Psychiatrie
psychopraxis. neuropraxis
https://doi.org/10.1007/s00739-018-0481-3
© Springer-Verlag GmbH Austria, ein Teil von
Springer Nature 2018
Einleitung
Dieser Artikel stellt eine neue und kaum
bekannte Thematik vor – die Objek-
tophilie. Dabei handelt es sich um ein
seltenes psychologisches Phänomen,
bei dem Menschen leblose Objekte als
vollwertige Liebes- und Sexualpart-
ner wahrnehmen [1] und eine intime,
emotionale, romantische sowie sexuelle
Beziehung mit ihnen erleben [2]. Es wird
angenommen, dass es weltweit mehre-
re hundert objektophile Menschen gibt
[3], wobei die Zahl in der westlichen
Kultur steigt [1]. Konkrete epidemiolo-
gische Angaben aber fehlen. Die erste
in der Öffentlichkeit stehende Objekto-
phile oder Objektsexuelle war Eija-Riitta
Eklöf Berliner-Mauer, die 1979 den Na-
men der Berliner Mauer annahm und
den englischsprachigen Begriff „objec-
tum-sexuality“ prägte. Auch Erika Eiffel,
die öffentlich durch Annahme des Na-
mens den Eiffelturm heiratete, sowie der
Deutsche Oliver Arndt sind öffentlich
bekannt und aktiv an der Etablierung
als neue sexuelle Gruppierung beteiligt.
Dazu wurden 2008 das erste und größte
internationale Forum für Objektsexu-
elle (www.objectum-sexuality.org) und
weitere Gruppen, Websites und Online-
Communities (www.objektophilia.de)
gegründet [1].
Objektophilie als seltenes
und kaum bekanntes
psychologisches Phänomen
Aus wissenschaftlicher Perspektive wird
Objektophilie erst seit 10 Jahren verein-
zelt untersucht. Daher fasst dieser Arti-
kel die ersten Erkenntnisse über Objek-
Melanie Weixler1,3 · Herwig Oberlerchner2
1
Maria Elend, Österreich
2
Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum Klagenfurt am Wörthersee, Klagenfurt, Österreich
3
Klagenfurt, Österreich
Objektophilie – Die Liebe zu
Dingen
tophilie zusammen und macht auf die-
se Forschungslücke aufmerksam. Vor al-
lem die Arbeiten von Jennifer Terry [1],
die den ersten Artikel über Objektophilie
verfasste und Amy Marsh [2], die die ers-
te Studie über Objektophilie publizierte
sowie ein Modell intimer Mensch-Ob-
jekt-Beziehungen [4] entwickelte, bilden
die Basis dafür. Darüber hinaus führ-
te der renommierte deutsche Sexualfor-
scher Volkmar Sigusch [5] den deutsch-
sprachigen Begriff Objektophilie in die
Fachliteratur ein und schlägt eine Katego-
risierung als Neosexualität vor. Auch im
Bereich der Hochschulschriften wurde
Objektophilie vereinzelt in unterschiedli-
chen Disziplinen erarbeitet. Beispielswei-
se wurde eine Dissertation veröffentlicht,
in der die Community anhand der Actor-
Network Theory untersucht wurde [3].
Im Bereich der klinischen Psychologie
wurden im Rahmen einer Diplomarbeit
erstmals psychoanalytische und objekt-
beziehungstheoretische Aspekte ausge-
hend von Sigmund Freuds Diktum „Das
Variabelste am Trieb ist das Objekt“ und
Otto Kernbergs „Dynamik in Liebesbe-
ziehungen“ dazu betrachtet [6].
Anhand einer Zusammenfassung die-
ser explorativen Ergebnisse werden die
Begrifflichkeiten sowie die Einordnung
als sexuelle Orientierung diskutiert. Mit
dem Ziel diese außergewöhnliche Form
der Liebe zu Dingen einen weiteren
Schritt Richtung Forschung zu bringen,
wird auf fehlende Kriterien hinsicht-
lich der Klassifikation und der Ätiologie
hingewiesen. Im Sinne der Aufklärung
werden medizinische und soziale Berufs-
gruppen für diese Thematik sensibilisiert.
Hierfür folgt ein Fallbeispiel, welches das
Verständnis für Objektophilie erweitert.
Weitere Forschungen zum Thema Ob-
jektophilie sind notwendig, um die Dis-
kussion über die Einordnung als sexuelle
Orientierung oder als psychische Störung
fortzuführen.
»Objektophilie
Zur Einordnung der
sind weitere
Forschungen notwendig
Objektophilie als sexuelle
Orientierung
Betroffene Objektophile oder Objektse-
xuelle fühlen sich nicht vom menschli-
chen Körperschema, sondern von indi-
viduellen Eigenschaften bestimmter leb-
loser Objekte, emotional, körperlich und
sexuell angezogen. Objektsexuelle beto-
nen, dass sie ihre Vorliebe zu Objekten
meistens, aber nicht immer, seit der frü-
hen Kindheit haben und dass sie ihre
besondere Wahrnehmung von Objekten
als Gabe wahrnehmen [2]. Die ausge-
wählten Objekte stehen dabei mehr oder
weniger als eigenständige Sexual- und
Liebespartner anstelle von Menschen [1].
Sowohl bei der Wahl der Objekte als auch
der Gestaltung der objektsexuellen Bezie-
hung sind nicht nur Ästhetik, Symmetrie,
Funktion, Symbolik und Haptik wichtig
[2], sondern auch unterschiedliche Mo-
tive sowie Projektions- und Identifikati-
onsinhalte [6]. Dazu zählt beispielsweise
der Wunsch, selbst geliebt zu werden oder
das Bedürfnis nach Macht, Kontrolle und
Sicherheit.
Die Objekte, die von Betroffenen ge-
liebt werden, sind sehr unterschiedlich.
Es gibt einerseits private Objekte wie z. B.
psychopraxis. neuropraxis
 Psychiatrie
Autos, Motorräder, Laptops, Sportgerä-
te oder Musikinstrumente und es gibt
öffentliche Objekte wie berühmte Bau-
werke, Gebäude, Brücken, Zäune, Züge,
Flugzeuge, Maschinen und Arbeitsge-
räte. Weil es bei öffentlichen Objekten
kaum Privatsphäre für den Austausch
körperlicher Intimitäten gibt, benut-
zen Betroffene Fotos und Modelle von
ihren Objekten. Ausgewählte Objekte
und deren Repräsentanzen werden im
Gegensatz zu Alltagsgegenständen als
lebendig und unersetzbar wahrgenom-
men. Sie werden animistisch belebt und
emotional besetzt. Daher werden den
Objekten in den meisten Fällen Namen,
Geschlechter und individuelle Persön-
lichkeitsmerkmale zugesprochen. Erlebt
wird dabei eine intensive, spirituelle
Verbundenheit und Intimität mit dem
Objekt, wobei die Form der Gegensei-
tigkeit unterschiedlich erlebt wird. Die
Kommunikation mit dem Objekt reicht
von keiner bis beidseitiger in telepa-
thischer Form. In den meisten Fällen
gestaltet sich die Interaktion einseitig
und nonverbal durch Berührungen oder
verbal durch Sprechen mit dem Objekt.
Sexuelle Intimitäten mit dem Objekt
reichen von platonisch bis erotisch [2].
Objektsexuelle Beziehungen dau-
ern durchschnittlich Monate bis Jahre.
Langzeitbeziehungen, Eheschließungen
mit Namensänderungen als auch Tren-
nungen sind möglich. Objektsexuelle
Beziehungsformen sind größtenteils mo-
nogam [2], wobei Bezeichnungen, wie
Monogamie oder Polygamie vermie-
den werden, um eine Abgrenzung zur
zwischenmenschlichen Hetero-, Homo-
und Bisexualität zu schaffen [1].
Intensive, romantische Mensch-Ob-
jekt-Beziehungen sowie deren individu-
elle Motive und die dazugehörige (ob-
jektsexuelle) Identität sind so vielfältig
wie die menschliche Beziehungsgestal-
tung sein kann.
Wie Objektsexuelle zwischenmensch-
liche Beziehungen gestalten, reicht von
sozial gut integriert bis isoliert [6]. Die
Vorerfahrungen mit romantischen und
sexuellen Beziehungen mit Menschen
sind ebenso unterschiedlich. Das Inte-
resse an zwischenmenschlichen Liebes-
und Sexualpartnern ist vermindert bis
fehlend, wobei Objektsexuelle betonen,
psychopraxis. neuropraxis
dass sie Menschen nicht bewusst durch
Objekte ersetzen [2].
Aufgrund der Vielfalt objektophiler
Wahrnehmungs-, Denk- und Verhal-
tensweisen wird im Marsh Spectrum of
Human/Object Intimacy vorgeschlagen,
den Bezug zu Objekten in einem Konti-
nuum zu betrachten und Objektophilie
in drei Ausprägungen zu unterscheiden.
Diese reichen von einer vermehrten
Orientierung an Objekten über eine se-
xuelle und romantische Orientierung,
die als Objektsexualität bezeichnet wird,
bis hin zu einer vollständigen Beziehung
mit Objekten. Diese Objektintimität ist
sowohl gekennzeichnet durch die Wahr-
nehmung einer spirituellen Verbunden-
heit mit dem belebten und emotional
besetzten Objekt als auch gleichzeitig
fehlendem Interesse an menschlichen
Sexualpartnern [4].
Betroffene selbst sehen sich als sexu-
elle Minderheit und wünschen sich mehr
Toleranz und Offenheit, vor allem von
Ärzten, Psychologen und Psychothera-
peuten. Mit dem Wunsch eine sexuelle
Identität zu schaffen und als sexuelle Ori-
entierung anerkannt zu werden, nutzen
Betroffene vereinzelt intensiv die Medi-
en. Sie bilden Communities und veröf-
fentlichen Websites und Blogs. Darüber
hinaus geben sie Interviews und stellen
sich für TV-Beiträge und Talkshows zur
Verfügung. Diese gehen aber größtenteils
sensationslustig mit dem Thema Objek-
tophilie um und begünstigen dadurch
eher eine Stigmatisierung und Patholo-
gisierung [1].
Jenifer Terry betrachtet Objektophi-
lie als neue sexuelle Orientierung und
postmodernes Phänomen [1]. Auch Amy
Marsh sieht die Kriterien für eine Defi-
nition als sexuelle Orientierung erfüllt
[2].
»Fetischismus
Objektophilie ist nicht als
zu betrachten
Betroffene betrachten die Etablierung als
sexuelle Lebensform als Prozess und zie-
hen Vergleiche zur Homosexualität [1].
Ausdrücklich betonen sie dabei die sorg-
fältige Abgrenzung ihrer objektsexuel-
len Vorlieben von Fetischismus [2], da
das Fetisch-Objekt weder belebt noch
emotional besetzt wird [1]. Außerdem
wird ein Fetisch-Objekt für autoerotische
und zwischenmenschliche Sexualprakti-
ken verwendet und gilt als Paraphilie [2].
Derzeit geht man davon aus, dass es
mehr objektsexuelle Frauen als Männer
gibt und der Anteil Trans-, Inter- oder
Asexueller hoch ist. Außerdem haben
viele Betroffene milde Formen autisti-
scher Störungen, wie z. B. das Asperger-
Syndrom [2].
Klassifikation und Ätiologie
Da die Prävalenz gering ist und di-
agnostische Kriterien fehlen, ist eine
Klassifikation als psychische Störung
in den Diagnosemanualen ICD-10 und
DSM-5 derzeit nicht möglich. Haltbare
klinische Kriterien, die es ermöglichen,
Objektophilie zu klassifizieren und bei-
spielsweise vom Fetischismus oder (pa-
thologischen) Horten und Sammeln
differenzialdiagnostisch abzugrenzen,
müssen erst erstellt werden [6]. Der
aktuelle Forschungsstand besteht derzeit
aus Fragmenten, die zusammengesetzt
und in neuen Forschungsfragen vertieft
werden müssen. Vor allem mögliche
Zusammenhänge mit Autismus-Spek-
trum-Störungen [1] oder neurologischen
Funktionsstörungen, wie Synästhesien
[2] sollen im Vordergrund weiterer
Forschungen stehen. Dass Autismus-
Spektrum-Störungen mit ungewöhn-
lichen (sexuellen) Interaktionen mit
Objekten einhergehen können, haben
beispielsweise De Silva u. Pernet [7] in
einer Einzelfallstudie dargestellt. Was die
Wahrnehmung lebloser Objekte sowie
deren Belebung in Form von Animismus
betrifft, könnte auch Donald Winnicott’s
[1] Konzept der Übergangsobjekte re-
levant sein, welche die Belebung von
Objekten durch Kleinkinder als Ent-
wicklungsphase beschreibt. Bezogen auf
sehr seltene Synästhesien haben Smilek
et al. [8] eine außergewöhnliche synäs-
thetische Form entdeckt, bei der leblose
Objekte personifiziert werden. Ob Ob-
jektophilie neben einer besonderen Form
der Wahrnehmung durch emotionale
oder sexuelle Traumata begünstigt wird
[1] oder mit Störungen der Geschlechts-
identität sowie psychischen Störungen
wie ADHS zusammenhängt, gibt es

ebenfalls noch zu klären [2]. Der Schlüs-
sel zum Verständnis von Objektophilie
liegt in der Erforschung objektophiler
Wahrnehmungs- und Denkformen.
Der Behandlungsbedarf wird generell
als niedrig eingeschätzt [5], weil Betrof-
fene selten medizinische oder psychothe-
rapeutische Hilfe in Anspruch nehmen
[2]. Der vermehrte Bezug zu Objekten
kann aber Ausmaße annehmen, die mit
Problemen in der Alltagsbewältigung, ei-
nem Leidensdruck oder Gefährdungsas-
pekten einhergehen. Es können auch be-
handlungsbedürftige psychische Störun-
gen vorhanden sein oder sich sekundär
entwickeln. Da Betroffene in der Regel
eine intakte Realitätsprüfung haben, geht
man größtenteils von neurotischen Aus-
prägungen aus [6].
Objektophilie als Neosexualität
Ungeachtet mangelnder Kriterien und
noch nicht geklärter ätiologischer Fakto-
ren, betrachtet Volkmar Sigusch [5] Ob-
jektophilie als Neosexualität. Durch seine
Zuordnung zu den Neosexualitäten wird
Objektophilie als Neoallianz entpatholo-
gisiert und eine Abgrenzung sowohl von
den Normalsexualitäten als auch von den
Paraphilien, wie Fetischismus, ermög-
licht. Heutzutage gibt es laut Volkmar Si-
gusch zunehmende Formen der Asexua-
lität sowie eine Vielzahl neuer (sexueller)
Formen, die weit über Hetero-, Bi- und
Homosexualität hinausgehen und sich als
neue Sexualitäts-, Geschlechts- und Be-
ziehungsformen etablieren [9]. Beispiels-
weise nimmt auch die Nutzung huma-
noider Sex- und Liebesroboter zu, die als
Robophilie oder Robosexualität bezeich-
net wird. Diese ist aufgrund der anthro-
pomorphen Form als auch der Art der
Nutzung von Objektophilie abzugrenzen
und dem Fetisch zuzuordnen [1]. Die zu-
nehmende Nutzung unterstützt dabei die
These, dass sich der Bezug zu Objekten
in unserer Kultur intensiviert [5].
Objektophilie wird als postmoderne
Sexualitäts- und Beziehungsform entpa-
thologisiert den Neosexualitäten zuge-
ordnet.
Um die Betrachtung der Objektophi-
lie als individuelle (Über-)Lebensstrate-
gie [6] darzustellen, gibt das folgende
Fallbeispiel einen Einblick in das Wahr-
Zusammenfassung · Abstract
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M. Weixler · H. Oberlerchner
Objektophilie – Die Liebe zu Dingen
Zusammenfassung
Objektophilie oder Objektsexualität (OS) ist
ein seltenes psychologisches Phänomen,
bei dem Menschen leblose Objekte als
(Sexual-)Partner erleben. Objektophile oder
Objektsexuelle betonen, dass ihre auf leblose
Objekte gerichtete romantische, emotionale
und sexuelle Orientierung keine Form des
Fetischismus, sondern eine Lebensweise
ist. Erste explorative Forschungsbeiträge
haben Themen wie Autismus-Spektrum-
Störungen, neurologische Funktionen
wie Animismus und Synästhesien sowie
Entwicklungen der Geschlechtsidentität
Objectophilia— a Love Toward Objects
Abstract
Objectophilia or objectum sexuality (OS) is
a very rare psychological phenomenon in
which people experience lifeless objects as
(sexual) partners. Objectophiles or objectum
sexuals emphasize that their romantic,
emotional, and sexual relationships with
objects are not considered as a fetish.
It is a sexual orientation and way of life.
Initial explorative research has focused on
associations with autism spectrum disorders,
neurological functions like animism and
synesthesia as well as factors of gender
nehmen, Denken und Fühlen einer Be-
troffenen, die sich selbst als objektophil
bezeichnet.
Fallbeispiel Julia B.
Die Schweizerin Julia B. [6] ist weiblich,
Ende Vierzig und hat das Asperger-Syn-
drom. Sie hat keine Kinder und lebt allei-
ne. Ihre Sozialkontakte bestehen aus we-
nigen, aber stabilen realen Beziehungen
und vielen sozialen Kontakten im Inter-
net. Ihre besondere Vorliebe für land-
wirtschaftliche Fahrzeuge begann sehr
früh. Seit ihrem siebten Lebensjahr erlebt
sie eine intensive emotionale und kör-
perliche Beziehung mit einem landwirt-
schaftlichen Fahrzeug, dass sie „Schil-
ter“ nennt. Frühere Objekte kann sie
nicht nennen. Sie erinnert sich aber an
ein Kindheitserlebnis, als ihr der Zugang
in den Fokus gerückt. Dieser Artikel bietet
eine Zusammenfassung der gegenwärtig
verfügbaren wissenschaftlichen Auseinan-
dersetzung mit dieser Thematik. Darüber
hinaus wird durch die Vorstellung des
Fallbeispiels Julia B. ein praxisnaher Einblick
in objektophile Wahrnehmungs-, Denk- und
Verhaltensweisen ermöglicht.
Schlüsselwörter
Sexualverhalten · Neosexualität · Autismus-
Spektrum-Störungen · Asperger-Syndrom ·
Synästhesie
identity. Therefore, current research results
are presented in this article. Furthermore,
the presentation of the case study Julia B.,
a woman who calls herself an objectophil,
provides practical insight into perceptions,
ways of thinking, and behavior.
Keywords
Sexual Behavior · Neosexuality · Autism
spectrum disorder · Asperger’s syndrome ·
Synesthesia
zu „ihrem geliebten Objektwesen“ ver-
weigert wurde. Dass sie zudem von der
Besitzerin des Objekts ausgelacht wurde
und ihre Liebe nicht ernst genommen
wurde, erlebte sie als traumatisch. Nach
30 Jahren wurde das landwirtschaftliche
Fahrzeug verkauft. Daher benutzt Julia B.
ein Modell des Fahrzeuges, welches ein
paar Jahre später beim Nachbesitzer in
einer Scheune abbrannte. Seit ein paar
Jahren führt sie auch eine objektsexuelle
Beziehung mit einem animierten Web-
Logo sowie selbst gemachten Modellen
davon. Sie besitzt auch Fotos und Pos-
ter ihrer Objekte. Alltagsobjekten steht
Julia B. „neutral gegenüber“. Sie nimmt
diese „nicht richtig wahr, weil sie diese
nicht liebt“. Sie interagiert und kommu-
niziert mit „ihren geliebten Objektwe-
sen“ in „telepathischer“ Form. Das land-
wirtschaftliche Fahrzeug und sein Modell
psychopraxis. neuropraxis
 Psychiatrie
nimmt sie dabei als männlich wahr, wo-
bei sie die „schönen kantigen Formen“
besonders anziehend findet. Das Logo hat
den Namen „Heartbeat“, ist geschlechts-
los und für Julia B. aufgrund der Formen
und der Symbolik attraktiv. In den Be-
ziehungen zu den Objekten ist Sexualität
nicht vordergründig, aber sehr befriedi-
gend. Masturbation erfolgt ausnahmslos
in Verbindung mit dem jeweiligen Objekt
und sexuelle Anziehung wird ausschließ-
lich auf die betroffenen Objekte bezogen
wahrgenommen. Julia B. gibt an, dass sie
bisher keine zwischenmenschliche Part-
nerschaft oder sexuelle Beziehung hatte.
Ihren besonderen Zugang zu Objekten,
begleitet von der subjektiven Wahrneh-
mung „keine Verbindung zu Menschen
aufbauen zu können“, schreibt sie ihrer
autistischen Störung zu. Sie schlussfol-
gert, dass sie „froh“ darüber ist, dass sie
„wenigstens diese Neigung habe“ und so
auch „weiß, was Liebe und Verliebtheit
bedeutet“. Da sie keine negativen Auswir-
kungen in der Alltagsbewältigung wahr-
nimmt, und ihr persönliches Umfeld ih-
re sexuelle Orientierung weitgehend ak-
zeptiert, nimmt sie keine psychologische
oder medizinische Hilfe bezogen auf ihre
Objektsexualität in Anspruch. Erst nach-
dem sie vor ein paar Jahren zum ersten
Mal durch einen TV-Beitrag auf Objekto-
philie aufmerksam wurde, bezeichnet sie
ihren Bezug zu Objekten als „Objekto-/
Mechaphilie“. Wie andere Betroffene be-
trachtetsie Objektophilie als sexuelle Ori-
entierung, ähnlich wie Homosexualität.
Sie betont, „weder krank noch pervers“
zu sein.
Fazit für die Praxis
4 Aufgrund der Seltenheit und der
Vielfalt der Erscheinungsformen
wird sich Objektophilie vermutlich
weder als eigene anerkannte sexuelle
Orientierung noch als psychiatrische
Diagnose entwickeln.
4 Als Neosexualität entpathologisiert,
wird Objektophilie ein außergewöhn-
liches Randphänomen bleiben.
4 Der Aufklärungsbedarf sowie der
Forschungsbedarf zur Klassifikation
und Klärung ätiologischer Faktoren
ist nach wie vor hoch.
psychopraxis. neuropraxis
8. Smilek D, Malcolmson K, Carriere J, Eller M, Kwan D,
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Zeitschrift für Sexualforschung. Z Sexualforsch
info@melanie-weixler.at
30(4):379–401
© Privat
Prim. Mag. Dr.
H. Oberlerchner, MAS
Abteilung für Psychiatrie und
Psychotherapie, Klinikum
Klagenfurt am Wörthersee
Feschnigstr. 11, 9020 Klagen-
© Privat furt, Österreich
herwig.oberlerchner@
kabeg.at
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt. M. Weixler und H. Oberlerchner
geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Betroffene stimmte der Publikation dieses Fall-
berichts schriftlich durch Unterschreiben einer Ein-
verständniserklärung zu. Alle beschriebenen Unter-
suchungen am Menschen wurden mit Zustimmung
der zuständigen Ethikkommission, im Einklang mit
nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von
Helsinki von 1975 (in der aktuellen überarbeiteten Fas-
sung) durchgeführt. Von allen beteiligten Patienten
liegt eine Einverständniserklärung vor. Dieser Beitrag
beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten
Studien an Menschen oder Tieren.
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