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Die therapeutische Beziehung im Kontext negativer Resonanzerfahrung - Möglichkeiten

zur Regulation
Folgendes Szenario stellt im Kontext verschiedener psychotherapeutischer Situationen ein
häufiges, beinahe erwartbares Muster dar: Der Therapeut1 hat bestimmte Zielvorstellungen,
erarbeitet einen wunderbaren Plan, woran und wie gearbeitet werden soll und geht
erwartungsfroh in die Sitzung. So weit so gut - wäre da nur nicht der Klient, der einfach nicht
so reagieren will, wie er soll. Er lässt sich nicht auf die Therapie und ein konstruktives
Miteinander ein, wendet sich vom Therapeuten ab, kritisiert seine Interventionen, macht
nicht mit oder bleibt konsequent stumm. Der Therapeut ist enttäuscht, wird unsicher, weiß
nicht mehr weiter und reagiert womöglich seinerseits ablehnend oder ärgerlich auf sein
Gegenüber. Auch wenn dieses Bild sicherlich etwas überzeichnet ist, so beschreibt es
dennoch Momente, die in Teilen bzw. abgewandelten Formen den therapeutischen Alltag
prägen können. Trotz ihres Wissens um das Störungsbild ihrer Klienten und damit
einhergehende psychosoziale Einschränkungen haben auch Therapeuten bestimmte
(zumindest implizite) Erwartungen an Reaktionen. Und wo Erwartungen im Spiel sind, gibt es
bekanntlich stets die Gefahr, dass diese enttäuscht werden. Daraus resultierende Gedanken,
Gefühle und Verhaltensweisen können immer wieder eine Herausforderung in Hinblick auf
eine angemessene Gestaltung der therapeutischen Beziehung darstellen.
In diesem Artikel will ich mich mit der Frage beschäftigen, wie es Therapeuten gelingen
kann, trotz negativ wahrgenommener Resonanz im Kontakt mit ihren Klienten in einem
Zustand zu bleiben, der den Ansprüchen an eine angemessene Beziehungsgestaltung
gerecht wird. Dabei wird zunächst in kurzer Form definiert, was eine therapeutische
Beziehung ausmachen kann und welche Erwartungen an deren Gestaltung an Therapeuten
gerichtet werden. Es folgt eine Suche nach verschiedenen Lösungen, die dazu beitragen,
solchem Erleben zu begegnen, ohne zu sehr in bestimmte Denk-, Gefühls- und
Verhaltensmuster zu geraten, die der professionellen Beziehungsgestaltung schaden können.
Der Schwerpunkt liegt dabei im Bereich achtsamkeitsbasierter Methoden. Exemplarisch will
ich in diesem Kontext auch meine eigenen Erfahrungen in der musiktherapeutischen Arbeit
mit autistischen Jugendlichen an einer Berliner Förderschule einbringen.

1
Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Artikel das generische Maskulinum verwendet. Die
Personenbezeichnungen beziehen sich ausdrücklich auf alle Geschlechter.
Die therapeutische Beziehung (auch: “Arbeits- oder Behandlungsbündnis”, “therapeutische
Allianz” oder “hilfreiche Beziehung”2) gilt methoden- und schulenübergreifend als zentraler
Wirkfaktor in der Psychotherapie. Eine positiv gestaltete Beziehung zwischen Therapeut und
Klient stellt die Grundlage für einen Fortschritt und damit einen erfolgreichen Verlauf einer
Therapie dar.3 Therapeutische Beziehungen unterscheiden sich in wesentlichen Aspekten
von sogenannten Alltagsbeziehungen: So sind sie geprägt durch bestimmte institutionelle
Rahmenbedingungen (u.a. Ort, Zeit, Finanzielles), in denen sie sich ereignen und daraus
abgeleiteten Ungleichheiten in Bezug auf Erwartungen, Bedeutungen, Zuschreibungen und
vieles mehr. Es gibt eine Vielzahl von Abhandlungen, die sich mit der Frage beschäftigen, was
neben fachlicher Kompetenz und mit Hinblick auf die Beziehungsgestaltung zu den
wesentlichen Fähigkeiten eines Therapeuten gehört. Dabei ist beispielsweise die Rede von
einem “warmen, respektvollen, flexiblen, interessierten und offenen Beziehungsstil”.4
Weiterhin finden sich wiederholt Begriffe wie Empathie, Kongruenz, Akzeptanz oder
bedingungslose Wertschätzung.5Neben diesen Aspekten, die sich unter der Überschrift
“therapeutische Haltung” summieren lassen, wird immer wieder die Bedeutung von
Sicherheit in der Begegnung mit dem Klienten als Grundlage für therapeutische Prozesse
betont.6 Eben diese Sicherheit kann aus vielfältigen Gründen - wie dem Ausbleiben
erwarteter Reaktionen auf den Therapeuten und sein Handeln- im unmittelbaren Kontakt
jedoch schnell verloren gehen und dann kann dieser schnell in einen Modus geraten, in dem
es schwer wird, seine Haltung und damit die professionelle Beziehungsgestaltung
entsprechend zu bewahren.
Um ein solches Geschehen exemplarisch zu verdeutlichen, will ich nachfolgend meine
eigene Erfahrung aus meiner eigenen Arbeit an einer Berliner Schule mit Förderschwerpunkt
Autismus schildern. In der Regel kommen sechs bis acht Jungs im Alter zwischen 10 und 13
Jahren nacheinander für 30 bis 45 min in meinen Raum, in dem sich verschiedene
Musikinstrumente befinden. Die meisten von ihnen sprechen nur sehr wenig oder
wiederholen stereotyp verschiedene Sätze, wobei es auch einige Jungs gibt, mit denen ein
umfangreicherer verbaler Austausch möglich ist. Ein Junge geht beispielsweise immer in die

2
Senf 2012, S. 105.
3
Staats 2017, S.10.
4
Hick und Bien 2010, S.8.
5
Staats 2017, S.7.
6
Svitak 2021, S.8.
hintere Ecke des Raumes, in der zwei große Spiegel hängen und beschäftigt sich mit seinem
Spiegelbild, indem er sich intensiv betrachtet, bewegt, einzelne Sätze wiederholt ausspricht
oder kurze Melodien singt. Ein anderer setzt sich jedes Mal ans Keyboard und beginnt damit,
sich durch die vielen voreingestellten Rhythmen und Melodien zu klicken. In beiden Fällen
versuche ich entweder durch Ansprechen (die Jungs können den Erziehern zufolge Dinge
prinzipiell gut verstehen) oder mit Hilfe verschiedener Musikinstrumente in den Kontakt zu
treten und eine Bezogenheit bzw. Austausch (verbal oder musikalisch) herzustellen. So greife
ich beispielsweise einzelne melodische Phrasen des Jungen am Spiegel auf und spiele dazu
passende Harmonien oder Rhythmen. Ähnliches versuche ich mit der Musik, die der Junge
am Keyboard einstellt - per Trommeln, Bewegungen oder anderen Äußerungen, die sich
darauf beziehen. Allerdings kann ich weder bei dem einen noch dem anderen wirklich
erkennen, inwiefern ich wahrgenommen werde und es in diesem Sinne einen “Unterschied”
macht, ob ich da bin. Abgesehen von gelegentlichem kurzem Innehalten oder vereinzelten
Blicken gibt es keine Anzeichen dafür und andersherum signalisiert mir der Junge am
Keyboard immer wieder, dass ich aufhören soll mitzumachen (er guckt mich an und sagt laut
“Nein” oder drückt mich vom Keyboard weg). Ähnliches spielt sich auch im Kontakt mit
vielen anderen Jungs ab - ein mehr oder weniger ausgeprägtes Fehlen einer für mich
wahrnehmbaren Rückmeldung in Bezug auf meine Anwesenheit und mein Handeln. Diese
fehlende oder sogar “negative” Resonanz wirkt sich - obwohl ich weiß, dass dies im Kontext
von Autismus typische Verhaltensweisen sind und es wenig Sinn macht, sie direkt auf mich
zu beziehen - auf verschiedenen Ebenen immer wieder auf mein Erleben aus: so tauchen
Gedanken auf (wie z.B. “Was soll ich hier eigentlich”, “Ich bin hier fehl am Platz”, “Ich kann
doch eh nichts machen”), es gibt emotionale bzw. körperliche Empfindungen (z.B.
Anspannung, Stress oder Scham) sowie bestimmte Impulse mich zu verhalten (Passivität
“nichts tun”, einfach “irgendetwas” machen, das nichts mit meinem Gegenüber zu tun hat).
Ganz klar - es handelt es sich hier aufgrund des Störungsbildes in Bezug auf Bezogenheit und
die Erwartungen an Interaktion um eine besondere Situation. Gleichzeitig tauchen meiner
Erfahrung nach ähnliche Erlebensweisen auch im Kontakt mit anderen Klienten bzw.
Patienten auf. So habe ich beispielsweise im Zuge meines Praktikum immer wieder erlebt,
dass beinahe automatisch und trotz umfangreichen Wissens um innere und äußere
Rahmenbedingungen beschriebene Dinge bei mir auftreten, wenn meine (impliziten)
Erwartungen an Resonanz in Bezug auf mein Gegenüber ausbleiben. Und obwohl mir
bewusst ist, dass solche Erlebensweisen prinzipiell in jedem Kontakt dazugehören können,
verfalle ich doch immer wieder in einen Modus, der mit Hinblick auf die professionelle
Gestaltung der therapeutischen Beziehung problematisch sein kann. Es ist eine Form von
Stress, die mich wegführt von den eingangs beschriebenen therapeutischen
Grundhaltungen. An dieser Stelle sei kurz darauf hingewiesen, dass Stress nachgewiesen zu
einer Reduktion von Empathiewerten führt.7 Es geht hier nicht um die Tatsache, dass diese
Dinge “nicht sein dürfen” oder unterdrückt werden sollen. Vielmehr geht es darum, ihnen
nicht so viel Raum zu geben, dass sie sich negativ auf die Beziehungsgestaltung auswirken
und mich in einen Modus von Bedürftigkeit und Bestätigung durch den Klient werfen.
Im Folgenden will ich mich einigen Möglichkeiten und Schritten zuwenden, die dabei helfen
können, solchen wiederkehrenden Gedanken und Gefühlen zu begegnen. Grundsätzlich ist
es für Therapeuten wichtig, ein möglichst hohes Maß an Reflexion in Bezug auf sich selbst
und ihre Beziehungsmuster zu besitzen, also eigene Bedürfnisse, Wünsche, Verletzbarkeiten
oder Ängste zu kennen und damit angemessen umgehen zu können. Zudem ist die
Bereitschaft vonnöten, negative Gefühle sich selbst zuzuordnen, zu integrieren und die
Verantwortlichkeit ihrer Regulation nicht den Klienten zuzuschreiben.8 Auch eine
ausgeprägte Mentalisierungsfähigkeit, als das Bewusstwerden eigener und fremder innerer
Vorgänge, gehört zu den grundlegenden Dingen, die ein Therapeut mitbringen sollte.
Hilfreiche Methoden der intrapsychischen Regulation lassen sich unter anderem im Konzept
achtsamer Beziehungsgestaltung bzw. damit einhergehender Therapiemethoden wie der
sogenannten Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) finden.
Kirstin Neff schlägt im Zuge ihrer Forschung zum Selbstmitgefühl beispielsweise drei Schritte
vor, um Unsicherheiten und daraus resultierender Hilflosigkeit zu begegnen9: Der erste
Schritt besteht in einem Innehalten und Wahrnehmen dessen, was gerade geschieht. Hier
geht es darum, die eigenen Gefühle und Gedanken bewusst wahrzunehmen, z.B. indem man
sich selbst sagt "Ich werde gerade unsicher". Ein zweiter Schritt ist das Anerkennen,
Erlauben und Annehmen dieser Erfahrungen, sich also bewusst zu machen, dass Zweifel und
Unsicherheit Teil des therapeutischen Prozesses sind und man damit nicht alleine ist. Der
dritte Schritt besteht im Anbieten von Mitgefühl mit dem Ziel, sich selbst verständnisvoll zu

7
Hick und Bien 2010, S.236.
8
Klinkenstein 2023.
9
Svitak 2021, S.56ff.
begegnen und festzuhalten, dass diese Gefühle nicht die eigene “Schuld” oder das eigene
“Versagen” sind. Stattdessen soll man versuchen, mit Geduld und Besonnenheit zu reagieren
und sich selbst Mitgefühl schenken. Auch wenn diese Schritte im Kontext genannter
Situationen aufgrund von automatisch bzw. implizit auftretenden Erlebensmustern, die sich
nicht so einfach kontrollieren lassen, nicht einfach umzusetzen sind, so können sie dennoch
durch wiederholtes Praktizieren und Üben ein Stück weit verinnerlicht werden. In meiner
eigenen Arbeit könnte ich so den beschriebenen Gefühlen der Hilflosigkeit besser begegnen
und nicht in negative Bewertungsmuster in Bezug auf mich selbst und die Situation verfallen.
Eine weitere aus der ACT entlehnte Methode ist die sogenannte “Defusion”10. Darunter wird
die Fähigkeit verstanden, Gedanken als Gedanken von außen wahrzunehmen und die
ursprünglich regulatorischen Funktionen der Gedanken zu ändern. Es geht hier nicht um den
Inhalt der Gedanken, sondern vielmehr um die Beziehung zu den Gedanken und die Art und
Weise, wie sie sich auf unser Verhalten auswirken. Ähnliche Ideen der “Ent-Identifizierung”
der subjektiven Sicht finden sich auch in Konzepten der Achtsamkeit.11
Als weitere Technik, die im Gegensatz dazu auf die Inhalte der Gedanken und die damit
einhergehenden Gefühle abzielt, lässt sich das sogenannte Reframing anführen. Diese
Methode, die in verschiedenen Therapieverfahren als Technik für Klienten zum Einsatz
kommt, kann auch für die unmittelbare intrapsychische Regulation auf Seite des
Therapeuten hilfreich sein. Dabei wird ein bestimmter Sachverhalt oder eine Situation aus
einer neuen Perspektive betrachtet und in einen anderen Zusammenhang gestellt12. Somit
wird der Spielraum für mögliche Bewertungen, Zuschreibungen und Bedeutungen
vergrößert. In meinem Beispiel könnte dies beispielsweise bedeuten, dass ich das
Interaktionsverhalten der Jungs eben nicht als etwas “Defizitäres” betrachte, sondern als
ihre eigene Form bzw. Ressource, sich mit sich selbst und mit mir aufzuhalten.
Abschließend will ich auf den Aspekt der “therapeutischen Präsenz” eingehen. Darunter
wird weniger eine bestimmte Kompetenz als eine Art der Beziehungsqualität verstanden,
wobei es vielmehr um den Zustand des “Seins” geht als des “Tuns” und um die “Qualität des
Selbst” des Therapeuten13. Das mag zunächst etwas abstrakt klingen, jedoch geht es im
Wesentlichen darum, den Fokus auf das Erleben im aktuellen Moment zu richten mit allem,

10
Svitak 2021, S.60.
11
Hick und Bien 2010, S.235.
12
Senf 2013, S.101.
13
Hick und Bien 2010, S.252.
was dazugehört. Der oftmals automatische Modus der Zielerreichung und der quasi
natürliche Drang nach Fortschritt, der im beschriebenen Kontext als häufige Ursache für
negative Gefühle gesehen werden kann, wird hier möglichst verlassen und die
Aufmerksamkeit richtet sich auf alles, was im “Hier und Jetzt” auftaucht.
Diese und weitere Methoden intrapsychischer Regulation und achtsamer
Beziehungsgestaltung lassen sich auf vielfältige Weise üben und schrittweise verinnerlichen.
Dies kann auf der einen Seite mit Hilfe regelmäßiger, gezielter Übungen erfolgen (u.a.
verschiedene Meditationsformen mit Fokus auf Wahrnehmung). Ebenso können
verschiedene Techniken unmittelbar im Alltag oder im Therapiesetting - ggf. auch
gemeinsam mit den Klienten - angewendet werden. Grundsätzlich geht es immer wieder
darum, den “Autopiloten” in Bezug auf das eigene Erleben und die Bewertung des
interpersonellen Geschehens zu verlassen.
Die beschriebenen Punkte stellen mit Sicherheit nur einen kleinen, wenn auch wesentlichen
Teil der Möglichkeiten intrapsychischer Regulation dar. Auf ihrer Grundlage können eine
professionelle Beziehungsgestaltung und eine konstruktive therapeutische Arbeit erfolgen.
Es ist anzumerken, dass im Kontakt mit Klienten in den meisten Fällen auch eine
interpersonelle Regulation erfolgt bzw. erfolgen sollte. Das heißt: in Handlung kommen, in
einen Austausch kommen, sofern möglich das Thematisieren dessen, was gerade im Kontakt
wahrgenommen wird. Oder - und das ist das Wunderbare in der Musiktherapie - die Musik
sprechen lassen. Einen gemeinsamen musikalischen Raum erzeugen, in dem sich auf eine
mehr oder weniger intensive Weise des Miteinanders eigentlich immer eine Regulation oben
beschriebener Dinge vollzieht. Es ist also für Musiktherapeuten in jedem Fall ratsam, ein
möglichst umfangreiches und gut strukturiertes Repertoire an Methoden bzw.
Interventionen parat zu haben, auf das auch in Momenten der Unsicherheit zurückgegriffen
werden kann.

Verwendete Literatur
● Hick , S., & Bien, T. (2010). Achtsamkeit in der therapeutischen Beziehung.
Arbor-Verlag.
● Klinkenstein, A. (2023). Thesen zur Beziehungsarbeit.
● Senf, W. (2013). Techniken der Psychotherapie : Ein methodenübergreifendes
Kompendium. Thieme Verlag.
● Senf, W. (2012). Therapeutische Beziehung. Thieme Verlag.
● Staats, H. (2017). Die therapeutische Beziehung - Spielarten und verwandte Konzepte.
Vandenhoeck und Ruprecht.
● Svitak, S. (2021). Die therapeutische Haltung in ACT - Achtsamkeit in der
therapeutischen Beziehung. Springer.

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