Sie sind auf Seite 1von 20

Arabische Literatur und Rhetorik

Elfhundert bis Achtzehnhundert |9

Ines Weinrich (Ed.)

In Praise of the Prophet


Forms of Piety as Reflected in Arabic Literature

https://doi.org/10.5771/9783956509469
Generiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster, am 07.07.2022, 15:48:08.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Cover illustration:
Drawing of the Prophet’s Sandal.
From: Aḥmad ibn Muḥammad ibn Abī Bakr al-Fāriqī al-Qādirī,
Juzʾ fī ṣifat timthāl naʿl an-nabī, National Library of Israel, Yahuda Collection,
MS 535 (dated 1037/1628). Courtesy of the National Library of Israel.

The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the


Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data
are available on the Internet at http://dnb.d-nb.de.

© Ergon – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2022


This work is subject to copyright. All rights reserved. No part of this publication
may be reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical,
including photocopying, recording, or by any information storage or retrieval system,
without prior permission in writing from the publishers.
Overall responsibility for manufacturing (printing and production)
lies with Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG.
Printed on age-resistant paper
Cover design: Jan von Hugo
Typesetting: Thomas Breier

www.ergon-verlag.de

ISBN 978-3-95650-945-2 (Print)


ISBN 978-3-95650-946-9 (ePDF)
ISSN 2365-8878

https://doi.org/10.5771/9783956509469
Generiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster, am 07.07.2022, 15:48:08.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Māmayh im Prophetenmantel:
Ornat, Saum und Zipfel der Burdah im Taḫmīs
Alev Masarwa

In der Geschichte der arabischen Literatur hat kaum ein anderes Gedicht so viele
kreative Energien freigesetzt wie die Burdah al-Būṣīrīs.1 Als Modelltext für ausladen-
des Prophetenlob entwickelte sich aus ihrem Formbestand und ihrer ‚poetischen
Materie‘ eines der anspruchsvollsten Genres der arabischen Literatur, die badīʿiyyah
(rhetorisch-ästhetische Emulationen des Prophetenlobs nach einem Figurenkatalog
in Versform, dem formalem Schema der Burdah folgend). Ferner wurde die Burdah
zum Gegenstand von zahlreichen Adaptationen und Transformationen in literari-
schen wie in außerliterarischen Formen. Dies schlug sich z.B. nieder in Kommen-
tarwerken mit unterschiedlichen Schwerpunkten – erste waren bereits zu Lebzeiten
des Autors verfasst –, Nachahmungen (muʿāraḍāt, Sg. muʿāraḍah), Amplifikationen
und Übersetzungen in zahlreiche Sprachen.2 Die Burdah, oder auch Auszüge aus ihr,
fand als Gebrauchstext Eingang in musikalische Kompositionen, in mawlid-Texte
und -Zeremonien, sufische Traktate und ḏikr-Rituale.
Die anhaltende und in ihren Grenzen kaum einfassbare Popularität in der gesam-
ten islamischen Welt verdankt die Burdah aber neben ihrer ästhetischen Ausgestal-
tung nicht minder auch der mit ihr nachträglich verbundenen mythopoetischen
Textgenese. Sie trägt enge Parallelelen mit der Rahmenerzählung zum ersten als
Mantelgedicht bekannten Bānat Suʿād des Kaʿb ibn Zuhayr, mit dem der Dichter

1 Zu al-Būṣīrī, mit vollem Namen: Šarafaddīn Abū ʿAbdallāh Muḥammad ibn Saʿīd ibn
Ḥammād ibn Muḥsin ibn ʿAbdallāh aṣ-Ṣanhāǧī al-Būṣīrī (608/1212–694–97/1294–97) siehe
Muḥammad ibn Šākir al-Kutubī, Fawāt al-wafayāt, hg. Iḥsān ʿAbbās, Beirut o.J., 3:362–369; aṣ-
Ṣafadī, al-Wāfī bi-l-wafayāt, hg. Sven Dedering, Beirut 2008, 3:105–113; GAL 1:264–267; GAL
S 1:467–472; Susanne Pinckney Stetkevych, The Mantle Odes, Bloomington 2010, Kapitel II;
Stefan Sperl, „The Burda in Praise of the Prophet Muḥammad“, in: ders. & Christopher Shack-
le (Hgg.), Qasida Poetry in Islamic Asia & Africa, 2 Bde., Leiden 1996, 2:470–481; Terri De
Young „Sharaf al-Din Abū ʿAbd Allāh Muḥammad ibn Saʿīd al­Būṣīrī“, in: Dies. & Mary St.
Germain (Hgg.), Essays in Arabic Literary Biography: 925–1350, Wiesbaden 2011, 54–59; Ines
Weinrich, „Between Poem and Ritual: The Burda by al-Būṣīrī (d. 1294–1297)“, in: Dies. (Hg.),
Performing Religion. Actors, Contexts, and Texts. Case Studies on Islam, Beirut u.a. 2016, 103–126;
Emil Homerin, „al-Būṣīrī“, in: EI3. Das Gedicht trägt den Titel: Qaṣīdat al-Kawākib al-
durriyyah fī madḥ ḫayr al-bariyyah, ist aber ebenso bekannt als al-Mīmiyyah (für den Reimbuch-
staben), Qaṣīdat al-Burdah (Mantelgedicht) oder Qaṣīdat al-Burʾah (für die heilspendende Kraft
des Gedichts).
2 Die Zahl solcher Werke bemisst Ismail Hakk Sezer in seiner Studie İmam Bûsîrî ve Bürde’si
(Konya 1980) auf 425. Das Werk war mir nicht zugänglich, hier zitiert nach Bünyamin
Ayçiçeği, „Bûsîrî (ö. 696/1297?)’nin Kasîdetü’l-Bürde’sinin Diyarbakrl Mehmed Said Paşa
(ö. 1308/1892) tarafndan yaplan mensur ve manzum tercümesi“, in: Divan Edebiyat Araştr-
malar Dergisi 15 (2015), 27–102, hier 40–42; Ayçiçeği verweist dort auf über 500 Abschriften
der Burdah allein im Bestand der Süleymaniye Bibliothek.

https://doi.org/10.5771/9783956509469
Generiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster, am 07.07.2022, 15:48:09.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
250 ALEV MASARWA

den Propheten so sehr zu beeindrucken vermochte, dass er ihm seinen Mantel


schenkte.3 Bei al-Būṣīrī verhielt es sich der Legende nach wie folgt: Von einer halb-
seitigen Lähmung getroffen, wandte sich al-Būṣīrī mit diesem Gedicht in seiner Not
an den Propheten. Der Prophet erschien ihm schließlich im Traum, äußerte sein
Wohlgefallen und warf ihm seinen Mantel über, woraufhin al-Būṣīrī am nächsten
Morgen wundersam geheilt war.4
Die Nachricht von der Heilkraft bereits des erträumten Propheten(-mantels) in
Verbindung mit der Komposition und Rezitation des Gedichts erweiterte die Durch-
schlagskraft der Burdah, zumal sie sich in kurzer Zeit auch bei denjenigen zeigen
sollte, die allein eine Kopie der Burdah besaßen oder sie rezitierten.5 Neben der in-
nigen Prophetenverehrung (ḥubb/madḥ an-nabī) und der Fürbitte (šafāʿah) als Thema
der qaṣīdah, wurden der Burdah somit Heil- (šifāʿ), Segens- (barakah), magische
Schutz- und glücksbringende Kräfte zugesprochen, die unter einem eigenen Genre,
den Ḫawaṣṣ al-Burdah6 zusammengefasst sind: man legte die Burdah zur Heilung auf
erkrankte Körperpartien, beschriftete Amulette, Siegel, Grabstätten, Paläste und
Hauswände mit Versen aus ihr. Während also überwiegend in außerliterarischer Re-
zeption die Energien aus der Burdah für verschiedene Zwecke genutzt werden, ist die

3 Werner Diem, Studien zu Überlieferung und Intertextualität der altarabischen Dichtung. Das Mantel-
gedicht Kaʿb ibn Zuhayrs, 2 Bde., Wiesbaden 2010 und Rudi Paret, „Die Legende der Verleihung
des Prophetenmantels (burda) an Kaʿb ibn Zuhair“, in: Der Islam 17 (1928), 9–14.
4 Siehe al-Kutubī, Fawāt, 3:368–369; aṣ-Ṣafadī, al-Wāfī, 112, übers. in: Ines Weinrich, „Abū
ʿAbdallāh al-Busiri“, in: Knysh, Alexander und Bilal Orfali (Hgg.), Handbook of Sufi Studies.
Literature, Leiden (im Druck); vgl. Sperl, „The Burda“, 2:470 und Florian Sobieroj, Variance in
Arabic Manuscripts. Arabic Didactic Poems from the Eleventh to the Seventeenth Centuries – Analysis of
Textual Variance and its Control in the Manuscripts, Berlin/Boston 2016, 102–103.
5 Weinrich, „Between Poem and Ritual“, 107–108; Stetkevych, „From Text to Talisman. Al-
Būṣīrī’s Qaṣīdat al-Burdah (Mantle Ode) and the Supplicatory Ode“, in: Journal of Arabic Liter-
ature 37 (2006), 145–189; dies., „From Sīrah to Qaṣīdah: Poetics and Polemics in al-Būsīrī’s
Qaṣīdat al-Burdah (Mantle Ode)“, in: Journal of Arabic Literature 38 (2007), 1–52 sowie Iman
R. Abdulfattah, „Relics of the Prophet and Practices of His Veneration in Medieval Cairo“, in:
Journal of Islamic Archaeology 1 (2014), 76–105, hier bes. 85–86.
6 Zum Berührungszauber im Ḫawaṣṣ al-Burdah des ʿAbd as-Salām ibn Idrīs Marrākušī (gest.
660/1262) siehe Sobieroj, Variance, 102–103. Zu Versen und Versgruppen als apotropäisches
und glücksbringendes Mittel, siehe Stetkevych, The Mantle Odes, 85–87; Frederike-Wiebke
Daub, Formen und Funktionen des Layouts in arabischen Manuskripten anhand von Abschriften religi-
öser Texte: al-Būṣīrīs Burda, al-Ǧazūlīs Dalāʾil und die Šifāʾ von Qāḍī ʿIyāḍ, Wiesbaden 2016, 29–
32. Einen umfangreichen Katalog der Anwendungsmöglichkeiten und der rituellen Handha-
bung der Burdah-Verse gibt Hilmi, Kelime manal Kasîde-i Bürde: ṣerhi, fazileti, havas ve esrâr, Is-
tanbul 2017. Die Burdah diente als Zeremonialtext zur Eröffnung von gelehrten Sitzungen,
oder sie wurde bei Hochzeiten, Begräbnissen oder Beschneidungen rezitiert. Im Kalligraphie-
Unterricht war sie ein beliebter Übungs- und Lehrtext; siehe Mahmut Kaya, „Kasîdetü’l-
Bürde“, in: TDIA (online) und M. Uğur Derman, „Hattat“ in: TDIA (online).
Zu Burdah-Versen, die Grabmäler, Gebäude, Wände und Decken schmückten, siehe Noha
Abou-Khatwa, „An Ode to Remember: The Burda of al-Busiri in Cairene Ottoman Houses“,
in: Bernard O’Kane (Hg.), Creswell Photographs Re-examined: New Perspectives on Islamic Architec-
ture, Kairo 2009, 43–69; Weinrich, „al-Busiri“; Hamed Sedghi & Najam Abbas, „al-Būṣīrī“, in:
Encyclopaedia Islamica (online); Gülru Necipoğlu, Architecture, Ceremonial, and Power: The Topka-
pi Palace in the Fifteenth and Sixteenth Centuries, Cambridge MA 1991, 149–150.

https://doi.org/10.5771/9783956509469
Generiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster, am 07.07.2022, 15:48:09.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
M MAYH IM PROPHETENMANTEL 251

Burdah in literarischen Formen wie Adaptationen, Transformationen oder Kommen-


tarwerken auch Empfänger poetischer und kreativer Energien.
Eine poetische Gattung/literarische Spielart, in der das Zusammenfließen dieser
Kräfte besonders deutlich wird, und zwar bei explizitem Erhalt des originären Text-
bestands (Quell-/Basis-/Hypotext; im Folgenden QT und QV gegenüber den Amp-
lifikationsversen AV7 als Hypertext)8 der Burdah, sind die Künste der Amplifikation
bzw. der Erweiterung, wie taš īr, tarbīʿ (seltener), ta mīs, tasdīs, tasbīʿ, ta mīn, tatsīʿ
und taʿšīr.9 Es sind metrisch-poetische Erweiterungen, mit denen sich ein zweiter
Poet nach festgelegten Regeln als Co-Autor10 in den Text der Burdah einschreibt,
somit mimetisch aus dem Quelltext schöpft, an ihm im Nachhinein partizipiert, im
Resultat aber in verschiedener Hinsicht auf die Burdah selbst einwirkt. Eine der Fol-
gen dieser weitreichenden ästhetischen Rezeptionspraxis war beispielsweise die An-
schwellung des originären Versbestands der Burdah von 160 Versen bis hin zu 170
oder mehr Versen.11
Die bei weitem beliebteste Form der Amplifikationen war der ta mīs, wie über-
haupt die Burdah wie kein anderer Text in dieser Form amplifiziert wurde.12 Einige

7 In türkischen Rhetorikhandbüchern werden die Ampifikationsverse (AV) mit dem Terminus


zamīme (für arab.: ḍamīma) bezeichnet; siehe Muallim Naci, Istilahat-i edebiye, Istanbul
1307/1889, 195; vgl. Elias J.W. Gibb, A History of Ottoman Poetry, 5 Bde., hg. E.G. Browne,
London 1900–09, 1:92.
8 In der Intertextualitätsforschung, Textsemiotik und den Translationswissenschaften werden je
nach Forschungsgegenstand unterschiedene Begriffe gebraucht. Basis- und Quelltext sind die
allgemeineren Begriffe, Sourcetext und Targettext wird überwiegend in solchen Kontexten ge-
braucht, wo im weitesten Sinne eine Übertragung (z.B. in eine andere Sprache oder Sprach-
ebene) erfolgt. Die nach Genette gebräuchliche Unterscheidung Hypotext-Hypertext stellt in
der Intertextualitätsforschung einen Typ der Transtextualität (textuelle Transzendenz des Tex-
tes) dar. Siehe Gérard Genette, Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, aus dem Franz. von
Wolfram Bayer und Dieter Hornig, Frankfurt a.M. 1993, 9; zur Amplifikation als Transpositi-
on eines Textes siehe ders., 45.
9 Hierzu siehe Abschnitt „Formprinzipien“ im Folgenden.
10 Mit Co-Autorschaft ist hier nicht der gleichberechtigte Mitschreiber in Form einer Kollabora-
tion mit dem Urheber gemeint, sondern ein am bestehenden Text später mimetisch partizipie-
render Autor.
11 Als Grundlage für die QV der Burdah liegt mir vor ālid al-Azharī, Šarḥ al-Burdah, ed. und
komm. von Ibrāhīm al-Walā ī und Mu ammad ʿAlī asan, Bagdad 1966. Zu einigen ange-
hängten Versen siehe die Abschnitte „Versbestand“ und „Māmayh im Saum der Burdah“ im
Folgenden. Nach Nejdet Gürkan (Mehmed Fevzi Efendi. Fethu’l-Verde „ erhu’l-Bürde“, Istanbul
2011, 51–2) führte vor allem die mündliche Überlieferungspraxis der Burdah zum erweiterten
Textbestand. Neben dem üblicherweise vorgeschalteten Grußvers (mawlāyā ṣalli wa-sallim
dāʾiman abadan …) werden nach dem 5., 53., 57., 84., 130. und 135. Burdah-Vers weitere er-
gänzt; siehe auch ʿAlī ʿU mān al- arādī, an-Nafaḥāt al-la īfa ʿalā l-Burdah aš-šarīfah, Beirut
1435/2014, 24, 153–155. Auf eine östliche und westliche Tradition des Burdah-Textes verweist
Abdul Aziz Suraqah, nach der dieselben Zusatzverse in anderen Positionen eingefügt sind
(nach dem 5., 53., 87. und 130. Vers insgesamt 12 Verse). Siehe Shaykh A mad Ibn ʿAjība al-
asanī, The Mainstay Commentary on Qaṣīdah al-Burda, übers. von Abdul Aziz Suraqah,
Keigley 2015, 6, 110, 189–195, 274.
12 Zu den zahlreichen Amplifikationen der Burdah siehe Ali Riza Karabulut & Ahmet Turan Ka-
rabulut, Dünya kütüphanelerinde mevcut slâm kültür tarihi ile ilgili eserler ansiklopedisi,, 6 Bde.,
Kayseri [2006], u.a. 6:317–318, der über 100 ta mīse verzeichnet, deren Großteil auf die bei-

https://doi.org/10.5771/9783956509469
Generiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster, am 07.07.2022, 15:48:09.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
252 ALEV MASARWA

dieser Burdah-taḫmīse haben selbst einen so hohen Stellenwert erlangt, dass sie über
Jahrhunderte hinweg vielfach kopiert und kommentiert wurden und wie die Burdah
selbst in Prachthandschriften vorliegen. Dabei entstanden kalligraphische Meister-
leistungen, insbesondere bei Abschriften, bei denen gleich mehrere taḫmīse zu einem
Gedicht – überwiegend die Burdah Kaʿbs oder al-Būṣīrīs – nicht nur gewöhnlich
hintereinander, sondern synoptisch Vers für Vers oder kaleidoskopisch auf dem Blatt
arrangiert sind.13
Nachdem die Amplifikationen also vom Text der Burdah inspiriert den Formbe-
stand und Bedeutungsgehalt ästhetisch ausweiteten, wurden auch sie selbst Träger
der besonderen Eigenschaften der Burdah. Zu diesen gehört unbestritten der taḫmīs
von al-Fayyūmī (lebte vor 760/1360), der bereits zu Lebzeiten des Verfassers hohe
Popularität genoss.14 Ein derart populäres Gedicht weckte sogar den Ehrgeiz solcher
herausragenden dichterischen Persönlichkeiten wie Ibn Ḥiǧǧah (st. 837/1434), einen
eigenen tahmīs auf die Burdah zu verfassen, um in gewohnter Manier ausgiebig die

den Burdahs verfasst wurde; GAL 1:311; GAL S 1:469; Wilhelm Ahlwardt, Verzeichniss der Ara-
bischen Handschriften, 10 Bde., Berlin 1887–1899, Bd. 7 (1895): Nr. 7811–7820, 7945, 8439, so-
wie im Indexband 10 (1899), 427–428; Asʿad aṭ-Ṭayyib, „al-Burdah wa-l-aʿmāl allatī dārat
ḥawlahā (1)“, in: Maǧallat Turāṯūnā 38–39 (1415/1995), 162–253 mit insgesamt 187 Adaptati-
onen (tašṭīr, taḫmīs, tasbīʿ usw.) der Burdah, 146 davon tahmīse; Muḥammad Ṣādiq Muḥammad
al-Karbāsī, Dīwān at-taḫmīs, 2 Bde., London 2013–2015, 1:46–84 (160 taḫmīse auf die Burdah
al-Būṣīrīs), 1:85–90 (25 taḫmīse auf die Hamziyyah al-Būṣīrīs), 1:92–95 (15 taḫmīse auf die
Burdah Kaʿb ibn Zuhayrs); Abdussamed Yeşildağ, Şeyhulislâm Mehmed Esad Efendi’nin Tahmīs-
leri ve Bānet Suʿād Tahmīsine el-ʿUryanī Tarafndan yaplan Şerh, Doktora Tezi, Atatürk Üniversitesi,
Erzurum 2010, 31–36 zählt zur Burdah 165 taḫmīs-Autoren.
13 Eine taḫmīs-Sammelschrift mit 69 Burdah-taḫmīsen gibt Mubārak (al-Madāʾiḥ an-nabawiyyah fī l-
adab al-ʿarabī, Kairo 1354/1935, 166) ohne Sigelnummer im Bestand des Dār al-Kutub al-
Miṣriyyah an; vermutlich verweist er auf MS Kairo 1410, worin Māmayhs taḫmīs unter Nr. 60
verzeichnet ist (siehe Dār al-Kutub al-Miṣriyyah, Fihris al-kutub al-ʿarabiyya, Kairo 1927, 3:49–
53); eine weitere mit 60 taḫmīsen soll Gamāladdīn Yūsuf al-Kirmānī (gest. nach 894/1488) zu-
sammengestellt haben (siehe aṭ-Ṭayyib, „al-Burdah wa-l-aʿmāl“, 170); 29 kunstvoll arrangierte
taḫmīse stellte Aytmiš [oder Aytmš] al-Ḫiḍrī aẓ-Ẓāhirī (st. 846/1442) zusammen (MS Chester
Beatty 4215); ferner MS Gotha A 2285 mit 29 taḫmīsen jeweils auf einer Seite mit dem zuge-
hörigen Burdah-Vers arrangiert (beschrieben in Daub, Formen, 111–112).
14 In den Quellen meist Nāsiraddīn Muḥammad ibn ‘Abdassamad al-Fayyūmī genannt, siehe
Ewald Wagner, Arabische Handschriften, Wiesbaden 1976 (VOHD, XVII B 1), 305 mit weiterer
Literatur. Der ihm zugeschriebene taḫmīs hat im incipit: ‫ما بال قلبك ال ينفك ذا ألم‬, eventuell der
gleiche al-Fayyūmī (Nāṣiraddīn ʿAbū ʿAbdallāh Muḥammad ibn Muḥammad ibn Muḥammad
ibn Ismāʿīl ibn Yūsuf al-Qurašī al-Bakrī al-Fayyūmī), dessen Nekrolog zusammen mit seiner
gelehrten Schwester Fāṭimah 747/1346 im Fortsetzungsband zu aḏ-Ḏahabīs Siyar angegeben
ist. Siehe Taqiyyaddīn Muḥammad al-Qurašī, aḏ-Ḏayl ʿalā kitāb Siyar aʿlām an-nubalāʾ, hg.
Muṣṭafā ʿAbdalqādir ʿAṭā, 17 Bde., Beirut 2010, 16:29. Der Kairiner Druck mit gleichem
taḫmīs gibt als Verfassernamen Šamsaddīn aš-Šayḫ al-Fayyūmī an (Taḫmīs al-Kawākib ad-
Durriyah fī madḥ Hayr al-bariyyah wa-yalīhī tasbīʿ al-Burʾah li-l-Bayḍāwī, Kairo 1315/1897), so
auch in einigen Handschriften späterer Zeit im „Endangered Archives Programme“ des British
Museum [https://eap.bl.uk/search/site]. Siehe Alessandro Gori, „Some Observations in Com-
posite and Multiple Text Manuscripts in the Islamic Tradition of the Horn of Africa“, in: Mi-
chael Friedrich & Cosima Schwarke (Hgg.), One-Volume Libraries: Composite and Multiple-Text
Manuscripts, Berlin/New York 2016, 155–169, insb. 165–166.

https://doi.org/10.5771/9783956509469
Generiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster, am 07.07.2022, 15:48:09.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
M MAYH IM PROPHETENMANTEL 253

eigene Kunstfertigkeit in dieser Technik zu demonstrieren.15 Einige Beachtung fand


auch der taḫmīs des osmanenzeitlichen Dichters Māmayh ar-Rūmī (st. ca. 987/
1579),16 der vermutlich der erste osmanenzeitliche Verfasser eines Burdah-taḫmīses ist.
Mit insgesamt 35 taḫmīsen gehört er zu den frühen osmanenzeitlichen Dichtern, die
diese Technik gleich exzessiv ausübten, denn der taḫmīs gehörte erst ab dem 10./16.
nach und nach zum Standardrepertoire der osmanenzeitlichen Dichter. Unter den
mir vorliegenden 26 Abschriften seines Dīwāns enthalten 16 seinen taḫmīs auf die
Burdah, daneben findet er sich auch in mehreren Sammelhandschriften und in zwei
gesonderten Einzelabschriften.17
Im Folgenden werden die Amplifikationstechniken Māmayhs näher untersucht.
Schließlich hatte Māmayh bereits eine über zweihundertjährige Rezeptionsgeschichte
der Burdah zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund geht der Aufsatz der Frage
nach, welchen persönlichen Abdruck Māmayh auf der Burdah hinterlässt. Da bereits
früh neue Verse in die Burdah eingeschrieben wurden, andere hingegen umstritten wa-
ren,18 liegt ein besonderes Augenmerk auf den amplifizierten Versbestand, um zu de-
monstrieren, welchen Burdah-Text Māmayh vor sich hatte, sowie auf der formalen Ge-
staltung der Anfangs- und Schlussverse des taḫmīs in den Manuskripten, die einen
Hinweis auf die Rezeption der Burdah sowohl durch Māmayh als auch der Schreiber
geben.

Māmayh ar-Rūmī

Māmayh ar-Rūmī gehört zu den schillerndsten Dichterpersönlichkeiten Syriens im


16. Jahrhundert. Er war in Istanbul geboren, kam im frühen Kindesalter nach Da-

15 Der 1–a Vers Ibn Ḥiǧǧahs lautet: ‫م بال م م الم‬ ‫ ل ا م‬. Abschriften sind vorhanden in MS
Kairo 1410, Nr. 22; in einer Prachthandschrift in Alexandria (Sigel: adab–2), nach der Schrift-
vorlage der Kalligraphin ʿ išah bt. Ismāʿīl al-Ḫāzin (vermutl. aus dem 10./16. Jhd.) und fer-
ner in MS Paris Arabe 3248, fols. 65b-93b mit einer Einleitung und vor- und nachgeschalteten
eigenen Versen; davor findet sich der taḫmīs von as-Saḫāwī mit einigen Zusatzversen und Zu-
satzversen des Kopisten. Auf zwei weitere taḫmīse Ibn Ḥiǧǧahs verweist Pertsch in MS Gotha
Orient A 2312: darin ein taḫmīs zu einem Gedicht von as-Suhaylī (st. 581/1185) und ein poe-
tischer Wettstreit im taḫmīs mit Badraddīn Ibn aṣ-Ṣāḥib (st. 788/1386) zu einem Gedicht
ʿAbdalqādīr al- īlanī/Kīlānī. Zum Letzteren siehe auch MS Princeton, Garrett no. 25H be-
schrieben in Philip Hitti [u.a.], Descriptive Catalog of the Garrett Collection of Arabic Manuscripts,
Princeton 1938, 37–38.
16 Ca. Muḥarram 987/März 1579. Zu Māmayh (altern. Māmāy, Māmī, Māma (/i)yyah) siehe
Masarwa, „Māmayh Muḥammad ibn Aḥmad ibn ʿAbdallāh al-Rūmī,” in: EI3 (im Druck);
GAL 2:271‒272 and GAL S 2:382 und Clifford Edmund Bosworth, „A Janissary Poet of Sixte-
enth-Century Damascus“, in: C. E. Bosworth et al. (Hgg.), Essays in Honor of Bernard Lewis. The
Islamic World, Classical and Medieval, Ottoman and Modern, Princeton 1989, 451‒466.
17 Siehe Übersicht der Handschriften mit dem Burdah-taḫmīs im Abschnitt „Versbestand“. Es ist
anzunehmen, dass auch die Dīwān-Abschrift MS Bodleian Laud. Or. 81, die mir nur in einem
kleinen Auszug vorliegt, den taḫmīs enthält. Einzelabschriften finden sich in MS Riad 811 und
in MS Kairo šiʿr-Taymūr 1015 (der Burdah-taḫmīs endet dort auf fol. 29a).
18 Umstritten als übertriebenes Prophetenlob und als bidʿah waren überwiegend die Verse 33,
109, 152 und 154. Siehe Kaya‚ „Kasîdetü’l-Bürde“, in: TD A (online).

https://doi.org/10.5771/9783956509469
Generiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster, am 07.07.2022, 15:48:09.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
254 ALEV MASARWA

maskus, diente als Janitschare und verließ später den Dienst am Schwert, um sich der
Dichtung zu widmen. Seinen Lebensunterhalt sicherte er sich mit einigen Posten als
Dragoman an verschiedenen lokalen Gerichten, doch periodisch muss ihn auch die
Armut befallen haben, wie aus zahlreichen Klagegedichten hervorgeht.
So sehr die Scharfzüngigkeit Māmayhs auch hervorgehoben wird, war er doch im
größeren Maße weit über die Grenzen Syriens hinaus bis hin zum Ḥiǧāz und Jemen
ein hochgeachteter Dichter, der mit allen Wassern der Verskunst gewaschen war. Sein
poetisches Oeuvre reicht von altarabischen Qaṣīdenthemen hin zu nachklassischen
poetischen Formen, wie sie unter mamlukenzeitlichen Dichtern besonders gepflegt
wurden. Sein voluminöser Dīwān zeigt eine solche Formen- und Themenvielfalt auf,
dass man ihm nicht gerecht würde, würde man seine Virtuosität in nur einer poeti-
schen Gattung hervorheben. Māmayh sah sich selbst als vielseitiger und ambitionier-
ter Poet und vermutlich auch in diesem Anspruch eine Möglichkeit, sich einerseits im
traditionsreichen arabischen Bildungsbürgertum in Damaskus, als auch vor den dor-
tigen türkischen Herrschaftseliten Geltung zu verschaffen. Schließlich war er durch
seinen biographischen Hintergrund weder in der Bildungstradition der Lokaleliten
beheimatet noch – durch seine Distanz zu den Bildungseliten in Istanbul – in der
türkischen. Dennoch kommen in Māmayhs Dichtung diese Traditionen in einer Wei-
se zusammen, als sei er überall beheimatet gewesen. Dabei suchte er sich keine Ni-
schenthemen, sondern nahm es gleich mit den ganz großen dichterischen Vorbildern
auf. Zu diesen gehören neben seinen komplexen zaǧal- und muwaššah-Kompositio-
nen auch taḫmīse, darunter solche, die bereits eine lange taḫmīs-Tradition hatten. An
eine solche Tradition anzuschließen, hieß, an der Überbietungspraxis seiner Vorgän-
ger teilzunehmen und sich dem Vergleich mit ihnen zu stellen. Insbesondere sind es
die taḍmīn-Epigramme und taḫmīse, in denen Māmayh kunstreiche Imitationstechni-
ken anwendet, die wiederum nur einen kleinen Auszug dessen wiedergeben, über
welche literarische Vorbildung Māmayh verfügte. Sie verdeutlichen, was Māmayh
sich als rezeptive und zugleich produktive Instanz aus der literarischen Tradition
nicht nur angeeignet hat, sondern so sehr beherrschte, dass er sie in seine eigene
Dichtung einzubetten und originell zu variieren vermochte.19

19 Zu einigen Aspekten im literarischen Schaffen Māmayhs siehe Alev Masarwa, „Performing the
Occasion: The Chronograms of Māmayya ar-Rūmī“, in: Stephan Conermann et al. (Hgg.),
The Mamluk-Ottoman Transition: Continuity and Change in Egypt and Bilād al-Shām in the Sixteenth
Century, Göttingen 2017, 197–198; dies., „Poetisch wider Willen: Der Koran im Vers Māma-
yhs. Über poetische Verfahren der Doppel- bzw. Mehrfachcodierung und des Code-Switching
in iqtibās-Epigrammen“, in: Nefeli Papoutsakis & Hakan Özkan (Hgg.), Doing Justice to a
Wronged Literature: Essays on Arabic Literature and Rhetoric of the 12th-18th Centuries in Honour of
Thomas Bauer, Leiden 2022 (im Druck)

https://doi.org/10.5771/9783956509469
Generiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster, am 07.07.2022, 15:48:09.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
M MAYH IM PROPHETENMANTEL 255

Formprinzipien und Versuch einer Gattungsgenese des ta mīs

Der taḫmīs (Pl. taḫāmīs, taḫmisāt, wörtl.: zu Fünf machen)20 ist ein literarisches Ver-
fahren der Amplifikation eines bereits bestehenden Gedichtes (QT) und eine der
verschiedenen Formen des taḍmīns gleichzeitig.21 Hierbei werden (hier beispielhaft)
dem Burdah-Vers drei Halbverse (AV) vorgeschaltet, so dass mit dem Original-
Distichon fünf Halbverse entstehen. Schaltet man vier neue Halbverse vor das Dis-
tichon, ergibt dies ein tasdīs22, fünf neue, ein tasbī 23 usw. Die neuen Halbverse (AV)
bleiben im Metrum des QT (im Falle der Burdah im basī ), orientieren sich im Reim
aber auf den adr-Vers (im Folgenden I–a oder adr al-a l). Somit wird der eigentliche
Reimbuchstabe (mīm) von immer vier Reimwörtern flankiert, die sich je nach Origi-
nalhalbvers (I–a), der an sich kein Reimträger ist, immer ändern können. Formal
wird dem aǧuz-Vers des QT (I–b) mit dem gewichtigen Reimakzent ein vierteiliges
Gegengewicht gesetzt, wie im folgenden Schema:

20 Taḫmīs, Verbalnomen von II. ḫammasa (yuḫammisu, taḫmīsan; muḫammis und pass. muḫammas):
in eine Fünf/-er-Form bringen; rösten. Zur poetischen Gattung siehe Philip Kennedy,
„Takhmīs“, in: EI2; Gibb, A History of Ottoman Poetry, 1:93; Cornelius van Dyck, Kitāb Mu ī
ad-dā irah fī ilmay l- ar ḍ wa-l-qāfiyah, Beirut 1857, 121–122; Mu ammad Altūnǧī, al-Ittiǧāhāt
as-ši iriyyah fī bilād as-Šām fī l- a r al- u mānī: dirāsah, [Damaskus] 1993, 514. Ausführlicher be-
handelt Yahya Suzan die Genese und Gattungsparameter des taḫmīs in seiner Dissertation
Arap iirinde muhammes ve tahmīs, Diss. Ankara-Universität 2008.
21 Die poetische Motivation im taḍmīn ist ähnlich wie im taḫmīs: als Stilübung für die Variation,
zur Bedeutungserweiterung durch Ausreizen der ursprünglichen Versgrenze, zur Rekontextua-
lisierung und Aktualisierung eines alten Verses, um ihn wieder ins poetische Gedächtnis zu ho-
len und sich mit der dichterischen Aussage zu messen, oder – und das ist anders als im taḫmīs
– um einen besonders markanten Verfremdungseffekt zu erzielen.
22 Siehe z.B. ein tasdīs auf die N niyyah Ibn Zaydūns (gest. 463/1070) von Ibn Ḥubayš/Ḥabīš al-
La mī at-Tūnisī (st. 679/1280) beschrieben in Fihris maḫ āt Dār al-Kutub a - āhirīyah: aš-ši r,
hg. Izzat Ḥasan, Damaskus 1384/1964, 82 (Sigel: 1929) und Suzan, Arap iirinde muhammes ve
tahmīs, 52. Zur Burdah sind wenige tasdīse verzeichnet, Beispiele geben a - ayyib, „al-Burdah
wa-l-a māl“, 195: tasdīs Ibn Misk (st. 1123/1711); Yāsīn Mu ammad as-Sawwās, Fihris maḫ āt
Dār al-Kutub a - āhirīyah: al-Maǧāmī , 2 Bde., Damaskus 1403/1983, 2:53 (Nr. 235: Maǧmū
1929): ein anonymer tasdīs auf die Burdah und ein ebensolcher in Ḥasan ibn Alǧiyah [Hg.],
Ta šīr al-Burdah li-nā im maǧh l, Beirut 1435/2014, 15 (MS Bagdad–33483).
23 Häufiger kommen tasbī āt der Burdah vor. Einen solchen [incipit: ‫ ]اللّٰه یعلم ما في القلب من ألم‬mit
der Anrufung Gottes als Anapher einer jeden Strophe und vielleicht den frühesten, schrieb
Nāṣiraddīn al-Bay āwī [aš-Širāzī] (st. 685/1286), wenn die Zuschreibung korrekt ist. Er trägt
den Titel Tafrīǧ aš-šiddah fī tasbī al-Burdah und liegt in zwei Drucken Kairo 1308/1890 und
Kairo 1319/1901 zusammen mit dem al-Fayyūmī zugeschriebenen taḫmīs vor. Wie viele poeti-
sche Erweiterungen wird dieser Text aber auch späteren Autoren zugeordnet. Siehe Fat allāh
Miṣbā , Burdat al-B īrī wa-a āruhā fī l-adab al-qadīm, Beirut 2011, 497; Ḥasan ibn Alǧiyah
[Hg.], Ta šīr al-Burdah, 15–6; a - ayyib, „al-Burdah wa-l- amāl“, 179, 190, 201, 209 und Suzan,
Arap iirinde muhammes ve tahmīs, 53, dort nach MS Ü 3144 einem (späteren!) aṣ- afadī zuge-
schrieben. Weitere gibt Ahlwardt, Verzeichniss, 7:58 (Nr. 7821=Pm. 372) mit anonymen tasbī
und tatsī ; vgl. GAL 1:266 und GAL S 1:470. Auf einen ta mīn der Burdah mit anaphorischer
Einleitung, geschrieben von Ibrāhīm ibn A mad al- amāl aṣ- fāqsī (1107/1695) verweist
Ḥasan ibn Alǧiyah [Hg.], Ta šīr al-Burdah, 16. Ders. widmet sich in seiner Studie einem
maghrebinischen, aber anonymen ta šīr aus dem Bestand der a - ā iriyyah (MS 9038).

https://doi.org/10.5771/9783956509469
Generiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster, am 07.07.2022, 15:48:09.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
256 ALEV MASARWA

---- a

---- b

---- c

---- ---- 1

( ) ( )

I–b I–a

Sobald sich eine poetische Form erfolgreich etabliert hat und einige Elastizität auf-
weist, wirken kreative Kräfte auf sie ein, die sich in der Variation (copia verborum und
copia rerum)24 und an den Formgrenzen der Gattung erproben. Daher verwundert es
kaum, dass die obige taḫmīs-Form zeilenmäßig oder aber hinsichtlich ihrer Gat-
tungsparameter erweitert wurde. In formaler Hinsicht erstrecken sich die Variationen
auf die Grundbestanteile des Verses: seine beiden Glieder,25 das Metrum und den
Reim sowie die Anzahl und Position der AV zu ihnen.26 Das obige Schema, welches
als taḫmīs ʿalā l-aṣl 27 bezeichnet wird und bis ins 19. Jhd. die dominante Form war,
wurde gelegentlich variiert, indem z.B. sowohl dem ṣadr- (I–a) als auch dem ʿaǧuz-
Vers (I–b) jeweils vier AV vorangestellt wurden.28 In diesen vermengen sich die

24 Copia verborum für die Variation des sprachlichen Ausdrucks und copia rerum für die Variation
des Gedankens.
25 Das Verhältnis der beiden Halbverse zueinander beschreibt Ahlwardt wie folgt: „Die erste
springt wie ein Quell empor und fällt in der zweiten herunter wie in ein Becken mit einem
Klang mit dem austönenden Reim.“ Siehe Ahlwardt (Hg.), Sammlungen alter arabischer Dichter,
3 Bde., Berlin 1902–3, Bd. II: Die Dīwāne der Reǧezdichter Elaǧǧāǧ und Ezzafajān, XLII (Einlei-
tung).
26 In seinem berühmten tasbīʿ zur Burdah al-Būṣīrīs leitet Šemseddīn Meḥmed Niyāzī-i Miṣrī
(st. 1105/1694; GAL S 2:662–3) seine AV stets mit einer Anapher (mit dem Namen des Pro-
pheten) ein, was von rechts her neben den fünf AV dem ṣadr-Vers, deutlich mehr Gewicht ver-
leiht und den QT auf Muḥammad hin ausrichtet. Die Stilfigur der Wiederholung verleiht je-
dem Vers einen rituellen Charakter. Die ersten vier AV nutzt Niyāzī-i Miṣrī für eine freiere
Gestaltung um mit dem fünften Vers als taḫalluṣ an die Versaussage des QT anzuknüpfen. In
diesem Fall greifen die AV mit der Nennung des Namens des Propheten al-Būṣīrī vor, der im
nasīb mit Toponymen und Ausdrücken für den Sehnsuchtsschmerz auf den Propheten ledig-
lich anspielt. Siehe MS Leipzig Cod. Arab. 101–01.
27 Suzan, Arap şiirinde muhammes ve tahmīs, 39.
28 Einen solchen (jeden Halbvers amplifizierend) schrieb Abū Ḫiṣāl (st. 540/1146) zur berühm-
ten qaṣīde „Ammuriyyah“ Abū Tammāms. Während Iḥsān ʿAbbās dieses Gedicht als tašṭīr an-
führt (siehe Tārīḫ al-adab al-Andalusī: ʿaṣr aṭ-Ṭawāʾif wa-l-Murābiṭīn, Beirut 1962 [1985], 247),
zählt Yeşildağ (Mehmed Esad Efendi, 12) diese Technik zum taḫmīs. Eine weitere Variante zeigt
sich bei an-Nabhānī (st. 1350/1932), al-Maǧmūʿah an-Nabhāniyyah fī l-madāʾīḥ an-nabawiyyah, 4
Bde., Beirut 1320/1902, 4:354–357, der seinen QT (ʿAbd ar-Raḥīm al-Buraʿīs murabbaʿah-
Gedicht in 15 ‚Strophen‘) dadurch amplifiziert, dass er an das Ende eines
jeden Vierers einen zusätzlichen Halbvers (auf –mīm reimend) anhängt und somit die ‚Fünf-
ung eines Vierers‘ erzielt.

https://doi.org/10.5771/9783956509469
Generiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster, am 07.07.2022, 15:48:09.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
M MAYH IM PROPHETENMANTEL 257

Techniken des tašṭīrs und des taḫmīs. Während im tašṭīr zwei AV zwischen I–a und I–
b gestaltet werden,29 werden in einer taḫmīs-ähnlichen tašṭīr-Form (taḫmīs bayna l-
miṣrayn, im Türk. häufiger taḫmīs-i muṭarraf) drei oder mehr AV zusammen einge-
fügt.30
---- I–a

---- a

---- b

---- c

---- I–b

Amplifiziert wurden aber auch Gedichte, die nicht in klassischer Qaṣīdenform, son-
dern quasi-strophisch gestaltet waren, wie die beliebte Gattung der Zehner
(muʿaššarāt oder al-ʿašariyyāt) und Zwanziger (ʿišrīniyyāt).31 Abū Bakr Muḥammad
ibn Mufa al al-Mahīb (altern. Muhayyab, Muhīb, st. 645/1247)32 verfasste einen
taḫmīs zu den Zwanzigern ʿAbdarraḥmān ibn Ya laftan Abū Zayd al-Fāzāzīs

29 Tašṭīr bezeichnet gewöhnlich die Halbierung eines Doppelverses, indem zwischen I–a und I–b
zwei neue Halbverse eingefügt werden. Siehe dagegen eine Variante in Aḥmad Ma lūb,
Muʿǧam an-naqd al-ʿarabī al-qadīm, 2 Bde., 1: 341–342, indem jeweils I–a und I–b durch einen
vorgeschalteten Vers erweitert werden. Dieses Verfahren wird generell taṣdīr und taʿǧīz bezeich-
net, während die Anzahl der vorgeschalteten Verse variieren kann. Zu elaborierten Amplifika-
tion dieser Art zur Burdah siehe Miṣbāḥ, Burdat al-Būṣīrī, 495 und weitere in a - ayyib, „al-
Burdah wa-l-aʿmāl“, 201, 212, 221.
30 Taḫmīs des Medinensischen Gelehrten Aḥmad ibn ʿAbdallāh al-Barrī al- anafī (st. 1092/1681),
siehe Suzan, Arap şiirinde muhammes ve tahmīs, 39 nach Ibn Maʿṣūm al-Madanī, Sulāfat al-ʿaṣr,
hg. Muḥammad Ḫalaf al-Bādī, 2 Bde., Damaskus 1430/2009, 2:446; vgl. Aḥmad ibn
Muḥammad aš-Širwānī al-Yamanī, adīqat al-afrāḥ li-izaḥat al-atrāḥ, Bulāq 1282/1866, 54–5
mit der klassischen taḫmīs-Form des gleichen Gedichts. Auf diese Weise (taḫmīs bayna l-miṣrayn)
wurden beide Burdahs ebenfalls amplifiziert, siehe Suzan, Arap şiirinde muhammes ve tahmīs, 40
Anm. 96. Zum taḫmīs-i muṭarraf in der türkischen Tradition siehe Zeki Pakaln, Osmanl Tarih
Deyimleri ve Terimleri Sözlü ü, 3 Bde., Istanbul 1993, 3:374–375, darin ein solcher zu einem
azal Sultan Süleymāns von ʿAynī; vgl. auch Roderick Grierson, „The Final Generation: A
"Tahmîs-i Mutarraf" by Ahmed Remzi Dede“, in: Mawlana Rumi Review 1 (2010), 122–130
zum taḫmīs des Mevlevi-Šay s Ahmet Remzi Akyürek (1872–1944) auf ein azal von Seyid
Osman Surūrī (Sürūrī).
31 Urheber der Zehner-Dichtung, die unter mamlukenzeitlichen Dichtern wieder aufgegriffen
wurde, war nach Angaben an-Nābulusīs Ibn ʿArabī (st. 638/1240), siehe Dīwān al- aqāʾiq, Teil
2, 239–253 (an-Nābulusī ordnet die Zehner alphabetisch neu an und fügt einen eigenen Zeh-
ner im maqsūrāh-Reim hinzu). Denis E. McAuley hat dies jedoch widerlegt und verweist auf
eine ältere Tradition ab dem 5./11. Jahrhundert. Als einen der frühesten Autoren der Zehner-
gattung nennt er Abū l- asan ʿAlī ibn ʿAbdal anī al- uṣrī al-Qayrawānī (st. ca. 488/1095).
Siehe McAuley, Ibn ʿArabī’s Mystical Poetics, Oxford 2012, 161.
32 Siehe Ibn al-Ḫa īb, al-Iḥāṭah fī aḫbār arnāṭah, hg. Yūsuf ʿAlī Tawīl, 4 Bde., Beirut 1424/2003,
2:288–295 sowie a -Dahabī, al-Mustamliḥ min kitāb at-Takmilah, hg. Baššār ʿAwwād Maʿrūf,
Tunis 1429/2008, 151 (Nr. 319), beide allerdings ohne Verweise auf dessen taḫmīs.

https://doi.org/10.5771/9783956509469
Generiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster, am 07.07.2022, 15:48:09.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
258 ALEV MASARWA

(st. 627/1230).33 Ein weiterer Standardtext des Prophetenlobs, der als Ritual-, Zere-
monial und Lehrtext für Sprachstudien34 verwendet wurde, ist die Witriyyah35
(Maǧdaddīn Muḥammad ibn Abī Bakr ibn Rušayd al-Wāʻiẓ) al-Baġdādīs (st. 662/
1264), die vom Autor selbst und von ʿAbdalʿazīz ibn al-Warrāq, auch bekannt als
Ibn Šaʿbān al-Laḫmī (st. 680/1281)36 in taḫmīs-Form amplifiziert wurde. Die Texte
werden häufig mit der Rahmenerzählung überliefert, nach der Ibn Šaʿbān der Pro-
phet im Traum mit der Witriyyah erschienen war und ihm genehmigte darauf einen
taḫmīs schreiben zu dürfen.37 Schließlich sahen Kompilatoren auch ohne eigenen
taḫmīs-Beitrag bereits im Sammeln und Schreiben der taḫmīse eine fromme Hand-
lung, mit der sie sich am Jüngsten Tag zusätzlich Gnade erhofften.38

33 John O. Hunwick, „The Arabic Qasida in West Africa: forms, themes and contexts“, in: Sperl
& Shackle (Hgg.), Qasida Poetry, 1:83–97, hier 85, siehe auch Amir Syed, Al-ḤājjʿUmar Tāl and
the Realm of the Written: Mastery, Mobility and Islamic Authority in 19th Century West Africa, Diss.
Univ., Michigan 2017, sowie ders., „Poetics of Praise. Love and Authority in al-Ḥājjʿ Umar
Tāl’s Safīnat al-saʿāda li-ahl ḍuʿf wa-l-najāda“, in: Islamic Africa 7 (2016), 210–238, 213 Anm. 9
für die alternative Vokalisation des Namens. (Für den Hinweis auf die Schriften Syeds danke
ich Ines Weinrich.)
34 Siehe Roman Loimeier, Between Social Skills and Marketable Skills: The Politics of Islamic Education
in 20th Century Zanzibar, Leiden 2009, 192–193.
35 Das sind 29 ‚Zwanziger‘-Kompositionen: jedes Gedicht besteht aus 21 Zeilen, beginnt und
endet mit einem Buchstaben des Alphabets, inkl. alif-lām, entsprechend der Reihenfolge des
Alphabets (z.B. MS Gotha orient. A 2273). Ein vergleichbares Werk (29 Zwanzig-Zeiler) mit
taḫmīs findet sich in MS Gotha orient. A 2357. Dort ist als Verfassername ar-Rašīdī angegeben,
bei dem man auf den gleichen Autor schließen kann, doch die Grundverse sind verschieden
zu denen von Rušayd al-Baġdādī. Der erste Vers im taḫmīs beginnt jeweils mit dem entspre-
chenden Reimbuchstaben des AV und erzeugt dadurch Assonanz. Siehe Wilhelm Pertsch, Die
orientalischen Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Gotha, 5 Bde., Gotha 1878–1892, Bd.
3,3: Gotha 1881, 3:337, vgl. 339 (MS Gotha orient A 2360) mit den gleichen taḫmīsen in
Safīnah-Form.
36 Mit vollem Namen: Ḥuǧǧataddīn al-Warrāq, Muḥammad ibn ʿAbdalʿazīz ibn ʿAbdalmalik
Ibn Šaʿbān al-Laḫmī al-Qurṭubī al-Iskandarānī.
37 Hunwick, „A Note on ʿUthmān b. Fodiye’s so-called ʿIshrīniyya“, in: Sudanic Africa 10 (1999),
169–172, hier 170. Träume dienen vielfach als höherer Auftrag und willkommene Begründung
einen Text zu amplifizieren. Erst ein Traum und die Erlaubnis des Propheten habe Niyāzī-i
Miṣrī dazu verholfen nach einer längeren Blockade seinen tasbīʿ zur Burdah fertig zu stellen.
Siehe Mustafa Aşkar, Mehmed Niyazī-i Misrī el-Malatī. Hayat, eserleri ver tasavvuf anlayş, Dok-
tora Tezi Ankara Üniversitesi 1997, 118 nebst Anm; ein ähnliches Beispiel zum taḫmīs Muwaf-
faq ad-Dīn al-Anṣārīs (677/1278) zur Maqṣūrah Ibn Durayds (st. 321/933) gibt Suzan, Arap
şiirinde muhammes ve tahmīs, 50.
38 Eine solche Absicht bekundet beispielsweise der Kalligraph Alṭunbuġā [nicht al-Ṭunbuġā] ibn
ʿAbdallāh an-Naǧmī al-Wazīrī al-Baġdādī, der eine kunstvoll arrangierte Sammlung von fünf
taḫmīsen erstellte, in der Hoffnung sie möge ihm am Jüngsten Tage als Stütze dienen (li-yakūn
lī fī l-qiyāmah ʿumdah), siehe MS Berlin Pet II 194, fol. 1b. Die Sammlung wurde Ḏū l-Ḥiǧǧah
761/Oktober 1360 erstellt. Die gleiche Handschrift vom 6. Ǧumādā I 767/27. Januar 1366 mit
gleicher Folien- und Zeilenzahl (83 fols, 20 Z.) findet sich im Bestand Teheran Maǧlis aš-Šurā
7/255.239 ohne Nennung des Kompilators, beschrieben in aṭ-Ṭayyib, „al-Burdah wa-l-aʿmāl
(1)“, 173. In diesen sind über jedem Burdah-Vers drei taḫmīse vorangestellt, zwei weitere flan-
kieren rechts und links den jeweiligen Vers. Es sind taḫmīse von (von oben nach unten): (1)
Nāṣiraddīn al-Fayyūmī [hier: ]; (2) in rot und mit einem amplifizier-
ten Einleitungsvers von ʿAlāʾaddīn ʿAlī ibn Amīnaddīn al-Ġazzī (st. 747/1346) [hier:

https://doi.org/10.5771/9783956509469
Generiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster, am 07.07.2022, 15:48:09.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
M MAYH IM PROPHETENMANTEL 259

Waren wir bislang vom bindenden Reim des QT ausgegangen, so wurde auch an
dieser Gattungsnorm gerüttelt: ʿAbdalġanī an-Nābulusī amplifizierte im Metrum
mutaqārib, während der QT von Ibn Ġānim al-Maqdisī (st. 678/1279) das sarīʿ ver-
wendet.39 Bei der weiten Verbreitung der Burdah in der gesamten islamischen Welt
vermengten sich auch die Sprachen im taḫmīs. Unter den türkischen Dichtern enga-
gierte sich besonders Sulaymān Naḥīfī (st. 1151/1738) mit der taḫmīs-Kunst, indem er
neben seinen zahlreichen Übersetzungen von Schlüsseltexten und auf Türkisch ver-
fassten taḫmīsen auch solche in der zweisprachigen mulammaʿ-Technik (taḫmīs mu-
lammaʿ) schrieb, und zwar auf die Bānat Suʿād, auf zwei Gedichte von ʿAbdarraḥmān
al-Ǧāmī und auf ein azal von Ḥāfiẓ Šīrāzī.40
Als QT dienten solche, die wie die Burdah in aller Munde waren, oder besonders
kunstvolle Gedichte, an denen die Dichter ihre eigenen Variationsübungen darlegen
konnten. Dies wäre eine Arbeit an den ‚Klassikern‘, mit der ein poetischer Dialog
von Text zu Text (oder Dichter zu Dichter) und gleichsam ein Dialog mit der poeti-
schen Tradition entsteht. Häufig amplifizierte Gedichte sind die Lāmiyyat al-ʿa am
Ibn al-Wardīs (st. 749/1349), Maqṣūrah Ibn Durayds (st. 321/933), ʿAyniyyah Ibn Zu-
rayk al-Baġdādīs (st. 420/1049), Lāmiyyat aš-Šaqrāṭisīs (st. 466/1073),41 Munfari ah
Ibn an-Naḥwīs (selbst taḫmīs-Autor, st. 513/1119),42 Hamziyyah und Mu ariyyah al-
Būṣīrīs, amriyyah Ibn al-Fārīḍs (st. 632/1235), wie auch dessen Tāʿiyyah. Die Gat-
tungszugehörigkeit der amplifizierten Gedichte lässt sich bei Weitem nicht allein auf
religiöse und sufische Texte beschränken.43 Besonders kunstreiche Gattungen wie die

]; (3) Šamsaddīn Muḥammad ibn Manṣūr al-ʿUbādah auch bekannt als Ibn aṣ-
āriḥ [ ]; rechts (4) Šihābaddīn al-A raʿī [ ]; links (5)
ad-Dimyāṭī [hier: ]. Die Verfasserschaft der taḫmīse ist nicht einheitlich;
vgl. Ahlwardt, Verzeichniss, Nr. 7812 3d: dem Muḥammad ibn Manṣūr ibn ʿUbādah zuge-
schrieben; in Nr. 7814: Nāṣiraddīn al-Fayyūmī zugeschrieben. Insbesondere die hier al-
Fayyūmī und ad-Dimyāṭī zugeschrieben Verse werden häufig vertauscht oder anderen gleich-
namigen Dichtern zugeordnet. Das MS Berlin Pet II 194 ist somit die früheste Zuordnung zu
ad-Dimyāṭī, während kurze Zeit später taḫmīs (hier) Nr. 5 Nāṣiraddīn Muḥammad ibn
ʿAbdassamad al-Fayyūmī zugeordnet wird, wie auch in den Mss.: Walters W. 581 [Abschrift:
Ǧ. II 767/Februar 1366]; Ann Arbor Isl. MS 228 [Abschrift 783/1381]; Berlin MS or. 13547
[ohne Datum], Paris Arabe 3183 [Abschrift: Ra ab 866/April 1462]. Siehe Rosemarie Quiring-
Zoche, Arabische Handschriften, Reihe B, Teil 7: Arabische Handschriften der Staatsbibliothek zu Ber-
lin – Preußischer Kulturbesitz (VOHD, 17, B 7), Stuttgart 2015, 7:354 mit weiten Angaben; aṭ-
Ṭayyib, „al-Burdah wa-l-aʿmāl“, 145 und 204 und Ahlwardt, Verzeichniss, Nr. 7811.
39 Glosse in an-Nābulusī, Dīwān al- aqā iq, hg. az-Zannātī, Beirut 1434/2013, 230; Ausgabe
Kairo 1270 [1884], 218.
40 Siehe Karabulut, Dünya Kütüphanelerinde, Nr. 3358, 7–9.
41 Altern. aš-Šuqrāṭisī, wie Stetkevych in ihrem Beitrag in diesem Band vokalisiert.
42 Zu den taḫmīsen zur Munfari ah (im seltenen Metrum al-mutadārik) siehe Suzan, Arap şiirinde
muhammes, 63–4.
43 Zu weiteren Gattungen und Autoren, siehe die Übersicht über Māmayhs taḫmīse im Anhang
und Suzan, Arap şiirinde muhammes ve tahmīs, 72–230. Ein großes Spektrum an Gattungen und
Dichtern, auch zeitgenössischen, deckt an-Nābulusī ab. Ein wesentlicher Teil von diesen sei
auf Bitte seiner Gelehrtenkollegen geschrieben. Im Gegensatz zu den ‚Prestige-taḫmīsen‘ sind
nicht alle Autoren der QT dieser taḫmīse benannt. Siehe an-Nābulusī, Dīwān al-Ḥaqā iq, Bulāq
1270/1853, 34, 43, 55–57, 74–75, 99, 101, 121–24, 143, 151–53, 174–76, 192, 214, 231, 237,

https://doi.org/10.5771/9783956509469
Generiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster, am 07.07.2022, 15:48:09.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
260 ALEV MASARWA

badiʿiyyāt, die sich aus der Burdah entwickelten, wurden selbst Gegenstand der taḫmīs-
Kunst,44 aber auch das altarabische poetische Erbe wie auch das der Muʿallaqāt-
Dichter blieb nicht unangetastet.45 Häufig wurden solche Gedichte amplifiziert, die
erst durch die Amplifikation auf die Bühne des ästhetischen Diskurses traten. Nicht
selten wurden für taḫmīse (dies gilt generell für alle Formen von Adaptationen) Ge-
dichte solcher Poeten herangezogen, die aus dem eigenen zeitgenössischen intellek-
tuellen Zirkel stammen. Solche Verfahren stärkten die dichterische Reputation so-
wohl des Amplifizierten als auch des Amplifizierenden.46
Über die Herkunft dieser Amplifikationsform gibt die klassische arabische Litera-
tur nur wenig Auskunft.47 Die frühesten Zeugnisse für ein taḫmīs dieser Art lassen sich
auf das 6./12. Jhd. datieren. Zu den früheren taḫmīs-Autoren werden gezählt:48 Yūsuf
ibn Muḥammad Ibn an-Naḥwī at-Tawzarī (st. 513/1119); Šihābaddīn as-Suhrawardī
(st. 587/1191) und al-Mārdīnī (st. 595/1198), einem Zeitgenossen as-Suhrawardīs49
mit taḫmīsen zum Mantelgedicht Kaʿb ibn Zuhayrs;50 ferner Usāmah ibn Munqiḏ

250, 260, 278, 285, 290–91, 305–9, 347, 350, 353; Teil2: 2, 5, 10, 12–14, 19, 27, 42–43, 46–52,
68–70, 76–77, 102, 122, 138–139, 141–142, 152–154, 194–195, 207–208, 215–216.
44 Siehe taḫmīs auf die badīʿīyyah al-Ḥillīs (677–749/1278–1348) von Abū Isḥāq ʿAlī al-Baḥnāsī
(geschr. 796/1403) in Suzan, Arap şiirinde muhammes ve tahmīs, 71.
45 Taḫmīse mit einer Gattungstransgression der muʿallaqāt durch das Lob auf die āl al-bayt schrieb
ʿAlī ibn Muḥammad Ibn Daftarḫwān [aṭ-Ṭūsī] (589–655/1193–1257), Kitāb Mubāriz al-aqrān:
taḫmīs al-muʿallaqāt at-tisʿ wa-qalbuhā fī madīḥ Āl al-Bayt ʿalayhim as-salām (siehe z.B. MS Prince-
ton, Garrett 3508Y; MS Mach 4239 und MS Paris Arabe 3075). Vgl. Karbāsī, Dīwān at-taḫmīs,
1:107, 110, 111, 113. Zur berühmten Lāmiyyah des vorislamischen Dichters as-Samaw’al ibn
ʿAdiyāʾ schrieb Ṣafīyaddīn al-Ḥillī einen taḫmīs (incipit: ); siehe
Ahlwardt, Verzeichniss, Nr. 7464 und 8482,2: 43b. Zur strophischen Dichtung al-Ḥillīs siehe
auch Ewald Wagner, „Ṣafīaddīn al-Ḥillīs Muwaššaḥ muḍammin“, in: Oriens 41 (2013), 27–39
und Wolfhart Heinrichs, „Der Teil und das Ganze: Die Auto-Anthologie Ṣafī al-Dīn al-Hillīs“,
in: Asiatische Studien 59 (2005), 675–696.
46 Alev Masarwa, Bildung – Macht – Kultur. Das Feld des Gelehrten Abū t-Ṯanāʾ al-Ālūsī (1802–1854)
im spätosmanischen Bagdad, Würzburg 2011, 277 nebst Anm., 307, 323–325. Für Mehmed Esad
Efendi verzeichnet Yeşildağ unter einigen türkischen fünf arabische taḫmīse. al-ʿUryānī
(st. 1168/1755) schrieb dann auf die Bitte Esad Efendis einen Kommentar (Marāṣid al-murād
šarḥ qaṣīdat Bānat Suʿād) zum taḫmīs Bānat Suʿād (siehe ders., Mehmed Esad Efendi, 16, 29–30).
47 Siehe Aḥmad Maṭlūb, Muʿǧam an-naqd al-arabī al-qadīm, 1:57, 285–289.
48 Zu den frühen taḫmīs-Autoren wird aš-Šaqrāṭisī (st. 466/1073) gezählt, doch konnte ich auf-
grund der bibliographischen Angaben nicht feststellen, ob er selbst der Verfasser eines taḫmīs
ist, oder ob nicht vielmehr sein Gedicht amplifiziert wurde (vgl. Suzan, Arap şiirinde muham-
mes ve tahmīs, 47, 62–63). Die Zuschreibung eines taḫmīs erfolgte wohl auf Grundlage eines
größeren Kommentarwerks Ibn aš-Šabbāṭ at-Tawzarī al-Miṣrīs (st. 681/1282) zum (vermutl. ei-
genen) taḫmīs auf die Lāmiyyah aš-Šaqrāṭisīs mit dem Titel: Ṣilat as-simṭ wa-simat al-mariṭ. Siehe
GAL 1:268; GAL S 1:473, 550, sowie Muḥammad Saʿīd Ḥinšī & ʿAbdalʿālī li-Mudabbir,
Fahāris al-Ḫizānah al-Ḫusayniyyah: Fihris maḫṭūṭat al-adab, Rabat 1422/2001, 1:342 (MS 8042).
49 Siehe zu beiden Fuat Sezgin, [GAS] Geschichte des arabischen Schrifttums. Bd. 2: Poesie bis ca. 430
H, Leiden 1975, 2:234; zu einem abweichenden Sterbedatum (543/1148) siehe Yeşildağ, Meh-
med Esad Efendi, 31 Anm. 189–191.
50 Zu den taḫmīsen zu Bānat Suʿād siehe ʿAbdallāh al-Ḥabašī, Ǧāmīʿ šurūḥ, Abu Dhabi
1425/2004, 1:387–390.

https://doi.org/10.5771/9783956509469
Generiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster, am 07.07.2022, 15:48:09.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
M MAYH IM PROPHETENMANTEL 261

(st. 584/1188) mit drei taḫmīsen und einem musammaṭ zu seinem eigenen Gedicht.51
Zu den taḫmīs-Dichtern des siebten Jahrhunderts zählen Ibn ʿArabī (st. 638/1240) mit
einem taḫmīs auf die Rāʾiyyah des Mystikers Abū Madyan (st. 594/1197);52 Mufaḍḍal
Ibn (al-)Mahīb (st. 645/1247) mit seinem langen taḫmīs auf die ʿišrīniyyāt al-Fāzāzīs
(geschr. 604/1206), worauf noch ein Kommentarwerk verfasst wurde;53 ʿAlī Ibn
Daftarḫwān aṭ-Ṭūsī (589–655/1193–1257) mit neun taḫmīsen auf die Muʿallaqāt;54
ferner Ibn Qizil al-Yārūqī (602–656/1205-1258)55 und Ibn Isrāʾīl (603–677/1206–
1278).56 Allerdings ist anzunehmen, dass diese Technik durchaus etwas älter ist, denn
bereits im sechsten Jhd. tritt der taḫmīs voll ausgereift und so selbstverständlich auf
die literarische Bühne, ohne dass dies als ein Novum verzeichnet wurde. Nach Gre-
gor Schoeler hat sich der taḫmīs allerdings nicht vor dem 5./11. Jhd. etabliert und ist
aus den dichterischen Experimenten in der muḥda /muwallad-Periode, die klassische
Qaṣīdenform mit durchgehendem Monoreim zu variieren, hervorgegangen.57 Dem-
nach bildet der taḫmīs eine Unterart des muḫammas, das wiederum eine Sonderent-
wicklung der frühen strophischen Dichtung der musammaṭ-Familie ist,58 dessen frü-
hestes Zeugnis auf Abū Nūwās zurückgeführt wird.59

51 Die taḫmīse Usāmah ibn Munqiḏs finden sich im Dīwān und wurden in der Druckausgabe von
1403/1983 als musammaṭāt klassifiziert. Jedoch erschließt sich mir diese Klassifizierung nicht,
da es sich um gewöhnliche taḫmīse handelt. Ibn Munqiḏ amplifizierte in dieser Form zwei
ʿu ritische Liebesdichter (Nr. 525: Qays ibn arīḥ, st. 70/689 und Nr. 526: Qays Ibn al-
Mulawwaḥ, st. zwischen 65 und 80/685 und 699) sowie eine Lāmiyyah (Nr. 527), die Mihyār
ad-Daylamī (st. 428/1037) zugeschrieben ist. Zum Letzteren siehe Hartwig Derenbourg, Antho-
logie de textes arabes inédits par Ousâma et sur Ousâma, Paris 1983, 61–2, nebst Anm. und 66–70.
52 Als eine der wenigen Einzelstudien zum taḫmīs siehe Gerald Elmore, „Ibn al-ʿArabīs „Cin-
quain“ (Taḫmīs) on a poem by Abū Madyān“, in: Arabica 46 (1999), 63–96.
53 Nach Brockelmann: Abū Bakr Muḥammad ibn Mahīb (siehe GAL S 1:483); so auch in Joseph
Aumer, Catalogus Codicum manuscriptorum Bibliothecae Regiae Monacensis, München 1866, 221
(MS München Cod. arab. 526); nach Susan, Arap şiirinde bir nazm türü muhammes, 45–46 und
ders, „Arap şiirinde bir nazm türü: tahmîs“, in: e- arkiyat lmi Araştrmalar Dergisi 3 (2010),
54–68, hier 60: Abū Zakariyya ibn al-Muhayyab (st. 654?/1256), wobei dieser hier wohl ein
anderer als Muḥammad ibn al-Muḥayyab zu sein scheint. Soweit ich ermitteln konnte, han-
delt es sich aber um den gleichen maghrebischen Gelehrten Ibn Mahīb (Muhayyab, Muhīb)
wie in GAL angegeben; siehe auch ʿ rifbillāh ad-Dā irī at-Ti ānī, Nawāfī al-ʿiṭriyyah al-
muḫtaṣarah min al-Nafḥah al-ʿAnbariyyah fī Madḥ Ḫayr al-Bariyah, Beirut 1424/2003, (dort aller-
dings Ibn al-Mahīb).
54 Siehe Anm. 45 und Thomas Bauer, „Ibn Daftarkhwān“, in: EI3.
55 Dīwan Ibn Qizil, hg. Mašhūr al-Ḥabbāzī, Jerusalem 1423/2002, 597–8.
56 Siehe [Ibn Isrāʾīl] Dīwān Naǧmaddīn ibn Suwar ad-Dimašqī, hg. Muḥammad Adīb al- ādir,
Damaskus 1431/2010, 791 (Index), mit acht taḫmīsen überwiegend auf seine eigenen Gedichte.
57 Gregor Schoeler, „Muwaššaḥ und Za al“, in: W. Heinrichs u.a. (Hgg.), Neues Handbuch der Lite-
raturwissenschaft, Bd. 5: Orientalisches Mittelalter, Wiesbaden 1990, 440–464, hier 442.
58 Gregor Schoeler, „Musammaṭ“, in: EI2 und Wagner, „Ṣafīaddīn al-Ḥillīs Muwaššaḥ muḍam-
min“, 31. Das musammaṭ weist folgende Reimschemata auf: 1. einfaches musammaṭ: aaa (Son-
derreim)+ a (Gemeinreim, simṭ); bbb a; ccc a usw.; 2. musammaṭ mit Einleitungsversen
(maṭlaʿ): a bbb a; ccc a usw.; mit zwei Einleitungsversen: aa bbb a, ccc a, ddd a. 3. Entsprechend
der Anzahl der Zeilen vor dem Gemeinreim ändert sich die Bezeichnung: musammaṭ murabbaʿ
(aaaa b; bbbb a; etc); musammaṭ muḫammas (bbbb a; cccc a etc.) musammaṭ musaddas usw. Siehe
hierzu Schoeler, „Musammaṭ“, ders., „Muwaššaḥ und Za al“, 440–441 sowie ders., „Theories

https://doi.org/10.5771/9783956509469
Generiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster, am 07.07.2022, 15:48:09.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
262 ALEV MASARWA

Von dem muḫammas ist der taḫmīs zu unterscheiden. Zuweilen synonym gebraucht,
sind sie jedoch technisch und in der dichterischen Motivation ganz verschieden: dem
taḫmīs liegt immer ein zuvor existentes Gedicht (seltener ein eigenes, vielmehr das ei-
nes anderen Dichters) zugrunde, das der Dichter a posteriori erweitert, während dies
im muḫammas nicht der Fall ist – ausgenommen in solchen muḫammasāt, die eine be-
sondere Spielart des Einschlusses mit taḍmīn-Versen demonstrieren.60 In den Hand-
schriften wird die poetische Form taḫmīs, die Tätigkeit der Amplifikation als taḫamma-
sa …; lahū taḫmīs abyāt fuʿlān oder in der Partizipialform qāla muḫammisan fuʿlān
bezeichnet. Letztere Formulierung mag zur terminologischen Indifferenz weiter beige-
tragen haben, zudem kann schiere Unachtsamkeit/Unwissenheit des Schreibers über
den QT dazu geführt haben, ein Gedicht als muḫammas zu bezeichnen, wenn das zu-
grundeliegende Gedicht nicht erkannt wurde.
Obwohl das literarische Verfahren über Jahrhunderte hinweg bis in die Moderne
in der Dichtung präsent und relativ konsistent ist, gibt es weder eine kodifizierte Re-
gelpoetik noch eine Auseinandersetzung über den Sinn und Effekt der Amplifikati-
on in taḫmīs-Form. Es äußern sich hierzu lediglich einige taḫmīs-Autoren selbst, oder
ihre Werktitel lassen sich als Hinweise auf den ästhetischen Zweck deuten. Ansons-
ten fassen erst – wenn auch nur in knapper Form – spätere Autoren wie auch die
spätere Literaturgeschichtsschreibung die essenziellen, jedoch offenkundigen Bedin-
gungen der Amplifikation zusammen. Es fehlen Einzelstudien, die das Verhältnis
des taḫmīs zum Ursprungsgedicht hinsichtlich der jeweils verwendeten Amplifikati-
onsfiguren zueinander als auch hinsichtlich der thematischen Konformität bzw.
Neu-Justierung näher untersuchen, zumal dieses Verhältnis Fragen nach der Abge-
schlossenheit und Offenheit literarischer Werke aufwirft.61
Für den türkischen Dichter Nābī (st. 1124/1712) kleidet der taḫmīs das Gedicht in
ein Gewand und krönt ihn mit einem Turban (tahmīs şiʿre cāme vü destār giydirür).62

on the Origin of the Andalusian Arabic Stanzaic Poetry–Revisited“, in: Oriens 44 (2016), 69–
93, hier 70–75.
59 Die Zurückführung des musammaṭ auf die altarabische Dichtung, vornehmlich auf Imruʾ l-
Qays, wurde bereits in der arabischen Literaturkritik bezweifelt; siehe Schoeler, „Muwaššaḥ
und Zaǧal“, 441; vgl. Suzan, Arap şiirinde muhammes ve tahmīs, 24–25, et passim. Zu den
musammaṭ-Versen im Dīwān Abū Nuwās, die auch in Qaṣīdenform gelesen werden können,
siehe Ewald Wagner, Dīwān Abū Nuwās, Stuttgart 1988, 3:332, Nr. 287; ders., Abū Nuwās. Eine
Studie, 228–233; Gregor Schoeler, „Neo-Persian Stanzaic Poetry“, in: Muwashshah! Research Pa-
pers on Arabic and Jewish Strophic Poetry, London 2006, 257–267, hier 258–259 und 266, Anm. 9.
60 Wagner, „Ṣafīaddīn al-Ḥillīs Muwaššaḥ muḍammin“; Geert J. van Gelder, Sound and Sense in
Classical Arabic Poetry, Wiesbaden 2012, 264.
61 Dass taḫmīse durchaus über die Ideen eines QT hinausgehen können, bei denen QV wie Topoi
behandelt werden, darauf verweist, wenn auch nur knapp, Louis Massignon, The Passion of al-
Hallaj. Mystic and Martyr of Islam, 4 Bde., Princeton 1982, 2:419. Massignon gibt Auszüge ei-
nes mystisch-religiös geprägten taḫmīs aš-Šuštarīs (st. 668/1269), worin die Ideen Ḥallāǧs
(st. 309/922) und Ibn Sabʿīns (st. 699/1270) mit denen Ibn ʿArabīs (st. 638/1240) vermengt
sind.
62 Zitat in Abdulkadir Erkal, 17. Yüzyl divan ṣiiri poetikas, Diss., Univ. Erzurum 2009, 348. Einer
Hochzeit gleich formuliert Ibn Maʿṣūm seine Amplifizierungsabsicht: Ich wollte sie (die
Burdah) in eine Fünfform bringen, die den Ohren und den Seelen gefällig ist und ihr, wie ei-

https://doi.org/10.5771/9783956509469
Generiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster, am 07.07.2022, 15:48:09.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
M MAYH IM PROPHETENMANTEL 263

Nach Tahir al-Mawlawī stehen in taḫmīsen, die nicht kunstgerecht geschrieben wur-
den, die amplifizierten Verse und der Originalvers schräg zueinander, ähnlich dem
schrägen Blick eines Ney-Spielers.63 Die prägnanteste Darstellung bietet immer noch
Gibb:
The difficulty in the Terbiʿ (and in similar Takhmīs and Tesdīs) is to make the Zamīme blend natu-
rally and gracefully with the lines to which it is prefixed; it should so harmonize with these both
in feeling and in language that the whole poem appear to be the work of one and the same writer.
When this is not achieved, the stanzas have a patchy look, and the result is failure.64

Die Nachrangigkeit in der Texthierarchie führte bekanntlich nicht dazu, dass aus-
schließlich zweitrangige Poeten diese Technik verwendeten. Dichter wie Ibn Ḥiǧǧah
betraten mit ihren taḫmīsen offen die Arena, um ihre Vorgänger in dieser Kunst zu
überbieten.65 Andere wiederum zeigten ihren Eifer, indem sie gleich mehrere taḫmīse
zum selben Gedicht schrieben. Ganze dreizehn taḫmīse auf die Burdah habe allein der
tunesische Dichter Abū Muḥammad ʿAbdalqādir al- abālī (st. 1122/1710) auf die
Burdah verfasst.66
Der taḫmīs fiel, wie viele andere poetische Formen der aemulatio, entweder der In-
differenz anheim oder der negativen Beurteilung der mimetischen und aemulativen
Verfahren als Techniken rein epigonaler Dekadenz. Darin unterschieden sich die in-
digene arabische und die europäische Literaturkritik, besonders geprägt durch die so-
genannte „Geniezeit“, kaum. Solche Konzepte operieren mit einem Bewertungspara-
digma, vor dem alles, was nicht dem Verständnis vom originellen Prototyp, von
hoher Kunst oder vom meisterhaft Schöpferischen entsprach, als epigonal abgewertet
wurde.67

ner Braut, eine juwelenbesetzte Schärpe auf die Schulten anlegen mit der Bitte an den Prophe-
ten mit ihr und dem gesamten Lob darin eintreten zu dürfen und sie freundlich anzuneh-
men.“ Siehe Ibn Maʿṣūm, Taḫmīs qaṣīdat al-Burdah, 103–104.
63 Ye ilda , Mehmed Esad Efendi, 15 nach Tâhirü’l-Mevlevî (st. 1951), Edebiyat Lügat, hg. Kemal
Edip Kürkçüo lu, stanbul 1973, 141–142: „Bu bir nevi edebiyat kuyumculugudur ki herkesin
kâr de ildir. Üstādāne olmayan tahmislerde esas ve ilāve msralar birbirlerine neyzen bak yla
bakarlar.“ [Der taḫmīs] ist eine Art Goldschmiedekunst und nicht jedermanns Sache. In dilet-
tantischen (wörtl. nicht meisterlich) gestalteten taḫmīsen schauen sich die hinzugefügten und
die Originalverse einander mit dem Blick eines Ney-Spielers an. (eigene Übers.)]
64 Gibb, A history of Ottoman poetry, 1:93. So auch Ibn Maʿṣūm al-Madanī, Taḫmīs qaṣīdat al-
Burdah li-s-Sayyid adraddīn ʿAlī ān al-Madanī (1052/1120), hg. Ḥabīb l umayyiʿ, Beirut
1417/1996, 10 (Vorwort des Hg.).
65 Siehe zu Ibn Ḥiǧǧah Anm. 15. Etwas subtiler, aber ähnlich motiviert lesen sich die Einleitun-
gen und Zusätze der Titel bei an-Nābulusī und al- undī (st. 1257/1841), die betonen, sie hät-
ten auf Wunsch ihrer Freunde diesen oder jenen taḫmīs verfasst. Für an-Nābulusī siehe Anm.
43; für al- undī siehe Ye ilda , Mehmed Esad Efendi, 16 nebst. Anm. und Suzan, Arap şiirinde
muhammes ve tahmīs, 47.
66 Muḥammad ibn Qāsim Ma lūf, Ša arat an-nūr az-zakiyyah fī ṭabaqāt al-Mālikiyyah, hg.
ʿAbdalmaǧīd ayyālī, 2 Bde., Beirut 1424/2003, 1:466–467. Es war mir nicht möglich, diese
taḫmīse zu sichten.
67 Nach ar-Rāfiʿī fügen taḫmīs-Dichter weiteren Staub auf den Staub der Toten. Sie beleben sie
nicht neu, im Gegenteil, ihre Zusätze seien nurmehr täuschende Einflüsterungen (waswās), die
Unheil (ʿay ) am „guten Gedicht“ anrichten. Siehe Muṣ afā Ṣādiq ar-Rāfiʿī, Tā rīḫ al-adab al-

https://doi.org/10.5771/9783956509469
Generiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster, am 07.07.2022, 15:48:09.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
264 ALEV MASARWA

Die Abwertung dessen, was vermeintlich nachrangige und unoriginelle Kunst dar-
stellt, entledigt sich zum einen der Arbeit am konkreten literarischen Text, den Tech-
niken der Amplifikation, ihrer Realisierung und den textpragmatischen Auswirkun-
gen. Zum anderen führt sie in der ignoranten Haltung gegenüber literarischen
Konventionen zu einem verzerrten Bild über die Geltung der Traditionen in der
vormodernen Literatur. Dabei geht die Schere zwischen literarischem, poietischem
und literaturkritischem Diskurs sehr weit auseinander, was die Fülle der taḫmīs-
Dichtung bezeugt. Der taḫmīs hatte als poetische Spielart bis in die Spätzeit der Os-
manen hohe Geltung, vor allem als Ausdruck literarischer Fertigkeiten, Strategie der
Textaktualisierung und -optimierung und als ein Mittel gelehrter Kommunikation, so
dass selbst taqrīẓe (literarische Würdigungen) zu taḫmīs-Werken verfasst wurden.68
Auf eine weitere Folge der Indifferenz gegenüber der taḫmīs-Gattung macht Gre-
gor Schoeler in seinem musammaṭ-Artikel mit dem Verweis auf die spanische Glos-
se/Glosa aufmerksam.69 Die als „spanische Form“ bekannte lyrische Glosse (altern.
Glose, Glosa) ist ab dem 15. Jahrhundert belegt und kennzeichnet die Amplifikati-
on (die glosa im engeren Sinne) eines meist vierzeiligen Gedichts (texto, cabeza, letra
oder retruécano genannt) in Strophenform, bei der die Strophe immer aus der glei-
chen Anzahl (meist vier bis neun) von Amplifikationsversen besteht, gefolgt vom
Schlussvers (glosa-Zitat). Wenn auch die Glossa-Dichter etwas mehr Freiheiten im
Reim hatten, so ist der Anspruch und die technische Arbeit am texto doch die glei-
che, wie im taḫmīs zum QT.70
Die Herausforderung für einen taḫmīs-Autor besteht nicht nur im prosodischen
Bereich, sondern auch im inhaltlichen. Seiner gestalterischen Kraft kann er keinen
freien Lauf lassen, da die AV in ihrer Gesamtheit in der Semantik des Originalverses
bleiben und auf die Realisierung im ʿaǧuz-Vers (I–b) hinarbeiten. Ausgesuchte qaṣīden
können an sich schon taḍmīn-Verse oder Koran-Verse (iqtibās) enthalten, und sie kön-
nen an sich auch eine muʿāraḍah zu einem anderen Gedicht sein. Alle diese verschie-
denen Ebenen und Spielarten im QT muss der jüngere Dichter bei seiner Erweite-
rung berücksichtigen, da er weder das Thema noch den Reim ändert. Auch der hohe
Rang des Originalgedichts wird in den taḫmīsen prinzipiell nicht in Frage gestellt und

ʿarabī, 3 Bde., Beirut 1421/2000, 3:300. Ähnlich kritisch äußert sich an-Nabhānī, der sehe, wie
das Original-Gedicht über seinen späteren Zustand weine. Deshalb habe er die taḫmīse und
andere Formen als Anhang an seine Sammlung angehängt; siehe an-Nabhānī, al-Maǧmūʿah an-
Nabhāniyyah, 1:17.
68 Siehe Asʿad aṭ-Ṭayyib, „Taḫmīs qaṣīdat al-Burdah li-l-Būṣīrī li-š-šāʿir Muḥammad Riḍā ibn
Aḥmad an-Naḥwī (st. 1226 H.)“, in: Turāṯunā 59, 60 (2000), 303–392, hier 307–321 mit syno-
nymem Gebrauch von tasmīṭ und taḫmīs.
69 Schoeler, „Musammaṭ“. Zur Glossen-Dichtung siehe Rudolf Baehr, Spanische Verslehre auf histo-
rischer Grundlage, Tübingen 1962, 239–247 sowie John G. Cummins, The Spanish Traditional Ly-
ric, Oxford 1977, 144–148 zu thematischen Transgressionen in der Glossendichtung (culto gloss
und gloss a lo divino).
70 Baehr bezweifelt den Einfluss der arabischen Dichtung auf die Glosa, indem er aber überwie-
gend die Unterschiede zum musammaṭ, muwaššaḥ und zaǧal hervorhebt, aber nicht die taḫmīs-
bzw. die tašṭīr-Tradition berücksichtigt; siehe ders., Spanische Verslehre auf historischer Grundlage,
244–245.

https://doi.org/10.5771/9783956509469
Generiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster, am 07.07.2022, 15:48:09.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
M MAYH IM PROPHETENMANTEL 265

anders als z.B. in einer muʿāraḍah explizit beibehalten. Ganze, vor allem längere Ge-
dichte zu amplifizieren, war darüber hinaus noch eine aktive Demonstration der
Würdigung des QT/und dessen Autors durch Partizipation am vorgegebenen Muster.
Dennoch gibt es strukturelle Mechanismen, die Hierarchie und das Gerüst des Origi-
nalgedichts zu variieren oder den Fokus des Lesers auf die amplifizierten Verse zu
lenken. Dies geschieht z.B. rein formal in den verschiedenen Präsentationstechniken
des taḫmīses auf der Seite. Je nachdem, wohin der Autor oder in unseren Fällen
mehrheitlich der Kopist bzw. dessen Abschreibe-Konvention die Aufmerksamkeit des
Lesers lenken will: auf die amplifizierten Verse, den ʿaǧuz-Vers mit dem prägnanten
Reim oder auf die Verse des Originalgedichts (I–a und I–b), die zusammen mit den
AV eine strophische Gestalt annehmen. Weiter gehen indes die kompositorischen
Verfahren, die vom taḫmīs-Autor selbst angewendet werden, indem er z.B. a) nur eine
bestimme Anzahl der Verse aus dem Originalgedicht amplifiziert und damit die the-
matische Gewichtung des QT justiert oder b) sie in eine andere Reihenfolge bringt
und folglich in den Plot eingreift (vgl. Tabelle im Anhang). Eine Auswahl zu amplifi-
zieren hat vergleichbare Hintergründe wie in der taḍmīn-Praxis: der Dichter konnte
bestimmte Stilfiguren hervorheben, hinzufügen, den ursprünglichen kompositori-
schen Rahmen versetzen und dadurch dem unveränderten ʿaǧuz-Vers im QT eine an-
dere Realisierung ermöglichen wie auch seine Bedeutungsdimensionen erweitern.

Taḫmīse Māmayhs

Insgesamt schrieb Māmayh 35 taḫmīse, von denen nur einer, die Muḍariyyah Ibn al-
Fāriḍs, außerhalb der Dīwān-Manuskripte überliefert ist.71 Besonders häufig amplifi-
ziert Māmayh azal-Gedichte und sufisch-religiöse Gedichte, viele Werke andalusi-
scher Dichter und überwiegend solcher Dichter, die aus dem 11.-13. Jahrhundert
stammen. Zu den wenigen zeitgenössischen gehört Abū s-Suʿūd (st. 982/1574), dessen
berühmte Mīmīyyah Māmayh vollständig amplifizierte und mit diesem taḫmīs eben-
falls Bewunderung fand. Wie Muḥammad Bā-Faqīh für ein bekanntes Kaffee-Gedicht
Māmayhs bezeugt, wurden auch Māmayhs Verse amplifiziert.72

71 Siehe Anhang mit einer Übersicht über die taḫmīse. Der Māmayh zugeschriebene taḫmīs auf
die Muḍariyyah findet sich in MS Berlin Wetzstein II 183, fols. 18b–19b (unvollständig), inci-
pit: . Taḫmīse und Gedichte Māmayhs sind häufiger in Sammelschrif-
ten zu finden. Siehe z.B. Māmayhs taḫmīs auf as-Suhaylīs Gedicht zusammen mit al-Fayyūmīs
taḫmīs auf die Burdah in einer Sammelschrift frommen Inhalts in Kairo (Dār al-Kutub al-
Miṣriyyah, Fihris, 3: Nr. 724-16); weitere Sammelschriften mit taḫmīsen und anderen Gedich-
ten Māmayhs finden sich u.a. in den Mss. Paris Arabe 3418 und 6014; MS Berlin Sprenger
1239; MS Istanbul Asir Efendi 1466 (eine safīnah).
72 Muḥammad ibn ʿUmar aṭ-Ṭayyib Bā-Faqīh (jüngerer Zeitgenosse Māmayhs, st. ca.
1011/1602), Tā rīḫ aš-šiḥr fī aḫbār al-qarn al-ʿāšir, hg. ʿAbdallāh Muḥammad al- abašī, Sanaa
1419/1999, 383–384; 412; hier 384: „Wieviele taḫmīse habe ich zu diesem Gedicht gesehen.“
In den mir zugänglichen Schriften konnte ich jedoch solche taḫmīse auf Māmayhs Gedicht
nicht ermitteln.

https://doi.org/10.5771/9783956509469
Generiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster, am 07.07.2022, 15:48:09.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
266 ALEV MASARWA

Eine Besonderheit in zweifacher Hinsicht bietet Māmayh, indem er zum einen ein
taḫmīs auf sein eigenes Gedicht (#839; 24 Verse) schrieb und zum anderen, weil es sich
hierbei um ein bissiges Spottgedicht handelt, das er auf einen Zeitgenossen, al-Fātūšī
dem Lügner aus Nablus dichtete. Die Intensität seines Spotts scheint Māmayh in der
ursprünglichen Fassung nicht genügt zu haben. In der Amplifikation im Negativen
entfaltet das Gedicht eine sehr viel größere Wirkung. Seine 24 Verse schwellen bei
dem Amplifikationsfaktor von 2,5 bei taḫmīsen auf nominell 60 Doppelverse an, die je
nach Layout 96 oder 72 Zeilen einnehmen.

Der Burdah-Taḫmīs
Der taḫmīs Māmayhs trägt den kühnen Titel Quṭb al-arbaʿīn wa-llāhu al-muʿīn (Der Pol
der Vierziger und Gott ist der Hilfespendende, i.e. der wahre Beistand), da es der 41.
taḫmīs der Burdah sei.73 Der Titel ist Programmatik und Anspruch zugleich. Aus dem
Verweis auf die Vierziger ist zum einen zu entnehmen, dass der taḫmīs eine eigene
Gattung und nicht mehr nur poetische Form ist, zum anderen verweist Māmayh auf
die überwiegend prosaische Textsorte der „Vierziger“ (al-arbaʿūn) – eine Sammlung von
vierzig (oder mehr) ḥadīṯen, in denen die wichtigsten Überlieferungen zur Glaubens-
und Lebenspraxis in einer Art ‚fourty ḥadīṯs you must know‘ zusammengestellt sind.
Dass er sich unbescheiden über die vorangegangenen vierzig stellt, zeigt dass er min-
destens vierzig Burdah-taḫmīse gelesen hatte und freilich diese überbieten möchte.
Auch wenn wir von einem sufischen Hintergrund bei Māmayh ausgehen können,
verdeutlicht er bereits im Titel, dass der wahre Beistand nicht im Propheten zu suchen
ist, sondern bei Gott: al-muʿīn (ʿ-n-w) ist hier ein nicht-koranischer Name für Gott als
Helfer, Beistand, synonym zum koranischen wakīl, naṣīr, waliyy, šafīʿ.74

Versbestand
Die Dīwān- und die externen taḫmīs-Kopien geben kein einheitliches Bild vom Um-
fang der amplifizierten Verse. Unter allen vorliegenden Dīwān-Kopien enthalten nicht
alle, sondern nur 17 den taḫmīs. Die umfangreichsten Texte weisen 163 Burdah-Verse
auf, von denen Verse 161–162 solche sind,75 die nicht zur ursprünglichen Fassung der
Burdah gezählt werden. Vers 163 bildet die eigene Signaturzeile Māmayhs, die in allen
Kopien enthalten ist. Die Riyader Prachthandschrift, die hier unsere Textvorlage bil-
det, hat trotz zahlreicher Zusatzverse nicht den verlässlichsten Text. Einige Burdah-
Verse fehlen gänzlich, die andernorts vorhanden sind, oder der Kopist ordnet die AV
falschen QV zu. Eine recht große Fehlerquelle in den meisten Kopien bieten die AV-

73 Den vollständigen Titel mit kleineren Varianten geben z.B. die Mss. (‫)ق( ;)ز( ;)ر( ;)ط‬.
ِ ‫عجزين فِي االَٔرضِ َوال فِي الس‬ َ
Siehe z.B. Q 4:45; Q 32:4; Q 9:116; Q 45:19; Q 29:22: ( ‫ماء ۖ َوما‬ َّ َ ِ ‫َوما أن ُتم بِ ُم‬
74
ِ ِ ِ ِ
ِ ‫ َلكُم من‬Und ihr könnt Ihm weder auf Erden noch im Himmel entkommen.
‫دون اللَّه من َو ل ٍّي َوال نَصي ٍر‬
Und ihr habt außer Gott weder Beschützer noch Helfer).
75 Zu diesen siehe unter Abschnitt „Saum der Burdah“.

https://doi.org/10.5771/9783956509469
Generiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster, am 07.07.2022, 15:48:09.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

Das könnte Ihnen auch gefallen