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JHWH, Erschaffer des Himmels


Zu Herkunft und Bedeutung eines monotheistischen Kernarguments1

von

Friedhelm Hartenstein
University of Nebraska-Lincoln 88.2.238.173 Fri, 30 Oct 2015 02:48:46

1. Der Himmel in der Geschichte alttestamentlicher Schöpfungsaussagen

1.1. Das relativ späte Aufkommen expliziter Schöpfungstheologien

In unseren Gottesdiensten bekennen wir mit den Worten des Apostolikums


oder des Nicäno-Konstantinopolitanums den Glauben an »Gott, den Vater, den
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Allmächtigen, Schöpfer des Himmels und der Erde«. Das damit Gemeinte, die
Erschaffung und Erhaltung der ganzen Wirklichkeit, der »sichtbaren und un-
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sichtbaren Welt« (Kol 1,16), durch den einen Gott war seit den neutestament-
lichen Texten ein zentrales Element christlichen Selbstverständnisses. Dass der
Gott Jesu Christi und der Gott Israels von der Welt zu unterscheiden ist und zu-
gleich in ihr rettend und erhaltend wirkt, gehört zu den grundlegenden mono-
theistischen Verbindungslinien der zweiteiligen christlichen Bibel.2 Die histo-
risch-kritische Forschung hat sich der Vielfalt der Schöpfungsaussagen im Alten
Testament vor allem in religionsvergleichender und historisch-genetischer Per-
spektive zugewandt.3 Die Rede von JHWHs Leben ermöglichendem Handeln
konnte in die Kontexte antik-orientalischer Weltverständnisse eingeordnet wer-
den. Literarhistorisch ist es so, dass explizite Schöpfungstheologien, die vor allem
anfängliche Taten JHWHs bedenken, erst zu den relativ späten Erscheinungen
alttestamentlicher Rede von Gott gehören.4 Es sind nicht zufällig Deuterojesaja

1
Vortrag am 30. April 2013 im Rahmen der akademischen Feier zum 70. Geburtstag
von Bernd Janowski an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen (der Vortragsstil wur-
de beibehalten).
2
Vgl. M. Ebner u. a. (Hg.), Der Himmel (JBTh 20), 2006; darin aus systematisch-
theologischer Perspektive M. Welker, Schöpfung des Himmels und der Erde, des Sicht-
baren und des Unsichtbaren (in: aaO 313–323).
3
Vgl. O. Keel / S. Schroer, Schöpfung. Biblische Theologien im Kontext altorien-
talischer Religionen, 2002; K. Schmid (Hg.), Schöpfung (Themen der Theologie 4), 2012.
4
Vgl. etwa J. Jeremias, Schöpfung in Poesie und Prosa des Alten Testaments. Gen
1–3 im Vergleich mit anderen Schöpfungstexten des Alten Testaments (in: I. Balder-
mann u. a. [Hg.], Schöpfung und Neuschöpfung [JBTh 5], 1990, 11–36); R. G. Kratz /

ZThK 110, 383–409 – DOI: 10.1628/004435413X13835622623311


ISSN 0044-3549 – © Mohr Siebeck 2013
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und die Priesterschrift, deren Grundschichten aus der zweiten Hälfte des 6. bis
ins 5. Jahrhundert v. Chr. datieren, in denen sich prominent Weltschöpfungs-
aussagen finden. Mit ihrer Hilfe wurde – nicht ohne ältere Vorläufer – die neu
gewonnene monotheistische Gotteserkenntnis vertieft. Es ist die Einsicht in die
uranfänglichen Taten JHWHs im Blick auf die Welt und die Menschheit, die ge-
schichtliche Umbrüche nun erstmalig so zu lesen erlaubte, dass Israel als her-
ausgehobener Teil der Völkerwelt erschien, dessen Ergehen in einem zuletzt um-
fassenden Bezugsrahmen verstanden werden sollte. JHWHs Geschichtsmacht,
wie sie langzeitig in den schriftprophetischen Büchern wahrgenommen wurde,
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erschien nun als die andere Seite seines Schöpferhandelns.5 Die Gesamtwelt, für
die der Gott Israels sorgt und die er lebensförderlich eingerichtet hat, bildete die
Bühne für sein auch an Verstehensgrenzen führendes Handeln. Letzteres wurde
nun nicht mehr nur als Ausdruck des Rettungswillens JHWHs für die Seinen
vorgestellt, sondern auch als Zuwendung des Schöpfergottes zu allen Geschöp-
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fen. Sei es die kosmische Ordnung, die in der Priesterschrift nach der Sintflut aus
dem schöpferischen »Gedenken« Gottes heraus weiter existiert (Gen 9,15, vgl.
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8,1 [Nicht-»P«])6, oder sei es die Rolle Israels als »Zeuge« im Weltgeschehen
(Jes 43,10.12; 44,8), die sich für die Grundschicht Deuterojesajas mit dem Auf-
stieg des Kyros verband.7 In beiden Fällen dient nicht zufällig zur Begründung
monotheistischer Aussagen über das Gotteshandeln in der Geschichte aus-
drücklich die Weltschöpfung, oft betont die des Himmels.

1.2. JHWH als »Gott des Himmels« und der Wandel der Weltbilder

Es ist lange gesehen worden, dass sich die Belege für das hebräische Wort für
den »Himmel« šāmajim nicht gleichmäßig über alle Text- und Traditionsberei-
che des Alten Testaments verteilen. Vielmehr gibt es eine signifikante Zunahme

H. Spieckermann, Art. Schöpfer / Schöpfung II., TRE 30, 258–283; K. Schmid, Schöp-
fung im Alten Testament (in: Ders., Schöpfung [s. Anm. 3], 71–120).
5
Vgl. F. Hartenstein, Zur Bedeutung der Schöpfung in den Geschichtspsalmen (in:
R. Achenbach / M. Arneth [Hg.], »Gerechtigkeit und Recht zu üben« [Gen 18,19].
Studien zur altorientalischen und biblischen Rechtsgeschichte, zur Religionsgeschichte
Israels und zur Religionssoziologie, FS E. Otto [BZAR 13], 2009, 335–349).
6
Vgl. dazu B. Janowski, Schöpferische Erinnerung. Zum »Gedenken Gottes« in der
biblischen Fluterzählung (in: Ders., Die Welt als Schöpfung. Beiträge zur Theologie des
Alten Testaments 4, 2008, 172–198).
7
Vgl. R. G. Kratz, Kyros im Deuterojesaja-Buch. Redaktionsgeschichtliche Unter-
suchungen zu Entstehung und Theologie von Jes 40–55 (FAT 1), 1991, 148–174; C. Eh-
ring, Die Rückkehr JHWHs. Traditions- und religionsgeschichtliche Untersuchungen
zu Jesaja 40,1–11, Jesaja 52,7–10 und verwandten Texten (WMANT 116), 2007, 208–219.
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der Nennungen in exilisch-nachexilischen Texten. Ab der Perserzeit findet sich


außerdem in Schriften wie Esra und Nehemia, der Chronik, Jona oder Daniel
die Bezeichnung JHWHs als »Gott des Himmels«, besonders im Umgang mit
Vertretern anderer Völker.8 Schon Karl Budde hatte den »Gott des Himmels«
einst in seiner Marburger Rektoratsrede von 1910 als eine Neuerung des
JHWH-Glaubens ab der assyrischen Zeit (7. Jahrhundert v. Chr., Manasse) be-
tont herausgestellt und als religionsgeschichtlich »eigentliche Wesensbezeich-
nung Jahwes«9 erklärt. Die spätere überlieferungs- und traditionsgeschichtliche
Forschung rechnete dann eher damit, dass sich eine so grundlegende Vorstel-
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lung wie der Himmelsbezug einer Gottheit kaum datieren lässt, weshalb alte
und junge Aussagen in den biblischen Texten in dieser Hinsicht nur schwer zu
trennen seien.10 Die neueste Forschung zum »Himmel« im Alten Testament hat
versucht, literarhistorische und religionsgeschichtliche Erkenntnisse möglichst
präzise aufeinander zu beziehen und jeweils historische Kontexte zu erhellen.11
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Dabei ist deutlich geworden, dass man sehr genau zeigen muss, was für ein Kon-
zept vom »Himmel« jeweils in den biblischen Texten vorliegt. Es gab nicht das
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eine »biblische Weltbild«. Wohl aber gab es übergreifende Wandlungen. Reli-


gionsgeschichtlich partizipierten die eisenzeitlichen Staaten des alten Palästina

8
Siehe dazu jüngst S. Grätz, Jhwh, der Gott des Himmels. Erwägungen zu einer
alttestamentlichen Vorstellung (in: A. Berlejung / R. Heckl [Hg.], Ex oriente Lux. Stu-
dien zur Theologie des Alten Testaments, FS R. Lux [Arbeiten zur Bibel und ihrer Ge-
schichte 39], 2012, 407–417).
9
K. Budde, Auf dem Wege zum Monotheismus. Rektoratsrede, gehalten am 16. Ok-
tober 1910 (MAkR 24), 1910, 13.
10
Vgl. C. Houtman, Der Himmel im Alten Testament. Israels Weltbild und Welt-
anschauung (OTS 30), 1993, der bezweifelt, »daß in Israel die Vorstellung, daß JHWH
im Himmel seinen Sitz hat, in späterer Zeit stärker in den Mittelpunkt des Interesses
gerückt sei« (363). Derzeit rekonstruiert vor allem Othmar Keel für den Jerusalemer Kö-
nigsgott JHWH bereits ab der EZ II A solare und uranische Züge (Amalgam mit einer
älteren Jerusalemer Sonnengottheit) und deutet die Tempelsymbolik entsprechend; vgl.
zusammenfassend O. Keel, Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des Mono-
theismus 1–2 (OLB 4/1–2), 2007, Bd. 1, 264–330.
11
Vgl. B. Ego, Von der Jerusalemer Tempeltheologie zur rabbinischen Kosmologie.
Zur Konzeption der himmlischen Wohnstatt Gottes (Forschungsstelle Judentum. Theo-
logische Fakultät Leipzig. Mitteilungen und Beiträge 12/13), 1997, 36–52; Dies., »Der
Herr blickt herab von der Höhe seines Heiligtums«. Zur Vorstellung von Gottes himmli-
schem Thronen in exilisch-nachexilischer Zeit (ZAW 110, 1998, 556–569); F. Harten-
stein, Die Unzugänglichkeit Gottes im Heiligtum. Jesaja 6 und der Wohnort JHWHs in
der Jerusalemer Kulttradition (WMANT 75), 1997; Ders., Wolkendunkel und Himmels-
feste. Zur Genese und Kosmologie der Vorstellung des himmlischen Heiligtums JHWHs
(in: B. Janowski / B. Ego [Hg.], Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kon-
texte [FAT 32], 2001, 125–179); K. Schmid, Himmelsgott, Weltgott und Schöpfer. »Gott«
und »Himmel« in der Zeit des Zweiten Tempels (in: Ebner u. a. [s. Anm. 2], 111–148).
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und ihre Nachfolger unter Persern, Griechen und Römern an Veränderungen,


die man als Astralisierung bzw. Uranisierung und als Solarisierung des Gottes-
verständnisses beschrieben hat.12 Als »höchster Gott« galt in der zweiten Hälfte
des 1. Jahrtausend v. Chr. in der Region zunehmend ein universaler Himmels-
baal (Ba‘alšamem / Ba‘alšamin)13, und der Bedeutung der Himmelsbewegungen
für Kalender, Zeitrechnung und Divination wurde in den altorientalischen Kul-
turen der »Achsenzeit« noch größere Aufmerksamkeit zuteil als zuvor (unter
anderem Entdeckung der mathematischen Vorhersage von Eklipsen etc.).14
Auch die Vorstellungen von JHWH hatten Teil an diesen Veränderungen.
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Sein himmlischer Wohnsitz, zuvor vor allem mit dem meteorologischen Him-
mel und seinem bergeshoch aufragenden Thron in der Weltmitte verbunden
(ältere staatliche Jerusalemer Tempeltheologie), bekam ab der exilischen Zeit
immer transzendentere Züge. Der himmlische Wohnort Gottes wurde deutlich
gegenüber irdischen Präsenzformen profiliert und seine weltüberlegene Posi-
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tion wurde zu einem bewussten »Transzendenzmarker« theologischer Argu-


mentation (vgl. etwa Dtn 4; Ps 2; 103–104 und andere).15 Wie insbesondere
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Rüdiger Bartelmus in einem materialreichen Artikel zum »Himmel« im Theo-

12
Vgl. H. Niehr, Der höchste Gott. Alttestamentlicher JHWH-Glaube im Kontext
syrisch-kanaanäischer Religion des 1. Jahrtausends v. Chr. (BZAW 190), 1990; K. Koch,
Ḫazzi–Ṣafôn–Kasion. Die Geschichte eines Berges und seiner Gottheiten (in: Ders., Der
Gott Israels und die Götter des Orients. Religionsgeschichtliche Studien II [FRLANT
216], 2007, 119–170). – Zur Debatte um eine »Solarisierung« JHWHs vgl. neben Keel
(s. Anm. 10) zusammenfassend B. Janowski, JHWH und der Sonnengott. Aspekte der
Solarisierung JHWHs in vorexilischer Zeit (in: Ders., Die rettende Gerechtigkeit. Bei-
träge zur Theologie des Alten Testaments 2, 1999, 192–219); M. Leuenberger, Die So-
larisierung des Wettergottes Jhwh (in: Ders., Gott in Bewegung. Religions- und theolo-
giegeschichtliche Beiträge zu Gottesvorstellungen im alten Israel [FAT 76], 2011, 34–71).
13
Vgl. W. Röllig, Art. Baal-Shamem, DDD2, 149–151.
14
Zum von Karl Jaspers geprägten Stichwort der »Achsenzeit« in kulturwissen-
schaftlicher Perspektive vgl. S. N. Eisenstadt (Hg.), Kulturen der Achsenzeit 1/1–2:
Ihre Ursprünge und ihre Vielfalt (stw 653), 1987; Ders. (Hg.), Kulturen der Achsenzeit
2/1–3: Ihre institutionelle und kulturelle Dynamik (stw 930), 1992; zur Entwicklung der
Astronomie und Astrologie und zu den Transformationen ab der Mitte des 1. Jahrtausends
v. Chr. vgl. als Überblick B. L. van der Waerden, Erwachende Wissenschaft 2: Die An-
fänge der Astronomie (Wissenschaft und Kultur 23), 21980, 204–289; F. Rochberg, As-
tronomy and Calendars in Ancient Mesopotamia (in: J. M. Sasson [Hg.], Civilizations of
the Ancient Near East III–IV, 2000, 1925–1940), 1932–1940 (Late Period: ab 600 v. Chr.).
15
Vgl. Hartenstein, Wolkendunkel (s. Anm. 11); Ders., Die unvergleichliche »Ge-
stalt« JHWHs. Israels Geschichte mit den Bildern im Licht von Dtn 4,1–40 (in: B. Ja-
nowski / N. Zchomelidse [Hg.], Die Sichtbarkeit des Unsichtbaren. Zur Korrelation
von Text und Bild im Wirkungskreis der Bibel [Arbeiten zur Geschichte und Wirkung
der Bibel 3], 2003, 49–77), 59–63; F. Hartenstein / B. Janowski, Psalmen (BK 15 /
1.1–2), 2012/2014, 55ff (zu Ps 2).
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logischen Wörterbuch zum Alten Testament dargelegt hat, ist es hier heuristisch
sinnvoll zwischen einem älteren, stärker westsemitisch / kanaanäisch geprägten
Weltbild und einem jüngeren, stärker mesopotamisch geprägten Weltbild im Al-
ten Testament zu unterscheiden.16 Dabei lösen beide sich nicht einfach ab, son-
dern können im Sinne einer »multiplicity of approaches« auch nebeneinander
stehen. Der palästinische Gott JHWH durchlief jedenfalls im 1. Jahrtausend
v. Chr. eine Metamorphose vom Wettergott zum Schöpfergott und Einzigen.17
Dabei hob sich die eine Charakteristik nicht in der anderen auf. So blieb im
Alten Testament etwa in der weisheitlichen Kosmologie die bewundernswerte
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Einrichtung des Wasserkreislaufs (eine Wettergotttradition) auch schöpfungs-


theologisch ein zentraler Gegenstand des reflektierten Gotteslobs (z. B. in
Ps 104, siehe 4.3.). Dass speziell die Erschaffung des Himmels eine wichtige
Funktion für die monotheistische Gotteskonzeption hat, ja, dass es sich um ein
»Kernargument« für diese handelt, möchte ich im Weiteren in einem Durchgang
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durch biblische Texte und altorientalische Aussagen zeigen. Ich stelle dazu zu-
nächst die Befunde zu JHWH als Erschaffer des Himmels in einer Kurzüber-
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sicht dar (2.), blicke dann auf altorientalische Aussagen zur Himmelsentstehung
(3.) und vergleiche abschließend einschlägige Passagen aus Deuterojesaja, Pries-
terschrift, Weisheit und Psalmen (4.).

2. Der alttestamentliche Befund zu JHWH


als Erschaffer des Himmels im Überblick

Nachdem explizite Schöpfungstheologien nach heutiger Einsicht erst ab der


Exilszeit hervortraten, verwundert es nicht, dass die Rede von der Erschaffung
des Himmels im Licht der Literaturgeschichte des Alten Testaments ausschließ-
lich exilisch-nachexilischen Kontexten vorbehalten ist. Sie findet sich neben der
Priesterschrift in der Schriftprophetie, vor allem in Deuterojesaja, den Psalmen
(überwiegend 4. und 5. Psalmenbuch) und der späten Weisheit (Spr 1–9; Hiob-
buch). Für die Bedeutung der Belege ist die Frage wichtig, ob der »Himmel« –
so weitaus am häufigsten – als Teilelement eines polaren Ausdrucks für Welt im

16
R. Bartelmus, Art. ‫ שמים‬šāmajim, ThWAT 8, (204–239) 211–215 (zu den ver-
schiedenen Weltbildern; Kurzfassung: Ders., šāmajim – Himmel. Semantische und tra-
ditionsgeschichtliche Aspekte [in: Janowski / Ego (s. Anm. 11), 87–124]).
17
Vgl. F. Hartenstein, Wettergott – Schöpfergott – Einziger. Kosmologie und
Monotheismus in den Psalmen (in: Ders. / M. Rösel [Hg.], JHWH und die Götter der
Völker. Symposium zum 80. Geburtstag von K. Koch, 2009, 77–97); S. Petry, Die Ent-
grenzung JHWHs. Monolatrie, Bilderverbot und Monotheismus im Deuteronomium, in
Deuterojesaja und im Ezechielbuch (FAT 2/27), 2007; R. Müller, Jahwe als Wettergott.
Studien zur althebräischen Kultlyrik anhand ausgewählter Psalmen (BZAW 387), 2008.
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Ganzen (als Formel oder im Parallelismus) gebraucht wird oder ob er thema-


tisch eine eigene Behandlung als Objekt des Schaffens JHWHs erhält. Allein der
Himmel als Objekt findet sich lediglich in den späten Psalmbelegen Ps 96,5 par.
1Chr 16,26; Ps 33,6 (vgl. noch Jes 40,22; Ps 8,4), jeweils in klar monotheistisch
abgrenzender Perspektive. Der Himmel als Teilelement eines Ausdrucks für
Welt zusammen mit der Erde ist die aufgrund des formelhaften Charakters
traditionsgeschichtlich vermutlich vorgängige Variante der Rede von der Him-
melsschöpfung. Sie folgt zumeist der Reihenfolge »Himmel – Erde« (33mal),
seltener auch »Erde – Himmel« (fünfmal), in beiden Fällen gelegentlich ergänzt
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durch das Meer. Dabei sind es vor allem vier Verben, die für das Schaffen des
Himmels gebraucht werden, teils auch in paralleler Verwendung:

Tabelle: Belege für die Rede von der Erschaffung


von »Himmel und Erde« bzw. »Erde und Himmel« (E. + H.):18
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Verb ‘āśāh (19mal) Verb nāṭāh (10mal) Verb bārā’ (5mal) Verb kûn (2mal)
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Gen 2,4b (E. + H.) Jes 40,22 (nur H.) Gen 1,1 Spr 3,19
Ex 20,11 (Sabbat) Jes 42,5 Gen 2,4a Spr 8,27
Ex 31,17 (Sabbat) Jes 44,24 (vgl. Gen 2,1: kālāh
2Kön 19,15 (Gebet) Jes 45,12 »vollenden«)
// Jes 37,16 (Gebet) Jes 51,13 Jes 42,5
Jes 44,24 Jes 51,16 Jes 45,18
Jes 45,12 (E. + H.) Jer 10,12 // (E. + H.) Jes 65,17
Jes 66,22 Jer 51,15 (E. + H.)
Jer 10,11 (aram. ‘abad) Sach 12,1 Verb qānāh (2mal)
Jer 32,17 Ps 104,2 Gen 14,19
Ps 8,4 (nur H.) Hi 9,8 Gen 14,22
Ps 33,6 (nur H.)
Ps 96,5 // (nur H.) Sonderverwendung:
1Chr 16,26 (nur H.) Ps 18,10 // 2Sam 22,10
Ps 102,26 (E. + H.) Ps 144,5 (»Neigen«
Ps 115,15 (Segen) des H.)
Ps 121,2 (Hilfe)
Ps 124,8 (Hilfe)
Ps 134,3 (Segen)
Ps 136,5 Verb māṭaḥ (1mal)
Ps 146,6 (Hilfe) Jes 40,22
2Chr 2,11
(Segen / Gruß) Verb ṭāpaḥ (1mal)
Neh 9,6 Jes 48,13

18
Die Tabelle folgt vor allem der Belegübersicht bei Bartelmus (s. Anm. 16), 221–224.
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Mit Abstand am häufigsten (20mal + einmal aram.) findet sich das allgemeine
Verb für »machen / herstellen« ‘āśāh (oft partizipial »JHWH, Macher des Him-
mels und der Erde« oder verbal in der Anrede oder dritten Person: »JHWH,
du hast / er hat Himmel und Erde gemacht«, auch nominal die »Himmel« als
ma‘aśæh »Werk« JHWHs oder seiner Hände / Finger).
Am zweithäufigsten steht ein terminus technicus, der speziell dem Objekt
Himmel vorbehalten ist: das »Ausspannen / Ausbreiten«, das dem Himmel of-
fenbar eine stoffliche, textile Qualität zuschreibt (so ausdrücklich in Ps 104,2;
Jes 40,22): Hierfür steht fast immer nāṭāh (zehnmal, je einmal auch ṭāpaḥ »aus-
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breiten« [Jes 48,13] und māṭaḥ »ausbreiten« [Jes 40,22]). Es handelt sich vor
allem um Deuterojesaja-Belege.
Drittens gibt es Stellen für das unanschauliche, allein dem göttlichen Subjekt
vorbehaltene bārā’ »schaffen« (fünfmal). Im Alten Testament kommt dieses
Verb überwiegend in der Priesterschrift und in Deuterojesaja vor.
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Schließlich verwendet die späte weisheitliche Schöpfungstheologie in Spr


3,19; 8,27 auch das Verb kûn »zurüsten / erschaffen« für den Himmel (zweimal).
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Einen Sonderfall bildet die zweimalige Formel von JHWH bzw. El Eljon als
Erschaffer oder Eigentümer (Verb qānāh) von Himmel und Erde (Gen 14,19.
22). Mit ihr verbinden sich möglicherweise eigene religionsgeschichtliche Zu-
sammenhänge, auf die gleich zu blicken ist (siehe 3.1.).
Als negativer Befund ist festzuhalten, dass im Blick auf den Himmel niemals
von jāsad »gründen / fundamentieren« die Rede ist (auch nicht in Ps 89,1219),
das der Erde als Objekt vorbehalten bleibt (oft im Parallelismus mit der Er-
schaffung des Himmels). Auch das handwerklich konnotierte Schöpfungsverb
jāṣar »formen / bilden« wird nicht für den Himmel gebraucht.
Im Ganzen zeigt sich, dass es eigentlich nur eine spezifisch mit dem Himmel
zusammenhängende Schöpfungsvorstellung gibt, nämlich diejenige des Aus-
spannens / Ausbreitens. Sie kommt vor allem in Deuterojesaja, aber auch in
Ps 104, Hi 9 und Sach 12 vor und ist an anderen Stellen implizit vorausgesetzt
(darunter fällt, aufgrund der Wurzel rāqa‘ »ausbreiten« in rāqîa‘ im Weiteren
wohl auch Gen 1, wobei es sich deutlich um eine davon zu unterscheidende Vor-
stellung handelt20). Lediglich Jes 40,22 und Ps 104,2 erläutern genauer, welche

19
Anders Bartelmus (s. Anm. 16), 222; vgl. zu den Eigentums- und Schöpfungsaus-
sagen in Ps 89,12f und ähnlichen Stellen Hartenstein, Unzugänglichkeit (s. Anm. 11),
86–99.
20
Nach der Himmelskosmologie von Gen 1 (und Ez 1–3; 8–11, vgl. Ex 24,9–11)
handelt es sich beim Himmel um eine feste Platte (rāqî’a, in Gen 1,6–8 ohne Material-
angabe, in den Ezechielvisionen aus Kristall [Ez 1,22], vgl. Ex 24,10: Bodenplatte aus
blauem Ziegelwerk = Lapislazuli). Die Vorstellung hat einen mesopotamischen Tradi-
tionshintergrund, dem ich an anderer Stelle ausführlich nachgegangen bin (Harten-
390 Friedhelm Hartenstein ZThK

Qualität bzw. Gestalt man dem »Himmel« dabei vor allem zuschreibt: diejeni-
ge eines bedeckenden Materials, das die Erde überspannt und so als sichtbarer
Himmel von darüber liegenden »inneren« Himmelsbereichen zu unterscheiden
ist (Metapher des Zelts aus gewebtem Stoff [’ohæl, Jes 40,22] oder einer Zelt-
bahn [jerî‘āh, Ps 104,2]). Dies verdient im Folgenden besondere Aufmerksam-
keit im Blick auf einen möglichen Traditionshintergrund bzw. religionsge-
schichtlichen Kontext.
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3. Altorientalische Quellen zur Entstehung / Erschaffung des Himmels

In der Forschung zu den alttestamentlichen Schöpfungsvorstellungen besteht


keine Einigkeit, wann und vor welchem Hintergrund die ab dem Exil promi-
nent hervortretende Vorstellung, der Gott Israels sei der Welt- und darin auch
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der Himmelsschöpfer, entstanden ist. Grob gesprochen stehen sich zwei Mög-
lichkeiten gegenüber, die sich nicht ausschließen müssen:
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a) Da im Alten Orient Welt- und Menschenschöpfungstraditionen seit frü-


her Zeit belegt sind und auch literarische Synthesen vor dem 1. Jahrtausend
v. Chr. nachweisbar sind,21 kann prinzipiell angenommen werden, dass im Be-
reich der eisenzeitlichen Staaten Israel und Juda und in der vorausgehenden
Übergangsphase entsprechende Vorstellungen bekannt waren – für die Bronze-
zeit ist etwa an das in Megiddo gefundene keilschriftliche Fragment aus dem
Gilgameschepos (Ende VII. Tafel22) zu erinnern, das den möglichen Einfluss
von literarischen Traditionen und Vorstellungen der vorherrschenden Mächte
(Syriens, Mesopotamiens, Kleinasiens und Ägyptens) beleuchtet. Langzeitig

stein, Wolkendunkel [s. Anm. 11], 136–152). Nur im priesterschriftlichen Schöpfungs-


bericht wird über die Errichtung dieser Platte (griechisch stereōma) erzählt, wobei es im
Ungefähren bleibt, auf welche Weise der Himmel im Weltganzen verankert ist. Ein ein-
ziger Text, 2Sam 22,8 (verändert gegenüber der Vorlage Ps 18,8), erwähnt hierzu wie
in Mesopotamien »Himmelsfundamente« (vgl. auch Hi 26,11: »Pfeiler des Himmels«),
wohl die Horizontberge, auf denen der Himmel als Struktur aufzuliegen scheint (vgl.
dazu und zu altorientalischen Parallelen Hartenstein, aaO 127–136).
21
Vgl. für Mesopotamien G. Pettinato, Das altorientalische Menschenbild und die
sumerischen und akkadischen Schöpfungsmythen (AHAW.PH 1971/1), 1971; J. Botté-
ro / S. N. Kramer, Lorsque les dieux faisaient l’homme. Mythologie mésopotamienne
(Bibliothèque des histoires), 1989; A. Zgoll, Welt, Götter und Menschen in den Schöp-
fungsentwürfen des antiken Mesoptamien (in: Schmid, Schöpfung [s. Anm. 3], 17–70).
22
Vgl. A. R. George, The Babylonian Gilgamesh Epic. Introduction, Critical Edi-
tion and Cuneiform Texts I, 2003, 339–347 (gefunden 1954; nach George aus dem 16.–
15. Jahrhundert v. Chr., antiker Import, vermutlich Teil einer einkolumnigen Tafel [340f],
Inhalt: Krankheit und Klage des Enkidu).
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könnten bis in die Eisenzeit entsprechende Kenntnisse weiter tradiert worden


sein.23
b) Mit der neueren Literaturgeschichte des Alten Testaments, nach der über-
greifende literarische Kompositionen und Werke vor allem nach dem Untergang
der Staaten Israel (ab Ende 8. Jahrhundert v. Chr.) und Juda (ab Mitte 6. Jahr-
hundert v. Chr.) entstanden, stellt sich die religionsgeschichtliche Frage jedoch
präziser. Hierfür muss neben dem älteren Erbe vor allem auf die assyrische,
neubabylonische und persische Periode geblickt werden. Es gilt dann weniger,
immer schon verbreitete Stoffe zu identifizieren, als vielmehr mögliche Rezep-
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tionsvorgänge ganz bestimmter Aussagen zu beschreiben. Dass es dabei auch


Ungleichzeitigkeiten geben kann, wird jedem vertraut sein, der sich mit der
Materie beschäftigt.24

3.1. Syrien / Palästina


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Vor allem die bereits genannte Besonderheit der berühmten Melchisedeq-Epi-


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sode in den Abrahamerzählungen, wonach JHWH / El Eljon als qoneh šāmajim


wā’āræṣ bezeichnet wird (Gen 14,19.22), hat zu religionsgeschichtlichen Ablei-
tungen herausgefordert.25 Tatsächlich gibt es eine kleinasiatisch und nordsy-

23
Vgl. im Blick auf ein hohes Alter von Schöpfungsvorstellungen im Alten Testament
klassisch H. Gunkel, Schöpfung und Chaos in Urzeit und Endzeit. Eine religionsge-
schichtliche Untersuchung über Gen 1 und Ap Joh 12, 1895, 163: »Schon in der ältesten
palästinensischen Zeit Israels ist babylonischer Einfluss wirksam gewesen. Man hat kei-
nen Grund, den Schöpfungsgedanken in Israel der älteren Zeit abzusprechen«; vgl. auch
das lange wirksame Urteil von G. von Rad, Das Problem des alttestamentlichen Schöp-
fungsglaubens (in: Ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament [TB 8], 41971, 136–
147), der den Rückschluss auf eine späte Entstehung des »Schöpfungsglaubens« ablehn-
te und zugleich dessen Bedeutung für die alttestamentliche Theologie bestritt (vgl. 146f).
24
Ich verweise etwa auf den berühmten Fall der Ähnlichkeit von Ps 104 mit dem
Schöpfungshymnus des Echnaton; vgl. dazu J. Assmann, Ägyptische Hymnen und Ge-
bete (OBO Sonderband), 21999, 217–223; Th. Krüger, »Kosmo-theologie« zwischen
Mythos und Erfahrung. Psalm 104 im Horizont altorientalischer und alttestamentlicher
»Schöpfungs«-Konzepte (in: Ders., Kritische Weisheit. Studien zur weisheitlichen Tra-
ditionskritik im Alten Testament, 1997, 91–120), 107–110 (zum Vergleich mit dem Son-
nenhymnus); vgl. zuletzt S. Reichmann, Psalm 104 und der Große Sonnenhymnus des
Echnaton. Erwägungen zu ihrem literarischen Verhältnis (in: M. Pietsch / F. Harten-
stein [Hg.], Israel zwischen den Mächten, FS S. Timm [AOAT 364], 2009, 257–288).
25
Vgl. dazu H. Gese, Die Religionen Altsyriens (in: Ders. / M. Höfner / K. Ru-
dolph, Die Religionen Altsyriens, Altarabiens und der Mandäer [RM 10/2], 1970,
3–232), 113–117; R. Rendtorff, El, Ba’al und Jahwe. Erwägungen zum Verhältnis von
kanaanäischer und israelitischer Religion (in: Ders., Gesammelte Studien zum Alten Tes-
tament [TB 57], 1975, 172–187), 179f; zusammenfassend E. E. Elnes / P. D. Miller, Art.
Elyon, DDD2, 293–299; W. Röllig, Art. El-Creator-of-the-Earth, DDD2, 280–281.
392 Friedhelm Hartenstein ZThK

risch nachweisbare bronze- und eisenzeitliche Tradition von El als Besitzer / Er-
schaffer der Erde (= ’El qoneh ’æræṣ). In einer phönizischen Inschrift vom Ka-
ratepe (Ende 8. Jahrhundert v. Chr.) begegnet als Fluchgarant neben Ba‘alša-
mem und dem »Sonnengott der Ewigkeit« auch ’l qn ’rṣ, also »El, der die Erde
geschaffen / erworben hat«.26 Älter ist ein hethitischer Text aus Hattuscha /
Boghazköy (um 1200 v. Chr.), der einen kanaanäischen Mythos von dEl-ku-ni-
ir-scha und seiner Gattin Ašertu erzählt.27 Ihm scheinen darin wie dem ugariti-
schen El auch Züge des mesopotamischen Gottes Enki / Ea zugeschrieben zu
werden (Wohnsitz an den Euphratquellen). Genauso wenig wie in Ugarit sind
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der El qōnij ’arṣa vom Karatepe und sein älterer Vorläufer aber mit dem Him-
mel verbunden.
Auch wenn Gen 14, ein Fremdkörper in seinem Kontext und ein deutlich
nachexilischer Text,28 mit dem Epitheton qoneh šāmajim wā’āræṣ ein älteres Erbe
(Jerusalems?) aufnehmen sollte, bleibt ungeklärt, woher der Bezug auf die Er-
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schaffung speziell des Himmels stammt. Ein judäisches Stempelsiegel des Vor-
derasiatischen Museums Berlin (8. Jahrhundert v. Chr.) mit dem Eigennamen
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Qanajau »Jah hat erworben / geschaffen« nennt leider das Objekt der göttlichen
Tätigkeit nicht.29 Auch ist sich die Forschung nicht einig, ob und wann das Verb
qnh (semit. qnj / qnw) mit »erschaffen« übersetzt werden kann; in vielen Fällen
bedeutet es »erwerben / besitzen«. Mit Eduard Lipiński erscheint es mir wahr-
scheinlich, dass es bei der in Gen 14 angespielten älteren Tradition um »die Eigen-
tumsrechte Els« ging, ohne dass »die Weise, wie er in den Besitz der Erde gekom-
men ist«, näher reflektiert würde30 – es ginge also gar nicht primär um Schöpfung
(in Ugarit ist El Vater der Götter und Menschen, aber nicht ausdrücklich Schöp-
fer der Welt). In Gen 14,19.22 ist das anders. Hier scheinen die alttestamentlichen
Schöpfungsaussagen zu Himmel und Erde bereits voll im Hintergrund zu stehen.
Eine ältere El-Tradition wurde dann in Gen 14 vermutlich im Blick auf JHWH,

26
KAI 26 A III, 18, vgl. H. Donner / W. Röllig, Kanaanäische und aramäische In-
schriften 2: Kommentar, 1964, 37.
27
Übersetzung z. B. bei H. A. Hoffner, Hittite Myths (SBL Writings from the An-
cient World Series 2), 1990, 69f.
28
Vgl. E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), 1984, 462–
464, Anm. 5, der mit vielen anderen »im ganzen eher zu einer nachexilischen Erklärung
des Gesamttextes« neigt (463), zugleich eine ältere Traditionsgeschichte der Elemente
»Melchisedeq« und »El Eljon, Schöpfer von Himmel und Erde« zwar nicht ausschließt,
aber darauf verweist, »daß etwa die Bezeichnung ‫ עליון‬gerne in späten biblischen und vor
allem in apokryphen Texten gebraucht wird« (ebd.).
29
VA 2830: lqnjw, angeblich aus der Nähe Jerusalems, vgl. N. Avigad / B. Sass, Cor-
pus of West Semitic Stamp Seals, 1997, 149, Nr. 343; W. Röllig, Althebräische Schrift-
siegel und Gewichte (in: J. Renz / W. Röllig, Handbuch der althebräischen Epigraphik
2/2, 2003, 79–456), 375, Nr. 19. 3.
30
E. Lipiński, Art. ‫ קנה‬qānāh, ThWAT 7, (63–71) 69.
110 (2013) JHWH, Erschaffer des Himmels 393

der hier mit El Eljon gleichgesetzt ist, um den Himmel erweitert.31 Aus der Eigen-
tumsaussage an der Erde wurde ein universales Schöpfungsepitheton. Auch der
Kontext des Segens beim / vom Weltschöpfer rückt Gen 14 nahe an die späten Psal-
menstellen 115,15; 134,3 heran, in denen von JHWH, »dem Schöpfer (Ptz. ‘ośæh)
des Himmels und der Erde«, speziell Segen erbeten wird.

3.2. Ägypten
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In Ägypten finden sich wenig spezifische Aussagen speziell zur Erschaffung des
Himmels durch eine Gottheit.32 Vielmehr ist hier der Himmel, personifiziert
durch die Göttin Nut, in der am weitesten verbreiteten Vorstellung durch einen
Vorgang der »Scheidung« von der Erde, dem Gott Geb, getrennt worden.33
Die Haltekraft zwischen beiden wird im Luftgott Schu verkörpert. Im Sinn
des in Ägypten besonders ausgeprägten mythisch-aspektuellen Denkens findet
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sich daneben auch das Emporheben und Abstützen der Himmelskuh durch
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den Sonnengott und den Luftgott Schu (mit den Stützgöttern / Heh-Göttern;
Neues Reich: Mythos von der Himmelskuh34). Hinter dieser Vorstellung eines
ersten Males steht wohl auch die Anschauung eines aus dem Wasser sich erhe-
benden Boviden.35 »Auch die schlichte Deckplatte, als die man jenseits des
Mythischen den H. [sc. Himmel] versteht, mußte von dem Schöpfergott an ihre
Stelle versetzt werden, als er ›den H. erhob und den Erdboden gründete‹«.36
Zwei Textbelege seien genannt, die die Erschaffung des Himmels noch deut-

31
Vgl. in diesem Sinn auch H. Spieckermann, Heilsgegenwart. Eine Theologie der
Psalmen (FRLANT 148), 1989, 86, Anm. 37: »Nur aufgrund der sehr späten Götterkom-
bination (El und Eljon) und Titelform (Himmel und Erde) in Gen 14,19.22 eine Jerusale-
mer Weltschöpfungstradition hohen Alters postulieren zu wollen, gehört in den Bereich
der Spekulation« (Hervorhebung im Original); ähnlich Niehr (s. Anm. 12), 165; 124f.
32
Zu Schöpfungsaussagen im Alten Ägypten vgl. J. Assmann, Art. Schöpfung, LÄ 5,
677–690; Ders., Art. Schöpfergott, LÄ 5, 676–677; E. Hornung, Der Eine und die
Vielen. Altägyptische Götterwelt, 62005, 150–158 (Theogonien); L. H. Lesko, Ancient
Egyptian Cosmogonies and Cosmology (in: B. E. Shafer [Hg.], Religion in Ancient
Egypt. Gods, Myths, and Personal Practice, 1991, 88–122); C. Traunecker, The Gods
of Egypt, 2001, 70–91.
33
Vgl. H. Bonnet, Art. Himmel, RÄRG2, (302–304) 304 (Pyr. 1208).
34
Vgl. E. Hornung, Der ägyptische Mythos von der Himmelskuh. Eine Ätiologie
des Unvollkommenen (OBO 46), 1982; J. Assmann, Ägypten. Theologie und Frömmig-
keit einer frühen Hochkultur (UT 366), 1984, 138–141; H. Sternberg el-Hotabi, Der
Mythos von der Vernichtung des Menschengeschlechtes (in: O. Kaiser [Hg.], TUAT
3/5, 1995, 1018–1037).
35
So E. Brunner-Traut, Frühformen des Erkennens. Am Beispiel Altägyptens,
1990, 121f.
36
Bonnet (s. Anm. 33), 304, mit Zitat von Urk. IV. 942.
394 Friedhelm Hartenstein ZThK

licher profilieren: Im Mythos von der »List der Isis« aus der Ramessidenzeit
(19. Dynastie) versucht die Göttin dem Sonnengott Re seinen geheimen Namen
zu entlocken, indem sie ihn durch den Biss einer aus seinem Speichel geformten
Zauberschlange schwächt.37 Nach seinem Namen gefragt, antwortet Re:
»Ich bin es, der die Erde gemacht und die Berge
geknüpft hat und der erschuf, was darauf ist.
Ich bin es, der das Wasser gemacht hat,
so daß die Himmelskuh entstand.
Ich bin es, der den Stier gemacht hat für die Kuhherde,
so daß die Liebesfreude in die Welt kam.
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Ich bin es, der den Himmel gemacht hat und die
Geheimnisse der beiden Horizonte,
damit die Seelen der Götter darin wohnen.«38

Der Text ist funktional, er diente der Beschwörung bei Schlangenbissen. Nach
der sogenannten Chons-Kosmogonie, die aus der Ptolemäerzeit überliefert
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ist, schuf Amun-Re, Vater von allem (unter anderem der hermopolitanischen
Achtheit), den Urozean Nun, woraufhin zuerst der Himmel (durch »die erste
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Schlange«) und dann die Erde entstanden.39 In ptolemäischen Hieroglyphen


erscheint der Name des Gottes Ptah in einer Schreibung, die ihn mit ausgebrei-
teten Armen das Himmelsdach stützend zeigt, während er auf der Erde steht.
In ihm vereint erscheinen so die drei Gottheiten Nut (Himmel), Geb (Erde) und
Schu (Luft).40 Keine dieser Vorstellungen erweist sich für die alttestamentlichen
Belege als besonders aussagekräftig.

3.3. Mesopotamien

Näher am Alten Testament stellt sich der Befund aus mesopotamischen Quel-
len dar.41 Der Himmel ist dort einer der ältesten Götter, An(u), der häufig die

37
»Der Mythos ist, dank seines Gebrauchs im Zauber, zweimal, auf einem hierati-
schen Papyrus von Turin und auf einem des Britischen Museums aus der 19. Dyn. erhal-
ten, und zwar als Zauberformel zum Schutz gegen giftige Bisse« (E. Brunner-Traut,
Altägyptische Märchen [Die Märchen der Weltliteratur], 81989, 313).
38
AaO 153.
39
Vgl. die Übersetzung bei Lesko (s. Anm. 32), 105f (aus Theben, vielleicht auf das
Neue Reich zurückgehend). Zu den ägyptischen Vorweltschilderungen vgl. M. Bauks,
Die Welt am Anfang. Zum Verhältnis von Vorwelt und Weltentstehung in Gen 1 und in
der altorientalischen Literatur (WMANT 74), 1997, 155–206.
40
Vgl. Lesko (s. Anm. 32), 121f: Die Schreibung ist akronymisch: p für pt »Himmel«,
t für ta »Erde« und ḥ für ḥeḥ »Himmelsstütze / Himmelsträger«.
41
Vgl. als Überblick F. Rochberg, The Heavens and the Gods in Ancient Mesopo-
tamia: The View from a Polytheistic Cosmology (in: B. Pongratz-Leisten [Hg.], Re-
considering the Concept of Revolutionary Monotheism, 2011, 117–136).
110 (2013) JHWH, Erschaffer des Himmels 395

Götterlisten anführt.42 Wie in Ägypten gab es in sumerischen Texten die Vor-


stellung einer uranfänglichen Trennung von Himmel und Erde, für die Anu
und / oder Enlil, der Gott der Erde / des Luftraums, verantwortlich waren.43 In
akkadischen Schöpfungsberichten war die Erschaffung von Himmel und Erde
vor allem eine gemeinsame Arbeitsleistung von Anu, Enlil und Ea im Sinne der
Errichtung eines Gebäudes.44 Einmal wird von einer »Inbesitznahme« gespro-
chen (Verb aḫāzu45). In funktionalen bzw. rituellen Zusammenhängen evozier-
te man die uranfängliche Schöpfung, um z. B. eine Tempelerneuerung gelingen
zu lassen (spätbabylonischer Ritualtext des kalû-Priesters):
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»Als Anu den Himmel erschaffen hatte,


Nudimmud [sc. Ea] den Apsu, seine Wohnung, geschaffen hatte,
kniff Ea im Apsu Lehm ab,
Er erschuf Kulla [sc. einen Handwerkergott] für die Erneuerung des [Tempels], [. . .]«46

Auch die berühmte Beschwörung für den Zahnwurm rekurriert (wie zwei ähn-
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liche »medical incantations«) zur Austreibung des Wurms auf dessen Anfang als
ein spätes Glied in der Kette der Schöpfungen, die mit der Erschaffung des
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Himmels einsetzt:
»Nachdem Anu [den Himmel erschaffen hat]te,
der Himmel [die Erde] erschaffen hatte, [. . .]
der Morast den Wurm erschaffen hatte, [. . .]«47

Es war neben Anu, Enlil und Ea vor allem der im 1. Jahrtausend v. Chr. zahlrei-
che göttliche Attribute auf sich vereinigende babylonische Marduk, dem man
die Erschaffung von »allem«, auch von »Himmel und Erde« zuschrieb.
So finden sich die Epitheta bānû kalāma »Erschaffer von allem« für Anu,48
pātiqu šame u erṣetim bānû nišē »Erbauer von Himmel und Erde, Schöpfer der

42
Vgl. D. O. Edzard, Art. An, WM2 1, 40f; B. Groneberg, Die Götter des Zwei-
stromlands. Kulte, Mythen, Epen, 2004, 50–52; M. Krebernik, Götter und Mythen des
Alten Orients (C. H. Beck Wissen), 2012, 57f; Hauptkultort des An(u) war Uruk, wo
seine Verehrung in seleukidischer Zeit einen späten Aufschwung erfuhr (vgl. dazu auch
Grätz [s. Anm. 8]).
43
Vgl. die Belege bei W. Horowitz, Mesopotamian Cosmic Geography (Mesopota-
mian Civilizations 8), 1998, 135–137.
44
Mit den drei Stockwerken Himmel – Erde – unterirdische Wasser (Apsû), vgl. aaO
146–149.
45
Wohl eher auf die Aufteilung des Kosmos an die Gottheiten bezogen, vgl. aaO 149.
46
K. Hecker, Die Kosmologie des kalû-Priesters (in: O. Kaiser [Hg.], TUAT 3/4,
1994, 605); vgl. Horowitz (s. Anm. 43), 149f.
47
K. Hecker, Die Erzählung vom Wurm (in: Kaiser, TUAT 3/4 [s. Anm. 46], 603);
vgl. Horowitz (s. Anm. 43), 150.
48
K. L. Tallqvist, Akkadische Götterepitheta, 1974 (Nachdruck), 254.366.
396 Friedhelm Hartenstein ZThK

Menschen« für Ea49 und paḫāru bānû kalāma »Töpfer, Erschaffer von allem«,
bānû šame  u erṣeti »Schöpfer des Himmels und der Erde« sowie ša ukinnu ana
ilāni šame ellūti »der für die Götter den reinen Himmel eingerichtet hat« für
Marduk.50 Marduk galt aufgrund des Enuma elisch, das seinen Aufstieg zum
Gott schlechthin verherrlichte (vermutlich 12. Jahrhundert v. Chr.), als der über-
legene Einrichter der Welt.
Die komplexe traditionsgeschichtliche Synthese des Enuma elisch bietet die
meines Erachtens nächsten Parallelaussagen vor allem für die deuterojesajani-
schen Texte.51 Dem soll gleich noch nachgegangen werden, weshalb ich hier
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nur eine Skizze zu Marduk als Erschaffer des Himmels im Enuma elisch gebe:
Die Etablierung des Kosmos geht darin über mehrere Etappen vor sich. Der
zeitliche Einstieg wird auf Tafel I mit Hilfe traditioneller Göttergeneaologien
gestaltet: Durch den ersten Zeugungsakt zwischen Apsû und Tiamat (die ältes-
ten Vorgötter) kommt eine unumkehrbare Theogonie in Gang, die zugleich
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kosmogonisch ist. »Himmel und Erde« existieren in dieser Urzeit ausdrücklich


»noch nicht« (Enuma elisch I,1–2). Mit der Geburt des An(u) ist der Himmel
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ab der dritten Generation aber bereits als Gott vorhanden, und es gibt nach
Tafel I,24 einen räumlichen »Vorhimmel« mit Namen Anduruna.52 Als erste
feste Größe des Weltgebäudes gründet Ea in Enuma elisch I,61–71 den Apsû als
seinen unten befindlichen Wohnsitz: den Süßwasserozean. Das dreistöckige
mesopotamische Weltgebäude wird im Verlauf des Mythos passgenau über die-
sem errichtet: zunächst nach der Tötung Tiamats der Himmel und seine Innen-
einrichtung (Cella des Enlil) sowie Sonne, Mond und Sterne und die Wetterer-
scheinungen (Wasserkreislauf) (Enuma elisch IV,135–146, Enuma elisch V). Die
Erschaffung von Himmel und Erde vollendet Marduk mit der Befestigung der
Weltebenen übereinander durch das große kosmische Band durmaḫu (Enuma
elisch V,59), das in der vertikalen Achse durch den von den Göttern in Enuma
elisch VI gegründeten Haupttempel Babylons und seine Zikkurrat verkörpert
wird.53 Erst Tafel VI bringt die Ausgestaltung der Erde zur Lebenswelt mit der

49
Horowitz (s. Anm. 43), 149; vgl. Tallqvist (s. Anm. 48), 289.
50
Tallqvist (s. Anm. 48), 366; vgl. Horowitz (s. Anm. 43), 128 (Enuma elisch
VII,16).
51
Vgl. zum Enuma elisch die Textausgaben von P. Talon, Enūma Eliš. The Standard
Babylonian Creation Myth (State archives of Assyria cuneiform texts 4), 2005; T. R. Käm-
merer / K. A. Metzler, Das babylonische Weltschöpfungsepos Enūma elîš (AOAT 375),
2012; wichtige neuere Übersetzungen: W. G. Lambert, Enuma elisch (in: Kaiser, TUAT
3/4 [s. Anm. 46], 565–602); B. R. Foster, Before the Muses. An Anthology of Akkadian
Literature, 32005, 436–486.
52
So die einleuchtende Deutung des Ausdrucks bei Horowitz (s. Anm. 43), 109.
53
Die im Enuma elisch nicht namentlich genannte Zikkurat (vgl. Tafel VI,63) trägt
ansonsten den sumerischen Namen e-temen-an-ki »Haus – Fundament von Himmel und
110 (2013) JHWH, Erschaffer des Himmels 397

Erschaffung der Menschen und dem Weltmittelpunkt Babylon. In den abschlie-


ßenden 50 Namen Marduks, dem doxologischen Abschnitt Tafel VI,120–7,162
wird der Schöpfergott gepriesen (Enuma elisch VII,135f.):
»Because he created the heavens [ašru], fashioned the earth [daninnu], ›Lord of the Lands‹
is the name that father Enlil gave him«.54

Für unseren Zusammenhang ist dazu festzuhalten, dass von Marduk in allen
altorientalischen Quellen mit Abstand am ausführlichsten Tätigkeiten bei der
Erschaffung des Himmels beschrieben werden. Wichtig ist aber, dass Marduk
sich dabei bereits in einer Vorform von Himmel und Erde vorfindet und dass er
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selbst ein Enkel des An(u), des Himmelsgottes ist und lediglich ausstattet und
vollendet, was schon vor ihm begonnen wurde.

3.4. Achämeniden und Zoroastrismus


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Schließlich ist angesichts der nachexilischen Datierung der alttestamentlichen


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Aussagen zur Himmelsschöpfung noch auf die persische Religion der Achäme-
nidenzeit einzugehen. Dabei kann auf die umstrittene Frage nach dem zeitlichen
und sachlichen Verhältnis zwischen der Religion Zarathustras und derjenigen
der Achämenidenkönige lediglich hingewiesen werden. Der Nichtfachmann
wird sich in dieser Frage kein Urteil erlauben können. Einer soweit ich sehe im-
mer noch von vielen Gelehrten vertretenen Ansetzung des überlieferungsge-
schichtlich ältesten Teils des Awesta (in Yasna 28–34; 43–51; 53)55 vor Kyros und
seinen Nachfolgern steht ein anderer Ansatz gegenüber, bei dem umgekehrt der
Einfluss der Achämeniden auf den Zoroastrismus erforscht werden soll.56 Ich

Erde«; vgl. zur damit verbundenen Symbolik des Zentrums D. O. Edzard, Deep-Roo-
ted Skyscrapers and Bricks. Ancient Mesopotamian Architecture and its Imagery (in:
M. Mindlin / M. J. Geller / J. E. Wansbrough [Hg.], Figurative Language in the An-
cient Near East, 1987, 13–24); S. M. Maul, Die altorientalische Hauptstadt – Abbild und
Nabel der Welt (in: G. Wilhelm [Hg.], Die Orientalische Stadt. Kontinuität, Wandel,
Bruch [CDOG 1], 1997, 109–124); zum Alten Testament Hartenstein, Wolkendunkel
(s. Anm. 11), 152–166.
54
Horowitz (s. Anm. 43), 129 (mit Bezug auf Kommentar B zum Enuma elisch, in
dem ašru »Ort« und daninnu »Unterwelt« an dieser Stelle mit šamû und erṣetu gleichge-
setzt werden; anders übersetzen Kämmerer / Metzler [s. Anm. 51], 308).
55
Vgl. etwa H. Koch, Die Religion Irans (in: V. Haas / Dies., Religionen des Alten
Orients 1: Hethiter und Iran [GAT 1/1], 2011, 80–144), 87; vgl. zuvor W. Hinz, Zara-
thustra, 1961, 19; M. Boyce, A History of Zoroastrianism 2: Under the Achaemenians
(HO 1,8,1,2,2a), 1982, 1–48.
56
Vgl. A. de Jong, Ahura Mazda the Creator (in: J. Curtis / S. J. Simpson [Hg.],
The World of Achaemenid Persia. History, Art and Society in Iran and the Ancient Near
East, 2010, 85–89), 89.
398 Friedhelm Hartenstein ZThK

versuche aus beiden Quellenbeständen das Wichtigste zur Frage nach der Er-
schaffung des Himmels aufzulisten. Ich beginne mit den Achämeniden, in deren
Königsinschriften sich ab Darius I. folgende formelhafte Charakterisierung
des transzendenten Schöpfergottes Ahuramazda, des »weisen Herrn«, findet57
(Grabinschrift aus Naqsh-i Rustam):
»Der große Gott (ist) Ahuramazda,
der diese Erde erschaffen hat,
der jenen Himmel erschaffen hat,
der den Menschen erschaffen hat,
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der das Glück erschaffen hat für den Menschen,


der Dareios (zum) König gemacht hat [. . .]«58

Die übliche Reihenfolge ist »Erde – Himmel«, einmal aber auch das (mesopo-
tamisch) geläufigere »Himmel – Erde«59. Diese für die Reichsidee der Achäme-
niden zentrale Abfolge einer gleichgewichtigen Schöpfung von »Erde« (būmi-)
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und »Himmel« (asman-), der Menschenschöpfung (in einem universalen Sinn)


und – altorientalisch sehr ungewöhnlich – der Bestimmung des »Glücks« für
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den Menschen ist bemerkenswert. Kosmologisch erscheint daran für die


Reichskonzeption der Perserkönige wichtig, dass der Begriff būmi- für die Erde
»in umfassender Bedeutung das Ganze der Erdscheibe im Gegensatz zu dem
sich darüber spannenden Himmelsgewölbe bezeichnet.«60 Die Weltherrschaft
der Großkönige leitete sich also direkt von der universalen Schöpfertätigkeit
Ahuramazdas und der damit verbundenen Einheit der Völkerwelt ab. Das
braucht nicht näher ausgeführt zu werden. Festzuhalten ist für unsere Frage-
stellung, dass in zahlreichen Achämenideninschriften die schöpfungstheologi-
sche Einleitung zu Himmel, Erdkreis und Menschheit am Anfang steht und
sicher in den persischen Provinzen bekannt war. Auf die Nähe zu alttestament-
lichen Aussagen wie Neh 9,6 (siehe 4.1) hat etwa Klaus Koch aufmerksam ge-
macht: »Die Ähnlichkeit des Gottesverständnisses beschränkt sich nicht auf das
Prädikat. Die Bindung der Gottheit an den Himmel wird zu einem wichtigen
Element der Schöpfungslehre.«61

57
Erstmals in DEa §1, A–E (96); die Formel ist bei den nachfolgenden Achämeniden-
inschriften identisch, mit folgenden Ausnahmen / Variationen: Darius I.: DZc §1, B–E
(149); Xerxes XPg §1, C–E (163); XPl §1, A–C (171); Siglen und Seitenangaben in Klam-
mern nach der Textausgabe von R. Schmitt, Die altpersischen Inschriften der Achaime-
niden. Editio minor mit deutscher Übersetzung, 2009.
58
DAn §1, A–F (Schmitt [s. Anm. 57], 100).
59
Darius I., DZc §1, B–C (Schmitt [s. Anm. 57], 149).
60
G. Ahn, Religiöse Herrscherlegitimation im achämenidischen Iran. Die Voraus-
setzungen und die Struktur ihrer Argumentation (Acta Iranica 31), 1992, 266.
61
K. Koch, Weltordnung und Reichsidee im alten Iran und ihre Auswirkungen auf
die Provinz Jehud (in: P. Frei / Ders., Reichsidee und Reichsorganisation im Perserreich
110 (2013) JHWH, Erschaffer des Himmels 399

Aus den Gathas, die von Walther Hinz, Heidemarie Koch und anderen auf
Zarathustra zurückgeführt werden, ist ergänzend auf folgenden bekannten Pas-
sus zu verweisen (Yasna 44, 3–4):
»Dies frag’ ich Dich, recht tu es mir kund, Herr!
Wie ist der Erzeuger, der Urvater des göttlichen Rechtes?
Wer setzte die Bahn fest der Sonne und den Sternen?
Wer ist’s durch den der Mond bald zunimmt und bald schwindet?
Dies eben, Allweiser, und anderes noch möcht’ ich erfahren.
Dies frag’ ich Dich, recht tu es mir kund, Herr!
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Wer hält die Erde unten, wie auch die Himmelsgewölbe,


Daß sie nicht stürzen? Wer die Gewässer und die Pflanzen?
Wer schirrt dem Winde und den Wolken das Rennzwiegespann vor?
Wer ist, Allweiser, der Schöpfer des guten Sinnes?«62

Yasna 44,4 scheint auf einen Trennungsmythos von Erde und Himmel anzu-
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spielen (s. 3.2.–3.3.), der dahingehend adaptiert ist, dass der eine Schöpfergott
alle Festigung und Lebensermöglichung in der Welt in sich vereint. Mit großer
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Vorsicht darf hierzu vielleicht noch eine letzte Stelle, aus Yasht 13,2, einem viel
jüngeren Bestandteil des Awesta, gestellt werden. Darin spricht Ahuramazda:
»Durch deren [sc. der Fravašis] Pracht und Glanz habe ich, o Zarathustra, jenen Himmel
ausgebreitet, der oben leuchtend strahlt, der bis zu dieser Erde hin und um sie herum
reicht gerade wie ein Haus.«63

Direkt danach (Yasht 13,3–9) findet sich die Vorstellung vom Himmel als einem
sterngeschmückten Gewand, in das sich der Gott hüllt, bevor er zur Gründung
der Erde übergeht.64 Für die Frage nach dem religionsgeschichtlichen Horizont
der nachexilischen alttestamentlichen Aussagen über die Erschaffung des Him-
mels müssen diese (besonders für Ps 104,2 interessanten) Texte der zoroastri-
schen Religion meines Erachtens aufgrund ihres unbestimmten (in jedem Fall
späteren) Alters aber eher ausscheiden und man sollte sich dafür an die Achä-
menideninschriften halten. Die Ähnlichkeit ist aber immerhin bemerkenswert.

[OBO 55], 21996, 133–337), 310 (Hervorhebung im Original); vgl. im Weiteren R. G.


Kratz, »Denn dein ist das Reich«. Das Judentum in persischer und hellenistisch-römi-
scher Zeit (in: Ders. / H. Spieckermann [Hg.], Götterbilder, Gottesbilder, Weltbilder 1:
Ägypten, Mesopotamien, Persien, Kleinasien, Syrien, Palästina [FAT 2 17], 22009, 347–
374), 356 (zum »Gott des Himmels«).
62
Übersetzung von Hinz (s. Anm. 55), 185.
63
Übersetzung von M. Hutter, Religionen in der Umwelt des Alten Testaments 1:
Babylonier, Syrer, Perser (Studienbücher Theologie 4/1), 1996, 213.
64
Vgl. die ältere Übersetzung von K. F. Geldner, Die zoroastrische Religion (des
Avesta) (in: A. Bertholet [Hg.], Religionsgeschichtliches Lesebuch, 1908, 323–360),
341, sowie G. Widengren, Die Religionen Irans (RM 14), 1965, 16.
400 Friedhelm Hartenstein ZThK

Abschließend soll nun noch in einem Durchgang durch die wichtigsten alt-
testamentlichen Texte, die von der Erschaffung des Himmels sprechen, nach
möglichen Bezügen zu den genannten religionsgeschichtlichen Kontexten ge-
fragt werden.

4. Ein monotheistisches »Kernargument«:


JHWH allein hat den Himmel geschaffen
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4.1. Deuterojesaja und seine Rezeption

In dem programmatischen Disputationswort Jes 40,12–31, das nach breitem


Forschungskonsens dem Grundbestand von Jes 40–55 zugehört,65 versucht der
prophetische Sprecher seine Adressaten, die die Verborgenheit JHWHs bekla-
gen (Klagezitat V.27), zu einer neuen Sichtweise ihres Gottes zu bringen: Mit
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einer Kette rhetorischer Fragen fordert er sie zu einer Veränderung des Blick-
winkels auf. JHWH ist der einzige und universale Gott, angesichts von dessen
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Weltüberlegenheit die Völker und ihre Herrscher »ein Tropfen am Eimer« und
»ein Körnchen an Waagschalen« (V.15), also »wie nichts« sind (V.17.23). In
diesem Text scheint eine implizite Auseinandersetzung mit dem Lobpreis der
Größe des babylonischen Marduk vorzuliegen, dessen Kult und Theologie die
Judäer vor Ort recht genau gekannt haben dürften. Dafür sprechen mehr Ein-
zelheiten in Jes 40,12–31, als hier aufgezählt werden können.66 Ich möchte nur
auf die Bedeutung der Himmelserschaffung und ihre besonderen Akzente hin-
weisen. Gleich V.12 setzt damit ein:
»12 Wer hat gemessen mit seiner hohlen Hand die Wasser, und dem Himmel mit seiner
[vgl. 1QIsa] Spanne das Maß bestimmt? Wer hat gefasst ins Drittelmaß den Staub der

65
Siehe zu dieser Ansetzung Kratz, Kyros (s. Anm. 7), 161–163, sowie ausführlich
die Diskussion der Datierungsmöglichkeiten bei U. Berges, Jesaja 40–48 (HThK.AT
37), 2008, 128–130.
66
Vgl. dazu M. Albani, Der eine Gott und die himmlischen Heerscharen. Zur Be-
gründung des Monotheismus bei Deuterojesaja im Horizont der Astralisierung des Got-
tesverständnisses im Alten Orient (Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 1), 2000, 124–
252; F. Hartenstein, Exklusiver und inklusiver Monotheismus. Zum »Wesen« der Göt-
ter in Deuterojesaja und in den späten Psalmen (in: A. Grund / A. Krüger / F. Lippke
[Hg.], Ich will dir danken unter den Göttern. Studien zur israelitischen und altorientali-
schen Gebetsliteratur, FS B. Janowski, 2013, 194–219), 203–205. Zu dem bilderpolemi-
schen Abschnitt Jes 40,18–20 und seiner deutlichen Kenntnis mesopotamischer Kultbild-
symbolik vgl. A. Berlejung, Die Theologie der Bilder. Herstellung und Einweihung von
Kultbildern in Mesopotamien und die alttestamentliche Bilderpolemik (OBO 162), 1998,
370–375 (V.18–20 gelten dabei als sekundär; anders Berges [s. Anm. 65], 129f, der
Jes 40,12–31 später, vor 522 v. Chr., ansetzt).
110 (2013) JHWH, Erschaffer des Himmels 401

Erde, hat abgewogen mit der Waage Berge und Hügel mit Waagschalen? 13 Wer hat dem
Geist JHWHs das Maß bestimmt, als sein Ratgeber ihn belehrt?«

JHWH wird als verständiger königlicher Baumeister vorgestellt, der ohne jeden
zusätzlichen Rat sein Werk vollbringt: die Wasserversorgung der Welt sicher-
zustellen und die Chaoswasser aus ihr herauszuhalten (»mit der hohlen Hand«)
und zugleich dem Himmel sein Maß zu bestimmen. In Tafel V des Enuma elisch
wird genau diese Metapher vom in die Hand Nehmen der Wasser und der da-
mit verbundenen Souveränität des Schöpfers als Werk Marduks geschildert:
»Den Speichel von Tiamtu [. . .]; [Marduk schuf dann] [. . .]; Er häufte zu Wolk[en, das
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Wasser] ließ er wogen. Das Erheben des Windes, das Regnenlassen, das Kaltwerden, das
Rauchenlassen von Nebel, das Aufhäufen ihres Gifts bestimmte er für sich selbst, ließ er
seine Hand ergreifen.«67

Auch das prüfende Maßnehmen bei der endgültigen Errichtung des Weltge-
bäudes nach Tötung der Tiamat zeigt Marduk in der Rolle eines weisen und
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völlig allein handelnden Demiurgen (Ende Tafel IV):


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»Den Himmel durchschritt er, Ašratu prüfte er; Er machte die Gegenstücke zum Apsû
dem Wohnsitz Nudimmuds gleich; Der Herr vermaß die Gestalt des Apsû; Als Ešgallas
Ebenbild errichtete er Ešarra. Ešgalla, Ešarra, das er gebaut hatte, (und) den Himmel – Er
ließ Anu, Ellil und Ea ihre Kultstätten bewohnen.«68

Die Stockwerke des Kosmos werden von Marduk passgenau übereinander ge-
setzt (siehe 3.3.) und darin die Wohnsitze der großen Götter eingerichtet: Anu
(im oberen Himmel), Enlil (im mittleren Himmel: Ešarra: zuständig für die
Erde) und Ea (im Apsû unten, der bereits zuvor etabliert worden war). Jes 40,12
verdichtet beides, das Maßnehmen und das in die Hand Nehmen zu einem
einzigen Bild der Größe JHWHs, bei dem auffällt, dass dieser – anders als Mar-
duk – mit seiner Handspanne die Himmel ausmisst: eine räumliche Steigerung
im Sinn der Gott-Welt-Unterscheidung. Denn Marduk findet sich ja, wie oben
gesagt, als Schöpfer bereits in einer unfertigen Welt mit einem Vorhimmel (ver-
bunden mit seinem Großvater Anu) vor. JHWH hingegen hat keine Voreltern
(vgl. Jes 43,10b–12a); er baut den Himmel auch nicht nur weiter aus, sondern
macht ihn mit der Erde zu seinem universalen Thronraum (Jes 40,21f):
»21 Erkennt ihr es nicht, hört ihr es nicht, ist es euch nicht verkündet vom Anfang her,
habt ihr nicht verstanden die Fundamente der Erde? 22 Der thront über dem Kreis / Ho-
rizont der Erde, ihre Bewohner – wie Heuschrecken! Der ausspannt (nāṭāh) wie Stoff /
Schleier (doq) den Himmel, ihn ausbreitet (mātaḥ, vielleicht auch ausmisst?) wie ein Zelt
zum Wohnen.«

67
Kämmerer / Metzler (s. Anm. 51), 234f (Enuma elisch V,47–52).
68
Kämmerer / Metzler (s. Anm. 51), 225f (Enuma elisch IV,141–146).
402 Friedhelm Hartenstein ZThK

Hier dient der Hinweis auf das Ausspannen des Himmels wie eine Zeltbahn69
erneut der Betonung der Größe und unbeschränkten Handlungsmacht JHWHs.
Es handelt sich meines Erachtens um eine Grundstelle zur Vorstellung vom
Ausbreiten / Ausspannen des Himmels und ihrer Bedeutung im Alten Testament.
Auch hier ist ein genauerer Blick in das Enuma elisch hilfreich. In ihm findet sich
eine vergleichbare Vorstellung, wenn aus der einen Hälfte Tiamats der Himmel
als Dach über der Erde installiert wird (Verb ṣullulu »bedachen / überdecken«):
»Der Herr ruhte, um ihren Leichnam zu betrachten, um den Fötus zu teilen, um Kunst-
volles zu schaffen. Er zerbrach sie wie einen Dörrfisch entzwei; Aus ihrer Hälfte setzte
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er ein(,) den Himmel(,) gestaltete er dann als Dach (ṣullulu). Er spannte eine Haut (mašku)
aus, er postierte Wächter; Ihr Wasser nicht herausgehen zu lassen, befahl er ihnen dann.«70

Unklar bleibt, ob das »Ausspannen« (Verb šadādu »ziehen«) der »Haut« eine
Erläuterung zur Überdachung ist oder eine zusätzliche Maßnahme. Der so
entstandene Himmel ist auf jeden Fall ein überlegtes Werk, das die Wasser
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eindämmt und für den fruchtbaren Wasserkreislauf »domestiziert«, von dessen


Etablierung Tafel V spricht (siehe oben).71 Für die stoffliche Qualität des aus-
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gespannten Himmels im Alten Testament ist schließlich noch Ps 104,2 lehrreich,


wo dieser als »Zeltbahn« gedacht ist (jerî‘āh). Man kann dazu freilich auch ohne
religionsgeschichtliche Ableitung auf die alltagsweltliche Anschauung des Zelt-
baus in Palästina verweisen.72 Im Blick auf die monotheistische Argumentation
von Jes 40,12–31 und den deuterojesajanischen Grundtexten in Jes 40–46(48)
scheint es mir aber wahrscheinlicher, dass das »Ausspannen« des Himmels und
dessen überlegene Planung und Einrichtung vor allem durch die Faszination der
Adressaten durch die Marduktheologie Babylons (auch noch in persischer
Zeit!) bedingt war. Nicht umsonst betonen Jes 42,5; 44,24; 45,12 (je nāṭāh) und
48,13 (ṭāpaḥ) (vgl. 51,13.16: je nāṭāh) die Souveränität des einzig handlungsfä-
higen Gottes am Bild des Ausspannens des Himmels. In Jes 42,5 wird dabei das

69
Oder einen Thronbaldachin, vgl. die Mehrdeutigkeit von jāšab »sitzen / wohnen«
und »thronen«. Dann würde sich das Bild vom »Himmelszelt« in Jes 40,22 zusätzlich mit
der Vorstellung eines Thronhimmels überlagern, wie er in Mesopotamien, besonders aber
bei den Achämeniden zur Herrschaftsrepräsentation gehörte; vgl. F. Hartenstein, Das
Angesicht JHWHs. Studien zu seinem höfischen und kultischen Bedeutungshintergrund
in den Psalmen und in Exodus 32–34 (FAT 55), 2008, 164f.
70
Kämmerer / Metzler (s. Anm. 51), 224f (Enuma elisch IV,135–140; Übersetzung
von Z. 139 [»Er zog eine Haut ein«] geändert mit Horowitz [s. Anm. 43], 112: »He stret-
ched out a skin«).
71
»Then in lines 139–40 Marduk stretches out a skin, presumably to keep the watery
corpse of Tiamat from draining downward into Apsu« (Horowitz [s. Anm. 43], 112).
72
Üblicherweise war die Zeltbahn dort aus gewebtem Ziegenhaar oder Fell; vgl.
G. Dalman, Arbeit und Sitte in Palästina 7: Zeltleben, Vieh- und Milchwirtschaft, Jagd,
Fischfang, 1939, 30–32; H. Weippert, Art. Zelt, BRL2, (363–364) 363.
110 (2013) JHWH, Erschaffer des Himmels 403

betont unanschauliche bārā’ durch nāṭāh erläutert. bārā’ als alleiniges Verb für
die Himmelsschöpfung findet sich in Jes 45,18:
»18 Ja, so hat JHWH gesprochen, der Schöpfer des Himmels (bôre’ haššāmajim) – er ist
der Gott, der Bildner der Erde (joṣer hā’āræṣ) und ihr Erschaffer – er hat sie fest zuge-
rüstet. Nicht als Leere / Ödnis hat er sie geschaffen – zum Wohnen hat er sie gebildet: Ich,
JHWH, und keiner sonst!«

Von den deuterojesajanischen Stellen wurden spätere Psalmen beeinflusst, die


wie Ps 96,5 (par. 1Chr 16,24) und Neh 9,6 deren Schöpfungstheologie weiter-
denken. Dabei spricht Ps 96 – eine perserzeitliche relecture von Ps 93; 29 und
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Jes 42,10 – von einer universalen Völkeraudienz vor dem Königsgott JHWH,
dessen unerreichbare Stellung über allen Göttern mit seiner Rolle als alleinigem
»Erschaffer des Himmels« begründet wird (Ps 96,4f par. 1Chr 16,25f):73
»4 Denn groß ist JHWH und hoch zu preisen, furchterregend ist er über allen Göttern!
5 Ja, alle Götter der Völker sind Nichtse, JHWH aber – den Himmel hat er gemacht (wa-
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JHWH šāmajim ‘āśah)!«


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Sehr betont hebt die Eingangsdoxologie des großen Bußgebets Neh 9,6–37 aus
spätpersischer Zeit gleich als erstes JHWHs Himmelserschaffung hervor und
bezieht sich dabei auch auf deuteronomisch-deuteronomistische Wendungen
(Neh 9,6):74
»Du, JHWH, bist der einzige (lebadækā)! Du hast den Himmel gemacht (‘āśîtā ’æt-haš-
šāmajim), den Himmel der Himmel und all sein Heer, die Erde und alles, was auf ihr ist,
die Meere und alles, was in ihnen ist, und du gibst ihnen alles Leben, und das Heer des
Himmels betet dich an!«

Hier liegt es sehr nahe, dass auch die oben (3.4.) genannten stereotypen achä-
menidischen Eingangsformeln der Königsinschriften ab Darius I. einen Einfluss
auf das Bild des königlichen JHWH als unumschränkter Schöpfer und Herr-
scher gehabt haben. Dasselbe gilt auch für Ps 33, einen späten lehrhaften Psalm
mit weitem literarischem Horizont,75 in dem vor allem das machtvolle königli-

73
Die Forschung ist sich dabei recht einig, dass der polemisch-abwertende Satz Ps 96,5a
einen noch späteren Zusatz und Korrekturversuch zu V.4 darstellt, vgl. F.-L. Hossfeld,
Psalm 96 (in: Ders. / E. Zenger, Psalmen 51–100 [HThK.AT 26], 2000, 667f).
74
Zu Neh 9 vgl. A. H. J. Gunneweg, Nehemia (KAT 19/2), 1987, 121–129, 125, der
für die Wendung »die Himmel der Himmel« auf 1Kön 8,27 und Dtn 10,14 verweist, für
das anbetende »Himmelsheer« auf Ps 103,21; 148,2; zur Geschichtstheologie des Bußge-
bets vgl. V. Pröbstl, Nehemia 9, Psalm 106 und Psalm 136 und die Rezeption des Penta-
teuchs, 1997, 7–105.
75
Zur nachexilischen Datierung und dem ebenso weisheitlichen wie priesterlichen
und prophetischen Gepräge von Ps 33 vgl. F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Die Psalmen.
Psalm 1–50 (NEB), 1993, 206; M. Oeming, Das Buch der Psalmen. Psalm 1–41 (KSK.AT
13/1), 2000, 191f (192: »später Lehrtext«); E. Zenger, »Es sei deine Liebe, JHWH, über
404 Friedhelm Hartenstein ZThK

che Befehlswort JHWHs bei der Erschaffung des Himmels und seines Heeres
(vgl. Jes 40,26) hervorgehoben wird76 (Ps 33,6):
»6 Durch das Wort JHWHs ist der Himmel gemacht (bi-debar JHWH šāmajim na‘aśû)
und durch den Hauch seines Mundes all sein Heer. 7 Er hält wie in einem Schlauch die
Wasser des Meeres zusammen und sammelt in Kammern die Fluten. 8 Die ganze Erde
fürchte JHWH, und vor ihm scheue sich alles, was auf dem Erdkreis wohnt.«

4.2. Die Priesterschrift und ihre Rezeption


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Die grundlegende Bedeutung von Gen 1,1–2,4a für die Theologie und Anthro-
pologie der Priesterschrift ist oft herausgestellt worden.77 Die unanschaulich
durch JHWHs Wort und Tun geschehende Errichtung des »Himmels« als fes-
ter Trenner zwischen den Wassern (rāqîa‘), der den Lebensraum eröffnet, ist
nach der Zeit (Scheidung von Licht und Finsternis) der zweite fundamentale
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Schöpfungsakt, der den Raum allererst strukturiert. Von oben nach unten, vom
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Himmel zur Erde, werden die Urgegebenheiten in die Lebenswelt transfor-


miert.78 Wie im Enuma elisch (Tafel V) werden die großen »Leuchten« zum
Zweck der Zeitanzeige erst nachgängig angebracht.79 Auffallend ist, wie wenig
die Priesterschrift hier polemisch argumentiert,80 ganz anders als die in dieser
Hinsicht viel stärker um ihre Adressaten ringenden Deuterojesajatexte. Für »P«
gilt in den Über- und Unterschriften Gen 1,1; 2,4a (vgl. Gen 2,1) der Merismus
»Himmel und Erde« (verbunden mit bārā’) als Zusammenfassung des ganzen

uns!« Beobachtungen zu Aufbau und Theologie von Psalm 33 (in: Achenbach / Ar-
neth [s. Anm. 5], 350–361).
76
Enuma elisch IV,19–26 schreibt ein solches königliches Machtwort Marduk (für die
Erschaffung eines Sternbilds: lumāšu) zu, der sich dadurch als unüberwindbar erweist:
»Er [sc. Marduk] sprach mit seinem Mund, das Sternbild wurde vernichtet; Er sprach ein
zweites Mal zu ihm. Das Sternbild wurde daraufhin (wieder) erschaffen« (Kämmerer /
Metzler [s. Anm. 51], 204 [Enuma elisch IV,25f]).
77
Vgl. etwa B. Janowski, Die lebendige Statue Gottes. Zur Anthropologie der pries-
terlichen Urgeschichte (in: Ders., Die Welt als Schöpfung [s. Anm. 6], 140–171).
78
Zur thematischen Struktur des Endtextes von Gen 1,1–2,4a vgl. O. H. Steck, Der
Schöpfungsbericht der Priesterschrift. Studien zur literarkritischen und überlieferungs-
geschichtlichen Problematik von Genesis 1,1–2,4a (FRLANT 115), 21981, 199–243; zur
Literarkritik Ch. Levin, Tatbericht und Wortbericht in der priesterschriftlichen Schöp-
fungserzählung (in: Ders., Fortschreibungen. Gesammelte Studien zum Alten Testament
[BZAW 316], 2003, 23–39).
79
Vgl. dazu auch die im Textverlauf späte Nennung der Erschaffung des »Himmels-
heers« als Unvergleichlichkeitsmerkmal JHWHs in Jes 40,26 (dazu ausführlich Albani
[s. Anm. 66], 124–255).
80
Vgl. J.-Ch. Gertz, Antibabylonische Polemik im priesterlichen Schöpfungsbe-
richt? (ZThK 106, 2009, 137–155).
110 (2013) JHWH, Erschaffer des Himmels 405

Schöpfungsgeschehens, und genauso rezipieren die Begründungen des Schabbat-


gebots in Ex 20,11; 31,17 auch den »P«-Bericht.
Ps 13681, der Gen 1 ebenfalls begrifflich aufnimmt, akzentuiert in einem
monotheistisch argumentierenden Sinn die Souveränität des Gottes Israels,
wenn er als das erste seiner »(für sich) allein« (lebadô) gewirkten »großen Wun-
dertaten« (niplā’ôt gedolôt) die Erschaffung des Himmels nennt (Ps 136,4–5):
»2 Preist den Gott der Götter! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 3 Preist den Herrn der
Herren! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 4 Der für sich allein (lebadô) große Wunder-
taten tut! Ja, seine Gnade / Güte ist für fernste Zeit! 5 Der den Himmel mit Einsicht
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(tebûnah) gemacht hat! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit!«

In V.7–9 wird anschließend nach der Ausbreitung der Erde »über den Wassern«
(V.6), in genauer Aufnahme der Reihenfolge von Gen 1 die Regelung der Zeiten
durch die Einrichtung der »großen Lichter« (vgl. Gen 1,14–18) geschildert, be-
vor der Psalm zur Heilsgeschichte (ab V.10 Plagen, Exodus, Landnahme) über-
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geht. Die Betonung der tebûnah »Einsicht« ausschließlich bei der Erschaffung
des Himmels ist bemerkenswert und verbindet Ps 136 mit weisheitlicher Schöp-
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fungstheologie.

4.3. Weisheitliche Schöpfungstheologie

Die explizite Schöpfungstheologie weisheitlicher Texte ist zwar in literarisch


jungen Kontexten belegt (etwa Spr 1–9; Hi 38–42). Sie verweist aber mit ihrem
explizit auf die Weltordnung und ihre Verständlichkeit als Lebenswelt reflek-
tierenden Zuschnitt auf die alten Grundlagen weisheitlichen Denkens. Dieses
war im Alten Orient wie in Israel erfahrungsbezogen und handlungsorien-
tierend. Indem JHWH in den nachexilischen Theologien des Alten Testaments
umfassende Kompetenz in der Gesamtwirklichkeit zugeschrieben wurde, hat
die späte Weisheit ihren ureigenen Gegenstand vertieft neu wahrgenommen.82
Die Erschaffung und Einrichtung des Himmels ist ein prominentes Beispiel
dafür. Wie in Ps 136,5 wurde auch nach Spr 3,19 der Himmel »in / mit Einsicht«,
die Erde »in / mit Weisheit« geschaffen:83

81
Vermutlich einmal ein Abschlusstext einer Vorstufe des Psalters, so Ch. Levin,
Psalm 136 als zeitweilige Schlussdoxologie des Psalters (SJOT 14, 2000, 17–27); J. Gärt-
ner, Die Geschichtspsalmen. Eine Studie zu den Psalmen 78, 105, 106, 135 und 136 als
hermeneutische Schlüsseltexte im Psalter (FAT 84), 2012, 362–371.
82
Vgl. H.-J. Hermisson, Zur Schöpfungstheologie der Weisheit (in: Ders., Studien
zu Prophetie und Weisheit. Gesammelte Aufsätze [FAT 23], 1998, 269–285); Keel /
Schroer (s. Anm. 3), 198–211 (zu Hi 38–42).
83
Zu Spr 3,19f vgl. etwa A. Meinhold, Die Sprüche. Teil 1: Sprüche Kapitel 1–15
(ZBK.AT 16/1), 1991, der auf Jer 10,12; Ps 104,24 als Kotexte verweist und zur theolo-
406 Friedhelm Hartenstein ZThK

»19 JHWH – in Weisheit (ḥåkmāh) hat er die Erde gegründet, hat zugerüstet (kûn) die
Himmel in Einsicht (tebûnah). 20 Durch seine Kenntnis – die Urfluten wurden gespal-
ten / brachen hervor und Wolken träufeln Tau.«

Nicht zufällig wird hier – stärker als in anderen Texten zur Erschaffung des
Himmels – von der intelligiblen Funktionalität des Himmels gesprochen, wenn
dieser von JHWH »in Einsicht zugerüstet / fest gemacht« wurde (kûn Polel). Es
geht um die am Himmel und der mit ihm verbundenen Wasserversorgung er-
kennbare und erwartbare Verlässlichkeit der guten Schöpfungswelt.84 Auch in
dem berühmten – durch die ägyptische Konstellation der vor Gott befindlichen
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Ma’at geprägten – großen Schöpfungstext Spr 8,22–31 steht die Himmels-


schöpfung an herausgehobener Stelle85 (wieder verbunden mit dem Verb kûn
[hier Hifil]). Die Weisheit spricht darin von ihrer uranfänglichen Anwesenheit
vor aller Zeit:86
»25 Bevor Berge eingesenkt worden waren, vor den Hügeln wurde ich geboren. 26 Als er
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noch nicht die Erde gemacht hatte und Fluren und den Anfang der Brocken des Erd-
kreises. 27 Als er befestigte / zurüstete (kûn) den Himmel, war ich da, als er einritzte /
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zeichnete den Horizont auf der Oberfläche der Urflut. 28 Als er fest machte Wolken
droben, als stark geworden waren die Quellen der Urflut. 29 Als er festsetzte dem Meer
seine Grenze [. . .].«

Hier ist die Erschaffung des Himmels der Umschlagpunkt des kosmogonischen
Geschehens. Bis zu seiner »Zurüstung / Stabilisierung« (V.27) dominiert die
Kette der »als noch nicht«-Aussagen. Mit dem »Himmel« beginnt die Errich-
tung des Weltgebäudes von oben nach unten wie dezidiert auch in der Kompo-
sition von Ps 104,2–9.87 Nach Spr 8,27 ist die Erschaffung des Himmels ein
zutiefst rationaler Akt Gottes.88 Von seinem »Grundriss« her wird die Urflut

giegeschichtlichen Einordnung bemerkt: »zu Beginn von V.20 deutet sich der Übergang
zur Weisheit als Schöpfungsmittel an, wenn unterirdische Wasser ›durch seine Kenntnis‹
hervorbrachen« (81).
84
Mit Ps 136 ist diese wie auch die Geschichte Ausdruck seines ḥæsæd »Güte / Bezie-
hungstreue«.
85
Vgl. zum ägyptischen Traditionshintergrund O. Keel, Die Weisheit spielt vor
Gott. Ein ikonographischer Beitrag zur Deutung des mesaḥäqät in Spr 8,30f, 1974.
86
Vgl. M. Leuenberger, Die personifizierte Weisheit vorweltlichen Ursprungs von
Hi 28 bis Joh 1. Ein traditionsgeschichtlicher Strang zwischen den Testamenten (in:
Ders., Gott in Bewegung [s. Anm. 12], 279–312), 292–298 (zu Spr 8,22–31).
87
In Ps 104 findet sich folgende Reihenfolge: V.2–4: Himmel:, V.5–9: Erde und Ein-
dämmung des Meeres; vgl. zur Themastruktur des Endtextes Krüger (s. Anm. 24), 92–
104; O. H. Steck, Der Wein unter den Schöpfungsgaben. Überlegungen zu Psalm 104
(in: Ders., Wahrnehmungen Gottes im Alten Testament. Gesammelte Studien [TB 70],
1982, 240–261); zur neueren Redaktionsgeschichte vgl. Müller (s. Anm. 17), 211–235.
88
Die Weisheit ist dabei stets anwesend.
110 (2013) JHWH, Erschaffer des Himmels 407

vermessen, eingegrenzt und in lebenspendende Wasser überführt (V.27b; 28f).


Diese großartige Souveränität des Schöpfergottes hat freilich je nach Stand-
punkt auch den Preis der Undurchschaubarkeit und Ferne. So zeichnet Hiob in
seiner Antwort an Bildad in Hi 9,8 die Kehrseite der in Spr 8,22–31 gezeich-
neten Weltordnung, die ihm Gott entfremdet (V.8–9: wieder Erschaffung des
Himmels, dann der Sterne):89
»6 Er bewegt die Erde von ihrem Ort, dass ihre Pfeiler erbeben. 7 Er spricht zur Sonne,
dass sie nicht aufgeht, und versiegelt die Sterne. 8 Er für sich allein (lebadô) hat den Him-
mel ausgespannt (noṭæh šāmajim) und geht auf den Wogen des Meeres. 9 Er machte den
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Wagen, Orion, das Siebengestirn und die Sterne des Südens. 10 Er tut große Dinge, un-
erforschlich, und Wundertaten, unzählbar. 11 Siehe, er geht vor mir vorüber und ich sehe
es nicht, er fährt vorbei und ich bemerke es nicht.«

Hier darf zum Schluss auch der Hinweis auf Ps 8,4 nicht fehlen – ein Text, der
die Stellung des Menschen vor der unermesslichen Größe des Schöpfergottes zu
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verstehen sucht.90 Nicht nur hier, sondern an allen anderen genannten Stellen
zur Erschaffung des Himmels geht es ja zuletzt um JHWHs Zuwendung zu
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seinen Geschöpfen, zu Israel, zu den Völkern und zu jedem einzelnen. Das


Verhältnis ist in alttestamentlicher Anthropologie stets auch spannungsreich,
die Ambivalenz und Fehlbarkeit des Menschen, aber auch die unnahbaren As-
pekte JHWHs sind bewusst. In Ps 8,4 heißt es:
»4 Wenn ich sehe deine Himmel, das Werk (ma‘aśæh) deiner Finger, Mond und Sterne, die
du fest gemacht / zugerüstet hast (kûn Polel) – 5 Was ist ein Mensch, dass du seiner ge-
denkst, und ein einzelner Mensch, dass du dich um ihn sorgst?«91

89
Vgl. zu Hi 9,5–10 M. Köhlmoos, Das Auge Gottes. Textstrategie im Hiobbuch
(FAT 25), 1999, 207–209; J. Ebach, Streiten mit Gott. Hiob. Teil 1: Hiob 1–20 (Kleine
Biblische Bibliothek), 32007, 94–96.
90
Zum Menschenbild von Ps 8 vgl. U. Neumann-Gorsolke, Herrschen in den
Grenzen der Schöpfung. Ein Beitrag zur alttestamentlichen Anthropologie am Beispiel
von Psalm 8, Genesis 1 und verwandten Texten (WMANT 101), 2004, 20–136; A. Schel-
lenberg, Der Mensch, das Bild Gottes? Zum Gedanken einer Sonderstellung des Men-
schen im Alten Testament und in weiteren altorientalischen Quellen (AThANT 101), 2011,
143–177.
91
Dazu möchte ich abschließend den Jubilar (s. Anm. 1) zitieren, der nicht nur der
Kosmologie, sondern vor allem der mit dieser notwendig verflochtenen Anthropologie
des Alten Testaments viel Forschungszeit gewidmet hat: »Der Mensch lebt und ist
Mensch, weil Gott seiner gedenkt und sich seiner annimmt (vgl. Ps 144,3) oder weil er –
wie Hi 7,17f den Gedanken der Aufmerksamkeit Gottes bezeichnenderweise abändert –
sein ›Herz‹ prüfend auf ihn richtet. In der Betrachtung der Schöpfung Gottes [sc. in Ps 8,4
eben des Himmels] wird der Mensch seines Menschseins inne« (B. Janowski, Konflikt-
gespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, 42013, 11).
408 Friedhelm Hartenstein ZThK

5. JHWH, Erschaffer des Himmels: Resümee zu Herkunft und Bedeutung

Erstens: Die alttestamentliche Rede von JHWH als dem Erschaffer des Him-
mels stellt seine universale Handlungsmacht, Einsicht und Weltüberlegenheit
gegenüber allen anderen Mächten heraus. Sie ist ein monotheistisches Kernar-
gument (vgl. hierzu auch das oft mit der Erschaffung des Himmels verbundene
lebadô »für sich allein«). Die Aussage, JHWH habe den Himmel erschaffen, ist
Teil der ab dem 6. Jahrhundert v. Chr. prominent hervortretenden alttestament-
lichen Schöpfungstheologien in der Priesterschrift, den Prophetenbüchern (vor
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allem Deuterojesaja92) und der späten Weisheit. Zugleich liegt die Bedeutung
dieser Rede für Israel und die Menschheit in der Zuwendung Gottes, wie sie in
einer lebensförderlichen Welt sichtbar wird (Ordnung der Zeiten, Verlässlich-
keit der Himmelsbewegungen, Wasserkreislauf durch Regen und Fruchtbarkeit
und – nicht zuletzt – Schönheit). Aber auch die unerforschliche Größe und der
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weite Abstand zwischen Schöpfer und Geschöpf werden mit ihr betont.
Zweitens: Die Frage nach der religionsgeschichtlichen Herkunft der pointier-
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ten Rede von JHWH als Erschaffer des Himmels scheint mir am eindeutigsten
so zu beantworten zu sein, dass sie in den Grundtexten des Deuterojesaja erst-
mals als monotheistisches Argument in Auseinandersetzung mit der Marduk-
theologie Babylons gebraucht wurde (die wichtigste Stelle dafür ist Jes 40,22, sie-
he 4.1.). Ob sie – wie andere Motive der expliziten Schöpfungstheologien – ältere
Vorläufer im eisenzeitlichen Palästina hat, muss offen bleiben. Neben Mesopo-
tamien wird auch die große Bedeutung des Lobpreises Ahuramazdas als trans-
zendenter und universaler Schöpfergott in den achämenidischen Königsinschrif-
ten für die Profilierung JHWHs in derselben Rolle wichtig gewesen sein (die
Aussagen zu JHWH als Himmelsgott finden sich besonders in Texten ab der
persischen Zeit). Zuletzt ist es jedoch die historisch-individuelle Eigenart der
Geschichte JHWHs, die ihn als Schöpfer des »Himmels und der Erde«, der
»sichtbaren und der unsichtbaren Welt«, zum Gott Jesu Christi und so auch zu
unserem Gott hat werden lassen.

92
Aufschlussreich im Blick auf die monotheistische Funktion ist auch der spät in den
Abschnitt Jer 10,2–16 gelangte aramäische Einschub Jer 10,11: »So sollt ihr zu ihnen [sc.
den Völkern] sprechen: Die Götter, die Himmel und Erde nicht gemacht haben (aram.
‘abad), sollen von der Erde und unter diesem Himmel verschwinden!« Vgl. dazu z. B.
H. Weippert, Schöpfer des Himmels und der Erde. Ein Beitrag zur Theologiegeschich-
te des Jeremiabuches (SBS 102), 1981, 34f.
110 (2013) JHWH, Erschaffer des Himmels 409

Summary

The article asks when and why YHWH became the creator of heaven(s). Based on the ob-
servation that the heaven(s) play a more and more dominant role in exilic-postexilic texts,
the article begins with an overview of the development of creation theologies as part of
monotheism since Deutero-Isaiah and »P«. All the notions of YHWH »stretching out«
or »making« the heaven(s) occur in late texts. Mostly we find the formulaic use of »heaven
and earth« as objects of creation, but there are also a few instances where heaven is the
sole object of YHWH’s actions (Ps 96:5 parr. 1Chr 16:26; Ps 33:6; see further Isa 40:22;
Ps 8:4). Here – and in some other more indirect instances – the creation of heaven is
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stressed as a monotheistic core argument showing YHWH’s predominance (often with


lebadô »he alone«). A second part of the article undertakes a survey through ancient Near
Eastern sources in order to collect comparable material for the creation of heaven(s).
The most striking parallel comes from the Babylonian creation myth Enuma elish where
Marduk establishes the heaven(s) after his killing of Tiamat. Here we find the notion of
»stretching out a skin« as part of his deeds. This could have been reinterpreted in
Deutero-Isaiah since Isa 40:22 and other texts use this concept in particular. The third part
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of the article examines this in more detail and gives an additional overview of the topic in
»P« (Gen 1), in the Psalms, and in late creation texts of wisdom literature (Prov 8; Iob).
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