Sie sind auf Seite 1von 12

Kulturwissenschaften und Cultural Studies: Zwei ungleiche Geschwister?

Author(s): Lutz Musner


Source: KulturPoetik , 2001, Bd. 1, H. 2 (2001), pp. 261-271
Published by: Vandenhoeck & Ruprecht (GmbH & Co. KG)

Stable URL: https://www.jstor.org/stable/40621635

JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide
range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and
facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact support@jstor.org.

Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at
https://about.jstor.org/terms

Vandenhoeck & Ruprecht (GmbH & Co. KG) is collaborating with JSTOR to digitize, preserve
and extend access to KulturPoetik

This content downloaded from


131.188.6.21 on Fri, 08 Dec 2023 09:24:14 +00:00
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Forum1

Kulturwissenschaften und Cultural Studies:


Zwei ungleiche Geschwister?2
Lutz Musner

The essay attempts a comparative analysis of culture studies in the Anglo-Amer


world and in Germany. It tries to sketch out the different origins and methodolog
approaches used in Anglo-American cultural studies and in German Kulturwis
schaften (culture studies) and asks why both styles of thought, although for diffe
reasons, have lost touch with the realm of political economy.

Bisweilen entsteht der Eindruck, dass Kulturwissenschaften und Cultural Studie


Grunde zu ein und derselben epistemischen Formation interdisziplinärer Kultur
dien gehören und dass Unterschiede allenfalls marginal auf der Ebene unterschi
cher Verfahren der Wissensproduktion und der Institutionalisierung auszuma
seien. Das Argument, das gegen eine vorschnelle Gegenüberstellung von Kulturw
senschaften und Cultural Studies gerichtet wird, geht von der zutreffenden Beo
tung aus, dass mitunter aus Gründen akademischer Positionskämpfe >gute< g
>schlechte< Kulturstudien bzw. Kulturwissenschaften gegen Cultural Studies aus
spielt werden und dabei übersehen wird, dass beide durchaus Gemeinsamkeite
ben. Beide Formationen teilen das Interesse an der Überschreitung von starre
chergrenzen und beide streben nach Transdisziplinarität. Auch beziehen sich
Formationen zum Teil auf gemeinsame intellektuelle Traditionen, die durch Aut
wie Sigmund Freud, Walter Benjamin, Antonio Gramsci, Michel Foucault und Gi
Deleuze repräsentiert werden. Da die semantischen Potenziale dieser >Gründervä
nicht ein für alle Mal fixiert sind, sondern durch Aneignung und Gebrauch besti
werden - so das Argument weiter - zeige eine »Archäologie verschiedener kultur
senschaftlicher Formationen [...] wie problematisch binäre Oppositionen im
von deutschen Kulturwissenschaften vs. >angloamerikanischen Cultural Stud
sind«.3 Ohne jetzt erneut einer schrillen Rhetorik der markanten Unterschiede
Wort reden zu wollen, erscheint es mir doch sinnvoll, das Bild zweier unglei

1 In dieser Rubrik veröffentlichen wir Beiträge zu aktuellen Streitfragen, um zu Diskussion


anzuregen. Stellungnahmen unserer Leser sind höchst willkommen und werden auf unserer Ho
Page (www.kulturpoetik.de bzw. www.culturalpoetics.net) veröffentlicht.
2 Der Text ist die Langfassung eines Vortrags, den der Autor am 13. März 2001 am Institut
Europäische Ethnologie der Universität Wien gehalten hat.
3 Christina Lutter, Baustellen in Wien. Ein kulturwissenschaftlicher Werkstattbericht. Ersch
in: Udo Göttlich/Lothar Mikos/Rainer Winter (Hg.), Die Werkzeugkiste der Cultural Studies
spektiven, Anschlüsse und Interventionen im deutschsprachigen Raum. Bielefeld 2001.

KulturPoetik Bd. 1, 2 (2001), S. 261-271


ISSN 1616-1203 • © Vandenhoeck & Ruprecht 2001

This content downloaded from


131.188.6.21 on Fri, 08 Dec 2023 09:24:14 +00:00
All use subject to https://about.jstor.org/terms
262 Lutz Musner

Geschwister aufz
Kontext und ihre
tenziale und -Pers
Aleida Assmann h
turwissenschaften
of Culture«, die
Diskursformation

If we compare the
Kingdom and Germ
cultural studies red
for survival, and r
schaften seem to d
than encourage po
media and memory
ately serve as matr

Diese Unterscheid
dien festzumachen
weniger Differen
Studies und Kultu
gen. Die Cultural
schaftspolitisches
einer wissenschaf
zumindest ein pol
bezogenes Innovat
Geisteswissenscha
beider nacherzähle
kin5 zu den Cultu
möchte ich mich
Erkenntnisinteres
digmen beschränk

4 Aleida Assmann, C
senschaft und Verke
Contemporary Study
5 Dennis Dworkin, C
of Cultural Studies. Durham 1997.
6 Hartmut Böhme/Peter Matussek/Lothar Müller, Orientierung Kulturwissenschaft. Was sie
kann, was sie will. Reinbek 2000. Weitere Materialien zur Geschichte der Kulturwissenschaften fin-
den sich in: Lutz Musner/Gotthart Wunberg/Christina Lutter (Hg.), Cultural Turn - Zur Geschichte
der Kulturwissenschaften. Wien 2001.

This content downloaded from


131.188.6.21 on Fri, 08 Dec 2023 09:24:14 +00:00
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Kulturwissenschaften und Cultural Studies 263

1. Studies at the friction point of cultures

Wie Rolf Lindner in seinem unlängst erschienen Buch D


betont, entstanden diese als ein gleichermaßen intellek
aus einer Entfremdungserfahrung heraus, denen die der
stammenden scholarship boys< Richard Hoggart und
tischen Oxbridge Milieu der britischen Klassengesell
Erfahrung speiste sich aus einer Haltung, die hin und h
vollen Bewunderung derer, die über kulturelles Kapital
fügen, und dem Erstaunen und der Abscheu darüber,
Wissen und jegliche Vorstellung darüber fehlte, wie d
der >ordinary people< tatsächlich vor sich geht. Lindne
signifikantes Generationsthema der frühen Cultural S
die dadurch in die Rolle von >marginal men< bzw. >cult
Williams und Hoggart sahen sich dadurch veranlasst, n
dern politisch tätig zu sein, um ihre Ambivalenzerfah
two cultures« (Hoggart) zu verarbeiten. Im Zwiespal
einerseits und Aspiration andererseits bzw. in einer Pha
licher Transformationen von einer Eliten- hin zu einer Massenkultur zu leben und
intellektuell tätig zu sein, kann durchaus als das Leitmotiv gesehen werden, das nicht
nur die erste, sondern auch die weiteren Generationen der Cultural Studies Propo-
nenten geprägt hat.
War zu Anfang vor allem der Konflikt von Arbeiterkultur und elitärer National-
kultur ausschlaggebend, so spielten im weiteren Verlauf die gesellschaftlichen und
kulturellen Marginalisierungserfahrungen von Minderheiten und Migrantinnen, von
Frauen und sexuell Diskriminierten eine wesentliche Rolle in der Theoriebildung. Die
kritische Auseinandersetzung mit Marginalität, Diskriminierung und damit korre-
spondierenden Selbst- Bildern ist ein wesentlicher Topos der Cultural Studies und
bestimmt ihr eigentliches, ihr politisches Credo, das Lawrence Grossberg in Anleh-
nung an Stuart Hall folgendermaßen formuliert hat:

Cultural Studies sind [...] [insofern] interventionistisch, als sie versuchen, die besten
verfügbaren intellektuellen Ressourcen zu verwenden, um zu einem besseren Verständ-
nis der Machtbeziehungen [...] in einem bestimmten Kontext zu gelangen. Damit ist
die Überzeugung verbunden, daß ein solches Wissen die Menschen in eine bessere
Position versetzt, den konkreten Kontext und damit die Machtbeziehungen, in denen
sie sich befinden, zu verändern. Folglich sind ihre Projekte immer politisch, immer
parteiisch, aber ihre Politik ist immer kontextuell definiert.8

Theoretische Arbeit in politische Praxis zu übersetzen ist allerdings nicht das ein-
zige Bestimmungsmerkmal von Cultural Studies. Ihr Anspruch ist auch ein radikaler
Kontextualismus, der nicht nur bedeutet, den Gegenstand der Analyse bewusst von
Fragen von Macht und Abhängigkeit her zu denken und zu thematisieren oder zu
fragen wie spezifische kulturelle Praktiken - wie z. B. Konsum, Sport oder Städtetou-

7 Rolf Lindner, Die Stunde der Cultural Studies. Wien 2000.


8 Lawrence Grossberg, Was sind Cultural Studies? In: Karl H. Hörning/Rainer Winter (Hg.),
Widerspenstige Kulturen. Cultural Studies als Herausforderung. Frankfurt/M. 1999, S. 55.

This content downloaded from


131.188.6.21 on Fri, 08 Dec 2023 09:24:14 +00:00
All use subject to https://about.jstor.org/terms
264 Lutz Musner

rismus - sich eben


tionismus und An
Studies von ihrem
as a whole way of
oder einzelne men
reduzieren. Den A
sie weder von lin
gehen noch mit ü
arbeiten wollen, s
hen, die besagt, d
unabhängig von K
Botschaften so be
waren. Vielmehr a
Studies flexibel, f
spezifischen Umg
um das Aufspüren
jenen grundlegen
schen, die oft auf
nen. Im strengen
sowohl in method
hen. Ihre Methode
forschung, der Di
schen Sozialforsch
eklektischen und s
konventionen üb
ren, wie Macht in
Art zu verbringen

2. Kulturwissensc

Dieser explizit em
zumindest idealite
- bloß als vermitt
deutschland - die
lichen und kultur
nämlich nicht wi
Neomarxismus, so
tionellen Geistesw
Geisteswissenscha
Westdeutschen R
dass die Kulturwis
zu modernisieren

9 Ebd., S. 62.
10 Wolfgang Frühwald/Hans Robert Jauß/Reinhart Koselleck/Jürgen Mittelstraß/Burkhart Stein-
wachs, Geisteswissenschaften heute. Frankfurt/M. 1991.

This content downloaded from


131.188.6.21 on Fri, 08 Dec 2023 09:24:14 +00:00
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Kulturwissenschaften und Cultural Studies 265

steht aber nicht nur in der Öffnung gegenüber den i


den Humanwissenschaften, sondern auch im Berei
Orientierungsfunktion, die einst dem Humboldtsch
die zeitgemäße Verbindung von >Bildung< und >Wiss
rung spezialisierten Fachwissens und der Dichotomi
wissenschaft und Geisteswissenschaft (C. P. Snow) en
soll wieder als ein Ganzes konzeptualisiert und über
mit Ökonomie und Naturwissenschaften interdisz
Geisteswissenschaften sind der >Ort<, an dem sich m
von sich selbst in Wissenschaftsform verschaffen. [. .
Weise zu tun, daß ihre Optik auf das kulturelle Ganz
menschlichen Arbeit und Lebensformen, auf die kul
Naturwissenschaften und sie selbst eingeschlossen«.1
Freilich gewinnt dieses Diktum je nach Ort und Pe
deutung. Während Aleida Assmann in einem Verglei
turwissenschaften unlängst davon gesprochen hat, da
zialrevolutionäres Potenzial [enthalten], das auch f
nutzbar gemacht werden kann« und »ein wichtiges M
dem die Gesellschaft auf ihre großen Herausforderu
Kittler von solchen transatlantischen >Encounters< w
gespannten Blick auf die euroasiatische Kulturgeschi
bal ebenso einschließt wie Heideggers Erfahrung als
ring-Maschine, erklärt er die Cultural Studies zu ein
der es bloß um die Amerikanisierung der Kulturwiss
senschaft weiterbestehen dürfe.

Besagte Cultural Studies, so weit sie mir denn begegnet s


Alltäglichkeit und Herders Völker durch Minoritäte
auch Majoritäten sein dürfen. Das ist in historischen
des Getränkeverbrauchs entkokainisierte Weltkonzern
derheitenpolitik Lobbies wie in Washington/D.C. best
spielte, aber desto verlogenere wissenschaftliche Unsch
älter als Nationalstaaten sind, wären als Stichwortliefera
Vor allem hat jede Theorie, die einer so genannten Ge
genannter Verbesserung) dient, über ihre Grundbegrif
jene Leere nicht aus und offen, in deren dunklem
allgegenwärtigen fable convenue nie ausgemacht sein
Götter, die Tragödie und den Himmel nie und nimme

Die Gegenüberstellung der Positionen von Assman


struktiv und sagt etwas über die unterschiedliche Erke
senschaften aus. Während Assmann eine vermittelnde
Anerkennung der Unterschiede von Genealogie und

11 Ebd., S. 51 f.
12 Aleida Assmann, Kulturwissenschaften im internationalen
(2000), S. 20-22; hier: S. 22.
13 Friedrich Kittler, Eine Kulturgeschichte der Kulturwissen

This content downloaded from


131.188.6.21 on Fri, 08 Dec 2023 09:24:14 +00:00
All use subject to https://about.jstor.org/terms
266 Lutz Musner

turai Studies für


Plädoyer für die S
gänzlich anderes,
dien- und Kriegsg
Hegel, den Kittler
vom Kopf auf die
von Linkshegelian
dies. Kittler geht
des mediatisierten
tural Studies dara
Emanzipation zu
Soon, Too Late. Hi

there can be no s
studies want histor
We may want »hist
fear they might be
of liberating certa

Die Differenz, d
Ausdruck kommt
Strömungen der
>Symbol<, >System
tischer und histor
um die Analyse vo
Kontext im eigent
die einzelne Grün
auch Stuart Hall1
Industrialismus u
tritt in den zeitg
vom historischen
rialismus des Verg
scher Positionen a
die Konstruktion
Kultur und >hum
dies and Beyond,

But if postmodern
and of the in-buil
sense of the past (
politics (except, as
[...] Opposed to th

14 Assmann (Anm. 1
15 Meaghan Morris,
1998, S. 25 f.
16 Vgl. Edward P. Th
Williams, The Long
Media, Culture and

This content downloaded from


131.188.6.21 on Fri, 08 Dec 2023 09:24:14 +00:00
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Kulturwissenschaften und Cultural Studies 267

artefact, but of a developing social structure and he


experiences. In forgetting this, much of contemporary
tory, except as the nightmare from which it wants to a

Das was die zeitgenössischen Cultural Studies der


nimmt im deutschsprachigen kulturwissenschaftliche
portionale Bedeutung ein - nämlich Geschichte und h
zum einen mit Traditionsbeständen deutscher Geistes
lich einer historisch-anthropologischen Orientierung
Herder zurückreicht: Herder hat die antike Bestimmu
sen< wieder aufgegriffen und >Kultur< - so wie es späte
tat - als jene Kompensationsvorrichtung aufgefasst,
Freier der Schöpfung sich an einem konkreten histor
anderen gewinnen Geschichte und Gedächtnis aus d
des postfaschistischen Deutschland heraus eine besond
die Erinnerung an den Holocaust und den Völkermor
schen Bezugspunkt der neuen deutschen Republik -
nigung - zu befestigen und zu erhalten. Das Interess
dächtnisritualen ist aber nicht nur dem Trauma des
ebenso spielen die subjektfragmentierenden Widersp
nisierung eine Rolle, die Sigmund Freud und Marce
Weise als heilende Erinnerung an abgespaltene Persö
dererinnerung an verschüttete und scheinbare verlo
siert haben. Die dem Gedächtnis verwandten Frage
Speicherlogiken berührt eine zusätzliche technische u
del von analogen hin zu digitalen Medien, d. h. das E
frontiert uns mit einem gänzlich neuen Gedächtnism
schen Datenverarbeitung. Dies konstituiert einen neu
kommene Ars memoria, die räumlich und rhetorisch
und an ihre Stelle das Maschinenmodell von >storage<
den Texte, Bilder und Töne gleichförmig fixiert und
vorrätig gehalten werden. »Zwar ist es«, wie Hartmut B
die verschiedenen sinnes- und funktionsspezifischen
nem Universalmodell subsumieren ließen, aber es ist
wohnheit zunehmend glauben und die dadurch realit

3. Theorie und Politik

Die Eigendynamik von Illusionen - oder allgemeiner gefasst - von Repräsentationen


bietet einen geeigneten Ausgangspunkt für die Darlegung der Erkenntnis- und For-
schungspotenziale, die den Kulturwissenschaften und den Cultural Studies einge-
schrieben sind. Dass nicht nur das materielle Sein das Bewusstsein formt, sondern
dass ebenso sehr symbolische Konstrukte das Bewusstsein bestimmen, ist eine der
wesentlichen Innovationen der Cultural Studies gegenüber älteren historisch-mate-

17 loan Davies, Cultural Studies and Beyond. Fragments of Empire. London 1995, S. 156.
18 Böhme u. a. (Anm. 6), S. 148 f.

This content downloaded from


131.188.6.21 on Fri, 08 Dec 2023 09:24:14 +00:00
All use subject to https://about.jstor.org/terms
268 Lutz Musner

rialistischen Analy
rie, sondern auch
spondierender Gr
Machtwirkung ni
nanten menschlic
nicht nur als ext
werden, sondern
kurse von Hierarc
Auf der Ebene d
werden wir noch
schaften feststell
pisch ist. Die Diff
und >intervention
Kulturwissenschaf
nachteiligten, z. B
land und Österre
gezeitigt. Sie habe
flusst, die Situati
tisiert und veränd
politische Debatt
Kulturwissenschaf
wirksame Diskurs
dächtnis in den p
verlaufen wäre. E
chung und Restitu
sche Tagesordnun
Kontinuität, die d
tionierungen mit
scher Universitäte
ihre Grenzen. Erst
disziplinarität, let
akademischen Kar
der Weise beschrieben. Die Kulturwissenschaften interessieren sich u. a. für

- die Individuen als Subjekte mit ihren Wahrnehmungen, körperlichen Erfahrungen


und Handlungs(un-)möglichkeiten; das forschende Subjekt und sein historischer,
politischer, sozialer Standort wird dabei zu einem Teil des Reflexionszusammen-
hangs
- die Kontexte als Rahmen für Funktionszusammenhänge und Formen von Sinnpro-
duktion

- die Darstellung im engeren und weiteren Sinne von stilistischer, medialer und ma-
terialer Vermittlung von Wirklichkeit
- die Differenz von Identitäten als unhintergehbare Bedingung der Erfahrung und der
Ordnung des Sozialen.19

19 Assmann (Anm. 12), S. 22.

This content downloaded from


131.188.6.21 on Fri, 08 Dec 2023 09:24:14 +00:00
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Kulturwissenschaften und Cultural Studies 269

Diese forschungsleitenden Maximen sind zweifelsfr


über das hinaus, was traditionelle Geisteswissenschaf
Freilich haben die Innovationspotenziale dort ihre G
Leistungsnachweise bzw. Stellenbewirtschaftung und
Interventionen in der Öffentlichkeit geht. Denn ohne
nachweis im engeren Sinne, d. h. einer Habilitation im
übergriff sich in wohl überlegten Grenzen zu halten ha
ren - schon gar angesichts der Tatsache, dass kaum St
geschaffen bzw. umgewidmet werden. Mit Publikation
tisch gesellschaftliche Missstände bewusst machen, läs
riat erringen. Und die große Alternative, nämlich die
als >public intellectuals steht im Schatten einer virtuel
Zentrum nach wie vor die Universität und die institutionalisierte Wissenschaftsför-
derung mit ihren Mechanismen der symbolischen wie der realen Gratifikationen
wirksam sind.
Zu Beginn meiner Ausführungen habe ich das Bild zweier ungleicher Geschwister
gewählt, um das Verhältnis von Kulturwissenschaften und Cultural Studies zu cha-
rakterisieren. Ich will dieses Bild pointilistisch verfeinern, um meine Überlegungen
abzurunden: Durch die Metapher der Familie lassen sich mehrere, mir wichtig schei-
nende Bestimmungsmerkmale zum Ausdruck bringen. Zum einen die Tatsache, dass
es ein gemeinsames Erbe, Großeltern und Eltern gibt, auf die beide rekurrieren und
die in intellektuellen Traditionen eines Nachdenkens über kulturelle Prozesse und
Phänomene wurzeln, die als eine kritische Auseinandersetzung mit Moderne und
Modernisierung beschrieben werden können. Ohne die Pionierarbeiten von Sigmund
Freud, Georg Simmel, Walter Benjamin und Michel Foucault hätten beide nicht jene
Gestalt annehmen können, die sie mittlerweile haben. Und für beide hat dieses Erbe
nicht nur Identitäten, sondern auch Ambivalenzen begründet. Die Tatsache, dass an
ihrer Geburt viele Gründerväter und kaum Mütter beteiligt waren, wirkt als Stachel
der Selbstkritik und als uneingelöstes feministisches Forschungsparadigma nach. Die
Tatsache, dass diese Gründerväter zudem auch >white males< mit dezidiert eurozent-
rischen Perspektiven waren, artikuliert sich als unerledigte postkoloniale Agenda, die
eine Theoretisierung von Globalisierung und Interkulturalität vor große Aufgaben
stellt. Und die Tatsache, dass beide Geschwister ihre Entwicklungswege unterschied-
lich begonnen haben - die die einen dadurch, dass sie Kultur als im Grunde gesell-
schaftsbestimmt sehen, und die anderen dadurch, dass sie Gesellschaft als reines Kul-
turphänomen verstehen - führt zu unterschiedlichen Diskursen über Macht, Politik
und Subjektivität. Nichtsdestoweniger verbindet beide, so will mir scheinen, ein Band
der Komplementarität - was dem einen Teil abgeht, über das scheint der andere zu
verfugen, und vice versa. So verfügen die Kulturwissenschaften über einen Sinn für
Geschichte, Gedächtnis und Tradition, der den Cultural Studies zumeist fehlt, und die
Cultural Studies wissen um die theoretische und politische Kraft der gelebten Erfah-
rung von gesellschaftlicher Marginalisierung, während den Kulturwissenschaften vor
lauter symbolischen Formen und Repräsentation die Gesellschaft unter der Folie der
Kultur abhanden gekommen ist. Wie Wolfgang Kaschuba jedoch völlig richtig ange-
merkt hat, ist eine enge Anbindung von Kultur- an Gesellschaftsanalyse insofern von
hoher Aktualität für die Kulturwissenschaften, als ein vom Sozialen abgekoppelter
>Kulturalismus< allzu leicht Gefahr laufen kann, »die Rede über Geschichte, Gesell-

This content downloaded from


131.188.6.21 on Fri, 08 Dec 2023 09:24:14 +00:00
All use subject to https://about.jstor.org/terms
270 Lutz Musner

schaft und Politik


Diskurs zu fuhren

4. Some missing l

Die Enthistorisier
senschaften mag
zu tun haben, die
Ökonomie - liegt.
der britischen Ne
tischen Diskurs v
haben die Kulturw
derne< Kulturalisi
Mit dieser Festst
plädieren und beh
sen des gesellscha
simplifizierenden
als eine lineare W
sollte man aber -
ten Postmodernis
tische Wirtschaft
mulation beruht u
keiten menschlicher Existenz konstituieren. Nach wie vor bestimmen sie wesentlich
das Terrain, auf dem sich kulturelle Praktiken entfalten, formen und aufbereiten.
Nach wie vor bestimmen die Gesetze der Kapitalakkumulation und der Produktion
von Gütern und Dienstleistungen die Rhythmen der Zeit und die räumlichen Bezüge,
innerhalb derer Menschen ihre Lebenswelten strukturieren. Es reicht somit nicht aus,
sich primär mit den Ebenen der Konsumption, Rezeption und Interpretation kultu-
reller Güter und Images auseinander zu setzen und darin emanzipatorische Momente
zu entziffern, wie dies oft in den Cultural Studies geschieht. Und es genügt auch nicht,
die Einschreibungen von Macht und Ohnmacht in den sozialen Körper über Fou-
caultsche Diskursanalysen oder eine Kittlersche Medienontologie zu beschreiben, wie
dies in den Kulturwissenschaften passiert. Vielmehr müsste es auch darum gehen, eine
Brücke zwischen dem Analysepotenzial der politischen Ökonomie und den verschie-
denen Formen von Kulturstudien zu schlagen. Freilich - und dies ist die große He-
rausforderung - gibt es keinen einfachen Bezug zwischen den Ungleichheit produzie-
renden Machtverhältnissen, wie sie in der Produktion, Distribution und Konsump-
tion von Gütern >eingeschrieben< sind, und dem kulturellen Gebrauch dieser Güter.
Aber dieser Bezug ist, wie es unsere Alltagserfahrung nahe legt, vorhanden. Denn wir
wissen, dass es nach wie vor bestimmte soziale Gruppen bzw. Allianzen von Interes-
sensträgern gibt, die klar definierte ökonomische und/oder politische Ziele verfolgen
und festzulegen versuchen, welche Bedeutungen zirkulieren und welche nicht, welche
Geschichten erzählt werden und worüber wie in der Öffentlichkeit Konsens bzw. Dis-

20 Wolfgang Kaschuba, Kulturalismus oder Gesellschaft als ästhetische Veranstaltung? In: Ästhetik
& Kommunikation 100 (1998), S. 93-97; hier: S. 94.

This content downloaded from


131.188.6.21 on Fri, 08 Dec 2023 09:24:14 +00:00
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Kulturwissenschaften und Cultural Studies 271

sens herrschen soll und welche kulturellen Ressourcen wem für welche Zwecke ver-
fügbar gemacht werden.
Die ungleichen Geschwister Cultural Studies und Kulturwissenschaften bedürfen
- um das anfänglich gebrauchte Bild abzurunden - einer therapeutischen Interven-
tion, um eine Familienzusammenführung und damit die Integration des verlorenen
dritten Geschwisterteils zu ermöglichen. Denn so wie die Kulturwissenschaften vor
der Herausforderung eines um die Ökonomie erweiterten Begriffs von Kultur stehen
und damit wieder auf Zusammenhänge zurückverwiesen werden, wie sie bereits an
ihrem Anfang um 1900 von Max Weber und Georg Simmel thematisiert wurden,21
so werden auch die Cultural Studies mit Fragen der Dialektik von Kultur und ökono-
mischer Ungleichheit konfrontiert, wie sie Raymond Williams und Richard Hoggart
sehr wohl noch im Blick hatten.22

Dr. Lutz Musner, Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Danhau-


sergasse 1, A-1040 Wien; E-mail musner@ifk.ac.at

21 Vgl. Max Weber, Die Wirtschaft und die gesellschaftliche Ordnungen und Mächte. Tübingen
1921; Georg Simmel, Philosophie des Geldes. Leipzig 1900.
22 Vgl. Raymond Williams, Culture and Society 1780-1950. Harmondsworth 1958; Richard Hog-
gart, The Uses of Literacy. Aspects of Working-Class Life with Special Reference to Publications and
Entertainments. Harmondsworth 1957.

This content downloaded from


131.188.6.21 on Fri, 08 Dec 2023 09:24:14 +00:00
All use subject to https://about.jstor.org/terms

Das könnte Ihnen auch gefallen