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Ungarns Konservative erlangen

DGAPstandpunkt
Zweidrittelmehrheit

Prof. Dr. Eberhard Sandschneider (Hrsg.) Mai 2010 N° 4


Otto Wolff-Direktor des Forschungsinstituts der DGAP e. V. ISSN 1864-3477

Die Mehrheit nutzen statt die Macht auszunutzen


Ungarns Konservative erlangen Zweidrittelmehrheit im Parlament
Gereon Schuch
Ungarns konservative Opposition hat bei den Parlamentswahlen zwei Drittel der Mandate gewonnen.
Die bisher regierenden Sozialisten erlebten eine desaströse Niederlage. Große mediale Aufmerksamkeit
galt den Rechtsextremen, die drittstärkste Kraft wurden. Zwar konnten sie viele Protestwähler gewinnen,
Wahlsieger sind jedoch die Konservativen, deren künftige Regierung sogar über eine verfassungsändernde
Mehrheit verfügt. Dem neuen Ministerpräsidenten Viktor Orbán eröffnen sich dadurch Möglichkeiten zur
Bewältigung der politischen, wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Krise des Landes. Doch sollte Orbán die
Machtfülle in erster Linie zur Festigung seiner Führungsposition instrumentalisieren, werden die innenpoli­
tischen Grabenkämpfe fortdauern – und er wird die Macht in vier Jahren wieder verlieren.

Ein deutliches Zeichen des verantwortungsvollen Umgangs mit der Mehrheitsmacht wäre Orbáns Unter­
stützung einer erneuten Kandidatur des amtierenden Staatspräsidenten László Sólyom bei der anstehenden
Neuwahl des Staatsoberhauptes. Als einer der Väter der Nachwendeverfassung genießt Sólyom internatio­
nale Anerkennung. Orbán kann mit seiner Zweidrittelmehrheit jeden Wunschkandidaten durchbringen,
doch die Installation einer willfährigen Marionette im höchsten Amte des Staates würde das Ansehen der
neuen Regierung beschädigen.

Überwältigender Sieg der Konservativen 47 Sitzen, das entspricht 12% der Abgeordneten. Die
– Absturz der bisher regierenden Sozialisten
oftmals als »Grüne« bezeichneten Partei LMP (Lehet
Bei den Parlamentswahlen in Ungarn am 11. und 25. más a politika: Politik kann anders sein) erzielte 4% der
April hat die nationalkonservative Partei Fidesz in Sitze und stellt zukünftig 16 Parlamentarier. Die Wahl-
Listenverbindung mit den Christdemokraten 263 der beteiligung betrug 64%.
insgesamt 386 Mandate gewonnen. Die zukünftige
Regierung besitzt mit 68% der Parlamentssitze sogar Absehbares und erklärbares Wahlergebnis
fünf Stimmen mehr, als für die verfassungsändernde
Zweidrittelmehrheit nötig sind. Die bisher regierenden Nüchtern betrachtet ist das Abschneiden der einzelnen
Sozialisten erlebten eine desaströse Niederlage und Parteien erklärbar und nicht überraschend. Es wurde
fielen mit 59 Abgeordneten auf 15% der Mandate demoskopisch auch annähernd so vorhergesagt und
zurück. Die größte Aufmerksamkeit – insbesondere in spiegelt die gegenwärtigen Stimmungen im Lande
den ausländischen Medien – fand der Erfolg der extre- wider. Ungarn ist seit Jahren von Grabenkämpfen zwi-
men Rechten »Jobbik« (die Besseren / die Rechten) mit schen zwei politischen Lagern zerrissen, die sich um die

Die DGAP trägt mit wissenschaftlichen Untersuchungen und Veröffentlichungen zur


Bewertung internationaler Entwicklungen und zur Diskussion hierüber bei. Die in
den Veröffentlichungen geäußerten Meinungen sind die der Autoren.
Ungarns Konservative erlangen
Zweidrittelmehrheit

beiden großen Parteien, den konservativen Fidesz und als Protestpartei gegen das bestehende politische
die Sozialisten, gebildet haben. Es etablierte sich eine und gesellschaftliche System, in das viele Ungarn das
populistische politische Kultur, die nicht die Lösung Vertrauen verloren haben. Nach einer Umfrage vom
der anstehenden Probleme, sondern die Auseinander- Oktober 2009 bewerten nur 28% der Ungarn den
setzung mit dem politischen Gegner in den Mittelpunkt demokratischen Transformationsprozess der vergan-
stellte. Eine pseudoideologische Polarisierung teilt das genen zwei Jahrzehnte als erfolgreich. Zwei Drittel
Land in Nationalisten und Kommunisten. In dieser der befragten Ungarn, 66%, halten den Aufbau der
Atmosphäre ständiger Konfrontation wurde der poli- Demokratie in Ungarn für gescheitert. Beim Vergleich
tische Kompromiss als Niederlage verstanden. Zahl- der Vorwendezeit mit der Gegenwart waren nur 28%
reiche Korruptionsskandale haben die Glaubwürdigkeit der Ungarn der Ansicht, die Gegenwart habe mehr
der politischen Elite ruiniert. Im Herbst 2006 wurde Vorteile, 15% sahen keinen Unterschied und genau die
eine geheime Rede des damaligen Ministerpräsidenten Hälfte, also 50% der Befragten sahen in der Gegen-
Ferenc Gyurcsány bekannt. Darin gestand er ein, im wart mehr Nachteile.
zurückliegenden siegreichen Wahlkampf bewusst über
die Wirtschaftslage des Landes gelogen zu haben. Dar- Gerade in wirtschaftlich schwachen Regionen im
aufhin beherrschten monatelange Massendemonstrati- Osten des Landes hat Jobbik große Erfolge erzielt.
onen das Budapester Straßenbild. Die Lösung der wirtschaftlichen und daraus hervorge-
henden sozialen Probleme dieser Regionen ist deshalb
Wirtschaftspolitisch kämpft Ungarn seit Jahren mit eine der wichtigsten Aufgaben der zukünftigen Regie-
einem Haushaltsdefizit, das 2006 völlig aus dem Ruder rung. Ist Fidesz hier erfolgreich, wird die Unterstüt-
lief. Die Ergebnisse eines radikalen Sparkurses – der zung von Jobbik deutlich abnehmen.
bei weiten Teilen der Bevölkerung für großen Unmut
gesorgt hatte – wurden schließlich von der internatio- Große Mehrheit für umfangreiche Reformen
nalen Wirtschaftskrise zunichte gemacht. 2008 stand
Ungarn fast am Rande des Staatsbankrotts. Nur ein Die verfassungsändernde Mehrheit für Fidesz ist
internationaler Notkredit von IWF, Weltbank und EU dennoch ein außergewöhnliches Wahlergebnis, und die
verhinderte die Zahlungsunfähigkeit. Viele Bürger sind Erwartungen der Wähler sind immens. Die zukünftige
von der Bilanz achtjähriger sozialistischer Regierung Regierung muss die gegenwärtig große Unterstützung
enttäuscht und haben die Partei dafür abgestraft. Der in der Bevölkerung und die große Parlamentsmehrheit
durch Korruptionsskandale und Richtungskämpfe jetzt auch wirklich nutzen und umfangreiche Re-
abgewirtschaftete langjährige liberale Koalitionspartner formen umsetzen: Wahlgeschenke sind nicht finanzier-
der Sozialisten schaffte nicht einmal mehr den Einzug bar, vielmehr muss die wirtschaftliche Konsolidierung
ins Parlament. fortgesetzt werden. Im Gesundheits- und Bildungs-
sektor sind Reformen überfällig. Außerdem ist der
Vertrauensverlust in die Demokratie fördert den kostenintensive und aufgeblähte Staats- und Verwal-
Aufstieg der Rechtsradikalen tungsapparat unverhältnismäßig und sollte reduziert
werden, beispielsweise durch eine Verkleinerung des
Dies führte zu großen Gewinnen für die konservative Parlaments und eine Gebiets- und Verwaltungsreform.
Opposition, die vor der Wahl versprochen hatte, alles Aus der Opposition konnte Fidesz die Sozialisten
anders und besser zu machen. Doch auch die rechts- leicht kritisieren, ohne dabei den Beweis der eigenen
extreme Partei Jobbik konnte viele Wähler für sich Kompetenz antreten zu müssen. Auch die Zeit der
gewinnen. Mit nationalistischen Parolen, populisti- Wahlkampfsprüche ist nun vorbei. Jetzt muss Orbán
schen Angriffen auf das politische Establishment und zeigen, was er wirklich kann. Ausbleibende eigene
radikalen Vorschlägen zur Lösung der wirtschaftlichen Erfolge können nicht dauerhaft auf das schwere Erbe
und sozialen Probleme des Landes profilierte sie sich der Vorgängerregierung geschoben werden.

DGAPstandpunkt 2010/04 
Ungarns Konservative erlangen
Zweidrittelmehrheit

Innenpolitische Polarisierung überwinden Die Installation einer Fidesz-gefügigen Marionette an


der Spitze des Staates würde das Ansehen der neuen
Es wäre der falsche Weg, die verfassungsändernde Regierung jedoch beschädigen. Sólyom genießt als
Mehrheit zuerst zum Ausbau der eigenen Macht zu einer der Väter der ungarischen Nachwendeverfassung
instrumentalisieren und eine medienwirksame poli- und erster Präsident des neu geschaffenen Verfas-
tische Inquisition gegen Funktionäre der sozialisti- sungsgerichts internationale Anerkennung. Im Lande
schen Vorgängerregierung in Gang zu setzen. Die ist er der beliebteste Politiker. Seine Person ist jedoch
Aufklärung von Korruption ist Aufgabe der Justiz. Die umstritten, da er sein Amt nicht nur repräsentativ ver-
gegenwärtige große gesellschaftliche Unterstützung steht und sich immer wieder in die Tagespolitik einge-
sollte der neue Regierungschef dazu nutzen, mit der mischt hat. 2006 sprach er nach dem Bekanntwerden
Etablierung einer Volkspartei der rechten Mitte die einer geheimen Rede des damaligen Ministerpräsident
destruktive Polarisierung des Landes zu überwinden Gyurcsány, worin dieser Wahlbetrug zugegeben hatte,
und das Vertrauen der Bürger in die Politik zurück von einer »moralischen Krise« des Landes. Nach dem
zu gewinnen. Dies wäre auch das effektivste Mittel Rücktritt Gyurcsánys 2009 forderte der Staatspräsident
gegen Extremismus. Sollte Orbán die Polarisierung des öffentlich Neuwahlen. Mit seiner Amtsführung wurde
Landes weiter befeuern und ausbleibende wirtschafts- er für viele Bürger zu einer respektierten überpartei-
politische Erfolge mit rechtspopulistischer Radikalisie- lichen Autorität.
rung kompensieren, wird ihn dies in vier Jahren wieder
das Amt kosten. Mit einer Ausnahme wurde in Ungarn Sólyom gilt als gemäßigt konservativ und hat den
seit 1990 alle vier Jahre die Regierung abgewählt. 2002 Wahlsieg Orbáns öffentlich begrüßt. Dieser weiß
verlor auch Orbán nach einer Regierungsperiode schon jedoch, dass ein Präsident Sólyom sich auch gegen
einmal die Macht. Damals fand die gesellschaftliche Fidesz stellen und die Rolle des Verteidigers der frei-
Polarisierung im Wahlkampf einen Höhepunkt, doch heitlichen Grundrechte einnehmen würde – sollte er
Orbáns natio­nalpopulistischer Führungsstil brachte sie bedroht sehen. Unlängst ermahnte der Staatspräsi-
ihm letztlich mehr Ablehnung als Zustimmung ein. dent den zukünftigen Ministerpräsidenten bereits zum
Aus diesen Erfahrungen wird er gelernt haben. Seither verantwortungsvollen Umgang mit der Macht. Viktor
haben sich auch die Rahmenbedingungen geändert. Orbán kann mit seiner Unterstützung für Sólyom ein
Mittlerweile ist Ungarn Mitglied der Europäischen deutliches Signal senden, dass er keinen Umbau der
Union, das Land muss damit auch international mehr Verfassung zugunsten der Machtfülle der Regierung
Verantwortung übernehmen. Schon bald wird die neue anstrebt. Ein Wechsel an der Spitze des Staates und die
Regierung diese beweisen müssen, denn in der ersten Wahl eines willfährigen Fidesz-Gefolgsmanns wäre ein
Jahreshälfte 2011 übernimmt Ungarn die EU-Ratsprä- bedenkliches Signal nach innen wie nach außen: Unab-
sidentschaft. Diese Gelegenheit sollte Orbán nutzen, hängige Autoritäten sind nicht mehr erwünscht.
um europäischen Geist und internationale Führungs-
kraft zu demonstrieren – dem ramponierten Ansehen
seines Landes würde dies gut tun.

Zeichen verantwortungsvoller Machtausübung

Schon in den kommenden Monaten kann Orbán


demonstrieren, wie weit er mit seiner Macht gehen will:
Bei der im Sommer anstehenden Neuwahl des Staats-
oberhauptes sollte Orbán den bisherigen Amtsinhaber
László Sólyom unterstützen. Der Präsident wird vom
Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit gewählt. Or- Dr. Gereon Schuch
bán könnte also jeden Wunschkandidaten durchsetzen. <schuch@dgap.org>

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