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Flugzeugabsturz in Russland : Milizenführer Prigoschin getötet

 Von Friedrich Schmidt

 -Aktualisiert am 23.08.2023-22:56

Am Mittwochabend verdichteten sich in Russland Berichte, denen zufolge Jewgenij Prigoschin bei einem Flugzeugabsturz ums
Leben gekommen ist. Jener Milizenführer, der es vor genau zwei Monaten wagte, den russischen Präsidenten direkt herauszufordern,
als er den Aufstand gegen die Militärführung und letztlich Wladimir Putin selbst probte. Gegen 19:20 Uhr Ortszeit hieß es in
Telegram-Kanälen, ein Militärflugzeug sei im Twerer Gebiet abgestürzt. Um kurz vor 20 Uhr teilte der Katastrophenschutz mit, dass
ein Privatflugzeug vom Typ Embraer Legacy im Gebiet Twer abgestürzt sei, nahe einem Dorf namens Kuschenkino. Alle zehn
Menschen an Bord seien umgekommen, sieben Passagiere und drei Besatzungsmitglieder. Die Maschine sei von Moskau nach Sankt
Petersburg unterwegs gewesen, Prigoschins Wohnort. Gleich darauf teilte die Luftverkehrsaufsichtsbehörde Rosawiazija mit, auf der
Passagierliste werde der Name Prigoschins geführt.

In Telegram-Kanälen hieß es, das Flugzeug mit der Registrierungsnummer RA-02795 habe Prigoschin gehört. Ein Telegram-Kanal
mit Verbindungen in die Sicherheitskräfte schrieb, an Bord sei womöglich auch Dmitrij Utkin gewesen, jener Kommandeur mit
Vorliebe für NS-Symbolik, dessen Kampfname der Wagner-Miliz den Namen gab und der angeblich am Tag des Aufstands im Juni
die Kolonne von Prigoschins Kämpfern anführte, die nach Moskau unterwegs war. Ob das stimmte, war zunächst unklar. Doch bald
berichtete das Petersburger Medium „Fontanka“ sowie die gut vernetzte Journalistin Xenija Sobtschak, Prigoschin und Kommandeure
der Wagner-Miliz seien an Bord gewesen. Ein Vertreter der Besatzer des südukrainischen, im vergangenen Herbst von Putin
annektierten Gebiets Saporischschja teilte mit, er habe mit Milizionären gesprochen, die den Tod Prigoschins und Utkins bestätigt
hätten. Staatsnachrichtenagenturen schrieben zunächst nur, dass an der Absturzstelle sieben respektive acht Leichname entdeckt
worden seien. Um 23 Uhr Moskauer Zeit veröffentlichte Rosawiazija auf Telegram eine Liste mit Namen von Besatzung und
Passagieren, die „an Bord“ des Flugzeugs gewesen seien. Darauf stehen die Namen Prigoschins sowie Utkins.

Rasch machten Videos vom Geschehen die Runde durch russische Telegram-Kanäle. Frauen filmten das fallende Flugzeug unter
Flüchen, eine von ihnen hielt es für eine abgefangene Drohne. Die Bilder zeugen von einem völligen Kontrollverlust an Bord;
Flügelteile und das Heck der Maschine scheinen zu fehlen. Dazu passten Bilder von einem Flugzeugheck, die später verbreitet
wurden; es wurde offenbar mehrere Kilometer vom übrigen Wrack gefunden. Andere Bilder vom Boden zeigen die brennenden Reste
des Flugzeugs. Weitere zeigen Trümmer, zwischen denen zwei menschliche Leichname liegen. Der Wagner zugerechnete
Telegram-Kanal „Grey Zone“ schrieb, das Flugzeug sei von der Flugabwehr abgeschossen worden. Zeugen hätten zwei
Knallgeräusche gehört. Um 18:20 Uhr hätten Fluglotsen ergebnislos versucht, sich mit der Besatzung in Verbindung zu setzen. Das
wurde offiziell nicht bestätigt. Aus Justizkreisen hieß es, „alle Versionen“ würden geprüft, einschließlich Pilotenfehlern, technische
Mängel und äußere Einwirkung.

„Grey Zone“ und andere hoben hervor, dass genau vor zwei Monaten, am Abend des 23. Juni, Prigoschin seinen „Marsch der
Gerechtigkeit“ verkündet hatte, der zum Aufstand wurde. Die Wagner-Leute hatten mehrere Kampfhubschrauber und ein Flugzeug
abgeschossen, Putin hatte der Getöteten im Kreml gedacht. Bald aber konnte es den Anschein erwecken, als hätte es den Aufstand nie
gegeben. Der 62 Jahre alte Prigoschin wurde entgegen einer Abmachung mit dem Kreml, die ihn nach Belarus wies, während Putins
Afrika-Gipfel im Juli in Petersburg gefilmt. Wagners Aktivitäten in Afrika erschienen als Mittel, Prigoschin ein Terrain fern der
Heimat zu überlassen, auf dem er seinen Ehrgeiz ausleben könne und nicht mit dem Verteidigungsministerium in Konflikt kommen
würde. Erst am am vergangenen Montag hatte sich Prigoschin mit einer kurzen Videobotschaft zurückgemeldet, angeblich aus „einem
afrikanischen Land“. Den Zeitpunkt hatte Prigoschin, der bewaffnet und in Tarnkleidung vor Männern auf Pick-ups in einer sandigen
Ebene auftrat, gewiss bewusst gewählt, kurz vor dem BRICS-Gipfel in Südafrika.

„Grey Zone“ schrieb am Mittwochabend, ein zweites Embraer-Flugzeug mit der Nummer RA-02748, das Prigoschin gehöre, sei nach
dem „Abschuss“ zunächst über Moskau gekreist und dann auf einem Flughafen nahe der Hauptstadt gelandet. Der Journalist Andrej
Sacharow, der viel zu Prigoschin recherchiert hat – was gefährlich war – schrieb, Prigoschin sei am Mittwoch tatsächlich „aus Afrika
nach Russland“ abgeflogen. „Wenn er in dem anderen Flugzeug war, wird das ein Wunder.“ Sacharows Kollegen des Projekts
„Agenstwo“ schrieben, Prigoschin sei mit Iljuschin-Maschinen aus Mali über Damaskus nach Moskau geflogen und erst dort in sein
Privatflugzeug gestiegen.

Nach dem Aufstand hatten viele Beobachter die Ansicht geäußert, das Geschehen habe das Bild der Stärke des 70 Jahre alten Putin
erschüttert und einen Kontrollverlust offenbart, der für den Präsidenten bedrohlich sein könnte. Erste Reaktionen spiegelten dies.
Margarita Simonjan, als Chefin des Staatssender RT eine von Putins wichtigsten Stimmen, schrieb auf Telegram, eine „Inszenierung“
sei eine der „Versionen“. „Aber persönlich neige ich zum Offensichtlicheren.“ Simonjan ging nicht ins Detail. Doch Xenija
Sobtschak schrieb von einem „absolut klaren Signal an alle Eliten“, und zwar, „an alle, die irgendwelche aufrührerischen Gedanken
gehabt hat, sowohl zum Gang der SWO (dem Angriffskrieg gegen die Ukraine, d.Red.), als auch insgesamt“. Mychajlo Podoljak, ein
Berater des ukrainischen Präsidialamtes, äußerte, in dem Moment, in dem Prigoschin im Juni den Marsch seiner Miliz „200
Kilometer vor Moskau“ gestoppt habe, habe er „sein Todesurteil unterschrieben“. Die „demonstrative Entfernung Prigoschins“ sei
nun sein Signal an Russlands Eliten und ein Zeichen von Putins Misstrauen und Nervosität.

Das exilrussische Newsportal „Medusa“ zitierte eine Quelle im Umfeld von Putins Präsidialverwaltung mit der Aussage, der Absturz
des Flugzeugs von Prigoschin sei „nicht sehr überraschend“ gekommen. Nach dem Aufstand habe man „das Gefühl gehabt, dass er
schlecht enden wird, so etwas wird nicht verziehen“. Putin habe Prigoschin nicht mehr für einen „zuverlässigen und kontrollierbaren
Menschen“ gehalten. Zwei weitere Quellen aus dem Kreml-Umfeld sagten „Medusa“, Prigoschin habe seine Geschäfte in Russland,
wo seine Unternehmen unter anderem Schulen und Kindergärten mit Essen beliefern, nach dem Aufstand einfach fortgeführt und
unverständlicherweise „keine Schlüsse gezogen“, obwohl er doch „in Afrika“ sehr engagiert gewesen sei. Freilich bezeichneten die
Gesprächspartner Prigoschin als „Trickster“ und „Troll“, der über Informanten in vielen Bereichen verfüge, und wollten
infolgedessen nicht ausschließen, dass Prigoschin doch noch am Leben sei.

„Grey Zone“ sah das anders. „Der Mord an Prigoschin wird katastrophale Folgen haben“, schrieb der Kanal später am Abend. „Die
Leute, die den Befehl dazu gegeben haben, verstehen überhaupt nicht die Stimmung und den moralischen Geist in der Armee.“
Prigoschin hatte im Dauerringen mit dem Verteidigungsministerium über Monate eine Unfähigkeit der militärischen Führung beklagt
und sich zur Stimme der Unzufriedenen aufgeschwungen, ohne dass Putin eingegriffen hätte. „Grey Zone“ verbreitete nun ein Bild
Prigoschins und schrieb dazu, der „Held Russlands“ und „echte Patriot seiner Heimat“ sei „als Ergebnis der Handlungen von
Verrätern an Russland umgekommen“. Etwas später folgte ein Foto Utkins, das 2016 bei einem Empfang im Kreml entstand. Auch er
sei „als Ergebnis der Handlungen von Verrätern an Russland umgekommen“, schrieb „Grey Zone“.

Während die Nachrichten vom Absturz die Runde machten, zeichnete Putin während einer Gedenkveranstaltung an die
Panzerschlacht am Kursker Bogen vor 80 Jahren Soldaten, die sich in der Ukraine aus seiner Sicht besonders bewährt haben, mit dem
Orden „Held Russlands“. Also dem Orden, den auch Prigoschin und Utkin getragen hatten.

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