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Utilitarismus – Nützlich oder nützt nichts?

Von Tai Trong Nguyen

Um es genauer auszudrücken, werde ich mich im Folgenden mit der Frage beschäftigen, ob der
Utilitarismus denn nun eine gerechtere Gesellschaft schaffen kann. Die kleine Ungenauigkeit bei
der Formulierung der Überschrift resultiert aus gewissen literarischen Regeln beim essayistischen
Schreiben, die unter anderem besagen, dass mit einer provokativen und kreativen Überschrift die
Aufmerksamkeit des Lesers gewonnen werden kann. Ob es dem Autor hier auch tatsächlich
gelungen ist, bleibt dem Rezipienten des Textes überlassen.
Der Utilitarismus hingegen ist keine Regel zur Verfassung von Texten. Er bezeichnet mit diesem
Begriff eine Moralphilosophie, also eine Lehre, die Menschen Ratschläge zu moralisch richtigem
Handeln gibt. Unter „Moral“ kann man sich in diesem Zusammenhang die Gesamtheit aller
sittlichen Verpflichtungen vorstellen, die Menschen sich selbst, anderen Menschen (der Gegenwart
und auch der Zukunft) und der Natur gegenüber haben.
Fragt man einen Utilitaristen , ob eine Handlung nun als „moralisch gut“ beziehungsweise
„moralisch schlecht“ zu bewerten sei, spielen die Folgen für ihn überhaupt keine Rolle, um sich ein
Urteil zu bilden. Nur die voraussehbaren und wahrscheinlichen Folgen werden vom Utilitaristen in
seinen Kalkulationen miteinbezogen. Die hier besprochene Philosophie ist also eine teleologische
Ethik, sie folgt nur ihrem Ziel und ist nicht unbedingt auf Erfolge ausgerichtet.
Bei der Einhaltung und Ausübung der für ihn sittlichen Verpflichtungen folgt auch der Utilitarist
einem Grundprinzip: Das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl an Menschen soll
erreicht werden. Wichtig ist hierbei, dass nicht die Mehrheit der betroffenen Menschen mit einer
Handlung begünstigt wird, sondern wirklich alle direkt und indirekt Beteiligten so glücklich wie
möglich werden.
Der englische Philosoph und angeblich erste Utilitarist Jeremy Bentham hatte einen Weg
beschrieben, um beurteilen zu können, ob eine Handlung den Anforderungen dieser Ethik
entspricht. Dazu sollen nämlich voraussichtliche Vorteile und Nachteile der durch die Handlung
Betroffenen gegeneinander abgewägt werden. Dies geschieht zunächst für jede Person einzeln, um
anschließend eine positive oder negative Tendenz der Handlung festzustellen. Wiederholt wird der
Vorgang dann auch bei allen anderen Betroffenen. Auf jeden Fall zu erwähnen ist hierbei, dass der
Utilitarist alle Menschen objektiv betrachtet und sie als gleich wertvoll, bezüglich ihrer Fähigkeit
„Freude“ und „Leid“ zu empfinden,ansieht. Man könnte auch sagen, dass die Menschenwürde vom
Utilitaristen anerkannt wird. Darum wird auch niemand bei den Betrachtungen des Utilitaristen als
wichtiger erachtet, nicht einmal er selbst. Wenn es dem Allgemeinwohl dienen würde, dann würde
er demnach auch Nachteile für sich selbst in Kauf nehmen, im Extremfall sogar sein eigenes Leben
lassen. Zuletzt kann man eine allgemeine Tendenz erkennen, aus der der Utilitarist schließlich eine
Bilanz zieht, um die Handlung zu beurteilen.
Weiterhin bietet der Utilitarismus zwei Formen, um sich auf längere Zeit moralisch richtig zu
verhalten. Der Handlungsutilitarismus verlangt, dass vor jeder Entscheidung die Folgen derer neu
bedacht werden sollen, da jede Situation einzigartig ist und die Handlung dementsprechend
angepasst sein sollte. Vorteilhaft wäre hierbei, dass keine falschen Verallgemeinerungen getroffen
werden, allerdings ist dies auch in höherem Maße sowohl zeit- als auch arbeitsintensiv, da jedes mal
neu zu entscheiden ist. Auf der anderen Seite kann man sich auch des Regelutilitarismus bedienen.
Auf diesem Weg kann man, die Bezeichnung lässt es schon vermuten, Regeln, die sich schon in
ähnlichen Situationen wie der aktuellen bewährt haben, anwenden.
Nun, da hoffentlich die grundsätzlichen Fragen zum Inhalt des Utilitarismus geklärt worden sind,
wäre es an der Zeit, sich mit dem eigentlichen Problem auseinander zusetzen: Kann man mithilfe
des Utilitarismus überhaupt eine gerechtere Gesellschaft schaffen?
Doch dazu müsste wieder einmal zuerst ein Begriff geklärt werden, bevor mit der näheren
Befassung mit der Problemstellung fortgesetzt werden kann: Was also verstehen wir unter dem Wort
„Gerechtigkeit“? Nehmen wir zur Klärung des Begriffes ein einfaches Beispiel aus Kindertagen.
Eine Gruppe, bestehend aus drei Kindern, hat sich zusammengetan, um am Halloweenfest mehr
Süßigkeiten zu sammeln. Am Ende ihres Beutezugs sollen die gesammelten Karies und
Zuckerschock verursachenden Güter GERECHT unter den beteiligten Kindern aufgeteilt werden.
Vermuten wir zunächst, es wäre gerecht, wenn jedes dieser Kinder die gleiche Menge Süßwaren
erhalten würde. Nun könnte aber eines dieser Kinder (Kind 1) Anspruch auf mehr Süßigkeiten
erheben, da es dasjenige Kind war, das die Sammelaktion geplant und Nachbarn mit dem zumal
lästigen 2Süßes sonst gibt’s Saures“-Spruch belästigt hatte, wobei die anderen beiden Kinder nur
neben ihm, quasi nur als Dekoration da standen und nichts weiter zur Erhöhung der Zuckererträge
beitrugen. Kind 1 hatte unter diesen Umständen mehr geleistet als die anderen. Kind 2 ist sich
unsicher, ob es etwas von seinem Anteil abgeben sollte, aber Kind 3 besteht darauf, dass alle gleich
viel erhalten, da es nicht weniger als geplant bekommen möchte.
In beiden Möglichkeiten der Verteilung können wir eine gewisse Gerechtigkeit erkennen. Im ersten
Fall wurden alle mit der gleichen Menge ausgestattet, niemand wurde also vernachlässigt oder
bevorzugt. Im zweiten Fall aber würde jeder entsprechend seiner selbst erbrachten Leistung belohnt
werden. Welches von beiden nun gerechter ist, liegt im Auge des Betrachters, „Gerechtigkeit“ ist
meines Erachtens daher relativ subjektiv zu betrachten. Fragen wir also einen Utilitaristen, wie er
das Problem lösen würde. Besetzen wir nun Kind 2 mit dieser ehrenvollen Aufgabe. Wäre es mit
Möglichkeit 1 „gleiche Menge für alle“ einverstanden, dann wären in erster Hinsicht Kind 3
überglücklich, Kind 1 äußerst traurig und Kind 2 könnte den Groll von Kind 1 auf sich ziehen.
Etwas später könnte dann auch Kind 3 ein schlechtes Gewissen bekommen, da es ihre Freundschaft
mit seiner Forderung ins Schwanken gebracht hat. Kind 2 stellt also eine ziemlich negative Tendenz
fest. Auch in dem Fall, dass Kind 1 entsprechend seiner Leistung belohnt worden wäre, hätte das
utilitaristisch denkende Kind 2 dieselbe Tendenz festgestellt. Nach einer Vielzahl an Maßnahmen,
die zu kompliziert sind, um sie an dieser Stelle zu erklären, hat Kind 2 eine Lösung gefunden, die
für alle Beteiligten das größtmögliche Glück unter Beachtung der voraussehbaren Folgen mit sich
bringen sollte. Kind 3 soll seinen versprochenen Anteil erhalten. Kind 2 verzichtet hingegen auf
eine handvoll Süßigkeiten und gibt sie an Kind 1. So hat Kind 2 zwar weniger Süßigkeiten (in erster
Hinsicht ein Nachteil für ihn), aber die Freundschaft bleibt weiterhin auf längere Zeit bestehen und
Kind 1 und 3 sind auch zufrieden, da sie den gewünschten Anteil erhielten und zumindest zu diesem
Thema bleibt ihnen kein Streitstoff mehr. Man könnte sich an dieser Stelle fragen, ob diese
Entscheidung denn nicht ungerecht wäre, da Kind 2 sich dem Willen der anderen beiden
unterordnete.
Suchen wir uns nun ein weiteres Beispiel aus. Ich schlage vor, dass wir diesmal ein moralisch
komplizierteres Problem aufgreifen (zugegeben, der nachfolgende Fall wirkt ein wenig sehr weit
.her geholt,aber so sind einige Extremfälle nun mal). Stellen wir uns einen hochbegabten
Programmierer vor, der leider eine allzu starke Sympathie zum Glücksspiel hegt und pflegt. Aber
aufgrund seines mittelmäßigen Gehalts und seines Pechs beim Wetten verschuldet er sich sehr
schnell äußerst hoch und ist somit gezwungen, sich Geld zu leihen. Um aber 50000 Euro als Kredit
zu erhalten, muss er sich mit einem Geldverleih aus den dunkleren Ecken der Stadt in Verbindung
setzen, eine normale Bank, geschweige denn Freunde oder Verwandte, würden dem Programmierer
das Geld nicht leihen. Nach einigen Monaten verlangt das Kredithaus aus eigener Geldnot heraus
die sofortige Rückzahlung des verliehenen Betrags zuzüglich der aufkommenden Zinsen, sodass der
endgültige zu zahlende Betrag 500000 Euro ist. Wir vermuten, der Programmierer hatte zu der Zeit
keine andere Wahl gehabt als den hohen Zinssatz zu akzeptieren. Die schlechten Gewohnheiten
immer noch nicht abgelegt, kann unser Problemkind den Forderungen so natürlich nicht nachgehen,
aber dafür bot er dem Kredithausbesitzer folgendes an: Er könnte sich seiner
Programmierfähigkeiten bedienen, um eine spezielle Software zu schreiben. Der Schuldeneintreiber
sieht hier die Chance für ihn selbst, die Programmierung eines höchst komplexen Computervirus zu
verlangen, der auf dem Schwarzmarkt mit Leichtigkeit Preise in Milliardenhöhe erzielen könnte.
Falls der Programmierer .nicht hierauf eingeht und auch nicht bezahlen kann, bleiben ihm nur noch
unmenschlichste Erniedrigung und Schmach an Orten, die wir uns lieber nicht vorstellen möchten.
Stellen wir uns jetzt in der Position unseres Programmierers die Frage an uns selbst: Sollen ich den
Virus anfertigen?
Natürlich werden wir mit dem Benthamschen Kalkül, so wird der anfangs beschriebene Vorgang
zur moralischen Bewertung nämlich genannt, verfahren. Schauen wir uns also die Folgen in erster
Hinsicht an, angenommen der Virus wurde wirklich programmiert und an den Kredithausbesitzer
weitergegeben: Der Programmierer ist vollkommen schuldenfrei, der Kreditgeber darf sich an dem
Besitz einer nagelneuen Software erfreuen. Happy End, alle scheinen glücklich zu sein...aber
Moment, die Geschichte geht noch weiter. Ein Utilitarist muss auch die wahrscheinlichen Folgen in
zweiter Hinsicht und eventuell noch weiter gehende Folgen beachten. Unser Kreditgeber nutzt seine
seine Kontakte zur Unterwelt und kann die CD mit dem Virusprogramm wie vermutet für eine
ziemlich hohe Summe verkaufen. Diese Fraktionen haben ihr größtmögliches Ziel erreicht. Hurra!
Aber nun wird es dem Rest der Menschheit schlecht gehen, genauer gesagt jedem Nutzer eines PCs
wird es schlecht gehen, da der Virus unseres genialen Programmierers nicht bekämpft werden kann.
Utilitaristisch gesehen resultiert aus der Erstellung eines Virusprogramms eine für die Großzahl der
Menschen negative Tendenz, sodass unser Programmierer die Bilanz ziehen kann, dass der Virus
keine utilitaristisch-moralisch vertretbare Lösung des Problems ist. Nun ja, unter den gegebenen
Umständen bleiben unserem Programmierer alles andere als rosige Aussichten, zumal er es sich mit
der modernen Unterwelt verscherzt hat, dennoch hat er für das Allgemeinwohl gehandelt, da er
keinen Computervirus erstellte. Die Optimisten unter uns können unseren Programmierer den
Geldbetrag noch im Lotto gewinnen lassen, damit es auch für ihn ein Happy End gibt.
In beiden angeführten Beispielen ist es letztendlich so ausgegangen, dass der Utilitarist sich, um das
größtmögliche Glück aller anderen zu ermöglichen beziehungsweise zu wahren. Böse, anti-
utilitaristische Zungen behaupten nun, beim Utilitarismus werde die Minderheit zum Wohle der
Mehrheit vollkommen unterdrückt. Im ersten Beispiel trifft diese Behauptung nicht vollkommen zu:
Das Kind 2 musste zwar einen Teil seiner Beute abgeben, gedient hat es aber dem höherem Zweck
der Erhaltung der Freundschaft, was unter den gegebenen Bedingungen das größtmögliche Glück
für ihn darstellt und dabei auch die anderen beiden Kinder in dem größtmöglichen Maß mit dem
Glücksgefühl zu erfüllen. Im zweiten, etwas abenteuerlicheren Beispiel kann man am Utilitarismus
kritisieren, dass sogar Menschenleben (das Leben des Programmierers) zum Wohl der anderen
geopfert werden. Natürlich lässt diese Betrachtungsweise unmenschliche und unmoralische Züge
am Utilitarismus erkennen, die Menschenwürde wird also in gewisser Weise angegriffen, obwohl
sie wie anfangs erwähnt anerkannt wird.
[Anm. d. Autors: Aus Zeitgründen folgt das Fazit ein wenig abrupt..., da die Überleitung fehlt...]
Abschließend würde ich persönlich sagen, dass der Utilitarismus nur teilweise eine gerechtere
Gesellschaft schaffen kann. In kleineren Problemstellungen wie etwa Beispiel 1 oder auch mittleren
Problemfragen kann man utilitaristisch Lösungen finden. Bei einigen moralisch schwierigeren
Fällen, vor allem wenn sie Menschenleben, -würde usw. betreffen, hege ich noch gewisse Zweifel
bezüglich des Grades an „Gerechtigkeit“.

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