntnisse, welche sich nicht ohne weiteres in das aus
den Untersuchungen in [12] entstandene Bild einordnen ließen, ergaben sich neue
Ansätze für das Verständnis des Größeneffektes in seinem Bezug auf die durch die
technischen Besonderheiten der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik
hervorgerufene disziplinäre Spezifik. Aufgrund dieser besonderen Situation, die
darin bestand, dass durch den aus anderen als technischen Gründen notwendig
gewordenen Austausch eines elementaren, die Gesamttechnologie beherrschenden
Verbindungswerkstoffes sich eine neue, sehr umfassende Thematik eröffnete, die
auf der einen Seite von anwendungsspezifischer Bedeutung war und auf der ande-
ren Seite gleichzeitig eine interdisziplinär geprägte wissenschaftliche Problematik
mit sich brachte, entstand die Einsicht, dass die Rolle der Werkstoffuntersuchung
im Entwicklungszyklus (vgl. 1.2) sich nicht allein auf die Bereitstellung von Werk-
stoffmodellen für die FEM-Simulationen reduziert lässt, sondern darüber hinaus in
der Lage sein muss, die Hintergründe der wesentlichen technisch-physikalischen
Erscheinungen - wie die des Größeneffektes - entschlüsseln zu können.
Diese sehr weitgehende Schlussfolgerung konnte gefasst werden, da die Unter-
suchung der Werkstoffgruppe Sn-Basislegierungen eine sehr große Bandbreite der
zu betrachtenden Verhaltensfunktionen der mechanischen Werkstoffverformung
452 9 Schlussfolgerungen und zukünftige Herausforderungen

im relevanten Anwendungsbereich besitzt. Andere Werkstoffgruppen besitzen


diese nicht. Für die Beschreibung der mechanischen Eigenschaften von Silizium
reicht beispielsweise eine Beschreibung des elastischen Verformungsverhaltens
aus, wodurch sich zumindest für den Mikrobereich eine größenunabhängige Ver-
haltensfunktion ergibt. Im Gegensatz dazu ergibt sich für Weichlote auf Sn-Basis
aufgrund ihrer hohen homologen Temperatur (Th > 0,4 Ts) im Betriebsfall die Not-
wendigkeit der Beschreibung des zeitabhängigen nichtelastischen Verhaltens
(Kriechen). Ein Schwerpunkt der dabei formulierten wissenschaftlichen Fragestel-
lungen liegt daher auf dem Zusammenhang zwischen der Mikrostruktur der Sn-
basierten Lote und ihrem Kriechverhalten. Hierbei sind vor allem die Faktoren
Volumenanteil, Größe, Form und Art bestimmter Gefügeelemente in ihrem Ein-
fluss auf das Kriechverhalten des Lotes zu berücksichtigen, um so zu einer struk-
turabhängigen Formulierung eines Kriechgesetzes zu gelangen, welches praxisre-
levante Faktoren, wie Fertigungsbedingungen, Metallisierungen und
Alterungszustände von Lötverbindungen, in der Mikroelektronik berücksichtigt. In
diesem Zusammenhang entstand die Notwendigkeit, die in [12] erarbeiteten expe-
rimentellen Methoden zur Charakterisierung kleinvolumiger Verbindungswerk-
stoffe auf eine breitere Basis zu stellen, welche es ermöglichte, neuartige Verfah-
ren und verbesserte Apparaturen auf den Gebieten der Zuverlässigkeitsanalyse
elektronischer Aufbauten als auch der werkstoffmechanischen Charakterisierung
von Werkstoffen für die Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik zu erar-
beiten.
Obwohl sich die Mehrzahl dieser Arbeiten zunächst auf die Untersuchung der
Sn-basierten Lote bezogen, sind die darüber gewonnenen Erkenntnisse zum Grö-
ßeneffekt von einer über die Eingrenzung auf diese besondere Werkstoffgruppe
hinausgehenden Bedeutung, da mit ihnen zum einen ein aufgrund wissenschaftli-
cher Ergebnisse begründetes Verständnis für die Spezifika im werkstoff- und schä-
digungsmechanischen Verhalten von metallischen Werkstoffen in den kleinvolu-
migen Strukturen der Aufbau- und Verbindungstechnik der Elektronik entsteht und
zum anderen wichtige experimentelle Untersuchungsmethoden erarbeitet werden
konnten, um ein solches wissenschaftliches Teilgebiet im Zusammenhang mit
zukünftigen Technologieentwicklungen zu betreiben. Aufgrund der vielfältigen, an
der spezifischen Gruppe der Sn-basierten Lotwerkstoffe beobachtbaren Phäno-
mene lassen sich bezüglich des Größeneffektes auch für andere Werkstoffgruppen
bestimmte Aussagen ableiten.

9.2.2 Auswertung des Datenmaterials an Sn-basierten Loten

Zur Beantwortung der Fragen nach den Struktur-Eigenschafts-Beziehungen an


verschiedenen Sn-basierten Lotlegierungen, welches eine Voraussetzung für die
Ableitung applikationsrelevanter Kriechmodelle ist, wurden die unter 8.3 - 8.5 aus
den an verschiedenen Probekörpern beschriebenen Experimente durchgeführt.
Zusätzlich zu diesen aus eigenen Versuchen gewonnenen Daten wurden in den
9.2 Der Größeneffekt in Werkstoffstrukturen elektronischer Aufbauten 453

Abschnitten 8.2 - 8.5 eine Vielzahl aus der Literatur entnommene Daten so aufge-
führt, dass die wichtigsten experimentellen Randbedingungen im Zusammenhang
mit den aufgelisteten Materialkennwerten zu entnehmen sind. Hierdurch ergibt
sich ein sehr umfassendes und detailliert beschriebenes Bild zum derzeitigen
Erkenntnisstand, wenngleich es wahrscheinlich nicht gelungen ist, alle derzeit ver-
fügbaren Daten aufzunehmen.
Eine weitere wesentliche Charakteristik der in Kapitel 8 aufgeführten Zusam-
menstellung von Materialdaten zu den Sn-basierten Lotwerkstoffen besteht in
deren Aufgliederung in Daten zum Einstoffsystem β -Sn, zu den Zweistoffeutek-
tika SnPb und SnAg sowie zum Dreistoffeutektikum SnAgCu. Dadurch stehen
Aussagen zu vier verschiedenen Materialsystemen zur Verfügung, welche auf der
einen Seite stark miteinander zusammenhängen, gleichzeitig sich jedoch durch
spezifische Unterschiede deutlich gegeneinander abgrenzen, wie dies in ihrer
strukturellen Beschreibung in 3.3 - 3.5 bereits aufgeführt wurde. Demgegenüber
besteht aufgrund des großen Umfangs der zusammengetragenen Daten die Gefahr,
dass aufgrund der vielfältigen Widersprüche zwischen einzelnen Ergebnissen keine
klaren Schlussfolgerungen gezogen werden können. Eine wesentliche Aufgabe bei
der Auswertung der Daten bestand daher darin, nachzuvollziehen, wie bestimmte
Daten zustande gekommen sein könnten, um auf dieser Grundlage Kriterien zu
erarbeiten, aus denen abgeleitet werden kann, welche Ergebnisse untereinander in
welcher Art verglichen werden sollten.

Bulkproben: Werden die an Bulkproben in 8.4.4.1 und 8.5.4.1 aufgeführten,


aus der Literatur entnommenen Daten zum Kriechverhalten des SnAg-SnAgCu-
Systems in Tabelle 8.22 und Tabelle 8.30 betrachtet, zeigt sich, dass es eine sehr
große Streuung bei wichtigen Parametern, wie z. B. dem Spannungsexponenten,
gibt. Ausgehend von dieser Situation wurde damit begonnen, eigene Untersuchun-
gen an Bulk-Proben durchzuführen (vgl. 8.4.4.1 und 8.5.4.1), um für die Bewer-
tung des Größeneffektes ein Referenzverhalten definieren zu können. Die Untersu-
chungen zeigten deutlich, dass es zum einen mikrostrukturelle und zum anderen
untersuchungsmethodische Faktoren gibt, welche die Ergebnisse der Kriechunter-
suchungen beeinflussen können. Wie aus den im Projekt durchgeführten Untersu-
chungen zum Erstarrungsverhalten hervorging, ist es für die Gefügeausbildung
nicht unerheblich, wie die Proben hergestellt werden. In vielen der publizierten
Untersuchungen, z. B. [293, 603, 611], wird das schmelzflüssige Lot zur Proben-
herstellung in einer Aluminiumform langsam erstarrt und später durch mechani-
sche Bearbeitung geformt. Alternativ wird in anderen Untersuchungen die Probe
direkt in einer Aluminiumform mit inversem Probenprofil erzeugt, welche auf
unterschiedliche Weise, jedoch oft sehr schnell, abgekühlt wird. Die Dokumenta-
tion des Probengefüges erfolgte meist nur über einen stark vergrößerten Einzelaus-
schnitt, welcher jedoch nicht repräsentativ sein muss, da das Gefüge über dem
Gesamtquerschnitt der Probe in Abhängigkeit von der Herstellungsprozedur sehr
inhomogen sein kann.
454 9 Schlussfolgerungen und zukünftige Herausforderungen

Die mangelhafte Bewertung der entsprechenden Mikrostruktur war sicher eine


Folge der sehr unvollständigen Vorstellungen über die Komplexität des Kriechver-
haltens von SnAg- bzw. SnAgCu-Loten. Erste experimentelle Ergebnisse führten -
ohne auf die Frage des Größeneffektes einzugehen - bereits für den Bereich des rei-
nen Bulkverhaltens zu sehr unterschiedlichen Aussagen bezüglich des Kriechver-
haltens der eutektischen SnAg- und SnAgCu-Legierungen.
Werden die in Tabelle 8.22 und Tabelle 8.29 aufgeführten Werte herangezogen,
so zeigt sich, dass der Wert für den Spannungsexponenten für eutektisches SnAg-
Lot zwischen n = 5…13,1 1 und für eutektisches SnAgCu-Lot zwischen
n = 8,4…13 liegt. Der größere Teil der in der Literatur zu findenden Untersu-
chungen geht von einem ungeteilten Verlauf der Abhängigkeit der quasistatischen
Kriechrate von der Spannung aus. Demgegenüber zeigen die eigenen an Bulkpro-
ben aus den eutektischen Legierungen SnAg3,5 und SnAg3,8Cu0,7 durchgeführten
Untersuchungen (bei T = 30 °C, 70 °C), dass das qualitative Kriechverhalten die-
ser Legierungen grundsätzlich einem zweigeteilten Verlauf der Abhängigkeit der
quasistatischen Kriechrate von der Spannung, d. h. dem anderer teilchengehärteter
Legierungen [610], entspricht. Im Bereich niedriger Spannungen ergab sich dabei
ein Spannungsexponent von n = 3…4 und im Bereich hoher Spannungen ergab
sich ein Exponent von n = 11 für SnAg3,5 und von n = 12 für SnAg3,8Cu0,7.
Bezüglich des Bereiches mit einem kleinen Spannungsexponenten muss allerdings
einschränkend eingeräumt werden, dass dieser nur aus wenigen Datenpunkten
ermittelt wurde, deren Bestimmung im Grenzbereich (kleine Dehnraten) der
Erfassbarkeit durch die Experimentalausrüstung lag. Aufgrund dieser an Bulk-Pro-
ben erzielten Ergebnisse muss der in verschiedenen Publikationen [615, 620, 625]
verwendete sinh-Ansatz zur Beschreibung des Kriechverhaltens als metallphysika-
lisch hintergrundslos eingestuft werden, da, wie Experimente mit vielen über einen
großen Dehnratebereich verteilten Datenpunkten bei einer Temperatur deutlich zei-
gen, das Kriechverhalten des SnAg- und SnAgCu-Lots einem einfachen - mögli-
cherweise zweigeteilten - Potenzgesetz folgt.
Eine andere wichtige Frage, zu deren Beantwortung Untersuchungen an Bulk-
proben wichtige Hinweise gaben, war die nach dem Einfluss des Volumenanteils,
der Größe und der Formen der intermetallischen Ag3Sn- und Cu6Sn5-Partikel.
Aufgrund der großen Anzahl der zu untersuchenden Legierungen wurde hierfür ein
von den Untersuchungen an den eutektischen SnAg- und SnAgCu-Legierungen
abweichendes (d. h. schnelleres) Verfahren zur Kriechdatenerfassung gewählt,
wodurch sich insgesamt höhere absolute Kriechraten ergeben. Die Versuche an
naheutektischen Legierungen mit unterschiedlichen Anteilen von Sn, Ag, Cu und
Au (vgl. 8.4.4.1 und 8.5.4.1 ) zeigen, dass der Einfluss der einzelnen Legierungs-
elemente auf das Kriechverhalten unterschiedlich ist und auch vom Anteil der
anderen Legierungselemente abhängt. Mit steigendem Ag-Anteil (wurde in Stufen
von 2 %, 3 %, 4 % variiert) nimmt die Kriechfestigkeit der Legierung deutlich zu,
gleichzeitig kommt es zu einer leichten Erhöhung des Spannungsexponenten von

1. Die Werte aus [608] wurden wegen der erheblichen Abweichungen nicht berücksichtigt.
9.2 Der Größeneffekt in Werkstoffstrukturen elektronischer Aufbauten 455

n = 10 auf n = 13 . Die Zunahme der Kriechfestigkeit bei Erhöhung des Cu-


Anteils (wurde in Stufen 0; 0,5; 0,9; 1,2 % variiert) hängt vom Ag-Anteil in der
Legierung ab. Bei einem Anteil von 2 % Ag ist eine deutliche Zunahme der
Kriechfestigkeit bei einem Cu-Anteil von 0,5 % zu sehen, welche allerdings bei
weiterer Steigerung des Cu-Anteils nicht zunimmt. Bei einem Anteil von 3 % Ag
ist eine deutliche Zunahme der Kriechfestigkeit bei einem Cu-Anteil von 0,9 % zu
sehen, welche wiederum bei einer weiteren Steigerung des Cu-Anteils nicht
zunimmt. Eine signifikante Änderung des Spannungsexponenten durch die Erhö-
hung des Cu-Anteils wurde nicht beobachtet. Bei Zugabe von Au (0,14 %) kommt
es zu einer deutlichen Erhöhung der Kriechfestigkeit, ohne dass es zu einer signifi-
kanten Änderung des Spannungsexponenten kommt. Der Effekt auf die Erhöhung
der Kriechfestigkeit ist für die Elemente Ag und Au auch bei höheren Temperatu-
ren zu beobachten (T = 160 °C ca. 0,8 . Thom), während der Effekt auf die Erhö-
hung der Kriechfestigkeit durch das Element Cu bei Erhöhung der Temperatur
immer weiter abnimmt. Aus der Analyse der transienten Kriecheigenschaften ging
hervor, dass bei einer naheutektischen SnAg-Legierung bei einer instantanen Last-
verminderung keine Inkubationszeit zu beobachten war, während beim naheutekti-
schen SnAgCu-Lot eine Inkubationszeit zu beobachten ist, die mit steigendem Cu-
Anteil zunimmt.

Leiterplattenkontakte: Die Ergebnisse aus den Kriechuntersuchungen an den


Leiterplattenkontakten (vgl. 8.4.4.2 und 8.5.4.2) sind in ihrem Verlauf den Ergeb-
nissen der Untersuchungen an Bulkproben sehr ähnlich. Für das SnAgCu-Lot deu-
ten die Daten auf einen möglichen zweiteiligen Verlauf der Abhängigkeit der qua-
sistatischen Kriechrate von der Spannung, jedoch konnte dieser nur bei einer von
drei Proben detektiert werden. Für das SnAg-Lot konnte ein solcher zweiteiliger
Verlauf überhaupt nicht gefunden werden. Im oberen Spannungsbereich liegen die
Werte für die Spannungsexponenten bei n = 7 für SnAg3,5 und bei n = 12 für
SnAg3,8Cu0,7.

Lotkugeln (400 μm): Sehr aufschlussreich bezüglich der Frage des Größenef-
fektes sind die Untersuchungen an kleinvolumigen Lotkontakten mit ca. 400 μm
Durchmesser (vgl. 8.4.4.3 und 8.5.4.3). Hier ergeben sich deutliche Unterschiede
zu den Ergebnissen am Bulkmaterial in Abhängigkeit von der gewählten
Anschlussmetallisierung. Das auf eine Ag-Metallisierung gelötete SnAg3,5-Lot
weist für den Bereich hoher Spannungen bei der niedrigsten Temperatur
(T = 293 K) einen Spannungsexponenten von n = 14 auf, welcher sich bei den
höheren Versuchstemperaturen (T = 348 K, 398 K) auf Werte von n = 10 bzw.
n = 8 verringert. Gleichzeitig ergibt sich ein zweigeteilter Verlauf der exponenti-
ellen Abhängigkeit der quasistatischen Kriechrate von der Spannung. Wird der
Lotball hingegen auf eine Ni/Au-Metallisierung gelötet, ergibt sich kein Ansatz-
punkt für einen zweiteiligen Verlauf. Für alle drei Versuchstemperaturen ergibt
sich dann ein Spannungsexponent von n = 16 . Für die eutektische SnAg-Legie-
rung auf einer Cu-Metallsierung ergeben sich Exponenten von n = 14…18
456 9 Schlussfolgerungen und zukünftige Herausforderungen

(T = 20 °C), n = 11 (T = 75 °C) und n = 7 (T = 125 °C). Für das


SnAg3,5Cu0,75-Lot wurden Spannungsexponenten von n = 18 (T = 20 °C),
n = 12 (T = 75 °C) und n = 8 (T = 125 °C) ermittelt (Metallisierung Sn/Cu).

Flip-Chip-Kontakte: Aus den Untersuchungen an kleinstvolumigen Flip-Chip-


Kontakten bei Temperaturen von T = 5 °C, 50 °C (vgl. 8.4.4.4 und 8.5.4.4) geht
hervor, dass unabhängig von der Abkühlrate das auf eine Cu-UBM aufgebrachte
SnAg-Lot einen geringeren Kriechwiderstand sowie einen geringeren Spannungs-
exponenten ( n = 11 ) als das auf eine NiAu-UBM aufgebrachte Lot ( n = 20 )
aufweist. Dieser Unterschied wird auf die Lösung des Au im Lot und auf die mög-
liche Bildung von Au4Sn-Phasen in Korngrenzentripeln zurückgeführt (vgl. [617]).
Auch aus den Ergebnissen für das SnAgCu-Lot ist zu erkennen, dass die mit unter-
schiedlichen Abkühlgeschwindigkeiten erzeugten Proben keine signifikanten
Unterschiede im Kriechverhalten aufweisen. Eine starke Änderung der Kriechei-
genschaften ergibt sich jedoch durch thermische Auslagerung der Proben. Hier-
durch sank der Kriechwiderstand des SnAgCu-Lotes als auch der Spannungsexpo-
nent von n = 19 für unausgelagerte und auf n = 13 für bei einer Temperatur von
T = 125°C ausgelagerte Proben. Unterschiede im Kriechverhalten zwischen den
kurzzeitig ausgelagerten (t = 24 h) und langzeitig ausgelagerten Proben
(t = 1176 h) ergaben sich nicht.

Zusammenfassend lassen sich bezüglich des Größeneffektes im werkstoffmechani-


schen Verhalten des Sn-Ag-Cu-Systems folgende Aussagen ableiten:
• Die vorliegenden Daten für die SnAg-Legierung deuten nicht auf signifikante
Unterschiede zwischen dem Verhalten großvolumiger Bulkproben und kleinvo-
lumiger Lotkontakte hin. Die weite Streuung der Spannungsexponenten für den
Bulk-Bereich ist vermutlich auf die sehr unterschiedlichen Herstellungsbedin-
gungen der Proben zurückzuführen. Werden diese jedoch vergleichbar zum
Erstarrungsvorgang an den Lotkontakten präpariert, ergibt sich größenunabhän-
gig ein Spannungsexponent von n ≈ 11 , vorausgesetzt, es werden beim Löten
der Lotkontakt keine Fremdelemente, wie Cu, Ni oder Au, zulegiert.
• Die für die SnAgCu-Legierung vorliegenden Daten weisen hingegen auf deutli-
che Unterschiede zwischen dem Verhalten großvolumiger Bulkproben und
kleinvolumiger Lotkontakte hin. Für den Bulk-Bereich existiert ebenfalls eine
Streuung der Spannungsexponenten, wenngleich diese nicht ganz so groß ist
wie die für die SnAg-Legierung. Der Hintergrund dieser Streuung kann auf Her-
stellungsbedingungen, aber auch auf die unterschiedliche Zusammensetzung der
Proben zurückgeführt werden. Werden Proben mit einer Zusammensetzung von
Sn95,5Ag3,8Cu0,7 vergleichbar zum Erstarrungsvorgang an den Lotkontakten
präpariert, so ergibt sich für den Bulk-Bereich ein Spannungsexponent von
n ≈ 12 . Für kleinvolumige Lotkontakte wurden hingegen größere Spannungs-
exponenten von n ≤ 19 festgestellt, welche bei starker thermischer Auslagerung
wieder absinken und dann im Bereich derer der Bulkproben liegen.
9.2 Der Größeneffekt in Werkstoffstrukturen elektronischer Aufbauten 457

• Die Erhöhung der Spannungsexponenten in kleinvolumigen Proben tritt auf,


wenn bestimmte zur intermetallischen Phasenbildung mit Sn neigende metalli-
sche Elemente, z. B. Cu, Au, Ni, zulegiert werden, wie dies im praktischen Fall
der Verbindungsbildung bei Lötvorgängen zur Fertigung elektronischer Bau-
gruppen üblich ist. Die Wirkung der einzelnen Elemente ist unterschiedlich.
Kupfer hat eine stark temperaturabhängige Verfestigungswirkung, welche erst
unterhalb von Raumtemperatur der von Ni und Au gleichkommt. Die verfesti-
gende Wirkung von Au ist etwas höher als die von Ni.
• Die beobachteten Größeneffekte hängen tatsächlich vom Volumen ab und treten
damit nur in kleinen kompakten Körpern auf. Lange Spalten mit einer geringen
Dimension in nur einer Richtung, das haben die Untersuchungen an den Leiter-
plattenproben gezeigt, verhalten sich wie Bulkproben.
Anders als die Ergebnisse bezüglich des Größeneffektes beim Sn-Ag-Cu-Sys-
tem fallen diese beim eutektischen SnPb-System aus. Obwohl es auch beim Ver-
gleich spezifischer Untersuchungsergebnisse für Bulkproben und kleinvolumige
Lotkontakte zu sehr deutlichen Unterschieden kommen kann (vgl. 8.3.4.1 und
8.3.4.2), geht aus dem umfassenden Vergleich der Ergebnisse der Kriechuntersu-
chungen an eutektischem SnPb-Lot zwischen makroskopischen Bulkproben und
mikroskopischen Flip-Chip-Lotkontakten hervor, dass beide ein ähnliches Verhal-
ten zeigen, wenn sie das gleiche Gefüge aufweisen. Werden beispielsweise die
Spannungsexponenten und die Aktivierungsenergien aus den Untersuchungen an
kleinvolumigen Lotkontakten [27-29] mit denen an extrudierten makroskopischen
Probekörpern [24, 25, 43] verglichen, so ist trotz deutlich voneinander abweichen-
der absoluter Kriechgeschwindigkeiten (im Bereich mittlerer Spannungen) eine
Übereinstimmung der Spannungsabhängigkeit (Spannungsexponent n) und der
Temperaturabhängigkeit (Aktivierungsenergie Q) zwischen Mikrolotproben und
extrudierten Makroproben festzustellen. Dabei fallen die Werte in [27] höher aus
als in [28, 29]. Beim Vergleich der Probenvolumina ergibt sich ein Verhältnis von
etwa 250:64:1 zwischen [27]:[28]:[29]. Werden allerdings die Kontakthöhen ver-
glichen, so ergibt sich ein Verhältnis von etwa 12:3:4 zwischen [27]:[28]:[29].
Ursache dieser Korrelationen ist wahrscheinlich die bei der Erstarrung des Lotes in
Abhängigkeit des Probenvolumens entstehende Mikrostruktur. Die in [44]
beschriebenen Untersuchungen belegen, dass Lotkontakte (1,27 X 2,03 X 0,178
mm), welche durch eine beschleunigte Erstarrung ein sehr feines Gefüge hatten,
einen niedrigeren Spannungsexponenten ( n = 2,9 ) aufwiesen als die gleichen
Kontakte mit langsam erstarrtem Lot gröberen Gefüges ( n = 3,6 ). Daher weisen
viele der in Tabelle 8.13 aufgeführten Untersuchungen an normal erstarrten Bulk-
proben einen höheren Spannungsexponenten auf ( n = 5…10 ) als die im Bereich
mittlerer Spannungen an kleinvolumigen Lotkontakten [27-29] bestimmten Span-
nungsexponenten ( n = 2…3,3 ). Auch eine signifikante Veränderung der Kriech-
eigenschaften in Folge thermischer Auslagerung konnte für SnPb in mikroskopi-
schen Flip-Chip-Kontakten nicht festgestellt werden (vgl. 8.3.4.2).
458 9 Schlussfolgerungen und zukünftige Herausforderungen

Bezieht man das Verhalten der verschiedenen Legierungstypen auf das Kriech-
verhalten des β -Sn (vgl. 8.2.4), so zeigt sich für den Bereich großvolumiger Bulk-
proben, dass weder das SnPb-System noch das Sn-Ag-Cu-System wesentlich von
dem Verhalten abweicht, welches an polykristallinen β -Sn Proben aufgenommen
wurde ( n ≈ 5…9 ). Erst wenn durch spezielle Herstellungsbedingungen der Proben
bestimmte mikrostrukturelle Eigenschaften erzeugt werden, z. B. kleine Körner mit
homogener Größenverteilung durch Extrudieren von SnPb-Lot oder fein verteilte
intermetallische Teilchen in der β -Sn-Matrix durch schnelle Abkühlung von
SnAg- oder SnAgCu-Lot, ergeben sich größere Abweichungen vom Verhalten des
Grundmaterials. Diese bestehen bei der SnPb-Legierung im superplastischen Ver-
halten ( n ≈ 2 ) und bei der SnAg- und SnAgCu-Legierung im teilchengehärteten
Kriechverhalten ( n ≥ 10 ). Kleinvolumige Lotkontakte besitzen offensichtlich
immer diese besonderen mikrostrukturellen Eigenschaften, ohne dass besondere
Herstellungsbedingungen aufgewendet werden müssen.

9.2.3 Bezug zur Werkstoffstruktur der Lotlegierungen

Um die in 9.2.2 vollzogenen Ableitungen, welche sich aus dem unter 8.2 - 8.5
aufgeführten Datenmaterial zu verschiedenen Legierungsvarianten Sn-basierter
Lotwerkstoffe ergeben, bezüglich ihres Zusammenhangs zu den aus den Besonder-
heiten des Untersuchungsgegenstandes resultierenden Formen und Abmessungen
einzelner Strukturelemente (d. h. Bauteile) sowie deren Fertigungstechnologien
(vgl. 2.3) verstehen und einordnen zu können, ist es notwendig, diese gegenüber
den mit diesen Besonderheiten zusammenhängenden Erscheinungsformen der spe-
zifischen Ausbildung der Werkstoffgefüge in den verschiedenen einander gegen-
übergestellten Legierungen zu betrachten. Werden hierzu die Ergebnisse zum
Erstarrungsverhalten der Sn-Ag-Cu-Legierung und der Sn-Pb-Legierung vergli-
chen, welche sowohl an großvolumigen Bulkproben als auch an kleinvolumigen
Kontakten bzw. Lotkugeln gewonnen wurden (vgl. 3.4.2.2 und 3.4.2.3), so zeigt
sich, dass es in beiden Legierungen offensichtlich zu Veränderungen in der Gefü-
geausbildung kommt, welche sich allerdings in ihrer Art und Weise in Abhängig-
keit von der Legierungszusammensetzung unterschiedlich ausbilden. Es wird ange-
nommen, dass die Ursache dieser beobachteten Veränderungen auf eine
Beeinflussung der Keimbildungs- und Keimwachstumsprozesse während der
Erstarrung durch die begrenzten Abmaße der kleinvolumigen Lotkontakte zurück-
zuführen ist.
Geht man davon aus, dass die beim Wachstum von stabilen Keimen entstehende
Kristallisationswärme über ein Temperaturfeld an der Erstarrungsfront in die
unterkühlte Schmelze abgegeben wird, so ergibt sich die Wachstumsgeschwindig-
keit in einer genügend großen Schmelze allein aus der Unterkühlung dieser
Schmelze, da die Abmessungen der unterkühlten Schmelze gegenüber der charak-
teristischen Länge dieses Temperaturfeldes einen nahezu unendlichen Raum dar-
stellen. Werden die Abmessungen der Schmelze jedoch verkleinert, so ist der
9.2 Der Größeneffekt in Werkstoffstrukturen elektronischer Aufbauten 459

Effekt der Erwärmung der unterkühlten Schmelze vor der Erstarrungsfront durch
die abgeführte Kristallisationswärme entsprechend größer. Infolgedessen verklei-
nert sich der Gradient des Temperaturfeldes so stark, dass kein stabiles Keim-
wachstum mehr stattfinden kann. D. h., um ein stabiles Keimwachstum zu ermögli-
chen, ist in sehr kleinen Schmelzen eine höhere Unterkühlung notwendig. Da
gleichzeitig die Keimbildungsrate mit der Unterkühlung exponentiell zunimmt,
ergibt sich ein Punkt, an dem ein Umschlag zwischen einem Erstarrungsprozess,
der durch das Wachstum weniger Keime gekennzeichnet ist, und einem Erstar-
rungsprozess, bei dem es durch eine größenbedingte hohe Unterkühlung zu einer
massiven Zunahme der Keimbildungsrate kommt, stattfindet. Ist diese Vermutung
zutreffend, so hängt die Ausbildung des Erstarrungsgefüges bei großen Schmelzen
von der Abkühlgeschwindigkeit ab, während es bei kleinen Schmelzen vor allem
durch die Abmessungen der Schmelze bestimmt wird.
Folgt man den Ergebnissen der Untersuchungen, so liegt der Umschlagpunkt
zwischen großen und kleinen Schmelzen für die untereutektischen SnAgCu-Legie-
rungen sowie für SnAg-Legierungen bei etwa V = 10-11 m3, was einem Kugel-
durchmesser zwischen 300 ... 500 μm entspricht. Die Auswirkungen dieses von der
Geometrie der Schmelze und nicht von der Abkühlgeschwindigkeit beeinflussten
Erstarrungsprozesses sind in Abhängigkeit von der Legierung sehr unterschiedlich.
In der eutektischen SnAg-Legierung kommt es zur Ausbildung vieler kleiner Kör-
ner und damit zu einer feinen Verteilung der intermetallischen Phasenpartikel über
den gesamten Querschnitt. Sehr gegensätzlich dazu verhält sich die SnAgCu-
Legierung mit eutektischer Zusammensetzung (SnAg3,8Cu0,7), welche aus-
schließlich aus wenigen dendritisch erstarrten Körnern zu bestehen scheint,
wodurch die intermetallischen Phasenpartikel sehr eng am Rand dieser β -Sn-Den-
driten verteilt liegen. Wie der abrupte Umschlag zwischen der sehr feinkörnigen
Gefügeausbildung bei der eutektischen SnAg-Legierung und der sehr grobkörnigen
Gefügeausbildung bei der eutektischen SnAgCu-Legierung zustande kommt, ist
nicht vollständig geklärt. Jedoch liefern diese Ergebnisse eine gute Erklärung
dafür, weshalb beim mechanischen Verhalten der eutektischen SnAg-Legierung
kein Größeneffekt zu beobachten ist, während die SnAgCu-Legierung diesen sehr
deutlich zeigt. Offensichtlich kommt es durch die Wechselwirkung der beiden
Legierungselemente Cu und Ag zu einer veränderten Erstarrungsreaktion innerhalb
der bereits durch die drastische Verringerung des Volumens hervorgerufenen Ver-
änderungen der Erstarrungsreaktion. In dieser Folge kommt es zu einer sehr dich-
ten Verteilung der härtenden intermetallischen Phasenteilchen, aus der - gemäß der
in 5.4.3.7 dargestellten Mechanismen - wiederum eine höhere Kriechfestigkeit
sowie ein höherer Spannungsexponent resultieren.
Liegt jedoch - wie bei der SnPb-Legierung - ein anderes Legierungssystem vor,
welches nicht durch eine Erstarrungsreaktion in Form der Bildung fein verteilter
intermetallischer Phasenpartikel in einer Sn-Matrix, sondern durch die Bildung von
zwei Mischkristallen (in etwa gleichen Anteilen) gekennzeichnet ist, so führen die
mit der Volumenverkleinerung beschriebenen Besonderheiten bei der Erstarrung
offensichtlich ebenfalls zu einer Bildung vieler und damit auch kleiner Körner.
460 9 Schlussfolgerungen und zukünftige Herausforderungen

Aufgrund der anderen Gefügezusammensetzung hat dies beim Sn-Pb-System


andere Auswirkungen als beim Sn-Ag-Cu-System. Durch die kleineren Körner,
welche durch ihre unterschiedliche Phasenzugehörigkeit eine Stabilisierung gegen-
über Wachstumsprozessen erhalten, sind die Voraussetzungen für die Mechanis-
men der Korngrenzgleitung (vgl. 5.4.3.5) gegeben, welche im Gegensatz zu denen
der Teilchenhärtung das Material entfestigen und den Spannungsexponenten
absenken.

9.2.4 Schlussfolgerungen bezüglich der Mikrofügetechnologien

Für die Weiterentwicklung von Mikrofügetechnologien, wie sie für die Kontak-
tierung von nanoelektronischen Schaltkreisen notwendig sind, haben diese Ergeb-
nisse zum Größeneffekt im mechanischen Verhalten von Werkstoffen in stark ver-
kleinerten Strukturen weitreichende Auswirkungen. Sie zeigen deutlich, dass der
klassische Weg der Übertragung eines technologischen Know-hows, wie er bisher
für die Miniaturisierungsbestrebungen in der Aufbau- und Verbindungstechnik der
Elektronik ausreichend war, für die Fortführung dieser Miniaturisierungsbestre-
bungen auf eine physikalisch begründbare Grenze stößt, welche ein anderes Vorge-
hen erfordert. Dieses muss im Vergleich zur bisherigen Technologieentwicklung
eine auf einem tiefen wissenschaftlichen Verständnis beruhende Systematik zur
Werkstoffentwicklung aufweisen. Die spezifische methodische Ausrichtung der in
der Arbeit dargestellten Untersuchungen ermöglichte den experimentellen Nach-
weis eines Größeneffektes im mechanischen Verhalten sowie eine gute Charakteri-
sierung seiner typischen Erscheinungen. Die zugrunde liegenden Ursachen konn-
ten größtenteils aufgedeckt und über die Darstellung des relevanten
werkstoffphysikalischen Erkenntnisstandes vollständig verstanden werden. Wich-
tig hierfür ist ein ganzheitliches Verständnis zwischen Legierungszusammenset-
zung, Werkstoffstruktur und mechanischem Verhalten, aus dem wiederum eine
gezielte Legierungsentwicklung erfolgen kann. Momentan steht für die zukünfti-
gen Aufgaben in der Aufbau- und Verbindungstechnik jedoch kein geeigneter
Fügewerkstoff zu Verfügung. Dies zeigt sich darin, dass für viele derzeitige Aufga-
ben (z. B. Mikroprozessoren, Kfz-Elektronik) die gesetzlichen Regelungen zum
Bleiverbot außer Kraft gesetzt wurden, da kein bleifreier Substitutionswerkstoff
mit befriedigenden mechanischen Eigenschaften zu Verfügung steht. Aufgrund der
Bedeutung der Fügetechnik für die Nutzbarmachung nanoelektronisch erzeugter
Schaltkreise (Mikro-Makro-Integration) besteht aus materialwissenschaftlicher
Sicht ein großer Bedarf, die mit der Erstarrung schmelzflüssiger Mikroschmelzen
verbundenen Besonderheiten in der Gefügeausbildung grundlegend zu untersu-
chen. Im Gegensatz zu den Problemen mit bleifreien Ersatzlegierungen in heutigen
Anwendungen, welche wahrscheinlich noch durch die derzeit bevorzugten Trail-
and-Error-Methoden bei der Legierungsentwicklung bewältigt werden können,
wird es ohne ein fundiertes Verständnis zwischen den Faktoren Volumenreduzie-
rung, Gefügeausbildung und mechanische Eigenschaften nicht möglich sein, eine
9.3 Modelle - Schnittstelle zwischen Experiment und Simulation 461

geeignete Mikrofügetechnik in den für nanoelektronische Schaltkreise geforderten


Rastermaßen (von bis zu 20 μm) zu realisieren. Aus den in den bisherigen Untersu-
chungen ermittelten Ergebnissen ergibt sich, dass es für die Erfüllung der genann-
ten Aufgaben notwendig ist, sich neben der experimentellen Erfassung zeitabhän-
giger mechanischer Eigenschaften auch mit Schwerpunkten wie
Erstarrungskinetik, Mikrostrukturanalyse, Versetzungsbewegung und Legierungs-
abscheidung zu befassen, um so die Grundlage für eine Mikrofügetechnik auf klas-
sischer metallurgischer Basis zu erhalten. Aus ingenieurwissenschaftlicher Sicht
würde hierdurch auch ein Gegenkonzept zur Idee der Anwendung von Carbon-
Nano-Tubes geschaffen, welches aufgrund des Größenniveaus der angestrebten
Kontakte als zu aufwendig erscheint. Die globale Zielstellung eines solchen For-
schungsvorhabens würde in der Abschätzung der geometrischen Grenzen für die
Anwendbarkeit des Fügeverfahrens Löten in kleinsten Verbindungsdimensionen
bestehen, wobei anzunehmen ist, dass die Frage der größenabhängigen mechani-
schen Eigenschaften einer der wichtigsten begrenzenden Faktoren sein wird.

9.3 Modelle - Schnittstelle zwischen Experiment und Simulation

Modell (lat.), anschauliches, raum-zeitliches Bild physikalischer


Gegenstände oder Vorgänge, die selbst nicht anschaubar sind (z. B. das
Atom, Vorgänge in Gasen, die Elektrizität). Wir erhalten Kenntnis von
diesen unseren Sinnen verborgenen Vorgängen durch die uns sichtba-
ren Gesamtphänomene oder durch Meßergebnisse, die die Gesamtphä-
nomene charakterisieren, während die diesen zugrundeliegenden Ein-
zelgegenstände oder Prozesse der direkten Beobachtung oder Messung
unzugänglich bleiben. Das M. ist eine Schöpfung des menschlichen
Geistes und hat den Sinn, die Phänomene und Meßergebnisse physika-
lisch zu deuten. Es ist nicht gesagt, daß die Natur wirklich so beschaf-
fen ist, wie sie durch das M. dargestellt wird.
Edgar Hunger, Grundbegriffe des physikalischen Denkens, Frankfurt a.M., Cornelsen Verlag (vormals Hirschgraben-
Verlag), 1964

Der Begriff des Modells stammt aus Kunst und Architektur und ist dem italieni-
schen Wort modello = “Muster“ entlehnt, welches sich wiederum auf das lateini-
sche modulus = “Maß“ bezieht, dem Deminutivum zum lateinischen modus =
“Maß, Ziel, Vorschrift, Art und Weise“. In ihrer ursprünglichen Bedeutung sind
Modelle ein gegenständliches, körperliches Abbild eines herzustellenden Teiles
[643, 644]. In der späteren Verwendung des Modellbegriffs in der Physik wandelt
sich seine Bedeutung. Das Modell ist dort eher abstrakter Natur und dient dem Ver-
ständnis eines Sachverhaltes und besitzt damit nicht mehr seine ursprüngliche
Funktion als Zielvorstellung für die Herstellung einer Sache. Wird der Begriff des
Modells in den Ingenieurwissenschaften betrachtet, so stellt sich die Frage, wie
462 9 Schlussfolgerungen und zukünftige Herausforderungen

dieser in seiner Bedeutung zwischen dem des Architekturmodells und des physika-
lischen Modells einzuordnen ist. Viele der im Zusammenhang mit den in dieser
Arbeit dargestellten Sachverhalten verwendeten Modelle unterscheiden sich in
ihrer Art nicht von physikalischen Modellen und widerspiegeln wie diese eine
abstrakte Vorstellung, z. B. über werkstoffphysikalische Elementarmechanismen.
Anders als bei physikalischen Modellen ist ihre Funktion jedoch nicht in erster
Linie auf das Verständnis eines bestimmten Sachverhaltes gerichtet, sondern zielt
vielmehr darauf ab, bestimmte, für eine technische Anwendung interessierende
physikalische Vorgänge über Simulationen vorausberechnen zu können, um damit
wichtige Informationen für konkrete technische Entwicklungsprozesse bereitzu-
stellen. Bei der Auswahl von Modellen für ingenieurwissenschaftliche Bedürfnisse
spielt daher die Frage des Zweckes keine unerhebliche Rolle.
Wird unter diesem Gesichtspunkt die unter 1.2 beschriebene Rolle von Werk-
stoffuntersuchungen im Entwicklungszyklus von elektronischen Aufbauten
betrachtet, so wird klar, dass Werkstoffmodelle in diesem Gesamtprozess verschie-
dene Funktionen an der Schnittstelle zwischen der von der konkreten Entwurfspro-
zedur eher unabhängigen Aufgabe der Charakterisierung mechanischer Werkstoff-
eigenschaften und der direkt zum Enwurfszyklus gehörenden
Simulationsuntersuchungen übernehmen.
Auf der Seite der Werkstoffcharakterisierung dient das Modell vor allem einer
zweckmäßigen Zusammenfassung einer großen Menge experimentell ermittelter
Werkstoffdaten. Hierbei wird angestrebt, dass die Darstellung des Materialverhal-
tens auf der Grundlage physikalisch begründeter Deformationsgleichungen (vgl.
5.2.2) erfolgt. Ein solches Vorgehen bietet zum einen den Vorteil, schwierig zu
untersuchende Parameterbereiche über Extrapolationen des aufgenommenen
Datenmaterials zu erschließen, zum anderen hilft es innerhalb der Versuchspla-
nung, z. B. bei der Wahl effektiver Versuchsbedingungen bzw. -parameter.
Auf der Seite der Simulationsuntersuchungen müssen die Modelle vor allem
bestimmte Forderungen bezüglich der Durchführung der entsprechenden Berech-
nungen erfüllen. So ist es günstig, wenn die mathematische Formulierung des
Modells so beschaffen ist, dass sich eindeutige Lösungen ergeben. Werden bei-
spielsweise Funktionen höherer Ordnungen im Modell verwendet, so führt dies
nicht selten zu Instabilitäten bei nummerischen Näherungsverfahren, welche wie-
derum kleinere Schrittweiten bei der Berechnung und damit einen höheren Zeitauf-
wand für die Simulationsuntersuchung nach sich ziehen. Unabhängig von dieser
allgemeinen Problematik ergeben sich weitere Einschränkungen, wenn - wie in der
industriellen Praxis üblich - kommerziell vertriebene Simulationsprogramme (z. B.
ANSYSTM) verwendet werden, da die Auswahl geeigneter Werkstoffmodelle sich
dann sehr oft auf die in der Software bereits implementierten Modelle beschränkt,
sofern nicht spezifische Implementierungen von nicht im Softwareumfang enthal-
tenen Modellen vorgenommen werden.
Diese unterschiedlichen Anforderungen und Intentionen von Seiten der Charak-
terisierung (= Modellerstellung bzw. -kalibrierung) und Simulation (= Modellver-
wendung) verlangen, dass das Modell zusätzlich zu seiner ursprünglichen Funktion
9.3 Modelle - Schnittstelle zwischen Experiment und Simulation 463

der Beschreibung des Werkstoffverhaltens auch die Funktion einer Schnittstelle


zwischen diesen beiden Tätigkeitsgebieten übernimmt. Die Zweckmäßigkeit eines
Modells richtet sich daher nicht allein danach, inwiefern es gelingt, dass experi-
mentell bestimmte Werkstoffverhalten gut nachzubilden, sondern auch inwiefern
es in der Lage ist, die Ergebnisse aus der experimentellen Charakterisierung so dar-
zulegen, dass es bei seiner Verwendung in Simulationsrechnungen zu einer
adäquaten Nachbildung des experimentell bestimmten Verhaltens kommt. Ein im
Sinne dieser Schnittstellenfunktion gut gestaltetes Modell ist in der Lage, die viel-
fältigen, während der Charakterisierung gewonnenen Erkenntnisse auf das bezüg-
lich der konkreten technischen Problemstellung Wesentliche zu reduzieren. Bleibt
eine derartige Beschränkung aus und werden durch das Modell viele nicht essenzi-
elle Informationen transportiert, so entstehen in der Regel zwei nachteilige Effekte.
Zum einen wird die Umsetzung des experimentell ermittelten Werkstoffverhaltens
in der Simulationsrechnung unnötig erschwert, sodass es zwar oft zu zeitaufwendi-
geren, aber nicht notwendigerweise genaueren Rechnungen kommt. Zum anderen
werden aufgrund der in Regel begrenzten Ressourcen bei der Werkstoffcharakteri-
sierung eine geringere Zahl signifikanter Datenpunkte ermittelt, sodass die Genau-
igkeit des Modells insgesamt sinkt.
Wird der jetzige Stand der Modellierung des werkstoff- und schädigungsmecha-
nischen Verhaltens von Werkstoffen in der Aufbau- und Verbindungstechnik ana-
lysiert, so ist festzustellen, dass die damit verbundenen komplexen werkstoffphysi-
kalischen Abläufe über vergleichsweise einfach strukturierte Modelle nachgebildet
werden. Aus diesem Grund existieren nicht wenige Bemühungen, komplexere
Strukturen für die Modellierung zu verwenden, um die relevanten werkstoffphysi-
kalischen Prozesse nachzubilden. In diesem Kontext formuliert Zhang in [645] die
Forderung nach der Nutzung von sogenannten Unified Laws, d. h. Gesamtmodel-
len, welche beispielsweise die werkstoffmechanische Gestaltänderungsreaktion
und den schädigungsmechanischen Degradationsfortschritt nicht mehr in verschie-
denen Modellen getrennt, sondern in einem Modell gemeinsam behandeln, sodass
die zwischen Verformung und Schädigung vorhandenen Wechselwirkungen nach-
gebildet werden können. Ein solches Vorgehen - auch wenn es wünschenswert
wäre - erscheint in Anbetracht der Schwierigkeiten, welche es bei der Werkstoffda-
tenermittlung an kleinvolumigen Proben gibt, als nicht zweckmäßig, da die Kom-
plexität dieser Modelle die Komplexität der durchführbaren Experimente überstei-
gen würde. Die Frage der Vielschichtigkeit eines Modells muss daher in der Regel
aus den Möglichkeiten der experimentellen Umsetzung beantwortet werden. In
welchem Umfang bestimmte werkstoffphysikalische Prozesse erfassbar sind, ent-
scheidet sich sehr oft durch den konkreten Aufbau von Prüfapparaturen sowie die
Möglichkeiten der Probekörperfertigung. Die Entwicklung neuer vielschichtigerer
Modelle darf daher nicht vordergründig durch die sich ständig verbessernden
rechentechnischen Möglichkeiten vorangetrieben werden, sondern sollte sich
immer daran orientieren, wieweit es möglich ist, experimentelle Methoden so wei-
terzuentwickeln, dass diese tatsächlich in der Lage sind, verlässliche Daten für
komplexere Nachbildungen werkstoffphysikalischer Prozesse zu liefern.
464 9 Schlussfolgerungen und zukünftige Herausforderungen

Die beschriebenen Schwierigkeiten bei der Gestaltung geeigneter werkstoff-


und schädigungsmechanischer Modelle unter Berücksichtigung der besonderen
Bedürfnisse einer durch die Notwendigkeit der breitbandigen interdisziplinären
Zusammenarbeit gekennzeichneten ingenieurwissenschaftlichen Problematik wer-
den deutlich, wenn die verschiedenen Wege betrachtet werden, auf denen versucht
wurde, das Kriechverhalten von Sn-basierten Loten für Berechnungen von Bean-
spruchungen in elektronischen Aufbauten nachzubilden. Die Mehrzahl aller früh-
zeitigen Arbeiten in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts, welche sich
in der Mehrzahl auf das eutektische SnPb-Lot bezogen, verwendeten dafür die
grundlegende Form der Potenzgesetz-Beschreibung. Diese grundlegendste Form
der Modellierung des Kriechverhaltens von Metallen lässt sich entweder aus empi-
risch gewonnenen Erkenntnissen (Bailey-Norton) oder aus den werkstoffphysikali-
schen Mechanismenbeschreibungen des quasistatischen Kriechverhaltens reiner
Metalle (vgl. 5.2.2.3) theoretisch ableiten und weist in der Regel die einfache Form
der Gleichung (9.1) auf:

· –Q
ε = A ⋅ σ ⋅ exp § -------·
n
(9.1)
© RT¹

Dadurch ergibt sich eine einfache Bescheibung mit 3 zu bestimmenden Modell-


parametern - dem Spannungsexponenten n , der die Spannungsabhängigkeit der
Kriechgeschwindigkeit angibt, der Aktivierungsenergie Q , die die Temperaturab-
hängigkeit der Kriechgeschwindigkeit beschreibt und dem Vorfaktor A . Dieser
Koeffizient dient der Kalibrierung der Konstitutivgleichung und legt die absolute
Kriechgeschwindigkeit bei einer bestimmten Spannung und Temperatur fest. Zwi-
schen experimentellen Daten und dieser Modellbeschreibung des Kriechens exis-
tierten für die eutektische SnPb-Legierung jedoch verschiedene Diskrepanzen,
sodass viele Autoren für den Bereich mittlerer und den Bereich hoher Spannungen
ein unterschiedliches Kriechverhalten nachbilden wollten. Hierzu wurde die einfa-
che Form der Kriechgleichung (Gleichung (9.1)) um einen weiteren Term erwei-
tert, sodass sich eine aus zwei Potenztermen zusammengesetzte Beschreibung
(Modellgleichung (9.2)) ergibt, wie sie für SnPb-Lot z. B. in [24] genutzt wird:

kcal
· § – 11500 ------------·
γ⋅k⋅T § d· – 1,8 § τ · 1,96 mol
----------------------- = 900 ⋅ --- ⋅ ---- ⋅ exp ---------------------------------¸
¨ (9.2)
D0 ⋅ G ⋅ b © b¹ © G¹ ¨ RT ¸
© ¹
kcal
§ – 19400 ------------·
τ 7,1 mol
+ 1,3 ⋅ 10 ⋅ § ----· ⋅ exp ¨ ---------------------------------¸
15
© G¹ ¨ RT ¸
© ¹

Die aus [24]1 entnommene Modellgleichung weist insgesamt 10 verschiedene


Parameter auf, wobei nicht alle unabhängig voneinander sind. Die beiden Vorfak-
9.3 Modelle - Schnittstelle zwischen Experiment und Simulation 465

toren in der Gleichung (9.2) lassen sich, bezogen auf die korrekte Berechnung der
Kriechgeschwindigkeit, nicht unabhängig von den Parametern Schubmodul G und
Diffusionskoeffizient D 0 bestimmen. Es ist anzunehmen, dass die Einführung die-
ser Parameter, die sich in dieser Anzahl nicht aus dem experimentellen Datenmate-
rial ableiten lassen, aus der Intention erwuchs, einen bestimmten werkstoffphysika-
lischen Zusammenhang darzustellen. Grundsätzlich entsteht daraus zwar kein
Problem, solange alle Parameter in Zusammenhang mit der Modellgleichung gege-
ben sind. Allerdings wird dadurch beim Nutzer der Modellgleichung, welcher nicht
notwendigerweise mit allen Details der Kriechverformung bzw. der experimentel-
len Bestimmung der Parameter vertraut ist, der Eindruck erweckt, die genannten
Parameter seien voneinander unabhängig. Vor allem, wenn der Nutzer die Modell-
gleichung aus einer Drittquelle bezogen hat, welche diese - ohne den ursprüngli-
chen Kontext der Entstehung der Modellgleichung klarzumachen - nur als reine
Gleichung aus der Originalquelle zitiert, sodass der Bezug zu den ursprünglichen
Intentionen bei der Erstellung dieser Gleichung nicht sichtbar wird. Unabhängig
von dieser Problematik ist auch die Verwendung des Strukturparameters Korn-
größe d für die spätere Anwendung nicht unproblematisch. Zwar eröffnet sich
durch die Einführung eines solchen Parameters die Möglickeit, das Kriechverhal-
ten in Abhängigkeit von strukturellen Veränderungen des Materials im Betrieb dar-
zustellen. Allerdings ergeben sich in Bezug auf einen realen Lotkontakt zwei
wesentliche Probleme. Im Gegensatz zur Bulkprobe mit ihrer sehr homogenen
Verteilung von Korngrößen zeichnet sich das Gefüge von Lotkontakten häufig
durch ein aus vielen sehr kleinen und wenigen sehr großen Körnern bestehendes
Gefüge aus, sodass es schwer ist, eine mittlere Korngröße festzulegen. Auch die
Beschreibung der Veränderung des Parameters Körngröße d aufgrund von Korn-
wachstum und Rekristallisation ist aufgrund dieser bei stark inhomogenen Bean-
spruchungen ebenfalls sehr inhomogen im Volumen des Lotkontaktes ablaufenden
Prozesse schwierig.
Eine einfachere Möglichkeit als die in Gleichung (9.2) verwendete Form, unter-
schiedliches Kriechverhalten in verschiedenen Spannungsbereichen nachzubilden,
besteht über eine zur Modellgleichung (5.25) vergleichbare Form, wie sie in [27]
zu finden ist:

G τ 3,0 0,55 [ eV ]
·
γ = 37,5 ⋅ ---- ⋅ sinh § 1300 ⋅ ----· ⋅ exp § -----------------------· (9.3)
T © G¹ © k⋅T ¹

Durch die Formulierung über die sinh-Funktion halbiert sich die Zahl der Para-
meter gegenüber Gleichung (9.2). Die Einführung des Parameters Schubmodul G
ist hier genauso kritisch zu hinterfragen wie in Gleichung (9.2). Neben den beiden
am weitesten verbreiteten Formen existieren in der Literatur andere, wie z. B. die
in [42] verwendete Form mit temperaturabhängigem Spannungsexponenten:

1. d = Korngröße, D0=Diffusionskoeffizient, G=Schubmodul


466 9 Schlussfolgerungen und zukünftige Herausforderungen

900
0,512 ⋅ exp § ---------·
© T ¹
· σ
ε = -------------------------------------------- (9.4)
§ 2,42 ⋅ exp § 356 ---------· ·
© © T ¹¹

Die Verwendung solcher von den werkstoffphysikalisch begründeten Formulie-


rungen stark abweichenden Modellgleichungen, wie z. B. Gleichung (9.4), wird
von verschiedenen Autoren vor allem für den Bereich von komplexen Legierungen
bevorzugt, da sich zeigt, dass die dort dominierenden Verhaltensformen stark von
den Formen in Einstoffsystemen, welche aus den in 5.2.2 beschriebenen Mechanis-
men resultieren, abweichen. Dyson und McLean gehen in [653] detailliert auf die-
ses Problem für teilchengehärtete Nickel-Basis-Superlegierungen ein, welche
bezüglich des Kriechverhaltens zu den SnAg- bzw. SnAgCu-Legierungen ver-
wandt sind. Kernpunkt ihrer Diskussion über eine geeignete Modellwahl bildet
dabei die aus experimentellen Daten gewonnene Erkenntnis, dass sich das Kriech-
verhalten der Nickel-Basis-Superlegierungen nur sehr schlecht über die klassische
Form der Potenzgesetz-Beschreibung nachbilden lässt, da zum einen aus den Daten
hervorgeht, dass der Spannungsexponent keine Konstante ist, sondern von Span-
nung und Temperatur abhängig ist, und dass die Aktivierungsenergie ebenfalls
keine Konstante ist, welche mit der Diffusion zusammenhängt, sondern mit größer
werdenden Spannungen ansteigt. Vergleicht man diese Erkenntnisse mit den
Ergebnissen zum SnAg- und SnAgCu-System in 8.4.4.3 und 8.5.4.3, so lassen sich
aus diesen über einen weiten Temperaturbereich gewonnenen Daten ähnliche
Ableitungen treffen. Dyson und McLean schlagen aus diesen Gründen eine Abkehr
von den klassischen Modellierungsvarianten vor und unterbreiten stattdessen die
Idee eines aus mehreren Gleichungen bestehenden Modells, welches gleichzeitig in
der Lage ist, die Effekte der sich gleichzeitig verändernden Werkstoffstruktur auf
das Kriechverhalten darzustellen.
Zu dieser Art von Modellen gehört auch das von Desai et al. [646, 647] vorge-
stellte „Distributed State Constitutive Model“, welches versucht, die Prozesse der
elastischen und instantanplastischen Verformung sowie der Kriechverformung in
Verbindung mit Schädigungsprozessen durch thermisch-mechanische Belastungen
in einem aus 4 Einzelgleichungen bestehenden Modellgleichungssystem wiederzu-
geben. Obwohl dieser Ansatz mit insgesamt 12 zu bestimmenden Modellparame-
tern nicht als überdimensioniert erscheint, zeigt sich, dass es mit den in [646] vor-
gestellten Experimenten zwar gelingt, alle Modellparameter zu bestimmen, diese
jedoch nicht so bestimmt wurden, dass diese anwendungsrelevante Beanspru-
chungsbereiche des Werkstoffs widerspiegeln. Die geringsten Verformungsge-
schwindigkeiten, die sowohl für die Kriech- als auch für die Ermüdungsexperi-
· –4 –1
mente verwendet werden, liegen bei γ = 2,78 ⋅ 10 s und liegen damit
oberhalb des charakteristischen Beanspruchungsbereiches für thermisch induzierte
mechanische Beanspruchungen in elektronischen Aufbauten. Die Verwendung
langsamerer Verformungsgeschwindigkeiten ist aus praktischen Gründen nicht
9.4 Gestaltung einer entwicklungsbegleitenden Werkstoffdatenermittlung 467

möglich, da dies vor allem bei den Ermüdungsexperimenten zu nicht vertretbaren


Versuchsdauern führt. Dieses Problem entsteht auch bei vielen anderen in der Lite-
ratur vorgestellten Ansätzen, da aufgrund der Komplexität dieser Modelle das Auf-
stellen der mathematischen Formulierungen in den Gleichungssystemen vielen -
mit der experimentellen Modellparameterbestimmung nicht zusammenhängenden -
Gesichtspunkten Rechnung tragen muss [648].
Einfache Formulierungen, wie die des sinh-Ansatzes (vgl. Gleichung (9.3)),
sind aus diesen Gründen auch zur Beschreibung des Kriechverhaltens der komple-
xeren SnAg- und SnAgCu-Legierungen nützlich. Bezogen auf das Kriechverhalten
dieser Legierungen besteht der Vorteil des Ansatzes darin, dass größere Spannun-
gen im Argument der sinh-Funktion höhere Exponenten erzeugen als geringere.
Bei geschickter Wahl der Parameterkombinationen lässt sich darüber sowohl die
Spannungsabhängigkeit als auch die Temperaturabhängigkeit des Spannungsexpo-
nenten realisieren.
Es ist sofort ersichtlich, dass aufgrund der verschiedenen Formen von Kriech-
gleichungen ein einfacher Parametervergleich zwischen verschiedenen Quellen
schwierig ist. Vor allem, wenn wie beim sinh-Ansatz beschrieben, dieser aus ande-
ren Gründen als dem der zugrunde liegenden Verformungsmechanismen genutzt
wird, kommt den darin verwendeten Parametern nicht mehr ihre ursprüngliche
Bedeutung zu. Daher ist es auch unzulässig, diese, wie in [649], untereinander zu
vergleichen.

9.4 Gestaltung einer entwicklungsbegleitenden


Werkstoffdatenermittlung

9.4.1 Erfordernisse

„Die traditionelle Vorgehensweise bei der Prüfung von Verfor-


mungs- und Festigkeitseigenschaften als auch der Bruchfestigkeit lässt
sich oft nicht für die Prüfung winziger Teile aus mikroelektronischen
Bausteinen anwenden. Die derzeitige Tendenz, mechanische Eigen-
schaften über indirekte Methoden zu ermitteln (z. B. über die Nutzung
von Nanoindentationstechniken), verlangt essentielle wissenschaftli-
che Beratung sowie die Lösung komplexer Probleme bei der Eigen-
schaftsbestimmung auf der Basis dieser indirekten Messungen.“
Robert Goldstein im International Journal of Fracture, 20011

1. Das Zitat stammt aus einem Vorwort von R. Goldstein (Institut für Probleme der Mechanik an
der Russischen Akademie der Wissenschaften, Moskau) für eine Sonderausgabe der Zeitschrift
„International Journal of Fracture“ zu Bruchvorgängen in der Mikroelektronik [655] (übersetzt
durch den Autor).
468 9 Schlussfolgerungen und zukünftige Herausforderungen

Die der entwicklungsbegleitenden Werkstoffdatenermittlung im mikrotechni-


schen Bereich zugrunde liegende wissenschaftliche Problemstellung besteht vor
allem in der Frage, wie Werkstoffdaten ermittelt werden sollen. Dieser für die
Wahrnehmung ihrer Funktion im Entwurfsprozess wichtigen Formulierung von
mit der Werkstoffdatenermittlung verbundenen Forschungsproblemen wird in ver-
schiedenen Publikationen zur Gesamtproblematik der mechanischen Integrität
elektronischer Aufbauten, z. B. [641], nicht immer der notwendige Raum einge-
räumt. Hierdurch entsteht eine Trivialisierung, in der allein die Ermittlung von
Werkstoffdaten als erforderliche Aufgabe gesehen wird, ohne gleichzeitig über die
Art und Weise eines methodischen Vorgehens bei ihrer Ermittlung zu diskutieren.
Die Bereitstellung relevanter Werkstoffdaten stellt für die angestrebte Auswei-
tung des Einsatzes von Simulationstechniken im Entwurfszyklus elektronischer
Aufbauten eine nicht unbedeutende Engstelle dar. Dies hängt damit zusammen,
dass die detaillierten Analysen technischer Sachverhalte, wie z. B. die Berechnung
lokaler Beanspruchungszustände, nur dann als zweckmäßig anzusehen sind, wenn
gleichzeitig eine ausreichende Beschreibung des zum Teil sehr komplexen Werk-
stoffverhaltens vorliegt. Sind hingegen nur grobe Vorstellungen über das Werk-
stoffverhalten auf der Basis einschlägigen Tabellenbüchern entnommener Kenn-
werte bekannt, können auch die durch Simulationstechniken gegebenen
vielfältigen Analysemöglichkeiten keine wesentlich besseren Anhaltspunkte für
die Werkstoffauswahl und Gestaltungsfragen geben als die mit einfachen analyti-
schen Modellen durchgeführten Grobabschätzungen.
Eine entwicklungsbegleitende Werkstoffdatenermittlung muss deshalb dem
Erfordernis Rechnung tragen, das vielschichtige Verformungsverhalten von den in
den in elektronischen Aufbauten verwendeten Werkstoffen unter Beachtung der
entsprechenden anwendungsspezifischen Randbedingungen zu untersuchen, um
somit relevante konstitutive Werkstoffmodelle für die Finite-Elemente-Analyse
(FEA) thermisch-mechanischer Beanspruchungen in elektronischen Aufbauten zu
erarbeiten. Im Gegensatz zu etablierten werkstoffmechanischen Untersuchungsme-
thoden, wie sie beispielsweise in DIN-Vorschriften vereinbart sind, steht dabei die
Berücksichtigung der bauteilspezifischen Charakteristika, der Werkstoffvolumen,
der Belastungs- und der Herstellungsbedingungen im Vordergrund. In diesem
Zusammenhang bestehen grundsätzliche Zweifel, ob die an makroskopischen Pro-
bekörpern gewonnenen Aussagen über das Verformungsverhalten eines Werk-
stoffes auf den Mikrobereich übertragbar sind. Technischer Hintergrund dieser
Problematik sind die durch die fortschreitende Miniaturisierung immer weiter
abnehmenden Bauteilvolumen einzelner Strukturelemente. Diese Größeneffekt-
Problematik kann mit einer nicht unbeträchtlichen Komplexität des Werkstoffver-
haltens gekoppelt sein. So ergibt sich z. B. für die als Verbindungswerkstoff einge-
setzten Weichlote auf Sn-Basis die Notwendigkeit einer komplexen - sowohl nicht-
linearen als auch zeitabhängigen - Verhaltensbeschreibung. Die
Größenabhängigkeit der zuletzt benannten Verhaltensfunktionen ist sehr viel-
schichtig. Im Vordergrund steht dabei immer der Zusammenhang zwischen der
Mikrostruktur des Werkstoffes und seinem Verformungsverhalten. Hierzu muss -
9.4 Gestaltung einer entwicklungsbegleitenden Werkstoffdatenermittlung 469

begleitend zu den werkstoffmechanischen Versuchen - eine geeignete Analyse des


spezifischen Werkstoffgefüges erfolgen, welche wichtige Faktoren, wie Volumen-
anteil, Größe, Form und Art von Gefüge- und Phasenbestandteilen, in ihrem Ein-
fluss auf das Kriechverhalten des Werkstoff beurteilt, um so zu einer strukturab-
hängigen Formulierung von Verformungsgleichungen zu gelangen, welche
praxisrelevante Faktoren, wie Fertigungsbedingungen, Metallisierungen und Alte-
rungszustände, wie sie für Werkstoffstrukturen elektronischer Aufbauten von
Bedeutung sind, berücksichtigt.

9.4.2 Retrospektive der eigenen Untersuchungen

Da die konkrete Gestaltung von Versuchen immer als Folge bestimmter Pro-
blemstellungen vorgenommen wird, erscheint es zweckmäßig, zunächst über die
bisher vorliegenden Erfahrungen bei der entwicklungsbegleitenden Werkstoffda-
tenermittlung zu reflektieren, um auf dieser Basis Ableitungen für ihre zukünftige
Gestaltung treffen zu können.
Der Autor beschäftigt sich seit ca. 15 Jahren mit den Fragen des werkstoff- und
bruchmechanischen Verhaltens von Weichloten in kleinstvolumigen Kontakten der
Mikroverbindungstechnik in der Elektronik. Zu Beginn dieser Arbeiten stand
zunächst die Aufgabe, eine bauteilorientierte und betriebsfallnahe Untersuchung
des mechanischen Verhaltens von Flip-Chip-Lotkontakten zu entwickeln und unter
Einbeziehung theoretischer Kenntnisse über das Deformationsverhalten und eta-
blierter Verfahren zur Werkstoffuntersuchung zu einer Aussage über die Unter-
schiede zwischen dem werkstoffmechanischen Verhalten des eutektischen SnPb-
Lotes in makroskopischen Probekörpern und kleinstvolumigen Lotkontakten zu
gelangen. Ausgangspunkt für die Arbeiten waren die Unterschiede, die bei der
Untersuchung des Kriechverhaltens von eutektischem SnPb-Lot von verschiedenen
Autoren publiziert wurden. Beim Vergleich der damals häufig zitierten Arbeiten
von Hacke [23] und Darveaux [27] ergeben sich bei einer mittleren Spannung, z.B.
σ = 5 MPa bei T = 300 K, Unterschiede in der absoluten Kriechgeschwindigkeit
von 2 Größenordnungen. Hieraus resultieren sehr große Unsicherheiten bei Simu-
lationsrechnungen zur Analyse thermisch induzierter mechanischer Spannungen in
elektronischen Aufbauten. Deshalb war für die Erzielung aussagekräftiger, praxis-
relevanter Simulationsergebnisse eine dem Aufbau- und der Belastungssituation
von kleinstvolumigen Lotkontakten entsprechende Kenntnis der mechanischen
Eigenschaften der eingesetzten Weichlote erforderlich. Der Lösung dieser Aufgabe
erfolgte über einen Ansatz [12], welcher sich nicht auf die Verwendung von in der
klassischen Werkstoffprüfung etablierten Untersuchungseinrichtungen und Metho-
den, wie z. B. den Zugversuch, stützt. Wie sich bereits in vorausgegangenen Unter-
suchungen gezeigt hatte [210], wurden Standardprüfeinrichtungen aus verschiede-
nen Gründen den besonderen Erfordernisse miniaturisierter Proben nicht gerecht.
Deshalb bestand einer der Schwerpunkte in den Forschungsarbeiten zunächst in
der Entwicklung eines geeigneten Versuchsaufbaus zur Untersuchung der werk-
470 9 Schlussfolgerungen und zukünftige Herausforderungen

stoffmechanischen Eigenschaften kleinstvolumiger Lotkontakte. Der realisierte


Versuchsaufbau (vgl. 7.5.3.2) verfügt über eine Messgenauigkeit von δs = 20 nm
für die Verschiebungsmessung und von δF = 2 mN für die Kraftmessung. Mit ihm
gelang es, ein um 2 Größenordnungen kleineres Kontaktvolumen zu untersuchen
als mit den zuvor als kleinstvolumigste Lotkriechexperimente geltenden Untersu-
chungen von [27] und [28]. Der wichtigste Anspruch, der mit diesem Versuchsauf-
bau verwirklicht wurde, ist jedoch die präzise Bestimmung des E-Moduls an den in
8.3.3.2 beschriebenen Mikrolotkontakten des Probekörpers (vgl. Abb. 8.2 und
Abb. 8.3). Versuchstechnisch ergibt sich hierdurch die Möglichkeit der Überprü-
fung der Richtigkeit der Messungen, da der E-Modul nur vom Atomgitter und den
Atombindungskräften abhängig ist und für ihn daher bei den weit über atomaren
Größen liegenden Probekörpern keine Größeneffekte bestehen.
Neben dem Aufbau einer speziellen Versuchsapparatur wurde auch eine Opti-
mierung des Probekörperaufbaus (vgl. 7.4.4.3) auf der Basis von FE-Analysen ver-
schiedener Kontaktformen vorgenommen [210]. Dabei stellte sich heraus, dass die
in der Praxis vorkommende tonnenförmige Kontaktgeometrie, welche auch in [9,
11, 27] verwendet wurde, Beanspruchungskonzentrationen an der Grenzfläche zur
Underbumpmetallisierung aufweist. Demgegenüber konzentrieren sich bei einer
hyperboloiden Form die Beanspruchungen in der Mitte des Kontakts, sodass der
überwiegende Teil der Deformationen im Lot erfolgt. Aus diesem Grund werden
für Untersuchungen der Loteigenschaften Probekörper mit hyperboloider Kontakt-
form anstelle der in der Praxis vorkommenden Tonnenform eingesetzt. Andere
wichtige Vorarbeiten im Rahmen der Untersuchung mechanischer Eigenschaften
kleinstvolumiger Lotkontakte bestanden in der Erarbeitung eines Versuchspro-
gramms mit einer betriebsfalladäquaten Belastung des Probekörpers (vgl. 8.3.4.2)
und einer speziellen Auswerteprozedur (vgl. 7.4.4.2), welche über FEM-Simulatio-
nen des Experimentes eine Berücksichtigung der inhomogenen Spannungsvertei-
lung im Lotkontakt ermöglicht. Im Zusammenhang mit diesen apparativen und
methodischen Entwicklungen wurde eine breit angelegte systematische Untersu-
chung des werkstoffmechanischen Verhaltens des eutektischen SnPb-Lotes in
kleinstvolumigen Lotkontakten durchgeführt, deren Ergebnisse in [12] detailliert
beschrieben sind.
Zur Ermittlung des Rissausbreitungsverhaltens in kleinstvolumigen Lotkontak-
ten wurde vom Antragsteller eine Apparatur entwickelt, welche die In-situ-Beob-
achtung der Rissentwicklung im Lotkontakt während isothermer zyklischer Ermü-
dungsexperimente erlaubt [441, 654]. In umfangreichen Experimenten wurde
dabei eine Risswachstumsgleichung für das eutektische SnPb-Lot in Abhängigkeit
von der Dehnungsamplitude und der Versuchsfrequenz aufgestellt [594]. In der
Fortführung dieser Arbeiten entstanden weitere Versuchsaufbauten, welche unter
anderem eine Erweiterung des Versuchstemperaturbereiches ermöglichten
(7.5.3.3). Dabei wurde neben dem Sn-Pb-System auch das Sn-Ag-Cu-System
detailliert untersucht, wobei neben den werkstoffmechanischen auch mikrostruktu-
relle Untersuchungen eine wichtige Rolle spielten.
9.4 Gestaltung einer entwicklungsbegleitenden Werkstoffdatenermittlung 471

9.4.3 Ableitungen für die Zukunft einer entwicklungsbegleitenden


Werkstoffdatenermittlung

„Der Verwertungsdruck auf die Forschungseinrichtungen, unter


ihnen Universitäten, steigt; ein immer wieder angemahnter Wissens-
transfer besagt, daß in der Wissenschaft die Dinge so weit vorzufertigen
sind, daß sie die Wirtschaft wie Rohlinge gleich in die weiterverarbei-
tende und wirtschaftende Hand nehmen kann. Alles andere scheint ver-
geudete Zeit zu sein. Wo von Forschung in der Weise von Grundlagen-
forschung die Rede ist, denkt man nur noch an Elfenbeintürme.“
Jürgen Mittelstraß in“Krise des Wissens“, 20011

„Wenn ich zunächst zu Ihrer hübschen Idee von dem „forschungspo-


litischen Regelkreis“ eine Bemerkung machen darf: Jeder Fortschritt
∂ε der Erkenntnis erhöht fast automatisch die Zahl offener Probleme
um ∂n ; andererseits bewirkt eine Vielzahl offener Probleme, daß viele
Forscher (und ihre Geldgeber) zu intensiverer Arbeit motiviert werden,
die, wenn sie erfolgreich ist, natürlich auch Probleme löst: ∂n ⁄ ∂t < 0 .
Die Gesamtbilanz offener Probleme ist also wie

·
dn = [ ( ∂n ⁄ ∂ε ) ⋅ ε – ∂n ⁄ ∂t ]dt

an das Tempo des Erkenntnisfortschritts und die Erfolgsquote der


Forschungstätigkeit geknüpft. Ich fürchte nur, dieser Vorgang wird so
schnell nicht stationär; es ist schon optimistisch, wenn man wenigstens
hofft, nicht in den tertiären Bereich zu kommen und mit der ganzen
Forschung zu Bruch zu gehen.“
Bernhard Ilschner in einer Diskussion an der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, 19762

Anhand des Beispiels der über einen Zeitraum von mehr als 15 Jahren gewonne-
nen Ergebnisse zum werkstoff- und schädigungsmechanischen Verhalten von Sn-
basierten Weichloten konnte die Notwendigkeit bauteilorientierter Untersuchungs-
methoden zur Gewinnung von Werkstoffparametern für Strukturen im Bereich

1. Das Zitat stammt aus einem Beitrag von Jürgen Mittelstraß in den von der Leibniz-Sozietät zu
Berlin im Trafo-Verlag herausgegebenen Sitzungsberichten [656].
2. Das Zitat stammt aus der Diskussion zwischen Hans-Jürgen Engell und Bernhard Ilschner zu
einem von Ilschner gehaltenen Vortrag an der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissen-
schaften [657]. Ilschner bezieht sich in seiner Aussage auf den dreigeteilten Verlauf einer Kriech-
kurve (vgl. 5.4.1).
472 9 Schlussfolgerungen und zukünftige Herausforderungen

mehrerer hundert Mikrometer gezeigt werden. Neben diesen eigenen Untersuchun-


gen finden sich in der Literatur ähnlich gelagerte Experimente zu anderen Schlüs-
selwerkstoffen für elektronische Aufbauten [453, 658], aus denen sich die gleiche
Ableitung bezüglich des größenabhängigen Materialverhaltens in Werkstoffstruk-
turen in dem für die Aufbau- und Verbindungstechnik typischen Größenbereich
–3 –6
von 10 …10 m ziehen lässt. Dies hat für die perspektivische Ausrichtung der
Untersuchungsmethodik für Werkstoffe der Mikroverbindungstechnik weitrei-
chende Folgen.
Diese Argumentation erscheint auf den ersten Blick trivial. Ihre Komplexität
lässt sich nur dann verstehen, wenn deutlich zwischen der Untersuchung und der
Art und Weise der Untersuchung unterschieden wird. Die auf der Grundlage frü-
her, versuchsmethodisch schlecht ausgearbeiteter Experimente wahrgenommenen
Unterschiede im werkstoffmechanischen Verhalten von SnPb-Lot in Bulkproben
gegenüber dem in kleinvolumigen Lotkontakten schienen (und waren wahrschein-
lich auch) auf Unzulänglichkeiten in den Versuchsaufbauten für die Experimente
an kleinen Lotkontakten zu beruhen. Aus den in [12] dargestellten, mit genaueren
Versuchsmethoden durchgeführten Untersuchungen konnte jedoch geschlussfol-
gert werden, dass Unterschiede im Verhalten von Bulk- und Mikrowerkstoff in den
für Lotkontakte typischen Volumen nicht bestehen. Hieraus wurde zunächst
geschlussfolgert, dass auch für den typischen Größenbereich in der Aufbau- und
Verbindungstechnik der Elektronik nur eine Gefügeabhängigkeit der mechani-
schen Werkstoffeigenschaften besteht, woraufhin eine Untersuchung von Bulkma-
terial (mit repräsentativem Gefüge) als ausreichend angesehen wurde. Durch die in
den letzten Jahren an bleifreien Lotwerkstoffen als auch an anderen Materialien
gewonnenen Erkenntnisse wird jedoch deutlich, dass werkstoffabhängig durchaus
Miniaturisierungseffekte bestehen und daher eine Erweiterung etablierter Prüfver-
fahren auf eine bauteilorientierte Untersuchung von Werkstoffen für die Mikrover-
bindungstechnik notwendig ist.
Die bauteilorientierte Untersuchung im Mikrobereich unterscheidet sich in
ihrem Wesen sehr deutlich von der standardisierten Untersuchung von Bulkproben.
Während letztere auf bestimmte Vorgaben bei der Probeköpergestaltung sowie eta-
blierte Prüftechnik zurückgreift, geht die bauteilorientierte Untersuchung im
Mikrobereich immer von einem Forschungsproblem aus, in dessen Lösungsprozess
geeignete Varianten der Probekörpergestaltung und des Versuchsaufbaus erarbeitet
werden müssen. Die Ermittlung des Verformungs- und Schädigungsverhaltens in
kleinvolumigen Bauteilen umfasst daher neben der eigentlichen Untersuchung
zusätzlich die vorgelagerten Tätigkeiten der Versuchsgestaltung und des Versuchs-
aufbaus. Weil der Aufwand für diese vorgelagerten Aktivitäten größer sein kann
als für die eigentlichen Untersuchungen, ergibt sich für den Bereich der entwick-
lungsbegleitenden Werkstoffdatenermittlung ein Zeit-Aufwand-Nutzen-Dilemma,
welches zum einen durch seine Beziehungen zum konkreten Entwicklungsprozess
entsteht, zum anderen aber auch aus der Übertragung von den mit der klassischen
Werkstoffprüfung verbundenen Vorstellungen resultiert.
9.4 Gestaltung einer entwicklungsbegleitenden Werkstoffdatenermittlung 473

Da der Entwicklungsprozess für neue Produkte mit klaren Zeitplanungen für die
Einführung dieser zu entwickelnden Produkte in den Markt verbunden ist, entsteht
ein daraus abgeleitetes Bestreben, auch die entwicklungsbegleitende Werkstoffda-
tenermittlung diesen Zeitplanungen zu unterwerfen. Indem der Werkstoffcharakte-
risierung der Charakter einer einfachen Messung unterstellt wird, deren zeitliche
Erfordernisse sich klar bemessen und in einem detaillierten Zeitplan aufstellen las-
sen, wird eine kritische Auseinandersetzung mit der Frage, wie es gelingt, wesent-
liche für den Anwendungsfall ausschlaggebende Merkmale des Werkstoffverhal-
tens experimentell zu ermitteln und diese in einem Modell geeignet darzustellen,
unterbunden und stattdessen eine allein auf Zeiteffizienz ausgerichtete Optimie-
rung bei der Gestaltung des experimentellen Vorgehens vorgenommen. Hierbei
besteht die direkte Folge der falschen Vorstellung, dass eine Werkstoffuntersu-
chung in allen Aspekten festlegbar wäre, zunächst in möglicherweise ungenauen
Beschreibungen des experimentell ermittelten Werkstoffverhaltens. Für die ange-
strebte Effektivierung des Entwicklungsprozesses durch Anwendung von Berech-
nungs- und Bewertungsmethoden, wie der FEM-Simulation, zur Erfassung und
Umgehung von mechanischen Problemen in elektronischen Aufbauten sind diese
Ungenauigkeiten in der Beschreibung des Werkstoffverhaltens wahrscheinlich von
geringerem Ausmaß. Die indirekte Wirkung auf die langfristige Weiterentwick-
lung von Versuchstechniken kann jedoch sehr schwerwiegend sein.
Die Aufdeckung bisher unbekannter Phänomene des Verformungs- und Schädi-
gungsverhaltens in kleinvolumigen Bauteilen mit mikroskopischen Abmessungen
ist wesentlich an die Leistungsfähigkeit geeigneter experimenteller Untersuchungs-
methoden gebunden. Ohne dass die Weiterentwicklung der bisher erarbeiteten
Methoden als wichtige Forschungsaufgabe innerhalb der entwicklungsbegleiten-
den Werkstoffdatenermittlung begriffen wird, kann sich sehr leicht eine Situation
einstellen, in der die vielversprechende Einführung von Berechnungs- und Bewer-
tungsmethoden aufgrund mangelnder experimenteller Untersuchungsmethoden in
ihrer Nutzbarkeit im Entwicklungsprozess beschränkt wird. Um Aussagen über die
strukturelle Integrität immer kleiner werdender Strukturen in elektronischen Auf-
bauten treffen zu können, ist eine genaue Kenntnis der bereits jetzt festgestellten
Größenabhängigkeit bestimmter mechanischer Verhaltensfunktionen eine wich-
tige Voraussetzung. Um diese Kenntnisse auch bezüglich des Werkstoffverhaltens
in den für die nächsten Jahre angestrebten Bauteilabmessungen im Mikrometerbe-
reich (vgl. ITRS-Roadmap) erhalten zu können, werden neue, zum jetzigen Zeit-
punkt nicht verfügbare experimentelle Methoden notwendig sein.
Der entscheidende Unterschied zwischen der klassischen Werkstoffdatenermitt-
lung und der Werkstoffdatenermittlung im Mikrobereich liegt nicht allein in den
unterschiedlichen Größen begründet, sondern in der Tatsache, dass die Größenver-
hältnisse im Mikrobereich einer ständigen Verkleinerung unterzogen sind. Dieser
Umstand führt zu einem grundsätzlich anderen Verhältnis zwischen Prüfmaschi-
nen- und Versuchsmethodikentwicklung auf der einen und der Durchführung von
Werkstoffcharakterisierungsversuchen auf der anderen Seite. Während die Ver-
suchsdurchführung in der klassischen Werkstoffdatenermittlung den größeren
474 9 Schlussfolgerungen und zukünftige Herausforderungen

Raum einnimmt, haben für den Bereich der Werkstoffdatenermittlung in den


Mikrotechniken die Entwicklungsarbeiten von Versuchstechniken eine weitaus
höhere Bedeutung.
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national Journal of Fracture, Bd. 109 (2001), S. 69-89
Weiterführende Literatur 509

Weiterführende Literatur zu den Kapiteln

Kap. 1:
• Mechanics of Microelectronics; Zhang, G. Q.; van Driel, W. D.; Fan, X. J. C (Hrsg.), Dor-
drecht: Springer 2006
• Micromaterials and Nanomaterials, Michel, B. (Hrsg.), Dresden: ddp goldenbogen, Heft1.
mechanical reliability simulation characterisation testing, 2002; sowie Heft 3. materials
mechanics for system integration and packaging, 2004

Kap. 2:
• Advanced Electronic Packaging, Ulrich, R. K.; Brown W. D. (Hrsg.), Hoboken, NJ: Wiley-
Interscience, 2006, 2. Aufl.
• Direktmontage. Reichl, H. (Hrsg.), Berlin: Springer 1998
• Interdisziplinäre Methoden in der modernen Aufbau- und Verbindungstechnik der (Mikro-)
Elektronik. Wolter, K.-J.; Wiese, S. (Hrsg.), Dresden: ddp goldenbogen 2003
• Manufacturing Challenges in Electronic Packaging. Lee, Y. C.; Chen W. T. (Hrsg.), London:
Chapman & Hall 1998
• Microelectronics Packaging Handbook - Semiconductor Packaging, Part II; Tummala, R. R.;
Rymaszewski, E. J.; Klopfenstein, A. G. (Hrsg.), 2. Aufl., New York: Van Nostrand Reinhold
1997
• The World of Electronic Packaging and System Integration. Michel, B.; Aschenbrenner, R.
(Hrsg.), Dresden: ddp goldenbogen 2004
• Fundamentals of Microsystems Packaging, Tummala, R. R. (Hrsg.), New York: McGraw-Hill
2001

Kap. 3:
• Allen, S. M.; Thomas, E. L.: The Structure of Materials. New York: John Wiley & Sons, 1999
• Gottstein, G.: Physikalische Grundlagen der Materialkunde. Berlin - Heidelberg: 1998
• Haasen, P: Physikalische Metallkunde. 3. Aufl., Berlin; Heidelberg: Springer 1994
• Humphereys, F. J.; Halterly, M.: Recristallization and related Annealing Phenomena. Oxford,
New York, Tokyo: Elsevier 1995
• Materials Science and Technology - A Comprehensive Treatment. Cahn R. W.; Haasen P.;
Kramer E. J. (Hrsg.), Weinheim - New York - Basel: VCH, Bd. 1. Structure of Solids, Gerold,
V. (Bd. Hrsg.), 1993; sowie Bd. 5. Phase transformation in materials, Haasen, P. (Bd. Hrsg.),
1991
• Physical Metallurgy; Cahn, R. W.; Haasen, P. (Hrsg.), Amsterdam - Oxford - New York -
Tokyo: North Holland 1983
• Sauthoff, G.: Intermetallics. Weinheim; New York; Basel; Cambridge; Tokio: VCH 1995
• Schulze, G. E. R.: Metallphysik. Berlin: Akademie-Verlag 1974
• Schmelze, Erstarrung, Grenzflächen: eine Einführung in die Physik und Technologie flüssiger
und fester Metalle. Sahm, P. R.; Egry, I.; Volkmann, T. (Hrsg.), Braunschweig; Wiesbaden:
Vieweg 1999
• Solidification and Casting of Metals. London: The Metals Society, 1979
510 Weiterführende Literatur

Kap. 4:
• Ashby, M. F.; Jones D. R.: Ingenieurwerkstoffe. Berlin-Heidelberg: Springer 1986
• Hellwege, K. H.: Einführung in die Festkörperphysik. Berlin: Springer 1988
• Rosenthal, D.: Resistance and Deformation of Solid Media. New York - Toronto - Oxford -
Sydney: Pergamon 1974
• Mechanische Anisotropie; Stüwe, H. P. (Hrsg.), Wien; New York: Springer 1974

Kap. 5:
• Cadek, J.: Creep in Metallic Materials. Material Science Monographs Bd. 48, New York:
Elsevier 1988
• Christ, H. J.: Wechselverformung von Metallen: Zyklisches Spannungs-Dehnungs-Verhalten
und Mikrostruktur. Berlin, Heidelberg: Springer 1991
• Courtney, T. H.: Mechanical Behavior of Materials. New York: McGraw Hill 1990.
• Flow and Fracture at Elevated Temperatures. ASM Materials Science Seminar, Raj R. (Hrsg.),
American Society for Metals, Ohio, 1983
• Frost, H. J.; Ashby, M. F.: Deformation-Mechanism Maps - The Plasticity and Creep of
Metals and Ceramics. Oxford: Pergamon 1982
• Materials Science and Technology - A Comprehensive Treatment. Cahn R. W.; Haasen P.;
Kramer E. J. (Hrsg.), Weinheim - New York - Basel: VCH, Bd. 6. Plastic deformation and
fracture of materials; Mughrabi, H. (Bd. Hrsg.), 1993
• Rösler, J; Harders, H.; Bäker, M.: Mechanisches Verhalten der Werkstoffe. Wiesbaden: Teub-
ner/GWV Fachverlage 2003
• Physical Metallurgy, Cahn, R. W.; Haasen, P. (Hrsg.), Amsterdam: Elsevier 1993

Kap. 6:
• Anderson, T. L.: Fracture Mechanics - Fundamentals and Applications. Boca Raton: CRC
Press 1995, 2. Aufl.
• Ermüdungsverhalten metallischer Werkstoffe. Christ, H. J. (Hrsg.), Frankfurt: Werkstoff-
Informationsgesellschaft 1998
• Haibach, E.: Betriebsfestigkeit: Verfahren und Daten zur Bauteilberechnung. Berlin: Springer
2002, 2. Aufl.
• Materials Science and Technology - A Comprehensive Treatment. Cahn R. W.; Haasen P.;
Kramer E. J. (Hrsg.), Weinheim - New York - Basel: VCH, Bd. 6. Plastic deformation and
fracture of materials, Mughrabi, H. (Bd. Hrsg.), 1993
• Riedel, H.: Fracture at High Temperatures. Berlin: Springer 1987
• Saxena, A.: Nonlinear Fracture Mechanics for Engineers. Boca Raton: CRC Press 1998

Kap. 7:
• Blumenauer, H.: Werkstoffprüfung. Leipzig, Stuttgart: Deutscher Verlag für Grundstoffindu-
strie 1994, 6. Aufl.
• Erismann, T. H.: Prüfmaschinen und Prüfanlagen: Hilfsmittel der zerstörenden Materialprü-
fung. Berlin, Heidelberg: Springer 1992

Kap. 8, 9:
• Mechanics of Microelectronics; Zhang, G. Q.; van Driel, W. D.; Fan, X. J. C (Hrsg.), Dor-
drecht: Springer 2006
Sachverzeichnis 511

Sachverzeichnis

A BGA 43
Abgleiten 194 Biegung 68
Abgleitung 163, 178 Bindung 78
Abkühlungsgeschwindigkeit 105 Bindungskraft 78
Ag-Sn-Zustandsdiagramm 99 Bindungstypen 78
Aktivierungsenergie 172, 188 Bondverfahren 32
Alloy42 50 Bruch auf atomarem Niveau 228
Andrade-Kriechen 183 Bruchdehnung 221
Anfangskriechrate 184 Bruchlastspielzahl 263
Annihilierung von Versetzungen 190 Bruchmechanik 236
Anschlussanordnung 51 elastisch-plastisch 237
Anschlussbeinchen 49 Energiebilanz-Betrachtung 238
Anschlussraster 59 linear-elastisch 237, 238
Anschlusszahl 51, 59 nichtlinear 244
Anschlusszahlentwicklung 58 Spannungsintensitätsfaktoren-Ansatz
Antrieb 292 240
Architektur elektronischer Aufbauten 27 viskoelastisch 237
Architekturentwicklung 55 zeitabhängig 237
Architekturkonzept 27, 67 Bruchmechanische Konzepte 236
Area Array Component 43 Bruchmechanismenkarten 226
Arrhenius-Ansatz 172 Bruchmodus 240
Atom 78 Brückenschaltung 299
Atomabstands-Potenzialkurve 144 Bulkdiffusion 172
Atombindung 78 Bulkmodul 152
Atomradius 86 Bump 35
Aufbau- und Verbindungstechnik Bumperzeugung 37
Aufgaben 23 Burgersvektor 170, 188
Begriff 22 C
Entwicklung 24 C*-Integral 246
Inhalt 23 CBGA 52
Triebkräfte 26 CCC 66, 280
Aufbauhierarchie 27 CCGA 52
Ausdehnungskoeffizient 66, 280 Ceramic-Chip-Carrier 66, 280
Ausfall 1, 21, 213, 215, 223, 263, 357 Chipkondensator 54
Au-Si-Zustandsdiagramm 96 Chipmontage 49
Ausscheidung 76, 93, 135, 166 Chip-Scale-Package 43, 53, 55
inkohärent 94 Chipwiderstand 54
kohärent 94 Coble-Kriechen 172, 193, 195
semikohärent 94 Coffin-Manson-Beziehung 262, 266, 267
Ausscheidungsreaktion 93 CPGA 52
B CSP 43
Bailey-Norton-Ansatz 464 CTE-matching 65
Ball-Grid-Array 43, 53 CTOD 244
Basquin-Gleichung 266 CT-Probeköper 309
Bauelementeformen 48 Cu-Ni-Zustandsdiagramm 100
Bauschinger-Effekt 211 D
BCB 36 Datenerfassung 305
Beanspruchungssituation 221 Dauerfestigkeit 262
Begrenzte Mischbarkeit 93, 96 Dauerfestigkeitslinie 264
Benetzungswinkel 108 Dauerfestigkeitswert 264
512 Sachverzeichnis

Dauerschwingversuche 263 Entfestigung 225


Dehnmessstreifen 299 Entwicklung der Werkstoffprüfung 273
Dendrit 111 Entwicklungsbegleitende Werkstoffdaten-
DIC 302 ermittlung 467, 473
Dichte 83 EPBM 237
Dickschichttechnik 43 Ermüdung 20
Differentielle-Scanning-Kalometrie 114 Ermüdungslastspielwechselzahl 267
Differentiell-Thermische-Analyse 114 Erstarrung 104
Diffusion Erstarrungsfront 105
Temperaturabhängigkeit 172 diffus 111
Diffusionskoeffizient 188 facettiert 111
Temperaturabhängigkeit 172 glatt 111
Diffusionskriechen 172, 197 wellig 111
Digital Image Correlation 302 Erstarrungsgefüge 104
DIP 49 Sn-Pb-Lot 128
Dipole 210 Erstarrungsprozess 112
Dip-Test 212 Erstarrungsverhalten von SnAgCu-Lot 122
Distance to Neutral Point 67 ESD 217
DNP 67 Eutektikum 95
Doppelschulterprobe 309 Eutektisches System 95
Double-shear-lap-Probekörper 315 Experimentelle Untersuchungsmethoden
Drahtbondtechnik 31 273
Drehkorngrenze 90 F
Drehwinkel 89 FBGA 53
Dreistoffsystem 103 FCM 57
DSC 114 Fehlerursachenherkunft 62
DTA 114 Fehlwinkel 187
DTA-Messungen 125 FEM-Simulation 5, 17, 303, 319, 320, 385,
Duktilbruch 227 445, 451, 470, 473
Durchstecktechnik 41 Fertigungsmethode 26
Dynamische Erholung 177, 210 Festigkeit 220
E Few-Chips-Module 57
Edelgaskonfiguration 78 Flächenkontaktierbare Bauelemente 43
Einfachgleitung 177 Fleischer-Friedel-Abschätzung 199
Einkristallverformung 178 Flexible Leiterplatte 44
Einsatztemperatur 20 Fließspannung 167, 174, 178
Einspannung 284 Temperaturabhängigkeit 179
für kleinvolumige Proben 288 Flip-Chip-Montageprozess 36
Elastische Konstanten Flip-Chip-Technik 35
Richtungsabhängigkeit 153 Formdehngrenze 264
Temperaturabhängigkeit 156 Frank-Read-Quelle 177, 190
Electronics Packaging 22 Fremdatom 75, 85
Elektrischer Ausfallmechanismus 216 Fremdteilchen 76
Elektrolytische Migration 218 Fügepartner 35
Elektromigration 218 G
Elementarzelle 75 Gateoxiddurchbruch 216
Elementarzellenvolumen 83 Gefüge 71
E-Modul 64, 146, 147 Gefügeausbildung 105
Richtungsabhängigkeit 153 Gesamtmodell 463
Temperaturabhängigkeit 156 Gibbs’sche Phasenregel 95
E-Modul-Bestimmung 148 Gitterbaufehler 83
Empirische Ermüdungsmodelle 261 Gitterkonstante 83, 92
Energiefreisetzungsrate 237 Gitterstörung 83
Sachverzeichnis 513

Gittertyp 79 Isoipescu-Scher-Versuch 316


Gleichgewichtsphase 93 J
Gleitbewegung J-Integral 244
durchschnittlich 165 J-Lead 50
individuell 164
Gleitebene 163, 165, 176
K
Kapazitiver Sensor 301
Gleitrichtung 163, 164, 176 Kapillare 31
Gleitsystem 176 Keilbacke 287
primär 177 Keim 107
sekundär 177 Keimbildung 107
Gleitweg 164 Keimbildungsrate 109
Grenzflächenenergie 107 Keramische Substrate 43
Größe der plastischen Zone 247 Kipp-Korngrenze 89
Größenabhängigkeit des Gefügebildes 133 Kirkendall-Effekt 217
Größeneffekt 20, 450 Klassische Werkstoffprüfung 274
Größenniveau 74 Kleinbereichsfließen 247
Großwinkelkorngrenze 89 Kleinlastprüfmaschine 325
Gull-Wing 50 Kleinlastprüfmaschinen 325
H Kleinwinkelkorngrenze 89, 134
Harper-Dorn-Kriechen 172 Kletterbewegung 168
HDI-Leiterplatte 43, 46 Klettern 168
Heterogene Keimbildung 108 Kletterprozess 169, 179
Heteropolare Bindungen 78 Kohärente Grenzfläche 92
Hexagonal dicht gepacktestes Gitter 79 Koinzidenzgitter 90
High Cycle Fatigue 262 Kontaktierbarkeit 45
Hochtemperaturplastizität 168, 179 Kontinuums-Schadensmechanik 269
Hochzyklische Ermüdung 262 Konzept der Probenprüfung 274
Hoff’sche Analogie 246 Korn 89
Homogene Keimbildung 108 Korngrenze 76, 89, 134, 166, 178, 194, 232
Homologe Temperatur 19, 173 niedrig-energetisch 187
Hot Carrier Degradation 217 Korngrenzendiffusion 171, 172, 194, 233
HRR-Feld 248 Korngrenzenergie 91
Hydraulische Antriebe 292 Korngrenzengleiten 158, 192
Hydrostatischer Druck 153 Korngrenzengleitung 232
Hyperbolische Kontaktform 323 Korngrenzenmigration 134, 193
Hypercooling-Grenze 112 Korngrenzentripel 94, 232
I Korngrenzgleitprozess 192
Idealisierte Bulkprobe 309 Korngröße 178, 187
Idealisierte Mikroprobe 312 Korngrößenexponent 188, 190
Initialriss 233 Kornstruktur 76
Inkohärente Grenzflächen 92 Kornwachstum 134, 135
Inkongruent schmelzende Phase 99 Kovalente Bindungen 78
Innere Rückspannung 212 Kovar 49
Integrationsaufgabe 58 Krafteinleitung 284
Integrationsdichte 26, 50, 55, 59 Kriechbruch 227
Integrierte Schaltkreise 26 Kriechbruchmechanik 237
Interatomare Bindungskraft 228 Kriechen 20, 181
Intermediäre Phase 99 ausscheidungsgehärtete Legierung 200
Intermetallische Phase 80, 217 primär 184
Intragranulare Rissbildung 231 quasistatisch 183, 210
Intragranularer Rissbildungsmechanismus teilchengehärtete Legierung 200
231 tertiär 184
Isiopescu-Probekörper 288, 316 transient 183
514 Sachverzeichnis

Kriech-Ermüdungs-Rissausbreitung 260 LVDT 301, 330


Kriechgeschwindigkeit M
quasistatisch 188 Maschinenrahmen 304
Kriechkurve 181, 183 Materialgedächtnis 211
Theta-Konzept 184 Materialgedächtniseffekte 211
Kriechmechanismus Matrixdiffusion 171, 172
Temperaturabhängigkeit 172 MCM 43, 52
Kriechrate Mechanische Antriebe 292
quasistatisch 170 Mehrebenenleiterplatte 43
Kriechrissbildung 250 Mehrebenenleiterplatten 41
Kriechrissfortpflanzung 250 Mehrebenenmetallisierung 58
Kriechrissrate 250 Mehrebenentechnik 48
Kriechrisswachstum 247 Mehrlagentechnik 48
Kriechverformung 234 Mehrphasengrenzflächen 138
Kriechverhalten 19 Mehrstoffsysteme 103
Kriechversuch 181 MELF 54
Kristallgemisch 92 MEMS 56
Kristallgitter 144 Messaufnehmer 297
periodisches Potenzial 166, 176 Metallbindungen 78
Kristallisationsvorgang 139 Metallmatrix 93
Kristallisationswärme 109, 112 MID 44
Kristallstruktur 83 Mikromotorischer Verschiebetisch 295
Kristallsystem 79 Mikroprobe 312
Kritischer Keimbildungsradius 107, 109 Mikrorisswachstum 225
Kubisch-flächenzentriertes Gitter 79 Miniaturisierter Versuch 280
Kubisch-raumzentriertes Gitter 79 Mischkristall 86, 98
Kurzrisswachstum 262 Mischkristallbildung 92
Kurzzeitfestigkeitsbereich 264, 265 Mischkristallgefüge 93
L Mischkristallhärtung 199
Lastwechseleffekte 211 Missorientierungswinkel 89
Lebensdauermodell 223 Mittelspannung 263
LEBM 237 Modell 461
Leerstelle 75, 84, 168, 232 Modellierung der Materialschädigung 235
Abgabe 169 Monoklines Gitter 80
Absorption 169 Morphologie der Erstarrungsfront 109
Leerstellendichte 84 Morrow-Ansatz 269
Leerstellendiffusion 179, 190, 233 Mould-Injection-Devices 44
Leerstellenfluss 170, 196, 232 Multichipmodul 42, 52, 55
Leerstellenkonzentration 168, 169 Multichiptechnik 37
Legierung 94 N
Leitebenen 48 Nabarro-Herring-Kriechen 172, 193, 195
Leiterplatte 41 Newton-Raphson-Methode 302
Leiterzug 45 NiAg 45
Letaler Riss 221 Nichtreziprokes Keimbildungsverhalten
Lifshitz-Gleiten 197 129
Linear Variable Differenzial Transformer Niedertemperaturplastizität 166, 175
301 Niederzyklische Ermüdung 262, 265
Linienförmige Defekte 87 Normalenvektor 163
Lomer-Cottrell-Versetzungen 190
Löslichkeit 86, 98
O
Oberflächendiffusion 233
Löslichkeitsgrenze 105 Oberflächenmontagetechnik 42
Low Cycle Fatigue 262 Optische Verfahren 302
LSW-Theorie 135
Sachverzeichnis 515

Orowan-Mechanismus 198 Rekristallisationsvorgänge


Orowan-Spannung 199 dynamisch 192
OSP 45 Relaxation 181
Ostwaldreifung 135 Relaxationsversuch 181
P Rent’sche Regel 50
Paris-Erdogan-Gleichung 252 Repräsentatives Volumenelement 270
Passive Bauelemente 53 Rissausbreitung bei Wechselbelastung 250
PBGA 53 Rissbildung 262
Pb-reicher Mischkristall 98 Rissentstehung 228, 231
Peierls-Nabarro-Spannung 167 Rissfortschritt 225
Peritektische Reaktion 102 Rissfortschrittsberechnung 226
Peritektisches System 101 Risskeimbildungsprozess 225
Persistentes Gleitband 208 Rissöffnungsmodus 240
Phase 76, 82, 91, 95 Rissspitze 233, 241
Phasen 135 Rissspitzenplastizität 247
Phasengrenze 91 Risswachstum 228, 252
Phasengrenzfläche 91, 107 Risswachstumsprozess 225
Phasentyp 82 Risswachstumsrate 252
Phasenvergröberung 135 Rollenaufnahme 288
Piezoelektrische Aktoren 294 Rolle-zu-Rolle-Verfahren 40
PLCC 49 Rückverformung 202, 211
Poisson-Zahl 151 Ruhelage 144
Poren 232, 233 RVE 270
Porenbildung 197 S
Porenbildungsrate 232 Schadensfall 2, 222, 236, 260
Porenwachstum 207, 233 Schädigung 21, 213, 221
Potenzgesetz 171 Schädigungsbewertung 223
Potenzgesetz-Beschreibung 464 Schädigungsgrad 21
Potenzgesetzrisswachstum 252 Schädigungskinetik 224
Probe mit gelochten Einspannflächen 287 Schädigungskriterium 221
Probe mit Gewindeköpfen 287 Schädigungsmechanismus 216, 222
Probekörpergestaltung 288 Schädigungsphase 225
Probengestaltung 306 Schädigungsproblematik 216
Probenlager 286 Schädigungsprozess 235
Produktlebenszyklus 26 Schädigungsprozesse 220
Prüfmaschine 283 Schädigungsvorgang 223
Prüfmaschinen für miniaturisierte Proben Scherspannungs-Scherrate-Diagramm 158
323 Schmelze 95, 105
Punktförmige Defekte 84 Schmelzpunkt 114
Q Schmelzwärme 114
QFP 49 Schmid’sches Schubspannungsgesetz 176
Qualität 213 Schmidfaktor 176
Quergleiten 164, 177, 190 Schneidspannung 199
Querkontraktion 151 Schock-Belastung 68
Querkontraktionszahl 151 Schraubenversetzung 88, 160, 162, 177,
190
R Schraubenversetzungen 163
Rachinger-Gleiten 197
Raumgitter 79 Schraubenversetzungssegment 163, 190
Reale Mikroproben 318 Schubmodul 152
Rekaleszenz 112 Semikohärente Grenzfläche 92
Rekristallisation 139 Shear-lap-Probekörper 315
Rekristallisationsprozess 139, 209 Siliziumplanartechnik 26
Sinushyperbolikus-Ansatz 465
516 Sachverzeichnis

SiP 57, 67 Symmetrie des Gitters 89


SMT 41 Symmetrische Wechselbeanspruchung 251
Sn 45 System mit vollständiger Mischbarkeit 100
S-N-Kurve 251 Systeme mit intermediären Phasen 99
Sn-Pb-Zustandsdiagramm 97 System-in-Package 57
Sn-reicher Mischkristall 98 System-on-Chip-Konzept 56
Sn-Sb-Zustandsdiagramm 101 System-on-Package-Konzept 57
SoC 56 T
SOP 49 T*-Integral 255
SoP 57 TAB 39
Spaltbruch 227 Tag-Nacht-Schwankung 69
Spannung Tape-Carrier-Package 39
geringe 171 TCP 39
hohe 171 Technischer Anriss 225
mittlere 171 Temperaturbelastung 69
Spannungsamplitude 263 Temperaturwechsel 20
Spannungs-Dehnungs-Diagramm 13, 143, Tetragonal raumzentriertes Gitter 80
174, 176, 203, 219 Textur 76
Spannungs-Dehnungs-Hysterese 203 Thermischer Ausdehnungskoeffizient 64
Spannungs-Dehnungs-Kurve 174 Thermisch-mechanische Ermüdungsbela-
Spannungsexponent 188, 190, 194 stung 68
Spannungsintensitätsfaktor 237, 243 Thermisch-mechanische Fehlanpassung 65
Wechselbelastungen 251 Thermisch-mechanische Integrität 61
Spannungskonzentration 178, 194, 232, Thermisch-mechanische Problematik 65
236 Thermokompressionstechnik 31
Spannungsverhältnis 251, 264 Thermokompressionsverfahren 32
Spinodale Entmischung 93 Thermo-mechanical mismatch 65
Stapelaufbau 67 TQFP 49
Stapelfehlerenergie 210 Trägerfilmtechnik 39
Stapeltechnik 57 Trägermaterial 45
Steuerung 305 Trägerstreifen 49
Stoffgemisch 95 Trägerstreifenbauelemente 48
Strain-Rate-Partitioning-Konzept 268 Transfert Automatique sur Bande 39
Strukturabmessung 26 Transistor 25
Strukturabmessungen 59 TSOP 49
Strukturaufbau 73
Strukturbreite 59
U
Übersättigung 93
Strukturebene 73 Ultraschallbonden 32
Strukturelemente 74 Ultraschallschweißen 35
Strukturelle Hierarchie 74 Ultrasonic-Verfahren 32
Struktureller Aufbau 73 Umverdrahtung 36
Strukturentwicklung 185 Unified Law 463
Strukturhierarchie 76 Unterfüllungsprozess 37
Stufenversetzung 88, 160, 168 Unterfüllungswerkstoff 52
Stufenversetzungssegment 163, 190 Unterkühlte Schmelze 105, 109
Subkorn 89, 209, 210 Unterkühlung 107, 109, 114, 125
Subkornbildung 210 Ursachen des Ausfalls 62
Subkörner 187
Subkorngrenze 209 V
Subkorngröße 187 Verbindungsebene
Substitutionsatom 84, 197 erste 29
Subsystem 58 zweite 41
Surface Mount Technology 41 Verbindungsniveau 28
Sachverzeichnis 517

Verdrahtungsträger 41, 45 Versuchsmethode 279


Verfestigung 177, 225 Vesetzungsaufstauung 190
Verformung Via 48
allmählich 157 Vibrationsbelastung 68
diffusionskontrolliert 171 Vielkristallverformung 178
elastisch 14, 143 Vielschichtigkeit eines Modells 463
explosionsartig 157 Vielstoffsystem 103
instantan 157 W
instantanplastisch 178 Waferbumping 36
plastisch 14, 157, 174, 179 Wafer-Level-Bauform 55
superplastisch 192 Wechselverformung 201
temperaturabhängig 173 Weertman-Modell 190
zeitabhängig 173 Werkstoffdaten 6, 16, 357, 386, 449, 462
Verformungsmechanismenkarte 158, 173 Werkstoffmodell 10, 16, 320, 370, 462,
Verformungsmechanismuskarte 15 468
Verformungsrategleichung 164, 166 Werkstoffwiderstand 143, 157
Verformungsverhalten 10 Wheatstone-Brücke 299
Begriff 12 Wiedererwärmung 112
elastisch 143 Wiedererwärmungsphase 112
plastisch 157 Wirtsgitter 85
transient 185 Wirtsgitteratome 86
zeitabhängig plastisch 179 Wöhler-Diagramm 263
Verformungswiderstand 14, 177 Wöhler-Kurve 251, 262, 264
Versagen 213
Versagenshypothese 223
Z
Zeitfestigkeitsbereich 264
Versetzung 75, 87, 160, 232 Zellwände 187
frei beweglich 165, 186, 210 Ziele von Werkstoffprüfverfahren 279
Geschwindigkeit 170 Zinn Blei
kletternd 168 E-Modul 360
Mobilität 166 Fließspannung 361
Versetzungsanordnungen 208 Kriechverhalten 369
Versetzungsbewegungsmechanismus Rissausbreitungsverhalten 379
intergranular 192 Zinn Silber
intragranular 189 E-Modul 388
Versetzungsdichte 76, 165, 166, 177, 186 Fließspannung 390
Versetzungsgeschwindigkeit Kriechverhalten 394
durchschnittlich 165 Zinn Silber Kupfer 418
Versetzungsgleiten 158, 171, 173 E-Modul 419
Versetzungskern 88, 160, 171 Fließspannung 422
Versetzungskinetik 164, 166 Kriechverhalten 425
Versetzungsklettern 158, 168, 171 Rissausbreitungsverhalten 445
Versetzungslinie 75, 167 Zugprüfmaschine 284
Versetzungsnetzwerk 75 Zustandsdiagramm 95
Versetzungsring 162, 190 Zuverlässigkeit 213
Versetzungsröhre 87 Zuverlässigkeitsarbeit 214
Versetzungsstruktur 192, 207 Zweiebenenleiterplatten 41
Versetzungsvervielfachung 177, 207 Zwillingsgrenze 91
Versetzungswälder 166 Zwischengitteratom 84
Versetzungswechselwirkung 187 Zwischengitteratome 75
Versetzungszelle 209 Zwischenträgerstruktur 58
Versetzungszellstruktur 76, 209 Zwischenverdrahtungsträger 55, 58
Versprödungen 218 Zyklische Entfestigung 205, 210
Versuch mit konstanter Dehnungsrate 179 Zyklische Relaxation 205
518 Sachverzeichnis

Zyklische Verfestigung 205


Zyklisches Kriechen 205
Zyklisches Risswachstum 253
Entlastungs- und Wiederbelastungs-
phase 259

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