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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
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Körperpraktiken
Elke Grittmann / Katharina Lobinger /
in Medienkulturen
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Ulla Autenrieth 51
(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹ –
Die Selbstdisziplinierungsspirale um den ›After-Baby-Body‹
unter den Bedingungen bildzentrierter Kommunikation in
vernetzten Umgebungen
Körperbilder – Körperpraktiken.
Visualisierung und Vergeschlechtlichung von
Körpern in Medienkulturen
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Im April 2018 ging am Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe die
Ausstellung Feministische Avantgarde der 1970er-Jahre aus der Wiener Sammlung
Verbund zu Ende. Die Ausstellung hatte über 400 Werke von Künstler*innen
gezeigt, die sich mit Vorstellungen von ›Weiblichkeit‹ befassen und die vi-
suellen Stereotypen, Rollenzuschreibungen, Normierungen und Zwänge
des ›natürlichen‹ vergeschlechtlichten Körpers problematisierten, aber
auch Brüche und Alternativen künstlerisch entwickelten (Schor 2015).
Ein zentrales Anliegen zahlreicher Künstler*innen der Zeit der zweiten
Frauenbewegung war es gewesen, durch Ironisierungen, Brüche oder
Zerstörungen die jahrhundertelang kulturell geformten und normierten
visuellen Repräsentationen des weiblichen Körpers, die Idealisierungen und
Rollenzuschreibungen zu dekonstruieren und durch die Inszenierung des
eigenen Körpers zu unterlaufen und zu verändern. Während die Ausstel-
lung an die künstlerischen Protagonist*innen einer Bewegung erinnerte,
die für die reflexive Sichtbarmachung der Codes, für (Selbst-)Ermächti-
gung und für die Aneignung des eigenen Körpers im Bild gekämpft hatten,
warb Gruner + Jahr fast zeitgleich für ein neues Sonderheft Gala Beautify
mit dem Hefttitel »Botox, Brust & Cellulite«. In dem »Better-Aging-Ma-
gazin«, so das Label, wurde »Das große ABC der Schönheits-Maßnahmen
von Kopf bis Fuß« vorgestellt, von Augenlidstraffung über Fett absaugen
bis Intim-Chirurgie (o. V. 2018). An wen das Heft adressiert ist, wird durch
das Titelbild deutlich: Es zeigt den Ausschnitt eines nackten, jungen, wei-
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Elke Grittmann / Katharina Lobinger / Irene Neverla / Monika Pater
keit, die sie dem weiblichen Körper zukommen lässt, die Arbeit am Symbo-
lischen« übernimmt (McRobbie 2010: 98). Die visuelle Dimension des Kör-
pers – seine Inszenierung, Darstellung wie auch Wahrnehmung – ist dabei
auch grundlegend für die Konstruktion von Geschlecht, wobei die bildlichen
Symbolisierungen vor allem zweigeschlechtlich stattfinden (Villa 2011: 105).
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Körperbilder – Körperpraktiken.
Visualisierung und Vergeschlechtlichung von Körpern in Medienkulturen
Mit dem Titel dieses Bandes wollen wir diese Verwobenheit von Körper-
bildern, visuellen Repräsentationen und Bilddiskursen mit Körperpraktiken
betonen. Ein Anliegen und Ziel des Bandes ist es auch, die verschiedenen
theoretischen Konzeptionen, die sich mit Körperbildern auf der einen und
Körperpraktiken auf der anderen Seite verbinden, in Zusammenhang zu
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bringen. Damit wollen wir sowohl den sozialen wie kulturellen Veränderun-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
gen, wie sie skizziert wurden, als auch aktuellen theoretischen Entwicklun-
gen Rechnung tragen, die auch in den Beiträgen produktiv genutzt werden.
Der Körper hat in der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechter-
forschung als auch in der Visuellen Kommunikationsforschung schon seit
längerem Konjunktur. Insbesondere in Bezugnahme auf die Cultural Stu-
dies bilden der Körper und Körper-Identitäten wichtige Ausgangspunkte
für Analysen zur gesellschaftlichen Rolle der Medien und ihrer Wirkmacht
(Hipfl 2004). Seit Anfang der 1970er-Jahre hat sich eine Soziologie des
Körpers entwickelt, die die Verwobenheit des Körpers als ›Körperhaben‹
und ›Körpersein‹ mit sozialen Strukturen und sozialen wie symbolischen
kulturellen Ordnungen theoretisch wie empirisch reflektiert (vgl. zum
Überblick Gugutzer 2015; Villa 2011). Gemeinsam ist den unterschied-
lichen aktuellen Theorien ein Verständnis, das von der sozialen wie kul-
turellen Konstruktion des Körpers ausgeht, wie es auch für die Beiträge
dieses Bandes grundlegend ist. Zu der wissenschaftlichen Auseinanderset-
zung mit dem Körper als Konstruktion in der sozialen, kulturellen und
historischen Bedingtheit haben entscheidend die feministischen Theorien
und eine kritische Geschlechterforschung beigetragen (Villa 2017: 205).
Judith Butlers poststrukturalistische Diskurs- und Performativitätsthe-
orie zur Vergeschlechtlichung des Körpers (Butler 1991, 1997) hat in den
vergangenen Jahren die Auseinandersetzung um die soziale, kulturelle
und historisch bedingte diskursive Hervorbringung vergeschlechtlichter
Körper geprägt und wurde für die Analyse und das Verständnis von visu-
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Elke Grittmann / Katharina Lobinger / Irene Neverla / Monika Pater
(Gugutzer 2015: 73, Herv. i. O.), er eignet sich als Kapital, das eingesetzt
wird, um materiellen wie immateriellen Erfolg und Anerkennung zu finden.
Der Einsatz ästhetisierter Körper wird wiederum zum Ausgangspunkt von
Erfolgs- und Konkurrenznarrativen medialer Angebote (Goldmann 2018).
Mit der Entwicklung und Verbreitung visueller Kommunikationstech-
nologien und ihrer Integration in ›Soziale Medien‹, Plattformen, Dienste
und Apps, die die schnelle Herstellung und Verbreitung von Bildern ermög-
lichen, haben Alltagspraktiken der Bildproduktion und -distribution und
insbesondere damit verbundene Körperrepräsentationen und -praktiken
an Bedeutung gewonnen (vgl. u. a. Lobinger 2016; Lobinger/Geise 2015;
Autenrieth 2016; Rettberg 2014). Die vielfältigen medialen Praktiken im
Wechselverhältnis von Produktion und Wahrnehmung visueller Körper-
bilder in den sogenannten ›Social Media‹ haben zu einer neuen Belebung
handlungsorientierter, mikrosoziologischer und praxeologischer Arbeiten
geführt, die insbesondere auf Erving Goffmans Interaktionstheorie rekur-
rieren, wie er sie bereits 1959 in Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung
im Alltag entwickelt hat (Neumann-Braun/Autenrieth 2011).
Maier und Thiele (2016) weisen explizit auf die Notwendigkeit hin, so-
zial- und kulturwissenschaftliche Herangehensweisen bei der visuellen
Analyse von Geschlechterbildern zu kombinieren, um der Komplexität
dieses ›Forschungsobjekts‹ gerecht zu werden. Zudem sehen die beiden
Forscherinnen noch Herausforderungen bei der Theoriebildung. Diese
besteht vor allem in der notwendigen
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Körperbilder – Körperpraktiken.
Visualisierung und Vergeschlechtlichung von Körpern in Medienkulturen
»stärkeren Berücksichtigung der Bildlichkeit und der Medialität bei der He-
rausbildung und der Konstituierung von Geschlechterbildern, von Seh- und
Sichtbarkeitsverhältnissen, von heteronormativen Geschlechterordnungen
und visuellen Stereotypen ebenso wie bei der Dekonstruktion von essenzia-
listischen Dualismen, Universalismen und Identitätspolitiken« (ebd.: 14).
Der enormen Bedeutung, die Medien in der Visualisierung und Ver-
geschlechtlichung von Körpern zukommt, widmet sich dieser Band. Da-
bei werfen die oben skizzierten Entwicklungen vielfältige Fragen auf:
Welche Bilder vergeschlechtlichter Körper werden in den und durch die
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das Konzept der Cultural Citizenship sowie durch Queer,- Disability- und
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Körper setzen sich mit der Konstruktion von legitimen Körpern in einer
Gesellschaft auseinander und zeigen auf, wie visuelle Kommunikation an
symbolischen Grenzsetzungen beteiligt ist, welche ein ›innerhalb‹ oder
›außerhalb‹ erzeugen. Der dritte Abschnitt Visuelle Körperpolitiken, (Selbst-)
Ermächtigung und Protest setzt sich mit dem Einsatz von Körperlichkeit und
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Die visuelle Repräsentation von Körpern ist stets verbunden mit sozialen
Regulierungen des Körpers durch deren mediale Repräsentation. Dabei
lässt sich ein gesellschaftlicher Wandel der Körperpraktiken beobachten
von einer »Arbeit mit dem Körper« zu einer »Arbeit am Körper« (Thomas/
Maier 2015: 286, Herv. i. O.). Die Optimierung des Körpers ist zu einer der
zentralen Anforderungen an das neoliberale Subjekt geworden (Bröck-
ling 2007; Duttweiler 2016). Die permanente Kategorisierung, Über-
prüfung und Kontrolle des Körpers stellt, im Anschluss an Foucault (1976,
vgl. hierzu Gugutzer 2015: 63 - 84) eine Form von Selbstdisziplinierung
dar. Medien wirken entscheidend an der Disziplinierung mit, an der De-
finition dessen, was als normal und abweichend, männlich und weiblich,
als gesund, schön und begehrenswert gilt, um nur einige Kategorien zu
nennen. Bilder spielen im Rahmen der Körperdisziplinierung und -optimie-
rung eine zentrale Rolle, denn Körper(-Bilder) sind zugleich Produzenten
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Körperbilder – Körperpraktiken.
Visualisierung und Vergeschlechtlichung von Körpern in Medienkulturen
und Effekte sozialer Praxen. Dabei gilt es, auch die affektive Dimension
des Körperlichen zu berücksichtigen, der sich seit geraumer Zeit die affect
studies zuwenden (Gregg/Seigworth 2010).
Mediale Körperbilder werden nicht nur in professionellen Medienkon-
texten (wie z. B. Werbung, Journalismus, Formate des Reality-TV) produziert.
Visuelle Selbstdarstellungen insbesondere in der digitalen Alltagskom-
munikation stellen Bilder von Körper und von Begehren her (z. B. durch
Selfies auf Instagram und Snapchat, siehe aber auch das Beispiel ›Sexting‹).
In diesen visuellen Körperrepräsentationen finden sich u. a. Verfestigun-
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verbreiten (Elias/Gill 2018), betreibt nicht nur die Werbung der Schön-
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als auch Körperpraktiken. Es werden also nicht nur die materiellen bild-
lichen Komponenten in den Blick genommen, sondern auch hinterfragt,
wie diese – plattformspezifisch – zur Wahrnehmung, Reflexion und Kon-
trolle des eigenen Körpers eingesetzt werden. Die empirische Befragung
illustriert zunächst, dass das Zeigen von Körpern, die ästhetischen Kompo-
nenten dieser Sichtbarmachung und die dahinterliegenden Entscheidun-
gen stark durch die medialen Bedingungen der zur Verfügung stehenden
Kommunikationskanäle mitbestimmt werden. Die Autorinnen arbeiten
zudem drei Typen von Körperbildern heraus, die mit je unterschiedlichen
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Körperbilder – Körperpraktiken.
Visualisierung und Vergeschlechtlichung von Körpern in Medienkulturen
Der Beitrag Straffer Körper, gutes Leben? Fitnessinhalte auf Instagram zwi-
schen Ideal und Selbst und deren Aneignung durch junge Frauen von Christian
Schwarzenegger, Jakob Hörtnagl und Lena Erber setzt sich mit der
Nutzung und Aneignung von Fitness-Inhalten auf Instagram auseinander.
Die Studie basiert auf theoretischen Grundlagen zu neoliberalen Forde-
rungen nach Selbstoptimierung und -disziplinierung und interessiert
sich dafür, wie Normen, Anforderungen und gesellschaftliche Orientie-
rungsmuster hinsichtlich anstrebenswerter Körperbilder über visuelle
Social Media vermittelt und angeeignet werden. Empirisch kombiniert
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Die visuelle Konstruktion von Körpern ist oft verbunden mit der Vorstel-
lung, dass Sichtbarkeit Teil eines emanzipatorischen Prozesses sei, Vor-
aussetzung und eng verbunden mit der Teilhabe an Öffentlichkeit (vgl.
Schaffer 2008). Die symbolische Nihilierung von Frauen (und anderen
sozialen Gruppen) im öffentlichen, medialen, vor allem journalistisch-
tagesaktuellen Raum (Tuchman 1978) wurde und wird von der Frauenbe-
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keit« (Butler 2010: 14), wie sie gerade in Bildern materialisiert werden
(Grittmann/Maier 2016).
Visuelle Repräsentationen von ›legitimen‹ (oder nicht ›legitimen‹)
Körpern in einer Gesellschaft sind somit an symbolischen Grenzsetzun-
gen beteiligt, die den Status der Subjekte und Objekte als ›innerhalb‹ oder
›außerhalb‹ der Gesellschaft erzeugen und indizieren. Über legitime und
illegitime Körper wird Körpernormativität hergestellt, es werden Macht-
verhältnisse reproduziert und in medialen Körperrepräsentationen oder
Körperpraktiken zeigen sich diskursive Materialisierungen, die zu einer
Hierarchisierung von (vergeschlechtlichten) Körpern führen.
Diese Ambivalenz von Sichtbarkeit, deren Changieren zwischen emanzi-
patorischer Befreiung und dem Verbleib in herkömmlichen, in diesem Fall
patriarchalisch-hegemonialen Kategorien wird deutlich in der fotohisto-
rischen Betrachtung der Pressefotografie der 1920er-Jahre in Deutschland.
Mit dieser Thematik befasst sich Patrick Rössler in seinem Beitrag »Das
Recht auf den eigenen Körper«? Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse
der Weimarer Republik. Rössler analysiert eine Bandbreite von Periodika, die
in der Weimarer Republik im Handel frei verfügbar waren, und in denen
weibliche Aktdarstellungen einen beachtlichen Platz einnahmen. Inmitten
widersprüchlicher wirtschaftlicher und politischer Entwicklungen, Ideolo-
gien und Lebensstile kristallisierte sich in den Magazinen damals ein Bild
der ›Neuen Frau‹ in verschiedenen Ausprägungen, und durchaus heterogen
heraus. Prototypisch erschienen die Aktdarstellungen von Frauen etwa als
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Körperbilder – Körperpraktiken.
Visualisierung und Vergeschlechtlichung von Körpern in Medienkulturen
bewegung und damit ihr Ausbruch aus dem Objektstatus. Der weibliche
Körper diente als Oberflächenreiz, eine Emanzipation als Subjekt mit auch
politischer Einbindung in die Alltagsrealität fand nicht statt.
Um ein spezifisches Kleidungsstück, die schwarze Lederjacke, genauer
um die vielen, auch vergeschlechtlichten Bedeutungszuweisungen, die
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Elke Grittmann / Katharina Lobinger / Irene Neverla / Monika Pater
weisen von Weiblichkeit, die, wie sich zeigt, den verwendeten Männer-
bildern als Kontrast- bzw. Abgrenzungsfolie dienen. In der qualitativen
Bildanalyse werden im Sinne intersektionaler Ansätze, insbesondere die
Bezüge zwischen Alter(n) und Maskulinität exploriert und diskutiert.
Die Ergebnisse zeigen dabei auf, dass den männlichen Körpern größerer
Spielraum in Bezug auf Alter und Altern zugesprochen wird als weibli-
chen Körperbildern, welche stärker mit Jugendlichkeit verknüpft sind.
Das Alter selbst wird, wie Diener argumentiert, mitunter selbst zum
integralen Bestandteil von (männlicher) Schönheit. Zudem lassen die
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Körperbilder – Körperpraktiken.
Visualisierung und Vergeschlechtlichung von Körpern in Medienkulturen
zeigen, wie stark »Weiblichkeit gesellschaftlich nach wie vor durch Körper-
lichkeit bestimmt und aufgeladen ist« (Schmincke 2017: 250). Während die
Herstellung von Öffentlichkeit und die Generierung einer (ambivalenten)
Sichtbarkeit durch spektakulären körperlichen Protest bereits Gegenstand
wissenschaftlicher Aufmerksamkeit geworden ist (vgl. z. B. Thomas 2017;
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Elke Grittmann / Katharina Lobinger / Irene Neverla / Monika Pater
getragen werden.
Visueller Protest in der Form von humorvollen, visuellen Online-Me-
mes wurde etwa unter dem Hashtag #distractinglysexy, einer Reaktion auf
sexistische Aussagen des Biochemikers Tim Hunt, artikuliert. Im Beitrag
Memes als Diskursintervention: Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel von #dis-
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Visualisierung und Vergeschlechtlichung von Körpern in Medienkulturen
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Körperbilder – Körperpraktiken.
Visualisierung und Vergeschlechtlichung von Körpern in Medienkulturen
Literatur
Degele, N.: Sich schön machen. Zur Soziologie von Geschlecht und
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
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Visualisierung und Vergeschlechtlichung von Körpern in Medienkulturen
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I. Der Optimierte Körper
Körperbilder – Plattformbilder?
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Der menschliche Körper ist seit Beginn des menschlichen Bildschaffens ein
gängiges Motiv visueller, materialer Darstellungen, egal ob in öffentlichen,
künstlerischen, privaten oder alltäglichen Kontexten. Körperbilder1 waren
daher auch schon immer Forschungsgegenstand unterschiedlichster Dis-
ziplinen von der Anthropologie über die Kunstgeschichte zur Soziologie.
In der Kommunikations- und Medienwissenschaft steht die Auseinander-
setzung mit Körperbildern eher am Beginn wie die Auseinandersetzung
mit visueller Kommunikation überhaupt.
Im Zuge der Digitalisierung und der Verbreitung von Social Media
stellt sich verstärkt die Frage nach der veränderten medialen Verfasstheit
von digitalen, vernetzten Körperbildern (vgl. Lobinger/Schreiber 2017;
Schreiber 2017a) und gerade hier könnte eine kommunikationswissen-
schaftliche Perspektive bereichernd sein: Immer mehr Menschen tragen
mit dem Smartphone eine vernetzte, digitale Kamera ständig bei sich.
Dies eröffnet neue Möglichkeitsräume für visuelle Kommunikation (vgl.
Autenrieth 2014; Lobinger 2015; Reissmann 2015). Die sozialwissen-
schaftliche Analyse von Bildern und Bildpraktiken geht davon aus, dass
die Gestaltung von Körperbildern immer Resultat sozial, kulturell und
1 Wir verwenden den Begriff ›Körperbilder‹ hier im Sinne von konkreten materialen Bildern,
wenngleich wir den Zusammenhang von Abbild und Denkbild (vgl. Müller/Geise 2015: 20ff.)
zu bedenken geben wollen, bzw. am Ende kurz darauf zurückkommen.
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Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker
1. Theoretischer Rahmen
2 Wir definieren den Begriff ›Plattformen‹ im Anschluss an aktuelle Diskurse (vgl. Gillespie
2010; Schmidt/Taddicken 2017) als intermediäre Strukturen, die in Form von Websites, Soft-
ware oder Apps Angebote für unterschiedlichste Formen digital mediatisierter, vernetzter,
zwischenmenschlicher Kommunikation bereitstellen (vgl. Schreiber 2017a: 52).
3 Einige theoretische Argumente und Ansätze dieses Beitrags finden sich in ähnlicher, ausführ-
licher Form in Schreiber (vgl. 2017a, 2017b).
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Körperbilder – Plattformbilder?
Bildpraktiken und visuelle Kommunikation auf Social Media
Das Zeigen von Körpern in Bildern und die damit verbundene mediale Be-
dingtheit ist vor allem im Rahmen feministisch orientierter Kulturwissen-
schaften schon seit den 1980er-Jahren Thema – vor allem in Bezug auf den
›male gaze‹ und heteronormative skopische Regime (vgl. Schade/Wenk
2011; Silverman 1996). Diese erweisen sich, wie auch andere visuelle Kon-
ventionen (vgl. Goffman 1987) als hartnäckig und langlebig. So ist nicht
nur die Wahl, was in welchem Setting, in welchem Medium wem gezeigt
werden soll, tradiert und habitualisiert, sondern auch die Art und Weise
der Darstellung: Format, Filter, Posen und Kompositionen bedienen sich
bestimmter Standards der Kommunikation im Medium Bild (vgl. Przy-
borski 2017), um ikonisch Sinn zu stiften.
Das Machen und Zeigen von Bildern ist durch habituelles und auch
inkorporiertes Wissen strukturiert; unser Körperwissen erlaubt die routi-
nierte (oder auch nicht routinierte) Handhabe von Dingen (vgl. Bourdieu
2009; Keller/Meuser 2011). In diese habitualisierten Medienpraktiken sind
ganz konkrete digital materialisierte Körperbilder eingebettet. Mit dem
Zeigen des Körpers als Bild wird dieser nicht nur sichtbar gemacht, sondern
auch performativ hervorgebracht – und mit der Thematisierung des kör-
perlichen Selbst wird immer auch das geschlechtliche Selbst thematisiert
(vgl. Abraham/Müller 2010). Körperbilder müssen demnach sowohl über
die Ebene der Bilder als auch über die Ebene der Praktiken rekonstruiert
werden. Somit gilt es zu betrachten, wie Körperbilder visuell-ästhetisch
gestaltet sind und in welche sozialen Zusammenhänge sie eingebettet sind.
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Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker
Programme und Plattformen verstehen wir dabei nicht als »neutral stages
of self performance – they are the very tools for shaping identities« (van
Dijck 2013: 213). Bestimmte technische Affordanzen (vgl. Hutchby 2001;
Schreiber 2017b), etwa in Bezug auf Bildgröße, Kommentierung und Be-
wertung stehen zur Verfügung – sie eröffnen und beschränken medien-
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Praktiken des Editierens, der Distribution, des Teilens sowie auch der Affir
mation – und damit auch ihre sichtbaren Ergebnisse: die Körperbilder.
Eine grundlegende Differenzierung von Modi der mobilen visuellen
Kommunikation ist jene in publishing und messaging (vgl. Villi 2013) – ei-
nerseits das Zeigen von Bildern in diffuseren Halböffentlichkeiten wie
Facebook oder Instagram, andererseits das zielgerichtete Teilen von Bildern
in reziproken Chat- oder Messagingprogrammen. Für unsere Analyse wol-
len wir dies jedoch noch genauer differenzieren, worauf wir zu Beginn von
Abschnitt 2 eingehen werden.4
Das Smartphone verstehen wir als mobiles Interface mit potenziell globaler
Konnektivität (vgl. Miller 2014), welches wiederum Teil ist von »deeply
personal and emotional social interaction and self-identity as well as being
an irreplaceable instrument in the practical negotiation of everyday life«
4 Eine empirische Analyse von Software wäre ebenfalls ein sinnvoller Weg zu einem besseren
Verständnis unterschiedlicher Affordanzen – diese würde jedoch den Rahmen des Beitrags
sprengen, wurde aber an anderen Stellen durchgeführt bzw. expliziert (Schreiber 2017a,
2017b).
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Körperbilder – Plattformbilder?
Bildpraktiken und visuelle Kommunikation auf Social Media
hen, desto höher die Reflexivität der NutzerInnen über die Spezifika der
jeweiligen Medien, so konstatiert Gershon in ihrer Studie zum Beenden
von Beziehungen in Zeiten von Facebook (vgl. Gershon 2010: 402). Und auch
Madianou selbst kommt in ihrer Studie zu transnationaler familialer Kom-
munikation zu dem Schluss, »choosing which platforms to communicate
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(Madianou 2014: 675). Es stellt sich somit die Frage, wie die visuelle Kom-
munikation und damit auch das Zeigen und Teilen von Körperbildern in
bestimmten Apps auch mit Beziehungsmanagement und der Konstitution
von ›intimate publics‹ (vgl. Wagner 2014) verbunden ist – wie konstitu-
ieren bestimmte Formen des Teilens von Bildern unterschiedliche soziale
Beziehungen (vgl. Lobinger 2015; Lobinger/Schreiber 2017)?
2. Methodische Vorgehensweise
5 Die Teilnehmenden wurden aufgefordert, über einzelne Bilder, die sie im Interview als Bei-
spiele für unterschiedliche Praktiken nannten und zeigten, ausführlicher zu erzählen.
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Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker
Auf etwa der Hälfte der zur Verfügung gestellten Bilder, waren mensch-
liche Körper zu sehen. Der vorliegende Beitrag bezieht sich nur auf diesen
Teil des Korpus, also die Körperbilder und die darauf bezogenen Praktiken
wie sie in den Interviews beschrieben werden. Die anderen Bilder zeigten
z. B. Landschaften, Essen, Produkte oder Tiere. Genauer betrachtet haben
wir für den vorliegenden Beitrag schließlich jene Körperbilder, die auf So-
cial Media geteilt wurden bzw. explizit nicht geteilt wurden.
Unsere grundlegende forschungsleitende Frage war, wie die visuell-
ästhetische Gestaltung von Körperbildern mit den Apps bzw. den Plattfor-
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3. Körperbilder – Plattformbilder?
Wie oben kurz skizziert, liegt unserer Analyse von Körperbildern einer-
seits eine theoretische Differenzierung und andererseits eine empirische
Studie zugrunde: In Bezug auf vernetzte visuelle Kommunikation lassen
sich als grundlegende Modi der mobilen visuellen Kommunikation nach
Villi (2013) messaging und publishing differenzieren. Darauf aufbauend un-
terscheidet Schreiber (2017a) unterschiedliche Arten von Konnektivität, die
sich zwischen reziproken und theatralen Ausprägungen bewegen. Damit
ist gemeint, dass sich in unterschiedlichen Social-Media-Plattformen unter-
schiedliche Formen der Konnektivität und Kommunikation etablieren (vgl.
Boyd 2011). So liegt etwa Software wie WhatsApp oder anderen Messaging-
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Körperbilder – Plattformbilder?
Bildpraktiken und visuelle Kommunikation auf Social Media
direkt zugestellt und der Zeitpunkt bzw. das Timing der Antwort spielt
eine wichtige Rolle. Diese Dynamiken sind in Bezug auf SMS, Chat-Kom-
munikation oder auch Videotelefonie schon ausführlicher beforscht (vgl.
Varnhagen et al. 2010; Madianou 2014; Meissner 2015) – welche Un-
terschiede und Gemeinsamkeiten visuelle Chat-Kommunikation aufzeigt,
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Am anderen Ende des Spektrums lassen sich theatrale Formen der Kom-
munikation verorten (vgl. Willems/Pranz 2008; Autenrieth 2014), wie
etwa in der Timeline von Facebook. Damit ist gemeint, dass eine One-to-
Many-Kommunikation stattfindet, in der das Bild in einer Webseiten-
ähnlichen Struktur bzw. Timeline hochgeladen wird, die einer größeren
Gruppe zugänglich ist. Rezipierende suchen solche Bilder explizit auf bzw.
bekommen diese etwa in ihrem Facebook-Feed vom Algorithmus gesteuert
mehr oder weniger chronologisch angezeigt. Eine Reaktion ist etwa durch
Kommentare oder Likes möglich, die wiederum je nach Einstellung für
eine größere Gruppe sichtbar sind oder nicht.
Mit unterschiedlichen Konnektivitäten hängen also auch unterschied-
liche Arten von Sichtbarkeiten visueller Kommunikation zusammen, die
sich in vielerlei Abstufungen zwischen intimen und öffentlichen Sphären
abspielen (vgl. Boyd 2011; Hjorth/Wilken/Gu 2012): Während intime
visuelle Kommunikation das Teilen von Bildern mit bestimmten Perso-
nen oder kleinen Empfängerkreisen fasst, bedeutet öffentliche visuelle
Kommunikation das Zeigen von Bildern in eher diffusen, nicht geschlos-
senen Kommunikationssphären.
Reziprok und theatral sind hier als zwei Pole eines Spektrums zu verste-
hen, in dem natürlich auch zahlreiche Mischformen existieren. Eine binäre
Unterscheidung von publishing oder messaging soll damit also erweitert und
differenziert werden. Denn während Social-Media-Plattformen noch vor
einigen Jahren meist nur einem Modus folgten, werden sie mittlerweile
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Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker
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Körperbilder – Plattformbilder?
Bildpraktiken und visuelle Kommunikation auf Social Media
Abbildung 1
Bild geteilt auf iPhone Messenger von W30
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Das erste Bild zeigt ein Kleinkind, das auf dem Boden neben einer
Duschkabine sitzt und eine Puppe in der Hand hält. Der Fokus des Bil-
des ist der Hinterkopf des Kindes, der sowohl in der Bildmitte liegt, als
auch durch die X-förmige Komposition des Badezimmerteppichs und der
Duschkabine markiert wird. Die Bedeutung des Hinterkopfs erschließt sich
nur im Kontext: »Hier hab ich zum Beispiel meine Tochter fotografiert
(schmunzelt), als sie sich das Luuf in die Haare geschmiert hat (Lachen), um
es dem Papa zu schicken, weil der is ja Montag bis Freitag nicht zu Hause.
Da halt ich auch so Momente fest und schick sie ihm per iPhone Messen-
ger« (W30). Das Kleinkind selbst ist auch nur für jemanden erkennbar, der
es kennt – es geht in dem Foto also nicht um die Präsentation einer be-
stimmten Person, die identifizierbar bzw. erkennbar sein sollte. Vielmehr
steht die Aufnahme des Kindes in einer bestimmten Situation, die aber im
Bild nicht unmittelbar sichtbar wird, im Vordergrund. Durch das Teilen
des Bildes wird Konnektivität mit dem abwesenden Vater geschaffen und
damit mediatisierte Präsenz (vgl. Villi/Stocchetti 2011). Diese mediati-
sierte Präsenz ist immer zweischneidig (vgl. Schreiber 2017a: 146), da sie
einerseits Verbindung erzeugt, aber andererseits auch unterstreicht, dass
die Rezipierenden eben nicht physisch präsent sind.
Das zweite Bild entstammt einer WhatsApp-Gruppe junger Mütter.
37
Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker
Abbildung 2
Bild geteilt in einer WhatsApp-Gruppe von W30
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Das Bild zeigt eine auf dem Rücken liegende, müde, aber doch aufmerk-
sam in die Kamera blickende junge Frau mit einem schlafenden Säugling.
Das schlafende Kind ist zugedeckt, in Seitenlage in die Armbeuge seiner
Mutter geschmiegt. Die Frau bildet mit ihrem Arm gleichsam ein schüt-
zendes Zelt für den Säugling. Gleichzeitig befindet sich das Kind auch an
der dunkelsten, geschützten Stelle des Bildes, während der Rest heller
ausgeleuchtet ist. Der direkt in die Kamera gerichtete Blick der Mutter
nimmt Kontakt auf und lädt die Betrachtenden ein, an dem intimen Mo-
ment teilzuhaben. Das schutzbedürftige Kind befindet sich in der Obhut
der entspannt wirkenden Frau, das Tattoo am rechten inneren Oberarm
markiert eine gewisse Coolness. Es deutet sich gleichzeitig Triumph und
Erleichterung an, dass der Säugling eingeschlafen ist. PP: »Naja, eigentlich
ist es so, am meisten Selfies mach ich, ich hab eine Whats-App-Gruppe, das
ist so, Whats-App ist halt so ein, da kann man sich Nachrichten schreiben
so wie per SMS, nur ist es halt gratis. Und da hab ich zwei Mädels, die haben
auch Babys im Alter vom Lukas und mit denen schicken wir uns halt den
ganzen Tag immer wieder Sachen und wenn ich dann zum Beispiel gerade
den Lukas in die Trage eingebunden hab und er eingeschlafen ist, dann
mach ich ein Selfie, wo man mich sieht und den Lukas jetzt zum Beispiel
am Rücken schlafend, und schreib Lukas ist gerade eingeschlafen, smile
38
Körperbilder – Plattformbilder?
Bildpraktiken und visuelle Kommunikation auf Social Media
und dann schick ich das den zwei Mädels, so« (W30). Die Einbettung in die
spezifische Praxis unterstreicht und validiert die Interpretation: Das Bild
wurde in einem sehr spezifischen und intimen Kontext geteilt. Die Fotogra-
fin zeigt sich den anderen Müttern als kompetente, aber cool-entspannte
Mutter. Es lässt sich vermuten, dass die kleine, geschlossene ›private pu-
blic‹ der anderen Mütter dabei – wie auch andere Peergroups – durchaus
ambivalent sein kann: Als Raum des Schutzes und der Stärke, aber auch als
Raum von Konflikt und Konkurrenz (vgl. Amling 2015; Hoffmann 2013).
Gerade Mütter von Säuglingen sind mitunter eingeschränkt mobil und
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Die Anordnung der Körper im Bild lädt ein, zu betrachten oder teilzuha-
ben. Viele der untersuchten Bilder sind unscharf oder abgeschnitten, also
mit einer gewissen Hastigkeit gerahmt, die in diesem Kontext aber eben
auch positiv, als Indikator für – möglichst synchrone – Echtzeitkommu-
nikation, gedeutet werden kann. Einige Körperbilder zeigen nur Teile des
Körpers, etwa einen Arm, der Schnee hält, oder die Beine und Füße aus
der Perspektive der Augen der fotografierenden Person. Mitunter wird
hier sogar der eigene Blick auf den eigenen Körper geteilt – also ich zeige
mich, so wie ich mich aus meinen Augen sehe, ohne Umweg über einen
Spiegel oder ein Selfie. Zudem sind diese Bilder in laufende Konversati-
onen eingebunden, haben klare AbsenderInnen und verweisen auf den
den Rezipierenden bekannten Körper. Deswegen müssen die sichtbaren
Körper auch nicht eindeutig identifizierbar sein, denn die AbsenderInnen
autorisieren und authentisieren deren Echtheit, auch wenn etwa nur ein
Arm oder ein Hals zu sehen ist.
Im Gegensatz dazu werden in jenen Bildern unseres Korpus, die wir halb
öffentlichen Plattformen wie Instagram oder Facebook zuordnen konnten,
konkrete, identifizierbare Körper gezeigt: Es werden meist nicht nur Teile
der Körper gezeigt, sondern der Bildausschnitt umfasst das Gesicht oder die
39
Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker
Gesichter sowie den ganzen Körper oder Körperansichten bis zur Hüfte.7
Körperbilder können auf halböffentlichen Plattformen an unterschiedli-
chen Stellen aufscheinen, etwa als Profilbilder oder in der Timeline. Als
Profilbild nehmen sie stellvertretende Funktion ein, denn sie fungieren
als Icon für eine bestimmte Person, das immer aufscheint, wenn diese Per-
son kommuniziert (vgl. Astheimer/Neumann-Braun/Schmidt 2011).
Facebook ist, wie sich in einigen Interviews gezeigt hat, für das Teilen von
Bildern eher in Verruf geraten, seit sich das Unternehmen in einer Änderung
der Nutzungsbedingungen selbst Verwendungsrechte übertragen hat. Es
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gerade Bilder auf dieser Plattform eher als inszeniert wahrgenommen. Das
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
zeigt sich auch an den geteilten Körperbildern. Zwei dieser Bilder sollen
hier exemplarisch analysiert werden. Die beiden zur genaueren Analyse
herangezogenen Bilder liefern insbesondere in Bezug auf das Thema Ge-
schlecht interessante Perspektiven:
Abbildung 3
Bild geteilt auf Instagram von M18
7 Dies gilt vor allem für den untersuchten Korpus. Es gibt aber auch einen gegenläufigen Trend,
bei dem das Posten von Bildern, auf denen Gesichter klar erkennbar sind, vermieden wird.
Dieser zeigt sich besonders in Bezug auf Kinderfotos.
40
Körperbilder – Plattformbilder?
Bildpraktiken und visuelle Kommunikation auf Social Media
Vier junge Männer befinden sich in einem Auto, der Bildausschnitt ist
schräg nach links gekippt. Die beiden jungen Männer in der vorderen Reihe
tragen sommerliche Kleidung. Die zwei Männer auf den Rücksitzen zeigen
das V-Zeichen in Richtung zueinander. Freundschaft und Gemeinschaft
konstituiert sich hier auf mehreren Ebenen: durch äußerliche Ähnlichkeit,
(kurze Haare, dunkle Augenbrauen, offene Münder) und durch zueinan-
der geneigte Oberkörper. Durch V-Zeichen und den direkten Blick in die
Kamera ist klar, dass die jungen Männer posieren. Das Bild zeigt M18 (links
vorne) auf dem Rückweg vom Strand. Die mit ihm abgebildeten Freunde
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sind, wie er im Interview schildert, aus Spanien und »Die Spanier sind ziem-
lich, ziemlich auf Instagram drauf«. Die Plattform ist also bei der gezeigten
Gruppe populär. Sichtbar wird eine Konstitution von Freundschaft im Bild
und gegenüber einer diffusen Öffentlichkeit, was Autenrieth (2014) auch als
»Theatralisierung von Freundschaft« beschreibt. In Social Media sei zu-
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dem zentral, dass Freundschaft ständig neu ausagiert und aktualisiert wird
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
(Autenrieth 2014: 121f.) bzw. werden muss (vgl. Thiel-Stern 2012). Auch
Reißmann (2015) beschreibt im Zusammenspiel von Mediatisierung und
Visualisierung die Möglichkeit des bildlich-ästhetischen Ausdrucks als zen-
tral. Deshalb soll der Blick hier wiederum darauf gelenkt werden, wie genau
unterschiedliche Konstellationen von Freundschaftsbeziehungen bildlich
hergestellt werden (vgl. Schreiber 2015), etwa durch die Ausrichtung der
Körper zueinander und das Angleichen von Kleidung, Posen und Mimik.
Wie im ersten Bild wird das explizite Posieren auch im zweiten Bild deutlich:
Abbildung 4
Bild geteilt auf Instagram von W15
41
Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker
Auf dem Bild sind drei junge Frauen zu sehen, festlich gekleidet in
unterschiedlichen Varianten des ›kleinen Schwarzen‹. Alle tragen die
Haare offen und sind eng aneinandergeschmiegt. Sie blicken auf das Dis-
play des Handys, das das Mädchen in der Mitte in der Hand hält. Hinter
der Gruppe sind ein Waschbecken und ein Abflussrohr zu sehen sowie
ein Spiegel, in dem sich Hinterköpfe und Rücken der Mädchen spiegeln.
Der Bildausschnitt ist stark nach rechts gekippt. Es handelt sich um ein
Spiegel-Selfie; junge Frauen am Übergang zum Erwachsen-Werden insze-
nieren sich im geschützten Waschraum oder der Toilette. »Wir haben alle
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schwarze Kleider an, wir haben halt unseren ganzen Körper fotografiert.
Wir wollten halt unser Outfit zeigen (lacht). Sonst hätte ich natürlich ein
Selfie gemacht, wenn die Schuhe nicht wichtig wären, aber ... (lacht)« (W15).
Auch hier wird intentional-strategisches Impression Management im Sinne
Goffmans (2010 [1983]: 189) sowohl bildlich sichtbar als auch im Interview
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beschrieben. Doch welche Art von Gruppe und welche Art von Geschlecht-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
42
Körperbilder – Plattformbilder?
Bildpraktiken und visuelle Kommunikation auf Social Media
Mittel. Beide Bilder zeigen also auch die Praxis des Sich-Fotografierens, die
Konstitution von Freundschaft im und durch das Bild: Die Gruppe bildet
sich gemeinsam ab, während sie als Gruppe posiert – dadurch wird die
Zusammengehörigkeit gestärkt bzw. überhaupt erst hergestellt.
Interessanterweise posieren beide Gruppen in geschlossenen Räumen:
Der Moment des Fotografierens und Posierens passiert also geschützt – um
dann mit dem Teilen des Fotos wiederum öffentlicher zu werden. Es sei
schließlich angemerkt, dass gerade bildanalytische Verfahren großes Po-
tenzial für die Analyse von Körperlichkeit und Geschlechtlichkeit haben,
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was nicht überrascht: Als Medien der Kommunikation sind diese Kör-
perbilder im Gegensatz zu konnektiven Körperbildern an eine diffusere,
weniger intime Öffentlichkeit gerichtet. Sie sind weniger Medien inter-
personaler Verständigung als Medien der (Re-)Präsentation. Es gilt daher,
ein Bild zu gestalten, das für möglichst viele Betrachtende anschlussfähig
und verständlich ist.
Als dritte Gruppe von Körperbildern deutet sich jene an, die eine foren-
sisch-explorative Körperlichkeit zeigt – diese Bilder werden üblicherweise
nicht geteilt und dienen deswegen auch als Kontrastfolie zu den anderen
Modi von Körperbildern:
»Da habe ich ein Bläschen im Mund gehabt und wollte wissen wie es
ausschaut. [...] Und dann schau ich, okay, wie schaut das aus« (M18). Die
Smartphone-Kamera macht also mitunter jene Stellen des Körpers sicht-
bar, die mit freiem Auge nicht sichtbar sind und erweitert das Sichtfeld
in quasi medizinischer Weise. Während die Naturwissenschaften diese
Fähigkeit von (digitaler) Fotografie schon lange einsetzen, zeigt sich hier
eine Art Demokratisierung von technologischen Möglichkeiten, die letzt-
endlich auch zur Selbstkontrolle dienen können (vgl. Rettberg 2014: 73ff.).
Forensisch-explorative Körperbilder können auch in Zusammenhang mit
43
Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker
Abbildung 5
Bild von M18
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4. Conclusio
44
Körperbilder – Plattformbilder?
Bildpraktiken und visuelle Kommunikation auf Social Media
8 Mit privater Fotografie ist letztendlich auch immer die Annahme verbunden, dass ein Foto
etwas zeigt, was irgendwo einmal war.
9 Goffman zitiert dazu eine Studie, in der zu Häusern in einem Dorf Neu-Englands folgen-
des festgestellt wird: »Die ›besten‹ Vorhänge befanden sich da, wo man sie am deutlichsten
sehen könnte, und waren nicht zu vergleichen mit den Vorhängen an Fenstern, die vor dem
Beschauer verborgen waren« (Goffman 2010 [1983]: 124).
45
Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker
Literatur
46
Körperbilder – Plattformbilder?
Bildpraktiken und visuelle Kommunikation auf Social Media
47
Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker
2012
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
48
Körperbilder – Plattformbilder?
Bildpraktiken und visuelle Kommunikation auf Social Media
In: Beckner, B.; I. Schneider (Hrsg.): Was vom Körper übrig bleibt.
Körperlichkeit – Identität – Medien. Frankfurt/M. [Campus] 2000,
S. 13-40
Schreiber, M.: Freundschaftsbilder – Bilder von Freundschaft. Zur
körperlich-ikonischen Konstitution von dyadischen Beziehungen in
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49
Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker
50
Ulla Autenrieth
Der Begriff des ›After-Baby-Bodys‹ wurde seit Beginn des neuen Jahrtau-
sends in Zusammenhang mit den körperlichen Veränderungen von insbe-
sondere prominenten Müttern wie beispielsweise dem Topmodel Gisele
Bündchen in der Zeit nach der Schwangerschaft verwendet. Bedeutsam
ist hier jedoch die konnotative Bedeutung: Es geht eben nicht um den
mütterlichen Körper nach der Geburt eines Kindes. Sondern vielmehr
wird die möglichst schnelle Rückkehr der Frau zu ihrer früheren ›Figur‹
hervorgehoben. Bislang ließen sich derartige Diskurse vor allem in auf
Frauen ausgerichteten populärjournalistischen Angeboten beobachten:
Sogenannte ›Society-JournalistInnen‹ berichten über die Geburt und die
Zeit nach der Schwangerschaft aus den Kreisen berühmter Mütter, meist
Models, Schauspielerinnen oder Mitglieder europäischer Königshäuser.
Als ein erstes prominentes Beispiel prägte die Berichterstattung über die
beiden Schwangerschaften von Prinzessin Diana Anfang der 1980er-Jahre
lange Zeit den Diskurs. Eine deutliche Intensivierung des Themas der ›Pro-
minenten-Schwangerschaft‹ ist seit den 2000er-Jahren mit Aufkommen ei-
ner verstärkten »Celebrity Culture« zu beobachten (vgl. Hine 2013: 583). In
Zeiten des Social Webs erfährt diese Praxis eine weitere gravierende Dyna-
51
Ulla Autenrieth
Die aufstrebende Plattform Instagram, die sich ganz auf das Posten, Liken
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
1 Siehe: http://bikinibodymommy.com/
52
(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹
was als weiblich und erstrebenswert gilt, erneut. Gill umschreibt diese
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
53
Ulla Autenrieth
tos den LeserInnen, wie scheinbar einfach es ist, eine attraktive (werdende)
Mutter mit perfektem Körper zu sein.
Abbildung 1
Perfekte Schwangere – Ikonisierung des schwangeren
Körpers
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
54
(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹
dies erreicht wird, umso eindrücklicher sind das mediale Echo und die
damit verbundene Aufmerksamkeit, wie das Celebrity-Magazin OK! in ei-
nem Online-Beitrag über die Schauspielerin Mila Kunis (siehe Abb. 2) vom
November 2014 idealtypisch demonstriert (N.N. 2014).
Abbildung 2
Wow-Effekt – Mila Kunis ›zeigt‹ ihren schlanken
›After-Baby-Body‹
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Quelle: https://www.ok-magazin.de/wow-mila-kunis-zeigt-wenige-wochen-nach-geburt-
ihren-schlanken-after-baby-body-30471.html
55
Ulla Autenrieth
›sehr‹ kleinen Bikini trägt und das Coverfoto nicht nachträglich bearbeitet
wurde. Für diese Leistung werden ihr geradezu ›übermenschliche‹ Kräfte
zugesprochen (vgl. Winston 2013).
Abbildung 3
Superhuman – Das Ideal des ›Before-Baby-Bodys‹
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Quelle: https://www.usmagazine.com/celebrity-body/news/gisele-posed-for-vogue-bra-
zil-cover-in-skimpy-bikini-just-two-months-after-giving-birth-2013295/
Seit Beginn der 1980er-Jahre ist das Phänomen der Celebrity-Mütter als
Thema der Berichterstattung zunächst vor allem in Hochglanz-Print
56
(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹
Abbildung 4
Private Celebritys – Gisele Bündchen auf Instagram
57
Ulla Autenrieth
Abbildung 5
Maternity-Shooting
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Wie in Abbildung 5 deutlich wird, sind die Fotos mit den auf ihnen
dargestellten Posen und in ihrer angestrebten Ästhetik an die ›Vor-Bil-
der‹ in den großen Lifestyle-Printmagazinen angelehnt. In der Art und
Weise, wie sich viele Frauen bereits während der Schwangerschaft an den
entsprechenden medialen Vorlagen orientieren, setzt sich das Phänomen
nach der Geburt fort.
In der Form einer klassischen Vorher-/Nachher-Darstellung, wie sie z. B.
aus der Diätwerbung bekannt wurde, stellen viele Frauen Fotos von sich
58
(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹
online, die sie während und nach der Schwangerschaft zeigen. Der Fokus
liegt auch hier auf dem tunlichst guten Erhalt der eigenen Figur während
der Schwangerschaft, bzw. auf der schnellen Rückkehr zur ›alten‹ Silhou-
ette, d. h. auf eine möglichst schnelle Elimination der Schwangerschaftsspu-
ren (siehe Abb. 6). In speziell gegründeten Gruppen oder über Hashtags (z. B.
#fitpregnancy oder #fitmom) werden die zugehörigen Diskurse geführt.
Fotos vor und nach der Geburt werden online gestellt und entsprechend
zur Bewertung – in Form von Likes und Kommentaren – dargeboten.
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Abbildung 6
#fitpregnancy
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Die Wahrnehmung des eigenen Körpers ist stets abhängig von sozi-
alen Kontexten (vgl. Villa 2006: 15). In den Gruppen wird der schwan-
59
Ulla Autenrieth
der Stars und Celebritys noch stärker den Eindruck von Normalität und
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
ein Gefühl von ›Jede kann es schaffen‹: Wenn Gisele Bündchen wie eine
durchschnittliche Frau mit ihren Kindern im Garten spielt, kann eine
durchschnittliche Frau auch aussehen wie Gisele Bündchen, so der impli-
zite Umkehrschluss. Doch während sich die visuelle Ästhetik der (Selbst-)
Darstellungspraktiken zwischen ›normalen‹ Frauen und prominenten
Vertreterinnen kontinuierlich angleicht, bleibt die Differenz in den Le-
benswelten und Voraussetzungen des Alltags, insbesondere aufgrund
unterschiedlicher ökonomischer Rahmenbedingungen, bestehen. Dies
wird jedoch nur in Ausnahmefällen thematisiert, wie beispielsweise
durch das US-amerikanische Model Chrissy Teigen, die in einem Inter-
view erläuterte, wie sie selbst und andere Celebritys es nur aufgrund
der Hilfe einer Schar von KöchInnen, ErnährungsberaterInnen, Nannys
und FitnesstrainerInnen schaffen, kurz nach der Geburt bereits wieder
schlank über rote Teppiche zu flanieren oder an Modeschauen teilzu-
nehmen und entsprechende Fotos auf ihren Social-Media-Profilen zu
posten (vgl. Clements 2016). Es findet also lediglich vordergründig eine
Angleichung der Lebenswelten bzw. Medienpraktiken zwischen Celeb-
ritys und ›durchschnittlichen‹ Frauen statt. Jedoch übertragen sich die
Maßstäbe und Erwartungen, nicht zuletzt aufgrund der minuziösen
Darstellung scheinbar aller Etappen aus der Schwangerschaft und der
Zeit nach der Geburt im Leben der Stars und Celebritys, auf die Selbst-
wahrnehmung von Frauen.
60
(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹
aufzubereiten. Doch selbst dies darf letztlich nur als kleiner Blick hinter
die Kulissen verstanden werden.
Abbildung 7
Gisele Bündchen – #multitasking
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Quelle: http://www.dailymail.co.uk/femail/article-2522180/Gisele-Bundchen-tweets-
image-breastfeeding-stylists-dance-attendance.html
61
Ulla Autenrieth
Abbildung 8
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Quelle: Screenshots des Instagram-Profils von Kayla Itsines (oben) und Screenshot der
Facebook-Seite Bikini Body Mommy
62
(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹
entwickelt hat.
Abbildung 9
#BBGmums
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63
Ulla Autenrieth
Abbildung 10
No Excuse Mom
Quelle: http://www.noexcusemom.com/
Und ›besser‹ bezieht sich hier auf den Zustand des perfekt durchtrai-
nierten mütterlichen Körpers. In Form einer weiteren Zuspitzung stellt sich
schließlich die Frage: Warum ›nur‹ zurück zur ›alten‹ Figur? Denn aller
Wahrscheinlichkeit nach lässt sich diese noch weiter optimieren. Im Sinne
eines ›gut ist nicht gut genug‹ wird hier an die fortwährende und kontinu-
ierliche Selbstoptimierung des weiblichen bzw. – weiter zugespitzt – müt-
64
(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹
terlichen Körpers appelliert (vgl. Bröckling 2007). Doch mit der Über-
nahme von ›Verantwortung‹ für die eigene Erscheinung ist der Kampf um
den perfekten Körper zugleich ein Kampf gegen das Versagen. Schließlich
sind es in den Fitness-Communitys bzw. auf Facebook und Instagram ›nor-
male‹ Frauen, die ihre Körper und ihre ›Erfolge‹ zeigen. Letztlich wird dies
als Beweis gewertet für die Aussage: Ein perfekter Körper ist für jede(n)
machbar. Wo vormals lediglich ›Rückbildungsgymnastik‹ als medizinische
Regeneration des postnatalen Frauenkörpers vorgesehen war – immer
mit dem Verweis auf dessen Schonung – existiert inzwischen eine ganze
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Hay 2008: 15). Das Selbst bzw. der Körper wird als formbares Kapital dar-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
gestellt, das mit dem richtigen Training und der richtigen Verpackung
den eigenen Marktwert verbessern kann. Damit einher geht einerseits die
Vermittlung eines Gefühls der Selbstermächtigung im Sinne von ›jede/r
kann seine/ihre Ziele erreichen‹, zugleich wird jedoch die Tendenz zu For-
derungen konstanter Selbstoptimierung verstärkt (vgl. ebd.: 7; Thomas
2008; siehe auch den Beitrag von Schwarzenegger/Hörtnagl/Erber
in diesem Band). Damit bauen derartige Fernsehserien ebenso wie ent-
sprechende Social-Media-Kanäle auf bereits lange etablierten Trainings-
routinen insbesondere für Frauen auf, die letztlich bezwecken, den Wert
von Frauen auf einem heterosexuellen PartnerInnenmarkt zu erhöhen.
Das Phänomen der gesteigerten Selbstoptimierung zeichnet sich als
Trend spätestens seit den 1990er-Jahren ab. Ziel ist die Verbesserung des
Selbst in professioneller wie in persönlicher Hinsicht. Im Zuge eines ›Ma-
nagements des Selbst‹ wird die Arbeit an der eigenen Persönlichkeit und
Erscheinung vorangetrieben (vgl. Bröckling 2007). Mit dem Aufkommen
des Social Web erhielt die Darstellung und Inszenierung des Selbst eine
neue Dimension. Profile müssen gestaltet und gepflegt werden, dies im
Zuge einer zunehmenden Visualisierung von Kommunikation unter den
Implikationen des World Wide Web: Kopierbarkeit, Suchbarkeit, Skalier-
barkeit und Persistenz (vgl. boyd/Ellison 2007). Aussehen und Auftreten
nehmen eine gewichtige Rolle ein. Sie sind sichtbare Zeichen von Erfolg.
Wichtig ist hierbei die Eigenverantwortung des Individuums. Im Prozess
der Individualisierung erscheint nicht nur alles möglich, sondern auch
65
Ulla Autenrieth
Abbildung 11
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Scheinbare Ambivalenz
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Quelle: http://www.jolie.de/mode/models-geburt-schlank
2 Siehe: http://www.noexcusemom.com/50-tips-to-becoming-a-fit-mother/
66
(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹
tend. Beides ist über Plattformen wie Instagram möglich: Die Orientierung
an Gleichgesinnten ist ebenso gegeben wie die Distanzierung von Ande-
ren. Zugleich wirkt beides im Sinne Foucaults disziplinierend, ein konti-
nuierliches Selbstmonitoring wird erleichtert: Wo stehe ich im Vergleich,
entspreche ich den gewünschten Standards? Dies wird über entsprechend
Das Weitergeben und Kopieren dieses Dokuments ist nicht zulässig.
3 Siehe: http://www.abeautifulbodyproject.org/
67
Ulla Autenrieth
kommentiert (vgl. N.N. 2017), gilt dies doch als Zeichen von Fruchtbarkeit
und als Hinweis auf ein sich gesund entwickelndes Baby. Doch offenbart
sich eine wachsende Ausdehnung normativer Vorgaben und Schlankheits-
ideale zunehmend bereits auf die Zeit während der Schwangerschaft. Dies
geht einher mit klaren Vorgaben aus der Ratgeberliteratur zur moder-
nen Schwangerschaftsdiät. Hier werden den schwangeren Frauen bereits
eindeutige Ratschläge und konkrete Vorgaben erteilt, um nicht ›zu viel‹
Gewicht zuzulegen: »Normal und wünschenswert sind zehn bis elf Kilo«
(Adam [1993: 29], zitiert nach Hornuff 2014: 246), jedoch bleibt im Un-
klaren, wer dies ›wünscht‹ und wer über ›normal‹ entscheidet (vgl. ebd.).
Im medialen Diskurs vergleichsweise neu erscheint die Mahnung an
noch schwangere Frauen, sich selbst ›nicht gehen zu lassen‹ (Spencer 2016,
siehe Abb. 12). Mit ›gehen lassen‹, ist hier das Nachgeben von ›Schwanger-
schaftsgelüsten‹ in Form von kalorienreichen Nahrungsmitteln, weniger
sportlichen Aktivitäten und einer damit einhergehenden Zunahme an
Körpergewicht gemeint. Es genügt nicht mehr, sich möglichst schnell im
Anschluss an die Geburt wieder auf die prä-schwangeren Körpermaße zu
trimmen, sondern idealerweise kämpft ›frau‹ bereits in der Schwanger-
schaft gegen sich ankündigende ›Babypfunde‹, d. h. für den perfekten
›Before-Baby-Body‹.
Auch hierfür hat sich bereits ein lukrativer Markt etabliert, der in Form
von Magazinen wie fit pregnancy oder speziellen Fitnesskursen (siehe Abb. 13)
eine Vielzahl an Angeboten für schwangere Frauen bereithält.
68
(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹
Abbildung 12
Not ›Letting Yourself Go‹
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Quelle: http://www.scarymommy.com/naya-rivera-i-let-myself-go-during-pregnancy/
Abbildung 13
Fit in der Schwangerschaft
Quelle: www.windeln.de
Beworben wird mit diesem Foto das Bild der idealen Schwangeren:
Sportlich aktiv und durchtrainiert, selbst bei sich bereits deutlich wöl-
bender Körpermitte. Das Versprechen des Online-Fitnesskurses ist damit
zugleich: immer verfügbar und örtlich ungebunden. Ganz im Sinne der
No-excuse-Mom gibt es so selbst für die Zeit während der Schwangerschaft
keine ›Entschuldigung‹, sich nicht körperlich fit und schlank zu halten.
Lange Zeit galt: »Je schwangerer eine Frau, desto unerotischer ihr Er-
scheinen« (Hornuff 2014: 222). Diese Prämisse obliegt nun der Vergan-
genheit. Die Sorge um die eigene Attraktivität wird auch in der Schwanger-
schaft zum Standard. Körperliche Attraktivität gilt als gestaltbar und nur
69
Ulla Autenrieth
dem eigenen Willen unterworfen. So wird hier ein Trend fortgesetzt, der
sich als »körperzentrierte Lebensgestaltung« (Wetz 2008: 182) beschreiben
lässt. Schwangere wurden kulturhistorisch vom ästhetischen öffentlichen
Ärgernis, das es möglichst zu verstecken galt, zu einer medialen Sensation.
Auf sie werden nun jedoch ebenso Merkmale wie Disziplin, Askese und
Selbstformung projiziert (vgl. Hornuff 2014: 224). Exemplarisch hierfür
ist das Beispiel eines Models, welches aufgrund seiner Disziplin selbst in
der Schwangerschaft die zum ›Six-Pack‹-trainierten Bauchmuskeln bei-
behielt (siehe Abb. 14).
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Abbildung 14
Schwangeres ›Six-Pack‹-Model
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
https://www.menshealth.com/sex-women/pregnant-model-sarah-stage-six-pack-abs
70
(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹
dass einige Kilos mehr oder weniger kaum auffielen. Respektive galt eine
entsprechende Gewichtszunahme als unvermeidbar. Dies änderte sich in
Anbetracht der zunehmenden Popularisierung und Boulevardisierung
des schwangeren Frauenkörpers. Die ästhetisch ideale Schwangerschaft
heißt die Gesamtkörperkontur schlank zu erhalten, bei maximaler Kon-
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71
Ulla Autenrieth
72
(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹
Literatur
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73
Ulla Autenrieth
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drehbuchautor-von-scripted-reality-erzaehlt-a-1164087.html
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N.N.: Wow! Mila Kunis zeigt wenige Wochen nach Geburt ihren
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
74
(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹
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[Reclam Verlag] 2008, S. 167-205
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29.5.2013. https://www.usmagazine.com/celebrity-body/news/gisele-
posed-for-vogue-brazil-cover-in-skimpy-bikini-just-two-months-
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after-giving-birth-2013295 [15.02.2018]
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
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Christian Schwarzenegger / Jakob Hörtnagl /
Lena Erber
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Wir leben in einem Zeitalter der Optimierung, der Effizienz und der Effizi-
enzkontrolle. In einer kapitalistisch geprägten Gesellschaft, in der die Ver-
wertbarkeit, der Nutzwert und die Anwendungsorientierung von Wissen,
Fertigkeiten und Geschick zu einer zentralen gesellschaftlichen Maxime
geworden sind, stellen das Selbst, der eigene Geist und der eigene Körper
die ultimative Ressource dar. Längst ist es nicht mehr nur die konkrete
Arbeitskraft des Menschen, die in den Dienst der kapitalistischen Verwer-
tungskette gestellt wird, sondern der Mensch als Ganzes wird aufgefordert,
sich nach dem Vorbild neoliberaler Verwertungslogiken zu formen und
sich im Wettbewerb der Subjekte auf dem Markt anzubieten (vgl. Lemke/
Krasmann/Bröckling 2015). Wie ›man‹ lebt, was ›man‹ tut, wie ›man‹ aus-
sieht und ob ›man‹ in Form ist, wird zum wesentlichen Bestandteil dieses
größeren Kommodifizierungsprozesses. Ulrich Bröckling beschreibt das
»unternehmerische Selbst« (Bröckling 2007) in diesem Zusammenhang
als die dominante Subjektform der Gegenwart. Als Ich-AG folgt es dem
Imperativ der beständigen Selbstoptimierung und muss durch gekonnte
Selbstdarstellung als Manager seines eigenen Erfolges bestehen – oder Ver-
antwortung für sein Scheitern übernehmen. Die Anpassung persönlichen
(Medien-)Handelns an Angebote, aus denen sich Regime der Optimierung,
der Effizienzsteigerung und der Leistungsfähigkeit konstituieren, kann
als eine Durchdringung des Alltags mit der neoliberalen Doktrin begrif-
fen werden, wonach die kollektive Verantwortungsübernahme als nach-
76
Straffer Körper, gutes Leben? Fitnessinhalte auf Instagram zwischen Ideal und Selbst
und deren Aneignung durch junge Frauen
Wünschenswerten überschneiden.
Im Zentrum der hier vorgestellten Fallstudie zu Aneignungspraktiken
und Rationalisierungsstrategien im Bildhandeln und Kommunizieren
von jungen Frauen zu fitnessrelevanten Inhalten auf Instagram, steht die
Frage, wie Vorstellungen und gesellschaftliche Orientierungsmuster für
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Christian Schwarzenegger / Jakob Hörtnagl / Lena Erber
Von Seiten der Körpersoziologie wurde unserer Gesellschaft schon vor eini-
ger Zeit ein ›Körperboom‹ attestiert (vgl. Meuser 2004). Zur kritischen Re-
flexion dieser wachsenden Bedeutung des Körpers sollen hier zwei makro-
theoretische Prozesse angeführt werden, die im Kontext einer Modellierung
des Selbst in mediatisierten (westlichen) Gesellschaften subjektivierend wir-
ken. Zum einen beschreibt der Begriff der Individualisierung die Tendenz
78
Straffer Körper, gutes Leben? Fitnessinhalte auf Instagram zwischen Ideal und Selbst
und deren Aneignung durch junge Frauen
Körper in einem von Kontingenz und Offenheit gezeichneten Leben als zur
Gestaltung verfügbare Ressource an, über die es seine eigene Identität ver-
wirklichen kann (vgl. Hitzler 2002). Selbstverwirklichung bedeutet hier,
Verantwortung zu übernehmen für das Aussehen, die Gesundheit und die
(körperliche) Leistungsfähigkeit, denn Arbeit an sich selbst verheißt, auch
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79
Christian Schwarzenegger / Jakob Hörtnagl / Lena Erber
ches, persönliches Projekt, bei dem erfolgreich ist, wer sich gut inszeniert
und vermarktet. Dabei geht es um mehr als die Unterwerfung des Ichs im
neoliberalen Diskurs der Vergleichbarkeit, es geht um die Entwicklung
einer eigenen »Marke« und der Notwendigkeit der beständigen Kommu-
nikation dieser Identität nach außen (ebd.: 147). Erst das kommunizierte
Ich ist überhaupt; und um durch seine kommunikative Darstellung Auf-
merksamkeit zu finden, muss es über das Normale hinausgehen, aus dem
Mittelmaß herausragen und inhaltliche wie auch mediale Logiken so zu
bedienen wissen, dass es im Wettbewerb einer nutzenorientierten Auf-
merksamkeitsökonomie bestehen kann. Dies ist Voraussetzung, um Schritt
zu halten mit den Entwicklungen hin zu einer »Bewertungsgesellschaft«,
in der gesellschaftliche Deutungskämpfe von einem Konflikt der Klassen
verlagert werden zu einem »Wettbewerb der Individuen« (Mau 2017: 16ff.).
Die Frage nach dem Körper wird so zu einer Frage des ›Lifestyles‹, per-
sönlicher Lebensziele und der ›richtigen‹ Lebensführung. Die Selbstdarstel-
lung in sozialen Medien, das Zugänglichmachen von eigenen Fitnessdaten
und Parametern der Körperertüchtigung, das Teilen von entsprechenden
Daten mit anderen und die Teilhabe anderer trägt auch zur Motivation bei
und das Kollektiv kann Ansporn bieten – der freilich aber auch in Stress
und Druck umschlagen kann. Während insgesamt vergleichsweise noch
wenige Studien (vgl. Perloff 2014) den Einfluss von Social Media auf das
Körperbild (junger Frauen) thematisieren, unterstreichen vorliegende
Ergebnisse mögliche problematische Vergleichsfolgen und empfundenen
80
Straffer Körper, gutes Leben? Fitnessinhalte auf Instagram zwischen Ideal und Selbst
und deren Aneignung durch junge Frauen
Stress und Traurigkeit durch den Vergleich mit medialen Vorbildern auch
für Social-Media-Umgebungen (vgl. Aubrey 2010; Chrisler et al. 2013;
Alperstein 2015; Lup/Trub/Rosenthal 2015; Fardouly/Willburger/
Vartanian 2017). Ob Mediengebrauch oder mediengestützte Verhaltens-
weisen dabei helfen können, statt unglücklicher zu werden, angestrebte
Glücksziele zu erreichen, hat Jill Belli (2016) empirisch untersucht. Sie hat
dabei nachzeichnen können, dass sogenannte und vermeintlich wissen-
schaftlich evidenzbasierte ›Happiness-Apps‹, die durch psychologische In-
terventionstechniken zu mehr Glücksempfinden im Alltag verhelfen sollen,
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Christian Schwarzenegger / Jakob Hörtnagl / Lena Erber
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Straffer Körper, gutes Leben? Fitnessinhalte auf Instagram zwischen Ideal und Selbst
und deren Aneignung durch junge Frauen
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Christian Schwarzenegger / Jakob Hörtnagl / Lena Erber
durch die Nutzungsrealität von Instagram, das deutlich stärker von Frauen
als Männern genutzt wird (ebd.: 444f.). Die Interviews wurden danach mit
einem an den Prinzipien der Grounded-Theory-Methodologie orientierten
Verfahren codiert und ausgewertet (vgl. Strauss/Corbin 1994; Böhm 1994).
Alle Namen der Informantinnen, die im Folgenden verwendet werden, sind
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Pseudonyme. Die Darstellung der Ergebnisse fokussiert hier selektiv auf drei
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
3. Ergebnisse
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Straffer Körper, gutes Leben? Fitnessinhalte auf Instagram zwischen Ideal und Selbst
und deren Aneignung durch junge Frauen
habe ich mal was hochgeladen von einem Muffin, den ich gebacken habe.
Und das hat so eine Bloggerin geliked, die Ernährungssachen macht. Und
dann bin ich der gefolgt. Und dadurch habe ich dann immer mehr so von
denen kennengelernt und durch diesen schlauen Algorithmus hat es mir
dann immer so Fitnesssachen vorgeschlagen. Und dann hat eins zum
anderen geführt und irgendwie fand ich das dann auch immer interessanter,
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Für alle Nutzerinnen im Sample war bei der Nutzung von sozialen Me-
dien allgemein und bei Fitnesscontent im Besonderen der Community-
Gedanke bedeutend. Dies sowohl bezogen auf die BetreiberInnen von pro-
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Christian Schwarzenegger / Jakob Hörtnagl / Lena Erber
ohne, dass diese dabei streng zwischen online und offline differenzieren.
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Instagram ist dann keine Online-Alternative zu, sondern ein fest etablierter
Bestandteil von lebensweltlichen Routinen. Zu diesen gehört, da man »so-
wohl in Instagram als auch im Fernsehen einfach unglaublich schöne, dünne
Frauen ständig sieht« (Gertrude), auch der Vergleich, der sowohl als positiv
inspirierend wie auch demotivierend verarbeitet werden kann. Emilia bringt
diese Ambivalenz auf den Punkt:
»Wenn man jetzt gerade so, ja, selber eben nicht diese Figur hat, die da
gezeigt wird, dass es einen dann zwar vielleicht schon so ein bisschen mo-
tiviert [...]. Aber vielleicht deprimiert es einen auch einfach nur, wenn man
dann doch Sport macht und die Ergebnisse, die man auf Instagram sieht,
selber nicht so schnell erreicht. [...], weil man eben die Zeit nicht hat, weil
das gar nicht so im normalen Alltag dann vielleicht umzusetzen ist, auch
mit der Ernährung« (Emilia).
Freundschaft, Inspiration, Bestätigung, Verunsicherung, Orientierung
und Vergleichsmöglichkeit – mit dem Online-Inhalt und auch unterein-
ander – werden gesucht und teilweise auch gefunden. Wie dabei dann
jeweils mit den Inhalten umgegangen wird, ist aber wieder stark kontext-
und situationsabhängig:
»Man schaut es sich schon immer gerne an, die Frage ist dann immer, ob
man dann mit einem guten Gefühl nach Hause geht, wenn man sich jetzt
zum Beispiel gerade ein Eis auf dem Heimweg kauft oder gerade [...] einen
Obstsalat mit nach Hause nimmt, ist immer unterschiedlich (lacht), in
welcher Verfassung man da gerade ist« (Andrea).
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Straffer Körper, gutes Leben? Fitnessinhalte auf Instagram zwischen Ideal und Selbst
und deren Aneignung durch junge Frauen
wird durch den Vergleich mit anderen Bildern aber durchaus dazu heraus-
gefordert ihre eigenen Grenzziehungen zu hinterfragen.
»Dass ich mir denke, naja, gut, kurze Hose geht ja nicht anders, [...]. Aber,
dass ich jetzt im Sport-BH und nur die kurze Hose, das ist dann trotz den
Seiten [= andere Pole Dance Darstellungen auf Instagram, Anm. d. V.], dass
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
ich mir immer noch denke: Ne, für mich wäre das dann zu viel so zu zei-
gen« (Emilia).
Die vorherrschenden Inszenierungsweisen, typischen Posen und Out-
fits werden also nicht einfach im eigenen Bildhandeln reproduziert, sti-
mulieren aber Auseinandersetzung und können auch Grenzverschiebun-
gen beeinflussen.
87
Christian Schwarzenegger / Jakob Hörtnagl / Lena Erber
versuchen und das Ideal anerkennen; dabei sind sie aber nicht völlig un-
kritisch, denn zu muskulös zu sein etwa, so zeigt sich über die Interviews
hinweg, reizt die Grenzen des ästhetischen Empfindens für manche aus.
Die Idealbilder werden aber zugleich kaum über die konkrete Körperlich-
keit hinaus interpretiert. Der Transfer, vom Körperideal auf (Körper-)Poli-
tiken und gesellschaftliche Teilhabe-Ideale zu schließen, erfolgt nur selten
und eher implizit. Interesse an den Fitness-Account-BetreiberInnen über
den aktuellen Status hinaus besteht aber durchaus. Friederike gefällt es
entsprechend besonders, »wenn z. B. noch so eine persönliche Note noch
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dabei ist und man so ein bisschen noch das Leben außerhalb von dem
Fitnessteil dieser Person noch mitbekommt«, gerade weil »viele von den
Leuten auch einfach auch echt eine richtig beeindruckende Geschichte ha-
ben, die ja meistens nicht von Anfang an so die Supersportler waren« (Frie-
derike). Die Körpertransformation, die manche Account-BetreiberInnen
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die Erreichbarkeit der #goals, die immer wieder bestätigend in den Posts
markiert werden. Disziplin und Einsatz führen zum Erreichen der Ziele.
Wichtig ist den NutzerInnen insgesamt Authentizität zu erleben und ei-
nen Einblick in das Leben »wie es ist« zu bekommen. Das betrifft auch
und besonders die BetreiberInnen von Fitness-Accounts, denen sie folgen.
Gerade was die Authentizität des Dargestellten betrifft, zeigen sich dabei
kanalspezifische bzw. medienformatbedingte Unterschiede – während
das Foto nur eine inszenierte Momentaufnahme bildet, bieten Videos auf
YouTube für Brenda die Gelegenheit zu erkennen, »wie jemand wirklich
ist«. Dieser Unterschied ist ihr wichtig und steuert auch die Relevanzbei-
messung an die unterschiedlichen Präsentationsformen, in denen sie Fit-
nessinhalten folgt. Die Einblicke in die Persönlichkeit, die durch Videos
gewonnen werden, können auch abschreckend sein, etwa wenn eine Fit-
nessikone dann »zu kindisch und wie eine 13-Jährige« spricht und somit
als Vorbild insgesamt nicht mehr taugt. Wenn negative Kritik an gefolg-
ten Profilen geäußert wird, bezieht sich diese oft auf Aspekte der (über-
triebenen) Kommerzialisierung, da diese die versprochene Authentizität
anficht, z. B. durch zu intensives Product Placement und wenn die Seite
insgesamt mehr zu einem Unternehmen wird als eine konkrete Person zu
repräsentieren. »Ich glaube, desto größer die Seite ist, desto unmenschli-
cher arbeiten diese Menschen. Weil sie eben nur noch den Erfolg daraus
sehen« (Darlene). Kleinere Seiten, weniger Follower verheißen hingegen
ehrlichere Darstellung und Nähe zum Echten.
88
Straffer Körper, gutes Leben? Fitnessinhalte auf Instagram zwischen Ideal und Selbst
und deren Aneignung durch junge Frauen
Anm. d. V.] nicht mehr so klar gekommen« ist, »weil es dann irgendwann
mal losging, dass die alle dann irgendwelche Programme gemacht haben
oder irgendwelche Sachen promotet« haben. Authentizitätsdefizite und
artifizielle Inszenierung, Sexualisierung und Ästhetisierung von Bildern
werden insgesamt gemäß der Plattformlogik als etwas akzeptiert, das man
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für »ein richtig gutes Bild« eben auch hinnehmen müsse. Damit wird klar,
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
4. Conclusio
Für die Nutzerinnen im untersuchten Sample war die Bedeutung von Fit-
ness in ihrem Leben und für ihren Lifestyle insgesamt hoch, d. h., dass auch
über Instagram hinausgehend fitnessbezogene Medieninhalte besonders
in Social Media genutzt wurden und Fitness auch abseits der Mediennut-
zung relevant war. Die Bedeutung von Fitness war teilweise so stark, dass
andere Bereiche der Lebensführung dem Fitnessaspekt untergeordnet wur-
den, was auch zu Verschiebungen, teilweise zu Verlusten oder Neukompi-
89
Christian Schwarzenegger / Jakob Hörtnagl / Lena Erber
90
Straffer Körper, gutes Leben? Fitnessinhalte auf Instagram zwischen Ideal und Selbst
und deren Aneignung durch junge Frauen
letztlich auch erwartet. Die Chance, sich darzustellen birgt aber immer
auch das Risiko, an den vorgeschlagenen Erfolgswegen und den dabei
transportierten Erwartungen zu scheitern. Es geht damit nicht nur um
den Körper auf Instagram, sondern auch um eine neue Art der Herstellung
von Körperlichkeit generell und die Art und Weise, wie Medienangebote
und deren spezifische Eigenheiten in alltägliche Abläufe einsickern. Die
Suche nach dem ›Authentischen‹ in der Darstellung des fitten Körpers,
aber auch das ›gute Leben‹, das sich durch diesen womöglich eröffnen soll,
ist verbunden mit der Frage, welche übergeordneten Rationalitäten dabei
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vermittelt werden, und ist damit auch als Aufforderung an die Forschung
zu sehen, eben jene kritisch zu reflektieren.
Literatur
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
91
Christian Schwarzenegger / Jakob Hörtnagl / Lena Erber
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Straffer Körper, gutes Leben? Fitnessinhalte auf Instagram zwischen Ideal und Selbst
und deren Aneignung durch junge Frauen
Hitzler, R.: Der Körper als Gegenstand der Gestaltung. Über physische
Konsequenzen der Bastelexistenz. In: Hahn, K.; M. Meuser (Hrsg.):
Körperrepräsentationen. Die Ordnung des Sozialen und der Körper. Konstanz
[UVK] 2002, S. 71-85
Hitzler, R.: Brutstätten posttraditionaler Vergemeinschaftung. In:
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Christian Schwarzenegger / Jakob Hörtnagl / Lena Erber
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Claudia Töpper / Margreth Lünenborg
VERKÖRPERTE AFFEKTE:
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Claudia Töpper / Margreth Lünenborg
Körper den narrativen Kern des Formats dar. Mit der Auswahl attraktiver
Locations, intensivem Product Placement sowie fortlaufender Werbeange-
bote bildet die Warenförmigkeit zugleich die dramaturgische Rahmung
des Programms. Die Attraktivität weiblicher junger Körper sowie der in-
szenierten Waren und das damit verbundene Begehren werden im Rah-
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VERKÖRPERTE AFFEKTE:
Zur Analyse affektiver Dynamiken von Zugehörigkeit und Exklusion im Reality-TV
1 In diesem Sinne zielen wir auf eine jener Fragen ab, die Gugutzer (2006: 11) als zentral und noch
ausstehend in der soziologischen Auseinandersetzung mit Körpern aufgerufen hat: »Ansätze
zu einer vom Körper ausgehenden Theorie des Sozialen liegen bislang nur vereinzelt vor. Wie
der Körper als zentrale soziologische Kategorie zu denken ist, ist jedoch […] eine wesentliche
Frage. […] Hinsichtlich des body turn bedeutete das eine systematische Integration der Kate-
gorie ›Körper‹ in die Konzeption von Sozialität.«
97
Claudia Töpper / Margreth Lünenborg
begriffen, denn Affekte strukturieren die Art und Weise, wie Menschen in
bestimmte Machtzusammenhänge eingebunden sind und wie dabei spe-
zifisch fühlende Subjekte hervorgebracht werden.
98
VERKÖRPERTE AFFEKTE:
Zur Analyse affektiver Dynamiken von Zugehörigkeit und Exklusion im Reality-TV
99
Claudia Töpper / Margreth Lünenborg
zesse von Körpern und durch Körper sind somit stets als relational zu
begreifen und bedürfen entsprechend empirischer Zugänge. Nicht der
einzelne Körper rückt dann in den Fokus der Analyse, sondern Affizie-
rungsdynamiken zwischen Körpern als Interaktionen zwischen mensch-
lichen und nicht-menschlichen Körpern. Wetherell (2012) nutzt dieses
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100
VERKÖRPERTE AFFEKTE:
Zur Analyse affektiver Dynamiken von Zugehörigkeit und Exklusion im Reality-TV
sichtigen (vgl. Coleman 2013). Der analytische Fokus richtet sich folglich
auf die Beziehungen und Entwicklungen von Körpern. Damit sind Körper
unterschiedlichster Art gemeint, wie beispielsweise die Körper der Prota-
gonist_innen, die einen Schimpansen küssen, auf einer Düne surfen, sich
in einem Slalom fahrenden Auto schminken oder über ein Gepäckband
laufen müssen. Von analyseleitendem Interesse sind dann Fragen nach Re-
lationen zwischen Körpern und nach Veränderungen, die sie durchlaufen.
Damit geraten automatisch Räume und Orte in den Blick, in denen sich
Körper bewegen und zwischen denen Beziehungen be- und entstehen. Da-
mit wird auf die prinzipielle Offenheit und Relationalität zwischen Raum,
Ort und Körpern verwiesen, so zum Beispiel Laufstegauftritte der GNTM-
Kandidatinnen in einem alten Broadway Theater, das sowohl als symboli-
scher Raum, als auch durch seine Architektur affizierendes Potenzial hat.
Während sich die Kategorie ›Raum‹ eher abstrakt auf Unterscheidun-
gen wie z. B. lokal, national und global bezieht, wird mit einem ›Ort‹ eine
konkrete Verbindung zu realen Orten beschrieben, wie z. B. ein Haus, ein
Strand oder eine Stadt (vgl. Lury 2005: 149). Fernsehsendungen inszenie-
ren also sowohl Räume als auch Orte. So kann beispielsweise im Rahmen
einer Sendung durch die Inszenierung der Gleichzeitigkeit unterschiedli-
cher Orte ein globaler Raum repräsentiert werden. Diesbezüglich sei auch
auf die Rolle von Technologien verwiesen, die hierbei eine besondere Rolle
spielen. Für die Analyse von Interesse sind dabei die Beziehungen und Brü-
che in der Organisation von Körpern, Technologien, Räumen und Orten
101
Claudia Töpper / Margreth Lünenborg
ziehung zwischen der Zeit, in der sich eine Szene entfaltet, und der Zeit,
in der Zuschauende diese Szene empfinden (vgl. Kappelhoff/Bakels
2011: 88). Dabei werden auch Fragen nach Intensitäten bedeutsam, womit
neben dem zeitlichen Verlauf Momente der Verstärkung und Verminde-
rung relevant werden. Analytische Kategorien zur Beschreibung von In-
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102
VERKÖRPERTE AFFEKTE:
Zur Analyse affektiver Dynamiken von Zugehörigkeit und Exklusion im Reality-TV
Betrachtet man Affekte als relational, erfordert das für die Analyse ein re-
zeptionsästhetisches Verständnis (vgl. Mikos 2008), bei dem die ästheti-
schen und narrativen Elemente einer Fernsehsendung hinsichtlich ihrer
potenziellen sinnlich-körperlichen Funktion für die Zuschauer_innen
betrachtet werden. Die im vorigen Kapitel dargestellten einzelnen Dimen-
sionen dienen hierbei zunächst der heuristischen Unterscheidung, lassen
sich in Fernsehsendungen jedoch nicht immer trennscharf vorfinden. Die
folgende Beispielanalyse illustriert, wie sich mithilfe der entwickelten
Dimensionen und analyseleitenden Fragestellungen Fernsehsendungen
hinsichtlich ihrer potenziellen sinnlich-körperlichen Wirkmächtigkeit
analysieren lassen und wie dabei über die Inszenierung von Körpern wech-
selseitige Prozesse von Zugehörigkeiten und Begehren zwischen Protago-
nist_innen und Zuschauer_innen hergestellt werden können.
Als Beispiel wurde eine kurze Sequenz der siebten Episode der Casting-
show GNTM vom 17.03.2016 gewählt. In diesem Ausschnitt3 bereiten sich
zwei Kandidatinnen auf das sogenannte, in jeder Staffel wiederkehrende
3 GNTM 2016, Folge 07, 00:59:31 – 01:05:15, Dauer: 5 Minuten und 44 Sekunden.
103
Claudia Töpper / Margreth Lünenborg
104
VERKÖRPERTE AFFEKTE:
Zur Analyse affektiver Dynamiken von Zugehörigkeit und Exklusion im Reality-TV
deutlich macht, werden Angst und Unsicherheit der anderen Kandidatin auf
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Abbildung 1
Kontrastierung körperlicher Ausdrücke und diskursiver
Verhandlung von Scham
105
Claudia Töpper / Margreth Lünenborg
106
VERKÖRPERTE AFFEKTE:
Zur Analyse affektiver Dynamiken von Zugehörigkeit und Exklusion im Reality-TV
Formierung um sie herum. Die Umgebung ist eher dunkel und die Szene
unterlegt mit einem rhythmischen Popsong, während im Hintergrund
zunehmender Regen und Wind zu hören und zu erkennen sind. Daneben
tragen auch wiederholte Korrekturen ihrer Haltung und Kommentare
über ihre Unsicherheit und die Schwierigkeiten, ein gelungenes Foto zu
schießen, dazu bei, die Szenen als unangenehm zu inszenieren (vgl. Abb. 2).
Abbildung 2
Kontrastierung von positiven und negativen Affizierungen
wurde mit IP-Adresse 141.002.140.067 aus dem Netz der UB Frankfurt am September 5, 2023 um 14:53:56 (UTC) heruntergeladen.
in GNTM
Das Weitergeben und Kopieren dieses Dokuments ist nicht zulässig.
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
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Claudia Töpper / Margreth Lünenborg
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VERKÖRPERTE AFFEKTE:
Zur Analyse affektiver Dynamiken von Zugehörigkeit und Exklusion im Reality-TV
5. Fazit
109
Claudia Töpper / Margreth Lünenborg
sie weisen über die Ebenen der Repräsentation und des Diskurses hinaus
und interagieren mit diesen.
Die hier entwickelten Dimensionen der Fernsehanalyse bieten Anhalts-
punkte, um explizit sinnlich-körperliche Adressierungen des Publikums
in den Blick zu nehmen. Eine affekttheoretische Herangehensweise der
Analyse audiovisuellen Materials berücksichtigt dabei Körper in ihrer Re-
lationalität und Prozessualität, ihrer temporalen Struktur und Intensität.
In den Fokus der Analyse geraten ihre Bewegungen und Begegnungen in,
an und zwischen Räumen und Orten sowie hinsichtlich der Herstellung
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II. Repräsentationen und diskursive Verhandlungen
vergeschlechtlichter Körper
Patrick Rössler
113
Patrick Rössler
114
»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der Weimarer Republik
gen vorbehalten war und das Phänomen deswegen in vielerlei Hinsicht als
mediale Inszenierung erfolgte (vgl. Pfeiffer 2017).
Denn die glamourösen Bilder aus den Unterhaltungspalästen wurden
von der Illustriertenpresse – und besonders von den in hohen Auflagen für
eine aufstrebende Mittelschicht produzierten Monatsmagazinen – dank-
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ten, die ihre Fotos meist auf besserem, gestrichenem Papier abdruckten
(vgl. Rössler 2013a), kommt ohne Porträts aus dem Nachtleben (etwa von
dem Revuestar Josephine Baker) oder die schier endlosen Beinreihen der
Revuegirls aus. Periodika wie Berliner Leben, Ich und die Großstadt oder Der
Junggeselle porträtierten einen Lebensstil, der selbst in den Metropolen nur
einer kleinen Klientel vorbehalten war. Nacktdarstellungen, eingebettet
in humorige Sottisen oder anzügliche Kurzgeschichten, dienten hier pri-
mär der Visualisierung einer vergnügungssüchtigen Lebewelt, zu deren
Repertoire ganz selbstverständlich auch erotische Eskapaden zählten.
Daneben etablierte sich im Deutschland der 1920er-Jahre die Freikörper-
kultur als Gegentrend zu einer überdrehten, durch kapitalistische Arbeits-
prozesse definierten, urbanen Zivilisation (hier u. i. F. ausf. Rössler 2017:
13ff.). Sie griff Ideen und Ideologien der Lebensreform-Bewegung auf – mit
der modernen Metropole als Feindbild schien ein Dasein als ertüchtigter,
durch regelmäßigen Sport gestählter Körper im Einklang mit der Natur das
erstrebenswerte Ziel, das die unbefangene Nacktheit wie selbstverständlich
einschloss (vgl. Horst 2013: 30ff.). Eine regelmäßige periodische Presse unter-
richtete die AnhängerInnen schon seit der Jahrhundertwende über aktuelle
Streitfragen; eine publizistische Kultur, die Deutschland von allen anderen
Staaten mit entsprechenden Bewegungen unterschied (vgl. Gordon 2004:
93). Aber auch die bürgerlichen Tages- und Wochenzeitungen widmeten sich
dem Thema gerne, wie ein Bildbericht von 1929 zeigt (Abb. 1), wobei nackt
lediglich Kinder und eine Jugendliche dargestellt werden.
115
Patrick Rössler
Abbildung 1
Impressionen aus der Lebensreform-Bewegung
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Quelle: verschiedene Fotografen; Die Bilder-Woche, Beilage zur Neuen Leipziger Zeitung,
23. Juni 1929, S. 12
116
»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der Weimarer Republik
rer Lauterkeit der Erscheinung, die äußere Gestalt hier mit ihrer Schönheit
auf eine Innerlichkeit hinweist: Sie offenbart Naturfreude, Lebensehrfurcht,
Edelgesinnung neuartigen Menschentums« (Anonym 1924: 6).
Den ideologischen Überbau dafür lieferten etwa die reich illustrierten,
auflagenstarken Werke des Gymnastiklehrers Adolf Koch (1924) oder jene
zum Sonnenkult des nationalkonservativen, ehemaligen Kolonialoffiziers
Hans Surén (1924).
Daneben entspann sich ein breiter gesellschaftlicher Diskurs über
Fragen der Sexualhygiene, die seinerzeit durch Ärzte, Wissenschaftler
und Sozialpolitiker ebenfalls der Tabuzone entrissen wurden. Neue
Geschlechterordnungen bedurften der Aushandlung – wie etwa die so
genannte Kameradschaftsehe, die 1928 als deutsche Übersetzung des po-
pulären, in mehreren Auflagen verbreiteten Buchs der amerikanischen
Autoren Ben B. Lindsey und Wainwright Evans erschien. Sie warb für
eine partnerschaftliche Beziehung, in der sich die (verheirateten und kin-
derlosen) Paare gegenseitig alle (auch sexuellen) Freiheiten zugestehen
und ihre Ehe aufgrund einer freundschaftlichen Verbundenheit weiter-
führen (Lindsey/Evans 1928: 40ff.). Die ganzseitige Abbildung »Beginn
einer Kameradschaftsehe« aus dem populären Magazin Das Leben (Abb. 2)
soll dieses Verhältnis symbolisieren: Der modischen Frau, rauchend und
selbstbewusst, macht ein anonymer, gesichtsloser Herr seine Aufwar-
tung; er ist austauschbar, und Gegenstand sind nicht die romantischen
Zärtlichkeiten, wie sie die Genredarstellungen ansonsten beherrschen,
sondern das interessierte Gespräch.
117
Patrick Rössler
und unter der Hand kursierten, immer bedroht von Beschlagnahme und
Zensur. Aktfotografien wurden eher dezent eingesetzt, vermutlich um die
Verbreitung der Organe nicht zusätzlich zu gefährden.
Abbildung 2 Abbildung 3
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Quelle: Foto: Yva; Das Leben, März 1932, Quelle: Fotograf nicht genannt; Die Freun-
S. 1 din, November 1930
118
»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der Weimarer Republik
Die Redaktion von Die Schönheit sah sich im August 1927 sogar veranlasst, ei-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Abbildung 4 Abbildung 5
Aufklärungsmagazin für Umschlagfoto »Kampf gegen
Sexualhygiene Aufklärungsschriften«
Quelle: Fotograf nicht genannt; Die Ehe, Quelle: Fotograf nicht genannt; Liebe und
August 1928 Leben, November 1931
119
Patrick Rössler
für das äußere Merkmale wie Frisur (Bubikopf) und Kleidung (kurzer Rock)
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
120
»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der Weimarer Republik
Abbildung 6 Abbildung 7
Die »moderne Frau« im Inszenierung des
Spiegel der Aktfotografie divenhaften Vamps
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Quelle: Foto: Maurice Beck; Revue des Quelle: Foto: Binder; Das Leben, Januar
Monats, Dezember 1930, S. 147 1933, S. 20
Auf der Suche nach Belegen für die eben genannte These zur Rolle der
Aktfotografie, muss man heute auf Hinweise zurückgreifen, die sich aus
den abgelichteten Äußerlichkeiten und den Bildlegenden ergeben, die den
Abdruck der Motive begleiten. Orientiert man sich an der von Gozalbez
Cantó (2012: 76-188) vorgelegten Typologie massenmedialer Weiblichkeits-
bilder der Epoche, so sind zwei ihrer Frauendarstellungen ganz zweifellos
auch in den Aktfotografien der illustrierten Massenpresse anzutreffen:
121
Patrick Rössler
(1) Allen voran kann die Diva als rätselhafter, erotisch ansprechender Frau-
entypus und sinnliche Verführerin durch Nacktmotive perfekt in Szene
gesetzt werden (Abb. 7). Die Inszenierung als klassisch-mondäner Vamp der
Atelierakte (s. u.) passt sich damit nahtlos in vergleichbare Darstellungen
etwa in Filmproduktionen der Zeit ein (vgl. Rössler 2016). Gleiches gilt
(2) für das lebenslustige, sportliche, tanzbegeisterte, genuss- und konsum
orientierte Girl, wie es nicht nur die zahllosen Ausdrucksstudien bevölkert;
als realweltliche Inszenierung wie im Halbakt der Bildhauertochter Hilde
Lederer (Abb. 8) wird das flapperhafte, an Posen des Ausdruckstanzes erin-
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Abbildung 8
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Quelle: Fotos: Gerhard Riebicke/nicht genannt; Der Querschnitt, März 1929, S. 204b/c
122
»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der Weimarer Republik
Abbildung 9
Ganzseitiger Doppelakt des Chronisten der FKK-Bewegung
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123
Patrick Rössler
Abbildung 10
Die sechzehnjährige Hella Philipp als »moderne Aphrodite«
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Eine interessante Mischform ergibt sich freilich mit dem von Konzep-
ten der ›neuen Frau‹ ansonsten nicht berücksichtigten Typ der (5) ›frem-
den Frau‹ als ›Exotin‹ (Farrokhzad 2006), wenn sie als Revuetänzerin auf
den Bühnen der Metropolen gastierte. Prototyp hierfür wäre sicherlich
Josephine Baker, die in einem Bericht des Welt-Magazins prominent als
»Königin der Negergirls« erscheint, abgelichtet in barbusiger Pose vom
Studio d’Ora (Abb. 12). Im typischen kolonialistischen Deutungs- und Dar-
stellungsmuster steht ihr ein namenloser Halbakt fotografiert von Mario
von Bucovich zur Seite, aufschlussreich betitelt als »das typische Negergirl
der Revuen und Tanztruppen, die nach Europa kamen.« Aber trotz solch
sporadischer Ausnahmen fällt auf, dass sich die einzelnen Frauentypen
relativ stringent spezifischen Typen von Aktfotografien zuordnen lassen,
was die beschriebene Interdependenz beider Aspekte erneut verdeutlicht.
124
»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der Weimarer Republik
Abbildung 11
Die berufstätige Frau – eine Tänzerin als Aktmodell
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Abbildung 12
Die tanzenden Exotinnen als Mischtypus
Quelle: Fotos: Mario von Bucovich/d’Ora; Das Welt-Magazin, Juli 1927, S. 42/43
125
Patrick Rössler
126
»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der Weimarer Republik
Abbildung 13
Prototypen publizierter Aktfotografien in der deutschen
Magazinpresse (n = 812)
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
5%
14%
Ethnografische Dokumentation
Nackttanz
47%
16% Ausdrucks- und Bewegungsstudie
Atelierstudie
Freilichtakte
18%
Dabei dient die klassische Atelierszene, wie sie aus den Akademien
der Jahrhundertwende bekannt war, als Ausgangspunkt für ›rein künst-
lerische‹ Aufnahmen im Stile der Aktmalerei. Sie kennzeichnet ein eher
verschämter Blick auf den weiblichen Leib, der mit Weichzeichner an den
entscheidenden Stellen entschärft wird (Abb. 10). Nur noch etwa jedes
siebte Bild verwies allerdings derart auf die kunsthistorischen Wurzeln
der Aktdarstellung, in der primär der Frauentyp der Diva und der Kindfrau
anzutreffen ist – sie wurden schon bald abgelöst durch die breite Gruppe
der sogenannten ›Ausdrucks- und Bewegungsstudien‹. Fast die Hälfte al-
ler Aufnahmen, in denen man bevorzugt das Girl sieht, lässt sich diesem
eher modernen Typus zuordnen, wobei die Grenzen allerdings fließend
sind: Am eher traditionellen Pol steht weiterhin die möglichst geschickte
127
Patrick Rössler
Abbildung 14 Abbildung 15
Ausdrucksstudie Ethnographischer Halbakt
»Melancholie« eines aus einem Inselvolk vor der
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Quelle: Foto: Rolf Herrlich; ASA, Nr. 7/1928, Quelle: Foto: H. A. Bernatzik; Die Dame,
S. 187 Februar 1932, Nr. 11, S. 7
128
»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der Weimarer Republik
Drtikol in Prag – was allerdings nicht heißen soll, dass in deren Darstel-
lungen kein objektifizierender Blick auf die Frau dominieren würde, wie
er seinerzeit an der Tagesordnung war.
Im Vergleich erscheint auch die Ästhetisierung im Stile der Freilichtakte
aus der Lebensreform-Bewegung (14 %) als nur eine weitere und keineswegs
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also die Kindfrau, das Girl oder die berufstätige Frau beim Sonnenbad oder
ihren Gymnastikübungen (Abb. 1), machen einen ebenfalls überschauba-
ren Anteil aus. Natürlich waren solche Aufnahmen für Periodika, die die
Lebenswelt ihrer Zeit abbilden wollten, zu einem gewissen Grad unver-
meidlich – schließlich war die Bewegung als Zeitphänomen virulent. Aber
zumindest in den Magazinen haben Akte aus dem Lebensreform-Umfeld
nicht als der zentrale Vorwand zur Inszenierung unbekleideter weiblicher
Körper gedient.
In etwa demselben Umfang waren Aktstudien von Tänzerinnen und Mo-
dellen anzutreffen, als den begehrenswerten It-Girls ihrer Epoche (Abb. 11)
und keineswegs jene Variante arbeitender Frau in einer selbstbewussten
Berufstätigkeit, die die emanzipierten Kreise der Frauenbewegung im
Sinne hatten (vgl. z. B. Herrmann 1929). Die 1920er-Jahre erlebten eine
erste Blüte journalistischer Bildgeschichten, und die Fotoberichterstat
terInnen besuchten gerne die Unterhaltungspaläste der ›Roaring Twen-
ties‹, um ihren Redaktionen die neuesten ›dokumentarischen‹ Aufnahmen
von ›excentrischen‹ Nackttänzerinnen und Revue-Girls anzubieten. Diese
verkörperten das (heute wieder gültige) Idealbild der schlanken, wohlpro-
portionierten und durchtrainierten Schönheit, die natürlich besonders
unter den Tänzerinnen in den Revuen und unter den Modellen, die ih-
nen nacheiferten, anzutreffen waren. Damit standen ihre Idealkörper in
einem gewissen Gegensatz zu den Normalkörpern der Freilichtakte, die
als Gegenentwurf zumindest den Anspruch erhoben, ›durchschnittliche‹
129
Patrick Rössler
4. Schlussbemerkungen
130
»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der Weimarer Republik
Sport und eigener sportlicher Betätigung, die natürlich erst in dem Maße
möglich wurde, in dem weiteren Bevölkerungskreisen überhaupt so et-
was wie Freizeit zugestanden wurde, im Gegensatz zu den klassischen,
physisch beanspruchenden Arbeiter- und Bauernberufen in der Industrie
und auf dem Land. Mit der Schreibtischtätigkeit und ihren regelmäßigen
Arbeitszeiten wuchs auch das Bedürfnis nach körperlicher Ertüchtigung,
zumal am Wochenende, dem ›Week-End‹ als kulturellem Konstrukt (vgl.
Schwarz 2016).
Mit Blick auf die Aneignung der Aktfotografien darf nicht aus den Augen
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verloren werden, dass Abzüge der abgedruckten Motive zwar niemals die
Grenze zum Pornografischen überschritten, aber dennoch zusätzlich als
separate Abzüge oder auf Postkarten von den Produzenten vertrieben wur-
den. Dies gilt nicht nur für die erotisch-sexualisierten Aufnahmen aus den
mondänen (und den weniger angesehenen) Fotostudios in den Metropolen,
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sondern insbesondere für die einschlägigen Motive aus dem Umfeld der
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
131
Patrick Rössler
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»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der Weimarer Republik
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134
»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der Weimarer Republik
135
Catharina Rüss
»I can do anything I want«, singt Cody Chesnutt in seinem Hit Look good
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
1 Der Song Look good in Leather ist auf Cody Chesnutts Album The Headphone Masterpiece erschienen.
136
Coole Posen in schwarzem Leder.
Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik
Der folgende Beitrag fokussiert auf die 1920er-Jahre, vor allem in der
Weimarer Republik. Bereits damals ließen sich erste Phänomene cooler
Attitüden finden. So vermittelten schon in der Zeit zwischen den Weltkrie-
gen Lederjacken tragende Figuren in Essays und Romanen der Weimarer
Republik eine bestimmte Facette von Coolness, die noch immer aktuell
erscheint und die häufig mit männlich codierten Geschlechterstereotypen
verknüpft wird, jedoch zunehmend ihre Konterkarierung durch Lederja-
cken tragende Frauen erfuhr. Ziel dieses Aufsatzes ist es zu demonstrieren,
dass nicht nur geschlechtliche Identitäten durch wiederholende Praktiken
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2 Der Terminus ›Models off duty‹ avanciert vor allem in der Blogosphäre und Instagram-Welt
zur beliebten Etikettierung der Alltagskleidung von Models vor und hinter den Catwalks.
Die Outfits dieser ›Fashion-Ikonen‹ werden von Blogger*innen und Modejournalist*innen
mindestens genauso aufmerksam im Hinblick auf die Entwicklung neuer Trends studiert wie
die neuen Entwürfe der Designer-Brands. Häufig inszenieren sich die Models auf den Straßen
New Yorks, Mailands und Paris vor den Kameras der Streetstyle-Fotograf*innen in betont
lässigen Jeans, derben Boots und Lederjacken. Nicht zuletzt verdankt ein Label wie Alexander
Wang seinen Erfolg der Vermarktung seiner Artikel als ›Models off duty‹-Mode. Kennzeich-
137
�������������
nend für die sogenannten ›MOD uniforms‹ ist der vermeintliche ›low-key-effort‹-Look, der
als nachahmenswerter ›high-key-chic‹ rezipiert wird (Duoung 2017).
3 Im Film The Wild One aus dem Jahr 1953 tritt Marlon Brando als Prototyp des Lederjacke tra-
genden Motorrad-Rebellen auf.
4 Die schwarzen Kostüme der Widerständler*innen und Hacker*innen im Film Matrix von 1999
bestehen vielfach aus Leder und Latex.
5 Zu den bürgerlichen Wertvorstellungen zählen Ehrgeiz, Ehrlichkeit, Frömmigkeit und »Be-
griffsschöpfungen wie Ordnungsliebe, Pflichttreue oder Arbeitseifer« (Hettling/Hoffmann
2000: 15). Zum bürgerlichen Selbstverständnis gehören zudem ein Fortschrittsglaube und ein
Konzept von der permanenten Verbesserung des Einzelnen durch Bildung und Arbeit sowie
ein Ideal von der Ehe, das mit Familie, Dauer, Treue und einem stabilen Ort verbunden wird.
Dagegen gelten Verschwendung, Faulheit, Müßiggang, Umhertreiberei und Nicht-Fixierung
als bürgerliche »Todsünden« (ebd.).
6 Dieser Stil wird in Modemedien nicht nur von ›Models off duty‹, sondern auch von
Influencer*innen wie etwa Caroline de Maigret verkörpert. Sie gilt als eine der populärs-
ten Repräsentantinnen des sogenannten ›French Girl Styles‹, der sich durch eine ›Je ne sais
quoi‹- Unangestrengtheit auszeichnet. In ihrem internationalen Bestseller How to be Parisian
wherever you are gibt sie Ratschläge, wie sich auch Nicht-Französinnen diese coole ›Lässigkeit
138
Coole Posen in schwarzem Leder.
Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik
evozieren, häufig doch etwas subtil Jungenhaftes. Die Wirkung dieses Er-
scheinungsbildes hat mit der Entwicklung der schwarzen Lederjacke zu tun.
chivs für Jugendkulturen8 zeigt sich, dass es mit wenigen Ausnahmen immer
wieder Männer in schwarzen Lederoutfits sind, die als die größten Ikonen
vom Rock ’n Roll bis zum Hardcore präsentiert werden (Weis 2012). Bei der
Coolness sieht es ähnlich, aber etwas komplexer aus. Verschiedene wissen-
schaftliche ›Fährtenlesende‹ der Coolness (Holert 2004: 42ff.) haben sich
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bereits auf die Suche nach frühen Spuren des Begriffs ›cool‹ in der Vergan-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
à la française‹ aneignen können. Im Kapitel »Das Lieblingsstück« präsentiert sie ein Foto von
einer schwarzen Lederjacke und hält in diesem Kontext fest: »Alles, was du brauchst, ist ein
Stück [...], das dich repräsentiert und das du herausholst, wann immer du dich stark fühlen
möchtest« (BEREST et al. 2015: 43f.).
7 Es handelt sich dabei oft um das martialisch markierte Terrain des Kriegs. Schon die Rüstun-
gen der griechischen und römischen Soldaten der Antike sowie der Samurai bestanden aus
Metall- und Lederpanzerungen.
8 Das Archiv der Jugendkulturen umfasst eine der größten Fanzine-Sammlungen Europas.
9 Sprezzare bedeutet »verachten, nicht beachten« (Trabant 2001: 168). Die Akteur*innen der
Coolness verhalten sich so, als seien sie nicht auf das Lob und den Beifall der Anderen ange-
wiesen.
139
�������������
flikte, in der sich die coole Attitüde als eine Überlebensstrategie erweist.
Mehrfach wurde in der Forschung bereits darauf hingewiesen, dass
sich vor allem in der Phase zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg
verstärkt Verhaltenspraktiken einer kühl wirkenden Distanz beobach-
ten lassen, die als ein wesentliches Merkmal von Coolness erscheint (vgl.
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Lethen 1994; Stearns 1994). Auf diese Ära konzentrieren sich die folgen-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
140
Coole Posen in schwarzem Leder.
Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik
der jamaikanische Aktivist Marcus Garvey 1927 die Parole »Keep Cool«10,
die er seinen Brüdern und Schwestern der Black Community als Losung
des Empowerment im Kampf gegen Rassismen und Diskriminierungen
empfiehlt (Vincent 1995: 131).
Der Kleidung kommt in diesem Zusammenhang die Rolle einer Rüstung
zu. Coole Styles entstehen häufig auf Grundlage des »Nicht-Idyllischen«
(Poschardt 2000: 15). Sie sind Ergebnisse einer Praktik des Self-fashionings,
mit der Freiheit und Souveränität behauptet und oft auch gegen Wider-
stände getrotzt wird. In einem Leben im Dauergefecht avancieren performa-
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Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wird die Lederoberbekleidung
vor allem im Umfeld von Öl und Schotter, Motoren und Maschinen als
Schutzausrüstung getragen. Es sind zunächst überwiegend Männer, die
sich in die ersten Autos und Flugzeuge wagen und sich auf Wettrennen
und Rallyes als Helden feiern lassen. Dadurch wird die Motorkultur schon
10 Nachdem Garvey 1925 wegen eines angeblichen Korruptionsdelikts verhaftet und ins Ge-
fängnis von Atlanta gebracht wurde, schreibt er sein Gedicht Keep Cool, um seine Anhänger
und Anhängerinnen zu beruhigen. Später wird es von Arthur Seymour vertont. Im Jahr 1927
entwickelt sich Keep Cool zum Broadway-Hit (Vincent 1995: 131).
11 Carol Tulloch begreift coole Styles als identitätsstiftende Storytellings. In ihrer 2016 erschiene-
nen Untersuchung The Birth of Cool: Style Narratives of the African Diaspora beleuchtet sie eingehend
die Modepraktiken der amerikanischen Black Community zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
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Abbildung 1
Ruth Landshoff-Yorck im Ledermantel vor ihrem Wagen
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12 Dies kann z. B. von Saldern anhand des Eilenriede-Motorradrennens in Hannover zeigen; hier
waren Frauen nicht nur als Fahrerinnen ausgeschlossen, sondern die Zuschauerschaft des
Sportspektakels wurde durch Repräsentation von Herstellungsprozessen männlicher Kame-
radschaft (male bonding) unter den Zuschauenden vergeschlechtlicht (von Saldern 1992: 327ff.).
13 Auch in den USA wurden Autofahrerinnen und sportlich aktive Frauen in der Zwischenkriegs-
zeit als ›Amazonen‹ bezeichnet: »Body culture in the 1930s occupied an ambiguous space, as it
crossed between real and fantasy images and examples to convey a physical ideal [...]. [...] [T]he
Amazonian myth of American women persisted in high fashion magazines« (Arnold 2009: 70).
14 Vgl. die 2015 erschienene Biografie über Landshoff-Yorck (Blubacher 2015).
15 Wie dieser Frauentyp aussieht, veranschaulicht eine neben dem Artikel veröffentlichte Fotogra-
fie, auf der sich Landshoff-Yorck mit ihrem weißen Auto in Szene setzt. Auf dem Trittbrett ihres
Wagens sitzend, inszeniert sie sich mit einem gefleckten Mantel aus Rindsleder, mit vom Wind
zerzausten, kurzen Haaren und cool eine Zigarette im Mundwinkel haltend als ›neue Frau‹.
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Coole Posen in schwarzem Leder.
Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik
Reklame für sich machen« (von der Vring 1990: 55ff.). Insgesamt erweist
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
sich die Auto- und Flugkultur als ein mobiler Raum, in dem nicht nur
neue Kleidungsstile wie wetterfeste Lederoberbekleidung entwickelt
werden, sondern in dem auch neue Körperpraktiken kultiviert werden.
Denn das Steuern eines ›Fahrzeugs‹ in der Luft oder auf der Straße ver-
langt ein hohes Maß an Risikobereitschaft, Affektkontrolle, kühler Selbst-
disziplin sowie selbständiges und spontanes Agieren (Mentges 2000:
27ff.). Es handelt sich dabei um Merkmale, die als Eigenschaften einer
kriegerisch-sportlich konnotierten Coolness bezeichnet werden können.
Interessanterweise werden während der 1920er-Jahre diese Kennzeichen
auch mit dem ›Form Follows Function‹-Design 17 des Bauhauses und mit
der Gestaltung der neuen Militäruniformen in einen Zusammenhang
gebracht. Besonders eindrucksvoll lässt sich dies am Beispiel des 1930
erschienenen Artikels Leder und Mode von Siegfried Kracauer zeigen. In
diesem Essay berichtet der Autor über die Internationale Lederschau in
Berlin und stellt fest, dass militärisches Zubehör einen Hauptteil, der in
der Ausstellung präsentierten Artefakte, darstellt. Im Hinblick auf die
moderne Lederbekleidung weist er auf die veränderte Formensprache der
soldatischen Ausrüstungen hin, die er als nüchtern und handfest bezeich-
16 Vgl. dazu auch Evelyn Zegenhagens 2007 veröffentlichte Arbeit »Schneidige deutsche Mädel«:
Fliegerinnen zwischen 1918 und 1945.
17 Das Credo ›Form Follows Function‹ wird nicht vom Bauhaus, sondern schon Ende des 19. Jahr-
hunderts von dem amerikanischen Architekten Louis Sullivan geprägt (Bürdek 1991: 54f.).
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Coole Posen in schwarzem Leder.
Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik
Abbildung 2
Manfred von Richthofen in schwarzer Lederuniform
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liche wirken, um möglichst effektvoll mit der Aneignung der Kleidung des
ehemaligen Feinds das Establishment zu schockieren. Wie Susan Sontag
in ihrem Essay Fascinating Fascism feststellt, erscheint die Ledermontur der
Nationalsozialisten für viele Szenen aber auch so unwiderstehlich, weil sie
so ›well-cut‹ ist (Sontag 1975). Auch Valerie Steele weist auf die zentrale
Bedeutung des Militärs für die erotisch provozierende Anziehungskraft
schwarzen Leders hin und stellt heraus, dass die dämonische Bedeutung
des schwarzen Leders vor allem durch deutsche Uniformen in die Mode-
geschichte gekommen sein soll (Steele 1998: 160). Obwohl die schwarze
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18 Diese Jacke zählt, wie Ingrid Loschek und Beate Schmid festhalten, zu den Klassikern der
Mode (Schmid/Loschek 1999: 58).
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Coole Posen in schwarzem Leder.
Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik
Abbildung 3
Marlon Brando im Film The Wild One in Perfecto-Lederjacke
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
19 Brecht veröffentlicht 1927 auch das Gedicht 700 Intellektuelle beten einen Öltank an (Brecht 1988),
in dem er die zeitgenössische Technikbegeisterung ironisch persifliert.
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Abbildung 4
Bertolt Brecht in schwarzem Ledermantel
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Coole Posen in schwarzem Leder.
Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik
So vermittelt der Lederstil von Brecht und seinen Kollegen zwar eine
subtil, in dunkel schimmernde Texturen umgesetzte Drohung. Diese steht
aber weniger für rohe Aggressivität, sondern vielmehr für eine ruhige Re-
sistance.21 Vermutlich handelt es sich dabei sogar eher um das Kaschieren
von Angst und Verletzlichkeit.22 Marieluise Fleißer, eine Freundin von
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20 »Abschied ist das ewige Motiv«, sagt etwa der permanent umherreisende Schriftsteller Se-
bastian in Klaus Manns 1932 erschienenen Roman Treffpunkt im Unendlichen (Mann 2007:
152). Sebastian fährt immerzu von einem Land zum anderen. Sein Leben ist von Partys in
Künstler*innenkreisen, bisexuellen Liaisons, Drogenexperimenten und Reisen nach Paris
oder Marokko geprägt und weist einige Parallelen zu der antibürgerlichen ›On the Road‹-
Programmatik der später in den 1940er-Jahren entstehenden Beatnik-Bewegung auf. In
den verschiedenen Überlegungen zum Thema Coolness werden neben Jazzmusiker*innen
wie Miles Davis, Charlie Parker oder Thelonious Monk immer wieder auch die Autor*innen
der ›Beat Generation‹ und ihre Anhänger und Anhängerinnen, die sogenannten ›Beatniks‹,
vorgestellt (Diederichsen 2003: 246). Nicht zuletzt gilt ihr Modestil, der neben schwarzen
Rollkragenpullovern unter anderem auch abgetragene Lederjacken beinhaltet, als Vorbild
für viele Rocker*innen und ›Bohemians‹ des 20. Jahrhunderts.
21 Tulloch definiert Coolness auch als eine Form des »quiet activism« (Tulloch 2016: 65).
22 Vgl. dazu auch Birgit Richards Essay über schwarze Leder-Outfits in Subkulturen (Richard
2015: 343).
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wurf darstellen und somit noch stärker als die männlichen Lederjacken-
träger einen antibürgerlichen Lebensstil verkörpern. Es verwundert daher
nicht, dass Frieda von der konservativen Mutter ihres Liebhabers als Hexe
diffamiert wird. Die Mutter kann sich die Begeisterung ihres Sohnes für die
Autofahrerin nur damit erklären, dass die Garçonne mit finsteren Mächten
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im Bunde steht. Auch Friedas Liebhaber, der zunächst von ihrer Anders-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
artigkeit in Bann gezogen ist, sieht in ihr später, als er merkt, dass sie sich
weigert, sich ihm unterzuordnen, eine Abgesandte Satans. Friedas ›böser
Ledermode‹ haftet somit nicht nur das Klima der Freiheit und die Cool-
ness des Motorsports an. Sie symbolisiert auch etwas Dissonantes, das sich
nicht harmonisch in die traditionelle Geschlechterordnung einfügen lässt.
Ähnlich wie Frieda inszeniert sich in Vicki Baums ebenfalls im Jahr
1927 erschienenem Roman Hell in Frauensee das ›Girl‹23 May Lyssenhop mit
lässigen Posen und einem Modestil, der von der Sphäre der Kämpfe und
Motoren beeinflusst ist. Sie präsentiert sich mit Sportkostümen, rustika-
len Regenmänteln, ledernden Autokappen oder »einer runden Mütze, wie
französische Gebirgstruppen sie tragen« (Baum 1956: 16). Vor allem, wenn
ihr Freund Urban Hell mit einer anderen Frau flirtet, überspielt sie ihre
Nervosität mit ostentativ burschikosen Körperhaltungen und einer zur
Schau gestellten Unaufgeregtheit. Dann schlendert sie einen »Automantel
aus Leder« tragend und cool eine Zigarette im Mundwinkel rauchend mit
betont »unbeteiligten Mienen« (ebd.: 130) umher. Auf keinen Fall offen-
bart dieses »unpathetische, unfeierliche, herb in sich zusammengehaltene
Sportsmädel« (ebd.: 150) in Konfrontation mit Hell ihre Verwundbarkeit
23 Während der Weimarer Republik werden jung und sportlich wirkende Frauen, die sich an der
Mode US-amerikanischen Flappers wie Colleen Moore oder Clara Bow orientieren, oftmals als
›Girls‹ bezeichnet.
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Coole Posen in schwarzem Leder.
Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik
oder äußert eine sentimentale Bemerkung. Ihre Gefühle kaschiert sie viel-
mehr mit demonstrativer Gelassenheit, indem sie sich gleichmütig neben
ihren Freund an einen Balken lehnt und dabei ihre »Hände in [...] großen
Manteltaschen« (ebd.: 130) vergraben hält. Anstatt zu weinen raucht sie
lieber: »Weil Mays Stimme zu zittern begann und weil sie ihre Wimpern
naß von Tränen spürte, nahm sie rasch eine zweite Zigarette« (ebd.: 131).
3. Fazit
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lichkeiten, die die sogenannten ›Fröste der Freiheit‹ offerieren wie etwa
die Lust und Freude an der Mobilität sowie am Rausch der Technik. Dabei
erweisen sich vor allem die ›Girl-Driver‹ als Improvisateurinnen, die tra-
ditionelle Weiblichkeitsmuster wie das an Haus und Küche fixierte Dasein
als Mutter und Ehefrau infrage stellen und sich wie Pionierinnen auf einer
Expedition ins Unbekannte in neuen Gefilden und Rollen ausprobieren.
Die in der Weimarer Republik von den ›Girl-Drivern‹ und ›Bohemiens‹
beispielhaft verkörperte Berliner Asphalt-Coolness wird wenige Jahre später
von den Nationalsozialisten zerstört. Auch hier spielt die Bedeutung von
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schwarzem Leder eine zentrale Rolle: Nun sind es die kalten Verbrecher-
Einheiten der SS, die dunkle Ledermäntel tragen, um damit ihre brutale
Aggressivität auszudrücken.
Die schwarze Lederjacke ist mehrdeutig geworden, die damit ver-
bundenen Visualisierungsstrategien erscheinen vielfältig – so wie die
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24 Der Song Tougher than Leather der drei Run-D.M.C.-Musiker – Joseph Simmons, Jason Mizell
und DaRryl McDaniels – erscheint auf ihrem 1988 veröffentlichten Album Tougher than Leather.
152
Coole Posen in schwarzem Leder.
Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik
Literatur
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Becker, S.: »Hier ist nicht Amerika«. Marieluise Fleißers »Mehlreisende
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you are: Liebe, Stil und Lässigkeit á la française. München [btb] 2015
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B. (Hrsg.): Gedichte 1918-1929: Bertolt Brechts Hauspostille. Aus einem
Lesebuch für Städtebewohner. Geschichten aus der Revolution. Frankfurt/M.
[Suhrkamp] [1927] 1988, S. 174-176
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Coole Posen in schwarzem Leder.
Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik
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Coole Posen in schwarzem Leder.
Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik
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von der Vring, G.: Offensive der Frau. In: Huebner, F. (Hrsg.): Die Frau
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Mit Beiträgen von Max Brod bis Stefan Zweig und einem Essay von Silvia
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von Richthofen, M.: Der rote Kampfflieger. Die persönlichen Aufzeichnungen
des Roten Barons, mit dem »Reglement für Kampfflieger« und vierzig
historischen Abbildungen. Einführung von NATO-Generalsekretär Dr.
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Florian Diener
Maskulinität im Spagat?
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1. Einleitung
Welche Kleidung soll ich anziehen? Welche Frisur passt zu mir? Was ist
zu dick und was zu dünn? Welche Kosmetikprodukte versprechen ewige
Jugend? Welche Konsumgüter benötigt der Mensch, um als attraktiv zu
gelten? Und wie soll dieser Mensch aussehen, wie sich verhalten, um als
weiblich oder männlich anerkannt zu werden? Auf all diese und noch
viel mehr Fragen scheinen uns mediale Produkte seit dem Aufkommen
der modernen Wirtschaftswerbung Antworten zu liefern. Dass sie damit
fundamental an der Konstruktion und Distribution zahlreicher differenz-
schaffender, stereotyper Sozialkategorien, wie bspw. Alter, Geschlecht oder
sozialer Klasse beteiligt sind und diese sogar entscheidend mitgestalten,
gilt als unbestritten (vgl. Zurstiege 1998; Holtz-Bacha 2008; Thiele
2015). Denn nahezu unausweichlich und omnipräsent durchdringen me-
diale Repräsentationen stereotyper Körper unseren Alltag. Dass dies nicht
ohne Auswirkungen auf Mediensozialisationsprozesse, auf die Meinungs-
bildung und die Identitätskonzepte der Rezipient_innen bleibt, gilt längst
als bewiesen (vgl. u. a. Bonfadelli 1981; Kübler 2010: 17). So werden in
zahlreichen TV-Formaten, in Zeitschriften, in Werbeanzeigen oder im Inter-
net den Betrachter_innen performative Körperpraktiken gebetsmühlenar-
tig vorgeführt. Dabei sind Jugend, Schönheit, sozialer Status, Gesundheit
oder Leistungsfähigkeit in diesen Kontexten zu unabdingbaren Prämissen
158
Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung
2015: 18). Dabei löst die Beleuchtung von Wechselwirkungen der mitein-
ander verwobenen Kategorien in den letzten Jahren sukzessive eindimen-
sionale Modelle ab, welche Ungleichheitsverhältnisse primär in Hinblick
auf die Kategorie Geschlecht erforscht haben (vgl. Winker/Degele 2010:
10). Dennoch sind intersektionale Ansätze in der kommunikationswis-
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Regel. Dabei könnte vor allem die Forschung zu der Kategorie Alter sowie
die Alter(n)sforschung, welche nicht zuletzt vor dem Hintergrund des
demografischen Wandels in Zukunft immer wichtiger wird, enorm von
intersektionalen Ansätzen profitieren.
An dieser Stelle will der Artikel einen Beitrag leisten, indem Repräsenta-
tionen maskuliner Körper in ausgewählten Werbeanzeigen unter besonde-
rer Berücksichtigung des Alter(n)s beleuchtet werden. Dabei stellt sich die
Frage, ob körperliche Schön- und Schlankheitsideale in der Werbung mit
Alter(n) und Geschlecht verwoben sind und welche Rolle sie in Konstruk-
tionsprozessen von Maskulinität und bei der Repräsentation des Alter(n)s
spielen. Im Rahmen einer qualitativen Bildanalyse von kontemporären
Werbeanzeigen soll anhand zweier Branchen, die mit sehr polarisierenden
Repräsentationen von Maskulinität operieren – der Kosmetikbranche ei-
nerseits und der Bierbranche andererseits – diskutiert werden, in welcher
»Arena« (Connell 2013: 29) sich stereotype Repräsentationen von Masku-
linität in Werbeanzeigen bewegen. Ziel der Untersuchung soll es sein, auf
das Spannungsfeld, welches aufgrund neuer Repräsentationsweisen von
Maskulinität entstanden ist, hinzuweisen und die bislang wenig beach-
teten Intersektionen zwischen Alter(n) und Maskulinität auszuleuchten.
Dabei wird im Folgenden zunächst der theoretische Rahmen skizziert,
wobei der Fokus auf den Stereotyp-Begriff in den Medien, die Werbung als
Untersuchungsgegenstand sowie die visuelle Repräsentation von Masku-
linität und Alter(n) gerichtet ist. Im Anschluss daran werden die zentralen
159
Florian Diener
160
Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung
161
Florian Diener
162
Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung
Für die nachfolgende Studie wird von einem Verständnis von Geschlecht
nach Raewyn Connell ausgegangen. Connell ist zentral für die Forschung
zu Männlichkeiten, da sie die Prozesse der sozialen Unterscheidung von
Geschlecht in den Fokus rückt und gleichzeitig aber die geschlechtliche
Dichotomie in visuellen Repräsentationen berücksichtigt. So ist Geschlecht
nach Connell »die Struktur sozialer Beziehungen, in deren Zentrum die
reproduktive Arena steht, und die Anzahl von Praktiken, die reproduktive
Unterschiede zwischen den Körpern in soziale Prozesse einbringen« (Con-
nell 2013: 29f.). Demzufolge ist Geschlecht »ein Komplex menschlicher
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sozialer Praktiken« (ebd.: 100), wobei körperliche und soziale Prozesse von
Geschlecht eng ineinandergreifen. Aus menschlichen Körpern mitsamt
ihren Fähigkeiten werden durch soziale und kulturelle Praktiken Frauen
und Männer geschaffen. Dieser Prozess findet in der reproduktiven Arena
statt (vgl. ebd.: 100f.). Dabei wird die reproduktive Arena geformt durch
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ren. Die reproduktive Arena stellt somit einen dynamischen Prozess dar,
welcher »durch soziale Kämpfe« (ebd.: 101) immer wieder neu geformt
wird. Kulturelle Muster von Geschlecht sind in diesem Kontext keine Aus-
drucksformen von Biologie, denn es gibt »für die Gender-Prozesse keine
feste ›biologische Grundlage‹. Was es gibt, ist eine Arena, in der Körper in
soziale Prozesse einbezogen werden, in der unser soziales Verhalten mit der
reproduktiven Differenz etwas anstellt« (ebd.). So ist Geschlecht als »soziale
Struktur« (ebd.) aufzufassen, als »Muster unserer sozialen Arrangements
und unserer Alltagsaktivitäten oder -praktiken« (ebd.). Im Rahmen einer
qualitativen empirischen Forschungsarbeit bieten sich Werbeanzeigen
daher an, um Repräsentationen und soziale Praktiken des Doing Gen-
ders, die innerhalb der reproduktiven Arena stattfinden, zu untersuchen.
Die Hervorbringung ›des Männlichen‹ funktioniert dabei vor allem
seit dem 19. Jahrhundert in vielen Bereichen auch durch die Abgrenzung
zum ›Weiblichen‹ (vgl. u. a. Hagemann-White 1984; Badinter 1993; Fre-
vert 1996). Auch die Wirtschaftswerbung konstruierte diesem Credo fol-
gend bereits während der Industrialisierung im ausgehenden 19. und frü-
hen 20. Jahrhundert Femininität und Maskulinität als bewusste Gegen-
sätze – eine Entwicklung, die sich mit kleineren Ausnahmen seit über 100
Jahren als weitgehend persistent erweist (vgl. Connell 2000: 209f.) und
sich bspw. in der Werbung für Alkohol niederschlägt (›Frauen trinken Sekt‹,
›Männer trinken Bier‹). Bspw. hat die Werbedarstellung des Bier trinken-
den Mannes eine lange Tradition, die bis ins ausgehende 19. Jahrhundert
163
Florian Diener
zurückreicht (vgl. Tappe 1995: 230ff.). Bierwerbung ist demnach ein nahezu
genuin maskulin besetztes Feld. Auf der anderen Seite wurde Werbung für
Kosmetik bis in die 2000er-Jahre fast ausschließlich von Frauen beworben.
Umso interessanter erscheint vor diesem Hintergrund die Frage, wie die
Kosmetikwerbung den neuen visuellen Repräsentationsherausforderun-
gen, die sich durch eine sukzessive Erschließung des männlichen Klientels
ergeben, begegnet. Spannend ist darüber hinaus, ob sich visuelle Repräsen-
tationen des Maskulinen durch den direkten Vergleich von Kosmetik- und
Bierwerbung diametral gegenüberstehen oder ob vielleicht doch größere
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Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung
und älter. Tatsächlich aber waren zum Zeitpunkt der Untersuchung rund
42 Prozent der Bevölkerung über 50 Jahre. Diese Diskrepanz zwischen der
Realität und der Abbildungsrealität, in welcher gerade mal 5,9 Prozent
über 50 Jahre alt sind, eröffnet zahlreiche Fragen über den Umgang mit
Alter und dem Älterwerden in den Mediendarstellungen und in unserer
Gesellschaft im Allgemeinen. Darüber hinaus wurde weiterhin festgestellt,
dass männlichen Darstellern in Werbeanzeigen ein breiteres Altersspek-
trum zugebilligt wird als Darstellerinnen (vgl. Jäckel/Derra/Eck 2009:
28ff.). Ziel der Untersuchung sollte es daher auch sein, die unterschiedli-
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und Bierwerbung
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Florian Diener
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Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung
Abbildung 1
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Die abgebildete Person scheint dabei deutlich jünger als 30 Jahre zu sein.
Sowohl Körper als auch Gesicht folgen stereotypen Schönheitsidealen. So-
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Florian Diener
Abbildung 2
Werbung für einen Rasierer speziell für den
männlichen Körper der Marke Gillette
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
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Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung
in die Augen. Der angeschnittene rechte Oberarm ist dabei nach oben an-
gewinkelt, sodass der Blick auf eine unbehaarte Achsel freigegeben wird.
Mit der linken Hand führt Thomas Müller den beworbenen Nassrasierer
über seine rechte Achselhöhle.
Auch in diesem Beispiel werden über verschiedene mediale Codifizie-
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Florian Diener
für Konsumentinnen geradezu anbietet, soll hier noch ein Beispiel für die
unterschiedlichen Repräsentationen im Rahmen einer zweigeschlechtlich
organisierten ›Nassrasurwelt‹ geschildert werden. Besonders auffallend bei
der Betrachtung der Aspekte Farbgebung, Sprachgebrauch, Körperhaltung
und Raumaufteilung der repräsentierten Figuren ist die bewusste Konstruk-
tion von Femininität und Maskulinität als Gegenpole: Kontrastierend in der
Farbgebung ist die Werbeanzeige für den Gillette-Rasierer der weiblichen
Kundschaft (Abb. 3) großflächig in zartem rosa (wie der Rasierer selbst) und in
violett gehalten. Auch der ›zielgruppenspezifische Sprachgebrauch‹ könnte
unterschiedlicher kaum sein: Dem ›Offroad‹-Rasierer wird der ›Venus Spa
Breeze‹ gegenübergestellt. Während der Körper des männlichen Models auf-
recht abgebildet nahezu die gesamte Darstellungsfläche einnimmt, ist die
weibliche Figur am linken Bildrand als ganzer Körper dargestellt, die sitzend
die Beine anwinkelt und den Oberkörper nach vorne lehnt – sich also ›klein
macht‹. Der gesamte Körper des weiblichen Models nimmt dabei weniger
als ein Drittel der Fläche ein und ist genauso groß wie der abgebildete Ra-
sierer. Auffällig ist zudem die bereits erwähnte zielgerichtete utilitaristische
Handlung des männlichen Werbeträgers im Gegensatz zu der abgebildeten
weiblichen Berührung, bei welcher das Modell beide Hände schützend über
die Unterschenkel legt. Dies sind nur die auffälligsten Ausprägungen beider
Werbeanzeigen, die nahelegen, dass das sogenannte ›Gender-Marketing‹ in
der Kosmetikindustrie durch Abgrenzung und bewusste Konstruktion von
Geschlecht als Gegensätzlichkeit funktioniert.
170
Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung
Abbildung 3
Werbung für einen Rasierer speziell für den
#weiblichen Körper der Marke Gillette
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Quelle: www.gillettevenus.de
171
Florian Diener
Alter auf, was an den hervortretenden Falten auf der Stirn und um die Au-
gen erkennbar wird. Die dargestellte Person befindet sich in einem Alter
zwischen 40 und 45 Jahren und wirkt in ihrer Repräsentation auch nicht
jünger. Das Phänomen, Repräsentationen von Maskulinität nicht verjüngt
darzustellen, wurde im Rahmen der Untersuchung auch bei anderen An-
zeigen für Kosmetikwerbung festgestellt, selbst wenn die beworbenen
Produkte Alterungsprozessen entgegenwirken sollten. Daraus ergibt sich
die Vermutung, dass männlichen Darstellern für Kosmetikwerbung Alte-
rungsprozesse sowie ein höheres Alter (mit den sich daraus ergebenden
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172
Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung
Abbildung 4
Werbung für Männershampoo der Marke Schwarzkopf
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Quelle: www.schwarzkopfmen.de
173
Florian Diener
174
Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung
Abbildung 5
Werbung für Bier der Marke Beck’s
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Quelle: www.becks.de
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
175
Florian Diener
Der Mann als inszenierter Held am Grill. Interessant ist weiterhin, dass die
Protagonisten zwar noch recht jung sind; auf stereotype Schönheitsmerk-
male und die Präsentationen eines leistungsfähigen Körpers (welcher ja
schließlich zum ›Erlegen des Tieres‹ ggf. erforderlich wäre) in diesem Fall
allerdings verzichtet wurde.
Abbildung 6
Werbung für Bier der Marke Holsten
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Quelle: www.holsten.de
176
Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung
Abbildung 7
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Quelle: www.karlsberg.de
177
Florian Diener
die Identitätskonzepte, die sie offerieren. Vor allem sind in den letzten
Jahren in der Kosmetikbranche neue Repräsentationen von Maskulinität
erkennbar: So verbreitert sich der Gestaltungsrahmen maskuliner Kör-
peridentitäten bspw. um androgyne Darstellungsweisen. Dabei ist bedingt
zu beobachten, dass Repräsentationen von Femininität und Maskulinität
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auf die dargestellten Konzepte von Frauen und Männern in der Werbung
übertragen werden: Hier wird Geschlecht als bewusster Gegensatz vermit-
telt, was nicht zuletzt im ausgeprägten Gender-Marketing zum Vorschein
kommt. Wie bereits erwähnt, hat dabei die Abgrenzung zum Weiblichen
zur Legitimation des Männlichen eine lange Tradition: Denn Männer be-
nötigen anderes Shampoo und andere Rasierer – dies will zumindest die
Werbung glaubhaft vermitteln.
In beiden Branchen funktioniert die Repräsentation von Maskulini-
tät recht gut im Kontext von Naturräumen, die den Mann als Helden und
Bezwinger der Natur in Szene setzen können. Dabei dient die Natur als
Raum der Entgrenzung, als Zufluchtsort vor dem urbanen Alltag und als
natürliches Terrain des Mannes. Wie die Untersuchung gezeigt hat, tritt
Maskulinität oft in distinkten Geschlechtersphären in Erscheinung. Es
werden dabei häufig trainierte Körper zur Schau gestellt, welche stereo-
typ ›echte Männlichkeit‹ ausdrücken sollen. Insgesamt wird bei beiden
Branchen deutlich, dass vor allem junge männliche Körper leistungsfähig
sein müssen, um dem stereotypen Ideal von Maskulinität zu entsprechen.
Dabei dient die Repräsentation eines leistungsfähigen Körpers einerseits
der Verifikation von Maskulinität und ist andererseits bei der Repräsen-
tation junger Werbeträger integraler Bestandteil stereotyper Schönheit.
Was Darstellungen von alt(ernd)en Personen anbelangt, zeigen sich in-
teressante Erkenntnisse: In den Werbeanzeigen der Untersuchung räum-
ten medial vermittelte stereotype Schönheitsideale männlichen Körpern
178
Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung
einen größeren Raum für Alter ein – Falten oder andere erkennbare Zei-
chen von Alter und stereotype Schönheit schließen sich dabei nicht aus.
Das Alter selbst wird mitunter zum integralen Bestandteil von Schönheit.
Auch existieren bei Repräsentationen von Maskulinität auch Körperdar-
stellungen, die nicht den kontemporären, normativen Schönheitsidealen
entsprechen und somit an der Diversifizierung repräsentierter Körper
identitäten mitwirken.
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Literatur
179
Florian Diener
180
Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung
181
Ronja Röckemann
1. Einleitung
182
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen
183
Ronja Röckemann
184
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen
vorliegenden Beitrag kann und soll jedoch keine Typisierung der Foren-
schreiber geleistet werden, sodass der Begriff ›Freier‹ z. T. generalisierend
gebraucht wird. Gleichzeitig sollen die Nutzer von Freierforen nicht mit
der Gesamtheit aller Freier in Deutschland gleichgesetzt werden. Daher
wird im vorliegenden Beitrag meist auf den Begriff der ›Forenschreiber‹
zurückgegriffen.
2. Methodik
2 Es sei darauf hingewiesen, dass es für den vorliegenden Beitrag nicht relevant ist, wie viele
Frauen möglicherweise ›verdeckt‹ in den Foren schreiben und lesen, sondern welche Deutung
der Geschlechterverteilung suggeriert wird. Das selbstverständliche Voraussetzen einer männ-
lichen Zielgruppe und der Ausschluss von Frauen stellt eine Aktualisierung der geschlechts-
spezifischen Ungleichheit in der Prostitution/Sexarbeit dar. Sollten subjekt-missachtende
Beiträge von anderen Beteiligten als von Freiern stammen, bleibt das Deutungsangebot an
die Forenlesenden dennoch, dass es sich um Äußerungen von ›Mit-Freiern‹ handelt.
185
Ronja Röckemann
3 Die Foren geben jedoch keine nachprüfbaren Betreiber*innen an. Dort, wo Betreiber*innen an-
gegeben werden, werden diese als in Panama angesiedelt ausgewiesen. Es werden wechselnde
Adressen angegeben. Der Produktionsebene der Foren kann im vorliegenden Beitrag – der
die Inhaltsebene fokussiert – jedoch nicht nachgegangen werden.
4 Im BC-Forum sind ohne Registrierung nur die Anfangsberichte bzw. Diskussionsfragen/-anlässe
sichtbar.
186
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen
187
Ronja Röckemann
sie schließlich eine Behandlung einer Person als etwas, dessen Erleben und
Fühlen als nicht vorhanden oder als legitim ignorierbar erscheint (vgl. ebd.).
Linda LeMoncheck (1985) fragt in Dehumanizing Women: Treating Persons as
Sex Objects in Hinblick auf eine Definition nicht, auf welche Weisen Menschen
›wie Objekte‹ behandelt werden, sondern welche distinkt menschlichen Fähig
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Eigenschaften, auf denen die Rechte einer Person beruhen: »She is treated
as if she lacked one or more of the distinctive human capacities upon which
her rights to a certain level of well-being and freedom are based« (LeMon-
check 1985: 29). Zu diesen Kapazitäten zählt sie unter anderem Ich-Bewusst-
sein und Selbstreflexion und betont: »The capacity for self-consciousness
is also necessary for persons to feel things as shame, embarrassment, and
humiliation« (ebd.: 16). Wie LeMoncheck selbst schreibt, ist der Begriff der
›Objektifizierung‹ in vielen Fällen, in denen solche menschlichen Kapazi-
täten geleugnet oder missachtet werden, fehlleitend. Es handele sich häufig
vielmehr um eine Degradierung auf den Status eines geringeren, moralisch
nicht gleichwertigen Subjekts (s. Kap. 3.3).
188
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen
5 Es soll an dieser Stelle keine umfassende Erörterung der Definition von ›Leben‹ erfolgen. Für
den vorliegenden Beitrag ist entscheidend, dass etwas, das vollständig inaktiv ist (dies umfasst
die Tatsache, dass keine Stoffwechselprozesse stattfinden), nicht als Lebewesen zu definieren
ist. Aktivität ist also eine notwendige Bedingung der Definition als Lebewesen. Es sei jedoch
darauf hingewiesen, dass es sich nicht um eine hinreichende Bedingung handelt (dies zeigen
z. B. Maschinen).
189
Ronja Röckemann
sie Menschen sind – also weil sie die Eigenschaften der unteren
drei Ebenen vereinen. Hervorzuheben ist hierbei die Forderung
nach Achtung von Menschenwürde, welche die Forderung nach
›Nicht-Instrumentalisierung‹ und ›Nicht-Austauschbarkeit‹ um-
fasst.6 Weitere grundlegende Normen sind das Recht auf allgemeine
Handlungsfähigkeit (vgl. ›Besitzbarkeit‹) und auf körperliche Un-
versehrtheit (vgl. ›Verletzbarkeit‹). Es gibt neben diesen grundlegen-
den normativen Zuschreibungen eine hier nicht aufzählbare Vielfalt
an – höchst wandelbaren – Rechten von Personen.
Eine Missachtung von Eigenschaften auf einer der unteren drei Ebe-
nen impliziert i. d. R. gleichzeitig eine Missachtung der Eigenschaften der
darüber liegenden Ebenen. Wenn eine Person also als Objekt bezeichnet
wird, bedeutet dies neben der Tatsache, dass sie mit etwas nicht Lebendi-
gem gleichgesetzt wird (Ebene 1), unter anderem auch, dass sie als nicht
empfindend (Ebene 2), nicht entscheidungsfähig und nicht Ich-bewusst
(Ebene 3) sowie als nicht Rechte-innehabend (Ebene 4) bezeichnet wird.
Wie jedoch auch LeMoncheck und Nussbaum betonen, ist bei einer Ana-
lyse stets danach zu fragen, in welchem Gesamtkontext eine Bezeichnung,
190
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen
191
Ronja Röckemann
eine Reduzierung auf den Status eines Subjekts, dessen menschliche Ei-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
genschaften nur insoweit eine Rolle spielen, als dass die Sichtbarmachung
und ggf. Achtung dieser Eigenschaften den Interessen des derivatisierenden
Subjekts entspricht. Die im letzten Kapitel in Anlehnung an Nussbaum
und LeMoncheck unterschiedenen Analyseebenen und -begriffe können
als Werkzeuge der Analyse von ›Derivatisierung‹ verstanden werden.
4. Analyse
Das folgende Kapitel stellt einige Beispiele der Missachtung von Subjek-
tivität vor (4.1), zeigt Gegenbeispiele auf (4.2) und fragt im Anschluss, wie
beides im Gesamtkontext der Foren zueinander steht (4.3).
192
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen
durch eine große Schriftgröße und eine Platzierung im oberen Teil der
Webseite visuell hervorgehoben. Im Gegensatz zu Deutungsangeboten in
einzelnen Berichts- oder Diskussions-Threads, war diese Selbstbezeichnung
demnach für alle Besucher der Webseite an prägnanter Stelle auf den ers-
ten Blick lesbar. Auf diese Weise hatten die inhärenten Deutungsangebote
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193
Ronja Röckemann
Das folgende Beispiel (Abb. 1) zeigt das Profilbild eines Freiers aus dem
Forum Lustscout. Auf dem Bild ist der Oberkörper einer Frau zu sehen,
die mit den Händen ihre Brüste umfasst und auf deren Unterarm »Click
here« zu lesen ist.
Abbildung 1
Profilbild eines Freiers
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Quelle: LS 2010
Das Zitat in dieser Überschrift stammt aus dem Forum Bordellcommunity (BC
2015) und stellt einen typischen Ausschnitt einer Körperbeschreibung als Teil
194
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen
7 Bei den Berichts-Threads über identifizierbare Personen wird im vorliegenden Beitrag keine
URL angegeben. Es wird angestrebt, nicht zur Verbreitung subjekt-missachtender Threads
beizutragen.
195
Ronja Röckemann
zieren von Zewa-Tüchern auf dem Bauch als Rechtfertigung darstellt, ihre
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
196
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen
Zunächst ist festzuhalten, dass sich unter den analysierten Berichten kei-
wurde mit IP-Adresse 141.002.140.067 aus dem Netz der UB Frankfurt am September 5, 2023 um 14:53:56 (UTC) heruntergeladen.
ner findet, in dem die beschriebene Person nicht auch als lebendige, aktive
Person und als ›Persönlichkeit‹, d. h. in ihren menschlichen kognitiven Ka-
pazitäten, sichtbar wird. Beispiele für Letzteres sind Charakterisierungen,
z. B. als »eine lebensbejahende und authentische junge Frau, die ganz na-
türlich rüberkommt« (BC 2013) oder als »[e]ine Mischung aus Kumpel und
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Profi, aber offen, direkt und ehrlich« (LH 2017b). Selbst in dem unter 4.1.4
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
197
Ronja Röckemann
dem Titel »Sau oder Frau?« 73,5 Prozent der teilnehmenden Forennutzer
(von 102 abgegebenen Stimmen) die Antwortmöglichkeit »Den Damen ist
in Berichten auch verbal Respekt entgegenzubringen« (FC 2010). Dies ist
einerseits ein geringer Prozentsatz für eine scheinbar so einfache Frage.
Doch auch diese Umfrage stellt immerhin das Deutungsangebot an die
lesenden Freier dar, dass die Mehrheit ihrer ›Mit-Freier‹ ein respektvolles
Online- und Offline-Verhalten für das angemessene Verhalten gegenüber
den Beschriebenen halten.
Des Weiteren ist selbst in dem Forum, aus dem der in Abschnitt 4.1.4
beschriebene Thread stammt, in den Forenregeln zu lesen: »Beiträge
mit […] menschenverachtenden Aussagen werden, ohne vorherigen Hin-
weis an den Verfasser, aus LSH gelöscht« (LS 2017). Dass dem nicht so
ist, zeigt das oben präsentierte Beispiel. Ähnliche Forenregeln existie-
ren in allen untersuchten Foren. Im Lusthaus-Forum gibt es zudem ei-
nen Link zum anonymen Melden von Fällen von Menschenhandel. Die
Forenbetreiber*innen scheinen zumindest den Anschein erwecken zu
wollen, dass ›menschenverachtendes‹ Verhalten in den Foren trotz teil-
weise angegebener ›Zensurlosigkeit‹ die Grenze des Akzeptierten dar-
stellt. Es kann freilich argumentiert werden, dass dies zum Selbstschutz
8 Die Aushandlung dieser Grenzen bedarf einer komplexen Analyse, die im Zuge des überge-
ordneten Forschungsprojekts geleistet wird.
198
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen
Wie der letzte Ausschnitt deutlich gemacht hat, ist die Subjektivität der
in Freierforen beschriebenen Personen prinzipiell sichtbar und es gibt
in den Foren auch Forderungen nach einer Achtung dieser Subjektivität.
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Diese Äußerungen sind jedoch, wie Kapitel 4.1 gezeigt hat, umgeben von
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
199
Ronja Röckemann
nach festgehalten werden, dass alles, was in den Foren passiert, in einem
Kontext der Derivatisierung geschieht.
5. Fazit
Der vorliegende Beitrag widmete sich der Frage, inwiefern und auf wel-
che Weisen die Subjektivität von Personen, die in der Prostitution/Sexar-
beit tätig sind, in Freierforen geleugnet bzw. missachtet wird. Um diese
Frage zu beantworten, wurden vier Freierforen dahingehend untersucht,
inwiefern den darin beschriebenen und visuell repräsentierten Personen
(1) die Lebendigkeit (Aktivität aus eigener Kraft), (2) die Empfindungs
fähigkeit, (3) menschliche kognitive Eigenschaften (insb. Agency und Ich-
Bewusstsein) sowie (4) Rechte abgesprochen werden. Bei der Auswahl an
Analysebeispielen lag im vorliegenden Beitrag ein Fokus auf Personendar-
stellungen und dabei insbesondere auf Körperdarstellungen. Es wurden
Beispiele präsentiert, in denen die in Freierforen dargestellten Personen
begrifflich mit Waren gleichgesetzt werden; in denen ein Fremdverfü-
9 Die Berichte stellen pornografische Inhalte dar (Content-Funktion). Zudem stellen die Foren
Möglichkeiten des Austauschs, der Kommunikation bereit (Connection-Funktion). Mit Funktio-
nen sind dabei die technisch-strukturellen Funktionen gemeint und nicht die psycho-sozialen
Funktionen für einzelne Freier.
200
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen
gungsrecht über ihren Körper suggeriert wird und in denen ihr Emp-
finden und Leiden sowie ihre Rechte als nicht vorhanden oder legitim
missachtbar dargestellt werden. Es wurde demgegenüber auch gezeigt,
dass die in Freier-Berichten dargestellten Personen parallel dazu als aktiv
handelnde, entscheidende und zu achtende Subjekte erscheinen. Diese
Heterogenität wurde anschließend mit dem Konzept der ›Derivatisierung‹
charakterisiert: Die in Freierforen beschriebenen und visuell repräsentier-
ten Personen werden weitestgehend auf den Status von Derivaten redu-
ziert, d. h. solcherart Subjekte, die nach Bezahlung legitim auf die Wün-
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wohl vor allem diese Fälle, in denen die besonders gravierenden Beispiele
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
aus Abschnitt 4.1.4 auftreten. Für andere Freier ruft der Besuch eventuell
Schuldgefühle hervor und das Schreiben in einem Umfeld, in dem meh-
rere Tausend ›Mit-Freier‹ sichtbar werden (Verantwortungsdiffusion) und
Anerkennung durch andere Freier für die gelieferten Berichte herrscht,
mag ihm eine Umdeutung seines Verhaltens ermöglichen. Manche Freier
mögen die in Berichten textlich und visuell enthaltenen Missachtungen
der Empfindungen, Gefühle und Rechte der Beschriebenen und Gezeigten
als Übel ansehen. Hierauf weist etwa die unter 4.2.2 zitierte Umfrage hin,
dass den Personen, die in der Prostitution/Sexarbeit tätig sind, online und
offline mit Respekt zu begegnen ist. Ihr Handeln in Form der Nutzung
der Foren und der weitgehenden Abwesenheit von Kritik zu den vielfäl-
tigen Subjekt-Missachtungen anderer Freier und des jeweiligen Forums
als Ganzes (etwa in der Selbst-Bezeichnung als ›Stiftung Hurentest‹) zeigt
jedoch, dass sie es zum Wohle der eigenen Interessen als ein inkaufnehm-
bares Übel sehen. Die Form der ›Derivatisierung‹ ist demnach nicht bei
jedem Forenschreiber die gleiche.
Zu dem Phänomen der Derivatisierung ist anzumerken, dass es nicht
auf die Prostitution/Sexarbeit oder deren Online-Bewertung beschränkt ist.
Es ist vielmehr ein gesellschaftlich stark verbreitetes Muster, das in vielen
Dienstleistungsbranchen sichtbar wird: insbesondere in Form der Inkauf-
nahme hoch prekärer Arbeitsbedingungen – bis zum Menschenhandel zur
Ausbeutung der Arbeitskraft – oder dem Verfassen subjekt-missachtender
Online-Bewertungen. Die Übertragung solcher Muster auf den sensiblen
201
Ronja Röckemann
Bereich der Sexualität, stellt jedoch eine andere Qualität dar. Zudem muss
nicht nur gefragt werden, warum hier Kund*innen Dienstleister*innen
derivatisieren. Mit Blick auf die verhältnismäßige Merkmalsverteilung
der Nachfrage- und Angebotsseite der Prostitution/Sexarbeit muss ins-
besondere gefragt werden, warum hier Männer Frauen und Transfrauen
derivatisieren sowie auch, warum Männer aus einem Wohlstandsland
Frauen und Transfrauen aus mehrheitlich wirtschaftsschwächeren Län-
dern derivatisieren. Nicht zuletzt muss auch eine Einordnung in histori-
sche Diskurse der Prostitution/Sexarbeit erfolgen. Eine solche Verortung
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nicht nur Freier-Sein an sich, sondern vor allem auch eine Betrachtungs-
und Umgangsweise gegenüber Personen, die in der Prostitution/Sexarbeit
tätig sind, legitimiert wird, in der diese gegenüber Freiern als die weniger
wertvollen bzw. achtungswerten Subjekte erscheinen. Diese Sichtweise hat
ein großes Potenzial, auch das Verhalten von Freiern in der Prostitutions-/
Sexarbeitssituation negativ zu beeinflussen. Zwar lesen und schreiben
nicht alle Freier in Foren und ein Lesen legitimierter Abwertungen von
Personen muss nicht notwendiger Weise ein abwertendes Verhalten her-
beiführen. Dennoch ist festzuhalten, dass die beobachteten Deutungsan-
gebote der legitimierten Derivatisierung in Freierforen das Selbst- und
Fremdverständnis von immerhin mehreren zehntausend registrierten
Mitgliedern – und weit mehr Mitlesern – negativ mitprägen. So erhöht
sich für alle in der Prostitution/Sexarbeit tätigen Personen die Gefahr, von
gleichgültigem, abwertendem und auch gewalttätigem Freierverhalten
betroffen zu sein. Als ein letzter Punkt ist diesbezüglich zu beachten, dass
schon die Existenz der Foren an sich die sexuelle Selbstbestimmung aller
Personen, die in der Prostitution/Sexarbeit tätig sind, schwächt, indem bei
jeder Begegnung mit einem Freier eine implizite oder explizite Möglich-
keit oder gar Drohung negativer Berichte bzw. Bewertungen besteht. Diese
Zusammenhänge sind im Bereich der Sexualität besonders verhängnisvoll,
da in ihm die Möglichkeit, Grenzen zu setzen, sowie ein rücksichtsvolles
und wertschätzendes Verhalten in besonderem Maße gefordert sind.
202
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen
Literatur
http://lady-tanja-hamburg.de/freierforen [02.12.2017]
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Zitiertes Untersuchungsmaterial
203
Ronja Röckemann
http://huren-test-forum.lusthaus.cc [02.12.2017]
LS 2010: Profilbild des Nutzers ak60. In: Lustscout, 11.11.2010.
http://lustscout.to/forum/showthread.php?tid=64577 [02.12.2017]
LS 2013: Berichtsausschnitte. In: Lustscout. https://www.lustscout.to/forum
[02.12.2017]
Das Weitergeben und Kopieren dieses Dokuments ist nicht zulässig.
forum/showthread.php?tid=37963 [02.12.2017]
204
III. Visuelle Körperpolitiken, (Selbst-)Ermächtigung
und Protest
Li na B r i n k
Ein auch von Judith Butler erwähntes Beispiel für eine solche Versamm-
lung sind die Proteste auf dem Tahrir-Platz in Ägypten, auf dem zwischen
2011 und 2014 aus unterschiedlichen Anlässen1 immer wieder Menschen
zusammenkamen, um zu demonstrieren. Mich interessiert in diesem Bei-
trag weniger die körperliche Inszenierung an diesem Ort selbst; vielmehr
möchte ich die ›plurale Form der Performativität‹ als Auslöser für eine
umfassende Presseberichterstattung auch im deutschsprachigen Raum
betrachten und danach fragen, wie diese Versammlungen von Körpern in
1 Ende Januar/Anfang Februar 2011 kam es insbesondere in Kairo, ausgelöst u. a. durch Proteste
in Tunesien und nationale Vorkommnisse, zu Protesten gegen den damaligen Machthaber
Mubarak, der als Folge der Demonstrationen am 11. Februar 2011 zurücktrat. Im Juni 2012
wurde nach Wahlen der Kandidat der unter Mubarak verbotenen Muslimbruderschaft, Mo-
hammed Mursi, zum Präsidenten ernannt. Es folgten Proteste gegen Mursi, die im Sommer
2013 ihren Höhepunkt fanden. Am 3. Juli 2013 wurde Mursi durch das Militär abgesetzt, eine
Übergangsregierung eingesetzt und Neuwahlen angekündigt. Nach der Absetzung protes-
tierten Anhänger Mursis in Kairo und anderen Städten, bis es zu einer Räumung der Protest-
lager durch das Militär kam, bei der mindestens 800 Mursi-Anhänger*innen getötet wurden.
Mitte Juni 2014 wurde dann der damalige Militärchef al-Sisi nach Wahlen zum Präsidenten
ernannt.
205
Lina Brink
2 Untersucht wurden die FAZ, Süddeutsche Zeitung, die tageszeitung, Der Spiegel, Die Zeit, Brigitte und
Emma sowie deren Online-Ausgaben, soweit vorhanden.
3 Mit ›Frauen‹ oder ›weiblichen Körpern‹ bezeichne ich in diesem Beitrag als weiblich gelesene
Körper, die Konstruktion von Weiblichkeit ist dabei ebenfalls Teil meiner Analyse.
4 In der Analyse sollte zudem deutlich werden, dass ein Blick aus der Geschlechterforschung die
Komplexität soziokultureller Phänomene hervorbringen kann und gesellschaftliche Macht-
strukturen in den Fokus rückt (vgl. Klaus/Lünenborg 2011: 112).
5 Mein Repräsentationsbegriff ist damit maßgeblich durch Stuart Hall (2004) geprägt.
206
Repräsentationen versammelter weiblicher Körper:
Die Bildberichterstattung über Proteste in Ägypten seit 2011
sich hervor und betont, dass schon deren bloße Präsenz in der Erschei-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
207
Lina Brink
tet, sondern zentral für dessen Konstitution ist. Prozesse der Anerken-
nung bedingen aus ihrer Perspektive also Subjekt-Werdung und gehen
zugleich mit Prozessen der Unterwerfung des Subjekts unter bestehende
soziale Normen der Anerkennbarkeit einher (vgl. Butler 2010: 11ff.). Mit
der Präsenz ihrer Körper in der öffentlichen Erscheinungssphäre machen
»Versammlungen der Gefährdeten« (Butler 2016: 26) zudem ihr Recht
geltend zu erscheinen und ihre Freiheit auszuüben. Dabei geht es um For-
men des Widerstandes, die die machtvolle Regulierung des öffentlichen
Erscheinens offenbaren, indem sie Formen des Handelns, die zuvor als
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208
Repräsentationen versammelter weiblicher Körper:
Die Bildberichterstattung über Proteste in Ägypten seit 2011
6 Die Bedeutung kollektiver Körperlichkeit in Protesten und die fehlende Beschäftigung mit
dieser innerhalb der Protest- und Bewegungsforschung hebt auch Papst (2016: 177) hervor.
Zur Repräsentation kollektiver, körperlicher Proteste vgl. u. a. Rovisco (2017).
7 Ein Modell für eine solche, erweiterte Analyse mediatisierter Anerkennung legen z. B. Thomas
und Grittmann (2018) vor.
209
Lina Brink
2013). Diese Umkehrung des forschenden Blickes richtet das Interesse auf
die Konstruktion des ›Eigenen‹ als Normalität und hegemoniales Prinzip,
welche zentral über die Abgrenzung von einem konstruierten ›Anderen‹
erfolgt (vgl. Dietze 2009). Obwohl postkoloniale Ansätze die Kategorie
Geschlecht häufig ausblenden (vgl. Castro Varela/Dhawan 2015: 163),
spielt diese gerade in Orient/Okzident-Konstruktionen eine zentrale Rolle.
Schon 1989 wies Helma Lutz mit Blick auf deutsche Diskurse darauf hin,
dass die Hegemonie ›westlicher‹ Frauen über eine scheinbare Rückständig-
keit orientalisierter Frauen konstruiert werde. Auch Dietze hebt hervor:
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210
Repräsentationen versammelter weiblicher Körper:
Die Bildberichterstattung über Proteste in Ägypten seit 2011
211
Lina Brink
die Analyse journalistischer Fotografie ist nicht nur die Art und Weise der
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
212
Repräsentationen versammelter weiblicher Körper:
Die Bildberichterstattung über Proteste in Ägypten seit 2011
Aus dem Material heraus konnte ich sieben Bildtypen identifizieren. Der
dominante Bildtyp Protestierende Frau (33 Bilder) richtet den Fokus8 auf ein-
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zelne Frauen oder eine kleine Gruppe von Frauen mit anderen Menschen
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
8 Zur Bedeutung der Lenkung des Blickes der Betrachter*in eines Bildes über den Fokuspunkt
der Fotografie vgl. z. B. Dastgeer und Gade (2016: 6f.).
9 Die Bedeutung weiblicher Körper für die Konstruktion nationaler Identitäten thematisiert
Abouelnaga (2016: 19ff.) spezifisch auch für den ägyptischen Kontext. Die enge Verflechtung
zwischen Weiblichkeit und Nationalstaatlichkeit wird auch durch den Bildtyp Wählende Frau
(siehe unten) deutlich.
10 Beispielsweise das auch im deutschsprachigen medialen Diskurs weit verbreitete Bild des
›Mädchens mit dem blauen BH‹, auf dem eine weibliche Person zu sehen ist, die von Soldaten
bis auf ihre blaue Unterwäsche entblößt und getreten wird (mehr zur Symbolik des Bildes bei
Eickhof 2013).
213
Lina Brink
auch ›im Westen‹ verständlicher Gesten und Schilder die Bedeutung von
Protestbildern, an die ein internationales Publikum anknüpfen kann (vgl.
Badry 2013: 20). Die Bilder dieses Bildtyps wurden fast alle auf Augen-
höhe und mit wenig Distanz aufgenommen, zudem stellen die gezeigten
Frauen oft Blickkontakt her, sodass eine Nähe zur Betrachter*in entsteht
(vgl. Fahmy 2004: 94ff.; Dastgeer/Gade 2016: 10).
Der zweite Bildtyp, das Porträt (16 Bilder), zeigt individuelle Frauen, die
sowohl im Text als auch im Bild porträtiert oder interviewt und nament-
lich benannt werden. Sie werden damit besonders mit Wert beliehen (vgl.
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Mann oder eine Gruppe von Männern bedrängt, bedroht oder gewalttätig
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
11 Zwei Personen, die auf mehreren Porträtbildern gezeigt werden sind Aliaa al-Mahdi, die auf
ihrem Blog Nacktbilder als Protest gepostet hatte und sich später der Gruppe Femen anschloss,
und Samira Ibrahim, die sich gerichtlich gegen die Untersuchung ihrer Jungfräulichkeit durch
Soldaten gewehrt hatte (vgl. zur Repräsentation dieser beiden Personen auch Eickhof 2013).
12 Als Expertin tauchen meist Frauen auf, die auch international bekannt sind, eine Stimme ha-
ben, z. B. Nawal El-Saadawi, eine der ›Grand Dames‹ der ägyptischen Frauenbewegung oder
Wendy Brown, Ägypten-Expertin einer international agierenden Organisation.
214
Repräsentationen versammelter weiblicher Körper:
Die Bildberichterstattung über Proteste in Ägypten seit 2011
pen von Frauen, die beten oder über ihre Verschleierung als religiös zu
sehen gegeben werden. Mit beiden Bildtypen wird der weibliche Körper
als Aushandlungsort zwischen Tradition und ›Moderne‹ hervorgebracht.
In einem zweiten Analyseschritt wurde bildtypenübergreifend unter-
sucht, wie weiblich markierte Körper im Diskurs konstituiert werden und
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13 Zentraler Bezugspunkt für die Analyse der Repräsentation von Personen und Körpern und
der Frage nach ihrer visuellen Anerkennung waren dabei die Ausführungen von Grittmann
und Maier (2016) zur Analyse von Anerkennung durch Bilder, sowie die Ausführungen in der
Studie von Lünenborg und Maier (2017).
215
Lina Brink
Abbildung 1
Eine junge Frau trommelt Ende Januar auf dem
Tahrir-Platz, sie setzt sich für die Frauenrechte ein
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
216
Repräsentationen versammelter weiblicher Körper:
Die Bildberichterstattung über Proteste in Ägypten seit 2011
Abbildung 2
Graffito in Kairo 2011: Kulturkampf um den Frauenkörper
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
217
Lina Brink
Abbildung 3
Titel Der Spiegel 6/2011
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Abbildung 4
Ort der Angst: Frauen wehren sich auf dem Tahrir-Platz
gegen aggressive Anmache
218
Repräsentationen versammelter weiblicher Körper:
Die Bildberichterstattung über Proteste in Ägypten seit 2011
Die bisherige Analyse hat gezeigt, dass in einem gewissen, engen Rahmen
von einer anerkennenden Sichtbarkeit gezeigter Frauen im Diskurs gespro-
chen werden kann. Daran schließt sich mit Butler die Frage an, inwiefern
damit ein Erscheinen politischen Handelns und Forderungen nach einem
lebbaren Leben einhergehen. Die Analyse zeigt, dass dies nur in einem sehr
engen Rahmen der Fall ist.
Das politische Handeln und der Widerstand sich versammelnder weib-
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licher Körper wird im Diskurs vor allem unter zwei Bedingungen sichtbar:
Zum einen wird fast ausschließlich im öffentlichen Raum stattfinden-
der Protest gezeigt, zum anderen wird die Ausübung von Freiheit vor al-
lem als individueller Akt des Aufbegehrens sichtbar, auch wenn dieser im
Rahmen eines kollektiven Protests stattfindet. Damit wird die Trennung
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rekonstruiert (u. a. Young 1990: 119) und die Ausübung von Freiheit als
individuelle Wahl und weniger als strukturelle Möglichkeit sichtbar. Als
Verschiebungen können dabei die seltene Fokussierung auf kollektiv or-
ganisierte Widerstandsformen (z. B. Schutztrupps für Frauen) oder andere,
ästhetische Protestformen, wie die Verbreitung politischer Zeichnungen
im öffentlichen Raum, gedeutet werden (vgl. dazu Abouelnaga 2016: 5).
Als Bedingung eines lebbaren Lebens für die protestierenden weibli-
chen Körper wird über die Bilder der Schutz des weiblichen Körpers (ins-
besondere durch englische Forderungen auf Protestplakaten) und die po-
litische Beteiligung (durch den Bildtyp Wählende Frau) von Frauen sichtbar.
Hier werden also spezifische Herausforderungen für ein lebbares Leben
für Frauen thematisiert, weniger gesamtgesellschaftliche Forderungen.
Zugleich werden andere zentrale Forderungen, insbesondere Fragen der
(auch globalen) ökonomischen und sozialen Gerechtigkeit, nicht sichtbar
(vgl. dazu auch Abouelnaga 2016: 2ff.) – eine Ausnahme bilden hier in
einigen Fällen die textlichen Kontexte der Bilder.
6. Fazit
Die Analyse hat gezeigt, dass im Rahmen der Repräsentation von Frauen
im Kontext der deutschsprachigen Berichterstattung über Proteste in
Ägypten zwischen 2011 und 2014 – anders als in tradierten orientalisie-
219
Lina Brink
renden Formen des Zu-sehen-Gebens von Frauen aus dieser Region – von
eingeschränkten Momenten anerkennender Sichtbarkeit im Sinne einer
Belehnung mit Wert gesprochen werden kann. Diese erfolgt jedoch nur
unter der Bedingung einer Anpassung der gezeigten Subjektpositionen an
okzidentale Normen und damit deren Reproduktion. Ebenso ist auch der
Rahmen der politischen Handlungen und Forderungen, die im Kontext
der Repräsentation dieser verkörperten Proteste sichtbar werden, durch
soziale Normen stark begrenzt. Die Sichtbarkeit rekonstruiert hier zen
tral okzidentale diskursive Kontinuitäten und damit gesellschaftliche
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Realitäten. Mit Brunner kann davon gesprochen werden, dass die zen
trale Bedingung für die Anerkennung von Subjekten im Diskurs sowie
die Sichtbarkeit ihrer politischen Handlungen und Forderungen die Mög-
lichkeit einer »okzidentalischen Selbstvergewisserung« (Brunner 2013:
369) ist. Diskursiv aktualisiert werden dabei westliche Geschlechterbilder
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und -normen, eine Universalität westlicher Normen und Werte und damit
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Literatur
220
Repräsentationen versammelter weiblicher Körper:
Die Bildberichterstattung über Proteste in Ägypten seit 2011
221
Lina Brink
222
Repräsentationen versammelter weiblicher Körper:
Die Bildberichterstattung über Proteste in Ägypten seit 2011
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Lina Brink
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Miriam Stehling / Cornelia Brantner /
Katharina Lobinger
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1. Einleitung
Im Rahmen der World Conference of Science Journalists in Seoul tätigte der Bio-
chemiker und Nobelpreisträger Tim Hunt am 8. Juni 2015 eine Aussage, die
einen Protest von Wissenschaftler_innen auslöste. Sinngemäß übersetzt,
führte er in einer Rede folgende Bedenken gegen ›Mixed-Gender-Labs‹
an: »Drei Dinge passieren, wenn sie [Frauen] im Labor sind: Du verliebst
dich in sie, sie verlieben sich in dich und wenn du sie kritisierst, weinen
sie.« Anwesende Journalistinnen verbreiteten seine Sätze via Social Me-
dia. Zwei Tage später trat Hunt von seiner Ehrenprofessur am University
College London und von seiner Position im Royal Society’s Biological Sciences
Awards Committee zurück. Zur gleichen Zeit rief The Vagenda Team mit einem
Tweet Wissenschaftlerinnen dazu auf, Bilder von sich unter dem Hashtag
#distractinglysexy zu posten. Innerhalb weniger Stunden erschienen tau-
sende Beiträge mit dem vorgeschlagenen Hashtag auf Twitter und anderen
Social Media. Die Tweets bestehen meist aus Bildern vorwiegend weibli-
cher Wissenschaftler_innen, die diese in verschiedenen Arbeitssituationen
abbilden, und aus einem Text, der ironisch Bezug zu den Aussagen Hunts
nimmt. Die Ergebnisse der im Folgenden dargestellten Studie zeigen, dass
225
Miriam Stehling / Cornelia Brantner / Katharina Lobinger
sich die Körperbilder1 von Frauen, die über das Hashtag verbreitet werden,
auf die in Medien verbreitete Geschlechterdarstellung beziehen, die Frauen
in einem sehr engen Rollenspektrum und in stereotyper Art und Weise vi-
sualisieren (vgl. Thiele 2015: 234f.). Durch das Hashtag #distractinglysexy
(wörtlich übersetzt ›ablenkend sexy‹) werden die geteilten Körperbilder,
die mit Butler (1988) als performative Handlungen verstanden werden
können, so gerahmt, dass der Rekurs auf Hunts Äußerungen deutlich
wird. Die Bilder werden dadurch auch als Inszenierungen gekennzeichnet,
welche die Klischees und Vorurteile anspielen, mit denen sich Frauen in
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Die Tweets, die über das Hashtag #distractinglysexy geteilt wurden, lassen
sich als Meme verstehen. Meme bestehen nach Shifman (2014b) aus ver-
schiedenen digitalen Elementen, die nicht nur von mehreren Benutzer_in-
1 Körperbild verstehen wir als Bild vom Körper, das durch Medien transportiert wird, und nicht
als Bild, das eine Person von ihrem eigenen Körper hat (vgl. Luca 2007: 36).
226
Meme als Diskursintervention:
Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel von #distractinglysexy
nen geteilt, sondern auch von vielen Akteur_innen erzeugt und verändert
werden. Meme sind üblicherweise Kommunikate, die multimodal sind,
bestehend aus visuellen Elementen, verbalen Texten und Tags. Sie haben
gemeinsame inhaltliche Eigenschaften und sind mit anderen Elementen
verknüpft, die zum selben Mem gehören. Meme sind aber nicht nur als
einzelne Einheiten zu sehen; über sie können auch kulturelle und gesell-
schaftliche Gemeinschaften sowie gleichzeitig die individuellen Stimmen
in diesen Gemeinschaften untersucht werden (vgl. Shifman 2014a: 163).
Genauer lässt sich #distractinglysexy auch als Mem-Hashtag bzw. virales
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Des Weiteren ist zu betonen, dass die Tweets, die über das Hashtag
geteilt wurden, häufig Foto-Meme darstellen. Dies ist bei dem Beispiel
#distractinglysexy von besonderem Interesse, weil es sich bei den entspre-
chenden Foto-Memen meist um Körperbilder handelt. In diesem Beitrag
geht es zwar vor allem um die Bilder, die über das Hashtag verbreitet
werden; diese sind aber nur in ihrer Multimodalität zu verstehen. Die
Körperbilder, die von Wissenschaftler_innen geteilt werden, stehen also
nicht nur als visuelles Element für sich alleine, sondern können nur im
Zusammenspiel mit dem Hashtag #distractinglysexy als eine Reaktion auf
Hunts Aussagen gelesen werden.
Meme können auch als Form politischer Partizipation verstanden wer-
den, wenn Nutzer_innen sich über diese an gesellschaftlichen und politi-
schen Debatten beteiligen (vgl. Shifman 2014a: 114). In diesem Sinne verste-
hen wir auch das Mem-Hashtag #distractinglysexy als ein politisches Mem
und als Form der politischen Partizipation. Es nimmt auf eine normative
Debatte über Sexismus Bezug und artikuliert ein feministisches Anliegen,
nämlich den Kampf gegen Sexismus und Diskriminierung von Frauen in
der Wissenschaft. Diese Intervention bezeichnen wir im Folgenden auch
als ›Protest‹ und das Hashtag #distractinglysexy als ›Protest-Hashtag‹. Ein
Protest, der sich spontan über ein Hashtag ausdrückt und der über digitale
Öffentlichkeiten hinweg auch in massenmedialen Öffentlichkeiten sichtbar
werden kann, wird auch als ›diskursiver Aktivismus‹ bzw. ›Hashtag-Aktivis-
mus‹ bezeichnet (vgl. Clark 2016: 2). Feministischer Hashtag-Aktivismus
227
Miriam Stehling / Cornelia Brantner / Katharina Lobinger
2 Im übertragenen Sinne kann dies mit »den Körper (hin)stellen« übersetzt werden und meint,
den Körper für Protest und Widerstand einzusetzen (vgl. Sutton 2007: 130).
228
Meme als Diskursintervention:
Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel von #distractinglysexy
229
Miriam Stehling / Cornelia Brantner / Katharina Lobinger
stichprobe ein repräsentatives Sample von 410 Tweets aus jenen 7.908
Tweets, die von den User_innen auf Twitter hochgeladene Bilder (also vi-
suellen User Generated Content) enthalten, gezogen.
Entsprechend dem Vorgehen der quantitativen Bildtypenanalyse (vgl.
Grittmann/Ammann 2011; Grittmann 2001) wurden im ersten Schritt
Bildtypen induktiv aus dem Material gebildet. Dabei bündelt ein Bildtyp
jene Bildmotive mit gleicher inhaltlicher Aussage bzw. Bedeutung. Gritt-
mann und Ammann (2011) setzen das Verfahren für den Journalismus ein,
da sich nicht zuletzt aufgrund der Routinisierung journalistischer Prak-
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230
Meme als Diskursintervention:
Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel von #distractinglysexy
nur einem dieser sechs ist auch ein Mann zu sehen – weist aufgrund der
Verwendung des Bildgenres ›Selfie‹ eine hohe ästhetische Homogenität
auf. Einer engen Selfie-Definition entsprechend, sind die dargestellten
Personen zugleich die Fotograf_innen (vgl. Lobinger 2016a: 43). Es han-
delt sich zumeist (95,9 %) um ›typische‹ One-Arm-Length-Selfies, in denen
der Arm möglichst weit weggestreckt wird, um mit der Frontkamera des
Smartphones einen guten Blick auf sich selbst zu bekommen. Daraus re-
sultiert, dass sie die dargestellten Personen in ›intimer‹ bzw. ›persönlicher‹
Distanz zeigen. Lediglich in drei Fällen (4,1 %) liegt eine ›soziale Distanz‹
vor, dies betrifft sogenannte ›Spiegel-Selfies‹. Wenig überraschend gibt
es keine Selfies, die die Dargestellten in öffentlicher Distanz zeigen. Die
intime Distanz führt die Betrachter_innen nah an die Dargestellten heran
und erzeugt besondere Nähe. Die Selfies suggerieren, das Bild sei aus der
Situation heraus spontan entstanden, wenngleich natürlich anzunehmen
ist, dass Selektions- und Kontrollprozesse bei der Repräsentation des Selbst
eine wichtige Rolle spielen (siehe Abb. 1).
Ein weiteres Charakteristikum dieses Bildtyps ist der direkte Blick in
die Kamera, der u. a. dadurch entsteht, dass die Bildkontrolle bereits wäh-
rend des Aufnahmeprozesses, mit einem Blick auf das Display, möglich ist.
Die unter #distractinglysexy zu findenden Selfies zeigen überwie-
gend Körperrepräsentationen in Labor- und Forschungskontexten, wie
an Schutzkleidungen, Schutzmasken, Sicherheitsbrillen und weiteren
wissenschaftlichen Arbeitsmitteln zu erkennen ist. Durch die humorvolle
231
Miriam Stehling / Cornelia Brantner / Katharina Lobinger
Abbildung 1
Beispiele für den Bildtyp ›Selfies‹3
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Der Körper der Forscherinnen spielt hier eine besondere Rolle. Denn
während die Aussage ›I am distractinglysexy‹ ganz klar auf Körperlich-
keit verweist, zeigen die wenigsten Selfies Körper. Sie verdecken den Blick
auf den Körper vielmehr durch Schutz- und Laborbekleidung, und dies
gilt auch für den nächsten Bildtyp (siehe 3.2). Das in den Tweets vorkom-
mende Stilmittel lässt sich als die eingangs beschriebene Anaphrase oder
Gegenteil-Ironie bezeichnen. Häufige verbale Aussagen der Tweets, in
denen vermeintlich weibliche Stereotypen und die Vorwürfe Hunts aufge-
3 Wir haben alle abgebildeten Wissenschaftlerinnen kontaktiert und ihre Erlaubnis für den
Abdruck ihrer Tweets eingeholt.
232
Meme als Diskursintervention:
Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel von #distractinglysexy
griffen werden, sind sinngemäß4: »Es tut mir leid, wenn dieser Respirator
dich heiß macht!« oder »Heute habe ich nicht geweint #Erfolg« (siehe Nr. 1
und Nr. 2 in Abb. 1). Typischerweise ist es das Bild, das die Aussage visuell
widerlegt und die humorvolle Anaphrase vollendet. Dieser humorvolle
Gegensatz funktioniert deshalb so gut, weil das Verhältnis von Bild und
Text auf den Kopf gestellt wird. Einerseits werden in Social-Media-Bildern
häufig Tags und Beschreibungen beigefügt, um zu erklären, was auf dem
Bild zu sehen ist bzw. gesehen werden soll. Der Text dient dann der Ein-
schränkung der Polysemie des Bildes. Andererseits werden Bilder auch
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Dieser Bildtyp zeichnet sich dadurch aus, dass die dargestellten Personen
im Arbeitskontext offensichtlich vor der Kamera posieren. Sie demon
strieren damit, dass dieses Bild bewusst gemacht wird. Durch den direkten
Blick bzw. das Lachen in die Kamera werden die Betrachter_innen direkt
angesprochen. Auf den Bildern sind, bis auf drei Fälle, in denen weibliche
und männliche Wissenschaftler_innen gemeinsam abgebildet sind, aus-
schließlich Wissenschaftlerinnen zu sehen. Die Fotografien werden fast
ausnahmslos im Arbeitskontext der Forscherinnen aufgenommen. Cha-
rakteristisch ist dabei, dass nicht ihre Tätigkeit, sondern ihr Erscheinungs-
bild im Vordergrund steht: Sie werden nicht in Arbeitshandlungen gezeigt,
233
Miriam Stehling / Cornelia Brantner / Katharina Lobinger
Abbildung 2
Beispiele für den Bildtyp ›Wir sind die Frauen in der
Wissenschaft‹
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Bei diesem Bildtypus können in 17,6 Prozent der Fälle der Gesichtsaus-
druck bzw. die Mimik nicht erkannt werden, da das Gesicht verdeckt bzw.
nicht gut sichtbar ist. Erneut kommt hier das Phänomen der Unsichtbarkeit
von Teilen des Körpers zum Tragen. In 48,6 Prozent der Bilder dominiert
eine fröhliche, in vielen Fällen sogar eine lustige Stimmung. Darüber hin-
aus fallen noch Bilder auf, in denen die Frauen ganz explizit visuell Bezug
auf die Aussagen Tim Hunts nehmen. In etwa einem Fünftel des Bildtyps
zeigen sich die Forscherinnen ›sexy‹ oder ›weinend‹. Dabei muss jedoch
darauf hingewiesen werden, dass die Emotionen als eindeutig inszeniert
erkennbar sind (vgl. Abb. 2). In Beispiel Nr. 4 schreibt die Userin, sie hätte
so viel geweint, dass sie ihren Roboter darauf programmieren musste, ihr
Taschentücher zu reichen. Sie zeigt sich damit stereotyp als emotionale
Frau; auf dem Foto verbirgt sie ihr Gesicht in den Händen und verhindert
234
Meme als Diskursintervention:
Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel von #distractinglysexy
damit eine direkte Interaktion mit den Betrachtenden. Die zunächst ent-
mächtigend erscheinende Darstellung wird (verbal) dadurch aufgebrochen,
dass das Resultat des hochspezialisierten Wissens, der von ihr program-
mierte Roboter, zu Hilfe eilt. Dieser dient, wie in anderen Bildern andere
›Forschungssymbole‹, als objektiviertes, materialisiertes Wissen, das die
Kompetenz der Forscherin unterstreicht.
Bei den Bildern kann nicht so eindeutig wie bei den Selfies erkannt
werden, ob sie speziell zum Zwecke des Protests unter #distractinglysexy
aufgenommen wurden. In mehreren Fällen werden offensichtlich ältere
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Bilder verwendet. Gemeinsam ist den Bildern jedoch in jedem Fall die Art
und Weise der Körperinszenierung, die offensichtliche Brüche zu sonst in
den Medien gezeigten Frauenkörpern und damit verknüpften Geschlech-
terrollen aufweist. Dieser Gegensatz wird durch den Einsatz von als über-
trieben ›sexy‹ gekennzeichneten Posen noch verstärkt.
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
235
Miriam Stehling / Cornelia Brantner / Katharina Lobinger
Bedeutung des Bildes in diesem Kontext unklar wäre. Aber auch bereits
die Verwendung des Hashtags #distractinglysexy dient zur Einordnung
in den Protest-Diskurs.
Die dargestellte Distanz ist höher als bei den zuvor genannten Bildtypen,
die Personen werden lediglich in 14,1 Prozent der Fotos in intimer Distanz
gezeigt, in 53,5 Prozent in sozialer und 32,4 Prozent in öffentlicher Distanz.
Erwartungsgemäß seltener als bei den ›Selfies‹ aber auch seltener als
bei ›Wir sind die Frauen in der Wissenschaft‹ richteten die Fotografier-
ten ihren Blick direkt auf den Betrachter (50 %). Darüber hinaus weisen
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die meisten Bilder in diesem Typus, wie auch jene in den anderen beiden
Bildtypen, keine professionelle Bildästhetik, sondern eher einen Schnapp-
schusscharakter auf. Vermutlich wurden die Bilder von Kolleg_innen zu
einem früheren Zeitpunkt als Erinnerungsfoto aufgenommen und nicht
explizit für die #distractinglysexy-Aktion produziert.
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Abbildung 3
Beispiele für den Bildtyp ›Forschung in Aktion‹
5 Die ikonografisch-ikonologische Bildanalyse ist weitaus komplexer als hier aus Platzgründen
dargestellt werden konnte.
236
Meme als Diskursintervention:
Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel von #distractinglysexy
237
Miriam Stehling / Cornelia Brantner / Katharina Lobinger
die Aktion unterstützendes. Das Hashtag wird in diesen Artikeln als eine
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
238
Meme als Diskursintervention:
Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel von #distractinglysexy
kel weisen aber zusätzlich oft auf die Notwendigkeit eines tatsächlichen
Wandels in den Wissenschaften hin und schlagen beispielsweise vor, die
Bilder, die von Wissenschaftlerinnen über das Hashtag #distractinglysexy
gepostet wurden, als Vorbilder dafür zu nutzen.
Ein ähnliches, wenn auch untergeordnetes Deutungsmuster rahmt das
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Hashtag als eine kreative und beliebte Kampagne, die geistreich und iro-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
nisch sei. Ein weiteres Deutungsmuster konzentriert sich auf das Potenzial
von Twitter und Hashtags als eine Möglichkeit für die Ermächtigung von
Frauen und das Erheben ihrer Stimmen.
Ähnlich wie im deutschen Diskurs, allerdings nicht so dominant, gibt
es auch im britischen Diskurs ein Deutungsmuster, das Hunt verteidigt
und das Hashtag #distractinglysexy als übertrieben beschreibt. Allerdings
unterscheidet sich die Narration des Deutungsmusters von der im deutsch-
sprachigen Diskurs. Die Personen, die Hunt unterstützen und verteidigen,
kommen hier zwar zu Wort und deren Meinung über das Hashtag als »lynch
mob« (McLelland 2015, Daily Mail Online) wird dargestellt, jedoch bleibt
die Interpretation über die Legitimität dieser Haltung für die Leser_innen
offen. Dies steht im Gegensatz zu Artikeln im deutschsprachigen Diskurs,
die die klare Haltung der Journalist_innen, dass Hunt ›Opfer‹ des Hash-
tags sei, deutlich zeigen.
5. Fazit
239
Miriam Stehling / Cornelia Brantner / Katharina Lobinger
gestellt werden und sie gerade in Werbung und Zeitschriften meist immer
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
240
Meme als Diskursintervention:
Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel von #distractinglysexy
Literatur
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Bell, P.; M. Milic: Goffman’s Gender Advertisements Revisited:
Combining Content Analysis with Semiotic Analysis. In: Visual
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Miriam Stehling / Cornelia Brantner / Katharina Lobinger
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Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel von #distractinglysexy
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Miriam Stehling / Cornelia Brantner / Katharina Lobinger
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
244
Melan ie Haller
1. Einleitung
1 Bei diesem Aufsatz handelt es sich um die schriftliche Überarbeitung eines Vortrages, der als
Podcast bei Deutschlandfunk Nova abrufbar ist (https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/
Vorbildliche-koerper-biertrinkende-maenner-und-dicke-frauen).
2 Renn trug im Jahr 2005 gerademal Konfektionsgröße 42, was aber ausreichte als Plus-Size-
Model gehandelt zu werden. Medial bekannt wurde sie 2009 durch ihr Buch Hungry, in wel-
chem sie ihre Leidensgeschichte von der mit Ihrem Beruf als Model verbundenen Essstörung
erzählte.
3 Kawamura fasst in ihren frühen Forschungen (2005) unter Modesystem vorwiegend die
westliche Modeindustrie zusammen, deren Rolle sie für den internationalen Erfolg von
Designer*innen als entscheidend ansieht. Diese Engführung auf ein westliches Modesystem
hat sie jedoch an anderer Stelle auch kritisch beleuchtet (Kawamura 2015).
245
Melanie Haller
führt, ob sie nicht ein ›falsches, weil ungesundes Vorbild‹ ist. Diese Bei-
spiele machen die Spannweite dessen deutlich, was unter ›Plus Size‹ alles
verstanden wird.
Theoretisch einordnen lässt sich die zunehmende Präsenz von Plus-Size-
Körpern in der Mode meines Erachtens als ein Zeichen für einen Hype um
Diversität. Dieser Hype um Diversität in der Bekleidungsmode ist selbst
eine Mode, welche zunehmend auch ältere Menschen4 oder Menschen
ohne Normkörper für Repräsentationszwecke in den Medien einsetzen.
Eine solche Betrachtung von Mode bezieht sich auf den modetheore-
tischen Ansatz des Kultursoziologen René König, welcher unterscheidet
zwischen einer reinen Kleidungsmode und Mode als der Gesamtheit äs-
thetischer und sozialkultureller Phänomene, die er als ein »universales
kulturelles Gestaltungsprinzip« (König 1998: 246) versteht. Für König ist
Mode als soziales Phänomen eine »verkannte Weltmacht« (ebd.: 255), deren
Bedeutung die Soziologie bislang kaum erkannt hat. Ein medienwirksamer
Hype um ›andere‹ Körper lässt sich in diesem Sinne als eine Mode beschrei-
ben, da er ein ästhetisches Gestaltungsprinzip wirkmächtig werden lässt,
welches bislang nur außerhalb von Normalität seinen Platz hatte (Villa/
Zimmermann 2008: 174ff.). Der Auftritt der Leichtathletin Aimee Mullin
4 So z. B. der Blog und die Dokumentation Advanced Style von Ari Set Cohen (http://www.advanced.
style).
246
Plus-Size-Blogs als Diversität von Mode? Zu Praktiken visueller Repräsentationen von Körpern
und der Infragestellung weiblicher Normkörper in der Mode
Gesellschaft von Singularitäten verorten lässt (Reckwitz 2017), für die das
Besondere zum Dreh- und Angelpunkt geworden ist.
Aus einer mode- und körpersoziologischen Perspektive stellt sich die
Frage, inwieweit eine vermehrte Repräsentation von Plus-Size-Körpern
auf Social-Media-Plattformen die weiterhin existenten, und Plus-Size-
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5 Wie Harju und Huovinen 2015 gezeigt haben, wird dies häufig über die Verwendung des
Hashtags #fatshionista verdeutlicht. Der Begriff wurde auch von deutschsprachigen (Micro-)
Bloggenden übernommen wie z. B. die Twitter-Selbstbeschreibung fatshion blogger von Hen-
gameh Yaghoobifarah (o. J.) bzw. das Buch Fa(t)shionista von Magda Albrecht (2018) zeigen.
247
Melanie Haller
248
Plus-Size-Blogs als Diversität von Mode? Zu Praktiken visueller Repräsentationen von Körpern
und der Infragestellung weiblicher Normkörper in der Mode
2. Forschungen zu Plus-Size-Körpern
in den Medien
Der Fokus in diesen Forschungen liegt dabei auf der Betonung einer
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
7 Harju und Houvinnen sehen in ihrer Analyse von internationalen Fatshionsblogs das Potenzial
eines aktiven Widerstandes im Modesystem (Harju/Huovinen 2015).
249
Melanie Haller
all those studies [about Fashion Blogs] draw attention to is the centrality
of both fashion and social media to practices of the self and the formation
of collective identities« (Mora/Rocamora 2015: 150).
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8 Im Internet lassen sich viele Listen mit gesammelten Plus-Size-Blogs finden, die größtenteils
nach der Anzahl der Follower auf Instagram oder Facebook gelistet werden. Das methodische
250
Plus-Size-Blogs als Diversität von Mode? Zu Praktiken visueller Repräsentationen von Körpern
und der Infragestellung weiblicher Normkörper in der Mode
Vorgehen lehnt sich hier ethnografischen Verfahren der Materialsammlung an, die zunächst
eine große Anzahl an Material sammeln und dann qualitativ auswählen. Die für diesen Auf-
satz ausgewählten Plus-Size-Blogs wurden daher nach der Anzahl der Follower auf ihren
Instagram-Accounts ausgewählt, welche bei über 10.000 - 14.000 Followern liegen. Es gibt noch
populärere Plus-Size-Blogs mit weit mehr Followern, welche dann jedoch auch offensichtliche
Kooperationen mit kommerziellen Anbieter*innen aufweisen.
9 Theodora Flipper hat für ihren Instagram-Account immerhin 27.700 Follower (https://www.
instagram.com/flipper_theodora/).
10 Siehe etwa das übersichtliche Angebot bei Großkonfektionären wie H&M (gerade mal zwei
Doppelseiten im Herbstkatalog 2016), inkl. der Tatsache, dass es z. B. in dieser Kollektion
(welche mit Ashley Graham ohne Bezug auf ihre Position als Plus-Size-Model wirbt) manche
Kleidungsstücke auch in Gr. 44 und Gr. 46 gibt, allerdings nur auf der Webseite.
11 Vgl. z. B. die Webseite von Ulla Popken im Jahr 2016, auf welcher 22 Prozent aller Kleidungs-
stücke in schwarz, 19 Prozent in dunkelblau und 11 Prozent in grau erhältlich sind; also gut
52 Prozent in dunklen und unauffälligen Farben.
12 Oder wie es Beth Ditto 2016 einmal pointiert in einem Interview ausführte, dass sie es noch
immer bevorzuge, Schwangerschaftskleidung zu kaufen (Eckardt 2016).
251
Melanie Haller
GERMANY des Hohenstein Instituts verwiesen, die erst ein Jahr nach der
ersten großen ›normalen‹ Reihenmessung von 13.362 vermessenen Personen
in 2009 stattfand und lediglich 2200 Frauen und 1000 Männer mit »starken
Figuren« (Hohenstein 2014: 5) digital vermaß. Diese Fixierung auf Norm-
körper wird in den letzten Jahren zunehmend auch von Plus-Size-Blogs
infrage gestellt, indem dort ›andere‹ Körper repräsentiert werden und ihre
aktive Teilnahme am Modesystem beanspruchen (Downing Peters 2014).
Die körperausblendende Materialität von Plus-Size-Mode in Design,
Schnitt und Farbe, welche sich zugespitzt als »tents […] designed to cover
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up and hide the body« (Colls 2006: 537) bezeichnen lässt, steht den Kör-
perbildern und Körperpraktiken in Plus-Size-Blogs entgegen. Diese Plus-
Size-Körperbilder lassen sich als »situated bodily practice« (Entwistle
2000: 6f.) verstehen: Die Kleidung wird vor allem in öffentlichen Räumen,
etwa nach Vorbild von Streetware-Blogs und in bestimmten, sich auf das
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Abbildung 1
Figurtypen auf navabi.de
252
Plus-Size-Blogs als Diversität von Mode? Zu Praktiken visueller Repräsentationen von Körpern
und der Infragestellung weiblicher Normkörper in der Mode
Abbildung 2
Elisabeth Januszek, Autorin/Bloggerin von
www.conquore.com
Quelle: www.conquore.com
253
Melanie Haller
üblich sind.
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
254
Plus-Size-Blogs als Diversität von Mode? Zu Praktiken visueller Repräsentationen von Körpern
und der Infragestellung weiblicher Normkörper in der Mode
[…] [Dies verweist auf den] relativ eng begrenzten Rahmen ästhetischer
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
255
Melanie Haller
ist der trainierte Körper unter der Kleidung zum formgebenden Element
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
geworden. Dies lässt sich sehr gut an der zunehmenden Verquickung von
Sportmode und Mode ablesen – etwa im zeitgenössischen Beispiel des
Modetrends um ›Athleisure‹ (Athletic & Leisure) als Streetstyle und Mode
phänomen (Haller 2017).
Plus-Size-Bloggerinnen wenden sich aktiv mit ihren Körperprakti-
ken gegen einen Ausschluss ihrer Körper im Modesystem. Gleichzeitig
gehören diese Plus-Size-Blogs in ein zunehmend präsenter werdendes
Fat Acceptance Movement, der sozialen Bewegung, die für die Akzeptanz
von Dicksein nicht nur im Feld der Mode kämpft (Afful/Ricciardelli
2015; Miller 2015), auch wenn die deutschsprachigen Bloggerinnen sich
nicht unbedingt aktiv darin verorten. Die Bloggerinnen beanspruchen
im deutschsprachigen Raum mit ihren Blogs neue, andere Bilder von mo-
dischen Körpern, wie Hahn und Meuser bereits 2002 konstatierten: »Der
Körper wird somit im Bild neu erfunden, der bildlich repräsentierte Körper
erhält eine eigenständige soziale Bedeutung« (Hahn/Meuser 2002: 10).
Plus-Size-Blogs gehen mit ihren durch Körperpraktiken produzierten
Körperbildern gegen eine Limitierung weiblicher Körper auf ein schlankes,
allenfalls noch ›weiblich, feminines‹ Körperideal vor – auch wenn sie selbst
dabei in der modesystemischen Matrix einer ästhetischen Optimierung
gefangen bleiben, die durchaus Kriterien dieses Modesystems entspricht.
256
Plus-Size-Blogs als Diversität von Mode? Zu Praktiken visueller Repräsentationen von Körpern
und der Infragestellung weiblicher Normkörper in der Mode
Literatur
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wurde mit IP-Adresse 141.002.140.067 aus dem Netz der UB Frankfurt am September 5, 2023 um 14:53:56 (UTC) heruntergeladen.
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Melanie Haller
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news/h-m-werbung-mit-achselhaaren-und-uebergewicht-begeistert-
das-netz-7060770.html [28.03.2018]
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Orbach, S.: Das Anti-Diätbuch: Über die Psychologie der Dickleibigkeit, die
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
259
Melanie Haller
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London/New York [Bloomsbury] 2016
Villa, P.; K. Zimmermann: Fitte Frauen – Dicke Monster? Empirische
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Schmidt-Semisch (Hrsg.): Kreuzzug gegen Fette. Sozialwissenschaftliche
Aspekte des gesellschaftlichen Umgangs mit Übergewicht und Adipositas.
Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2008, S. 171-189
Yaghoobifarah, H.: @habibitus, https://twitter.com/
habibitus?lang=de [28.03.2018]
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
260
Dagmar Venohr
Vestimentäre Selbstverfertigungen
im Netz
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Der bekleidete menschliche Körper ist mehr als ein Modekörper, der durch
seine Körperlichkeit Mode erst ermöglicht.1 Die Erzeugung von modi-
schem Begehren ist eine interkorporale Entität. Der Umgang mit Klei-
dung, das Modehandeln (Venohr 2008), geht weit über eine performative
Verkörperung des Modischen in Zeit und Raum hinaus. Modehandeln heißt,
dass Mode niemals ist, sondern immer in responsiven Prozessen aushan-
delbar bleibt (vgl. Venohr 2010: 274). Mode lässt sich als ein System von
aisthetischen Wirkungsweisen, performativen Sinnesbezügen, leiblichen
Ausdrucksformen und fleischlicher Bewusstheit verstehen. Nähen, Klei-
dung und das Modische sind Praxis, Produkt und Idee einer vestimentären
Selbstverfertigung (Venohr 2018), die anhand der Analyse des jeweils spezifi-
schen Modehandelns in exemplarisch vorgestellten Nähblogs der DIY-Szene
sichtbar gemacht werden. Ausgehend von der Annahme, dass sowohl das
Selbst als auch der Körper erst im Blick der Anderen und in den Apparaten
erkennbar werden, werde ich im Folgenden aufzeigen, wie die Protagonis-
tinnen sich selbst und ihr Körperbild ikonotextuell im Bloggen über für
sich selbst genähte Kleidung konstituieren.2
1 Zur Präzisierung des Begriffs ›Modekörper‹ und seiner materialisierten, vestimentären Er-
weiterung vgl. Haller (2015).
2 Die Herausforderung meiner Forscherinnenposition liegt derzeit bei der Kenntlichmachung
der Formen meiner Präsenz, dem Ausmaß meiner Teilhabe und der Belegbarkeit meiner Ken-
nerschaft gegenüber der Blogosphäre in den vergangenen Jahren (vgl. Heise 2013; Schmidt/
261
Dagmar Venohr
1. Begriffsverortungen
Vorweg soll nun eine kurze begriffliche Verortung der vestimentären Selbst-
verfertigung in der Mode-, Medien- und Kulturwissenschaft den inhaltlichen
Einstieg erleichtern. Das Vestimentäre ist das Auf-die-Kleidung-Bezogene,
es ist ein spezifisch modewissenschaftlicher Ausdruck, der adjektivisch als
›vestimentaire‹ von Roland Barthes in seinem 1967 auf Französisch ver-
fassten Buch Système de la Mode verwendet und als ›vestimentär‹ übersetzt
wurde (vgl. Barthes 1985). Es leitet sich von lat. vestimentum für ›Klei-
dungsstück‹ ab und bezeichnet im weitesten Sinne alles, was sich in Bezug
Schönberger/Stegbauer 2005). Zwar arbeite ich seit 2017 wieder als Wissenschaftlerin, bin
aber durch die jahrelange Leitung eines Stoffgeschäfts vielen bekannt, hatte lange Zeit kon-
kreten Kontakt zu einigen Bloggerinnen und habe die Blogosphäre entsprechend auch unter
kommerziellen Gesichtspunkten beobachtet. Der Kommentar einer Bloggerin auf meine In-
terviewanfrage war, dass sie sich nun fühle wie ein »Insekt unterm Mikroskop« (Mail1_190517).
262
Ich bin Andere und Ich ist eine andere! Vestimentäre Selbstverfertigungen im Netz
(Engell 1989: 186), die dadurch gekennzeichnet sei, dass der Mensch sich
durch die Herstellung seiner Medien selbst verfertige. Dieses Wechselver-
hältnis des sinnlichen Wahrnehmens und Erschaffens von Wirklichkeit
mit Medien als konstitutive Werkzeuge des Selbst, das letztlich nur per-
formativ im Medialen verortbar ist, zeigt sich insbesondere im Medium
Kleidung3 und seinen vielfachen Medialisierungen. Das Medium Kleidung
wird in anderen Medien, wie hier dem Nähblog oder z. B. der Zeitschrift
in Bild und Text, vermittelt, und es entsteht so eine weitere Kommuni-
kationsebene mit anderen Mitteln. In diesem medialen, materiell ganz
anders bedingten Raum bilden sich spezifische Bedeutungszusammen-
hänge performativ heraus, die nicht mehr an den eigentlichen, textilen
Gegenstand Kleidung gebunden sind. Die darüber noch hinaus reichende
medienanthropologische Annahme von Engell, die Selbstverfertigung sei
nunmehr keine autonome Handlung, sondern vielmehr eine »Verfertigung
des Menschen durch Medien und als Medium« (Engell 2013: 107), zielt
auf den eigentlichen Kern des Sich-Kleidens im Sinne einer vestimentären
Selbstverfertigung, die sich innerhalb dieser Medialisierungsprozesse ereignet.
In diese Richtung weist auch die Vorstellung einer Verfertigung bei
Heinrich von Kleist, der davon ausgeht, dass sich ein Gedanke erst im
3 Zur begrifflichen Unterscheidung von ›Mode‹ und ›Kleidung‹ und zur Klärung der Frage,
inwiefern Modekleidung ein Medium ist, siehe Venohr (2009).
263
Dagmar Venohr
Beginn des 19. Jahrhunderts Verwendung findet, stellt einen direkten Bezug
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
264
Ich bin Andere und Ich ist eine andere! Vestimentäre Selbstverfertigungen im Netz
dern dass der Fremdbezug vielmehr Teil einer jeden Selbstbezüglichkeit ist.
Das Selbst ist demnach immer auch das Andere, in den Worten Waldenfels:
»Fremdheit in mir und Fremdheit der Anderen würde heißen, dass ich von
vornherein im Blickfeld der Anderen lebe. Die Anderen treten nicht zu-
sätzlich in meine Eigenheitssphäre ein, sondern ich gehöre mir nie ganz
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2. Blogosphäre
4 Begrifflich wird hier die Blog-Definition von Johanna Roering zugrunde gelegt: »Blogs sind
textlastige, multimediale, chronologisch-kumulative und vernetzte digitale Medien, deren
standardisierte Merkmale eine Vielfalt von Formaten und Inhalten zulassen, die jedoch häufig
einer Blog-Gattung angehören und deren wichtigste Merkmale der Sprecher und das compu-
tervermittelte Netzwerk sind. Ein Blog wird durch den Sprecher und durch die Netzwerke, in
die er durch die Blogroll integriert ist, spezifisch und wird maßgeblich durch die Kommunika-
tionsprozesse und Darstellungsverfahren dieser Netzwerke bestimmt« (Roering 2012: 70).
265
Dagmar Venohr
266
Ich bin Andere und Ich ist eine andere! Vestimentäre Selbstverfertigungen im Netz
denschaftliche Nähfans, die sich viele Teile ihrer eigenen Kleidung selbst
nähen. Laut Rensch-Bergner gibt es ca. 1.000 aktive Blogger_innen, von
denen die meisten regelmäßig an Verlinkungs-Partys teilnehmen, so z. B.
am wöchentlichen MeMadeMittwoch (MMM) mit durchschnittlich 100 bis
150 Teilnehmenden und ca. 25.000 Klicks. Auf der Internet-Konferenz ne-
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über das Phänomen des Nähbloggens und über die Szene der Nähnerds. Ihr
Vortrag ist überschrieben mit »Wertschätzung ist unsere Währung« und
wird eingeführt mit dem Intro: »In Nähblogs geht es um mehr als schöne
Klamotten: Eine Kultur des Miteinanders macht es möglich, Inhalte und
damit ein Selbstbild zu produzieren, das sich von den medialen Vorbildern
deutlich unterscheidet« (Rensch-Bergner 2015b).
Wenn demnach Nähblogger_innen durch die Produktion individuel-
ler Kleidung und ihrer Präsentation im Netz anders sein wollen, bleibt
zu fragen, wovon und wie (sehr) sie sich unterscheiden und abgrenzen
wollen und welche Rolle die Identifikation mit anderen innerhalb und
außerhalb der Blogosphäre spielt. Nähblogs sind deshalb »in erster Linie
Schreibprozeduren, die sich mit Foucaults Begriff der ›Selbstpraktik‹ als
Versuche der Selbstkonstitution lesen lassen«, und wie Jenny Lüders weiter
ausführt: »Ambivalent sind solche Versuche, weil sie sich sowohl im Sinne
eines ›government of individualisation‹ [Masschelein/Ricken 2003] als
auch im Sinne eines Entzugs aus eben solchen Regierungspraktiken und
als Entwurf möglicher anderer Lebensweisen verstehen lassen« (Lüders
2007: 17). Für die weitere Betrachtung ist es demnach unerlässlich, diese
267
Dagmar Venohr
(Schmidt 2006: 73) im Netz und sind nur bedingt an ein potenziell reales
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
8 Ainetters These, dass das »literarische Ich im Blog, so wie auch in allen anderen autobiogra-
phischen Texten, [...] demnach immer ein fiktives, irreales Ich [sei], dass in einer fiktiven Welt
lebt« (Ainetter 2006: 34), halte ich auch deswegen für die Bloganalyse für nicht zielführend.
268
Ich bin Andere und Ich ist eine andere! Vestimentäre Selbstverfertigungen im Netz
nehmen, wie sie ist, wie sie sich fühlt, dann wird alles gut. So eine Frau
wird authentisch sein« (Rensch-Bergner 2013).
3. Medialer Selbstverfertigungsraum
Die scheinbare Dualität zwischen innerem und äußerem Erleben ist bei
näherer Betrachtung des mit selbstgenähter Kleidung dargestellten Selbst
im Nähblog nicht aufrechtzuerhalten. Der bekleidete Körper erscheint
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auf soziale Anerkennung zielen« (Funken 2005: 236), dann scheint das zu
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
269
Dagmar Venohr
2006: 271). Die Einheit des Selbst ist somit nur in seiner Performanz er-
fahrbar, und dieses performative Moment findet immer in einem medial
vermittelnden und vermittelten Raum statt. Die mediale Funktion des
Räumlichen ist dabei unmittelbar an das körperliche Empfinden und Wahr-
nehmen nicht jedoch an das tatsächlich materielle Vorhandensein einer
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270
Ich bin Andere und Ich ist eine andere! Vestimentäre Selbstverfertigungen im Netz
Körperschema – Birne
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Während mir Petra Wünsche als Pedilu aus ihrem animierten Porträtfoto
am rechten Blogrollrand zuzwinkert, um dann auf den eigenen Content
und die Kommentare zu blicken, lese ich ihren Text zu der Fotografie einer
Birne: »Ich bin eine Birne. Genau. Ganz typisch: nicht allzu breite Schultern,
wenig Oberweite, dafür eine ausladende Hüfte und nicht ganz so schmale
Oberschenkel. Seit ich das weiß, kleide ich mich passender und fühle mich
wohler« (Wünsche 2012b). Wieso weiß Pedilu, dass sie eine Birne ist? Das
Bild, die Form einer Birne scheint ihrer Vorstellung von ihrem Körper zu
entsprechen. Nach Waldenfels geht es beim Körperschema um die »einheit-
liche Vorstellung vom Körper, also um die Frage, wie und unter welchen
Umständen mein Körper überhaupt als einheitlicher Körper erlebbar wird«
(Waldenfels 2000: 113). Und da das Körperschema nach Stefan Kristensen
auch als »mediale Matrix« zu begreifen ist, »die der leiblichen Bewegung
Form und Organisation gibt« (Kristensen 2012: 32f.), werde ich nun da-
von ausgehen, dass es als Körperbild im medialen Handlungsvollzug des
Nähbloggens nachvollziehbar sein wird. Das Körperbild ist demnach die
sichtbare Seite dieser Matrix, während das Körperschema auf »die für das
Subjekt unsichtbare und unhintergehbare Struktur seines Zur-Welt-Seins«
verweist (ebd.: 32). Die leibliche Einheit von Körper, Raum und Zeit ist
demnach nur im prozessual erlebbaren, wechselseitigen Verhältnis mit
Anderen erfahr- und fassbar.
Beim Nähbloggen artikuliert Wünsche ihre Vorstellung vom eigenen
Körper als birnenförmig als ein Ergebnis ihres Kenntniszugewinns. Sie
271
Dagmar Venohr
ist seit 2010 dabei, hat ihre ersten Nähversuche gepostet und war bis 2012
Teilnehmerin des MMM. Da nach Kristensen das Körperschema »eine dia-
lektische Struktur [ist], die einerseits mich in Kontakt mit dem Anderen
setzt, und andererseits, durch eben diesen Kontakt, meine Identität ent-
stehen lässt« (ebd.: 26), ist anzunehmen, dass sie ihr Körperschema u. a.
im bloggenden Austausch über Passformen und Schnittmuster mit den
anderen Nähblogger_innen herausgebildet hat. Insbesondere Kommen-
tare über die »notwendigen Anpassungen« der selbstgenähten Kleidung
im Herstellungsprozess von Elsa und von Frau Waldmeisterin, dass »alles
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an der Passform hängt«, sowie ihre Erkenntnis, dass »man durch diese
›Fehler‹ auch sehr viel darüber lernt, was einem steht« (Wünsche 2012a),
bestärken diese Annahme.
Dieser sogenannte ›Lernprozess‹ findet sowohl beim Fertigen des Klei-
dungsstückes (Prozeduren des Maßnehmens des eigenen Körpers, des
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Vermessens des Stoffes, der Abgleichung dieser Maße mit den Einheits-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
272
Ich bin Andere und Ich ist eine andere! Vestimentäre Selbstverfertigungen im Netz
mich auch nach eineinhalb Jahren immer noch nicht so ganz mit diesem
Kleidungsstück anfreunden. Irgendwie lässt es meinen Oberkörper ›kastig‹
erscheinen. Die wenigen vorhanden Rundungen werden einfach geschluckt«
(ebd.). Obwohl die Nähbloggerin versucht etwas zu sehen, was zu ihr passt,
gelingt es ihr nicht, darin »ein Bild im Sinne einer Gestalt, die der leiblichen
Bewegung Form und Organisation gibt« (Kristensen 2012: 33), zu erkennen.
Das Kleid, das vor der Erkenntnis, eine Birne zu sein, genäht wurde, scheint
sie nun rückblickend auf diesem Weg weitergeführt zu haben. Denn wenn
sie sich ein paar Jahre später fragt: »[W]as ist ein perfektes Kleid? Wer bin
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ich? Wer will ich sein?«, weiß sie sofort, wie sich ihre Körperform in ihrem
Selbstbild widerspiegelt: »Was mir steht, kann ich für mich recht einfach
beantworten. Da ich mich mit […] meiner Körperform auseinandergesetzt
habe, weiß ich schon mal, dass […] ich als Birnen- oder A-Typ meine Schultern
betonen und meine Hüfte eher etwas kaschieren sollte« (Wünsche 2016). An
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dem Kommentar der Bloggerin stoffbüro zeigt sich zudem deutlich, wie der
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Zwischenleiblichkeit – Marinefrack
Beim Nähbloggen erscheint das Körperbild zwischen Bild und Text »als
sichtbarer Leib für die Anderen« (Kristensen 2012: 33). Daher geht es bei
der vestimentären Selbstverfertigung wesentlich auch um das Sichtbare, das zu
Erblickende, den eigenen Blick und den Blick der Anderen auf den eigenen
Körper und die Körper der Anderen. Das Nähblog ist demnach ein Raum,
der immer schon vom Blick der Anderen auf dieses Bild strukturiert wird.
Ebenso wird das Körperschema nach Waldenfels »von vornherein vom An-
deren her gedacht, nicht nur so wie mein Leib sich mir darstellt, sondern
wie die Anderen mich sehen und wie ich mich selber erfahre, dass und wie die
273
Dagmar Venohr
nur sie selbst direkt von einem Porträtfoto entgegen, auch das Logo nimmt
mich frontal ins Visier: die Strichzeichnung einer durch ein Fernglas schau-
enden Figur. Lömker schaut ganz genau hin und reflektiert in ihrem Beitrag
Marinefrack nicht nur den Schaffensprozess, sondern insbesondere die Tatsa-
che, dass ein Sich-Kleiden immer auch ein Beurteilt-Werden einschließt. Der
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sogenannte ›Marinefrack‹ ist ein Upcycling-Projekt, sie hat ihn aus einem
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
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Ich bin Andere und Ich ist eine andere! Vestimentäre Selbstverfertigungen im Netz
Fleischlichkeit – Blau
Das Fleisch, la chair, bei Maurice Merleau-Ponty ist nach wie vor ein großes
Rätsel, das zu vielen Spekulationen eingeladen hat und weiter einlädt (vgl.
Merleau-Ponty 1986: 192f.). Ich beziehe mich hier nun auf Forschungen
von Emmanuel Alloa, der im Fleisch den Versuch Merleau-Pontys sieht,
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schen ihnen« (Alloa 2012: 49f.). Das Fleisch als Textur lässt sich somit
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Dagmar Venohr
Diktatur der Mode, von trendigen Farben und komischen Schnitten. Die
von euch, die selber Nähen, kennen das Gefühl. [...] Vielleicht liegt das auch
etwas am Nachhall vom MeMadeMay, an dem ich teilgenommen habe.
Währenddessen ist mir mal wieder klar geworden, wie viele Kleider ich
habe, die genauso aussehen und sitzen, wie ich das will. Und genau deshalb
ist das Nähen für mich ein feministischer Akt. Weil ich mich dem Druck
der Modeindustrie, irgendeinem Ideal zu folgen, widersetze. Weil ich die
Freiheit nutze, mich so zu kleiden, wie ich es will. Weil ich mich für mich
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deren genauso anders wie sie selbst sein lassen zu können. In diesem Handeln
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differenziert sich Identität heraus, aber nicht als individueller Akt, sondern
kollektiv im Sich-Unterscheiden und Sich-Identifizieren mit Anderen. Und
der Bloggerin ist bewusst, dass sie die Freiheit hat, bestimmte Kleidung für
den individuellen Körper passgenau zu produzieren, und sie nutzt sie für
sich. Das Blau kann deshalb für die Fleischlichkeit als Phänomen der vesti-
mentären Selbstverfertigung metaphorisch verstanden werden: Wie eine Farbe
in seinen sich immer unterscheidenden, immer wieder anders erscheinenden
Nuancen, seiner Assoziationskraft, seinen individuellen und kollektiven
Bedeutungsebenen, die als soziale Erfahrungstextur immer mitschwin-
gen, so wird das Vestimentäre im Sinne einer Textur zu einer grundlegend
differenzierenden wie auch verbindenden Kraft. Feministisch ist daran vor
allem das Nein. Es ist die aktive emanzipatorische Verweigerung, irgend-
einem gesellschaftlichen Ideal, einer normierenden Idee von Weiblichkeit
entsprechen zu müssen, oder wie es Laurie Penny in Fleischmarkt formuliert:
»Wir weigern uns, die ungeheure Menge an Leidenschaft, Kreativität und
Potenzial, über die wir verfügen, in das enge Körpergefängnis zu zwängen,
das uns seit unserer frühen Kindheit erwartet. [...] Nein, wir weigern uns.
Wir werden eure Kleider und Schuhe [...] nicht kaufen« (Penny 2012: 123).
In DIY-Näh-Blogs existiert demnach neben teilweise konsumistischen,
kommodifizierenden oder hedonistischen Zügen auch ein grundlegend
feministisches Selbstverständnis. Und dieses verweist immer auf ein durch
die Kleidung sowohl verbindendes als auch in der Verbindung sich aus-
differenzierendes Ich und die Anderen, auf jenes textuelle, fleischliche
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Ich bin Andere und Ich ist eine andere! Vestimentäre Selbstverfertigungen im Netz
»Im Modehandeln eröffnen sich die Spielräume der Mode durch die ihr
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Abbildung 1
Schlankmacherkleid, Meike Rensch-Bergner in
einem selbstgenähten, niemals selbst so genannten
Schlankmacherkleid
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Ich bin Andere und Ich ist eine andere! Vestimentäre Selbstverfertigungen im Netz
wird« (Rensch-Bergner 2017b). Und dann muss ich mich fragen, was ich
anders machen kann, für mich und mit den Anderen.
Abbildung 2
Ninja-Kleid, Meike Rensch-Bergner und Jana Kunath-
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Dagmar Venohr
Literatur
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
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genau für den Körper, den ich habe. In: crafteln. Nähen macht Spaß.
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
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Wünsche, P.: Immer wieder mittwochs. In: Pedilu bloggt, 12.02.2014.
http://pedilu.blogspot.de/2014/02/immer-wieder-mittwochs.
html#comment-form [16.11.2017]
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Dagmar Venohr
Wünsche, P.: Ein grau melierter Kasten. In: Pedilu bloggt, 17.10.2012a.
http://pedilu.blogspot.de/search?q=grau+melierter+kasten
[16.11.2017]
Wünsche, P.: Fünf Dinge. In: Pedilu bloggt, 28.03.2012b. http://pedilu.
blogspot.de/2012/03/funf-dinge.html [16.11.2017]
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Autorinnen und Autoren
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Ulla Autenrieth, Jg. 1981, Dr.; promovierte im Rahmen des ProDoc In-
termediale Ästhetik. Spiel – Ritual – Performanz sowie im Kontext des
SNF-Projekts Jugendbilder im Netz an der Universität Basel. 2011 war sie
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als Visiting Researcher am Center for New Media Studies der Universität
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Berkeley. Im Anschluss hieran ist sie seit 2012 als wissenschaftliche Assis-
tentin am Seminar für Medienwissenschaft der Universität Basel tätig und
leitete das SNF-Projekt Familienbilder im Social Web (www.netzbilder.net).
Seit Oktober 2017 ist sie mit der operativen Leitung des SNF-Projekts Service
public: Publikumsakzeptanz und Zukunftschancen (Antragsteller: Prof. Dr.
Matthias Künzler) an der HTW Chur betraut (www.zukunftservicepublic.
ch). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen visueller Kom-
munikation in vernetzten Umgebungen, Nutzung von Online-Medien und
Medienkompetenz sowie den Auswirkungen von Mediatisierungsprozes-
sen und Nutzungsveränderungen auf Mediensysteme.
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Autorinnen und Autoren
Florian Diener, Jg. 1986, M.A.; Studium der Theater- und Medienwissen-
schaften, Wirtschaftswissenschaften und Psychologie an der Friedrich-Alex-
ander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und an der Universität Utrecht.
Seit 2014 Doktorand am Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft von
Prof. Dr. Christina Holtz-Bacha. Seit 2016 Lehrbeauftragter an den Lehr-
stühlen Kommunikationswissenschaft und Unternehmensführung der FAU,
seit 2018 wiss. Mitarbeiter an der Hochschule Ansbach. Dissertation mit
dem Arbeitstitel »Stereotype Darstellungen von Alter(n) und Geschlecht in
Werbeanzeigen der 1990er- und 2010er-Jahre«. Forschungsschwerpunkte:
Visuelle Kommunikationswissenschaft, Stereotypenforschung, Intersek-
tionalität, Gender Media Studies.
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Gerit Götzenbrucker, Prof. Dr.; assoziierte Professorin am Institut für
Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien, ha-
bilitierte 2006 mit dem Werk Soziale Netzwerke in Unternehmen. Forschungs-
schwerpunkte: Medieninnovationen & Technikfolgen; Medienkulturen
& digitale Spieleforschung sowie visuelle Kommunikationsformen. Mit-
glied der Doktoratsstudienprogrammleitung der Universität Wien. Das
WWTF Forschungsprojekt ›Serious Beats‹ beschäftigte sich mit den In-
tegrationspotenzialen digitaler Spiele für Jugendliche ImmigrantInnen
in Wien mithilfe des positive impact games »YourTurn!«. Ein ›Sparkling
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Elke Grittmann, Prof. Dr.; Professorin für Medien und Gesellschaft, In-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Melanie Haller, Jg. 1971, Dr.; Studium der Soziologie, Philosophie und
Literaturwissenschaft in Hamburg. 2012 Promotion mit einer Arbeit über
Intersubjektivität im Tango Argentino. 2004-2015 wissenschaftliche Mit-
arbeiterin (Prä- und Postdoc) am Institut für Bewegungswissenschaft der
Universität Hamburg und zwischen 2015-2017 freie Lehraufträge an der
Universität Hamburg, der Hochschule für angewandte Wissenschaften/
Hamburg und Akademie Mode und Design/Hamburg. Seit 2017 wissen-
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Autorinnen und Autoren
Jakob Hörtnagl, Jg. 1982, M.A.; Studium der Kultur- und Sozialan
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Katharina Lobinger, Jg. 1981, Prof. Dr.; Studium der Publizistik- und
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Margreth Lünenborg, Jg. 1963, Prof. Dr.; seit 2009 Professorin für Kom-
munikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Journalistik an der Freien
Universität Berlin, dort zugleich wissenschaftliche Leiterin des Marghe-
rita-von-Brentano-Zentrums für Geschlechterforschung. Aktuell Leitung
eines Forschungsprojekts zum Reality-TV im SFB 1171 ›Affective Societies‹.
Nach dem Journalistik-Studium an der Universität Dortmund Tätigkeit
als Journalistin und in der politischen Öffentlichkeitsarbeit in Berlin und
Kiel. Promotion an der Freien Universität Berlin 1996, Habilitation 2004
an der TU Dortmund mit einer kulturtheoretischen Arbeit über Journalis-
mus als kultureller Prozess. Anschließend Lehr- und Forschungstätigkeiten
u. a. an den Universitäten Wien, Salzburg, Siegen. Aktuelle Forschungs-
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schwerpunkte in den Bereichen Gender Media Studies, hybride Formate
des Journalismus, Migration und Medien sowie Emotionen und Affekte
in der Medienkommunikation.
Irene Neverla, Jg. 1952, Prof. Dr.; emeritierte Professorin für Journalistik
und Kommunikationswissenschaft. Studium der Kommunikationswissen-
schaft an den Universitäten Wien, Salzburg und München. Promotion über
Arbeitszufriedenheit von Journalisten, Habilitation über Fernsehnutzung
und Zeitgestaltung. 1992-2017 Professorin an der Universität Hamburg;
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Monika Pater, Jg. 1962, Dr.; Studium der Publizistik, Anglistik und Ro-
manistik in Münster, davor Ausbildung zur Verlagsbuchhändlerin; Promo-
tion über die Herausforderungen des Journalismus durch Informations-
flut und Informationskomplexität; Mitarbeiterin im Forschungsprojekt
›Zuhören und Gehörtwerden. Radiogeschichte und Geschlechterordnung
von 1930 bis 1960‹ an der Universität Hannover. Seit 1998 Post-Doc an der
Journalistik und Kommunikationswissenschaft, Universität Hamburg; Ko-
ordination des Erasmus Mundus MA Journalism, Media and Globalisation.
Forschungsschwerpunkte: Mediengeschichte (v. a. deutsche Rundfunkge-
schichte) aus der Perspektive der Gender Media Studies, Medienhandeln/
Kommunikationsrepertoires der Frauen-/Lesbenbewegung.
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Autorinnen und Autoren
Patrick Rössler, Jg. 1964, Prof. Dr.; Studium der Publizistik, Rechts- und
Politikwissenshaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. 1997
Promotion an der Universität Stuttgart-Hohenheim zum Thema ›Agenda-
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Fakultät, von 2011 bis 2014 Vizepräsident für Forschung und wissenschaft-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
Maria Schreiber, Jg. 1983, Dr.; Studium der Publizistik- und Kommuni-
kationswissenschaft und Soziologie in Wien und Berlin. Wissenschaftliche
290
Mitarbeiterin im Projekt ›Iconic Communication‹, danach Lektorin an der
FH Wien der WKW. 2013-2017 DOC-team Stipendiatin der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften im interdisziplinären Projekt ›Bildprak-
tiken‹ an der Universität Wien, Research Fellow am Graduiertenkolleg
›Sichtbarkeit und Sichtbarmachung‹ der Universität Potsdam sowie am
›Digital Ethnography Research Center‹ der RMIT University Melbourne.
2017 Promotion zu Digitalen Bildpraktiken. Derzeit Post-Doc Researcher
im Projekt ›VIS_BIO. Visuelle Biografien in einer vernetzten Lebenswelt‹
am Institut für Soziologie der Universität Wien.
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Miriam Stehling, Jg. 1982, Dr. phil.; Studium der Angewandten Kultur-
wissenschaften mit den Schwerpunkten BWL, Sprache und Kommunika-
tion, Medien und Öffentlichkeitsarbeit. 2014 Promotion mit einer Arbeit
über die Aneignung von Fernsehformaten im transkulturellen Vergleich.
2009-2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikati-
onswissenschaft und Medienkultur der Leuphana Universität Lüneburg.
2013-2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für historische Pu-
blizistik, Kommunikations- und Medienwissenschaft (IPKM) und am Zen
trum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung (ZeMKI)
der Universität Bremen. Seit 2015 Akademische Rätin a. Z. am Institut für
Medienwissenschaft der Eberhard Karls Universität Tübingen. Spreche-
rin der Fachgruppe Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht der Deutschen
Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK).
Forschungsschwerpunkte u. a.: Medien, Protest und Partizipation, Hash-
tag-Aktivismus, Gender Media Studies, Reality-TV.
291
Autorinnen und Autoren
Dagmar Venohr, Jg. 1971, Dr. phil; Studium der Kulturwissenschaften und
Ästhetischen Praxis, Philosophie und Bildende Kunst in Hildesheim und
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292
Visuelle Kommunikation
Iconic Turn.
Die Entwicklung der öffentlichen
visuellen Kommunikation
H
H
HERBERT VON HALEM VERLAG
Schanzenstr. 22 . 51063 Köln
http://www.halem-verlag.de
info@halem-verlag.de
Visuelle Kommunikation
Katharina Lobinger /
Stephanie Geise (Hrsg.)
Visualisierung – Mediatisierung.
Bildliche Kommunikation
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H
H
HERBERT VON HALEM VERLAG
Schanzenstr. 22 . 51063 Köln
http://www.halem-verlag.de
info@halem-verlag.de
Visuelle Kommunikation
Visual Framing.
Perspektiven und
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H
H
HERBERT VON HALEM VERLAG
Schanzenstr. 22 . 51063 Köln
http://www.halem-verlag.de
info@halem-verlag.de
Visuelle Kommunikation
Thomas Petersen /
Clemens Schwender (Hrsg.)
H
H
HERBERT VON HALEM VERLAG
Schanzenstr. 22 . 51063 Köln
http://www.halem-verlag.de
info@halem-verlag.de
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
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