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L Zur Ausgangslage
Die antike Rhetorik stand, wie inzwischen hinreichend bewußt ge-
worden ist, in der neutestamentlichen Exegese längere Zeit hindurch
nicht sonderlich hoch im Kurs. Wo man dennoch auf sie zurückgriff,
beschränkte man sich in der Regel auf einen Bereich, der in den Handbü-
chern der elocutio zugeordnet wird. Zur elocutio gehören die Stilfiguren
und die Tropen, der sprachliche Schmuck und die sprachlichen Bilder,
also etwa Antithese und Inklusio, Chiasmus und Wiederholung, Allitera-
tion und Paronomasie, Metonymie, Metapher und Vergleich1. Vor allem
die Gleichnisforschung hat sich, gerade in dieser Hinsicht maßgeblich
vertreten durch Adolf Jülicher, oft und gern auf die Rhetorik des Aristote-
les berufen2, was ihr, was insbesondere auch Jülicher andererseits nicht
selten zum Vorwurf gemacht wurde3. Hier gibt es also durchaus schon
ein früheres Paradigma für den Streit um den Stellenwert der Rhetorik in
der Exegese. Ausgespart blieben aber ganze Felder wie inventio und disposi-
tio, ausgespart blieb eine Beschäftigung mit den verschiedenen Redege-
nera — genus iudiciale, genus deliberativum, genus demonstrativum — und
mit der Status- oder Stasislehre.
1
Vgl. in diesem Sinn u. a. W. Bühlmann/K. Scherer, Stilfiguren der Bibel. Ein kleines
Nachschlagewerk, BiBe 10, Fribourg 1973, oder, älteren Datums und auf das AT
beschränkt, E. König, Stilistik, Rhetorik, Poetik in Bezug auf die biblische Littcratur,
Leipzig 1900. Vgl. insgesamt D. F. Watson, The New Testament and Greco-Roman
Rhetoric: A Bibliography, JETS 31, 1988, 465-472; J. Lambrecht, Rhetorical Criti-
cism and the New Testament, Bijdr. 50, 1989, 239-253.
2
Vgl. z. B. A. Jülicher, Die Gleichnisreden Jesu. Erster Teil: Die Gleichnisreden Jesu
im allgemeinen (1886/88), Freiburg 21899; Repr. Tübingen 1910, Repr. Darmstadt
1969 u.o., 52f.69-73.
3
Eine frühe, eher unzulängliche Kritik bei P. Fiebig, Die Gleichnisreden Jesu im
Lichte der rabbinischen Gleichnisse des neutestamentlichen Zeitalters. Ein Beitrag
zum Streit um die »Christusmythe« und eine Widerlegung der Gleichnistheorie
Jülichers, Tübingen 1912, 119 — 222; meisterlich sodann E. Jüngel, Paulus und Jesus.
Eine Untersuchung zur Präzisierung der Frage nach dem Ursprung der Christologie,
HUTh2, 4 1972, 88-102.
15*
Die Situation hat sich in den letzten Jahren rasch, um nicht zu sagen
dramatisch verändert. Rhetorische Mittel werden verstärkt eingesetzt für
die Untersuchung von MikroStrukturen und mehr noch von Makrostruk-
turen neutestamentlicher Texte. Wesentliche Impulse dazu kommen aus
den USA. Einen inspirierenden Beitrag leistete Hans-Dieter Betz mit
seiner Auslegung des Galaterbriefes4. Er bestimmt den Galaterbrief als
apologetisches Schreiben, gliedert ihn analog zu einer Gerichtsrede in
exordium, narratio, propositio, probatio, exhortatio und conclusio oder
peroratio und versucht bei der Kommentierung, die rhetorische Strategie
des Briefes herauszuarbeiten. Dieser Vorstoß hat eine lebhafte Diskussion
ausgelöst, in der sich inzwischen die alternative Möglichkeit herausgeschält
hat, den Galaterbrief nicht als apologetische Gerichtsrede, sondern als
beratende Rede, als ein Stück deliberativer Rhetorik zu interpretieren5.
Ob die Grundlagenproblematik schon hinreichend ausdiskutiert wurde,
steht noch einmal auf einem anderen Blatt. Noch größer dimensioniert
ist das Unternehmen von Klaus Berger. Er hat eine Neukonzeption
der Formgeschichte vorgelegt6, in der er die Vielzahl neutestamentlicher
Gattungen entschlossen den drei grundlegenden Redesituationen zuord-
net. Er spricht folglich — in dieser Reihenfolge — von symbuleutischen,
epideiktischen und dikanischen Gattungen (symbuleutisch entspricht dem
genus deliberativum, der beratenden Rede vor der Volksversammlung,
epideiktisch dem genus demonstrativum, der preisenden Rede vor einer
Festmenge, und dikanisch dem genus iudiciale, der Verteidigungsrede vor
Gericht).
Die eigene Auseinandersetzung des Autors dieser Zeilen mit der
Rhetorik wurde nach ersten Kontaktnahmen im Umkreis der Gleichnis-
forschung7 erneut angestoßen und intensiviert durch die Arbeit am vierten
4
H. D. Betz, The Literary Composition and Function of Paul's Letter to the Gala-
tians, NTS 21, 1975, 353-379; ders., Galatians: A Commentary on Paul's Letter
to the Churches in Galatia, Hermeneia, 1979; davon eine deutsche Ausgabe: Der
Galaterbrief. Ein Kommentar zum Brief des Apostels Paulus an die Gemeinden in
Galatien, München 1988.
5
J. Smit, The Letter of Paul to the Galatians: A Deliberative Speech, NTS 35, 1989,
1—26. Vgl. auch G.W. Hansen, Abraham in Galatians. Epistolary and Rhetorical
contexts, JSNT.S 29, 1989, 58-60: Mischung von forensischer (bis 4,11) und delibe-
rativer (ab 4,12) Rhetorik. Schließlich noch F. Vouga, Zur rhetorischen Gattung des
Galaterbriefs, ZNW 79, 1988, 291 f., und Kennedy, Interpretation (s. Anm. 47)
144-152.
6
K. Berger, Formgeschichte des Neuen Testaments, Heidelberg 1984; vgl. ders.,
Hellenistische Gattungen im Neuen Testament, in: ANRW 11/25,2, 1984, 1031-
1432.1831 —1885. Allen Hinweisen auf die Johannesbriefe bei Berger bin ich nachge-
gangen, ohne sonderlichen Ertrag.
7
Vgl. H. J. Klauck, Allegorie und Allegorese in synoptischen Gleichnistexten (1978),
NTANF 13, 21986, 6F.39-53.
8
H. J. Klauck, Hellenistische Rhetorik im Diasporajudentum. Das Exordium des
vierten Makkabäerbuchs (4Makk 1.1-12), NTS 35, 1989, 451 -465; ders., 4. Mak-
kabäerbuch, JSHRZ III/6, 1989.
9
Vgl. nur als erste kurze Übersicht L H. Marshall, The Epistles of John, NIC, 1978,
22 — 27; als neuere monographische Behandlung P. J. van Staden, Die struktuur
van die eerste Johannesbrief, Diss. theol., University of Pretoria 1988 (mir durch
freundliche Vermittlung des Autors zugänglich in einer 42-seitigen englischen Fas-
sung). Dazu A. Jülicher/E. Fascher, Einleitung in das Neue Testament, GThW III/
l, 71931, 224: »Die zahllosen Versuche, in Uoh eine wohlüberlegte Disposition
nachzuweisen, haben das Verdienst, sich gegenseitig aufzuheben«; F. F. Segovia,
Recent Research in the Johannine Letters, Religious Studies Review 13, 1987, 132 —
139: 133: »no hope of a beginning resolution of this search«.
10
R. Bultmann, Die kirchliche Redaktion des ersten Johannesbriefes (1951), in: ders.,
Exegetica. Aufsätze zur Erforschung des Neuen Testaments, Tübingen 1967, 381 —
393: 381 f.
11 H. Windisch/H. Preisker, Die Katholischen Briefe, HNT 15, 31951, 107.
12
Jülicher, Einleitung (s. Anm. 9) 226.
13
G. Strecker, Die Johannesbriefe, KEK 14, 1989, 49 (im Orig. gesperrt). Vgl.
R. Schnackenburg, Die Johannesbriefe, HThK XIII/3, 71984, 2: »Letzthin bleibt
diese Art für uns ein Rätsel«; dort S. 3 auch Kritisches zur Hypothese eines Rund-
schreibens.
14
K. Grayston, The Johannine Epistles, NCeB, 1984, 4.
15
Vgl. R. E. Brown, The Epistles of John, AncB 30, 1982, 90 f.
16
So z. B. J. E. Belser, Die Briefe des heiligen Johannes, Freiburg 1906, 1.
17
So u.a. J.E. Huther, Kritisch exegetisches Handbuch über die drei Briefe des
Johannes, KEK 14, 21861, 33.
18
F. Youga, La reception de la theologie johannique dans les epitres, in: J. D. Kaestli/
J. Zumstein (Hg.), La communaute johannique et son histoire. La trajectoire de
l'evangile de Jean aux deux premiers siecles, Le Monde de la Bible, 1990, 283 —
von dieser Basis aus ohne langes Zögern hinüber zur Rhetorik: »Uepitre
est construite comme toute lettre raisonnable« (4), und das heißt mit
anderen Worten, seine Struktur, die sich auch in 2/3Joh wiederfinde,
»correspond, en fait, ä la disposition preconisee pour les discours delibera-
tifs par la rhetoric antique« (6). Uoh gehört somit zum genus deliberati-
vum, zum Bereich der beratenden Rede. Für die Bestimmung des Aufbaus
schlägt sich das, wenn wir das Briefpräskript in 1,1 —4 und den Briefschluß
in 5,13 — 21 beiseite lassen, folgendermaßen nieder:
(1) captatio benevolentiae — 1,5 — 2,17
(2) narratio - 2,18-27
(3) propositio — 2,28 — 29
(4) probatio - 3,1-24
(5) exhortatio - 4,1-21
(6) peroratio — 5,1 — 12
Zu den einzelnen Elementen (für die Näherbestimmung der Termino-
logie halte ich mich der Einfachheit halber im wesentlichen an Lausbergs
Handbuch19):
(1) Ein eigentliches exordium ist nicht ausgewiesen. Erfüllt das Brief-
präskript seine Funktion oder wurde es vom Briefpräskript formal gesehen
verdrängt? Oder sollte es doch eher in 1,5 —10 stecken (s. u.)? Die captatio
benevolentiae gehört an sich zu den Exordialtopoi20. Gerade in der Einlei-
tung, wenn irgendwo, erscheint das Bemühen, die Gunst des Lesers zu
gewinnen, besonders angebracht. Die captatio fallt bei Vouga für Uoh
aber reichlich lang aus. Eigentliche Momente einer capatio macht er auch
nur in 2,1 —17 fest und bezeichnet zwischendurch 1,5 —10 als »exposition«
(6). Die Werbemittel, die der Briefautor einsetzt, bestehen aus den Hinwei-
sen auf den besonderen Status seiner Adressaten: Sie haben die Möglich-
keit, sündlos zu leben, wenn sie die Gebote halten (2,1—6); sie kennen
das neue Gebot der Liebe schon seit altersher (2,7 — 11); sie sind von der
Sünde befreit und haben die Welt besiegt (2,12—17). Besser wäre es nach
dem Gesagten wohl, 1,5 —10 als exordium anzusehen, dem in 2,1 —17 eine
lange captatio beigegeben ist. Der ganze Abschnitt 1,5 — 2,17 bildet in der
eingangs skizzierten eigenen Gliederung den ersten der drei Blöcke des
302. Herrn Kollegen Vouga möchte ich herzlich dafür danken, daß er mir seinen
perspektivenreichen Aufsatz, dem ich im folgenden nicht völlig gerecht werden kann,
schon im Manuskript zur Benutzung überlassen hat. Seitenzahlen oben im Text
beziehen sich auf das Manuskript.
19
H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literatur-
wissenschaft, München 21973; weitere rhetorische Handbücher aus Antike und
Moderne bei Watson, New Testament (s. Anm. 1) 465 — 468, und bei Klauck,
Rhetorik (s. Anm. 8) 455 Anm. 1.3.
20
Lausberg, Handbuch, 156-160, §273-279.
Briefkorpus. Seine inneren Abschnitte würde ich eher angeben mit 1,5 —
2,2 (Im Lichte leben), 2,3-11 (Die Gebote halten) und 2,12-17 (Glau-
bensgewißheit und sittliche Verpflichtung).
(2) Die Aufgabe der narratio besteht in der Darlegung des Sachver-
haltes, was oft, daher der Name, in erzählender Form geschieht. Das ist
leicht einsichtig bei einer Gerichtsrede, wo der strittige Kasus erst einmal
rekapituliert werden muß, das allerdings nicht sine ira et studio, sondern
auf durchaus parteiische Weise. Hörer und Leser sollen von vornherein
für den eigenen Standpunkt gewonnen werden. Die narratio in l Joh 2,18 —
27 informiert uns über den betrüblichen Vorgang, der den Anlaß für das
Schreiben abgibt: »Aus unserer Mitte sind sie hinweggegangen ...« (2,19).
Das im Vollzug befindliche Schisma im Johanneischen Gemeindeverband
taucht am Horizont auf. Der Bericht wird vom Autor mit kräftiger
Polemik und mit Immunisierungsstrategien umgeben: Die Gegner sind
Antichristen, Lügner und Betrüger; sie haben nie wirklich zur Gemeinde
gehört. Die Adressaten sind im Besitz des heilsnotwendigen Wissens und
werden vom Geist in der Wahrheit gehalten.
(3) Die propositio definiert Lausberg im Anschluß an Quintilian so:
Sie »ist der gedankliche Kernbestand des Inhaltes der narratio«, erscheint
gern als deren Zusammenfassung am Ende und leitet die argumentatio
ein21. Hier fragt man sich nun doch schon mit mehr Nachdruck, wieso
l Joh 2,28 — 29 das inhaltlich gesehen leisten soll. Vouga sagt dazu nur:
»les destinataires sont invites a preserver le Statut d'election qui est le
leur, c'est-ä-dire a rester dans l'union des temoins« (7). Steht das so im
Text? Der Zusammenhang von 2,28 — 29 mit 3,1 — 10 dürfte außerdem
erheblich enger sein, als bei dieser Aufteilung sichtbar wird.
(4) Der Terminus probatio wird mehr oder weniger synonym mit
argumentatio verwendet. Auch confirmatio kommt vor22. Will man mit
Quintilian, InstOrat 111,9,1, unbedingt unterscheiden, dann ist die probatio
der positiv beweisende Teil der argumentatio, während die Aufgabe der
Widerlegung gegnerischer Argumente der refutatio zukommt. Der positi-
ven Beweisführung dient nach Vouga also l Joh 3,1—24, weil dort die
Gotteskindschaft der Glaubenden in Gegenwart und Zukunft, ihre Sünd-
losigkeit und ihre Praxis der Liebe ausformuliert wird. Wenn wir das mit
dem mehr traditionellen dreiteiligen Gliederungsvorschlag (s. o.) verglei-
chen, stellen wir fest, daß dort narratio, propositio und probatio zum
zweiten Hauptteil des Korpus zusammengefaßt erscheinen. Die Perikopen-
gliederung im Innern sieht aber an zwei Stellen anders aus. Daß 2,28 —
3,10 vermutlich doch enger zusammengehören, wurde schon angedeutet.
In 3,11 markiert der mit 1,5 parallel laufende Satzeingang
21
A.a.O., 189, § 346; vgl. Quint., InstOrat IV,4,5.
22
Vgl. die Synopse bei Lausberg, Handbuch, 148 f., § 262.
23
Vgl. Brown, Epistles (s. Anm. 15) 126.
24
Bei Lausberg, Handbuch, kommt nach Ausweis des Registers der Begriff nur ein
einziges Mal vor, nämlich 540, § 1120.
25
Galaterbrief (s. Anm. 4) 434.
26
Ebd., 2 f.
27
Aristot., Rhet 1,9 (1367b.36-1368a.37), und Cic., Or 11,37, sind schwerlich schla-
gende Gegenbeweise, dies zu Watson, Analysis of 3 John (s. Anm. 42) 494, und
Hansen, Abraham (s. Anm. 5) 60.230.
doch nicht so, daß man sich leichten Herzens dazu entschließen könnte,
ihn als Paränese einzustufen.
(6) Die peroratio faßt zusammen, wiederholt, unterstreicht; mit Quin-
tilian: Sie »frischt das Gedächtnis des Richters auf, stellt ferner den ganzen
Fall in einem Gesamtbild anschaulich vor Augen und zeigt seine Stärke
... in der gedrängten Übersicht«28. Gerade in der peroratio sollen alle
Schleusen der Beredsamkeit und der Affekterregung geöffnet werden29.
Teilweise Wiederholungen früherer Themen liegen in Uoh 5,1 — 12 vor:
Zeugung aus Gott, Erkennen, Glauben und Lieben, die Gebote halten
(5,1 — 3), ewiges Leben (5,11), das Haben oder Nichthaben des Sohnes
(5,12; vgl. 2,23). Zu den Affektmitteln mag man die triumphierende
Sprache von 5,4 — 5 rechnen: Der Glaube erringt den Sieg über die Welt.
Daneben taucht mit den Drei, die bezeugen (5,6 — 8), und dem Zeugnis
Gottes (5,9 — 10) ein in Grenzen (vgl. 1,2; 4,14) neues, für die Auslegung
außerordentlich heikles Thema auf. Nach Vouga ist es über die Evozierung
der sakramentalen Initiation in die johanneische Gemeinde mit früheren
Stellen (namentlich mit 2,20.27) verbunden. Daß wir uns mit 5,1 — 12 dem
Briefschluß nähern, liegt auf der Hand. Affinitäten zur peroratio wird
man daher konzedieren. Die dreiteilige Gliederung faßt 4,1 — 5,12 als
dritten Hauptteil zusammen. Als größere Abschnitte sind herauszustellen:
4,1 —6 (Wo sich die Geister scheiden), 4,7 — 21 (Das Hohelied der Liebe)
und 5,1 — 12 (Zeugnis für den Glauben). Auch hier gewinnt 5,1 — 12 ein
gewisses Eigengewicht.
Im Rückblick wird man sagen müssen, daß der Erkenntnisgewinn,
den eine rhetorische Analyse der Makrostruktur des Uoh bringt, nicht
überwältigend ausfällt. Manche Etikettierungen und Zuordnungen bleiben
problematisch. Zusammenhängendes wird teils auseinandergerissen. Ob
das prinzipielle Gründe hat oder ob es mehr an einer noch zu mechani-
schen Handhabung der Methode liegt, wage ich im Moment nicht zu
entscheiden. Konvergenzen sehr allgemeiner Art ergeben sich am ehesten
noch im Bereich der klassischen Aufbauelemente exordium, narratio, argu-
mentatio und peroratio', aber führt das sonderlich weit über die Feststellung
hinaus, daß geordnete sprachliche Äußerungen normalerweise eine Einlei-
tung, eine Themenformulierung, eine Durchführung und einen Schluß
aufweisen? Nicht integriert wird im übrigen der den brieflichen Formalien
zugerechnete Eingangs- und Schlußteil (1,1-4; 5,13-21).
30
D. F. Watson, l John 2.12-14 äs Distributio, Conduplicato, and Expolitio: A
Rhetorical Understanding, JSNT 35, 1989, 97-110. Die Seitenzahlen oben im Text
beziehen sich auf diesen Aufsatz.
31
Lausberg, Handbuch, 340 f., § 675; vgl. auch 338, § 671, und Rhet ad Her IV,35,47;
Quint., InstOrat IX,1,30; IX,2,2.
32
Rhet ad Her IV,28,38; vgl. Lausberg, Handbuch, 311, § 612 (und 314f., § 619-622,
zur reduplicatio).
vergleiche man z. B. V. 13b mit V. 14d, V. 13d mit V. 14h, das dreimalige
γράφω bzw. έγραψα usw. Dennoch wird auch variiert: Aus den τεκνία in
V. 12a werden in V. 14a die παιδία. Die strukturell verwandten Begr n-
dungss tze in V. 12b und V. 14b unterscheiden sich inhaltlich. Am Schlu
finden sich in V. 14fg zwei bersch ssige Zeilen. Das nennt die Rhetorik-
tradition eine expolitio. Sie »ist die Auslegung ... eines Gedankens ...
durch Ab nderung ... der sprachlichen Formulierung ... und der zum
Hauptgedanken ... geh renden Nebengedanken«33.
Watson entdeckt noch eine Reihe von weiteren Stilfiguren. Die Wieder-
holungen von γράφω ΟμΤν und έγραψα ύμΐν bilden eine epanaphora oder
Anapher34. Die verschiedenen Formen von πατήρ, n mlich πατέρες in
V. 13a/14c und πατέρα in V. 14b, mit unterschiedlichen Referenten, ist als
traductio zu bezeichnen35. Eine Synonymie36 wird durch das Nebeneinander
von τεκνία V. 12a und παιδία V. 14a erzielt. Auf eine Paronomasie37 sto en
wir in V. 14e und V. 14h: νεανίσκοι ... νενικήκατε. Die Apostrophierung des
Teufels als »der B se« in V. 13d/14h ist ein Beispiel f r eine Metonymie38,
und die Rede vom Sieg ber das B se impliziert eine Metapher39 aus
dem Bildfeld des Krieges (oder des Sports). Die Stilbeschreibung mittels
rhetorischer Begrifflichkeit erreicht allm hlich eine mikroskopische Ge-
nauigkeit. Grunds tzliche methodische Einw nde sind gegen diese soliden
Untersuchungen nicht zu erheben. Die leichte Gefahr, die zu versp ren ist,
m chte ich in die etwas berspitzte Frage kleiden: Droht der Auslegungsvor-
gang selbst nicht in einer Orgie der Terminologie zu ersticken?
Die Funktion von 2,12 — 14 im Kontext bestimmt Watson als digres-
sio. Damit sind wir wieder bei der Makrostruktur, rhetorisch bei der
inventio und der dispositio. Eine digressio kann als exkursartiger Einschub
nach Lausberg40 in alle Redeteile eingebaut werden. In Uoh 1 — 2 dient
sie in Watsons Sicht als Abschlu einer probatio, einer Beweisf hrung mit
Argument und Gegenargument, die in 1,5 bis 2,11 abgewickelt wurde.
Ihre besondere Aufgabe: »this digressio praises the audience in glowing
terms« (106). Das h rt sich nach einer captatio benevolentiae an, obwohl
Watson diesen Terminus — bewu t? — nicht gebraucht. Leider weitet
Watson seine Beobachtungen nicht auf Uoh insgesamt aus. An dieser
33
A.a.O., 413, § 830; die ganze Behandlung der expolitio erstreckt sich ber die §§
830-842.
34
A.a.O., 318f., §629f.
35
A.a.O., 333, § 658: Sie »umfa t auch die Wiederholung nur scheinbar gleicher
Wortk rper mit durchaus verschiedener Bedeutung«.
36
A.a.O., 329-332, § 649-656.
37
A.a.O., 322-325, § 637-639.
38
A.a.O., 292-295, § 565-571.
39
A.a.O., 285-291, § 558-564.
4
<> A.a.O., 187f., §340-342.
41
Vgl. nur R. W. Funk, The Apostolic Presence: John the Elder, in: ders., Parables
and Presence. Forms of the New Testament Tradition, Philadelphia 1982, 103 — 110
= The Form and Structure of II and III John, JBL 86, 1967, 424-430; J. Lieu,
The Second and Third Epistles of John: History and Background, Studies of the
New Testament and Its World, 1986, 37-51.
42
D. F. Watson, A Rhetorical Analysis of 2 John according to Greco-Roman Conven-
tion, NTS 35, 1989, 104-130; ders., A Rhetorical Analysis of 3 John: A Study in
Epistolary Rhetoric, CBQ 51, 1989, 479-501; Seitenzahlen oben im Text beziehen
sich auf diese beiden, durch unterschiedliche Paginierung leicht voneinander zu
unterscheidenden Aufsätze. Vgl. zum Vorgehen und seiner methodologischen Fundie-
rung auch D. F. Watson, Invention, Arrangement, and Style: Rhetorical Criticism
of Jude and 2 Peter, SBLDS 104, 1988.
43
Summarisch seien einige hilfreiche neuere Arbeiten genannt: W. G. Doty, Letters in
Primitive Christianity, Guides to Biblical Scholarship, New Testament Series, 31979;
C. H. Kim, Form and Structure of the Familiar Greek Letter of Recommendation,
SBLDS 4,1972; H. Koskenniemi, Studien zur Idee und Phraseologie des griechischen
Zur Hauptsache muß der strukturierte Text der beiden Briefe für sich
selbst sprechen (vgl. die folgende Textsynopse auf S. 218 — 220).
Einige Anmerkungen nur zu der schematischen Darstellung: Beide
Briefe setzen mit einem Präskript ein. In 3Joh l weist es nur superscriptio
und adscriptio mit einem kurzen Zusatz auf. In 2Joh l —2 ist dieser Zusatz
bei Absender- und Adressatenangabe weiter ausgestaltet, und es tritt mit
V. 3 eine längere salutatio hinzu. Das Proömium besteht in beiden Fällen
aus einer Freudenäußerung, wie sie im reichen Vergleichsmaterial als
Brieftopos bestens belegt ist. 3Joh 2 bietet darüber hinaus noch einen
gleichfalls stereotypen Wohlergehenswunsch. Das Briefkorpus umfaßt
2Joh 5 — 10 und 3 Joh 5 — 12. Als Überleitung fungiert eine mit Begründun-
gen versehene briefliche Bitte, in 2Joh 5 mit eingeleitet und in
44
3Joh 6 kenntlich an dem klischeehaften $ . Die eigentliche
Information findet sich im 2Joh in V. 7, der vom Auftreten der Irrlehrer
spricht. Dem läßt sich — was den Informationsgehalt angeht, nicht hin-
sichtlich der Wertung — in 3Joh die Nachricht über die durch das seltsame
Verhalten des Diotrephes eingetretenen Kommunikationsstörungen an
die Seite stellen (V. 9-10). Mit 2Joh 8-9 und 3Joh 11 schließen sich
paränetische Momente an. Den je eigenen Akzent, der jedem der beiden
Briefe sein besonderes Charakteristikum verleiht, enthält 2Joh 10 — 11 und
3Joh 12. In 2Joh gibt der Autor die klare Anweisung, Irrlehrer nicht ins
Haus aufzunehmen, sie nicht einmal zu grüßen. In 3Joh empfiehlt er den
Demetrius und legt indirekt nahe, ihm gastfreundliche Aufnahme zu
gewähren. Der Briefschluß beginnt in 2Joh 12 und 3Joh 13 — 14 mit der
sprachlich parallel gehaltenen Ankündigung eines geplanten Besuches —
Dutzendware, wenn man so will, in Privatbriefen. Als Schlußgruß genügt
in 2Joh 13 eine einzige Zeile vom »third-person-type«45 (der Briefautor
gibt Grüße von dritter Seite an die Adressaten weiter). So auch 3Joh
15b, doch geht dort ein Friedenswunsch voraus, und es folgt noch ein
Grußauftrag vom »second-person-type«46 (der Adressat soll Grüße des
Briefautors an Personen in seiner Umgebung ausrichten).
Briefes bis 400 n.Chr., AASF B/102,2, 1956; A. J. Malherbe, Ancient Epistolary
Theorists, SBL.SBibSt 19, 1988; F. Schnider/W. Stenger, Studien zum neutestament-
lichen Briefformular, NTTS 11,1987; S. K. Stowers, Letter Writing in Greco-Roman
Antiquity, Library of Early Christianity 5, 1986; J. L. White, Light from Ancient
Letters, Foundations and Facets, 1986; s. auch die folgende Anmerkung.
44
Vgl. H. A. Steen, Les cliches epistolaires dans les lettres sur papyrus grecques, CM 1,
1938, 119-176: 138-152.
45 T. Y. Muffins, Greeting as a New-Testament-Form, JBL 87, 1968, 418-426: 421 f.
46 A.a.O., 420f.
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2/3Joh »conform more closely to ancient epistolary format than any other
NT epistles. In the ancient world rhetorical theory and epistolary theory
were not integrated«; deshalb sein Vorsatz: »Wherever possible in the
analysis I will integrate epistolary and rhetorical theory« (104). Die rheto-
rische Analyse wird im Anschluß an die von George Kennedy47 entwickelte
Methodik durchgeführt. Sie umfaßt folgende fünf Schritte: (1) Abgrenzung
der rhetorischen Einheit; (2) Beschreibung der rhetorischen Situation;
(3) Bestimmung des Redegenus, der Fragestellung und des Status bzw.
der Stasis; (4) Analyse von inventio, dispositio und elocutio; (5) Bewertung
der Rhetorik. Wir konzentrieren uns auf den vierten Punkt, das Herzstück
der Analyse auch bei Watson. Die Abgrenzung der beiden Einheiten,
2Joh und 3Joh, bereitet keine Schwierigkeiten. Die Beschreibung der
rhetorischen Situation arbeitet mit dem Material, das wir auch sonst in
der Exegese verwenden, wenn es um Sitz im Leben, Gemeindesituation,
Abfassungsverhältnisse und Abfassungszweck eines Briefes geht. Im Rück-
griff auf die Brieftheorie wird 2Joh von Watson als paränetischer Brief
mit Zügen anderer Brieftypen klassifiziert, 3Joh als Mischform aus
Freundschaftsbrief, Bittbrief, paränetischem Brief, Empfehlungsbrief,
preisendem Brief und tadelndem Brief. 2Joh gehört zum deliberativen,
3Joh zum epideiktischen Redegenus. Beim Status geht es um die Haupt-
frage, die einem Fall zugrundeliegt und von der bei seiner Behandlung
folglich auszugehen ist48. Für 2Joh und 3Joh kommt nur der status
qualitatis in Frage49; zur Debatte steht im einen Fall die Qualität der
Christologie, im anderen Fall die Qualität der Gastfreundschaft. Damit
zum Kernbestand der Analyse, überschrieben mit »Invention, Arran-
gement, and Style« (110 — 129 bzw. 485 — 500). Die Ergebnisse vorweg in
vergleichender Übersicht:
2Joh 3Joh
(1) exordium: V. 4 (V. l -3) V. 2-4 (V. 1)
(2) narratio: V. 5 V. 5-6
(3) probatio: V. 6 -11 V. 7 -12
(4) peroratio: V. 12 (V. 13) V. 13-14 (V. 15)
(1) Im 2Joh übernimmt V. 4 die Aufgabe eines Exordiums. Das
Hauptthema wird angegeben: Gehorsam gegenüber der Wahrheit. Mit
dem Gebot wird in V. 4d ein wichtiges Stichwort für das Folgende bereitge-
stellt. Der Genitiv ist nach Watson mit der Minderheits-
47
G. Kennedy, New Testament Interpretation Through Rhetorical Criticism, Chapel
Hill 1984; weitere einflußreiche Arbeiten dieses Autors bei Watson, New Testament
(s. Anm. 1) 466 .469, und bei Klauck, Rhetorik (s. Anm. 8) 455 Anm. 3 und 457
Anm. 1.
48
Vgl. Lausberg, Handbuch, 64, § 79.
49
A.a.O., 81 f., § 123-130.
16*
fraktion unter den Kommentatoren, der ich mich selbst aber zurechnen
möchte, so zu verstehen, daß nur ein Teil der Kinder der auserwählten
Herrin noch in der Wahrheit wandelt, andere aber nicht mehr. In einem
Exordium überraschen solche negativen Untertöne nicht. Im ganzen erfüllt
V. 4 die traditionelle Aufgabe eines Exordiums, »den Hörer wohlwollend,
gespannt und aufnahmebereit zu machen«50. Das Wohlwollen erreicht
der Autor vor allem durch die Betonung seiner Freude in V. 4a. Eine
Annäherung an die Brieftheorie nimmt Watson dadurch vor, daß er auf die
schon länger festgestellte Nähe von V. 4 zu einer brieflichen Danksagung
zurückgreift ( ist funktional äquivalent mit ). Außer-
dem versucht er in einem weiteren Schritt, auch das Präskript V. l — 3 in
seiner Funktion als exordium zu bestimmen, ohne es direkt als Bestandteil
des Exordiums zu bezeichnen. Dem Präskript exordiale Aufgaben zuzuwei-
sen fällt nicht sonderlich schwer, weil dort mit den Begriffen Wahrheit
und Liebe, die sich hindurchziehen, die theologische Substruktur des
Folgenden schon angesprochen wird und ein metaphorisches Sprachspiel
die freundschaftliche Relation des Presbyters zu der auserwählten Herrin
und ihren Kindern, das heißt zu der Gemeinde, bereits etabliert. Was 3Joh
angeht, ist zu begrüßen, daß Watson gegen zahlreiche Ausleger V. 2 —4
zusammenfaßt und von V. l abhebt. Der Wohlergehenswunsch gehört in
3Joh nicht mehr zum Präskript — dagegen spricht u.a. die Anrede
»Geliebter« in V. 2a —, sondern mit der Freudenäußerung zusammen
zum Briefproömium, bei Watson zum exordium. Daß die Verse 2 —4 in
3Joh Topoi des Briefkorpus vorwegnehmen und zugleich eine captatio vor
der Person des Gaius darstellen, ist ohne weiteres einsichtig. Aber das hat
auch die Brieftheorie immer schon vom Briefproömium gesagt. Auch
zu 3Joh unterbreitet Watson den Vorschlag, das offenkundig doch eher
störende Präskript V. l als ein exordium aufzufassen. An Stilfiguren ent-
deckt er im doppelten exordium von 2Joh und 3Joh u. a. wieder (s. o. zu
Uoh 2,12—14) traductio, conduplicatio und expolitio, daneben Metapher
und Paronomasie.
(2) Die narratio, die in deliberativer und epideiktischer Rhetorik im
übrigen nicht unbedingt erforderlich wäre, umfaßt in 2Joh nur V. 5, in
3Joh V. 5 - 6 (m. E. müssen im 2Joh V. 5 — 6 zusammengenommen werden,
aber Watson wendet sich ausdrücklich gegen diese Einteilung, s. 120
Anm. 6; in 3Joh haben wir oben V. 5 —8 als Einheit ausgegrenzt). Es
verwundert schon etwas, die briefliche Bitte als narratio wiederzufinden.
Restlos überzeugend wirken die Begründungen für die Eruierung der
narratio bei Watson denn auch nicht. In 2Joh 5 werde, so Watson, präzise,
kurz, klar und plausibel — alles Forderungen, die an eine narratio zu
stellen sind — der Kasus des Schreibens genannt: Wir sollen einander
50
Quint., InstOrat IV,l,5: si benevolum, attentum, docilemfecerimus.
51
Lausberg, Handbuch, 385, § 782.
52
A.a.O., 220-227, § 400-409.
53
A.a.O., 411-413, §826-829.