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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Elke Grittmann / Katharina Lobinger / Irene Neverla / Monika Pater (Hrsg.)


Körperbilder – Körperpraktiken.
Visualisierung und Vergeschlechtlichung von Körpern in Medienkulturen
Köln: Halem, 2018

Die Drucklegung dieses Bandes wurde gefördert von Pro Journal e.V.

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© 2018 by Herbert von Halem Verlag, Köln

ISBN (Print): 978-3-86962-175-3


ISBN (PDF): 978-3-86962-206-4

Den Herbert von Halem Verlag erreichen Sie auch im


Internet unter http://www.halem-verlag.de
E-Mail: info@halem-verlag.de

Umschlagfoto: Jake Davies, unsplash

Satz: Herbert von Halem Verlag


Lektorat: Rabea Wolf
Druck: docupoint GmbH, Magdeburg
Gestaltung: Claudia Ott Grafischer Entwurf, Düsseldorf
Copyright Lexicon ©1992 by The Enschedé Font Foundry.
Lexicon® is a Registered Trademark of The Enschedé Font Foundry.
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HERBERT VON HALEM VERLAG


von Körpern in Medienkulturen
Körperbilder –
Irene Neverla / Monika Pater (Hrsg.)

Körperpraktiken
Elke Grittmann / Katharina Lobinger /

Visualisierung und Vergeschlechtlichung


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Elke Grittmann / Katharina Lobinger /


Irene Neverla / Monika Pater 9
Körperbilder – Körperpraktiken.
Visualisierung und Vergeschlechtlichung von Körpern
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in Medienkulturen
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

I. Der Optimierte Körper

Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker 29


Körperbilder – Plattformbilder?
Bildpraktiken und visuelle Kommunikation
auf Social Media

Ulla Autenrieth 51
(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹ –
Die Selbstdisziplinierungsspirale um den ›After-Baby-Body‹
unter den Bedingungen bildzentrierter Kommunikation in
vernetzten Umgebungen

Christian Schwarzenegger / Jakob Hörtnagl /


Lena Erber 76
Straffer Körper, gutes Leben?
Fitnessinhalte auf Instagram zwischen Ideal und Selbst und
deren Aneignung durch junge Frauen
Claudia Töpper / Margreth Lünenborg 95
VERKÖRPERTE AFFEKTE:
Zur Analyse affektiver Dynamiken von Zugehörigkeit
und Exklusion im Reality-TV

II. Repräsentationen und diskursive


Verhandlungen vergeschlechtlichter Körper
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Patrick Rössler 113


»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der
Weimarer Republik
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Catharina Rüss 136


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Coole Posen in schwarzem Leder.


Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur
und Kultur der Weimarer Republik

Florian Diener 158


Maskulinität im Spagat?
Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und
Alter(n) im Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung

Ronja Röckemann 182


Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit –
Derivatisierung in Freierforen

III. Visuelle Körperpolitiken, (Selbst-)


Ermächtigung und Protest

Lina Brink 205


Repräsentationen versammelter weiblicher Körper:
Die Bildberichterstattung über Proteste in Ägypten seit 2011
Miriam Stehling / Cornelia Brantner /
Katharina Lobinger 225
Meme als Diskursintervention:
Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel
von #distractinglysexy

Melanie Haller 245


Plus-Size-Blogs als Diversität von Mode?
Zu Praktiken visueller Repräsentationen von Körpern
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und der Infragestellung weiblicher Normkörper


in der Mode

Dagmar Venohr 261


Ich bin Andere und Ich ist eine andere!
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Vestimentäre Selbstverfertigungen im Netz


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Autorinnen und Autoren 285


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Körperbilder – Körperpraktiken.
Visualisierung und Vergeschlechtlichung von
Körpern in Medienkulturen
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Im April 2018 ging am Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe die
Ausstellung Feministische Avantgarde der 1970er-Jahre aus der Wiener Sammlung
Verbund zu Ende. Die Ausstellung hatte über 400 Werke von Künstler*innen
gezeigt, die sich mit Vorstellungen von ›Weiblichkeit‹ befassen und die vi-
suellen Stereotypen, Rollenzuschreibungen, Normierungen und Zwänge
des ›natürlichen‹ vergeschlechtlichten Körpers problematisierten, aber
auch Brüche und Alternativen künstlerisch entwickelten (Schor 2015).
Ein zentrales Anliegen zahlreicher Künstler*innen der Zeit der zweiten
Frauenbewegung war es gewesen, durch Ironisierungen, Brüche oder
Zerstörungen die jahrhundertelang kulturell geformten und normierten
visuellen Repräsentationen des weiblichen Körpers, die Idealisierungen und
Rollenzuschreibungen zu dekonstruieren und durch die Inszenierung des
eigenen Körpers zu unterlaufen und zu verändern. Während die Ausstel-
lung an die künstlerischen Protagonist*innen einer Bewegung erinnerte,
die für die reflexive Sichtbarmachung der Codes, für (Selbst-)Ermächti-
gung und für die Aneignung des eigenen Körpers im Bild gekämpft hatten,
warb Gruner + Jahr fast zeitgleich für ein neues Sonderheft Gala Beautify
mit dem Hefttitel »Botox, Brust & Cellulite«. In dem »Better-Aging-Ma-
gazin«, so das Label, wurde »Das große ABC der Schönheits-Maßnahmen
von Kopf bis Fuß« vorgestellt, von Augenlidstraffung über Fett absaugen
bis Intim-Chirurgie (o. V. 2018). An wen das Heft adressiert ist, wird durch
das Titelbild deutlich: Es zeigt den Ausschnitt eines nackten, jungen, wei-

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Elke Grittmann / Katharina Lobinger / Irene Neverla / Monika Pater

ßen und schlanken weiblichen Körpers, der in der Modellierung an eine


Skulptur erinnert und damit den Eindruck der Fortdauer eines ewigen
Körperideals erweckt.
An diesen beiden Beispielen wird deutlich, in welchem Maße der Körper
einerseits zum zentralen Gegenstand, zum Ort von Aushandlungen verkör-
perter Subjekte geworden ist, die sich gegen Normierungen und Disziplinie-
rungen wenden. Andererseits ist zu beobachten, auf welche Art und Weise
Gesellschaft sich weiterhin und auch aktuell »in den Körper ›einschreibt‹«
(Gugutzer 2015: 104) und wie »die Konsumsphäre durch die Aufmerksam-
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keit, die sie dem weiblichen Körper zukommen lässt, die Arbeit am Symbo-
lischen« übernimmt (McRobbie 2010: 98). Die visuelle Dimension des Kör-
pers – seine Inszenierung, Darstellung wie auch Wahrnehmung – ist dabei
auch grundlegend für die Konstruktion von Geschlecht, wobei die bildlichen
Symbolisierungen vor allem zweigeschlechtlich stattfinden (Villa 2011: 105).
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In mediatisierten und bildzentrierten Gesellschaften bieten Bilder einen


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

zentralen Ort der Konstruktion von Körpern. Visuelle Repräsenta­tionen


erzeugen Vorbilder und artikulieren Normen, die sich als ›natürlich‹ und
›normal‹ zu legitimieren suchen (vgl. ebd.: 90ff.).
Die Frage nach der Relevanz von ›Körperbildern‹, also visuellen Re-
präsentationen, und nach deren Aus- oder Verhandlungen in Medienan-
geboten für die Herstellung und Erzeugung von Geschlecht, bildet den
Ausgangspunkt für den vorliegenden Sammelband. Die umfassende Me-
diatisierung der Lebenswelten und die Allgegenwart digitaler Medien und
deren zunehmende Visualisierung führen zu einer neuen Welle verstärk-
ter Relevanz und Präsenz des Körpers und der Körperdarstellungen. Sie
bilden im Kreislauf kultureller Bedeutungskonstruktion einen zentralen
Ausgangs- und Bezugspunkt für die Konstitution symbolischer sozialer
Geschlechterordnungen und für die Aneignung und Aushandlung von Ge-
schlechteridentitäten und Körpervorstellungen. Körperrepräsentationen
und Körperpraktiken werden insbesondere in und durch visuelle Reprä-
sentationen (re)produziert, distribuiert, modifiziert und angeeignet. Bilder
zeigen nicht einfach Körper, sondern sind an Erfahrung und Hervorbrin-
gung von Körper beteiligt. Sie finden in unterschiedlichsten Medienan-
geboten und Kontexten ihre Verbreitung, wie z. B. in professionellen und
nicht-professionellen, fiktionalen und non-fiktionalen Medienangeboten,
in TV-, Print-, Online- und sozialen Medien, in Werbung, PR, politischer
Kommunikation, Kampagnen, Protest- und sozialen Bewegungen, aber
auch insbesondere in mediatisierten visuellen Alltagspraktiken.

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Körperbilder – Körperpraktiken.
Visualisierung und Vergeschlechtlichung von Körpern in Medienkulturen

Gesellschaftliche Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, die Aushandlung von


Körperlichkeit, von Körpernormen und -abweichungen, die Disziplinierung
der Körpergestaltung im Zuge der Neoliberalisierung sowie die Überwachung
und Kontrolle des Körpers werden damit zunehmend medial und visuell be-
stimmt. Dabei unterliegen Körperbilder einer Vielzahl von kontextuellen und
regulativen Bedingungen, wie z. B. den Transformationen visueller Medien-
technologien, politischen Regulierungen, sozialen und kulturellen Normen.
Diese ermöglichen und prägen, begrenzen und verhindern aber auch die
Produktion, Distribution, Aneignung und Aushandlung von Körperbildern.
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Mit dem Titel dieses Bandes wollen wir diese Verwobenheit von Körper-
bildern, visuellen Repräsentationen und Bilddiskursen mit Körperpraktiken
betonen. Ein Anliegen und Ziel des Bandes ist es auch, die verschiedenen
theoretischen Konzeptionen, die sich mit Körperbildern auf der einen und
Körperpraktiken auf der anderen Seite verbinden, in Zusammenhang zu
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bringen. Damit wollen wir sowohl den sozialen wie kulturellen Veränderun-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

gen, wie sie skizziert wurden, als auch aktuellen theoretischen Entwicklun-
gen Rechnung tragen, die auch in den Beiträgen produktiv genutzt werden.
Der Körper hat in der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechter-
forschung als auch in der Visuellen Kommunikationsforschung schon seit
längerem Konjunktur. Insbesondere in Bezugnahme auf die Cultural Stu-
dies bilden der Körper und Körper-Identitäten wichtige Ausgangspunkte
für Analysen zur gesellschaftlichen Rolle der Medien und ihrer Wirkmacht
(Hipfl 2004). Seit Anfang der 1970er-Jahre hat sich eine Soziologie des
Körpers entwickelt, die die Verwobenheit des Körpers als ›Körperhaben‹
und ›Körpersein‹ mit sozialen Strukturen und sozialen wie symbolischen
kulturellen Ordnungen theoretisch wie empirisch reflektiert (vgl. zum
Überblick Gugutzer 2015; Villa 2011). Gemeinsam ist den unterschied-
lichen aktuellen Theorien ein Verständnis, das von der sozialen wie kul-
turellen Konstruktion des Körpers ausgeht, wie es auch für die Beiträge
dieses Bandes grundlegend ist. Zu der wissenschaftlichen Auseinanderset-
zung mit dem Körper als Konstruktion in der sozialen, kulturellen und
historischen Bedingtheit haben entscheidend die feministischen Theorien
und eine kritische Geschlechterforschung beigetragen (Villa 2017: 205).
Judith Butlers poststrukturalistische Diskurs- und Performativitätsthe-
orie zur Vergeschlechtlichung des Körpers (Butler 1991, 1997) hat in den
vergangenen Jahren die Auseinandersetzung um die soziale, kulturelle
und historisch bedingte diskursive Hervorbringung vergeschlechtlichter
Körper geprägt und wurde für die Analyse und das Verständnis von visu-

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Elke Grittmann / Katharina Lobinger / Irene Neverla / Monika Pater

ellen Körperrepräsentationen und deren Anerkennung genutzt (vgl. z. B.


Grittmann 2012; Grittmann/Maier 2016).
Die Arbeiten von Michel Foucault (z. B. 1976) zum Körper im Span-
nungsverhältnis von Wissen und (produktiver) Macht bilden einen weite-
ren wichtigen Referenzrahmen für Fragen der Körperdisziplinierung und
Körperoptimierungstechniken, jenen ›Techniken des Selbst‹ neoliberaler
Subjekte, die insbesondere in Castingshows wie Germany’s Next Top Model
oder Makeover-Formaten wie The Swan vorgeführt und erlebbar gemacht
werden (vgl. Thomas 2008; Stehling 2015; Villa 2008b). Diese (audio)vi-
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suell gezeigten Körper sind nicht nur vergeschlechtlicht, auch Ethnizität,


Alter und Klasse werden durch die Körper relevant. Die Bedeutung des
Körpers im Spannungsverhältnis sozialer Strukturen, insbesondere von
sozialer Klasse, hat auch der Soziologe Pierre Bourdieu in seiner theore-
tischen Konzeption von Habitus und Kapital hervorgehoben. Der Körper
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ist nicht nur »spätestens von seiner Geburt an klassenspezifisch geformt«


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

(Gugutzer 2015: 73, Herv. i. O.), er eignet sich als Kapital, das eingesetzt
wird, um materiellen wie immateriellen Erfolg und Anerkennung zu finden.
Der Einsatz ästhetisierter Körper wird wiederum zum Ausgangspunkt von
Erfolgs- und Konkurrenznarrativen medialer Angebote (Goldmann 2018).
Mit der Entwicklung und Verbreitung visueller Kommunikationstech-
nologien und ihrer Integration in ›Soziale Medien‹, Plattformen, Dienste
und Apps, die die schnelle Herstellung und Verbreitung von Bildern ermög-
lichen, haben Alltagspraktiken der Bildproduktion und -distribution und
insbesondere damit verbundene Körperrepräsentationen und -praktiken
an Bedeutung gewonnen (vgl. u. a. Lobinger 2016; Lobinger/Geise 2015;
Autenrieth 2016; Rettberg 2014). Die vielfältigen medialen Praktiken im
Wechselverhältnis von Produktion und Wahrnehmung visueller Körper-
bilder in den sogenannten ›Social Media‹ haben zu einer neuen Belebung
handlungsorientierter, mikrosoziologischer und praxeologischer Arbeiten
geführt, die insbesondere auf Erving Goffmans Interaktionstheorie rekur-
rieren, wie er sie bereits 1959 in Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung
im Alltag entwickelt hat (Neumann-Braun/Autenrieth 2011).
Maier und Thiele (2016) weisen explizit auf die Notwendigkeit hin, so-
zial- und kulturwissenschaftliche Herangehensweisen bei der visuellen
Analyse von Geschlechterbildern zu kombinieren, um der Komplexität
dieses ›Forschungsobjekts‹ gerecht zu werden. Zudem sehen die beiden
Forscherinnen noch Herausforderungen bei der Theoriebildung. Diese
besteht vor allem in der notwendigen

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Körperbilder – Körperpraktiken.
Visualisierung und Vergeschlechtlichung von Körpern in Medienkulturen

»stärkeren Berücksichtigung der Bildlichkeit und der Medialität bei der He-
rausbildung und der Konstituierung von Geschlechterbildern, von Seh- und
Sichtbarkeitsverhältnissen, von heteronormativen Geschlechterordnungen
und visuellen Stereotypen ebenso wie bei der Dekonstruktion von essenzia-
listischen Dualismen, Universalismen und Identitätspolitiken« (ebd.: 14).
Der enormen Bedeutung, die Medien in der Visualisierung und Ver-
geschlechtlichung von Körpern zukommt, widmet sich dieser Band. Da-
bei werfen die oben skizzierten Entwicklungen vielfältige Fragen auf:
Welche Bilder vergeschlechtlichter Körper werden in den und durch die
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unterschiedlichen Medien sichtbar gemacht? Welchen Normen und re-


gulativen Bedingungen unterliegen die Körperrepräsentationen, Affekte
und visuellen Praktiken? Wie verschränkt sich die visuelle Erzeugung von
vergeschlechtlichten Körpern und ihre Aneignung mit weiteren Dimensi-
onen sozialer Ungleichheit, durch die Intersektionalitätsforschung, durch
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das Konzept der Cultural Citizenship sowie durch Queer,- Disability- und
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Postcolonial Studies? Welche Körper(bilder) werden durch die Medien an-


erkannt, welche verworfen? Wo gibt es subversive Komponenten, die quer
oder konfrontativ zu hegemonialen Strukturen liegen? Welche Funktion
kommt medialen und mediatisierten Bildern im Kontext der Körperopti-
mierung und Disziplinierung der Subjekte zu? Welche Effekte haben diese
Bilder? Wie werden sie rezipiert und angeeignet?
Diese Konjunktur des Körpers in visuellen und medialen Kontexten
war Ausgangspunkt für die gemeinsame Jahrestagung der Fachgruppen
Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht und Visuelle Kommunikation der
Deutschen Gesellschaft für Publizistik (DGPuK), die auf Einladung von
Irene Neverla und Mitarbeiterinnen vom 26. bis 28. September 2016 an
der Universität Hamburg stattfand. Unter dem Titel Körperbilder – Körper-
praktiken. Visuelle Repräsentationen, Regulationen und Aneignungen vergeschlecht-
lichter Körper und Identitäten in Medienkulturen wurden Fragen zur Visualisie-
rung und Vergeschlechtlichung des Körpers aus historischer und aktueller
Perspektive diskutiert. Ziel der Tagung war es, vielfältige fachspezifische
theoretische Perspektiven (z. B. Poststrukturalistische Körper-Diskurse;
praxeologische Ansätze, Normativität und Visualität; visuelle Stereotype/
Frames) zusammenzubringen, aber insbesondere auch Impulse zur inter-
disziplinären Weiterentwicklung von theoretischen Ansätzen zu geben.
Diese Schnittstellen wurden nicht nur in inhaltlich-theoretischer Hinsicht
thematisiert; es wurde explizit auch ein method(olog)ischer Austausch an-
geregt. Aus diesen Beiträgen und Diskussionen ist der vorliegende Band

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Elke Grittmann / Katharina Lobinger / Irene Neverla / Monika Pater

entstanden. Mit der Verschränkung theoretischer und methodischer An-


sätze aus verschiedenen disziplinären Feldern, der Kommunikations- und
Medienwissenschaft, der Soziologie und Kulturwissenschaft, trägt der Band
zur Erforschung der Zusammenhänge von mediatisierten Körperbildern
und Körperpraktiken bei.
Dazu legt der Band drei Schwerpunkte: Die Beiträge des ersten Ab-
schnitts Der optimierte Körper nehmen Fragen nach sozialer Regulierung
und Disziplinierung des Körpers in den Blick. Die Beiträge des zweiten
Abschnitts Repräsentationen und diskursive Verhandlungen vergeschlechtlichter
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Körper setzen sich mit der Konstruktion von legitimen Körpern in einer
Gesellschaft auseinander und zeigen auf, wie visuelle Kommunikation an
symbolischen Grenzsetzungen beteiligt ist, welche ein ›innerhalb‹ oder
›außerhalb‹ erzeugen. Der dritte Abschnitt Visuelle Körperpolitiken, (Selbst-)
Ermächtigung und Protest setzt sich mit dem Einsatz von Körperlichkeit und
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dessen Wechselverhältnis mit medialen Diskursen und den dort dominie-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

renden visuellen Repräsentationen auseinander. Dabei werden sowohl


(massen)mediale Repräsentationen als auch die Körperbilder in (Visual)
Social Media in den Blick genommen.

1. Der optimierte Körper. Ästhetisierung, Schön-


heitshandeln und Disziplinierung durch Bilder
in der Medien- und Online-Kommunikation

Die visuelle Repräsentation von Körpern ist stets verbunden mit sozialen
Regulierungen des Körpers durch deren mediale Repräsentation. Dabei
lässt sich ein gesellschaftlicher Wandel der Körperpraktiken beobachten
von einer »Arbeit mit dem Körper« zu einer »Arbeit am Körper« (Thomas/
Maier 2015: 286, Herv. i. O.). Die Optimierung des Körpers ist zu einer der
zentralen Anforderungen an das neoliberale Subjekt geworden (Bröck-
ling 2007; Duttweiler 2016). Die permanente Kategorisierung, Über-
prüfung und Kontrolle des Körpers stellt, im Anschluss an Foucault (1976,
vgl. hierzu Gugutzer 2015: 63 - 84) eine Form von Selbstdisziplinierung
dar. Medien wirken entscheidend an der Disziplinierung mit, an der De-
finition dessen, was als normal und abweichend, männlich und weiblich,
als gesund, schön und begehrenswert gilt, um nur einige Kategorien zu
nennen. Bilder spielen im Rahmen der Körperdisziplinierung und -optimie-
rung eine zentrale Rolle, denn Körper(-Bilder) sind zugleich Produzenten

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Körperbilder – Körperpraktiken.
Visualisierung und Vergeschlechtlichung von Körpern in Medienkulturen

und Effekte sozialer Praxen. Dabei gilt es, auch die affektive Dimension
des Körperlichen zu berücksichtigen, der sich seit geraumer Zeit die affect
studies zuwenden (Gregg/Seigworth 2010).
Mediale Körperbilder werden nicht nur in professionellen Medienkon-
texten (wie z. B. Werbung, Journalismus, Formate des Reality-TV) produziert.
Visuelle Selbstdarstellungen insbesondere in der digitalen Alltagskom-
munikation stellen Bilder von Körper und von Begehren her (z. B. durch
Selfies auf Instagram und Snapchat, siehe aber auch das Beispiel ›Sexting‹).
In diesen visuellen Körperrepräsentationen finden sich u. a. Verfestigun-
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gen von hetero-normativer Zweigeschlechtlichkeit aber auch Reflexionen


des eigenen Körpers und ermächtigende kommunikative Praktiken. Wäh-
rend sich einerseits gesellschaftliche Geschlechterhierarchien im Zuge des
Postfeminismus verändert zu haben scheinen und Medien eine Semantik
der neuen Freiheit, der Selbstbestimmung, des Vergnügens und der Wahl
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verbreiten (Elias/Gill 2018), betreibt nicht nur die Werbung der Schön-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

heits- und Modeindustrie die Normierung und Disziplinierung des Körpers


als Ort einer permanent zu leistenden Arbeit am ästhetisch schönen und
perfekten Selbst (Knop/Petsch 2010). Das »Makeover-Paradigma« (Elias/
Gill 2018), das sich insbesondere in den Manipulationen des Körpers durch
plastische Chirurgie beobachten lässt (vgl. Villa 2008a), bestimmt auch
die Körper- und Bildpraktiken in der digitalen Alltagskommunikation.
Somit werden vergeschlechtlichte Körperbilder zunehmend durch User
Generated und User Distributed Content konstruiert und konstituiert.
Dieses Schönheitshandeln ist nicht privat, sondern dient auch sozialer An-
erkennung (Degele 2017: 117, 2004). Dies macht kommunikative Praktiken
wie z. B. Fat Shaming, Beauty Inhalte auf Youtube, ›Fitstagrammies‹, die
auf Instagram visuell einen ›gesunden und fitten Lifestyle‹ promoten, und
andere körperbezogene soziale Praktiken auf sozialen Netzwerkseiten zu
relevanten und aktuellen Forschungsgegenständen.
Der erste Teil des Bandes präsentiert theoretische und empirische Bei-
träge zu visuellen Repräsentationen von Körpern und Körperpraktiken in
Social-Media-Kontexten und in Reality-TV-Formaten.
Maria Schreiber und Gerit Götzenbrucker gehen in ihrem Beitrag
über Körperbilder – Plattformbilder? Bildpraktiken und visuelle Kommunikation
auf Social Media der Frage nach, welche Implikationen die Spezifika, Af-
fordanzen und Einschränkungen verschiedener Plattformen und Kommu-
nikations-Apps für das Anfertigen und Teilen von Körperbildern haben.
Die Autorinnen untersuchen dabei sowohl die Körperrepräsentationen

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Elke Grittmann / Katharina Lobinger / Irene Neverla / Monika Pater

als auch Körperpraktiken. Es werden also nicht nur die materiellen bild-
lichen Komponenten in den Blick genommen, sondern auch hinterfragt,
wie diese – plattformspezifisch – zur Wahrnehmung, Reflexion und Kon-
trolle des eigenen Körpers eingesetzt werden. Die empirische Befragung
illustriert zunächst, dass das Zeigen von Körpern, die ästhetischen Kompo-
nenten dieser Sichtbarmachung und die dahinterliegenden Entscheidun-
gen stark durch die medialen Bedingungen der zur Verfügung stehenden
Kommunikationskanäle mitbestimmt werden. Die Autorinnen arbeiten
zudem drei Typen von Körperbildern heraus, die mit je unterschiedlichen
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kommunikativen Funktionen verknüpft sind: konnektive Körperbilder,


(re)präsentierende Körperbilder und forensisch-explorative Körperbil-
der. Der Beitrag hebt hervor, welch zentrale Bedeutung der Software, die
im Alltag meist selbstverständlich und habitualisiert genutzt wird, dabei
zukommt. Damit kann der Beitrag auch als Plädoyer für eine verstärkte
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Berücksichtigung der medialen Rahmen alltäglicher visueller Praktiken


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

des Zeigens, Repräsentierens und Vernetzens gelesen werden.


Ulla Autenrieth behandelt in ihrer Analyse (Vor-)Bilder: Von Gisele Bünd-
chen zur ›Average Mom‹ – Die Selbstdisziplinierungsspirale um den ›After-Baby-Body‹
unter den Bedingungen bildzentrierter Kommunikation in vernetzten Umgebungen.
Der Beitrag befasst sich mit medial hergestellten und verbreiteten Körperbil-
dern und Körperarbeit nach und während der Schwangerschaft. Er zeigt, wie
in den (privaten) visuellen Praktiken auf Social-Media-Plattformen und in den
damit verbundenen medialen Anschlusskommunikationen junge Mütter the-
matisiert und wie ihre Körper als durch Arbeit und Selbstdisziplin gestaltbare
und bearbeitbare Objekte dargestellt werden. Autenrieths online-ethnografi-
sche Untersuchungen von visuellen Artefakten in Face­book-Gruppen und auf
Instagram belegen, dass sich die Mütter während bzw. nach der Schwanger-
schaft einem stärkeren Druck der körperlichen Selbstoptimierung ausgesetzt
sehen. Immer wieder angestoßen von den ›Celebrity-Moms‹ der Populärkul-
tur, und weiter getragen von ›Influencern‹, die sich auf die Körperarbeit von
Müttern – und zunehmend auch Schwangeren – spezialisiert haben, gilt die
Selbstdisziplinierung bei jungen und werdenden Müttern zunehmend als
normal und als normatives Leitbild. Damit wird auch die Schwangerschaft
und die Phase nach der Geburt den Leistungserfordernissen der Gesellschaft
unterworfen, eröffnet aber auch Möglichkeiten der Selbstermächtigung, den
weiblichen Körper während und nach der Schwangerschaft als Kapital der
Lebensgestaltung zu funktionalisieren. Fotografie bzw. Amateur-Fotografie
ist hierbei zentrales Kommunikationsmittel.

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Körperbilder – Körperpraktiken.
Visualisierung und Vergeschlechtlichung von Körpern in Medienkulturen

Der Beitrag Straffer Körper, gutes Leben? Fitnessinhalte auf Instagram zwi-
schen Ideal und Selbst und deren Aneignung durch junge Frauen von Christian
Schwarzenegger, Jakob Hörtnagl und Lena Erber setzt sich mit der
Nutzung und Aneignung von Fitness-Inhalten auf Instagram auseinander.
Die Studie basiert auf theoretischen Grundlagen zu neoliberalen Forde-
rungen nach Selbstoptimierung und -disziplinierung und interessiert
sich dafür, wie Normen, Anforderungen und gesellschaftliche Orientie-
rungsmuster hinsichtlich anstrebenswerter Körperbilder über visuelle
Social Media vermittelt und angeeignet werden. Empirisch kombiniert
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der Beitrag eine Inhaltsanalyse populärer Fitness-Accounts auf Instagram


mit qualitativen Interviews der Nutzerinnen dieser Seiten. Die Analyse
arbeitet heraus, dass die auf den Fitness-Seiten vermittelten Körperbil-
der weniger dazu beitragen, die Vielfalt von Körperbildern zu kommu-
nizieren; vielmehr bestärken sie auf Seiten ihrer Rezipientinnen einen
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gewissen Standardisierungs- und Normierungsdruck hinsichtlich kör-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

perbezogener Einstellungen, und zwar auch dann, wenn die visuellen


Darstellungstechniken auf Instagram rational als unrealistisch und un-
authentisch entlarvt werden.
Mit der Frage der Regulierung und Herstellung von Zugehörigkeit
von Körpern durch Emotionen und Affekte befassen sich Claudia Töp-
per und Margreth Lünenborg in ihrem Beitrag Verkörperte Affekte. Zur
Analyse affektiver Dynamiken von Zugehörigkeit und Exklusion im Reality-TV. Sie
zeigen zunächst auf, wie affekttheoretische Konzepte für die Analyse audio­
visueller Medienprodukte genutzt werden können, um die Erzeugung
von Zugehörigkeit zu verstehen. Im Anschluss an die affect studies werden
Affekte und insbesondere das Gefühl der Zugehörigkeit als ein relational-
prozessorientiertes Geschehen verstanden, wobei Affekte in der Interaktion
erzeugt werden. Am Beispiel des Reality-TV-Formats Germany’s Next Top
Model wird gezeigt, welches Potenzial solche Formate für die Affizierung
des Publikums und damit auch die Erzeugung fühlender Subjekte in spe-
zifischen Machtkonstellationen haben. Der Beitrag präsentiert analytische
Dimensionen, um diese Adressierung und Herstellung von Zugehörigkeit
auf der affektiven Ebene erfassen zu können. Dabei zielt die Analyse insbe-
sondere darauf, wie Zugehörigkeit der gezeigten Körper durch die affektive
Dynamik in der Narration ermöglicht oder verweigert wird und wie diese
affektive Dynamik gleichzeitig das Begehren des Publikums adressiert. Zu-
gehörigkeit wird somit unmittelbar körperlich erzeugt und beruht nicht
nur auf argumentativ-diskursiven Zuschreibungen.

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Elke Grittmann / Katharina Lobinger / Irene Neverla / Monika Pater

2. Repräsentationen und diskursive Verhandlungen


vergeschlechtlichter Körper

Die visuelle Konstruktion von Körpern ist oft verbunden mit der Vorstel-
lung, dass Sichtbarkeit Teil eines emanzipatorischen Prozesses sei, Vor-
aussetzung und eng verbunden mit der Teilhabe an Öffentlichkeit (vgl.
Schaffer 2008). Die symbolische Nihilierung von Frauen (und anderen
sozialen Gruppen) im öffentlichen, medialen, vor allem journalistisch-
tagesaktuellen Raum (Tuchman 1978) wurde und wird von der Frauenbe-
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wegung und anderen sozialen Bewegungen massiv kritisiert, gelingt doch


Vergemeinschaftung und gewinnt Anerkennung erst, wer den Subjektsta-
tus durch Sichtbarkeit erreicht hat. Doch auch Sichtbarkeit ist ein prekäres
Ideal, geprägt durch gesellschaftliche Hegemonialkräfte. Sichtbarkeit be-
deutet auch stets ›sichtbar werden als‹ und dieser Prozess unterliegt, wie
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sich in Anschluss an Butler formulieren lässt »Normen der Anerkennbar-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

keit« (Butler 2010: 14), wie sie gerade in Bildern materialisiert werden
(Grittmann/Maier 2016).
Visuelle Repräsentationen von ›legitimen‹ (oder nicht ›legitimen‹)
Körpern in einer Gesellschaft sind somit an symbolischen Grenzsetzun-
gen beteiligt, die den Status der Subjekte und Objekte als ›innerhalb‹ oder
›außerhalb‹ der Gesellschaft erzeugen und indizieren. Über legitime und
illegitime Körper wird Körpernormativität hergestellt, es werden Macht-
verhältnisse reproduziert und in medialen Körperrepräsentationen oder
Körperpraktiken zeigen sich diskursive Materialisierungen, die zu einer
Hierarchisierung von (vergeschlechtlichten) Körpern führen.
Diese Ambivalenz von Sichtbarkeit, deren Changieren zwischen emanzi-
patorischer Befreiung und dem Verbleib in herkömmlichen, in diesem Fall
patriarchalisch-hegemonialen Kategorien wird deutlich in der fotohisto-
rischen Betrachtung der Pressefotografie der 1920er-Jahre in Deutschland.
Mit dieser Thematik befasst sich Patrick Rössler in seinem Beitrag »Das
Recht auf den eigenen Körper«? Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse
der Weimarer Republik. Rössler analysiert eine Bandbreite von Periodika, die
in der Weimarer Republik im Handel frei verfügbar waren, und in denen
weibliche Aktdarstellungen einen beachtlichen Platz einnahmen. Inmitten
widersprüchlicher wirtschaftlicher und politischer Entwicklungen, Ideolo-
gien und Lebensstile kristallisierte sich in den Magazinen damals ein Bild
der ›Neuen Frau‹ in verschiedenen Ausprägungen, und durchaus heterogen
heraus. Prototypisch erschienen die Aktdarstellungen von Frauen etwa als

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Körperbilder – Körperpraktiken.
Visualisierung und Vergeschlechtlichung von Körpern in Medienkulturen

naturnahe Körper der Freikörperkultur und im Zusammenhang mit der Le-


bensreform- oder mit der Sexualhygienebewegung; sie erschienen als Aus-
weis von Berufstätigkeit, Eigenständigkeit und Liberalität in der Darstellung
von Revue-Tänzerinnen und Akt-Modellen; oder im Typus der Diva, die im
Gestus der Emanzipation und eines ›weiblichen‹ Begehrens, verrucht und
luxuriös inszeniert wird. Die Gemeinsamkeit dieser weiblichen Körperbilder
bestand darin, dass sie als Formen neuer Freiheiten erschienen. Tatsächlich
stellten sie einen Bruch mit bis dato geltenden Normen und Tabus dar – und
dennoch fehlte die Kontextualisierung zur erstarkenden Emanzipations-
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bewegung und damit ihr Ausbruch aus dem Objektstatus. Der weibliche
Körper diente als Oberflächenreiz, eine Emanzipation als Subjekt mit auch
politischer Einbindung in die Alltagsrealität fand nicht statt.
Um ein spezifisches Kleidungsstück, die schwarze Lederjacke, genauer
um die vielen, auch vergeschlechtlichten Bedeutungszuweisungen, die
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mit diesem Kleidungsstück verbunden sind, geht es in dem Beitrag von


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Catharina Rüss, Coole Posen im schwarzem Leder. Visualisierungsstrategien von


Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik. Rüß diskutiert Coolness
als eine zentrale Kategorie im 20. Jahrhundert, die performativ verkörpert
wird im Umgang mit Mode und Accessoires. Anhand von Literaturtexten
aus den 1920er-Jahren wird beispielhaft gezeigt, welches Geflecht von Be-
deutungszuweisungen und Konnotationen das Kleidungsstück ›schwarze
Lederjacke‹ umgeben. Diese wird dadurch als männlich codiert, was be-
reits zeitgenössisch unterlaufen wird durch die performative Aneignung
dieses Kleidungsstücks durch Frauen. So wird die Aufmerksamkeit darauf
gerichtet, dass Körperbilder textueller und visueller Art mehrheitlich Bil-
der bekleideter Körper sind. Rüß identifiziert wiederkehrende Praktiken
der Bezeichnung, Beschreibung und Kategorisierung und kann so die
Konstruktion geschlechtlicher Identitäten in ihrer Verwobenheit mit dem
Konzept Coolness aufzeigen.
Florian Diener untersucht im Beitrag Maskulinität im Spagat? Reprä-
sentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im Spannungsfeld der
Bier- und Kosmetikwerbung die stereotypen visuellen Repräsentationen von
Maskulinität in Werbeanzeigen. Als Untersuchungsmaterial wählt der
Autor zwei sehr unterschiedliche Produktsparten: Er kontrastiert die
Männerbilder der Kosmetikbranche mit jenen der Bierbranche. Der Autor
zielt im theoretischen Rekurs auf Connell darauf ab, eine große Band-
breite an Repräsentationen von Männlichkeit herauszuarbeiten und
diskutiert diese im Zusammenhang mit stereotypen Repräsentations-

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Elke Grittmann / Katharina Lobinger / Irene Neverla / Monika Pater

weisen von Weiblichkeit, die, wie sich zeigt, den verwendeten Männer-
bildern als Kontrast- bzw. Abgrenzungsfolie dienen. In der qualitativen
Bildanalyse werden im Sinne intersektionaler Ansätze, insbesondere die
Bezüge zwischen Alter(n) und Maskulinität exploriert und diskutiert.
Die Ergebnisse zeigen dabei auf, dass den männlichen Körpern größerer
Spielraum in Bezug auf Alter und Altern zugesprochen wird als weibli-
chen Körperbildern, welche stärker mit Jugendlichkeit verknüpft sind.
Das Alter selbst wird, wie Diener argumentiert, mitunter selbst zum
integralen Bestandteil von (männlicher) Schönheit. Zudem lassen die
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Ergebnisse vorsichtig auf eine Diversifizierung im Repertoire repräsen-


tierter (männlicher) Körper schließen, wodurch in Erinnerung gerufen
wird, dass selbst relativ beharrliche Stereotype kontinuierlichen, wenn
auch langsamen Veränderungsprozessen unterworfen sind.
Der Aushandlung der Grenzen von Sag- wie Sichtbarkeit widmet sich auch
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der letzte Beitrag in diesem Abschnitt, jedoch aus anderer Perspektive. In


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

den vergangenen Jahren sind Freier im Diskurs über Prostitution/Sexarbeit


verstärkt in den Vordergrund gerückt. Der Umgang von Freiern mit Pros-
tituierten/Sexarbeiterinnen ist auch eng verschränkt mit den diskursiven
Aushandlungen darüber. Auf welche Art und Weise Frauen, die in der Pro-
stitution/Sexarbeit tätig sind, in ›Freierforen‹ Subjektstatus zugeschrieben
wird oder objektifiziert werden, untersucht Ronja Röckemann in ihrem
Beitrag über die Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in
Freierforen. Der Beitrag konzentriert sich auf die Bewertungen und visuellen
Repräsentationen von Personen und ihren Körpern. In Rekurs auf Konzepte
der ›Objektifizierung‹ und ›Derivatisierung‹ entwickelt die Verfasserin ein
Vier-Ebenen-Modell, auf dessen Grundlage sie die Bezeichnungen, Beschrei-
bungen und visuellen Repräsentationen in den Kommentierungen der Freier
in unterschiedlichen Foren systematisch analysieren kann. Anhand der Un-
tersuchung der Threads werden die unterschiedlichen Deutungen und die
damit verbundenen Legitimationsstrategien herausgearbeitet, wie die Be-
schriebenen und Gezeigten Achtung und Missachtung erfahren.

3. Visuelle Körperpolitiken, (Selbst-)Ermächtigung


und Protest

Visuelle Körperrepräsentationen und (Bild-)Diskurse gehören auch zu den


Protestrepertoires von Aktivist*innen. Besonders der Einsatz von Körper-

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Körperbilder – Körperpraktiken.
Visualisierung und Vergeschlechtlichung von Körpern in Medienkulturen

lichkeit im Zuge des Protests und das Wechselverhältnis mit medialen


Diskursen tragen zur bildlich-diskursiven Herstellung der Sichtbarkeit
und Sagbarkeit von (feministischem) Protest bei.
Spannende Fragen wirft hier u. a. die als ›Bodypolitics‹ beschriebene
Politisierung des (weiblichen) Körpers als Mittel des Protests auf. So haben
in den vergangenen Jahren etwa die Protestgruppe FEMEN, die mit nack-
tem Oberkörper demonstrierten, sowie sogenannte ›Slutwalks‹, in denen
das normierte Weiblichkeitsbild der ›Slut‹/Schlampe infrage gestellt wird,
ihren Protest visuell artikuliert. Diese körperbezogenen Aktionsformen
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zeigen, wie stark »Weiblichkeit gesellschaftlich nach wie vor durch Körper-
lichkeit bestimmt und aufgeladen ist« (Schmincke 2017: 250). Während die
Herstellung von Öffentlichkeit und die Generierung einer (ambivalenten)
Sichtbarkeit durch spektakulären körperlichen Protest bereits Gegenstand
wissenschaftlicher Aufmerksamkeit geworden ist (vgl. z. B. Thomas 2017;
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Thomas/Stehling 2016; Govrin 2013), spielt die Körperlichkeit von Protest


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

nicht nur in der Bewegungsforschung und Körpersoziologie eine bislang


unterschätzte Rolle (vgl. Pabst 2016; Schmincke 2017). Und auch in der
Kommunikationswissenschaft wird die mediale Repräsentation von Kör-
pern, die als Mittel des Protests vor Ort eingesetzt werden, bislang wenig
diskutiert bzw. werden die visuellen Ausdrucksformen und Körperprak-
tiken vielfach nicht adäquat adressiert.
Der Frage, wie Protestartikulationen von Massenmedien aufgegriffen
und gerahmt werden, wendet sich Lina Brink in ihrem Beitrag Repräsen-
tationen versammelter weiblicher Körper: Die Bildberichterstattung über Proteste in
Ägypten seit 2011 zu. Insbesondere fragt Brink nach den Möglichkeiten einer
anerkennenden Sichtbarkeit protestierender ägyptischer Frauen in der
deutschen Bildberichterstattung. Dazu nimmt sie eine Bildtypenanalyse
vor und diskutiert ihre Ergebnisse im Kontext der Vergeschlechtlichung
von Orient/Okzident-Konstruktionen aus einer feministischen, an Butlers
Überlegungen zu Sichtbarkeit und Anerkennung anknüpfenden Perspek-
tive. Sie identifiziert Momente anerkennender Sichtbarkeit im Rahmen
der Bildberichterstattung über Proteste in Ägypten, die somit nicht den
tradierten orientalisierenden Formen des Zu-Sehen-Gebens von Frauen
aus dieser Region folgt. Allerdings kann sie ebenfalls zeigen, dass diese
Anerkennung vor allem im Rahmen einer Anpassung weiblicher Körper
an okzidentale Normen erfolgt, wodurch diese reproduziert werden. Ok-
zidentale Normen schränken zudem die Sichtbarkeit der vielfältigen For-
men des Protesthandelns ägyptischer Frauen und ihrer Forderungen ein.

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Elke Grittmann / Katharina Lobinger / Irene Neverla / Monika Pater

In der Forschung zu Protestkommunikation stand zunächst der Stel-


lenwert digitaler Plattformen bei der Mobilisierung von Protest sowie bei
interner Kommunikation der Protestierenden im Vordergrund (vgl. z. B.
Tufekci/Wilson 2012; Rucht 2013). Doch werden digitale Medien auch
als ›Ort‹ von Protest genutzt, wobei eine zunehmende Verschränkung der
digitalen und der materiellen Welt zu bemerken ist, was Sadowski (2016)
am Beispiel digitaler Proteste aufzeigt. Auch bei der Frage danach, wie
Online-Protest kommunikativ ausgestaltet wird, muss der zunehmenden
Visualisierung von Diskursen und Kommunikationsräumen Rechnung
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getragen werden.
Visueller Protest in der Form von humorvollen, visuellen Online-Me-
mes wurde etwa unter dem Hashtag #distractinglysexy, einer Reaktion auf
sexistische Aussagen des Biochemikers Tim Hunt, artikuliert. Im Beitrag
Memes als Diskursintervention: Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel von #dis-
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tractinglysexy diskutieren und analysieren Miriam Stehling, Cornelia


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Brantner und Katharina Lobinger das Twitter-Hashtag als Beispiel für


feministischen Hashtag-Aktivismus und als eine Intervention gegen Se-
xismus in der Wissenschaft. Methodisch kombinieren die Autorinnen eine
Bildtypen-Analyse von visuellem User Generated Content in den Tweets
mit einer qualitativen Diskursanalyse der medialen Debatten über #distrac-
tinglysexy in Großbritannien und Deutschland. Die Wissenschaftlerinnen,
die zum Protest-Mem beitrugen, setzten insbesondere Körperbilder für
den Protest gegen die diskriminierenden und sexistischen Aussagen ein.
Diese Verwendung erfolgte dabei in einer humorvollen, ironischen Weise,
in einem Spiel mit Selbstermächtigung und ironischer Selbstentmächti-
gung. Eine Diskursanalyse der medialen Berichterstattung über den Protest,
zeigt auf, dass Journalist*innen zwar in beiden analysierten Ländern dem
feministischen Online-Aktivismus Aufmerksamkeit schenkten. Während
der Protest jedoch in Deutschland entweder als lustige Online-Aktion
oder als Shitstorm gegen Hunt dargestellt wurde, fand in Großbritannien
eine tiefer gehende Auseinandersetzung statt, in der auch Sexismus und
Diskriminierung von Frauen in der Wissenschaft diskutiert wurden. Der
Beitrag adressiert damit die komplexen Verschränkungen zwischen visu-
ellem Protest im Kontext sozialer Medien und journalistischen Diskursen
und problematisiert diese.
Körperrepräsentationen gehören zu den Praktiken und Inter­ventionen
durch Nutzer*innen, die als ›Produtzer*innen‹ (vgl. Bruns 2010) im Netz
in eigenen selbst-verfertigten Angeboten körperliche Normen eigensinnig

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Körperbilder – Körperpraktiken.
Visualisierung und Vergeschlechtlichung von Körpern in Medienkulturen

verhandeln. Hier interessiert besonders der Einsatz von Körperlichkeit, sein


Wechselverhältnis mit medialen Diskursen und das Potenzial für Selbst-
behauptung und Empowerment, die von der Agency der Nutzer*innen im
Ringen um Bedeutungsmacht hervorgebracht werden können. Es wird
deutlich, dass Körper gleichzeitig Bezugspunkt gesellschaftlicher Ord-
nungsvorstellungen und Bezugspunkt für eigensinniges, widerständiges
Handeln sein kann.
Modeblogs, um die es in den beiden folgenden Beiträgen geht, reprä-
sentieren eine aktive Gestaltung von Inhalten, ein doing culture, in dem
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ebenfalls Körperbilder im Mittelpunkt stehen und in denen Normen und


Normierungen von weiblichen Körpern verhandelt werden. Sie sind zu-
dem Teil der in der Kommunikationswissenschaft oft wenig beachteten
Vielfalt von Online-Projekten mit geringer Reichweite, die sich in großer
Zahl etabliert haben (Bruns 2010). Die körper- und modesoziologisch ge-
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prägten Beiträge zeigen Perspektiven auf, wie mediatisierte Formen dieses


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Handelns beschrieben und verstanden werden können


Unter der Perspektive einer engen Verbindung von Körperbildern und
Körperpraktiken zeigt der Beitrag Plus-Size-Blogs als Diversität von Mode? Zu
Praktiken visueller Repräsentationen von Körpern und der Infragestellung weiblicher
Normkörper in der Mode von Melanie Haller, auf welche Weise visuelle Re-
präsentationen von Plus-Size-Körpern in den Blogs eingesetzt werden, um
weibliche Normkörper im Modesystem zu hinterfragen. Dazu entwickelt
Haller anhand von Plus-Size-Blogs ein heuristisches Analyseinstrumen-
tarium, mit dem sie beispielhaft zeigt, wie visuelle Körperrepräsentatio-
nen und Körperpraktiken in Plus-Size-Blogs miteinander verknüpft sind.
Die Bloggerinnen wenden verschiedene Körperpraktiken an, um eigene
Körperbilder von Plus-Size-Körpern zu produzieren. Indem die Blogs ›an-
dere‹ Körper repräsentieren, wird eine Fixierung auf schlanke Normkör-
per zunehmend hinterfragt. Plus-Size-Bloggerinnen wenden sich damit
aktiv gegen einen Ausschluss ihrer Körper im Modesystem und der Mode­
industrie und beanspruchen vor allem ihre Teilnahme im Modesystem.
Im Beitrag Ich bin Andere und Ich ist eine andere! Vestimentäre Selbstverferti-
gungen im Netz setzt sich Dagmar Venohr mit Modehandeln in Nähblogs
auseinander. Wie sie aufzeigt, geht der Umgang mit Kleidung, das Mode-
handeln, weit über eine performative Verkörperung des Modischen in Zeit
und Raum hinaus. Nähen, Kleidung und das Modische sind Praxis, Produkt
und Idee einer vestimentären Selbstverfertigung und Vergeschlechtlichung,
die anhand der Analyse des jeweils spezifischen Modehandelns in exemp-

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Elke Grittmann / Katharina Lobinger / Irene Neverla / Monika Pater

larisch vorgestellten Nähblogs der Do-It-Yourself-Szene sichtbar gemacht


wird. Mit »vestimentärer Selbstverfertigung« drückt die Autorin eine dop-
pelte Bewegung aus: Mit der Herstellung der eigenen Kleidung und den
Reflexionen zu Kleidung und damit zusammenhängende Normierungen
im Blog stellen die Bloggenden auch ein eigenes positives Körperbild visu-
ell her. Zentral ist dabei die Einbettung in soziale Online-Netzwerke und
der Bezug auf Gleichgesinnte, denn Venohr geht davon aus, dass sowohl
das Selbst als auch der Körper erst im Blick der Anderen erkennbar wer-
den. Grundlage ihrer Analyse der spezifischen Ikonotextualität von Näh-
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blogs sind fotografische Selbstbilder, Skizzen der zu nähenden Kleidung


und auch des eigenen Körpers, der das Bild begleitende Text und die oft
zahlreichen Kommentare
Der vorliegende Band konnte nur durch die Mitwirkung vieler Personen
erscheinen. Er ging aus der gemeinsamen Jahrestagung der Fachgruppen
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Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht und Visuelle Kommunikation hervor.


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

An der Organisation der Tagung im Oktober 2016 in Hamburg waren neben


Irene Neverla, Nele Heise und Monika Pater auch Franziska Bauer, Kirsten
Cassau und Sabine Hoffkamp beteiligt. Ihnen sei an dieser Stelle noch ein-
mal für die erfolgreiche Vorbereitung und Organisation der Tagung gedankt,
ebenso wie allen beteiligten Referent*innen. Herzlich bedanken wir uns bei
allen Autor*innen, die letztlich zum vorliegenden Band beigetragen haben.
Unser Dankeschön geht außerdem an Daniela Müller (Universität Göt-
tingen) für ihre Unterstützung, aufmerksame Korrektur und Vorbereitung
des Manuskripts. Ebenfalls danken wir unserer Lektorin beim Herbert von
Halem Verlag, Rabea Wolf, für ihre sorgfältige und freundliche Begleitung
bei der Publikation.
Pro Journal e.V., dem Verein der Freunde und Förderer der Journalistik
und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg, danken
wir ganz herzlich für die finanzielle Förderung dieses Bandes.
Bei der Lektüre der Beiträge werden Sie unterschiedliche geschlech-
tersensible Schreibweisen finden. Diese unterschiedlichen Schreibweisen
mögen auf den ersten Blick irritieren, sie sind jedoch Resultat einer be-
wussten Entscheidung der Herausgeberinnen: Bei der Zusendung der Ma-
nuskriptrichtlinien an unsere Autor*innen hatten wir um eine geschlech-
tersensible Schreibweise gebeten und die Schreibweise freigestellt, da die
unterschiedlichen Schreibweisen unterschiedlichen theoretischen Pers-
pektiven geschuldet sind, wie Geschlecht begriffen wird. Die spezifische
Schreibweise liegt daher in der jeweiligen Entscheidung der Autor*innen.

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Körperbilder – Körperpraktiken.
Visualisierung und Vergeschlechtlichung von Körpern in Medienkulturen

Literatur

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I. Der Optimierte Körper

Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker

Körperbilder – Plattformbilder?
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Bildpraktiken und visuelle Kommunikation


auf Social Media
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Der menschliche Körper ist seit Beginn des menschlichen Bildschaffens ein
gängiges Motiv visueller, materialer Darstellungen, egal ob in öffentlichen,
künstlerischen, privaten oder alltäglichen Kontexten. Körperbilder1 waren
daher auch schon immer Forschungsgegenstand unterschiedlichster Dis-
ziplinen von der Anthropologie über die Kunstgeschichte zur Soziologie.
In der Kommunikations- und Medienwissenschaft steht die Auseinander-
setzung mit Körperbildern eher am Beginn wie die Auseinandersetzung
mit visueller Kommunikation überhaupt.
Im Zuge der Digitalisierung und der Verbreitung von Social Media
stellt sich verstärkt die Frage nach der veränderten medialen Verfasstheit
von digitalen, vernetzten Körperbildern (vgl. Lobinger/Schreiber 2017;
Schreiber 2017a) und gerade hier könnte eine kommunikationswissen-
schaftliche Perspektive bereichernd sein: Immer mehr Menschen tragen
mit dem Smartphone eine vernetzte, digitale Kamera ständig bei sich.
Dies eröffnet neue Möglichkeitsräume für visuelle Kommunikation (vgl.
Autenrieth 2014; Lobinger 2015; Reissmann 2015). Die sozialwissen-
schaftliche Analyse von Bildern und Bildpraktiken geht davon aus, dass
die Gestaltung von Körperbildern immer Resultat sozial, kulturell und

1 Wir verwenden den Begriff ›Körperbilder‹ hier im Sinne von konkreten materialen Bildern,
wenngleich wir den Zusammenhang von Abbild und Denkbild (vgl. Müller/Geise 2015: 20ff.)
zu bedenken geben wollen, bzw. am Ende kurz darauf zurückkommen.

29
Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker

medial/technisch spezifischer Praktiken ist (vgl. Kanter 2016: 15), und


sie nimmt genau diese soziale Konstruktion und ikonische Gestaltung in
den Blick (ebd.: 27).
Bildpraktiken auf Social Media sind vielfältig und komplex (vgl. Gómez-
Cruz/Lehmuskallio 2016; Larsen/Sandbye 2013) – in ihrer Analyse
überlappen rezente Ansätze und Forschungen zu visueller Kommunika-
tion und visuellen Kulturen (vgl. Müller/Geise 2015; Schade/Wenk 2011)
sowie Konzepte und Studien zu digitaler, vernetzter Kommunikation (vgl.
Marwick 2013; Schmidt/Taddicken 2017).
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Der vorliegende Beitrag folgt dieser Herangehensweise, um der Frage


auf den Grund zu gehen, inwiefern das Zeigen von privaten fotografischen
Körperbildern durch mediale Spezifika unterschiedlicher Social-Media-
Plattformen2 mitkonstituiert wird.
Ausgangspunkt sind einerseits theoretische Differenzierungen von
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Modi visueller Kommunikation auf und in Social Media (vgl. Schreiber


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

2017a; Villi 2013) und andererseits empirisches Material, genauer: Inter-


views und Bilder, die gemeinsam mit Studierenden im Frühjahr 2015 er-
hoben und interpretiert wurden. Auf Basis des Korpus lotet der Beitrag die
Frage aus, inwiefern unterschiedliche Kommunikationsmodi auch unter-
schiedliche Körperbilder mitkonstituieren.3 Wir diskutieren abschließend
drei grundlegende Typen von Körperbildern, die sich in Bezug auf das
Zeigen und Teilen in Social Media rekonstruieren ließen.

1. Theoretischer Rahmen

Digitale Körperbilder werden immer häufiger zum Medium der reflexiven


Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper. Bilder des Körpers ermögli-
chen es, »die Expressivität des eigenen Körpers aus der (unterstellten) Außen-
perspektive Anderer wahrzunehmen und somit eben diesen Körper auch als
gesellschaftlich-symbolisches Medium zu kontrollieren« (Müller 2011: 95).

2 Wir definieren den Begriff ›Plattformen‹ im Anschluss an aktuelle Diskurse (vgl. Gillespie
2010; Schmidt/Taddicken 2017) als intermediäre Strukturen, die in Form von Websites, Soft-
ware oder Apps Angebote für unterschiedlichste Formen digital mediatisierter, vernetzter,
zwischenmenschlicher Kommunikation bereitstellen (vgl. Schreiber 2017a: 52).
3 Einige theoretische Argumente und Ansätze dieses Beitrags finden sich in ähnlicher, ausführ-
licher Form in Schreiber (vgl. 2017a, 2017b).

30
Körperbilder – Plattformbilder?
Bildpraktiken und visuelle Kommunikation auf Social Media

Speziell aus der Perspektive der Kommunikations- und Medienwis-


senschaft stellt sich dabei die Frage, welchen Anteil mediale Strukturen
und Bedingungen wie Digitalität, Vernetzung, Mobilität und Konvergenz
dabei haben: In welcher Weise wird also das Wahrnehmen, Reflektieren
und Kontrollieren des eigenen Körpers (Müller 2011: 89), aber auch das
soziale Zeigen von Bildern sowie die kollaborative Bedeutungsaushand-
lung medial mit-konstituiert?
Drei theoretische Dimensionen werden dabei aus unserer Sicht relevant:
Körperbilder als visuelle und materiale Objekte (1.1), deren Einbettung in
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bestimmte Software (1.2) und deren Eigenschaft als Elemente visueller


Kommunikation mit bestimmten Personen und Publika (1.3).

1.1 Körperbilder und visuelle Konventionen


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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Das Zeigen von Körpern in Bildern und die damit verbundene mediale Be-
dingtheit ist vor allem im Rahmen feministisch orientierter Kulturwissen-
schaften schon seit den 1980er-Jahren Thema – vor allem in Bezug auf den
›male gaze‹ und heteronormative skopische Regime (vgl. Schade/Wenk
2011; Silverman 1996). Diese erweisen sich, wie auch andere visuelle Kon-
ventionen (vgl. Goffman 1987) als hartnäckig und langlebig. So ist nicht
nur die Wahl, was in welchem Setting, in welchem Medium wem gezeigt
werden soll, tradiert und habitualisiert, sondern auch die Art und Weise
der Darstellung: Format, Filter, Posen und Kompositionen bedienen sich
bestimmter Standards der Kommunikation im Medium Bild (vgl. Przy-
borski 2017), um ikonisch Sinn zu stiften.
Das Machen und Zeigen von Bildern ist durch habituelles und auch
inkorporiertes Wissen strukturiert; unser Körperwissen erlaubt die routi-
nierte (oder auch nicht routinierte) Handhabe von Dingen (vgl. Bourdieu
2009; Keller/Meuser 2011). In diese habitualisierten Medienpraktiken sind
ganz konkrete digital materialisierte Körperbilder eingebettet. Mit dem
Zeigen des Körpers als Bild wird dieser nicht nur sichtbar gemacht, sondern
auch performativ hervorgebracht – und mit der Thematisierung des kör-
perlichen Selbst wird immer auch das geschlechtliche Selbst thematisiert
(vgl. Abraham/Müller 2010). Körperbilder müssen demnach sowohl über
die Ebene der Bilder als auch über die Ebene der Praktiken rekonstruiert
werden. Somit gilt es zu betrachten, wie Körperbilder visuell-ästhetisch
gestaltet sind und in welche sozialen Zusammenhänge sie eingebettet sind.

31
Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker

1.2 Software takes command?

Digitale Bilder werden situativ materialisiert (vgl. Meier 2012). Da sie im


Grunde aus Codes bestehen, sind sie auf Software und Hardware angewie-
sen, um sichtbar und überhaupt als Bild erkennbar zu werden. Das Zeigen
und Teilen von Bildern war schon immer von seiner medialen Einbettung
mitbestimmt, doch wird diese Einbettung zunehmend komplexer. Beson-
ders Social Media haben zur Intensivierung visueller Kommunikation
beigetragen (vgl. Van Dijck 2007; Van House 2011). Die unterschiedlichen
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Programme und Plattformen verstehen wir dabei nicht als »neutral stages
of self performance – they are the very tools for shaping identities« (van
Dijck 2013: 213). Bestimmte technische Affordanzen (vgl. Hutchby 2001;
Schreiber 2017b), etwa in Bezug auf Bildgröße, Kommentierung und Be-
wertung stehen zur Verfügung – sie eröffnen und beschränken medien-
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praktische und ästhetische Handlungsspielräume. Apps ko-konstituieren


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Praktiken des Editierens, der Distribution, des Teilens sowie auch der Affir­
mation – und damit auch ihre sichtbaren Ergebnisse: die Körperbilder.
Eine grundlegende Differenzierung von Modi der mobilen visuellen
Kommunikation ist jene in publishing und messaging (vgl. Villi 2013) – ei-
nerseits das Zeigen von Bildern in diffuseren Halböffentlichkeiten wie
Face­book oder Instagram, andererseits das zielgerichtete Teilen von Bildern
in reziproken Chat- oder Messagingprogrammen. Für unsere Analyse wol-
len wir dies jedoch noch genauer differenzieren, worauf wir zu Beginn von
Abschnitt 2 eingehen werden.4

1.3 Beziehungsmanagement und die Konstitution von


›intimate publics‹

Das Smartphone verstehen wir als mobiles Interface mit potenziell globaler
Konnektivität (vgl. Miller 2014), welches wiederum Teil ist von »deeply
personal and emotional social interaction and self-identity as well as being
an irreplaceable instrument in the practical negotiation of everyday life«

4 Eine empirische Analyse von Software wäre ebenfalls ein sinnvoller Weg zu einem besseren
Verständnis unterschiedlicher Affordanzen – diese würde jedoch den Rahmen des Beitrags
sprengen, wurde aber an anderen Stellen durchgeführt bzw. expliziert (Schreiber 2017a,
2017b).

32
Körperbilder – Plattformbilder?
Bildpraktiken und visuelle Kommunikation auf Social Media

(Miller 2014: 210). Im Smartphone verschmelzen zudem bekannte Medien


mit neuen (ebd.: 211). Durch die potenzielle Mobilität und Ubiquität von
Smartphones entstehen in mobiler Kommunikation hybride connected spaces
(vgl. de Souza e Silva 2006). In Madianous (2014) Konzept von polymedia
stellt sich als zentrale Frage, wie Menschen innerhalb der Angebote und
Möglichkeiten unterschiedlicher Medien der interpersonalen Kommuni-
kation navigieren und selektieren, um ihre Emotionen und Beziehungen
zu regeln und zu bearbeiten (Madianou 2014: 671). Je größer die Auswahl
an Medien, die zur interpersonalen Kommunikation zur Verfügung ste-
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hen, desto höher die Reflexivität der NutzerInnen über die Spezifika der
jeweiligen Medien, so konstatiert Gershon in ihrer Studie zum Beenden
von Beziehungen in Zeiten von Facebook (vgl. Gershon 2010: 402). Und auch
Madianou selbst kommt in ihrer Studie zu transnationaler familialer Kom-
munikation zu dem Schluss, »choosing which platforms to communicate
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through becomes integral to the management of the actual relationships«


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

(Madianou 2014: 675). Es stellt sich somit die Frage, wie die visuelle Kom-
munikation und damit auch das Zeigen und Teilen von Körperbildern in
bestimmten Apps auch mit Beziehungsmanagement und der Konstitution
von ›intimate publics‹ (vgl. Wagner 2014) verbunden ist – wie konstitu-
ieren bestimmte Formen des Teilens von Bildern unterschiedliche soziale
Beziehungen (vgl. Lobinger 2015; Lobinger/Schreiber 2017)?

2. Methodische Vorgehensweise

Basierend auf einer explorativen Studie, die gemeinsam mit Studieren-


den der Universität Wien durchgeführt wurde, konnten wir im Mai 2015
qualitative Daten von insgesamt 44 Teilnehmenden erheben, die gezielt
nach Alter und sozialem Milieu rekrutiert wurden: Semistrukturierte In-
terviews zum Machen, Aufbewahren und Zeigen von Fotos, mit Fokus auf
das Teilen von Bildern wurden kombiniert mit »photo elicitations« (Har-
per 2002).5 Die Teilnehmenden wurden außerdem gebeten, Bilder, über
die sie gesprochen haben, zur Verfügung zu stellen – insgesamt ergab sich
so ein Korpus von 164 Bildern.

5 Die Teilnehmenden wurden aufgefordert, über einzelne Bilder, die sie im Interview als Bei-
spiele für unterschiedliche Praktiken nannten und zeigten, ausführlicher zu erzählen.

33
Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker

Auf etwa der Hälfte der zur Verfügung gestellten Bilder, waren mensch-
liche Körper zu sehen. Der vorliegende Beitrag bezieht sich nur auf diesen
Teil des Korpus, also die Körperbilder und die darauf bezogenen Praktiken
wie sie in den Interviews beschrieben werden. Die anderen Bilder zeigten
z. B. Landschaften, Essen, Produkte oder Tiere. Genauer betrachtet haben
wir für den vorliegenden Beitrag schließlich jene Körperbilder, die auf So-
cial Media geteilt wurden bzw. explizit nicht geteilt wurden.
Unsere grundlegende forschungsleitende Frage war, wie die visuell-
ästhetische Gestaltung von Körperbildern mit den Apps bzw. den Plattfor-
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men, in denen sie (nicht) geteilt werden, zusammenhängt – wie werden


also Körperbilder bildlich aber auch medial konstruiert? Und welche Rolle
spielen dabei die unterschiedlichen, mehr oder weniger intimen ›publics‹,
die jeweils adressiert werden? Gibt es so etwas wie plattformspezifische
Körperbilder, also Plattformbilder? Näher interpretiert wurden die Inter-
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viewstellen und Körperbilder mit der dokumentarischen Methode (vgl.


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Bohnsack 2008; Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014).


Ästhetik und visuelle Kommunikation sind essenzielle Aspekte des
Forschungsgegenstands, weswegen es wichtig ist, die erhobenen Bilder
in der vorliegenden Publikation zu zeigen. Wir haben schriftliche Ein-
verständniserklärungen der Teilnehmenden der abgebildeten Bilder für
die Verwendung der Bilder zu Forschungszwecken und in Publikationen
eingeholt. Zusätzlich haben wir die Gesichter verpixelt. Dieses Vorgehen
wahrt die Anonymität der Teilnehmenden, verfälscht jedoch das Bild in
seiner spezifischen Komposition, Farbe etc. nicht völlig.

3. Körperbilder – Plattformbilder?

Wie oben kurz skizziert, liegt unserer Analyse von Körperbildern einer-
seits eine theoretische Differenzierung und andererseits eine empirische
Studie zugrunde: In Bezug auf vernetzte visuelle Kommunikation lassen
sich als grundlegende Modi der mobilen visuellen Kommunikation nach
Villi (2013) messaging und publishing differenzieren. Darauf aufbauend un-
terscheidet Schreiber (2017a) unterschiedliche Arten von Konnektivität, die
sich zwischen reziproken und theatralen Ausprägungen bewegen. Damit
ist gemeint, dass sich in unterschiedlichen Social-Media-Plattformen unter-
schiedliche Formen der Konnektivität und Kommunikation etablieren (vgl.
Boyd 2011). So liegt etwa Software wie WhatsApp oder anderen Messaging-

34
Körperbilder – Plattformbilder?
Bildpraktiken und visuelle Kommunikation auf Social Media

Programmen eine reziproke Chat-Struktur zugrunde: Zwei oder mehrere


KommunikationspartnerInnen verständigen sich miteinander innerhalb
eines geschlossenen Kommunikationsraumes. Der Verlauf der Kommuni-
kation wird chronologisch dargestellt, mit dem aktuellsten Beitrag ganz
unten, die älteren Beiträge rutschen jeweils nach oben. Viele Programme
bieten dabei auch die Möglichkeit, den NutzerInnen anzuzeigen, ob ihre
Nachricht gelesen wurde; etwa die blauen Häkchen bei WhatsApp oder ›Ge-
lesen‹ im Facebook Messenger. So entsteht eine fortlaufende Konversation, oft
in Echtzeit. Solche Nachrichten werden häufig als Push-Benachrichtigung
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direkt zugestellt und der Zeitpunkt bzw. das Timing der Antwort spielt
eine wichtige Rolle. Diese Dynamiken sind in Bezug auf SMS, Chat-Kom-
munikation oder auch Videotelefonie schon ausführlicher beforscht (vgl.
Varnhagen et al. 2010; Madianou 2014; Meissner 2015) – welche Un-
terschiede und Gemeinsamkeiten visuelle Chat-Kommunikation aufzeigt,
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gilt es noch genauer auszuloten.


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Am anderen Ende des Spektrums lassen sich theatrale Formen der Kom-
munikation verorten (vgl. Willems/Pranz 2008; Autenrieth 2014), wie
etwa in der Timeline von Facebook. Damit ist gemeint, dass eine One-to-
Many-Kommunikation stattfindet, in der das Bild in einer Webseiten-
ähnlichen Struktur bzw. Timeline hochgeladen wird, die einer größeren
Gruppe zugänglich ist. Rezipierende suchen solche Bilder explizit auf bzw.
bekommen diese etwa in ihrem Facebook-Feed vom Algorithmus gesteuert
mehr oder weniger chronologisch angezeigt. Eine Reaktion ist etwa durch
Kommentare oder Likes möglich, die wiederum je nach Einstellung für
eine größere Gruppe sichtbar sind oder nicht.
Mit unterschiedlichen Konnektivitäten hängen also auch unterschied-
liche Arten von Sichtbarkeiten visueller Kommunikation zusammen, die
sich in vielerlei Abstufungen zwischen intimen und öffentlichen Sphären
abspielen (vgl. Boyd 2011; Hjorth/Wilken/Gu 2012): Während intime
visuelle Kommunikation das Teilen von Bildern mit bestimmten Perso-
nen oder kleinen Empfängerkreisen fasst, bedeutet öffentliche visuelle
Kommunikation das Zeigen von Bildern in eher diffusen, nicht geschlos-
senen Kommunikationssphären.
Reziprok und theatral sind hier als zwei Pole eines Spektrums zu verste-
hen, in dem natürlich auch zahlreiche Mischformen existieren. Eine binäre
Unterscheidung von publishing oder messaging soll damit also erweitert und
differenziert werden. Denn während Social-Media-Plattformen noch vor
einigen Jahren meist nur einem Modus folgten, werden sie mittlerweile

35
Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker

immer differenzierter und vielfältiger. So gibt es etwa auf Instagram wie


bisher den chronologischen Feed, aber mittlerweile auch zusätzlich das
integrierte Direct Messaging ›Instagram Direct‹ und ebenso die eher an
Live-Broadcasting erinnernden ›Instagram Stories‹.
Auch in Bezug auf unseren Korpus hat sich diese Differenzierung als
hilfreich erwiesen: Wir haben die Körperbilder, soweit sie zuordenbar wa-
ren, danach sortiert, ob sie eher in reziproke oder theatrale Bildpraktiken
eingebettet waren. Als dritte, kontrastierende Gruppe ergab sich jene der
Körperbilder, die gar nicht geteilt wurden. Unser Augenmerk richtete sich
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dann auf die konkrete visuell-ästhetische Gestaltung der jeweiligen Bil-


der: Schlagen sich bestimmte Modi des Zeigens auch in den Bildern selbst
nieder? Es geht also nicht nur darum, ob ein Bild in dieser oder jener App
geteilt wurde, sondern auch um die Frage, inwiefern sich dies möglicher-
weise visuell-stilistisch zeigt. Dass sich plattformspezifische Ästhetiken
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herauskristallisieren können, hat etwa auch Lobinger in Bezug auf das


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Genre der Selfies dargelegt (vgl. Lobinger 2016: 47).


Dabei wurden einige Muster bzw. Tendenzen sichtbar, die im Folgenden
exemplarisch illustriert werden. Im Sinne von Bildtypen (vgl. Grittmann/
Ammann 2011) bzw. seriellen Ikonografien (vgl. Pilarczyk/Mietzner 2005)
können die hier gezeigten Bilder als ›typisch‹ bzw. als verdichtete Beispiele
für den jeweiligen Modus verstanden werden. Die Analyse bezieht sich auf
die Körperbilder in Zusammenspiel mit der jeweiligen Praxis, wie sie sich
in den Interviews dokumentiert.6

3.1 Konnektive Körperbilder

Die Kategorie der konnektiven Körperbilder umfasst jene Bilder, die in


reziproken Messaging-Programmen geteilt wurden. Die Bilder fungieren
hier in erster Linie als Elemente interpersonaler Kommunikation – das
bedeutet, es gibt einen engen Zusammenhang zwischen den konkreten
EmpfängerInnen und der dementsprechenden Bildgestaltung. Konnek-
tive Körperbilder sind üblicherweise in vorausgehende oder nachfolgende
textliche oder multimodale Kommunikation eingebettet.

6 Die dringende Notwendigkeit von Methoden-Triangulationen in der qualitativen Analyse


von Bildpraktiken wird u. a. erläutert in Hoffmann (2013) und Schreiber (2017b).

36
Körperbilder – Plattformbilder?
Bildpraktiken und visuelle Kommunikation auf Social Media

Abbildung 1
Bild geteilt auf iPhone Messenger von W30
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Quelle: private Aufnahme von W30

Das erste Bild zeigt ein Kleinkind, das auf dem Boden neben einer
Duschkabine sitzt und eine Puppe in der Hand hält. Der Fokus des Bil-
des ist der Hinterkopf des Kindes, der sowohl in der Bildmitte liegt, als
auch durch die X-förmige Komposition des Badezimmerteppichs und der
Duschkabine markiert wird. Die Bedeutung des Hinterkopfs erschließt sich
nur im Kontext: »Hier hab ich zum Beispiel meine Tochter fotografiert
(schmunzelt), als sie sich das Luuf in die Haare geschmiert hat (Lachen), um
es dem Papa zu schicken, weil der is ja Montag bis Freitag nicht zu Hause.
Da halt ich auch so Momente fest und schick sie ihm per iPhone Messen-
ger« (W30). Das Kleinkind selbst ist auch nur für jemanden erkennbar, der
es kennt – es geht in dem Foto also nicht um die Präsentation einer be-
stimmten Person, die identifizierbar bzw. erkennbar sein sollte. Vielmehr
steht die Aufnahme des Kindes in einer bestimmten Situation, die aber im
Bild nicht unmittelbar sichtbar wird, im Vordergrund. Durch das Teilen
des Bildes wird Konnektivität mit dem abwesenden Vater geschaffen und
damit mediatisierte Präsenz (vgl. Villi/Stocchetti 2011). Diese mediati-
sierte Präsenz ist immer zweischneidig (vgl. Schreiber 2017a: 146), da sie
einerseits Verbindung erzeugt, aber andererseits auch unterstreicht, dass
die Rezipierenden eben nicht physisch präsent sind.
Das zweite Bild entstammt einer WhatsApp-Gruppe junger Mütter.

37
Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker

Abbildung 2
Bild geteilt in einer WhatsApp-Gruppe von W30
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Quelle: private Aufnahme von W30

Das Bild zeigt eine auf dem Rücken liegende, müde, aber doch aufmerk-
sam in die Kamera blickende junge Frau mit einem schlafenden Säugling.
Das schlafende Kind ist zugedeckt, in Seitenlage in die Armbeuge seiner
Mutter geschmiegt. Die Frau bildet mit ihrem Arm gleichsam ein schüt-
zendes Zelt für den Säugling. Gleichzeitig befindet sich das Kind auch an
der dunkelsten, geschützten Stelle des Bildes, während der Rest heller
ausgeleuchtet ist. Der direkt in die Kamera gerichtete Blick der Mutter
nimmt Kontakt auf und lädt die Betrachtenden ein, an dem intimen Mo-
ment teilzuhaben. Das schutzbedürftige Kind befindet sich in der Obhut
der entspannt wirkenden Frau, das Tattoo am rechten inneren Oberarm
markiert eine gewisse Coolness. Es deutet sich gleichzeitig Triumph und
Erleichterung an, dass der Säugling eingeschlafen ist. PP: »Naja, eigentlich
ist es so, am meisten Selfies mach ich, ich hab eine Whats-App-Gruppe, das
ist so, Whats-App ist halt so ein, da kann man sich Nachrichten schreiben
so wie per SMS, nur ist es halt gratis. Und da hab ich zwei Mädels, die haben
auch Babys im Alter vom Lukas und mit denen schicken wir uns halt den
ganzen Tag immer wieder Sachen und wenn ich dann zum Beispiel gerade
den Lukas in die Trage eingebunden hab und er eingeschlafen ist, dann
mach ich ein Selfie, wo man mich sieht und den Lukas jetzt zum Beispiel
am Rücken schlafend, und schreib Lukas ist gerade eingeschlafen, smile

38
Körperbilder – Plattformbilder?
Bildpraktiken und visuelle Kommunikation auf Social Media

und dann schick ich das den zwei Mädels, so« (W30). Die Einbettung in die
spezifische Praxis unterstreicht und validiert die Interpretation: Das Bild
wurde in einem sehr spezifischen und intimen Kontext geteilt. Die Fotogra-
fin zeigt sich den anderen Müttern als kompetente, aber cool-entspannte
Mutter. Es lässt sich vermuten, dass die kleine, geschlossene ›private pu-
blic‹ der anderen Mütter dabei – wie auch andere Peergroups – durchaus
ambivalent sein kann: Als Raum des Schutzes und der Stärke, aber auch als
Raum von Konflikt und Konkurrenz (vgl. Amling 2015; Hoffmann 2013).
Gerade Mütter von Säuglingen sind mitunter eingeschränkt mobil und
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erweitern durch digitale, mobile Medien ihren Kommunikationsraum.


Jene Körperbilder, die in reziproken Messaging-Apps wie etwa Whats-
App oder Facebook bzw. iMessenger geteilt werden, sind meist in textbasierte
Konversationen eingebettet. Die Erzeugung von virtueller Ko-Präsenz und
Echtzeitkommunikation beim Versenden von Bildern ist dabei zentral. Als
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konnektive Körperbilder zeigen sich intime, aber auch alltägliche Momente.


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Die Anordnung der Körper im Bild lädt ein, zu betrachten oder teilzuha-
ben. Viele der untersuchten Bilder sind unscharf oder abgeschnitten, also
mit einer gewissen Hastigkeit gerahmt, die in diesem Kontext aber eben
auch positiv, als Indikator für – möglichst synchrone – Echtzeitkommu-
nikation, gedeutet werden kann. Einige Körperbilder zeigen nur Teile des
Körpers, etwa einen Arm, der Schnee hält, oder die Beine und Füße aus
der Perspektive der Augen der fotografierenden Person. Mitunter wird
hier sogar der eigene Blick auf den eigenen Körper geteilt – also ich zeige
mich, so wie ich mich aus meinen Augen sehe, ohne Umweg über einen
Spiegel oder ein Selfie. Zudem sind diese Bilder in laufende Konversati-
onen eingebunden, haben klare AbsenderInnen und verweisen auf den
den Rezipierenden bekannten Körper. Deswegen müssen die sichtbaren
Körper auch nicht eindeutig identifizierbar sein, denn die AbsenderInnen
autorisieren und authentisieren deren Echtheit, auch wenn etwa nur ein
Arm oder ein Hals zu sehen ist.

3.2 (Re-)Präsentierende Körperlichkeit?

Im Gegensatz dazu werden in jenen Bildern unseres Korpus, die wir halb­
öffentlichen Plattformen wie Instagram oder Facebook zuordnen konnten,
konkrete, identifizierbare Körper gezeigt: Es werden meist nicht nur Teile
der Körper gezeigt, sondern der Bildausschnitt umfasst das Gesicht oder die

39
Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker

Gesichter sowie den ganzen Körper oder Körperansichten bis zur Hüfte.7
Körperbilder können auf halböffentlichen Plattformen an unterschiedli-
chen Stellen aufscheinen, etwa als Profilbilder oder in der Timeline. Als
Profilbild nehmen sie stellvertretende Funktion ein, denn sie fungieren
als Icon für eine bestimmte Person, das immer aufscheint, wenn diese Per-
son kommuniziert (vgl. Astheimer/Neumann-Braun/Schmidt 2011).
Facebook ist, wie sich in einigen Interviews gezeigt hat, für das Teilen von
Bildern eher in Verruf geraten, seit sich das Unternehmen in einer Änderung
der Nutzungsbedingungen selbst Verwendungsrechte übertragen hat. Es
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wird im Gegensatz zu anderen Social-Media-Angeboten als Plattform mit


größter Öffentlichkeit wahrgenommen und tendenziell werden nur sorg-
sam kuratierte Bilder gepostet. Instagram-Bilder werden ebenfalls sorgsam
kuratiert. Zusätzlich sind diese mitunter mit dem Anspruch verbunden,
einen visuellen bzw. ästhetischen Wert zu haben – gleichzeitig werden
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gerade Bilder auf dieser Plattform eher als inszeniert wahrgenommen. Das
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

zeigt sich auch an den geteilten Körperbildern. Zwei dieser Bilder sollen
hier exemplarisch analysiert werden. Die beiden zur genaueren Analyse
herangezogenen Bilder liefern insbesondere in Bezug auf das Thema Ge-
schlecht interessante Perspektiven:

Abbildung 3
Bild geteilt auf Instagram von M18

Quelle: private Aufnahme von M18

7 Dies gilt vor allem für den untersuchten Korpus. Es gibt aber auch einen gegenläufigen Trend,
bei dem das Posten von Bildern, auf denen Gesichter klar erkennbar sind, vermieden wird.
Dieser zeigt sich besonders in Bezug auf Kinderfotos.

40
Körperbilder – Plattformbilder?
Bildpraktiken und visuelle Kommunikation auf Social Media

Vier junge Männer befinden sich in einem Auto, der Bildausschnitt ist
schräg nach links gekippt. Die beiden jungen Männer in der vorderen Reihe
tragen sommerliche Kleidung. Die zwei Männer auf den Rücksitzen zeigen
das V-Zeichen in Richtung zueinander. Freundschaft und Gemeinschaft
konstituiert sich hier auf mehreren Ebenen: durch äußerliche Ähnlichkeit,
(kurze Haare, dunkle Augenbrauen, offene Münder) und durch zueinan-
der geneigte Oberkörper. Durch V-Zeichen und den direkten Blick in die
Kamera ist klar, dass die jungen Männer posieren. Das Bild zeigt M18 (links
vorne) auf dem Rückweg vom Strand. Die mit ihm abgebildeten Freunde
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sind, wie er im Interview schildert, aus Spanien und »Die Spanier sind ziem-
lich, ziemlich auf Instagram drauf«. Die Plattform ist also bei der gezeigten
Gruppe populär. Sichtbar wird eine Konstitution von Freundschaft im Bild
und gegenüber einer diffusen Öffentlichkeit, was Autenrieth (2014) auch als
»Theatralisierung von Freundschaft« beschreibt. In Social Media sei zu-
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dem zentral, dass Freundschaft ständig neu ausagiert und aktualisiert wird
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

(Autenrieth 2014: 121f.) bzw. werden muss (vgl. Thiel-Stern 2012). Auch
Reißmann (2015) beschreibt im Zusammenspiel von Mediatisierung und
Visualisierung die Möglichkeit des bildlich-ästhetischen Ausdrucks als zen-
tral. Deshalb soll der Blick hier wiederum darauf gelenkt werden, wie genau
unterschiedliche Konstellationen von Freundschaftsbeziehungen bildlich
hergestellt werden (vgl. Schreiber 2015), etwa durch die Ausrichtung der
Körper zueinander und das Angleichen von Kleidung, Posen und Mimik.
Wie im ersten Bild wird das explizite Posieren auch im zweiten Bild deutlich:

Abbildung 4
Bild geteilt auf Instagram von W15

Quelle: private Aufnahme von W15

41
Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker

Auf dem Bild sind drei junge Frauen zu sehen, festlich gekleidet in
unterschiedlichen Varianten des ›kleinen Schwarzen‹. Alle tragen die
Haare offen und sind eng aneinandergeschmiegt. Sie blicken auf das Dis-
play des Handys, das das Mädchen in der Mitte in der Hand hält. Hinter
der Gruppe sind ein Waschbecken und ein Abflussrohr zu sehen sowie
ein Spiegel, in dem sich Hinterköpfe und Rücken der Mädchen spiegeln.
Der Bildausschnitt ist stark nach rechts gekippt. Es handelt sich um ein
Spiegel-Selfie; junge Frauen am Übergang zum Erwachsen-Werden insze-
nieren sich im geschützten Waschraum oder der Toilette. »Wir haben alle
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schwarze Kleider an, wir haben halt unseren ganzen Körper fotografiert.
Wir wollten halt unser Outfit zeigen (lacht). Sonst hätte ich natürlich ein
Selfie gemacht, wenn die Schuhe nicht wichtig wären, aber ... (lacht)« (W15).
Auch hier wird intentional-strategisches Impression Management im Sinne
Goffmans (2010 [1983]: 189) sowohl bildlich sichtbar als auch im Interview
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beschrieben. Doch welche Art von Gruppe und welche Art von Geschlecht-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

lichkeit wird hier konstruiert? Auf impliziter und körper-bildlicher Ebene


zeigt sich ästhetische Vergemeinschaftung in Hinblick auf bestimmte sti-
listische Milieus in beiden Gruppenbildern: Bei den jungen Frauen etwa
die Präsentation der Körper in einem außeralltäglichen Schön-sein, dem
›kleinen Schwarzen‹, das erwachsene Weiblichkeit indiziert, kombiniert
mit verspielter Spitze und hohen Schuhen. Die außeralltägliche Eleganz
wird jedoch durch die weißgeflieste Banalität des Waschraums gebrochen.
Bei den jungen Männern werden der stilistische Gleichklang und die
adoleszente Männlichkeit zur Schau gestellt. Das Auto dient als Vehikel
für selbstbestimmte Fortbewegung und Mobilität. Das Posieren in einem
Auto erinnert an HipHop-Videos bzw. damit auch an eine ›Gang‹. Die Pose
wird also nicht so stark gebrochen wie im Waschraum, jedoch erlaubt das
sichtbare Auto eine eher enge und begrenzte Gruppenpose.
Gemeinsam haben beide Bilder die schräge Perspektive und die po-
sierenden Körper. Wie Bohnsack und Przyborski (2015: 347ff.) ausführen,
ist das Spezifische an der Pose im Gegensatz zur habituellen Geste, dass
erstere dekontextualisiert ist, also in keinen interaktiven, praktischen
Handlungsvollzug eingelassen ist. Im Falle der zwei Bilder wären etwa
Autofahren oder Händewaschen naheliegende, zu den abgebildeten Räu-
men passende Praktiken. Die abgebildeten Körper erstarren aber in ihrer
Ausrichtung auf die Kamera und damit auf antizipierte Betrachtende. Die
schräge Perspektive scheint dabei die steife Pose der Körper etwas zu ent-
schärfen, die Verzerrung bzw. Bilddrehung ist ein gemeinsames ästhetisches

42
Körperbilder – Plattformbilder?
Bildpraktiken und visuelle Kommunikation auf Social Media

Mittel. Beide Bilder zeigen also auch die Praxis des Sich-Fotografierens, die
Konstitution von Freundschaft im und durch das Bild: Die Gruppe bildet
sich gemeinsam ab, während sie als Gruppe posiert – dadurch wird die
Zusammengehörigkeit gestärkt bzw. überhaupt erst hergestellt.
Interessanterweise posieren beide Gruppen in geschlossenen Räumen:
Der Moment des Fotografierens und Posierens passiert also geschützt – um
dann mit dem Teilen des Fotos wiederum öffentlicher zu werden. Es sei
schließlich angemerkt, dass gerade bildanalytische Verfahren großes Po-
tenzial für die Analyse von Körperlichkeit und Geschlechtlichkeit haben,
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da sie mitunter Themen und Orientierungsmuster aufdecken, die auf


sprachlicher Ebene schwer artikulierbar sind, aber in Körperbildern zeigbar
und sichtbar werden (vgl. Goffman 1987; Kanter 2016; Przyborski 2017).
Im Gegensatz zur konnektiven Körperlichkeit scheint die repräsen-
tierende Körperlichkeit sich mehr an klassischen bzw. konventionellen
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Bildausschnitten oder Genres (Gruppenbild, Porträt etc.) zu orientieren,


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

was nicht überrascht: Als Medien der Kommunikation sind diese Kör-
perbilder im Gegensatz zu konnektiven Körperbildern an eine diffusere,
weniger intime Öffentlichkeit gerichtet. Sie sind weniger Medien inter-
personaler Verständigung als Medien der (Re-)Präsentation. Es gilt daher,
ein Bild zu gestalten, das für möglichst viele Betrachtende anschlussfähig
und verständlich ist.

3.3 Forensisch-explorative Körperlichkeit

Als dritte Gruppe von Körperbildern deutet sich jene an, die eine foren-
sisch-explorative Körperlichkeit zeigt – diese Bilder werden üblicherweise
nicht geteilt und dienen deswegen auch als Kontrastfolie zu den anderen
Modi von Körperbildern:
»Da habe ich ein Bläschen im Mund gehabt und wollte wissen wie es
ausschaut. [...] Und dann schau ich, okay, wie schaut das aus« (M18). Die
Smartphone-Kamera macht also mitunter jene Stellen des Körpers sicht-
bar, die mit freiem Auge nicht sichtbar sind und erweitert das Sichtfeld
in quasi medizinischer Weise. Während die Naturwissenschaften diese
Fähigkeit von (digitaler) Fotografie schon lange einsetzen, zeigt sich hier
eine Art Demokratisierung von technologischen Möglichkeiten, die letzt-
endlich auch zur Selbstkontrolle dienen können (vgl. Rettberg 2014: 73ff.).
Forensisch-explorative Körperbilder können auch in Zusammenhang mit

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Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker

Abbildung 5
Bild von M18
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Quelle: private Aufnahme von M18


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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Praktiken des ›self-tracking‹ gesehen werden. Dieses Beispiel in unserem


Korpus scheint in erster Linie der Selbst-Untersuchung zu dienen und
wurde auch nicht mit anderen geteilt.
Denkt man jedoch an Körperbilder im Kontext von Fitness oder auch
Schwangerschaft, ergeben sich mitunter interessante Überlappungen von
forensisch-präsentierenden Körperbildern, wenn der sich verändernde
Körper (wachsende Muskeln oder wachsender Bauch) über einen längeren
Zeitraum dokumentiert und mitunter auch präsentiert wird.

4. Conclusio

Die hier skizzierten drei Kategorien von Körperbildern in Social Me-


dia – konnektive, (re)präsentierende und forensisch-explorative Körper-
bilder – stellen eine erste grobe Typisierung dar. Ausgangspunkt unse-
rer Analyse war die theoretische Differenzierung unterschiedlicher Modi
der mobilen visuellen Kommunikation wie sie in der rezenten Literatur
beschrieben werden. Als dritte Gruppe und als Kontrastfolie kamen jene
Körperbilder innerhalb unseres Korpus hinzu, die von den Teilnehmen-
den nicht gezeigt oder geteilt wurden.
Die drei Kategorien von Körperbildern sind dabei keineswegs als trenn-
scharf zu verstehen, vielmehr als verdichtete Typen unterschiedlicher Kör-
perbilder, die sich im Zusammenspiel mit Software konstituieren. Wie an

44
Körperbilder – Plattformbilder?
Bildpraktiken und visuelle Kommunikation auf Social Media

den Beispielen sichtbar wurde, werden Körperbilder durch die Struktur


der Medien mitkonstituiert (vgl. Lobinger 2016; Schreiber 2017b), in
denen sie sichtbar gemacht werden. Auch in historischen Analysen (vgl.
Schneider 2000; Rettberg 2014) wird deutlich, dass jeweils vorhandene
mediale Technologien die Körperdiskurse, die Körperbilder und damit
auch die mögliche Weisen der (Selbst-)Wahrnehmung mitkonstituieren.
Bilder und visuelle Kommunikation ermöglichen eine soziale Spiege-
lung unseres Körpers. Susan Sontag postulierte bereits 1977, »we learn to
see ourselves photographically« (Sontag 1977: 85). Das bedeutet nicht nur
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eine reflexive Haltung gegenüber dem eigenen Körper (»see ourselves«),


wie wir sie eingangs bereits mit Müller skizziert haben; ein wesentliches
weiteres Element ist die spezifische Art und Weise der Medialität, nämlich
»photographically«, in der diese Wahrnehmung stattfindet. Zu dieser foto-
grafischen Technizität8 ist nun die komplexe Einbettung in Social Media
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hinzugekommen, die verschiedenste Formen und Dynamiken annehmen


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

kann (vgl. Highfield/Leaver 2016).


Im Anschluss an Goffman (2010 [1983]) ist es letztendlich wenig überra-
schend, dass sich die visuelle Gestaltung der Körperbilder an der Plattform
und dem zugeschriebenen Grad an Öffentlichkeit orientiert: Je mehr Zu-
seher, desto konventioneller, anschlussfähiger sind auch die Körperbilder.9
Was als ästhetisch konventionell und anschlussfähig empfunden wird, kann
jedoch durchaus stark milieu-, alters- und geschlechtsspezifisch variieren.
Digitale Körperbilder auf Social Media sind letztendlich auch immer
mit Vorstellungen, Wissen, Ängsten und Wünschen in Bezug auf mentale
Körperbilder verbunden (vgl. Rettberg 2014; Müller 2011). Inwiefern
geteilte Bilder dabei mitunter emanzipatorisches oder auch disziplinie-
rendes Potenzial entfalten können, bleibt, wie Lobinger (2016) darlegt,
eine Frage, die kontextspezifisch und in Bezug auf konkrete Praktiken
beantwortet werden muss.
Der vorliegende Beitrag konnte jedenfalls zeigen, dass vernetzte, vi-
suelle Kommunikation in Social Media sich stark ausdifferenziert – die

8 Mit privater Fotografie ist letztendlich auch immer die Annahme verbunden, dass ein Foto
etwas zeigt, was irgendwo einmal war.
9 Goffman zitiert dazu eine Studie, in der zu Häusern in einem Dorf Neu-Englands folgen-
des festgestellt wird: »Die ›besten‹ Vorhänge befanden sich da, wo man sie am deutlichsten
sehen könnte, und waren nicht zu vergleichen mit den Vorhängen an Fenstern, die vor dem
Beschauer verborgen waren« (Goffman 2010 [1983]: 124).

45
Maria Schreiber / Gerit Götzenbrucker

rekonstruierten Typen der konnektiven, (re)präsentierenden und foren-


sisch-explorativen Körperbilder gilt es in weiteren Analysen genauer aus-
zuleuchten und zu hinterfragen.

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Selbstthematisierung. Von der unmittelbaren Interaktion zum
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Internet. In: Willems, H. (Hrsg.): Weltweite Welten. Wiesbaden


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

[Springer VS] 2008, S. 189-222

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Ulla Autenrieth

(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average


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Mom‹ – Die Selbstdisziplinierungsspirale um


den ›After-Baby-Body‹ unter den Bedingungen
bildzentrierter Kommunikation in vernetzten
Umgebungen
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1. Der ›After-Baby-Body‹ – eine Begriffskarriere

Der Begriff des ›After-Baby-Bodys‹ wurde seit Beginn des neuen Jahrtau-
sends in Zusammenhang mit den körperlichen Veränderungen von insbe-
sondere prominenten Müttern wie beispielsweise dem Topmodel Gisele
Bündchen in der Zeit nach der Schwangerschaft verwendet. Bedeutsam
ist hier jedoch die konnotative Bedeutung: Es geht eben nicht um den
mütterlichen Körper nach der Geburt eines Kindes. Sondern vielmehr
wird die möglichst schnelle Rückkehr der Frau zu ihrer früheren ›Figur‹
hervorgehoben. Bislang ließen sich derartige Diskurse vor allem in auf
Frauen ausgerichteten populärjournalistischen Angeboten beobachten:
Sogenannte ›Society-JournalistInnen‹ berichten über die Geburt und die
Zeit nach der Schwangerschaft aus den Kreisen berühmter Mütter, meist
Models, Schauspielerinnen oder Mitglieder europäischer Königshäuser.
Als ein erstes prominentes Beispiel prägte die Berichterstattung über die
beiden Schwangerschaften von Prinzessin Diana Anfang der 1980er-Jahre
lange Zeit den Diskurs. Eine deutliche Intensivierung des Themas der ›Pro-
minenten-Schwangerschaft‹ ist seit den 2000er-Jahren mit Aufkommen ei-
ner verstärkten »Celebrity Culture« zu beobachten (vgl. Hine 2013: 583). In
Zeiten des Social Webs erfährt diese Praxis eine weitere gravierende Dyna-

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Ulla Autenrieth

misierung. Fungierten JournalistInnen vormals als die Haupt­akteurInnen,


die ausgewählte Personen ins Zentrum der Aufmerksamkeit (und damit
auch in die öffentliche Kritik) brachten, sind es nun Frauen und Mütter
selbst, die ihre Post-Babykörper über Social-Media-Plattformen einem
(teil)öffentlichen Publikum präsentieren und zugleich sind diese es auch,
die die Körper der anderen bewerten.
Auf Plattformen wie Facebook und Instagram existieren Gruppen und Ge-
meinschaften, die sich ausschließlich der Optimierung des mütterlichen
Körpers widmen. Teilweise werden diese kommerziell geführt – und dies
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mit großem Erfolg (bspw. Bikini Body Mommy1). Entsprechende Applikatio-


nen sind inzwischen über internetfähige Mobiltelefone zumindest in der
westlichen Welt nahezu überall verfügbar. Insbesondere das Produzieren,
Distribuieren und Kommunizieren von Bildern wurde mit den konstant
verfügbaren Geräten und ergänzenden Applikationen stark vereinfacht.
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Die aufstrebende Plattform Instagram, die sich ganz auf das Posten, Liken
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und Kommentieren von Fotos (und Bewegtbildern) konzentriert, wurde


mit ihren Filteroptionen beispielsweise zum Symbol ästhetisierter Selbst-
darstellung in vernetzten Umgebungen (vgl. Fleming 2017). Bedeutsam
hierfür ist die Verschlagwortung der Bilder über sogenannte ›Hashtags‹,
die einerseits sowohl konnotative als auch denotative Bedeutungshorizonte
erschließen, sowie andererseits thematisch verwandte Bilder such- bzw.
auffindbar machen und damit eine strukturierende Funktion übernehmen.
Der Beitrag widmet sich der Frage, inwiefern sich das Phänomen, dass
junge Mütter sich nach der Schwangerschaft einem zunehmend stärke-
ren Druck der körperlichen Selbstoptimierung aussetzen, durch (private)
visuelle Praktiken auf Social-Media-Plattformen befördert wird bzw. sich
bereits auf die Zeit der Schwangerschaft erstreckt.
Hierfür werden zunächst die Entwicklungen um die visuellen Reprä-
sentationen und medialen Implikationen rund um den prominenten müt-
terlichen Körper aufgezeigt. Im Weiteren werden die Rahmenbedingungen
der Mediatisierung, Vernetzung und Visualisierung von Kommunikation
unter Bezug auf den Aspekt der Selbstdisziplinierung junger Mütter re-
flektiert. Auf Basis von online-ethnografischen Untersuchungen mit Fokus
auf visuelle Artefakte und deren Anschlusskommunikation in Facebook-
Gruppen und auf Instagram werden schließlich die zuvor gemachten Be-

1 Siehe: http://bikinibodymommy.com/

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(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹

obachtungen und aufgestellten Thesen der zunehmenden Dynamisierung


und Normalisierung der Selbstdisziplinierung bei jungen (und werden-
den) Müttern analysiert.
In vergangenen Zeiten war die Wahrnehmung des mütterlichen Kör-
pers stark von der katholischen Kirche geprägt. Die gebärende Frau galt als
heilig und vollkommen, dies war letztlich ihre von Gott gewollte Bestim-
mung (vgl. Labouvie 1998: 35). Auch zu Zeiten des Nationalsozialismus
wurde die Frau vorrangig in ihrer Rolle als Mutter gewürdigt (vgl. Bendel
2007). Von der zweiten Frauenbewegung in den 1970er-Jahren wurde die
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Zuschreibung als Mutter und die damit verbundene Fremdbestimmung


über den weiblichen Körper hinterfragt und die Rolle der Frau in der Ge-
sellschaft gestärkt. Gleichzeitig etablierte sich ein zunehmend schlanke-
res Schönheitsideal (vgl. Villa 2006: 66f.). Im Zuge der darauffolgenden
postfeministischen Strömungen veränderte sich die Wahrnehmung dessen,
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was als weiblich und erstrebenswert gilt, erneut. Gill umschreibt diese
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Entwicklungen wie folgt:


»The notion that femininity is a bodily property; the shift from objectifica-
tion to subjectification; the emphasis upon self-surveillance, monitoring
and discipline; a focus on individualism, choice and empowerment; the
dominance of a makeover paradigm; the articulation or entanglement of
feminist and anti-feminist ideas; a resurgence in ideas of natural sexual
difference; a marked sexualisation of culture; and an emphasis upon consu-
merism and the commodification of difference« (Gill 2007: 255).
Mit der in diesem Kontext stattfindenden Weiterentwicklung des Müt-
terideals, beschreiben Douglas und Michaels unter dem Begriff des »New
Momism« »a set of ideals, norms, and practices, most frequently and power­
fully represented in the media, that seem on the surface to celebrate mo-
therhood, but which in reality promulgate standards of perfection that are
beyond your reach« (Douglas/Michaels 2004: 19). Das Muttersein wird
so wieder zum Zentrum weiblicher Identität. Zwar entfällt die Definition
der Frau über den Mann, jedoch steht sie nun umso stärker mit ihrer Er-
scheinung und ihrer professionalisierten Rolle als Gebärende im Fokus.
Seit den 1980er-Jahren wurden entsprechend ›perfekte‹ Schwangere bzw.
junge Mütter zunehmend auf den Covern großer Fashion- und Celebrity-
Magazine abgebildet (siehe Abb. 1). Hieraus entstand eine gewisse Ambi-
valenz: Einerseits trugen diese Bilder zu einer gewissen Ermächtigung
schwangerer Frauen bei, Schwangerschaft musste nicht weiter versteckt
werden (vgl. Hornuff 2014: 210). Doch zugleich demonstrierten diese Fo-

53
Ulla Autenrieth

tos den LeserInnen, wie scheinbar einfach es ist, eine attraktive (werdende)
Mutter mit perfektem Körper zu sein.

Abbildung 1
Perfekte Schwangere – Ikonisierung des schwangeren
Körpers
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Quelle: Links: Vogue-Cover 06/2010 (http://www.vogue.de/fashion-shows/models/mode-


news-claudia-schiffer3); Rechts: Vogue-Cover 04/2003 (https://www.vogue.com/article/
vogue-covers-models-facts-history)

Neben der stolzen Präsentation des schwangeren Bauches erlebt mit


Beginn des Jahrtausends das Phänomen des ›After-Baby-Bodys‹ großen
Aufschwung, zunächst insbesondere in den USA. Beschrieben werden hier-
unter zumeist die diätischen Erfolge prominenter Mütter, die sich bereits
wenige Wochen oder gar Tage nach der Geburt eines Kindes wieder schlank
und durchtrainiert der Öffentlichkeit präsentieren (vgl. Douglas/Micha-
els 2004: 110ff.). Reduziert auf die rein denotative Ebene wäre zunächst
jeder mütterliche Körper, der gerade ein Kind geboren hat, ein ›After-
Baby-Body‹. Tatsächlich relevant wird der Begriff jedoch erst im Kontext
einer Art ›Leistungserbringung‹: Der ›After-Baby-Body‹ soll sich möglichst
rasch wieder den Maßen des ›Before-Baby-Bodys‹ annähern. Je schneller

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(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹

dies erreicht wird, umso eindrücklicher sind das mediale Echo und die
damit verbundene Aufmerksamkeit, wie das Celebrity-Magazin OK! in ei-
nem Online-Beitrag über die Schauspielerin Mila Kunis (siehe Abb. 2) vom
November 2014 idealtypisch demonstriert (N.N. 2014).

Abbildung 2
Wow-Effekt – Mila Kunis ›zeigt‹ ihren schlanken
›After-Baby-Body‹
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Quelle: https://www.ok-magazin.de/wow-mila-kunis-zeigt-wenige-wochen-nach-geburt-
ihren-schlanken-after-baby-body-30471.html

Lob und Anerkennung (»Wow!«) werden für den »schlanken After-


Baby-Body« nur »wenige Wochen nach Geburt« artikuliert. Während Mila
Kunis lediglich leger gekleidet beim Einkaufen vor das Objektiv eines Pa-
parazzi-Fotografen gerät, präsentiert sich das Topmodel Gisele Bündchen
im Jahr 2013 bereits zwei Monate nach der Entbindung in einem Bikini
auf dem Cover des Modemagazins Vogue (siehe Abb. 3). Betont wird in der
medialen Aufarbeitung dieses ›Ereignisses‹ der Umstand, dass sie einen

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Ulla Autenrieth

›sehr‹ kleinen Bikini trägt und das Coverfoto nicht nachträglich bearbeitet
wurde. Für diese Leistung werden ihr geradezu ›übermenschliche‹ Kräfte
zugesprochen (vgl. Winston 2013).

Abbildung 3
Superhuman – Das Ideal des ›Before-Baby-Bodys‹
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Quelle: https://www.usmagazine.com/celebrity-body/news/gisele-posed-for-vogue-bra-
zil-cover-in-skimpy-bikini-just-two-months-after-giving-birth-2013295/

Hervorgehoben wird der schnelle Gewichtsverlust, die Rückkehr zum


›alten Ideal-Körper‹ eines Models. Hierdurch wird der ›After-Baby-Body‹
letztlich zum ›Before-Baby-Body‹ transformiert. Denn das so kommuni-
zierte Ziel ist letztlich, jegliche Spuren von Schwangerschaft und Geburt
zu verwischen. Der damit proklamierte ideale mütterliche Körper ist je-
ner, dem man die Mutterschaft nicht ansieht. So geht das Phänomen des
›After-Baby-Bodys‹ einher mit einer öffentlichen Ikonisierung des (un-)
mütterlichen Körpers in den Boulevardmedien (vgl. Hornuff 2014: 21ff.).

2. Das ›Visual Social Web‹ und die Erzeugung


scheinbarer sozialer Nähe

Seit Beginn der 1980er-Jahre ist das Phänomen der Celebrity-Mütter als
Thema der Berichterstattung zunächst vor allem in Hochglanz-Print­

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(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹

magazinen in den USA zu beobachten (vgl. Douglas/Michaels 2004: 114).


Doch blieben diese vorwiegend weißen, attraktiven, meist im Unterhal-
tungsgeschäft erfolgreichen, wohlhabenden und damit stark privilegier-
ten Mütter auf das Posieren für Coverfotos und das Zeigen ihres guten
Geschmacks in Form von sogenannten ›Homestorys‹ limitiert. Die jour-
nalistische Aufbereitung der Artikel, ihre klar umrissene Präsentation als
professionell erstellte Medieninhalte, sorgte dafür, dass für die Leserinnen
entsprechender Magazine die Distanz zwischen dem eigenen Alltag und
dem zur Schau gestellten privilegierten Lifestyle stärker vor Augen blieb.
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Mit Aufkommen des Social Web (vgl. Ebersbach/Glaser/Heigl 2010)


vollzog sich hier eine grundsätzliche Veränderung. Stars und Celebritys,
die vormals nur in Hochglanz-Zeitschriften abgebildet waren, geben nun
über ihre diversen Social-Media-Accounts scheinbar private Einblicke in
ihren Alltag (wie bspw. Topmodell Gisele Bündchen in Abb. 4). UserInnen
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bekommen Szenen aus dem Familienalltag zu sehen, die scheinbar privater,


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

uninszenierter Natur sind, und die ›Normalität‹ von Stars hervorheben


(vgl. Marwick 2016).

Abbildung 4
Private Celebritys – Gisele Bündchen auf Instagram

Quelle: siehe https://www.instagram.com/gisele/?hl=en

Während Celebritys in ihren Profilen die vermeintliche Normalität ihres


Alltags demonstrieren, greifen ›durchschnittliche‹ (d. h. nicht-prominente)
Frauen im Zuge einer zunehmenden Visualisierung bzw. Mediatisierung
von Kommunikation die ikonisierten Darstellungsstrategien von Promi-
nenten in immer stärkerem Maße auf (vgl. Autenrieth 2016). In Annähe-
rung an die Ikonografie der schwangeren Stars und Celebritys gehört ein
entsprechendes professionelles ›Maternity-Shooting‹ inzwischen geradezu
zum Standard für viele schwangere Frauen. Und wie zuvor für die Hoch-

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Ulla Autenrieth

zeitsfotografie hat sich zwischenzeitlich für den Bereich der Schwangeren-


und Baby-Fotografie ein lukrativer Markt etabliert.

Abbildung 5
Maternity-Shooting
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Quelle: Screenshot Instagram

Wie in Abbildung 5 deutlich wird, sind die Fotos mit den auf ihnen
dargestellten Posen und in ihrer angestrebten Ästhetik an die ›Vor-Bil-
der‹ in den großen Lifestyle-Printmagazinen angelehnt. In der Art und
Weise, wie sich viele Frauen bereits während der Schwangerschaft an den
entsprechenden medialen Vorlagen orientieren, setzt sich das Phänomen
nach der Geburt fort.
In der Form einer klassischen Vorher-/Nachher-Darstellung, wie sie z. B.
aus der Diätwerbung bekannt wurde, stellen viele Frauen Fotos von sich

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(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹

online, die sie während und nach der Schwangerschaft zeigen. Der Fokus
liegt auch hier auf dem tunlichst guten Erhalt der eigenen Figur während
der Schwangerschaft, bzw. auf der schnellen Rückkehr zur ›alten‹ Silhou-
ette, d. h. auf eine möglichst schnelle Elimination der Schwangerschaftsspu-
ren (siehe Abb. 6). In speziell gegründeten Gruppen oder über Hashtags (z. B.
#fitpregnancy oder #fitmom) werden die zugehörigen Diskurse geführt.
Fotos vor und nach der Geburt werden online gestellt und entsprechend
zur Bewertung – in Form von Likes und Kommentaren – dargeboten.
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Abbildung 6
#fitpregnancy
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Quelle: Screenshot Instagram

Die Wahrnehmung des eigenen Körpers ist stets abhängig von sozi-
alen Kontexten (vgl. Villa 2006: 15). In den Gruppen wird der schwan-

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Ulla Autenrieth

gere Körper zur Vergleichsgröße für Selbstbeherrschung und Erfolg, es


kommt zu einer Art ›Peer-review‹-Prozess. Zwar wird der schwangere
Körper mit dem gerundeten Bauch nach wie vor stolz gezeigt, Ziel ist
jedoch, diesen schon bald wieder möglichst flach präsentieren zu kön-
nen. Hierfür erhält ›frau‹ Anerkennung und positive Rückmeldungen
wie bereits ihre prominenten Vorreiterinnen. Im Unterschied zu den
prominenten Frauen sind diese Fotos jedoch weder ›aus Versehen‹, d. h.
durch eine/n unerwünschte/n FotografIn entstanden, noch entstammen
sie einem professionellen Kontext. Die meisten der Bilder wurden in
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privaten Räumlichkeiten oder in Fitnessstudios vor großen Spiegeln in


Form eines klassischen Selfies von der Abgebildeten selbst aufgenommen
und intentional über Social Media, in obigem Beispiel die Foto-Sharing-
Plattform Instagram, öffentlich geteilt.
Neben dem Reality-Fernsehen suggeriert die Social-Media-Präsenz
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der Stars und Celebritys noch stärker den Eindruck von Normalität und
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

ein Gefühl von ›Jede kann es schaffen‹: Wenn Gisele Bündchen wie eine
durchschnittliche Frau mit ihren Kindern im Garten spielt, kann eine
durchschnittliche Frau auch aussehen wie Gisele Bündchen, so der impli-
zite Umkehrschluss. Doch während sich die visuelle Ästhetik der (Selbst-)
Darstellungspraktiken zwischen ›normalen‹ Frauen und prominenten
Vertreterinnen kontinuierlich angleicht, bleibt die Differenz in den Le-
benswelten und Voraussetzungen des Alltags, insbesondere aufgrund
unterschiedlicher ökonomischer Rahmenbedingungen, bestehen. Dies
wird jedoch nur in Ausnahmefällen thematisiert, wie beispielsweise
durch das US-amerikanische Model Chrissy Teigen, die in einem Inter-
view erläuterte, wie sie selbst und andere Celebritys es nur aufgrund
der Hilfe einer Schar von KöchInnen, ErnährungsberaterInnen, Nannys
und FitnesstrainerInnen schaffen, kurz nach der Geburt bereits wieder
schlank über rote Teppiche zu flanieren oder an Modeschauen teilzu-
nehmen und entsprechende Fotos auf ihren Social-Media-Profilen zu
posten (vgl. Clements 2016). Es findet also lediglich vordergründig eine
Angleichung der Lebenswelten bzw. Medienpraktiken zwischen Celeb-
ritys und ›durchschnittlichen‹ Frauen statt. Jedoch übertragen sich die
Maßstäbe und Erwartungen, nicht zuletzt aufgrund der minuziösen
Darstellung scheinbar aller Etappen aus der Schwangerschaft und der
Zeit nach der Geburt im Leben der Stars und Celebritys, auf die Selbst-
wahrnehmung von Frauen.

60
(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹

3. We are all celebrity moms (or not …): Mediale


Distinktion und Differenz zwischen Müttern

Wie groß die Differenz im Alltagserleben zwischen durchschnittlichen


und Celebrity-Müttern wohl ist, wird in einem Foto deutlich, welches das
Topmodel Gisele Bündchen auf ihrem Instagram-Account mit dem Hashtag
#multitasking postete und welches sie in der Vorbereitung für ein Foto­
shooting zeigt (siehe Abb. 7). Während sie gerade ihre Tochter stillt, ist ein
Team aus drei StylistInnen damit beschäftigt, sie entsprechend fototauglich
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aufzubereiten. Doch selbst dies darf letztlich nur als kleiner Blick hinter
die Kulissen verstanden werden.

Abbildung 7
Gisele Bündchen – #multitasking
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Quelle: http://www.dailymail.co.uk/femail/article-2522180/Gisele-Bundchen-tweets-
image-breastfeeding-stylists-dance-attendance.html

Während ein vergleichbares Team an MitarbeiterInnen für die meisten


Frauen unerschwinglich bleibt, wächst ein kommerzieller Markt an Figur-,
Fitness- und Lifestylecoaches, die sich speziell an Frauen und insbeson-

61
Ulla Autenrieth

dere Mütter richten und vorrangig über die verschiedenen Social-Media-


Kanäle arbeiten (siehe Abb. 8). Bekanntestes Beispiel ist Kayla Itsines, die
inzwischen fast neun Millionen FollowerInnen auf Instagram versammelt.
Mithilfe ihrer Social-Media-Präsenz und dem von ihr über Apps vertrie-
benen Fitnessprogramm, dem sogenannten ›Bikini-Body-Guide‹ (kurz: BBG),
generiert sie einen Umsatz von mehreren Millionen Dollar pro Jahr und
gilt als eine der 30 bedeutendsten Personen des Internets (vgl. Blair 2016).

Abbildung 8
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Ein neuer Markt – professionelle ›After-Baby-Body‹-


Communitys
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Quelle: Screenshots des Instagram-Profils von Kayla Itsines (oben) und Screenshot der
Facebook-Seite Bikini Body Mommy

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(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹

Unter den Hashtags #BBGmums bzw. #BBGmoms sammeln sich die


Mütter unter ihren AnhängerInnen und zeigen die mithilfe ihres Fitness-
programms erzielten Fortschritte des eigenen ›After-Baby-Bodys‹ anhand
von Fotos auf Instagram (siehe Abb. 9). Regelmäßig re-postet Itsines die
Erfolgsbilder und kommentiert sie überschwänglich, ebenso wie viele ih-
rer Followerinnen. Ein ähnliches Geschäftskonzept verfolgt die dreifache
Mutter Briana Christine unter dem Titel Bikini Body Mommy (siehe Abb. 8,
unten), die die Arbeit an ihrem Körper im Anschluss an die Geburten ihrer
Kinder inzwischen zu einem kommerziell äußerst erfolgreichen Produkt
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entwickelt hat.

Abbildung 9
#BBGmums
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Quelle: Screenshot Instagram

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Ulla Autenrieth

Ergänzend zu ihren Fitnesskursen werden bei beiden Anbieterinnen


umfangreiche Online-Angebote mit Ernährungstipps, Rezepten und mo-
tivierenden Worten gleich hinzugeliefert bzw. in den entsprechenden
Communitys ausgetauscht. So kommt es zu einer weiteren scheinbaren
Angleichung der Lebensstile zwischen ›normalen‹ und Celebrity-Müttern,
vereint im Streben nach demselben Körperideal. Zwar fehlt noch der Ba-
bysitter, der einem die Kinder während des Fitnessprogramms abnimmt,
doch selbst dies kann nicht als Entschuldigung akzeptiert werden, wie die
programmatische Verlautbarung der No-Excuse-Mom verdeutlicht. Diese
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akzeptiert ›keine Entschuldigung‹, es gibt gemäß ihrer Argumentation


keine Ausrede dafür, nicht top in Form zu sein, egal ob man Kinder hat
oder nicht. Im Gegenteil, denn wie sie selbst propagiert: »Motherhood CAN
make you Better« (siehe Abb. 10). Das persönliche Erscheinungsbild wird
damit zum Abbild der eigenen Selbstdisziplin stilisiert.
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Abbildung 10
No Excuse Mom

Quelle: http://www.noexcusemom.com/

Und ›besser‹ bezieht sich hier auf den Zustand des perfekt durchtrai-
nierten mütterlichen Körpers. In Form einer weiteren Zuspitzung stellt sich
schließlich die Frage: Warum ›nur‹ zurück zur ›alten‹ Figur? Denn aller
Wahrscheinlichkeit nach lässt sich diese noch weiter optimieren. Im Sinne
eines ›gut ist nicht gut genug‹ wird hier an die fortwährende und kontinu-
ierliche Selbstoptimierung des weiblichen bzw. – weiter zugespitzt – müt-

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(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹

terlichen Körpers appelliert (vgl. Bröckling 2007). Doch mit der Über-
nahme von ›Verantwortung‹ für die eigene Erscheinung ist der Kampf um
den perfekten Körper zugleich ein Kampf gegen das Versagen. Schließlich
sind es in den Fitness-Communitys bzw. auf Facebook und Instagram ›nor-
male‹ Frauen, die ihre Körper und ihre ›Erfolge‹ zeigen. Letztlich wird dies
als Beweis gewertet für die Aussage: Ein perfekter Körper ist für jede(n)
machbar. Wo vormals lediglich ›Rückbildungsgymnastik‹ als medizinische
Regeneration des postnatalen Frauenkörpers vorgesehen war – immer
mit dem Verweis auf dessen Schonung – existiert inzwischen eine ganze
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Fitnessindustrie zur Überarbeitung des postnatalen Körpers.


Aus dem Reality-Fernsehen mit seinen ›Make-over‹-Formaten zu Ver-
besserung des eigenen Lebens existieren bereits entsprechende Vorlagen,
die zeigen, dass ein gutes Leben bzw. ein schöner Körper mit nur genügend
Anstrengung von jedem und jeder erzielt werden können (vgl. Ouellette/
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Hay 2008: 15). Das Selbst bzw. der Körper wird als formbares Kapital dar-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

gestellt, das mit dem richtigen Training und der richtigen Verpackung
den eigenen Marktwert verbessern kann. Damit einher geht einerseits die
Vermittlung eines Gefühls der Selbstermächtigung im Sinne von ›jede/r
kann seine/ihre Ziele erreichen‹, zugleich wird jedoch die Tendenz zu For-
derungen konstanter Selbstoptimierung verstärkt (vgl. ebd.: 7; Thomas
2008; siehe auch den Beitrag von Schwarzenegger/Hörtnagl/Erber
in diesem Band). Damit bauen derartige Fernsehserien ebenso wie ent-
sprechende Social-Media-Kanäle auf bereits lange etablierten Trainings-
routinen insbesondere für Frauen auf, die letztlich bezwecken, den Wert
von Frauen auf einem heterosexuellen PartnerInnenmarkt zu erhöhen.
Das Phänomen der gesteigerten Selbstoptimierung zeichnet sich als
Trend spätestens seit den 1990er-Jahren ab. Ziel ist die Verbesserung des
Selbst in professioneller wie in persönlicher Hinsicht. Im Zuge eines ›Ma-
nagements des Selbst‹ wird die Arbeit an der eigenen Persönlichkeit und
Erscheinung vorangetrieben (vgl. Bröckling 2007). Mit dem Aufkommen
des Social Web erhielt die Darstellung und Inszenierung des Selbst eine
neue Dimension. Profile müssen gestaltet und gepflegt werden, dies im
Zuge einer zunehmenden Visualisierung von Kommunikation unter den
Implikationen des World Wide Web: Kopierbarkeit, Suchbarkeit, Skalier-
barkeit und Persistenz (vgl. boyd/Ellison 2007). Aussehen und Auftreten
nehmen eine gewichtige Rolle ein. Sie sind sichtbare Zeichen von Erfolg.
Wichtig ist hierbei die Eigenverantwortung des Individuums. Im Prozess
der Individualisierung erscheint nicht nur alles möglich, sondern auch

65
Ulla Autenrieth

machbar, der gesellschaftliche Aufstieg ebenso wie der perfekte Körper.


Gelingt dies nicht, fällt das Stigma des Versagens auf das Individuum zu-
rück. Mit der Prämisse ›jede(r) kann es schaffen‹ geht die Verpflichtung ›es‹
schaffen zu müssen einher (exemplarisch hierzu: ›noexcusemom‹2) – das
»unternehmerische Selbst« (Bröckling 2007) wird damit zur zentralen
Selbstausrichtungsfigur heutiger Individuen.

Abbildung 11
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Scheinbare Ambivalenz
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Quelle: http://www.jolie.de/mode/models-geburt-schlank

Zentral ist hierbei Foucaults Begriff der Selbstdisziplinierung, der in


seinen Ausführungen zur Macht einen wichtigen Stellenwert einnimmt.
Unter dem Begriff der Disziplin fasst er zunächst jene »Methoden, wel-
che die peinliche Kontrolle der Körpertätigkeiten und die dauerhafte Un-

2 Siehe: http://www.noexcusemom.com/50-tips-to-becoming-a-fit-mother/

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(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹

terwerfung ihrer Kräfte ermöglichen und sie gelehrig/nützlich machen«


(Foucault 1977: 175). Im Zuge einer zunehmenden Selbstdisziplinierung
übernimmt die dem Körper innewohnende ›Seele‹ die Herrschaft über
den Körper und forciert ohne zunächst erkennbare äußere Einflüsse das
gewünschte Verhalten (ebd.: 42). Der »Kult um die Schönheit« (Posch
2009: 33) ist als Bemühen um die »persönliche und soziale Positionierung«
(ebd.) zu verstehen – einerseits in Anpassung (d. h. in Form einer Normali-
sierungsspirale) und andererseits in Abgrenzung (von anderen – weniger
disziplinierten – Teilen der Gesellschaft) und wirkt damit identitätsstif-
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tend. Beides ist über Plattformen wie Instagram möglich: Die Orientierung
an Gleichgesinnten ist ebenso gegeben wie die Distanzierung von Ande-
ren. Zugleich wirkt beides im Sinne Foucaults disziplinierend, ein konti-
nuierliches Selbstmonitoring wird erleichtert: Wo stehe ich im Vergleich,
entspreche ich den gewünschten Standards? Dies wird über entsprechend
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vernetzte Social-Media-Angebote dokumentiert (fotografiert und vermes-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

sen), überwacht, (teil)öffentlich publiziert und diskutiert sowie verglichen


und gegebenenfalls korrigiert; oftmals im Vergleich damit, wie erfolgreich
die Anderen sind und mit welchen Mitteln sie arbeiten.
Die Darstellung des ›After-Baby-Bodys‹ in vielen Medien verbleibt nur
in scheinbarer Ambivalenz. Der textbasierten Betonung darauf, dass dies
Sonderfälle sind, sich neue Mütter ›keinen Stress machen‹ sollen, steht die
dominante visuelle Botschaft der gezeigten Bilder entgegen (siehe Abb. 11).
Zwar gibt es regelmäßig Gegenbeispiele, die die Schönheit des postnatalen
Körpers in all seinen Facetten anhand von Bildern hervorheben wollen,3
letztlich demonstriert deren Existenz jedoch vor allem die Vorherrschaft
konventioneller Schönheitsideale.

4. Der Druck steigt – »Don’t let yourself go« als


Mahnung

In Gesellschaften des kalorischen Überflusses zeigt sich mit der Durchset-


zung von Schlankheit als hegemonialem Schönheitsideal in den letzten
Jahrzehnten eine zunehmende soziale Marginalisierung von Menschen mit
›Übergewicht‹ bzw. jenen, die Körperidealen nicht entsprechen. Deutlich

3 Siehe: http://www.abeautifulbodyproject.org/

67
Ulla Autenrieth

wird dies insbesondere in sogenannten ›Reality- oder scripted Reality-TV-


Formaten‹, wie Frauentausch oder Familien im Brennpunkt, die sich im Pri-
vatfernsehen konstant großer Beliebtheit erfreuen. Es gilt: »Fette faule
Mütter ziehen immer!«, wie ein Produzent dieser Sendungen geäußert hat
(siehe Kikol 2017). Soziale Distinktion erfolgt hier direkt durch die Selbst-
erhebung der ZuschauerInnen über die Darstellenden bzw. Dargestellten.
Die präferierten Orientierungsfolien hierbei sind eindeutig. Lifestyle und
Konsum werden zu Mitteln und Versuchen des gesellschaftlichen Auf-
stiegs. ›Schlanke Hochglanzmütter‹ stehen dabei im Kontrast zu ›dicken
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Reality-TV-Müttern‹. Es erfolgt eine Gleichsetzung bzw. Zuschreibung von


verschiedenen Personeneigenschaften basierend auf ihrem Körperumfang.
Bislang galt die öffentliche Aufmerksamkeit der Formen des weiblichen
Körpers in der Schwangerschaft vorrangig den damit einhergehenden
Rundungen und insbesondere dem wachsenden Bauch. Das Zulegen von
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sogenannten ›Babypfunden‹ wurde bzw. wird meist vergleichsweise positiv


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

kommentiert (vgl. N.N. 2017), gilt dies doch als Zeichen von Fruchtbarkeit
und als Hinweis auf ein sich gesund entwickelndes Baby. Doch offenbart
sich eine wachsende Ausdehnung normativer Vorgaben und Schlankheits-
ideale zunehmend bereits auf die Zeit während der Schwangerschaft. Dies
geht einher mit klaren Vorgaben aus der Ratgeberliteratur zur moder-
nen Schwangerschaftsdiät. Hier werden den schwangeren Frauen bereits
eindeutige Ratschläge und konkrete Vorgaben erteilt, um nicht ›zu viel‹
Gewicht zuzulegen: »Normal und wünschenswert sind zehn bis elf Kilo«
(Adam [1993: 29], zitiert nach Hornuff 2014: 246), jedoch bleibt im Un-
klaren, wer dies ›wünscht‹ und wer über ›normal‹ entscheidet (vgl. ebd.).
Im medialen Diskurs vergleichsweise neu erscheint die Mahnung an
noch schwangere Frauen, sich selbst ›nicht gehen zu lassen‹ (Spencer 2016,
siehe Abb. 12). Mit ›gehen lassen‹, ist hier das Nachgeben von ›Schwanger-
schaftsgelüsten‹ in Form von kalorienreichen Nahrungsmitteln, weniger
sportlichen Aktivitäten und einer damit einhergehenden Zunahme an
Körpergewicht gemeint. Es genügt nicht mehr, sich möglichst schnell im
Anschluss an die Geburt wieder auf die prä-schwangeren Körpermaße zu
trimmen, sondern idealerweise kämpft ›frau‹ bereits in der Schwanger-
schaft gegen sich ankündigende ›Babypfunde‹, d. h. für den perfekten
›Before-Baby-Body‹.
Auch hierfür hat sich bereits ein lukrativer Markt etabliert, der in Form
von Magazinen wie fit pregnancy oder speziellen Fitnesskursen (siehe Abb. 13)
eine Vielzahl an Angeboten für schwangere Frauen bereithält.

68
(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹

Abbildung 12
Not ›Letting Yourself Go‹
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Quelle: http://www.scarymommy.com/naya-rivera-i-let-myself-go-during-pregnancy/

Abbildung 13
Fit in der Schwangerschaft

Quelle: www.windeln.de

Beworben wird mit diesem Foto das Bild der idealen Schwangeren:
Sportlich aktiv und durchtrainiert, selbst bei sich bereits deutlich wöl-
bender Körpermitte. Das Versprechen des Online-Fitnesskurses ist damit
zugleich: immer verfügbar und örtlich ungebunden. Ganz im Sinne der
No-excuse-Mom gibt es so selbst für die Zeit während der Schwangerschaft
keine ›Entschuldigung‹, sich nicht körperlich fit und schlank zu halten.
Lange Zeit galt: »Je schwangerer eine Frau, desto unerotischer ihr Er-
scheinen« (Hornuff 2014: 222). Diese Prämisse obliegt nun der Vergan-
genheit. Die Sorge um die eigene Attraktivität wird auch in der Schwanger-
schaft zum Standard. Körperliche Attraktivität gilt als gestaltbar und nur

69
Ulla Autenrieth

dem eigenen Willen unterworfen. So wird hier ein Trend fortgesetzt, der
sich als »körperzentrierte Lebensgestaltung« (Wetz 2008: 182) beschreiben
lässt. Schwangere wurden kulturhistorisch vom ästhetischen öffentlichen
Ärgernis, das es möglichst zu verstecken galt, zu einer medialen Sensation.
Auf sie werden nun jedoch ebenso Merkmale wie Disziplin, Askese und
Selbstformung projiziert (vgl. Hornuff 2014: 224). Exemplarisch hierfür
ist das Beispiel eines Models, welches aufgrund seiner Disziplin selbst in
der Schwangerschaft die zum ›Six-Pack‹-trainierten Bauchmuskeln bei-
behielt (siehe Abb. 14).
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Abbildung 14
Schwangeres ›Six-Pack‹-Model
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

https://www.menshealth.com/sex-women/pregnant-model-sarah-stage-six-pack-abs

Zwar wurde bereits zu früheren Zeiten Schwangeren nahegelegt, sich


zu pflegen und mögliche ›Kollateralschäden‹ der Schwangerschaft zu
vermeiden. Dies bezog sich bislang jedoch eher auf den kosmetischen
Bereich, etwa in Form von Cremes und Ölen, die speziell für die Schwan-

70
(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹

gerschaft entwickelt bzw. vermarktet wurden. So offerierte zu Beginn der


1980er-Jahre eine Print-Anzeige der Kosmetikmarke Bübchen eine »sah-
nige Blütenlotion mit Kamille«, die in Kombination mit regelmäßigen
Zupfmassagen Schwangerschaftsstreifen vorbeuge. Jedoch galt die Zeit
der Schwangerschaft vorrangig als Phase der Kontemplation und Besin-
nung auf das beginnende Leben. Von körperlichen Aktivitäten wurde in
der entsprechenden Ratgeberliteratur historisch lange Zeit eher abgera-
ten (vgl. Hornuff 2014: 217). Die zunehmende Leibesfülle wurde durch
›klassische‹ Umstandsmode bis zu Beginn der 1990er-Jahre derart verhüllt,
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dass einige Kilos mehr oder weniger kaum auffielen. Respektive galt eine
entsprechende Gewichtszunahme als unvermeidbar. Dies änderte sich in
Anbetracht der zunehmenden Popularisierung und Boulevardisierung
des schwangeren Frauenkörpers. Die ästhetisch ideale Schwangerschaft
heißt die Gesamtkörperkontur schlank zu erhalten, bei maximaler Kon-
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trastierung durch einen sich deutlich wölbenden Bauch: »Wesentliches


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Qualitätskriterium ist dabei [in der Schwangerschaft, A. d. V.] die Beibe-


haltung einer prä-graviden Schlankheit. Diese muss allerdings in mög-
lichst scharfen Kontrast zum sich auswölbenden Bauchumfang gebracht
werden« (ebd.: 222).

5. (Vor-)Bilder – Stellenwert und Macht visueller


Darstellungen in der (post-)natalen (Selbst-)
Präsentation von Frauenkörpern in vernetzten
Umgebungen

Klassische Hochglanzmagazine wie Vogue oder Fanity Fair entdeckten hoch-


schwangere Models und Celebritys (seit Beginn der 1990er-Jahre) als spekta-
kuläre Aufmachermotive für ihre Cover. Dies brach mit der Konvention des
Versteckens der ›anderen Umstände‹ einerseits, doch etablierte sich damit
zugleich das Bild der prominenten »yummy mummy« als postfeministischer
Archetypus (vgl. Hine 2013: 585). Präsentiert werden hier gemäß konventi-
oneller Schönheitsideale perfekt inszenierte Frauen, die stolz ihre deutlich
gerundeten Bäuche zeigen. Die Bäuche werden hier zumeist nackt (siehe Abb.
1 links: Claudia Schiffer in der Vogue), respektive nur schemenhaft durch ei-
nen durchsichtigen Stoff verdeckt (siehe Abb. 1 rechts: Brooke Shields in der
Vogue), abgebildet. Hierdurch wird der proklamierten Authentizität der Bilder
Rechnung getragen: Die abgebildeten Models sind ›wirklich‹, d. h. eindeutig

71
Ulla Autenrieth

sichtbar hochschwanger. Hierauf folgt in inzwischen zuverlässiger Konse-


quenz nur wenige Wochen später die Präsentation des wieder erschlankten
›After-Baby-Bodys‹. Beide Fotos bedingen einander respektive unterstützen
sich in ihrer Wechselwirkung. Ohne die mediale Darstellung des offensicht-
lich stark gerundeten Bauches wäre eine Abbildung des ›After-Baby-Bodys‹
nur mäßig wirkungsvoll. Der Effekt liegt gerade in einem möglichst großen
Kontrast der beiden Fotos. Je dicker der Bauch, bzw. sichtbarer die sogenann-
ten ›Babypfunde‹ zuvor, umso beeindruckender ist die Metamorphose zu-
rück zum schlanken und durchtrainierten Modelbauch. Diese (Vor-)Bilder
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vermitteln durch beispielhafte Sichtbarkeit der ›perfekten‹ Schwangeren


bzw. ›seit kurzer Zeit nicht mehr Schwangeren‹ ein Idealbild, das auf Social-
Media-Plattformen, allen voran Instagram, von zahllosen ›durchschnittlichen‹
Frauen mitverfolgt respektive angestrebt wird.
Bei der Darstellung und normativen Zuschreibung des ›idealen After-
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bzw. Before-Baby-Bodys‹ erweisen sich Fotografien in Online-Umgebun-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

gen als zentrales Kommunikationsmittel. Von besonderer Bedeutung ist


hierbei die Rolle visueller Artefakte in Form privater, weil gemeinhin als
›authentisch‹ aufgefasster Amateur-Fotografien (vgl. Krämer/Lobinger
2017: 7). Auf den Plattformen bzw. in den Gruppen sind diese Diskurs-
grundlage und Ergebnispräsentation zugleich. Fundament hierfür ist,
dass Bilder als »wahrnehmungsnahe Zeichen« (Sachs-Hombach 2003:
74) aufgefasst werden können, die den/die BetrachterIn auf spezifische
Zeichenhorizonte verweisen. Hierbei gelten Bilder nach wie vor als au-
thentische Dokumente, die Vorhandenes sichtbar und emotional erfahrbar
machen. Dieser den Fotos zugesprochene Dokumentations- und Verwei-
sungscharakter bildet zugleich die Grundlage ihrer Verwendung innerhalb
entsprechender Social-Media-Angebote: In Form von Vorher-Nachher-
Fotos, Erfolgsmeldungen und Dokumentationen des eigenen Handelns
werden sie als ›wahre‹ Zeugnisse aufgefasst. Gerade in der fortwährenden
Beteuerung, dass ein derartiger postnataler Körper nicht selbstverständ-
lich und natürlich nicht verpflichtend für alle sei, liegt doch zugleich die
Attraktivität des anvisierten Ziels. Verstärkt wird dies, indem der visuelle
Fokus auf ›normalen‹ Frauen liegt. Denn gerade deren auf Instagram prä-
sentierte ›Erfolgsbilder‹ vermitteln umso mehr den Eindruck: Mit genü-
gend Motivation und Anstrengung ist alles erreichbar. Ansonsten droht
als (Schreckens-)Bild die potenzielle Gleichsetzung mit der medial vielfach
konstruierten (s.o.) ›fetten, faulen Reality-TV-Mutter‹.

72
(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹

Literatur

Autenrieth, U.: Bilder in medial vermittelter Alltagskommunikation.


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Guru? In: Independent, 18.03.2016. http://www.independent.co.uk/
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fitness-guru-a6939111.html [15.02.2018]
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Foucault, M.: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses.
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Hine, G.: The Changing Shape Of Pregnancy In New Zealands Women’s
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Hornuff, D.: Schwangerschaft. Eine Kulturgeschichte. Paderborn [Wilhelm
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73
Ulla Autenrieth

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drehbuchautor-von-scripted-reality-erzaehlt-a-1164087.html
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Krämer, B.; K. Lobinger: »So und nicht anders ist es gewesen!«
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Authentizitätsmarker in der visuellen Kommunikation.
In: Lobinger, K. (Hrsg.): Handbuch Visuelle Kommunikationsforschung.
Wiesbaden [Springer VS] 2017, S. 1-21
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

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ok-magazin.de/wow-mila-kunis-zeigt-wenige-wochen-nach-geburt-
ihren-schlanken-after-baby-body-30471.html [08.03.2018]
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Ouelette, L.; J. Hay: Better Living through Reality TV. Television and Post-
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Posch, W.: Projekt Körper. Wie der Kult um die Schönheit unser Leben prägt.
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Sachs-Hombach, K.: Das Bild als kommunikatives Medium. Elemente einer
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T. Thomas (Hrsg.): Medien – Diversität – Ungleichheit. Zur
medialen Konstruktion sozialer Differenz. Wiesbaden [VS Verlag für
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74
(Vor-)Bilder: Von Gisele Bündchen zur ›Average Mom‹

Villa, P.-I.: Sexy Bodies. Eine soziologische Reise durch den Geschlechtskörper.
Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2006
Wetz, F.: Abenteuer des Körpers. Über Sport, Drogen, Sex.
In: Steenblock, V. (Hrsg.): Kolleg Praktische Philosophie. Stuttgart
[Reclam Verlag] 2008, S. 167-205
Winston, F.: Gisele Bundchen Posed for Vogue Brazil Cover in Skimpy
Bikini Just Two Months After Giving Birth. In: US Weekly Online,
29.5.2013. https://www.usmagazine.com/celebrity-body/news/gisele-
posed-for-vogue-brazil-cover-in-skimpy-bikini-just-two-months-
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after-giving-birth-2013295 [15.02.2018]
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Christian Schwarzenegger / Jakob Hörtnagl /
Lena Erber
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Straffer Körper, gutes Leben?


Fitnessinhalte auf Instagram zwischen Ideal und
Selbst und deren Aneignung durch junge Frauen
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Wir leben in einem Zeitalter der Optimierung, der Effizienz und der Effizi-
enzkontrolle. In einer kapitalistisch geprägten Gesellschaft, in der die Ver-
wertbarkeit, der Nutzwert und die Anwendungsorientierung von Wissen,
Fertigkeiten und Geschick zu einer zentralen gesellschaftlichen Maxime
geworden sind, stellen das Selbst, der eigene Geist und der eigene Körper
die ultimative Ressource dar. Längst ist es nicht mehr nur die konkrete
Arbeitskraft des Menschen, die in den Dienst der kapitalistischen Verwer-
tungskette gestellt wird, sondern der Mensch als Ganzes wird aufgefordert,
sich nach dem Vorbild neoliberaler Verwertungslogiken zu formen und
sich im Wettbewerb der Subjekte auf dem Markt anzubieten (vgl. Lemke/
Krasmann/Bröckling 2015). Wie ›man‹ lebt, was ›man‹ tut, wie ›man‹ aus-
sieht und ob ›man‹ in Form ist, wird zum wesentlichen Bestandteil dieses
größeren Kommodifizierungsprozesses. Ulrich Bröckling beschreibt das
»unternehmerische Selbst« (Bröckling 2007) in diesem Zusammenhang
als die dominante Subjektform der Gegenwart. Als Ich-AG folgt es dem
Imperativ der beständigen Selbstoptimierung und muss durch gekonnte
Selbstdarstellung als Manager seines eigenen Erfolges bestehen – oder Ver-
antwortung für sein Scheitern übernehmen. Die Anpassung persönlichen
(Medien-)Handelns an Angebote, aus denen sich Regime der Optimierung,
der Effizienzsteigerung und der Leistungsfähigkeit konstituieren, kann
als eine Durchdringung des Alltags mit der neoliberalen Doktrin begrif-
fen werden, wonach die kollektive Verantwortungsübernahme als nach-

76
Straffer Körper, gutes Leben? Fitnessinhalte auf Instagram zwischen Ideal und Selbst
und deren Aneignung durch junge Frauen

rangig verstanden wird und die Eigenverantwortung des Individuums


in den Mittelpunkt rückt (vgl. Mau 2017: 41). Damit werden der Wettbe-
werb und der Vergleich zu bestimmenden Operationen des Miteinanders.
Durch die nahezu omnipräsente Durchdringung der Gesellschaft und des
Alltagslebens mit Medien werden alltägliche Praktiken zunehmend unter
Zuhilfe­nahme von Medientechnologien beobachtet, gesammelt, bewer-
tet und einem Fremdurteil zugänglich gemacht. Gerade soziale Medien
bieten sich dabei als Bühnen des Vergleichs und des Wettbewerbs an, auf
denen sich persönliche Identitätsziele und Kategorien des gesellschaftlich
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Wünschenswerten überschneiden.
Im Zentrum der hier vorgestellten Fallstudie zu Aneignungspraktiken
und Rationalisierungsstrategien im Bildhandeln und Kommunizieren
von jungen Frauen zu fitnessrelevanten Inhalten auf Instagram, steht die
Frage, wie Vorstellungen und gesellschaftliche Orientierungsmuster für
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das ›wertvolle und richtige‹ Leben im Gebrauch verschiedener Kommuni-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

kationstechnologien, insbesondere Social-Media-Plattformen, vermittelt


und angeeignet werden.1 Wenn von Selbstoptimierung oder -verbesserung
mit und durch Medien gesprochen wird, dann liegen dieser Optimierung
Ideale, Zielvorstellungen und Sollnormen zugrunde, die ihrerseits gesell-
schaftlich formatiert und geprägt sind. Die Studie bietet damit stellvertre-
tend einen Beobachtungsfall für generelle Tendenzen der gesellschaftlichen
Auseinandersetzung, individuellen Orientierung und Willensbildung in
mediensaturierten Gesellschaften.
Aspekte des (medien)technologischen Wandels und jene des sozialen
Wandels sind miteinander eng verbunden. Durch Verschiebungen der
Nutzungsrealität, weg von traditionellen Massenmedien alleine, hin zu
pluralisierten Social-Media-Repertoires, ist eine Ausweitung der traditio­
nellen Perspektiven der kommunikationswissenschaftlichen Forschung
zu Geschlechter- und Körperdarstellungen um diese neuen Arenen der
Aneignung und Auseinandersetzung geboten. Mit der zunehmenden Be-
deutung visueller sozialer Medien für die alltägliche Kommunikation und
Kontaktpflege (vgl. Lobinger 2012) wird auch die Frage nach den Einflüs-

1 Dieses exemplarisch vorgestellte Projekt ist Teil eines größeren Forschungszusammenhangs,


in dem wir uns entlang verschiedener Fallstudien zu Digitalisierungsfolgen mit der Interak-
tion zwischen Mensch und Technik einerseits und mit den Themen der körperlichen Selbst­
optimierung und Selbstdarstellung unter Einbeziehung von neuen (Medien-)Technologien
andererseits beschäftigen.

77
Christian Schwarzenegger / Jakob Hörtnagl / Lena Erber

sen von visuell geprägten und bildbezogenen Kommunikationsformen


auf die NutzerInnen virulent. Traditionell geht die stark medienpsycho-
logisch geprägte Forschung in diesem Bereich von einem Zusammenhang
zwischen der Nutzung von (sozialen) Medien, sozialem Aufwärtsvergleich
und empfundenem Einfluss auf Selbstwahrnehmung, Körperbild und Ei-
genbewertung aus (exemplarisch: Halliwell/Dittmar 2005; Ferguson
2013; zum Überblick: Blake 2015). Beobachtungs-, Bewertungs- und Pu-
blikumslogiken, die technisch lange nur im massenmedialen Rahmen zu
denken waren, werden durch personalisierte Social-Media-Umgebungen
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heute Teil alltäglicher Bildpraktiken und individueller Kommunikations-


formen und rücken so noch näher an die NutzerInnen heran (vgl. Perloff
2014; Lup/TruB/Rosenthal 2015; Fardouly/Willburger/Vartanian
2017). Der Themenbereich Fitness bietet sich zur Untersuchung an, da sich
damit ein gesellschaftliches Handlungsfeld skizzieren lässt, mit dem sich
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plausibel körperbezogene Normierungs-, Optimierungs- und Disziplinie-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

rungsabsichten sowie angebotene Strategien der körperlichen Ertüchtigung


und des Wohlbefindens assoziieren lassen (vgl. Duttweiler 2007, 2016).
Anders als in der klassischen Medienwirkungsforschung, wird in der von
uns eingenommenen Perspektive auf Aneignung nicht davon ausgegangen,
dass Konsequenzen, Folgen, Manipulationen oder auch Gratifikationen
eine konkrete Wirkfolge des Medieninhaltes sind und von diesem ursäch-
lich ausgelöst werden. Der Begriff ›Aneignung‹ beschreibt stattdessen ein
aktives »Sich-zu-eigen-Machen« in kulturellen Kontexten der Alltagswelt
durch NutzerInnen (vgl. Hepp 2010: 164). Sie sind es somit, die Medientech-
nologien und -inhalte in ihrem Handeln mit Bedeutungen versehen und
sie mit ihren Alltagserfahrungen verknüpfen (vgl. Lingenberg 2015: 110).

1. Die Gestaltung des eigenen Körpers zwischen


Selbstverwirklichung, gesellschaftlicher Orien-
tierung und universalisiertem Wettbewerb

Von Seiten der Körpersoziologie wurde unserer Gesellschaft schon vor eini-
ger Zeit ein ›Körperboom‹ attestiert (vgl. Meuser 2004). Zur kritischen Re-
flexion dieser wachsenden Bedeutung des Körpers sollen hier zwei makro-
theoretische Prozesse angeführt werden, die im Kontext einer Modellierung
des Selbst in mediatisierten (westlichen) Gesellschaften subjektivierend wir-
ken. Zum einen beschreibt der Begriff der Individualisierung die Tendenz

78
Straffer Körper, gutes Leben? Fitnessinhalte auf Instagram zwischen Ideal und Selbst
und deren Aneignung durch junge Frauen

der Loslösung des Individuums aus tradierten Gemeinschaften und einer


damit verbundenen Neuausrichtung von Selbstzuschreibungen entlang
persönlicher Entscheidungen und Vorlieben (vgl. Beck/Beck-Gernsheim
2002). Neben den Möglichkeiten, die sich den Einzelnen dadurch heute er-
öffnen, fördert diese Pluralisierung von Lebensentwürfen auch den Trend
zur Selbstverantwortlichkeit im Umgang mit den Herausforderungen
und Risiken des Lebens. Erfolg, Leistung, Schönheit, Gesundheit werden
dabei zur Verhandlungsmasse im zweiten angeführten Makroprozess: der
steigenden Kommodifizierung des Selbst. Dem Individuum bietet sich der
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Körper in einem von Kontingenz und Offenheit gezeichneten Leben als zur
Gestaltung verfügbare Ressource an, über die es seine eigene Identität ver-
wirklichen kann (vgl. Hitzler 2002). Selbstverwirklichung bedeutet hier,
Verantwortung zu übernehmen für das Aussehen, die Gesundheit und die
(körperliche) Leistungsfähigkeit, denn Arbeit an sich selbst verheißt, auch
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in anderen Bereichen des Lebens, Erträge abzuwerfen: »Become healthy,


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

wealthy and wise« (Nettleton 1998). Während Erfolg als anzustrebende


Maxime hoch im Kurs steht, sind die Chancen auf Erfolg karg – das Be-
stehen im Wettbewerb mit anderen erfordert daher Hingabe, Aufopferung
und Investment in sich selbst als Rohstoff, der veredelt werden muss. Für
Steffen Mau (2017) stehen in diesem Kontext auch die »Herstellung von
Wertigkeit« (Mau 2017: 260) und »Reputationsmanagement« (ebd.: 264)
in Verbindung mit den Optimierungs- und Inszenierungsstrategien. Das
so akkumulierte körperliche Kapital soll auch für berufliche Aspekte, Kar-
rierechancen, emotionale Stärke oder romantische Erfahrungen nutzbar
gemacht werden. Wenn es um Leistung und soziale Anerkennung geht,
verspricht ein ›guter‹ Körper Erfolg, Glück und Gesundheit: »Der fitte
Körper ist nicht nur jung, schön und schlank, sondern zieht seine Attrak-
tivität auch aus dem Umstand, dass er für Willenskraft, Leistungsstärke
und Gesundheit steht und damit ökonomische Verwertbarkeit verkörpert«
(vgl. Graf 2013: 146). Die Suche nach Identität und Selbstverwirklichung
erfährt eine Ausbeutung durch das kapitalistische Wirtschaftssystem (vgl.
Holzwarth 2004: 2).
Diese Ambivalenz aus Freiheit zur eigenen Gestaltung und dem Zwang
zum Vergleich erfährt eine zusätzliche Aufladung dadurch, dass die Be-
dingungen dieses Wettbewerbs heute in einem in hohem Maße mediati-
sierten Umfeld verhandelt werden. Maria Bakardjieva und Georgia Gaden
weisen darauf hin, dass sich Formen der Selbstsorge durch die Einführung
sogenannter ›Web-2.0-Technologien‹ stark gewandelt haben (vgl. Bakard-

79
Christian Schwarzenegger / Jakob Hörtnagl / Lena Erber

jieva/Gaden 2012), weil durch die starke Vernetzung heutiger Kommuni-


kations- und Medientechnologien komplexe Verflechtungen entstehen,
die Anknüpfungspunkte zwischen persönlichen Handlungen und deren
nutzenorientierten Verwertung ermöglichen. Gezielte Selbstdarstellung als
Mittel des Impressionsmanagements ist dabei nicht neu: Erving Goffman
thematisiert in seinen Interaktionsstudien ›face work‹ als Fähigkeit, sein
Verhalten den situativen Anforderungen anzupassen (vgl. Goffman 2017).
Durch Medienkommunikation aber sind Situationen selbst so permeabel
geworden, dass die Notwendigkeit zur gezielten Performanz nicht mehr
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nur situationsgebunden stattfindet, sondern alle Bereiche unseres Alltags


durchdringt. Couldry und Hepp diskutieren, was es bedeutet »in der Welt
zu sein« (Couldry/Hepp 2017: 148) und darin erfolgreich bestehen zu
können, wenn sich räumliche und zeitliche Grenzen der Kommunikation
zunehmend auflösen. Vor dem Hintergrund des ubiquitären Wettbewerbs
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in mediatisierten Gesellschaften wird Selbstdarstellung ein kontinuierli-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

ches, persönliches Projekt, bei dem erfolgreich ist, wer sich gut inszeniert
und vermarktet. Dabei geht es um mehr als die Unterwerfung des Ichs im
neoliberalen Diskurs der Vergleichbarkeit, es geht um die Entwicklung
einer eigenen »Marke« und der Notwendigkeit der beständigen Kommu-
nikation dieser Identität nach außen (ebd.: 147). Erst das kommunizierte
Ich ist überhaupt; und um durch seine kommunikative Darstellung Auf-
merksamkeit zu finden, muss es über das Normale hinausgehen, aus dem
Mittelmaß herausragen und inhaltliche wie auch mediale Logiken so zu
bedienen wissen, dass es im Wettbewerb einer nutzenorientierten Auf-
merksamkeitsökonomie bestehen kann. Dies ist Voraussetzung, um Schritt
zu halten mit den Entwicklungen hin zu einer »Bewertungsgesellschaft«,
in der gesellschaftliche Deutungskämpfe von einem Konflikt der Klassen
verlagert werden zu einem »Wettbewerb der Individuen« (Mau 2017: 16ff.).
Die Frage nach dem Körper wird so zu einer Frage des ›Lifestyles‹, per-
sönlicher Lebensziele und der ›richtigen‹ Lebensführung. Die Selbstdarstel-
lung in sozialen Medien, das Zugänglichmachen von eigenen Fitnessdaten
und Parametern der Körperertüchtigung, das Teilen von entsprechenden
Daten mit anderen und die Teilhabe anderer trägt auch zur Motivation bei
und das Kollektiv kann Ansporn bieten – der freilich aber auch in Stress
und Druck umschlagen kann. Während insgesamt vergleichsweise noch
wenige Studien (vgl. Perloff 2014) den Einfluss von Social Media auf das
Körperbild (junger Frauen) thematisieren, unterstreichen vorliegende
Ergebnisse mögliche problematische Vergleichsfolgen und empfundenen

80
Straffer Körper, gutes Leben? Fitnessinhalte auf Instagram zwischen Ideal und Selbst
und deren Aneignung durch junge Frauen

Stress und Traurigkeit durch den Vergleich mit medialen Vorbildern auch
für Social-Media-Umgebungen (vgl. Aubrey 2010; Chrisler et al. 2013;
Alperstein 2015; Lup/Trub/Rosenthal 2015; Fardouly/Willburger/
Vartanian 2017). Ob Mediengebrauch oder mediengestützte Verhaltens-
weisen dabei helfen können, statt unglücklicher zu werden, angestrebte
Glücksziele zu erreichen, hat Jill Belli (2016) empirisch untersucht. Sie hat
dabei nachzeichnen können, dass sogenannte und vermeintlich wissen-
schaftlich evidenzbasierte ›Happiness-Apps‹, die durch psychologische In-
terventionstechniken zu mehr Glücksempfinden im Alltag verhelfen sollen,
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gerade nicht in der Lage sind, individuelle Bedürfnislagen zu erfassen und


zu bedienen. Die Vorstellungen von Glück, ›well being‹ und gutem Leben,
stehen gerade nicht – wie es bei dieser rationalistischen Selbstverdingli-
chung gerne behauptet wird (vgl. Zillien/Fröhlich/Dötsch 2015) – ob-
jektiv und wissenschaftlich evident irgendwo zum Abruf bereit, sondern
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sind durch politische, kulturelle und ökonomische Diskurse geprägt. Die


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

in Social-Media-Inhalten vermittelten Angebote und Zielformulierungen


für Identitätsarbeit sind somit als Ausdruck diskursiver Aushandlung zu
betrachten und besonders Zielvorgaben und Motivationen sind kritisch zu
bewerten. Marika Tiggemann und Mia Zaccardo (2016) etwa zeigen anhand
einer Inhaltsanalyse von 600 Instagram-Bildern, die als #fitspiration mar-
kiert waren – also als Inspiration zum Fitwerden –, dass in der Mehrheit
der Bilder tatsächlich nur ein Körpertyp vorkommt, nämlich dünn und
straff (›thin and toned‹) und ›fit‹ das frühere ›skinny‹ als Körperziel ersetzt.
Während die Autorinnen nicht ausschließen, dass #fitspiration-Bilder
tatsächlich motivierend wirken können, sehen sie eine ganze Reihe von
potenziell negativ wirksamen Faktoren. Ähnlich argumentieren Boepple
und Thompson (2016), die in einer vergleichenden Inhaltsanalyse von so-
genannten ›thinspiration‹-Seiten, die zu extremer Schlankheit inspirieren
sollen und dabei mitunter Anorexie verherrlichen, und eigentlich eher als
gesundheitsorientiert geltenden ›fitspiration‹-Seiten teils übereinstim-
mende, problematische Messages finden. Beide Angebote ähneln sich da-
rin, schuldinduzierende Botschaften zur Motivation ihrer NutzerInnen
zu nutzen, zu verzichtsvoller Ernährung aufzurufen und Fettleibigkeit
zu stigmatisieren. Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die Darstellun-
gen jeweils Körperideale und Lebensentwürfe miteinander in Verbindung
bringen. Auch wenn die Mehrheit der NutzerInnen von fitnessbezogenen
Social-Media-Inhalten junge bzw. heranwachsende Frauen sind (vgl. Car-
rotte/Vella/Lim 2015), werden doch auch zunehmend junge Männer mit

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Christian Schwarzenegger / Jakob Hörtnagl / Lena Erber

der Erwartungshaltung konfrontiert, dass ein fitter, muskulös ausstaffier-


ter Körper dazugehört, um erfolgreich soziales Kapital zu kumulieren (vgl.
Hakim 2015). Unter dem griffigen Titel Fit is the new rich zeigt Jamie Hakim
nicht nur, dass eine steigende Anzahl von jungen Männern sich um intensi-
ven Muskelaufbau zum Reputationsmanagement bemüht, sondern dieses
Verhalten mit wirtschaftlichen Krisenerfahrungen und begrenzten Chancen,
ökonomisches Kapital zu generieren, in Verbindung steht. Der gestählte
Körper wird damit zur Ersatzwährung, die neoliberale Verwertungslogik
dringt gestaltend auch in Bereiche vor, die ehemals der Freizeitbeschäf-
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tigung zugerechnet wurden – fitte, straffe Körper verkaufen den Traum


eines erfolgreichen Lebens (vgl. Winch/Hakim 2017).

2. Analyse von Nutzungs- und Aneignungs­


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praktiken von fitnessbezogenen Medieninhalten


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

im Kontext eigenen Medien-, Bild- und Körper-


handelns

Vor diesem Hintergrund haben wir Nutzungs- und Aneignungspraktiken


junger Frauen von Instagram untersucht. Der Umgang mit fitnessbezogenen
Medieninhalten diente dabei als Bezugsdimension für eigenes, körperbezo-
genes Handeln, Soll- und Idealvorstellungen sowie dafür, wie Medienprak-
tiken im Anschluss an Vorbilder und Referenzdarstellungen herangezogen,
bewertet und (um)gedeutet werden. Im Kern steht dabei die Frage, wie die
beschriebenen gesellschaftlichen Makrodynamiken auf Mikroebenen des
Individuums in konkreten Handlungszusammenhängen (fitnessbezogenes
Medienhandeln) gedeutet und lebensweltlich umgesetzt werden.
Auch wenn die Studie die konkrete Mediennutzung eines konkreten
Medieninhaltsformats thematisiert, war es wichtig, sich dem Phänomen
in einer nicht-medienzentrierten Perspektive (vgl. Moores 2012; Schwar-
zenegger 2017) anzunähern. Das heißt, dass sowohl die Einbettung des
konkreten Medienhandelns in Alltagsstrukturen, lebensweltliche Routinen
und nicht-medienbezogenen Handlungsweisen berücksichtigt wird, wie
es auch impliziert, dass dort, wo doch auf Medienhandeln fokussiert wird,
transmediale Verbindungen (vgl. Hasebrink/Hepp 2017) nachvollzogen
und im Kommunikationsrepertoire der Informantinnen insgesamt veror-
tet werden. Weiter ist für ein umfassendes Verständnis der Aneignung von
Medienhandeln und fitnessbezogenen Bildpraktiken auf Instagram wichtig,

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Straffer Körper, gutes Leben? Fitnessinhalte auf Instagram zwischen Ideal und Selbst
und deren Aneignung durch junge Frauen

den Stellenwert von Fitness, verstanden sowohl als körperliche Ertüchti-


gung und Sport, als auch als Themenbereich und Interessensgebiet der
(visuellen) Kommunikation auf Instagram, im Lebenskontext zu verstehen.
Hierzu wurde in einem zweistufigen Untersuchungsdesign gearbeitet.
In einem ersten Schritt wurden anhand eines Samples von Top-10-Fit-
ness-Accounts die zum Zeitpunkt der Untersuchung neun jeweils jüngs-
ten Bildbeiträge auf diesen Accounts einer qualitativen Inhaltsanalyse
unterzogen. Dabei wurde inhaltlich primär auf Darstellungsstrategien
und Bildinszenierungen geachtet. Außerdem wurde durch die Analyse sog.
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›Hashtags‹, über die sich die Anschlusskommunikation der Beiträge steu-


ern lässt, deren Anbindung an Öffentlichkeitsströme und Kommentierun-
gen ermittelt. ›Motivational messages‹ liefern ein Angebot an ›lohnenden‹
Ziel­erfüllungen, die den NutzerInnen vermitteln sollen, wofür und warum
man sich mit dem Fitnesstraining quälen sollte. Dies geschieht, indem
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Rendite wie Selbstbewusstsein, beruflicher Erfolg oder Attraktivität über


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

die konkret körperbezogenen Kontexte hinaus versprochen werden und


so, durch die Arbeit am Körper, die eigene Lebenswelt insgesamt verbessert
wird. In diesem Aufsatz gehen wir nicht detailliert auf die inhaltsanaly-
tischen Ergebnisse – die sich aber tendenziell mit referierten bisherigen
Befunden decken – ein, da der Fokus auf den Aneignungspraktiken und
den dahinterliegenden Bedeutungszuschreibungen liegen soll.
In einem zweiten Schritt wurde dies anhand von Leitfadeninterviews mit
sieben jungen Nutzerinnen von fitnessbezogenen Instagram-Profilen zwi-
schen 18 und 23 Jahren untersucht. Diese wurden per ›Rekrutierung über
Dritte‹, die von Meyen und Kolleginnen als Königsweg ins Feld (Meyen et al.
2011: 75) beschrieben wird, für die Untersuchung gewonnen. Gesucht wurde
dazu nach jungen Frauen, die fitnessbezogenen Inhalten auf Instagram folgen
und auch einen eigenen Account aktiv betreiben. In den Interviews wurde
über körperbezogene Idealvorstellungen und persönliche Einschätzungen
des eigenen Körpers und der Körperdarstellungen auf Instagram gesprochen.
Begleitend dazu wurde ein gemeinsames Betrachten des jeweils eigenen
Instagram feeds sowie eine Reflexion des eigenen Bild-, Hashtagging- und
Kommentarhandelns durch die Frauen miteinbezogen. Im Zuge einer nicht-
medien­zentrierten Medienforschung wurde neben der breiteren Social-
Media- und generellen Mediennutzung (also sowohl von fitnessbezogenen
Inhalten wie über das Fitnessthema hinaus) auch thematsiert, welche grund-
legende Bedeutung Fitness-Aktivitäten im alltäglichen Leben der jungen
Frauen haben. Die Interviews gaben den Frauen viel Raum, um ihr Fitness-

83
Christian Schwarzenegger / Jakob Hörtnagl / Lena Erber

und Körperhandeln, die persönliche Motivationen dafür und die Einstellun-


gen dazu in der Schilderung ihres Alltags zu verorten, ohne dies zwingend
in einen Zusammenhang mit Medienhandeln zu stellen. Die Ergebnisse der
Inhaltsanalyse sind in die Gestaltung des Interviewleitfadens eingegangen,
um das Nutzungsverhalten zu den beobachtbaren Verhaltensspuren in den
Kommentaren, Tags und Bildern in Beziehung setzen zu können. Mit einem
Altersdurchschnitt von 21,14 Jahren liegt das Sample innerhalb der Spitzen-
gruppe (14- bis 29-Jährige) der täglichen Instagram-Nutzung (vgl. Tippelt/
Kupferschnitt 2015: 443). Der Fokus auf junge Frauen plausibilisiert sich
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durch die Nutzungsrealität von Instagram, das deutlich stärker von Frauen
als Männern genutzt wird (ebd.: 444f.). Die Interviews wurden danach mit
einem an den Prinzipien der Grounded-Theory-Methodologie orientierten
Verfahren codiert und ausgewertet (vgl. Strauss/Corbin 1994; Böhm 1994).
Alle Namen der Informantinnen, die im Folgenden verwendet werden, sind
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Pseudonyme. Die Darstellung der Ergebnisse fokussiert hier selektiv auf drei
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

zentrale bzw. für die Frauen besonders relevante Aspekte: Nutzungsformen,


Community-Erfahrungen und Authentizität.

3. Ergebnisse

3.1 Nutzungsformen – Plattformdynamik und


lebensweltliche Verankerung

Die Interviews unterstreichen zunächst die Annahme, dass die Bedeutung


visueller Kommunikation und kommunikativen Bildhandelns in den all-
täglichen Lebenskontexten der jungen Frauen steigt: »Der Trend zu diesem
›Bilder-ins-Internet-stellen‹, Bilder werden wichtiger als Texte (lacht) und
ja, dieser ganze Hype dahinter« (Andrea). Die Zunahme des Bildhandelns
wird dabei von den Informantinnen als allgemeine Entwicklung wahrge-
nommen und das eigene Handeln durchaus strategisch an diesem wahrge-
nommenen Trend ausgerichtet: Es wird wichtiger, also macht man es auch:
»Einfach, weil da dann der Trend damals kam, Bilder zu posten« (Darlene).
Die Inhalte, mit denen man sich als NutzerIn auf Instagram beschäftigt,
mit denen man interagiert und die man selbst teilt, verändern sich dabei
nach Wahrnehmung der Informantinnen schleichend und sind nicht von
vorneherein festgelegt: Bestimmte Inhalte und Interaktionen werden im
Zeitverlauf mehr, ohne, dass die Nutzerinnen es gezielt darauf angelegt

84
Straffer Körper, gutes Leben? Fitnessinhalte auf Instagram zwischen Ideal und Selbst
und deren Aneignung durch junge Frauen

hätten. Resonanz, Feedback und Interaktionsdynamiken spielen dafür eine


Rolle; so wurden die Frauen durch Dynamiken der Plattformumgebung
zusehends mit fitnessbezogenen Inhalten konfrontiert, haben diese stu-
fenweise in ihr Portfolio integriert, mit ihnen interagiert und schließlich
auch das eigene Posting-Verhalten dahingehend orientiert. Christine be-
schreibt ihren Weg zu fitnessbezogenem Content, der anfangs für sie als
Inhalt nicht zentral bedeutsam war:
»Ich habe mir einfach mal Instagram geholt, weil es halt neu war. Dann
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habe ich mal was hochgeladen von einem Muffin, den ich gebacken habe.
Und das hat so eine Bloggerin geliked, die Ernährungssachen macht. Und
dann bin ich der gefolgt. Und dadurch habe ich dann immer mehr so von
denen kennengelernt und durch diesen schlauen Algorithmus hat es mir
dann immer so Fitnesssachen vorgeschlagen. Und dann hat eins zum
anderen geführt und irgendwie fand ich das dann auch immer interessanter,
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

weil es für mich schon immer ein Thema war« (Christine).


Christines Beispiel zeigt aber auch, dass eben nicht die Medienplattform
einseitig die Neigung formatiert, sondern wechselseitige Einflüsse formend
sind. Fitnesscontent findet bei ihr Resonanz, weil das Thema, wie sie sagt,
lebensweltlich bereits bedeutsam für sie war; die Plattform bedient so beste-
hende Interessen. Auch Darlene rezipiert Fitnessinhalte auf Instagram erst,
seitdem das Ziel der Körpertransformation bei ihr wichtig geworden ist. Nach
erfolglosen Diäten und negativen Erlebnissen in einem Strandurlaub wollte
sie dringend abnehmen, um sich wohler zu fühlen, andere Mode tragen zu
können und schließlich auch, um im Vergleich mit Medienbildern besser
abzuschneiden. Inzwischen sagt sie, bestimme Fitness ihr Leben, wobei auch
Medienhalte – z. B. YouTube-Workouts – eine wichtige Rolle einnehmen.
»[Anfangs] da war das mit dem Fitness noch gar nicht so. Und ich selber
habe dann in Instagram nur so ›normale‹ Sachen hochgestellt, aber dann,
als ich selber mit dem Fitness-Hype eben bei mir selbst angefangen hab
vor eineinhalb Jahren, hat das mein Instagram natürlich auch zu spüren
bekommen« (Darlene).

3.2 Community – Gemeinschaft, Vergleich, Grenzziehung

Für alle Nutzerinnen im Sample war bei der Nutzung von sozialen Me-
dien allgemein und bei Fitnesscontent im Besonderen der Community-
Gedanke bedeutend. Dies sowohl bezogen auf die BetreiberInnen von pro-

85
Christian Schwarzenegger / Jakob Hörtnagl / Lena Erber

fessionellen Accounts als parasoziale Interaktion (vgl. Blight/Ruppel/


Schoenbauer 2017), wie auch bezogen auf eine Community mit anderen
Nutzer­Innen – also eigenen Followern und Gefolgten: »Und durch Insta-
gram habe ich halt auch viel Motivation und Zuspruch von der Community
bekommen für eben meine Abnehmreise. Und deswegen nutze ich Insta-
gram jeden Tag« (Darlene). Neben dem Support der Online-Community
bemerkt Darlene auch Verschiebungen im bisherigen Freundeskreis. Ein-
zelne Freundinnen, »die selber dick sind«, wollen ihre Transformation zum
schlanken Fitnessapostel nicht mitvollziehen, lehnen ihre neue Ausrichtung
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ab. So gehen lebensweltliche Bezugspunkte verloren und damit auch die


Freundschaften. Ebenso verdichten sich durch Fitness online wie offline
(neue) Beziehungen. Generell lässt sich beobachten, dass Instagram und
andere soziale Medien im Sinne Shaun Moores (2012) als »wiederkehrend
aufgesuchte Orte« in die Lebenswelt der jungen Frauen integriert werden,
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ohne, dass diese dabei streng zwischen online und offline differenzieren.
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Instagram ist dann keine Online-Alternative zu, sondern ein fest etablierter
Bestandteil von lebensweltlichen Routinen. Zu diesen gehört, da man »so-
wohl in Insta­gram als auch im Fernsehen einfach unglaublich schöne, dünne
Frauen ständig sieht« (Gertrude), auch der Vergleich, der sowohl als positiv
inspirierend wie auch demotivierend verarbeitet werden kann. Emilia bringt
diese Ambivalenz auf den Punkt:
»Wenn man jetzt gerade so, ja, selber eben nicht diese Figur hat, die da
gezeigt wird, dass es einen dann zwar vielleicht schon so ein bisschen mo-
tiviert [...]. Aber vielleicht deprimiert es einen auch einfach nur, wenn man
dann doch Sport macht und die Ergebnisse, die man auf Instagram sieht,
selber nicht so schnell erreicht. [...], weil man eben die Zeit nicht hat, weil
das gar nicht so im normalen Alltag dann vielleicht umzusetzen ist, auch
mit der Ernährung« (Emilia).
Freundschaft, Inspiration, Bestätigung, Verunsicherung, Orientierung
und Vergleichsmöglichkeit – mit dem Online-Inhalt und auch unterein-
ander – werden gesucht und teilweise auch gefunden. Wie dabei dann
jeweils mit den Inhalten umgegangen wird, ist aber wieder stark kontext-
und situationsabhängig:
»Man schaut es sich schon immer gerne an, die Frage ist dann immer, ob
man dann mit einem guten Gefühl nach Hause geht, wenn man sich jetzt
zum Beispiel gerade ein Eis auf dem Heimweg kauft oder gerade [...] einen
Obstsalat mit nach Hause nimmt, ist immer unterschiedlich (lacht), in
welcher Verfassung man da gerade ist« (Andrea).

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Straffer Körper, gutes Leben? Fitnessinhalte auf Instagram zwischen Ideal und Selbst
und deren Aneignung durch junge Frauen

Die Nutzerinnen beschreiben auch, wie zur Teilhabe an der Community


deren Rituale und Praktiken auch Orientierungswert bekommen. Gertrude
etwa hat »dann auch immer so Hashtags benutzt, manchmal, die halt die
auch benutzt haben« (Gertrude), um Zugehörigkeit zu markieren; ebenso
werden Posen und Darstellungsweisen teilweise imitiert. Der Vergleich mit
der Community bietet auch die Gelegenheit persönliche Grenzziehungen
zu verhandeln und für das eigene Bildhandeln abzustecken. Emilia, schon
immer sehr sportlich, macht seit neuestem Pole Dance. Sie lehnt für sich
selbst zu freizügige Darstellungen ab, möchte nicht zu viel Haut zeigen,
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wird durch den Vergleich mit anderen Bildern aber durchaus dazu heraus-
gefordert ihre eigenen Grenzziehungen zu hinterfragen.
»Dass ich mir denke, naja, gut, kurze Hose geht ja nicht anders, [...]. Aber,
dass ich jetzt im Sport-BH und nur die kurze Hose, das ist dann trotz den
Seiten [= andere Pole Dance Darstellungen auf Instagram, Anm. d. V.], dass
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

ich mir immer noch denke: Ne, für mich wäre das dann zu viel so zu zei-
gen« (Emilia).
Die vorherrschenden Inszenierungsweisen, typischen Posen und Out-
fits werden also nicht einfach im eigenen Bildhandeln reproduziert, sti-
mulieren aber Auseinandersetzung und können auch Grenzverschiebun-
gen beeinflussen.

3.3 Authentizität: Ideal, Rollenerwartung, Media Literacy

Die Informantinnen haben neben dem persönlichen Wohlbefinden als


Fitnessmotivation wiederkehrend auch argumentiert, dass fit zu werden
und Muskeln zu haben, gesellschaftlich ›zum Trend‹ werde, insgesamt
wichtiger sei, wohingegen schlank zu sein alleine nicht mehr ausreiche,
um wahrgenommene Schönheitsideale zu erfüllen. Denn Schlanksein kann
teilweise durch »Stoffwechsel oder Körperbau« einfach gegeben sein, die
Muskeln hingegen verlangen Leistung und Leistungsbereitschaft, wie es
bspw. Emilia beschreibt: »Weil es ja jetzt auch für Frauen doch nicht mehr
so gut ist, nur schlank zu sein, sondern bestenfalls auch noch mit Muskeln
und so ist« (Emilia). »Also das ist ja auch einer der Gründe, warum ich
solchen Accounts folge, einfach weil ich so ein Idealbild von einem Kör-
per [habe], den ich einfach auch irgendwo in irgendeiner Art und Weise
anstrebe« (Gertrude). Es zeigt sich aber auch, dass dieser Trend von den
Nutzerinnen oft einfach hingenommen wird, dass sie ihm zu entsprechen

87
Christian Schwarzenegger / Jakob Hörtnagl / Lena Erber

versuchen und das Ideal anerkennen; dabei sind sie aber nicht völlig un-
kritisch, denn zu muskulös zu sein etwa, so zeigt sich über die Interviews
hinweg, reizt die Grenzen des ästhetischen Empfindens für manche aus.
Die Idealbilder werden aber zugleich kaum über die konkrete Körperlich-
keit hinaus interpretiert. Der Transfer, vom Körperideal auf (Körper-)Poli-
tiken und gesellschaftliche Teilhabe-Ideale zu schließen, erfolgt nur selten
und eher implizit. Interesse an den Fitness-Account-BetreiberInnen über
den aktuellen Status hinaus besteht aber durchaus. Friederike gefällt es
entsprechend besonders, »wenn z. B. noch so eine persönliche Note noch
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dabei ist und man so ein bisschen noch das Leben außerhalb von dem
Fitnessteil dieser Person noch mitbekommt«, gerade weil »viele von den
Leuten auch einfach auch echt eine richtig beeindruckende Geschichte ha-
ben, die ja meistens nicht von Anfang an so die Supersportler waren« (Frie-
derike). Die Körpertransformation, die manche Account-BetreiberInnen
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hinter sich haben oder als Verkaufsnarrativ nutzen, unterstreicht somit


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

die Erreichbarkeit der #goals, die immer wieder bestätigend in den Posts
markiert werden. Disziplin und Einsatz führen zum Erreichen der Ziele.
Wichtig ist den NutzerInnen insgesamt Authentizität zu erleben und ei-
nen Einblick in das Leben »wie es ist« zu bekommen. Das betrifft auch
und besonders die BetreiberInnen von Fitness-Accounts, denen sie folgen.
Gerade was die Authentizität des Dargestellten betrifft, zeigen sich dabei
kanalspezifische bzw. medienformatbedingte Unterschiede – während
das Foto nur eine inszenierte Momentaufnahme bildet, bieten Videos auf
YouTube für Brenda die Gelegenheit zu erkennen, »wie jemand wirklich
ist«. Dieser Unterschied ist ihr wichtig und steuert auch die Relevanzbei-
messung an die unterschiedlichen Präsentationsformen, in denen sie Fit-
nessinhalten folgt. Die Einblicke in die Persönlichkeit, die durch Videos
gewonnen werden, können auch abschreckend sein, etwa wenn eine Fit-
nessikone dann »zu kindisch und wie eine 13-Jährige« spricht und somit
als Vorbild insgesamt nicht mehr taugt. Wenn negative Kritik an gefolg-
ten Profilen geäußert wird, bezieht sich diese oft auf Aspekte der (über-
triebenen) Kommerzialisierung, da diese die versprochene Authentizität
anficht, z. B. durch zu intensives Product Placement und wenn die Seite
insgesamt mehr zu einem Unternehmen wird als eine konkrete Person zu
repräsentieren. »Ich glaube, desto größer die Seite ist, desto unmenschli-
cher arbeiten diese Menschen. Weil sie eben nur noch den Erfolg daraus
sehen« (Darlene). Kleinere Seiten, weniger Follower verheißen hingegen
ehrlichere Darstellung und Nähe zum Echten.

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Straffer Körper, gutes Leben? Fitnessinhalte auf Instagram zwischen Ideal und Selbst
und deren Aneignung durch junge Frauen

Gerade das Ineinanderfließen von professionell inszenierten Inhal-


ten und Amateurdarstellungen auf derselben Plattform sowie explizi-
tes oder implizites Spielen mit Authentizität(sversprechen) fordern die
Media Literacy der NutzerInnen heraus. Allerdings zeigt sich auch, dass
wenn Inszenierungspraktiken reflektiert und als Mittel der Vermark-
tung entlarvt werden, dies nur in den wenigsten Fällen dazu führt, dass
Accounts ›entfolgt‹ werden. Wenn es doch geschieht, blieb es als Beson-
derheit im Gedächtnis der befragten Frauen. Christine hat bspw. einmal
»radikal ausgemistet« als sie »mit deren Persönlichkeit [der Betreiberin,
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Anm. d. V.] nicht mehr so klar gekommen« ist, »weil es dann irgendwann
mal losging, dass die alle dann irgendwelche Programme gemacht haben
oder irgendwelche Sachen promotet« haben. Authentizitätsdefizite und
artifizielle Inszenierung, Sexualisierung und Ästhetisierung von Bildern
werden insgesamt gemäß der Plattformlogik als etwas akzeptiert, das man
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für »ein richtig gutes Bild« eben auch hinnehmen müsse. Damit wird klar,
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

dass das Authentizitätsversprechen zwar durch kritische Lesarten der Nut-


zerInnen als gebrochen erkannt wird. Die (Un-)Erreichbarkeit repräsen-
tierter Körperideale, die Verheißungen eines damit verbundenen ›guten
Lebens‹ und deren Tauglichkeit als Ideal werden durch diese Entlarvung
aber nicht generell in Zweifel gezogen. Daraus ergibt sich die paradoxe
Situation, dass einerseits die Authentizität der Inhalte als wichtiges Argu-
ment für die Nutzung fungiert, das Dargestellte dann andererseits aber oft
als technisch (Licht, Filter, Bildbearbeitung) wie inhaltlich (gestellte statt
natürliche Pose, Produktplatzierung, falsche Versprechen) inauthentisch
erkannt wird, wobei der Vorbildwert dennoch nicht verloren geht. Während
die ›Media Literacy‹ also Alarm schreit, bleibt das ›Doing media‹ davon
unberührt – ein Konflikt zwischen Wissen und Tun entsteht.

4. Conclusio

Für die Nutzerinnen im untersuchten Sample war die Bedeutung von Fit-
ness in ihrem Leben und für ihren Lifestyle insgesamt hoch, d. h., dass auch
über Instagram hinausgehend fitnessbezogene Medieninhalte besonders
in Social Media genutzt wurden und Fitness auch abseits der Mediennut-
zung relevant war. Die Bedeutung von Fitness war teilweise so stark, dass
andere Bereiche der Lebensführung dem Fitnessaspekt untergeordnet wur-
den, was auch zu Verschiebungen, teilweise zu Verlusten oder Neukompi-

89
Christian Schwarzenegger / Jakob Hörtnagl / Lena Erber

lationen des Freundeskreises geführt hat. Diese Neujustierung geht dann


tendenziell in die Richtung, dass alternative Orientierungen reduziert
wurden und Freundschaften zu Personen mit dem gemeinsamen Interesse
an Fitness häufiger und wichtiger wurden. Die Wege, auf denen Fitness für
die Frauen wichtig wurde, waren individuell und höchst unterschiedlich.
Der Unterschied zwischen Aneignungsformen und -folgen sowie der
Teilhabe an verschiedenen Gemeinschaftspraktiken, vom Abnehmkollektiv
bis zur Fitnessgruppe oder der Trainingsgemeinschaft sowie die Motivbei-
messung und die inhaltlichen Ausdeutungen von Praktiken sind fließend.
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Ungeachtet unterschiedlicher Motivlagen, ob etwa zur Steigerung des


Wohlbefindens, zur Vorbeugung gegen gesundheitliche Risiken oder mit
der Intention der Ertragschancen am Partnerschaftsmarkt durch Attrakti-
vitätssteigerung, mit den Praktiken der Optimierung, des Vergleichs mit
Idealen und der Bewertung geht eine Standardisierung und Normierung
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und somit auch ein Standardisierungs- und Normierungsdruck einher. Das


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Gefühl, diesem entsprechen zu sollen, lässt sich als diffuse Grundahnung


identifizieren: Zwar werden konkrete Ausformungsmomente als übertrie-
ben oder zu weitgehend abgelehnt, die prinzipielle Gültigkeit des Sollens
aber nicht hinterfragt. Die Verheißungen des guten Lebens, in das die fitten
Körper eingebettet dargestellt werden, bleiben bestehen.
Die Bedeutung von Inszenierungspraktiken, um sein Äußeres rollen-
und situationsgerecht darzustellen, ist keineswegs eine neue Entwicklung.
Im Kontext von Instagram und visueller Kommunikation in Social Media
lässt sich durch die starke Betonung von Äußerlichkeiten und deren expli-
zite Darstellung aber eine Zuspitzung konstatieren. Instagram wird dadurch
zur Bühne, auf der man durch die richtige Inszenierung auffallen kann.
Sie bietet Anlässe zu Wettbewerb und Vergleich, die sich auch negativ in
Druck und Insuffizienzgedanken manifestieren können, zugleich aber
auch die »Kuhstallwärme« (Hitzler 2008: 55) von Vergemeinschaftungs-
erfahrungen verheißen können. Daraus entsteht ein Inszenierungsspiel,
in dem Authentizität (z. B. #nofilter) und Spontaneität konstruiert werden,
teilweise mit hohem Aufwand, bei der die mitgelieferte Botschaft der ei-
gentlichen Darstellung widerspricht: Es kann verdammt viel inszenato-
rischen Aufwand machen, authentisch zu sein. Die Ergebnisse verweisen
damit über die Instagram-Nutzung hinaus auf breitere Zusammenhänge:
Wo Funktionalitäten von Angeboten im Rahmen alltäglicher Handlungen
und Idealvorstellungen Teil der Normalität von NutzerInnen werden, wer-
den die damit verbundenen Praktiken nicht nur erst ermöglicht, sondern

90
Straffer Körper, gutes Leben? Fitnessinhalte auf Instagram zwischen Ideal und Selbst
und deren Aneignung durch junge Frauen

letztlich auch erwartet. Die Chance, sich darzustellen birgt aber immer
auch das Risiko, an den vorgeschlagenen Erfolgswegen und den dabei
transportierten Erwartungen zu scheitern. Es geht damit nicht nur um
den Körper auf Instagram, sondern auch um eine neue Art der Herstellung
von Körperlichkeit generell und die Art und Weise, wie Medienangebote
und deren spezifische Eigenheiten in alltägliche Abläufe einsickern. Die
Suche nach dem ›Authentischen‹ in der Darstellung des fitten Körpers,
aber auch das ›gute Leben‹, das sich durch diesen womöglich eröffnen soll,
ist verbunden mit der Frage, welche übergeordneten Rationalitäten dabei
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vermittelt werden, und ist damit auch als Aufforderung an die Forschung
zu sehen, eben jene kritisch zu reflektieren.

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Claudia Töpper / Margreth Lünenborg

VERKÖRPERTE AFFEKTE:
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Zur Analyse affektiver Dynamiken von


Zugehörigkeit und Exklusion im Reality-TV
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

1. Einleitung und Erkenntnisinteresse

Erfolg oder Blamage, Neid oder Scham, Begeisterung oder Fremdschä-


men – das performative Herstellen ›großer Emotionen‹ steht im Zentrum
zahlreicher Formate des Reality-TV. Insbesondere Castingshows, wie bei-
spielsweise Germany’s Next Topmodel (GNTM), stellen Emotionen aus und her
und sind deshalb Gegenstand der vorliegenden analytischen Betrachtung.
Die audiovisuelle Erzählung dieser Emotionen gelingt (oder misslingt)
durch das Zusammenwirken vielfältiger Affekte, die Akteur_innen in den
Formaten ebenso wie das Publikum ›bewegen‹ – im körperlichen wie im
mentalen Sinne. An den Körpern der Kandidat_innen werden jene Affekte
sichtbar, deren explizites Aus- und Zur-Schau-Stellen eine ›driving force‹
des Formates darstellt. Mit dem Mantra »Nur eine kann Germany’s Next
Topmodel werden« lässt Heidi Klum alljährlich Hunderte Kandidat_innen
zum Wettstreit um den professionellsten Walk, die »schönsten Füße« und
die bereitwilligste Unterwerfung unter die Regeln der Regie antreten und
erreicht damit Millionen Zuschauende, insbesondere junge Mädchen und
Frauen. Weibliche Körper, ihre performative Herstellung und audiovisu-
elle Repräsentation organisieren die Castingshow Germany’s Next Topmodel.
Die Attraktivität der hier gezeigten Körper, so unsere Ausgangsthese, wird
durch affektive Aufladung in der audiovisuellen Erzählung erzeugt und
adressiert Formen des Begehrens auf Seiten des Publikums. Ein Begehren,

95
Claudia Töpper / Margreth Lünenborg

das auf den Wunsch nach Zugehörigkeiten abzielt – Zugehörigkeiten zur


Fan Community ebenso wie zu sozialen, kulturellen, qua Geschlecht oder
Konsumpraxis hergestellten Gemeinschaften.
Wir adressieren mit unserem Beitrag also Fragen zum Verhältnis von
Körper und Sozialität durch Medien. Dabei unterscheidet sich die Waren-
förmigkeit, mit der weibliche junge und sexuell attraktive Körper ausge-
stellt werden, strukturell nicht von der anderer konsumierbarer Güter. Die
Kommodifizierung menschlicher wie nicht-menschlicher Körper bildet
das Rückgrat der Sendung: Durch das Präsentieren von Mode stellen diese
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Körper den narrativen Kern des Formats dar. Mit der Auswahl attraktiver
Locations, intensivem Product Placement sowie fortlaufender Werbeange-
bote bildet die Warenförmigkeit zugleich die dramaturgische Rahmung
des Programms. Die Attraktivität weiblicher junger Körper sowie der in-
szenierten Waren und das damit verbundene Begehren werden im Rah-
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men einer affizierenden Dramaturgie des Formats fortwährend erzeugt.


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Dabei entstehen affektive Relationen und Dynamiken zwischen medialer


Repräsentation von Körpern und Körperpraktiken, die dem Publikum zur
Verfügung gestellt werden. Körper werden damit sowohl als ›Effekt‹ und
Produkt sozialer Strukturen begriffen wie sie gleichermaßen selbst Struktu-
ren des Sozialen hervorbringen (zur Systematik vgl. Gugutzer 2006: 13ff.).
Die Analyse einer Zirkulation von Affekten zwischen menschlichen
Körpern und (technologischen) Artefakten steht im Zentrum der ›affect
studies‹. Zentrale Arbeiten aus dem Feld der ›affect theory‹ (als Überblick:
Clough/Halley 2007; Gregg/Seigworth 2010) setzen sich in besonderer
Weise mit der Bedeutung des Körpers auseinander, den sie als jenen Ort
verstehen, an dem Affekte sichtbar werden. Zugleich jedoch beschränkt sich
der analytische Zugang nicht auf die Mikro-Perspektive einzelner Körper,
sondern interessiert sich für die relationale Entstehung sowie die gesell-
schaftliche Wirkmächtigkeit von Affekten (Slaby/Röttger-Rössler 2018).
Ein solches relationales und prozessuales Affekt-Verständnis hat bislang
in der Kommunikations- und Medienwissenschaft noch wenig Aufmerk-
samkeit erfahren (als Einführung und Überblick vgl. Lünenborg/Maier/
Töpper im Ersch.). Unser Beitrag zielt darauf ab, theoretische Konzepte
der ›affect studies‹ für die Analyse audiovisueller Medienprodukte nutz-
bar zu machen. Einerseits nehmen wir damit in den Blick, wie Affekte als
relational zwischen unterschiedlichen Körpern zu begreifen sind und sich
im Rahmen audiovisueller Dramaturgie entfalten. Wir begreifen damit Af-
fekte (und auch Emotionen) nicht als personal, also einzelnen Menschen

96
VERKÖRPERTE AFFEKTE:
Zur Analyse affektiver Dynamiken von Zugehörigkeit und Exklusion im Reality-TV

innewohnend, sondern als relational hergestellt in der Interaktion zwi-


schen Körpern, Räumen, Technologien und Atmosphären. Sie entwickeln
Dynamiken, die Bewegungen zwischen Körpern verstärken oder vermin-
dern. Medien lassen sich in besonderer Weise als »generators of affects«
verstehen (Reckwitz 2017: 123). Sie stellen Affekte her, speichern diese und
lassen sie zirkulieren. Sie lassen sich als zentrale gesellschaftliche Instanz
der Regulation von Affekten begreifen. Der audiovisuellen Inszenierung
kann damit das Potenzial zugesprochen werden, Zuschauende zu affizieren.
Zugleich interessieren wir uns für die affektiv basierten Prozesse der
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Herstellung von Zugehörigkeiten – sichtbar als Relationen und Interak-


tionen zwischen Körpern. Ausgehend von der Annahme, dass medial in-
szenierte Körper auch in Bezug auf Fragen der Zugehörigkeit eine Rolle
spielen, eröffnet hier die ›affect theory‹ den Fokus auf die Analyse der Be-
schaffenheit und der Verbundenheit von Körpern. In den Fokus rücken
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damit im ersten Schritt die Verbindungen (oder Distinktionen) zwischen


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

im Medientext sichtbar werdenden Körpern. Zugleich jedoch verweisen


diese Körper und ihre Verbindungen auf außermediale Gemeinschaften,
die qua Geschlecht, sozialer oder kultureller Herkunft konstituiert wer-
den. So lässt sich das Herstellen eines Gefühls der Zugehörigkeit als ein
relational-prozessorientiertes Geschehen begreifen, in dem Affekte eine
zentrale Rolle spielen. Dieses Geschehen lässt sich nicht allein auf kogni-
tiver Ebene erfassen. Das ›Gefühl‹, dazuzugehören oder ausgeschlossen zu
sein, basiert nicht primär auf argumentativ-diskursiven Zuschreibungen,
sondern wird unmittelbar körperlich wirksam und ausdrucksstark. So
basiert die Unterscheidung zwischen dem »Wir und den Anderen« (Beck-
Gernsheim 2004) auch auf körperlichem Empfinden von Inklusion und
Exklusion, das maßgeblich durch audiovisuelle Medien moduliert und
gestaltet wird.1 Ausgehend von diesen affekttheoretischen Annahmen
stellen wir daher analytische Dimensionen vor, anhand derer sich sinn-
lich-körperliche Adressierungen des Publikums erfassen lassen, die auf
die Herstellung von Zugehörigkeit(en) zu außermedialen/format­externen

1 In diesem Sinne zielen wir auf eine jener Fragen ab, die Gugutzer (2006: 11) als zentral und noch
ausstehend in der soziologischen Auseinandersetzung mit Körpern aufgerufen hat: »Ansätze
zu einer vom Körper ausgehenden Theorie des Sozialen liegen bislang nur vereinzelt vor. Wie
der Körper als zentrale soziologische Kategorie zu denken ist, ist jedoch […] eine wesentliche
Frage. […] Hinsichtlich des body turn bedeutete das eine systematische Integration der Kate-
gorie ›Körper‹ in die Konzeption von Sozialität.«

97
Claudia Töpper / Margreth Lünenborg

Gemeinschaften abzielen bzw. diese ausschließen. Um beispielhaft sicht-


bar zu machen, in welcher Weise eine affekttheoretische Analyse Aussagen
zum Herstellen von Zugehörigkeit ermöglicht, betrachten wir einen Aus-
schnitt aus der Castingshow GNTM.2 Inszenierungen des Körpers spielen
in Reality-TV-Formaten eine besondere Rolle (vgl. Klug/Schmidt 2014)
und sind darauf angelegt, möglichst viele Zuschauende zu affizieren. Die
Analyse der Affizierungsmuster der Sendung, d. h. die Herstellung von Zu-
sammengehörigkeitsgefühlen oder des Ausschlusses, bilden dabei einen
zentralen Ausgangspunkt.
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Der Beitrag will damit einerseits ein affekttheoretisch informiertes


Modell zur Analyse audiovisueller Medien vorstellen und zum anderen
aufzeigen, welche Bedeutung die Analyse von Affekten für Fragen der me-
dial basierten Herstellung von Gemeinschaft haben kann. Das Potenzial
audiovisueller Medientexte, diverse Publika zu affizieren, wird dabei als ein
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zentrales Element herrschender Gesellschafts- und Geschlechterordnung


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

begriffen, denn Affekte strukturieren die Art und Weise, wie Menschen in
bestimmte Machtzusammenhänge eingebunden sind und wie dabei spe-
zifisch fühlende Subjekte hervorgebracht werden.

2. Affekttheorie und Körperkonzepte

Kultur- und sozialwissenschaftliche Konzeptualisierungen des Körpers in


Medienanalysen der Cultural Media Studies folgen bisher vor allem vier
Theoriesträngen: 1.) Mit Bezug auf Pierre Bourdieu (insb. 1982) wird der
Körper als ›Kapital‹ gefasst und in seinem Habitus-Konzept verortet, wo-
bei immer hierarchische Machtverhältnisse berücksichtigt werden. 2.) Die
Arbeiten im Anschluss an Michel Foucault (insb. 1988, 2008) rücken den
Fokus auf die diskursive Herstellung des Körpers und die ›Technologien
des Selbst‹ in und durch Medienangebote und -technologien. Die ›Dis-
ziplinarmacht‹ und ihre Wirksamkeit am und im Körper symbolisiert er
im Panopticum als Ort der Überwachung und Unterwerfung. 3.) Judith
Butlers (insb. 1995, 1998) Performativitätstheorie des vergeschlechtlich-
ten Körpers hat zahlreiche Arbeiten der Gender Media Studies inspiriert,
welche nach Möglichkeiten der Subversion geschlechtlicher und hetero-

2 Staffel 11, Folge 07 vom 17.03.2016.

98
VERKÖRPERTE AFFEKTE:
Zur Analyse affektiver Dynamiken von Zugehörigkeit und Exklusion im Reality-TV

normativer Konzeptionen von Körper, Begehren und Geschlecht suchen.


4.) Donna Haraways (1990) Cyborg-Utopien haben Medienanalysen zu einer
Überschreitung der Grenzziehungen zwischen tierischen und menschli-
chen Körpern sowie zwischen Tier-Mensch (Organismus) und Maschine
herausgefordert (vgl. als Übersicht Thomas/Maier 2015).
Die körperkonzeptuellen Ansätze der ›affect studies‹ (Gregg/Seig-
worth 2010) haben indes in den Cultural Media Studies und in der Kom-
munikationswissenschaft bislang noch wenig Aufmerksamkeit erfahren.
In sozial- und kulturwissenschaftlichen Rahmungen werden Emotionen
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als elaborierte soziale und kulturelle Konzepte von (gewisser) Stabili-


tät und Dauer verstanden. Emotionen sind also basal kulturell geformt
und formen selbst soziale und kulturelle Strukturen (Hochschild 1983).
Demgegenüber beschreiben Affekte jene vorgelagerte Dynamik, die noch
nicht sozial formiert ist und grundlegend Positionierungen in der Welt
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erfasst – die Art des In-die-Welt-gestellt-Seins und Sich-zur-Welt-Stel-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

lens, als verkörperte, in der Regel vorsprachliche Positionierung (u. a.


Blackman 2012) – »introducing the energetic, the physical, and the
sensual back into social sciences« (Wetherell 2012: 9). Mit dem Begriff
des Affekts lässt sich das Vermögen von Körpern beschreiben, zu affizie-
ren und affiziert zu werden (Clough 2007). Da als solche Körper neben
Menschen auch andere Lebewesen und ebenfalls Technologien gefasst
werden, ermöglicht eine affekttheoretische Perspektive, die Dynami-
ken des Zusammenwirkens von (digitalen) Medientechnologien, (den
Körpern der) Nutzer_innen und ihren Kontexten in den Blick zu neh-
men – bspw. als ›affective flow‹ (Wetherell 2012; Papacharissi 2015).
Sendungen des Reality-TV lassen sich in diesem Zusammenhang nicht nur
als Repräsentation vorherrschender Diskurse begreifen, sondern ihre äs-
thetischen Strategien zielen daneben auch auf eine sinnlich-körperliche
Affizierung – auf eine Verstärkung oder Verminderung von Bewegung
und Bewegt-Sein der Zuschauenden ab.
Das erkenntnistheoretische Potenzial, das mit dem ›turn to affect‹ für
die Analyse körperbezogener Praktiken in Prozessen der Medienkommu-
nikation verbunden ist, knüpft an vorliegende Körperkonzepte an, modi-
fiziert diese jedoch. Wesentliche Differenzen seien an dieser Stelle knapp
eingeführt (vgl. weitergehend bspw. Blackman 2012). Das Interesse der
›affect studies‹ an Körpern betrachtet diese weniger als feste, stabile Enti-
täten, denn vielmehr als dynamische, prozessuale Gefüge: »If bodies are
characterized by their intercorporeality and trans-subjectivity then how

99
Claudia Töpper / Margreth Lünenborg

can we decouple such experiences from a singular, bounded and distinctly


human body and what kinds of theoretical and methodological innova-
tion will make this possible?« (Blackman/Venn 2010: 8). Rückt in dieser
Weise der Fokus auf Relationen zwischen Körpern und auf die Dynamik
im Werden und Wandel von Körpern, so richtet sich die Aufmerksamkeit
auf Interaktionen, auf zeitliche Dynamiken und wechselnde Intensitäten.
Für die Analyse audiovisueller Medientexte erfährt deshalb deren zeit-
liche Struktur – Beschleunigungen, Verlangsamungen, Stillstand oder
abrupter Tempus-Wechsel – besonderes Augenmerk. Affizierungspro-
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zesse von Körpern und durch Körper sind somit stets als relational zu
begreifen und bedürfen entsprechend empirischer Zugänge. Nicht der
einzelne Körper rückt dann in den Fokus der Analyse, sondern Affizie-
rungsdynamiken zwischen Körpern als Interaktionen zwischen mensch-
lichen und nicht-menschlichen Körpern. Wetherell (2012) nutzt dieses
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Verständnis konsequent zur Entwicklung eines Konzeptes von »affective


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

practices«. Mit diesem Fokus schließt sie an praxistheoretische Konzepte


an, die in der Soziologie eine lange Tradition haben (vgl. Bourdieu 1977;
Reckwitz 2003, 2017). Demnach basieren soziale Praktiken als verkör-
perte Praktiken stets auf der Verschränkung affektiver wie diskursiver
Elemente. In dieser Weise versteht Wetherell Affekte nicht als logisches
Gegenüber von Diskursen, sondern als deren unauflöslicher Bestandteil
und spricht von »affective-discursive interaction« (Wetherell 2012: 81ff.).
Begreifen wir Körper als Aktanten affektiver Praktiken, so verschiebt sich
der Blick vom Disziplinierungs- und Kontrollregime – wie Hannelore
Bublitz (2006: 342) es unter Rückgriff auf Foucault prägnant formuliert
hat: »Disziplin und Norm haben ihren Ort am und im Körper« – zum
Regime der stetigen affektiven Selbstregulation. Zugespitzt gesagt: Es
bedarf dann keiner externen Kontrollinstanz mehr, wenn die Regulation
des Körpers als affektive Selbstregulation fortlaufend wirkmächtig wird.
Besondere Wirksamkeit entfalten diese affektiven Praktiken dabei in der
Herstellung von Distinktionen – entlang von Klasse, Geschlecht oder
Ethnizität. »We can see that affect can maintain, increase and diminish
power, influence and social value. Affect can function, too, to construct
and mark boundaries and reject ›the other‹« (Wetherell 2012: 114). Mit
einem solchen Verständnis von Affekt, das für die empirische Forschung
nutzbar gemacht werden kann, werden spezifische Anforderungen an
die Fernsehanalyse gestellt, die im folgenden Absatz detaillierter be-
trachtet werden.

100
VERKÖRPERTE AFFEKTE:
Zur Analyse affektiver Dynamiken von Zugehörigkeit und Exklusion im Reality-TV

3. »Embodied affects«: Affekttheoretische Analyse


medialer Körper

Basierend auf einem affekttheoretischen Körperverständnis sollte die


Fernsehanalyse mehrere Ebenen berücksichtigen, durch die inszenierte
Körper Zuschauer_innen affizieren können. Theoretisch-konzeptionell
erscheinen uns dabei die folgenden Aspekte und analyseleitenden Frage-
stellungen relevant.
Die affekttheoretische Betonung der Verbundenheit von Körpern er-
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fordert eine Betrachtung der Relationalität und Prozessualität (vgl. Seig-


worth/Gregg 2010). Demnach geht es in der Analyse weniger um die
Beschreibung medial dargestellter Körper, sondern um die Frage, welche
situativen Beziehungen diese eingehen und welche Veränderungen sie
dabei durchmachen. Körper werden dabei nicht als statische Einheiten be-
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trachtet, sondern die Analyse muss deren ständige Transformation berück-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

sichtigen (vgl. Coleman 2013). Der analytische Fokus richtet sich folglich
auf die Beziehungen und Entwicklungen von Körpern. Damit sind Körper
unterschiedlichster Art gemeint, wie beispielsweise die Körper der Prota-
gonist_innen, die einen Schimpansen küssen, auf einer Düne surfen, sich
in einem Slalom fahrenden Auto schminken oder über ein Gepäckband
laufen müssen. Von analyseleitendem Interesse sind dann Fragen nach Re-
lationen zwischen Körpern und nach Veränderungen, die sie durchlaufen.
Damit geraten automatisch Räume und Orte in den Blick, in denen sich
Körper bewegen und zwischen denen Beziehungen be- und entstehen. Da-
mit wird auf die prinzipielle Offenheit und Relationalität zwischen Raum,
Ort und Körpern verwiesen, so zum Beispiel Laufstegauftritte der GNTM-
Kandidatinnen in einem alten Broadway Theater, das sowohl als symboli-
scher Raum, als auch durch seine Architektur affizierendes Potenzial hat.
Während sich die Kategorie ›Raum‹ eher abstrakt auf Unterscheidun-
gen wie z. B. lokal, national und global bezieht, wird mit einem ›Ort‹ eine
konkrete Verbindung zu realen Orten beschrieben, wie z. B. ein Haus, ein
Strand oder eine Stadt (vgl. Lury 2005: 149). Fernsehsendungen inszenie-
ren also sowohl Räume als auch Orte. So kann beispielsweise im Rahmen
einer Sendung durch die Inszenierung der Gleichzeitigkeit unterschiedli-
cher Orte ein globaler Raum repräsentiert werden. Diesbezüglich sei auch
auf die Rolle von Technologien verwiesen, die hierbei eine besondere Rolle
spielen. Für die Analyse von Interesse sind dabei die Beziehungen und Brü-
che in der Organisation von Körpern, Technologien, Räumen und Orten

101
Claudia Töpper / Margreth Lünenborg

sowie die mit Räumen und Orten verbundenen audiovisuell inszenierten


Atmosphären durch den Einsatz von Ton, Licht, Farbe, Formen, Haptik
und Materialitäten im Allgemeinen.
Räume und Orte sind immer auch zeitgebunden, womit Fragen der
Temporalität und Intensität in den Blick geraten. So verweisen auch Kap-
pelhoff und Bakels (2011) auf die Bedeutung der Analyse der zeitlichen
Struktur hinsichtlich des Affiziert-Werdens der Zuschauer_innen. Die
televisuelle Organisation von Zeit muss dabei in Relation zur ›gelebten
Zeit‹ der Zuschauer_innen analysiert werden, als geteilte zeitliche Be-
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ziehung zwischen der Zeit, in der sich eine Szene entfaltet, und der Zeit,
in der Zuschauende diese Szene empfinden (vgl. Kappelhoff/Bakels
2011: 88). Dabei werden auch Fragen nach Intensitäten bedeutsam, womit
neben dem zeitlichen Verlauf Momente der Verstärkung und Verminde-
rung relevant werden. Analytische Kategorien zur Beschreibung von In-
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tensitäten und zeitlichen Verläufen liefern hierbei die Begriffe ›emotion


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

cues‹ (Smith 2003), die im Rahmen von Emotionsepisoden Stimmungen


etablieren, die durch kurze emotionale Ausbrüche aufrechterhalten wer-
den und eine emotionale Orientierung für das Publikum erzeugen, und
›money shot‹ (Dubrofsky 2009; Grindstaff 2002), mit dem Momente
bezeichnet werden, in denen Protagonist_innen die körperliche Kon-
trolle entgleitet. Daneben können Betonungen und Hervorhebungen
aber auch durch stilistische Mittel stattfinden, wie z. B. durch besondere
Lichtverhältnisse, Geräusche oder Farben.
Neben solchen audiovisuellen Inszenierungen emotionaler und af-
fektiver Ausbrüche werden Körper und Körperlichkeit auch durch Dis-
kurse verhandelt. Damit rücken sprachliche Ausdrücke des körperlichen
Affiziert-Werdens von Protagonist_innen in den Fokus, die wiederum das
Affiziert-Werden der Zuschauer_innen beeinflussen können. Von Interesse
sind dabei auch Mechanismen der Regulierung von Affektausdrücken,
die diskursiv zum Ausdruck gebracht werden, beispielsweise, wenn Kan-
didat_innen gebeten werden, körperliche Affekte durch ›Entspannung‹
oder ›locker werden‹ zu kontrollieren. Insbesondere bei Kandidat_innen
mit Migrationshintergrund können sich dabei aufgrund ihrer kulturellen
Herkunft Verschiebungen, Irritationen und Brechungen ergeben, die für
die Analyse von besonderem Interesse sein können. So sind insbesondere
solche Momente beachtenswert, in denen Protagonist_innen mit erwünsch-
ten und/oder geforderten emotionalen Ausdrücken oder emotionalem
Verhalten in Konflikt geraten.

102
VERKÖRPERTE AFFEKTE:
Zur Analyse affektiver Dynamiken von Zugehörigkeit und Exklusion im Reality-TV

Analytisch geraten auch Inszenierungen von Zugehörigkeiten als For-


men gefühlter Verbundenheit mit unterschiedlichen Körpern in den Blick.
Sie lenken die Aufmerksamkeit auf wechselseitige Prozesse des Herstel-
lens von Verbundenheit und/oder Abgrenzung, von Gemeinsamkeiten
und/oder Differenz und wie dabei neue Relationen entstehen können (vgl.
Sieber 2015). Über Beziehungen zwischen Körpern können Verbindungen
mit ›dem Anderen‹ hergestellt werden, die nicht nur auf diskursiven Ver-
handlungen basieren, sondern im Rahmen ihrer ästhetischen Inszenierung
Differenz oder Ähnlichkeit herstellen. Sie können Empathie für kulturelle
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Hybridisierungen, Inklusionen oder Exklusionen prägen, andererseits aber


auch Differenz markieren und Abwehr gegenüber ›dem Anderen‹ erzeu-
gen. Hierbei geht es zum einen um die Analyse des Funktionierens von
Körpern zur Stiftung von Gemeinschaft, also um Formen des Ausschlusses
und Einschlusses sowie zum anderen um Fragen der (Nicht-)Sichtbarkeit
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des oder der ›Anderen‹.


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

4. Beispielanalyse: Affektive Regulation von Scham

Betrachtet man Affekte als relational, erfordert das für die Analyse ein re-
zeptionsästhetisches Verständnis (vgl. Mikos 2008), bei dem die ästheti-
schen und narrativen Elemente einer Fernsehsendung hinsichtlich ihrer
potenziellen sinnlich-körperlichen Funktion für die Zuschauer_innen
betrachtet werden. Die im vorigen Kapitel dargestellten einzelnen Dimen-
sionen dienen hierbei zunächst der heuristischen Unterscheidung, lassen
sich in Fernsehsendungen jedoch nicht immer trennscharf vorfinden. Die
folgende Beispielanalyse illustriert, wie sich mithilfe der entwickelten
Dimensionen und analyseleitenden Fragestellungen Fernsehsendungen
hinsichtlich ihrer potenziellen sinnlich-körperlichen Wirkmächtigkeit
analysieren lassen und wie dabei über die Inszenierung von Körpern wech-
selseitige Prozesse von Zugehörigkeiten und Begehren zwischen Protago-
nist_innen und Zuschauer_innen hergestellt werden können.
Als Beispiel wurde eine kurze Sequenz der siebten Episode der Casting-
show GNTM vom 17.03.2016 gewählt. In diesem Ausschnitt3 bereiten sich
zwei Kandidatinnen auf das sogenannte, in jeder Staffel wiederkehrende

3 GNTM 2016, Folge 07, 00:59:31 – 01:05:15, Dauer: 5 Minuten und 44 Sekunden.

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Claudia Töpper / Margreth Lünenborg

›Nackt-Shooting‹ vor, welches immer wieder für Konflikte zwischen den


Protagonist_innen und den Mitgliedern der Jury sorgt. Dabei verlangt die
Aufgabenstellung, sich nackt fotografieren zu lassen, die Überwindung indi-
vidueller Schamgrenzen und erfordert die Bereitschaft, den eigenen Körper
bedingungslos als Ware zur Verfügung zu stellen. Seit der Ausstrahlung der
ersten Staffel GNTM im Jahr 2006 haben sich dabei mittlerweile wiederkeh-
rende Verhaltensmuster ausgebildet, durch die dieses Wettbewerbsspiel (in
der Sendung als ›Challenge‹ bezeichnet) eine affektive Verankerung beim
Publikum erfahren haben dürfte. Ablauf dieser als Übergangsritus gekenn-
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zeichneten Fotoaufnahmen sowie die dargestellten Reaktionen und Ver-


haltensweisen darauf, lassen sich dabei als ritualisierte Affizierungsmuster
betrachten, die gemeinschaftliche Emotionen ermöglichen – sowohl beim
Publikum als auch bei den Protagonistinnen. Ergebnis dieser durch Ritu-
alisierung evozierten Erregungszustände können Zugehörigkeitsgefühle
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sein: soziale Kohäsion oder Spaltung sowie Solidarisierung oder Gegenwehr.


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Zuschauer_innen, denen das Format bekannt ist, befinden sich demnach


in einer Erwartungshaltung bestimmter wiederkehrender Muster, wie bei-
spielsweise der konflikthaften Inszenierung mindestens einer Kandidatin,
die sich den Fotoaufnahmen mehr oder weniger erfolgreich verweigert. So
ist auch in der analysierten Folge aus dem Jahr 2016 die Kandidatin Fata,
die einen bosnischen Migrationshintergrund hat, fest entschlossen, sich
nicht nackt fotografieren zu lassen und sich der Auseinandersetzung mit
der Jury zu stellen. Ihr Verhalten wird kontrastiert mit der Darstellung der
Kandidatin Laura Franziska, die sich angesichts der anstehenden Aufgabe
ebenfalls sehr unwohl fühlt, sich aber noch nicht sicher ist, ob sie die Foto-
aufnahmen machen lässt. Im Mittelpunkt der Erzählung steht dabei der
Umgang der beiden Kandidatinnen mit Ambivalenzen, die sich im Konflikt
zwischen unterschiedlichem Begehren nach Zugehörigkeiten zeigen. Durch
die kontrastierende Gegenüberstellung begegnen sich dabei schließlich zwei
differierende Haltungen zur geforderten Überwindung der Scham, wobei
unterschiedliche Verhältnisse des Ein- und Ausschlusses inszeniert werden.
So entscheidet die zunächst noch unentschlossene Kandidatin Laura Fran-
ziska, sich trotz ihrer Angst und Unsicherheit nackt ablichten zu lassen.
Mit der Verfügbarmachung ihres Körpers folgt sie dabei – entgegen ihrer
ursprünglichen Bedürfnisse – einem Begehren nach Zugehörigkeit zum
Emotionsregime der Sendung. Damit garantiert sie den reibungslosen Ablauf
des bestehenden Systems, ordnet sich in die Strukturen ein und übernimmt
die für die Sendung geltenden emotionalen Regeln und Verhaltensmuster

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VERKÖRPERTE AFFEKTE:
Zur Analyse affektiver Dynamiken von Zugehörigkeit und Exklusion im Reality-TV

der Unterdrückung von Scham und Unsicherheit. Ihre Konkurrentin dage-


gen versucht, sich davon zu emanzipieren und führt ihre kulturell-religiöse
Zugehörigkeit als Begründung an. Innerhalb des Konflikts zwischen Zu-
gehörigkeit und Selbstbestimmung begehrt sie letzteres und verortet sich
dabei zugehörig zu einer religiösen Gemeinschaft. Auf Publikumsseite pro-
voziert die Inszenierung dieser Kontraste und der zunächst offene Ausgang
der Auseinandersetzungen, begleitet durch den Einsatz dramatischer Musik,
Spannungserleben. Daneben adressiert die Inszenierung dieser differieren-
den Begehrensgefüge unterschiedlicher Körper – die der Kandidatinnen,
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des Emotionsregimes der Sendung, der Jurymitglieder mit ihren jeweils


unterschiedlichen Wünschen, Vorstellungen und Zugehörigkeiten – jedoch
auch das körperliche Empfinden der Zuschauer_innen. Während die eine
Kandidatin ihre Entschlussfähigkeit und Verweigerungshaltung durch ener-
gische Gesten und einen nachdrücklichen Sprechgestus vor allem diskursiv
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deutlich macht, werden Angst und Unsicherheit der anderen Kandidatin auf
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

körperlicher Ebene durch Bewegungsarmut, geringe Körperspannung, eine


gebückte Haltung sowie durch körperliche Emotionsausdrücke der Angst
und Hilflosigkeit deutlich (vgl. Abb. 1).

Abbildung 1
Kontrastierung körperlicher Ausdrücke und diskursiver
Verhandlung von Scham

Quelle: Germany’s Next Topmodel, Staffel 11, Episode 7 vom 17.03.2016

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Claudia Töpper / Margreth Lünenborg

Ihre Scham, Unentschlossenheit und Unsicherheit werden an ihrem


Körper erkennbar und für Zuschauer_innen nachvollziehbar und glaubhaft
dargestellt, während die Angst vor den Nacktaufnahmen bei der anderen
Kandidatin zwar diskursiv verhandelt, körperlich jedoch nicht sichtbar
wird, wodurch bei den Zuschauer_innen affektive Widersprüche zwischen
ihrem körperlichen Ausdrucksverhalten und ihren Aussagen entstehen.
Ihre Verweigerung der Nacktaufnahmen dürfte dadurch zwar auf kogni-
tiver Ebene für die Zuschauenden nachvollziehbar sein, aber auf sinnlich-
körperlicher Ebene fremd bleiben – zumal ihre in der Sendung argumen-
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tativ ins Spiel gebrachte Zugehörigkeit zu ›einer Religion‹ bloß benannt


und nicht narrativ eingebunden wird.
Innerhalb der Inszenierung dieser unterschiedlichen Formen des Be-
gehrens – als Verbindung von Wünschen und Zugehörigkeiten – werden
für das Publikum Momente der Erregung und der Beruhigung hergestellt.
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Auf zeitlicher Ebene entfalten sich dabei kontrapunktisch gesetzte affektive


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Intensitäten. So wird die Konfrontation zwischen der sich verweigernden


Kandidatin Fata und Heidi Klum als einer der Spannungshöhepunkte insze-
niert. Die daran anschließenden Fotoaufnahmen mit ihr, bei denen sie ihre
Unterwäsche tragen darf, werden atmosphärisch in positiver Stimmung
als Wohlfühlereignis inszeniert: unterlegt mit fröhlicher, rhythmischer
Musik wird die Kandidatin umgeben von freundlichen Teammitgliedern,
Fotografen und Heidi Klum dargestellt. In den Armen hält sie ein Opos-
sum mit großen Augen und flauschigem Fell und betont immer wieder,
wie wohl sie sich nun mit den Aufnahmen fühlt.
Im Anschluss an diese auf Beruhigung, Entspannung, Behaglichkeit und
auf Wohlfühlen der Zuschauer_innen abzielenden Szenen folgen mehrere
Einstellungen, in denen Spannung inszeniert wird. Durch bedrohliche
Musik, die Kontrastierung der Gruppe gegenüber einer einzelnen Kan-
didatin, der Inszenierung von Blicken der Kandidatinnen untereinander
und durch Kommentare auf diskursiver Ebene wird dabei eine Situation
dargestellt, die auf körperliche (An-)Spannung der Zuschauer_innen ab-
zielt. Die darauffolgenden Fotoaufnahmen mit der bislang noch unent-
schlossenen Kandidatin Laura Franziska werden – im Gegensatz zu ihrer
Konkurrentin – als unangenehm inszeniert. Entblößt im Wasser sitzend
wird sie mit einem Insekt (einer Gottesanbeterin) fotografiert. Dieses Insekt
löst im Gegensatz zum ›kuscheligen‹ Opossum eher Ekel und Abscheu aus,
zudem wird mit ihm die Nacktheit der Kandidatin besonders ausgestellt.
Fotograf, Teammitglieder und Heidi Klum stehen in einer bedrängenden

106
VERKÖRPERTE AFFEKTE:
Zur Analyse affektiver Dynamiken von Zugehörigkeit und Exklusion im Reality-TV

Formierung um sie herum. Die Umgebung ist eher dunkel und die Szene
unterlegt mit einem rhythmischen Popsong, während im Hintergrund
zunehmender Regen und Wind zu hören und zu erkennen sind. Daneben
tragen auch wiederholte Korrekturen ihrer Haltung und Kommentare
über ihre Unsicherheit und die Schwierigkeiten, ein gelungenes Foto zu
schießen, dazu bei, die Szenen als unangenehm zu inszenieren (vgl. Abb. 2).

Abbildung 2
Kontrastierung von positiven und negativen Affizierungen
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in GNTM
Das Weitergeben und Kopieren dieses Dokuments ist nicht zulässig.
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Quelle: Germany’s Next Topmodel, Staffel 11, Episode 7 vom 17.03.2016

Auch die darauffolgenden Szenen modulieren Affizierungen der Zu-


schauenden zwischen Erregung und (Ent-)Spannung. Zunächst wird
Freude über den Abschluss der Fotoaufnahmen inszeniert, kontrastiert
mit anschließender körperlicher (An-)Spannung, die das Publikum ad-
ressiert, indem Szenen der bedrückten Kandidatin Laura Franziska, die
von anderen Kandidatinnen getröstet und in den Arm genommen wird,
gegenübergestellt werden, mit Interviewaufnahmen ihrer Konkurrentin
Fata, in denen sie ihr Unverständnis über Laura Franziskas Verhalten äu-
ßert. So bleibt das diskursiv und affektiv hergestellte Spannungsverhältnis
zwischen beiden bestehen.
Die knappen Ausführungen dieser beispielhaften Analyse deuten darauf
hin, dass in der Sendung angelegte stilistische Mittel der Kontrastierung

107
Claudia Töpper / Margreth Lünenborg

sowie die Inszenierung unterschiedlicher Begehrensgefüge und Ambiva-


lenzen als Affektdramaturgie die Zuschauer_innen selbst innerhalb dieses
Gefüges positionieren. Solche Gefüge zielen darauf ab, Verbindungen und
Zugehörigkeiten zu einer imaginierten Zuschauer_innengemeinschaft, zu
geteilten moralischen Ansichten, religiösen oder kulturellen Gruppen etc.
herzustellen. Dazu werden nicht nur über Diskurse und von den Kandi-
datinnen selbst aufgerufene Zugehörigkeiten, sondern auch über Körper
und Körperlichkeit Zugehörigkeiten hergestellt, die mit unterschiedlichen
sinnlich-körperlichen Affizierungen der Zuschauer_innen verbunden
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werden. So bleibt beispielsweise die Scham derjenigen Kandidatin, die das


Nacktshooting verweigert, für Zuschauer_innen auf sinnlich-körperlicher
Ebene nicht nachvollziehbar. Die affektiv-diskursive Praxis, die in der au-
diovisuellen Erzählung hergestellt wird, erlangt hier keine Legitimität.
Scham als emotionales Regulativ gegenüber einer von der Kandidatin als
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unangemessen erlebten Nacktheit, wird als unangemessen sichtbar ge-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

macht. Stattdessen erfährt eine uneingeschränkte körperliche Verfügbar-


keit im Regime sexualisierter Sichtbarkeit des weiblichen Körpers für die
Zuschauer_innen als unhintergehbare Norm affektiv Plausibilisierung. Im
Gegensatz dazu wird die erfolgreiche Verweigerung des Nacktshootings
aus religiösen Gründen auf körperlicher Ebene mit Freude und Wohlbe-
finden verbunden. Interessanterweise bleiben die religiösen Beweggründe
diskursiv gänzlich unspezifisch – die Zuschauenden erfahren weder, wel-
cher Religion sich die Kandidatin zugehörig fühlt, noch in welcher Weise
Religion und Körper konfliktiv zueinander positioniert sind. Offenkundig
wird damit vermieden, potenziell konflikthaltige Auseinandersetzungen
um religiöse Praktiken und sexualisierte Körperpraktiken im Fernsehfor-
mat zu verhandeln. Geradezu unter Ausschaltung normativ-diskursiver
Ordnungen wird religiöse Zugehörigkeit in der affektiven Dramaturgie
legitimiert und zum Bestandteil des affektiven Regimes des Formates ge-
macht. Auf diese Weise tragen populärkulturelle Medientexte wie Formate
des Reality-TV dazu bei, Fragen des ›belonging‹ als Formen realer oder
imaginierter Zugehörigkeit zu verhandeln. Im Rahmen einer affektthe-
oretischen Perspektive lassen sich audiovisuelle Medientexte als ein (Be-
gehrens-)Gefüge analysieren, in dem sich Körper wechselseitig affizieren
und affiziert werden (vgl. Clough 2007). Audiovisuelle Medientexte in-
szenieren dabei (körperliches) Begehren nach Zugehörigkeit und erzeugen
dieses gleichzeitig beim Publikum. Während die Zugehörigkeit zu einer
Fan- und Rezeptionsgemeinschaft bereits mit dem Prozess des Medien-

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VERKÖRPERTE AFFEKTE:
Zur Analyse affektiver Dynamiken von Zugehörigkeit und Exklusion im Reality-TV

konsums hergestellt wird, bleiben weitergehende Zugehörigkeiten – zu


sozial, kulturell oder symbolisch konstituierten Gemeinschaften – oftmals
virtuell. So erscheint es möglich, sich bestimmten Zugehörigkeiten anzu-
nähern oder sich von ihnen zu entfernen, aber prinzipiell wird dadurch ein
permanentes bzw. mit jeder Sendung neu erzeugtes Verlangen nach Zuge-
hörigkeit erweckt, das nie gänzlich eingelöst werden kann. So verharren
Zuschauende in einer ständigen Erwartungshaltung als Sehnsucht nach
Zugehörigkeit (longing for belonging), womit eines der grundlegenden
Affizierungsmuster der Sendungen beschrieben ist.
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5. Fazit

Affekte bewegen sich zwischen menschlichen und nicht-menschlichen


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Körpern. Sie stellen Relationen zwischen Körpern her. Ihre grundsätzliche


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Fluidität und Prozesshaftigkeit macht sie jedoch für empirische Zugänge


schwer zugänglich, zumal sie eine Überwindung dualistischer Konzepte
von Geist und Körper, Ratio und Emotion sowie kausaler Ursache-Wir-
kungs-Zuschreibungen fordern.
Für eine empirische Anwendung verbinden wir daher die theoreti-
sche Konzeptualisierung des Affekts als dynamisch-relational mit einer
praxeologisch orientierten Affekttheorie. Damit rückt nicht der einzelne
Körper in den Fokus der Analyse, sondern Relationen, Transformationen
und Interaktionen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Kör-
pern. Empirischer Ausgangspunkt ist dabei der Körper, an dem Affekte
sichtbar ›verkörpert‹ werden. Durch die Zirkulation von Affekten mittels
audiovisueller Medien können sich diese Affekte wiederum in die Kör-
per der Zuschauer_innen einschreiben, als Muster und Ordnungen von
Affektregimen verfestigen und damit Teil eines kulturellen Gedächtnis-
ses werden. Audiovisuelle Medien regulieren dabei das Begehren nach
unterschiedlichen Formen der Zugehörigkeit oder auch Mustern der
Abgrenzung und Exklusion. Die Analyse von Affekten ist daher bedeut-
sam für Fragen nach der medial basierten Herstellung von Gemeinschaft,
womit zugleich auf die (Wirk-)Mächtigkeit des Körpers verwiesen wird,
die mittels einer affekttheoretischen Perspektive in den Blick genom-
men werden kann. Die knappe Beispielanalyse demonstriert die Macht,
die dabei der Inszenierung des Körpers, körperlichen Affektausdrücken
und der sinnlich-körperlichen Adressierung des Publikums zukommt;

109
Claudia Töpper / Margreth Lünenborg

sie weisen über die Ebenen der Repräsentation und des Diskurses hinaus
und interagieren mit diesen.
Die hier entwickelten Dimensionen der Fernsehanalyse bieten Anhalts-
punkte, um explizit sinnlich-körperliche Adressierungen des Publikums
in den Blick zu nehmen. Eine affekttheoretische Herangehensweise der
Analyse audiovisuellen Materials berücksichtigt dabei Körper in ihrer Re-
lationalität und Prozessualität, ihrer temporalen Struktur und Intensität.
In den Fokus der Analyse geraten ihre Bewegungen und Begegnungen in,
an und zwischen Räumen und Orten sowie hinsichtlich der Herstellung
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von Zugehörigkeiten. Körper – Begehren – Zugehörigkeiten bilden dabei


Elemente dynamischer Prozesse, die Formen des In-die-Welt-gestellt-Seins
und Sich-zur-Welt-Stellens prägen und dabei wiederum eigene Macht-
Relationen erzeugen können. Reality-TV-Formate wie GNTM inszenieren
dabei unterschiedliche Begehren und Begehrensgefüge, die beim Publikum
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Sehnsucht nach Zugehörigkeiten erzeugen, die situativ maßgeblich durch


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

mediatisierte Kommunikation als erlebte Teilhabe am (Medien-)Geschehen


eingelöst wird, und eines der grundlegenden Affizierungsmuster darstel-
len. Trotz (oder gerade wegen) der präzisen Vertrautheit des Publikums
mit den dramaturgischen und narrativen Regeln des Formats vitalisieren
die dort hergestellten Regulative von Zugehörigkeit und Exklusion, von
Triumph und beschämender Niederlage durch körperliche Affizierungen
den fortlaufenden Prozess affektiver Selbstregulation. Auf diese Weise
tragen die audiovisuellen Erzählungen in Formaten des Reality-TV zur
gesellschaftlichen Einübung stetiger Affektkontrolle bei.

Literatur

Beck-Gernsheim, E.: Wir und die Anderen. Vom Blick der Deutschen auf
Migranten und Minderheiten. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 2004
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Bourdieu, P.: Outline of a Theory of Practice. Great Britain [Cambridge
University] 1977
Bublitz, H.: Sehen und Gesehenwerden – Auf dem Laufsteg
der Gesellschaft. Sozial- und Selbsttechnologien des Körpers.

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Zur Analyse affektiver Dynamiken von Zugehörigkeit und Exklusion im Reality-TV

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Körpers und des Sports. Bielefeld [transcript] 2006, S. 341-361
Butler, J.: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Berlin
[Suhrkamp] 1995
Butler, J.: Hass spricht. Zur Politik des Performativen. Berlin [Suhrkamp]
1998
Clough, P. T.: Introduction. In: Clough, P. T.; J. Halley (Hrsg.):
The Affective Turn: Theorizing the Social. Durham & London [Duke
University Press] 2007, S. 1-33
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Clough, P. T.; J. Halley (Hrsg.): The Affective Turn. Theorizing the Social.
Durham & London [Duke University Press] 2007
Coleman, R.: Transforming Images. Screens, Affect, Futures. Milton Park,
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9 (3), 2009, S. 353-368


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Foucault, M.: Archäologie des Wissens. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1988


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112
II. Repräsentationen und diskursive Verhandlungen
vergeschlechtlichter Körper

Patrick Rössler

»Das Recht auf den eigenen Körper«?


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Weibliche Aktdarstellungen in der


Illustriertenpresse der Weimarer Republik
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Körperbilder – und insbesondere solche unbekleideter junger Frauen, aber


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

auch Männer – gehörten zum Inventar der populären Presse in Deutsch-


land in der Zwischenkriegszeit: Speziell die illustrierten Magazine, die in
hohen Auflagen über die Kioske in der gesamten Republik vertrieben wur-
den, zeigten regelmäßig Aktaufnahmen junger, durchtrainierter Frauen aus
Revuen, dem Bereich des Ausdruckstanzes und der ›frivolen‹ Unterhaltung.
Diese Illustrationspraxis, so die Ausgangsthese des vorliegenden Beitrags,
präsentierte die weiblichen Idealkörper zwar als visuelle Ausprägungen
der ›Neuen Frau‹ der 1920er-Jahre. Allerdings leistete sie darüber hinaus-
gehend keine dezidierte inhaltliche Kontextualisierung, etwa hinsichtlich
der erstarkenden Emanzipationsbewegungen in den westlichen Demokra-
tien jener Epoche. Vielmehr dominiert in der medialen Aufbereitung der
optische Oberflächenreiz, dem Blätter der Freikörperkultur einen ästhe-
tischen Kontrapunkt gegenüberstellen – mit deutlich expliziteren, aber
(nur scheinbar) weniger inszenierten Freilichtakten.
Dies korrespondiert mit der Ambivalenz, die dem überraschend ›freien‹
(weil freizügigen) Blick der Weimarer Medien auf den weiblichen Körper
im Emanzipationsdiskurs nach wie vor innewohnt. Einerseits ein deutli-
ches Signal der Selbstbestimmung im Recht auf den eigenen Körper, des
gesellschaftlich akzeptierten Sich-Zeigens und der öffentlichen Präsenz,
bleibt andererseits die Inszenierung der weiblichen Körper in den Illus­
trierten doch vielfach objekthaft und einseitig. Diese Widersprüchlichkeit
wird durch die Mehrdeutigkeit und Interpretationsoffenheit von Bild-
kommunikation noch verstärkt: Je nach Haltung kann ein/e BetrachterIn

113
Patrick Rössler

in einer Aktaufnahme vielleicht das mutige Aufbegehren gegen eine patri-


archalische Ordnung sehen, der am weiblichen Lustgewinn nichts gelegen
war – während ein andere/r BetrachterIn in denselben Bildern die stereo-
typen Unterwerfungs- und Verfügbarkeitsgesten, Sexualisierungen und
(vereinzelt) auch Rassismen erkennen mochte, die dieselbe patriarchalische
Ordnung stabilisierten. Dieses Spannungsfeld kennzeichnet bereits den
Emanzipationsdiskurs in der Weimarer Republik (vgl. Flemming 2008),
in dem einerseits die »in ihrer Sexualität freie Frau« als »Herrin ihres ei-
genen Eros« (ebd.: 59) beschworen wird, und andererseits deren Hinwen-
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dung zu ernsthafter, pflichtbewusster Berufstätigkeit, im Übergang vom


»Weibchen« zum »ganzen Menschen« (ebd.: 61).
Zur Verdeutlichung dieser Zusammenhänge werden nachfolgend zum
einen prägnante Fallbeispiele aus der damaligen Bildpresse vorgestellt,
zum anderen auf Ergebnisse einer systematischen visuellen Inhaltsanalyse
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von Aktdarstellungen zurückgegriffen. Damit schließt der Beitrag an eine


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

ausführlichere fotohistorische Untersuchung von Nacktaufnahmen in der


Weimarer Publikumspresse an (vgl. Rössler 2017), die dem vorliegenden
Beitrag als Ausgangsbasis dient und hier um empirische und typologische
Aspekte erweitert wird. Als Materialgrundlage diente der Bestand einiger
maßgeblicher Vertreter dieses medialen Genres, der mit Unterstützung der
Deutschen Forschungsgemeinschaft digitalisiert wurde und unter www.
illustrierte-presse.de frei zur Verfügung steht (vgl. Rössler/Bonte/Leiskau
2012). Gegenstand der Überlegungen sind somit ausschließlich Periodika,
die im regulären Handel straffrei erworben werden konnten (also keine
pornografischen Werke).

1. Der Akt und die Medien in der


Weimarer Republik

In der Zwischenkriegszeit begann die Fotografie, als mediales Massen-


phänomen die Kiosklandschaft zu bestimmen, wozu auch technische
Innovationen maßgeblich beitrugen: Die Kleinbildkamera auf Seiten der
BildproduzentInnen, verbesserte Druckverfahren auf Seiten der Verlage
und schließlich die Organisation der Bilderverbreitung über spezialisierte
Agenturen sorgten für einen Visualisierungsschub auf dem Sektor der
Printmedien (vgl. Kutsch/Fröhlich/Sterling 2016; Kerbs/Uka 2004;
Weise 1991; Eskildsen 1982). Zur selben Zeit setzte sich in der Weimarer

114
»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der Weimarer Republik

Gesellschaft eine vergleichsweise tolerante Wahrnehmung von öffentlicher


Nacktheit durch. Getrieben wurde diese Entwicklung zum einen von den
AnhängerInnen des Nudismus innerhalb der Lebensreform-Bewegung,
die die Rückkehr zur Natur auch durch eine Hinwendung des Körpers zu
Sonne und Licht propagierten (vgl. Buchholz 2001; Wedemeyer-Kolwe
2004). Andererseits zelebrierte die gesellschaftliche Oberschicht den Mythos
von den ›Roaring Twenties‹ mit ihrem ausschweifenden Nachtleben und
dem hüllenlosen Treiben auf den Bühnen einschlägiger Etablissements
(vgl. Gordon 2004), auch wenn die Teilnahme daran nur einigen Weni-
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gen vorbehalten war und das Phänomen deswegen in vielerlei Hinsicht als
mediale Inszenierung erfolgte (vgl. Pfeiffer 2017).
Denn die glamourösen Bilder aus den Unterhaltungspalästen wurden
von der Illustriertenpresse – und besonders von den in hohen Auflagen für
eine aufstrebende Mittelschicht produzierten Monatsmagazinen – dank-
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bar aufgegriffen. Kaum eine Ausgabe dieser kleinformatigen Zeitschrif-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

ten, die ihre Fotos meist auf besserem, gestrichenem Papier abdruckten
(vgl. Rössler 2013a), kommt ohne Porträts aus dem Nachtleben (etwa von
dem Revuestar Josephine Baker) oder die schier endlosen Beinreihen der
Revuegirls aus. Periodika wie Berliner Leben, Ich und die Großstadt oder Der
Junggeselle porträtierten einen Lebensstil, der selbst in den Metropolen nur
einer kleinen Klientel vorbehalten war. Nacktdarstellungen, eingebettet
in humorige Sottisen oder anzügliche Kurzgeschichten, dienten hier pri-
mär der Visualisierung einer vergnügungssüchtigen Lebewelt, zu deren
Repertoire ganz selbstverständlich auch erotische Eskapaden zählten.
Daneben etablierte sich im Deutschland der 1920er-Jahre die Freikörper-
kultur als Gegentrend zu einer überdrehten, durch kapitalistische Arbeits-
prozesse definierten, urbanen Zivilisation (hier u. i. F. ausf. Rössler 2017:
13ff.). Sie griff Ideen und Ideologien der Lebensreform-Bewegung auf – mit
der modernen Metropole als Feindbild schien ein Dasein als ertüchtigter,
durch regelmäßigen Sport gestählter Körper im Einklang mit der Natur das
erstrebenswerte Ziel, das die unbefangene Nacktheit wie selbstverständlich
einschloss (vgl. Horst 2013: 30ff.). Eine regelmäßige periodische Presse unter-
richtete die AnhängerInnen schon seit der Jahrhundertwende über aktuelle
Streitfragen; eine publizistische Kultur, die Deutschland von allen anderen
Staaten mit entsprechenden Bewegungen unterschied (vgl. Gordon 2004:
93). Aber auch die bürgerlichen Tages- und Wochenzeitungen widmeten sich
dem Thema gerne, wie ein Bildbericht von 1929 zeigt (Abb. 1), wobei nackt
lediglich Kinder und eine Jugendliche dargestellt werden.

115
Patrick Rössler

Abbildung 1
Impressionen aus der Lebensreform-Bewegung
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Quelle: verschiedene Fotografen; Die Bilder-Woche, Beilage zur Neuen Leipziger Zeitung,
23. Juni 1929, S. 12

So publikumsattraktiv sich die Spannungsfelder zwischen Neugier


und Scham, Intimität und öffentlicher Zurschaustellung, Tabu und Tabu­
bruch erwiesen, die »lebensfroh und keck« das »sexuelle Spießertum«
attackierten (von Soden 1986: 122) – so vehement fiel selbstredend die
Kritik kirchlich-konservativ geprägter Bewegung gegen ›Schmutz und
Schund‹ aus, die sich auf den § 184 des Strafgesetzbuches für das Deutsche
Reich von 1900 stützten. Am 3. Dezember 1926 beschloss der Reichstag das
›Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften‹,
wonach Medien mit sexuellen Inhalten auf Antrag einer von zwei Prüfstel-
len vorgelegt werden mussten. Diese konnten die Aufnahme in eine Liste
entsprechend indizierter Schriften veranlassen, was erhebliche Einschrän-
kungen in der Bewerbung und im Verkauf dieser Publikationen nach sich
zog (vgl. Dettmar 2012; Stieg 1990). Gerade die liberale Presse leistete er-
bitterten Widerstand gegen diese Form der Zensur. Als Kompromissformel
blieben ›künstlerische‹ Aktaufnahmen – in der Logik einer bürgerlichen
Doppelmoral – vom gesellschaftlichen Sittenkodex wie den staatlichen

116
»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der Weimarer Republik

Zensurstellen unbehelligt, anders als die erotische Gebrauchsware (vgl.


Marhoefer 2015: 31ff.; Schmidt-Linsenhoff 1981: 43).
So waren in den Bücherschränken der ZeitgenossInnen populäre Pu-
blikationen zu finden, die die Vorstellungen von weiblichen wie männli-
chen Idealkörpern prägen sollten, und dies schon in ihrer Titelwahl zum
Ausdruck brachten (z. B. die Broschürenreihe Ideale Nacktheit des Dresdener
Verlags der Schönheit von A. Giesecke mit dem Untertitel Naturaufnahmen
menschlicher Körperschönheit). Im zweiten Band der Reihe Ideale Körperschönheit
wenden sich die Herausgeber gegen »den sitten- und sinnlosen Verderb
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dumpfer ›Schamhaftigkeit‹«, dem sie »Zeugnisse wirklichen Lebens in


der lichtvollen nackten Natürlichkeit« gegenüberstellen:
»Die sollen nun helfen, tiefe und reine Freude am unverstellten Leben
weiterzutragen und alle Bedenken althergebrachter Vorurteile gegen den
nackten Körper zu zerstreuen, weil, in voller Natürlichkeit und unantastba-
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

rer Lauterkeit der Erscheinung, die äußere Gestalt hier mit ihrer Schönheit
auf eine Innerlichkeit hinweist: Sie offenbart Naturfreude, Lebensehrfurcht,
Edelgesinnung neuartigen Menschentums« (Anonym 1924: 6).
Den ideologischen Überbau dafür lieferten etwa die reich illustrierten,
auflagenstarken Werke des Gymnastiklehrers Adolf Koch (1924) oder jene
zum Sonnenkult des nationalkonservativen, ehemaligen Kolonialoffiziers
Hans Surén (1924).
Daneben entspann sich ein breiter gesellschaftlicher Diskurs über
Fragen der Sexualhygiene, die seinerzeit durch Ärzte, Wissenschaftler
und Sozialpolitiker ebenfalls der Tabuzone entrissen wurden. Neue
Geschlechterordnungen bedurften der Aushandlung – wie etwa die so
genannte Kameradschaftsehe, die 1928 als deutsche Übersetzung des po-
pulären, in mehreren Auflagen verbreiteten Buchs der amerikanischen
Autoren Ben B. Lindsey und Wainwright Evans erschien. Sie warb für
eine partnerschaftliche Beziehung, in der sich die (verheirateten und kin-
derlosen) Paare gegenseitig alle (auch sexuellen) Freiheiten zugestehen
und ihre Ehe aufgrund einer freundschaftlichen Verbundenheit weiter-
führen (Lindsey/Evans 1928: 40ff.). Die ganzseitige Abbildung »Beginn
einer Kameradschaftsehe« aus dem populären Magazin Das Leben (Abb. 2)
soll dieses Verhältnis symbolisieren: Der modischen Frau, rauchend und
selbstbewusst, macht ein anonymer, gesichtsloser Herr seine Aufwar-
tung; er ist austauschbar, und Gegenstand sind nicht die romantischen
Zärtlichkeiten, wie sie die Genredarstellungen ansonsten beherrschen,
sondern das interessierte Gespräch.

117
Patrick Rössler

Flankiert wurde dies von einer eifrigen Monatspublizistik, allen vo-


ran die Zeitschrift Die Aufklärung des Arztes und Sexualforschers Dr. Mag-
nus Hirschfeld, die sich an ein interessiertes Laienpublikum richtete (vgl.
Dose 1992). Schon deren Untertitel – Monatsschrift für Sexual- und Lebens-
reform – verdeutlicht die Nähe zu den Publikationen der FKK-Bewegung.
Die Zeitschrift befasste sich eingehend mit dem Thema Homosexualität,
was in der Weimarer Republik Gegenstand erbitterter Kontroversen war
(vgl. Marhoefer 2015). Für Schwule und Lesben existierten spezielle
Nischenpublikationen wie Die Freundin (Abb. 3), die in geringer Auflage
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und unter der Hand kursierten, immer bedroht von Beschlagnahme und
Zensur. Aktfotografien wurden eher dezent eingesetzt, vermutlich um die
Verbreitung der Organe nicht zusätzlich zu gefährden.

Abbildung 2 Abbildung 3
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Titelfoto »Beginn einer Informationsblatt für


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Kameradschaftsehe« die lesbische Szene mit


unverfänglichem Rückenakt

Quelle: Foto: Yva; Das Leben, März 1932, Quelle: Fotograf nicht genannt; Die Freun-
S. 1 din, November 1930

Zur Aufklärung heterosexueller Paare trugen aus heutiger Sicht vielleicht


kurios anmutende Periodika wie Die Ehe, Der Eheberater, Ideal-Ehe, Ideal-Le-
bensbund oder Eheglück und Liebesleben bei, die sich an Ratsuchende primär

118
»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der Weimarer Republik

innerhalb der weiblichen Bevölkerung wandten. Dass die Umschläge die-


ser Publikationen häufig lasziv-sexualisierte Frauendarstellungen zierten
(Abb. 4), legt aus heutiger Sicht vordergründig nahe, dies als Ausdruck eines
»male gaze« (Mulvey 1975) zu betrachten; tatsächlich darf aber nicht unter-
schätzt werden, dass die Darstellung weiblicher Lust in einer Zeit, in der die
sexuelle Befriedigung der Frau alles andere als selbstverständlich war, bei
der weiblichen Zielgruppe der Magazine einen durchaus emanzipatorischen
Impetus aufwies. Die Verunsicherung, die der Rollenwandel von Frauen oder
Konzepte wie die Kameradschaftsehe mit sich brachten, findet sich hier in
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lebensnahen Darstellungen diskutiert, die vielfach auf (tatsächlichen oder


vermeintlichen) Zuschriften aus der LeserInnenschaft beruhten. So antwortet
etwa in Liebe und Leben, dem Zentralorgan des ›Bunds für bewußte Geburten-
regelung‹ (Abb. 5), der ›Sexualberater Dr. med. Levy-Lenz‹ auf Fragen wie:
»Mein Mann ist 22 Jahre älter als ich. Schadet das meinen inneren Organen?«
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Die Redaktion von Die Schönheit sah sich im August 1927 sogar veranlasst, ei-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

nen eigenen Sonderteil mit LeserInnenanfragen beizulegen.

Abbildung 4 Abbildung 5
Aufklärungsmagazin für Umschlagfoto »Kampf gegen
Sexualhygiene Aufklärungsschriften«

Quelle: Fotograf nicht genannt; Die Ehe, Quelle: Fotograf nicht genannt; Liebe und
August 1928 Leben, November 1931

119
Patrick Rössler

2. Der Akt und die ›Neue Frau‹

Die Neudefinition des weiblichen Rollenverständnisses in der Gesellschaft


wurde schon in jener Zeit gemeinhin unter dem Schlagwort von der ›Neuen
Frau‹ verhandelt, wie es Elsa Herrmann, erste jüdische Promovendin der Leip-
ziger Juristenfakultät, 1929 in ihrer Schrift So ist die neue Frau als Quintessenz
ihrer Überlegungen präsentiert (Herrmann 1929: 168). Dieses Konzept wurde
an vergleichbarer Stelle schon ausführlich als Form des ›Visual Framing‹ durch
die Illustriertenpresse diskutiert (vgl. Rössler 2013b), weshalb es hier ledig-
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lich nochmals in seinen Grundzügen wiedergegeben wird (vgl. ausf. Otto/


Rocco 2011; Sykora et al. 1993). Mit ihren Wurzeln schon im Kaiserreich
(Beuys 2014) war die veränderte Perspektive auf die Frau als »typisierte Ver-
bildlichung im öffentlichen Bewusstsein verankert« (Gozalbez Cantó 2012:
78) und äußerte sich u. a. in einem Image als sexuell selbstbestimmtes Wesen,
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für das äußere Merkmale wie Frisur (Bubikopf) und Kleidung (kurzer Rock)
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

eine besondere Symbolik besaßen (Bertschik 2005: 197). Allerdings handelt


es sich aus heutiger Sicht dabei eher um großstädtisch geprägte »Stereotypen
einer modernen Ikonografie der neuen Frau« (Sykora 1993: 17).
»[Die ›neue Frau‹] nämlich, die damals die Illustrierten und das Kino
entdecken, ist Realität und Kunstprodukt zugleich. Sie beflügelt die Phan-
tasien der Männer, mobilisiert Ängste, ruft die Verteidiger überlieferter
Werte und Normen auf den Plan. Die ›neue Frau‹, das ist die Frau mit dem
Bubikopf, die ihre Röcke kürzt, sich schminkt und Körperlichkeit betont,
mit den Attributen der Mode spielt; die ›neue Frau‹, das ist die Frau, die
in die Domänen der Männer einbricht, die Cafés, Tanzsäle und Amüsier-
lokale bevölkert, Zigaretten raucht, sich sportlich betätigt, ihre sexuellen
Bedürfnisse nicht mehr versteckt, sondern lebt, die für sich die gleichen
Rechte wie die Männer reklamiert, dabei der viktorianischen Doppelmoral
Valet sagt. Es ist schwer zu bestimmen, was davon erfüllte und was unerfüll-
te Wünsche sind, was der Wirklichkeit entspricht oder bloße Projektion
bleibt« (Flemming 2008: 62).
Damit stellt sich die Frage, inwiefern gerade die Aktfotografie als wich-
tiges Indiz für die mediale Diffusion der ›neuen Frau‹ gelten kann – und
zwar in ihrer zweifachen Ausprägung von einerseits öffentlich gemach-
ter Nacktheit als weiterer Ausdrucksform des Konzepts, und andererseits
›neuen Frauen‹ als Motiven der Aktfotografie. Oder anders formuliert:
Gerade wegen ihrer Aufgeschlossenheit gegenüber modernen Lebensfor-
men sollten ›neue Frauen‹ als Aktmodelle verfügbar sein, und durch die

120
»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der Weimarer Republik

Aktfotografien selbst wiederum zum gewandelten Bild der modernen


Frau beitragen (Abb. 6). Schließlich hatte schon Herrmann (1929: 37) be-
tont, »daß der Generationen lang durch Sitte und einengende Kleidung
erstarrte Körper nach Lösung und Befreiung verlangt«. Gleichzeitig be-
stand stets die Gefahr, dass sich mit den Aktaufnahmen die Objektifizie-
rung des weiblichen Körpers nur ästhetisiert, weshalb es letztlich immer
auf die einzelne Betrachterin oder den einzelnen Betrachter ankam, ob in
einem solchen Foto tatsächlich der »Torso einer modernen Frau« wahrge-
nommen wurde, wie es die Unterzeile insinuierte.
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Abbildung 6 Abbildung 7
Die »moderne Frau« im Inszenierung des
Spiegel der Aktfotografie divenhaften Vamps
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Quelle: Foto: Maurice Beck; Revue des Quelle: Foto: Binder; Das Leben, Januar
Monats, Dezember 1930, S. 147 1933, S. 20

Auf der Suche nach Belegen für die eben genannte These zur Rolle der
Aktfotografie, muss man heute auf Hinweise zurückgreifen, die sich aus
den abgelichteten Äußerlichkeiten und den Bildlegenden ergeben, die den
Abdruck der Motive begleiten. Orientiert man sich an der von Gozalbez
Cantó (2012: 76-188) vorgelegten Typologie massenmedialer Weiblichkeits-
bilder der Epoche, so sind zwei ihrer Frauendarstellungen ganz zweifellos
auch in den Aktfotografien der illustrierten Massenpresse anzutreffen:

121
Patrick Rössler

(1) Allen voran kann die Diva als rätselhafter, erotisch ansprechender Frau-
entypus und sinnliche Verführerin durch Nacktmotive perfekt in Szene
gesetzt werden (Abb. 7). Die Inszenierung als klassisch-mondäner Vamp der
Atelierakte (s. u.) passt sich damit nahtlos in vergleichbare Darstellungen
etwa in Filmproduktionen der Zeit ein (vgl. Rössler 2016). Gleiches gilt
(2) für das lebenslustige, sportliche, tanzbegeisterte, genuss- und konsum­
orientierte Girl, wie es nicht nur die zahllosen Ausdrucksstudien bevölkert;
als realweltliche Inszenierung wie im Halbakt der Bildhauertochter Hilde
Lederer (Abb. 8) wird das flapperhafte, an Posen des Ausdruckstanzes erin-
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nernde Motiv durch die Kontrastierung mit einer Shiva-Skulptur ironisch


gebrochen, wie es für das visuelle Konzept des linksintellektuellen Maga-
zins Der Querschnitt typisch ist (vgl. Zeising 2016).

Abbildung 8
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Der juvenile Flapper in einer ironischen Kontrastmontage


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Quelle: Fotos: Gerhard Riebicke/nicht genannt; Der Querschnitt, März 1929, S. 204b/c

Daneben tritt in den Freilichtakten der FKK-Magazine (3) überdeutlich


die Figur der schüchternen und naiven Kindfrau auf, die den angeblichen
Beschützerinstinkt des Mannes wecken soll und anhand einer literarischen
Figur der 1960er-Jahre auch als ›Lolita‹ (vgl. Gozalbez Cantó 2011) beschrie-
ben wurde (Abb. 9). Der Fotograf Laszlo Willinger beispielsweise stellt in

122
»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der Weimarer Republik

Abbildung 9
Ganzseitiger Doppelakt des Chronisten der FKK-Bewegung
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Quelle: Foto: Gerhard Riebicke; Sonniges Land, Juni 1932, S. 95)

seinem sechsseitigen Bildportfolio »Eine Sechzehnjährige« namens Hella


Philipp vor, die er »bei einer Girlausmusterung« (dem Pendant zu heutigen
Castings) entdeckt haben wollte und als »moderne Aphrodite« in mehreren
Aktaufnahmen präsentierte (Abb. 10). Sie verkörpert gerade nicht das Ideal
der ›neuen Frau‹, denn in ihrer Verletzlichkeit war die Nymphe scheinbar
der Kontrolle des Mannes unterworfen, für den ihr unberührter Körper eine
Projektionsfläche der eigenen erotischen Sehnsüchte und Wünsche darstellte
(vgl. Gozalbez Cantó 2011). Als Sonderfall sei schließlich (4) die berufstätige
Frau erwähnt, die im vorliegenden Zusammenhang als Aktmodell, Tänzerin
oder Revue-Girl inszeniert wird (Abb. 11). Zweifellos handelte es sich dabei
nicht um das Rollenmodell der berufstätigen Frau, wie es in der proletarischen
Presse (hier dominierten Motive wie die ›Arbeiterin an der Maschine‹) und
noch weniger von der Emanzipationsbewegung (sie propagierte häufig die
suffragettenhafte Darstellung von Frauen im politischen Meinungskampf)
vertreten wurde. Deren bevorzugte Frauentypen waren jedoch aus nahelie-
genden Gründen in der Aktpublizistik der 1920er-Jahre nicht sichtbar, denn
sie hätten in einem solchen Kontext sogar eher noch eine karikierende und

123
Patrick Rössler

diffamierende Wirkung entfaltet. Jenseits ihrer Ablichtung im Kontext der


Freikörperkultur, wo berufstätige Frauen (wie alle anderen auch) vorkommen,
als solche aber nicht zu erkennen sind, bleiben also Modelle und Revue-Girls,
deren Berufsausübung Nacktheit verlangte, als die einzigen ›arbeitenden‹
Frauen, die im Aktfoto plausibel dargestellt werden konnten.

Abbildung 10
Die sechzehnjährige Hella Philipp als »moderne Aphrodite«
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Quelle: Foto: Laszlo Willinger; Das Leben, März 1932, S. 39

Eine interessante Mischform ergibt sich freilich mit dem von Konzep-
ten der ›neuen Frau‹ ansonsten nicht berücksichtigten Typ der (5) ›frem-
den Frau‹ als ›Exotin‹ (Farrokhzad 2006), wenn sie als Revuetänzerin auf
den Bühnen der Metropolen gastierte. Prototyp hierfür wäre sicherlich
Josephine Baker, die in einem Bericht des Welt-Magazins prominent als
»Königin der Negergirls« erscheint, abgelichtet in barbusiger Pose vom
Studio d’Ora (Abb. 12). Im typischen kolonialistischen Deutungs- und Dar-
stellungsmuster steht ihr ein namenloser Halbakt fotografiert von Mario
von Bucovich zur Seite, aufschlussreich betitelt als »das typische Negergirl
der Revuen und Tanztruppen, die nach Europa kamen.« Aber trotz solch
sporadischer Ausnahmen fällt auf, dass sich die einzelnen Frauentypen
relativ stringent spezifischen Typen von Aktfotografien zuordnen lassen,
was die beschriebene Interdependenz beider Aspekte erneut verdeutlicht.

124
»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der Weimarer Republik

Abbildung 11
Die berufstätige Frau – eine Tänzerin als Aktmodell
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Quelle: Foto: Suse Byk; Das Leben, Januar 1933, S. 18

Abbildung 12
Die tanzenden Exotinnen als Mischtypus

Quelle: Fotos: Mario von Bucovich/d’Ora; Das Welt-Magazin, Juli 1927, S. 42/43

125
Patrick Rössler

3. Prototypische Aktaufnahmen in der Magazin-


presse

Monatliche Unterhaltungsmagazine existierten zwar schon vor dem Ers-


ten Weltkrieg, avancierten aber erst ab etwa 1924 zu einem wesentlichen
Phänomen des Medienwandels. In schneller Folge brachten die großen
Verlagshäuser die verleimten Bildermagazine im Buchformat auf den
Markt, die mit ihren kurzen Lese- und Betrachtungsstücken wie geschaf-
fen schienen für den Konsum in den Pendlerzügen der Großstädte oder
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beim Wochenendvergnügen am Badesee (vgl. ausf. Rössler 2013a). In


ihrer Machart unterschieden sich der Uhu und Das Magazin, die Revue des
Monats und Das Leben, Scherl’s Magazin und das Welt-Magazin – um nur ei-
nige zu nennen – bestenfalls graduell; ihre lebendige Mischung aus Bil-
dergeschichten, Schmuckfotos, Kurzgeschichten und Feuilletons sprach
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eine spezielle KäuferInnenschicht an, die eher in den urbanen Gegenden


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

zu Hause war und an der kulturellen Entwicklung der Weimarer Epoche


regen Anteil nahm. Die Orientierung der Magazine auf den visuellen Auf-
merksamkeitswert, mit dem der blätternde Leser bzw. die Leserin gefangen
genommen werden soll, bot einen exzellenten Nährboden für den Abdruck
von ›schönen‹ und ›ästhetischen‹ Nacktaufnahmen. Dementsprechend
ergab die Verschlagwortung der Magazine auf www.illustrierte-presse.de
unter den über 60.000 Bildleistungen insgesamt 2.261 ›Aktdarstellungen‹
(rund 4 % aller Bilder) in 455 Heften, womit etwa zwei Drittel der rund 650
digitalisierten Ausgaben Nacktmotive zeigen, und jede dann im Schnitt
gleich fünf davon. Zwar schließt dieser Korpus auch Illustrationen und
Gemälde-Reproduktionen mit ein, sodass es sich nur bei einem Teil davon
(n = 812) tatsächlich um Aktfotos handelt – aber dennoch verdeutlicht dieser
Wert die Omnipräsenz unbekleideter Personen in der Magazinpresse, bei
denen es sich zum weit überwiegenden Teil (94,4 %) um Frauen handelte.
Die verschiedenen Formen der weiblichen Aktdarstellung kennzeichnet
hinsichtlich ihrer Oberflächenstruktur manifester Bildinhalte, also auf der
Darstellungs-, Objekt- und Konfigurationsebene (vgl. Geise/Rössler 2012),
eine jeweils spezifische Motivkonstellation. Auch wenn die Übergänge
in Einzelfällen wenig trennscharf sind, können die publizierten Aktfo-
tos – analog wie zuvor die Spielarten der ›neuen Frau‹ – meist einem von
fünf bildmotivischen Prototypen zugeordnet werden, die in den Magazinen
jener Epoche in unterschiedlichem Umfang repräsentiert waren (Abb. 13):
Zunächst (1) die klassische Atelier-Inszenierung in künstlerischer Tradition

126
»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der Weimarer Republik

der Akademie-Malerei (16 %); daraus hervorgehend (2) die elegant-mondä-


nen, erotischen Unterhaltungsbilder des Art Déco, zumeist als Ausdrucks-
und Bewegungsstudien körperlicher Selbsterfahrung (47 %); daneben (3)
die Freilichtakte der Lebensreform- und Freikörperkulturbewegung (14 %)
und (4) die journalistischen Reportagefotos aus dem Milieu der Revuen
und Vergnügungsstätten (18 %); sowie schließlich (5) die Aufnahmen unbe-
kleideter UreinwohnerInnen im Rahmen von ethnografisch begründeten
Dokumentationen (5 %). Diese Prototypen werden nachfolgend anhand
ausgewählter Fallbeispiele aus der damaligen Berichterstattung erläutert.
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Abbildung 13
Prototypen publizierter Aktfotografien in der deutschen
Magazinpresse (n = 812)
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

5%

14%
Ethnografische Dokumentation

Nackttanz
47%
16% Ausdrucks- und Bewegungsstudie

Atelierstudie

Freilichtakte
18%

Quelle: Eigene Darstellung

Dabei dient die klassische Atelierszene, wie sie aus den Akademien
der Jahrhundertwende bekannt war, als Ausgangspunkt für ›rein künst-
lerische‹ Aufnahmen im Stile der Aktmalerei. Sie kennzeichnet ein eher
verschämter Blick auf den weiblichen Leib, der mit Weichzeichner an den
entscheidenden Stellen entschärft wird (Abb. 10). Nur noch etwa jedes
siebte Bild verwies allerdings derart auf die kunsthistorischen Wurzeln
der Aktdarstellung, in der primär der Frauentyp der Diva und der Kindfrau
anzutreffen ist – sie wurden schon bald abgelöst durch die breite Gruppe
der sogenannten ›Ausdrucks- und Bewegungsstudien‹. Fast die Hälfte al-
ler Aufnahmen, in denen man bevorzugt das Girl sieht, lässt sich diesem
eher modernen Typus zuordnen, wobei die Grenzen allerdings fließend
sind: Am eher traditionellen Pol steht weiterhin die möglichst geschickte

127
Patrick Rössler

Inszenierung des weiblichen Körpers im Vordergrund, wobei weniger die


Accessoires der Studios, sondern unterschiedliche Ausleuchtungen einge-
setzt wurden, um ein dramatisches Spiel von Licht und Schatten auf die
Körper zu projizieren (Abb. 6). Oft sieht man nur einzelne Körperteile oder
Gliedmaßen in ihrer Anordnung, das Gesicht ist von den Betrachtenden
abgewendet – am innovativeren Pol werden dann mitunter auch sehr enge
Bildausschnitte gewählt, und die Modelle blicken, beziehen die Betrach­
terInnen damit in die Inszenierung ein (wie etwa im Falle der »Melancho-
lie« aus ASA, einem kurzlebigen Organ, das speziell AnhängerInnen der
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Sexualmagie ansprach; vgl. Gordon 2004: 102) (Abb. 14).

Abbildung 14 Abbildung 15
Ausdrucksstudie Ethnographischer Halbakt
»Melancholie« eines aus einem Inselvolk vor der
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Amateur-Modells afrikanischen Küste


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Quelle: Foto: Rolf Herrlich; ASA, Nr. 7/1928, Quelle: Foto: H. A. Bernatzik; Die Dame,
S. 187 Februar 1932, Nr. 11, S. 7

Am Rande sei vermerkt, dass Freilichtakte wie Ausdrucksstudien durch-


aus häufiger von Fotografinnen produziert wurden – ein Indiz dafür, »dass
die Aktfotografie in den 1920er-Jahren den engen Zirkel der sexistischen
Obsession durchbricht« (Schmidt-Linsenhoff 1981: 46). Die Motive zeigen
oft eine gestraffte Spannkraft, Energie, Disziplin und geistige Wachheit

128
»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der Weimarer Republik

der tänzerisch und gymnastisch geformten Leiber (ebd.: 44ff.) in effektvol-


len Körperinszenierungen, aus modernen Perspektiven und mit durchaus
künstlerischem Anspruch. Betont sei, dass es sich bei all diesen Aufnahmen
weder um voyeuristisches Material aus dubiosen Quellen handelte, noch
gar um unautorisierte Aufnahmen in Paparazzi-Manier, die die damalige
Kameratechnik mit ihren schwerfälligen Geräten und der Abhängigkeit
von günstigem Licht ohnehin kaum leisten konnte. Vielmehr stammte das
»seriöse« Aktfoto aus den renommierten Studios in den europäischen Me-
tropolen (ebd.: 46) wie dem Berliner Atelier Binder, Manasse in Paris, oder
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Drtikol in Prag – was allerdings nicht heißen soll, dass in deren Darstel-
lungen kein objektifizierender Blick auf die Frau dominieren würde, wie
er seinerzeit an der Tagesordnung war.
Im Vergleich erscheint auch die Ästhetisierung im Stile der Freilichtakte
aus der Lebensreform-Bewegung (14 %) als nur eine weitere und keineswegs
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dominante Präsentationsform. Die ungenierten »Mädchen von nebenan«,


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

also die Kindfrau, das Girl oder die berufstätige Frau beim Sonnenbad oder
ihren Gymnastikübungen (Abb. 1), machen einen ebenfalls überschauba-
ren Anteil aus. Natürlich waren solche Aufnahmen für Periodika, die die
Lebenswelt ihrer Zeit abbilden wollten, zu einem gewissen Grad unver-
meidlich – schließlich war die Bewegung als Zeitphänomen virulent. Aber
zumindest in den Magazinen haben Akte aus dem Lebensreform-Umfeld
nicht als der zentrale Vorwand zur Inszenierung unbekleideter weiblicher
Körper gedient.
In etwa demselben Umfang waren Aktstudien von Tänzerinnen und Mo-
dellen anzutreffen, als den begehrenswerten It-Girls ihrer Epoche (Abb. 11)
und keineswegs jene Variante arbeitender Frau in einer selbstbewussten
Berufstätigkeit, die die emanzipierten Kreise der Frauenbewegung im
Sinne hatten (vgl. z. B. Herrmann 1929). Die 1920er-Jahre erlebten eine
erste Blüte journalistischer Bildgeschichten, und die Fotoberichterstat­
terInnen besuchten gerne die Unterhaltungspaläste der ›Roaring Twen-
ties‹, um ihren Redaktionen die neuesten ›dokumentarischen‹ Aufnahmen
von ›excentrischen‹ Nackttänzerinnen und Revue-Girls anzubieten. Diese
verkörperten das (heute wieder gültige) Idealbild der schlanken, wohlpro-
portionierten und durchtrainierten Schönheit, die natürlich besonders
unter den Tänzerinnen in den Revuen und unter den Modellen, die ih-
nen nacheiferten, anzutreffen waren. Damit standen ihre Idealkörper in
einem gewissen Gegensatz zu den Normalkörpern der Freilichtakte, die
als Gegenentwurf zumindest den Anspruch erhoben, ›durchschnittliche‹

129
Patrick Rössler

Menschen zu zeigen, in unterschiedlichen Altersstufen und Proportionen.


Aber natürlich sind auch diese Motive Selektionsprozessen unterworfen
gewesen, die ihrem eigenen Ideal folgten: Hier gilt der Körper als Grund-
lage eines reformierten Daseins, und seine Ertüchtigung als das Ziel eines
neuen, anderen Lebens. In den Aktinszenierungen für die Unterhaltungs-
magazine hingegen dient der Körper lediglich als Projektionsfläche für ein
urbanes Weiblichkeitsideal; wie er zustande kommt, ist dabei sekundär, er
verkörpert im wahrsten Sinne des Wortes das Begehren und die Wunsch-
träume von männlichen wie weiblichen LeserInnen gleichermaßen.
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Eine Nebenrolle spielt in diesem Spektrum der Aktfotografie hingegen


jener Bruchteil an unbekleideten, seinerzeit als ›exotisch‹ wahrgenomme-
nen Menschen, die die völkerkundlichen Berichte illustrieren und heute
als eine Form des Rassismus und vor allem der Sexualisierung von Women
of Color gelten müssen. Die Entdecker der Kolonialmächte brachten von
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ihren Expeditionen zu den ›Naturvölkern‹ in Afrika, Asien und Südamerika


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

stets auch ethnografische Nacktaufnahmen mit, etwa der »Bijogomädchen


von Etikoka« vor der Küste Afrikas (Abb. 15). Solche Abbildungen besaßen
für die Publikumsmedien den großen ›Vorteil‹, dass sie aufgrund ihres völ-
kerkundlichen Anstrichs auch mit den Moralvorstellungen der traditionell
bürgerlichen Presse und ihrer LeserInnen kompatibel waren, weshalb sie
auch nicht dem oben erwähnten § 184 gegen die Verbreitung unzüchtiger
Schriften oder dem ›Schmutz-und-Schund‹-Gesetz zuwiderliefen.

4. Schlussbemerkungen

Die empirische Untersuchung des Illustrationsmaterials, das Magazine in


den 1920er-Jahren einsetzten, konnte belegen, dass Aktfotografien zwar
nur einen kleinen Teil der Berichterstattung ausmachten, aber in den Or-
ganen dennoch auf breiter Front und in großer Regelmäßigkeit präsent
waren. Die Bildredakteure versprachen sich vermutlich von den freizügi-
gen Abbildungen aber nicht nur eine voyeuristische Anziehungskraft auf
das männliche Publikum; Frauen als die Haupt-Zielgruppe der Magazine
konnten diesen Darstellungen ebenfalls detailliert entnehmen, welches
Schönheitsideal gerade vermeintlich gefragt war. »Die Gesamteinstellung
der Frau von heute macht sie zur Verfechterin des Rechts auf den eigenen
Körper«, stellte seinerzeit Herrmann (1929: 65) fest. Dies korrespondierte
beispielsweise mit dem wachsenden Interesse auch der modernen Frau an

130
»Das Recht auf den eigenen Körper«?
Weibliche Aktdarstellungen in der Illustriertenpresse der Weimarer Republik

Sport und eigener sportlicher Betätigung, die natürlich erst in dem Maße
möglich wurde, in dem weiteren Bevölkerungskreisen überhaupt so et-
was wie Freizeit zugestanden wurde, im Gegensatz zu den klassischen,
physisch beanspruchenden Arbeiter- und Bauernberufen in der Industrie
und auf dem Land. Mit der Schreibtischtätigkeit und ihren regelmäßigen
Arbeitszeiten wuchs auch das Bedürfnis nach körperlicher Ertüchtigung,
zumal am Wochenende, dem ›Week-End‹ als kulturellem Konstrukt (vgl.
Schwarz 2016).
Mit Blick auf die Aneignung der Aktfotografien darf nicht aus den Augen
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verloren werden, dass Abzüge der abgedruckten Motive zwar niemals die
Grenze zum Pornografischen überschritten, aber dennoch zusätzlich als
separate Abzüge oder auf Postkarten von den Produzenten vertrieben wur-
den. Dies gilt nicht nur für die erotisch-sexualisierten Aufnahmen aus den
mondänen (und den weniger angesehenen) Fotostudios in den Metropolen,
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sondern insbesondere für die einschlägigen Motive aus dem Umfeld der
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Lebensreform-Bewegung, die teilweise von Amateur-FotografInnen stamm-


ten. Überwiegend wurden sie freilich von spezialisierten FotografInnen
wie Gerhard Riebicke in Serie produziert, mit Bestellnummern versehen
und gegen Bezahlung abgegeben. Hinsichtlich der Abbildung primärer
Geschlechtsmerkmale arbeitete man konsequent mit unverfänglichen Per-
spektiven oder Retuschen, um den schmalen Grad der gesetzlichen Tole-
rierung nicht zu verlassen; Ausnahme hiervon waren ausgerechnet – und
das mag aus heutiger Sicht befremden – Bilder von nackten Kindern, die
sich in der FKK-Presse, aber vereinzelt auch in den Magazinen fanden. Im
Vordergrund stand damals die Natürlichkeit des Kindes als unschuldiges,
von der Zivilisation noch nicht verdorbenes Lebewesen, etwa beim Spielen
in der Sonne und am Strand (vgl. z. B. Das Magazin, Nr. 85, September 1931).
›Natur statt Sexus‹ lautete dabei ein beliebtes Motto in diesen Kontexten,
in denen Pädophilie oder sexuelle Stimulation nicht thematisiert wurden,
obwohl solche Fotos heute vermutlich anders bewertet würden.
Zwar weisen die in der Publikumspresse der Weimarer Republik ange-
troffenen Körperbilder eine durchaus beachtliche Heterogenität auf, aber
dennoch ließ sich aus dem Korpus von Aktdarstellungen ein dominanter
Frame herausschälen, der die Visualisierung des damaligen weiblichen
Idealkörpers illustriert: Das Schönheitsideal nahm sich häufig den vitalen
Körper der Revuetänzerin zum Vorbild, wie er bis heute in den Proporti-
onen der Fotomodelle weiterlebt – aber schon seinerzeit im Kontrast zu
den tatsächlichen Realkörpern stand, wie sie beispielsweise die Magazine

131
Patrick Rössler

der Freikörperkultur zeigten. Ein lohnenswertes, aber wegen der defi-


zitären Quellenlage schwieriges Untersuchungsobjekt wären sicherlich
die Mechanismen und Praktiken der damaligen Bilderzeugung, die für
Studios wie Fotoagenturen nur ansatzweise erforscht sind (vgl. Kutsch/
Fröhlich/Sterling 2016). Doch obwohl die in der populären Presse an-
getroffenen Aktaufnahmen mitunter Reportagen entstammen, besitzen
sie meist keinen journalistischen Charakter; vielmehr werden sie oft als
seitenfüllende Solobilder eingesetzt – als selbstbewusstes Statement einer
Illustrationspraxis, die weibliche Idealkörper ohne inhaltliche Kontextu-
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alisierung, sondern lediglich als visuellen Oberflächenreiz präsentierte.

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»Das Recht auf den eigenen Körper«?
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»Das Recht auf den eigenen Körper«?
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

135
Catharina Rüss

Coole Posen in schwarzem Leder.


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Visualisierungsstrategien von Coolness in


Literatur und Kultur der Weimarer Republik
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»I can do anything I want«, singt Cody Chesnutt in seinem Hit Look good
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

in leather und drückt damit typische Omnipotenzfantasien aus, die häu-


fig mit der Aneignung von schwarzem Leder verbunden sind. Wer wie
Chesnutt – im Video zu diesem 2002 erschienenen Song – eine schwarze
Lederjacke trägt, erscheint offenbar so souverän, dass er lässig von sich be-
haupten kann: »I’m cool with attitude and ego to spare«.1
Es ist kein Zufall, dass der Sänger ausgerechnet Leder mit Coolness in
Verbindung bringt. Obwohl das Wort ›cool‹ heutzutage einen »maxima-
len Grad an Entleerung erreicht hat« (Diederichsen 2003: 243) und als
Universalvokabel inflationär verwendet wird, ist es doch auffällig, dass
mit einer coolen Haltung in der Regel ganz bestimmte Kleidungsstücke
und Eigenschaften konnotiert werden. Trotz aller Unbestimmtheit bei
der Definition muss Coolness als eine »zentrale Kategorie des 20. und
21. Jahrhunderts« verstanden werden, die das »kulturelle Selbstverständ-
nis« (Geiger/Schröder/Söll 2010: 7) diverser Gruppierungen entschei-
dend mitprägt. Wie im Laufe dieses Beitrags konzeptionell noch näher
erläutert wird, indiziert Coolness eine Art von Souveränität und Würde im
Kontext von gesellschaftlichen Konkurrenzverhältnissen. Coolness wurde
seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu einem urbanen Phänomen,
wobei der Umgang mit Mode und Gegenständen für die performative Ver-
körperung von Coolness zentral war und ist.

1 Der Song Look good in Leather ist auf Cody Chesnutts Album The Headphone Masterpiece erschienen.

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Coole Posen in schwarzem Leder.
Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik

Der folgende Beitrag fokussiert auf die 1920er-Jahre, vor allem in der
Weimarer Republik. Bereits damals ließen sich erste Phänomene cooler
Attitüden finden. So vermittelten schon in der Zeit zwischen den Weltkrie-
gen Lederjacken tragende Figuren in Essays und Romanen der Weimarer
Republik eine bestimmte Facette von Coolness, die noch immer aktuell
erscheint und die häufig mit männlich codierten Geschlechterstereotypen
verknüpft wird, jedoch zunehmend ihre Konterkarierung durch Lederja-
cken tragende Frauen erfuhr. Ziel dieses Aufsatzes ist es zu demonstrieren,
dass nicht nur geschlechtliche Identitäten durch wiederholende Praktiken
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des Kategorisierens, Benennens und Bekleidens sowie des Beschreibens


und medialen Inszenierens von Körpern (de)konstruiert werden, sondern
auch das Konzept der Coolness. Dabei wird implizit im Rückgriff auf Judith
Butlers Begriff der Performanz (Butler 1991: 198ff.) deutlich gemacht, dass
der Prozess des Doing Coolness auch mit dem Prozess des Doing Gender
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zusammenhängt. Am Beispiel der in den Texten der 1920er-Jahre auftre-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

tenden Lederjacken tragenden Akteur*innen zeigt sich, dass bereits die in


der Weimarer Republik in Romanen und Essays dargestellte Coolness eng
mit bestimmten Kleidungsstücken und damit verwobenen Geschlechter-
und Körpervorstellungen verbunden sowie in einem Spannungsfeld der
Kategorien männlich und weiblich konstituiert wird.
Die schwarze Lederjacke gehört heute einerseits zum seriell produzier-
ten Massenrepertoire der Modeindustrie, andererseits aber auch zu den
vestimentären Klassikern der Coolness. Obwohl sie eine lederne Fließband-
Uniform ist, die sich in ihrem Aussehen über Jahrzehnte hinweg kaum ver-
ändert hat, steht sie paradoxerweise für Nonkonformismus und Individua-
lität. Besonders ihr Image als ›Rebellenstück‹ macht sie zu einem gefragten
Produkt der Kommodifizierung von vermeintlich cooler Unangepasst-
heit. Die schwarze Lederjacke wird von Punker*innen und Hipster*innen
ebenso getragen wie von ›Models off duty‹2 oder Manager*innen, die sich am

2 Der Terminus ›Models off duty‹ avanciert vor allem in der Blogosphäre und Instagram-Welt
zur beliebten Etikettierung der Alltagskleidung von Models vor und hinter den Catwalks.
Die Outfits dieser ›Fashion-Ikonen‹ werden von Blogger*innen und Modejournalist*innen
mindestens genauso aufmerksam im Hinblick auf die Entwicklung neuer Trends studiert wie
die neuen Entwürfe der Designer-Brands. Häufig inszenieren sich die Models auf den Straßen
New Yorks, Mailands und Paris vor den Kameras der Streetstyle-Fotograf*innen in betont
lässigen Jeans, derben Boots und Lederjacken. Nicht zuletzt verdankt ein Label wie Alexander
Wang seinen Erfolg der Vermarktung seiner Artikel als ›Models off duty‹-Mode. Kennzeich-

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Wochen­ende als ›Wild-One-Motoristen‹3 ausgeben. Sowohl Luxusmarken


wie Acne, Rick Owens (Gaugele 2017), Saint Laurent oder Vetements als auch Fast-
Fashion-Labels werben mit dem Versprechen, dass man sich mit dem Kauf
einer Lederjacke den Nimbus cooler Lässigkeit einfach überziehen kann.
An diesem Verwertungs- und Verwaltungsprozess von Coolness ist neben
der Mode- und Musikbranche auch die Filmwelt beteiligt. Kontinuierlich
treten hier Halbstarke im James-Dean-Verschnitt, Künstlerfreaks, kaputte
Antiheld*innen, Detektiv*innen und Hacker*innen in schwarzem Leder kos-
tümiert auf. Auch die ›vampiresken Nachtgestalten‹ der ›Unterwelt‹ sorgen
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in Leder für Aufregung. Wer auf der Kinoleinwand in Ledermontur erscheint,


lässt sich nicht nahtlos in die Matrix4 eines hegemonialen Systems integrie-
ren. Lederjackenträger*innen erscheinen als ›Suspense-Träger‹. Permanent
auf der Schwelle zwischen Angepasstheit und Unangepasstheit, Tod und
Leben wandelnd, erzeugen sie nicht Kuschelromantik, sondern Abenteuer.
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Nicht zuletzt, weil die schwarze Lederjacke in dunkler Erinnerung an die


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

SS-Mäntel der Nationalsozialisten zum Stil-Arsenal der mit Todessymbo-


liken gespickten »Uniform des Bösen« (o.V. 1994) von Metal-, Gothic- und
SM-Szenen zählt (Richard 2015), suggeriert sie implizit eine Distanz zu
Bravheit und bürgerlichen Moralvorstellungen.5 Gleichzeitig wirken die
coolen Filmheld*innen in Leder nicht nur potentiell widerständig, sondern
sie verkörpern auch eine Haltung, die eher mit Maskulinität als mit Femi-
nität konnotiert wird. Obwohl sich heute viele Frauen mit Lederjacken im
›I-don’t-care-Look‹6 präsentieren, vermittelt die Coolness, die sie damit

nend für die sogenannten ›MOD uniforms‹ ist der vermeintliche ›low-key-effort‹-Look, der
als nachahmenswerter ›high-key-chic‹ rezipiert wird (Duoung 2017).
3 Im Film The Wild One aus dem Jahr 1953 tritt Marlon Brando als Prototyp des Lederjacke tra-
genden Motorrad-Rebellen auf.
4 Die schwarzen Kostüme der Widerständler*innen und Hacker*innen im Film Matrix von 1999
bestehen vielfach aus Leder und Latex.
5 Zu den bürgerlichen Wertvorstellungen zählen Ehrgeiz, Ehrlichkeit, Frömmigkeit und »Be-
griffsschöpfungen wie Ordnungsliebe, Pflichttreue oder Arbeitseifer« (Hettling/Hoffmann
2000: 15). Zum bürgerlichen Selbstverständnis gehören zudem ein Fortschrittsglaube und ein
Konzept von der permanenten Verbesserung des Einzelnen durch Bildung und Arbeit sowie
ein Ideal von der Ehe, das mit Familie, Dauer, Treue und einem stabilen Ort verbunden wird.
Dagegen gelten Verschwendung, Faulheit, Müßiggang, Umhertreiberei und Nicht-Fixierung
als bürgerliche »Todsünden« (ebd.).
6 Dieser Stil wird in Modemedien nicht nur von ›Models off duty‹, sondern auch von
Influencer*innen wie etwa Caroline de Maigret verkörpert. Sie gilt als eine der populärs-
ten Repräsentantinnen des sogenannten ›French Girl Styles‹, der sich durch eine ›Je ne sais
quoi‹- Unangestrengtheit auszeichnet. In ihrem internationalen Bestseller How to be Parisian
wherever you are gibt sie Ratschläge, wie sich auch Nicht-Französinnen diese coole ›Lässigkeit

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Coole Posen in schwarzem Leder.
Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik

evozieren, häufig doch etwas subtil Jungenhaftes. Die Wirkung dieses Er-
scheinungsbildes hat mit der Entwicklung der schwarzen Lederjacke zu tun.

1. Zum Konzept Coolness

Ein Blick in die Geschichte der Lederoberbekleidung macht klar, dass es


sich hier um ein traditionell männlich dominiertes Terrain handelt.7 Ein
Beispiel dazu: Bei der Durchsicht der Fanzine-Sammlung des Berliner Ar-
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chivs für Jugendkulturen8 zeigt sich, dass es mit wenigen Ausnahmen immer
wieder Männer in schwarzen Lederoutfits sind, die als die größten Ikonen
vom Rock ’n Roll bis zum Hardcore präsentiert werden (Weis 2012). Bei der
Coolness sieht es ähnlich, aber etwas komplexer aus. Verschiedene wissen-
schaftliche ›Fährtenlesende‹ der Coolness (Holert 2004: 42ff.) haben sich
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bereits auf die Suche nach frühen Spuren des Begriffs ›cool‹ in der Vergan-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

genheit und in unterschiedlichen Ländern begeben. Die diversen Studien


verdeutlichen, dass es weder den oder die eine*n einzigen Urheber*in noch
den einen einzigen Ursprungsort der Coolness zu geben scheint. Wäh-
rend einige Forschende erste Ansätze der Coolness in westafrikanischen
Stammeskulturen (Thompson 2011), in Jamaika (Tulloch 2016), in der
Samurai-Tradition Japans (Haselstein/Hijiya-Kirschnereit 2013) oder
im Sprezzatura-Modus9 dandyesker Höflinge der Renaissance entdecken
(Pountain/Robins 2000), sehen andere die Wurzeln der Coolness schon
bei den Stoikern der griechischen Antike (Sommer 2007: 30ff.).
Ganz offensichtlich handelt es sich bei der Coolness um ein vielschich-
tiges Konzept im Transitmodus, das zwar innerhalb der Moderne sympto-
matisch wird und konturiert auftritt, doch hier weder einer bestimmten
Zeit noch einem bestimmten Land und auch nicht einem einzigen, fixierten

à la française‹ aneignen können. Im Kapitel »Das Lieblingsstück« präsentiert sie ein Foto von
einer schwarzen Lederjacke und hält in diesem Kontext fest: »Alles, was du brauchst, ist ein
Stück [...], das dich repräsentiert und das du herausholst, wann immer du dich stark fühlen
möchtest« (BEREST et al. 2015: 43f.).
7 Es handelt sich dabei oft um das martialisch markierte Terrain des Kriegs. Schon die Rüstun-
gen der griechischen und römischen Soldaten der Antike sowie der Samurai bestanden aus
Metall- und Lederpanzerungen.
8 Das Archiv der Jugendkulturen umfasst eine der größten Fanzine-Sammlungen Europas.
9 Sprezzare bedeutet »verachten, nicht beachten« (Trabant 2001: 168). Die Akteur*innen der
Coolness verhalten sich so, als seien sie nicht auf das Lob und den Beifall der Anderen ange-
wiesen.

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Geschlechterbild zugeordnet werden kann, sondern das in ein bewegliches


Bedeutungskaleidoskop aus internationalen ›schwarzen‹ und ›weißen‹
Einflüssen und Zusammenhängen verortet ist. Dennoch zeichnet sich die
Coolness durch einige stabile Merkmale aus. Coole Akteur*innen verkör-
pern eine Aura von Autonomie, Würde und Distanz und heben sich dadurch
von der Masse ab. Diese Aura erinnert häufig an die Haltung einer ›Diva‹
oder der eines ›stolzen Kriegers‹. Lässigkeit, defensive Reserviertheit und
Wehrhaftigkeit stehen dabei nicht im Widerspruch. Den Hintergrund für
dieses Auftreten bildet oft eine Arena der Konkurrenzkämpfe und Kon-
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flikte, in der sich die coole Attitüde als eine Überlebensstrategie erweist.
Mehrfach wurde in der Forschung bereits darauf hingewiesen, dass
sich vor allem in der Phase zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg
verstärkt Verhaltenspraktiken einer kühl wirkenden Distanz beobach-
ten lassen, die als ein wesentliches Merkmal von Coolness erscheint (vgl.
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Lethen 1994; Stearns 1994). Auf diese Ära konzentrieren sich die folgen-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

den Ausführungen, wenngleich auch gezeigt werden soll, welche Entste-


hungshintergründe davor und welche Weiterentwicklungen in den Jahr-
zehnten danach erkennbar sind.
Besonders Helmuth Plessner diskutiert in seiner 1924 veröffentlichten
Abhandlung Grenzen der Gemeinschaft die Merkmale einer Distinktionskul-
tur in der Weimarer Republik (Plessner 1981: 7ff.). Ähnlich wie Georg
Simmel – der bereits 1903 die Blasiertheit des modernen Großstadttypus
beschreibt (Simmel 1903) – stellt Plessner fest, dass das Individuum in der
urbanisierten und dynamisierten Welt artifizieller Verhaltensstrategien be-
darf, um sich vor potenziellen Degradierungen, Blamagen und Bedrängnis-
sen zu schützen. Das zivilisierte Zusammenleben in anonymisierten Groß-
stadtstrukturen kann für Plessner fast nur durch ästhetische Formen und
kulturelle Raffinements der Distanzwahrung gelingen. Er formuliert damit
das Bild einer Gesellschaft, die einer potenziellen Kampfzone gleicht. Diese
Vorstellung ist nicht zuletzt auch von der Erfahrung des Ersten Weltkriegs
geprägt, der in den 1920er-Jahren eine Art Erinnerungshorizont bildet, vor
dem sich eine Haltung der cool, abgeklärten Desillusioniertheit entwickelt.
In den USA lassen sich während der 1920er-Jahre ähnliche Prozesse be-
obachten (Stearns 1994). Hier formulieren etwa die Autor*innen der ›Lost
Generation‹ das melancholische Lebensgefühl einer Jugend, die, wie F. Scott
Fitzgerald 1920 in seinem Roman This Side of Paradise festhält, der Überzeu-
gung ist, dass alle »Götter tot« und alle »Überzeugungen im Menschen
erschüttert« (Fitzgerald 2006: 407) sind. Nicht zuletzt prägt in den USA

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Coole Posen in schwarzem Leder.
Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik

der jamaikanische Aktivist Marcus Garvey 1927 die Parole »Keep Cool«10,
die er seinen Brüdern und Schwestern der Black Community als Losung
des Empowerment im Kampf gegen Rassismen und Diskriminierungen
empfiehlt (Vincent 1995: 131).
Der Kleidung kommt in diesem Zusammenhang die Rolle einer Rüstung
zu. Coole Styles entstehen häufig auf Grundlage des »Nicht-Idyllischen«
(Poschardt 2000: 15). Sie sind Ergebnisse einer Praktik des Self-fashionings,
mit der Freiheit und Souveränität behauptet und oft auch gegen Wider-
stände getrotzt wird. In einem Leben im Dauergefecht avancieren performa-
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tive Selbstinszenierungen des Doing Coolness zu selbstbewussten und zum


Teil subversiven Spielen mit dem modischen Vokabular. Diese Praktiken
erscheinen keinesfalls wahllos oder beliebig. Vielmehr können sie als pro-
zessuale, nonverbale Erzählungen begriffen werden, die sich durch Adap-
tionen und Zitate von bekannten Looks und Imaginationen auszeichnen.11
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Bezeichnenderweise erhalten viele Modephänomene, die bis heute zum


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

klassischen Inventar der Coolness zählen – wie Bomberjacken, Camouflage-


Muster, Parka, Trenchcoats, Fliegerbrillen (Brown 2014: 36f.) und speziell
die schwarze Lederjacke – ihre ikonische Prägung in der ersten Hälfte des
20. Jahrhunderts im Kontext von Wettkampfs- und Kriegsschauplätzen.

2. Geschlecht und die historischen Bedeutungs­


dimensionen des Leders

Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wird die Lederoberbekleidung
vor allem im Umfeld von Öl und Schotter, Motoren und Maschinen als
Schutzausrüstung getragen. Es sind zunächst überwiegend Männer, die
sich in die ersten Autos und Flugzeuge wagen und sich auf Wettrennen
und Rallyes als Helden feiern lassen. Dadurch wird die Motorkultur schon

10 Nachdem Garvey 1925 wegen eines angeblichen Korruptionsdelikts verhaftet und ins Ge-
fängnis von Atlanta gebracht wurde, schreibt er sein Gedicht Keep Cool, um seine Anhänger
und Anhängerinnen zu beruhigen. Später wird es von Arthur Seymour vertont. Im Jahr 1927
entwickelt sich Keep Cool zum Broadway-Hit (Vincent 1995: 131).
11 Carol Tulloch begreift coole Styles als identitätsstiftende Storytellings. In ihrer 2016 erschiene-
nen Untersuchung The Birth of Cool: Style Narratives of the African Diaspora beleuchtet sie eingehend
die Modepraktiken der amerikanischen Black Community zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

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früh als Männerdomäne markiert.12 Umso ungewöhnlicher erscheint es den


Zeitgenossen, als sich in den 1920er-Jahren immer mehr Frauen ins raue
Milieu brüllender Maschinen trauen, das Lenkrad in die Hand nehmen und
damit auch die Richtung ihres Lebens bestimmen. Die ersten Autofahrerin-
nen werden in Deutschland als ›Selbstfahrerinnen‹ (Hertling 2013) – aber
auch in Anspielung an das Kämpferische des Motorsports – als ›Amazo-
nen‹ bezeichnet (Dogramaci 2005: 119ff.).13 Ruth Landshoff-Yorck – ein
intellektuelles Berliner ›It-Girl‹14 der Zwanzigerjahre – beschreibt sich
und ihre Freundinnen, zu denen Schriftstellerinnen wie Erika Mann und
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Annemarie Schwarzenbach zählen, im Modemagazin Die Dame als »girldri-


ver« (Landshoff-Yorck 1927/28: 12f.).15

Abbildung 1
Ruth Landshoff-Yorck im Ledermantel vor ihrem Wagen
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Quelle: Schröder 2015

12 Dies kann z. B. von Saldern anhand des Eilenriede-Motorradrennens in Hannover zeigen; hier
waren Frauen nicht nur als Fahrerinnen ausgeschlossen, sondern die Zuschauerschaft des
Sportspektakels wurde durch Repräsentation von Herstellungsprozessen männlicher Kame-
radschaft (male bonding) unter den Zuschauenden vergeschlechtlicht (von Saldern 1992: 327ff.).
13 Auch in den USA wurden Autofahrerinnen und sportlich aktive Frauen in der Zwischenkriegs-
zeit als ›Amazonen‹ bezeichnet: »Body culture in the 1930s occupied an ambiguous space, as it
crossed between real and fantasy images and examples to convey a physical ideal [...]. [...] [T]he
Amazonian myth of American women persisted in high fashion magazines« (Arnold 2009: 70).
14 Vgl. die 2015 erschienene Biografie über Landshoff-Yorck (Blubacher 2015).
15 Wie dieser Frauentyp aussieht, veranschaulicht eine neben dem Artikel veröffentlichte Fotogra-
fie, auf der sich Landshoff-Yorck mit ihrem weißen Auto in Szene setzt. Auf dem Trittbrett ihres
Wagens sitzend, inszeniert sie sich mit einem gefleckten Mantel aus Rindsleder, mit vom Wind
zerzausten, kurzen Haaren und cool eine Zigarette im Mundwinkel haltend als ›neue Frau‹.

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Coole Posen in schwarzem Leder.
Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik

Diese ›Garçonnes‹ wollen nicht als Damen gesehen werden, denen in


den Mantel geholfen wird, und sie wollen auch nicht, »daß sich jemand
bückt, wenn sie etwas fallen lassen« (Landshoff-Yorck 1997: 162). Ne-
ben diesen Autofahrerinnen präsentieren sich während der Weimarer
Republik auch einige Pilotinnen wie etwa Elly Beinhorn selbstbewusst
in Ledermonturen. Häufig berichten die Medien über die »zwitterhafte
Strahlkraft« (Tacke 2011: 193) dieser Frauen.16 Wie irritierend ihr Auf-
treten auf viele Männer wirkt, zeigt sich an den Reaktionen zahlreicher
Schriftsteller, die die Fliegerinnen und Autofahrerinnen in ihren Texten
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als männlich wirkende Exotinnen, als Bedrohungsgestalten und gefühl-


lose Apparatekriegerinnen charakterisieren. So klagt der Schriftsteller
Georg von der Vring, dass sich die ›Garçonnes‹ »eine brutale Handschrift«
aneignen, wenn sie Kurzhaarschnitte und Lederanzüge tragen und vor-
haben ›Maschinen zu regieren‹, und resümiert: sie sollten »geschicktere
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Reklame für sich machen« (von der Vring 1990: 55ff.). Insgesamt erweist
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

sich die Auto- und Flugkultur als ein mobiler Raum, in dem nicht nur
neue Kleidungsstile wie wetterfeste Lederoberbekleidung entwickelt
werden, sondern in dem auch neue Körperpraktiken kultiviert werden.
Denn das Steuern eines ›Fahrzeugs‹ in der Luft oder auf der Straße ver-
langt ein hohes Maß an Risikobereitschaft, Affektkontrolle, kühler Selbst-
disziplin sowie selbständiges und spontanes Agieren (Mentges 2000:
27ff.). Es handelt sich dabei um Merkmale, die als Eigenschaften einer
kriegerisch-sportlich konnotierten Coolness bezeichnet werden können.
Interessanterweise werden während der 1920er-Jahre diese Kennzeichen
auch mit dem ›Form Follows Function‹-Design 17 des Bauhauses und mit
der Gestaltung der neuen Militäruniformen in einen Zusammenhang
gebracht. Besonders eindrucksvoll lässt sich dies am Beispiel des 1930
erschienenen Artikels Leder und Mode von Siegfried Kracauer zeigen. In
diesem Essay berichtet der Autor über die Internationale Lederschau in
Berlin und stellt fest, dass militärisches Zubehör einen Hauptteil, der in
der Ausstellung präsentierten Artefakte, darstellt. Im Hinblick auf die
moderne Lederbekleidung weist er auf die veränderte Formensprache der
soldatischen Ausrüstungen hin, die er als nüchtern und handfest bezeich-

16 Vgl. dazu auch Evelyn Zegenhagens 2007 veröffentlichte Arbeit »Schneidige deutsche Mädel«:
Fliegerinnen zwischen 1918 und 1945.
17 Das Credo ›Form Follows Function‹ wird nicht vom Bauhaus, sondern schon Ende des 19. Jahr-
hunderts von dem amerikanischen Architekten Louis Sullivan geprägt (Bürdek 1991: 54f.).

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net. Diese minimalistische Formensprache illustriert für Kracauer auch


den Wandel der Kampfbedingungen in der Moderne, die für ihn nicht
mehr romantisch sind. Als romantisch und damit als veraltet erscheinen
ihm im Design kunstgewerbliche Feinheiten: »Schmückte man früher
die militärischen Instrumente aus, so geht man heute auf dem Gebiet
höchst prosaisch zu Werk« (Kracauer 2011: 332).
Kaum ein Kleidungsstück drückt in der Zwischenkriegszeit wohl so
stark, die von Kracauer beschriebene neue Ästhetik der coolen Nüchtern-
heit aus wie die schwarze Lederjacke, die während des Ersten Weltkriegs
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besonders durch die deutschen Flieger international bekannt gemacht


wird. Seit dem Jahr 1916 tragen die deutschen Flieger schwarze Lederja-
cken in Kombination mit Beinschützern sowie Lederhelmen, Schutzbrillen
und pelzgefütterten Handschuhen (Mollo/Turner 1978: 212). Mit dieser
Montur grenzen sie sich als Elitegruppe von dem grau gekleideten Heer
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der Bodentruppen ab.


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Einerseits sind funktionale Aspekte wie Schutz und Wärme zentrale


Gründe dafür, dass die Flieger bevorzugt Leder tragen. Andererseits geht
von dem Material tierischer Herkunft auch etwas Martialisches und Res-
pekteinflößendes aus. Denn bevor sich Menschen in textile Gewebe hüllten,
kleideten sie sich in Tierhäute, denen die Bedeutung von Trophäen zukam
(Flügel 1986: 219). Seit jeher steht daher das Tragen von Leder mit dem
Tod in Verbindung und drückt den Wunsch aus, die Kraft und Potenz des
erlegten Tiers möge sich auf den Träger übertragen (Weis 2012: 20). Somit
symbolisiert Leder auch etwas archaisch Brutales. Außerdem vermittelt es
als Bekleidung der Luftwaffe den Glamour des Gefährlichen und Einzel-
gängerischen, weil die Piloten im Unterschied zu den Infanteristen, die sich
in den Schützengräben gesichtslos in der Heeresmasse auflösen, als indi-
viduelle Heroen der Lüfte identifizierbar sind. Zudem zählt die schwarze
Lederjacke während des Ersten Weltkriegs nicht zur offiziellen Uniform
der Luftwaffe. Darum weist sie auch keine Orden auf und erscheint somit
als besonders nonkonformistisch (Lepp 1993: 477).
Weltweite Berühmtheit erreicht sie vor allem durch den deutschen
Flieger Manfred von Richthofen, der wegen seiner extrem aggressiven und
halsbrecherischen Flugmanöver von den Deutschen gefeiert und von den
Alliierten gefürchtet wird. Um seine Person entsteht ein regelrechter Mas-
senkult, der an die heutigen Inszenierungen von Superstars erinnert. Zu
seiner Mystifizierung trägt auch seine 1917 veröffentlichte Autobiografie Der
rote Kampfflieger bei. Darin inszeniert sich der ›rote Baron‹ in beispielsloser

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Coole Posen in schwarzem Leder.
Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik

Kriegsverherrlichung als Inkarnation des Coolen, immer auf der Klippe


zum Tod zwischen Ordnung und Anarchie balancierend. Betont unaufge-
regt schildert von Richthofen in seinen Aufzeichnungen Anekdoten über
einzelgängerische Aktionen und lebensgefährliche Ereignisse. Über Ängste
oder Sorgen spricht er dagegen nicht. Vielmehr stellt er die Oberflächen
seiner Kleidung in den Vordergrund: »Einmal ging mir ein Schuss durch
beide Pelzstiefel durch, ein andermal durch meinen Schal, wieder einmal
an meinem Arm durch den Pelz und die Lederjacke durch, aber nie hat es
mich berührt« (von Richthofen 1990: 46).
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Abbildung 2
Manfred von Richthofen in schwarzer Lederuniform
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Quelle: Castan 2007

Solche Schilderungen und die in den Medien verbreiteten Fotografien,


auf denen sich von Richthofen und seine Kameraden als unverwundbare
›Kerle‹ mit schief aufgesetzten Mützen und Ledermonturen stilisieren,
führen dazu, dass die Lederjacke vermehrt im kollektiven Bildgedächt-
nis als Teil einer kriegerisch codierten Coolness an Bedeutung gewinnt.
Noch 1985 führt Mick Farren, Rockmusiker der Band The Deviants, das
coole Image, das mit der schwarzen Lederjacke bis heute assoziiert wird,
unter anderem auf Manfred von Richthofen und seine Fliegertruppe zu-
rück: »The problem was that they looked so damn cool« (Farren 1985: 26).
Unter ›cool‹ versteht Farren die teuflisch düstere Wirkung, die die deut-
schen Flieger und später auch die Nationalsozialisten mit ihren ledernen
Erscheinungen ausstrahlten. So gefährlich und böse wollten in der Nach-
kriegszeit offensichtlich auch viele englische und amerikanische Jugend­

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liche wirken, um möglichst effektvoll mit der Aneignung der Kleidung des
ehemaligen Feinds das Establishment zu schockieren. Wie Susan Sontag
in ihrem Essay Fascinating Fascism feststellt, erscheint die Ledermontur der
Nationalsozialisten für viele Szenen aber auch so unwiderstehlich, weil sie
so ›well-cut‹ ist (Sontag 1975). Auch Valerie Steele weist auf die zentrale
Bedeutung des Militärs für die erotisch provozierende Anziehungskraft
schwarzen Leders hin und stellt heraus, dass die dämonische Bedeutung
des schwarzen Leders vor allem durch deutsche Uniformen in die Mode-
geschichte gekommen sein soll (Steele 1998: 160). Obwohl die schwarze
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Lederjacke im Lauf des 20. Jahrhunderts regelmäßig uminterpretiert wird,


liegt ihre Attraktivität für die meisten Gruppierungen offenbar doch in
ihrem Gewalt- und Machtpotenzial. Die Lederjacke hat gleichsam die
magische Funktion einer Ritterrüstung im Kampf um Aufmerksamkeit,
Respekt und Abgrenzung. Mit ihr kann sich selbst ein schmalbrüstiger
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Jüngling schnell in einen unangreifbaren Akteur einer Straßen-Gang ver-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

wandeln (Weis 2012: 22).


Nach dem Ersten Weltkrieg wird das Design des schwarzen Motordress
in den USA weiterentwickelt. Die Jahre 1927 und 1928 können als Blüte-
Ära für die Coolness der Zwischenkriegszeit gelten. Marcus Garvey pro-
pagiert 1927 – wie beschrieben – die Verhaltensmaxime »Keep Cool«: Im
Jahr darauf entwirft der Amerikaner Irving Schott die Perfecto-Jacke, eines
der legendärsten Motorrad-Outfits. 18 Dabei handelt es sich um die bis in
die Gegenwart kaum veränderte schwarze Bikerjacke aus Nappa­leder mit
einem silbernen, asymmetrischen Reißverschluss, Einnietdruckknöp-
fen am Reverskragen und einem breiten Gürtel, der als Nierenschutz
fungiert. Diese Jacke wird von rebellisch wirkenden Stars wie Marlon
Brando über Patti Smith und Lou Reed, von den Ramones und Sex Pis-
tols bis hin zu den Rockern von Black Rebel Motorcycle Club getragen
und avanciert im 20. Jahrhundert zur sogenannten ›Uniform der coolen
Unangepassten‹ (Weis 2012).

18 Diese Jacke zählt, wie Ingrid Loschek und Beate Schmid festhalten, zu den Klassikern der
Mode (Schmid/Loschek 1999: 58).

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Coole Posen in schwarzem Leder.
Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik

Abbildung 3
Marlon Brando im Film The Wild One in Perfecto-Lederjacke
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Quelle: Mielach 2013

Zudem gewinnt die schwarze Lederjacke auch durch Sergej Eisensteins


Film Oktober (1927) ihre Bedeutung als vestimentäre Chiffre der kommu-
nistischen Revolte. Denn in dem Film tritt Lenin in dunklem Leder auf. Im
gleichen Jahr sorgt Bertolt Brecht mit seiner Selbststilisierung als Künst-
lerrebell für die gesteigerte Wahrnehmung des dunklen Leders als Outfit
linksintellektueller Nonkonformisten. Clever spielt er dabei mit den kont-
roversen Bedeutungen, die der Lederjacke als Kleidungsstück sowohl aben-
teuerlicher Flieger als auch linker Revolutionäre anhaften, wenn er sich
im Lederlook von dem Maler Rudolf Schlichter im Umfeld einer Fabrik­
kulisse porträtieren lässt und sich vor der Kamera des Fotografen Konrad
Reßler mit Ledermantel und Zigarre in Szene wirft. Brecht erscheint auf
diesen Bildern als ›Bohemien‹, der mit seinen Posen seine Verachtung für
das Bürgertum und dessen schriftstellerische Ikonen ausdrückt (Müller
2007: 79). Zur gleichen Zeit beschwört er – passend zu seiner Selbstin-
szenierung als cooler Motor-Held – mit Gedichten über das Autofahren
die futuristische Mensch-Maschinen-Symbiose (vgl. Hertling 2013: 89).19

19 Brecht veröffentlicht 1927 auch das Gedicht 700 Intellektuelle beten einen Öltank an (Brecht 1988),
in dem er die zeitgenössische Technikbegeisterung ironisch persifliert.

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Abbildung 4
Bertolt Brecht in schwarzem Ledermantel
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Quelle: Münchner Stadtmuseum

Als unangepasster Fliegertyp mit »wilden ungekämmten Locken« und


»lederner Sportjacke« (Goll 2005: 229) tritt auch in Claire Golls – eben-
falls 1927 erschienenem – Roman Eine Deutsche in Paris der Franzose Jacques
auf. In den Augen seiner deutschen Freundin Erika sieht er mit seiner
Lederkleidung so sexy wie ein »modernisierter Apollo« (ebd.) aus. Ge-
rade sein Nonkonformismus und seine coole Distanziertheit machen ihn
für die Deutsche so attraktiv. »Unangreifbar sein«, darum geht es ihm,
»selbst in einer Umarmung« ist er »immer noch fünf Meter« (ebd.: 232)
von Erika entfernt. Beeinflusst von Künstlern wie Alfred Jarry, André
Gide und André Breton möchte Jaques mit seiner Lederjacke neben sei-
ner Faszination für Flugzeuge und Autos auch seine Sympathie für die
Pariser Avantgarde und Künstler*innenszene ausdrücken. Auf keinen
Fall will sich der rastlose Anarchist in bourgeoise Ordnungsstrukturen
einbinden lassen und so spießig aussehen wie ein »›Idiot mit [...] einem
bürgerlichen Hut‹« (ebd.: 205).

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Coole Posen in schwarzem Leder.
Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik

Weil die schwarze Lederjacke in den 1920er-Jahren als vestimentäre


Chiffre der Motoristen und Revolutionäre wahrgenommen wird, verweist
sie auch auf ein Leben des Nicht-Sesshaft-Seins. Sie verheißt Dynamik,
Umwälzung und Aufbruch und signalisiert damit das Gegenteil von Fi-
xierung und Besitzstandswahrung. Schon deshalb wird sie nicht zuletzt
während der Zwischenkriegszeit als ideales Kostüm von allen denjenigen
getragen, die sich wie später die Beatniks in der Nachkriegszeit der ›On
the Road‹-Programmatik verschreiben und sich als herumreisende Anti-
bürger inszenieren.20
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So vermittelt der Lederstil von Brecht und seinen Kollegen zwar eine
subtil, in dunkel schimmernde Texturen umgesetzte Drohung. Diese steht
aber weniger für rohe Aggressivität, sondern vielmehr für eine ruhige Re-
sistance.21 Vermutlich handelt es sich dabei sogar eher um das Kaschieren
von Angst und Verletzlichkeit.22 Marieluise Fleißer, eine Freundin von
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Brecht, zeigt dies eindrucksvoll in ihrem Roman Mehlreisende Frieda Geier an


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

der umherfahrenden Berliner Verkäuferin Frieda, die mit ihrer schwarzen


Lederjacke ihre Verwundbarkeit maskiert, um sich in der Männerdomäne
der autofahrenden Händler durchzusetzen. Als ›Girl-Driver‹ verlässt sie die
Sphäre des ›klassisch Weiblichen‹, die mit Häuslichkeit, Gefühlsbetontheit
und Wärme assoziiert wird und begibt sich nach draußen in die »Fröste
der Freiheit« (Fleisser 1963: 11). Als ›Fröste der Freiheit‹ bezeichnet
Fleißer die industrialisierte Welt des konventionell männlich markierten
Terrains der Technik, des Konkurrenzkampfs und des Wagemuts. In dieser
Gletscher-kalten Welt hat Frieda gelernt ihre Gefühle zu kaschieren und
sich souverän zu präsentieren.

20 »Abschied ist das ewige Motiv«, sagt etwa der permanent umherreisende Schriftsteller Se-
bastian in Klaus Manns 1932 erschienenen Roman Treffpunkt im Unendlichen (Mann 2007:
152). Sebastian fährt immerzu von einem Land zum anderen. Sein Leben ist von Partys in
Künstler*innenkreisen, bisexuellen Liaisons, Drogenexperimenten und Reisen nach Paris
oder Marokko geprägt und weist einige Parallelen zu der antibürgerlichen ›On the Road‹-
Programmatik der später in den 1940er-Jahren entstehenden Beatnik-Bewegung auf. In
den verschiedenen Überlegungen zum Thema Coolness werden neben Jazzmusiker*innen
wie Miles Davis, Charlie Parker oder Thelonious Monk immer wieder auch die Autor*innen
der ›Beat Generation‹ und ihre Anhänger und Anhängerinnen, die sogenannten ›Beatniks‹,
vorgestellt (Diederichsen 2003: 246). Nicht zuletzt gilt ihr Modestil, der neben schwarzen
Rollkragenpullovern unter anderem auch abgetragene Lederjacken beinhaltet, als Vorbild
für viele Rocker*innen und ›Bohemians‹ des 20. Jahrhunderts.
21 Tulloch definiert Coolness auch als eine Form des »quiet activism« (Tulloch 2016: 65).
22 Vgl. dazu auch Birgit Richards Essay über schwarze Leder-Outfits in Subkulturen (Richard
2015: 343).

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Besonders mit ihren distanzierten Blicken, die »etwas kalt« (Fleisser


1931: 30) wirken, irritiert und fasziniert Frieda ihre Umgebung zugleich.
Es ist bezeichnend, dass Fleißer in der Neubearbeitung ihres Romans im
Jahr 1972 das Wort »kalt« durch »nicht weiblich« ersetzt (Becker 1995:
219). Daran wird deutlich, wie eng während der 1920er-Jahre der Assozia-
tionsbereich rund um Kälte, Coolness und Unabhängigkeit mit Männlich-
keit verwoben und als Gegenentwurf zur Weiblichkeit imaginiert wird.
Frauen in Lederjacken wirken in dieser Zeit extrem provokativ, weil sie
mit ihrem Aussehen eine Absage an den konventionellen Weiblichkeitsent-
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wurf darstellen und somit noch stärker als die männlichen Lederjacken-
träger einen antibürgerlichen Lebensstil verkörpern. Es verwundert daher
nicht, dass Frieda von der konservativen Mutter ihres Liebhabers als Hexe
diffamiert wird. Die Mutter kann sich die Begeisterung ihres Sohnes für die
Autofahrerin nur damit erklären, dass die Garçonne mit finsteren Mächten
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im Bunde steht. Auch Friedas Liebhaber, der zunächst von ihrer Anders-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

artigkeit in Bann gezogen ist, sieht in ihr später, als er merkt, dass sie sich
weigert, sich ihm unterzuordnen, eine Abgesandte Satans. Friedas ›böser
Ledermode‹ haftet somit nicht nur das Klima der Freiheit und die Cool-
ness des Motorsports an. Sie symbolisiert auch etwas Dissonantes, das sich
nicht harmonisch in die traditionelle Geschlechterordnung einfügen lässt.
Ähnlich wie Frieda inszeniert sich in Vicki Baums ebenfalls im Jahr
1927 erschienenem Roman Hell in Frauensee das ›Girl‹23 May Lyssenhop mit
lässigen Posen und einem Modestil, der von der Sphäre der Kämpfe und
Motoren beeinflusst ist. Sie präsentiert sich mit Sportkostümen, rustika-
len Regenmänteln, ledernden Autokappen oder »einer runden Mütze, wie
französische Gebirgstruppen sie tragen« (Baum 1956: 16). Vor allem, wenn
ihr Freund Urban Hell mit einer anderen Frau flirtet, überspielt sie ihre
Nervosität mit ostentativ burschikosen Körperhaltungen und einer zur
Schau gestellten Unaufgeregtheit. Dann schlendert sie einen »Automantel
aus Leder« tragend und cool eine Zigarette im Mundwinkel rauchend mit
betont »unbeteiligten Mienen« (ebd.: 130) umher. Auf keinen Fall offen-
bart dieses »unpathetische, unfeierliche, herb in sich zusammengehaltene
Sportsmädel« (ebd.: 150) in Konfrontation mit Hell ihre Verwundbarkeit

23 Während der Weimarer Republik werden jung und sportlich wirkende Frauen, die sich an der
Mode US-amerikanischen Flappers wie Colleen Moore oder Clara Bow orientieren, oftmals als
›Girls‹ bezeichnet.

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Coole Posen in schwarzem Leder.
Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik

oder äußert eine sentimentale Bemerkung. Ihre Gefühle kaschiert sie viel-
mehr mit demonstrativer Gelassenheit, indem sie sich gleichmütig neben
ihren Freund an einen Balken lehnt und dabei ihre »Hände in [...] großen
Manteltaschen« (ebd.: 130) vergraben hält. Anstatt zu weinen raucht sie
lieber: »Weil Mays Stimme zu zittern begann und weil sie ihre Wimpern
naß von Tränen spürte, nahm sie rasch eine zweite Zigarette« (ebd.: 131).

3. Fazit
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Die Coolness der ›Girl-Driver‹, ›Antibürger‹ und ›Rebellen‹ in schwarzem


Leder erweist sich als eine Strategie, die vor dem Erfrieren in den Eiswin-
den der urbanisierten Welt schützen soll, in der das Individuum, von
Konkurrenz umstellt, doch überleben und sich profilieren will – durch
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Distanz, Autonomie und Würde. Scheinbar imprägniert gegen sämtliche


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Anfechtungen des Metropolenlebens verkörpern diese Figuren etwas von


der Blasiertheit der Großstädter*innen, die Georg Simmel beschreibt. Ganz
im Sinne des in Bertolt Brechts Gedicht Das wurde mir gelehrt formulierten
Aufrufs: »Verwisch die Spuren!«, befinden sie sich oft auf der Flucht vor
Vereinnahmungen und Verbindlichkeiten: »Zeige, o zeige dein Gesicht
nicht [...] bleibe nicht sitzen! [...] Was immer du sagst, sag es nicht zweimal
[...] wer nichts gesagt hat, Wie soll der zu fassen sein! Verwisch die Spu-
ren!« (Brecht 1960: 161f.). An ihr Nicht-Sesshaftsein knüpft sich oft auch
ein Nicht-Fixiertsein an Plätze und Personen. Die Coolness der schwarzes
Leder tragenden Akteur*innen entsteht somit im »Zerfall der Ortsbestän-
digkeit« (de Certeau 1988: 24) und ist an »Nicht-Orte« (Augé 1994: 94)
wie das Auto oder Flugzeug gebunden.
Doch im Unterschied zur Kälte, die als seelenlos und tot gilt, muss die
Coolness als Vitalität und potenziell wechselwarme Haltung der Anti-Au-
thentizität und des ›als ob‹ verstanden werden. Während die Akteur*innen
der Kälte gleichsam als apparative Frostfiguren ungerührt in den Glet-
schern ihres Umfelds aufgehen, passen sich die Akteur*innen der Coolness
scheinbar an die kühlen Bedingungen ihres Milieus an, nur um auf diese
Weise ihren Bewegungsradius, ihre Autonomie und Nicht-Beherrschbar-
keit aufrechtzuerhalten. Die Atmosphäre erscheint kalt, aber die Haltung
ist cool. Im Gegensatz zur Kälte ist der Coolness immer etwas brodelnd
Widerständiges inhärent. Zudem geht es den coolen Akteur*innen um die
hedonistische Teilhabe an den vielfältigen Entwicklungs- und Genussmög-

151
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lichkeiten, die die sogenannten ›Fröste der Freiheit‹ offerieren wie etwa
die Lust und Freude an der Mobilität sowie am Rausch der Technik. Dabei
erweisen sich vor allem die ›Girl-Driver‹ als Improvisateurinnen, die tra-
ditionelle Weiblichkeitsmuster wie das an Haus und Küche fixierte Dasein
als Mutter und Ehefrau infrage stellen und sich wie Pionierinnen auf einer
Expedition ins Unbekannte in neuen Gefilden und Rollen ausprobieren.
Die in der Weimarer Republik von den ›Girl-Drivern‹ und ›Bohemiens‹
beispielhaft verkörperte Berliner Asphalt-Coolness wird wenige Jahre später
von den Nationalsozialisten zerstört. Auch hier spielt die Bedeutung von
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schwarzem Leder eine zentrale Rolle: Nun sind es die kalten Verbrecher-
Einheiten der SS, die dunkle Ledermäntel tragen, um damit ihre brutale
Aggressivität auszudrücken.
Die schwarze Lederjacke ist mehrdeutig geworden, die damit ver-
bundenen Visualisierungsstrategien erscheinen vielfältig – so wie die
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Geschlechter­grenzen durchlässiger geworden sind. Heute bedeutet die


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

schwarze Lederjacke vieles: Militarismus und Pazifismus, Subkultur und


Mainstream, Unangepasstheit und Angepasstheit. Sie kann Ritterrüstung,
Rebellenkutte, zweite Haut, Verführungswerkzeug und Fetisch sein. Das
Stylingpotenzial von schwarzem Leder ist noch lange nicht ausgeschöpft.
Im Popkosmos macht man sich immer wieder auch selbstironisch lustig
über die mit Leder verbundenen Allmachtsfantasien. Wenn etwa Run-
D.M.C. verkünden »Quite clever and never, we’re together forever Run-
D.M.C. and we’re ›Tougher Than Leather‹ [...] Never frightened I’m writin
fightin for what’s right«24, erscheinen die Grenzen zwischen Ernst und
Parodie fließend.
Heute ist es vor allem der spielerische Umgang mit den historischen
Bedeutungsdimensionen des Leders, der besonders cool wirkt: Humor
erweist sich als ein weiterer Ausdruck lässiger Distanz. Aber das ist in der
Geschichte der Coolness schon eine weitere Facette.

24 Der Song Tougher than Leather der drei Run-D.M.C.-Musiker – Joseph Simmons, Jason Mizell
und DaRryl McDaniels – erscheint auf ihrem 1988 veröffentlichten Album Tougher than Leather.

152
Coole Posen in schwarzem Leder.
Visualisierungsstrategien von Coolness in Literatur und Kultur der Weimarer Republik

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Mit Beiträgen von Max Brod bis Stefan Zweig und einem Essay von Silvia
Bovenschen. Frankfurt/M. [Insel] 1990, S. 55-59
von Richthofen, M.: Der rote Kampfflieger. Die persönlichen Aufzeichnungen
des Roten Barons, mit dem »Reglement für Kampfflieger« und vierzig
historischen Abbildungen. Einführung von NATO-Generalsekretär Dr.
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157
Florian Diener

Maskulinität im Spagat?
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Repräsentationen von Männlichkeit zwischen


Jugend und Alter(n) im Spannungsfeld der
Bier- und Kosmetikwerbung
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

1. Einleitung

Welche Kleidung soll ich anziehen? Welche Frisur passt zu mir? Was ist
zu dick und was zu dünn? Welche Kosmetikprodukte versprechen ewige
Jugend? Welche Konsumgüter benötigt der Mensch, um als attraktiv zu
gelten? Und wie soll dieser Mensch aussehen, wie sich verhalten, um als
weiblich oder männlich anerkannt zu werden? Auf all diese und noch
viel mehr Fragen scheinen uns mediale Produkte seit dem Aufkommen
der modernen Wirtschaftswerbung Antworten zu liefern. Dass sie damit
fundamental an der Konstruktion und Distribution zahlreicher differenz-
schaffender, stereotyper Sozialkategorien, wie bspw. Alter, Geschlecht oder
sozialer Klasse beteiligt sind und diese sogar entscheidend mitgestalten,
gilt als unbestritten (vgl. Zurstiege 1998; Holtz-Bacha 2008; Thiele
2015). Denn nahezu unausweichlich und omnipräsent durchdringen me-
diale Repräsentationen stereotyper Körper unseren Alltag. Dass dies nicht
ohne Auswirkungen auf Mediensozialisationsprozesse, auf die Meinungs-
bildung und die Identitätskonzepte der Rezipient_innen bleibt, gilt längst
als bewiesen (vgl. u. a. Bonfadelli 1981; Kübler 2010: 17). So werden in
zahlreichen TV-Formaten, in Zeitschriften, in Werbeanzeigen oder im Inter-
net den Betrachter_innen performative Körperpraktiken gebetsmühlenar-
tig vorgeführt. Dabei sind Jugend, Schönheit, sozialer Status, Gesundheit
oder Leistungsfähigkeit in diesen Kontexten zu unabdingbaren Prämissen

158
Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung

avanciert, die stereotypisierte Repräsentationen in visuellen Kulturen für


deren Betrachter_innen bereithalten und die menschlichen Körper letztlich
ihre eigene Wertigkeit inskribieren. »Die Rezeption von Medien gehört
damit zu den sozialen Praktiken, mit denen im Alltag [...] ›doing identity‹
und ›doing gender‹ betrieben wird« (Hipfl 2010: 90).
Von besonderer Bedeutung für diese Praktiken der Produktion und
Rezeption erscheinen intersektionale Ansätze, welche die Durchdringung
und Verwobenheit sozialer Kategorien wie Geschlecht, Alter, Körper, Eth-
nie, Religion, Klasse, sexuelle Orientierung usw. untersuchen (vgl. Thiele
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2015: 18). Dabei löst die Beleuchtung von Wechselwirkungen der mitein-
ander verwobenen Kategorien in den letzten Jahren sukzessive eindimen-
sionale Modelle ab, welche Ungleichheitsverhältnisse primär in Hinblick
auf die Kategorie Geschlecht erforscht haben (vgl. Winker/Degele 2010:
10). Dennoch sind intersektionale Ansätze in der kommunikationswis-
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senschaftlichen Forschungspraxis immer noch eher die Ausnahme als die


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Regel. Dabei könnte vor allem die Forschung zu der Kategorie Alter sowie
die Alter(n)sforschung, welche nicht zuletzt vor dem Hintergrund des
demografischen Wandels in Zukunft immer wichtiger wird, enorm von
intersektionalen Ansätzen profitieren.
An dieser Stelle will der Artikel einen Beitrag leisten, indem Repräsenta-
tionen maskuliner Körper in ausgewählten Werbeanzeigen unter besonde-
rer Berücksichtigung des Alter(n)s beleuchtet werden. Dabei stellt sich die
Frage, ob körperliche Schön- und Schlankheitsideale in der Werbung mit
Alter(n) und Geschlecht verwoben sind und welche Rolle sie in Konstruk-
tionsprozessen von Maskulinität und bei der Repräsentation des Alter(n)s
spielen. Im Rahmen einer qualitativen Bildanalyse von kontemporären
Werbeanzeigen soll anhand zweier Branchen, die mit sehr polarisierenden
Repräsentationen von Maskulinität operieren – der Kosmetikbranche ei-
nerseits und der Bierbranche andererseits – diskutiert werden, in welcher
»Arena« (Connell 2013: 29) sich stereotype Repräsentationen von Masku-
linität in Werbeanzeigen bewegen. Ziel der Untersuchung soll es sein, auf
das Spannungsfeld, welches aufgrund neuer Repräsentationsweisen von
Maskulinität entstanden ist, hinzuweisen und die bislang wenig beach-
teten Intersektionen zwischen Alter(n) und Maskulinität auszuleuchten.
Dabei wird im Folgenden zunächst der theoretische Rahmen skizziert,
wobei der Fokus auf den Stereotyp-Begriff in den Medien, die Werbung als
Untersuchungsgegenstand sowie die visuelle Repräsentation von Masku-
linität und Alter(n) gerichtet ist. Im Anschluss daran werden die zentralen

159
Florian Diener

Ergebnisse einer qualitativen Untersuchung vorgestellt, indem jeweils Re-


präsentationen für Jugend und für Alter(n) in der Kosmetikwerbung sowie
in der Bierwerbung gegenübergestellt, analysiert und diskutiert werden.

2. Zum Stereotyp-Begriff in den Medien

Der Terminus ›Stereotype‹ wird sowohl im wissenschaftlichen als auch


im alltäglichen Umgang häufig recht unbedacht und undifferenziert ver-
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wendet. Wenngleich die historische Definition Walter Lippmanns, der sie


als »pictures in our heads« (Lippmann 1922: 3) beschrieb, sehr verkürzt ist,
wird diese auch heute noch gerne in der Kommunikationswissenschaft an-
geführt. Für ein tiefgreifendes Verständnis des Stereotyp-Begriffs im Kon-
text von Medien bietet Martina Thieles Monografie Medien und Stereotype
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(2015) eine sehr eingehende und komplexe Auseinandersetzung mit dem


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Forschungsfeld. Neben der geschichtlichen Darstellung, der Abgrenzung


des Begriffs und der theoretischen Einbettung arbeitet Thiele mittels Meta­
analysen das weitreichende Forschungsfeld zu Medien und Stereo­typen
umfassend auf. Nach Thiele werden Stereotype dabei vor allem durch So-
zialisation erlernt. Dabei ist das Verständnis von Sozialisation nicht auf
das Kinder- und Jugendalter zu begrenzen. Vielmehr ist Sozialisation ein
lebenslanger und identitätsstiftender Prozess (vgl. Thiele 2015: 50f.). Dass
Medien in diesem Prozess eine übergeordnete Rolle spielen, die als Sozia-
lisationsinstanz in jedem Alter stattfindet, hat Dagmar Hoffmann bereits
eingehend beschrieben (vgl. Hoffmann 2007: 11ff.). Stereotype dienen dabei
häufig der Komplexitätsreduktion und als Wissens-Ersatz – sie »struktu-
rieren die Wahrnehmung, führen zu Definitionen, Differenzierungen und
Klassifizierungen, wodurch die Orientierung in einer hochkomplexen und
objektiv nicht gänzlich erfassbaren Realität erleichtert wird« (Thiele 2015:
66). Den Betroffenen ist allerdings in der Regel nicht bewusst, dass es sich
bei einer Darstellung, Aussage oder Meinung um ein Stereotyp handelt,
vielmehr »werden Einstellungen und Meinungen als Ergebnis objektiver
Beobachtung und rationaler Überlegung präsentiert« (ebd.: 66). Es kommt
daher häufig zu einer Verwechslung von Wissen mit Stereotypen.
Da Aufmerksamkeit ein – in einer durch Massenmedien stark ge-
prägten Welt (mit einem Überfluss an Informationen einerseits, bei einer
gleichzeitig begrenzten Aufnahmefähigkeit des menschlichen Verstan-
des andererseits) – rares Gut ist, sind sowohl Medienschaffende als auch

160
Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung

Medienrezipient_innen auf die Reduktion von Komplexität durch Ste-


reotype angewiesen (vgl. Thiele 2015: 66ff.). In diesem Zusammenhang
spielt nach Katharina Lobinger der Begriff ›Visualität‹ eine übergeordnete
Rolle, da sich aus perpetuierenden visuellen Darstellungen sogenannte
»Repräsentationsregimes« (Hall [2007], zitiert nach Lobinger 2015: 95)
etablieren können. Visuelle Repräsentationen nehmen dabei niemals
einen neutralen Standpunkt ein, sondern partizipieren immer aktiv an
der Gestaltung von Diskursen sowie an der Herausbildung von Stereo-
typen (vgl. ebd.). Visuelle Repräsentationen prägen somit das Bild von
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geschlechtlichen Körperrepräsentationen sowie von Alter(n) und kön-


nen auch für die gesellschaftliche Akzeptanz oder Ablehnung derselben
mitverantwortlich sein.
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3. Werbung als Untersuchungsgegenstand


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Wie in zahlreichen qualitativen und quantitativen Untersuchungen im


deutschsprachigen Raum seit den 1960er-Jahren mehrfach nachgewiesen
wurde, spielen stereotype Repräsentationen von sozialen Differenzkatego-
rien in den Medien eine übergeordnete Rolle (vgl. u. a. Küchenhoff 1975;
Schmerl 1980; Hastenteufel 1980; Kotelmann/Mikos 1981; Zurstiege
1998; Holtz-Bacha 2008). Vor allem Untersuchungen zu Geschlechter­
stereotypen in der Werbung sind nach Christina Holtz-Bacha ein »thema-
tischer Dauerbrenner« (Holtz-Bacha 2008: 7).
Werbung ist für das sozialwissenschaftliche Erkenntnisinteresse als
Untersuchungsgegenstand in besonderer Weise prädestiniert und kann
insbesondere für die Untersuchung visueller Kulturen gut nutzbar gemacht
werden. Zum einen ist nach Beck »Werbung Ausdruck von Zeitgeist und
Lebensstil« (Beck 2015: 159), das heißt sie informiert über Alltagsästhetik,
Lebenswelten und Milieus. Aber darüber hinaus ist Werbung noch weitaus
mehr. So spricht Christina Holtz-Bacha der Werbung eine Doppelrolle zu,
indem diese Gesellschaft einerseits reflektiert und wiederum auf diese zu-
rückwirkt (vgl. Holtz-Bacha 2011: 16). »Dabei bilden Werbedarstellungen
Frauen und Männern nicht einfach nur ab, sondern vermitteln konkrete
stereotype Vorstellungen davon, wie Frauen und Männer sein sollen«
(Dressler 2011: 137). Das System Werbung verwendet dabei geschlechts-
spezifische Zeichen, die auf konventionalisierten Ausdrucksformen für
das, was als weiblich und was als männlich gilt, basieren. Und dies erhöht

161
Florian Diener

wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass die in der Werbung gezeigten Bil-


der verstanden werden, da bestimmte geschlechtsspezifische Stereotype
gesellschaftlich fest verwurzelt sind (vgl. Goffman 1981). Folglich hat die
Werbung ein immanentes Interesse an der bipolaren Konstruktion von
weiblichen und männlichen Körpern. Darüber hinaus tritt Werbung somit
auch als Sozialisationsagent auf. Werbung »vermittelt Wertvorstellungen
und Verhaltensmuster, gibt Orientierungs- und Lebenshilfen und kann als
Instrument der Wirklichkeitskonstruktion sowohl für das individuelle
als auch das kollektive Gedächtnis angesehen werden« (Jäckel/Derra/
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Eck 2009: 8).


Doch obwohl Werbung zu den sich am schnellsten wandelnden medi-
alen Gattungen überhaupt zählt, erweisen sich (Re-)Präsentationen ste-
reotyper Körper als ausgesprochen persistent. So konnten beispielsweise
schon in der Vergangenheit Gitta Mühlen-Achs (1995) oder auch Christina
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Holtz-Bacha (2008) nachweisen, dass sich stereotype Konstruktionen nur


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

äußerst langsam wandeln. Und Martina Thiele konstatiert im Fazit ihrer


Metaanalyse über geschlechterstereotype Darstellungen, dass diese in der
Werbung »weiterhin massenhaft vorhanden« (Thiele 2015: 285) sind – es
werden, wenn überhaupt, lediglich »kleinere Modifikationen des Bekann-
ten und weitgehend Akzeptierten« (ebd.) vorgenommen.

4. Die visuelle Repräsentation des Maskulinen

Die Beschäftigung mit der visuellen Repräsentation von Geschlecht ist


in der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft weit verbreitet.
Wenngleich Untersuchungen über visuelle Repräsentationen von Frauen
eine lange Tradition besitzen, ist die wissenschaftliche Auseinanderset-
zung mit visuellen Repräsentationen von Männlichkeit bislang weniger
verbreitet. Dabei unterliegen vor allem die theoretischen Positionierungen
zu Geschlecht einem großen Wandel: Von der einstigen Frauenforschung
in den 1960er- und 1970er-Jahren hin zu den Gender und Queer Studies
hat sich das theoretische Verständnis von Geschlecht stark gewandelt:
Die ursprüngliche Unterscheidung zwischen biologischem Geschlecht
(sex) und sozialem Geschlecht (gender) ist für dekonstruktivistische Posi-
tionierungen im Anschluss an Judith Butlers Werk Gender Trouble (1990)
in gleichem Maße Resultat diskursiver Prozesse wie die Unterscheidung
zwischen Frauen und Männern.

162
Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung

Für die nachfolgende Studie wird von einem Verständnis von Geschlecht
nach Raewyn Connell ausgegangen. Connell ist zentral für die Forschung
zu Männlichkeiten, da sie die Prozesse der sozialen Unterscheidung von
Geschlecht in den Fokus rückt und gleichzeitig aber die geschlechtliche
Dichotomie in visuellen Repräsentationen berücksichtigt. So ist Geschlecht
nach Connell »die Struktur sozialer Beziehungen, in deren Zentrum die
reproduktive Arena steht, und die Anzahl von Praktiken, die reproduktive
Unterschiede zwischen den Körpern in soziale Prozesse einbringen« (Con-
nell 2013: 29f.). Demzufolge ist Geschlecht »ein Komplex menschlicher
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sozialer Praktiken« (ebd.: 100), wobei körperliche und soziale Prozesse von
Geschlecht eng ineinandergreifen. Aus menschlichen Körpern mitsamt
ihren Fähigkeiten werden durch soziale und kulturelle Praktiken Frauen
und Männer geschaffen. Dieser Prozess findet in der reproduktiven Arena
statt (vgl. ebd.: 100f.). Dabei wird die reproduktive Arena geformt durch
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Aushandlungsprozesse sozialer, binär organisierter Geschlechterstruktu-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

ren. Die reproduktive Arena stellt somit einen dynamischen Prozess dar,
welcher »durch soziale Kämpfe« (ebd.: 101) immer wieder neu geformt
wird. Kulturelle Muster von Geschlecht sind in diesem Kontext keine Aus-
drucksformen von Biologie, denn es gibt »für die Gender-Prozesse keine
feste ›biologische Grundlage‹. Was es gibt, ist eine Arena, in der Körper in
soziale Prozesse einbezogen werden, in der unser soziales Verhalten mit der
reproduktiven Differenz etwas anstellt« (ebd.). So ist Geschlecht als »soziale
Struktur« (ebd.) aufzufassen, als »Muster unserer sozialen Arrangements
und unserer Alltagsaktivitäten oder -praktiken« (ebd.). Im Rahmen einer
qualitativen empirischen Forschungsarbeit bieten sich Werbeanzeigen
daher an, um Repräsentationen und soziale Praktiken des Doing Gen-
ders, die innerhalb der reproduktiven Arena stattfinden, zu untersuchen.
Die Hervorbringung ›des Männlichen‹ funktioniert dabei vor allem
seit dem 19. Jahrhundert in vielen Bereichen auch durch die Abgrenzung
zum ›Weiblichen‹ (vgl. u. a. Hagemann-White 1984; Badinter 1993; Fre-
vert 1996). Auch die Wirtschaftswerbung konstruierte diesem Credo fol-
gend bereits während der Industrialisierung im ausgehenden 19. und frü-
hen 20. Jahrhundert Femininität und Maskulinität als bewusste Gegen-
sätze – eine Entwicklung, die sich mit kleineren Ausnahmen seit über 100
Jahren als weitgehend persistent erweist (vgl. Connell 2000: 209f.) und
sich bspw. in der Werbung für Alkohol niederschlägt (›Frauen trinken Sekt‹,
›Männer trinken Bier‹). Bspw. hat die Werbedarstellung des Bier trinken-
den Mannes eine lange Tradition, die bis ins ausgehende 19. Jahrhundert

163
Florian Diener

zurückreicht (vgl. Tappe 1995: 230ff.). Bierwerbung ist demnach ein nahezu
genuin maskulin besetztes Feld. Auf der anderen Seite wurde Werbung für
Kosmetik bis in die 2000er-Jahre fast ausschließlich von Frauen beworben.
Umso interessanter erscheint vor diesem Hintergrund die Frage, wie die
Kosmetikwerbung den neuen visuellen Repräsentationsherausforderun-
gen, die sich durch eine sukzessive Erschließung des männlichen Klientels
ergeben, begegnet. Spannend ist darüber hinaus, ob sich visuelle Repräsen-
tationen des Maskulinen durch den direkten Vergleich von Kosmetik- und
Bierwerbung diametral gegenüberstehen oder ob vielleicht doch größere
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Schnittmengen festzustellen sind. Anknüpfend an die Arbeiten von Guido


Zurstiege (1998) und Raphaela Dreßler (2011), die bereits eine sukzessive
Ausdifferenzierung des Rollenrepertoires bei der Repräsentation von Mas-
kulinität feststellen konnten, erscheint auch interessant, ob sich in diesem
Zusammenhang visuell reproduzierte Ausdifferenzierungen maskuliner
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Repräsentationen feststellen lassen und ob diese sich als vergeschlechtlichte


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Körper in der »reproduktiven Arena« (Connell 2013: 29) manifestieren.

5. Die visuelle Repräsentation des Alter(n)s

Die kommunikationswissenschaftliche Forschung über mediale Repräsen-


tationen von alten und alternden Körpern führt bislang leider immer noch
ein Schattendasein. Darüber hinaus existieren kaum intersektionale Bei-
träge, die sich mit stereotypen Repräsentationen von Jugend und Alter(n)
in Abhängigkeit von Geschlecht in der Werbung beschäftigen.
Wenngleich sich die kommunikationswissenschaftliche Stereotypenfor-
schung primär mit Repräsentationen von älteren Menschen über 60 Jahren
beschäftigt, weist Martina Thiele darauf hin, dass keine Altersgruppe von
Stereotypisierungen ausgeschlossen ist (vgl. Thiele 2015: 286). Doch ob-
wohl der Fokus wissenschaftlicher Betrachtungen primär auf Repräsenta-
tionen des höheren Alters gerichtet ist, konnten u. a. Jäckel, Derra und Eck
in einer quantitativen Untersuchung aus dem Jahr 2009 feststellen, dass in
der Werbung überproportional junge Menschen in Erscheinung treten. So
waren in rund 1.400 Anzeigen 58,3 Prozent der Personen zwischen 14 und
29 Jahren. Etwas mehr als die Hälfte davon befinden sich tatsächlich nur
in dieser Altersgruppe. Bei den Darstellungen von Alter gibt es ähnliche
Ergebnisse, nur, dass diese reziprok und viel eklatanter ausfallen: Ledig-
lich 5,9 Prozent der abgebildeten Personen in Werbeanzeigen sind 50 Jahre

164
Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung

und älter. Tatsächlich aber waren zum Zeitpunkt der Untersuchung rund
42 Prozent der Bevölkerung über 50 Jahre. Diese Diskrepanz zwischen der
Realität und der Abbildungsrealität, in welcher gerade mal 5,9 Prozent
über 50 Jahre alt sind, eröffnet zahlreiche Fragen über den Umgang mit
Alter und dem Älterwerden in den Mediendarstellungen und in unserer
Gesellschaft im Allgemeinen. Darüber hinaus wurde weiterhin festgestellt,
dass männlichen Darstellern in Werbeanzeigen ein breiteres Altersspek-
trum zugebilligt wird als Darstellerinnen (vgl. Jäckel/Derra/Eck 2009:
28ff.). Ziel der Untersuchung sollte es daher auch sein, die unterschiedli-
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chen Konstruktionsweisen von Maskulinität und stereotyper Schönheit


in Abhängigkeit des Alters auszuleuchten.

6. Visuelle Repräsentationen von Maskulinität und


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Alter(n) im Spannungsfeld zwischen Kosmetik-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

und Bierwerbung

6.1 Methodische Vorgehensweise

Vor diesem Hintergrund wurden die Repräsentationen maskuliner Körper


in zeitgenössischen Werbeanzeigen anhand einer qualitativen Bildinterpre-
tation auf der Grundlage der dokumentarischen Methode nach Bohnsack
(2013) untersucht, wobei die zusammengefassten Ergebnisse nachfolgend
dargelegt werden. Als Untersuchungsgegenstand fungierten insgesamt
59 Werbeanzeigen mit männlichen Protagonisten für Kosmetikprodukte ei-
nerseits und für Bier andererseits. Hierfür dienten die Ausgaben 07/15 – 12/15
der monatlich erscheinenden Zeitschrift Men’s Health aus dem Jahr 2015 sowie
Anzeigen auf den Homepages großer Brauereien und Kosmetikhersteller aus
den Jahren 2013 bis 2015. Dabei wurde die Gesamtheit der Anzeigen durch
Typenbildung zunächst kategorisiert. Für die Untersuchung ausgewählt
wurden jene Anzeigen, die hinsichtlich ihres Motivs und ihrer Repräsentati-
onsweise für den kontemporären Zeitgeist und die Darstellungsweise dieser
Werbebranchen stehen können. Die Auswahl der Branchen Bier und Kos-
metik erfolgte dabei mit dem Ziel, zwei äußerst unterschiedliche Kontexte
maskuliner Körperrepräsentationen gegenüberzustellen. Selbstverständlich
bilden die Branchen keine gegensätzlichen Pole, sondern zeigen vielmehr
ein dynamisches Spannungsfeld auf, in welchem sich Repräsentationen von
maskulinen Körpern in der Werbung heute bewegen.

165
Florian Diener

Besondere Beachtung kam in diesem Zusammenhang der Kategorie


Alter(n) zu, die als weitere Differenzkategorie in die Untersuchung einging.
Ziel der Untersuchung war es, die bislang wenig beachteten Wechselwir-
kungen zwischen den Kategorien Maskulinität und Alter(n) auszuleuch-
ten und auf das neu entstandene Spannungsfeld maskuliner Identitäten
durch die veränderten Darstellungsweisen in der Werbung hinzuweisen.

6.2 Die Kosmetikwerbung


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Mitte der 2000er-Jahre entdeckt die Kosmetikbranche Männer als Konsumen-


ten und eröffnet in diesem Zusammenhang völlig neue Identifikationsräume
maskuliner Körperlichkeit. Besonders auffallend bei der ersten Analyse der
Kontexte und Räume war die Beobachtung, dass sowohl in der Kosmetik-
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als auch in der Bierwerbung Maskulinität im Kontext von Naturräumen


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

repräsentiert wird. Dass Naturräume ein genuin maskuliner Topos sind,


hat bereits Nils Borstnar (2002) bei der Analyse von Parfümwerbung darge-
legt und Cornelia Eck (2008) konnte in einer quantitativen Untersuchung
belegen, dass in Werbeanzeigen weitaus mehr Männer in der freien Natur
abgebildet werden als Frauen. Im Bereich der Kosmetikindustrie bietet die
Natur zudem zahlreiche Möglichkeiten, im Rahmen von sportlichen Aktivi-
täten und/oder geografischen Entgrenzungserfahrungen, den vornehmlich
unbekleideten männlichen Körper in Szene zu setzen: einerseits als Natur-
raum und als Raum der Entgrenzung oder als Zufluchtsort vor dem Alltag.
Dabei wird die Darstellung des Maskulinen häufig zum Teil dieser Natur.

6.2.1 Jugendlichkeit in der Kosmetikwerbung

Eine untersuchte Werbeanzeige für Sonnencreme der Marke Garnier (Abb. 1)


zeigt beispielsweise einen Mann, der einen steilen Berghang über einem
Gewässer zu bezwingen scheint, während er seinen unbekleideten mus-
kulösen Oberkörper präsentiert. Die Kamera ist dabei von oben auf den
Kletternden gerichtet und der Kletterer sieht mit festem Blick nach oben
in die Kamera und stellt somit eine direkte Interaktionssituation zu den
Betrachtenden her. Dabei hält er sich sicher und scheinbar mühelos mit
der rechten Hand an einer Felswand fest, während die linke Hand ein Si-
cherungsseil spannt. Die Situation scheint gefährlich zu sein, doch Körper-

166
Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung

haltung und Blick verdeutlichen den Betrachtenden, dass der Protagonist


die Situation unter Kontrolle hat. Wie Nils Borstnar bereits untersucht
hat, sollen jene Codifizierungen maskuliner Körperlichkeit dabei auf ste-
reotype Praktiken aus der Frühgeschichte der Menschheit verweisen und
erklären die Bezwingung und Erschließung der Natur zum Zweck des ei-
genen Überlebens zu einer maskulin attribuierten Domäne (vgl. Borst-
nar 2002). Auf die gängigen Diskurse körperlicher Stereotype vertrauend,
zeigen derartige werbliche Codifizierungen, dass gezeigte Verhaltenswei-
sen und Körperdarstellungen einerseits ›in der Natur des Mannes‹ liegen
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und darüber hinaus integraler Bestandteil von ›echter Männlichkeit‹ sind.


Damit tragen sie in erheblicher Weise zur Konstruktion von Maskulinität
und deren stereotyper Körperlichkeit sowie zur Reproduktion und Sedi-
mentierung geschlechtsspezifischer Stereotype in unserer Gesellschaft bei.
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Abbildung 1
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Werbung für Sonnencreme der Marke Garnier

Quelle: Men’s Health 11/15

Die abgebildete Person scheint dabei deutlich jünger als 30 Jahre zu sein.
Sowohl Körper als auch Gesicht folgen stereotypen Schönheitsidealen. So-

167
Florian Diener

mit ist Schönheit in diesem Zusammenhang fest mit dem Altersmerkmal


›Jugendlichkeit‹ verbunden. An die dargestellte Jugendlichkeit sind noch
zwei weitere wesentliche Attributionen von Maskulinität in diesem Kon-
text gebunden. Zum einen die Leistungsfähigkeit (welche im Werbetext
mit der Aussage »Konzentrieren Sie sich auf Ihre Leistung« aufgenommen
wird), die für die Durchführung einer solchen Tätigkeit einen trainierten,
leistungsfähigen und eben auch jugendlichen Körper erfordert. Zum an-
deren aber auch die Risikobereitschaft, einen steilen Berghang über einem
Gewässer mit marginalen Sicherungsvorkehrungen zu erklimmen.
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Abbildung 2
Werbung für einen Rasierer speziell für den
männlichen Körper der Marke Gillette
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Quelle: Men’s Health 11/15

Dass die Werbebranche dabei versucht, scheinbare Leistungsfähigkeit


männlicher Körper mit den beworbenen Produkten zu harmonieren bzw.
positive Körperattribute auf das Produkt zu projizieren, scheint sich dabei
als logische Konsequenz zu ergeben. So ist es nicht weiter verwunderlich,
wenn in einem weiteren Beispiel (Abb. 2) Thomas Müller, ein professi-

168
Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung

oneller deutscher Fußballspieler, einen Gillette-Rasierer im Praxistest


bewirbt, der, wie der Werbetext verspricht, speziell »für das männliche
Terrain« entwickelt wurde. Des Weiteren soll das Produkt als »erster Off-
road-Rasierer« der männlichen Zielgruppe zugänglich gemacht werden,
indem die Werbeanzeige die Schwarz-Weiß-Fotografie des oberkörperfreien
Protagonisten abbildet. Die Figur ist zentriert und bildfüllend dargestellt.
Abgebildet ist die obere Hälfte des Torsos, das durch den oberen Bildrand
am Haaransatz angeschnittene Gesicht sowie ein Oberarm des Protago-
nisten. Dieser blickt die Betrachtenden auf gleicher Interaktionshöhe tief
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in die Augen. Der angeschnittene rechte Oberarm ist dabei nach oben an-
gewinkelt, sodass der Blick auf eine unbehaarte Achsel freigegeben wird.
Mit der linken Hand führt Thomas Müller den beworbenen Nassrasierer
über seine rechte Achselhöhle.
Auch in diesem Beispiel werden über verschiedene mediale Codifizie-
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rungen Leistungsfähigkeit und Körperoptimierung kombiniert. Bei dieser


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

häufig angewandten Werbestrategie, die von Winfried Nöth als »indexika-


lischer Zeichengebrauch« (Nöth 1975: 29) bezeichnet wird, werden verbale
und visuelle Eigenschaften und Assoziationen aufgrund der räumlichen
Nähe auf das Produkt übertragen. Im vorliegenden Beispiel werden dabei
einerseits über verbale Termini wie ›Offroad‹ und ›Terrain‹ Assoziationen
mit Naturräumen evoziert. Andererseits erinnern die Begrifflichkeiten an
die Leistungsfähigkeit eines Geländewagens. Dies wird kombiniert mit den
körperlichen Gratifikationen des Fußballprofis, dessen besondere Kompe-
tenz auf dem Gebiet des Nassrasierens nochmals durch die Werbeaussage
»von Profis getestet« unterstrichen wird. Die Bedeutungen dieser verbalen
und ikonischen Zeichen werden durch die räumliche Nähe auf das zu be-
werbende Produkt übertragen, welches aufgrund der Farbgebung bereits
jede Menge Energie bereitzuhalten scheint. Denn grün steht symbolisch
einerseits für die Natur und das Leben und die intensive leicht neongrüne
Variante erinnert andererseits in Verbindung mit der eingesetzten Kom-
bination aus gelb und schwarz an typische Warnfarben aus der Natur, die
Aufmerksamkeit erzeugen sollen. Erwähnenswert in diesem Zusammen-
hang ist auch, dass mit der dargestellten Werbefigur ein muskulöser, also
stereotyp maskulin konnotierter Körper mit sehr weichen und androgy-
nen Gesichtszügen in Verbindung gebracht wird. Erkennbar wird dies
insbesondere durch die vollen, geschwungenen Lippen, die weichen Kon-
turen des Gesichts und die glattrasierte Haut. Es könnte an dieser Stelle
vermutet werden, dass bislang genuin maskuline Körperdarstellungen

169
Florian Diener

mit weiteren emotional besetzten Assoziationen – wie bspw. weiche und


sinnliche Gesichtszüge – angereichert und problemlos in Verbindung
gebracht werden. In weiteren Forschungsarbeiten könnte untersucht wer-
den, ob diese Verknüpfungen in jüngster Zeit keinen Widerspruch mehr
darstellen, sondern Resultat von Diversifizierungen und Konvergenzen
von Körper- und Geschlechteridentitäten sind.
Wie im ersten Beispiel, spielt auch hier das Alter eine tragende Rolle.
Da der Protagonist ein prominenter Fußballspieler ist, kann das Alter zum
Zeitpunkt der Veröffentlichung auf 26 Jahre festgelegt werden. Auch sind
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in vorliegender Werbeanzeige Jugendlichkeit und stereotype Schönheit


untrennbar verbunden. Darüber hinaus repräsentiert ein trainierter Kör-
per die für einen Fußballspieler erforderliche Leistungsfähigkeit. Dabei
wird körperliche Leistungsfähigkeit erneut mit Maskulinität und Jugend-
lichkeit verknüpft.
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Da sich an dieser Stelle ein unmittelbarer Vergleich mit dem Pendant


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

für Konsumentinnen geradezu anbietet, soll hier noch ein Beispiel für die
unterschiedlichen Repräsentationen im Rahmen einer zweigeschlechtlich
organisierten ›Nassrasurwelt‹ geschildert werden. Besonders auffallend bei
der Betrachtung der Aspekte Farbgebung, Sprachgebrauch, Körperhaltung
und Raumaufteilung der repräsentierten Figuren ist die bewusste Konstruk-
tion von Femininität und Maskulinität als Gegenpole: Kontrastierend in der
Farbgebung ist die Werbeanzeige für den Gillette-Rasierer der weiblichen
Kundschaft (Abb. 3) großflächig in zartem rosa (wie der Rasierer selbst) und in
violett gehalten. Auch der ›zielgruppenspezifische Sprachgebrauch‹ könnte
unterschiedlicher kaum sein: Dem ›Offroad‹-Rasierer wird der ›Venus Spa
Breeze‹ gegenübergestellt. Während der Körper des männlichen Models auf-
recht abgebildet nahezu die gesamte Darstellungsfläche einnimmt, ist die
weibliche Figur am linken Bildrand als ganzer Körper dargestellt, die sitzend
die Beine anwinkelt und den Oberkörper nach vorne lehnt – sich also ›klein
macht‹. Der gesamte Körper des weiblichen Models nimmt dabei weniger
als ein Drittel der Fläche ein und ist genauso groß wie der abgebildete Ra-
sierer. Auffällig ist zudem die bereits erwähnte zielgerichtete utilitaristische
Handlung des männlichen Werbeträgers im Gegensatz zu der abgebildeten
weiblichen Berührung, bei welcher das Modell beide Hände schützend über
die Unterschenkel legt. Dies sind nur die auffälligsten Ausprägungen beider
Werbeanzeigen, die nahelegen, dass das sogenannte ›Gender-Marketing‹ in
der Kosmetikindustrie durch Abgrenzung und bewusste Konstruktion von
Geschlecht als Gegensätzlichkeit funktioniert.

170
Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung

Abbildung 3
Werbung für einen Rasierer speziell für den
#weiblichen Körper der Marke Gillette
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Quelle: www.gillettevenus.de

Ein weiterer interessanter Aspekt in diesem Zusammenhang ist, was


Erving Goffman als weibliche Berührung bezeichnet hat. Eine Darstel-
lungskonvention, die seit Jahrzehnten mit einer bestechenden Regelmä-
ßigkeit zu beobachten ist: Frauen werden öfters als Männer abgebildet,
wie sie mit ihren Fingern oder Händen ein Objekt schützend umfassen
oder sich selbst berühren. »Dieses rituelle Berühren unterscheidet sich
vom utilitären Zugriff des Mannes, der anpackt, manipuliert, festhält«
(Goffman 1981: 125). So ist Repräsentation des männlichen Körpers häufig
einem utilitaristischen Prinzip verpflichtet und ein zur Schau gestellter,
trainierter Körper ergibt sich als Folge körperlicher Leistungsfähigkeit,
um deren Demonstration es dabei vordergründig geht.

6.2.2 Alter(n) in der Kosmetikwerbung

Interessant ist weiterhin, dass hinsichtlich körperlicher Alterungspro-


zesse im Kontext von Kosmetikwerbung für die männliche Kundschaft
eine weitaus höhere Flexibilität in der Darstellungsbreite zu existieren
scheint, als dies bei Produkten für Konsumentinnen der Fall ist. Wie deut-
lich zu erkennen ist, weist die Werbefigur von Schwarzkopf (Abb. 4), die
»das Shampoo für den Mann« bewirbt, deutlich erkennbare Zeichen von

171
Florian Diener

Alter auf, was an den hervortretenden Falten auf der Stirn und um die Au-
gen erkennbar wird. Die dargestellte Person befindet sich in einem Alter
zwischen 40 und 45 Jahren und wirkt in ihrer Repräsentation auch nicht
jünger. Das Phänomen, Repräsentationen von Maskulinität nicht verjüngt
darzustellen, wurde im Rahmen der Untersuchung auch bei anderen An-
zeigen für Kosmetikwerbung festgestellt, selbst wenn die beworbenen
Produkte Alterungsprozessen entgegenwirken sollten. Daraus ergibt sich
die Vermutung, dass männlichen Darstellern für Kosmetikwerbung Alte-
rungsprozesse sowie ein höheres Alter (mit den sich daraus ergebenden
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körperlichen Implikationen) visuell zugestanden werden und dass diese


darüber hinaus auch als integraler Bestandteil repräsentierter Schönheit
fungieren können. Maskulinität wird in diesem Zusammenhang nicht mit
Jugendlichkeit und Leistungsfähigkeit verknüpft. Interessant ist hier vor
allem, dass die Repräsentation von Maskulinität gänzlich anders funktio-
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niert als in den zuvor besprochenen Anzeigen. Im Gegensatz zu den wei-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

chen Gesichtszügen kommen in der Werbung von Schwarzkopf kantige


Gesichtszüge mit tieferen Falten und einem vollen Bart zum Einsatz. Es
ist daher anzunehmen, dass Maskulinität im vorliegenden Fall bewusst
über das dargestellte Alter und die damit verbundene mimische Härte zum
Ausdruck kommen soll. Die angedeutete Härte soll sich dabei vermutlich
auch auf den Charakter der Werbefigur übertragen: Der Werbeslogan »Für
Männer, die ihre Probleme einfach runterspülen« weckt Assoziationen zu
dem weit verbreiteten Stereotyp des ›entemotionalisierten Mannes‹ bzw.
›harten Mannes‹, der sich u. a. dadurch auszeichnet, dass dieser Typus
Emotionen nicht verbalisiert, sondern Probleme löst, indem er sie mit
Alkohol ›runterspült‹.
Dies unterstützt die Annahme, dass stereotyp schöne Repräsentationen
im Kosmetikbereich männlichen Körpern mehr visuelle Alterungsanzei-
chen zugestehen als weiblichen Körpern. Doch auch deutlich erkennbar ist,
dass alternde maskuline Körper nicht vor stereotypen Schönheitsidealen
gefeit sind, welche durch die Werbewelt propagiert werden – die analy-
sierten Werbeanzeigen lassen vermuten, dass diese inzwischen sämtliche
Alterskategorien durchdringen: So präsentiert die Werbung maskuline
Körper fortgeschrittenen Alters, die dennoch überdurchschnittlich schön
erscheinen. Anstatt Alterungsprozesse zu negieren, wird Alter in diesem
Kontext zum integralen Bestandteil stereotyper Schönheit.

172
Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung

Abbildung 4
Werbung für Männershampoo der Marke Schwarzkopf
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Quelle: www.schwarzkopfmen.de

6.3 Die Bierwerbung

Während die Kosmetikindustrie erst ab Mitte der 2000er-Jahre den


Mann als potenziellen Kunden entdeckt, blicken Repräsentationen des
Bier trinkenden Mannes in der Werbung bereits auf eine über 100 Jahre
währende Geschichte zurück. So dominieren in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts Repräsentationen, welche die negativen Langzeitfolgen
übermäßigen Alkoholkonsums offenbaren. Der trinkende Mann, den
Werbeplakate zeigen, ist meist ein älterer, oftmals übergewichtiger Herr,
dem die Spuren seiner langjährigen Vorliebe anzusehen sind. Die darge-
stellten Repräsentationen sind unbeeinflusst von Gesund- und Schlank-
heitsidealen und sowohl der Mann unter 30 als auch Frauen führen in
dieser Werbesparte bis in die 1960er-Jahre hinein ein Schattendasein. In
der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird die Repräsentation des Bier
trinkenden Mannes einer Verjüngungs- und Schlankheitskur unterzo-
gen. Biertrinkende in der Werbung werden sukzessiv jugendlich, schlank
und gutaussehend. Die negativen Implikationen eines langfristigen Al-
koholkonsums wurden zwischenzeitlich ausgeklammert und Bier wird
als modernes Lifestyle-Produkt beworben, welches sich problemlos mit

173
Florian Diener

einer schlanken körperlichen Statur verbinden lässt. Des Weiteren sind


erstmals auch Frauen als aktive Biertrinkerinnen abgebildet. Zuvor wur-
den Frauen nahezu ausschließlich als Angehörige gehobener Schichten
dargestellt, die im Rahmen von Feierlichkeiten den Sektgenuss beworben
haben (vgl. Tappe 1995: 230ff.).

6.3.1 Jugendlichkeit in der Bierwerbung


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Die vorliegende Werbekampagne der Brauerei Beck (Abb. 5) präsentiert


beispielsweise männliche und weibliche Personen, die jung, dynamisch
und gutaussehend sind. Wie die vorliegende Anzeige verdeutlicht, avan-
ciert Bier zum Lifestyle-Produkt und wird zum integralen Bestandteil von
Freundschaften, Spaß und Lebensfreude. Und so verspricht die Anzeige
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im Rahmen eines Gewinnspiels auch »Die Nacht Deines Lebens«, wobei


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

das beworbene Bier offensichtlich zentraler Bestandteil dieser Nacht sein


soll. Die Werbedarstellung zeigt jedenfalls eine Gruppe von vier Männern
im Zentrum des Bildes. Sie scheinen sich gerade auf einer belebten Party
zu befinden und stehen bis zur Hüfte in einem Schwimmbecken. Zwei
der vier Männer halten eine Flasche Beck’s in der Hand. Die Szenerie wird
am vorderen rechten Bildrand durch eine sich bereits in der Unschärfe
befindende lächelnde Frau im Bikini begrenzt, die ebenfalls eine Flasche
Beck’s in der Hand hält. Im Hintergrund feiert eine Menschenmenge. Die
Stimmung scheint ausgelassen zu sein, da alle vier Protagonisten sowie
die Frau vorne rechts im Bild lachen. Dabei sind zwei der vier Haupt-
darsteller ohne Oberkörperbekleidung abgebildet und präsentieren den
Betrachtenden ihre trainierten, leistungsfähigen Körper. Anders als in
der Sonnencremewerbung für Garnier (Abb. 1) wird die dargestellte Leis-
tungsfähigkeit der Körper nicht zielgerichtet eingesetzt – vielmehr dient
sie in diesem Kontext als Selbstzweck und kann als Teil der Inszenierung
stereotyper Schönheit angesehen werden. Dabei werden stereotyp schöne
und leistungsfähige Körper erneut mit Jugendlichkeit attribuiert: Keine
der dargestellten Personen scheint älter als 30 Jahre zu sein. Interessant
ist darüber hinaus das Umfeld sozialer Beziehungen: Während in der Kos-
metikwerbung der Mann alleine oder in heterosexuellen Paarbeziehungen
dargestellt wurde, wird der Bier trinkende Mann vorwiegend im Kontext
sozialer Kollektiverfahrungen in der Freizeit, zumeist zusammen mit an-
deren Männern, gezeigt.

174
Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung

Abbildung 5
Werbung für Bier der Marke Beck’s
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Quelle: www.becks.de
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Doch es finden sich in den Anzeigen darüber hinaus auch Repräsenta-


tionen, die in Naturräumen stattfinden: Zu sehen sind Darstellungen im
Kontext von sportlichen Aktivitäten (z. B. Bitburger, Holsten) oder Dar-
stellungen, die Maskulinität durch das Grillen von Fleisch in Szene setzen,
wie Beispiele der Biermarken Holsten (Abb. 6) oder Feldschlösschen ver-
deutlichen. So bildet die Biermarke Holsten auf einer Werbeanzeige drei
Männer am Grill ab. Während der mittlere Darsteller nicht ohne Stolz den
Betrachtenden ein äußerst großes, rohes Steak auf einem Grillrost entge-
genhält, halten die beiden anderen jeweils eine Flasche Bier in der Hand.
Der Werbespruch »Auf das Tier zum Bier« verweist auf den Ursprung des
Grillguts, welches scheinbar zunächst gejagt und erlegt werden musste.
Dabei sorgt die Kameraperspektive (Low-Angle-Shot) für eine heroische
und heldenhafte Inszenierung und deutet damit an, dass die dargestellte
Gruppe heldenhafte Jagdleistungen vollbracht haben könnte. Der Slogan
von Holsten »Auf uns, Männer.« will darüber hinaus eine Gemeinschaft
begründen, die ausschließlich über eine distinkte geschlechtliche Abgren-
zung zum Weiblichen funktioniert. So werden mithilfe sprachlicher und
visueller Codifizierungen stereotype Praktiken aus der Ära des Jagens und
Sammelns unmittelbar von der Steinzeit in die Gegenwart transferiert.
Doch da der urbane Jäger der zivilisierten westlichen Welt seine Beute heut-
zutage im Supermarkt vorfindet und dies die Leistung des »Grillheldens«
(Feldschlösschen Werbung) unterminieren würde, wird dieser Handlungs-
strang ausgespart und der Endzustand einer gelungenen Jagd präsentiert:

175
Florian Diener

Der Mann als inszenierter Held am Grill. Interessant ist weiterhin, dass die
Protagonisten zwar noch recht jung sind; auf stereotype Schönheitsmerk-
male und die Präsentationen eines leistungsfähigen Körpers (welcher ja
schließlich zum ›Erlegen des Tieres‹ ggf. erforderlich wäre) in diesem Fall
allerdings verzichtet wurde.

Abbildung 6
Werbung für Bier der Marke Holsten
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Quelle: www.holsten.de

6.3.2 Alter(n) in der Bierwerbung

Was die Repräsentation von älteren Personen anbelangt, muss erwähnt


werden, dass nicht nur unimodale Körperkonzepte zum Tragen kommen,
sondern auch positive und entwaffnend ehrliche Konstruktionen von mas-
kuliner Körperlichkeit existieren. So zeigt die Biermarke Karlsberg Urpils
in einer ihrer Werbekampagnen zahlreiche Werbedarstellungen älterer

176
Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung

Männer, die im Gegensatz zu den gängigen Körperrepräsentationen auf


sämtliche Formen stereotyper Schönheit verzichten.
So sind in der vorliegenden Werbeanzeige drei ältere Männer abgebil-
det, die sich gerade in einem beengten Innenraum – vermutlich einem
Campingwagen – befinden. Alle drei Männer blicken recht ausdruckslos
und eher ernst in die Kamera. Auf der gehäkelten Tischdecke stehen drei
geöffnete Flaschen Karlsberg Urpils. Die Szenerie wirkt authentisch: Auf
die Verwendung eines besonderen Ortes wie bei der Werbedarstellung von
Beck’s und auf die Repräsentation von stereotyp schönen oder idealisier-
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ten Körpern wurde scheinbar bewusst verzichtet. Alle dargestellten Män-


ner sind bereits über 65 Jahre und stellen deutliche Erscheinungen eines
fortgeschrittenen Alters nüchtern zur Schau. Der Werbespruch »Extase.«
kontrastiert bewusst die dargestellte Szenerie.
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Abbildung 7
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Werbung für Bier der Marke Karlsberg Urpils

Quelle: www.karlsberg.de

Wenngleich im humoristischen Milieu verortet, halten Darstellungen


von älteren Herren bei einer Runde Bier in einem Campingwagen oder
auch auf einer Gartenbank weit verbreiteten stereotypen Körperidealen in
der Werbung den Spiegel vor und vermeiden dabei die Darstellung unre-
alistischer Körperkonzeptionen. Dabei wird die Repräsentation von Alter
in diesem Zusammenhang nicht an stereotype Konzepte von Schönheit

177
Florian Diener

oder Leistungsfähigkeit gekoppelt und erwecken gerade wegen ihrer un-


konventionellen Darstellungsweise ein hohes Maß an Aufmerksamkeit.

7. Maskuline Repräsentation im Spagat?


Eine Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass maskuline Körperreprä-


sentationen in der Werbung heutzutage genauso diversifiziert sind wie
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die Identitätskonzepte, die sie offerieren. Vor allem sind in den letzten
Jahren in der Kosmetikbranche neue Repräsentationen von Maskulinität
erkennbar: So verbreitert sich der Gestaltungsrahmen maskuliner Kör-
peridentitäten bspw. um androgyne Darstellungsweisen. Dabei ist bedingt
zu beobachten, dass Repräsentationen von Femininität und Maskulinität
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in androgynen Konzepten zwar konvergieren. Allerdings kann dies nicht


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

auf die dargestellten Konzepte von Frauen und Männern in der Werbung
übertragen werden: Hier wird Geschlecht als bewusster Gegensatz vermit-
telt, was nicht zuletzt im ausgeprägten Gender-Marketing zum Vorschein
kommt. Wie bereits erwähnt, hat dabei die Abgrenzung zum Weiblichen
zur Legitimation des Männlichen eine lange Tradition: Denn Männer be-
nötigen anderes Shampoo und andere Rasierer – dies will zumindest die
Werbung glaubhaft vermitteln.
In beiden Branchen funktioniert die Repräsentation von Maskulini-
tät recht gut im Kontext von Naturräumen, die den Mann als Helden und
Bezwinger der Natur in Szene setzen können. Dabei dient die Natur als
Raum der Entgrenzung, als Zufluchtsort vor dem urbanen Alltag und als
natürliches Terrain des Mannes. Wie die Untersuchung gezeigt hat, tritt
Maskulinität oft in distinkten Geschlechtersphären in Erscheinung. Es
werden dabei häufig trainierte Körper zur Schau gestellt, welche stereo-
typ ›echte Männlichkeit‹ ausdrücken sollen. Insgesamt wird bei beiden
Branchen deutlich, dass vor allem junge männliche Körper leistungsfähig
sein müssen, um dem stereotypen Ideal von Maskulinität zu entsprechen.
Dabei dient die Repräsentation eines leistungsfähigen Körpers einerseits
der Verifikation von Maskulinität und ist andererseits bei der Repräsen-
tation junger Werbeträger integraler Bestandteil stereotyper Schönheit.
Was Darstellungen von alt(ernd)en Personen anbelangt, zeigen sich in-
teressante Erkenntnisse: In den Werbeanzeigen der Untersuchung räum-
ten medial vermittelte stereotype Schönheitsideale männlichen Körpern

178
Maskulinität im Spagat? Repräsentationen von Männlichkeit zwischen Jugend und Alter(n) im
Spannungsfeld der Bier- und Kosmetikwerbung

einen größeren Raum für Alter ein – Falten oder andere erkennbare Zei-
chen von Alter und stereotype Schönheit schließen sich dabei nicht aus.
Das Alter selbst wird mitunter zum integralen Bestandteil von Schönheit.
Auch existieren bei Repräsentationen von Maskulinität auch Körperdar-
stellungen, die nicht den kontemporären, normativen Schönheitsidealen
entsprechen und somit an der Diversifizierung repräsentierter Körper­
identitäten mitwirken.
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Ronja Röckemann

Online-Bewertung von Prostitution/


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Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen


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1. Einleitung

In öffentlichen Debatten um Prostitution/Sexarbeit ist sowohl internati-


onal als auch in Deutschland in den letzten Jahren ein verstärkter Blick
auf die Nachfrageseite, also auf Freier, zu beobachten. Begründet ist dies
insbesondere durch eine zunehmende internationale Verbreitung des
sogenannten ›Schwedischen Modells‹. Nach diesem ist die Inanspruch-
nahme von Prostitution/Sexarbeit verboten, das Anbieten jedoch erlaubt.
Eine Resolution des EU-Parlaments (2014) plädiert für die Einführung
dieses Sexkaufverbots in allen EU-Mitgliedsstaaten. Bisher ist es in Eu-
ropa in unterschiedlichen Ausprägungen in Schweden, Island, Norwegen,
Frankreich, Litauen und Irland eingeführt worden. Auch in Deutschland
wurden im Zuge langjähriger Debatten um eine Reform des ›Prostitutions-
gesetzes‹ aus dem Jahr 2002 sowie um eine Reform der Strafgesetzgebung
zum Menschenhandel unterschiedliche Formen einer möglichen Freier-
bestrafung diskutiert. Im Jahr 2016 wurde schließlich eine Strafbarkeit des
wissentlichen Besuchs von Betroffenen von Menschenhandel zur sexuellen
Ausbeutung festgeschrieben (vgl. §232a Abs.6 StGB). Zudem enthält das
sogenannte ›Prostituiertenschutzgesetz‹, das seit dem 01. Juli 2017 in Kraft ist,
in Bezug auf Freier eine Kondompflicht. Nach dieser können Freier, die
sexuelle Praktiken ohne Kondom nachfragen, mit einem Bußgeld von bis
zu 50.000 Euro bestraft werden.

182
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen

Der vorliegende Aufsatz beruht auf einem Forschungsprojekt, das die


im Kontext der Aushandlungsprozesse zu diesen Gesetzgebungen me-
dienöffentlich (re)produzierten Deutungsmuster zur Frage der Legitimität
des Freier-Seins und bestimmter Verhaltensweisen von Freiern analysiert.
Eine Grundannahme ist, dass medienöffentliche Diskurse Einfluss auf das
›Freier-Werden‹ und Freierverhalten haben: Sie können das Selbstverständ-
nis von Freiern, ihr Fremdverständnis von Personen, die in der Prostitu-
tion/Sexarbeit tätig sind sowie das Verständnis dessen prägen, was ihnen
als ein ›normales‹ oder auch ›inakzeptables‹ Freierverhalten erscheint.
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Das übergeordnete Forschungsprojekt untersucht vor diesem Hinter-


grund eine große Bandbreite an Material aus den Jahren 2010 bis 2017, in
dem männliche Prostitutions-/Sexarbeitsnachfrage beschrieben und/oder
visualisiert wurde. Zudem bezieht das Projekt solches Material ein, in dem
Freier explizit als Zielgruppe angesprochen wurden, darunter auch Freier­
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foren.1 Letztere stehen im Zentrum des vorliegenden Aufsatzes. Es han-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

delt sich bei Freierforen um Online-Foren, in denen Freier in sogenannten


›Berichten‹ ihre Besuche bei Personen, die in der Prostitution/Sexarbeit
tätig sind, beschreiben und bewerten. Darüber hinaus tauschen sich die
Forenschreiber in Diskussions-Threads über diverse Themen aus, die mit
ihrer Prostitutions-/Sexarbeitsnachfrage verbunden sind.
Diese Freierforen werden aus unterschiedlichen Diskurspositionen he-
raus stark kritisiert. Aus der Position heraus, die das Sexkaufverbot nach
schwedischem Vorbild mit dem Ziel der Abschaffung der Prostitution/Sex-
arbeit fordert, gelten Freierforen als der unbestreitbare Beweis, dass Freier
Prostituierte/Sexarbeiter*innen als reine Sex-Objekte betrachten: »Für
sie sind diese Frauen nur Objekte […]. Die Foren, in denen sie sich austau-
schen, nennen sich ›Hurentest‹ […]. Es wird nicht wahrgenommen, dass
sie keine Ware, kein Produkt sind […]« (Sigel 2016). Und auch ein Mitglied
des Berufsverbandes für erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD), der sich für
eine umfassende Entkriminalisierung und arbeitsrechtliche Regelung von
Prostitution/Sexarbeit engagiert, schreibt auf ihrem Blog: »Mir stellt sich
beim Lesen allerdings schon die Frage, wie Männer gestrickt sein müssen,

1 Das Untersuchungsmaterial umfasst unter anderem Zeitungsartikel, TV-Dokumentationen und


-Talkshows, Online-Werbung für Prostitution/Sexarbeit, Blog-Einträge diverser Aktivist*innen,
Straßenplakate und Online-Diskussionen. Bei dem Material, das sich an Freier als Zielgruppe
wendet, handelt es sich neben den Freierforen insbesondere um Werbung für Prostitution/
Sexarbeit sowie Aufklärungskampagnen.

183
Ronja Röckemann

um in derart entwürdigender, erniedrigender und herablassender Weise


über ihre Sex-Abenteuer zu berichten« (Lady Tanja 2014).
Der vorliegende Beitrag geht der in diesen Zitaten angesprochenen
›Erniedrigung‹ oder ›Objektifizierung‹ in Freierforen theoretisch und
empirisch fundiert nach. Er fragt, inwiefern und auf welche Weisen die Sub-
jektivität von Personen, die in der Prostitution/Sexarbeit tätig sind, in
Freierforen geleugnet oder missachtet wird. Er fragt außerdem, wie solche
Subjekt-Missachtungen in den Foren legitimiert werden. Hinsichtlich der
übergeordneten Frage des Forschungsprojekts sind die Antworten auf diese
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Fragen von besonderem Interesse. Denn eine in Freierforen legitimierte


›Erniedrigung‹ und/oder ›Objektifizierung‹ könnte ein gewaltvolles und
abschätziges Verhalten gegenüber Personen, die in der Prostitution/Sex-
arbeit tätig sind, diskursiv legitimieren und damit begünstigen.
Es wurden für den vorliegenden Aufsatz 400 Threads aus vier unter-
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schiedlichen Freierforen untersucht. Analysiert wurden vorrangig Be-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

zeichnungen, Beschreibungen und visuelle Repräsentationen der jeweili-


gen Personen mit besonderem Fokus auf Körper-Darstellungen. Daneben
wurden noch weitere Dimensionen der Foren untersucht, die in Kapitel 2
genauer erläutert werden. Abschnitt 3 stellt anschließend die für den Auf-
satz zentralen theoretischen Konzepte der ›Objektifizierung‹ (Nussbaum
2002; LeMoncheck 1985) und ›Derivatisierung‹ (Cahill 2011) vor. Hierbei
wird verdeutlicht, welche Ebenen und Formen der Missachtung mensch-
licher Subjektivität bei der Analyse unterschieden wurden. Kapitel 4 prä-
sentiert im Anschluss ausgewählte Analyseergebnisse. Ein Fazit ordnet
diese hinsichtlich der Frage des übergeordneten Forschungsprojekts ein.

Vorbemerkung zur eigenen Begriffswahl

Eine diskursanalytische Arbeit ist in besonderem Maße angehalten, die


eigene Wahl zentraler Begriffe und Bezeichnungen zu reflektieren. Dies
soll an dieser Stelle in aller Kürze erfolgen.
Zunächst werden bei der Analyse i. d. R. keine geschlechtsneutralen
Personenbezeichnungen genutzt, da in der Empirie der Foren selbst eine
klare Unterscheidung von schreibenden bzw. bewertenden Männern auf
der einen und beschriebenen bzw. bewerteten Frauen und z. T. Trans-
frauen auf der anderen Seite existiert. Die im Beitrag analysierten Foren
bezeichnen sich selbst als Foren »für Herren unterschiedlichster Couleur«
(Forum Freiercafé 2009) oder als »primär ein heterosexuelles Männer-

184
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen

Forum« (Forum Lusthaus 2017a). Die in den untersuchten Freier-Be-


richten beschriebenen Personen werden ausschließlich als weiblich (›sie‹,
›-in‹) bezeichnet.2
Hinsichtlich der Bezeichnung der Personen, die in Freierforen beschrie-
ben werden, würde jegliche in diesem Aufsatz gewählte einheitliche Be-
zeichnung einem unbestimmbar großen Teil der Realitäten und Selbst-
verständnisse dieser Personen nicht gerecht werden. Es soll im vorliegen-
den Beitrag weder zu einer Stigmatisierung der Tätigkeit noch zu einer
Verharmlosung bestehender Realitäten innerhalb des Feldes beigetragen
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werden – wie Menschenhandel, Zuhälterei und/oder der Wahl der Tätigkeit


auf Basis eines psychisch, sozial oder ökonomisch stark eingeschränkten
Wahlspektrums. Es wird daher i. d. R. von ›in der Prostitution/Sexarbeit tä-
tigen Personen‹ oder von den ›in den Berichten Beschriebenen‹ gesprochen.
Auch ›Freier‹ sind eine heterogene Gruppe, in welcher unterschiedliche
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Motiv- und Verhaltenstypen erkennbar sind (vgl. z. B. Gerheim 2012). Im


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

vorliegenden Beitrag kann und soll jedoch keine Typisierung der Foren-
schreiber geleistet werden, sodass der Begriff ›Freier‹ z. T. generalisierend
gebraucht wird. Gleichzeitig sollen die Nutzer von Freierforen nicht mit
der Gesamtheit aller Freier in Deutschland gleichgesetzt werden. Daher
wird im vorliegenden Beitrag meist auf den Begriff der ›Forenschreiber‹
zurückgegriffen.

2. Methodik

Die analytische Vorgehensweise richtete sich nach dem Forschungspro-


gramm der Grounded Theory (vgl. Krotz 2005). In sieben Durchgängen
der Datenerhebung und -auswertung wurde Material aus vier Freierfo-
ren erhoben. Die jeweils erarbeiteten Antworten auf die Forschungsfrage
wurden so an immer neuem Material geprüft und weiterentwickelt. Bei
der parallel durchgeführten Literaturarbeit wurde vorrangig gefragt, in-

2 Es sei darauf hingewiesen, dass es für den vorliegenden Beitrag nicht relevant ist, wie viele
Frauen möglicherweise ›verdeckt‹ in den Foren schreiben und lesen, sondern welche Deutung
der Geschlechterverteilung suggeriert wird. Das selbstverständliche Voraussetzen einer männ-
lichen Zielgruppe und der Ausschluss von Frauen stellt eine Aktualisierung der geschlechts-
spezifischen Ungleichheit in der Prostitution/Sexarbeit dar. Sollten subjekt-missachtende
Beiträge von anderen Beteiligten als von Freiern stammen, bleibt das Deutungsangebot an
die Forenlesenden dennoch, dass es sich um Äußerungen von ›Mit-Freiern‹ handelt.

185
Ronja Röckemann

wiefern theoretische Konzepte zur präziseren Beschreibung der Empirie


beitragen konnten (siehe Kap. 3).
Bei den gewählten Foren handelt es sich um die Foren Lustscout (LS), Frei-
ercafé (FC), Bordellcommunity (BC) und Lusthaus (LH). Es wurde angestrebt, Fo-
ren unterschiedlicher Größe und von unterschiedlichen Betreiber*innen zu
betrachten. Die drei erstgenannten Foren haben 11.427, 25.687 und 50.828
registrierte Mitglieder (laut Forumsstatistik, Stand 11/2017). Das Lusthaus-
Forum gibt keine Mitgliederzahlen an. Hinweise darauf, dass die Foren von
unterschiedlichen Betreiber*innen stammen, sind ein unterschiedliches
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Erscheinungsbild – sie nutzen jeweils andere Forensoftware – und un-


terschiedliche Foren-Selbstbeschreibungen, z. B. als »Real-Community«
(FC) oder »Hurenforum OHNE Zensur« (LH).3 In die Analyse wurden aus-
schließlich solche Inhalte einbezogen, die ohne Zugangsbeschränkung
internet-öffentlich frei einsehbar sind.
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In den sieben Durchgängen der Datenerhebung wurden insgesamt 400


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Threads erhoben. Es handelt sich um Gesprächsfäden aus allen Rubriken der


Foren: Berichts-Threads aus unterschiedlichen Segmenten der Prostitution/
Sexarbeit (z. B. Clubs, Wohnungsprostitution, Straßenstrich, BDSM) sowie
diverse Umfrage- und Diskussions-Threads. Die untersuchten Gesprächs-
fäden beinhalten dabei unterschiedlich viele Posts: von einem bis zu 162.4
Bei den Berichts-Threads wurden sowohl solche gewählt, deren Titel eine
positive als auch solche, die eine negative Bewertung im ›Bericht‹ erwar-
ten ließen (z. B. angezeigt durch Marker im Titel wie ›tolles Erlebnis‹ oder
›Reinfall‹). Es wurden solche Threads gewählt, deren Anfangsposts zwi-
schen 2010 und 2017 lagen. Neben den Fließtexten wurden auch Profilbilder,
Nicknames und Signaturen der User in die Analyse einbezogen. Visuelle
Repräsentationen galten als dem Text gleichwertige Deutungsangebote.
Die Analyse der Personenbezeichnungen, -beschreibungen und -visua-
lisierungen stand im Vordergrund der Untersuchung. Um die genannte
Forschungsfrage jedoch umfassend beantworten zu können, wurden dar-
über hinaus auch andere Dimensionen in den Blick genommen: Innerhalb

3 Die Foren geben jedoch keine nachprüfbaren Betreiber*innen an. Dort, wo Betreiber*innen an-
gegeben werden, werden diese als in Panama angesiedelt ausgewiesen. Es werden wechselnde
Adressen angegeben. Der Produktionsebene der Foren kann im vorliegenden Beitrag – der
die Inhaltsebene fokussiert – jedoch nicht nachgegangen werden.
4 Im BC-Forum sind ohne Registrierung nur die Anfangsberichte bzw. Diskussionsfragen/-anlässe
sichtbar.

186
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen

der Berichte wurden auch die Sexakt-Beschreibungen analysiert, da die


darin enthaltenen Verhaltensbeschreibungen viele Hinweise auf den als
achtenswert präsentierten Subjekt-Status enthalten. Zudem wurden die
Seitenstruktur (z. B. das Verhältnis von Berichts-Threads zu Diskussions-
Threads), die Selbstbeschreibungstexte und die ›Forumsregeln‹ hinsicht-
lich der Fragestellung analysiert. Zusammenfassend lässt sich also sagen,
dass innerhalb der vier Foren von der großen Struktur bis zum einzelnen
Profilbild alle Faktoren einbezogen wurden, die zur Beantwortung der
Forschungsfrage als relevant erschienen.
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3. Theoretische Konzepte der ›Objektifizierung‹


und ›Derivatisierung‹
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Im folgenden Abschnitt werden die für den Aufsatz zentralen theoretischen


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Konzeptionen der ›Objektifizierung‹ von Martha Nussbaum (2002) und


Linda LeMoncheck (1985) vorgestellt. Auf ihrer Basis werden anschließend
in Abschnitt 3.2 Analyseebenen und -begriffe entwickelt, die dazu dienen
sollen, Subjekt-Missachtungen in Freierforen in Kapitel 4 differenziert
beschreiben zu können. Um bei der Interpretation der empirischen Ergeb-
nisse treffend charakterisieren zu können, warum diese Subjekt-Missach-
tungen moralisch kritikwürdig sind, wird der theoretische Rahmen des
vorliegenden Beitrags in Abschnitt 3.3 um das theoretische Konzept der
›Derivatisierung‹ nach Cahill (2011) ergänzt.

3.1 ›Objektifizierung‹ nach Nussbaum und LeMoncheck

Martha Nussbaum (2002) unterscheidet in ihrem Aufsatz Verdinglichung


(englisch: Objectification) sieben »Möglichkeiten, eine Person als Ding zu
behandeln« (Nussbaum 2002: 102). Die erste Möglichkeit bezeichnet sie
im Anschluss an Kant (2000) als Instrumentalisierung: »Das Objekt wird von
der verdinglichenden Instanz als Werkzeug behandelt, das ihren Zwecken
dienen soll« (Nussbaum 2002: 102). Unter Leugnung der Autonomie definiert
sie, dass jemand behandelt wird, als fehle ihm jegliche Autonomie (vgl.
ebd.: 102), Trägheit beschreibt die Möglichkeit, jemanden zu behandeln, »als
fehle es ihm an Handlungsfähigkeit [englisch: Agency] und vielleicht auch
Aktivität« (ebd.: 102). Die vierte Möglichkeit, eine Person als Objekt zu be-

187
Ronja Röckemann

handeln, nennt Nussbaum Austauschbarkeit: Das vermeintliche Objekt wird


behandelt, »als sei es (a) mit anderen Dingen desselben Typs und/oder (b)
mit Dingen eines anderen Typs austauschbar« (ebd.). Verletzbarkeit bedeutet
nach Nussbaum, dass das vermeintliche Objekt von einer verdinglichenden
Instanz so behandelt wird, »als brauchten seine Grenzen nicht respektiert
zu werden, als handle es sich um etwas, das man zerbrechen, zerschlagen
oder aufbrechen darf« (ebd.). Als Besitzverhältnis definiert sie, dass jemand
als etwas behandelt wird, das einem anderen gehören kann, das ge- oder
verkauft werden kann (vgl. ebd.). Mit Leugnung der Subjektivität beschreibt
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sie schließlich eine Behandlung einer Person als etwas, dessen Erleben und
Fühlen als nicht vorhanden oder als legitim ignorierbar erscheint (vgl. ebd.).
Linda LeMoncheck (1985) fragt in Dehumanizing Women: Treating Persons as
Sex Objects in Hinblick auf eine Definition nicht, auf welche Weisen Menschen
›wie Objekte‹ behandelt werden, sondern welche distinkt menschlichen Fähig­
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keiten einer Person abgesprochen werden. Genauer geht es ihr um solche


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Eigenschaften, auf denen die Rechte einer Person beruhen: »She is treated
as if she lacked one or more of the distinctive human capacities upon which
her rights to a certain level of well-being and freedom are based« (LeMon-
check 1985: 29). Zu diesen Kapazitäten zählt sie unter anderem Ich-Bewusst-
sein und Selbstreflexion und betont: »The capacity for self-consciousness
is also necessary for persons to feel things as shame, embarrassment, and
humiliation« (ebd.: 16). Wie LeMoncheck selbst schreibt, ist der Begriff der
›Objektifizierung‹ in vielen Fällen, in denen solche menschlichen Kapazi-
täten geleugnet oder missachtet werden, fehlleitend. Es handele sich häufig
vielmehr um eine Degradierung auf den Status eines geringeren, moralisch
nicht gleichwertigen Subjekts (s. Kap. 3.3).

3.2 Kritik, Anpassung und Zusammenführung

An Nussbaums Ausführungen wurde insbesondere der Begriff der ›Au-


tonomie‹ kritisiert (vgl. zur Übersicht Cahill 2011: 21ff.): Dieser baue auf
einem Verständnis einer Trennbarkeit von Körper und Geist (Dualismus)
sowie auf der Kantianischen Annahme einer Überlegenheit des Geistes über
den Körper auf. Die von Nussbaum genannte Objektifizierungsform der
›Leugnung der Autonomie‹ könne treffender als Leugnung bzw. Missach-
tung von ›Agency‹ im Sinne einer Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit
bezeichnet werden.

188
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen

Den genannten Begriff der ›Agency‹ nennt Nussbaum wiederum als


Teil der Objektifizierungsform der ›Trägheit‹ und verbindet ihn mit
dem Begriff der ›Aktivität‹. Letztere Eigenschaft vermag die Kategorie
der ›Trägheit‹ jedoch auch ohne den Begriff der ›Agency‹ sinnvoll zu
definieren, sodass diese Kategorie umformuliert wie folgt lauten kann:
Eine Person wird dargestellt, als sei sie rein passiv bzw. als fehle ihr die
Kapazität zur Aktivität aus eigener Kraft. Hervorzuheben ist dabei, dass
es sich bei der so definierten Kategorie der ›Trägheit‹ um die einzige der
von Nussbaum angeführten Objektifizierungsformen handelt, die not-
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wendigerweise mit einer Zuschreibung von Leblosigkeit bzw. Objekt-


haftigkeit einhergeht.5
Des Weiteren fällt bei den oben angeführten Konzepten der ›Objek-
tifizierung‹ auf, dass weder Nussbaum noch LeMoncheck zwischen der
Reduktion auf den Status von Tieren und dem von Objekten unterschei-
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den. Empfindungs- und Leidfähigkeit (Sentience) haben Menschen jedoch


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

mit sehr vielen Tieren (bzw. non-human-animals) gemeinsam (vgl. Sin-


ger 2013: 98ff.). ›Sentience‹ kann demnach als Eigenschaft zwischen der
reinen Lebendigkeit und solchem Subjekt-Sein angesiedelt werden, das
Menschenrechte bedingt. Eine Hervorhebung der Bedeutung der Kate-
gorie der ›Sentience‹ (bei Nussbaum ›Leugnung der Subjektivität‹) macht
gleichzeitig deutlich, dass Eigenschaften nicht distinkt menschlich sein
müssen, um ihre Leugnung oder Missachtung moralisch fragwürdig er-
scheinen zu lassen.
Für den vorliegenden Aufsatz wurden die genannten Kritikpunkte inte-
griert und die von Nussbaum und LeMoncheck differenzierten Kategorien
neu gruppiert und hierarchisiert. Es werden vier Ebenen unterschieden, auf
denen zentrale Eigenschaften der in Freierforen Beschriebenen und Gezeig-
ten als menschliche Subjekte geleugnet bzw. missachtet werden können.
1. Lebendigkeit: Auf der ersten Ebene werden Eigenschaften missachtet,
die alle Lebewesen von Gegenständen unterscheiden. Dabei stellt das

5 Es soll an dieser Stelle keine umfassende Erörterung der Definition von ›Leben‹ erfolgen. Für
den vorliegenden Beitrag ist entscheidend, dass etwas, das vollständig inaktiv ist (dies umfasst
die Tatsache, dass keine Stoffwechselprozesse stattfinden), nicht als Lebewesen zu definieren
ist. Aktivität ist also eine notwendige Bedingung der Definition als Lebewesen. Es sei jedoch
darauf hingewiesen, dass es sich nicht um eine hinreichende Bedingung handelt (dies zeigen
z. B. Maschinen).

189
Ronja Röckemann

Abschreiben der Kapazität zur Aktivität aus eigener Kraft im vorlie-


genden Aufsatz den bedeutendsten Indikator dar (vgl. ›Trägheit‹).
2. Sentience: Auf der zweiten Ebene wird das Empfindungs- und damit
das Leidvermögen missachtet, das Menschen und viele Tiere von
anderen Lebewesen unterscheidet (vgl. ›Leugnung der Subjektivi-
tät‹). Es kann sich dabei unter anderem um solcherart Darstellun-
gen handeln, in der eine Person als legitim verletzbar gedeutet wird
(vgl. ›Verletzbarkeit‹).
3. Menschliche kognitive Kapazitäten: Auf der dritten Ebene werden sol-
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che kognitiven Kapazitäten geleugnet oder missachtet, auf denen


distinkt menschliche Rechte beruhen – z. B. Agency und Reflexion
über die eigene Situation (vgl. ›Leugnung der Autonomie‹ bei Nuss-
baum; ›distinkt menschliche Kapazitäten‹ bei LeMoncheck).
4. Rechte: Auf der letzten Ebene werden normativ gesetzte Forderun-
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gen missachtet, wie Personen nicht behandelt werden dürfen, weil


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

sie Menschen sind – also weil sie die Eigenschaften der unteren
drei Ebenen vereinen. Hervorzuheben ist hierbei die Forderung
nach Achtung von Menschenwürde, welche die Forderung nach
›Nicht-Instrumentalisierung‹ und ›Nicht-Austauschbarkeit‹ um-
fasst.6 Weitere grundlegende Normen sind das Recht auf allgemeine
Handlungsfähigkeit (vgl. ›Besitzbarkeit‹) und auf körperliche Un-
versehrtheit (vgl. ›Verletzbarkeit‹). Es gibt neben diesen grundlegen-
den normativen Zuschreibungen eine hier nicht aufzählbare Vielfalt
an – höchst wandelbaren – Rechten von Personen.
Eine Missachtung von Eigenschaften auf einer der unteren drei Ebe-
nen impliziert i. d. R. gleichzeitig eine Missachtung der Eigenschaften der
darüber liegenden Ebenen. Wenn eine Person also als Objekt bezeichnet
wird, bedeutet dies neben der Tatsache, dass sie mit etwas nicht Lebendi-
gem gleichgesetzt wird (Ebene 1), unter anderem auch, dass sie als nicht
empfindend (Ebene 2), nicht entscheidungsfähig und nicht Ich-bewusst
(Ebene 3) sowie als nicht Rechte-innehabend (Ebene 4) bezeichnet wird.
Wie jedoch auch LeMoncheck und Nussbaum betonen, ist bei einer Ana-
lyse stets danach zu fragen, in welchem Gesamtkontext eine Bezeichnung,

6 Instrumentalisierung und Austauschbarkeit vereinen die auf Kant zurückgehende Formulie-


rung, dass ein Mensch nicht als ein reines Mittel zum Zweck, sondern immer auch als Zweck
an sich zu sehen ist (vgl. Kant 2000: 66f.). Hierauf bezieht sich inhaltlich auch die deutsche
Rechtsprechung zur Menschenwürde (›Objektformel‹).

190
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen

visuelle Darstellung oder auch Behandlung erfolgt. Begriffliche Objekt-


Gleichsetzungen sind zweifellos in der Alltagsprache sehr verbreitet – etwa
wenn Eltern ihr Kind ›Schatz‹ nennen. Um treffender aufzeigen zu kön-
nen, was an einer Äußerung oder Behandlung, die als ›objektifizierend‹
kritisiert wird, das moralisch Kritische ist, soll im folgenden Abschnitt das
Konzept der ›Derivatisierung‹ hinzugezogen werden.

3.3 ›Derivatisierung‹ nach Cahill


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Ann J. Cahill (2011) kritisiert in ihrem Buch Overcoming Objectification, dass


der Begriff der ›Objektifizierung‹ der Tatsache nicht gerecht wird, dass
Menschen tatsächlich als Körper materiell-objekthaft sind. Unter anderem
durch den oft erfolgenden Fokus auf die Kritik an einer ›Reduzierung von
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Personen auf ihren Körper‹ entstünden viele Schieflagen in der Interpreta-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

tion dessen, was an den jeweiligen Situationen das moralisch Fragwürdige


sei. Insbesondere beruhe die von Nussbaum im Anschluss an Kant hervor-
gehobene, zentrale Objektifizierungskategorie der ›Ins­trumentalisierung‹
zu sehr auf einer solchen Kritik des (Aus-)Nutzens der Materialität des ande-
ren Körpers: »In fact, what is often exploited or used [is not the] woman’s
body as body, as thing: it is her body as subject, as the site of her sentience
and her potential for agency« (Cahill 2011: 35). Cahill führt weiter aus, dass
Personen – besonders häufig Frauen – die auf Arten und Weisen betrachtet
oder behandelt werden, die als ›objektifizierend‹ bezeichnet werden, eine
bestimmte Art von Subjektivität zugeschrieben werde: »a subjectivity that
is stunned, or muted, […] but a subjectivity nonetheless« (ebd.: 33). Dies
ist der Interpretation LeMonchecks ähnlich, dass eine Degradierung auf
den Status eines moralisch nicht gleichwertigen Subjekts erfolgt. Während
bei LeMoncheck jedoch das Abschreiben bestimmter menschlicher Eigen-
schaften im Zentrum steht, versucht Cahill auch solchen Fällen gerecht
zu werden, in denen menschliche Eigenschaften in einer sehr reduzierten
Form zugeschrieben und zu eigenen Zwecken genutzt werden. Ihr zufolge
erfolgt in solchen Situationen eine Reduzierung eines Subjekts auf den
Status eines Derivats eines anderen Subjekts: Menschliche Eigenschaften
der ›derivatisierten‹ Person werden genau so weit sichtbar gemacht und
geachtet, wie dies dem Interesse der ›derivatisierenden‹ Person entspricht.
Cahill führt dazu aus:

191
Ronja Röckemann

»To derivatize is to portray, render, understand, or approach a being solely


or primarily as the reflection, projection, or expression of another being’s
identity, desires, fears, etc. The derivatized subject becomes reducible in all
relevant ways to the derivatizing subject’s existence – other elements of her
([…] women are far more likely than men to be derivatized) being or subjec-
tivity are disregarded, ignored or undervalued« (ebd.: 32).
Das so charakterisierte Konzept der ›Derivatisierung‹ kann den Über-
begriff der ›Objektifizierung‹ sinnvoll ablösen. Es vermeidet die Überbeto-
nung einer Kritik an der Reduzierung einer Person auf etwas Objekthaftes,
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die dem Begriff der ›Objektifizierung‹ inhärent ist. Es macht insbeson-


dere deutlich, dass selbst bei textlichen oder visuellen Objekt-Gleichset-
zungen – die wiederum nur einen kleinen Teil aller Fälle von Subjekt-
Missachtungen darstellen – die derivatisierende Person die derivatisierte
Person i. d. R. nicht tatsächlich als ein Objekt betrachtet. Vielmehr erfolgt
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eine Reduzierung auf den Status eines Subjekts, dessen menschliche Ei-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

genschaften nur insoweit eine Rolle spielen, als dass die Sichtbarmachung
und ggf. Achtung dieser Eigenschaften den Interessen des derivatisierenden
Subjekts entspricht. Die im letzten Kapitel in Anlehnung an Nussbaum
und LeMoncheck unterschiedenen Analyseebenen und -begriffe können
als Werkzeuge der Analyse von ›Derivatisierung‹ verstanden werden.

4. Analyse

Das folgende Kapitel stellt einige Beispiele der Missachtung von Subjek-
tivität vor (4.1), zeigt Gegenbeispiele auf (4.2) und fragt im Anschluss, wie
beides im Gesamtkontext der Foren zueinander steht (4.3).

4.1 Subjekt-Missachtungen in den untersuchten Freierforen

Beispiele für subjekt-missachtende Personen-Bezeichnungen, -Beschrei-


bungen und -Visualisierungen sind im untersuchten Material zahlreich. Im
Folgenden werden aus den vier untersuchten Foren exemplarisch zwei Bei-
spiele textlicher und visueller Personendarstellungen zur Analyse ausgewählt
(4.1.2 und 4.1.3). Spezifischer handelt es sich um zwei Beispiele visueller und
textlicher Körperdarstellungen. Wie zuvor ausgeführt, kann die Analyse der
Personendarstellungen allein jedoch noch keine umfassende Antwort auf die

192
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen

Forschungsfrage geben. Es werden daher im Folgenden auch einige ausge-


wählte Beispiele aus den weiteren Foreninhalten präsentiert (4.1.1 und 4.1.4).

4.1.1 Forums-Bezeichnung als »Stiftung Hurentest«

Ein Beispiel von besonderer Relevanz ist die Foren-Selbstbezeichnung des


Lusthaus-Forums als »Stiftung Hurentest« (LH 2016). Diese Bezeichnung
erschien lange Zeit als Überschrift auf der Startseite des Forums. Sie wurde
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durch eine große Schriftgröße und eine Platzierung im oberen Teil der
Webseite visuell hervorgehoben. Im Gegensatz zu Deutungsangeboten in
einzelnen Berichts- oder Diskussions-Threads, war diese Selbstbezeichnung
demnach für alle Besucher der Webseite an prägnanter Stelle auf den ers-
ten Blick lesbar. Auf diese Weise hatten die inhärenten Deutungsangebote
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eine besonders große Reichweite.


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Die Bezeichnung knüpft an die bekannte Verbraucher*innenorganisation


Stiftung Warentest an und setzt durch den direkten Austausch der Worte ›Wa-
ren‹ und ›Huren‹ die in den Foren beschriebenen Personen mit käuflichen
Objekten gleich. Es finden sich demnach Missachtungen der menschli-
chen Eigenschaften aller Ebenen: Die begriffliche Objekt-Gleichsetzung
spricht den Beschriebenen die Lebendigkeit, das Empfindungsvermögen,
menschliche kognitive Kapazitäten sowie letztlich auch jegliche Rechte ab.
Der Waren-Konnotation ist dabei eine suggerierte Besitzbarkeit inhä-
rent. Mit ihr wird eine uneingeschränkte (Körper-)Fremdverfügbarkeit
nahegelegt, was das sexuelle Selbstbestimmungsrecht als nicht vorhan-
den oder missachtbar darstellt. Die Waren-Konnotation beinhaltet darü-
ber hinaus auch eine suggerierte Verletzbarkeit. Zwar gibt es Waren, die
weniger ›verletzbar‹ erscheinen als andere (Nussbaum nennt als Beispiel
ein teures Gemälde gegenüber einem Kugelschreiber). Dennoch hat eine
Ware keinerlei Recht auf Nicht-Verletzung. Es gibt lediglich Rechte von
Eigentümer*innen, dass ihre Werte nicht zerstört werden.
Der Begriff des ›Testens‹ beinhaltet zudem eine Austauschbarkeit des/
der ›Getesteten‹ und benennt, dass es in dem Forum um die Bewertung
und den Vergleich der Beschriebenen hinsichtlich ihrer Funktionalität
zur sexuellen Zweckerfüllung für Freier geht. In der Kombination mit
der Objekt-/Waren-Konnotation lässt die Forums-Bezeichnung die ein-
zelne Frau oder Transfrau als eine austauschbare Ausprägung des Typs
›Sex-Instrument‹ erscheinen.

193
Ronja Röckemann

4.1.2 Körper-Bild: »Click here«

Das folgende Beispiel (Abb. 1) zeigt das Profilbild eines Freiers aus dem
Forum Lustscout. Auf dem Bild ist der Oberkörper einer Frau zu sehen,
die mit den Händen ihre Brüste umfasst und auf deren Unterarm »Click
here« zu lesen ist.

Abbildung 1
Profilbild eines Freiers
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Quelle: LS 2010

Durch die Arm-Aufschrift wird in diesem Körper-Bild die Deutung na-


hegelegt, dass durch eine einfache Vorgabe des Betrachters bzw. des Frei-
ers (»Click«) kausal – das heißt ohne Selbstbestimmungsfähigkeit oder
-recht der Person – eine Reaktion zum Ziel der sexuellen Stimulierung
des Mannes erfolgt. Der nackte Oberkörper ist dabei ohne Kopf sichtbar,
was den Eindruck erhöht, dass hier keine denkende und selbst entschei-
dende Person gezeigt ist. Die ›Kopflosigkeit‹ impliziert gleichzeitig eine
Austauschbarkeit der Person. Hier sind demnach Missachtungen mensch-
licher Eigenschaften auf der dritten und vierten Ebene zu beobachten:
genauer die Leugnung von Agency sowie eine suggerierte Besitzbarkeit,
Austauschbarkeit und Instrumentalisierung.

4.1.3 »Ihre Schamlippen sind mir etwas zu fleischig gewesen«

Das Zitat in dieser Überschrift stammt aus dem Forum Bordellcommunity (BC
2015) und stellt einen typischen Ausschnitt einer Körperbeschreibung als Teil

194
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen

der Personenbeschreibung im Fließtext eines Berichts dar.7 Es wird deutlich,


wie Forenschreiber in ihren Berichten sehr intime Details über die Körper
von Personen, die in der Prostitution/Sexarbeit tätig sind, internet-öffentlich
publik machen. Alles, was für den berichtenden Freier das sexuelle Erlebnis
beeinflusst, wird in den Foren beschrieben. Neben Ausführungen wie in die-
sem Beispielzitat machen einige Forenschreiber auch ihre Eindrücke zum
Geruch oder Geschmack des Genitalbereichs publik. Insgesamt wird in den
Körperbeschreibungen innerhalb der Berichte in Freierforen missachtet,
dass auch Personen, die in der Prostitution/Sexarbeit tätig sind, ein anzu-
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nehmendes Interesse an Achtung der Intimsphäre haben. Zum Teil finden


sich dabei auch beleidigende Aussagen zu den Körpern der Personen. Hier
werden insbesondere die menschlichen Eigenschaften der dritten Ebene,
mögliche Scham und Beleidigung zu empfinden, missachtet.
Die Beschreibungen sind gleichzeitig mit Werbefotos der Frauen und
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Transfrauen auf externen Werbeplattformen verlinkt, auf denen meistens


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

das Gesicht der entsprechenden Person unretuschiert zu sehen ist. Im Lust-


haus- und Lustscout-Forum werden diese Fotos der Beschriebenen zudem
regelmäßig direkt in die Berichte eingebunden und auf diese Weise dau-
erhaft gespeichert. Dies stellt zusätzlich eine Missachtung der Bildrechte
der gezeigten Personen dar.

4.1.4 Beschreibungen sexueller Gewalt

Es gibt im untersuchten Material drei Threads, in denen ein den Freiern


bewusster Besuch eines Opfers von Menschenhandel beschrieben wird.
Gleichzeitig werden sowohl die von den Frauen gesetzten Grenzen als
auch der Schutz ihrer Gesundheit als irrelevant präsentiert. Hier werden
die beschriebenen Personen demnach im umfassenden Sinne – von der
zweiten bis zur vierten Ebene – als legitim verletzbar dargestellt. Der
folgende Ausschnitt verdeutlicht dies: »Völlig lustlos, […] Jetzt kriegte sie
Pipi in den Augen. […] Manno, wollte doch einfach nur in der Paschastel-
lung verwöhnt werden und ins Hurenmaul schießen […]. Ich bemerkte

7 Bei den Berichts-Threads über identifizierbare Personen wird im vorliegenden Beitrag keine
URL angegeben. Es wird angestrebt, nicht zur Verbreitung subjekt-missachtender Threads
beizutragen.

195
Ronja Röckemann

außerdem eine ganz große blaue Stelle an ihrem Innenschenkel. Würde


was drauf wetten, wenn da jemand ganz bös getreten hat« (LS 2013). Ein
anderer Freier schreibt im selben Thread: »[…] sie legte sich 2 Zewas auf
den fetten Wanst und sagte: Nix Muschi, spritzen auf Bauch. Na Klar. Also
rammelte ich sie und wollte auf den Bauch spritzen. Ging nicht, da waren
nur Zewas. Also zuckte ich im Mösenloch aus« (ebd.).
Die Autoren dieser Posts fügen nach eigenen Beschreibungen der Frau
großes Leid zu und ›berichten‹ anschließend mit völliger Gleichgültigkeit
gegenüber dem Leid dieser Frau – sowohl in der jeweiligen Situation als
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auch in ihrer allgemeinen Zwangslage. Was den ersten Forenschreiber nach


eigener Aussage am Leid der Frau stört, ist lediglich, dass es den eigenen
Wünschen nach Befriedigung ›in der Paschastellung‹ entgegensteht. Der
zweite Forenschreiber verhöhnt im Bericht nachträglich die Grenzsetzung
und damit auch das Selbstbestimmungsrecht der Frau, indem er das Plat-
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zieren von Zewa-Tüchern auf dem Bauch als Rechtfertigung darstellt, ihre
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Grenzsetzung zu missachten. Da es sich um die Beschreibung von AO-Verkehr


(Alles ohne Kondom) handelt, ist die beschriebene Frau auch in Bezug auf
sexuell übertragbare Krankheiten – und damit ihre langfristige Gesund-
heit – stark gefährdet. In der Kombination mit abwertenden Begriffen wie
»Hurenmaul« und »Mösenloch«, die eine Tier- und eine Objekt-Konnotation
enthalten, entsteht der Eindruck, dass das hier beschriebene Hinwegsetzen
über die Subjektivität der Frau einen Teil der Erotik für diese Freier ausmacht.
Die hier zitierten Posts wurden (offensichtlich) von den Betreiber*innen
des Forums nicht gelöscht und wurden auch nicht von anderen Forenschrei-
bern als inakzeptabel angeklagt. Im Gegenteil: Die weiteren Berichte dieses
Threads zeigen dieselben Muster und von anderen Forenschreibern erhielten
die zitierten Posts sogar ein ›Dankeschön‹, das zu jedem Bericht von anderen
Freiern verteilt werden kann. Die Handlungen und das Berichten darüber
werden somit gar als anerkennungswürdig präsentiert. Auf diese Weisen
wird das Deutungsangebot unterstützt, dass es sich bei dem Geschriebenen
um eine von anderen Freiern und den Betreiber*innen des Forums als legitim
angesehene Umgangsweise mit einem Opfer von Menschenhandel handelt.

4.2 Subjekt-Achtung in den untersuchten Foren

Während das vorangegangene Kapitel gravierende Subjekt-Missachtungen


dargelegt hat, zeigen die folgenden Abschnitte, dass die in Freierforen be-

196
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen

schriebenen und visuell repräsentierten Personen prinzipiell in den Foren


als Subjekte sichtbar werden (4.2.1). Abschnitt 4.2.2 macht darüber hinaus
deutlich, dass in den Foren auch Forderungen nach einer Achtung dieser
Subjektivität zu beobachten sind.

4.2.1 Sichtbarkeit als Subjekte

Zunächst ist festzuhalten, dass sich unter den analysierten Berichten kei-
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ner findet, in dem die beschriebene Person nicht auch als lebendige, aktive
Person und als ›Persönlichkeit‹, d. h. in ihren menschlichen kognitiven Ka-
pazitäten, sichtbar wird. Beispiele für Letzteres sind Charakterisierungen,
z. B. als »eine lebensbejahende und authentische junge Frau, die ganz na-
türlich rüberkommt« (BC 2013) oder als »[e]ine Mischung aus Kumpel und
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Profi, aber offen, direkt und ehrlich« (LH 2017b). Selbst in dem unter 4.1.4
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

genannten Berichts-Thread werden Gespräche mit der Frau beschrieben, sie


wird »freundlich« genannt, ihre Handlungen, ihr Auftreten und ihr Emp-
findungsvermögen werden beschrieben bzw. sichtbar gemacht. Wie bereits
gezeigt wurde, heißt die Sichtbarkeit jedoch noch nicht, dass diese Sub-
jektivität auch für achtenswert empfunden und tatsächlich geachtet wird.
Bei der Benennung der besuchten Personen in den untersuchten Foren
sind die Kürzel ›DL‹ für Dienstleisterin oder ›SW‹ für Sexworkerin die Stan-
dardbezeichnungen. Diese implizieren prinzipiell, dass es sich um einen
Dienstleistungsvertrag statt eines Kauf- oder Mietvertrages handelt. Mit
der Bezeichnung wird demnach die Deutung unterstützt, dass die Beschrie-
benen ihr Selbstbestimmungsrecht nicht aufgrund der Bezahlung an den
Freier abgeben. Dass das Konzept der sexuellen Dienstleistung jedoch trotz
der Bezeichnung oftmals nicht verinnerlicht ist, zeigen die oben dargeleg-
ten Fälle sowie diverse Fälle entgegenstehender Bezeichnungen z. B. als
»Miet-Girl« (LH 2015). Einschränkend zu der DL-Bezeichnung muss zudem
angemerkt werden, dass diese eher eine Interessenüberschneidung darstellt.
Denn eine Betonung des Dienstleistungscharakters erlaubt es Freiern, sich
selbst als gewöhnliche Kunden zu präsentieren, was im Kontext der Foren
nicht zuletzt der Legitimierung der Online-Bewertung dient.
Zuletzt ist in diesem Abschnitt anzumerken, dass in einer Vielzahl an
Diskussions-Threads zwischen Nutzern ›moralische‹ Fragen ausgehandelt
und rechtliche Hintergründe diskutiert werden: etwa in der Thematisie-
rung von Drogen-/Beschaffungsprostitution, Menschenhandel, Zuhälterei,

197
Ronja Röckemann

Zufügen von Schmerzen, u. v. m.8 Gegenüber Objekten müssten solche


Grenzen nicht ausgehandelt werden.

4.2.2 Forderungen der Achtung als Subjekte

Neben der Bezeichnung als Dienstleisterin herrscht in vielen Berichts- und


Diskussions-Threads die Deutung vor, dass Entscheidungen der besuchten
Person zu respektieren sind. Es wird darüber berichtet, dass zu Beginn der
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Begegnung relativ genaue Absprachen getroffen und diese i. d. R. einge-


halten werden. Im Falle der Ablehnung von Freier-Wünschen herrscht die
Meinung vor, dass die Begegnung direkt abgebrochen, jedoch keine Über-
redung oder gar Zwang zu ungewollten Praktiken angestrebt werden soll.
Zur Frage eines respektvollen Online-Umgangs beim Verfassen der Be-
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richte wählen in einer nutzergenerierten Foren-Umfrage des Freiercafés mit


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

dem Titel »Sau oder Frau?« 73,5 Prozent der teilnehmenden Forennutzer
(von 102 abgegebenen Stimmen) die Antwortmöglichkeit »Den Damen ist
in Berichten auch verbal Respekt entgegenzubringen« (FC 2010). Dies ist
einerseits ein geringer Prozentsatz für eine scheinbar so einfache Frage.
Doch auch diese Umfrage stellt immerhin das Deutungsangebot an die
lesenden Freier dar, dass die Mehrheit ihrer ›Mit-Freier‹ ein respektvolles
Online- und Offline-Verhalten für das angemessene Verhalten gegenüber
den Beschriebenen halten.
Des Weiteren ist selbst in dem Forum, aus dem der in Abschnitt 4.1.4
beschriebene Thread stammt, in den Forenregeln zu lesen: »Beiträge
mit […] menschenverachtenden Aussagen werden, ohne vorherigen Hin-
weis an den Verfasser, aus LSH gelöscht« (LS 2017). Dass dem nicht so
ist, zeigt das oben präsentierte Beispiel. Ähnliche Forenregeln existie-
ren in allen untersuchten Foren. Im Lusthaus-Forum gibt es zudem ei-
nen Link zum anonymen Melden von Fällen von Menschenhandel. Die
Forenbetreiber*innen scheinen zumindest den Anschein erwecken zu
wollen, dass ›menschenverachtendes‹ Verhalten in den Foren trotz teil-
weise angegebener ›Zensurlosigkeit‹ die Grenze des Akzeptierten dar-
stellt. Es kann freilich argumentiert werden, dass dies zum Selbstschutz

8 Die Aushandlung dieser Grenzen bedarf einer komplexen Analyse, die im Zuge des überge-
ordneten Forschungsprojekts geleistet wird.

198
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen

geschieht, um einer vehementen Strafverfolgung zu entgehen. Dennoch


stellen diese Forumsregeln ein Deutungsangebot dar, dass Missachtun-
gen der Menschlichkeit der Personen, die in der Prostitution/Sexarbeit
tätig sind, in den Foren nicht gewünscht sind. Höchst fragwürdig bleibt
die Grenze, ab der Kommentare als ›menschenverachtend‹ eingeschätzt
werden sowie die Vehemenz, mit der solche Verstöße von den Modera-
toren aufgespürt werden (siehe Kap. 4.1).
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4.3 Gesamtkontext der Derivatisierung

Wie der letzte Ausschnitt deutlich gemacht hat, ist die Subjektivität der
in Freierforen beschriebenen Personen prinzipiell sichtbar und es gibt
in den Foren auch Forderungen nach einer Achtung dieser Subjektivität.
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Diese Äußerungen sind jedoch, wie Kapitel 4.1 gezeigt hat, umgeben von
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Subjekt-Missachtungen in unterschiedlichen Kontexten und Graden: vom


Forum als Ganzes – wie in der Forumsbezeichnung als ›Stiftung Huren-
test‹– bis zum einzelnen Profilbild; von Darstellungen unspezifischer
Personen, die eine generelle Sichtweise auf Personen in der Prostitution/
Sexarbeit transportieren, bis zu Beispielen in denen sexuelle Gewalt an
einzelnen Personen beschrieben wird.
Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass Subjekt-Missachtungen im Lust-
scout- und Lusthaus-Forum deutlich häufiger sind und deutlich gravierender
ausfallen. Doch auch in den anderen beiden Foren sind die in den letzten
beiden Abschnitten gezeigten Deutungsangebote in einen Kontext diverser
Subjekt-Missachtungen eingebettet – nicht zuletzt in Form intimster Kör-
per- und Sexakt-Beschreibungen zu identifizierbaren Personen. Hervorzu-
heben ist, dass die Forenschreiber dabei prinzipiell davon ausgehen, dass das
Berichten von den meisten Beschriebenen und Gezeigten abgelehnt werden
würde, wenn sie gefragt würden. Dies wird exemplarisch in der folgenden
Signatur eines Nutzers im Freiercafé deutlich, die unter jedem seiner Posts er-
scheint: »›Ich geb dir gleich Erfahrungsberichte, du kleiner Wichser, sag mal
tickst Du noch, Du perverses Vieh‹ – Eine SW [Sexworkerin] auf die Frage,
ob es im Netz Erfahrungsberichte über sie gibt« (Signatur-Text des Nutzers
leckschlumpf, FC 2017). Die in der Signatur zitierte Frau lehnt das Berichten
über sich bzw. über den Sex mit ihr im Internet offensichtlich stark ab. Dass
diese Signatur auch unter den vom Freier verfassten Berichten erscheint,
verhöhnt diese explizite Ablehnung der Berichtspraxis.

199
Ronja Röckemann

Insgesamt ist festzuhalten, dass die Berichtspraxis deutlich stärker – un-


ter Missachtung der Interessen der beschriebenen Personen – den Freier-
Zwecken dient, als dies in den Diskussionsbereichen der Fall ist. Die Be-
richtspraxis ist also deutlich derivatisierender als die Diskussionspraxis.
Erstere ist aber die Kernfunktion der Foren. Zwar haben die Foren ganz
unterschiedliche Funktionen (vgl. Röckemann 2013).9 Das Bereitstellen
von Auswahlinformationen für Freier ist jedoch der Existenzgrund dieser
Foren (Context-Funktion). Im Forum Bordellcommunity beträgt der Prozent-
satz der Diskussions-Threads an der gesamten Thread-Anzahl lediglich
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ca. 1 Prozent, im Lustscout-Forum weniger als 5 Prozent und im Freiercafé


ca. 17 Prozent. Die Berichts-Threads überwiegen demnach quantitativ in
den Foren so stark, dass sie prägend für das sind, was jemandem, der Kon-
textinformationen in den Freierforen sucht, als Normalität bzw. Regel
der Subjekt-(Miss-)Achtung gegenüber den Beschriebenen und Gezeigten
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erscheint. Diskussionen stellen nur einen Randbereich dar. Es muss dem-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

nach festgehalten werden, dass alles, was in den Foren passiert, in einem
Kontext der Derivatisierung geschieht.

5. Fazit

Der vorliegende Beitrag widmete sich der Frage, inwiefern und auf wel-
che Weisen die Subjektivität von Personen, die in der Prostitution/Sexar-
beit tätig sind, in Freierforen geleugnet bzw. missachtet wird. Um diese
Frage zu beantworten, wurden vier Freierforen dahingehend untersucht,
inwiefern den darin beschriebenen und visuell repräsentierten Personen
(1) die Lebendigkeit (Aktivität aus eigener Kraft), (2) die Empfindungs­
fähigkeit, (3) menschliche kognitive Eigenschaften (insb. Agency und Ich-
Bewusstsein) sowie (4) Rechte abgesprochen werden. Bei der Auswahl an
Analysebeispielen lag im vorliegenden Beitrag ein Fokus auf Personendar-
stellungen und dabei insbesondere auf Körperdarstellungen. Es wurden
Beispiele präsentiert, in denen die in Freierforen dargestellten Personen
begrifflich mit Waren gleichgesetzt werden; in denen ein Fremdverfü-

9 Die Berichte stellen pornografische Inhalte dar (Content-Funktion). Zudem stellen die Foren
Möglichkeiten des Austauschs, der Kommunikation bereit (Connection-Funktion). Mit Funktio-
nen sind dabei die technisch-strukturellen Funktionen gemeint und nicht die psycho-sozialen
Funktionen für einzelne Freier.

200
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen

gungsrecht über ihren Körper suggeriert wird und in denen ihr Emp-
finden und Leiden sowie ihre Rechte als nicht vorhanden oder legitim
missachtbar dargestellt werden. Es wurde demgegenüber auch gezeigt,
dass die in Freier-Berichten dargestellten Personen parallel dazu als aktiv
handelnde, entscheidende und zu achtende Subjekte erscheinen. Diese
Heterogenität wurde anschließend mit dem Konzept der ›Derivatisierung‹
charakterisiert: Die in Freierforen beschriebenen und visuell repräsentier-
ten Personen werden weitestgehend auf den Status von Derivaten redu-
ziert, d. h. solcherart Subjekte, die nach Bezahlung legitim auf die Wün-
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sche von Freiern – als Einzelpersonen und Gruppe – reduzierbar sind.


Das Konzept der Derivatisierung kann dabei auch der Diversität vieler
möglicher Freier-Motive gerecht werden, die hinter den oft widersprüch-
lichen Inhalten stehen können. Für den einen Freier mag der Reiz seines
Handelns gerade im Hinwegsetzen über die Subjektivität liegen. Es sind
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wohl vor allem diese Fälle, in denen die besonders gravierenden Beispiele
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

aus Abschnitt 4.1.4 auftreten. Für andere Freier ruft der Besuch eventuell
Schuldgefühle hervor und das Schreiben in einem Umfeld, in dem meh-
rere Tausend ›Mit-Freier‹ sichtbar werden (Verantwortungsdiffusion) und
Anerkennung durch andere Freier für die gelieferten Berichte herrscht,
mag ihm eine Umdeutung seines Verhaltens ermöglichen. Manche Freier
mögen die in Berichten textlich und visuell enthaltenen Missachtungen
der Empfindungen, Gefühle und Rechte der Beschriebenen und Gezeigten
als Übel ansehen. Hierauf weist etwa die unter 4.2.2 zitierte Umfrage hin,
dass den Personen, die in der Prostitution/Sexarbeit tätig sind, online und
offline mit Respekt zu begegnen ist. Ihr Handeln in Form der Nutzung
der Foren und der weitgehenden Abwesenheit von Kritik zu den vielfäl-
tigen Subjekt-Missachtungen anderer Freier und des jeweiligen Forums
als Ganzes (etwa in der Selbst-Bezeichnung als ›Stiftung Hurentest‹) zeigt
jedoch, dass sie es zum Wohle der eigenen Interessen als ein inkaufnehm-
bares Übel sehen. Die Form der ›Derivatisierung‹ ist demnach nicht bei
jedem Forenschreiber die gleiche.
Zu dem Phänomen der Derivatisierung ist anzumerken, dass es nicht
auf die Prostitution/Sexarbeit oder deren Online-Bewertung beschränkt ist.
Es ist vielmehr ein gesellschaftlich stark verbreitetes Muster, das in vielen
Dienstleistungsbranchen sichtbar wird: insbesondere in Form der Inkauf-
nahme hoch prekärer Arbeitsbedingungen – bis zum Menschenhandel zur
Ausbeutung der Arbeitskraft – oder dem Verfassen subjekt-missachtender
Online-Bewertungen. Die Übertragung solcher Muster auf den sensiblen

201
Ronja Röckemann

Bereich der Sexualität, stellt jedoch eine andere Qualität dar. Zudem muss
nicht nur gefragt werden, warum hier Kund*innen Dienstleister*innen
derivatisieren. Mit Blick auf die verhältnismäßige Merkmalsverteilung
der Nachfrage- und Angebotsseite der Prostitution/Sexarbeit muss ins-
besondere gefragt werden, warum hier Männer Frauen und Transfrauen
derivatisieren sowie auch, warum Männer aus einem Wohlstandsland
Frauen und Transfrauen aus mehrheitlich wirtschaftsschwächeren Län-
dern derivatisieren. Nicht zuletzt muss auch eine Einordnung in histori-
sche Diskurse der Prostitution/Sexarbeit erfolgen. Eine solche Verortung
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innerhalb von Diskursen um Arbeit, Geschlecht, Sexualmoral, Migration


und Prostitution/Sexarbeit muss an anderer Stelle ausführlich geschehen.
An dieser Stelle soll ein Rückbezug zu der einleitend genannten Frage
des übergeordneten Forschungsprojekts im Vordergrund stehen. Der Auf-
satz hat diesbezüglich gezeigt, dass – während auf anderen Diskursebenen
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eine zunehmende Kritik am Sexkauf zu beobachten ist – in Freierforen


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

nicht nur Freier-Sein an sich, sondern vor allem auch eine Betrachtungs-
und Umgangsweise gegenüber Personen, die in der Prostitution/Sexarbeit
tätig sind, legitimiert wird, in der diese gegenüber Freiern als die weniger
wertvollen bzw. achtungswerten Subjekte erscheinen. Diese Sichtweise hat
ein großes Potenzial, auch das Verhalten von Freiern in der Prostitutions-/
Sexarbeitssituation negativ zu beeinflussen. Zwar lesen und schreiben
nicht alle Freier in Foren und ein Lesen legitimierter Abwertungen von
Personen muss nicht notwendiger Weise ein abwertendes Verhalten her-
beiführen. Dennoch ist festzuhalten, dass die beobachteten Deutungsan-
gebote der legitimierten Derivatisierung in Freierforen das Selbst- und
Fremdverständnis von immerhin mehreren zehntausend registrierten
Mitgliedern – und weit mehr Mitlesern – negativ mitprägen. So erhöht
sich für alle in der Prostitution/Sexarbeit tätigen Personen die Gefahr, von
gleichgültigem, abwertendem und auch gewalttätigem Freierverhalten
betroffen zu sein. Als ein letzter Punkt ist diesbezüglich zu beachten, dass
schon die Existenz der Foren an sich die sexuelle Selbstbestimmung aller
Personen, die in der Prostitution/Sexarbeit tätig sind, schwächt, indem bei
jeder Begegnung mit einem Freier eine implizite oder explizite Möglich-
keit oder gar Drohung negativer Berichte bzw. Bewertungen besteht. Diese
Zusammenhänge sind im Bereich der Sexualität besonders verhängnisvoll,
da in ihm die Möglichkeit, Grenzen zu setzen, sowie ein rücksichtsvolles
und wertschätzendes Verhalten in besonderem Maße gefordert sind.

202
Online-Bewertung von Prostitution/Sexarbeit – Derivatisierung in Freierforen

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203
Ronja Röckemann

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[02.12.2017]
Das Weitergeben und Kopieren dieses Dokuments ist nicht zulässig.

LS 2017: Foren-Regeln. In: Lustscout, 30.06.2017. https://www.lustscout.to/


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

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204
III. Visuelle Körperpolitiken, (Selbst-)Ermächtigung
und Protest

Li na B r i n k

Repräsentationen versammelter weiblicher


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Körper: Die Bildberichterstattung über Proteste


in Ägypten seit 2011
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»Die Versammlung bedeutet etwas, das über das Ge-


sagte hinausgeht, und dieser Bedeutungsmodus ist eine
gemeinsame körperliche Inszenierung, eine plurale
Form der Performativität.« (Butler 2016: 17)

Ein auch von Judith Butler erwähntes Beispiel für eine solche Versamm-
lung sind die Proteste auf dem Tahrir-Platz in Ägypten, auf dem zwischen
2011 und 2014 aus unterschiedlichen Anlässen1 immer wieder Menschen
zusammenkamen, um zu demonstrieren. Mich interessiert in diesem Bei-
trag weniger die körperliche Inszenierung an diesem Ort selbst; vielmehr
möchte ich die ›plurale Form der Performativität‹ als Auslöser für eine
umfassende Presseberichterstattung auch im deutschsprachigen Raum
betrachten und danach fragen, wie diese Versammlungen von Körpern in

1 Ende Januar/Anfang Februar 2011 kam es insbesondere in Kairo, ausgelöst u. a. durch Proteste
in Tunesien und nationale Vorkommnisse, zu Protesten gegen den damaligen Machthaber
Mubarak, der als Folge der Demonstrationen am 11. Februar 2011 zurücktrat. Im Juni 2012
wurde nach Wahlen der Kandidat der unter Mubarak verbotenen Muslimbruderschaft, Mo-
hammed Mursi, zum Präsidenten ernannt. Es folgten Proteste gegen Mursi, die im Sommer
2013 ihren Höhepunkt fanden. Am 3. Juli 2013 wurde Mursi durch das Militär abgesetzt, eine
Übergangsregierung eingesetzt und Neuwahlen angekündigt. Nach der Absetzung protes-
tierten Anhänger Mursis in Kairo und anderen Städten, bis es zu einer Räumung der Protest-
lager durch das Militär kam, bei der mindestens 800 Mursi-Anhänger*innen getötet wurden.
Mitte Juni 2014 wurde dann der damalige Militärchef al-Sisi nach Wahlen zum Präsidenten
ernannt.

205
Lina Brink

der Bildberichterstattung repräsentiert werden. Konkret untersuche ich


84 Pressebilder, die zum Großteil (eine Ausnahme bilden dabei Titelbil-
der von Zeitungen und Zeitschriften) im Kontext von Presseartikeln, die
zwischen Anfang 2011 und Mitte 2014 in deutschsprachigen Tages- und
Wochenzeitungen und Zeitschriften2 erschienen sind und entweder über
die Lebenssituation von Frauen in Ägypten bzw. ihre Beteiligung an Pro-
testen vor Ort berichten oder über die Proteste generell informieren, bei
denen aber Frauen als Hauptakteurinnen auftreten. Meinen Fokus richte
ich dabei auf vergeschlechtlichte Körper und damit auf die Repräsenta-
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tion von Weiblichkeit im Kontext der Proteste, die in der deutschsprachi-


gen Berichterstattung mit Bezug auf die hohe Beteiligung von Frauen3
als Ereignisse mit einem »weiblichen Gesicht« (vgl. Gerlach 2011: 54)
gedeutet wurden.4 Dabei verstehe ich Bilder nicht als Abbildungen der
›Wirklichkeit‹, sondern als selbst an der Konstruktion soziokultureller
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Wissensbestände und damit gesellschaftlicher Realität beteiligt.5 Das heißt,


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

journalistische Medien greifen nicht einfach bestehende gesellschaftliche


Vorstellungen – beispielsweise von Geschlecht – auf, sondern bringen u. a.
durch Bilder überhaupt erst vergeschlechtlichte Körper hervor (vgl. zum
Überblick über die bestehende Forschung zur visuellen Konstruktion von
Geschlecht Maier/Thiele 2016).
In meiner Analyse knüpfe ich theoretisch zudem an Butlers Überle-
gungen zur Bedeutung von Versammlungen als körperliche Praktiken
des Protests an. Die Verkörperung von Forderungen ist dabei nicht nur am
Ort der Versammlung selbst relevant, sondern über ihren eigentlichen Ort
hinaus auch für mediatisierte Formen des Protests. Aus einer kritischen,
postkolonial-feministisch geprägten Perspektive interessiere ich mich
besonders für die Art und Weise, in der verkörperter Protest an anderen
Orten medial sichtbar wird, frage also nach den diskursiv konstruierten
Bildern protestierender Körper.

2 Untersucht wurden die FAZ, Süddeutsche Zeitung, die tageszeitung, Der Spiegel, Die Zeit, Brigitte und
Emma sowie deren Online-Ausgaben, soweit vorhanden.
3 Mit ›Frauen‹ oder ›weiblichen Körpern‹ bezeichne ich in diesem Beitrag als weiblich gelesene
Körper, die Konstruktion von Weiblichkeit ist dabei ebenfalls Teil meiner Analyse.
4 In der Analyse sollte zudem deutlich werden, dass ein Blick aus der Geschlechterforschung die
Komplexität soziokultureller Phänomene hervorbringen kann und gesellschaftliche Macht-
strukturen in den Fokus rückt (vgl. Klaus/Lünenborg 2011: 112).
5 Mein Repräsentationsbegriff ist damit maßgeblich durch Stuart Hall (2004) geprägt.

206
Repräsentationen versammelter weiblicher Körper:
Die Bildberichterstattung über Proteste in Ägypten seit 2011

Im Folgenden gehe ich zunächst genauer auf Butlers Ausführungen


und deren Implikation für die kritische Analyse medialer Repräsentation
ein und diskutiere die für die hier untersuchten spezifischen Proteste rele-
vante Bedeutung der Repräsentation vergeschlechtlichter Körper in Orient/
Okzident-Konstruktionen. Anschließend erörtere ich das in diesem Beitrag
vertretene Verständnis des Verhältnisses von Bildern und ›Wirklichkeit‹
sowie die zentralen Ergebnisse der Analyse.
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1. Bilder verkörperter Proteste aus postkolonial-


feministischer Perspektive

Butler hebt in ihrem Buch Anmerkungen zu einer performativen Theorie der


Versammlung (2016) die Bedeutung der Zusammenkunft von Körpern an
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sich hervor und betont, dass schon deren bloße Präsenz in der Erschei-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

nungssphäre eine Formulierung weitreichender Forderungen bedeutet.


Die Proteste in Ägypten beschreibt sie als paradigmatisch für ihre Über-
legungen, da hier durch die Versammlung von Körpern eine »bestimmte
Soziabilität« (Butler 2016: 120) auf dem Tahrir-Platz eingerichtet wurde.
Menschen errichteten Zelte und verlegten ihr gesamtes Leben auf den Platz;
es entstand so eine Vermischung öffentlicher und privater Sphäre und eine
selbst­organisierte, solidarische Gemeinschaft, die auf Arbeitsteilung und
der Etablierung von (Geschlechter-)Gleichheit beruhte (vgl. dazu auch
Badry 2013: 13f.). Damit wurde der wesentliche Aspekt des Widerstandes
gegen ein starres, hierarchisches System in dem Protest selbst verkörpert,
die Protestierenden nahmen »in die Sozialform des Widerstandes selbst
die Grundsätze auf, für deren Verwirklichung in allgemeineren politischen
Formen sie kämpften« (Butler 2016: 121).
Die Versammlung von Körpern in ganz unterschiedlichen öffentlichen
Räumen rücken diese in das Feld des Politischen und stellen eine »leibliche
Forderung« (ebd.: 19). Dabei beschreibt Butler drei wesentliche Aspekte,
die durch die Präsenz von Körpern in der öffentlichen Erscheinungssphäre
gefordert werden: »Sie verlangen, anerkannt und wertgeschätzt zu wer-
den, sie machen das Recht geltend, zu erscheinen und ihre Freiheit auszu-
üben, und sie fordern ein lebbares Leben« (ebd.: 39). Anerkennung denkt
Butler hier explizit als Wertschätzung eines Subjekts. Zugleich ist gerade
mit Blick auf frühere Arbeiten hervorzuheben, dass sich der Prozess der
Anerkennung aus Butlers Sicht nicht auf ein ›bestehendes‹ Subjekt rich-

207
Lina Brink

tet, sondern zentral für dessen Konstitution ist. Prozesse der Anerken-
nung bedingen aus ihrer Perspektive also Subjekt-Werdung und gehen
zugleich mit Prozessen der Unterwerfung des Subjekts unter bestehende
soziale Normen der Anerkennbarkeit einher (vgl. Butler 2010: 11ff.). Mit
der Präsenz ihrer Körper in der öffentlichen Erscheinungssphäre machen
»Versammlungen der Gefährdeten« (Butler 2016: 26) zudem ihr Recht
geltend zu erscheinen und ihre Freiheit auszuüben. Dabei geht es um For-
men des Widerstandes, die die machtvolle Regulierung des öffentlichen
Erscheinens offenbaren, indem sie Formen des Handelns, die zuvor als
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außerpolitisch verstanden wurden, in diese Sphäre einbringen (vgl. ebd.:


106f.). Schließlich richtet sich die Forderung nach einem ›lebbaren Leben‹
nicht auf die individuelle Ausgestaltung des Lebens, sondern auf die ge-
sellschaftlichen Bedingungen, unter denen ein Leben geführt werden kann
und muss und überhaupt als solches anerkannt wird. Sie entspricht damit
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der »Forderung nach lebenswerteren wirtschaftlichen, gesellschaftlichen


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

und politischen Bedingungen« (ebd.: 19).


Butler betont, dass Medien eine Erweiterung des Raumes, in dem Protest
stattfindet und Forderungen erhoben werden können, ermöglichen. Auch
Koopmans hebt hervor, dass mit der Adressierung machtvoller Strukturen
und Institutionen durch Proteste an Stelle der Adressierung konkreter, an-
wesender Personen, Massenmedien eine zentrale Bedeutung für Proteste
haben (vgl. Koopmans 2004: 368). Dies gilt besonders für Proteste wie
in Ägypten, die als Teil einer globalen, sich wechselseitig beeinflussen-
den Protestkultur verstanden werden können (vgl. Badry 2013: 24) und
damit auch ein globales Publikum adressieren. Diese Erkenntnis hat zu
einem Aufschwung der Forschung zu (visueller) Repräsentation von Pro-
test seit den 1990er-Jahren geführt. Dabei finden sich vor allem Analysen
zum (visuellen) Framing von Protest in Medien (vgl. Fahlenbrach 2016).
Sowohl Fahlenbrach (2016: 108) als auch Baumgarten und Ullrich (2012)
betonen in der Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Protest- und
Bewegungsforschung die Notwendigkeit, die Bedeutung machtvoller
Strukturen der diskursiven Rahmung von Repräsentationen von Protest
stärker in den Blick zu nehmen. Für eine solche Perspektive erscheint mir,
mit Bezug auf Johanna Schaffer (2008), die Erweiterung der Frage, was re-
präsentiert wird, um die Frage, wie etwas repräsentiert wird und welche
Normen damit (re)produziert werden, entscheidend. Dies gilt sowohl für
die Darstellung protestierender Subjekte wie auch für die Präsentation
ihres Protesthandelns und ihrer Forderungen. Schaffer stellt mit ihrem

208
Repräsentationen versammelter weiblicher Körper:
Die Bildberichterstattung über Proteste in Ägypten seit 2011

Begriff von »anerkennender Sichtbarkeit« (Schaffer 2008: 136) die oft


angenommene automatische Verknüpfung von Sichtbarkeit und Aner-
kennung infrage und betont damit die Notwendigkeit, nach der Art und
Weise der Repräsentation von Körpern, die durch ihre Sichtbarmachung
erst in einer bestimmten Form hervorgebracht werden, zu fragen. Gleiches
gilt, wie oben dargelegt, auch für die Sichtbarkeit des Protestes und seiner
Forderungen selbst. Mit Bezug auf Butlers Ausführungen zu körperlichen
kollektiven Protesten6 interessiert mich also zudem, was aus einer mögli-
chen anerkennenden Sichtbarkeit der dargestellten Subjekte folgt: Welche
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Formen des Protesthandelns und welche Forderungen nach Bedingungen


für ein lebbares Leben werden im Diskurs zu sehen gegeben?
Letztlich steht dahinter die Auffassung, dass die aktuelle Forschung zu
Möglichkeiten mediatisierter Anerkennung (vgl. dazu Thomas et al. 2018
sowie Grittmann/Maier 2016 zur Anerkennung durch Bilder) auch im
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Falle einer anerkennenden Sichtbarkeit verstärkt nach Möglichkeiten der


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Partizipation und Umverteilung fragen sollte, die mit dieser Sichtbarkeit


einhergehen (vgl. Fraser/Honneth 2011).7
Solche Fragen erscheinen mir gerade in einem Diskursfeld relevant, in
dem aus postkolonial-feministischer Perspektive auch immer die Festi-
gung machtvoller Hierarchien über vergeschlechtlichte Orient/Okzident-
Konstruktionen in den Blick genommen werden muss.

2. Bedeutung der Repräsentation ›weiblicher‹


Körper für Orient/Okzident-Konstruktionen

Als zentral für die Legitimation von Herrschaftsverhältnissen gerade im


deutschsprachigen und europäischen Raum gilt die von Said (1979) als
›Orientalismus‹ bezeichnete Konstruktion eines als rückständig reprä-
sentierten Orients. Aus postkolonialer Perspektive ist aber nicht nur die
Frage, wie dieses Orientbild konstruiert wird, sondern gerade wie darüber
okzidentale Normalität (re)produziert wird, von Interesse (vgl. Coronil

6 Die Bedeutung kollektiver Körperlichkeit in Protesten und die fehlende Beschäftigung mit
dieser innerhalb der Protest- und Bewegungsforschung hebt auch Papst (2016: 177) hervor.
Zur Repräsentation kollektiver, körperlicher Proteste vgl. u. a. Rovisco (2017).
7 Ein Modell für eine solche, erweiterte Analyse mediatisierter Anerkennung legen z. B. Thomas
und Grittmann (2018) vor.

209
Lina Brink

2013). Diese Umkehrung des forschenden Blickes richtet das Interesse auf
die Konstruktion des ›Eigenen‹ als Normalität und hegemoniales Prinzip,
welche zentral über die Abgrenzung von einem konstruierten ›Anderen‹
erfolgt (vgl. Dietze 2009). Obwohl postkoloniale Ansätze die Kategorie
Geschlecht häufig ausblenden (vgl. Castro Varela/Dhawan 2015: 163),
spielt diese gerade in Orient/Okzident-Konstruktionen eine zentrale Rolle.
Schon 1989 wies Helma Lutz mit Blick auf deutsche Diskurse darauf hin,
dass die Hegemonie ›westlicher‹ Frauen über eine scheinbare Rückständig-
keit orientalisierter Frauen konstruiert werde. Auch Dietze hebt hervor:
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»Bilder und Selbstbilder ›unserer‹ Emanzipation benötigen sozusagen


die tägliche Rekonstruktion der Unterdrückung und Rückständigkeit is-
lamischer Frauen« (Dietze 2009: 237). Nötig ist daher gerade eine femi-
nistische Okzidentalismuskritik.
Studien im Kontext der visuellen Kommunikationsforschung thema-
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tisieren orientalisierende Bilder von Weiblichkeit sowohl im Hinblick auf


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Diskurse um Migration (vgl. u. a. Lünenborg/Maier 2017; Lünenborg/


Fritsche/Bach 2011) als auch in der Analyse von Diskursen, die sich mit glo-
balen Fragen, wie etwa dem Militäreinsatz in Afghanistan (vgl. u. a. Fahmy
2004; Wenk 2008; Nachtigall 2012) beschäftigen. Fahmy (2004) untersucht,
wie afghanische Frauen vor und nach dem Sturz des Taliban-Regimes in
Bildern der Agentur AP repräsentiert wurden. Sie zeigt, dass sich Bilder in
Kamerawinkel, Fokus, Distanz und Darstellung der Frauen nach dem Sturz
veränderten, sodass es weniger zu passiven und viktimisierenden Darstel-
lungen kam, auch wenn der Großteil der dargestellten Frauen weiterhin
verschleiert war. Eine mögliche Begründung sieht sie darin, dass westliche
Medien trotz einer anhaltenden Verschleierung von Frauen eine positive
Veränderung in deren Situation durch den Krieg darstellen wollten. Eine
insbesondere von Mohanty diskutierte »discursive colonization« (2003: 501)
von ›anderen‹ Frauen zeigt sich damit nicht nur in ihrer Subjektivierung
als unterworfene Opfer und damit der (Re-)Konstruktion binärer Oppositi-
onen, sondern auch in der Repräsentation von ermächtigten Frauen (»em-
powered womenhood« [Mohanty 2003: 528]). Auch die wenigen Arbeiten,
die bereits visuelle Repräsentationen von Frauen im Kontext der Proteste
in Ägypten, Tunesien und anderen Ländern der Region seit Ende 2010 un-
tersucht haben, betonen neben einer anhaltenden Orientalisierung und
Viktimisierung (vgl. Eickhof 2013) die Sichtbarkeit aktiver, emanzipierter
Frauen (vgl. Dastgeer/Gade 2016; Badry 2013). Mohanty kritisiert, dass
auch solche Repräsentationen zentral okzidentale Normen (re)konstruie-

210
Repräsentationen versammelter weiblicher Körper:
Die Bildberichterstattung über Proteste in Ägypten seit 2011

ren, weswegen gefragt werden muss: »whose agency is being colonized?«


(Mohanty 2003: 528). Die Einschreibung orientalisierter weiblicher Kör-
per in tradierte Formen der Sichtbarkeit ›handlungsfähiger‹ weiblicher
Körper (re)produziert eine diskursive Normalität, die Angela McRobbie
in ihrem Buch Top Girls beschreibt und die in der Regel insbesondere jun-
gen, vor allem ›weißen‹, Frauen über die »Teilhabe an Konsumkultur und
Bürgergesellschaft« (McRobbie 2010: 18) eine bestimmte gesellschaftliche
Rolle jenseits feministischer Politik anbietet. McRobbie beschreibt die In-
tegration von Elementen des Feminismus in individualistische, neoliberale
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Diskurse als Strategie gegen die Etablierung neuer Frauen-Bewegungen


(vgl. ebd.: 17). Anerkennung wird dann gewährleistet, wenn Weiblichkeit
als produktiv, aktiv und handlungsfähig inszeniert wird, etwa durch die
individuelle Wahl der Erfüllung gegenwärtiger Normen von Mode und
Schönheit (vgl. ebd.: 96). Mit der Ablösung eines politischen Feminismus
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durch individualisierte Handlungsmacht geht auch eine diskursive Abkehr


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

von anti-rassistischen Kämpfen einher, da solche strukturellen Auseinan-


dersetzungen aufgrund der individuellen Erfolge von Women of Color als
ebenfalls nicht mehr relevant gedeutet werden: »Auch das Andere [Other-
ness] wird anerkannt: Kulturelle Differenz bekommt auf genau vorge-
zeichneten Wegen und in einem genau abgesteckten Rahmen ihren Platz
zugewiesen« (ebd.: 107). Dieser Rahmen fordert meist eine Anpassung von
Frauen aus dem globalen Süden an universalisierte okzidentale Normen
von Weiblichkeit, wobei insbesondere von Women of Color zugleich ein
zurückhaltendes Auftreten erwartet wird (vgl. ebd.: 128).

3. Bildberichterstattung als machtvolle Konstruk-


tion sozialer Wirklichkeit

Gerade in der Untersuchung von Repräsentationen von Frauen aus dem


›arabisch-islamischen Raum‹ spielt, das dürfte deutlich geworden sein,
die Frage nach der Art des Zu-sehen-Gebens eine zentrale Rolle. Bezogen
auf den konkreten Untersuchungsgegenstand und den in diesem Beitrag
vorliegenden theoretischen Verortungen am Schnittpunkt von feminis-
tischer, postkolonialer und diskursforschender Perspektiven wird damit
ein erweiterter Blick auf den globalen Kontext asymmetrischer Macht-
konstellationen, Wissensproduktionen und Wahrheitsregime geworfen
(vgl. Brunner 2013: 375). Mir geht es mit der Untersuchung der Art der

211
Lina Brink

gezeigten Körperbilder darum, auch auf visueller Ebene die Durchdrin-


gung von Repräsentationen mit Macht herauszuarbeiten (vgl. dazu auch
Schade/Wenk 2011). Pressebilder verstehe ich als machtvolle Konstrukti-
onen sozialer Wirklichkeit. Neben der Frage nach der Verteilung und Kon-
stitution von Sichtbarkeiten rückt dabei auch die Frage nach dem Nicht-
Sichtbaren und damit die Begrenzung von Sichtbarkeit in den Fokus. Es
stellt sich also die Frage, »wovon sich wer auf welche Weise zu welchem
Zeitpunkt an welchem Ort (k)ein Bild machen kann« (Maasen/Mayerhau-
ser/Renggli 2006: 8). Dabei sind Sichtbarkeiten nicht beliebig verteilt,
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sondern knüpfen an bestimmte Traditionen des Zu-sehen-Gebens an, die


durch diskursive Regeln beschränkt werden und diese gleichzeitig aktu-
alisieren. In der Analyse von Bildern gilt es also zu fragen, »durch welche
soziokulturellen Ordnungen diese Bild-Diskurse informiert werden und
welche Ordnung sie selbst ko-konstruieren« (ebd.). Gerade in Bezug auf
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die Analyse journalistischer Fotografie ist nicht nur die Art und Weise der
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Sichtbarmachung von Relevanz, sondern auch, was durch den Anspruch


auf eine realistische Abbildung in der Fotografie als besonders authentisch
sichtbar und in seiner Konstruktion zugleich unsichtbar gemacht wird
(Grittmann 2007: 265ff.).
Bilder analysiere ich aus einer diskursanalytischen Perspektive nicht
als singuläre Äußerungen, sondern als typisierte Aussagen (vgl. Keller
2016: 83). Für die Analyse der Bilder habe ich mich an der Quantitativen
Bildtypenanalyse von Grittmann und Ammann (2011) orientiert, welche
Verfahren der Bildinhaltsanalyse mit dem insbesondere von Panofsky ge-
prägten ikonografisch-ikonologischen Ansatz aus der Kunstgeschichte
verbindet (vgl. Grittmann/Ammann 2011: 165). Die Bildtypenanalyse geht
davon aus, dass spezifische gesellschaftliche Deutungsrahmen die redakti-
onelle Bildauswahl leiten (vgl. Grittmann 2007). Diese Deutungsrahmen
werden dann wiederum in sich wiederholenden Bildtypen deutlich. Für
die Erstellung des Datenkorpus habe ich zunächst für den Zeitraum von
Beginn der Proteste in Ägypten Anfang 2011 bis zu deren Abklingen 2014
in den ausgewählten Zeitungen und Zeitschriften solche Artikel ausge-
wählt, in denen Frauen – entweder als Akteurinnen oder als thematischer
Schwerpunkt – eine Rolle spielten. Im Rahmen einer Grobanalyse habe
ich ca. 150 Artikel für die Feinanalyse ausgewählt. Die zu diesen Artikeln
gehörigen Bilder bilden, soweit vorhanden, die Basis des Datenkorpus.
Ergänzt habe ich diesen um Titelbilder aus dem untersuchten Zeitraum,
die mir ebenfalls relevant für die Fragestellung erschienen. Das Untersu-

212
Repräsentationen versammelter weiblicher Körper:
Die Bildberichterstattung über Proteste in Ägypten seit 2011

chungssample bestand insgesamt aus 84 Bildern. Analysiert wurden die


Bilder – soweit vorhanden – zusammen mit ihrem jeweiligen redakti-
onellen Kontext, da dieser eine zentrale Rolle bei der Konstruktion von
Bedeutungsinhalten übernimmt (vgl. Lobinger 2012: 67).
Im Folgenden werden nun zunächst die Bildtypen vorgestellt, bevor
auf die Formen des Zu-sehen-Gebens protestierender weiblicher Körper
im Diskurs eingegangen wird. Abschließend diskutiere ich, wie politisches
Handeln und Forderungen nach einem lebbaren Leben sichtbar werden.
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4. Bilder ermächtigter und freier weiblicher Körper

Aus dem Material heraus konnte ich sieben Bildtypen identifizieren. Der
dominante Bildtyp Protestierende Frau (33 Bilder) richtet den Fokus8 auf ein-
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zelne Frauen oder eine kleine Gruppe von Frauen mit anderen Menschen
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

im Hintergrund, die an einem öffentlichen Ort demonstrieren. Auffällig ist,


dass nur sehr vereinzelt die inzwischen global ikonischen Bilder besetzter
Plätze auftauchen (vgl. Rovisco 2017). Protest wird also gerade nicht als
kollektive Versammlung von Körpern sichtbar, sondern individualisiert.
Die gezeigten Frauen tragen oft eine ägyptische Nationalfahne entweder
in der Hand oder als Kopftuch9, auffällig sind außerdem die abgebildeten
›kämpferischen Gesten‹: ein mit den Händen geformtes Victory-Zeichen,
ein scheinbar laut rufender Mund, erhobene Hände und Fäuste. Die Pro-
testierenden halten zudem meist Plakate mit arabischen oder englischen
Schriftzügen oder symbolische Bilder für die Unterdrückung von Frauen10
in den Händen. Dieser Bildtyp knüpft damit an eine allgemeine Ikono-
grafie von Protestbildern an, bei denen die Gesichter des Protests gezeigt
werden (vgl. El Tahwy 2018: 47ff.). Zudem verdeutlicht das häufige Zeigen

8 Zur Bedeutung der Lenkung des Blickes der Betrachter*in eines Bildes über den Fokuspunkt
der Fotografie vgl. z. B. Dastgeer und Gade (2016: 6f.).
9 Die Bedeutung weiblicher Körper für die Konstruktion nationaler Identitäten thematisiert
Abouelnaga (2016: 19ff.) spezifisch auch für den ägyptischen Kontext. Die enge Verflechtung
zwischen Weiblichkeit und Nationalstaatlichkeit wird auch durch den Bildtyp Wählende Frau
(siehe unten) deutlich.
10 Beispielsweise das auch im deutschsprachigen medialen Diskurs weit verbreitete Bild des
›Mädchens mit dem blauen BH‹, auf dem eine weibliche Person zu sehen ist, die von Soldaten
bis auf ihre blaue Unterwäsche entblößt und getreten wird (mehr zur Symbolik des Bildes bei
Eickhof 2013).

213
Lina Brink

auch ›im Westen‹ verständlicher Gesten und Schilder die Bedeutung von
Protestbildern, an die ein internationales Publikum anknüpfen kann (vgl.
Badry 2013: 20). Die Bilder dieses Bildtyps wurden fast alle auf Augen-
höhe und mit wenig Distanz aufgenommen, zudem stellen die gezeigten
Frauen oft Blickkontakt her, sodass eine Nähe zur Betrachter*in entsteht
(vgl. Fahmy 2004: 94ff.; Dastgeer/Gade 2016: 10).
Der zweite Bildtyp, das Porträt (16 Bilder), zeigt individuelle Frauen, die
sowohl im Text als auch im Bild porträtiert oder interviewt und nament-
lich benannt werden. Sie werden damit besonders mit Wert beliehen (vgl.
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Grittmann/Maier 2016: 179; Fahmy 2004: 96), entweder als Akteurinnen


der Proteste11 oder als Expertinnen12 für die protestierenden Frauen und
ihre Forderungen. Ein ebenfalls relativ häufig gezeigter Bildtyp ist der der
Bedrohten Frau (12 Bilder), bei dem einzelne Frauen oder eine Gruppe von
Frauen gezeigt werden, die im öffentlichen Raum durch einen einzelnen
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Mann oder eine Gruppe von Männern bedrängt, bedroht oder gewalttätig
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

angegriffen werden. Zwar knüpfen diese Bilder an etablierte, viktimisie-


rende Visualisierungen muslimischer Frauen an (vgl. Nachtigall 2012;
Fahmy 2004), es ist jedoch auffällig, dass sich die Frauen in vielen Bildern
gegen diese Übergriffe wehren; bzw. ihr Widerstand gegen Übergriffe
Thema dieses Bildtyps ist. Beim Typ Weitere Aktionsräume (9 Bilder) werden
zusätzlich zu Demonstrationen im öffentlichen Raum andere Protestfor-
men sichtbar, etwa Graffitis oder Zeichnungen, die zum Widerstand von
Frauen aufrufen, oder Online-Proteste auf Blogs oder in sozialen Netzwer-
ken. Damit wird die Präsenz kreativer Aktionsformen während der Proteste
(vgl. Badry 2013: 24f.) und die vielfach diskutierte Bedeutung ›sozialer‹
Medien für die Proteste in Ägypten (vgl. u. a. Khamis/Vaughn 2012) sicht-
bar. Ein weiterer Bildtyp, Wählende Frau (8 Bilder), zeigt einzelne Frauen
oder eine Kleingruppe von Frauen, die gerade wählen oder offensichtlich
gerade gewählt haben und damit symbolisch für die Forderungen sowohl
einer Demokratisierung der gesamten ägyptischen Nation als auch einer
zunehmenden politischen Beteiligung von Frauen stehen.

11 Zwei Personen, die auf mehreren Porträtbildern gezeigt werden sind Aliaa al-Mahdi, die auf
ihrem Blog Nacktbilder als Protest gepostet hatte und sich später der Gruppe Femen anschloss,
und Samira Ibrahim, die sich gerichtlich gegen die Untersuchung ihrer Jungfräulichkeit durch
Soldaten gewehrt hatte (vgl. zur Repräsentation dieser beiden Personen auch Eickhof 2013).
12 Als Expertin tauchen meist Frauen auf, die auch international bekannt sind, eine Stimme ha-
ben, z. B. Nawal El-Saadawi, eine der ›Grand Dames‹ der ägyptischen Frauenbewegung oder
Wendy Brown, Ägypten-Expertin einer international agierenden Organisation.

214
Repräsentationen versammelter weiblicher Körper:
Die Bildberichterstattung über Proteste in Ägypten seit 2011

In den häufig gezeigten Bildtypen überwiegt die Darstellung hand-


lungsfähiger Frauen. Die Relevanz der seltener vorkommenden Bild­typen
zeigt sich besonders in ihrer Ambivalenz zu dieser dominanten Darstellung,
da sie teilweise mit der Repräsentation typischer Protestbilder und ›mo-
derner‹ Weiblichkeit brechen. Seltener sind die folgenden zwei Bildtypen
im Diskurs: Der Typ Freie Frau (3 Bilder) zeigt eine Alltagsszene außerhalb
der Proteste, die den Gegensatz zwischen ›freien‹, westlich gekleideten
Frauen und eher ›traditionellen‹ Frauenbildern aufzeigt. Und schließlich
zeigt der Bildtyp Muslimische Frau (3 Bilder) einzelne Frauen oder Grup-
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pen von Frauen, die beten oder über ihre Verschleierung als religiös zu
sehen gegeben werden. Mit beiden Bildtypen wird der weibliche Körper
als Aushandlungsort zwischen Tradition und ›Moderne‹ hervorgebracht.
In einem zweiten Analyseschritt wurde bildtypenübergreifend unter-
sucht, wie weiblich markierte Körper im Diskurs konstituiert werden und
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ob in diesem Kontext von einer anerkennenden Sichtbarkeit13 gesprochen


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

werden kann. Zudem wurde nach den daraus folgenden Möglichkeiten


der Sichtbarkeit politischen Handelns und von Forderungen nach einem
lebbaren Leben gefragt.
Die Konstruktion von Weiblichkeit knüpft in den dominanten Bildty-
pen an okzidentale Repräsentationen, die Körperlichkeit, Schönheit und
Jugend von als weiblich markierten Körpern hervorheben, an. Dabei wer-
den häufig gerade Zeichen einer aktiven Inszenierung von Weiblichkeit
über das Aussehen gezeigt, wie etwa das Tragen von Nagellack, Lippenstift
oder modischen Accessoires, und damit die von McRobbie diskutierten
okzidentalen Normen des Erscheinens von Frauen reproduziert. In Ab-
bildung 1 wird beispielsweise die Repräsentation einer in der Bildunter-
schrift als ›jung‹ bezeichneten Frau, die zudem gängigen Schönheitsnor-
men entspricht und offene Haare, Ohrringe und pinken Nagellack trägt
und die in einer aktiven und entschlossenen Rolle gezeigt wird, verbun-
den mit einem anerkennenden, ja gar ermächtigenden Aufnahmewinkel
(vgl. Fahmy 2004: 108).

13 Zentraler Bezugspunkt für die Analyse der Repräsentation von Personen und Körpern und
der Frage nach ihrer visuellen Anerkennung waren dabei die Ausführungen von Grittmann
und Maier (2016) zur Analyse von Anerkennung durch Bilder, sowie die Ausführungen in der
Studie von Lünenborg und Maier (2017).

215
Lina Brink

Abbildung 1
Eine junge Frau trommelt Ende Januar auf dem
Tahrir-Platz, sie setzt sich für die Frauenrechte ein
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Quelle: Kretschmer (2013), Sallie Pisch/Demotix

Interessant ist die ambivalente Deutung des Kopftuches im Diskurs und


die damit verbundene Verhandlung des Ideals der Sichtbarkeit weiblicher
Körper in den Bildern (vgl. u. a. Wenk 2008; Fahmy 2004). Das in orientali-
sierenden Diskursen zentrale Symbol für das ›Andere‹ schlechthin wird »in
westlichen Diskursen meist mit nicht-wertschätzenden Zuschreibungen
verknüpft« (Grittmann/Maier 2016: 177). Im hier untersuchten Diskurs
tragen jedoch häufig auch Frauen im Bildtyp Protestierende Frau ein Kopf-
tuch und werden visuell mit Wert beliehen. Andererseits erfolgt über die
Gegenüberstellung von verschleierten und nicht verschleierten Frauen
auch eine Rekonstruktion des Ideals der Sichtbarkeit des weiblichen Kör-
pers. Gerade in der Berichterstattung über Aliaa al-Mahdi, die auf ihrem
Blog Nacktfotos veröffentlicht hatte, lässt sich die Abbildung der Nackt-
bilder als Rekonstruktion der Normalität des Zeigens weiblicher Körper
verstehen, die hier zudem als Geste des Protests gegen eine konservative
Gesellschaft gedeutet wird. Ein Foto zeigt es als Graffito an einer Mauer
(also ebenfalls im öffentlichen Raum) neben dem Bild eines Frauenkopfes
mit Kopftuch (Abb. 2). Hier wird insbesondere auch in Verbindung mit der
Bildunterschrift ein Gegensatz zwischen sichtbarem und nicht sichtbarem
Körper hergestellt und damit eine Deutung der politischen Botschaft des
Nacktbildes vermittelt.

216
Repräsentationen versammelter weiblicher Körper:
Die Bildberichterstattung über Proteste in Ägypten seit 2011

Abbildung 2
Graffito in Kairo 2011: Kulturkampf um den Frauenkörper
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Quelle: Würger (2013), Capucine Granier-Deferre/News Pictures

Eine Ambivalenz zeigt sich auch in der Konstitution von Weiblichkeit


als einerseits fürsorglich, freundlich und zerbrechlich, womit an stereotype
Weiblichkeitskonstruktionen angeknüpft wird, und andererseits als ener-
gisch, kämpferisch und entschlossen. Deutlich wird dies in einem Titelbild
des Spiegels (Abb. 3), welches die im Titel hervorgehobene Zerbrechlichkeit
mit dem Bild einer Frau visualisiert, diese aber zugleich in einer kämpferi-
schen Haltung zeigt. Durch die Ähnlichkeit der Bildkomposition (eine Frau
mit anscheinend meist männlichen Protestierenden im Hintergrund, die
mit kämpferischem Ausdruck eine Nationalfahne schwingt) knüpft dieses
Bild an das für die Französische Revolution ikonische Bild der Marianne an.
In fast allen Bildtypen, insbesondere aber im dominanten ersten Bild-
typ, werden Frauen nicht als passive und unterdrückte Körper, sondern
als emanzipierte und aktive Subjekte zu sehen gegeben (zur Bedeutung
der Differenzierung zwischen aktiven und passiven Rollen in der Darstel-
lung orientalisierter Frauen siehe Fahmy 2004: 98; Dastgeer/Gade 2016:
9). Fokussiert wird dabei auf die individuelle Ermächtigung von Frauen
in Form des Widerstandes gegen eine Einschränkung der individuellen
Freiheit durch Männer oder die Gesellschaft. Dies geschieht etwa indem
Frauen gezeigt werden, die sich gegen körperliche Übergriffe von Männern
wehren oder gewehrt haben (Bildtypen Porträt und Bedrohte Frau, Abb. 4).

217
Lina Brink

Abbildung 3
Titel Der Spiegel 6/2011
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Quelle: Der Spiegel vom 07.02.2011


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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Abbildung 4
Ort der Angst: Frauen wehren sich auf dem Tahrir-Platz
gegen aggressive Anmache

Quelle: Topçu (2013: 13), AP/El Shorouk Newspaper

Der bedrohte weibliche Körper wird damit im Diskurs gleichzeitig als


aktiv und widerständig zu sehen gegeben, was durchaus einen Bruch mit
tradierten Repräsentationen der Rettung der ›Anderen Frauen‹ durch
westliche Männer oder Frauen darstellt (vgl. Spivak 1994: 93). Eine Aner-
kennung der zu sehen gegebenen weiblichen Körper erfolgt damit über
deren Individualisierung und Personalisierung, durch den Kamerawinkel
sowie über die aktive Rolle, die Frauen in den Bildern einnehmen.

218
Repräsentationen versammelter weiblicher Körper:
Die Bildberichterstattung über Proteste in Ägypten seit 2011

5. Folgen anerkennender Sichtbarkeit

Die bisherige Analyse hat gezeigt, dass in einem gewissen, engen Rahmen
von einer anerkennenden Sichtbarkeit gezeigter Frauen im Diskurs gespro-
chen werden kann. Daran schließt sich mit Butler die Frage an, inwiefern
damit ein Erscheinen politischen Handelns und Forderungen nach einem
lebbaren Leben einhergehen. Die Analyse zeigt, dass dies nur in einem sehr
engen Rahmen der Fall ist.
Das politische Handeln und der Widerstand sich versammelnder weib-
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licher Körper wird im Diskurs vor allem unter zwei Bedingungen sichtbar:
Zum einen wird fast ausschließlich im öffentlichen Raum stattfinden-
der Protest gezeigt, zum anderen wird die Ausübung von Freiheit vor al-
lem als individueller Akt des Aufbegehrens sichtbar, auch wenn dieser im
Rahmen eines kollektiven Protests stattfindet. Damit wird die Trennung
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von privatem als unpolitischem und öffentlichem als politischem Raum


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

rekonstruiert (u. a. Young 1990: 119) und die Ausübung von Freiheit als
individuelle Wahl und weniger als strukturelle Möglichkeit sichtbar. Als
Verschiebungen können dabei die seltene Fokussierung auf kollektiv or-
ganisierte Widerstandsformen (z. B. Schutztrupps für Frauen) oder andere,
ästhetische Protestformen, wie die Verbreitung politischer Zeichnungen
im öffentlichen Raum, gedeutet werden (vgl. dazu Abouelnaga 2016: 5).
Als Bedingung eines lebbaren Lebens für die protestierenden weibli-
chen Körper wird über die Bilder der Schutz des weiblichen Körpers (ins-
besondere durch englische Forderungen auf Protestplakaten) und die po-
litische Beteiligung (durch den Bildtyp Wählende Frau) von Frauen sichtbar.
Hier werden also spezifische Herausforderungen für ein lebbares Leben
für Frauen thematisiert, weniger gesamtgesellschaftliche Forderungen.
Zugleich werden andere zentrale Forderungen, insbesondere Fragen der
(auch globalen) ökonomischen und sozialen Gerechtigkeit, nicht sichtbar
(vgl. dazu auch Abouelnaga 2016: 2ff.) – eine Ausnahme bilden hier in
einigen Fällen die textlichen Kontexte der Bilder.

6. Fazit

Die Analyse hat gezeigt, dass im Rahmen der Repräsentation von Frauen
im Kontext der deutschsprachigen Berichterstattung über Proteste in
Ägypten zwischen 2011 und 2014 – anders als in tradierten orientalisie-

219
Lina Brink

renden Formen des Zu-sehen-Gebens von Frauen aus dieser Region – von
eingeschränkten Momenten anerkennender Sichtbarkeit im Sinne einer
Belehnung mit Wert gesprochen werden kann. Diese erfolgt jedoch nur
unter der Bedingung einer Anpassung der gezeigten Subjektpositionen an
okzidentale Normen und damit deren Reproduktion. Ebenso ist auch der
Rahmen der politischen Handlungen und Forderungen, die im Kontext
der Repräsentation dieser verkörperten Proteste sichtbar werden, durch
soziale Normen stark begrenzt. Die Sichtbarkeit rekonstruiert hier zen­
tral okzidentale diskursive Kontinuitäten und damit gesellschaftliche
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Realitäten. Mit Brunner kann davon gesprochen werden, dass die zen­
trale Bedingung für die Anerkennung von Subjekten im Diskurs sowie
die Sichtbarkeit ihrer politischen Handlungen und Forderungen die Mög-
lichkeit einer »okzidentalischen Selbstvergewisserung« (Brunner 2013:
369) ist. Diskursiv aktualisiert werden dabei westliche Geschlechterbilder
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und -normen, eine Universalität westlicher Normen und Werte und damit
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

die Überlegenheit okzidentaler Gesellschaften über orientale. In diesem


Sinne kann auch hier von einer diskursiven Kolonisierung von in diesem
Fall widerständigen Frauenkörpern gesprochen werden. Die vorliegende
Analyse zeigt die Notwendigkeit, die mediale Repräsentation verkörperter
Proteste genauer zu untersuchen, wenn gefragt werden soll, welche For-
derungen solche ›pluralen Formen der Performativität‹ über den lokalen
Kontext hinaus stellen können.

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Miriam Stehling / Cornelia Brantner /
Katharina Lobinger
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Meme als Diskursintervention:


Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel von
#distractinglysexy
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

1. Einleitung

Im Rahmen der World Conference of Science Journalists in Seoul tätigte der Bio-
chemiker und Nobelpreisträger Tim Hunt am 8. Juni 2015 eine Aussage, die
einen Protest von Wissenschaftler_innen auslöste. Sinngemäß übersetzt,
führte er in einer Rede folgende Bedenken gegen ›Mixed-Gender-Labs‹
an: »Drei Dinge passieren, wenn sie [Frauen] im Labor sind: Du verliebst
dich in sie, sie verlieben sich in dich und wenn du sie kritisierst, weinen
sie.« Anwesende Journalistinnen verbreiteten seine Sätze via Social Me-
dia. Zwei Tage später trat Hunt von seiner Ehrenprofessur am University
College London und von seiner Position im Royal Society’s Biological Sciences
Awards Committee zurück. Zur gleichen Zeit rief The Vagenda Team mit einem
Tweet Wissenschaftlerinnen dazu auf, Bilder von sich unter dem Hashtag
#distractinglysexy zu posten. Innerhalb weniger Stunden erschienen tau-
sende Beiträge mit dem vorgeschlagenen Hashtag auf Twitter und anderen
Social Media. Die Tweets bestehen meist aus Bildern vorwiegend weibli-
cher Wissenschaftler_innen, die diese in verschiedenen Arbeitssituationen
abbilden, und aus einem Text, der ironisch Bezug zu den Aussagen Hunts
nimmt. Die Ergebnisse der im Folgenden dargestellten Studie zeigen, dass

225
Miriam Stehling / Cornelia Brantner / Katharina Lobinger

sich die Körperbilder1 von Frauen, die über das Hashtag verbreitet werden,
auf die in Medien verbreitete Geschlechterdarstellung beziehen, die Frauen
in einem sehr engen Rollenspektrum und in stereotyper Art und Weise vi-
sualisieren (vgl. Thiele 2015: 234f.). Durch das Hashtag #distractinglysexy
(wörtlich übersetzt ›ablenkend sexy‹) werden die geteilten Körperbilder,
die mit Butler (1988) als performative Handlungen verstanden werden
können, so gerahmt, dass der Rekurs auf Hunts Äußerungen deutlich
wird. Die Bilder werden dadurch auch als Inszenierungen gekennzeichnet,
welche die Klischees und Vorurteile anspielen, mit denen sich Frauen in
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den Naturwissenschaften konfrontiert sehen und die Hunt öffentlich äu-


ßert. Die Ironie, der über das Hashtag gesammelten Körperbilder, besteht
somit darin, dass diese Art der (Selbst-)Repräsentation von Frauen und
Frauenkörpern nicht den gesellschaftlichen Normen und Vorstellungen
von ›sexy‹ entspricht.
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Am Beispiel #distractinglysexy zeigt dieser Beitrag auf, dass Meme, die


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

über Hashtags verbreitet werden, eine Intervention gegen Sexismus in den


Wissenschaften darstellen können. Der Beitrag beschäftigt sich erstens da-
mit, wie diese Meme eine Möglichkeit bieten, (Körper-)Bilder von Frauen
in den Medien zu erweitern und diese in digitalen Ad-hoc-Öffentlichkeiten
zu nutzen, um gegen Sexismus und Diskriminierung von Frauen zu pro-
testieren. Zweitens wird untersucht, welche Resonanz diese Bilder in der
massenmedialen Berichterstattung erhalten und mit welcher Bedeutung
sie versehen werden. Im Folgenden wird #distractinglysexy zunächst als
ein Protest- bzw. Mem-Hashtag, sowie als feministischer Hashtag-Akti-
vismus gekennzeichnet. Vor diesem Hintergrund werden die Ergebnisse
einer Bildtypen-Analyse von Tweets über #distractinglysexy und einer Dis-
kursanalyse der Berichterstattung in journalistischen Medien präsentiert.

2. Meme und feministischer Hashtag-Aktivismus

Die Tweets, die über das Hashtag #distractinglysexy geteilt wurden, lassen
sich als Meme verstehen. Meme bestehen nach Shifman (2014b) aus ver-
schiedenen digitalen Elementen, die nicht nur von mehreren Benutzer_in-

1 Körperbild verstehen wir als Bild vom Körper, das durch Medien transportiert wird, und nicht
als Bild, das eine Person von ihrem eigenen Körper hat (vgl. Luca 2007: 36).

226
Meme als Diskursintervention:
Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel von #distractinglysexy

nen geteilt, sondern auch von vielen Akteur_innen erzeugt und verändert
werden. Meme sind üblicherweise Kommunikate, die multimodal sind,
bestehend aus visuellen Elementen, verbalen Texten und Tags. Sie haben
gemeinsame inhaltliche Eigenschaften und sind mit anderen Elementen
verknüpft, die zum selben Mem gehören. Meme sind aber nicht nur als
einzelne Einheiten zu sehen; über sie können auch kulturelle und gesell-
schaftliche Gemeinschaften sowie gleichzeitig die individuellen Stimmen
in diesen Gemeinschaften untersucht werden (vgl. Shifman 2014a: 163).
Genauer lässt sich #distractinglysexy auch als Mem-Hashtag bzw. virales
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Mem bezeichnen. Nach Bruns et al. (2016: 36f.) entstehen Mem-Hashtags


im Rahmen von Ad-hoc-Öffentlichkeiten sehr schnell als Antwort auf ein
spezifisches Ereignis oder Thema und drücken meist ein bestimmtes Ge-
fühl bzw. eine bestimmte Haltung dazu aus. Mem-Hashtags können auch
selbst zu einem (Medien-)Event werden. Diese Attribute eines Mem-Hash-
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tags treffen auch auf #distractinglysexy zu.


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Des Weiteren ist zu betonen, dass die Tweets, die über das Hashtag
geteilt wurden, häufig Foto-Meme darstellen. Dies ist bei dem Beispiel
#distractinglysexy von besonderem Interesse, weil es sich bei den entspre-
chenden Foto-Memen meist um Körperbilder handelt. In diesem Beitrag
geht es zwar vor allem um die Bilder, die über das Hashtag verbreitet
werden; diese sind aber nur in ihrer Multimodalität zu verstehen. Die
Körperbilder, die von Wissenschaftler_innen geteilt werden, stehen also
nicht nur als visuelles Element für sich alleine, sondern können nur im
Zusammenspiel mit dem Hashtag #distractinglysexy als eine Reaktion auf
Hunts Aussagen gelesen werden.
Meme können auch als Form politischer Partizipation verstanden wer-
den, wenn Nutzer_innen sich über diese an gesellschaftlichen und politi-
schen Debatten beteiligen (vgl. Shifman 2014a: 114). In diesem Sinne verste-
hen wir auch das Mem-Hashtag #distractinglysexy als ein politisches Mem
und als Form der politischen Partizipation. Es nimmt auf eine normative
Debatte über Sexismus Bezug und artikuliert ein feministisches Anliegen,
nämlich den Kampf gegen Sexismus und Diskriminierung von Frauen in
der Wissenschaft. Diese Intervention bezeichnen wir im Folgenden auch
als ›Protest‹ und das Hashtag #distractinglysexy als ›Protest-Hashtag‹. Ein
Protest, der sich spontan über ein Hashtag ausdrückt und der über digitale
Öffentlichkeiten hinweg auch in massenmedialen Öffentlichkeiten sichtbar
werden kann, wird auch als ›diskursiver Aktivismus‹ bzw. ›Hashtag-Aktivis-
mus‹ bezeichnet (vgl. Clark 2016: 2). Feministischer Hashtag-Aktivismus

227
Miriam Stehling / Cornelia Brantner / Katharina Lobinger

ermöglicht es nach Drüeke (2015: 26), gesellschaftliche Normierungsstra-


tegien zu diskutieren und Normen und Werte des Zusammenlebens so-
wie Zuschreibungen an Männlichkeit und Weiblichkeit zu reflektieren.
Solche politischen Anliegen und feministische Interventionen können in
Memen »humorvoll verpackt« (Shifman 2014a: 114) werden, wie es auch
bei #distractinglysexy der Fall ist.
Humor und Ironie ist im Zusammenhang mit Online-Protesten mitt-
lerweile ein etabliertes Instrument. Milner (2016) zeigt beispielsweise, dass
Meme öffentliche Diskurse verändern können, weil sie Stimmen Ausdruck
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verleihen, die unter anderen Umständen bei ungleichen Verhältnissen


nicht gehört werden. Dabei spielt die Resonanz der Meme auf emotionaler
Ebene, die vor allem durch Ironie, Humor und Spiel, aber auch Empörung
entsteht, eine essenzielle Rolle für ihre Verbreitung und Veränderung (vgl.
Milner 2016: 31; Shifman 2014a). Auch in der Protest- und Sozialen Be-
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wegungsforschung wird Formen der Ironie und Subversion mittlerweile


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

mehr Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. Betz 2016; Schmincke 2017).


Dass Körper und visuelle Körperrepräsentationen auf vielfältige Weise
im Rahmen der Protestkommunikation (online wie offline) eingesetzt wer-
den, zeigen die oberkörperfreien Proteste der Frauengruppe Femen (vgl.
Thomas/Stehling 2015), die weltweiten SlutWalks (vgl. Mendes 2015)
oder Aktionen des Poner el cuerpo2 durch Aktivistinnen in Argentinien (vgl.
Sutton 2007). Gerade der vergeschlechtlichte Protest mit dem Körper
steht bei diesen Protesten im Fokus (vgl. O’Keefe 2014). Körper sollen hier
zum einen als Ort des Widerstands verstanden werden, zum anderen als
ein kontextualisiertes Produkt der Beziehungen zwischen Kapitalismus,
Patriarchalismus, Rassismus, Kolonialismus und anderen Systemen der
Unterdrückung (vgl. ebd.: 3). Zu ›Protestkörpern‹ werden Körper dann,
wenn sie Widerstand gegen diese Strukturen zeigen. Körper und Körper-
bilder sind also u. a. vergeschlechtlicht, d. h. über sie und mit ihnen wer-
den vergeschlechtlichte Normen und Ideale in spezifischen Gesellschaften
produziert und reproduziert. Diese Normen und Ideale sind insbesondere
bei weiblichen Körpern sichtbar, wenn es um Körpermaße, Aussehen, Klei-
dung bzw. keine Kleidung geht. Damit geht meist eine Sexualisierung des
weiblichen Körpers und Sexismus einher, gegen die sich in feministischen

2 Im übertragenen Sinne kann dies mit »den Körper (hin)stellen« übersetzt werden und meint,
den Körper für Protest und Widerstand einzusetzen (vgl. Sutton 2007: 130).

228
Meme als Diskursintervention:
Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel von #distractinglysexy

Protesten gewehrt wird. Allerdings sind gerade solche Proteststrategien,


die sich einer Sexualisierung des weiblichen Körpers bedienen und/oder
mit nackten weiblichen Körpern protestieren, oft als ambivalent zu be-
werten, weil sie sich gleichzeitig in normative und neoliberale Diskurse
um Weiblichkeit (und Körper) einschreiben (vgl. Thomas/Stehling 2015;
Zychowicz 2015).
Feministische Proteste, Diskurse und Positionen, die zunächst in Sozi-
alen Medien und Online-Öffentlichkeiten sichtbar werden, finden immer
öfter den Weg in die traditionellen Massenmedien, wie z. B. das Hashtag
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#aufschrei (vgl. Drüeke/Zobl 2016; Gsenger/Thiele 2014) oder #metoo,


ein Hashtag, das im Oktober 2017 Frauen weltweit dazu aufrief, Sexismus-
und Missbrauchserfahrungen zu teilen. Dadurch werden Anliegen auch
über die Sphäre der Sozialen Medien hinaus sichtbar und verhandelbar
(vgl. Jackson/Foucault Welles 2015: 948). ›Traditionelle‹ Massen­medien
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nehmen dann einerseits Bezug auf Diskussionen, die in sozialen Medien


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

geführt werden, indem sie beispielsweise Tweets direkt zitieren; anderer-


seits wird diese Berichterstattung wiederum in Tweets integriert. Diese
wechselseitigen Verbindungen zwischen verschiedenen Ebenen von Öffent-
lichkeit nehmen wir in diesem Beitrag am Beispiel von #distractinglysexy
in den Blick, indem wir erstens die (Körper-)Bilder, die über das Hashtag
#distractinglysexy auf Twitter verbreitet wurden, analysieren und Bild-
typen herausarbeiten. Zweitens wird durch eine Diskursanalyse der jour-
nalistischen Berichterstattung über #distractinglysexy in Deutschland
und Großbritannien aufgezeigt, welche Resonanz der Hashtag-Protest in
massenmedialen Öffentlichkeiten erzeugte und welche Deutungsmuster
sich in der journalistischen Berichterstattung finden lassen.

3. Analyse der Bildtypen bei #distractinglysexy

Im Folgenden präsentieren wir die Ergebnisse einer empirischen Un-


tersuchung mit Mitteln der qualitativ-quantitativen Bild- bzw. Tweet-­
Typenanalyse (siehe dazu auch Brantner/Lobinger/Stehling 2017) und
konzentrieren uns dabei auf jene Bildtypen, die Frauenkörper darstellen.
Für die Analyse wurden zunächst alle Tweets mit dem Hashtag
#distractinglysexy (n = 30.864) via Twitter-Websearch heruntergeladen
(siehe ausführlich Brantner/Lobinger/Stehling 2017). Für die Bildty-
penanalyse – die gleich näher beschrieben wird – wurde mittels Zufalls­

229
Miriam Stehling / Cornelia Brantner / Katharina Lobinger

stichprobe ein repräsentatives Sample von 410 Tweets aus jenen 7.908
Tweets, die von den User_innen auf Twitter hochgeladene Bilder (also vi-
suellen User Generated Content) enthalten, gezogen.
Entsprechend dem Vorgehen der quantitativen Bildtypenanalyse (vgl.
Grittmann/Ammann 2011; Grittmann 2001) wurden im ersten Schritt
Bildtypen induktiv aus dem Material gebildet. Dabei bündelt ein Bildtyp
jene Bildmotive mit gleicher inhaltlicher Aussage bzw. Bedeutung. Gritt-
mann und Ammann (2011) setzen das Verfahren für den Journalismus ein,
da sich nicht zuletzt aufgrund der Routinisierung journalistischer Prak-
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tiken themenspezifische Repertoires an Bildern entwickelt haben, die


immer wiederkehren. Auch im Rahmen des Hashtag-Protests zeigen sich
wiederkehrende Bildtypen. Somit lässt sich die Bildtypenanalyse auch
außerhalb journalistischer Kontexte – in diesem Fall auf visuellen User-
Generated-Content – anwenden. Zwar lassen sich noch nicht Bezüge zu
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einer langjährigen ›Typengeschichte‹ aufzeigen (vgl. Brantner/Lobin-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

ger/Stehling 2017), jedoch haben auch soziale Medien bestimmte Kon-


ventionen hervorgebracht, die in Bezug auf Bildtypen diskutiert werden
können. Gerade etwa Selfies stellen typische Repräsentationen dar und
nehmen auch Bezug auf traditionelle Bildgattungen und Bildpraktiken,
auch wenn diese Bezüge (z. B. der Bezug Selfie – Selbstporträt) mit Vor-
sicht hergestellt werden müssen (vgl. Lobinger 2016a: 43).
Im zweiten Schritt wurden die Bilder und Tweet-Texte quantitativ
codiert, dabei wurden u. a. bildspezifische Darstellungsaspekte erhoben,
bei denen nicht im Fokus steht, was dargestellt wird, sondern wie etwas
visuell dargestellt wird (siehe dazu Grittmann/Lobinger 2011: 152ff.).
So wurden die dargestellte soziale Distanz (dreistufig: intime/persönli-
che Distanz, soziale Distanz, öffentliche Distanz), Blickrichtung (direkt
in die Kamera, weg von der Kamera, gemischt, nicht erkennbar) und Ge-
sichtsausdruck (lachend/fröhlich, traurig/weinend, ›sexy‹, konzentriert/
ernst, andere, nicht erkennbar) codiert. Unterschiedliche Grade sozialer
Distanz, die sich durch den Abstand zwischen Kameraposition und darge-
stellter Person ergeben, und unterschiedliche Blickrichtungen, werden mit
unterschiedlichen Graden von Intimisierung und Involvierung assoziiert
(vgl. Bell/Milic 2002; Hall 1966). Zusätzlich wurden Textvariablen für
den verbalen Text der Tweets codiert.
Diese quantitativen Variablen dienten auch dem dritten Schritt: der
Beschreibung und Interpretation der Bildtypen. Hierfür wendeten wir

230
Meme als Diskursintervention:
Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel von #distractinglysexy

eine kombinierte ikonografisch-ikonologische Analyse an (vgl. Brantner/


Lobinger/Stehling 2017).
Insgesamt wurden 15 Bildtypen herausgearbeitet. Im Folgenden kon-
zentrieren wir uns auf die drei größten Bildtypen, die insgesamt mehr als
die Hälfte des Gesamtmaterials (53,4 %, n = 219) und zwei Drittel der Per-
sonen- bzw. Körperdarstellungen erfassen und jeweils auf ca. 18 Prozent
Anteil kommen: Die drei Bildtypen haben wir als ›Selfies‹ (17,8 %, n = 73),
›Wir sind die Frauen in der Wissenschaft‹ (18,0 %, n = 74) und ›Forschung
in Aktion‹ (17,6 %, n = 72) bezeichnet.
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3.1 Bildtyp ›Selfies‹

Der Bildtyp Selfies, der überwiegend aus Einzel-Selbstporträts von Wissen-


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schaftlerinnen besteht – nur sechs Fotos zeigen mehrere Personen und in


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

nur einem dieser sechs ist auch ein Mann zu sehen – weist aufgrund der
Verwendung des Bildgenres ›Selfie‹ eine hohe ästhetische Homogenität
auf. Einer engen Selfie-Definition entsprechend, sind die dargestellten
Personen zugleich die Fotograf_innen (vgl. Lobinger 2016a: 43). Es han-
delt sich zumeist (95,9 %) um ›typische‹ One-Arm-Length-Selfies, in denen
der Arm möglichst weit weggestreckt wird, um mit der Frontkamera des
Smartphones einen guten Blick auf sich selbst zu bekommen. Daraus re-
sultiert, dass sie die dargestellten Personen in ›intimer‹ bzw. ›persönlicher‹
Distanz zeigen. Lediglich in drei Fällen (4,1 %) liegt eine ›soziale Distanz‹
vor, dies betrifft sogenannte ›Spiegel-Selfies‹. Wenig überraschend gibt
es keine Selfies, die die Dargestellten in öffentlicher Distanz zeigen. Die
intime Distanz führt die Betrachter_innen nah an die Dargestellten heran
und erzeugt besondere Nähe. Die Selfies suggerieren, das Bild sei aus der
Situation heraus spontan entstanden, wenngleich natürlich anzunehmen
ist, dass Selektions- und Kontrollprozesse bei der Repräsentation des Selbst
eine wichtige Rolle spielen (siehe Abb. 1).
Ein weiteres Charakteristikum dieses Bildtyps ist der direkte Blick in
die Kamera, der u. a. dadurch entsteht, dass die Bildkontrolle bereits wäh-
rend des Aufnahmeprozesses, mit einem Blick auf das Display, möglich ist.
Die unter #distractinglysexy zu findenden Selfies zeigen überwie-
gend Körperrepräsentationen in Labor- und Forschungskontexten, wie
an Schutzkleidungen, Schutzmasken, Sicherheitsbrillen und weiteren
wissenschaftlichen Arbeitsmitteln zu erkennen ist. Durch die humorvolle

231
Miriam Stehling / Cornelia Brantner / Katharina Lobinger

Kombination stark verhüllter Körper, die teilweise sogar ein Erkennen


der Person verunmöglichen, mit der ironischen Selbstzuordnung zum
vermeintlichen Problem der Frauen, ›ablenkend sexy‹ zu sein, lässt sich
vermuten, dass die meisten dieser Selfies explizit zum Zwecke des femi-
nistischen Protests unter #distractinglysexy angefertigt wurden. Das Sel-
fie, das oft als narzisstische Bildform naiver junger Frauen stigmatisiert
wird (vgl. dazu Lobinger/Brantner 2015; Lobinger 2016b), wird damit
zu einer besonders beweglichen, visuellen Form des Protests. So konnten
Forscherinnen aus aller Welt in ihren Selbstporträts zeigen, wie ›distrac-
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tinglysexy‹ sie in ihrem Arbeitskontext tatsächlich sind.

Abbildung 1
Beispiele für den Bildtyp ›Selfies‹3
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Quellen: Screenshots der Tweets der Userinnen, anonymisiert

Der Körper der Forscherinnen spielt hier eine besondere Rolle. Denn
während die Aussage ›I am distractinglysexy‹ ganz klar auf Körperlich-
keit verweist, zeigen die wenigsten Selfies Körper. Sie verdecken den Blick
auf den Körper vielmehr durch Schutz- und Laborbekleidung, und dies
gilt auch für den nächsten Bildtyp (siehe 3.2). Das in den Tweets vorkom-
mende Stilmittel lässt sich als die eingangs beschriebene Anaphrase oder
Gegenteil-Ironie bezeichnen. Häufige verbale Aussagen der Tweets, in
denen vermeintlich weibliche Stereotypen und die Vorwürfe Hunts aufge-

3 Wir haben alle abgebildeten Wissenschaftlerinnen kontaktiert und ihre Erlaubnis für den
Abdruck ihrer Tweets eingeholt.

232
Meme als Diskursintervention:
Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel von #distractinglysexy

griffen werden, sind sinngemäß4: »Es tut mir leid, wenn dieser Respirator
dich heiß macht!« oder »Heute habe ich nicht geweint #Erfolg« (siehe Nr. 1
und Nr. 2 in Abb. 1). Typischerweise ist es das Bild, das die Aussage visuell
widerlegt und die humorvolle Anaphrase vollendet. Dieser humorvolle
Gegensatz funktioniert deshalb so gut, weil das Verhältnis von Bild und
Text auf den Kopf gestellt wird. Einerseits werden in Social-Media-Bildern
häufig Tags und Beschreibungen beigefügt, um zu erklären, was auf dem
Bild zu sehen ist bzw. gesehen werden soll. Der Text dient dann der Ein-
schränkung der Polysemie des Bildes. Andererseits werden Bilder auch
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eingesetzt, um den Text zu illustrieren. Beides funktioniert in diesem Fall


nicht. Man kann bei vielen der Tweets in diesem (aber auch in den anderen)
Bildtyp(en) von einer Bild-Text-Schere sprechen. Was der Text aussagt, ist
nämlich im Bild nicht zu erkennen. Die Aussage »Ich bin ablenkend sexy«
wird entweder direkt getätigt oder durch das Hashtag als beschreibendes
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Tweet-Merkmal erzeugt. Durch den Kontrast der professionellen und mit


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

hohem Wissen verknüpften Wissenschaft und den stereotypen weiblichen


Vorlieben und Verhaltensweisen wird ein zusätzlicher humorvoller Bruch
geschaffen. Zum Beispiel erfolgt in der Aussage »Not shopping for high
heels makes Dr. Vicki cry« (Nr. 3 in Abb. 1) durch die Kombination des
Doktortitels mit der verniedlichten Form des Vornamens eine humorvolle
›Selbst-Entmächtigung‹.

3.2 Bildtyp ›Wir sind die Frauen in der Wissenschaft‹

Dieser Bildtyp zeichnet sich dadurch aus, dass die dargestellten Personen
im Arbeitskontext offensichtlich vor der Kamera posieren. Sie demon­
strieren damit, dass dieses Bild bewusst gemacht wird. Durch den direkten
Blick bzw. das Lachen in die Kamera werden die Betrachter_innen direkt
angesprochen. Auf den Bildern sind, bis auf drei Fälle, in denen weibliche
und männliche Wissenschaftler_innen gemeinsam abgebildet sind, aus-
schließlich Wissenschaftlerinnen zu sehen. Die Fotografien werden fast
ausnahmslos im Arbeitskontext der Forscherinnen aufgenommen. Cha-
rakteristisch ist dabei, dass nicht ihre Tätigkeit, sondern ihr Erscheinungs-
bild im Vordergrund steht: Sie werden nicht in Arbeitshandlungen gezeigt,

4 Die Zitate wurden durch die Autorinnen ins Deutsche übersetzt.

233
Miriam Stehling / Cornelia Brantner / Katharina Lobinger

sondern in vergeschlechtlichten Posen. Dieses wird, erneut, humorvoll


adressiert. Anders als beim Bildtypus ›Selfie‹ ist hier jedoch mehr Kontext
erkennbar. Dadurch wird auch die dargestellte Distanz größer. Hier zeigen
lediglich 27 Prozent der Fotos die Wissenschaftler_innen in persönlicher
Distanz. Überwiegend werden sie in sozialer Distanz (68,9 %) und damit
in einer weniger intimen Rolle als Kollegin oder Bekannte gezeigt. Dieser
Eindruck entsteht auch, weil es sich um durch andere Personen erzeugte
Repräsentationen handelt.
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Abbildung 2
Beispiele für den Bildtyp ›Wir sind die Frauen in der
Wissenschaft‹
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Quellen: Screenshots der Tweets der Userinnen, anonymisiert

Bei diesem Bildtypus können in 17,6 Prozent der Fälle der Gesichtsaus-
druck bzw. die Mimik nicht erkannt werden, da das Gesicht verdeckt bzw.
nicht gut sichtbar ist. Erneut kommt hier das Phänomen der Unsichtbarkeit
von Teilen des Körpers zum Tragen. In 48,6 Prozent der Bilder dominiert
eine fröhliche, in vielen Fällen sogar eine lustige Stimmung. Darüber hin-
aus fallen noch Bilder auf, in denen die Frauen ganz explizit visuell Bezug
auf die Aussagen Tim Hunts nehmen. In etwa einem Fünftel des Bildtyps
zeigen sich die Forscherinnen ›sexy‹ oder ›weinend‹. Dabei muss jedoch
darauf hingewiesen werden, dass die Emotionen als eindeutig inszeniert
erkennbar sind (vgl. Abb. 2). In Beispiel Nr. 4 schreibt die Userin, sie hätte
so viel geweint, dass sie ihren Roboter darauf programmieren musste, ihr
Taschentücher zu reichen. Sie zeigt sich damit stereotyp als emotionale
Frau; auf dem Foto verbirgt sie ihr Gesicht in den Händen und verhindert

234
Meme als Diskursintervention:
Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel von #distractinglysexy

damit eine direkte Interaktion mit den Betrachtenden. Die zunächst ent-
mächtigend erscheinende Darstellung wird (verbal) dadurch aufgebrochen,
dass das Resultat des hochspezialisierten Wissens, der von ihr program-
mierte Roboter, zu Hilfe eilt. Dieser dient, wie in anderen Bildern andere
›Forschungssymbole‹, als objektiviertes, materialisiertes Wissen, das die
Kompetenz der Forscherin unterstreicht.
Bei den Bildern kann nicht so eindeutig wie bei den Selfies erkannt
werden, ob sie speziell zum Zwecke des Protests unter #distractinglysexy
aufgenommen wurden. In mehreren Fällen werden offensichtlich ältere
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Bilder verwendet. Gemeinsam ist den Bildern jedoch in jedem Fall die Art
und Weise der Körperinszenierung, die offensichtliche Brüche zu sonst in
den Medien gezeigten Frauenkörpern und damit verknüpften Geschlech-
terrollen aufweist. Dieser Gegensatz wird durch den Einsatz von als über-
trieben ›sexy‹ gekennzeichneten Posen noch verstärkt.
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

3.3 Bildtyp ›Forschung in Aktion‹

Dieser Bildtypus besteht aus Bildern, die Frauen bei wissenschaftlichen


Tätigkeiten im Arbeitskontext zeigen, und zeichnet sich durch die beson-
dere Bild-Text-Beziehung aus. Aus den Fotografien selbst lässt sich nicht
erkennen, ob das Bild speziell für den Protestdiskurs produziert wurde.
Vielfach blicken die abgebildeten Forscherinnen – in nur vier Bildern
sind auch Männer zu sehen – in die Kamera und sind sich des Aufnahme­
moments bewusst, jedoch lässt die Pose darauf schließen, dass das Foto,
anders als beim Bildtypus ›Wir sind die Frauen in der Wissenschaft‹, nicht
gemacht wurde, um den Kontrast zwischen Tätigkeit und Schönheitsideal/
Frauenbild in den Vordergrund zu rücken. Es handelt sich vielmehr um
Schnappschüsse aus dem Arbeitsalltag, die teils skurrile Situationen zei-
gen und in vielen Fällen den Spaß der Forscherinnen an der Arbeit zum
Ausdruck bringen. Der Bezug zu #distractinglysexy wird durch den Text
hergestellt, der ein ›Reframing‹ der Bilder bewirkt (siehe Beispiele in
Abb. 3). Der Text bestimmt hier die Lesart des vieldeutigen Bildes, eine
klassische Bild-Text-Kombination, wie sie auch im Journalismus oftmals
eingesetzt wird. Der Text fixiert die denotativen und konnotativen Bedeu-
tungen des Bildes, was Roland Barthes (1964) als »anchorage« bezeichnet.
Erst die ›richtige‹ Anchorage stellt die Verbindung zum Hashtag her und
bietet eine ironische Lesart an, während ohne die Bildbeschreibung die

235
Miriam Stehling / Cornelia Brantner / Katharina Lobinger

Bedeutung des Bildes in diesem Kontext unklar wäre. Aber auch bereits
die Verwendung des Hashtags #distractinglysexy dient zur Einordnung
in den Protest-Diskurs.
Die dargestellte Distanz ist höher als bei den zuvor genannten Bildtypen,
die Personen werden lediglich in 14,1 Prozent der Fotos in intimer Distanz
gezeigt, in 53,5 Prozent in sozialer und 32,4 Prozent in öffentlicher Distanz.
Erwartungsgemäß seltener als bei den ›Selfies‹ aber auch seltener als
bei ›Wir sind die Frauen in der Wissenschaft‹ richteten die Fotografier-
ten ihren Blick direkt auf den Betrachter (50 %). Darüber hinaus weisen
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die meisten Bilder in diesem Typus, wie auch jene in den anderen beiden
Bildtypen, keine professionelle Bildästhetik, sondern eher einen Schnapp-
schusscharakter auf. Vermutlich wurden die Bilder von Kolleg_innen zu
einem früheren Zeitpunkt als Erinnerungsfoto aufgenommen und nicht
explizit für die #distractinglysexy-Aktion produziert.
Das Weitergeben und Kopieren dieses Dokuments ist nicht zulässig.
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Abbildung 3
Beispiele für den Bildtyp ›Forschung in Aktion‹

Quellen: Screenshots der Tweets der Userinnen, anonymisiert

Während die Bildtypen-Analyse zeigt, dass das Hashtag #distractinglysexy


vielseitig als Intervention und Reaktion von Wissenschaftler_innen auf
Hunts Kommentare genutzt wurde5, soll im nächsten Schritt nun geprüft
werden, wie über das Hashtag außerhalb dieser Online-Öffentlichkeit be-
richtet wurde.

5 Die ikonografisch-ikonologische Bildanalyse ist weitaus komplexer als hier aus Platzgründen
dargestellt werden konnte.

236
Meme als Diskursintervention:
Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel von #distractinglysexy

4. Diskursanalyse der medialen Berichterstattung


über #distractinglysexy in Deutschland und
Großbritannien

Mit einer wissenssoziologischen Diskursanalyse (WDA) nach Keller (2011)


wurde die Berichterstattung über #distractinglysexy in ausgewählten Ta-
geszeitungen in Deutschland und Großbritannien untersucht (vgl. Steh-
ling 2017). Die Analyse wurde durch ein dreistufiges Verfahren der Daten-
auswahl, des Samplings und der Feinanalyse durchgeführt.
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Die Datenauswahl erfolgte zunächst mit dem Fokus auf journalisti-


sche Massenmedien, insbesondere überregionale Tageszeitungen, in den
zwei Ländern Deutschland und Großbritannien. Großbritannien wurde
ausgewählt, weil Tim Hunt dort lebt und arbeitet und die Institutionen,
von deren Ämtern er zurückgetreten ist, dort ansässig sind. Deutschland
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ist deshalb interessant, weil hier zuvor einige feministische Hashtags, u. a.


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

#aufschrei, zu öffentlicher Debatte anregten und im medialen Diskurs


diskutiert wurden. Zunächst wurde über die Datenbank LexisNexis mit der
Eingabe der Suchbegriffe »#distractinglysexy« und »Hunt« ein Sample
für den Zeitraum 8. Juni 2015 (Tag, an dem Hunt auf der Wissenschafts-
konferenz in Seoul sprach) bis 5. Juli 2016 gezogen, welches mehr als 107
Artikel enthielt. Mit dem Fokus auf überregionale Tageszeitungen und
Nachrichtenmagazine inklusive ihrer Online-Ausgaben wurde das Sam-
ple reduziert, sodass für die Feinanalyse 31 Artikel aus Großbritannien
(The Guardian, The Telegraph, Mirror, Daily Mail/Mail Online, The Independent,
The Observer) und 16 Artikel aus Deutschland (Frankfurter Allgemeine Zeitung,
Frankfurter Rundschau, RP Online, Tagesspiegel, Spiegel Online, Stern, Süddeutsche
Zeitung, TAZ, Die Welt, Zeit Online) verwendet wurden.

4.1 Deutungsmuster in der Berichterstattung über


#distractinglysexy in Deutschland

In der Berichterstattung über #distractinglysexy in Deutschland konnten


zwei dominante Deutungsmuster identifiziert werden. Erstens wurde ein
Deutungsmuster erkennbar, das Tim Hunt als Betroffenen bzw. Opfer dar-
stellt und die Hashtag-Aktion als einen »Sturm der Empörung« (Töpper
2015, Spiegel Online) bzw. einen »Lynchmob« (Ladipo 2015, Die Welt) be-
zeichnete. Die Artikel in diesem Deutungsmuster zeichnen einen kausa-

237
Miriam Stehling / Cornelia Brantner / Katharina Lobinger

len Zusam­menhang zwischen dem Hashtag-Protest und Hunts Rücktritt,


obwohl der Hashtag-Aufruf erst nach Hunts Rücktritt erfolgte. Diese
Artikel sind in der Regel mit Fotos von Tim Hunt bebildert, auf denen er
in Großaufnahme zu sehen ist. Dies rahmt ihn als den Protagonisten des
Hashtags und lenkt den Fokus von den Wissenschaftlerinnen und Akti-
vistinnen hin zu Hunt. Die Bedeutung der Worte Hunts wird verharmlost,
indem sie beispielsweise als ›ungeschickte‹ oder ›frotzelnde Bemerkungen‹
(vgl. Thomas 2015, FAZ) bezeichnet werden. In einem dieser Artikel wird
eine Parallele zu einer anderen feministischen Intervention (#aufschrei)
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gezogen, allerdings nur, um die These zu unterstreichen, solche feministi-


schen Hashtag-Proteste würden Männer zu Opfern machen. Eine Themati-
sierung von (strukturellen) Ursachen von Sexismus und Diskriminierung
von Frauen in der Wissenschaft bleibt aus.
Das zweite dominante Deutungsmuster ist im Gegensatz zum ersten ein
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die Aktion unterstützendes. Das Hashtag wird in diesen Artikeln als eine
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

gelungene Aktion interpretiert, durch die Wissenschaftlerinnen kreativ


und humorvoll in sozialen Medien auf die Äußerungen Hunts reagieren.
Es wird viel auf die vergnüglichen Meme eingegangen. Allerdings wird
die Aktion nicht als eine (feministische) Intervention gerahmt. Auch hier
kommen die Wissenschaftlerinnen selbst kaum direkt zu Wort, sie werden
lediglich über ihre Tweets bzw. Bilder sichtbar. Der Hashtag-Protest wird
vor allem als eine kreative und lustige Online-Aktion gesehen. Diese Artikel
fokussieren vor allem auf die Aktion selbst, ohne dabei auf die politische
Botschaft des Hashtags, nämlich das Aufmerksammachen auf den immer
noch vorhandenen alltäglichen Sexismus und die Diskriminierung von
Frauen in der Wissenschaft, einzugehen. Die Artikel befürworten zwar die
Aktion und rahmen sie als positiv, jedoch reproduzieren sie lediglich aus-
gewählte Tweets, ohne sie zu kontextualisieren und ohne Hintergründe
zum Anlass der Aktion zu erläutern.

4.2 Deutungsmuster in der Berichterstattung über


#distractinglysexy in Großbritannien

Im medialen Diskurs in Großbritannien spielte die (feministische) Inter-


vention bzw. der (feministische) Protest über das Hashtag #distractingly­
sexy eine größere Rolle und es findet sich eine größere Bandbreite von
Deutungsmustern.

238
Meme als Diskursintervention:
Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel von #distractinglysexy

Das dominante Deutungsmuster ist unterstützend gegenüber Frauen


in der Wissenschaft und gegenüber dem Kampf gegen Diskriminierung
und Sexismus. Die Artikel in diesem Muster betonen »the pressing need
for feminist activism in science« (The Guardian 2015) und stützen dies mit
statistischen Daten, die die Geschlechterungleichheiten in den Wissen-
schaften belegen. Diese Artikel argumentieren, dass Hunt »symbolic of a
larger problem« (Williams 2015, The Guardian) und Sexismus in den Wis-
senschaften in der Tat ein unterschätztes Problem sei. Das Hashtag #dis-
tractinglysexy wird in den Artikeln auch als lustig beschrieben; die Arti-
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kel weisen aber zusätzlich oft auf die Notwendigkeit eines tatsächlichen
Wandels in den Wissenschaften hin und schlagen beispielsweise vor, die
Bilder, die von Wissenschaftlerinnen über das Hashtag #distractinglysexy
gepostet wurden, als Vorbilder dafür zu nutzen.
Ein ähnliches, wenn auch untergeordnetes Deutungsmuster rahmt das
Das Weitergeben und Kopieren dieses Dokuments ist nicht zulässig.

Hashtag als eine kreative und beliebte Kampagne, die geistreich und iro-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

nisch sei. Ein weiteres Deutungsmuster konzentriert sich auf das Potenzial
von Twitter und Hashtags als eine Möglichkeit für die Ermächtigung von
Frauen und das Erheben ihrer Stimmen.
Ähnlich wie im deutschen Diskurs, allerdings nicht so dominant, gibt
es auch im britischen Diskurs ein Deutungsmuster, das Hunt verteidigt
und das Hashtag #distractinglysexy als übertrieben beschreibt. Allerdings
unterscheidet sich die Narration des Deutungsmusters von der im deutsch-
sprachigen Diskurs. Die Personen, die Hunt unterstützen und verteidigen,
kommen hier zwar zu Wort und deren Meinung über das Hashtag als »lynch
mob« (McLelland 2015, Daily Mail Online) wird dargestellt, jedoch bleibt
die Interpretation über die Legitimität dieser Haltung für die Leser_innen
offen. Dies steht im Gegensatz zu Artikeln im deutschsprachigen Diskurs,
die die klare Haltung der Journalist_innen, dass Hunt ›Opfer‹ des Hash-
tags sei, deutlich zeigen.

5. Fazit

Anhand einer Bildtypenanalyse der Fotos, die über das Hashtag


#distractinglysexy über Twitter geteilt wurden, und einer Diskursana-
lyse der journalistischen Berichterstattung über #distractinglysexy in
Deutschland und Großbritannien konnte gezeigt werden, dass humorvol-
ler, memetischer Protest eine kritische Intervention in sexistische Diskurse

239
Miriam Stehling / Cornelia Brantner / Katharina Lobinger

darstellen kann. Der Hashtag-Protest wurde vielfach von Wissenschaft-


ler_innen auf der ganzen Welt dazu genutzt, um mit Selfies und visuellen
Selbstrepräsentationen auf ironische Weise die sexistischen Aussagen Tim
Hunts zu kommentieren und sich so gegen stereotype und frauenfeindli-
che Diskurse in den Wissenschaften auszusprechen. Die Analyse der Bild-
typen zeigt im Detail, dass als ›banal‹ oder sogar naiv geltende, alltägliche
Bildgenres, wie Selfies, humorvoll für Protest und Partizipation eingesetzt
werden können. Es finden sich bei den Bildern vor allem solche Körper-
repräsentationen von Frauen in der Wissenschaft, die stereotype Darstel-
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lungen von ›sexy‹ Frauen durch eine Gegenteil-Ironie unterwandern. Dies


sind visuelle Repräsentationen, die Wissenschaftlerinnen zum Beispiel
in Laborkleidung und Schutzbrillen darstellen, gepaart mit dem Hash-
tag #distractinglysexy und einem ironischen Bezug zu Hunts Aussagen.
Während Frauen in den Medien oft auf sexualisierte Art und Weise dar-
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gestellt werden und sie gerade in Werbung und Zeitschriften meist immer
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

noch in traditionellen Geschlechterrollen (wie z. B. Hausfrau, Sekretärin,


Stewardess) visualisiert werden (vgl. Thiele 2015: 284), zeigen die Tweets
über #distractinglysexy genau das Gegenteil – Bilder von Frauen in Schutz-
anzügen und Schutzbrillen, also keine nackte Haut, und Bilder von Frauen
bei einer Arbeit, die nicht als ›typisch weiblich‹ gilt. Frauen zeigen sich hier
als Biologinnen, Chemikerinnen, Ingenieurinnen usw. und erweitern so die
medialen Darstellungen von Frauen um verschiedene (berufliche) Rollen.
So haben sich die über das Hashtag geteilten Körperbilder als performa-
tive Handlungen (Butler 1988) erwiesen, über die ein vergeschlechtlichtes
Selbst inszeniert und gleichzeitig ironisch gebrochen wird.
Die Diskursanalyse zeigt darüber hinaus, dass feministische Hashtag-
Proteste wie #distractinglysexy einerseits Grenzen von Online-Öffentlich-
keiten überschreiten und Resonanz in massenmedialen Öffentlichkeiten
finden, dass andererseits jedoch die Berichterstattung über den Protest als
ambivalent zu beschreiben ist und gerade hinsichtlich des feministischen
und gesellschaftsverändernden Potenzials Verkürzungen und Vereinnah-
mungen zu beobachten sind (vgl. Drüeke/Zobl 2016). Es zeigt sich aber
auch, dass Hashtag-Proteste wie #distractinglysexy über Ländergrenzen
hinweg Eingang in massenmediale Diskurse finden – wie auch das 2017
entstandene Hashtag #metoo zeigt –, wobei die Bedeutungszuschreibun-
gen und Deutungen abhängig vom jeweiligen Interpretationskontext
sind. Während im deutschen Diskurs das Muster der Entwertung und
Depolitisierung von feministischem Protest (vgl. Thomas/Stehling 2015)

240
Meme als Diskursintervention:
Körperbilder gegen Sexismus am Beispiel von #distractinglysexy

zu beobachten war, fand sich im britischen Diskurs eine tiefergehende


Auseinandersetzung mit dem Anlass des Protests und dessen Ursachen.

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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

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Miriam Stehling / Cornelia Brantner / Katharina Lobinger

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242
Meme als Diskursintervention:
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243
Miriam Stehling / Cornelia Brantner / Katharina Lobinger

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hunt [25.2.2018]
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

244
Melan ie Haller

Plus-Size-Blogs als Diversität von Mode?


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Zu Praktiken visueller Repräsentationen von


Körpern und der Infragestellung weiblicher
Normkörper in der Mode1
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

1. Einleitung

Dass Plus-Size-Körper auf Laufstegen der Modebranche keine Selbstver-


ständlichkeit sind, wird offenbar, wenn das ›enfant terrible‹ der europäi-
schen Modewelt, Jean-Paul Gaultier, auf die Präsenz von Plus-Size-Körpern
setzt: wie im Oktober 2005 mit Crystal Renns2 Auftritt in seiner Ready-to-
wear Frühling/Sommer-Kollektion 2006 bis zu Beth Dittos spektakulärem
Auftritt bei der Frühling/Sommer-Kollektion 2011. Plus-Size-Körper reprä-
sentieren im Modesystem (Kawamura 2005)3 noch immer »non-normative
bodies« (Downing Peters 2017: 179), während hingegen gängige, magere
Modelkörper zumindest in akademischen Forschungen in einem »discourse

1 Bei diesem Aufsatz handelt es sich um die schriftliche Überarbeitung eines Vortrages, der als
Podcast bei Deutschlandfunk Nova abrufbar ist (https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/
Vorbildliche-koerper-biertrinkende-maenner-und-dicke-frauen).
2 Renn trug im Jahr 2005 gerademal Konfektionsgröße 42, was aber ausreichte als Plus-Size-
Model gehandelt zu werden. Medial bekannt wurde sie 2009 durch ihr Buch Hungry, in wel-
chem sie ihre Leidensgeschichte von der mit Ihrem Beruf als Model verbundenen Essstörung
erzählte.
3 Kawamura fasst in ihren frühen Forschungen (2005) unter Modesystem vorwiegend die
westliche Modeindustrie zusammen, deren Rolle sie für den internationalen Erfolg von
Designer*innen als entscheidend ansieht. Diese Engführung auf ein westliches Modesystem
hat sie jedoch an anderer Stelle auch kritisch beleuchtet (Kawamura 2015).

245
Melanie Haller

of disorder« (Dwyer 2004: 407) verortet werden. Diese Modelkörper sind


nach Entwistle und Wissinger (Entwistle 2000; Entwistle/Wissinger
2012) einer »aesthetic of labour« zuzuordnen, welche magere Körper als
ästhetischen Maßstab setzt.
Trotz dieser Exklusion von Plus-Size-Körpern in der Mode lässt sich
jedoch in den beiden letzten Jahren konstatieren, dass Plus-Size-Körpern
eine vermehrte Repräsentation in der Mode und den Medien zukommt.
Als ein symptomatisches Beispiel lässt sich an dieser Stelle die Werbung
der Herbst-Kollektion 2016 von H&M anführen, welche vielfältige mediale
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Diskussionen auslöste (N. N. 2016).


Zurzeit vergeht kaum eine Woche, in der nicht Plus-Size-Körper ir-
gendwo auftauchen: Sei es das Cover der Sports Illustrated, auf der erstma-
lig im Sommer 2016 Ashley Graham in Konfektionsgröße 44 abgebildet
wurde oder die marginal auftretende Präsenz des wohl bekanntesten Plus-
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Size-Models Tess Holiday in Größe 52, die immer wieder zu Diskussionen


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

führt, ob sie nicht ein ›falsches, weil ungesundes Vorbild‹ ist. Diese Bei-
spiele machen die Spannweite dessen deutlich, was unter ›Plus Size‹ alles
verstanden wird.
Theoretisch einordnen lässt sich die zunehmende Präsenz von Plus-Size-
Körpern in der Mode meines Erachtens als ein Zeichen für einen Hype um
Diversität. Dieser Hype um Diversität in der Bekleidungsmode ist selbst
eine Mode, welche zunehmend auch ältere Menschen4 oder Menschen
ohne Normkörper für Repräsentationszwecke in den Medien einsetzen.
Eine solche Betrachtung von Mode bezieht sich auf den modetheore-
tischen Ansatz des Kultursoziologen René König, welcher unterscheidet
zwischen einer reinen Kleidungsmode und Mode als der Gesamtheit äs-
thetischer und sozialkultureller Phänomene, die er als ein »universales
kulturelles Gestaltungsprinzip« (König 1998: 246) versteht. Für König ist
Mode als soziales Phänomen eine »verkannte Weltmacht« (ebd.: 255), deren
Bedeutung die Soziologie bislang kaum erkannt hat. Ein medienwirksamer
Hype um ›andere‹ Körper lässt sich in diesem Sinne als eine Mode beschrei-
ben, da er ein ästhetisches Gestaltungsprinzip wirkmächtig werden lässt,
welches bislang nur außerhalb von Normalität seinen Platz hatte (Villa/
Zimmermann 2008: 174ff.). Der Auftritt der Leichtathletin Aimee Mullin

4 So z. B. der Blog und die Dokumentation Advanced Style von Ari Set Cohen (http://www.advanced.
style).

246
Plus-Size-Blogs als Diversität von Mode? Zu Praktiken visueller Repräsentationen von Körpern
und der Infragestellung weiblicher Normkörper in der Mode

in Alexander McQueens Frühling/Sommer-Kollektion im Jahr 1999 war


noch ein Skandal, während heute Models wie Mario Galla oder Winnie
Harlow, die körperlich nicht der Norm entsprechen, bei immer mehr Mo-
denschauen präsent sind. Diversität als Mode heißt aber weiterhin, dass
diese der Norm nicht entsprechenden Körper weiter in der Bekleidungs-
mode marginalisiert werden und für ihre körperlichen Dispositionen keine
passende Kleidung finden. Diversität als Mode ist zeitgenössisch also vor
allem als Marketingstrategie einer Aufmerksamkeitsökonomie (vgl. Franck
2007; Pundt 2002) zu werten, die sich in der von Reckwitz konstatierten
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Gesellschaft von Singularitäten verorten lässt (Reckwitz 2017), für die das
Besondere zum Dreh- und Angelpunkt geworden ist.
Aus einer mode- und körpersoziologischen Perspektive stellt sich die
Frage, inwieweit eine vermehrte Repräsentation von Plus-Size-Körpern
auf Social-Media-Plattformen die weiterhin existenten, und Plus-Size-
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Körpern entgegen gesetzten, extremen Körpernormen im Modesystem


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

hinterfragen können, während die Schlankheitsnorm gleichzeitig weit


häufiger medial unhinterfragt reproduziert wird. Anhand von ausgewähl-
ten Plus-Size-Blogs in Deutschland soll im Folgenden aufzeigt werden,
auf welche Weise Plus-Size-Körper repräsentiert werden und wie und ob
diese visuellen Repräsentationen von Plus-Size-Körpern dazu geeignet
sind, weibliche Normkörper im Modesystem zu hinterfragen.
Ein kurzer Hinweis zur Terminologie: Konfektionsgrößen sind von
der Modeindustrie gesetzte Normwerte, die mit der Vielfalt von Körpern
nicht viel gemeinsam haben (vgl. Haller 2015). Der Begriff ›Plus Size‹ um-
fasst dabei Konfektionsgrößen ab Größe 44 und ist von der Mode­industrie
als Norm gesetzt. Er wird hier als Begriff so genutzt, wie er vom Großteil
deutscher Bloggerinnen selbst verwendet wird, um Körper zu umschrei-
ben, die sich jenseits der von der Modeindustrie gesetzten Norm bewegen.
Darüber hinaus gibt es überwiegend im angloamerikanischen Kontext
Fa(t)shion Blogs (Harju/Huovinen 2015), deren Bloggerinnen sich als Fa(t)
shionistas5 bezeichnen. Diese nutzen den Terminus ›fat‹ im Kontext des Fat
Acceptment Movements, um sich von der ausgrenzenden, weil systemim-
manenten Bezeichnung ›Plus Size‹ abzugrenzen und ›fat‹ als Beschrei-

5 Wie Harju und Huovinen 2015 gezeigt haben, wird dies häufig über die Verwendung des
Hashtags #fatshionista verdeutlicht. Der Begriff wurde auch von deutschsprachigen (Micro-)
Bloggenden übernommen wie z. B. die Twitter-Selbstbeschreibung fatshion blogger von Hen-
gameh Yaghoobifarah (o. J.) bzw. das Buch Fa(t)shionista von Magda Albrecht (2018) zeigen.

247
Melanie Haller

bungskategorie positiv zu konnotieren, als einen »act of reappropriation


of a stigmatised word, an act of owning it so as to de-stigmatise it« (Harju/
Huovinen 2015: 1604).
Im Folgenden wird zunächst der Forschungsstand zu Plus-Size-Blogs
und Plus-Size-Körpern aus modetheoretischer Perspektive vorgestellt
und ergänzt durch die Forschungsperspektive der Feminist Media Studies
(2). Im Anschluss (3) wird anhand von Plus-Size-Blogs ein heuristisches
Analyse-Instrumentarium vorgestellt, mit welchem aufzeigt wird, wie
visuelle Körperrepräsentationen und Körperpraktiken in Plus-Size-Blogs
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miteinander verknüpft sind. Körperrepräsentationen sind eine »Verge-


genwärtigung körperbezogener Zeichen« (Hahn/Meuser 2002: 10), die
auf die sozialkulturellen Konstruktionsprozesse von Körpern verweisen.
Das Verhältnis von Körperbildern und Körperpraktiken ist grundlegend
für die Produktion von Körpernormen und wurde bislang in der Mode-
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theorie und Kommunikationswissenschaft kaum in den Fokus genommen


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

(im Ansatz: Entwistle 2000), auch nicht aus einer gendertheoretischen


Perspektive. Als Körperpraktiken werden hier die auf Plus-Size-Blogs re-
präsentierten Mode-Posen, Gesten und Körperhaltungen verstanden, die
sich in ihrer Summe als visuelle Körperrepräsentationen verstehen lassen.
Meiner Ansicht nach, liegt in der Analyse des Verhältnisses von Körperre-
präsentationen in Körperbildern und deren Produktion durch Körperprak-
tiken ein Potenzial, welches bislang zumindest in der modetheoretischen
Forschung ausgeblendet wird.
Das theoretische Fundament meiner Forschungen liegt in einer praxis-
theoretischen Körpersoziologie im Bezug zur Materialität von Mode aus
einer modewissenschaftlichen Perspektive im Anschluss an Haller (2016).6
Aus diesem theoretischen Fundament heraus lässt sich formulieren, dass
es keine Körper jenseits von Praktiken gibt: Körper konstituieren sich in
und über Praktiken (Haller 2014) und darin die Subjektivierungen von
Akteur*innen.
Im abschließenden Fazit (4) wird es um eine erste Einschätzung der
Rolle von Plus-Size-Blogs im ästhetischen und sozialkulturellen System
Mode und deren Einordnung in einen modesystemischen Referenzrah-
men gehen.

6 Zur Konzeption einer Materialität von Mode siehe Haller (2015).

248
Plus-Size-Blogs als Diversität von Mode? Zu Praktiken visueller Repräsentationen von Körpern
und der Infragestellung weiblicher Normkörper in der Mode

2. Forschungen zu Plus-Size-Körpern
in den Medien

In der Modewissenschaft lassen sich erste Forschungen zum Verhältnis


von Mode, Kleidung und Plus-Size-Körpern zu Beginn der 2000er-Jahre
ausmachen (Adam 2001; Colls 2006; Downing Peters 2014, 2017; Czer-
niawski 2015), die zeitgenössisch auch Plus-Size-Blogs in den Fokus neh-
men (Connell 2013; Downing Peters 2014; Harju/Huovinen 2015). Diese
vor allem kulturwissenschaftlich ausgerichteten Studien legen dabei ihren
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Schwerpunkt auf qualitative, vor allem ethnografische Methoden und ver-


stehen den Umgang mit Mode als situierte Körperpraxis, die Normen un-
terläuft: »These interviews have demonstrated the ways in which clothing
can be used to subvert the fashion industry’s mandates about what a fat
body should wear and how it should look« (Downing Peters 2014: 65).
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Der Fokus in diesen Forschungen liegt dabei auf der Betonung einer
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

individuellen und vor allem selbstbestärkenden7 modischen Praxis, welche


deutlich die Relevanz von Mode für Subjektbildungsprozesse von einzel-
nen Akteur*innen aufzeigen.
Es besteht in diesen Forschungen ein enger Bezug zu feministischer
Literatur, die seit Susie Orbachs Anti-Diät-Buch Das Anti-Diätbuch: Über die
Psychologie der Dickleibigkeit, die Ursachen von Eßsucht (im englischen Original:
Fat is a feminist Issue) von 1978 bis hin zu Kathleen LeBescos Revolting Bo-
dies? The struggle to redefine fat identity von 2004 die soziale Marginalisierung
von Plus-Size-Körpern kritisch in den Blick genommen haben. Diese aus
feministischer Sicht stark gesellschaftskritische Position im Umgang mit
Plus-Size-Körpern lassen die einzelnen Mode-Studien jedoch nur zum
Teil durchscheinen, während sie vor allem ihre Forschungssubjekte po-
sitiv stützen und den engen Zusammenhang einer modischen Praxis mit
Subjektivierungsprozessen aufzeigen.
In den feministischen Media Studies hingegen wird diese sozialkritische
Perspektive einer medial vermittelnden Normierung von weiblichen Körpern
und die Exklusion von Plus-Size-Körpern sehr deutlich (Moorti/Ross 2005),
während hier der Zusammenhang mit Fragen einer modischen Praxis jedoch
keine Rolle spielt. Im Folgenden wird daher am Beispiel von Plus-Size-Blogs

7 Harju und Houvinnen sehen in ihrer Analyse von internationalen Fatshionsblogs das Potenzial
eines aktiven Widerstandes im Modesystem (Harju/Huovinen 2015).

249
Melanie Haller

deutlich gemacht, auf welche Weise eine Zusammenführung dieser beiden


disziplinären Ansätze eine fruchtbare Forschungsperspektive sein kann.
Ich gehe davon aus, dass in Plus-Size-Blogs über modische Körper-
praktiken Körperbilder produziert werden. Über diese Praktiken werden,
ähnlich wie in den anfangs erwähnten modetheoretischen Ethnografien,
Subjektivierungsprozesse (Haller 2014) vollzogen. Gleichzeitig sind diese
Praktiken Anerkennungsstrategien im Feld der Mode und lassen sich als
ein performativer Vergemeinschaftungsprozess deuten, so wie er für Fa-
shion Blogs allgemein bereits an anderer Stelle untersucht wurde: »What
wurde mit IP-Adresse 141.002.140.067 aus dem Netz der UB Frankfurt am September 5, 2023 um 14:53:56 (UTC) heruntergeladen.

all those studies [about Fashion Blogs] draw attention to is the centrality
of both fashion and social media to practices of the self and the formation
of collective identities« (Mora/Rocamora 2015: 150).
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3. Körperbilder in Plus-Size-Blogs und ihre


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Entstehung über modische Körperpraktiken

In dem aktuellen Sonderheft Analyzing Fashion Blogs – Further Avenues for


Research des britischen Journals Fashion Theory unterscheidet die Cultural
Studies Forscherin Rosie Findlay (2015) zwei Wellen bei der Entstehung
von Fashion Blogs. In der ersten Welle zwischen 2004 und 2006 bildete
sich Style Blogging überhaupt erst als Subgenre von Blogs heraus und in
einer zweiten Welle, ab 2008, wurden Personal Style Blogger als Teil der
Mode-Industrie erkannt und vor allem vom Modesystem anerkannt, zu-
nächst über Kollaborationen mit Fashion-Magazinen, später dann direkt
mit einzelnen Modemarken oder etwa Online-Mode-Retailern. Die erste
Welle markiert Findlay als unabhängig von Konsum und die zweite Welle
sei von einer steigenden Produktion von konsumorientierten Sehnsüchten
gekennzeichnet. Findlay betont das komplexe Wechselverhältnis zwischen
Modeblogs und der Modeindustrie, die Blogosphäre wird als »branding,
of both commodities and selfhood« (Mora/Rocamora 2015: 151f.) verstan-
den: Das Selbst der Bloggerinnen wird zur Marke.
Dieser kritische Blick auf Modeblogs bestätigt sich bereits bei ersten
Recherchen zu Plus-Size-Blogs8: Die auf Konsum ausgerichtete Verqui-

8 Im Internet lassen sich viele Listen mit gesammelten Plus-Size-Blogs finden, die größtenteils
nach der Anzahl der Follower auf Instagram oder Facebook gelistet werden. Das methodische

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Plus-Size-Blogs als Diversität von Mode? Zu Praktiken visueller Repräsentationen von Körpern
und der Infragestellung weiblicher Normkörper in der Mode

ckung mit Marken, Firmen oder Anbieter*innen ist offensichtlich, auch


Plus-Size-Blogs sind längst kommerzialisiert. Diese Kommerzialisierung
findet sich auf Blogs in der eigens geschaffenen Kategorie Kooperation/
Werbung wieder, in welcher darauf verwiesen wird, wie mit kommerziellen
Anbieter*innen umgegangen wird. So weist etwa die sehr populäre Plus-
Size-Bloggerin Theodora Flipper9 darauf hin, dass es »sich hier schlicht-
weg um Werbung« handelt (Flipper 2018).
Gleichzeitig ist diese Tatsache im Plus-Size-Kontext aber ein wesent-
licher Zug von informativer Vernetzung, denn ein ästhetisch vielfältiges
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Angebot an Plus-Size-Mode, d. h. ab Gr. 44 aufwärts ist bislang (nicht nur


im deutschsprachigen Raum) über weit weniger Anbieter*innen erhält-
lich (vgl. Colls 2006 für Großbritannien). Zudem setzt die Mehrzahl von
expliziten Plus-Size-Mode-Anbieter*innen10 noch immer auf dezente,
dunkle11 (weil schlank machende) Oversized-Mode, die die Körper unter
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der Kleidung negiert und versucht, zu ›kaschieren‹.12


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Die, in der Materialität von Mode liegenden, strukturellen Merkmale


einer Exklusion von Plus-Size-Körpern durchzieht dabei die gesamte Pro-
duktionspalette des Modesystems. Die Entstehungsprozesse vom Design­
entwurf, über die Vermessung von Körpern (Reihenmessungen), einer Bil-
dung von Konfektionsgrößen, bis hin zur Schnittkonstruktion und Ver-
arbeitung basieren auf der Konstruktion einer Normativität von Körpern
(Haller 2016), zu deren Grundbedingung die binäre Trennung von in- und
exkludierten Körpern gehört. Beispielhaft sei hier etwa auf die nachträg-
liche Einbindung von Übergrößen in die nationale Reihenmessung Size-

Vorgehen lehnt sich hier ethnografischen Verfahren der Materialsammlung an, die zunächst
eine große Anzahl an Material sammeln und dann qualitativ auswählen. Die für diesen Auf-
satz ausgewählten Plus-Size-Blogs wurden daher nach der Anzahl der Follower auf ihren
Instagram-Accounts ausgewählt, welche bei über 10.000 - 14.000 Followern liegen. Es gibt noch
populärere Plus-Size-Blogs mit weit mehr Followern, welche dann jedoch auch offensichtliche
Kooperationen mit kommerziellen Anbieter*innen aufweisen.
9 Theodora Flipper hat für ihren Instagram-Account immerhin 27.700 Follower (https://www.
instagram.com/flipper_theodora/).
10 Siehe etwa das übersichtliche Angebot bei Großkonfektionären wie H&M (gerade mal zwei
Doppelseiten im Herbstkatalog 2016), inkl. der Tatsache, dass es z. B. in dieser Kollektion
(welche mit Ashley Graham ohne Bezug auf ihre Position als Plus-Size-Model wirbt) manche
Kleidungsstücke auch in Gr. 44 und Gr. 46 gibt, allerdings nur auf der Webseite.
11 Vgl. z. B. die Webseite von Ulla Popken im Jahr 2016, auf welcher 22 Prozent aller Kleidungs-
stücke in schwarz, 19 Prozent in dunkelblau und 11 Prozent in grau erhältlich sind; also gut
52 Prozent in dunklen und unauffälligen Farben.
12 Oder wie es Beth Ditto 2016 einmal pointiert in einem Interview ausführte, dass sie es noch
immer bevorzuge, Schwangerschaftskleidung zu kaufen (Eckardt 2016).

251
Melanie Haller

GERMANY des Hohenstein Instituts verwiesen, die erst ein Jahr nach der
ersten großen ›normalen‹ Reihenmessung von 13.362 vermessenen Personen
in 2009 stattfand und lediglich 2200 Frauen und 1000 Männer mit »starken
Figuren« (Hohenstein 2014: 5) digital vermaß. Diese Fixierung auf Norm-
körper wird in den letzten Jahren zunehmend auch von Plus-Size-Blogs
infrage gestellt, indem dort ›andere‹ Körper repräsentiert werden und ihre
aktive Teilnahme am Modesystem beanspruchen (Downing Peters 2014).
Die körperausblendende Materialität von Plus-Size-Mode in Design,
Schnitt und Farbe, welche sich zugespitzt als »tents […] designed to cover
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up and hide the body« (Colls 2006: 537) bezeichnen lässt, steht den Kör-
perbildern und Körperpraktiken in Plus-Size-Blogs entgegen. Diese Plus-
Size-Körperbilder lassen sich als »situated bodily practice« (Entwistle
2000: 6f.) verstehen: Die Kleidung wird vor allem in öffentlichen Räumen,
etwa nach Vorbild von Streetware-Blogs und in bestimmten, sich auf das
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Modesystem rückbezüglichen Posen repräsentiert – sie ist also räumlich


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

und zeitlich situiert.


Diese situierte Körperpraxis der Plus-Size-Bloggerinnen kommt eben
nicht ohne Bezug zum Modefeld aus, was sich etwa an Stylingtipps für
verschiedene Körperformen, sogenannte ›Figurtypen‹ zeigt. Diese Figur-
typen finden sich auf einzelnen Blogs (etwa dem Blog von Miss Bartoz, Du
bist nicht von der Stange) oder auch bei kommerziellen Anbieter*innen, (wie
z. B. Navabi), welche die Figurtypen nach der Form von Buchstaben cha-
rakterisieren:

Abbildung 1
Figurtypen auf navabi.de

Quelle: van Rey 2016

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Plus-Size-Blogs als Diversität von Mode? Zu Praktiken visueller Repräsentationen von Körpern
und der Infragestellung weiblicher Normkörper in der Mode

Bloggerinnen von Plus-Size-Blogs wenden in ihren Blogs verschiedenste


modische Körperpraktiken an, um ihre Outfit-Posts in Körperbildern zu
gestalten. Diese Körperpraktiken sind im Modesystem etabliert, wenn Sie
auch bisher nicht mit Begriffen bezeichnet werden. Das Wissen um diese
Praktiken lässt sich im Modesystem am ehesten unter das nicht weiter
definierte Berufsfeld von Fashion Stylisten verorten. Beispielhaft seien
hier drei verschiedene modische Körperpraktiken als heuristisches Ana-
lyse-Instrumentarium vorgestellt, deren von mir entworfene Begriffe sich
auf den Anglizismus im Sprachjargon des Modesystems beziehen sollen:
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1. Outfitting (einkleiden, ausstatten) als modische Körperpraktik, wel-


che die Zusammenstellung verschiedener Kleidungsstücke mit Ac-
cessoires, Schuhen, Frisuren und Make-up umfasst.
2. Shaping (formen, Gestalt geben) als modische Körperpraktik, welche
die Modellierung des eigenen Körpers zu einer Silhouette durch be-
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stimmte Proportionen und Materialitäten einschließt.


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

3. Posing als modische Körperpraktik, welche die Darstellung des Kör-


pers im Körperbild durch Gestik und Haltung umfasst und auf
ein Bewegungswissen zurückzuführen ist, welches als Inkorporie-
rung der Codes des Modesystems zu verstehen ist (bspw. Stand- und
Spielbein, geneigter Kopf, zur Seite gedrehte Körperhaltung). Diese
Körperhaltungen werden durch die Einstellung der Fotokamera
in Vogelperspektive unterstützt und erinnern, wie das ästhetische
Staging, an die Ästhetik von Streetstyle-Blogs.

Abbildung 2
Elisabeth Januszek, Autorin/Bloggerin von
www.conquore.com

Quelle: www.conquore.com

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Melanie Haller

Auf den drei hier ausgewählten Beispielen des Plus-Size-Modeblogs


von Elisabeth Januszek, alias Ela, lassen sich diese drei Körperpraktiken
gut ausmachen: Beim Outfitting wird auf kaum gemusterte Outfits ge-
achtet, die mit Accessoires wie Taschen, Gürteln, Schmuck kombiniert
werden, die wesentlich den Plus-Size-Körper ›vorteilhaft‹ bedecken und
aus leichten, nicht zu schweren Materialien bestehen. Beim Shaping wird
sichtbar, dass die Proportionen ausgewogen sind – alle drei Beispiele
zeigen eine hochgezogene betonte Taille, welche die Hüften kaschiert
und durch die weit geschnittenen Rockteile den Plus-Size-Körper we-
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sentlich umspielen. Zusätzlich unterstützt das Körper-Posing, dass die


Körper nie frontal fotografiert werden, sondern leicht zur Seite gedreht
sind. Die Beinstellung mit Spiel- und Standbein und die Gestik produ-
zieren einerseits eine Bilddynamik und andererseits kaschieren auch sie
den Plus-Size-Körper in modischen Posen, wie sie in der Modefotografie
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üblich sind.
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Plus-Size-Blogs kommunizieren so in ihren produzierten Körperbil-


dern einen Anspruch auf Anerkennung und modisches Know-how im
Referenzrahmen des Modesystems, welches bereits mit dem Begriff des
Plus Size ihre Körper als ›andere Körper‹ konstituiert und als plus, curvy
oder real umschreibt.
Diese modischen Körperpraktiken lassen sich als Stilisierungen im
Sinne Judith Butlers verstehen, für welche »Geschlechtsidentität durch
die Stilisierung des Körpers« (Butler 1991: 206) erst produziert wird.
Diese »Stilisierung des Körpers« (ebd.: 60) wird gleichzeitig verkörpert
und dargestellt – sie produziert nach ›innen‹ eine Subjektivierung und
nach ›außen‹ eine gleichzeitige Objektivierung als ›modisch kompetente
Frau‹ im Bezug zum Modesystem: »Body image, therefore, is more than
a subjective representation of the self but also infused with a calculated
objective« (Czerniawski 2015: 17).
Die Stilisierung einer Geschlechtsidentität als ›modisch kompetente
Frau‹ ist eine soziale Praktik und ein ausgeführtes Körperwissen. Körper
modisch zu stilisieren, lässt sich mit Bourdieus Konzept des sens pratique
(Bourdieu 1989: 397) am besten beschreiben: Ein den Körpern innewoh-
nendes implizites Wissen (sens pratique) um die modischen Techniken des
Körpers (im Habitus), ermöglicht es erst Körper zu stilisieren, ohne eine ra-
tionale Strategie, aber mit einer tiefen Verbundenheit mit dem Modefeld.

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Plus-Size-Blogs als Diversität von Mode? Zu Praktiken visueller Repräsentationen von Körpern
und der Infragestellung weiblicher Normkörper in der Mode

4. Der Stellenwert von Plus-Size-Blogs im


modesystemischen Referenzrahmen

Es geht in Plus-Size-Blogs nicht darum, den eigenen Körper als neuen


Normkörper zu postulieren; es geht vielmehr um einen Kampf gegen Dis-
kriminierung und soziale Marginalisierung im westlichen Modesystem,
welches paradigmatisch für das von den Fat Studies (Schorb 2008, 2012;
Schorb/Schmidt-Semisch 2008) zeitgenössisch konstatierte Fat-Shaming
in westlichen Gesellschaften steht. Diesen Zusammenhang, zwischen den
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sich seit der Moderne bis heute durchziehenden, scheinbaren ›objektiven‹


Optimierungsoptionen für individuelle Körper, hat die Körpersoziologie
von Beginn an problematisiert: »Unter der allgemeinen Norm, daß die
Körperform selbst verantwortet ist, verweisen viele Körperzeichen nun
vor allem auf die versäumten Praktiken bzw. die unterlassene Körperarbeit.
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[…] [Dies verweist auf den] relativ eng begrenzten Rahmen ästhetischer
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Körpermodelle« (Hahn/Meuser 2002: 10f.).


Dieser Norm entgegengesetzt, beanspruchen Plus-Size-Blogs die An-
erkennung von modischen Körpern aller Art, jenseits einer modesystemi-
schen Normierung13 auf schlanke und magere Körper ohne diese primär
zu kritisieren: Sie lassen sich als ein Anspruch nach echter Diversität in der
Mode lesen – die von der Mode-Industrie bislang in keiner Weise auch nur
annähernd wahrgenommen wurde:
»The blogosphere nevertheless is a realm whereby voices that have been
›othered‹ by the fashion industry and its Western-centric values can be
expressed and heard. Bodies excluded from a fashion visual landscape
dominated by white, western, young, thin bodies are rendered visible, their
practices of fashionable and stylish adornment encouraged and supported,
hopefully supporting them in carving out for themselves positive spaces of
expression offline too« (Mora/Rocamora 2015: 153).
Der zu Beginn skizzierte zeitgenössische Hype um sogenannte Plus-
Size-Models in Konfektionsgröße 42/44 ist somit weit weniger als der be-
rühmte Tropfen auf dem heißen Stein – diese zwar den mageren Körpern
entgegenstehenden Körper entsprechen in keiner Weise einer Diversität
von Körpern – sie sind noch immer ideal proportioniert und hart erarbeitet,

13 Zum Normierungsdruck in der Model-Industrie siehe Entwistle 2000; Entwistle/Wissin-


ger 2012.

255
Melanie Haller

wie Amanda Czerniawski in ihrer Arbeit Fashioning Fat – Inside Plus-Size


Model­ling zeigen kann und auf ihrem Blog hervorhebt: »Their bodies must
fit within narrowly defined parameters of size and shape – an experience
not too different from that of straight-sized models« (Czerniawski 2018).
Ein weit in die Modegeschichte reichender Blick würde diese Ansprü-
che auf Körpervielfalt bestätigen, denn historisch haben Kleidungsmoden
durch Design, Schnitt und Materialität nichts so sehr unterstützt, geformt
oder neu gebildet wie verschiedene Körpernormen – immer mit der Vor-
stellung, dass die Körper unter der Kleidung dieser Formung, Gestaltung
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und Negierung bedurften (Entwistle 2000; Haller 2016; Vigarello 2016).


Der sich seit Beginn der Moderne durch Sport, Fitness, Diät und durch im-
mer komplexer werdende Körpermanipulationen gestaltete Körper, der
als modischer Körper jenseits von Kleidung existiert, hat diese von der
modischen Kleidung bestimmte Körperlichkeit verändert. Zeitgenössisch
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ist der trainierte Körper unter der Kleidung zum formgebenden Element
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

geworden. Dies lässt sich sehr gut an der zunehmenden Verquickung von
Sportmode und Mode ablesen – etwa im zeitgenössischen Beispiel des
Modetrends um ›Athleisure‹ (Athletic & Leisure) als Streetstyle und Mode­
phänomen (Haller 2017).
Plus-Size-Bloggerinnen wenden sich aktiv mit ihren Körperprakti-
ken gegen einen Ausschluss ihrer Körper im Modesystem. Gleichzeitig
gehören diese Plus-Size-Blogs in ein zunehmend präsenter werdendes
Fat Acceptance Movement, der sozialen Bewegung, die für die Akzeptanz
von Dicksein nicht nur im Feld der Mode kämpft (Afful/Ricciardelli
2015; Miller 2015), auch wenn die deutschsprachigen Bloggerinnen sich
nicht unbedingt aktiv darin verorten. Die Bloggerinnen beanspruchen
im deutschsprachigen Raum mit ihren Blogs neue, andere Bilder von mo-
dischen Körpern, wie Hahn und Meuser bereits 2002 konstatierten: »Der
Körper wird somit im Bild neu erfunden, der bildlich repräsentierte Körper
erhält eine eigenständige soziale Bedeutung« (Hahn/Meuser 2002: 10).
Plus-Size-Blogs gehen mit ihren durch Körperpraktiken produzierten
Körperbildern gegen eine Limitierung weiblicher Körper auf ein schlankes,
allenfalls noch ›weiblich, feminines‹ Körperideal vor – auch wenn sie selbst
dabei in der modesystemischen Matrix einer ästhetischen Optimierung
gefangen bleiben, die durchaus Kriterien dieses Modesystems entspricht.

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Plus-Size-Blogs als Diversität von Mode? Zu Praktiken visueller Repräsentationen von Körpern
und der Infragestellung weiblicher Normkörper in der Mode

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Yaghoobifarah, H.: @habibitus, https://twitter.com/
habibitus?lang=de [28.03.2018]
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Dagmar Venohr

Ich bin Andere und Ich ist eine andere!


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Vestimentäre Selbstverfertigungen
im Netz
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Der bekleidete menschliche Körper ist mehr als ein Modekörper, der durch
seine Körperlichkeit Mode erst ermöglicht.1 Die Erzeugung von modi-
schem Begehren ist eine interkorporale Entität. Der Umgang mit Klei-
dung, das Modehandeln (Venohr 2008), geht weit über eine performative
Verkörperung des Modischen in Zeit und Raum hinaus. Modehandeln heißt,
dass Mode niemals ist, sondern immer in responsiven Prozessen aushan-
delbar bleibt (vgl. Venohr 2010: 274). Mode lässt sich als ein System von
aisthetischen Wirkungsweisen, performativen Sinnesbezügen, leiblichen
Ausdrucksformen und fleischlicher Bewusstheit verstehen. Nähen, Klei-
dung und das Modische sind Praxis, Produkt und Idee einer vestimentären
Selbstverfertigung (Venohr 2018), die anhand der Analyse des jeweils spezifi-
schen Modehandelns in exemplarisch vorgestellten Nähblogs der DIY-Szene
sichtbar gemacht werden. Ausgehend von der Annahme, dass sowohl das
Selbst als auch der Körper erst im Blick der Anderen und in den Apparaten
erkennbar werden, werde ich im Folgenden aufzeigen, wie die Protagonis-
tinnen sich selbst und ihr Körperbild ikonotextuell im Bloggen über für
sich selbst genähte Kleidung konstituieren.2

1 Zur Präzisierung des Begriffs ›Modekörper‹ und seiner materialisierten, vestimentären Er-
weiterung vgl. Haller (2015).
2 Die Herausforderung meiner Forscherinnenposition liegt derzeit bei der Kenntlichmachung
der Formen meiner Präsenz, dem Ausmaß meiner Teilhabe und der Belegbarkeit meiner Ken-
nerschaft gegenüber der Blogosphäre in den vergangenen Jahren (vgl. Heise 2013; Schmidt/

261
Dagmar Venohr

Das fotografische Selbstbildnis in selbst genähter Kleidung, oftmals


handgezeichnete Skizzen der zu nähenden Kleidung und auch des eigenen
Körpers, der das Bild begleitende Text und die zahlreichen Kommentare
anderer Bloggerinnen bilden das Material für die Analyse der spezifischen
agentiellen Ikonotextualität dieser Art von Blogs, d. h. in der Relation von
Bild und Text ruht ein zu Handlungen aufforderndes, rezeptiv aktivier-
bares Potenzial, das so Selbstbildung evoziert. Das so geschaffene Bild,
des mit selbstgemachten Kleidern bekleideten eigenen Körpers, wird zu
einem selbst kreierten Ideal, das die Lust an der textilen wie körperlichen
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Materialität nicht nur widerspiegelt, sondern selbst verkörpert: »We want


to be pictures, not just to be in them, and so when I look at a picture I am
also looking at myself, at the way I might be« (Elkins 1996: 85).
Die These dieses Beitrags ist, dass Nähblogs mediale vestimentäre Selbst-
verfertigungsräume sind, deren Bildlichkeit und Blicke sowie deren Textua-
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lität und Sprechen als elementare sinnliche Körperpraxen eine spezifische


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

ikonotextuelle Medialität bedingen, die ein anderes modisches Begehren


erzeugen, und dass in den Nähblogs Körperschema, Zwischenleiblichkeit
und Fleischlichkeit als wesentliche Aspekte des Modehandelns sichtbar wer-
den. Ziel ist es, den Prozess vestimentärer Selbstverfertigung in Nähblogs anhand der
spezifischen Medialität des Modehandelns aufzuzeigen.

1. Begriffsverortungen

Vorweg soll nun eine kurze begriffliche Verortung der vestimentären Selbst-
verfertigung in der Mode-, Medien- und Kulturwissenschaft den inhaltlichen
Einstieg erleichtern. Das Vestimentäre ist das Auf-die-Kleidung-Bezogene,
es ist ein spezifisch modewissenschaftlicher Ausdruck, der adjektivisch als
›vestimentaire‹ von Roland Barthes in seinem 1967 auf Französisch ver-
fassten Buch Système de la Mode verwendet und als ›vestimentär‹ übersetzt
wurde (vgl. Barthes 1985). Es leitet sich von lat. vestimentum für ›Klei-
dungsstück‹ ab und bezeichnet im weitesten Sinne alles, was sich in Bezug

Schönberger/Stegbauer 2005). Zwar arbeite ich seit 2017 wieder als Wissenschaftlerin, bin
aber durch die jahrelange Leitung eines Stoffgeschäfts vielen bekannt, hatte lange Zeit kon-
kreten Kontakt zu einigen Bloggerinnen und habe die Blogosphäre entsprechend auch unter
kommerziellen Gesichtspunkten beobachtet. Der Kommentar einer Bloggerin auf meine In-
terviewanfrage war, dass sie sich nun fühle wie ein »Insekt unterm Mikroskop« (Mail1_190517).

262
Ich bin Andere und Ich ist eine andere! Vestimentäre Selbstverfertigungen im Netz

auf Kleidung feststellen lässt. Im Deutschen findet es seine Entsprechung


noch am ehesten im Wort ›kleidungsspezifisch‹.
Mit dem Begriff ›Selbst-/Verfertigung‹, der auch im Rahmen der For-
schergruppe ›Medienanthropologie‹ um Lorenz Engell und Christiane Voss
definitorisch weiterentwickelt wird, möchte ich mich einmal auf die Idee
der ›allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden‹ von Heinrich
von Kleist aus dem Jahr 1878 berufen. Und zweitens beziehe ich mich auf
die Verwendung des Begriffs in der Ratgeberliteratur des frühen 19. Jahr-
hunderts, wo u. a. von der »Selbstverfertigung des weiblichen Putzes«
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(Wagner 1836: 173) die Rede ist.


Der Forschergruppe um Engell und Voss geht es insbesondere darum,
»nach den Anteilen von Medien und Techniken an der begrifflichen und
praktischen Verfertigung menschlicher Existenzformen zu fragen« (Voss/
Engell 2015: 10). Bereits 1989 spricht der Medienwissenschaftler Engell
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von einer sogenannten »ständigen kommunikativen Selbstverfertigung«


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

(Engell 1989: 186), die dadurch gekennzeichnet sei, dass der Mensch sich
durch die Herstellung seiner Medien selbst verfertige. Dieses Wechselver-
hältnis des sinnlichen Wahrnehmens und Erschaffens von Wirklichkeit
mit Medien als konstitutive Werkzeuge des Selbst, das letztlich nur per-
formativ im Medialen verortbar ist, zeigt sich insbesondere im Medium
Kleidung3 und seinen vielfachen Medialisierungen. Das Medium Kleidung
wird in anderen Medien, wie hier dem Nähblog oder z. B. der Zeitschrift
in Bild und Text, vermittelt, und es entsteht so eine weitere Kommuni-
kationsebene mit anderen Mitteln. In diesem medialen, materiell ganz
anders bedingten Raum bilden sich spezifische Bedeutungszusammen-
hänge performativ heraus, die nicht mehr an den eigentlichen, textilen
Gegenstand Kleidung gebunden sind. Die darüber noch hinaus reichende
medienanthropologische Annahme von Engell, die Selbstverfertigung sei
nunmehr keine autonome Handlung, sondern vielmehr eine »Verfertigung
des Menschen durch Medien und als Medium« (Engell 2013: 107), zielt
auf den eigentlichen Kern des Sich-Kleidens im Sinne einer vestimentären
Selbstverfertigung, die sich innerhalb dieser Medialisierungsprozesse ereignet.
In diese Richtung weist auch die Vorstellung einer Verfertigung bei
Heinrich von Kleist, der davon ausgeht, dass sich ein Gedanke erst im

3 Zur begrifflichen Unterscheidung von ›Mode‹ und ›Kleidung‹ und zur Klärung der Frage,
inwiefern Modekleidung ein Medium ist, siehe Venohr (2009).

263
Dagmar Venohr

Medium Sprache beim Reden prozessual verfertigt. Provoziert, verstärkt,


beschleunigt und zu allererst ermöglicht wird dieser Prozess durch ein
Gegenüber, einen »Blick, der uns einen halb ausgedrückten Gedanken
schon als begriffen ankündigt« (Kleist 1984: 341). Übertragen auf das Ve-
stimentäre heißt das, dass sich der Selbstausdruck einer Person sowohl in
der getragenen Kleidung an sich, als auch insbesondere im handelnden Um-
gang mit dieser Kleidung zeigt, und dass die eigentliche Sinngebung erst im
Wechselspiel mit dem Blicken der Anderen vollzogen wird.
Wenn auch das Selbst nicht fassbar erscheint und im medialen Pro-
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zess seiner performativen Darstellungsweisen zu verschwinden droht, so


kommt es doch durch die ›Selbstverfertigung‹ als ein ›Selbermachen des
Selbst‹ anhand der eigenen Kleidung in gewisser Weise zurück. Diese Be-
deutungsebene des Begriffs, wie sie in Anstands- und Anleitungsbüchern
zur Herstellung, Erhaltung und Instandsetzung der eigenen Kleidung zu
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Beginn des 19. Jahrhunderts Verwendung findet, stellt einen direkten Bezug
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

zu heutigen Bedeutungsinhalten der DIY-Bewegung her; sind doch beide


ideologisch in dem Sinne aufgeladen, als dass das Selbermachen immer
auch als selbstbildende bzw. -ermächtigende Strategie begriffen wird: Op-
timierung des Selbst durch geschickte bzw. kreative Gestaltung des eigenen
Körpers, der Kleidung oder des Haushalts bzw. des Wohnraums. So rät 1827
beispielsweise Charlotte Leidenfrost »nahmentlich zur Selbstverfertigung«
der eigenen Garderobe, gibt Ratschläge »zu der Kunst, sich geschmackvoll
zu kleiden« und zur »körperlichen und moralischen Anstandslehre« (Lei-
denfrost 1827: 1). Kleidung für sich selbst zu machen impliziert damals
wie heute, beim Selbstmachen auch das Selbst zu gestalten. Das eine be-
dingt das andere insbesondere in der kreativen Körperformierung, die bei
der Selbstverfertigung immer das Eigene in Hinblick auf die Anderen im
Blick hat. So gibt bereits Leidenfrost konkrete Anleitungen z. B. zur Fer-
tigung eines Korsetts, das körperliche Asymmetrien ausgleicht (vgl. ebd.:
115). Insgesamt ist ihr Ratgeber eine dezidierte Anleitung zur Verfertigung
eines den damaligen moralischen Ansprüchen genügenden weiblichen
Selbstbildes. Demnach kann ›Selbstverfertigung‹ begrifflich bereits hier in
seiner komplexen, vexierbildhaften Doppeldeutigkeit verstanden werden.
Es geht bei der vestimentären Selbstverfertigung also um die kleidungs-
spezifische Verfertigung des Selbst beim Herstellen und Darstellen der
eigenen Kleidung. Diese nun deutlicher werdende doppelte und nicht
entkoppelbare Bedeutungsebene des Begriffs ›Selbstverfertigung‹ als
ein ›Selbermachen‹ und das ›Selbst machen‹ stellt sich als ausgesprochen

264
Ich bin Andere und Ich ist eine andere! Vestimentäre Selbstverfertigungen im Netz

fruchtbar zur weiteren Betrachtung der DIY-Nähblogs hinsichtlich ih-


res bedeutungskonstitutiven Potenzials für vestimentäre Körperbilder
und -praktiken dar. Denn dieses uneindeutige, changierende Selbst kann
im Sinne Bernhard Waldenfels’ nur ein Leibliches sein und bleibt aufgrund
dessen immer flottierend zwischen Körper und Seele. Es ist demnach zwar
durch den wahrnehmenden Bezug auf sich selbst geprägt, doch parallel
zum Selbstbezug des Ich-mich läuft immer ein Moment des Sich-selbst-
fremd-Seins mit, nach Waldenfels der sogenannte ›Selbstentzug‹. Dieser
wiederum bewirkt, dass das Andere dem Selbst nie wirklich fremd ist, son-
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dern dass der Fremdbezug vielmehr Teil einer jeden Selbstbezüglichkeit ist.
Das Selbst ist demnach immer auch das Andere, in den Worten Waldenfels:
»Fremdheit in mir und Fremdheit der Anderen würde heißen, dass ich von
vornherein im Blickfeld der Anderen lebe. Die Anderen treten nicht zu-
sätzlich in meine Eigenheitssphäre ein, sondern ich gehöre mir nie ganz
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selber« (Waldenfels 2000: 44).


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Vor diesem Hintergrund gilt es nun in der Betrachtung beispielhafter


DIY-Nähblogs, den Prozess der vestimentären Selbstverfertigung als ein rela-
tionales, prozessuales, mediales, reflexives, performatives und permanen-
tes Selbstwerden anhand des medialisierten Selbermachens der eigenen
Kleidung zu beleuchten.

2. Blogosphäre

DIY-Nähblogs sind Special-Interest-Blogs voller Kommentare und sehr


stark verlinkt, sowohl untereinander als auch mittlerweile mit kommer-
ziellen Werbepartner_innen. Inhaltlich geht es vor allem um nähtechni-
schen Erfahrungsaustausch, detaillierte Nähanleitungen in Wort und Bild
und somit auch um eine kollektive Wissensgenerierung und gemeinsames
Lernen voneinander.4 Parallel zum Trend des Selbermachens findet sich
im Netz eine stetig wachsende Zahl an DIY-Blogs: Die meisten sind keine

4 Begrifflich wird hier die Blog-Definition von Johanna Roering zugrunde gelegt: »Blogs sind
textlastige, multimediale, chronologisch-kumulative und vernetzte digitale Medien, deren
standardisierte Merkmale eine Vielfalt von Formaten und Inhalten zulassen, die jedoch häufig
einer Blog-Gattung angehören und deren wichtigste Merkmale der Sprecher und das compu-
tervermittelte Netzwerk sind. Ein Blog wird durch den Sprecher und durch die Netzwerke, in
die er durch die Blogroll integriert ist, spezifisch und wird maßgeblich durch die Kommunika-
tionsprozesse und Darstellungsverfahren dieser Netzwerke bestimmt« (Roering 2012: 70).

265
Dagmar Venohr

ausschließlichen Nähblogs, sondern funktionieren nach dem bekannten


Netztagebuchprinzip, das einem erlaubt sich einer Teilöffentlichkeit mit
den persönlichen Alltagserlebnissen, Erfahrungen und eben auch den
selbstgemachten Dingen zu präsentieren. In diesem Sinne geht ein Blog
weit über das Phänomen des Tagebuchschreibens hinaus, wie es Elisabeth
Augustin zusammenfasst: »Es ist gerade diese Verschränkung interper-
sonaler (Beziehungspflege, Selbstdarstellung und Identitätsarbeit), in­
trapersonaler (Selbstreflexion, Coping) sowie massenmedialer (Teilhabe
öffentlicher Diskurs, Kompetenzentwicklung) Aspekte kommunikativen
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Handelns, die Weblogs als hybrides Medium auszeichnen« (Augustin 2015:


91). Das Nähblog zeichnet sich zudem insbesondere dadurch aus, dass es
eine ausgeprägte Anleitungs- und Ratgeberfunktion erfüllt. Einige der
Blogs haben sich zu regelrechten Expertisen-Foren für bestimmte näh-
spezifische Teilbereiche entwickelt und sind mittlerweile auch für wirt-
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schaftliche Unternehmen ein wichtiger Ideenpool.5


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Die fast ausschließlich weiblichen Nähbloggerinnen sind zwischen


zwanzig und sechzig Jahre alt, meist weiß, gebildet, finanziell gut situiert
und gehören somit zu einer Bevölkerungsschicht, die zunächst kaum mar-
ginalisiert ist. Das Geschlechterverhältnis unter Blogger_innen ist nach
Klaus Schönberger 2/3 weiblich zu 1/3 männlich, damit »stellt das Weblog
ein weiblich dominiertes Medienformat im Internet dar« (Schönberger
2009: 379; vgl. Hesse 2008). Die Diskussion um gesellschaftliche Teilhabe
von Frauen hat allerdings unter den Bloggerinnen eine große Relevanz,
was auf das hier scheinbar vorhandene breite und offene Spektrum der
Handlungsspielräume für Frauen zurückzuführen ist. Elisabeth Augus-
tin verweist zurecht darauf, dass das demokratische Moment des Bloggens
(bislang) nur einer sozial prädestinierten Bevölkerungsschicht zukommt
und dass insbesondere durch mangelnde Bildung marginalisierte Grup-
pen hierin kein Forum für sich sehen: »In Bezug auf gesellschaftspoli-
tische Partizipationschancen bedeutet der ungleich verteilte Zugang zu
Artikulationsmöglichkeiten in Weblogs, dass auch bisher marginalisierte
Gruppen weniger Chancen auf Beteiligung am politischen Diskurs haben«
(Augustin 2015: 97f.). Die ausgetragenen Themen betreffen so zwar nur

5 Beispielsweise werden Nähutensilien, Schnittmuster o. ä., die in populären Nähblog-Tutori-


als verwendet werden, in kurzer Zeit auch in Stoffläden angeboten; teilweise findet ein reger
Austausch zwischen den Nähblogs und den Anbieter_innen statt (vgl. z. B. Hackenberger
2015).

266
Ich bin Andere und Ich ist eine andere! Vestimentäre Selbstverfertigungen im Netz

eine bestimmte Bevölkerungsgruppe direkt, andererseits ist die Themen-


vielfalt so groß, dass auch scheinbar randständige Problematiken ihren
Raum bekommen.6 Insgesamt gilt festzuhalten, dass bei dieser relativ
kleinen Teil-Öffentlichkeit zwar zunächst noch von keiner wirkmächtigen
politischen Kraft die Rede sein kann, dass allerdings die Art und Weise der
Reflexion durchaus subversive Potenziale bereithält.
Da die Nähblogosphäre trotz ihres vermeintlichen Nischendaseins un-
überschaubar groß ist, geht es hier überwiegend nur um die sich selbst so
bezeichnenden Nähnerds7 im deutschsprachigen Raum. Nähnerds sind lei-
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denschaftliche Nähfans, die sich viele Teile ihrer eigenen Kleidung selbst
nähen. Laut Rensch-Bergner gibt es ca. 1.000 aktive Blogger_innen, von
denen die meisten regelmäßig an Verlinkungs-Partys teilnehmen, so z. B.
am wöchentlichen MeMadeMittwoch (MMM) mit durchschnittlich 100 bis
150 Teilnehmenden und ca. 25.000 Klicks. Auf der Internet-Konferenz ne-
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benan 2015 berichtet die Nähbloggerin Meike Rensch-Bergner ausführlich


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

über das Phänomen des Nähbloggens und über die Szene der Nähnerds. Ihr
Vortrag ist überschrieben mit »Wertschätzung ist unsere Währung« und
wird eingeführt mit dem Intro: »In Nähblogs geht es um mehr als schöne
Klamotten: Eine Kultur des Miteinanders macht es möglich, Inhalte und
damit ein Selbstbild zu produzieren, das sich von den medialen Vorbildern
deutlich unterscheidet« (Rensch-Bergner 2015b).
Wenn demnach Nähblogger_innen durch die Produktion individuel-
ler Kleidung und ihrer Präsentation im Netz anders sein wollen, bleibt
zu fragen, wovon und wie (sehr) sie sich unterscheiden und abgrenzen
wollen und welche Rolle die Identifikation mit anderen innerhalb und
außerhalb der Blogosphäre spielt. Nähblogs sind deshalb »in erster Linie
Schreibprozeduren, die sich mit Foucaults Begriff der ›Selbstpraktik‹ als
Versuche der Selbstkonstitution lesen lassen«, und wie Jenny Lüders weiter
ausführt: »Ambivalent sind solche Versuche, weil sie sich sowohl im Sinne
eines ›government of individualisation‹ [Masschelein/Ricken 2003] als
auch im Sinne eines Entzugs aus eben solchen Regierungspraktiken und
als Entwurf möglicher anderer Lebensweisen verstehen lassen« (Lüders
2007: 17). Für die weitere Betrachtung ist es demnach unerlässlich, diese

6 Zur Politisierung von DIY-Blogs siehe Frau Jule (2017).


7 Die Frage, was ein Nähnerd ist, lässt sich am leichtesten mit der Durchführung des Tests »Bin
ich ein #nähnerd?« (Derham 2013) beantworten.

267
Dagmar Venohr

Ambivalenzen, die bereits in der selbstbezeichnenden Ausdrucksweise der


›Währung‹ und des ›Produzierens eines Selbstbildes‹ anklingen, insbeson-
dere hinsichtlich neoliberaler Individualitäts- und Selbstvermarktungs-
imperative in den Blick zu nehmen. Denn das »Recht auf freie Selbstreprä-
sentation«, wie Sonja Eismann mit Blick auf Street-Style-Blogs feststellt,
wird »ungeachtet des Drucks zum neoliberalen ›Self-Branding‹ zumindest
subjektiv empfunden« (Eismann 2015: 189) und findet seinen spezifischen
Ausdruck im je individuell artikulierten Selbstverständnis der Nähnerds.
Dieses Selbstbild im Blog ist jedoch kein per se kohärentes, auch wenn
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»die textuelle Identität durchaus im Sinne eines einheitlichen Selbst ange-


legt ist« (Roering 2012: 70). Vielmehr bleibt dieses Selbst ambivalent, da
es innerhalb der medialen Darstellung, Rezeption, Kommunikation und
Reflexion prozessual und performativ als immer wieder anders wahrnehm-
bar erscheint. Zudem stehen diese autobiografischen »Selbstnarrationen«
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(Schmidt 2006: 73) im Netz und sind nur bedingt an ein potenziell reales
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Selbst gebunden. Jede Form präsentierter Authentizität der vermeintlichen


Blogger_innen-Identität wird durch eine je individuelle »Selbstzensur«
(Ainetter 2006: 33) geformt. Eine gewisse Art von Zensur ist jeder Äuße-
rung insofern inhärent, als dass sie Teil ihrer dialogischen Gerichtetheit
ist. Waldenfels sieht darin viel weniger eine Beschränkung des Selbst, als
vielmehr die grundsätzlich kollektive Welterschließung mit Anderen
(vgl. Waldenfels 2000: 301). Die darin grundsätzlich enthaltene Frage
nach einer Kohärenz des Selbst, d. h., ob ich überhaupt mit mir identisch
sein kann, betrifft allerdings jegliche Form der Selbstdarstellung und
sollte deshalb nicht in einer vermeintlichen Dualität von virtuellem und
realem Selbst ruhig gestellt werden, da die Wirkmacht einer möglichen
anderen Selbstkonstitution im Netz sonst an potenziell subversiver Viru-
lenz verlöre.8 Die eigene Blogosphäre nehmen die Nähnerds jedenfalls als
gemeinsamen umhüllenden Raum gegenseitiger Wertschätzung und An-
erkennung wahr, der Selbstdarstellung, -erfahrung und -verwirklichung
ermöglicht. Rensch-Bergner drückt es auf ihrem Blog crafteln so aus: »[W]
enn eine Frau ihren Kopfkleiderschrank verwirklicht hat und Innen und
Außen in Einklang sind, wenn die Menschen um sie herum sie so wahr-

8 Ainetters These, dass das »literarische Ich im Blog, so wie auch in allen anderen autobiogra-
phischen Texten, [...] demnach immer ein fiktives, irreales Ich [sei], dass in einer fiktiven Welt
lebt« (Ainetter 2006: 34), halte ich auch deswegen für die Bloganalyse für nicht zielführend.

268
Ich bin Andere und Ich ist eine andere! Vestimentäre Selbstverfertigungen im Netz

nehmen, wie sie ist, wie sie sich fühlt, dann wird alles gut. So eine Frau
wird authentisch sein« (Rensch-Bergner 2013).

3. Medialer Selbstverfertigungsraum

Die scheinbare Dualität zwischen innerem und äußerem Erleben ist bei
näherer Betrachtung des mit selbstgenähter Kleidung dargestellten Selbst
im Nähblog nicht aufrechtzuerhalten. Der bekleidete Körper erscheint
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hier vielmehr als empfundener und nachvollziehbarer Selbstausdruck


der Nähbloggerinnen in Bild und Text. Wenn Christiane Funken in ihrem
Aufsatz Der Körper im Internet schreibt, Bloggende bedienten sich »zur sozi-
alen Identifizierung ausgefeilter Selbstbeschreibungen, die als Differen-
zierungs- oder auch Zugehörigkeitsmarken geltend gemacht werden und
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auf soziale Anerkennung zielen« (Funken 2005: 236), dann scheint das zu
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

kurz gegriffen. Denn es geht den Nähbloggerinnen im ersten Schritt um


die Selbstwahrnehmung in Bezug auf ihren zu benähenden Körper, und
erst im weiteren Verlauf um die sozialen Bezugnahmen auf und durch
die Anderen. Insbesondere wenn Funken anschließend betont, der Körper
habe zwar »in solchen Beschreibungen ein großes Gewicht, er fungiert aber
weder als virtuelles noch als reales Substrat, das sich mit seinen vorgege-
benen Eigenschaften aufdrängt« (ebd.: 236), nimmt sie dem Modekörper
seine materiale Substanz, die allerdings konstitutiv für den Prozess des
Nähbloggens ist. Die Trennung in einen realen und virtuellen Körper lie-
fert meines Erachtens keine schlüssige Antwort auf die Frage nach dem
Ort einer möglichen vestimentären Selbstverfertigung. Im genannten Weder-
Noch allerdings steckt der Hinweis auf eine Art Zwischenraum, einen Ort,
der nicht eindeutig markierbar ist, der Verweis auf die Relationalität des
Medialen an sich. Ich argumentiere daher, dass das sogenannte ›Gewicht
des bekleideten Körpers‹ in seiner Darstellung, wie er sich zwischen Bild
und Text des Nähblogs zeigt, eine spezifische Medialität aufweist, die das
Empfinden von Einheit und somit die Verfertigung des Selbst ermöglicht.
Auch die warnenden Worte von Susie Orbach, dass die »Verherrlichung
einer Vielzahl von Selbst-/Körperzuständen durch das postmoderne Den-
ken [...] die Not des präintegrierten Körpers geradezu zu bejubeln«, und
dass das »Zelebrieren des Multiplen [...] das Streben der Einzelnen nach
körperlicher Kohärenz« (Orbach 2010: 94f.) ignoriere, verweisen nach-
drücklich auf das grundsätzliche, von einem vorherrschenden Zeitgeist

269
Dagmar Venohr

oder einer aktuellen Mode unabhängige Bedürfnis nach konkret erfahr-


barer Selbstvergewisserung.
Das Gewicht des Körpers wird erst im Handeln mit diesem und mit den
Anderen erlebbar, wobei eben dieses Handeln immer auch ein mediales
Darstellen und Wahrnehmen des bekleideten Körpers ist, also ein körper-
liches Erleben in Medien. »Das heißt auch«, so Paula-Irene Villa, »dass der
Körper nicht nur ein Medium von Interaktionen ist, das wie ein fertiges
Produkt bereitgestellt und verwendet wird, sondern er wird in und durch
Attributions- und Darstellungspraxen überhaupt erst ›gemacht‹« (Villa
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2006: 271). Die Einheit des Selbst ist somit nur in seiner Performanz er-
fahrbar, und dieses performative Moment findet immer in einem medial
vermittelnden und vermittelten Raum statt. Die mediale Funktion des
Räumlichen ist dabei unmittelbar an das körperliche Empfinden und Wahr-
nehmen nicht jedoch an das tatsächlich materielle Vorhandensein einer
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konkreten Dingwelt gebunden. Dieser »Raum wird gesehen und gespürt«,


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

erläutert Stephan Günzel den Ansatz Merleau-Pontys, »die Dinge in ihm


kommen aber auch auf den Betrachter zu, der sie – dem phänomenolo-
gischen Grundsatz zufolge – intentional umfasst und als Dinge der Welt
erlebt« (Günzel 2006: 114). Das visuelle Erfassen eines virtuellen Raumes
evoziert demnach adäquate körperliche Erfahrungen, wobei sich im Blog
Text und Bild intentional so ineinander verschränken, dass sie eine direkte
Intensivierung des Bedeutungsgeschehens9 bewirken.
Die ikonotextuelle Verschränkung wird insbesondere durch die Ver-
linkungs- und Kommentarfunktion, durch den Kontakt mit Anderen ver-
stärkt. Es ist nicht so, dass die sprachlich dargestellten Dinge oder auch
fotografischen Abbildungen der Bloggerinnen eine bestimmte Aussage
treffen oder eine festgeschriebene Bedeutung hätten. Das verstehende Er-
kennen, wie auch seine eigentliche Wirkung im Sinne einer bedeutsamen
Wirklichkeit liegt im (Nach-)Vollzug des Dargestellten. »Das Sehen beginnt
in den Dingen, bestimmte Dinge [...] rufen das Sehen hervor«, schreibt
Merleau-Ponty (1986: 340) in einer seiner Arbeitsnotizen zu Das Sichtbare

9 Bedeutung geschieht als eine situative In-Bezugnahme zu den wahrzunehmenden Dingen,


wesentlich ist immer wie sie sich zeigen, in welcher Materialität und Medialität sie auf uns
zukommen. Einem Bedeutungsgeschehen beizuwohnen heißt, »sich auf ein Bedeutendes
auszurichten (auf ein Anderes) und sich dabei reflexiv auf sich selbst zu beziehen, parallel also
immer zu bedenken, dass man sich von sich selbst differenziert, wenn man sich selbst thema-
tisiert« (Ernst 2003: 49f.).

270
Ich bin Andere und Ich ist eine andere! Vestimentäre Selbstverfertigungen im Netz

und das Unsichtbare. In dieser permanenten Umkehrbarkeit, Verschränkung,


Verwirkung und Faltung ist der Raum jener vestimentären Selbstverfertigung
zu verorten: »Und in der Folge ist das Denken und das Subjekt ebenfalls
als räumliche Situation, mit seiner eigenen ›Ortschaft‹ zu beschreiben«
(Merleau-Ponty 1986: 340).
Dieser Ort wird im Folgenden als ein Zwischen- und Spielraum kennt-
lich gemacht, der sowohl eine gewisse Freiheit im Handeln ermöglicht als
auch modisches Begehren erzeugt. Er wird als eine körperlich-dingliche
Relationalität begriffen, dessen Einheitlichkeit anhand des Körperschemas,
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dessen Gerichtetheit anhand der Zwischenleiblichkeit und dessen Sinnlichkeit


anhand der Fleischlichkeit nun in Weiterentwicklung phänomenologischer
Ansichten an drei Beispielen des Nähbloggens aufgezeigt wird.

Körperschema – Birne
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Während mir Petra Wünsche als Pedilu aus ihrem animierten Porträtfoto
am rechten Blogrollrand zuzwinkert, um dann auf den eigenen Content
und die Kommentare zu blicken, lese ich ihren Text zu der Fotografie einer
Birne: »Ich bin eine Birne. Genau. Ganz typisch: nicht allzu breite Schultern,
wenig Oberweite, dafür eine ausladende Hüfte und nicht ganz so schmale
Oberschenkel. Seit ich das weiß, kleide ich mich passender und fühle mich
wohler« (Wünsche 2012b). Wieso weiß Pedilu, dass sie eine Birne ist? Das
Bild, die Form einer Birne scheint ihrer Vorstellung von ihrem Körper zu
entsprechen. Nach Waldenfels geht es beim Körperschema um die »einheit-
liche Vorstellung vom Körper, also um die Frage, wie und unter welchen
Umständen mein Körper überhaupt als einheitlicher Körper erlebbar wird«
(Waldenfels 2000: 113). Und da das Körperschema nach Stefan Kristensen
auch als »mediale Matrix« zu begreifen ist, »die der leiblichen Bewegung
Form und Organisation gibt« (Kristensen 2012: 32f.), werde ich nun da-
von ausgehen, dass es als Körperbild im medialen Handlungsvollzug des
Nähbloggens nachvollziehbar sein wird. Das Körperbild ist demnach die
sichtbare Seite dieser Matrix, während das Körperschema auf »die für das
Subjekt unsichtbare und unhintergehbare Struktur seines Zur-Welt-Seins«
verweist (ebd.: 32). Die leibliche Einheit von Körper, Raum und Zeit ist
demnach nur im prozessual erlebbaren, wechselseitigen Verhältnis mit
Anderen erfahr- und fassbar.
Beim Nähbloggen artikuliert Wünsche ihre Vorstellung vom eigenen
Körper als birnenförmig als ein Ergebnis ihres Kenntniszugewinns. Sie

271
Dagmar Venohr

ist seit 2010 dabei, hat ihre ersten Nähversuche gepostet und war bis 2012
Teilnehmerin des MMM. Da nach Kristensen das Körperschema »eine dia-
lektische Struktur [ist], die einerseits mich in Kontakt mit dem Anderen
setzt, und andererseits, durch eben diesen Kontakt, meine Identität ent-
stehen lässt« (ebd.: 26), ist anzunehmen, dass sie ihr Körperschema u. a.
im bloggenden Austausch über Passformen und Schnittmuster mit den
anderen Nähblogger_innen herausgebildet hat. Insbesondere Kommen-
tare über die »notwendigen Anpassungen« der selbstgenähten Kleidung
im Herstellungsprozess von Elsa und von Frau Waldmeisterin, dass »alles
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an der Passform hängt«, sowie ihre Erkenntnis, dass »man durch diese
›Fehler‹ auch sehr viel darüber lernt, was einem steht« (Wünsche 2012a),
bestärken diese Annahme.
Dieser sogenannte ›Lernprozess‹ findet sowohl beim Fertigen des Klei-
dungsstückes (Prozeduren des Maßnehmens des eigenen Körpers, des
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Vermessens des Stoffes, der Abgleichung dieser Maße mit den Einheits-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

maßen von unterschiedlichen Schnittmustermaßtabellen, Änderungen


nach Anproben vor dem Spiegel etc.), bei der reflektierenden Darstellung
der selbstgenähten Kleidung in Bild und Text des Nähblogs (fotografische
Selbstbildnisse, Skizzen/Zeichnungen, Detailaufnahmen etc.) als auch der
Wahrnehmung der eigenen Darstellung und der hervorgerufenen Reakti-
onen in der Blogosphäre (Kommentare, Verlinkungen, Einladungen etc.)
auf ikonotextueller Ebene statt. Da die diversen Aufnahmen desselben
Kleidungsstückes von unzähligen Ansichten gezeigt und beschrieben wer-
den, um den Gesamteindruck zu verdichten, und die Texte die Details der
Kleidung, des Körpers und des Fertigungsprozesses teilweise mit konkre-
tem Bezug zum Bild beschreiben, changieren Text- und Bildwahrnehmung
ständig und ergeben so ein mediales, rational-sinnliches Phänomen, das
den dargestellten Körper in seiner Einheit prozessual erfahrbar machen.
Wir haben also einen »dynamischen Zugang« zur Wahrnehmung unseres
Körpers, und seine »Einheit bestimmt sich von dem her, was jeweils zu
tun ist« (Waldenfels 2000: 114).
Entsprechend ist Wünsches Prozess hin zu der Erkenntnis, sie sei eine
Birne, von konkreten disparaten Auseinandersetzungen mit ihren Körper-
formen geprägt. Ob dann »ein grau melierter Kasten« (Wünsche 2014) als
Überschrift für den Blogeintrag die Bezeichnung für ihren abgebildeten
bekleideten Körper oder lediglich für das grau-melierte Sweat-Shirt-Kleid
ist, bleibt offen. Körper und Kleid sind weder getrennt voneinander wahr-
nehmbar, noch bilden sie eine Verschränkung: »Ich weiß nicht. Ich kann

272
Ich bin Andere und Ich ist eine andere! Vestimentäre Selbstverfertigungen im Netz

mich auch nach eineinhalb Jahren immer noch nicht so ganz mit diesem
Kleidungsstück anfreunden. Irgendwie lässt es meinen Oberkörper ›kastig‹
erscheinen. Die wenigen vorhanden Rundungen werden einfach geschluckt«
(ebd.). Obwohl die Nähbloggerin versucht etwas zu sehen, was zu ihr passt,
gelingt es ihr nicht, darin »ein Bild im Sinne einer Gestalt, die der leiblichen
Bewegung Form und Organisation gibt« (Kristensen 2012: 33), zu erkennen.
Das Kleid, das vor der Erkenntnis, eine Birne zu sein, genäht wurde, scheint
sie nun rückblickend auf diesem Weg weitergeführt zu haben. Denn wenn
sie sich ein paar Jahre später fragt: »[W]as ist ein perfektes Kleid? Wer bin
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ich? Wer will ich sein?«, weiß sie sofort, wie sich ihre Körperform in ihrem
Selbstbild widerspiegelt: »Was mir steht, kann ich für mich recht einfach
beantworten. Da ich mich mit […] meiner Körperform auseinandergesetzt
habe, weiß ich schon mal, dass […] ich als Birnen- oder A-Typ meine Schultern
betonen und meine Hüfte eher etwas kaschieren sollte« (Wünsche 2016). An
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dem Kommentar der Bloggerin stoffbüro zeigt sich zudem deutlich, wie der
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

strukturbildende und somit sinnkonstituierende Wahrnehmungsprozess


zwischen Bild und Text changiert: »Besonders interessant aber finde ich
auch Deine Ausführungen zum idealen Schnitt und den idealen Proportio-
nen – derart strukturiert habe ich mir darüber nie Gedanken gemacht, aber
Deine Bilder zeigen, wie wertvoll das sein könnte« (ebd.).
Selbstwahrnehmung, mediales Körperbild und der Bezug auf andere
verschränken sich im Herstellungsprozess selbstgenähter Kleidung beim
Nähbloggen so untrennbar, dass es bei dem so entstehenden Selbst und
seinem zugrunde liegenden Körperschema »um eine praktische Einheit
[geht], die sich in Verrichtungen und im Handeln selber herstellt« (Wal-
denfels 2000: 115).

Zwischenleiblichkeit – Marinefrack

Beim Nähbloggen erscheint das Körperbild zwischen Bild und Text »als
sichtbarer Leib für die Anderen« (Kristensen 2012: 33). Daher geht es bei
der vestimentären Selbstverfertigung wesentlich auch um das Sichtbare, das zu
Erblickende, den eigenen Blick und den Blick der Anderen auf den eigenen
Körper und die Körper der Anderen. Das Nähblog ist demnach ein Raum,
der immer schon vom Blick der Anderen auf dieses Bild strukturiert wird.
Ebenso wird das Körperschema nach Waldenfels »von vornherein vom An-
deren her gedacht, nicht nur so wie mein Leib sich mir darstellt, sondern
wie die Anderen mich sehen und wie ich mich selber erfahre, dass und wie die

273
Dagmar Venohr

Anderen mich sehen« (Waldenfels 2000: 121). Mit Zwischenleiblichkeit


ziele ich somit auf die gerichteten sinnlichen Bezugnahmen der Nähblog-
ger_innen ab, wie sie sich sowohl auf der sprachlichen als auch visuellen
Ebene des Nähblogs abzeichnen. Bildet dieses gerichtete sichtbare Blicken
auf das dargestellte Körperbild jene sogenannte ›mediale Matrix‹, die so
zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung vermittelt?
In dem Blog gesehen und gesehen werden von Ann-Sophie Lömker geht es
um das Blicken, ihr Blicken, mein Blicken als Lesende und Betrachtende
und das Blicken der Anderen. So schaut mir beim Betreten ihres Blogs nicht
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nur sie selbst direkt von einem Porträtfoto entgegen, auch das Logo nimmt
mich frontal ins Visier: die Strichzeichnung einer durch ein Fernglas schau-
enden Figur. Lömker schaut ganz genau hin und reflektiert in ihrem Beitrag
Marine­frack nicht nur den Schaffensprozess, sondern insbesondere die Tatsa-
che, dass ein Sich-Kleiden immer auch ein Beurteilt-Werden einschließt. Der
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sogenannte ›Marinefrack‹ ist ein Upcycling-Projekt, sie hat ihn aus einem
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

auseinandergenommenen Marinemantel in Größe 54 neu zusammengesetzt.


Die Schwierigkeiten, einen passenden Schnitt zu finden, kulminieren in den
Bezeichnungen ›Damenfräcke‹ und ›Faschingsschnitt‹ und werden ausführ-
lich beschrieben. Hinsichtlich der Beweggründe zur Fertigung eines Fracks
schreibt sie, sie habe sich früher gern verkleidet und es gäbe zahlreiche Fotos
davon. Und sie benennt auch die Schwierigkeit einer Unterscheidung von
Bekleidung und Verkleidung: »Und dann gibt es noch die Fotos aus Teenager-
jahren, auf denen ich aussehe, als wäre ich verkleidet, war ich aber nicht. Das
trug man damals so. Also ich. Leider. Mittlerweile tanze ich gerne auf dem
schmalen Grat zwischen angeguckt werden aufgrund des Andersaussehens
und angestarrt werden aufgrund des Andersaussehens« (Lömker 2015, Herv.
d. Verf.). Die Bloggerin von gesehen und gesehen werden ist mit diesem Beitrag
Gastgeberin des MMM, gerade in diesem Rahmen wird sehr viel gegenseitig
kommentiert: »Ich wäre begeistert Dich auf der Straße zu treffen«, schreibt
Muriel.Nahtzugabe5cm, oder Lena: »Ich muss gestehen, dass ich ihn nicht im
Alltag tragen würde« und Julischka: »Ich finde es super, wenn sich Menschen
jenseits des Mainstreams kleiden. Mehr davon!« (ebd.)
Festzuhalten gilt hier, dass sowohl das Blicken als auch die zwischenleib-
liche Relationalität des Ichs zum Anderen konstitutiv für das Selbsterleben
sind. Lömker verkörpert dieses Gefüge selbst durch die reflektierte Dar-
stellung ihrer Rolle beim Selbst-Nähen des Marinefracks, sie symbolisiert
dies mit ihrem Bloglogo, das auch als Tattoo ihren Körper schmückt, und
es zeigt sich für die User_innen beim Betreten des Blogs in den sich dann

274
Ich bin Andere und Ich ist eine andere! Vestimentäre Selbstverfertigungen im Netz

ereignenden ikonotextuellen Bezugnahmen und im Rahmen der bereits


stattgefundenen Rezeption anhand der kommentierenden Community.

Fleischlichkeit – Blau

Das Fleisch, la chair, bei Maurice Merleau-Ponty ist nach wie vor ein großes
Rätsel, das zu vielen Spekulationen eingeladen hat und weiter einlädt (vgl.
Merleau-Ponty 1986: 192f.). Ich beziehe mich hier nun auf Forschungen
von Emmanuel Alloa, der im Fleisch den Versuch Merleau-Pontys sieht,
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»Differenz und Identität in neuer, d. h. nicht subjektzentrierter Art und


Weise zu denken« (Alloa 2012: 37). Dieses »anonyme Element« (ebd.: 38)
wird für Alloa zum Medium des Diakritischen, des Unterscheidenden an
sich, oder wie Alloa formuliert: »Das Fleisch liegt damit weder in noch
hinter den Dingen verborgen, sondern bildet vielmehr die Textur zwi-
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schen ihnen« (Alloa 2012: 49f.). Das Fleisch als Textur lässt sich somit
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

als eine struktural verbindende und gleichzeitig differenzierende Bezüg-


lichkeit des Ausdrucksgeschehens zwischen Körpern beschreiben. Diese
Fleischlichkeit kann eine homogene, normierende und generalisierende
Textur sein, die Differenz als Basis für Ab- und Ausgrenzung zugrunde
legt. Es kann aber auch eine heterogene, diversifizierende und sensibili-
sierende Textur sein, die Differenz als Chance für die Anerkennung und
Wertschätzung des Fremden im Eigenen sieht, je nachdem wie wir mit
unseren bekleideten Körpern umgehen. Denn erst durch das hier auf die
Kleidung bezogene, vestimentäre Handeln bilden sich bestimmte Formen
aus, denen performativ Bedeutung zugeschrieben werden kann, und die
dann Sinn generieren. Die Fleischlichkeit als Textur dieser Ausformun-
gen und -formulierungen zielt damit auf die spezifische Medialität des
Näh-Bloggens als prozessuale vestimentäre Handlung und Ausdruck des
Sich-Differenzierens durch das Vestimentäre ab.
Zu klären wäre nun, inwieweit diese Fleischlichkeit in Hinblick auf die
mögliche Reflexion eines vergeschlechtlichten Körperbildes im DIY-Näh-
Blog eine hilfreiche analytische Perspektivierung sein kann. Eine Fleisch-
lichkeit, die als grundlegende Textur auch Geschlechtlichkeit als erst noch
auszudifferenzierend voraussetzt, ließe sich vielleicht als feministisch zu
aktivierendes und solidarisierendes Potenzial instrumentalisieren. Um zu
verdeutlichen, was ich damit meine, hier nun Ella Mara, die schreibt, sie sei
»Auf’m Blau-Trip: Nachdem ich meine neue blaue Brille gekauft hatte,
habe ich blaue Stoffe gekauft. [...] Das Selbernähen befreit mich von der

275
Dagmar Venohr

Diktatur der Mode, von trendigen Farben und komischen Schnitten. Die
von euch, die selber Nähen, kennen das Gefühl. [...] Vielleicht liegt das auch
etwas am Nachhall vom MeMadeMay, an dem ich teilgenommen habe.
Währenddessen ist mir mal wieder klar geworden, wie viele Kleider ich
habe, die genauso aussehen und sitzen, wie ich das will. Und genau deshalb
ist das Nähen für mich ein feministischer Akt. Weil ich mich dem Druck
der Modeindustrie, irgendeinem Ideal zu folgen, widersetze. Weil ich die
Freiheit nutze, mich so zu kleiden, wie ich es will. Weil ich mich für mich
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kleide und für niemanden sonst« (Steinmann 2016).


Identität entsteht hier aus einem Freiheitsgedanken heraus, der sich
kollektiv mit den Anderen herausbildet. Ella Mara widersetzt sich einem
allgemeinen Ideal, indem sie sich mit Anderen in Relation setzt. Sie grenzt
sich ab, nimmt sich als anders wahr, so wie sie auch die Anderen als anders
wertschätzt. Und genau darin erkennt sie das verbindende Moment: Die An-
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deren genauso anders wie sie selbst sein lassen zu können. In diesem Handeln
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

differenziert sich Identität heraus, aber nicht als individueller Akt, sondern
kollektiv im Sich-Unterscheiden und Sich-Identifizieren mit Anderen. Und
der Bloggerin ist bewusst, dass sie die Freiheit hat, bestimmte Kleidung für
den individuellen Körper passgenau zu produzieren, und sie nutzt sie für
sich. Das Blau kann deshalb für die Fleischlichkeit als Phänomen der vesti-
mentären Selbstverfertigung metaphorisch verstanden werden: Wie eine Farbe
in seinen sich immer unterscheidenden, immer wieder anders erscheinenden
Nuancen, seiner Assoziationskraft, seinen individuellen und kollektiven
Bedeutungsebenen, die als soziale Erfahrungstextur immer mitschwin-
gen, so wird das Vestimentäre im Sinne einer Textur zu einer grundlegend
differenzierenden wie auch verbindenden Kraft. Feministisch ist daran vor
allem das Nein. Es ist die aktive emanzipatorische Verweigerung, irgend-
einem gesellschaftlichen Ideal, einer normierenden Idee von Weiblichkeit
entsprechen zu müssen, oder wie es Laurie Penny in Fleischmarkt formuliert:
»Wir weigern uns, die ungeheure Menge an Leidenschaft, Kreativität und
Potenzial, über die wir verfügen, in das enge Körpergefängnis zu zwängen,
das uns seit unserer frühen Kindheit erwartet. [...] Nein, wir weigern uns.
Wir werden eure Kleider und Schuhe [...] nicht kaufen« (Penny 2012: 123).
In DIY-Näh-Blogs existiert demnach neben teilweise konsumistischen,
kommodifizierenden oder hedonistischen Zügen auch ein grundlegend
feministisches Selbstverständnis. Und dieses verweist immer auf ein durch
die Kleidung sowohl verbindendes als auch in der Verbindung sich aus-
differenzierendes Ich und die Anderen, auf jenes textuelle, fleischliche

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Ich bin Andere und Ich ist eine andere! Vestimentäre Selbstverfertigungen im Netz

Dazwischen. Im Folgenden werde ich nun abschließend darauf eingehen,


wie diese Aspekte das Modehandeln um die Idee der vestimentären Selbstver-
fertigung erweitern können.

4. Modehandeln: Vestimentäre Selbstverfertigung mit


»Schlankmacherkleid«

Modehandeln ist ein Handlungskonzept und ein Analysemodell, das vesti-


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mentäre Handlungsspielräume und die eigene Wirkungsmächtigkeit in


den Medien der Mode anhand der Analyse der je spezifischen Materialität
des Medialen aufzeigt. In einem solchen Analyseprozess des Vestimentä-
ren werden Mode und die subversiven Handlungsspielräume gleicherma-
ßen sichtbar, beide sind performativ und nur gemeinsam aushandelbar:
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»Im Modehandeln eröffnen sich die Spielräume der Mode durch die ihr
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

immanenten Setzungen, lassen sich die Freiräume des intermedialen Zu-


sammentreffens aller Materialisierungen von Mode durch Konventionen
erkennen, und innerhalb der ModeMedien findet Selbstkonstitution durch
Fremdbestimmung statt« (Venohr 2015: 126).
Die Bloggerin Rensch-Bergner hat im November 2015 beim Nähwettbe-
werb Geschickt eingefädelt des Fernsehsenders VOX als Kandidatin mitgewirkt.
Eine der zahlreichen Aufgaben der TV-Challenge, bei der es darum geht,
den »begabtesten Hobbynäher Deutschlands« (vox 2017) zu finden, war
das Herstellen eines sogenannten »Schlankmacherkleids«, dazu Rensch-
Bergner selbst:
»Ein Schlankmacherkleid? Natürlich kann ich mir etwas darunter
vorstellen, bin doch auch ich jahrzehntelang mit der gängigen Ideolo-
gie gehirngewaschen, den weiblichen Körper als mangelhaft und stets
verbesserungswürdig anzusehen. Ich nähe, um eben nicht auf das Angebot
an Kleidung angewiesen zu sein, sondern um meine eigene Vorstellungen
davon umzusetzen, was mir gut tut und meinen Körper schmückt. Warum
sollte ich diese frauenverachtende Vorstellung reproduzieren, einen Körper,
der solide durchs Leben trägt, als minderwertig anzusehen und ihn mit
Kleidung für die Augen anderer so optimieren, dass er den Ansprüchen der
Ideologie genügt? Mal ganz abgesehen davon, dass Kaschieren und Kon-
sorten sowieso viel schlechter funktionieren, als gemeinhin angenommen«
(Rensch-Bergner 2015a, Herv. d. Verf.).

277
Dagmar Venohr

Abbildung 1
Schlankmacherkleid, Meike Rensch-Bergner in
einem selbstgenähten, niemals selbst so genannten
Schlankmacherkleid
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Quelle: 2015, www.crafteln.de

Es findet hier ein vestimentärer Reflexionsprozess über die Normierung


des weiblichen Körpers statt, der intermedial in einer breiten (Fernseh-)Öf-
fentlichkeit ausgehandelt wird. Indem sie das »Schlankmacherkleid« nähen
muss, nimmt sie konkret an diesem Normierungsprozess teil und stellt
ihn somit einmal mehr infrage. Denn ein erster körperbetonter Schnittvor-
schlag (Abb.1) ihrerseits mit klar konturierender Taille, der die Silhouette
des gesamten Körpers in den Blick nimmt, wurde von der Jury abgelehnt,
mit folgendem Ergebnis: Für den zu benähenden Plus-Size-Körper mit den
Konfektionsgrößen 38 im Oberteil, in der Taille 40 und 42 an der Hüfte
eigne sich eher ein den Körper umspielendes Jerseykleid. Aber Rensch-
Bergner stellt sowohl in ihrem Blog, als auch durch ihre Teilnahme an der
Fernsehsendung auch ihr eigenes Körperbild dar, und der Spielraum, den
sie damit eröffnet, greift viel weiter. Er enthält die zuvor benannten As-
pekte: das Körperschema in Bezug auf das Blicken, die Zwischenleiblichkeit
als Relationalität von Ich und die Anderen und das fleischliche Dazwischen.

278
Ich bin Andere und Ich ist eine andere! Vestimentäre Selbstverfertigungen im Netz

Indem sie sich in ihrer korporalen Identität immer wieder reflektierend


infrage stellt und diese bloggend mit anderen Nähnerds diskutiert, kommt
sie durch das Nähen und Tragen eigener, passender Kleidung ihrem eige-
nen Selbstbild nahe. Und sie nutzt diese erfolgreiche Annäherung, ihre
persönliche Erkenntnis eigener vestimentärer Selbstverfertigung, um andere
zu inspirieren und anzustecken (Abb. 2). Rensch-Bergner will mit ihrem
Blog crafteln ihre eigene und die Sicht anderer auf ihren Körper verändern,
indem sie das Nähen eigener Kleidung als (selbst)ermächtigende Strategie
propagiert: »Nicht du bist falsch, sondern das, was dir an Kleidung geboten
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wird« (Rensch-Bergner 2017b). Und dann muss ich mich fragen, was ich
anders machen kann, für mich und mit den Anderen.

Abbildung 2
Ninja-Kleid, Meike Rensch-Bergner und Jana Kunath-
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Busse (kittykoma.de) im Ninja-Kleid, einer »Rüstung für


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

das Leben« und »textile Unterstützung« im Kampf um


die »größeren Stücke vom Kuchen [...], die uns eindeutig
zustehen« (Rensch-Bergner 2017a)

Quelle: 2017, www.crafteln.de

279
Dagmar Venohr

Die vestimentären Handlungsspielräume sind also da, können genutzt


und müssen immer wieder anders wahrgenommen werden, und zwar im
doppelten Sinne, denn sie sollten auch erobert werden (vgl. Venohr 2010:
280ff.). Neben ihrem emanzipatorischen Moment hat Modehandeln immer
auch eine machtvolle Komponente: Eigene Wirkmächtigkeit zu spüren,
Selbstermächtigung zu wollen und diese nach Außen darzustellen, bedingt
sowohl selbstregierende und subjektregulierende Individualisierungspro-
zesse (vgl. Foucault 1987) als auch »spezifische materielle (Re-)Konfigura-
tionen« (Barad 2017: 98), die im Rahmen der weiteren Konzeptualisierung
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der vestimentären Selbstverfertigung näher untersucht werden sollen.

Literatur
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

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Dagmar Venohr

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Rensch-Bergner, M.: #NinjaNovember – Woche 2: Dein Ninja macht


dich stark. In: crafteln. Nähen macht Spaß. Kleidung nähen macht glücklich!,
10.11.2017a. http://www.crafteln.de/2017/11/ninjanovember-woche-2-
dein-ninja-macht.html [16.11.2017]
Rensch-Bergner, M.: Wenn ich für mich Kleidung nähe, nähe ich
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genau für den Körper, den ich habe. In: crafteln. Nähen macht Spaß.
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Kleidung nähen macht glücklich!, 07.11.2017b. http://www.crafteln.


de/2017/11/Blogparade-wechseljahre.html [16.11.2017]
Rensch-Bergner, M.: Aus dem Nähkästchen geplaudert: »Geschickt
eingefädelt«. In: crafteln. Nähen macht Spaß. Kleidung nähen macht
glücklich!, 27.11.2015a. http://www.crafteln.de/2015/11/aus-dem-
nahkastchen-geplaudert_27.html [16.11.2017]
Rensch-Bergner, M.: Wertschätzung ist unsere Währung. Vortrag:
Nebenan. Freundliche Internet-Konferenz, Hamburg, Beta-Haus,
06.06.2015b. https://www.youtube.com/watch?v=pY0bAOrK9xw
[22.06.2017]
Rensch-Bergner, M.: Kopfkleiderschrank verwirklicht. Und nun? In:
crafteln. Nähen macht Spaß. Kleidung nähen macht glücklich!, 25.11.2013.
http://www.crafteln.de/2013/11/kopfkleiderschrank-verwirklicht-
und-nun.html [16.11.2017]
Roering, J.: Krieg bloggen. Soldatische Berichterstattung in digitalen Medien.
Bielefeld [transcript] 2012
Schmidt, J.: Weblogs. Eine Kommunikationssoziologische Studie.
Konstanz [UVK] 2006
Schmidt, J.; K. Schönberger; C. Stegbauer: Erkundungen von
Weblog-Nutzungen. Anmerkungen zum Stand der Forschung.
In: kommunikation@gesellschaft, 6, 2005. http://nbn-resolving.de/
urn:nbn:de:0228-200506068 [22.06.2017]

282
Ich bin Andere und Ich ist eine andere! Vestimentäre Selbstverfertigungen im Netz

Schönberger, K.: Doing Gender, kulturelles Kapital und Praktiken des


Bloggens. In: Simon, M.; T. Hengartner; T. Heimerdinger; A.-K.
Lux (Hrsg.): Bilder. Bücher. Bytes – Zur Medialität des Alltags. Münster
[Waxmann] 2009, S. 378-386
Steinmann, E.: Lieblingskleider – Auf’m Blau-Trip. In: Ella Mara,
15.06.2016. http://ellamara.de/2016/06/aufm-blau-trip/ [16.11.2017]
Venohr, D.: Nähen im Netz. Strategien vestimentärer
Selbstverfertigung zwischen kommerzieller Abstinenz und
rasantem Konsum. In: Jahrbuch netzwerk mode textil e.V., 2, 2018, (im
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Erscheinen)
Venohr, D.: ModeMedien – Transmedialität und Modehandeln.
In: Wenrich, R. (Hrsg.): Die Medialität der Mode. Bielefeld [transcript]
2015, S. 109-126
Venohr, D.: medium macht mode. Zur Ikonotextualität der Modezeitschrift.
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Bielefeld [transcript] 2010


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Venohr, D.: Warum Mode (k)ein modernes Leitmedium ist. In: Müller,
D.; A. Ligensa; P. Gendolla (Hrsg.): LeitMedien. Bielefeld [transcript]
2009, S. 271-288
Venohr, D.: Modehandeln zwischen Bild und Text. Zur
Ikonotextualität der Mode in der Zeitschrift. In: Image. Zeitschrift
für interdisziplinäre Bildwissenschaft, 8, 2008. http://www.gib.uni-
tuebingen.de/own/journal/pdf/buch_image8.pdf. [14.02.2018]
Villa, P.-I.: Sexy Bodies. Eine soziologische Reise durch den Geschlechtskörper.
Wiesbaden [Springer VS] 2006
Voss, C.; L. Engell (Hrsg.): Mediale Anthropologie. Paderborn [Fink] 2015
VOX: Geschickt eingefädelt. In: VOX.de. https://www.vox.de/themen/thema/
geschickt-eingefaedelt-t10725.html [16.11.2017]
Wagner, J. J.: System der Privatökonomie. Das Ganze des Familienhaushaltes für
das gebildete Publikum. Aaran [Sauerländer] 1836
Waldenfels, B.: Das leibliche Selbst. Vorlesungen zur Phänomenologie des Leibes.
Frankfurt/M. [Suhrkamp] 2000
Wünsche, P.: #ichbaumireinkleid – Ella kann (fast) alles! In: Pedilu bloggt,
26.04.2016. http://pedilu.blogspot.de/2016/04/ichbaumirmeinkleid-
ella.html [16.11.2017]
Wünsche, P.: Immer wieder mittwochs. In: Pedilu bloggt, 12.02.2014.
http://pedilu.blogspot.de/2014/02/immer-wieder-mittwochs.
html#comment-form [16.11.2017]

283
Dagmar Venohr

Wünsche, P.: Ein grau melierter Kasten. In: Pedilu bloggt, 17.10.2012a.
http://pedilu.blogspot.de/search?q=grau+melierter+kasten
[16.11.2017]
Wünsche, P.: Fünf Dinge. In: Pedilu bloggt, 28.03.2012b. http://pedilu.
blogspot.de/2012/03/funf-dinge.html [16.11.2017]
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

284
Autorinnen und Autoren
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Ulla Autenrieth, Jg. 1981, Dr.; promovierte im Rahmen des ProDoc In-
termediale Ästhetik. Spiel – Ritual – Performanz sowie im Kontext des
SNF-Projekts Jugendbilder im Netz an der Universität Basel. 2011 war sie
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als Visiting Researcher am Center for New Media Studies der Universität
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Berkeley. Im Anschluss hieran ist sie seit 2012 als wissenschaftliche Assis-
tentin am Seminar für Medienwissenschaft der Universität Basel tätig und
leitete das SNF-Projekt Familienbilder im Social Web (www.netzbilder.net).
Seit Oktober 2017 ist sie mit der operativen Leitung des SNF-Projekts Service
public: Publikumsakzeptanz und Zukunftschancen (Antragsteller: Prof. Dr.
Matthias Künzler) an der HTW Chur betraut (www.zukunftservicepublic.
ch). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen visueller Kom-
munikation in vernetzten Umgebungen, Nutzung von Online-Medien und
Medienkompetenz sowie den Auswirkungen von Mediatisierungsprozes-
sen und Nutzungsveränderungen auf Mediensysteme.

Cornelia Brantner, Dr. phil.; studierte Publizistik- und Kommunikati-


onswissenschaft in Kombination mit Politikwissenschaft und Psychologie
an der Universität Wien. Promotion mit einer Arbeit über Europäisierung
der österreichischen Öffentlichkeit. 2009-2015 Assistentin am Institut
für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien.
Sommersemester 2017 Vertretungsprofessorin am Institut für historische
Publizistik, Kommunikations- und Medienwissenschaft (IPKM) und am
Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung
(ZeMKI) der Universität Bremen, davor drei Semester Vertretungspro-
fessorin am Institut für Kommunikationswissenschaft der TU Dresden.
Projektleiterin am Institut für Wissenskommunikation und angewandte
Forschung (IWAF), Wien. Zweite Sprecherin der Fachgruppe Visuelle Kom-

285
Autorinnen und Autoren

munikation der Deutschen Gesellschaft für Kommunikationswissenschaft


(DGPuK). Arbeitsschwerpunkte: Visuelle Kommunikation, Digitale Kom-
munikation (Soziale Medien, Geomedien, Online-Journalismus), Journa-
lismusforschung.

Lina Brink, M.A.; Studium der Kulturwissenschaften in Lüneburg. Da-


nach Mitarbeiterin in verschiedenen internationalen Nichtregierungs-
organisationen. Seit 2014/15 Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung und
Doktorandin am Institut für Medienwissenschaften an der Eberhard Karls
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Universität Tübingen. Mitglied der Nachwuchsforscher*innengruppe


»Transkulturelle Öffentlichkeiten und Solidarisierung in gegenwärtigen
Medienkulturen« am Lehrstuhl von Prof. Dr. Tanja Thomas mit einem
Projekt zum deutschen Pressediskurs über Proteste in Ägypten zwischen
2011 und 2014. Forschungsschwerpunkte: Cultural (Media) Studies, Gender
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Studies, Postcolonial Studies, Medien und Globalisierung, Kosmopolitis-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

mus, Diskurstheorie und -analyse

Florian Diener, Jg. 1986, M.A.; Studium der Theater- und Medienwissen-
schaften, Wirtschaftswissenschaften und Psychologie an der Friedrich-Alex-
ander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und an der Universität Utrecht.
Seit 2014 Doktorand am Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft von
Prof. Dr. Christina Holtz-Bacha. Seit 2016 Lehrbeauftragter an den Lehr-
stühlen Kommunikationswissenschaft und Unternehmensführung der FAU,
seit 2018 wiss. Mitarbeiter an der Hochschule Ansbach. Dissertation mit
dem Arbeitstitel »Stereotype Darstellungen von Alter(n) und Geschlecht in
Werbeanzeigen der 1990er- und 2010er-Jahre«. Forschungsschwerpunkte:
Visuelle Kommunikationswissenschaft, Stereotypenforschung, Intersek-
tionalität, Gender Media Studies.

Lena Erber, Jg. 1994., B.A.; Bachelor in Medien und Kommunikation in


Augsburg. In ihrer Bachelorarbeit mit dem Titel »Junge Frauen und die
Aneignung visueller Repräsentationen von Fitnessinhalten auf Insta-
gram – Aushandlung zwischen Medienideal und Selbst« beschäftigte sie
sich mit körperbezogenen Idealvorstellungen, Handlungen und Medien-
praktiken im Kontext der Fitness-Szene auf der Social-Media-Plattform
Instagram. Derzeit studiert sie im dritten Semester Global Business Ma-
nagement, ebenfalls in Augsburg.

286
Gerit Götzenbrucker, Prof. Dr.; assoziierte Professorin am Institut für
Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien, ha-
bilitierte 2006 mit dem Werk Soziale Netzwerke in Unternehmen. Forschungs-
schwerpunkte: Medieninnovationen & Technikfolgen; Medienkulturen
& digitale Spieleforschung sowie visuelle Kommunikationsformen. Mit-
glied der Doktoratsstudienprogrammleitung der Universität Wien. Das
WWTF Forschungsprojekt ›Serious Beats‹ beschäftigte sich mit den In-
tegrationspotenzialen digitaler Spiele für Jugendliche ImmigrantInnen
in Wien mithilfe des positive impact games »YourTurn!«. Ein ›Sparkling
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Games‹-Projekt erforscht in Kooperation mit Wiener Schulen die spielba-


sierte Aneignung von Wissen zum Thema ›Informatik und Gesellschaft‹.
Visuelle Kommunikationsforschung ist im interkulturellen ASEA Projekt
›Pictorial affect!‹ relevant.
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Elke Grittmann, Prof. Dr.; Professorin für Medien und Gesellschaft, In-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

stitut für Journalismus an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Studium


der Kunstgeschichte, Journalistik und Kommunikationswissenschaft, Po-
litikwissenschaft an der Universität Hamburg. Im Anschluss Tätigkeit als
Journalistin und in der Öffentlichkeitsarbeit, danach wissenschaftliche
Mitarbeiterin in Hamburg. 2006 Promotion zu visueller politischer Bericht-
erstattung und Fotojournalismus. Anschließend Lehr- und Forschungstä-
tigkeit an den Universitäten Hamburg, Augsburg, Münster und Lüneburg.
Leitet derzeit ein Forschungsprojekt im Verbundprojekt ›Gender, Flucht,
Aufnahmepolitiken. Prozesse vergeschlechtlichter In- und Exklusionen
in Niedersachsen‹ (MWK Niedersachsen). Von 2013 bis 2017 Sprecherin der
Fachgruppe Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht. Forschungsschwer-
punkte aktuell zu Visuelle Kommunikation/Visuelle Kultur und Fotojour-
nalismus, Journalismus/Politische Kommunikation, Gender Media Studies,
kommunikationswissenschaftliche Erinnerungsforschung, Migration
und Medien/internationale Kommunikation, Methoden der Bildanalyse.

Melanie Haller, Jg. 1971, Dr.; Studium der Soziologie, Philosophie und
Literaturwissenschaft in Hamburg. 2012 Promotion mit einer Arbeit über
Intersubjektivität im Tango Argentino. 2004-2015 wissenschaftliche Mit-
arbeiterin (Prä- und Postdoc) am Institut für Bewegungswissenschaft der
Universität Hamburg und zwischen 2015-2017 freie Lehraufträge an der
Universität Hamburg, der Hochschule für angewandte Wissenschaften/
Hamburg und Akademie Mode und Design/Hamburg. Seit 2017 wissen-

287
Autorinnen und Autoren

schaftliche Mitarbeiterin im Fach Textil der Kulturwissenschaftlichen


Fakultät der Universität Paderborn. Vor ihrem Studium absolvierte sie
eine Ausbildung zur Damenschneiderin und arbeitete mehrere Jahre im
Kostümbereich am Theater und beim Film. Ihre Forschungsschwerpunkte
sind: Modesoziologie, Körper- und Bewegungssoziologie, Gender Studies,
Subjekttheorien, populäre Tanzkulturen (Tango Argentino, Salsa, Swing)
und qualitative Methoden.

Jakob Hörtnagl, Jg. 1982, M.A.; Studium der Kultur- und Sozialan­
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thropologie in Wien und der Medienkulturforschung in Bremen. Seit


2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medien, Wissen und
Kommunikation der Universität Augsburg. Forschungsschwerpunkte:
Subjektivierung, Datafizierung des Körpers, Mediatisierung.
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Katharina Lobinger, Jg. 1981, Prof. Dr.; Studium der Publizistik- und
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Kommunikationswissenschaft und Italienisch in Wien. 2010 Promotion


mit einer Arbeit über Visuelle Kommunikationsforschung. 2011-2016 wis-
senschaftliche Mitarbeiterin (Postdoctoral Fellow) am Institut für histori-
sche Publizistik, Kommunikations- und Medienwissenschaft (IPKM) und
am Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung
(ZeMKI) der Universität Bremen. Seit 2016 Assistenzprofessorin für On-
line Communication an der Università della Svizzera italiana in Lugano.
Sprecherin der Fachgruppe ›Visuelle Kommunikation‹ der Deutschen
Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK).
Forschungsschwerpunkte: Visuelle Kommunikationsforschung, Multimo-
dalität, Online-Kommunikation, Mediatisierungsforschung.

Margreth Lünenborg, Jg. 1963, Prof. Dr.; seit 2009 Professorin für Kom-
munikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Journalistik an der Freien
Universität Berlin, dort zugleich wissenschaftliche Leiterin des Marghe-
rita-von-Brentano-Zentrums für Geschlechterforschung. Aktuell Leitung
eines Forschungsprojekts zum Reality-TV im SFB 1171 ›Affective Societies‹.
Nach dem Journalistik-Studium an der Universität Dortmund Tätigkeit
als Journalistin und in der politischen Öffentlichkeitsarbeit in Berlin und
Kiel. Promotion an der Freien Universität Berlin 1996, Habilitation 2004
an der TU Dortmund mit einer kulturtheoretischen Arbeit über Journalis-
mus als kultureller Prozess. Anschließend Lehr- und Forschungstätigkeiten
u. a. an den Universitäten Wien, Salzburg, Siegen. Aktuelle Forschungs-

288
schwerpunkte in den Bereichen Gender Media Studies, hybride Formate
des Journalismus, Migration und Medien sowie Emotionen und Affekte
in der Medienkommunikation.

Irene Neverla, Jg. 1952, Prof. Dr.; emeritierte Professorin für Journalistik
und Kommunikationswissenschaft. Studium der Kommunikationswissen-
schaft an den Universitäten Wien, Salzburg und München. Promotion über
Arbeitszufriedenheit von Journalisten, Habilitation über Fernsehnutzung
und Zeitgestaltung. 1992-2017 Professorin an der Universität Hamburg;
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dort auch 2007-2017 Principal Investigator im Exzellenzcluster für Kli-


maforschung (CLiSAP/CEN); 2007-2017 Academic Director Hamburg des
Erasmus Mundus Master Programme Journalism, Media and Globalisation.
Gastdozentin u. a. an Aristotle University in Thessaloniki, University of
Technology in Sydney, Pontificia Universidad Catolica del Peru in Lima.
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Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Journalismus im Bezug zu Demokratie-


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

konflikten und kollektiver Erinnerung, Klimawandelkommunikation (aus


Sicht des Journalismus, der Wissenschaft, der RezipientInnen und User),
Ökologie der Mediengesellschaft vor allem im Hinblick auf Beschleuni-
gung und Entschleunigung.

Monika Pater, Jg. 1962, Dr.; Studium der Publizistik, Anglistik und Ro-
manistik in Münster, davor Ausbildung zur Verlagsbuchhändlerin; Promo-
tion über die Herausforderungen des Journalismus durch Informations-
flut und Informationskomplexität; Mitarbeiterin im Forschungsprojekt
›Zuhören und Gehörtwerden. Radiogeschichte und Geschlechterordnung
von 1930 bis 1960‹ an der Universität Hannover. Seit 1998 Post-Doc an der
Journalistik und Kommunikationswissenschaft, Universität Hamburg; Ko-
ordination des Erasmus Mundus MA Journalism, Media and Globalisation.
Forschungsschwerpunkte: Mediengeschichte (v. a. deutsche Rundfunkge-
schichte) aus der Perspektive der Gender Media Studies, Medienhandeln/
Kommunikationsrepertoires der Frauen-/Lesbenbewegung.

Ronja Röckemann, Jg. 1987, M.A.; Studium der Kulturwissenschaften an


der Leuphana Universität Lüneburg. Während des Studiums Mitarbeit
am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienkultur (IfKM).
2013 Abschluss mit einer Arbeit zum Thema Prostitution 2.0 – Prostitutions-
vermarktung und Freierforen im Internet. 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin
am Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung

289
Autorinnen und Autoren

(ZeMKI) der Universität Bremen in einem Forschungsprojekt zur Bericht-


erstattung über die NSU-Morde. Seit 2016 Promotion über Deutungsmus-
ter zur Prostitutions-/Sexarbeitsnachfrage in Deutschland. Promotions-
stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung und Doktorandin der Eberhard
Karls Universität Tübingen.

Patrick Rössler, Jg. 1964, Prof. Dr.; Studium der Publizistik, Rechts- und
Politikwissenshaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. 1997
Promotion an der Universität Stuttgart-Hohenheim zum Thema ›Agenda-
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Setting‹. Im Anschluss Hochschulassistent an der LMU München und seit


2000 Professor an der Universität Erfurt, zunächst für Kommunikations-
soziologie und -psychologie, heute für Kommunikationswissenschaft mit
dem Schwerpunkt Empirische Kommunikationsforschung/Methoden.
Von 2001 bis 2004 Prodekan, von 2009 bis 2011 Dekan der Philosophischen
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Fakultät, von 2011 bis 2014 Vizepräsident für Forschung und wissenschaft-
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

lichen Nachwuchs. Forschungsschwerpunkte: Medienwirkungen, politi-


sche Kommunikation, Online-Kommunikation, Geschichte der visuellen
Kommunikation. Kurator von Ausstellungen (u. a. »Das Bauhaus am Ki-
osk«, »Herbert Bayer: Werbegrafik 1928-1938«).

Catharina Rüss, Dr.; studierte Germanistik, Museumsmanagement und


Kulturanthropologie mit dem Schwerpunkt Kleidungsforschung an der
Universität Hamburg. Während ihres Studiums war sie als studentische
Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Hamburg und
als kuratorische Assistentin im Altonaer Museum in Hamburg tätig. Von
2009 bis 2018 arbeitete sie im Bereich PR und Unternehmenskommuni-
kation sowie als Dozentin für Modetheorie und Trendresearch an der
Fahmoda Akademie für Mode und Design in Hannover. 2016 beendete sie
ihre Dissertation mit dem Thema Mode und Coolness in Romanen und Essays
der Weimarer Republik. Seit dem Sommersemester 2018 ist sie wissenschaftli-
che Mitarbeiterin im Fachbereich ›Mode Textil Design‹ an der Universität
Paderborn und Dozentin für Modetheorie an der HFK in Bremen. Sie ist
Mitglied des Netzwerks Mode und Textil. Aktuell liegen ihre Forschungs-
schwerpunkte auf der Materialität von Mode und Instrumenten im Kon-
text von Körper- und Sound-Performances.

Maria Schreiber, Jg. 1983, Dr.; Studium der Publizistik- und Kommuni-
kationswissenschaft und Soziologie in Wien und Berlin. Wissenschaftliche

290
Mitarbeiterin im Projekt ›Iconic Communication‹, danach Lektorin an der
FH Wien der WKW. 2013-2017 DOC-team Stipendiatin der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften im interdisziplinären Projekt ›Bildprak-
tiken‹ an der Universität Wien, Research Fellow am Graduiertenkolleg
›Sichtbarkeit und Sichtbarmachung‹ der Universität Potsdam sowie am
›Digital Ethnography Research Center‹ der RMIT University Melbourne.
2017 Promotion zu Digitalen Bildpraktiken. Derzeit Post-Doc Researcher
im Projekt ›VIS_BIO. Visuelle Biografien in einer vernetzten Lebenswelt‹
am Institut für Soziologie der Universität Wien.
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Christian Schwarzenegger, Jg. 1980, Dr.; Studium der Publizistik-


und Kommunikationswissenschaft, Soziologie, Politikwissenschaft und
Philosophie in Wien. Promotion 2015 an der Universität Augsburg mit
einer Arbeit über Transnationale Lebenswelten und Europa als Kommu-
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nikationsraum. 2010-2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Sprach- und Kommunikationswissenschaft der RWTH Aachen, danach seit


2012 am Institut für Medien, Wissen und Kommunikation der Universität
Augsburg, seit 2017 dort als Akademischer Rat a. Z., Co-Sprecher der Fach-
gruppe Kommunikationsgeschichte der DGPuk und Vice-Chair der ECREA
Communication History Section. Forschungsschwerpunkte: Historische
Kommunikationsforschung, Medienwandel, Erinnerungsstudien, Medi-
ennutzung und kommunikative Praktiken im Alltag.

Miriam Stehling, Jg. 1982, Dr. phil.; Studium der Angewandten Kultur-
wissenschaften mit den Schwerpunkten BWL, Sprache und Kommunika-
tion, Medien und Öffentlichkeitsarbeit. 2014 Promotion mit einer Arbeit
über die Aneignung von Fernsehformaten im transkulturellen Vergleich.
2009-2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikati-
onswissenschaft und Medienkultur der Leuphana Universität Lüneburg.
2013-2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für historische Pu-
blizistik, Kommunikations- und Medienwissenschaft (IPKM) und am Zen­
trum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung (ZeMKI)
der Universität Bremen. Seit 2015 Akademische Rätin a. Z. am Institut für
Medienwissenschaft der Eberhard Karls Universität Tübingen. Spreche-
rin der Fachgruppe Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht der Deutschen
Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK).
Forschungsschwerpunkte u. a.: Medien, Protest und Partizipation, Hash-
tag-Aktivismus, Gender Media Studies, Reality-TV.

291
Autorinnen und Autoren

Claudia Töpper, Jg. 1976, Dipl. Medienwissenschaftlerin; Studium der


Medienwissenschaft in Potsdam-Babelsberg. Seit 2015 wissenschaftliche
Mitarbeiterin und Promovendin im Forschungsprojekt zum Reality-TV des
SFB 1171 ›Affective Societies‹ an der FU Berlin. Forschungsschwerpunkte:
Emotionen und Affekte in der Medienkommunikation, Fernsehanalyse,
Ästhetiken und Dramaturgien des populären Fernsehens.

Dagmar Venohr, Jg. 1971, Dr. phil; Studium der Kulturwissenschaften und
Ästhetischen Praxis, Philosophie und Bildende Kunst in Hildesheim und
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Bologna. 2010 Promotion zur vestimentären Ikonotextualität und Trans-


medialität der Mode als Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung. Gesellen-
brief im Damenschneiderhandwerk, Tätigkeit als Moderedakteurin und
Geschäftsleitung eines Stoffgeschäfts. Im netzwerk mode textil e.V., der
Interessenvertretung der kulturwissenschaftlichen Textil-, Kleider- und
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Modeforschung ist sie u. a. für die Promotionsförderung zuständig. Seit


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ästhetisch-Kulturelle


Bildung, Abteilung Textil und Mode, der Europa-Universität Flensburg.
Forschungsschwerpunkte: Mode- und Kulturtheorie, Sprach- und Medi-
enphilosophie, Popkultur, Modejournalismus Textilkunst. www.dagmar-
venohr.de

292
Visuelle Kommunikation

Stephanie Geise / Thomas Birkner /


Klaus Arnold / Maria Löblich /
Katharina Lobinger (Hrsg.)

Historische Perspektiven auf den


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Iconic Turn.
Die Entwicklung der öffentlichen
visuellen Kommunikation

2016, 346 S., 80 Abb., 16 Tab., Broschur,


213 x 142 mm, dt.
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ISBN (Print) 978-3-86962-176-0


Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

ISBN (E-Book) 978-3-86962-177-7

Die Fortschritte bei den bildproduzierenden Verfahren haben dazu


geführt, dass die massenmediale Kommunikation immer stärker durch
Bilder geprägt ist. Aber die historisch fundierte Perspektive auf den
Iconic Turn enthüllt, dass Bilder und visuelle Darstellungen seit jeher
einen bedeutsamen Faktor im Prozess des Medienwandels darstellen.
Dieser Prozess lässt sich nur verstehen, wenn die zeitliche Dimension
dieses Wandels stärker in den Blick gerückt wird.
Ziel des vorliegenden Buches ist es deshalb, den Iconic Turn vor
allem als historischen, langfristigen Entfaltungsprozess zu begreifen,
in dessen Folge die visuellen Aspekte der öffentlichen Kommunikation
nicht schlagartig, sondern kontinuierlich an Quantität und Qualität
gewannen. Es zeigt sich, dass auch die kommunikative Logik der
Bilder, ihre Ausdruckspotenziale, ihre Wahrnehmung und Wirkung
sowie ihr Anteil an einer visuellen Konstruktion von Wirklichkeit und
einer Visual Culture, betrachtet und reflektiert werden sollten.

H
H
HERBERT VON HALEM VERLAG
Schanzenstr. 22 . 51063 Köln
http://www.halem-verlag.de
info@halem-verlag.de
Visuelle Kommunikation

Katharina Lobinger /
Stephanie Geise (Hrsg.)

Visualisierung – Mediatisierung.
Bildliche Kommunikation
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und bildliches Handeln in


mediatisierten Gesellschaften

2015, 344 S., 21 Abb., 9 Tab., Broschur,


213 x 142 mm, dt./engl.
ISBN 978-3-86962-106-7
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Unser Alltag und unsere Alltagserfahrung sind untrennbar mit medi-


alen Inhalten und medialen Technologien verbunden. Die Mediatisie-
rung unserer Lebenswelten erfolgt dabei in hohem Maße in visueller
Form, in visuellen Kommunikationspraktiken. Insbesondere Bilder
und die mit ihnen verbundenen visuell-kommunikativen Praktiken
aus dem Bereich der zunehmend mediatisierten ›alltäglichen‹ Kom-
munikation rücken damit in den Fokus. Vor diesem Hintergrund prä-
sentiert der Tagungsband Visualisierung – Mediatisierung die Ergeb-
nisse der Tagung der Fachgruppe Visuelle Kommunikation und fasst
die gegenwärtigen Forschungsströmungen in diesem hoch aktuellen
Forschungsfeld zusammen. Die Beiträge präsentieren theoretische,
empirische und methodologische Forschungen aus dem Kontext der
Mediatisierung mit und durch Bilder und der mit ihnen verbundenen
visuellen Praktiken.

H
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HERBERT VON HALEM VERLAG
Schanzenstr. 22 . 51063 Köln
http://www.halem-verlag.de
info@halem-verlag.de
Visuelle Kommunikation

Stephanie Geise / Katharina Lobinger


(Hrsg.)

Visual Framing.
Perspektiven und
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Herausforderungen der Visuellen


Kommunikationsforschung

2013, 368 S., 45 Abb., 10 Tab., Broschur,


213 x 142 mm, dt.
ISBN 978-3-86962-088-6
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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Visual Framing hat sich in den letzten Jahren zu einem lebhaften


Forschungsfeld der Visuellen Kommunikationsforschung ent-
wickelt. Die vorliegende Publikation präsentiert einen aktuellen
Überblick über gegenwärtige Forschungsströmungen aus theore-
tischer und empirischer Perspektive. Neben Fragen der Produktion,
Selektion und Konstruktion visueller Medienframes widmen sich die
Beiträge den Wirkungspotenzialen von Visual Framing. Konzepte
und methodische Ansätze zur Analyse von Visual Frames und Visual
Framing werden diskutiert. Die Publikation setzt dazu einen theore-
tischen Rahmen und reflektiert die zusammengetragenen Befunde
aus einer interdisziplinären, originären Perspektive der Visuellen
Kommunikationsforschung – nicht zuletzt um auszuloten, welche
theoretischen, methodischen und empirischen Herausforderungen
hier für die Visuelle Kommunikationsforschung bestehen.

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HERBERT VON HALEM VERLAG
Schanzenstr. 22 . 51063 Köln
http://www.halem-verlag.de
info@halem-verlag.de
Visuelle Kommunikation

Thomas Petersen /
Clemens Schwender (Hrsg.)

Die Entschlüsselung der Bilder


Methoden zur Erforschung visueller
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Kommunikation. Ein Handbuch

2011, 504 S., 61 Abb., 35 Tab.,


Hardcover (Klebung), 240 x 170 mm, dt.
ISBN 978-3-86962-043-5
Das Weitergeben und Kopieren dieses Dokuments ist nicht zulässig.
Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018

Bilder sind seit jeher ein wesentlicher Bestandteil der Massenkommuni-


kation. Traditionell wird ihnen eine starke Wirkung auf die Meinungs-
bildung zugeschrieben. Das klassische Instrumentarium der Kommuni-
kationswissenschaft ist aber nach wie vor vorwiegend am geschriebenen,
allenfalls noch am gesprochenen Wort orientiert. Das gilt vor allem für
die empirischen Methoden. Dabei ist in den letzten Jahren eine Vielzahl
von spezifischen Methoden zur Analyse der Inhalte, der Rezeption und
der Wirkung visueller Kommunikation entwickelt worden. In diesem
Band werden die wichtigsten Verfahren zur Erforschung visueller Kom-
munikation zusammengetragen und in einer verständlichen Sprache
Studenten und solchen Forschern zugänglich gemacht, die keine Exper-
ten des jeweiligen Spezialgebietes sind.

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Körperbilder – Körperpraktiken, 9783869621753, 2018
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