Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
l& SffilrJIDIE N 1 74
1
Friedhelm Hartenstein
N eukirchener Theologie
Biblisch-Theologische Studien 74
Herausgegeben von
Jörg Frey, Friedhelm Hartenstein, Bernd Janowski,
Matthias Konradt und Werner H. Schmidt
IJ ©
Mix
Produktgruppe aus vorbildlich bewirtschafteten
Wäldern und anderen kontrollierten Herkünften
FSC ~-!5~~:s~s~::~;::ti~p~~~~~-005773
©2011
N eukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen -Vluyn
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Andreas Sonnhüter, Düsseldorf
Lektorat: Volker Hampel
DTP: Jonas von Reinersdorff / Nico Lühmann / Volker Hampel
Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen
Printed in Germany
ISBN 978-3-7887-2139-8
ISSN 0930-4800
www.neukirchener-verlage.de
»sie (sc. die Schriftlichkeit und die Archivierung von Texten [FH])
gestattet es, losgelöst von den konkreten Lebenszusammenhängen,
neue Konzepte zu fassen [... ] und - falls die Mitwelt sie nicht ver-
stehen und akzeptieren wollte - dem Urteil der Nachwelt zu über-
antworten.«5
4 Vgl. grundsätzlich P. Ricreur, Was ist ein Text? (1970), in: ders.,
Vom Text zur Person. Hermeneutische Aufsätze (1970-1999) (Mei-
ner Philosophische Bibliothek 570), Hamburg 2005, 79-108.
5 Goody/Watt!Gough, Entstehung, 20. Vgl. zum epistemologi-
schen Status historischer Archive P. Ricreur, Gedächtnis, Geschich-
te, Vergessen (Übergänge 50), München 2004, 260: »Wie jede
Schrift steht ein Archivdokument jedem offen, der lesen kann; es
hat also, anders als das an einen bestimmten Gesprächspartner ge-
richtete orale Zeugnis, keinen designierten Empfänger; außerdem
ist das im Archiv schlafende Dokument nicht nur stumm, sondern
auch verwaist; die Zeugnisse, die das Archiv enthält, sind von den
Urhebern, die sie >gezeugt< haben, abgelöst und statt dessen der
Sorge derer anheimgegeben, die kompetent sind, sie zu befragen
und sie so zu verteidigen und ihnen zu Hilfe zu kommen.«
X Vorwort
»Jetzt, geh, schreibe es auf eine Tafel bei ihnen und ritze es ein auf
eine Inschrift, auf dass es sei für einen fernen Tag, fortwährend, für
fernste Zeit!«
in: ders., Hosea und Arnos. Studien zu den Anfängen des Dodeka-
propheton (FAT 13), Tübingen 1996, 20-33.
7 Rica?ur, Gedächtnis, 260: »Für eine weniger passive Auffassung
von der Konsultation des Archivs ist der Wechsel des Vorzeichens,
der aus einem verwaisten Text einen mit Autorität macht, an die
Koppelung des Zeugnisses mit einer Heuristik des Beweises gebun-
den. [... ] Man verlangt vom Zeugnis, daß es beweist.«
Vorwort XI
Alten Testaments als Vorbild für Theologie und Kirche (BThSt 42),
Neukirchen-Vluyn 2001, 155, Anm. 75.
10 Vgl. dazu Steck, ebd., 155, Anm. 75: »Vorschnellen Kompila-
tionsergebnissen ist deshalb ebenso entgegenzutreten wie einer mo-
nomanen Literarkritik nach Art des 19. Jhdt.s, in der sich der Ex-
eget, als ob es Gunkel nie gegeben hätte, heute noch erlaubt, ohne
Kontrolle aus der Methodeninterdependenz (Redaktionsgeschichte
[... ], Formgeschichte, Religions- und Traditionsgeschichte als Nach-
frage nach bestimmenden Wahrnehmungs- und Darstellungsmus-
tern) nach eigenem Gusto bezüglich eines stimmigen Textes aus
XII Vorwort
Vorwort ............................................................... V
Im Gefolge von Karl Budde hat sich für Jes 6-8 (bzw.
Jes 6-9,6) in der Forschung die Bezeichnung »Denk-
schrift« durchgesetzt1. Damit war gemeint, dass es
sich bei diesen Kapiteln um ein Selbstzeugnis des Jeru-
salemer Propheten Jesaja aus dem letzten Drittel des
8. Jh.s v.Chr. handelt, der seine Verkündigung aus der
Zeit des sogenannten »syrisch-ephraimitischen Krie-
ges« zusammengefasst und gedeutet hätte. Die kunst-
voll steigernde Struktur der drei Kapitel wurde vor al-
lem von Odil Hannes Steck herausgearbeitet 2 . Durch
den Verlauf der Ereignisse gezwungen, hätte Jesaja
zum Mittel schriftlicher Aufzeichnung gegriffen, um
der durch seine Zeitgenossen, allen voran den judäi-
schen König Ahas, abgelehnten Botschaft JHWHs ei-
nen Raum für weitere Wirkung in der Zukunft zu er-
öffnen.
tie, in: ders, Hosea und Arnos. Studien zu den Anfängen des Do-
dekapropheton (FAT 13) Tübingen 1996, 20-33, bes. 27-32;
ders., Die Anfänge der Schriftprophetie, ZThK 93 (1996) 481-
499, bes. 496; ders., Prophetenwort und Prophetenbuch. Zur Re-
konstruktion mündlicher Verkündigung der Propheten, in: I.
Baldermann u.a. (Hg.), Prophetie und Charisma (JBTh 14), Neu-
kirchen-Vluyn 1999, 19-35; ders., Art. Prophet/Prophetin/Pro-
phetie II. Altes Testament, in: RGG 4 6, Tübingen 2003, 1694-
1699, bes. 1697ff (»Schriftpropheten«); ders., Art. Prophetenbü-
cher, in: ebd., 1708-1715, bes. 1708-1710 (»Schriftlichkeit«).
4 JHWH und der »Schreckensglanz« Assurs (Jesaja 8,6-8)
gen speziell auf Jesaja P. Machinist, Assyria and Its Image in the
First Isaiah, JAOS 103 (1983) 719-737, bes. 726 (zu Jes 8,7-8).
Zur Einwirkung speziell der Bildsprache assyrischer Groß-
reichsideologie auf die Prophetie siehe C. Uehlinger, Figurative
Policy, Propaganda und Prophetie, in: f.A. Emerton (Hg.), Con-
gress Volume Cambridge 1995 (VT.S 66), Leiden / New York /
Köln 1997, 297-349.
13 Der vorliegende Beitrag wurde im Jahr 2001 an der Theolo-
dass er sich auf Jes 7,14.16 - noch ohne die heilvollen Konnota-
tionen der relecture von 7,15 - zurückbezieht (später kommt mit
7,22 und 8, 10 eine weitere heil volle Perspektive hinzu). Das
ursprünglich hinter Jes 7, 14.16 stehende Immanuel-Wort Jesajas
ist am ehesten als königliches Geburtsorakel verständlich. An-
fänglich ein Heilsangebot, ist es im Zusammenhang von Jes 7,1-
17* - ohne V. 15 - als Unheilswort zu verstehen, das die Schnel-
ligkeit hervorhebt, mit der die aufgrund der Zeichenabweisung
des Ahas auch zum Gericht an Juda führenden politischen Ereig-
nisse eintreffen werden. Unter dieser Voraussetzung könnte auch
die Anrede in Jes 8,8b königliche Konnotationen enthalten (und
zwar negative: »dein Land« wird erfüllt mit der Macht Assurs).
So würde 8,8b im Rückbezug auf Jes 6-7* einen Schlusspunkt
unter eine »Denkschrift« setzen, die Jes 6-8,8* mit dem Kolo-
phon 8,16-18* umfasst hätte (s.u. V).
24 Vgl. dazu z.B. Barth, Jesaja-Worte (s.o. Anm. 19), 200f.
JHWH und der »Schreckensglanz« Assurs (Jesaja 8,6-8) 13
»dessen Flügel wie die eines Adlers über sein Land gebreitet wa-
ren und ... «26
inschriften (MVAG 30) Leipzig 1926, 75; 86; siehe auch Marcus,
Animal Similes, 95f.
14 JHWH und der »Schreckensglanz« Assurs (Jesaja 8,6-8)
»Die Stadt und ihre Häuser von ihren Fundamenten bis zu ihren
Wänden zerstörte ich, verwüstete ich, verbrannte ich mit Feuer.
Die Stadtmauer und die äußere Mauer, Tempel und Götter, den
Tempelturm aus Ziegeln und Erde, soviel als da waren, tilgte ich
aus und warf sie in den Arachtukanal. Mitten durch diese Stadt
grub ich Kanäle und flutete ihren Grund mit Wasser, und das Ge-
füge ihrer Fundamente zerstörte ich. Ich machte die Zerstörung
vollkommener als durch eine Flut [o: durch die Sintflut: eli sa
abubu].« 44
»Da ergrimmte der Enlil (Herr) der Götter, Marduk; um das Land
niederzuwerfen und seine Bewohnerschaft zu verderben, sann er
Böses.« [... ] »Der Ara\}tu, ein Fluss des Überflusses (niir !Jegalli),
eine wütende Flut, ein wildes Gewoge, ein geschwelltes Hochwas-
ser, ein Ebenbild der Sintflut (tam:S-il abiibi), trat über; die Stadt,
ihre Wohnstätte und ihre Kulträume überschwemmte er und
machte sie zur Wüstenei.« 46
Abbildungen:
}
-- - ... -
Abb. 1.3: Sogenannte »Geierstele«· des Eannatum, Girsu (Tel10),
frühdynastisch (Mitte 3. Jt. v.Chr.). Die Stele zeigt auf ihren zwei
reliefierten Seiten das Zusammenwirken von Stadtgott und
Stadtfürst im Kampf. Auf der abgebildeten Götterseite hält wohl
der mit einer Streitkeule bewaffnete Gott Ningirsu die Feinde im
Netz gefangen, wobei sein Attributtier, der Anzu-Vogel, wie ein
Zepter den Netzverschluss in seiner Hand bekrönt. - Quelle:
Fuhr-Jaeppelt, Materialien (wie Abb. 1.2), 63, Abb. 38a (Aus-
schnitt).
28 JHWH und der »Schreckensglanz« Assurs (Jesaja 8,6-8)
1 Vgl. als Überblick z.B. R. Kilian, Jesaja 1-39 (EdF 200), Darm-
stadt 1983, 58-63; 0. Kaiser, Der Prophet Jesaja. Kapitel 13-
39 (ATD 18), Göttingen 1973, 201-203; H. Wildberger, Jesaja,
3. Teilband: Jesaja 28-39 (BK X/3), Neukirchen-Vluyn 1982,
1063-1082. Für die ältere Forschung vgl. K. Fullerton, The
Stone of the Foundation, AJSL 37 (1920) 1-50; J. Lindblom, Der
Eckstein in Jes 28,16, in: Interpretationes ad Vetus Testamentum
[... ] (FS S. Mowinckel), Oslo 1955, 123-132.
2 Vgl. dazu E. Jacob, La pierre angulaire d'Esai:e 28.16 et ses
1. Jes28,1-4
2. Jes 28,7-22
3. Jes 28,23-29
113.
15 H. Gese, Die strömende Geißel des Hadad und Jesaja 28, 15 und
18, in: A. Kuschke / E. Kutsch (Hg.), Archäologie und Altes Testa-
ment (FS K. Galling), Tübingen 1970, 127-134.
16 Vgl. Seid!, Flut-Ungeheuer (s.o. Anm. 14), 100.
17 Ebd., 101.
Tempelgründung als »fremdes Werk« 41
pisch für diese ist die auch für das Fundament in Jes
28,16 zu vermutende doppelte Bedeutung als »mate-
rielles« und »personales« Objekt. Erste Beispiele fin-
den sich schon in der frühdynastischen Zeit (ca. 2500
v.Chr.) bis hinein in die neusumerische Periode (2100/
2000 v.Chr.). Aus der Zeit des Urnansche von Lagasch
(um 2520 v.Chr.) stammen zwei sogenannte »Nagel-
menschen« aus Bronze (Abb. 2.2). Der rechte war zur
(symbolischen) Befestigung des Fundaments in eine
auf dem Boden liegende Lasche eingesetzt (Herrscher/
Gottheit?). Aufgrund der günstigen Quellenlage bil-
det für die Erhellung der Bedeutung der Figuren der
Stadtfürst Gudea von Lagasch (Girsu/Tello) einen
wesentlichen Bezugspunkt: Seine beiden berühmten
Tonzylinder, die vom Neubau des Tempels Eninnu
für den Stadtgott Ningirsu handeln, lassen den Bezug
auf zeitgleiche archäologische Funde zu. So schildert
Zyl. A, XXII, 9-13 die Eintiefung der Tempelfunda-
mente als kosmische Verankerung des Gebäudes im
Untergrund 28 :
»The ruler (thus) built the House, let it grow, let it grow like a
huge mountain. He let the foundation boxes [temen] of the Abzu
sink in deep (as if it were for) enormous masts [dim-gal-gal], so
that they could take counsel with Enki in his Engur House.«
28 Zitiert nach D.O. Edzard, Gudea and his Dynasty (RIME 3/1),
Toronto 1997, 83 (Hervorhebung von mir). Vgl. E.]. Wilson, The
Cylinders of Gudea. Transliteration, Translation and Index
(AOAT 244), Münster 1996, 100: »The governor built the temple
(and) it grew. Like a great mountain it grew. He filled in the foun-
dation of the abzu with great posts in the ground. With Enki in
the Eangurra he takes counsel.« Beide Übersetzungen gehen zu-
rück auf den Vorschlag von T. Jacobsen, The Harps that once.
Sumerian Poetry in Translation, New Haven 1987, 416.
Tempelgründung als »fremdes Werk« 47
44 Siehe Porter, Images (s.o. Anm. 33), llüf, zur Evidenz für Ko-
pien der Fundamentinschriften, die an anderen Orten aufbewahrt
und weiterhin zugänglich geblieben waren.
45 Zitiert nach Borger, Inschriften (s.o. Anm. 33), 26 (Episode
39, Z. 6-14).
Tempelgründung als »fremdes Werk« 57
Abbildungen:
a)
Abb. 2.3: Gründungsfigur aus der Zeit des Gudea von Lagasch.
Kniender Gott mit Pfahl. Kunsthandel. - Quelle: S.A. Rashid,
Gründungsfiguren, Tafel 18, Nr. 110.
Tempelgründung als »fremdes Werk« 59
:;\;•i:-
; ti, :_
;,;:;....,', ~~
1 Der Beitrag wurde erstmals 2004 bei einer Tagung des SFB
»Kulturelle und sprachliche Kontakte« an der Universität Mainz
vorgetragen und dann erneut an der Universität Hamburg 2008
im Rahmen der Ringvorlesung »Zwischen Macht und Aufbegeh-
ren. Wechselverhältnisse zwischen Religion und Gesellschaft«.
Mit ihm möchte ich nun sehr herzlich den Hamburger Kollegen
Stefan Timm zu seinem 65. Geburtstag grüßen. Seit meiner Be-
rufung an den Fachbereich Evangelische Theologie der Univer-
sität Hamburg im Jahr 2002 verbindet mich mit ihm ein intensi-
ver Austausch zu Fragen der Geschichte Israels und des Alten
Orients. Seine profunde Kenntnis altorientalischer und ägypti-
scher Quellen sowie seine umsichtige Behandlung derselben ist
mir immer wieder Ansporn und Inspiration gewesen.
64 Unheilsprophetie und Herschaftsrepräsentation
8 Vgl. dazu Hos 5, 15: »Ich will mich wieder an meine Stätte zu-
rückziehen, bis sie unter der Strafe leiden und mein Angesicht
suchen; wenn sie in Bedrängnis sind, werden sie nach mir verlan-
gen.«
9 Vgl. dazu v.a. O.H. Steck, Die Prophetenbücher und ihr theolo-
gisches Zeugnis. Wege der Nachfrage und Fährten zur Antwort,
Tübingen 1996.
Unheilsprophetie und Herschaftsrepräsentation 67
»Und jetzt: Bin ich etwa ohne JHWH gegen dieses Land hinaufge-
zogen, um es zu vernichten? JHWH hat zu mir gesagt: Zieh hinauf
zu diesem Land und vernichte es!«
29 Siehe zur Struktur und Thematik des Kapitels v.a. die einge-
hende Analyse von]. Barthel, Prophetenwort und Geschichte. Die
Jesajaüberlieferung in Jes 6-8 und 28-31 (FAT 19), Tübingen
1997, 118-183.
78 Unheilsprophetie und Herschaftsrepräsentation
»Die Stadt und ihre Häuser von ihren Fundamenten bis zu ihren
Wänden zerstörte ich, verwüstete ich, verbrannte ich mit Feuer. Die
Stadtmauer und die äußere Mauer, Tempel und Götter, den Tem-
pelturm aus Ziegeln und Erde, soviel als da waren, tilgte ich aus
und warf sie in den Arachtukanal. Mitten durch diese Stadt grub
ich Kanäle und flutete ihren Grund mit Wasser, und das Gefüge ih-
rer Fundamente zerstörte ich. Ich machte die Zerstörung vollkom-
mener als durch eine Flut [o: durch die Sintflut: eli sa abübu].« 43
»Da ergrimmte der Enlil (Herr) der Götter, Marduk; um das Land
niederzuwerfen und seine Bewohnerschaft zu verderben, sann er
Böses. [... ] Der Ara!Jtu, ein Fluss des Überflusses (nar !Jegalli), eine
wütende Flut, ein wildes Gewoge, ein geschwelltes Hochwasser,
ein Ebenbild der Sintflut (tamfü abübi), trat über; die Stadt, ihre
»A. Die Häuptlinge der Ägypter, der Einwohner von Gaza, Judäer,
Moabiter und Ammoniter sind am 12. Tage in Kalah eingetrof-
fen.«53
Abbildungen:
;/_::'~,
. /·.-\
Abb. 3.3: Der assyrische König auf dem Thronstuhl, Relief, Aus-
schnitt, Ninive, Südwestpalast, Sanherib, 705-681 v.Chr. - Quel-
le: U. Magen, Assyrische Königsdarstellungen - Aspekte der
Herrschaft. Eine Typologie (BagF 9), Mainz 1986, Taf. 17,8.
Unheilsprophetie und Herschaftsrepräsentation 93
Abb. 3.4a: Ein geflügelter Gott jagt einen Löwendrachen (Anzu ?),
Relief, Kalchu/Nimrud, Ninurta-Tempel, Assuma~irpal II., 883-
859 v.Chr. - Quelle:]. Black/ A. Green, Gods, Demons and Sym-
bols of Ancient Mesopotamia. An Illustrated Dictionary, London
199~14~Ab~ll7.
Abb. 3.4b: Ein Gott mit sternenbesetztem Bogen jagt einen Lö-
wendrachen (Anzu ?), Rollsiegel, Steatit, neuassyrisch, 1. Hälfte 1.
Jt. v.Chr. - Quelle: 0. Keel, Die Welt der altorientalischen Bild-
symbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen, Zü-
rich/Neukirchen-Vluyn 3 1980, 42, Abb. 45 (vgl. ebd., 360 [Lit.]).
94 Unheilsprophetie und H erschaftsrepräsentation
a)
0
b) c) d)
r
\
1
a)
b)
I. Vorüberlegungen
1 Mit diesem Beitrag, den ich am 24. November 2006 auf Einla-
dung der Theologischen Fakultät der Universität Halle im Rahmen
der akademischen Feier zum 65. Geburtstag von Herrn Kollegen
Arndt Meinhold als Vortrag gehalten habe, möchte ich nun in
schriftlicher Form meine Hamburger Kollegin Ina Willi-Plein herz-
lich zu ihrem 65. Geburtstag grüßen. Ihrem offenen und freund-
schaftlichen Diskussionsstil im Hamburger Forschungskolloquium
und ihrer unbestechlichen Genauigkeit in der Sache verdanke ich
wichtige Anregungen für die folgenden Überlegungen.
98 » ... dass erfüllt ist ihr Frondienst (Jesaja 40,2)
ten. Dazu holt Jes 40ff denkbar weit aus: Allein JHWH
hatte es vermocht, sich als die eine, die ganze Welt von
Anfang an bestimmende und ordnende Macht zu er-
weisen. Und er hat dies paradoxerweise durch seine
Nähe zu einem Volk getan, dessen Geschicke inmitten
der Völkerwelt er zum Paradigma für die Anerkennung
seines Gottseins erhoben hat. Am Ergehen Israels soll
nicht nur dieses selbst, sondern schließlich auch die
Völkerwelt erkennen, dass JHWH einzig ist. Ein Gott,
dessen Wege die Grenzen menschlichen Verstehens
weit übersteigen, der aber seine Spuren in der Ge-
schichte setzt, damit sie gelesen und nachvollzogen
werden können. Und der vor allem durch seine über
Generationen immer wieder neu an Israel übermittel-
ten Worte ein langzeitiges Instrument für die Erkun-
dung seines Willens bereitstellt. Die Einzigkeit Gottes
und eine auf Einheit zielende Hermeneutik der Ge-
schichte Israels gehen dabei Hand in Hand.
In Deuterojesaja wechseln deshalb geradezu intime An-
reden an Israel, die an der Sprache der Psalmen geschult
sind, mit hymnischen und reflektierenden Passagen,
die das Große und das Kleine, Schöpfung, Geschichte
und individuelles Ergehen in einen unauflösbaren Zu-
sammenhang bringen. Programmatisch geschieht dies
etwa in Jes 40,27f, den einzigen Versen in Jes 40-55, in
denen die Zweifel der Adressaten an der Handlungsfä-
higkeit JHWHs in Form eines Zitates direkt benannt
werden:
(27) Warum sagst du, Jakob, und sprichst du, Israel: »Verborgen ist
mein Weg vor JHWH, und meinem Gott entgeht mein Recht!« (28)
Hast du (es) nicht erkannt, oder hast du (es) nicht gehört? Ein Gott
fernster Zeit (ist) JHWH, Schöpfer der Enden der Erde! Nicht wird
er matt, und nicht ermüdet er, unerforschlich (ist) seine Einsicht!
(29) Er gibt dem Müden Kraft, und dem Kraftlosen mehrt er
Stärke!
terojesajas (CThM 11), Stuttgart 21981; ders., Das Buch Jesaja. Ka-
pitel 40-66 (ATD 19), Göttingen 419'81.
4 R.F. Melugin, The Formation of Isaiah 40-55 (BZAW 141), Ber-
lin / New York 1976. Zur methodischen Frage der Rekonstruier-
barkeit einer literarischen Vorgeschichte der Komposition Jes 40-55
vgl. ebd., 77-82, bes. 82: »My purpose is not to doubt that Isaiah
40-55 underwent several stages of growth. Indeed, I would argue
that we can occasionally see later stages of development. But in
most instances the collectors did not leave distinctive footprints by
which we may retrace their respective paths. We are therefore by
and !arge unable to reconstruct the history of the redaction.« (vgl.
auch ebd., 176-177 den Hinweis auf die Notwendigkeit, die buch-
kompositorischen Zusammenhänge des Jesajabuches in die Analyse
mit einzubeziehen - ein Gesichtspunkt, den die neuere Forschung
stark in den Blick genommen hat).
» ... dass erfüllt ist ihr Frondienst (Jesaja 40,2) 101
aus dem Zusammenhang des Prologs Jes 40,1-11 und zu dessen Ver-
bindung mit Jes 55,lOf sowie der Einordnung dieses redaktionellen
Rahmens in eine Jesajabuch-Perspektive siehe schon Kiesow, Ex-
odustexte (s.o. Anm. 5), 66.160.165; van Oorschot, Babel, 273-275.
346; Berges, Jesaja, 385-388 (s.o. Anm. 8); Werlitz, Redaktion (s.o.
Anm. 2), 266.325-332 (siehe auch Kratz, Kyros [s.o. Anm. 6], 217).
» ... dass erfüllt ist ihr Frondienst (Jesaja 40,2) 103
13 Kiesow, Exodustexte (s.o. Anm. 5), 32-34, bes. 34, zur »inhaltli-
chen Spannung« zwischen V. 10 und 11, wonach JHWH in V. 10
als »machtvoll und herrscherlich«, in V. 11 dagegen »in fast lyri-
scher Schilderung als behutsamer, liebevoller Hirte« dargestellt sei:
»Sichtbar wird die Spannung vor allem in der beidmaligen Verwen-
dung von ,seinem Arm<, der einmal machtvoll herrscht, zum ande-
ren behutsam ,Lämmer sammelt<.« (ebd., 34).
14 H.-J. Hermisson, Einheit und Komplexität Deuterojesajas. Prob-
(1) »Tröstet, tröstet mein Volk!«, spricht euer Gott. (2) »Redet zum
Herzen Jerusalems und ruft ihr zu, dass erfüllt ist ihr Frondienst,
dass abgetragen ihre Schuld, dass sie empfangen/genommen hat
aus der Hand JHWHs Doppeltes für all ihre Übertretungen!«
23 Funktional vergleichbare Sätze mit dem yiqtol von 1/J~ Qal fin-
den sich außer in Ps 12,6 nur noch im Jesajabuch: Jes 1,11.18; 33,10;
40,25; 41,21; 66,9. Jedesmal handelt es sich um Einschübe in eine
zitierte JHWH-Rede (vgl. dazu den Exkurs bei Ehring, Rückkehr
JHWHs [s.o. Anm. 19], 28-32).
24 So jetzt die Vermutung von Ehring (s.o. Anm. 19), 23-28.33f,
(3) Eine Stimme, rufend: »In der Wüste bahnt den Weg JHWHs,
ebnet in der Steppe eine (aufgeschüttete) Straße für unseren Gott!
(4) Jedes Tal soll erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen
niedrig werden! Und es soll werden das Höckrige zur Ebene und die
Felsblöcke zum weiten Tal! (5) Und es soll aufgedeckt/offenbar
werden die Herrlichkeit JHWHs, und es soll (sie) sehen alles Fleisch
insgesamt!« Fürwahr, der Mund JHWHs hat (es) geredet.
(9) »Auf einen hohen Berg steige hinauf für dich, Freudenbotin
Zion! Erhebe mit Kraft deine Stimme, Freudenbotin Jerusalem! Er-
hebe (sie), fürchte dich nicht! Sprich zu den Städten Judas: ,Siehe,
euer Gott, (10) siehe, der Herr JHWH ! Als ein Starker kommt er,
sein Arm herrscht für ihn! Siehe, seine Beute (ist) bei ihm, sein
Lohn (ist) vor seinem Angesicht/ vor ihm! (11) Wie ein Hirte wird
er seine Herde weiden, mit seinem Arm wird er (sie) sammeln!
Lämmer - in seinem Gewandbausch wird er (sie) tragen, Säugende
- er wird (sie) führen!«<
27 Dass damit in Jes 40,9 ausdrücklich auf Jes 6,11 mit der dort an-
gekündigten Verwüstung der Städte des Landes zurückgeblickt
wird, um die Aufhebung dieses Zustands anzukündigen, hat K.
Halter, Zur Funktion der Städte Judas in Jesaja XL,9, VT 46 (1996)
119-121 herausgearbeitet (zu weiteren Rückbezügen von Jes 40,1-
11 auf Jes 6 s.u. IV).
28 Diesen Vergleich hat jetzt wiederum Ehring, Rückkehr JHWHs
(s.o. Anm. 19), 19-95 sehr genau durchgeführt und so ein Ver-
ständnis von Jes 40, 1-5 und 9-11 als eines literarisch einheitlichen
Textzusammenhangs weiter wahrscheinlich machen können.
112 » ... dass erfüllt ist ihr Frondienst (Jesaja 40,2)
indem dieser Text die Notzeit auf der Erde als Folge ei-
ner relativen Machtlosigkeit Marduks gegenüber dem
brutalen Ungestüm des Gottes der Unterwelt, Erra,
darstellt 32 . Die anderen Texte folgen alle dem Schema
a) des Zorns Marduks und seiner anschließenden Ab-
wendung von Babylon, worauf b) die Katastrophe der
Eroberung des Landes mit der Zerstörung der Heilig-
tümer und Deportation der Götterstatuen folgt. Ir-
gendwann beruhigt sich c) der Zorn des Gottes und er
wendet sich Babylon wieder zu, was d) in der Erwäh-
lung eines guten Königs und dessen Maßnahmen zur
Restitution der Kulte und Sozialordnungen gipfelt. Mit
der sichtbaren Rückkehr des wiederhergestellten Kult-
bilds unter dem Jubel der Bevölkerung endet das Sche-
ma. Die kosmische Ordnung ist wieder intakt, die Welt
erblüht und man bringt Gaben. Am nächsten an Jes 40,
1-5.9-11 steht dabei einer der ältesten von den Schrei-
bern Nabonids rezipierten Texte der Tradition (RIMB
2, B 2.4.9), in dem die Rückkehr Marduks (bzw. seiner
Statue) aus Elam geschildert wird (Z.13-20) 33 :
»(13) Having made up his mind, going by (way of) city (and)
steppe, when he went out from the wickedness in Elam, he took a
road of jubilation, a path of rejoicing, (14) a route (indicating his)
attention (to) and acceptance (of my prayers), unto Suanna (Baby-
lon). (16) The people of the land regarded his lofty, fitting, majestic,
bright (and) joyful appearance [la-an~su e-la-a su -su-mu e-tel-la
na-par-da-a su-lu-la]; all of them paid attention to him. (18) The
lord entered and took up his peaceful abode. (20) Kasulim (,Gate of
Radiance<), his lordly shrine, became bright, filled with rejoicing.«
»(19) Bis die Tage erfüllt sein würden (a-di umeme, im-[lu]), dass
das Herz des grossen Herrn Marduk sich beruhigen und er sich mit
dem Lande, dem er gezürnt, versöhnen würde, (20) sollten 70 Jahre
verstreichen; [doch] schrieb [Marduk alsbald: »11] Jahre«, er fasste
Erbarmen und sprach: ,Friede!<.«
43 Zur Rezeption von Jes 6 in Jes 57,14ff vgl. O.H. Steck, Studien
zu Tritojesaja (BZAW 203), Berlin/ New York 1991, 30.172-173.
198;]. Gärtner, Jesaja 66 und Sacharja 14 als Summe der Prophetie.
Eine traditions- und redaktionsgeschichtliche Untersuchung zum
Abschluss des Jesaja- und des Zwölfprophetenbuches (WMANT
114), Neukirchen-Vluyn 2006, 244-255.
44 Vgl. dazu v.a. Albertz, Deuterojesaja-Buch (s.o. Anm. 42).
45 Als Orientierung über den gegenwärtigen Stand der Jesaja-For-
schung vgl. etwa M. Köckert / U. Becker /]. Barthel, Das Problem
des historischen Jesaja, in: I. Fischer/ K. Schmid/ H.G.M. William-
son (Hg.), Prophetie in Israel (Altes Testament und Modeme 11),
Münster 2003, 105-135; Höffken, Jesaja (s.o. Anm. 2).
» ... dass erfüllt ist ihr Frondienst (Jesaja 40,2) 121
(1) Im Todesjahr des Königs Ussia sah ich den Herrn, sitzend auf
einem hohen und erhabenen Thron, und seine [sc. seines Gewan-
des] Säume füllten den Tempel / die Tempelhalle. (2) Seraphim
standen über ihm [... ] (3) und einer rief dem anderen zu und sprach:
»Heilig, heilig, heilig ist JHWH Zebaoth, die Fülle der ganzen Erde
ist seine Herrlichkeit.« (4) Da erzitterten die Zapfen der (Unter-)
Schwellen vor der Stimme des Rufers, und das Haus füllte sich mit
Rauch. (5) Da rief ich: »Weh mir, denn ich bin vernichtet, denn ein
Mann unreiner Lippen bin ich, und inmitten eines Volkes unreiner
Lippen wohne ich, denn den König JHWH Zebaoth haben meine
Augen gesehen.«
Dass in Jes 6,3 und 4 und in Jes 6,11 ein fester kulturel-
ler Vorstellungszusammenhang rezipiert wurde, der
religionsgeschichtlich aus kleinasiatisch-nordsyrischer
Tradition vermittelt sein dürfte (»Mythos vom ver-
schwundenen Gott«), zeigt das Motiv des den Tempel
erfüllenden Rauchs (Jes 6,4) ebenso wie die Topik der
damit verbundenen Notzeit . (semantische Opposition
von »Fülle« [~~l'J Jes 6,3] und »Ödnis« [i11'Jl'JiD Jes 6,
11])47 . Dass sich eine Gottheit im Zorn über die Men-
schen zurückzieht und dies kosmisches Unheil nach
sich zieht, gehörte insofern bereits zu den alten vorexi-
lischen Voraussetzungen von Jes 6 wie von Jes 40 48 .
(6) Da flog zu mir einer von den Seraphim, in seiner Hand eine
Glühkohle - mit einer Zange hatte er sie vom Altar genommen -
(7) und er ließ [sie] meinen Mund berühren und sagte [dazu]: »Sie-
he, dies hat deine Lippen berührt, und so ist weggewendet deine
Schuld, und deine Verfehlung wird gesühnt.«
Jes 6,6f:
□' ?!lJ i11i1'
a) Als erstes fällt die etwa auch von Leo Krinetzki no-
tierte stilistische Parallele des dreifach steigernden kf
aus Jes 6,5 in Jes 40,2 auf53 .
b) Zweitens entspricht dem unheilvollen ,>Sehen« des
»Königs JHWH Zebaoth« durch den Propheten in
Jes 6,5 die Erfüllung des Zabah-Dienstes Jerusalems
(»Frondienst«) in Jes 40,2 und das anschließende er-
neute »Sehen« JHWHs, jetzt durch »alles Fleisch« (Jes
40,5). Hintergründig erscheint so rm~:nt i11i1~ aus Jes 6
als der Bewirker der Notzeit der politischen Fremdbe-
stimmung (i1~:JY) nach Jes 40,2.
c) Drittens und am gewichtigsten entspricht der Reini-
gung und Restitution des Propheten in ]es 6,7 die im
Rückblick in ]es 40,2 festgestellte »Abtragung« der
»Schuld« Israels 54 . Bemerkenswert ist dabei neben der
Wiederaufnahme der beiden Begriffe für die Sünde in
der gleichen Reihenfolge wie in Jes 6 die Umdeutung
des durch den Seraphen vorgenommenen Reinigungs-
ritus: Aus dem mit einer Glühkohle durchgeführten
»Berühren der Lippen« des Propheten in ]es 6 wird of-
(6) Eine Stimme spricht: »Rufe!« Und ich sagte [mit lQJesa; LXX]:
»Was soll ich rufen? All das Fleisch (ist) Gras, und all seine Anmut
(ist) wie die Blüte des Feldes! (7) Vertrocknet (ist) Gras, verwelkt
eine Blüte, wenn der Wind/Geist JHWHs darübergeweht hat!« -
Ach ja, Gras (ist) das Volk! - (8) »Vertrocknet (ist) Gras, verwelkt
eine Blüte, aber das Wort unseres Gottes wird bestehen für fernste
Zeit!«
1 Der Beitrag geht auf einen Vortrag beim 31. Deutschen Orienta-
listentag (DOT) in Marburg am 21.09.2010 zurück.
2 Vgl. ]. Renz / W. Röllig, Handbuch der althebräischen Epigra-
phik I/1. Text und Kommentar, Darmstadt 1995, 242-251 (Lit.-An-
gaben zu den genannten Beiträgen ebd., 242).
128 » Wehe, ein Tosen vieler Völker ... « (Jesaja 17,12)
3 Möglich wäre auch eine Übersetzung mit »der Gott des ganzen
Landes«, die aber aufgrund der alttestamentlichen Vergleichsstellen
mit überwiegend universaler Korni:otation weniger naheliegend ist
(s.o. Anm. 5).
4 Im Alten Testament nur spät belegt, in Esr 7,19; 2 Chr 32,19.
5 Vgl. Jes 54,5, mit »]HWH Zebaoth«, und weitere Stellen: Mit
'adon: Jas 3,11.13; Mi 4.13; Sach 4,14; 6,5; Ps 97,5; mit 'älijon: Ps
83,19; mäläk 'al: Ps 47,3.8; Sach 14,9; 2 Kön 19,15; Jes 37,16. Vgl.
dazu Renz, Handbuch I, 246, Anm. 1; Mittmann (s.o. Anm. 8), 23-
29.
6 Für ähnliche Eigentumsaussagen in vorexilischen und exilischen
7 ]. Renz, »Jahwe ist der Gott der ganzen Erde«. Der Beitrag der
15 Steck wies aber zugleich und zu Recht darauf hin, dass diese
»Stadttheologie in Jerusalem« nur »eine theologische Konzeption
unter anderen« gewesen sei (13), die von weniger leicht greifbaren
Traditionen im Land Juda und besonders dem Nordreich Israel (bis
722/720 v.Chr.) unterschieden werden müsse.
» Wehe, ein Tosen vieler Völker ... « (Jesaja 17,12) 133
12 Wehe, ein Lärm vieler Völker - wie ein Lärmen von Wassern
lärmen sie, und ein Tosen von Nationen - wie ein Tosen von mäch-
tigen Wassern tosen sie! 13 Nationen - wie ein Tosen vieler Was-
ser tosen sie! Da schilt er es, und es flieht aus der Feme, und es
wird gejagt wie Spreu (der) Berge vor einem Wind, wie Kugeldis-
teln ( ?) vor einem Sturm! 14 Zur Abendzeit, siehe, Bestürzung!
(Noch) vor dem Morgen ist es nicht mehr da! Das ist der Anteil un-
serer Plünderer und das Los für unsere Berauber!
22 Dass dies auch für Jes 17,12 gilt, ist umstritten; vgl. aber die
Begründung bei C. Hardmeier, Textwelten der Bibel entdecken.
Grundlagen und Verfahren einer textpragmatischen Literaturwis-
senschaft der Bibel (Textpragmatische Studien zur Hebräischen Bi-
bel 1/2), Gütersloh 2004, 147.
» Wehe, ein Tosen vieler Völker ... « (Jesaja 17,12) 137
wem das Unheil gilt (vgl. aber die »wir« am Ende von
V. 14). Dafür wird die Bedrohung um so intensiver
durch den dreifach steigernden Vergleich mit tosenden
Wassermassen hervorgehoben. Das »Tosen vieler Völ-
ker«, einer unbestimmten Menge, entspricht dem »To-
sen von mächtigen Wassern«. Mitzuhören sind Assozi-
ationen von Schnelligkeit, Unaufhaltsamkeit und um-
fassender Zerstörungskraft - alles aus der Lebenswelt
besonders der Strömekulturen bekannte Tatsachen bei
Flutkatastrophen. Der Vergleich zwischen der kosmi-
schen Größe der Wasserfluten und der politisch-sozia-
len Größe der Völker/Nationen ist akkadisch sowohl
literarisch als auch in Königsinschriften häufig. Insbe-
sondere die neuassyrischen Herrscher des 1. Jt.s v.Chr.
haben den lange gebräuchlichen Vergleich immer wie-
der auf sich selbst angewendet, um ihre unwiderstehli-
che Kampfkraft - in Analogie zur Sintflut und in Ent-
sprechung zum Wettergott - hervorzuheben. Ich werde
darauf zurückkommen (s. III.). Das Bild der Bedrohung
in Jes 17,12-14 ist jedenfalls eines, das bei Adressaten
in assyrischer Zeit entsprechende Assoziationen auslö-
sen konnte, wenn man voraussetzt, dass sie solche In-
halte assyrischer Propaganda kannten.
Das überraschende an Jes 17,12ff. ist nun, dass - an-
ders als in anderen prophetischen Unheilsworten - das
Geschehen sich zuletzt gar nicht vollzieht: Stattdessen
»schilt« (ga<ar) »er« (es kann nur JHWH gemeint sein)
»es«, also das tosende Völkerchaos, d.h. er lässt seine
Donnerstimme ertönen und verursacht Verwirrung
und Flucht aufseiten der Gegner. Hier liegt eine Über-
tragung von Motiven eines Götterkampfes (wie im
ugaritischen Baalsmythos oder im Enuma elisch) auf
die politische Ebene vor: Die Völker werden in ihre
Schranken verwiesen, ja, ihr »Fliehen« zeigt aus der
Perspektive des Gottes Judas ihre Machtlosigkeit an.
Sie stieben auseinander wie Spreu und wie Kugeldis-
teln, die der Sturm vor sich hertreibt. Dies alles ge-
schieht noch vor dem Morgenanbruch (V. 14). Schon
am Abend nämlich herrschen Schrecken und Bestür-
138 » Wehe, ein Tosen vieler Völker ... « (Jesaja 17,12)
Heils. Das Motiv der Hilfe Gottes »am Morgen« im Alten Orient
und im Alten Testament Band I: Alter Orient (WMANT 59), Neu-
kirchen-Vluyn 1989.
24 Vgl. zur neueren Diskussion Körting, Zion (s.o. Anm. 18).
» Wehe, ein Tosen vieler Völker ... « (Jesaja 17,12) 139
2 Gott ist für uns Zuflucht und Stärke, als Hilfe in Nöten sehr be-
währt.
3 Deshalb fürchten wir uns nicht, (selbst) wenn die Erde
schwankt,
wenn Berge wanken ins Herz des Meeres!
4 Mögen (auch) tosen, mögen schäumen seine Wasser,
mögen beben Berge vor seiner Hoheit/Hochmut!
5 Ein Strom - seine Kanäle erfreuen die Gottesstadt,
das Heiligtum der Wohnungen des Höchsten.
6 Gott ist in ihrer Mitte, sie kann nicht wanken,
es hilft ihr Gott bei Morgenanbruch!
7 Es hatten getost Völker, es hatten gewankt Königreiche.
Er hatte seine Stimme erhoben, und es schwankte (die) Erde!
8 JHWH Zebaoth (ist) mit uns, eine Fluchthöhe für uns (ist) der
Gott Jakobs!
Tunnel, TGI3, 66, die vor 701 v.Chr. datiert wird) hat in der Zeit der
Assyrerbedrohung auch eine Rolle in der Auseinandersetzung zwi-
schen Jesaja und den Herrschern der Stadt gespielt (Jes 8,5-8, s. da-
zu unten III. und den Beitrag S. 1-30 in diesem Band; vgl. auch Jes
7; 2Chr 32,3-4).
» Wehe, ein Tosen vieler Völker ... « (Jesaja 17,12) 141
» To calm the rush of the waters for the orchards, I created a swamp
and planted a canebrake in it. Herons, wild pigs, and deer I turned
loose therein .... The canebrakes flourished luxuriantly, the high-
flying heran built his nest there, and the wild pigs and deer multi-
plied abundantly.« 29
30 Russe//, Palace, 260; 326, Anm. 39: Appendix 1, Hof VI, Slab 66
(vgl. Wäfler, Nicht-Assyrer [s. unten Anm. 63], 57-59; 179f, zur
möglichen Identifikation mancher der Gefangenen als Menschen
aus dem Westen.
31 Sie tragen vergleichbare Kopfbedeckungen wie die Bewohner
der judäischen Stadt Lachisch auf dem berühmten Relief aus Saal
XXXVI des Palastes Sanheribs. Vgl. dazu nochmals auch Abb. 5.9
mit der obersten Reihe von Gefangenen, die den Stierkoloss ziehen
pudäer?).
2 Russe//, Palace, 260.
»Sennacherib, ... who builds Assyria, who completes its cult cities;
. . . who digs canals, opens irrigated fields, and makes irrigation
ditches murmur (with water); who established prosperity and abun-
dance in the wide croplands of Assyria; who put irrigation water in
the fields of Assyria where, from the days of old, no one had seen,
no one had known, those who preceded me had not made, canals
and irrigation in Assyria« 36•
»Auf meinem dritten Feldzug zog ich nach Chattu. Luli (Eluläus),
den König von Sidon, warf die Furcht vor dem Glanze meiner Herr-
schaft nieder, er floh in die Feme, mitten ins Meer und verschwand
von der Bildfläche.« 45
rer (ALASPM 9), Münster 1995, 350-363, bes. 360ff. Siehe auch
C. Hardmeier, Geschichtsblindheit und politischer Opportunismus
in Jes 22,1-14, in: M. Geiger/ C.M. Maier/ U. Schmidt (Hg.), Es-
sen und Trinken in der Bibel (FS R. Kessler), Gütersloh 2009, 374-
395.
» Wehe, ein Tosen vieler Völker ... « (Jesaja 17,12) 149
5 Denn einen Tag von Lärm und Zertretung und Bestürzung hatte
JHWH Zebaoth im Tal (der) Schauung, zertrümmernd Mauern und
Geschrei zum Berg hin! 6 Und Elam hat erhoben (den) Köcher, mit
Wagen, Menschen, Gespannpferden/Reitern, und Kir hat entblößt
»1 Wehe, Arie!, Arie!, Stadt, wo David lagerte! Fügt hinzu Jahr auf
Jahr, Feste sollen kreisen! 2 Aber ich werde Arie! bedrängen, und
es wird sein Traurigkeit und Trauer, und (sie) wird für mich wie
(ein) Arie! sein! 3 Und ich werde wie ein Kreis gegen dich lagern
und will vor dir einengen einen Wall und will aufrichten gegen dich
Schanzen. 4 Dann wirst du tief gebeugt von der Erde aus reden und
aus dem Staub wird versunken dein Wort (ertönen). Und es wird
sein wie ein Totengeist aus der Erde deine Stimme und aus dem
Staub wird zirpen dein Wort!
8 Und es wird sein wie wenn der Hungrige träumt: Siehe, dass
er isst, aber (dann) erwacht und leer ist seine Kehle, und wie wenn
der Durstige träumt, siehe, dass er trinkt, aber (dann) erwacht
und, siehe, ermattet und trocken ist seine Kehle - so wird das Tosen
aller Nationen sein, die kriegerisch gegen den Berg Zion heranzie-
hen!
FIGURE3C
SMl'ITMANN
FIGURE4A FIGURE4C
ARCHER (NO 4) WARRIOR wrrn CRESTED HELMEI' (NO 6)
.- ....
Abb. 5.1: Inschrift A Chirbet Bet Layy. - Quelle: S. Mittmann, A
Confessional Inscription from the Year 701 BC Praising the Reign
of Yahweh, Acta Academica 21 (1989) 35, Fig. 3c.
Abb. 5.2: Chirbet Bet Layy, Bogenschütze? - Quelle: Mittmann,
Inscription, 35, Fig. 4a.
Abb. 5.3: Chirbet Bet Layy, Krieger mit Raupenhelm? - Quelle:
Mittmann, Inscription, 36, Fig. 4c.
» Wehe, ein Tosen vieler Völker ... « (Jesaja 17,12) 163
f1GURE4E
SHIPS(N07)
FIGURE4B
ARMY CAMP (NO 10)
FIGURE6
ASSYRIAN CAMP OF 1HE SIEGE OF IACHISH IN 701 BC.
RELIEF FROM 1HE PAIACE OF SENNACHERIB IN NINIVEH
(AFIBR D USSISHKIN, THE CONQUEST OF
LACH/SH, 92)
Abb. 5.6: Chirbet Bet Layy, Skizze eines (assyr.) Lagers und Zeltes?-
Quelle: Mittmann, Inscription, 35, Fig. 4b.
Abb. 5.7: Assyr. Lager bei Lachisch, Sanherib - Quelle: Mittmann, In-
scription, 38, Fig. 6.
» Wehe, ein Tosen vieler Völker ... « (Jesaja 17,12) 165
1-
,.~~"'
t t
\
\~
. /,;s::--.,.~ ,~"",--,er:
·' ...\
. .
,, .
s
1
Das neue (Tempel)fundament,
das nicht weicht
.
;;;-
-s:::
0 O:
(,,Bauankündigung" des Königs JHWH) ;;;:::
0
(JQ
;;;·
1 .
n,
<
0
::, "'
;::::;
....... ''
(t)
"'
8.
1
Die Herrscher dieses Volkes
.,
n,
V;
~-
"'tv • 1 .....
------..
,oo [n Jerusalem:! ,.__ _ _ _ _ _ __ ,'--l
>-' .....
N
ttv Trügerische Zuflucht und B e r g u n g ~
'--..,
tv
U) (Vertrag der Herrscher dieses Volkes)
~
~-
~
>-r1
3 1 ,-..1
♦
Mot/Scheol
°'
\.0
[Q_11te~tillj
170 » Wehe, ein Tosen vieler Völker ... « (Jesaja 17,12)
11'1
0
'°
0 o
-o
0
0
1
JHWH und der »Schreckensglanz« Assurs (Jesaja 8,6-8)
Traditions- und religionsgeschichtliche Beobachtungen
zur »Denkschrift« Jesaja 6-8*
F. Hartenstein/ J. Krispenz / A. Schart (Hg.), Schriftprophe-
tie (FS J. Jeremias), Neukirchen-Vluyn 2004, 83-102.
2
Tempelgründung als »fremdes Werk«
Beobachtungen zum »Ecksteinwort« Jesaja 28,16-17
M. Witte (Hg.), Gott und Mensch im Dialog (FS 0. Kaiser)
(BZAW 345/1), Berlin/ New York 2004, 491-516
3
Unheilsprophetie und Herrschaftsrepräsentation
Zur Rezeption assyrischer Propaganda im antiken Juda
(8./7. Jh. v.Chr.) .
M. Pietsch / F. Hartenstein (Hg.), Israel zwischen den Mäch-
ten (FS S. Timm) (AOAT 364), Münster 2009, 121-143
4
»... dass erfüllt ist ihr Frondienst« (Jes 40,2)
Die Geschichtshermeneutik Deuterojesajas im Licht
der Rezeption von Jesaja 6 in Jesaja 40,1-11 *:
F. Hartenstein/ M. Pietsch (Hg.), »Sieben Augen auf einem
Stein« (Sach 3,9). Studien zur Literatur des Zweiten Tempels
(FS I. Willi-Plein), Neukirchen-Vluyn 2007, 101-119.
176 Nachweis der Erstveröffentlichungen
5
»Wehe, ein Tosen vieler Völker ... « (Jesaja 17,12).
Beobachtungen zur Entstehung der Zionstradition vor
dem Hintergrund des judäisch-assyrischen Kulturkon-
takts
Unveröffentlicht
Die Anfänge des Jesajabuchs sind zutiefst geprägt von
den Erfahrungen des Kulturkontakts mit dem assyri-
schen Großreich. Die vorliegenden Studien behandeln
Aspekte der »Denkschrift« Jesaja 6-8 sowie Jesaja 28,
den Kopftext des »Assur-Zyklus«. Für beide werden
Rezeption und Umformung assyrischer Propaganda
aufgezeigt und die historischen Rahmenbedingungen
erörtert. Die Schriftlichkeit der Prophetie erweist sich als
Mittel zur »Archivierung« des Willens JHWHs für zukünf-
tige Leserinnen und Leser. Eine weitere Studie ist dem
Rückbezug auf Jesaja 6 im Prolog Deuterojesajas gewid-
met. Der Band schließt mit einem Beitrag zur Entstehung
des »Völkerkampfmotivs« in den Psalmen 46 und 48
und den Jesajatexten angesichts des Abzugs der Assyrer
vor Jerusalem im Jahre 701 v.Chr. Das Buch möchte zur
genaueren Kontextualisierung der Entstehungsprozesse
prophetischer Bücher des Alten Testaments beitragen.