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9
27. 2. 2013 Bulletin des médecins suisses
Editorial 317
Entwickelt sich die Tarifstruktur SwissDRG
genügend rasch?
FMH 319
Vergütung hochteurer Fälle unter SwissDRG
Ökonomie 3 47
Gesundheit und Gesundheitssysteme in Europa –
ein aktueller Ländervergleich
Editorial SPOG
317 Neue Spitalfinanzierung: 327 Das Schweizer Kinderkrebsregister:
Entwickelt sich die Tarifstruktur SwissDRG Erfahrungen als nationales Krebsregister
genügend rasch? Claudia E. Kuehni et al.
Pierre-François Cuénoud Im Rahmen der Vernehmlassung zum nationalen Krebs-
registrierungsgesetz werden Vor- und Nachteile einer
SwissDRG nationalen Krebsregistrierung diskutiert. Das Schweizer
319 Vergütung hochteurer Fälle Kinderkrebsregister blickt auf fast 40 Jahre Erfahrung als
unter SwissDRG nationales Krebsregister zurück und zeigt einen klaren
Petra Ingenpass Nutzen für Klinik, Forschung und Public Health.
In der Akutsomatik sind gewisse stationäre Behandlungs-
fälle sehr komplex und kostenintensiv. Auch mit sorgfäl-
tiger DRG-Kodierung ist es nicht möglich, den ausge- Briefe / Mitteilungen
lösten finanziellen Aufwand auch nur annähernd abzu-
decken. Die SwissDRG AG ist gefordert, in diesem Bereich 331 Briefe an die SÄZ
mit ihren Partnern Lösungen zu finden.
332 Facharztprüfungen /Mitteilungen
Aktuell
321 Neuer Service für alle FMH-Mitglieder
Jürg Schlup, André P. Perruchoud FMH Services
Das Schweizerische Medizin-Forum, offizielles Fortbil-
dungsorgan der FMH, enthält neu «Extended abstracts» 333 Seminare/Séminaires/Seminari 2013
und journalistisch aufbereitete Zusammenfassungen FMH Consulting Services
der «Reviews» des Swiss Medical Weekly. Wissenschaft-
liche Inhalte werden damit in ansprechender Form allen 337 Rechtsschutzversicherung für Ärzte
FMH-Mitgliedern zugänglich gemacht. FMH Insurance Services
Tribüne Horizonte
Tagungsbericht Buchbesprechung
348 Mehr Regulierung in der Medizin – 356 Difficultés de l’aide aux personnes
Qualitätsschub oder Innovationshemmnis? qui ont besoin de protection –
Ruth Amstein, Alexander Breitenstein, récit d’une curatelle
Thomas F. Lüscher Jean Martin
Bericht vom 9. «Cardiovascular Roundtable» des Univer- Anhand der Geschichte einer Beistandschaft werden ge-
sitätsSpitals Zürich, der Entscheidungsträger aus Ärzte- sellschaftliche Entwicklungen reflektiert. Der Rezensent
schaft, Pharma- und Medizinaltechnikindustrie, Kranken- konstatiert eine Zunahme der Komplexität. Dass die Ge-
versicherungsbranche und Politik zum offenen Meinungs- sellschaft früher einfacher strukturiert war, heisst aller-
austausch zusammenbringt. dings nicht, dass sie besser war.
Anna
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Editorial FMH
Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 9 317
Editores Medicorum Helveticorum
SwissDRG FMH
Petra Ingenpass Die meisten teuren stationären Behandlungsfälle sind ein Beispiel mit Gesamtfallkosten über einer halben
durch die DRG gedeckt. Ganz anders ist die Situation Million Franken sollte nicht als Massstab dienen.
Stv. Leiterin Tarife jedoch bei hochteuren Fällen mit Zuordnung zu einer Solche Kosten betreffen nur eine sehr kleine Anzahl
und Gesundheitsökonomie
Spitalärzte
DRG, welche einen viel zu niedrigen Erlös ergibt, das Fälle.
Spital verzeichnet dann einen finanziellen Verlust.
Vielfältige Ursachen
Teure Fälle sind nicht gleich teure Fälle Hochteure Behandlungsfälle mit Unterdeckung der
In welchen Fällen man von hochteuren Fällen bzw. Behandlungskosten stellen keine Rarität dar und
Hochkostenfällen spricht, ist nicht klar festgelegt. In kommen insbesondere, aber nicht nur, in Universi-
Deutschland werden nach einer Einteilung von Dr. tätsspitälern oder spezialisierten Zentren vor. Von der
med. A. Tecklenburg von der Medizinischen Hoch- Ärzteschaft wurde die Problematik der Unterdeckung
aufwendiger Fälle bereits früh erkannt. An der letzten
Veranstaltung des Ressorts Tarife und Gesundheits-
Schweizer Universitätsspitäler müssen mit Erlös- ökonomie Spitalärzte der FMH hat Herr Prof. Dr.
med. Guido Beldi, DRG-Delegierter der Schweizeri-
einbussen von zwischen 20 000 und 50 000 Franken schen Gesellschaft für Viszeralchirurgie [5], Beispiele
aus seiner Klinik präsentiert. Dabei wurde deutlich,
pro Hochkostenfall rechnen.
dass es gehäuft bei solchen Fällen zu hohen Kosten
mit Untervergütung kommt, die bereits in einem an-
deren Spital vorbehandelt wurden und bei denen der
schule Hannover (MHH) die Patienten als «Extrem- komplizierte Verlauf eine Verlegung an das Universi-
kostenfälle» definiert, die Behandlungskosten von tätsspital notwendig machte. Häufig waren Re-Ope-
über 20 000 Euro generieren, wovon aber weniger als rationen, intensivmedizinische Behandlung und
die Hälfte durch die Fallpauschale abgedeckt ist [1]. teure Medikamente oder Blutprodukte erforderlich
An der MHH erfüllen diese Kriterien etwa 250 bis (Tab. 1).
450 Fälle pro Jahr. Die Behandlung dieser Patienten Betrachtet man beispielsweise die Intensivstation
ergibt ein durchschnittliches Defizit von 25 000 bis als mögliche Ursache hoher Kosten, so fällt auf, dass
30 000 Euro pro Fall, sodass die MHH gemäss Dr. im SwissDRG System 2.0 die intensivmedizinische
med. A. Tecklenburg ein jährliches Unterdeckungs- Therapie mit einem entsprechenden Prozedurenkode
volumen von ca. 6,5 Mio. Euro aufweist. Hochge- abgebildet werden kann. Ein Kode für die weniger
rechnet auf das Bundesgebiet Deutschland sei ein ressourcenintensive Behandlung auf der Intermediate
Gesamtvolumen von etwa einer halben Mrd. Euro Care Einheit wurde 2012 beantragt. Ohne diesen Pro-
anzunehmen [2]. zeduren-Kode ist eine sachgerechte Abbildung von
Auch die Gesundheitsdirektion Zürich berichtet
Tabelle 1
von Patientengruppen, bei welchen die ausgelösten
Häufige Ursachen von Hochkostenfällen.
Kosten die durch die Fallpauschale generierten Ein-
nahmen um mehr als 30 000 Franken übersteigen. Verlegung von anderem Spital
Am UniversitätsSpital Zürich wurden knapp 2000 sol-
Externe Vorbehandlung
cher hochdefizitärer Behandlungsfälle behandelt [3].
Spezialisierte und/oder chirurgische Fälle
Korrespondenz: Die SwissDRG AG geht in ihrem Strategiepapier
Komplexer Fall mit hohem PCCL [6]
Dr. med. Petra Ingenpass [4] zur Weiterentwicklung des SwissDRG-Systems
FMH ebenfalls auf die Problematik der Hochkostenfälle ein. Hohe Leistungsdichte
Froburgstrasse 15
Dort wird als Beispiel ein Hochkostenfall von über Intensivstation und/oder Intermediate Care Unit
CH-4600 Olten
Tel. 031 359 11 11 500 000 Franken mit einer Abweichung von den Hohe Verweildauer
Fax 031 359 11 12 mittleren Kosten von über 50 000 Franken angege- Teure Medikamente
tarife.spital[at]fmh.ch ben. Beide Werte sind aus Sicht der FMH zu hoch,
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Editores Medicorum Helveticorum
SwissDRG FMH
Leistung und Kosten der Intermediate Care in der gelte helfen, den Umfang der Untervergütung bei auf-
DRG-Kalkulation nicht möglich. Die Untervergütung wendigen und hochteuren Einzelfällen zu reduzieren.
von Behandlungsfällen ist aber auch ein Problem klei- Gleichzeitig verhindern sie eine systematische Ver-
ner Spitäler und führt zu einem beachtlichen Defizit, zerrung der Leistungsvergütung.
wie Frau Kerstin Schlimbach Neuhauser als leitende Zwar sind diese Lösungen Schritte in die richtige
Internistin [7] an derselben FMH-Veranstaltung an- Richtung, sie reichen aber bei weitem nicht aus, um
hand mehrerer Fälle dargestellt hat. Hohe Kosten ver- die generierten finanziellen Verluste bei bestimm-
ursachen dabei neben Medikamenten auch Arztkos- ten Patientengruppen zu minimieren. Immer wieder
ten (Belegarzt) bzw. Fremdleistungen. werden deshalb auch in Deutschland trotz 10-jäh-
Die Beispiele von Prof. Dr. med. Guido Beldi zei- riger Erfahrung mit Fallpauschalen weiterführende
gen, dass in einem Universitätsspital hochteure Fälle Lösungsmöglichkeiten diskutiert.
bei Unterdeckung meist Erlöseinbussen von zwischen
20 000 und 50 000 Franken verursachen. Allein 7,6% Gute Lösungen für die Schweiz sind gefragt
der Fälle in seiner Klinik weisen ein Defizit von über Die SwissDRG AG beobachtet die weiteren Entwick-
20 000 Franken auf. In Einzelfällen gibt es sogar Fehl- lungen in Deutschland und prüft diese im Hinblick
beträge von über 200 000 Franken. Im kleinen Spi- auf eine mögliche Übernahme in das Schweizer Sys-
tal der Grundversorgung lagen die Verluste durch- tem. Zudem hat die SwissDRG AG nach zahlreichen
schnittlich zwischen 15 000 und 30 000 Franken. Vorstössen der FMH datenbasiert 28 Zusatzentgelte
für die SwissDRG-Version 3.0 kalkuliert.
Das allein reicht nicht aus - zusätzliche Massnah-
Untervergütete Hochkostenfälle men sind gefordert. Gemäss der SwissDRG AG können
sind auch an kleinen Spitälern Lösungen für die Abgeltung von Hochkostenfällen
gegebenenfalls auch ausserhalb der Tarifstruktur er-
möglich. arbeitet werden, sollte eine Differenzierung im Fall-
pauschalensystem nicht möglich sein.
Nun gilt es, dass die SwissDRG AG zusammen mit
Erste Lösungsansätze in Deutschland ihren Partnern entsprechende Lösungen erarbeitet.
2006, zwei Jahre nach der verbindlichen Einführung Die FMH wird sich auch weiterhin dafür einsetzen,
von Fallpauschalen im stationären Sektor, wurde in dass Hochkostenfälle leistungsgerecht vergütet wer-
Deutschland die Unterdeckung bestimmter hoch- den.
teurer Fälle bereits intensiv diskutiert und nach mög-
lichen Wegen gesucht, das Problem anzugehen. Literatur
Die Spitäler, die Kosten- und Leistungsdaten 1 VUD-Herbstforum: Unikliniken auf der Suche
zur Pflege und Weiterentwicklung der deutschen nach der gerechten Finanzierung. In: Das Kranken-
haus,11/2012. S. 1177.
Fallpauschalen liefern, können separat Daten von
untervergüteten Hochkostenfällen erheben. Auf die- 2 Präsentation «Weiterentwicklung des DRG-Systems»,
Dr. med. Andreas Tecklenburg, Vorstand Krankenversor-
ser Grundlage fand man für verschiedene DRGs und
gung, MHH Medizinische Hochschule Hannover 2012.
Konstellationen Lösungen innerhalb des Fallpauscha-
3 Neue Zürcher Zeitung, 17. November 2012,
len-Systems. Einige Schwerpunkte sind dabei die In-
«Hochdefizitäre Patienten und teure Kurzlieger».
tensivmedizin, die Versorgung von Kindern, Mehr-
4 vgl. www.swissdrg.org
facheingriffe sowie Mehrzeitigkeit der Prozeduren.
So wurden beispielsweise die Beatmungs-DRGs wei- 5 Prof. Dr. med. Guido Beldi, Universitätsklinik für
Viszerale Chirurgie und Medizin, Bereich Chirurgie,
ter differenziert, Kodes für Komplexbehandlungen
Inselspital Bern.
geschaffen oder datenbasiert Alterssplits eingeführt.
6 PCCL: Patient Clinical Complexity Level; patienten-
Für seltene, aufwendige chirurgische Fälle bestehen
bezogener Gesamtschweregrad unter Berücksichtigung
im deutschen DRG-System beispielsweise spezifische der Komplikationen und Komorbiditäten.
DRGs. Die Schweiz konnte durch die Übernahme
7 Kerstin Schlimbach Neuhauser, Leitende Ärztin
einiger dieser Umbauten in SwissDRG von den Er- Innere Medizin, Spital Einsiedeln.
kenntnissen profitieren. Die in Deutschland verfüg-
8 Bei einem bewerteten Zusatzentgelt ist ein Preis
baren über 150 bewerteten und unbewerteten Zu- kalkuliert, die Vergütungen unbewerteter Zusatzent-
satzentgelte [8] tragen ebenfalls zu einer verbesserten gelte werden zwischen den Leistungserbringern und
Abbildbarkeit erbrachter Leistungen bei. Zusatzent- den Krankenversicherern verhandelt.
Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 9 320
Editores Medicorum Helveticorum
Aktuell FMH
Die Ärztekammer der FMH hat am 26. Oktober 2011 Wir sind überzeugt, dass die Inhalte des SMW,
beschlossen, die drei Kernzeitschriften des Schweize- insbesondere die verschiedenen Reviews in den Sek-
rischen Ärzteverlages durch ein Sockelabonnement tionen «medical intelligence», «current opinion»
zu unterstützen: Schweizerische Ärztezeitung, und «medtech», viele FMH-Mitglieder ansprechen
Schweizerisches Medizin-Forum und Swiss Medical werden. Alle haben ein akademisches Studium hin-
Weekly. Das Swiss Medical Weekly ist eine wissen- ter sich, bilden sich regelmässig weiter und werden
schaftliche Zeitung, die sich als Plattform für den diese einfachen, übersichtlichen und kondensierten
Schweizer akademischen Nachwuchs einsetzen will. Appetizer sicher zu schätzen wissen.
Es ist eine Online-Zeitschrift, die open access er- Wissenschaft begleitet die Ärztin und den Arzt
scheint, und liegt damit im Trend der universitär ge- nicht nur im Studium und in der Weiterbildung,
wünschten Publikationen. sondern auch in der Fortbildung. Das SMW ist nicht
Seit Anfang 2013 gibt es eine neue Printversion das NEJM, aber doch eine Schweizer Kost, die sich je-
des SMW, die unverändert die «extended abstracts» des Jahr besser zu profilieren weiss.
der Originalarbeiten und neu eine journalistisch ver- Wir wünschen Ihnen viel Freude an diesem
arbeitete Zusammenfassung der «reviews» beinhal- neuen Service für die FMH-Mitglieder!
tet. Dies soll dem Leser erlauben, sich rasch ein Bild
zu machen, ob und wofür er sich im Internet den
ganzen Artikel anschauen möchte. Diese neue Print- Dr. med. Jürg Schlup, Präsident FMH
version erscheint als zweiter Teil zusammen mit dem
Schweizerischen Medizin-Forum und erreicht somit Prof. Dr. med. André P. Perruchoud, Chefredaktor SMW
jede Woche alle FMH-Mitglieder.
Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 9 321
Editores Medicorum Helveticorum
Zentralvorstand FMH
Masterplan Hausarztmedizin – Für die Neuorgani einzubringen. Auf Wunsch des ZV sollen alle Res
sation von TARMED Suisse soll eine Taskforce Lösun sorts bis Ende Februar Stellung zur Roadmap neh
gen bis zum 30. April 2013 ausarbeiten. Aufgrund der men, um die Antworten anschliessend diskutieren
neuen Ausgangslage beschliesst der Zentralvorstand zu können.
(ZV), für das Teilprojekt des Masterplans «Finanzie
rung und Versorgung» die Priorisierung von Kapitel Ausschluss Doppeltitelträger – In den Hausarzt
40 und die Übergangslösung mit Roadmap nochmals listenmodellen einiger Krankenkassen werden die
in der Delegiertenversammlung (DV) zu diskutieren Doppeltitelträger ausgeschlossen. Der ZV stellt sich
und das Gespräch mit Hausärzte Schweiz zu suchen. grundsätzlich gegen jegliche Listenmodelle und
entscheidet, ein allfälliges Musterverfahren mitzu
Roadmap nachhaltiges Gesundheitssystem – Die unterstützen, um Druck gegenüber den Kassen aus
SAMW lädt die FMH dazu ein, bis Mitte April ihre zuüben. Da die kantonale Ebene zentral ist, soll die
Kompetenzen und Positionen in die Roadmap «Ein FMH auf die KKA zugehen.
nachhaltiges Gesundheitssystem für die Schweiz»
Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 9 322
Editores Medicorum Helveticorum
FMH
Personalien
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Editores Medicorum Helveticorum
SGV O R G A N I S AT I O N E N D E R Ä R Z T E S C H A F T
Max Giger, Die Spezialitätenliste (SL) [1] enthält beinahe alle in Gesundheitsgesetzen nachvollziehbar festzuhalten.
Arthur Krähenbühl, der ambulanten Therapie Erwachsener benötigten Vor dem Einsatz des Arzneimittels muss der Arzt
Beat Seiler, Jürg Zollikofer Arzneimittel. Diese Arzneimittel müssen gemäss der beim Krankenversicherer die Kostengutsprache
Fachinformation und allfälliger Limitationen (L) an beantragen. Dies hat mittels eines medizinisch be
gewandt werden. Die Kosten der gelisteten Arznei gründeten Gesuchs zuhanden des Vertrauensarztes
mittel werden von der obligatorischen Krankenpflege zu erfolgen.
versicherung (OKP) übernommen. Im Prinzip werden von der OKP in begründeten
In der Kinder und Jugendmedizin müssen Einzelfällen auch Arzneimittel ausserhalb der SL
wegen fehlender klinischer Studien mit Patienten übernommen. Gemäss Artikel 71 a und b der Verord
dieser Altersgruppe mehr als die Hälfte der Arznei nung über die Krankenversicherung (KVV SR
mittel ausserhalb der Fachinformation (u. a. andere 832.102) übernimmt die OKP den Einsatz von Arz
Dosierung, andere Applikation, andere Population) neimitteln unter folgenden Voraussetzungen:
angewandt werden. Auch im Bereich der Geriatrie – Das Arzneimittel ist eine unerlässliche Vorausset
und Alterspsychiatrie, insbesondere im Rahmen von zung für die Durchführung einer anderen von
Verhaltensstörungen bei Demenz, werden oft ältere der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
Arzneimittel ausserhalb der Fachinformation ange übernommenen Leistung
wandt. Der Einsatz ausserhalb der Fachinformation – Vom Einsatz des Arzneimittels wird ein grosser
erfolgt aufgrund allgemeinen Wissens und Erfahrung therapeutischer Nutzen gegen eine Krankheit er
sowie Guidelines [2], und die Kosten der Arzneimit wartet, die für die versicherte Person tödlich ver
tel werden von den Krankenversicherern im Allge laufen oder schwere und chronische gesundheit
meinen ohne Rückfrage übernommen. liche Beeinträchtigungen nach sich ziehen
Im Bereich der Onkologie und bei Behandlung kann, und es ist keine andere wirksame und zu
seltener Krankheiten werden ältere und vor allem gelassene Behandlungsmethode verfügbar.
neuere Arzneimittel oft ausserhalb der Fachinforma
tion (OffLabelUse), ausserhalb der in der SL aufge Es ist Aufgabe des Vertrauensarztes, den Nutzen und
führten Limitatio (OffLimitatioUse), nichtgelistete die Zweckmässigkeit des Einsatzes beim individuel
Korrespondenz: registrierte Arzneimittel (OffSLUse) oder gar nicht len Patienten zu beurteilen. Der Krankenversicherer
Dr. med. Jürg Zollikofer registrierte Arzneimittel (UnlicensedUse) angewandt. bestimmt die Höhe der Vergütung.
Präsident Schweizerische
Seltener trifft dies für andere Therapiegebiete zu. Die Schweizerische Gesellschaft der Vertrauens
Gesellschaft der Vertrauens
und Versicherungsärzte SGV Vorgängig der Medikation ausserhalb der Fachinfor und Versicherungsärzte (SGV) erarbeitete in Zusam
c/o MBC Markus Bonelli mation oder gar nichtregistrierter Arzneimittel muss menarbeit mit den Vertrauensärztlichen Diensten
Consulting der Patient über die Ausnahmesituation orientiert der grösseren Krankenversicherer eine Systematik
Wülflingerstrasse 59
CH8400 Winterthur werden [3]. Einzig bei expliziter Zustimmung des zur allgemeinen Nutzenbewertung von Arzneimit
Tel. 052 226 06 03 informierten Patienten dürfen diese Arzneimittel teln [4]. Anhand einheitlicher Kriterien sollen die
Fax 052 226 06 04 eingesetzt werden. In der Patientenakte ist der Vertrauensärzte den Nutzen der nichtgelisteten Arz
info[at]vertrauensaerzte.ch ausserordentliche Einsatz gemäss den kantonalen neimittel innerhalb eines vertretbaren Zeitrahmens
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SGV O R G A N I S AT I O N E N D E R Ä R Z T E S C H A F T
(20–30 Minuten) beurteilen können. Darauf basierend mung eines Arzneimittels [5]. Es ist das Ergebnis aus
und unter Berücksichtigung wichtiger Prämissen des den Erfahrungen bei über 2000 Fällen. Es hat sich für
individuellen Patienten (u. a. klinischer Allgemein die Anwendung onkologischer und nicht onkologi
zustand, Multimorbidität, aktuelle und frühere Be scher Fälle bewährt. Das Modell gibt auch in Orphan
handlungen) können sie die Empfehlung zuhanden Situationen eine zuverlässige Nutzenbewertung ab.
des Krankenversicherers formulieren. Zur Nutzenbe Im Zentrum stehen die wissenschaftlich abgestütz
urteilung stehen heute die zwei auf den Abbildungen ten Kriterien zur Datenqualität, zur Wirkung und
dargestellten Modelle zur Verfügung. zur Lebensqualität. Die Darstellung wurde vereinfacht
und die Praxistauglichkeit verbessert. Die Kriterien ba
9-Felder-Modell sieren auf einem breiten Konsens, sie sind klar defi
Der zu erwartende medizinische Nutzen des Arznei niert und für jedermann nachvollziehbar. Neu wurde
mittels wird aufgrund der wissenschaftlichen Evidenz das Nebenwirkungsprofil (Adverse Events) detaillierter
und dessen Wirkung in den bekannten Studien er dargestellt und die Validität des Modells überprüft.
mittelt (Abb. 1). Die wissenschaftliche Evidenz wird Beide Modelle werden von Vertrauensärzten an
in drei Stufen, von Case Reports bis PhaseIIIStudien gewandt. Sie erlauben eine Beurteilung des klini
bzw. Registrierung durch EMA oder FDA, eingeteilt schen Nutzens innerhalb kurzer Zeit. Die Ergebnisse
und auf der Ordinate dargestellt. Der methodolo stimmen in hohem Ausmass überein. Es können
gisch bedingten geringeren Evidenz im Falle eines beide Modelle «additiv» eingesetzt und die Resultate
Arzneimittels zur Behandlung einer seltenen Krank verglichen werden, um allfällige Unsicherheiten bei
heit («Orphan Disease») wird mit einer um eine der Nutzenbeurteilung zu beseitigen.
Stufe höheren Bewertung Rechnung getragen. Die Je besser die Wirkungen und Nebenwirkungen
wichtigsten Parameter, die in klinischen Studien zur der Arzneimittel dokumentiert sind, desto weniger
Beurteilung der Wirkung der untersuchten Arznei Unsicherheit tritt bei der Nutzenbeurteilung auf.
mittel verwendet werden, sind als Mass des «medizi Eine ausführliche und vertrauenswürdige Dokumen
nischen Effekts» auf der Abszisse aufgeführt. In der tation – auch mit Resultaten aus OffLabelUse –
Onkologie sind dies das Gesamtüberleben («Overall erleichtert im Interesse der Patienten die Nutzen
Survival»/OS) und die Zeitspanne zwischen dem beurteilung. Die Pharmaindustrie kann durch Kom
Einsatz des Arzneimittels und dem Fortschreiten der munikation publizierter und nichtpublizierter
Krankheit, d. h. das progressionsfreie Überleben Daten zu bekannten und neuen Wirkstoffen die
(«Progressionfree Survival»/PFS). Das Ausmass des Nutzenbeurteilung stärken und beschleunigen. Die
medizinischen Effektes wird in drei Stufen eingeteilt. möglichst breite Öffnung «schlummernder» bzw.
Das Zusammenführen der wissenschaftlichen Evidenz «pharmainterner» Datenbanken für Vertrauens
mit dem medizinischen Effekt ermöglicht die Eintei ärzte und behandelnde Ärzte ist im Interesse einer
lung der Arzneimittel in vier Nutzenkategorien. sicheren und effizienten Patientenbehandlung. Da
durch werden weder der OffLabelUse gefördert
MediScore-Modell noch eine «ParallelSL» geschaffen.
Das MediScoreModell (Abb. 2) ist eine Weiterent Die SGV begleitet im Rahmen einer Arbeits
wicklung des HelsanaModells zur Nutzenbestim gruppe den Einsatz dieser Modelle und veranlasst de
Abbildung 1
9-Felder-Modell.
Phase-III-Studie
hoch Zulassung EMA/FDA c
Nutzen
A hoch
B bedeutsam
C mit Potential
D mässig–gering
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SGV O R G A N I S AT I O N E N D E R Ä R Z T E S C H A F T
Tabelle1
ren Anpassung an die Bedürfnisse der anwendenden zenbewertung von Arzneimitteln insbesondere bei
Vertrauensärzte. OffLabelUse stattfinden. Die davon betroffenen
Im Prinzip gehören diese Modelle in die Hände Ärzte, Versicherer, Ämter und Pharmafirmen sind
der behandelnden Ärzte. Sie können dadurch in der zur Teilnahme eingeladen.
Entscheidungsfindung und bei der Kommunikation
mit den Patienten unterstützt werden. Ärzte sollten Literatur
immer selbst vorgängig der Diskussion mit den be 1 www.sl.bag.admin.ch
troffenen Patienten den Nutzen nichtgelisteter Arz 2 www.kinderdosierungen.ch
neimittel abklären. Nichtgelistete Arzneimittel soll 3 Giger M, Saxer U, Wildi A, Fritz MB. Medikationspro
ten einzig bei nachgewiesenem hohem zu erwarten zess, in: Arzneimittelrecht. Zürich: Schulthess; 2013.
dem medizinischem Nutzen empfohlen werden. 4 siehe www.vertrauensaerzte.ch → Fachliches
Dadurch wird die therapeutische Vereinbarung un → Empfehlungen → Nutzenbewertung
terstützt. Die behandelnden Ärzte können das Ergeb 5 Seiler B, Fries R, Honegger H. Nutzenbewertung
nis ihrer Nutzenbewertung dem Gesuch um Kosten für OffLabelMedikamente. Schweiz Ärztezeitung.
übernahme beifügen. Dadurch kann der Prozess der 2012;93(19):723–5.
Kostengutsprache effizienter gestaltet werden.
Ausblick
Am kommenden Jahreskongress der SGV in Fribourg
(20./21.3.2013) werden weitere Workshops zur Nut
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SPOG O R G A N I S AT I O N E N D E R Ä R Z T E S C H A F T
Bald 40-jährige Plattform für Forschung und Monitoring von Krebs bei Kindern
Claudia E. Kuehni a, Einleitung men. Nach Beendigung der Therapie und Entlassung
Gisela Michel a, Im Rahmen der Vernehmlassung zum nationalen aus den Nachkontrollen wird das Überleben der Be-
Matthias Egger a, Krebsregistrierungsgesetz werden Vor- und Nach- troffenen durch Abgleich mit den Personenregistern
Marcel Zwahlen a, teile einer nationalen Krebsregistrierung in der der Gemeinden und der Mortalitätsstatistik regis-
Maja Beck Popovic d, Schweiz erneut diskutiert. Das Schweizer Kinder triert. Zweittumore werden durch Abgleich mit kan-
Felix Niggli b, krebsregister (SKKR) blickt auf fast 40 Jahre Erfah- tonalen Krebsregistern erfasst. Im Rahmen der Swiss
Nicolas X. von der Weid c rung als nationales Krebsregister für Kinder und Childhood Cancer Survivor Study werden ehemalige
Jugendliche zurück. Dieser Artikel erklärt die Be- Patient(inn)en zu Morbidität und Lebensqualität be-
Für die Schweizerische sonderheiten von Krebserkrankungen bei Kindern, fragt [7].
Pädiatrische Onkologiegruppe beschreibt die Erfahrungen des SKKR als nationales Datenschutz: Wie die kantonalen Krebsregister
(SPOG)* und das Schweizer Krebsregister und zeigt den Nutzen der erhobenen besitzt das Kinderkrebsregister eine generelle Regis-
Kinderkrebsregister (SKKR)* Daten für Klinik, Forschung und Public Health. terbewilligung der Eidg. Expertenkommission für
das Berufsgeheimnis in der medizinischen For-
a Schweizer Kinderkrebs- Wie funktioniert das schung [2]. Sie erlaubt das flächendeckende Sam-
register, Institut für Sozial-
und Präventivmedizin,
Schweizer Kinderkrebsregister? meln von nicht anonymisierten Daten zu Krebs im
Universität Bern Das SKKR wurde 1976 von der Schweizerischen Kindes- und Jugendalter aus verschiedenen Quellen
b Präsident, Schweizerische Pädiatrischen Onkologiegruppe (SPOG) gegründet. sowie den Datenabgleich mit Mortalitätsstatistik
Pädiatrische Onkolo- Es ist bisher die einzige nationale Plattform für und kantonalen Registern. Die behandelnden Ärz-
giegruppe, Universitäts- Krebsregistrierung in der Schweiz [1, 2]*. Krebs bei tinnen und Ärzte sind verpflichtet, Patient(inn)en
kinderklinik, Zürich
Erwachsenen wird primär kantonal erfasst. Eine und Eltern über das Register aufzuklären. Eine
c Past Präsident, Schweizerische
nationale Abdeckung wird hier erst in einigen Jah- schriftliche Einverständniserklärung ist nicht zwin-
Pädiatrische Onkolo-
giegruppe, Universitäts- ren erreicht sein [3, 4]. Das SKKR ist wie die natio- gend. Die Familien besitzen jedoch ein Vetorecht.
kinderspital UKBB, Basel nalen Kinderkrebsregister in anderen Ländern ein Vom Einspruchsrecht wird jedoch nur selten Ge-
d Médecin chef, unité epidemiologisches, bevölkerungsbasiertes Register brauch gemacht – nach unserer Erfahrung erlauben
d’hémato-oncologie für das Kinderkrebs-Monitoring. Zusätzlich hat es mehr als 98% der Angesprochenen das Sammeln ih-
pédiatrique, CHUV, Lausanne
Eigenschaften eines klinischen Registers und erfasst rer Daten, sodass eine flächendeckende Registrie-
Behandlung und Verlauf. rung von repräsentativen Daten möglich ist. Das
* Die Mitglieder der genannten Erhoben werden die Daten aller Einwohner- SKKR steht unter der Aufsicht der kantonalen und
Gruppen und die Literaturan-
(innen) der Schweiz, die bis zum Alter von 20 Jahren nationalen Datenschutzbeauftragten und muss
gaben finden sich unter www.
saez.ch → Aktuelle Nummer an Leukämie, einem benignen oder malignen Hirn- strenge Datenschutz-Richtlinien beachten. Persönli-
oder → Archiv → 2013 → 9. tumor, einem malignen soliden Tumor oder einer che Daten (Namen, Adressen) sind getrennt von kli-
Histiozytose erkrankt sind [5]. Hierzu werden Daten nischen Angaben in einer separaten Datenbank ge-
aus den behandelnden Kliniken, Pathologielabors, speichert.
anderen Registern sowie aus Krankenhaus- und Finanzierung: Das Kinderkrebsregister kämpft fi-
Mortalitätsstatistiken erfasst. Dabei erfolgt ein regel- nanziell ständig ums Überleben, da es keine regelmäs-
mässiger Datenabgleich mit den kantonalen Krebs- sige Unterstützung von Bund oder Kantonen erhält.
registern. Kinder bis zu 15 Jahren werden fast voll- Bisher wird es durch die Schweizerische Pädiatrische
ständig registriert (>95%). Jugendliche sind bisher Onkologiegruppe und das Institut für Sozial- und
nur teilweise erfasst (ca. 60–70%). Die Tumore wer- Präventivmedizin der Universität Bern sowie durch
den nach der «Internationalen Klassifizierung der Spenden von Elternorganisationen und Privatperso-
Krankheiten für die Onkologie» (3. Revision, ICD- nen subventioniert. Diese Mittel reichen aber nicht
O-3) und der «Internationalen Klassifizierung für aus, um das hohe Qualitätsniveau zu erhalten und
Korrespondenz: Krebserkrankungen im Kindesalter» ( 3. Revision, die aktuellen Datenschutz-Anforderungen zu erfül-
Prof. Dr. med. Claudia E. Kuehni ICCC-3) kodiert [6]. len. Bis zum Inkrafttreten des Krebsregistrierungs-
Institut für Sozial- und Basisdaten zu Tumor und Therapie zum Dia- gesetzes leistet daher die Kantonale Gesundheits-
Präventivmedizin
Finkenhubelweg 11 gnosezeitpunkt werden von den behandelnden direktorenkonferenz (GDK) zur Überbrückung einen
CH-3012 Bern Ärzt(inn)en geliefert und aus den Krankenakten ex- jährlichen Beitrag.
Tel. 031 631 35 07 trahiert. Der spätere Verlauf wird wiederholt erfasst. Enge Zusammenarbeit mit Ärzt(inn)en und Patien
kuehni[at]ispm.unibe.ch Hierzu werden Angaben aus Krankenakten entnom- tenorganisationen: Das Kinderkrebsregister arbeitet
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SPOG O R G A N I S AT I O N E N D E R Ä R Z T E S C H A F T
Ziele des Schweizer Kinderkrebsregisters heit der kindlichen Krebserkrankungen ist eine hohe
– Sammeln von repräsentativen bevölkerungsbasierten Daten zu Krebs- Expertise nötig, um eine korrekte Diagnostik, The-
erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen in der Schweiz (Inzidenz, Prä- rapie und Dokumentation zu gewährleisten [9]. Dies
valenz, Trends über die Zeit, regionale Verteilung und Überlebensraten); ist nur möglich, wenn die behandelnden Ärztinnen
– Dokumentation der diagnostischen Abklärungen, Behandlung und Teil- und Ärzte eng vernetzt sind und die Daten hierzu
nahme an klinischen Studien; zentral und einheitlich erfasst werden.
– Dokumentation der Kurz- und Langzeitprognosen von Krebs bei Kindern Auch die Krebstherapie unterscheidet sich bei
und Jugendlichen (Remissionen, Rückfälle, Überleben, Spätfolgen und Kindern und Erwachsenen. Einerseits können bei
Lebensqualität); Kindern bestimmte Zytostatika in höherer Dosie-
– Bilden einer Forschungsplattform für klinische, epidemiologische und rung gegeben werden, andererseits müssen bei ih-
Grundlagenforschung. nen die sich noch in Entwicklung befindenden
Organe (v. a. Zentrales Nervensystem und Fortpflan-
Es trägt dadurch bei zur zungsorgane) besonders geschont werden. Deshalb
– ständigen Verbesserung der Behandlung; wurden z.B. bei der akuten lymphoblastischen Leuk-
– Versorgungsplanung in der pädiatrischen Onkologie; ämie andere Therapieschemata für Kinder ent-
– Identifizierung von Spätfolgen der Therapie, mit dem Ziel, diese frühzeitig wickelt als für Erwachsene.
zu behandeln und in Zukunft möglichst zu vermeiden; Aktuell können über 80% der betroffenen Kinder
– Erforschung der Ätiologie von Krebserkrankungen bei Kindern und Jugend- geheilt werden [10]. Allerdings entwickeln zwei Drit-
lichen. tel von ihnen Spätfolgen (u.a. endokrine oder psy-
chische Probleme, Schwerhörigkeit, Blindheit, Fer-
tilitätsstörungen, kardiovaskuläre und pulmonale
eng mit Kinderonkolog(inn)en und anderen Ärzten Erkrankungen oder Zweittumore), die noch Jahre
zusammen und ist selbst Mitglied der SPOG. Hier- oder Jahrzehnte nach der Heilung auftreten können
durch funktionieren die standardisierten Meldepro- [11, 12]. Umso wichtiger ist es für diese Altersgruppe,
zesse ausgezeichnet. Bedürfnisse aus der Klinik kön- dass klinische Beobachtung und Forschung nicht
nen rasch vom SKKR aufgenommen und Resultate 5 oder 10 Jahre nach Therapieende abgebrochen
zeitnah an diese zurückgemeldet werden. Zu Eltern- werden. Auch Jahrzehnte nach der Behandlung auf-
und Patientenorganisationen gibt es ebenfalls enge tretende Spätfolgen sollen erfasst werden, um sie
Kontakte. frühzeitig therapieren und bei künftigen Patient
(inn)en möglichst vermeiden zu können [13]. Des-
Wie unterscheiden sich Krebserkrankungen halb beinhaltet das Kinderkrebsregister ein lebens-
bei Kindern von solchen bei Erwachsenen? langes Follow-up. Parallel dazu werden klinische
Krebserkrankungen sind bei Kindern seltener als Nachsorgeprogramme für erwachsene Survivors ent-
bei Erwachsenen. Nur 1% aller neuen Krebserkran- wickelt.
kungen treten vor dem 21. Lebensjahr auf [3]. Den-
noch ist Krebs nach Unfällen die häufigste Todes- Was hat das Kinderkrebsregister in den fast
ursache im Kindesalter. Die Bedeutung der kind- 40 Jahren seines Bestehens erreicht?
lichen Krebserkrankungen wird v. a. durch die 1. Krebserkrankungen bei Kindern werden in der
Anzahl der betroffenen Lebensjahre deutlich. Hier Schweiz repräsentativ und flächendeckend erfasst.
nehmen kindliche Krebserkrankungen Rang 3 aller Über 8700 Erkrankungen wurden bisher regis-
Krebserkrankungen ein, gleich nach Brust- und triert. Die Inzidenz ist mit 15,7 Neuerkrankun-
Lungenkrebs [8]. gen pro 100 000 Personen und Jahr ähnlich wie
Durch das frühe Erkrankungsalter sind die Aus- in Nachbarländern [5]. Das langjährige Monitor-
wirkungen für betroffene Kinder und Angehörige ing erlaubt, mögliche Veränderungen der Inzi-
gross. Erkrankte Kinder und Jugendliche haben noch denz zu erkennen, z. B. als Folge veränderter Um-
viele potentielle Lebensjahre vor sich und sollten weltbedingungen oder Lebensweisen. In den
nach der Heilung Aussicht auf eine normale Entwick- letzten 20 Jahren war die Krebsinzidenz bei Kin-
lung, Schulbildung und ein normales Berufs- und dern in der Schweiz stabil (Abb. 1) [5]. Für Er-
Familienleben haben. Für diese Altersgruppe ist es wachsene wurde sie bislang auf der Basis der Zah-
nicht nur essentiell, geheilt zu werden – die Kinder len der vorhandenen kantonalen Krebsregister
sollten ihr weiteres Leben auch mit einem Minimum für die ganze Schweiz extrapoliert [3]. Das neue
an Nebenwirkungen und Spätfolgen leben können. Gesetz soll nun auch für Erwachsene eine natio-
Während bei Erwachsenen Karzinome dominie- nale Lösung bringen.
ren, leiden Kinder hauptsächlich unter Leukämien, 2. Die enge Zusammenarbeit mit dem Netzwerk der
Hirntumoren, einer Reihe embryonaler Tumoren schweizerischen Kliniken für Pädiatrische Onkologie
(Retino-, Neuro-, Nephro- und Hepatoblastome so- und Hämatologie ermöglicht eine Übersicht über
wie Keimzelltumore) und Sarkomen [3]. Infolge der Behandlungen, Heilungsrate und Spätfolgen. Alle
Vielzahl unterschiedlicher Tumore und der Selten- Patient(inn)en werden nach modernsten stan-
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der Prävention wurde? Seid Ihr, und wir mit suchungs oder behandlungsbedürftig. Z. B.
Euch, genügend oft öffentlich aufgetreten, wenn ein Familienmitglied oder ein Nachbar
wenn Gegner die Prävention unsachlich als Infarkt bekommt oder bei ihm Krebs entdeckt
Freiheitsberaubung und deren Exponenten als wurde. Er bekommt (natürlich?) davor Angst
Gesundheitstalibane diskreditiert haben? und verlangt verschiedene Untersuchungen,
Public Health works – really??? Fragen an den Redaktor der Ärztezeitung, die sagt aber den Grund dafür meistens nicht. Ich
von Ärzten zu Ärzten spricht und die sich über bekannte vor kurzem in dieser Zeitschrift, dass
Offener Brief an Jean Martin zum strukturelle Prävention bisher vornehm zurück bei mir ein Zahneingriff zu mehr spirituellen
40-Jahr-Jubiläum von Public Health Schweiz hielt: Wie muss man sich erklären, dass sogar Gedanken führte als der Herzinfarkt [2]. Aber
Mein lieber Freund, an der Jubiläumsfeier der Präventionsfach eigentlich sollte Ziehen eines Weisheitszahns
Dass Du als ehemaliger Kantonsarzt des Waadt leuchte die Tabakprävention mit keinem Wort nach dem sechzigsten Jahr eine «kleinere» An
landes den Geburtstag Deiner Fachgesellschaft erwähnt wird ? Hat man bei der Feier vergessen, gelegenheit sein als ein Herzinfarkt.
würdigst, ist willkommen. Dass Du mit Wohl dass die Schweiz 2004 die Tabakrahmenkon
Dr. med. Peter Marko, St. Gallen
wollen auf den von ihr zurückgelegten Weg vention der WHO unterzeichnet hat (die sie als
blickst und Bilanz ziehst, ist verständlich; für eines der wenigen Länder der Welt nicht ratifi 1 van Spijk P: Krankheit, Gesundheit, Religion und
die Ausrichtung ihrer Arbeit in der Zukunft ist ziert hat)? Muss man den Vorschlag von An Spiritualität. Schweiz Ärztezeitung
die Analyse der Vergangenheit unerlässlich. drea Arz de Falco vom BAG nun als offizielle 2013;94(6):224–5.
Ich bin mit Dir einig. PublicHealthMassnah Guideline verstehen, wenn sie «nach Alterna 2 Marko P: Einige Gedanken zu Krankheit und
Spiritualität. Schweiz Ärztezeitung
men sind wirksam. Dies ist keine axiomatische tivlösungen suchen (will), statt einen Krieg ge
2012;93(48):1784–5.
Behauptung; dies ist auf der ganzen Welt mit gen Partikularinteressen der Wirtschaft zu füh
zahllosen Beispielen belegt: der Rückgang der ren»?
Malaria, die Verbesserung der Lebensbedingun Sich diskussionslos dem Druck der Lobbys zu
gen durch besseres Trinkwasser, die sinkenden beugen, ist nicht sehr wissenschaftlich und un
Zahlen der HIVInfektionen usw. Du hast auch attraktiv für fähige junge Ärzte. Ihnen und
meine Unterstützung, wenn Du und Deine allen Kollegen möchte ich die Biographie des
Kollegen danach streben, dass Public Health Begründers der Pathologie Rudolf Virchow als
allseits als Medizin im vollen Sinne des Wortes Bettlektüre empfehlen. Der Mann wollte sein
anerkannt wird (und nicht «die ungeliebte Leben lang, auch als erster Sozialpolitiker, der Totaliter aliter
Schwägerin der Medizin» ist). Daran ist nicht wissenschaftlich begründete strukturelle Mass Ein katholischer Geistlicher, den ich jahrelang
zu zweifeln: Prävention ist Ärztesache! Auf der nahmen durchsetzte, nichts anderes sein als bis zu seinem Tod ärztlich betreuen durfte, er
positiven Seite der Bilanz nennst Du die Grün Arzt im umfassendsten Sinn, Helfer der Men zählte mir vor vielen Jahrzehnten: Als er am Se
dung von fünf Hochschulinstituten seit den schen und seines Volkes. minar in Chur Theologie studierte, war Anto
60er Jahren, die Schaffung des FMHTitels «Prä Herzliche Gratulation zum Geburtstag von nius Gisler aus Bürglen Chef des Priestersemi
ventions und Gesundheitswesen», die zahlrei Public Health Schweiz! Mit den besten kollegi nars. Antonius Gisler wurde 1863 im ehem.
chen wichtigen Forschungsprojekte, die vielen alen Wünschen, dass in den nächsten Jahren Schützenhaus in Bürglen geboren und starb
jungen und motivierten Kolleginnen und Kol die Bevölkerung dieses Landes von den Früch 1932. Er erwarb die Doktortitel in Theologie
legen und die 2005 erfolgte Gründung der ten der Präventionsarbeit ihrer Ärzte profitiert! und in Philosophie. 1888–1890 arbeitete er in
«Swiss School of Public Health». Dazu muss Altdorf, dann 1890–1983 in Bürglen. Im Herbst
Dr. med. Rainer M. Kaelin, Morges
man Euch gratulieren, und Ihr dürft darauf mit 1893 wurde er von Bischof Battaglia [1] als
Recht stolz sein. Dogmatikprofessor an das Churer Priestersemi
Dennoch klingt der Titel «Public Health works» nar berufen. Als Nachfolger des verstorbenen
im Jahr 2013 in der Schweiz für mich nicht Regens Dr. Johann Georg Mayer ernannte
überzeugend – Ihr müsst eingestehen, dem Prä Bischof Schmid von Grüneck Gisler 1912 zum
ventionsgesetz im Bundesparlament nicht zum Regens des Priesterseminars Chur. 1928 wurde
Erfolg verholfen zu haben, denn «die Lobbys er Weihbischof (Titularbischof von Mileve) mit
der Wirtschaft waren schlicht die stärkeren». dem Recht auf Nachfolge des Bischofs von
Dass Wirtschaftskreise gegen jede strukturelle «Kleine» oder «grosse» Gesundheit: Chur. Bischofsweihe am Samstag, 1. Juli 1928
Prävention sein würden, war vorauszusehen. Wer entscheidet? (durch Bischof Schmid von Grüneck); Gisler
Ist dies nicht eine Ausrede? Jedenfalls müsste starb aber am 8.1.1932 vor Bischof Schmid, der
man die Gretchenfrage stellen: Haben wir Zum Artikel von Piet van Spijk bis Mai 1932 lebte, so dass er das ihm zuge
Ärzte in den vergangenen Jahren der Präven in der SÄZ Nr. 6/2013 [1] dachte Amt nicht mehr antreten konnte. Die
tion rechtzeitig die Chance gegeben, innerhalb Zu den etwas scholastisch anmutenden Aus TheologieKlasse, so die Aussage meines Ge
der eigenen Reihen vertraut zu werden? Im von führungen eine Frage: Wer und wie bestimmt, währsmannes, hatte die Aufgabe, in der Schul
der Desinformation der Wirtschaft dominier ob eine Krankheit klein oder gross ist? So wie stunde einen Aufsatz zu schreiben über «Das
ten Umfeld? Habt Ihr PublicHealthSpezialis sich «offensichtlich Kranke für gesund erklä Ewige Leben». Nach einigen Minuten beendete
ten uns Arztkollegen der individuellen Medizin ren», erklären sich aus verschiedenen Gründen Professor Gisler die Arbeit, sie müssten nicht so
so informiert, dass die Ärzteschaft zu Allierten «offensichtlich» Gesunde für krank bzw. unter viel schreiben. Mit zwei Worten wäre das
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Thema genau und genügend erklärt: Das Ewige zwei Worte: «Totaliter aliter!» – Es ist vollkom 1 Bischöfe von Chur:
Leben sei totaliter aliter (total anders). Der Un men anders als in unserer Vorstellung! – Johann Fidelis Battaglia, Bischof 1889–1908
(Leben 1829–1913)
terricht am Priesterseminar erfolgte damals in In diesem Sinne schreibt der Religionsphilo
– Georg Schmid von Grüneck, Bischof 1908
lateinischer Sprache. Dies muss sich in den soph Rudolf Otto in seinem Buch «Das Heilige» –1932 (Leben 1851–1932)
Jahren um 1925 ereignet haben, also eher be (1917): «Das vergessene Himmelreich war Tota- – Antonius Gisler von Bürglen, Weihbischof
vor Gisler Weihbischof wurde (1928). liter Aliter, ganz anders als unsere Erde». Als Re 1928–1932 (Leben 1863–1932)
Die lateinische Redewendung «totaliter aliter» dewendung steht «totaliter aliter» für die Ver – Laurentius Matthias Vinzenz, Bischof
(vollkommen anders) hat ihren Ursprung in geblichkeit von Spekulationen und ist ein alter 1932–1941 (Leben 1874–1941)
einer mittelalterlichen Erzählung über zwei Begriff der Theologie. Auch der evangelische – Christianus Caminada, Bischof 1941–1962
(Leben 1876–1962)
Mönche, die sich das Paradies in ihrer Fantasie Theologe Rudolf Bultmann sah in dieser Form
– Johannes Vonderach, erst Weihbischof
in den glühendsten Farben ausmalten und sich die wohl kürzeste und treffendste Charakteris 1957–1962, Bischof 1962–1990 (Leben
dann gegenseitig versprachen, dass der, wel tik Gottes, als er davon sprach: «Deus totaliter 1916–1994)
cher zuerst sterben würde, dem anderen im aliter!» – «Gott ist ganz anders!». In diesem – Wolfgang Haas, geb. 1948. Weihbischof
Traum erscheinen und ihm nur ein einziges Sinne wurde es auch vom Schweizer Theologen 1988–1900, Bischof von Chur 1990–1998,
Wort sagen solle: entweder «taliter» – es ist so, Karl Barth verwendet. nachher Erzbischof von Liechtenstein.
– Amadeus Grab, geb. 1930, Benediktiner von
wie wir uns das vorgestellt haben – oder «aliter»
Dr. med. Rolf Diethelm, Altdorf Einsiedeln; vorher 1995–1998 Bischof von
– es ist anders, als wir es uns vorgestellt haben. GenfLausanneFribourg. Bischof von Chur
Nachdem der erste gestorben war, erschien er 1998–2007
dem anderen im Traum, aber er sagte sogar – Vitus Huonder, geb. 1942, Bischof seit 2007.
Mitteilungen
Facharztprüfung zur Erlangung – Pediatric surgeons in training
Facharztprüfungen
des Schwerpunkts Phoniatrie zum – Age below 40 years (i.e. born after Jan 1st,
Facharzttitel für Oto-Rhino-Laryngologie 1973);
Zur Erlangung des Facharzttitels – Swiss candidate working in a Swiss or foreign
für Medizinische Onkologie Ort: Universitätsspital Basel, HNOKlinik
academic institution;
Datum: Donnerstag, 5. Dezember 2013
– Swiss candidate or foreigner working in a
Schriftlichtheoretische Prüfung: Zeit: wird individuell vereinbart
Swiss academic institution:
– Ort: Kantonsspital Luzern. Die schriftlich
Anmeldefrist: 16. August 2013 – Foreigners working outside Switzerland in
theoretische Prüfung kann auch in Amster
Weitere Informationen finden Sie auf der Web collaboration with a Swiss academic institu
dam während des ESMO Kongresses abge
site des SIWF unter www.siwf.ch → Weiterbil tion.
legt werden (siehe ESMO Informationen).
– Datum: Samstag, 28. September 2013 dung AssistenzärztInnen → Facharztprüfungen
Clinical Research or Basic science Projects which
are achieved, in process or in project can be
Mündlichpraktische Prüfung: submitted. A short summary (max. 4000 char
– Ort: Luzerner Kantonsspital Sursee, 6210 Sur Swiss Pediatric Oncology Group
acters) describing the project must be sent to:
see, 3. Stock (www.luks.ch/standorte/sursee/ (SPOG) / Swiss Society of SPOG Office, Prof. Dr. med. Nicolas von der
metanavigation/lageplan.html) Pediatric Surgery Weid, Past President, Effingerstrasse 40,
– Datum: Samstag, 26. Oktober 2013, ab 3010 Bern before June 30th, 2013.
09.00 Uhr Jack Plaschkes Award The selected candidate will be awarded during
Anmeldefrist: 28. Juli 2013 The Swiss Pediatric Oncology Group (SPOG) the Scientific Meeting of the Swiss Pediatric
Weitere Informationen finden Sie auf der Web and the Swiss Society of Pediatric Surgery are Oncology Group, in January or February 2014
site des SIWF unter www.siwf.ch → Weiterbil delighted to open Applications for the Jack in Lugano.
dung AssistenzärztInnen → Facharztprüfungen Plaschkes Award, in the amount of 5000 CHF.
oder unter www.esmo.ch oder unter www. This prize is intended to promote Clinical and/
sgmo.ch. or Basic Research in the field of Pediatric Onco
logical Surgery in Switzerland. We encourage
junior colleagues fulfilling the requirements to
apply. Requirements for applicants:
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Gerhard Kocher Die OECD hat mit der EU einen gemeinsamen Be- die Schweiz, obwohl ihr Bruttosozialprodukt und ihre
richt «Health at a Glance: Europe 2012» publiziert [1]. Gesundheitsausgaben (beide per capita) kleiner sind
Die fünf Hauptkapitel sind Health status, Determinants als die der Schweiz. Im «WHO Global Health Expen-
of health, Health care resources and activities, Quality of diture Atlas 2012» zeigt eine Grafik (S. 6), dass zahl-
care sowie Health expenditure and financing. Das Buch reiche Länder mit weniger als 500 US-Dollar Gesund-
ist die aktuellste Übersicht über wichtige Daten zu heitsausgaben pro Kopf und Jahr eine Lebenserwar-
den Gesundheitssystemen von 35 Ländern in Eu- tung von 75 Jahren erreichen. In den 28 Ländern mit
ropa: 27 EU-Mitgliedstaaten, 5 Kandidatenländer Jahresausgaben zwischen 1500 und 6500 US-Dollar
und 3 EFTA-Staaten. steigt die Lebenserwartung nur noch um einige Jahre.
Die Gesundheitsausgaben illustrieren damit einmal
mehr das Phänomen des abnehmenden Grenznut-
«Die norwegischen und die Schweizer Gesundheitsaus- zens.
gaben sind fast doppelt so hoch wie der Durchschnitt Kosten pro Kopf und Jahr
Im Juni 2012 enthielt ein Artikel in dieser Zeitschrift
der 35 Länder.»
die OECD-Daten zum Jahr 2009 [2]. In der Tabelle 1
folgen hier die 2010-Zahlen aus «Health at a Glance:
Europe 2012» für die erwähnten 35 Länder in Europa.
Lebenserwartung Die Pro-Kopf-Ausgaben 2010 beliefen sich kaufkraft-
In den 27 EU-Ländern beträgt die Lebenserwartung bereinigt im Schnitt auf 2103 Euro. Am meisten gab
bei Geburt (2008–2010) 81,7 Jahre für Frauen und Norwegen aus (4156 Euro), gefolgt von der Schweiz
75,3 Jahre für Männer. Die Werte für die Schweiz mit 4056 Euro und den Niederlanden (3890 Euro). Die
sind deutlich besser: 84,7 und 80 Jahre. Damit liegt norwegischen und die Schweizer Gesundheitsaus-
die Schweiz unter allen 35 im OECD-Buch erfassten gaben sind fast doppelt so hoch wie der Durchschnitt
Ländern bei den Frauen im 3. Rang (nach Frankreich der 35 Länder. Vergleichbare Länder wie Dänemark,
und Spanien) und bei den Männern im 1. Rang. Österreich, Deutschland, Frankreich, Belgien, Schwe-
Im Alter von 65 Jahren ist die Lebenserwartung den und Finnland gaben im Durchschnitt für ihr Ge-
in der EU noch 20,1 Jahre bei den Frauen und 16,5 sundheitswesen pro Einwohner 24% weniger aus als
Jahre bei den Männern. Mit 22,3 bzw. 19 Jahren ist die die Schweiz.
Schweiz wiederum in den Rängen 3 und 1. Die Rangfolge 2010 der 9 Länder mit den höchs-
Die Lebenserwartung in guter Gesundheit ten Gesundheitsausgaben ist genau gleich wie 2009.
(healthy life years) ist in den 35 Ländern im Durch- Damals umfasste der Ländervergleich auch die USA,
schnitt 62,2 Jahre für Frauen und 61 Jahre für Män- die wie üblich mit ihren exorbitanten Ausgaben alle
ner. Die Schweiz erreicht nur den 10. Rang, obwohl anderen Länder übertrafen. Sie waren 2,8 mal höher
sie pro Kopf die zweithöchsten Gesundheitsaus- als der Durchschnitt: 7960 US-Dollar pro Jahr gegen-
gaben aller 35 Länder hatte (nach Norwegen). Weder über 2805 US-Dollar. 2011 waren es 8680 US-Dollar.
der Wohlstand eines Landes noch die Höhe der Pro- Die europäischen Gesundheitsausgaben 2010 ent-
Kopf-Gesundheitsausgaben stehen in deutlichem sprechen im Schnitt 8,9% des Bruttoinlandprodukts,
Korrespondenz:
Dr. rer. pol. Gerhard Kocher Zusammenhang mit den zu erwartenden Lebensjah- das heisst des Gesamtwerts aller Waren und Dienst-
Haldenweg 10 A ren in guter Gesundheit. Ein Beispiel: Malta, Schwe- leistungen, die im betreffenden Jahr innerhalb der
CH-3074 Muri den, Island, Griechenland, Grossbritannien, Zypern Landesgrenzen hergestellt werden und dem Endver-
gerhard.kocher[at]muri-be.ch und Irland erzielen mehr gesunde Lebensjahre als brauch dienen. Die Schweiz ist nach den Niederlan-
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Ökonomie TRIBÜNE
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Ökonomie TRIBÜNE
kamentenkosten um 15% erhöhen. Die 3. Spalte ent- entspricht die Spalte 3 der Kostenrealität besser als
hält die entsprechend korrigierten Werte. Zudem Spalte 2. Die Schweiz ist danach im 9. Rang der
wurden bei den mit einem Stern markierten Ländern 28 Länder.
die Ausgaben für «andere medizinische Verbrauchs- Der Bericht enthält in 170 Grafiken, 7 Tabellen
güter» abgezogen (5% gemäss OECD/EU). Damit und den Kommentaren zahllose weitere Ausführun-
gen zu Themen wie Mortalität, Krebs, Demenz, Rau-
Tabelle 2 chen, Übergewicht, Ärzte, Pflegepersonal, Kranken-
Medikamentenausgaben pro Kopf in Euro, Europa, 2010.
häuser, Operationen, Versorgungsqualität und Pa-
tientensicherheit. Zusätzliche Daten für Länderver-
Land Gemäss Nach Index: Durch- Rang ** gleiche bieten sieben weitere Neuerscheinungen der
«Health at Korrekturen schnitt aller WHO, des Commonwealth Fund, der OECD/SGGP,
a Glance» (s. Text) Länder = 100 **
des Health Consumer Powerhouse und des Lancet [5].
Irland * 528 581 151 1.
Deutschland 492 566 147 2.
Belgien 479 551 143 3. Literatur
Frankreich 468 538 140 4. 1 OECD Paris; 2012, 149 S. Der Bericht ist kostenlos
Slowakei * 427 470 122 5. abrufbar: www.oecd.org/els/healthpoliciesanddata/
HealthAtAGlanceEurope2012.pdf
Ungarn * 414 455 118 7.
2 Kocher G. Die Gesundheitsversorgung im inter-
Spanien 399 459 119 6.
nationalen Vergleich. Schweiz Ärztezeitung.
Österreich 396 455 118 7. 2012;93(25):968–71.
Schweiz 393 452 117 9. 3 Gesundheitsstatistik 2012. Neuenburg: Bundesamt
Italien * 393 432 112 10. für Statistik; 2012. www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/
Portugal * 391 430 112 11. index/themen/14/22/publ.html?publicationID=5027.
Gedruckte Ausgabe in Vorbereitung.
Niederlande * 370 407 106 12.
4 Health Affairs 2013;32:87–99.
Schweden 343 394 102 13.
5 a) World Health Statistics. Geneva: WHO; 2012.
Finnland 340 391 102 14.
www.who.int/gho/publications/world_health_
Slowenien 336 386 100 15. statistics/EN_WHS2012_Full.pdf
Island 327 376 98 16. b) WHO Global Health Expenditure Atlas. Geneva:
WHO; 2012. www.who.int/nha/database
Zypern 322 370 96 17.
c) International Profiles of Health Care Systems, 2012.
Luxemburg * 317 349 91 18. New York/Washington D. C.: The Commonwealth
Bulgarien 291 335 87 19. Fund. www.commonwealthfund.org/~/media/
Files/Publications/Fund%20Report/2012/
Grossbritannien * 289 318 83 21.
Nov/1645_Squires_intl_profiles_hlt_care_
Serbien 279 321 83 20. systems_2012.pdf.
Tschechien 274 315 82 22. d) Institutionelle Charakteristiken der Gesundheits-
systeme. Eine Studie über 29 OECD-Länder. Bern:
Litauen * 257 283 74 23.
OECD Verlag Schweiz. Gesellschaft für Gesund-
Polen 237 273 71 24. heitspolitik SGGP; Bern 2012 (auch in Französisch
Dänemark 229 263 68 25. erhältlich). www.sggp.ch
e) Euro Health Consumer Index 2012. Health
Estland 210 242 63 26. Consumer Powerhouse. Danderyd SE. www.
Lettland 175 201 52 27. healthpowerhouse.com/index.php?Itemid=55.
Rumänien * 164 180 47 28. f) Global Burden of Disease Study 2010. Lancet.
2012;380:2053–260. www.thelancet.com/themed/
Durchschnitt 341 385 100 global-burden-of-disease
g) U. S. Health in International Perspective: Shorter
* In Spalte 2 inklusive andere medizinische Verbrauchsgüter Lives, Poorer Health. Washington D.C.: The
** Nach Korrekturen (s. Text). Quelle: Health at a Glance: Europe 2012; eigene Berechnungen. National Academies Press; 2013.
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Editores Medicorum Helveticorum
Ta g u n g s b e r i c h t TRIBÜNE
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bunden sind, ist die Abwägung zwischen detaillier und ökonomische Aspekte gegeneinander abge
ter Regulierung oder eben einem Regulierungsver wogen und die verschiedenen Anspruchsgruppen
zicht in diesem Bereich besonders herausfordernd befriedigt werden. Der HTAProzess kann in komple
und zwingend.» xen Situationen mehr Klarheit für Behandlungs
richtlinien bringen. Es findet ein Assessment unter
Bringt uns das Swiss Medical Board Erfassung des individuellen Mehrnutzens, der Evi
(SMB) weiter? denz, dem sozialen Nutzen und einer ökonomischen
Professor Urs Metzger, Mitglied des Expertenrats des Bewertung statt. Auf dieser Grundlage wird ein «Ap
SMB, zeigte die Bedeutung dieses Fachgremiums in praisal» mit Grenzen, Regeln und Empfehlungen er
der schweizerischen Gesundheitspolitik. Es befasst arbeitet und am Schluss eine Entscheidung zuhan
sich mit dem Mehrwert einer Behandlungsform un den der Zulassungsbehörde gefällt. Herren ist über
ter Betrachtung der KostenWirksamkeitsRelation, zeugt, dass der HTAProzess eine grosse Chance
denn der medizinische Fortschritt ist in der Regel darstellt, wovon sämtliche Stakeholder profitieren
mit Kostensteigerungen verbunden. Das SMB er können.
arbeitet Entscheidungsgrundlagen für den optima
len Einsatz von medizinischen Leistungen unter Be Ethik und Innovation – ein Widerspruch?
rücksichtigung einer hohen Qualität bei effizientem Gemäss Ruth Baumann-Hölzle, Institutsleiterin Dia
Ressourceneinsatz. Metzger strich hervor, dass das log Ethik, ist Ethik die Wissenschaft der Moral.
SMB keine Zulassungsbehörde sei. Die methodi Moralisches Denken entsteht dann, wenn die Selbst
schen Ansätze für die Leistungsbeurteilung enthal verständlichkeit des Handelns zerbricht, wobei
ten eine medizinische, ökonomische, ethische und Moral und damit die Vorstellung dessen, was als
rechtliche Komponente. Die Behandlungen sollen Handlung richtig sein soll, von individuellen wie
entsprechend der Vorgabe durch das KVG Art. 32 auch gesellschaftlichen Wertvorstellungen beein
wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein. flusst wird. Immanuel Kant (1724–1804), der das
ethische Denken der Moderne entscheidend prägte,
Health Technology Assessment (HTA): Chance verwendete als Erster den Begriff der Autonomie.
für eine bessere Entscheidungsfindung? Aufgrund seiner Willensfreiheit kann der Mensch
Daniel Herren, Chefarzt Handchirurgie an der Schult alles, was ist, fortan hinterfragen. «Das, was ist, muss
hess Klinik, zeigte den HTAProzess am praktischen nicht sein.»
Beispiel des Morbus Dupuytren auf. Während sich Welche Rolle hat die Ethik bei den heutigen Ent
der Patient früher einer aufwendigen Operation wicklungen im Gesundheitssystem? Das, was ist, ist
unterziehen musste, ist heute als Alternative die im Hinblick auf allgemeinverbindliche Werte wie
Behandlung mit einer Spritze mit Kollagenase mög Menschenwürde und Gerechtigkeit zu hinterfragen.
lich. In der Entscheidungsfindung – Operation ver So müssen aus ethischer Sicht die WZWKriterien
sus Infiltration – müssen verschiedene medizinische des KVGs, Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirt
Engagierte Diskussion der Gesundheitspartner an der Podiumsdiskussion. (Foto: Sam Rogers, Zurich Heart House)
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schaftlichkeit normativ gefüllt werden, damit sie wegen Korruption und Bestechung zu stehen, deren
ethisch vertretbar operationalisiert werden können. Ursprung in Risikoländern, wo die Korruption auf
Ebenso ist der Begriff «Innovation», der aus den Wirt der Tagesordnung steht, zu suchen ist. Als Folge der
schaftswissenschaften stammt, ethisch zu klären. Globalisierung wird nicht nur in den Risikoländern,
Neuerungen sind nicht per se Innovationen. Im Ge sondern aus Angst global überreguliert. Die Leidtra
sundheitswesen besteht derzeit die Gefahr, dass eine genden dieser Überregulierung sind die Ärzte selbst.
Neuerung nur aufgrund von ihrem ökonomischen Die Finanzierung von Fortbildungsbeiträgen durch
Nutzenpotential als Innovation beurteilt wird, wobei uneingeschränkte Grants durch die Industrie könnte
der leidende Mitmensch aus dem Blickfeld verloren in Frage gestellt werden. Medizinalkongresse, die ein
zu gehen droht. Das Gesundheitswesen hat laut Wirtschaftszweig in Städten und Tourismusregionen
BaumannHölzle einen hohen Innovationsbedarf in sind, sind in ihrer Existenz gefährdet. Schweizer Orte
struktureller und vor allem politischer Hinsicht. werden nicht zuletzt wegen des hohen Frankens zu
Luxusdestinationen deklariert, die durch europä
Die Swissmedic als Gesundheitspolizei ische Pharma und Medizinaltechnikverbände für
Der Direktor von Swissmedic, Jürg H. Schnetzer, be Kongresse nicht mehr bewilligt werden. Um Vorur
schrieb seine Behörde als Gesundheitspolizei, die teilen zu begegnen, muss man bei Vergütungen an
dafür sorgt, dass nur qualitativ einwandfreie, sichere Ärzte volle Transparenz schaffen und die Massnah
und wirksame Heilmittel auf dem Markt sind. Die men kommunikativ begleiten.
Behörde ist im Sicherheits und Wirtschaftsauf
sichtsbereich tätig. Es stellt sich dabei immer die Wie viel Regulierung braucht die Forschung?
Frage, wie viel Regulierung ein Zustand der relativen Die zweite BreakoutSession wurde von Prof. Simon
Sicherheit im Zusammenhang mit Heilmitteln Hoerstrup (Unispital Zürich), PD Christian Matter
braucht und wie hoch die Toleranzschwelle in der (Unispital Zürich) und Jürg H. Schnetzer geleitet. Die
Forschung liegt. Teilnehmer diskutierten über den Prozess der For
schungsprojektentwicklung, von dessen Planung bis
zur erfolgreichen Publikation in einer Fachzeit
schrift. Hervorgehoben wurde dabei der internatio
Die Überregulation ist ein deutlicher Nachteil nale Konkurrenzdruck und entsprechend die Bedeu
der Schweiz gegenüber dem Ausland. tung einer gerechten und länderübergreifend ver
gleichbaren Regulation, die dazu dienen soll, dass
die Objektivität und Transparenz über ein Produkt
beziehungsweise über ein Resultat gewährleistet ist,
Bezüglich des gesellschaftlichen Einflusses auf denn Ängste und Unsicherheit in der Bevölkerung
die Regulierung sagte Schnetzer: «Wir leben in einer führen zur Forderung nach mehr Regulierung.
PostTrustSociety. Vieles wird in Frage gestellt, ob
wohl kein Anlass dafür besteht.» Kleinere Vorkomm Selbstbewusster Umgang mit den Ressourcen
nisse führen zu Grundsatzdiskussionen und Un In der abschliessenden Podiumsdiskussion, an der
sicherheiten, die mit noch mehr Regulierung be neben den Referenten auch SVPStänderat Alex
hoben werden wollten. Die Folge davon seien immer Kupprecht, Daniel Bach (Medtronic Schweiz) sowie
mehr Vorstösse im Parlament, die Formulierungen Prof. Peter Suter teilnahmen, wurden die einzelnen
enthielten wie «In den Medien war zu erfahren … Positionen noch einmal festgehalten. Urs Metzger
wie stellt sich der Bundesrat dazu?» Es dürfe nicht hielt fest, dass jeder Fehler nach Kontrolle rufe, denn
die Rolle der Medien, insbesondere auch der Social wir wollen in einer «Norisk»Gesellschaft leben.
Media sein, durch Beschleunigung und Dramatisie Bach sieht in der Überregulation einen deutlichen
rung von Ereignissen zu mehr Regulierung beizu Nachteil der Schweiz gegenüber dem Ausland, denn
tragen und in anderem Zusammenhang die zuneh die Bewilligungen für internationale Studien dauern
mende Regulierung zu kritisieren. oft zu lange. Schnetzer schlug vor, mit Augenmass zu
regulieren, wobei die Prozesse Risikobasiert ab
Code of Conduct Ärzte/Industrie: laufen sollten. Wir müssen lernen, mit Restrisiken
Wie viel Regulierung ist sinnvoll? umzugehen. Das Gremium war sich einig, dass die
«NonCompliance – der Vorhof zur Hölle!» Unter Schweiz selbstbewusst mit ihren Ressourcen Bildung,
diesem Motto begann die BreakoutSession mit ei Forschung und Qualität der Hochschulen umgehen
nem InputReferat von Lorenz Borer (Novartis sollte. Der Universität und der ETH Zürich gelingt es
Schweiz) unter Mitwirkung von Melchior Buchs immer noch, hervorragende Forscher aus der ganzen
(FASMED) und Dr. Dieter Grauer (Scienceindustries). Welt anzuziehen. Bach stellte fest, dass die Schweiz
Der «Code of Conduct» zwischen Ärzten und Indust für Firmen nach wie vor ein attraktiver Standort mit
rie wird in einer Art von Imperialismus von den USA gutausgebildeten Leuten, Steuervorteilen und einem
an Westeuropa und die Schweiz diktiert. Die Phar stabilen politischen Umfeld darstelle.
maindustrie scheint im Fokus von Untersuchungen
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Spectrum TRIBÜNE
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Begegnung mit … HORIZONTE
Daniel Lüthi Auf der Strassenseite ist es schattig, hier wirkt das Fifty/fifty: Das war von Beginn weg so geplant und
dunkelbraune Chalet düster. Im Rücken das Weiss- bewährt sich als Modell – auch wenn 50 und 50 hier
Text und Bilder horn, die Bergbahnen, die Touristenströme. Auf der weit mehr als 100 Prozent ergeben. Sicher profitiert
anderen Seite sind die Zimmer lichtdurchflutet, ver- davon auch der Ort. Denn in der gleichen Zeit haben
breitet das 90-jährige Haus den Geist von Herrschaft- alle Ärzte, die in Arosa ein solches Pensum alleine
lichkeit. Von hier aus fällt der Blick auf Nadelwälder, bewältigen wollten, eher früher als später resigniert
Fels und Schnee. Sogar ein Wasserfall ist zu sehen. und sind wieder ins Unterland gezogen. Auch die
«Dies ist die unverbaute Seite von Arosa», sagt Mar- Talschaftspraxis im Schanfigg ist geschlossen. Das
tin Walkmeister. «Als wir diese Aussicht zum ersten Pensum ist happig, oft bedeutet es Präsenz praktisch
Mal sahen, wussten wir: Hier bleiben wir.» rund um die Uhr, und zunehmend musste es auf
immer weniger Schultern verteilt werden. Heute gibt
Fifty/fifty es noch zwei Arztpraxen in Arosa, dies bei gegen
Seit 15 Jahren sind sie nun da. Unten, im Parterre des 20 000 Leuten während der touristischen Spitzenzei-
Chalets Erosen, arbeiten sie, oben wohnen sie. Alles ten. Eine der Praxen wurde von der Gemeinde ein-
danielluethi[at]gmx.ch teilen sie: Arbeit, Haushalt und Kinderbetreuung. gerichtet. Doch der Arzt, der heute dort arbeitet, hat
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Begegnung mit … HORIZONTE
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Begegnung mit … HORIZONTE
werden. Das wäre bisweilen nicht nötig und kreiert Es frage sich, ob bei Neuzulassungen ländliche Regio-
nebst Frust auf beiden Seiten unnötige Kosten. nen nicht bevorzugt behandelt werden sollten. Und:
Martin Walkmeister ist denn auch ernüchtert. Der Leistungskatalog der Allgemeinmediziner müsse
Und auch ein wenig wütend. Vor allem aber ziemlich klarer definiert werden, wie derjenige anderer Spezia-
ratlos: Er versteht letztlich nicht, warum junge Ärz- listen, die Allgemeinmedizin sei kein Auffangbecken
tinnen und Ärzte heutzutage diesen interessanten für alles, was man nicht anderen Disziplinen zuord-
Beruf an diesem schönen Ort nicht mehr ausüben nen könne.
wollen. «Warum bloss?», fragt er und schaut in die «Ich bin ein Spezialist für das Allgemeine, deshalb
Weite. Dann steht er auf, tigert herum, setzt sich nenne ich mich lieber ‹Facharzt für Allgemeinmedi-
wieder und versucht, möglichst sachlich, zu erklären: zin› als ‹Hausarzt›. Ein Kollege pflegt zu sagen, Haus-
ärzte und Allgemeinmediziner seien die Hausfrauen
der Medizin: Sie leisten viel Basis-, viel Hintergrund-
arbeit, die man erst richtig erkennt und schätzt, wenn
«Unverbindlichkeit ist eine gesellschaftliche Tendenz, sie nicht mehr gemacht wird.» Im eigenen Haushalt
die sich halt auch in der Medizin manifestiert.» fügt er dieser Aussage ein illustratives Element hinzu:
«Bei uns ist halt manchmal nicht so aufgeräumt, wie
wir es gerne hätten. Aber eben, oft kommen wir ein-
fach nicht dazu.»
«Junge Mediziner bevorzugen heute Strukturen, die
sich mit dem Privatleben vereinbaren lassen. Sie wol- Schön helfen
len möglichst geregelte Arbeitszeiten, mehr Lebens- Es ist ein Haus, in dem gelebt wird. Hier wird viel
qualität und weniger finanzielle Risiken. Sie wollen Musik gehört und Klavier gespielt: «Die Improvisa-
sich nicht mehr so binden, wie wir das noch taten tion interessiert mich, in der Musik wie im Leben.
und immer noch tun. Tag und Nacht vollständig im Zahlreiche Requisiten illustrieren die sportlichen Ak-
Beruf aufzugehen, entspricht immer weniger dem tivitäten der Familie; Pflanzen sind wichtig, Bücher,
Zeitgeist. Und Unverbindlichkeit ist eine gesellschaft- persönliche Fotos und eine gemütliche Ecke. Nichts
liche Tendenz, die sich halt auch in der Medizin mani- deutet auf einen möglichen Aufbruch hin. Im Gegen-
festiert.» Speziell, ja tragisch dann diese Schlussfolge- teil, sagt Martin Walkmeister, es sei ein Privileg, hier
rung: «Unsere Ärzte-Generation hat für mehr Freihei- arbeiten zu können: «Wo sonst kann ich in vier
ten gekämpft – heute gehören wir zu denen, die unter Monaten 40 Schulter-Luxationen behandeln? Kann
den Resultaten unserer Bemühungen leiden.» ich so oft mit so wenig Aufwand so viel bewirken?
Kann ich so schön helfen? Fünf Minuten, und ein Pa-
Diagnose und Therapie tient, der mit massiven Schmerzen kam, verlässt die
Progressiver Hausärzte-Mangel, insbesondere in länd- Praxis frisch und fröhlich. Wo sonst habe ich so viel
lichen Gebieten, lautet die Diagnose. Abwechslung, eine solche Vielfalt? Wo sonst kann
«Die Politik hat es verschlafen, etwas dagegen zu ich – nebst all dem unnötigen Bürokram – so prak-
tun. Sogar wenn sie jetzt radikale Änderungen einlei- tisch handeln und mein Gespür so gut entwickeln?
ten würden, wäre es zu spät – das Versorgungs-Loch Unser berufliches Spektrum ist einmalig, es reicht
ist programmiert», hält Walkmeister fest. Und welche von der Traumatologie bis zur Seelsorge. Daneben
Rezepte, welche Therapien hat er als Direktbetroffener sind wir im Labor und röntgen und gipsen selber.»
gegen diese schmerzhafte Erkrankung im ländlichen Walkmeister kommt richtig ins Schwärmen.
Gesundheitssystem anzubieten? Staatliche Lenkung, Wenn bloss dieser Druck nicht wäre, diese hohe
scheint ein Zauberwort zu sein, die Behörden müss- Dauerbelastung. Dieses Gefühl, nie ganz à jour und
ten positive Anreize schaffen. Gerade in einem teuren meistens überlastet zu sein. Dieser Teufelskreis.
Tourismus-Ort wie Arosa sei es wichtig, dass die Ge- Die Aussicht aus dem Fenster und die Sonne über
meinde Praxis-Räumlichkeiten und eventuell auch dem Nebel trösten und entschädigen für vieles. Das
Wohnraum zur Verfügung stelle. Eine Entschädigung innere berufliche Feuer verleiht Flügel. Und das Ein-
von Nachtdiensten könnte die Attraktivität der Peri- kommen reicht für ein gutes Leben, sogar in der Zwi-
pherie aufwerten. Die Hausarztmedizin müsse geför- schensaison.
dert werden. Die Frage einer Selbstdispensation von Diese Aussage von Martin Walkmeister wird man
Medikamenten und die Sache mit den Taxpunkten deshalb gerade in Arosa besonders gerne zur Kennt-
seien im ganzen Land einheitlich zu regeln, damit nis nehmen: «Es geht uns gut – wir werden wohl blei-
der Wettbewerb nicht noch zusätzlich verzerrt werde. ben ...»
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Streiflicht HORIZONTE
Fazit
Physician Ownership in der Privatpraxis wird zuneh
mend schwierig zu bewerkstelligen. Schwierig zu er
halten. Schwierig, der nächsten Generation zu über
geben. Verkaufen Sie trotzdem Ihre Anteile nicht an
Ab einer bestimmten Grösse und Anzahl Ärzte sind Gruppenpraxen nicht mehr als
einfache Gesellschaft führbar. Investoren oder andere. Physician Ownership verdient,
erhalten zu bleiben.
Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 9 355
Editores Medicorum Helveticorum
Buchbesprechungen HORIZONTE
Jean Martin «There is a great future for complexity» (la complexité a venir curateur, alors qu’ailleurs en Suisse on ne
un bel avenir), disait il y a 40 ans un de nos profes- donne ce mandat qu’à des volontaires. Relevons que
seurs de santé publique aux Etats-Unis. Ma vie de ce domaine du droit a fait l’objet d’une récente révi-
médecin cantonal/officiel serviteur de l’Etat n’a pas sion du Code civil suisse, entrée en vigueur au 1er jan-
démenti cette formule. Elle vaut dans un pays très or- vier 2013.
ganisé comme la Suisse où tant de ressources et mé- La possibilité de contraindre à assumer une cura-
canismes sont déployés pour soutenir, soigner, for- telle fait débat devant les problèmes que peuvent ren-
mer, réinsérer ceux qui en ont besoin, notamment contrer les mandataires «laïcs». Le livre Conquistador
les personnes dont on juge qu’elles ne sont pas en le laisse entrevoir, ce rôle d’encadrement et de soutien
mesure par elles-mêmes de veiller à leur intérêts et était plus logique, moins susceptible de complications
bien-être. variées, avant l’avènement du dense réseau actuel de
Un petit ouvrage qui vient de paraître, de Flo- prestations destinées à venir en aide aux personnes en
rence Grivel, spécialiste en arts visuels et journaliste, difficulté, et médiatisées pas des officines publiques
mérite de retenir l’attention. Histoire d’une curatelle diverses: aides financières, y compris assurance-chô-
et de ses difficultés. La narratrice a accepté, comme mage, soutien à la formation, éventail diversifié
une sorte de service civique, d’assumer la curatelle d’aides professionnalisées par des travailleurs sociaux,
d’un jeune homme en situation instable. A cet égard, des professionnels et institutions de santé, etc. On
le récit illustre la situation aujourd’hui souvent évo- note l’expression de Florence Grivel «tout ce qui fait
quée, chez des jeunes et des moins jeunes, du manque l’administré»!
de repères, d’une anomie, au plan des personnes
comme de la société. Quelque chose qui a une pa-
renté avec la formule américaine anything goes (tout/
n’importe quoi est OK, tout est de valeur plus ou
moins équivalente, tout le monde il est bon et com-
pétent, pour tout).
La société d’avant était-elle plus simple? Sur cer-
tains points sans doute, ce qui ne veut pas dire qu’elle
ait été «meilleure». Merci ici de ne pas prendre om-
brage d’une remarque de vieux: il y a encore un demi-
siècle, un certain nombre de choses étaient établies,
des cadres étaient généralement admis; règles impar-
faites que la grande majorité acceptait. On admettait
que certaines personnes disposaient de compétences
que n’avait pas tout un chacun et qu’elles avaient le
droit de les exercer.
Pratico-administrativement, l’institution juri-
dique dont ce livre raconte les vicissitudes est celle
du curateur ou tuteur «laïc», dans le sens de sans pré-
paration professionnelle spécifique à cette tâche. En
général et en fonction des dispositions du Code civil,
l’autorité tutélaire, dite maintenant autorité de pro-
tection, peut charger Monsieur ou Madame Tout le
monde d’assumer la protection des intérêts d’une
personne qui n’est pas en mesure de le faire par elle-
même. Cette pratique peut être vue comme un
exemple notable de solidarité dans une société solide Florence Grivel
Conquistador
dans ses bottes, marquée par un esprit civique et dé-
Bangkok/Lausanne: BMS press (fictio); 2013
mocratique. Ce qui est particulier au canton de Vaud,
64 pages, 17 CHF
c’est qu’il est le dernier où l’autorité peut (sous réserve ISBN 978-2-940516-02-5
jean.martin[at]saez.ch de certaines exemptions) imposer à quelqu’un de de-
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Schaufenster HORIZONTE
Le pigeon voyageur
Julia Vecsey 1942, la guerre fait rage, et même si la guerre froide phones existent maintenant, drôles de petits boîtiers
est encore loin, il fait glacial cet hiver-là. grâce auxquels on peut téléphoner, transmettre des
Jean est un scientifique français; il effectue des messages, visiter des sites archéologiques virtuels en
mélanges d’alchimiste pour trouver un combustible trois dimensions, communiquer sur des réseaux so-
bon marché dans la pénurie qui règne dans les ciaux. C’est ainsi que grâce à Facebook, les amis d’un
pauvres réserves de charbon et d’or noir nationales: jeune montagnard égaré ont pu être mobilisés pour
n’importe quoi pour lutter contre les rigueurs de la financer les recherches qui avaient dû être abandon-
saison et se chauffer. Au cours de ses recherches, il nées faute de moyens!
réussit à mettre au point une potion magique: elle ne Les Smartphones peuvent aussi servir à envoyer des
lui confère pas une force surnaturelle comme celle SMS, ou encore mieux des MMS. Ainsi des puces in-
d’Obélix, mais possède une autre vertu, bien plus in- formatiques fixées sur des vaches, microprocesseurs
téressante en temps de guerre: le don de l’immorta- sensibles aux changements hormonaux, indiquent
lité! que la vache est en rut, permettant ainsi à son pro-
La recette lui est tombée du ciel: c’est un pigeon priétaire de préparer la prochaine saillie à temps.
voyageur envoyé par l’armée anglaise qui en portait Les perturbations du changement climatique dé-
la formule dans une bague chevillée à sa patte. L’oi- couvertes sur le petit écran impliquent un boulever-
seau devait apporter cette recette aux lignes du front sement des ressources naturelles: les réserves d’eau de
pour augmenter la résistance des soldats qui se trou- la planète n’étant pas infinies, l’homme va creuser en
vaient en première ligne. En effet, des chercheurs profondeur pour trouver des lacs souterrains; puisque
Correspondance: avaient observé que des insectes étaient porteurs d’un l’espèce humaine se sent quelque peu à l’étroit sur
Dr Julia Vecsey gène qui leur conférait la propriété d’être quasi im- terre, elle envoie un robot sur la planète Mars, pour y
Quai Gustave-Ador 62 mortels. Ils espéraient pouvoir le transférer aux sol- évaluer les possibilités d’existence et de survie sur une
CH-1207 Genève
dats et augmenter ainsi leurs chances de survie et leur planète étrangère.
jvecsey[at]bluewin.ch combativité. Mais Jean voit aussi qu’il existe de nouvelles
Mais le pauvre oiseau n’est jamais arrivé à desti- formes de guerre: la fin de la planète Terre n’est plus
nation, puisqu’il a été intercepté fortuitement et exclue, à cause de l’imprudence de chefs d’Etat mani-
nuitamment par notre héros; les connaissances pulant l’arme atomique avec légèreté. Leur geste peut
scientifiques de Jean lui ont permis de deviner à quoi être lourd de conséquence: c’est ainsi que le petit
pouvait servir cette formule chimique. Il a réalisé le écran montre des images de papillons aux ailes mal-
breuvage et l’a consommé! formées, incapables de voler, surtout dans la région
Jean ne ressentit aucun malaise, seulement une de Fukushima…
grande envie de dormir. Il alla donc se coucher... et Jean voit aussi des roboptères, hélicoptères sans
se réveilla... 70 ans plus tard, après un transport mys- pilote œuvrant sur les champs de bataille. Mais est-ce
térieux dans l’archipel des Galapagos. Son corps et vraiment plus efficace que le pigeon voyageur de la
son esprit ont conservé la force et l’énergie de la jeu- deuxième guerre mondiale?
nesse. Il y apprend que l’homme sera moins intelligent
Il est recueilli par les chercheurs d’une équipe à l’avenir à cause de la mutation d’un gène, favorisée
installée sur l’île, et dont les travaux portent sur la probablement par la fameuse explosion atomique
protection d’espèces en voie de disparition. Au tant redoutée.
hasard de ses promenades dans la base de ses Mais bonne nouvelle enfin, l’humanité ne devrait
hôtes, il tombe devant un écran de télévi- pas avoir de souci car la technique d’immortalité dé-
sion (en couleurs!), il a la surprise de dé- couverte par Jean va être démocratisée, profitant à
couvrir que le monde a bien changé: tous. Quant à la place, pas de problème non plus, car
il voit des avions à réaction, des l’univers n’a-t-il pas l’avantage d’être infini?
fusées, toutes sortes d’engins Cette histoire n’est pas prémonitoire, mais seule-
mécaniques bizarres, des ment le témoin d’une réalité. Trois ingrédients ont la
machines facilitant chance d’être infinis – l’amour – l’imagination – la
maintes tâches poésie... pensez-y…
jusqu’alors diffi-
cilement réali-
sables.
Il apprend Ps Cette histoire n’est pas prémonitoire, je l’ai dit et pour-
que les Smart- tant…
Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 9 359
Editores Medicorum Helveticorum
ZU GUTER LETZT
Ich bin soeben vom Krankenbett wieder aufgestan- Nein, bei Tageslicht betrachtet sind das wirklich
den. Die Grippe – zum Glück nicht die Magen- nicht meine Argumente. Ich bin ich, so meine ich,
Darm-Variante, sondern «nur» die mit viel Fieber gerne und mit Überzeugung körperlich-leiblich-see-
und Husten. Eine ganze Woche, die gut gefüllt gewe- lischer Gehirn-Magen-Bauch. Ich teile weder den
sen wäre mit Sitzungen und Retraiten, verschwand Glauben an ein wahres Ich im Bauch noch den an
im Fieberschlaf. Und die Welt drehte sich trotzdem. das eigentliche Ich im Gehirn. Ich, das empirische,
Auch ohne mich. allein vorhandene und vorfindliche Ich, bin ein
Wieder zurück im Büro begegnete mir viel Konglomerat von allem, und kein Körperteil hat
freundlich-tröstendes Willkommen, aber auch von eine tiefere Verankerung mit irgendeiner ausser-
einigen ein ganz klein bisschen selbstzufriedenes Lä- körperlichen Wahrheit.
cheln: Diese hatten sich gegen diese Grippe geimpft. Und ich arrangiere mich sowohl mit dem
Sie haben an allen Sitzungen teilgenommen, sie Terminkalender als auch mit dem Fieberthermome-
Christina Aus der Au
sind nicht schuld an den krankheitsbedingten Aus- ter. Ich arbeite meistens gerne – und alles, was ich
fällen in der Wirtschaft, auf sie ist Verlass. Während letzte Woche nicht erledigt habe, bleibt sowieso auf
Leute wie ich den Launen des Körpers unterworfen meinem Schreibtisch liegen.
sind und mein Geist den primitivsten Bedürfnissen
des Leibes ausgeliefert war: schlafen, trinken, schla-
fen.
Nein, ich will hier nicht die Impfdiskussion wie- «Oder verweigere ich mich
der aufflammen lassen. Ich bin absolut überzeugt, damit der Diktatur
dass es sehr viele gute Gründe gibt, sich gegen die
Grippe impfen zu lassen! Bei Berufsgruppen, die mit des Bruttosozialprodukts?»
Kindern und alten Menschen zu tun haben, sowieso,
da ist es fast schon egoistisch, wenn man die eigene
Krankheitsanfälligkeit ungefiltert an andere weiter-
gibt. Und auch mich hats geärgert, ich habe span- Warum denn lasse ich mich ums Himmels wil-
nende Sitzungen verpasst, und zum Teil müssen wir len nicht gegen die Grippe impfen?
jetzt mühsam neue Termine suchen. Wenn ich tief und ehrlich in mich hineinschaue,
Ich bin nicht geimpft. Und ich werde es wahr- fürchte ich, die Gründe sind viel prosaischer als die
scheinlich auch jetzt nicht tun. Und auch nächstes wohlklingenden Argumente, die ich versuchsweise
Jahr nicht. All meinen rationalen Überlegungen und auf den Tisch gelegt habe. Ich bin einfach zu träge,
meinem Ärger zum Trotz. Seltsames Wesen Mensch. um überall die Kontrolle haben zu wollen. Ich bin zu
Jetzt gäbe es hier ein Mittel, das nicht viel kostet, faul, um heute schon für morgen zu planen. Jetzt bin
nach allem menschlichen Wissen und Gewissen mit ich nicht mehr krank, jetzt ist die Grippe wieder in
durchaus akzeptablem Risiko, das mich vor viel weiter Ferne. In der Gegenwart leben heisst, die Zu-
Unbill und Scherereien bewahren könnte. Und ich kunft ausblenden. Sie jedenfalls nicht in die Gegen-
verzichte wissentlich und willentlich darauf. Woran wart hineinwirken lassen. Und schon gar nicht die
liegt das bloss? Gegenwart auf die Zukunft ausrichten.
Lasse ich mich – trotz aller Dankbarkeit für den Ein kleiner Piks hätte mir viel erspart. Würde mir
Fortschritt, insbesondere den medizinischen – von viel ersparen. Aber ich verdränge auch diesmal die
einer romantischen Vorstellung von der Natur lei- Sache wieder. Ich kann mir vorstellen, wie schwierig
ten? Im Sinne von: Der Körper weiss schon, was mir es sein kann, die Leute zu Vorsorgeuntersuchungen
fehlt, die Fiebergrippe ist ein Zeichen dafür, dass ich zu bewegen. Oder gar dazu, ihr gegenwärtiges Ver-
überarbeitet bin und mir Ruhe gönnen soll? Ist der halten zu ändern, um zukünftig besser, gesünder,
Bauch schlauer als das Gehirn? Enger verbunden mit länger zu leben. Als Individuen und als Menschheit.
meinem wahren Ich? Wir sind einfach Gegenwartswesen, die Zukunft ist
* PD Dr. theol. Christina Aus
der Au ist an der Abteilung
Oder verweigere ich mich damit der Diktatur des viel weniger real.
Systematische Theologie / Bruttosozialprodukts? Will ich an der Einsprache- Aber nun liegt meine kleine Tochter mit der
Dogmatik der Universität möglichkeit des Körpers festhalten gegenüber dem Grippe darnieder. Zukunft, die jetzt schon Gegen-
Basel tätig und Mitglied der
Zwang zur Effizienz? Geniesse ich etwa unbewusst wart ist. Hätte ich mich doch impfen lassen sollen?
Redaktion Ethik der
Schweizerischen Ärzte- das erzwungene Nichtstun als Rebellion gegen die
zeitung. durchorganisierte Gesellschaft? Christina Aus der Au*
Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 9 360
Editores Medicorum Helveticorum
ANNA
www.annahartmann.net
Die letzte Seite der SÄZ wird von Anna frei gestaltet, unabhängig von der Redaktion.
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