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Gespräch McLuhan Soziale Medien
Gespräch McLuhan Soziale Medien
Feature
WEB 2.0
VO McLuhan :
1. Zitator :
2. Zit. :
Urheberrechtlicher Hinweis
- unkorrigiertes Exemplar -
O-Ton: 10 (Siegert) Also gedruckte Bücher neigen dazu, das, was sie
beschreiben, in gleichförmige Einheiten zu zerlegen, die Welt zu
klassifizieren, die Welt zu analysieren, mit Zahlen zu versehen,
mit Indices zu versehen, mit Überschriften, Standard-
Überschriften wie ein Buch.
O-Ton: 11 (McLuhan, CD) Printing, printing, printing
Autor: Der Buchdruck schafft ein Weltbild, das direkt ins mechanische
Zeitalter führt:
Geräusch: Druckmaschinen
Autor: Und seitdem besteht der Terror unserer Tage im Verschwinden
der schriftlichen Welt der Gutenberg Galaxie durch die
Errungenschaften der elektronischen Medien. - Allerdings sieht
McLuhan in diesem Umbruch auch die Chance einer Befreiung,
denn die Welt des Buchdrucks hat zwar zu grandiosen
Fortschritten geführt, aber auch zu einer radikalen Verarmung
des Menschen. – Martin Baltes, McLuhan Experte.
O-Ton: 12 (Baltes) Die Befreiung, (...) die McLuhan den neuen Medien
unterstellt, die bezieht sich vor allem auf eine historische
Verengung, wie sie über die Schrift in die Kultur gekommen ist.
Da geht er von einer Prädominanz des Auges aus - bis dahin,
dass wir unsere Sozialsysteme in Subjekt und Objekte
aufteilen, nicht anders, als das die Grammatik tut.
O-Ton: 13 (McLuhan)
VO: Alles, was das phonetische Alphabet in seiner Dominanz
untergräbt, in seiner Macht, das Auge zum dominierenden
Organ zu machen, beendet diese Zivilisation."
O-Ton: 14 (Baltes) "Der Hörsinn ist aber ein Sinn, der verbindet und der
nicht trennt, er ist ein Nähesinn und kein Distanzsinn. Und wir
werden wieder in so etwas wie in einer Stammeskultur leben.
Wir werden keine Geschichte mehr haben, weil die Geschichte
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Musik:
Autor: 30 Jahre nach McLuhans Tod hat sich die Medienwelt in einem
für ihn noch unvorstellbaren Ausmaß weiterentwickelt. Und
dennoch bietet er tiefere Beschreibungen der medialisierten
Realitäten als die meisten zeitgenössischen Medienbeobachter.
Was ist also heute in Zeiten von Web 2.0 die "Message" und
was die "Massage"? Inwieweit programmieren die neuen
Medien unsere Orientierung und unsere Weltwahrnehmung?
Was ist überhaupt Web 2.0? Stefan Münker.
Medienwissenschaftler.
O-Ton: 22 (Münker) Der Name stammt von einer amerikanischen
Konferenz, die der Verleger Tim O'Reilly im Jahre 2004
veranstaltet hat.
Autor : Doch eigentlich ist die Bezeichnung Web 2.0 irreführend ... .
O-Ton: 23 (Münker) ... ., weil sich nicht – wie das bei einem
Computerprogramm der Fall ist – grundsätzlich etwas in der
Architektur des Internets geändert hätte. Was sich geändert
hat, ist, dass Plattformen im Netz entstanden sind, die ihre
Inhalte fast ausschließlich von ihren Nutzern beziehen. Das ist
das Phänomen des Web 2.0. ( ... ) Dass Inhalte von ganzen
Seiten fast ausschließlich von Nutzern hergestellt werden, das
ist ein relativ neues Phänomen.
Autor: Als eines der beliebtesten Beispiele für die Leistungsfähigkeit
des Web 2.0 wird gerne auf die Online-Enzyklopädie Wikipedia
verwiesen. "Wiki" ist übrigens das hawaianische Wort für
schnell. Und über Wikis lesen wir in Wikipedia:
2. Zit.: Wikis ermöglichen es verschiedenen Autoren, gemeinschaftlich
an Texten zu arbeiten. Ziel eines Wikis ist es im Allgemeinen,
die Erfahrung und den Wissensschatz der Autoren kollaborativ
auszudrücken. Sie können sowohl auf einem einzelnen Rechner
10
Autor: Halten wir uns mal an das Sichtbare Netz. - Eines der
erfolgreichsten Internetportale ist youtube. Gegründet 2005
bietet es den Nutzern die Möglichkeit, ihre Videos ins Netz zu
stellen. Ende 2009 gab das Unternehmen bekannt, dass täglich
eine Milliarde Videos aufgerufen werden.
O-Ton: 26 (Youtube Ausschnitte aus verschiedenen Filmen unterlegen)
Autor: Bei youtube finden sich nicht nur zahllose Videos von
Familienurlauben an der Ostsee oder dem letzten Betriebsfest,
youtube ist mittlerweile auch zu einer medialen Quelle
geworden. Davon könnten beispielsweise marokkanische
Polizisten ein bitteres Lied singen, denn seitdem bei youtube
Videos zu sehen waren, wie sie bei Verkehrskontrollen
Bakschisch kassierten, hat sich einiges geändert. Ein anderes
Beispiel sind die Videos aus dem Iran während der
Demonstrationen gegen die Wahlfälschungen. Sie zeigten, was
der normale Journalismus nicht zeigen konnte.
O-Ton: 27 (Iran)
Autor: 2004 wurde Facebook gegründet - eine der größten Social
Communities im Netz. Nach eigenen Angaben umfasst sie
derzeit etwa 140 Millionen aktive Mitglieder.
O-Ton: 28 (Münker) Facebook ist eine Plattform, auf der Menschen
miteinander kommunizieren und tatsächlich auch interagieren
und zwar nicht nur Texte, Bilder, Musik, alles, Teile ihres
ganzen Soziallebens dort offenbaren und mit anderen
vernetzen, sich verabreden auch zu Treffen in der wirklichen
Welt.
Autor: An 50. Stelle der meistbesuchten Websides weltweit liegt
youporn.com, und die Seite hält, was der Name verspricht.
Youporn wird durch Midstream Media International mit Sitz auf
den niederländischen Antillen betrieben. Wer wirklich
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Musik:
Autor: Was Kruse und Sunstein im Web suchen, sind nicht einfach
Fortschritte des spezialistischen Wissens, sind nicht bloß
bessere Zugänge zu Informationen, sondern neue Prozesse der
Vernetzung, Prozesse der Kommunikation, Prozesse einer
neuen Öffentlichkeit, die Orientierung herstellen sollen. Wie
kommunizieren wir, damit wir eine Welt hervorbringen, in der
wir uns und die Welt verstehen? Das führt aber dann sehr viel
weiter als ein bisschen mehr Demokratie, ein bisschen mehr
Partizipation, das sind grundlegende Umbauten im Gerüst des
abendländischen Denkens, das sind epochale Zäsuren der
Vergesellschaftung. Es geht auch darum, wie wir uns in der
Welt bewegen und anderen begegnen. Dieses Surfen bewegt
sich weder in Raum noch Zeit, sondern es ist eine Bewegung
auf einer fließenden Benutzeroberfläche.
Musik:
1. Zit.: (McLuhan) Der elektronische Mensch verliert seinen Bezug
sowohl zu den Vorstellungen eines regelsetzenden Zentrums als
auch zu den Zwängen einer Sozialordnung, die auf
gegenseitiger Verpflichtung aufbaut. Unablässig lösen sich
Hierarchien auf oder bilden sich neu.
Autor: Damit sind wir wieder bei Marshall McLuhan. Wie steht es also
mit der Ausdehnung unseres Zentralnervensystems? Was
geschieht mit uns?
O-Ton: 39 (Kruse) Ich glaube, wir sind in einer Situation, wo wir eine
Komplexität und Dynamik der Welt erzeugen, die wir nicht
mehr als Individuen bewältigen können. Das heißt es geht jetzt
ein bisschen darum: Wie können wir die Lernprozesse, die wir
haben vom Individuum zur Gruppe, zum Netzwerk entwickeln.
Wie schaffen wir es real, kollektive Intelligenz zu
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implementieren. Wie schaffen wir das, dass das Ganze mehr ist
als die Summe der Teile.
Autor: Das Leben in Netzwerken ist vielleicht das, was McLuhan als
Prozess der Tribalisierung prophezeit hat:
O-Ton: 40 (McLuhan) CD, S. 20
VO: Wir haben wieder damit begonnen, das ursprüngliche Fühlen zu
errichten, die Stammesemotionen, von denen wir während
einiger Jahrhunderte der Schriftlichkeit getrennt waren. Der
Prozess der Tribalisierung, der innere Trip, die tiefe Beteiligung
bei der Erfahrung einer vereinigten Menschenfamilie – das ist
etwas, wovon wir Jahrhunderte lang keine Erfahrungen hatten.
Autor: Das klingt magisch, und es ist magisch. Es geht aber nicht um
das Trommeln im Urwald, sondern um die Art und Weise von
Orientierung. Der Stamm, so liest man bei Wikipedia, ... .
2. Zit.: ... ist eine Gruppe von Menschen, die sich zusammengehörig
fühlt, jedoch nicht unbedingt einen geschlossenen
Siedlungsraum einnimmt.
O-Ton: 41 (Kruse) Wenn das ein Kulturraum ist, und ich glaube, es ist ein
Kulturraum, dann finden dort Diskurse in einer großen
Geschwindigkeit statt, in einem ganz anderen Scaling statt. Die
Menschen haben erst für sich entdeckt, dass man dort
Informationen bekommt, ( ... ) dann haben sie festgestellt,
dass das Netz einfach phantastisch ist, wenn man dort Spuren
hinterlässt, weil man sich als Mensch wiederfindet, in dem, was
man da getan hat.
O-Ton:41a Wenn wir uns zehn Jahre in die Zukunft denken, dann wird die
Gegenwart ganz anders aussehen. In zehn Jahren werden wir
relativ genau angeben können, was wir vor fünf Jahren
gemacht haben, wen wir getroffen haben usw. Es kommen
relativ viele Daten zusammen und die Daten werden
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Autor: Das mag man als problematisch empfinden, aber hat es nicht
vielleicht mit dem Orientierungsangebot der Moderne zu tun?
O-Ton: 44 (Hagen) Grundfragen werden nicht mehr gestellt. Sie können
heute niemanden mehr an den Universitäten mit einem
Seminar über die transzendentale Konstitutionsbedingungen
des Denkens fesseln. Das ist den Leuten völlig wurscht, auch
welche Geschichte irgendetwas hat ( ... ) gibt's das überhaupt
Geschichte? Interessiert doch kaum jemanden. Die neuen
Oberflächen, mit denen die digital natives aufwachsen, sind
permanente Angebote und Reorganisationen von Vernetzung.
Also auch das Denken bewegt sich in einem permanent sich
verschiebenden Gewebe von sich verändernden Netzwerken,
des Interesses und der analytischen Tiefe.
Autor: Die spezifische Intelligenz von intelligenten Netzwerken
besteht auch nicht im Spezialistentum, sondern in den
komplexen Prozessen der Bewertung. Insofern wäre es nicht
besonders interessant, Kants Theorie im Netz so zu
diskutieren, wie sie seit 200 Jahren an den Universitäten rauf
und runter diskutiert werden. Im Netz würde es wahrscheinlich
eher darum gehen: Welche Anschlussfähigkeiten bieten Kants
in radikalem Fachjargon verschlüsselten Theorien? Welche
existentiellen Orientierungen erlauben Sie. Ein
Philosophieprofessor weiß in der Regel so viel oder so wenig
wie jeder andere, was ihn umtreibt. Er vertritt universelle
Theorien, die auf so etwas wie Wahrheit hinauflaufen, auf eine
Natur der Dinge. Die Intelligenz in intelligenten Netzwerken
sucht etwas anderes.
O-Ton: 45 (Kruse) Früher hieß es: Handlungsmotiv sucht Netzwerk, heute
heißt es: Netzwerk sucht Handlungsmotiv. Da ist etwas, das
ständig wartet.
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O-Ton: 48 (Hagen) Die 90:9:1 Regel heißt im Falle von Web 2.0: 90
Prozent gucken trotzdem immer noch nur und tun gar nichts,
9 Prozent tun ganz gelegentlich mal ein bisschen was rein und
nur ein Prozent der Netzuser sind wirklich ein aktiver Teil, die
etwa genauso viel rezipieren wie sie produzieren. Eigentlich
nur ein verschwindender Teil, der allerdings eine ganze Reihe
von Veränderungen schon, vor allem im journalistischen
Bereich, gebracht hat. Und dieses eine Prozent gemessen an
der riesigen Masse, ist eine sehr große Menge von Menschen.
Autor: Als Tim O'Reilly 2004 den Begriff Web 2.0 geprägt hat, hat er
sich ihn sogleich als Geschäftsmodell gesichert. Mit anderen
Worten: Web 2.0 ist nicht erfunden worden, um die Menschheit
zu beglücken, sondern als riesige Gewinnmaschine. Und wie
man weiß, hat das Netz einigen wenigen innerhalb kürzester
Zeit immensen Reichtum beschert. Wenn man die Sache so
betrachtet, kann man vielleicht die Skepsis der
Medienwissenschaftlerin Martina Leeker gut verstehen:
O-Ton: 49 (Leeker) Was das Web 2.0 mit uns macht, ist, dass es uns
ganz schön verulkt. Oder: Nicht das Web 2.0, sondern die
Entwicklungen, die darin passieren oder bestimmte Leute, die
ein Interesse an Web 2.0 haben, vor allem an den Daten, und
die mit den Daten Geschäfte machen.
O-Ton: 50 (McLuhan, entrückt) Alle Medien sind Ausdehnung
menschlicher Fähigkeiten – seien sie psychisch oder physisch.
– Das Rad ist eine Ausdehnung des Fußes ... ... (ausblenden)
O-Ton: 51 (Leeker) Dieses anthropomorphe oder anthropozentrische
Denken, was McLuhan hat, wo der Mensch zur Prothese der
Maschine wird und die Maschine irgendwie in Kontakt mit dem
Menschen steht. Das ist höchst angezweifelt. Und aus meiner
Sicht völlig zurecht. Man kommt zu anderen Denkweisen, wenn
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man die Medien, die Technik eine Welt für sich sein lässt, die
durchaus von Menschen erfunden wurde, aber dann ist es
etwas Fremdes, was den Menschen zwar Dinge ermöglicht,
aber..
O-Ton: 52 (Hagen) Neu ist, dass die Struktur dieser medialen Umgebung
durchweg programmiert ist. Das bedeutet, wir sehen immer
nur die Oberflächen. Wenn Sie nicht programmieren können,
verstehen Sie überhaupt nicht, wie dieses Netz funktioniert,
sind geblendet von Oberflächen und den Oberflächen von
Oberflächen.
O-Ton: 53 (Heidenreich)
O-Ton: 54 (Leeker) Man schickt mir nette Filmchen zu, guck mal dieses
guck mal jenes ( ... ) ich bin so gefesselt und so gebannt, das
ist ein Effekt der Blendung, Faszination, der Bannung, sodass
ich gar nicht mehr darüber nachdenken kann.
O-Ton: 55 (Hagen) Web 2. 0 ist auch eine Kette von neuen Software
Entwicklungen. ( ... ) Dahinter stecken auch neue
Servertechnologien. Also, wenn Sie sich mal überlegen, wie
mache ich das eigentlich, dass ich 300 Millionen Youtube-
Nutzern eine Performance zur Verfügung stelle, (..) das auf
300 Millionen Computern gleichzeitig jeder Film in
Millisekunden verfügbar ist.
Autor: Genauso hatte Tim O'Reilly das Geheimnis von Web 2.0
definiert:
O-Ton: 55a (O'Reilly)
VO: Unter Web 2.0 ist zu verstehen, dass ein Netzwerk eine
Plattform ist. Und beim Netzwerk als Plattform gelten andere
Regeln, um Geschäfte zu machen. Und die zentrale Regel ist:
Benutzer fügen Werte hinzu. Und herauszufinden, wie man
Datenbanken bauen kann, die besser werden, je mehr Leute
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Musik:
Absage: Web 2.0. Leben als Netzwerk. Feature von Walter van Rossum.
Es sprachen: Volker Risch, Simon Roden, Thomas Pelzer und
der Autor. Ton und Technik: Anna D'Hein und Hendrik Manook.
Regie: Walter van Rossum. Eine Produktion des
Deutschlandfunks 2010. Redaktion: Sabine Küchler.
Musik:
1. Zit.: Statt sich in eine Ecke zu verkriechen und darüber zu jammern,
was die Medien mit uns anstellen, sollte man zur Attacke blasen
und ihnen in die Elektroden treten.
O-Ton: (Papagei) Marshall McLuhan