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Adorno
Kulturkritik und Gesellschaft I
Prismen - Ohne Leitbild
Funktionalismus heute
So dankbar ich bin für das Vertrauen, das Adolf Arndt durch
seine Einladung mir bewies, so ernst sind meine Zweifel daran,
ob ich wirklich das Recht habe, bei Ihnen zu sprechen. Metier,
Sachverständnis für die handwerklichen und technischen Fragen,
gilt in Ihrem Kreis mit gutem Grundsehr viel. Gibt es eine Idee,
die in der Werkbundbewegungsich durchhielt, dann ist es eben
die sachlicher Zuständigkeit, im Gegensatz zu losgelassener, ma-
terialfremder Asthetik. Mir ist vom eigenen Metier, der Musik
her diese Forderungselbstverstandlich, dank einer Schule, die so-
wohl zu Adolf Loos wie zum Bauhaus in nahen personellen Be-
ziehungen stand undsich den Bestrebungen der Sachlichkeit gei-
stig in vielem verwandt wußte. Aber ich kann nicht die mindeste
Kompetenz in Dingen der Architektur beanspruchen. Wenn ich
trotzdem der Lockung nicht widerstand und der Gefahr mich
aussetzte, von Ihnen als Dilettant geduldet und beiseite gescho-
ben zu werden, so kann ich, außer darauf, daß es mir Freude
macht, einige Überlegungen gerade Ihnen vorzutragen, mich
allenfalls auf die Ansicht von Adolf Loos berufen, ein Kunst-
werk habe niemandem zu gefallen, das Haus aber sei einem je-
den verantwortlich!. Ich weiß nicht, ob der Satz zutrifft, brauche
indessen kaum päpstlicher zu sein als der Papst. Das Unbehagen,
das mich beim deutschen Wiederaufbaustil befällt und das gewiß
viele von Ihnenteilen, bewegt mich, der dem Anblick derartiger
Bauten nicht weniger ausgesetzt ist als ein Fachmann, nach dem
Grund zu fragen. Das Gemeinsame von Architektur und Musik
hat man längst in einer bis zum Überdruß wiederholten Pointe
ausgesprochen. Indem ich, was ich sche, zusammenbringe mit
dem, was ich von den Schwierigkeiten der Musik weiß, verhalte
ich mich vielleicht doch nicht ganz so unverbindlich, wie nach den
1 Vgl. Adolf Loos, Sämtliche Schriften in zwei Bänden,hrsg. von Franz Glück,
Bd. 1, Wien, München 1962,8. 314 f.
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Regeln der Arbeitsteilung zu erwarten wäre. Dabei muß ich eine was seinen funktionalen und symbolischen Sinn verloren hat und
größere Distanz einnehmen, als Sie mit Fug erwarten. Doch als verwesend Organisches, Giftiges übrig ist. Dem opponiert
scheint es mir nicht außerhalb jeder Möglichkeit, daß es zuzei- alle neue Kunst: dem Fiktiven der heruntergekommenen Ro-
ten — in latenten Krisensituationen — einiges Gute hat, von den mantik, dem Ornament, das sich nur noch beschämend ohnmäch-
Phänomenen weiter sich zu entfernen, als es das Pathos tech- tig beschwört. Derlei Ornamentesind in der rein nach Ausdruck
nischer Zuständigkeit dulden möchte. Materialgerechtigkeit hat und Konstruktion organisierten neuen Musik nicht minder rigo-
Arbeitsteilung zur Grundlage; damit aber empfiehlt sich auch für ros ausgemerzt worden als in der Architektur; die komposito-
den Sachverständigen gelegentliche Rechenschaft darüber, wie rischen Neuerungen Schönbergs, derliterarische Kampf von Karl
weit sein Sachverständnis unter der Arbeitsteilung leidet, wie Kraus gegen die Zeitungsphrase und die Denunziation des Or-
weit die künstlerische Naivetät, deren es bedarf, zu ihrer eigenen naments durch Loos stehen keineswegs in vager geistesgeschicht-
Schranke werden kann. licher Analogie, sondern sind unmittelbar desselben Sinnes. Das
Lassen Sie mich davon ausgehen, daß die anti-ornamentale Be- veranlaßt zu einer Korrektur der Loos’schen These, der der Ge-
wegung auch die zweckfreien Künste betroffen hat. In Kunst- neröse nicht sich verweigert hätte: daß die Frage des Funktiona-
werken nach dem ihnen Notwendigen zu fragen und gegen das lismus nicht zusammenfällt mit der nach der praktischen Funk-
Überflüssige sich spröde zu machen,liegt in ihnen selbst. Nach- tion. Die zweckfreien und die zweckgebundenen Künste bilden
dem die Tradition den Künsten keinen Kanondes Richtigen und nicht den radikalen Gegensatz, den er unterstellte. Der Unter-
Falschen mehrbeistellt, wird jedem Werk solche Reflexion auf- schied zwischen Notwendigem und Überflüssigem wohnt den
gebürdet; ein jedes muß sich aufseine immanente Logik überprü- Gebilden inne, erschöpft sich nicht in ihrer Bezogenheit auf ein
fen, gleichgültig, ob diese von einem äußeren Zweck in Bewegung ihnen Auswendiges, oder deren Abwesenheit.
gebracht wird odernicht. Dasist keineswegs neu; Mozart, wahr- Bei Loos und in der Frühzeit des Funktionalismus sind das
haft doch Träger und kritischer Vollstrecker einer großen Tradi- Zweckgebundene und das ästhetisch Autonome durch Macht-
tion, antwortete auf den leisen Tadel eines Potentaten, nach der spruch voneinander getrennt. Diese Trennung, an der die Refle-
Premiere der »Entführung«: »Aber sehr viele Noten, lieber Mo- xion erneut einsetzen muß, hatte ihren polemischen Angriffs-
zart«: »Nicht eine mehr, Majestät, als notwendig ist.« Mit der punkt im Kunstgewerbe. In dessen Ära entsprang Loos; ihm ent-
Formel von der Zweckmäßigkeit ohne Zweck als einem Moment rang er sich, historisch gleichsam zwischen Peter Altenberg und
des Geschmacksurteils hat Kant in der »Kritik der Urteilskraft« Le Corbusier lokalisiert. Die Bewegung, die seit Ruskin und
jene Norm philosophisch niedergelegt. Nur birgt sie eine ge- Morris sich aufbäumte gegen die Ungestalt massenproduzierter
schichtliche Dynamik; was, in der vorgegebenen Sprache eines und zugleich pseudo-individualisierter Formen, zeitigte Begriffe
Materialbereichs, noch als notwendig sich auswies, wird über- wie Stilwille, Stilisierung, Gestaltung; die Idee, man solle Kunst
flüssig, tatsächlich schlecht ornamental, sobald es in jener Spra- ins Leben bringen, um es zu heilen, Kunst anwenden, und wie
che, dem, was man gemeinhin Stil nennt, nicht mehrsich legiti- sonst die einschlägigen Parolen lauteten. Loos spürte früh das
miert. Was gestern funktional war, kann zum Gegenteil werden; Fragwürdige solcher Bestrebungen: den Gebrauchsdingen wider-
diese geschichtliche Dynamik im Begriff des Ornaments hat Loos fährt Unrecht, sobald man sie mit dem versetzt, was nicht von
durchaus gewahrt. Noch das Repräsentative, Luxurierende, Üp- ihrem Gebrauch gefordert ist; der Kunst, dem unbeirrten Pro-
pige, in gewissem Sinn Aufgeklatschte mag in manchen Kunst- test gegen die Herrschaft der Zwecke über die Menschen, wenn
typen aus ihrem eigenen Prinzip heraus notwendig, nicht auf- sie auf eben jene Praxis heruntergebracht wird,gegendie sie Ein-
geklatscht sein; den Barock deswegen zu verdammen, wäre spruch erhebt nach dem Wort Hölderlins: »Denn nimmer von
banausisch. Kritik des Ornamentsist soviel wie Kritik an dem, nun an / taugt zum Gebrauche das Heil’ge.« Kunstfremde Ver-
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kunstung der praktischen Dinge war so abscheulich wie die Kunstgewerbereligion der vorgeblich edlen Stoffe übernommen;
Orientierung der zweckfreien Kunst an einer Praxis, die sie stets noch geistert er in der autonomen Kunst. An ihn schloß sich
schließlich doch der Allherrschaft des Profits eingeordnet hätte, die Idee materialgerechter Kontruktion an. Ihm korrespondiert
gegen welche die kunstgewerblichen Bestrebungen zumindest in ein undialektischer Schönheitsbegriff, der die autonome Kunstals
ihrem Anfang sich aufgelehnt hatten. Loos predigte demgegen- Naturschutzpark einfriedet. Wäre der Haß von Loos aufs Orna-
über Rückkehr zu einem anständigen Handwerk, das sich der mentfolgerecht, er müßte auf die gesamte Kunst sich übertragen.
technischen Neuerungen bedient, ohne seine Formen von der Ist diese einmal zur Autonomie gediehen, so kann sie ornamen-
Kunst sich auszuborgen. Seine Forderungen, deren restauratives taler Einschläge darum nicht vollends sich entäußern, weil ihr
Element unterdessen kaum weniger offenbar ward als zuvor das eigenes Dasein, nach den Kriterien der praktischen Welt, Orna-
kunstgewerblicher Individualisierung, kranken an der allzu ment wire. Vor dieser Konsequenz schrickt, zu seiner Ehre, Loos
schlichten Antithese; die Diskussionen über die Sachlichkeit zurück, ähnlich übrigens wie die Positivisten, die zwar aus der
schleppensie bis heute mit. Philosophie verdrängen möchten, was ihnen darin Dichtung
Zweckfreies und Zweckhaftes in den Gebilden sind darum nicht dünkt, nicht jedoch Dichtung an sich als Beeinträchtigung ihrer
absolut voneinander zu trennen, weil sie geschichtlich ineinander Art Positivität empfinden, sondern sie in ihrem Spezialbereich
waren. Sind doch, wie bekannt, die Ornamente, die Loos mit neutralisiert, doch unangefochten dulden, weil sie die Idee objek-
einer Berserkerwut ächtete, die sonderbar absticht von seiner tiver Wahrheit überhaupt aufgeweicht haben.
Humanität, vielfach Narben überholter Produktionsweisen an Daß das Material seine adäquate Form in sich trage, setzt vor-
- den Dingen. Umgekehrt sind noch in die zweckfreie Kunst aus, daß es als solches bereits mit Sinn investiert ward wie einst
Zwecke wie die von Geselligkeit, Tanz, Unterhaltung eingewan- von der symbolistischen Ästhetik. Der Widerstand gegens kunst-
dert, um schließlich in ihrem Formgesetz zu verschwinden. Die gewerbliche Unwesen gebührt längst nicht nur den erborgten
Zweckmäßigkeit ohne Zweck ist die Sublimierung von Zwecken. Formen; eher dem Kultus der Materialien, der eine Aura des
Es gibt kein Asthetischesan sich, sondernlediglich als Spannungs- Wesenhaften um sie legt. Das hat Loosin seiner Kritik an den
feld solcher Sublimierung. Deshalb aber auch keine chemisch Batikstoffen ausgedrückt. Die unterdessen erfundenen Kunst-
reine Zweckmäßigkeit als Gegenteil des Asthetischen. Selbst die stoffe — Material industriellen Ursprungs — lassen das archai-
reinsten Zweckformen zehren von Vorstellungen wie der for- stische Vertrauen auf ihre eingeborene Schönheit, Rudiment der
maler Durchsichtigkeit und Faßlichkeit, die aus künstlerischer Magie edler Steine, nicht mehr zu. Nicht zuletzt zeigt die Krisis
Erfahrung stammen; keine Form ist gänzlich aus ihrem Zweck der jüngsten Entwicklungen der autonomen Kunst, wie wenig
geschöpft. Nicht entbehrt es der Ironie, daß in einem der revo- aus dem Material an sich sinnvolle Organisation sich herausholen
Iutionären Werke Schönbergs, dem Loosdieeinsichtigsten Worte läßt; wie leicht diese der leeren Bastelei sich annähert; die Vor-
widmete, der Ersten Kammersymphonie, ein Thema ornamen- stellungen vom Materialgerechten in der Zweckkunstbleiben ge-
talen Charakters auftritt, mit einem Doppelschlag, der an eines gen solche kritischen Erfahrungen nicht gleichgültig. Dasillusio-
der Hauptmotive der »Götterdämmerung« und ein Thema des näre Moment an der Zweckmäßigkeit als Selbstzweck enthüllt
ersten Satzes der Siebenten Symphonie von Bruckner erinnert. sich der einfachsten gesellschaftlichen Reflexion. Zweckmäßig
Das Ornamentist der tragende Einfall, wenn man will, sachlich jetzt und hier wäre nur, wases in der gegenwärtigen Gesellschaft
seinerseits. Gerade dies Überleitungsthema wird Modell einer ist. Dieser aber sind Irrationalitäten wesentlich, das, was Marx
kanonischen Durchführung im vierfachen Kontrapunkt, des er- ihre »faux frais« nannte; denn der gesellschaftliche Prozeß ver-
sten extrem konstruktivistischen Komplexes in der neuen Musik. läuft in seinem Innersten,trotz aller partikularen Planung, nach
Der Glaube an ein Material als solches ward seinerseits aus der wie vor planlos,irrational. Solche Irrationalität prägt sämtlichen
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unbekümmert
Zwecken sich auf und dadurch auch der Rationalität der Mittel, Sanfte, Glättende der Hand verbieten möchte,
Natur ihre Stätte
die jene Zwecke erreichen sollen. So spottet die allgegenwärtige darum, daß in Kultur weder die ungehobelte
Die Zukunft von
Reklame, zweckmäßig für den Profit, doch aller Zweckmäßigkeit hat noch deren unbarmherzige Beherrschung.
sie des barba-
nach dem Maß des Materialgerechten. Wäresie funktionell, ohne Sachlichkeit ist nur dann eine der Freiheit, wenn
deren
ornamentalen Überschuß,so erfüllte sie ihren Zweck als Reklame rischen Zugriffs sich entledigt: nicht länger den Menschen,
Kanten,
nicht länger. Gewiß ist der Horror vor der Technik muffig und Bedürfnis sie zu ihrem Maßstab erklärt, durch spitze
reaktionär. Abererist es nicht nur. Er ist zugleich der Schauder karg kalkulierte Zimmer, Treppen und Ähnliches sadistische
vor der Gewalt, die eine irrationale Gesellschaft ihren Zwangs- Stöße versetzt. Fast jeder Verbraucher wird das Unpraktische
mitgliedern antut und allem, wasist. In ihm zittert eine Kinder- des erbarmungslos Praktischen an seinem Leib schmerzhaft ge-
erfahrung nach, die Loos, sonst mit frühen Erfahrungen gesät- spürt haben; daher der Argwohn, was dem Stil absagt, sei be-
tigt, fremd gewesen zu sein scheint: Sehnsucht nach dem Schloß wußtlos selber einer. Loos führt die Ornamente auf erotische
mit langen Zimmerfluchten und seidenen Tapeten, der Utopie des Symbole zurück. Die Forderung, diese abzuschaffen, paart sich
Entronnenseins. Etwas von dieser Utopie lebt im Ekel vor der mit seinem Widerwillen gegen erotische Symbolik; unerfaßte
Lauftreppe, vor der von Loos gefeierten Küche, vorm Fabrik- Naturist ihm rückständig und peinlich in eins. Der Ton, in dem
schornstein, vor der schäbigen Seite der antagonistischen Gesell- er das Ornament verurteilt, hat etwas von der — vielfach pro-
schaft. Sie wird vom Schein verklärt. Seine Demontage aber, jektiven - Empörung über Sittlichkeitsverbrecher: »Aber der
die der Zinnen falscher Ritterburgen, die Thorstein Veblen ver- mensch unserer zeit, der aus innerem drange die wände mit ero-
höhnte, und noch des gestanzten Ornaments auf den Schuhen, tischen symbolen beschmiert,ist ein verbrecher oder ein degene-
hat über das Erniedrigte der Sphäre, in der immer noch Praxis rierter.«? Durchs Schimpfwort Degeneration gerät Loos in Zu-
sich zuträgt, keine Gewalt, sondern verstärkt womöglich das sammenhänge, die ihm unlieb gewesen wären. »Man kann«,
Grauen. Das hat Konsequenz auch für die Welt der Bilder. Posi- meint er, »die kultur eines landes an dem grade messen, in dem
die abortwände beschmiert sind.«? Aber in südlichen, überhaupt
tivistische Kunst, eine Kultur des bloß Seienden wurde verwech-
selt mit der ästhetischen Wahrheit. Absehbar ist der Prospekt in romanischen Ländern wird man viel dergleichen finden; die
Surrealisten haben solchen unbewußten Handlungen manches
einer Neo-Ackerstraße.
abgewonnen, und Loos hätte doch wohl gezögert, jene Gegenden
Die Grenze des Funktionalismusbis heuteist die von Bürgerlich-
eines Mangels an Kultur zu bezichtigen) Sein Haß aufs Orna-
keit als praktischem Sinn. Mantrifft bei Loos, dem geschwore-
ment wäre nicht verständlich, fühlte er nicht darin den der ratio-
nen Feind der Wiener Backhendlkultur, auf erstaunlich Bürger-
nalen Vergegenständlichung konträren mimetischen Impuls; den
liches. In seiner Stadt durchsetzte noch so viel von feudal-abso-
Ausdruck, noch als Trauer und Klage verwandt dem Lustprin-
lutistischen Formen das bürgerliche Gefüge, daß er mit dessen
zip, das deren Ausdruck verneint. Nur schematisch kann das
rigorosem Prinzip sich verbünden mochte, um vom altertümli-
chen Formelwesen sich zu emanzipieren; seine Schriften enthal-
Ausdrucksmoment in die Kunst relegiert und von den Dingen des
Gebrauchs abgespalten werden; selbst wo es diesen fehlt, zollen
ten Angriffe etwa auf die umständlich kuriale Wiener Höflich-
keit. Darüber hinaus jedoch hat seine Polemik eigentümlich puri- sie ihm Tribut durch die Anstrengung, es zu vermeiden. Veraltete
Gebrauchsdinge vollends werden zum Ausdruck, zum kollekti-
tanische Färbung; sie ist dem Obsessiven gesellt. Wie in vieler
ven Bild der Epoche. Kaum eine praktische Form, die nicht,
bürgerlicher Kulturkritik überschneidet bei Loos sich die Er-
kenntnis, daß diese Kultur noch keine sei, die ihn vorabin sei-
neben ihrer Angemessenheit an den Gebrauch, auch Symbol
nem Verhältnis zum Einheimischen geleitete, mit einem Moment 2 2.2.0.8.277.
von Kulturfeindschaft, das mit dem Schein am liebsten auch das 3 22.0.
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wire; die Psychoanalyse hat das zumal an den archaischen Bil- geudet werden soll — und der Traum einer technifizierten Welt,
dern des Unbewußten dargetan, unter denen das Haus obenan die von der Schmach der Arbeit befreit ware. Das zweite Motiv
figuriert, und die symbolische Intention heftet sich nach Freuds weist über die Nutzwelt hinaus. Bei Loos erscheint es deutlich in
Einsicht hurtig an technische Formen wie das Luftschiff; in der der Erkenntnis, daß die vielbejammerte Ohnmacht zum Orna-
er
gegenwärtigen Massenpsychologie, nach amerikanischen For- ment, das sogenannte Erlöschen der stilbildenden Kraft, das
als Erfindung von Kunsthistori kern durchsc haute, ein Bessere s;
schungen, insbesondere ans Auto. Zweckformensind die Sprache
ihres eigenen Zwecks. Kraft des mimetischen Impulses macht das daß das nach bürgerlichen Denkgewohnheiten Negative der in-
Lebendige dem, was es umgibt, sich gleich, längst ehe Künstler dustriellen Gesellschaft ihr Positives sei: »Mit stil meinte man
nachzuahmen beginnen; was Symbol, dann Ornament, endlich das ornament. Dasagte ich: Weinet nicht! Seht, das macht ja die
überflüssig erscheint, hat seinen Ursprung in Naturgestalten, größe unserer zeit aus, daß sie nicht imstandeist, ein neues orna-
denen die Menschen durch ihre Artefakte sich anpassen. Das In- ment hervorzubringen. Wir haben das ornament überwunden,
nere, das sie in jenem Impuls ausdrücken, war einmal ein Auße- wir haben uns zur ornamentlosigkeit durchgerungen. Seht, die
res, zwangvoll Objektives. Das dürfte die seit Loos bekannte zeit ist nahe, die erfüllung wartet unser. Bald werden die straßen
Tatsache erklären, daß Ornamente, und darüber hinaus künst- der städte wie weiße mauern glänzen. Wie Zion,die heiligestadt,
lerische Formen überhaupt, nicht erfunden werden können. Die die hauptstadt des himmels. Dann ist die erfüllung da.«° Der
Leistung jeden Künstlers, nicht nur des an Zwecke gebundenen, ornamentlose Zustand wäre danach eins mit der Utopie, leibhaft
reduziert sich auf ein unvergleichlich viel Bescheideneres, als die erfüllte Gegenwart, keines Symbols mehrbediirftig. Alle Wahr-
Kunstreligion des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahr- heit des Sachlichen haftet an dieser Utopie. Verbürgtist sie für
hunderts Wort haben wollte. Nicht jedoch ist damit die Frage Loos durch kritische Erfahrung am Jugendstil: »Der einzelne
erledigt, wie Kunst irgend noch möglich sei, der keine Ornamente mensch ist unfähig, eine form zu schaffen, also auch der architekt.
mehrsubstantiell sind und die keine erfinden kann. Der architekt versucht aber dieses unmögliche immer und immer
Die Not, in die Sachlichkeit geriet, ist kein Verschulden, nichts, wieder — und immer mit negativem erfolg. Form oder ornament
was beliebig zu korrigieren wäre. Sie folgt aus dem geschicht- sind das resultat unbewußter gesamtarbeit der menschen eines
lichen Zug der Sache. Im Gebrauch, der doch weit unmittelbarer ganzen kulturkreises. Alles andereist kunst. Kunstist der eigen-
mit dem Lustprinzip verwandt ist als die bloß dem eigenen wille des genius. Gott gab ihm den auftrag dazu.«* Seitdem trägt
Formgesetz verantwortlichen Gebilde, wird versagt: es soll nicht nicht länger das Axiom, daß der Künstler im Auftrag Gottes
sein. Lust erscheint, nach der bürgerlichen Arbeitsmoral, als ver- handle. Die Entzauberung, die in der Gebrauchssphäre begann,
geudete Energie. Jene Einschätzung hat Loos sich zu eigen ge- hat auf die Kunst übergegriffen. Nicht zuletzt hat der absolute
macht. An seiner Formulierungist abzulesen, wie sehr der frühe Unterschied des unerbittlich Zweckhaften und des Autonomen
Kulturkritiker mit der Ordnung verschworen war, deren Mani- und Freiensich gemindert. Das Unzureichende der reinen Zweck-
festationen er schalt, wo sie mit ihrem eigenen Prinzip noch nicht formenist zutage gekommen,ein Eintöniges, Dürftiges, borniert
recht mitgekommen waren: »Ornament ist vergeudete arbeits- Praktisches.(Dem entragen einzelne große Leistungen, bei denen
kraft und dadurch vergeudete gesundheit. So war es immer. man sich einstweilen damit begnügt, sie der Genialität ihrer Ur-
Heute bedeutet es aber auch vergeudetes material, und beides be- heber zuzuschreiben, ohne daß man des Objektiven sich versi-
deutet vergeudetes kapital.«* Miteinander unversöhnliche Mo- chert hätte, das ihre Leistung als genial autorisiert. Andererseits
tive durchkreuzen sich darin: Sparsamkeit - denn wo andersals ist der Versuch, von außen her, als Korrektiv, Phantasie hin-
in den Normender Rentabilität steht geschrieben, daß nichts ver- 5 a.a.0.S.278.
4 22.055. 2828. 6 a.a.0.,S. 393.
8.
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