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JOHANNES RATZKA

„IHR SEID FREUNDE ALLER


MENSCHEN“

Rückblick auf eine erfolgreiche Mission

Eine Studie zu 1Thess 1,6-2,16

Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades der


Katholisch-Theologischen Fakultät
der Ludwig-Maximilians-Universität München
Erstgutachter: Prof. Dr. Gerd Häfner

Zweitgutachter: Prof. Dr. Knut Backhaus

Tag der mündlichen Prüfung: 12. Februar 2008


3

Vorwort

Vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2007/08 von der Ka-


tholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität
München unter dem Titel „Rückblick auf eine erfolgreiche Mission.
Eine Studie zu 1Thess 1,6-2,16“ angenommen. Für die Veröffentli-
chung wurde der Text leicht überarbeitet. Das Titelzitat der Veröffent-
lichung habe ich den Überlegungen zu 1Thess 2,15f. entnommen und
Paulus posthum in den Mund gelegt.
Die Themenstellung habe ich mit meinem ursprünglichen Doktorvater
Hans-Joseph Klauck erarbeitet. Nach seinem Ruf an die University of
Chicago konnte er das Erstgutachten nicht mehr übernehmen. Deshalb
danke ich besonders Prof. Dr. Gerd Häfner für die akademische
„Adpotion“. Ihm und Prof. Dr. Knut Backhaus danke ich für die An-
fertigung der Gutachten sowie für weiterführende Hinweise.
Herzlichen Dank auch an meine Korrekturleserinnen und -leser
Tatjana Pringsheim, Mira Bell, Herbert Schmid, Matthias Schmidt und
Martin Brasser.

München, im Februar 2011 Johannes Ratzka


Inhaltsverzeichnis

Zur Einführung 8

Teil 1: Der 1 Thess als Zeugnis frühpaulinischer Theologie 12

1.1 Einführung 12

1.2 Die Sonderstellung des 1 Thess 13


1.2.1 Der 1 Thess als authentisch paulinisches Schreiben 14
1.2.2 Chronologische Fragen 16
1.2.2.1 Der derzeitige Status Quo in der Forschung 16
1.2.2.2 Versuche einer Frühdatierung 17
1.2.2.3 Zur Frühdatierung des Galaterbriefes 21
1.2.2.4 Fazit 23
1.2.3 Theologische Fragen 23

1.3 Zum Entwurf einer diachronen Pauluslektüre 24


1.3.1 Der 1 Thess als Zeugnis antiochen. Theologie (Becker) 25
1.3.2 Der 1 Thess als Zeugnis paulinischen Denkens (Söding) 28
1.3.3 Die Debatte um die Entwicklung paulinischen Denkens 32
1.3.3.1 Diskursthemen 33
(a) Zur Gesetzesproblematik 33
(b) Zur Eschatologie 38
(c) Israel 39
1.3.3.2 Zur Bewertung des Befundes 41
(a) Der zeitliche Rahmen 42
(b) Situation vs. Sache 43
Exkurs: Zur Diskussion um die Problematik einer Theo-
logie des Neuen Testaments 45

1.4 Zusammenfassung und Ausblick 52

Teil 2: Textuntersuchungen 56

2.1 Begründung der Textauswahl 56


2.1.1 Situation und Anlass des Schreibens 56
2.1.2 Überlegungen zur Gliederung 57
2.1.3 Zur Textauswahl 60
5

2.2 Die Bekehrung der Thessalonicher (1,9-10) 62


2.2.1 Analyse 63
2.2.1.1 Auffälligkeiten 63
2.2.1.2 Deutungsversuche 66
2.2.1.3 Die verwendeten Einzeltraditionen 69
(a) Die Auferweckungsaussage 69
(b) Der Bekehrungsvorgang 70
(c) Die Parusieaussage 70
2.2.1.4 Syntheseversuch 71
2.2.2 Interpretationen 74
2.2.2.1 Der Eingang der Apostel in Thessalonich 74
2.2.2.2 Die eigentliche Aufgabe: die Verkündigung des
alttestamentlichen Gottesglaubens 75
2.2.2.3 Die Zusammensetzung der Gemeinde 77
(a) Hinweise auf vorpaulinische Mission? 77
(b) Gottesfürchtige als Mitglieder der
Gemeinden? 77
2.2.2.4 Die Religionen der Thessalonicher 83
(a) Der Kabirus-Kult 85
(b) Anspielungen auf den Dionysos-Kult? 87
(c) Der Kaiserkult 88
2.2.2.5 Monotheistische Tendenzen im griechischen
Denken 89
(a) Der eine Gott in der griechischen Philosophie 90
(b) Vermittlungsinstanzen 102
(c) Fazit 113
2.2.2.6 Das vermittelte Gottesbild 114
(a) Die Gottesprädikationen 115
(b) Zur Bestimmung des Gottesverhältnisses:
douleuvein 120
(c) Der christologische Aspekt 123
2.2.3 Zusammenfassung 126

2.3 Das Auftreten der Missionare 128


2.3.1 Zum Text 128
2.3.2 Zur Intention und Aussageabsicht des Abschnitts 131
2.3.3 Aufbau und Gliederung 135
2.3.4 Interpretation 138
2.3.4.1 Der erste Rückblick – die Perspektive des
Gegenüber (2,1-8) 139
(a) VV. 1-2: Der Eingang der Apostel in Thessa-
6

lonich 139
(b) VV. 3-4: Die paravklhsi" 143
(c) VV. 5-7: Dritte Antithese 144
(d) VV. 7-8: Familienmetaphorik I 147
2.3.4.2 Der zweite Rückblick – die Perspektive Mitei-
nander (2,9-12) 150
(a) V. 9 151
(b) V. 10 152
(c) VV. 11-12 153
2.3.4.3 Zusammenfassung 155

2.4 Die Thessalonicher als Nachahmer 158


2.4.1 Die parallele Argumentationsführung 160
2.4.1.1 Das Begriffsfeld Mimesis 161
(a) Zur traditionellen Herkunft des Begriffes 161
(b) Die Verwendung der Mimesisvorstellung im
1 Thess 165
2.4.1.2 Negative Aspekte bei der Bekehrung? 166
2.4.1.3 Geographische Bezugspunkte 166
2.4.1.4 Gegenüberstellung 167
2.4.2 Einzelanalysen 167
2.4.2.1 Nachahmer der Apostel und des Herrn (1,6-8) 167
(a) Erstes Kriterium für die Nachahmung:
„indem ihr annahmt das Wort in viel
Bedrängnis mit Freude heiligen Geistes“ 168
(b) Folge von Kriterium 1 und Grundlage für
Kriterium 2: „sodass ihr allen Glaubenden
in Mazedonien und Achaja ein Vorbild
wurdet“ 171
(c) Zweites Kriterium für die Nachahmung:
„von euch nämlich ist herausgeschallt das
Wort...“ 172
(d) Ergebnis: Identifizierung der Thessalonicher
als Mitglieder der gesamten christlichen
Ökumene 173
(e) Zwischenresümé 173

2.4.2.2 Die Gemeinde als Nachahmer der judäischen


Gemeinden (2,13.14) 174
(a) Nachahmer der Gemeinden Gottes die sind
in der Judaia in Christus Jesus 175
7

(b) Kriterium für die Nachahmung: „weil dasselbe


littet auch ihr von den eigenen Stammesge-
nossen, gleichwie auch sie selbst von den
Judaiern“ 176
(c) Zwischenresümé 179
2.4.2.3 Die Judenpolemik der VV. 15 und 16 180
(a) Die deuteronomistische Prophetenaussage
und die paulinische bzw. urchristliche
Kontextualisierung 183
(b) Der (heidnische) Misanthropie-Vorwurf gegen
die Juden 186
(c) Das eschatologische Maß 187
(d) Der Zorn Gottes bis zum Ende 188
2.4.2.4 Fazit: Was kann der 1 Thess über die sumfulevtai
und ihre Angriffe auf die Thessalonicher
aussagen? 190
2.4.2.5 Zusammenfassung 191

Teil 3: Zusammenfassung und Auswertung 194

3.1 1,6-2,12 im Zusammenhang 194

3.2 Zur Theologie des 1 Thess 195

3.3 Zur Christologie des 1 Thess 197

3.4 Theologische Entwicklungslinien bei Paulus ausgehend vom


1 Thess? 198
3.4.1 Die Parusieerwartung des 1 Thess 199
3.4.2 Das Verhältnis zu Israel 200

3.5 Ausblick 205

Literaturverzeichnis 207
8

EINFÜHRUNG

Der kurze erste Brief des Paulus an die Thessalonicher gilt gemeinhin
als das älteste Dokument des Neuen Testaments. Er ist also auch das
älteste urchristliche Missionszeugnis, das literarisch in Form gebracht
worden ist und nicht erst durch Quellenkritik aus anderen Texten
herausgearbeitet werden muss. Der Brief ist nicht nur für das
Verständnis des Neuen Testaments als Ganzes von Bedeutung, auch
innerhalb des paulinischen Schrifttums ist es nicht unbedeutend, dass
dieser Brief den Anfang markiert.
Insbesondere in einer Zeit, in der man Paulusbriefe hauptsächlich
systematisch erschließen wollte, spielte der 1Thess eine untergeord-
nete Rolle. Ein theologisches Profil ist auf den ersten Blick nur mit
Mühe zu erkennen. Und es passt keineswegs zu der Theologie der
„großen“ Briefe, da das Thema Rechtfertigung kaum diskutiert wird.
Greifbar wird allenfalls der missionarische Kontext, der in der
Argumentation jedoch nur wenige theologische Aspekte bereitstellt,
die noch dazu kaum in ein komplexes Argumentationsgefüge
eingestellt zu sein scheinen. Diese Tatsache hat vornehmlich dazu
geführt, den 1Thess eher assoziativ zur Interpretation frühchristlicher
Problemzusammenhänge heranzuziehen. Berühmt geworden ist bspw.
der Passus 1,9f., der mit seiner explizit monotheistischen Stoßrichtung
von einigen Forschern als fest geprägtes Traditionsgut aus dem
Bereich der monotheistischen Missionspredigt identifiziert wurde.
Ähnlich berühmt, allerdings unter negativen Vorzeichen, ist der Passus
2,14-16, der einen ungewöhnlichen polemischen Ausfall des Paulus
gegen das Judentum darstellt und zumindest bei Lesern, die biblische
Texte nicht unter methodisch-wissenschaftlichem Anspruch lesen,
Anstoß erregen muss. Für die Exegese besteht daher die Pflicht, die
Mühen für eine Klärung auf sich zu nehmen. Dies jedoch geschieht oft
9

ohne den Blick auf den theologischen Horizont des Briefes, der
aufgrund der missionarischen Situation auch kaum fassbar zu sein
scheint.
Theologische Relevanz ist nur in ein paar wenigen Passagen zu
entdecken, die der Gemeindeparänese entnommen sind. Die Argumen-
tation konzentriert sich in diesem Zusammenhang insbesondere auf die
Parusieerwartung, die anscheinend den Thessalonichern sehr am
Herzen lag – und im Hinblick auf den pseudepigraphischen 2 Thess
wohl schon im Urchristentum als Kennzeichen des thessalonischen
Christentums galt.
Bei all dieser Fremdheit kann man beinahe fragen, warum der
Brief äußerst selten als pseudepigraphisch angesehen wurde.
Wahrscheinlich liegt es daran, dass diese Annahme nicht
erkenntnisleitend und daher unnötig erschienen ist. Die Unterschiede
sind nicht zu groß und konnten entweder als Ausgangspunkt einer
Entwicklung beschrieben werden oder aufgrund des fehlenden Profils
einfach als situativ und weniger ausgearbeitet betrachtet werden. Eine
Ausscheidung aus dem Corpus Paulinum rechtfertigt sich weder durch
sprachliche noch durch inhaltliche Vorgaben, und so war dies auch
niemals wirklich in Diskussion. Es wäre auch methodisch kein Ge-
winn zu erwarten, da sich die entscheidenden theologischen Überle-
gungen eben außerhalb des 1Thess abspielen, der 1Thess aber ohne
weiteres eingeordnet werden kann (im Gegensatz zu den
Pseudepigraphien, deren Brüche zwar ebenfalls auf einer Linie
gesehen werden können, jedoch zum besseren Verständnis einen
anderen zeitlichen Rahmen erfordern).
Vorliegende Arbeit versucht nun genau auf diese eben
beschriebenen Phänomene einzugehen. Ausgangspunkt ist dabei die
Überlegung, den Brief als missionsstrategisches Schreiben zu
betrachten, ganz wie er sich selbst zu erkennen gibt. Dennoch soll
versucht werden, das theologische Profil zu schärfen. Dies ist nur
möglich, wenn man versucht, Zusammenhänge innerhalb der
brieflichen Argumentation herauszuarbeiten, worauf sich die
Forschung am 1Thess in den letzten Jahren in zunehmendem Maße
konzentriert hat. Hier soll gezeigt werden, dass die eklektisch
herangezogenen Stellen durchaus eine plausible Funktion im
Gesamtzusammenhang der Argumentation ergeben und auch einen
vollständig neuen Sinn erhalten können (besonders die Passage 2,14-
16).
Die hier vorgelegte Interpretation versteht sich als Beitrag zur
„Neuen Perspektive“ innerhalb der Paulusforschung. Dabei sollen die
10

Themen wie Rechtfertigungslehre gar nicht groß zur Geltung kommen,


da sie im 1Thess kaum relevant sind. Es soll allerdings gezeigt
werden, dass dies auch nicht nötig ist. Vertreter der alten
Paulusinterpretation wollen mit Gewalt die Diskussionen um die
Rechtfertigungstheologie auch in den 1Thess hineinlesen. Der 1Thess
jedoch ist theologisch gerade nicht in dieser Weise zu lesen, wenn er
auch in seiner grundlegenden Ausrichtung dieser Rechtfertigungslehre
nicht entgegensteht. Allerdings soll mit Nachdruck darauf verwiesen
werden, dass nicht derjenige ex nihilo argumentiert, der den 1Thess
ohne Rechtfertigungslehre liest, sondern derjenige, der die Rechtferti-
gungslehre unbedingt voraussetzen will und dabei die historischen
Umstände und eigentlich leitenden Fragestellungen innerhalb der
Thessalonicherkorrespondenz aus den Augen verliert. Einer
Positionsbestimmung innerhalb dieser Debatte ist der erste Teil dieser
Arbeit gewidmet.
Der Hauptteil der Dissertation widmet sich der Interpretation des
Textes selbst, wobei im Zentrum die beiden oben erwähnten Abschnitt
1,9f. und 2,14-16 stehen sollen. Dabei wird allerdings festzustellen
sein, dass diese Stellen falsch verstanden sind, wenn sie aus dem
theologischen Zusammenhang gerissen werden, andererseits aber bei
einer konsequenten Aufdeckung der brieflichen Linienführung
durchaus ein theologisches Profil zustande kommt, das bedenkenswert
und somit auch einen bedeutenden Beitrag zum Verständnis des
gesamten Textes auszumachen versucht. Interpretiert wird der
Zusammenhang 1,6-2,16, der sowohl die Arbeit der Missionare (1,9f.,
2,1-12, jeweils eingeleitet mit dem Begriff ei[sodo"), als auch die
Annahme der Verkündigung durch die Gemeindemitglieder (sowohl in
1,6-8 als auch in 2,13-16 werden die Thessalonicher zu mivmhtai) in
den Blick nimmt. Leitend sind in diesem Zusammenhang
Fragestellungen, die den Dialog zwischen Paulus und seiner Gemeinde
in den Mittelpunkt rücken und die theologischen Aussagen des Briefes
weniger als allgemeingültige Glaubensaussagen des Paulus verstehen
wollen, sondern zunächst als für den Dialog charakteristische
Sprachereignisse. Erst wenn wirklich nachvollziehbar wird, auf
welcher Ebene sich Missionar und Gemeinde argumentativ
gegenüberstehen, kann man nachvollziehen, (a) inwieweit die
Thessalonicher überhaupt die Predigt des Paulus verstehen konnten,
(b) wie der Erfolg der Mission in Thessalonich zu bewerten ist und
welche „Tiefe“ das theologische Verständnis der Thessalonicher
erreichen konnte, gerade im Hinblick auf die dicht formulierte
monotheistische Missionspredigt in 1,9f., oder (c) auf welchen
11

Grundlagen die Polemik gegen „die Juden“ in 2,14-16 wirklich fußt.


Schließlich darf man nicht vergessen, dass sowohl der Brief, als auch
die Apg (in verstärktem Maße) suggerieren, dass aufgrund
Anfeindungen gegenüber den christlichen Missionaren Paulus und
seinen Mitarbeitern weniger Zeit als nötig in Thessalonich blieb.
Ein kurzer dritter Teil fasst schließlich die Ergebnisse der Arbeit
zusammen. Dabei sollen noch einmal die wesentlichen Linien auch
über den 1Thess hinaus gezogen werden und der Brief und seine
Aussage im Gesamt der paulinischen Argumentation positioniert
werden.
12

TEIL I: DER 1THESS ALS ZEUGNIS


„FRÜHPAULINISCHER“ THEOLOGIE

1.1 Einführung

In der ntl. Exegese herrscht im Großen und Ganzen Einigkeit darüber,


dass der 1Thess der früheste Brief des Paulus ist und damit zugleich
das erste uns literarisch vermittelte Zeugnis des Urchristentums. 1 Er
steht am Anfang der selbständigen Mission des Paulus in Griechenland
und wie kein anderer Brief der Erstverkündigung in der Gemeinde
nahe. Daher scheint er geeignet, Fragen an die vorliterarische Zeit des
Christentums zu stellen. Lange wurden die kleineren Paulusbriefe von
der Forschung eher stiefmütterlich behandelt und nur in Auszügen zur
weiterführenden Auslegung der Hauptbriefe herangezogen. Die Ein-
schätzung Beckers traf den Sachverhalt sehr genau:

„Der 1Thess darf in der Regel zu drei Themen der paulinischen


Theologie etwas beisteuern: Zum frühen Typ einer Heiden-
missionspredigt (1,9f.), zur christlichen Auferstehungshoffnung
(4,13-18) und zur paulinischen Auseinandersetzung mit dem
Judentum (2,14-16). Das ist für diesen kleinen Brief zwar nicht
wenig, jedoch kommt er wegen dieser selektiven Benutzung
kaum dazu zu zeigen, daß er ein klar umrissenes theologisches
Gesamtkonzept sein eigen nennt. Gesetzt den Fall, man wird bei
der Suche nach einem solchen Schatz fündig, dann wäre sein
Wert kaum zu überschätzen, blickte man doch nicht nur auf die
älteste, literarisch faßbare Gestalt der paulinischen Theologie,
sondern könnte zugleich sicher sein, Rückschlüsse auf die letzten
Jahre paulinisch-antiochenischer Geschichte ziehen zu können.“ 2

1 Es ist selbstverständlich möglich, aus späteren Texten frühere Traditionen


abzuleiten. Jedoch erscheinen solche Traditionen immer aus dem Blickwinkel
späterer Traditionen und sind in ihrer Aussage theologisch abhängig. Der
1Thess hingegen ist in seiner literarischen Abgeschlossenheit das früheste
Zeugnis des Neuen Testaments und somit für die Rückfrage in die Zeit davor
von unermesslichem Wert.
2 Becker, Erwählung, 79.
13

Diese Einschätzung ist inzwischen nicht mehr aktuell. Zwar wird der
1Thess auch weiterhin eklektisch zur Klärung theologischer Fragen
herangezogen. Darüber hinaus ist aber das Interesse am 1Thess sehr
groß geworden. Dies zeigt sich an der Anzahl der Kommentare, die in
letzter Zeit erschienen sind und so die Lücken in den Kommentar-
reihen schließen konnten.3 Zudem richten immer mehr Arbeiten ihr
Augenmerk auf den 1Thess und setzen sich mit der Frage nach dessen
Eigenständigkeit auseinander.4 Beckers Aufsatz, der später noch
diskutiert werden soll, kann in gewisser Weise als Initialzündung be-
trachtet werden. Seine Thesen haben nicht etwa zu einem Forschungs-
konsens geführt, sondern im Gegenteil die strittigen Anfragen an den
Brief erst so richtig angeheizt. Dabei ist die Diskussion um die Ein-
schätzung des 1Thess keine neue Diskussion. Schon sehr früh war man
sich einig, dass dieser Brief innerhalb des paulinischen Denkens eine
Sonderstellung einnimmt. Aufgefallen war immer, dass die „großen“
Themen wie die Rechtfertigungslehre oder die theologia crucis nicht
erwähnt werden. Um die Eigenart des 1Thess klären zu können, sollen
im Folgenden die wichtigsten diesbezüglichen Fragen geklärt werden
(1.2), um schließlich einen Ansatz zu entwickeln, der für die Ein-
schätzung des 1Thess und dessen Interpretation leitend sein kann (1.3).

1.2 Die Sonderstellung des 1Thess

Der Brief fällt insofern aus dem Rahmen der paulinischen Briefe, als
er sowohl in den Formulierungen in mehreren Fällen von der sonst
üblichen paulinischen Redeweise abweicht, als auch zu den scheinbar
wichtigen Themen, wie sie in den Hauptbriefen behandelt werden,
schweigt. Dies mag unter anderem mit der Situation des Briefes zu tun
haben, denn wie kein anderer Brief des Paulus steht der 1Thess der
Erstverkündigung der Gemeinde sehr nahe. Bis auf die Ausführungen
zur richtig verstandenen Parusieerwartung tritt die Behandlung ge-
meindeinterner Probleme deutlich in den Hintergrund. Die ausge-
dehnte Paränese zielt augenscheinlich auf den Abschluss oder die Wei-

3 Schon Holtz hat in seinem EKK-Kommentar mit Stolz darauf zurückgeblickt,


dass seine Kommentierung die erste große wissenschaftliche Auslegung seit
dem wichtigen Kommentar Ernst von Dobschütz aus dem Jahre 1909 darstellt.
Inzwischen sind u.a. erschienen: Müller, 1Thess; Malherbe, 1Thess; Haufe,
1Thess; bei Herder angekündigt ist der Kommentar Hoppes.
4 Vgl. Bickmann, Kommunikation; Börschel, Rekonstruktion. Der Eigenständig-
keit wird auch in größeren Studien zum gesamten paulinischen Denken Rech-
nung getragen, vgl. etwa Konradt, Gericht; Gerber, Paulus; Wilk, Bedeutung;
Kraus, Volk Gottes.
14

terführung der Erstverkündigung ab. Allerdings wird der Hinweis auf


die Erstverkündigung5 kaum ausreichen, etwaige theologische Unter-
schiede befriedigend zu erklären. Zu berücksichtigen ist er allemal.
Eine Klärung der Sonderrolle des 1Thess muss umfassender ansetzen.
So hat es in der Forschung verschiedenste Versuche gegeben, die Stel-
lung des 1Thess zu bewerten. Darauf soll im Folgenden eingegangen
werden.

1.2.1 Der 1Thess als authentisches paulinisches Schreiben

Trotz der immer wieder festgestellten Auffälligkeiten, dass der 1Thess


inhaltlich und sprachlich aus dem Rahmen der sonstigen paulinischen
Theologie fallen würde, hat die Authentizitätsdebatte bzgl. des 1Thess
kaum eine bedeutende Rolle gespielt. Sieht man von den Positionen
der Radikalkritik ab6, gab es entschiedene Vorbehalte gegen die Au-
thentizität des 1Thess eigentlich nur im Gefolge der Tendenzkritik der
Tübinger Schule, allen voran Baur7 und Schrader.8 Allerdings konnte
sich deren These nie durchsetzen, da ihre Argumentationen auf teil-
weise sehr fragwürdigen Prämissen aufgebaut sind.9

Schon der Ansatzpunkt Baurs ist bedenklich. Er versteht paulinische Briefe


grundsätzlich als theologische Abhandlung, die jeweils ein Zentraldogma be-
handeln müssten. Der 1Thess hat es damit sehr schwer, als Paulusbrief
anerkannt zu werden, ist er doch hauptsächlich paränetisch ausgerichtet und
behandelt, sieht man einmal von den knappen Ausführungen zur Parusie ab,
keine wesentlichen theologischen Themen. Außerdem, so Baur, weise die
Judenpolemik in 2,14-16 zeitgeschichtlich auf die Zerstörung des Jerusa-
lemer Tempels hin. Somit sei der Brief eindeutig als nachpaulinisch zu quali-
fizieren und eventuell abhängig von den Darstellungen der Apostel-
geschichte.

Doch schon Hilgenfeld hat in einem wegweisenden Aufsatz die


Grundlagen des heutigen Status Quo gelegt (zumindest was die For-
schung im deutschsprachigen Bereich anbelangt): der 1Thess sei als
paulinisches Schreiben zu identifizieren, der 2 Thess jedoch nicht. 10
Während die Authentizität des 2 Thess weiterhin umstritten ist, wird
5 Vgl. hierzu Eckert, Erstverkündigung, insbesondere 289-298.
6 Vgl. Bauer, Kritik; siehe auch Detering, Paulus.
7 Baur, Paulus, 480-492.
8 Schrader, Der Apostel Paulus, 23ff.
9 Zur Authentizitätsproblematik vgl. ausführlich Bornemann, 1Thess, 300-317;
Auch Haufe, 1Thess, 1-3.
10 Vgl. Hilgenfeld, 1Thess.
15

der 1Thess weithin als paulinisch anerkannt. Wäre der 2 Thess ein au-
thentisch-paulinisches Schreiben, wäre er für die Erhebung der pauli-
nischen Theologie von Bedeutung. Die meisten Vertreter der Echtheit
des 2 Thess verstehen ihn als notwendige Korrektur der Aussagen zur
Parusie des 1Thess,11 die schon sehr bald nach der Verfassung des
1Thess notwendig geworden sei. Jedoch ist es schwer zu erklären, wa-
rum das Konzept der Parusievorstellung so entscheidend von der Vor-
stellung des 1Thess abweicht. Insbesondere die Figur des eschatologi-
schen Gegenspielers Gottes vor der Parusie fügt sich nicht in die
ansonsten „unmittelbare Parusienaherwartung, die bis zum Phil die
sachliche Mitte aller eschatologischen Aussagen bildet.“ 12 Zudem kann
man davon ausgehen, dass der 2 Thess den 1Thess als Vorlage ver-
wendet hat, da bis in die Gliederung hinein Berührungen zwischen
beiden Briefen zu entdecken sind,13 wobei jedoch inhaltlich wie
sprachlich große Differenzen zwischen beiden Briefen herrschen. Ne-
ben der unterschiedlichen Parusievorstellung fällt auch die eigentümli-
che Sprache auf. So weist Trilling darauf hin, dass innerhalb des zwei-
ten Thessalonicherbriefes 17 Wendungen, die sonst nirgends im NT zu
finden sind, gebraucht werden.14 Auch weitere stilistische Eigenheiten
sprechen gegen die Echtheit des 2 Thess, so dass man mit Trilling zu-
sammenfassend feststellen kann: „Wortgebrauch, stilistische Eigenart
und Gedankenführung müssen zusammen gesehen werden. Typische
Gedanken, Wörter und Wendungen weisen auf eine in Lehre und
christlichen Lebensformen entwickeltere Situation als die von I
[Thess] und die aller unbezweifelt echten Paulusbriefe hin.“15

11 Positionen pro Echtheit: Dobschütz, 1Thess; 32-47; Dibelius, 2 Thess, 40f.;


Kümmel, Einleitung, 231f.; Bruce, 1Thess, XXXIIf.141f.; Stuhlmacher,
Theologie, 59; Niebuhr, Grundinformation, 275. Gegen Echtheit votieren
Jülicher/Fascher, Einleitung, 67; Braun, Herkunft, 205-209; Trilling, 2 Thess,
27f.; ders., Untersuchungen 46-66; Köster, Einführung, 679; Lindemann,
Paulus, 130ff.; Holland, 2 Thessalonians, 129; Hughes, Rhetoric, 95; Reinmuth,
2Thess, 159-161; Popkes, Bedeutung, 39-64.
12 Schnelle, Einleitung, 364. Nach Schnelle, Paulus, 406-411, sind Phil und Phlm
als letzte Paulusbriefe in Rom entstanden. Zur Datierung des Phil nach Röm vgl.
auch Schade, Christologie, 184-190; Roloff, TRE II, 522.
13 Darauf hat schon Wrede, Echtheit, 3-36, hingewiesen.
14 Vgl. Trilling, Untersuchungen, 46-66, hier 49.
15 Trilling, Untersuchungen, 66.
16

1.2.2 Chronologische Fragen

In der Forschung besteht heute weitestgehend Konsens darüber, dass


der 1Thess das älteste paulinische Schreiben ist. Die Frage ist, inwie-
weit es möglich ist, aus dieser chronologischen Vorrangstellung Kon-
sequenzen für die Bewertung der paulinischen Theologie zu ziehen.
Alleine die Tatsache, dass der Brief das früheste paulinische Schreiben
sein soll, ist noch kein schlagkräftiges Argument dafür, dass der Brief
eine eigenständige Theologie vertritt. Es ist insbesondere danach zu
fragen, in welchem Abstand der 1Thess zu den anderen Briefen
entstanden ist, und auch die Reihenfolge der einzelnen paulinischen
Briefe muss dabei ins rechte Licht gerückt werden. Erst von da aus
kann man erwägen, inwieweit chronologische Aspekte für eine
theologische Qualifizierung herangezogen werden dürfen.

1.2.2.1 Der derzeitige Status Quo in der Forschung

Um es vorwegzunehmen – vorliegende Arbeit schließt sich dem der-


zeitigen Status Quo innerhalb der Forschung an. Dieser muss auch
nicht im Einzelnen begründet werden. Allerdings sollen alternative
Ansätze der Forschung an diesem Status Quo gemessen werden, da
diese tatsächlich Aussagekraft besitzen würden für eindeutigere Op-
tionen einer theologischen Bewertung des 1Thess.
Folgt man der Darstellung der Apostelgeschichte, beginnt Paulus
nach dem Apostelkonzil und dem antiochenischen Zwischenfall seine
zweite Missionsreise, auf der er über die Stationen Galatien und Make-
donien (mit der Hauptstadt Thessalonich) um die Jahre 50/51 über
Athen nach Korinth gelangt, wo er höchstwahrscheinlich den 1Thess
verfasst hat.16 Die Eruierung dieser absoluten Jahreszahlen ermögli-
chen zwei Angaben aus der Apostelgeschichte, die sich auf Daten der
Profanhistorie beziehen. Zunächst ist auf Apg 18,12 hinzuweisen, wo-
nach Paulus vor den Prokonsul Gallio zitiert wird, der aller Voraus-
sicht nach in den Jahren 51/52 amtierte.17 Zudem berichtet Apg 18,2

16 Die Abfassung in Korinth setzen die meisten Forscher als selbstverständlich


voraus. Zwar kann der 1Thess nicht bestätigen, dass er erst in Korinth mit
seinen Mitarbeitern wieder zusammentraf. Doch spricht für die Abfassung in
Korinth und gegen Athen die Länge des korinthischen Aufenthalts.
17 Diese Datierung ergibt sich aus der sog. „Gallio-Inschrift“. Die Gallio-Inschrift
nimmt Bezug auf einen Brief des Claudius an den Nachfolger des Gallio. Der
Brief wird auf den Zeitraum zwischen dem 25. Januar und dem 1. August 52 zu
datieren sein, da auf der Inschrift als Abfassungszeit die 26. Akklamation des
Claudius zum Kaiser genannt wird. Zur Diskussion vgl. Murphy-O'Connor,
17

davon, dass die Juden(-christen) Priskilla und Aquila aus Rom fliehen
mussten aufgrund größer angelegter Verfolgungen. Diese Verfolgun-
gen werden auf das Claudius-Edikt zurückgeführt, das nach der Anga-
be bei Orosius auf das 9. Regierungsjahr des Claudius, also auf 49 n.
Chr. zu datieren ist.
Der 1Thess wäre demnach auch der einzige Brief, der auf der
zweiten Missionsreise bzw. an ihrem Ende im Jahre 50/51 in Korinth
entstanden ist.18 Als nächstes dürften mit einem Abstand von etwa 3
bis 4 Jahren nach und nach die Korintherbriefe, der Galaterbrief, der
Römerbrief und der Philipperbrief entstanden sein.19
Dennoch muss im Folgenden auf zwei Versuche eingegangen
werden, die diesen Status Quo in Frage gestellt haben. Diese hätten
direkte Auswirkungen auf die theologische Einordnung des 1Thess.
Zum einen wird eine extreme Frühdatierung des 1Thess versucht, die
ihn schon vor dem Apostelkonzil ansetzt, zum anderen gerät die Datie-
rung des 1Thess als frühestem Paulusbrief in Konkurrenz mit der
Frühdatierung des Galaterbriefes, die diesen entweder vor oder in
direkte Nähe des 1Thess rückt (wobei wichtige Themen, etwa die
Rechtfertigungslehre, die im 1Thess nicht zum Tragen kommen, im
Gal bereits auf einer hohen Reflexionsstufe vorliegen würden).

1.2.2.2 Versuche einer Frühdatierung

Den bisher bedeutendsten Vorstoß mit dem Ziel, die Datierung der
Paulusbriefe auf ein vollkommen neues Fundament zu stellen, hat Lü-
demann20 unternommen. Im Rückgriff auf wichtige Vorarbeiten von
Knox21 und anderen amerikanischen Autoren,22 versucht er auch in der
deutschsprachigen Forschung neue Akzente in der Pauluschronologie
zu setzen. Von seinem Grundansatz her wendet er sich gegen eine
Corinth, 173-176; Plassart, Inscription; ders., Fouilles, 26-32.
18 Gemäß Apg 18,5 trifft Paulus in Korinth mit seinen Mitarbeitern Silas und
Timotheus in Korinth wieder zusammen. Nachdem Paulus dort längere Zeit
verbringt, im Brief allerdings die positiven Neuigkeiten durch Timotheus
hervorgehoben werden, kann man darauf schließen, dass der 1Thess
höchstwahrscheinlich in Korinth entstanden ist.
19 Ich schließe mich im Wesentlichen der Datierung bei Schnelle, Wandlungen,
22-36 an. Auch wenn die Datierung des Phil umstritten ist, geht es hier vor
allem um den Nachweis, dass Konsens darüber besteht, dass der 1Thess mit
einem wahrnehmbaren Abstand zum 1 Kor verfasst worden ist. Zur Datierung
des Gal vgl. Kapitel 1.2.2.3.
20 Vgl. Lüdemann, Paulus I.
21 Knox, Chapters; ders., Chronology.
22 Riddle, Paul; Jewett, Chronology.
18

voreilige Historisierung der Angaben der Apostelgeschichte. Deswe-


gen will er durch eine genaue Analyse der einschlägigen Stellen inner-
halb der paulinischen Briefe (Gal 1,6-2,14; 1 Kor 16,1ff; 2 Kor 8,10)
den Rahmen für die Chronologie erstellen, um ihn anschließend mit
den kritisch geprüften Angaben aus der Apostelgeschichte zu füllen. 23
In der folgenden Darstellung sollen lediglich die Argumente für die
Neudatierung des 1Thess überprüft werden, da eine Analyse des ge-
samten Ansatzes Lüdemanns zu weit vom Thema abführen würde.
Wesentlich für die chronologische Einordnung sind nach dieser Dar-
stellung folgende Punkte. (1) Die Analyse des Korinthaufenthalts in
Apg 18, (2) die Datierung des Claudiusedikts und (3) das Verständnis
der Reisenotizen in Apg 18,18-23.

(1) Lüdemann geht davon aus, dass in Apg 18 mindestens zwei


Aufenthalte des Paulus in Korinth zusammengefasst sind.
Auffälligstes Indiz ist der Wechsel des Namens des
Synagogenvorstehers von Krispus (V. 8) zu Sosthenes (V. 17).
Zudem seien die Verse 12-17 (Paulus vor Gallio) aus sich
heraus verständlich, wobei V. 12 als Neueinsatz aufgefasst
werden könnte und somit einen eigenen Besuch markieren
würde.24
(2) Die zweite Episode sei entsprechend der Gallio-Inschrift auf 51
v. Chr. zu datieren. Die erste Episode, das Zusammentreffen
mit Priskilla und Aquila, die aufgrund des Claudius-Ediktes
Rom verlassen mussten, setzt Lüdemann ca. 10 Jahre früher an.
Dies erreicht Lüdemann durch eine Neudatierung des
Claudius-Ediktes. S.E. ist der christliche Geschichtsschreiber
Orosius nicht glaubwürdig. Zwar zitiert er das Claudius-Edikt
bei Sueton wörtlich, jedoch führt er die Zeitangabe auf
Josephus zurück, die dort nicht zu finden ist. Stattdessen
verweist Lüdemann auf ein weiteres Edikt aus der Regierungs-
zeit des Claudius, das Dio Cassius LX 6,6 überliefert und in
das erste Regierungsjahr des Claudius datiert hat. Dort wird
zwar nicht von der Vertreibung, sondern nur von einem

23 Vgl. zum methodischen Programm Lüdemann, Paulus I, 49-52.


24 Lüdemann, Paulus I, 176 geht davon aus, „daß Lukas die ihm über einen Ort zur
Verfügung stehenden Lokaltraditionen zumeist an einer Stelle bringt und sich
bei einer evtl. zweiten Erwähnung desselben Aufenthaltsortes mit einer
summarischen Notiz begnügt...“ Zugleich verweist er auf das Weg-Konzept des
Paulus, das schon im Lk-Evangelium greifbar ist und in der Apg nach Rom
fortgesetzt wird, vgl. hierzu Lüdemann, Paulus I, 34-40.
19

Versammlungsverbot der Juden gesprochen. Lüdemann


interpretiert dies allerdings als Korrektur Suetons durch Dio.
Eine Vertreibung würde nicht ins Bild der ersten
Regierungsjahre des Claudius passen, da andere Quellen von
seiner Freundschaft gegenüber Juden sprechen.25
(3) Die Reise in Apg 18,18-23 von Korinth nach Ephesus,
Cäsarea, Jerusalem und nach Antiochien sei schließlich als
Reise zum Apostelkonvent zu erklären. Das Problem stellt sich
wie folgt dar: aus den Paulusbriefen sind lediglich drei Reisen
des Paulus nach Jerusalem während seiner Missionarszeit zu
erheben: die erste, um Kephas kennen zu lernen, die zweite
zum Konvent und die dritte zur Überbringung der Kollekte.
Die Apg berichtet hingegen von fünf Fahrten (9,26ff; 11,27ff;
15,1ff; 18,22; 21,15). Nach Lüdemann sei dabei die Reise in
18,22 „am schmucklosesten“ und würde deswegen „am
ehesten auf alte Tradition zurückgehen.“26 So will er nachwei-
sen, dass Apg 15 redaktionell sei und stellt fest, dass 18,18-23
als zweiter Jerusalembesuch zu gelten hätte. Aus theologischen
Gründen hätte Lukas den Konvent schon in Kapitel 15
eingefügt, die Reisenotizen in Kapitel 18 nach dem
Korinthaufenthalt seien allerdings als Reste der ursprünglichen
Reise zum Konvent zu lesen.

Gnilka schließt sich im Grunde genommen dieser Darstellung an,27


sucht allerdings für die Bewertung des Claudiusediktes eine Zwischen-
lösung. Eine genaue Datierung sei unmöglich,28 zudem könne auch der
Zeitraum nicht bestimmt werden, der nach dem Eintreffen von Aquila
und Priska seit dem Edikt vergangen ist. Deswegen datiert er den
Korinthaufenthalt mit Entstehung des 1Thess etwa in die Mitte der
40er-Jahre. Gnilka betont eher die pragmatischen Gründe der
25 Vgl. Lüdemann, Paulus I, 31.183-195.
26 Lüdemann, Paulus I, 165.
27 Vgl. Gnilka, Paulus I, 64-71 im Kapitel „Wann erfolgte der Aufbruch nach Eu-
ropa?“
28 An dieser Stelle allerdings wird die Argumentation bei Gnilka etwas ungenau,
vgl. Gnilka, Paulus, 69-71. Einerseits will er nicht zusammen mit Lüdemann
den Schritt gehen und das Claudius-Edikt mit der Angabe bei Cassius Dio
gleichsetzen, andererseits misstraut er dem Geschichtsschreiber Orosius. Zwar
kritisiert Gnilka die Idee bei Harnack, Berechnung, 675, der annimmt, dass
Orosius aus einer christlichen Quelle schöpfte, die eventuell die Jahreszahl aus
der Apostelgeschichte erschloss. Doch aus grundsätzlichem Misstrauen Orosius
gegenüber datiert er den Aufenthalt dann einfach in die Mitte der 40er Jahre
(wohl letztlich, weil diese Datierung genau in sein Konzept passt).
20

Frühdatierung – der Plan des Paulus, das Evangelium bis an die


Grenzen der Welt zu tragen (also bis Spanien) hätte bei einem
Aufbruch nach Europa im Jahre 50 ein alter Mann angestrebt. 29 Lü-
demann aber geht es ausdrücklich um die Herausstellung theologischer
Inhalte. Seine Analyse des Zusammenhangs führt ihn zu der Überzeu-
gung, dass Paulus bei seiner Mission nicht von der Auferstehung der
Christen gesprochen hat, „und zwar nicht deswegen, weil er von einer
allgemeinen Auferstehung nicht überzeugt war (er war doch Pharisäer
und ging von der Auferstehung Jesu aus!), sondern deshalb, weil er
glaubte, daß das Ende der Zeiten in unmittelbarer Nähe ist!“30 Der Tod
vor der Parusie sei auch in der paulinischen Vorstellung als Ausnahme
zu denken, und so halte er am Entrückungskonzept fest und „führt als
Folge der beginnenden Parusieverzögerung die Auferstehung der ge-
storbenen Christen (...) als Hilfsgedanken ein, um am alten Ent-
rückungskonzept festhalten zu können.“31 Diese Darstellung sei aller-
dings nur glaubwürdig für eine Mission Ende der 30er-Jahre, nicht je-
doch erst 10 Jahre später.
Die Motive, die Lüdemanns Frühdatierung des 1Thess leiten,
sind also wohlbegründet und auf den ersten Blick auch einsichtig.
Dennoch wird sein Vorschlag der extremen Frühdatierung in der heuti-
gen Forschung kaum geteilt. Zwar ist sein Versuch der Neudatierung
äußerst sorgfältig erarbeitet, jedoch trägt die Identifizierung des Clau-
dius-Ediktes mit der Aussage bei Sueton die Beweislast nicht. Wie
Alvarez Cineira32 deutlich machen konnte, handelt es sich nachweis-
lich um zwei verschiedene Edikte; das erste sei im Zusammenhang des
Machtwechsels im Sinne eines Versammlungsverbotes zu verstehen,
das jegliche Putschversuche im Keim ersticken sollte, während das
zweite Edikt auf die Tumulte bzgl. des Chrestus reagiert und die Ver-
treibung von Juden zur Folge hatte. So lange also keine besseren Kri-
terien und Alternativen zur Hand sind, gibt es keinen Grund, die
Angabe bei Orosius zu ändern.

29 Vgl. dazu Gnilka, Paulus, 66.


30 Lüdemann, Paulus I, 263 Anm. 147.
31 Lüdemann, Paulus I, 264, Anm. 147.
32 Vgl. Alvarez Cineira, Religionspolitik, 194-196.
21

1.2.2.3 Zur Frühdatierung des Galaterbriefes

Die Datierung des Galaterbriefes ist umstritten. Am ehesten


konsensfähig sind die Positionen, die den Brief in die Nähe des
Römerbriefes rücken, da die theologische Argumentation beider Briefe
bis in die Gliederung hinein sehr ähnlich aufgebaut ist. 33 Auch die
Hinweise auf die Kollektenaktion in Galatien in 1 Kor 16 lassen noch
nichts von den Auseinandersetzungen im Gal erahnen.34 So legt sich
der Schluss nahe, dass der Gal nach dem 1 Kor (und dem 2 Kor)
geschrieben worden sein muss, wohl kurz vor dem Röm. Ort der
Abfassung ist damit die Reise des Paulus durch Makedonien nach
seinem Ephesus-Aufenthalt.35
Allerdings werden auch gegen diesen relativen Konsens immer
wieder Einwände vorgetragen, und es wird versucht, den Gal zeitlich
vor oder zumindest ganz in die Nähe des 1Thess zu rücken. Da die
Rechtfertigungslehre im Gal schon in wesentlichen Zügen
ausgearbeitet ist, hätte man damit ein eindeutiges Indiz dafür
gewonnen, die paulinische Rechtfertigungslehre schon von Anfang an
bei Paulus vorauszusetzen, die Rede von einer Entwicklung würde
sich dadurch erübrigen.36 Damit aber soll nicht unterstellt werden, dass
die Neudatierung des Gal mit dem Ziel erfolgt, die Rechtfertigungs-
lehre zeitlich früh anzusetzen. Vielmehr geht es den Vertretern der
Frühdatierung darum, die Adressaten des Gal mit den Gemeinden aus
denjenigen Gebieten gleichzusetzen, die Paulus auf seiner ersten
Missionsreise in Apg 13 und 14 ansteuert. Die Galater wären demnach
die Bewohner im Süden der Provinz Galatien, die das Gebiet Ost-
Phrygien, Pisidien, Isaurien, Lykaonien und Pamphylien mit den
Städten Antiochien in Pisidien, Ikonion, Lystra, Derbe und Perge

33 Vgl. hierzu die Übersicht bei Schnelle, Einleitung, 107f.


34 So Schnelle, Einleitung, 113. Allerdings ist dieses Argument austauschbar mit
der Position einer extremen Frühdatierung. Man kann einerseits annehmen, dass
die Kollektenaktion im Gal nicht erwähnt wird, weil die Kollekte bereits
abgeschlossen ist, andererseits wäre bei einer Ansetzung vor dem Konvent die
Kollekte noch überhaupt nicht im Blickfeld.
35 Vgl. die Studie von Borse, Standort.
36 Andererseits begrüßen einige Autoren gerade aufgrund der Differenzen der
Rechtfertigungslehre des Gal zu derjenigen des Röm eine Frühdatierung des
Gal. Vgl. Hübner, Gesetz, besonders 116-118. Doch gerade im Gal lassen sich
die Unterschiede wohl eindeutig auf die Situation zurückführen, da er sich dort
polemisch mit judenchristlichen Gegnern auseinanderzusetzen hat, während er
im Röm seine Position vor einer Gemeinde, die er selbst nicht gegründet hat,
frei von jeglicher Polemik und theologisch umfassend reflektiert darstellen
möchte.
22

einschließt. Zugleich nehmen sie aufgrund der Notiz in Gal 4,13 (to;
provteron) an, dass der Brief in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur dorti-
gen Missionsarbeit entstanden sein müsse. Somit wäre es möglich, den
Gal sogar vor den Apostelkonvent zu datieren, mindestens aber in des-
sen unmittelbare Nähe.37
Allerdings ist umstritten, ob Paulus mit den Galatern wirklich die
Gemeinden aus Apg 13 und 14 meint. Eine andere Möglichkeit wäre
die – dem antiken Sprachgebrauch folgende – Identifizierung der
Adressaten mit den Bewohnern der „Landschaft“ Galatien im Norden,
also dem „Gebiet, das sich um das Halysbecken herum bis zum Fluß
Iris im Osten und zum Sangarios im Westen ausdehnt und die Städte
von Anykra, Tavium, sowie die neuen römischen Siedlungen von Pes-
simus und Germa umgibt.“38

Eine eindeutige Entscheidung zur Identifizierung der Galater ist kaum mög-
lich. Für die nordgalatische Hypothese spricht der antike Sprachgebrauch,
der dieses Gebiet ebenfalls als Galatien ausgewiesen hat – und so nennen
auch Apg 16,6 und 18,23 das galatische Land (Galavtikh Cw'ra) neben Phry-
gien, während in Apg 13-14 die Bezeichnung Galatien nicht zu finden ist.
Somit würde die polemische Anrede in Gal 3,1 wohl nur seine Wirkung ent-
falten, wenn sie Personen bezeichnete, die sich traditionell als Galater ver-
standen. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass kaum zu erklären sei, wa-
rum sich ausgerechnet im Norden eine so bedeutende judenchristliche Ge-
genmission zu Paulus breit gemacht hat, obwohl für dieses Gebiet keine jüdi-
schen Einwohner bekannt waren. Der synagogale Einfluss sei eher im Süden
zu erwarten. Schließlich weist Breytenbach 39 darauf hin, dass im Norden
überhaupt keine vorkonstantinischen Spuren der Christianisierung zu erken-
nen seien.40

Identifiziert man die Galater mit den Bewohnern der nördlichen Land-
schaft Galatien, ist es theoretisch immer noch denkbar, dass der Brief
noch vor dem Aufbruch zur Europamission des Paulus geschrieben
worden ist. Das hängt letztlich auch davon ab, wie man Gal 4,13 ver-
steht. Nach Broer41 würde der Vers eindeutig auf zwei Besuche ver-
weisen, wobei nicht an Hin- und Rückweg42 zu denken sein müsse,

37 So bspw. Drews, Paulus, 27f.; Longenecker, Galatians, lxvi-lxxii; Hemer,


Letters, 269; Breytenbach, Paulus, 99-176, besonders 149-176.
38 Vouga, Gal, 10.
39 Breytenbach, Paulus, 147.
40 Zu einer ausführlichen Gegenüberstellung der einzelnen Argumente vgl. Drews,
Paulus, 26-28.
41 Vgl. Broer, Einleitung, 441. Ähnlich argumentiert auch Vouga, Gal, 11.
42 So argumentiert Riesner, Frühzeit, 258.350-352.
23

sondern eventuell ein deutlicher Hinweis gegeben sei auf die beiden
Besuche, wie sie auch in Apg 16 und 18, also auf der 2. und 3. Mis-
sionsreise übermittelt sind. Dies würde die oben vorgeschlagene Deu-
tung unterstützen und den Brief, wie es auch sein Inhalt zu erkennen
gibt, in die Nähe des Römerbriefes rücken. Bedenkenswert ist ebenso
der Vorschlag Vougas, der aufgrund der Nähe zum Röm und 2 Kor
„mit einer Redaktion in Ephesus, in Makedonien (2 Kor 7,5; 9,2), in
Korinth (Röm 15,14-32 ...) kurz vor der letzten Abfahrt nach Je-
rusalem 55/57 n. Chr oder noch auf der Reise nach Jerusalem“ 43 rech-
net. Nach dieser Einschätzung könnte man also selbst bei einer Früh-
datierung des Gal die dortigen Ausführungen zur Rechtfertigungslehre
als späteren redaktionellen Einschub betrachten.

1.2.2.4 Fazit

Die beiden Versuche der Neukonzeption der Pauluschronologie, die


beide eindeutiger die Stellung des 1Thess erklären könnten, überzeu-
gen nicht. Der Versuch der Frühdatierung, der den Thessalonicherbrief
vor die Ereignisse in Antiochien rücken könnte und somit das Fehlen
der Rechtfertigungslehre und die besondere Betonung der Parusie als
theologisches Indiz für die Frühzeit werten könnte, kann ebensowenig
die Diskussion um den ersten Thessalonicherbrief bereichern wie der
Versuch, jeglicher Spekulation um eine Sonder-stellung durch die
Frühdatierung des Gal ein Ende zu bereiten. Der Status Quo wird
dadurch nicht angegriffen. Dieser jedoch erlaubt keine eindeutige
Entscheidung. Er rückt den 1Thess näher an die anderen paulinischen
Schreiben heran. Auch in dieser Zeit ist eventuell mit Entwicklungen
zu rechnen, nur müssen diese dann aufwändiger erklärt werden, da ar-
gumentiert werden könnte, dass alleine die Briefsituationen für die
unterschiedlichen Äußerungen verantwortlich sind. Aber damit ist
schon der Problembereich des folgenden Kapitels angeschnitten, das
die theologischen Aspekte dieser Problematik erfassen will.

1.2.3 Theologische Fragen

Nachdem weder die Frage nach der Authentizität noch diejenige nach
der Chronologie entscheidende Hinweise darauf geben konnten, wie
sich die theologische Sonderstellung des 1Thess begründen ließe, müs-
sen nun die theologischen Auffälligkeiten selbst in den Blick kommen.
Ist es auf der rein theologischen, innerbrieflich situativen Ebene
43 Vouga, Gal, 11.
24

möglich, das Besondere des 1Thess zu erklären? Ist es möglich, mit


den Rahmendaten (Datierung um 51, mit einem relativ kurzen Abstand
vor den nächsten erhaltenen Briefen) und dem Aufbruch nach dem
sog. Apostelkonzil unter der Voraussetzung der eigenständigen Mis-
sionsarbeit (eventuell unter Voraussetzung des „Bruchs“ mit
Barnabas) überhaupt Argumente für theologische Akzentuierungen zu
finden? Für die Auflösung dieses Problemkomplexes soll im Fol-
genden ein wenig weiter ausgeholt und auf die grundlegenden Aus-
einandersetzungen innerhalb der moderneren Paulusinterpretation ein-
gegangen werden.

1.3 Zum Entwurf einer diachronen Pauluslektüre

Eine Pauluslektüre, die sich an der historischen Fragestellung orien-


tiert, die Entstehung des Christentums zu untersuchen, darf Paulus
nicht kritiklos als festen Monolith betrachten, der mit seiner vorgefer-
tigten Theologie die Entwicklung des frühen Christentums entschei-
dend geprägt hat. Vielmehr ist auch die Frage nach seiner Theologie in
diesen Gesamtzusammenhang einzubeziehen. Die Schwierigkeit liegt
ja gerade darin begründet, dass Paulus keine Abhandlung seiner
Theologie hinterlassen hat, sondern Briefe, die in unterschiedlichen
Kontexten und Bezügen mit seiner missionarischen Tätigkeit in Ver-
bindung zu bringen sind. So scheint es geboten, die Briefe des Paulus
auch aus diachroner Perspektive zu lesen, auch wenn dies eine Menge
methodischer Probleme aufwirft, da die Einzelbriefe situative Schrei-
ben und ihre theologischen Äußerungen Teil eines nur noch partiell re-
konstruierbaren Dialogs mit den jeweiligen Gemeinden sind. Zudem
ist die Reihenfolge der Briefe immer als hypothetisch zu betrachten.
Allerdings gilt diese methodische Rücksicht ebenso für die synchrone
Lesart, denn eine Zusammenschau theologischer Äußerungen der
Briefe in einem synchronen Blickwinkel läuft ebenso Gefahr, wesent-
liche Aspekte zu übersehen. Zum Einstieg in die hier skizzierte Dis-
kussion wird deshalb der Ansatz Beckers vorgestellt, von dem aus
dann die strittigen Positionen geklärt werden sollen.44

44 Zu Becker vgl. Einführung zu diesem Kapitel.


25

1.3.1 Der 1Thess als Zeugnis antiochenischer Theologie (Becker)

In seinem Aufsatz Die Erwählung der Völker aus dem Evangelium.


Theologiegeschichtliche Erwägungen zum 1Thess45 sowie in seinem
Paulusbuch46 rechnet Becker mit der Möglichkeit, aufgrund von Stil,
Sprache und Inhalt des 1Thess auf die antiochenischen Wurzeln des
paulinischen Denkens zurückschließen zu können. Innerhalb des
Briefes sei demnach eine geschlossene theologische Konzeption zu er-
kennen, die typisch sei für den antiochenisch-syrischen Raum.47
Becker versucht nachzuweisen, dass die Besonderheiten des 1Thess
auf die „Herkunft“ des Paulus als Missionar aus dem syirsch-antioche-
nischen Raum zurückzuführen sind. Die später eintretende Neuformu-
lierung seiner Theologie ist nach Becker auf die situativen Herausfor-
derungen der Mission zurückzuführen, die ein neues vertieftes Nach-
denken erforderlich machten. Herausforderungen dieser Art spiegeln
sich im 1Thess wohl noch nicht wider, und so scheint es für Becker
möglich, dass die paulinischen Formulierungen noch ganz in der Nähe
der Sprache des antiochenischen Missionszentrums stünden. Damit ist
nicht gesagt, dass der Brief deswegen als unpaulinisch aufzufassen sei.
Die Eigenheiten des 1Thess könnten aber Relikte antiochenischer
Theologie sein, die Paulus nicht verworfen, sondern neu formuliert
hat.
Für eine griffige Deutung des Konzeptes im 1Thess wählt
Becker den Begriff der Erwählungstheologie. Über den Brief verteilt
entdeckt er fünf Äußerungen zum Zusammenhang von Evangelium
und Erwählung, die man als Fixpunkte dafür betrachten könnte, dass
alle Aussagen des Briefes auf das Thema der Erwählung hin gelesen
werden können. Sowohl am Anfang (1,4: „Wir wissen, von Gott
geliebte Brüder, um eure Erwählung, ...“) als auch am Schluss (5,23f.:
„... Getreu ist der, der euch berufen hat, er wird es auch vollenden.“)
stehen an exponierter Stelle zwei Aussagen, die auf die Erwählung der
Thessalonicher durch Gott abheben würden. Zusammen mit drei wei-
teren Stellen innerhalb des Briefes (2,11f., 4,7 und 5,9) würden die
Stellen gewissermaßen das „ordnende Koordinatensystem“ abgeben,
45 Becker, Erwählung.
46 Becker, Paulus, 138-148.
47 Die Interpretation ist abhängig von der Annahme, dass sowohl Mt als auch 1
Petr das Denken des antiochenisch-syrischen Raums aufbewahrt haben. Der
Horizont der Nähe ist in diesem Entwurf auch nur erfühlt und von seiner
Struktur her erwogen als wirklich bewiesen. Aber diesen Anspruch vertritt
Becker auch nicht. In erster Linie geht es ihm vor allem um einen Vorschlag,
wie an die Sache herangegangen werden sollte.
26

„in das alle anderen Aussagen des Briefes eingetragen werden kön-
nen.“48 Die Äußerungen zum Thema Erwählung erscheinen dabei in
einem eschatologisch orientierten Zusammenhang: die Thessalonicher
sind erwählt, am Heil Gottes Teil zu haben. Darauf laufen demnach al-
le Aussagen zur Erwählung hinaus.49
Becker meint nun, aufgrund dieses Strukturmusters aus dem
1Thess die Spuren einer theologischen Gesamtkonzeption erheben zu
können, die man als Erwählungstheologie bezeichnen könne. An die-
ser Stelle soll nur in Grundzügen auf die wichtigsten von Becker
herausgestellten Linien eingegangen werden:

(1) Subjekt der Berufung ist durchgehend Gott. Seine Berufung ist
zu verstehen als „endzeitliche Gnadenwahl, indem sie unmit-
telbar vor dem nahen Endgericht zum endzeitlichen Heil be-
ruft.“50 Die Thessalonicher bekommen durch diese Berufung
die Chance, als Gemeinde Gottes dem Zorn Gottes zu ent-
gehen.
(2) Die Berufung geschieht durch das Evangelium (Gottes) bzw.
das Wort Gottes bzw. des Herrn. Im 1Thess wird dieser Begriff
nur im missionarischen Kontext verwendet und ist von daher
auch an die Überbringer des Evangeliums, die Apostel, gebun-
den.51 Die Apostel sind ebenso von Gott erwählt zur Verkündi-
gung des Evangeliums (2,4) und können sich deshalb als Apos-
tel Christi bezeichnen (2,7).52
(3) Die Adressaten nehmen das Evangelium durch ihren Glauben
an. Diese Annahme wird durch den Geist Gottes unterstützt
(1,5), beruht also nicht ursächlich auf der missionarischen
Leistung der Apostel. Und dieser Geist Gottes bewirkt in der
Annahme des Evangeliums zugleich die endzeitliche Neube-
stimmung des Menschen, sodass die Thessalonicher bei der Pa-
rusie keiner Verwandlung mehr bedürfen, wie sie etwa schon
in 1 Kor 15,50 vorausgesetzt wird.53
(4) Der Inhalt des Evangeliums zielt auf die Rettung ab. Im Ge-
gensatz zum Judentum ist dabei nicht das Gesetz der Weg, der
zum Heil führt, sondern Christus.
48 Becker, Erwählung, 82.
49 Vgl. Becker, Erwählung, 82.
50 Becker, Erwählung, 82.
51 Vgl. Becker, Erwählung, 83.
52 Vgl. Becker, Erwählung, 84
53 Vgl. Becker, Erwählung, 87.
27

(5) Die Christologie des 1Thess ist deshalb auch an die Retter-
funktion Jesu gebunden, da mit seiner Parusie die Berufung der
Heiden in die Endzeitgemeinde vollendet wird. Nach dem
Konzept des 1Thess ist „Gott als Schöpfer und Herr der Welt
ihr Richter (1,9f.), der Kyrios jedoch der endzeitliche Retter
derer, die Gott durch das Evangelium erwählt hat (1,4f.10;
2,12f.19f.; 4,13-18; 5,9f.23f.).“54 Anspielungen auf weitere
christologische Funktionen (Schöpfungsmittlerschaft etc.) feh-
len in diesem Konzept, alle Aussagen zielen nach Becker wohl
absichtlich auf die soteriologische Funktion ab.55
(6) Schließlich zeigen die „Antagonismen und Konkurrenzen“56,
mit denen sich die paulinische Mission auseinanderzusetzen
hat, ganz genau auf, dass Paulus „imstande ist, die theologische
Selbständigkeit des Heidenchristentums durch eine in Umris-
sen gut erkennbare, in sich geschlossene Position zu entfalten –
und das so kurze Zeit nach dem Apostelkonvent.“57

Becker meint nun, dass dieses geschlossene Konzept in den späteren


paulinischen Briefen in dieser Weise nicht mehr zu finden sei. Durch
die Herausforderungen der Mission hätte Paulus hingegen grundlegen-
de Positionen verändert bzw. neu dargestellt. Auf eine Qualifizierung
dieser Veränderungen geht Becker allerdings nicht näher ein. Sein Ziel
ist auch nicht die Darstellung der Entwicklung paulinischen Denkens,
sondern die Rekonstruktion der antiochenischen Grundlagen innerhalb
der Theologie des Paulus. Deswegen erwägt er in den Positionen, die
im 1Thess zur Sprache kommen, eventuell die in Antiochia grund-
gelegte Theologie zu finden, wie sie dort in der gemeinsamen Mission
angewendet wurde. Von da schlägt er vor, etwa „1 Petr 1,1-2,10; 5,10
als Fortentwicklung dieser Erwählungstheologie [zu] verstehen“58,
ohne freilich dieses Konzept weiter zu entfalten. Erweist sich ein sol-
cher Ansatz als tragfähig, könnte man den 1Thess insgesamt als Sche-
ideweg zwischen der antiochenischen und der paulinischen Theologie
(so wie sie in den späteren Briefen zu erkennen ist) lesen. Gewonnen
hätte man damit einen wesentlichen Aspekt bei der Eruierung der Ge-

54 Becker, Erwählung, 92.


55 Vgl. Becker, Erwählung, 93.
56 Becker, Erwählung 94.
57 Becker, Erwählung 95.
58 Becker, Erwählung, 97. Zudem verweist er auf Lk 18,6-8a oder Mt 22,1-14, die
eventuell ebenfalls Inhalte aus der antiochenischen Theologie übernommen
hätten.
28

schichte des Urchristentums, da man dann den 1Thess nicht nur für
das Verständnis paulinischen Denkens, sondern zugleich für das Ver-
ständnis des antiochenischen Strangs der frühchristlichen Theologie
auswerten könnte.

1.3.2 Der 1Thess als Zeugnis paulinischen Denkens (Söding)

Einen sehr differenzierten Ansatz mit entgegengesetzter Stoßrichtung


entwickelt Söding in seiner Auseinandersetzung mit den Beckerschen
Überlegungen.59 Söding greift ebenfalls die Fragestellung auf, ob man
den 1Thess als Zeugnis frühpaulinischer Theologie lesen könne oder
ob er schon die typischen Themen paulinischer Theologie, wie sie sich
in späteren Briefen manifestiert, beinhalte.60 „Im Zentrum dieser Kon-
troverse steht die Frage ob Paulus (mit der Gemeinde von Antiochia,
in der er lange Zeit heimisch gewesen ist) von Anfang an auf der Basis
seiner Rechtfertigungslehre ein gesetzesfreies Evangelium verkündet
hat oder ob sich die radikale Gesetzeskritik, die literarisch zuerst in
Phil 3, in 2Kor 3-5 und im Gal greifbar wird, erst der antiochenischen
Krise bzw. dem galatischen Konflikt verdankt und Paulus womöglich
zunächst noch nicht auf die Forderung der Beschneidung und des Ge-
setzesgehorsams verzichtet hat.“61
Söding geht davon aus, dass der 1Thess in einem Abstand von 3
bis 4 Jahren zu den Nachfolgebriefen entstanden sei und dass in der
Zwischenzeit sein Missionswerk und somit auch sein theologischer
Ansatz in Bedrängnis geraten ist, und so sei es „doch mehr als wahr-
scheinlich, daß er durch die Auseinandersetzungen auch auf neue und
neu auf alte Themen gestoßen worden ist und daß er im Zuge dessen
nicht nur bislang keimhaft in seiner Verkündigung Angelegtes expli-
zieren, sondern auch Auffassungen, die er schon bislang vertreten
hatte, theologisch fortentwickeln musste.“62 Deswegen will Söding
einerseits den eigenständigen theologischen Charakter des 1Thess
ernst nehmen, wobei er andererseits auch darauf hinweist, dass diese
Eigenart auf die Situativität des Schreibens zurückgeführt werden
könnte und somit der Rückschluss auf eine unterschiedliche theolo-
gische Position nicht unbedingt notwendig sei.
59 Vgl. im Folgenden Söding, 1Thess. Der Ansatz Södings wird hier nur beispiel-
haft herausgenommen, da er in besonderer Weise einen Gegenpol zu Beckers
Versuch bildet.
60 Vgl. Söding, 1Thess, 180f.
61 Söding, 1Thess, 181f.
62 Söding, 1Thess, 184f.
29

Nichtsdestoweniger stellt Söding die „frühpaulinische“ Evangeli-


umsverkündigung, wie sie dem 1Thess zu entnehmen ist, in sieben
Themenblöcken zusammen:

(1) Die leitende futurisch-eschatologische Perspektive


(2) Das „Evangelium Gottes“
(3) Das „Evangelium Christi“
(4) Soteriologie
(5) Die Universalität des Evangeliums und die Berufung der
Heiden
(6) Die Antwort auf das Evangelium: Glaube, Liebe, Hoffnung
(7) Freiheit vom Gesetz

Die leitende futurisch-eschatologische Perspektive (1) steht wie in kei-


nem anderen Brief im Mittelpunkt „und zeigt den Apostel in Verbin-
dung mit der apokalyptischen Erwartung, die für die älteste Christolo-
gie sowohl der 'Hebräer' als auch der 'Hellenisten' (vgl. Apg 6,1) kenn-
zeichnend ist.“63 Außerdem stellt der 1Thess explizit die Theologie bei
der Evangeliumsverkündigung (2) in den Mittelpunkt, Gott ist „nicht
nur der Ursprung, sondern auch uneingeschränkt Subjekt des gesamten
Heilsgeschehens.“64 Sowohl die Erwählung der Gemeinde als auch das
Evangelium sowie die Träger der Evangeliumsbotschaft erscheinen
unter der übergreifenden Subjektivität Gottes. Schließlich (3) ist das
Evangelium nicht allein auf Gott ausgerichtet, sondern auch auf
Christus. Die Legitimation erfährt Christus in der Auferweckung durch
Gott, wodurch er zugleich die Legitimation der Apostel erwirkt. Der
Hauptakzent bei der Zeichnung Christi liegt allerdings in seiner
eschatologischen Funktion als „Retter der Glaubenden im kommenden
Zorngericht (1,10).“65 Hier ist nach Söding allerdings ein ent-
scheidender Bezugspunkt zu den späteren Briefen des Paulus erreicht,
da ähnlich wie in 2 Kor 4,14 oder Röm 6,8 auch schon in 1Thess
4,14.17 oder 5,10 „das Leben 'mit Christus', die vollkommene
Gemeinschaft mit ihm (...) Inbegriff der christlichen Hoffnung“ 66 sei.
Unter dem Stichwort „Soteriologie“ (4) lassen sich sodann sowohl die
christologischen als auch theologischen Aussagen des 1Thess
zusammenfassen, die Gottes Heilshandeln als universal kennzeichnen

63 Söding, 1Thess, 188, im Anschluss an Thüsing, Erhöhungsvorstellung.


64 Söding, 1Thess 189.
65 Söding, 1Thess, 192.
66 Söding, 1Thess, 192.
30

(vgl. 1,9; 4,14 und 5,9f.).67 An dieser Stelle versucht Söding einen
Bezug zur Rechtfertigungslehre herzustellen:

„Nach ältesten Zeugnissen wird Rechtfertigung so verstanden,


daß Gott in seiner Dikaiosyne (Röm 3,25), rein aus Gnade (vgl.
Röm 3,24), Juden wie Heiden (vgl. Gal 3,28; 1Kor 12,13) durch
den Sühnetod bzw. die Auferweckung Jesu Christi (Röm 3,25;
4,25; 2Kor 5,21) von der Sünde befreit und heiligt (1Kor 6,11;
1,30; vgl. Röm 6,7), so daß sie an Gottes Doxa Anteil gewinnen
(Röm 8,29). Dies geschieht grundlegend in der Taufe (vgl. 1 Kor
6,9ff., Phil 1,9ff.; Röm 6,7) und wird im Herrenmahl je neu
aktualisiert (1Kor 11,23ff). Der Geist, den die Christen
empfangen, gliedert sie in die Ekklesia ein; er befähigt und
verpflichtet sie zu einem sittlichen Leben, das dem Geschenk der
Rechtfertigung entspricht. Der 1Thess macht dies zwar nicht
explizit zum Thema, setzt es aber im ganzen voraus, besonders
dort, wo er die Gemeindemitglieder in tauftheologisch beein-
flusster Sprache als Kinder des Lichtes anspricht (5,5), sie an
Gottes Ruf zur Heiligkeit erinnert (4,7) und ihnen ins Gedächtnis
ruft, von Gott mit dem Geist begabt worden zu sein (4,8).“68

Diese „Nähe“ zur Rechtfertigungslehre wird allerdings nirgends aus-


geführt, soteriologisches Thema ist vielmehr die Errettung aus dem
Zorngericht durch Jesus (1,10) und die daraus folgende Teilhabe an
der Herrschaft Gottes (2,12).
Mit der Heidenmission richtet sich das Heil universal an alle (5),
auch die Juden sind in dieses Heil mit eingeschlossen. Allerdings setzt
die „eschatologische Missionsbewegung, in die der Apostel aufgrund
seiner Berufung eingebunden ist, ... bei Jesu Tod und Auferweckung
eschatologisch neu an und steht von vornherein in einem universalen
Horizont.“69 Die Antwort auf das Heilsangebot erfolgt durch die Trias
Glaube-Liebe-Hoffnung (6), die letztlich auch von den Juden gefordert
ist, was zwar nicht explizit ausgeführt, aber in der Kritik in 2,15
deutlich wird, die die Juden deshalb verwirft, weil sie sich gegen die
Heidenmission stellen. Schließlich wird deutlich, dass der 1Thess die
Freiheit vom Gesetz voraussetzt (7). Dies ist in keiner Weise
verwunderlich, richtet sich der Brief doch an ehemalige Heiden, für
die das Gesetz nie eine Rolle gespielt hat. Dennoch glaubt Söding
auch im Zusammenhang des 1Thess die theologischen Voraussetzun-
gen für die gesetzesfreie Evangeliumsverkündigung herauslesen zu
67 Vgl. Söding, 1Thess 192.
68 Söding, 1Thess, 192-193.
69 Söding, 1Thess, 195-196.
31

können.
Söding meint nun insbesondere durch die Tatsache, dass Paulus
bereits im 1Thess auf das Gesetz als Heilsweg verzichtet, ein
Argument für das Vorliegen der Rechtfertigungslehre gewonnen zu
haben.70 Diese Rechtfertigungslehre werde zwar später noch weiter-
entwickelt und auf eine „qualitativ neue Stufe der paulinischen Theo-
logie“ gehoben, liege allerdings „auf der christologischen und soterio-
logischen Linie“71 der späteren Lehre.
Was schließlich verwundert sind die Schlussfolgerungen Sö-
dings. Eigentlich denkt man, er vertrete eine Sonderstellung des
1Thess zumindest insofern, als man eine qualitativ eigenständige Stufe
paulinischen Denkens erkennen könne. Im 1Thess stoße man eindeutig
auf die hellenistisch-judenchristlichen Theologie Antiochias, die „in
der Verkündigung des Heilstodes und der Auferweckung Jesu, (...) in
der Erwartung des Kyrios als des endzeitlichen Retters, in der chris-
tologisch neu interpretierten Theologie, in der starken Betonung der
futurischen Eschatologie mitsamt der intensiven Naherwartung, im
Wissen um die Universalität des Heilswillens Gottes und die Aufgabe
der Heidenmission, im Verständnis der Taufe als Sakrament der Ge-
meinschaft mit Christus und der Zugehörigkeit zur Ekklesia Gottes, in
zentralen Elementen der Paraklese..., vermutlich aber auch in der theo-
logischen Distanz zum Judentum, soweit es sich dem Christus-Glau-
ben verschließt,“72 deutlich werde. In diesem Sinne also inter-pretiert
Söding den 1Thess als Zeugnis der Theologie Antiochiens; allerdings
weist er im selben Atemzug darauf hin, dass Paulus sich in Antiochia
bereits deutlich abgehoben hat von Petrus und Barnabas, die aufgrund
des Einhaltens von Speisevorschriften von Paulus angegriffen werden.
Er misst dem Gesetz keine Bedeutung mehr zu. Dies sei die Basis der
Trennung von Barnabas und zugleich das Zeichen dafür, dass der
1Thess eben nicht als Zeugnis antiochenischer Theologie interpretiert
werden könne.73
70 Vgl. Söding, 1Thess, 1Thess, 199f.
71 Söding, 1Thess, 201.
72 Söding, 1Thess, 201f.
73 Vgl. Söding, 202f. Damit impliziert Söding, dass der Streit in Antiochia durch
einen Positionswechsel des Paulus zustande gekommen ist, der plötzlich eine
neue, eigenständige Theologie vertritt. Sein Aufbegehren gegen Petrus und
Barnabas, die sich an die Bedeutung und Vorschriften des jüdischen Gesetzes
klammern wollten, liest Söding als Erkennungszeichen einer neuen Theologie,
nicht aber als Ausgangspunkt für Überlegungen für bisher unreflektierte
Fragestellungen. Er verkennt damit die Situation, denn erst der Konflikt bringt
dieses Problem zur Sprache. Antiochenische Theologie wird sich wohl ebenso
wenig wie der 1Thess um die Frage nach der Beschneidung gekümmert haben.
32

1.3.3 Die Debatte um die Entwicklung des paulinischen Denkens

Wie unschwer zu erkennen ist, entzündet sich die Debatte um die Ein-
ordnung des 1Thess an der Beurteilung der Frage, ob die Theologie
des Briefes für sich sprechen darf (Becker) oder ob man die
Rechtfertigungslehre voraussetzen muss (Söding). Södings Ansatz
unterscheidet sich dabei letztlich nicht so weit von den Überlegungen
Beckers, wie er annehmen will, nur meint er im Gegensatz zu Becker,
die Abgrenzung gegenüber typischen Positionen Antiochias eintragen
zu müssen.74 Diese Abgrenzung ist dann auch das Argument für den
Wechsel der Perspektive, nach der man die Aussagen nicht zurück-
projizieren dürfe auf die antiochenische Zeit, sondern als Grundlage
für das Verständnis heranziehen müsse, das sich innerhalb der späteren
Briefe entfalten würde.
Von da aus stellt sich freilich die Frage, warum man sich über-
haupt für eine bestimmte Richtung entscheiden muss. Wie ein Blick
auf die Paulusforschung zeigt, sind die Forscher derzeit insofern in
zwei Lager aufgespalten, als die einen eine Entwicklung paulinischen
Denkens im Rahmen seiner Briefe annehmen wollen, andere wiede-
rum nicht. Der Streit konzentriert sich hauptsächlich auf die Rechtfer-
tigungslehre, allerdings sind auch weitere Themen in Diskussion.75
Die vorhandenen Quellen machen es nicht einfach, eine konsis-
tente Theologie des Paulus zu erheben, legt er doch keine systemati-
sche Abhandlung vor, sondern nur situationsbezogene Briefe an seine
Gemeinden. Noch schwieriger erscheint es, eine Entwicklung aus die-
sen spärlichen Quellen abzuleiten. Und dennoch gibt es einige Ansät-
ze, die sich dieser Herausforderung stellen. Im Folgenden sollen die
wesentlichen Daten dieses Diskurses zusammengefasst und aus-
gewertet werden. In einem ersten Schritt wird dabei auf die grund-
legenden Themen eingegangen, die eventuell eine Entwicklung erken-

74 Vgl. Söding, 202f. Jedoch heißt das nicht, dass der Streit in Antiochia auf einen
Bruch mit der antiochenischen Theologie zurückgeht. Denn auch wenn Paulus
gegen Barnabas Position bezieht, so doch nur deswegen, weil er anders als die
Judenchristen Antiochias sein Missionswerk in Frage gestellt sieht.
75 Bei genauerer Betrachtung fällt dann auch auf, dass Södings Position auf den
ersten Blick zwar um Ausgleich bemüht zu sein scheint, aber doch eher auf
Seiten der Entwicklungsgegner anzusiedeln ist. Zumindest verwischt er die
Grundlinien der Debatte. Er nimmt zwar Entwicklungen an, die eine qualitativ
neue Stufe innerhalb des paulinischen Denkens ausmachen würden, andererseits
aber subsummiert er die Position des 1Thess bereits unter den Begriff der
Rechtfertigungslehre, was, wie sich zeigen wird, ebenfalls umstritten ist.
33

nen lassen, ehe in einem zweiten Schritt die Argumente pro und contra
einer Entwicklung dargestellt und miteinander in Diskussion gebracht
werden. Von da aus soll dann abschließend ein eigener Ansatz ent-
wickelt werden, der versucht, die Besonderheit des 1Thess zur Geltung
zu bringen.

1.3.3.1 Diskursthemen

Folgt man der Darstellung Schnelles76, so sind es insgesamt drei große


Themen paulinischer Theologie, von denen immer wieder behauptet
wird, sie hätten im Rahmen der Briefe eine entscheidende Ent-
wicklung erfahren. An erster Stelle wären Äußerungen hinsichtlich des
Gesetzes und der Rechtfertigungslehre zu nennen, als nächstes werden
eschatologische Themen diskutiert und schließlich das Verhältnis der
paulinischen Gemeinden zu Israel.77 Zunächst aber folgt hier eine kur-
ze Darstellung des Befundes.

(a) Zur Gesetzesproblematik

Das Schweigen des 1Thess lässt, wie bereits durch Södings Position
angedeutet wurde, nicht darauf schließen, dass das Thema Gesetz /
Rechtfertigung dort noch keine Rolle gespielt hätte. Allein die
Situation des Briefes kann erklären, dass Paulus vor einer heiden-
christlichen Gemeinde, die kaum durch Positionen judaisierender Ju-
denchristen angegriffen wurde, das Thema nicht zu erwähnen braucht.
Und so ist es nicht verwunderlich, dass einige Autoren bereits für den
1Thess die Rechtfertigungslehre voraussetzen.78 Allerdings wird diese
Position nicht von allen Autoren geteilt.
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts legten Wrede und
Schweitzer zwei wichtige Arbeiten zum paulinischen Denken vor, in
denen sie versuchten, die Rechtfertigungslehre von ihrer zentralen
Stellung bei der Auslegung paulinischer Theologie zu befreien. Wre-
de bezeichnet die Rechtfertigungslehre als eine „Kampfeslehre“, die
im Rahmen missionarischer Herausforderungen herausgebildet wur-

76 Vgl. auch im Folgenden Schnelle, Wandlungen.


77 Darüber hinaus verweist Schnelle auf weitere Diskussionsfelder, die aber für die
vorliegende unbedeutend sind, da sie auch in den Briefen kaum zur Geltung
kommen.
78 Vgl. etwa Hengel/Schwemer, Paulus, 27-30.451-461; Hahn, Entwicklung; Nebe,
Kritik; Kim, Justification.
34

de.79 Schweitzer hingegen qualifiziert sie sogar polemisch als „Neben-


krater“ der paulinischen Theologie ab.80 Allerdings konnten beide
Ansätze kaum Wirkung erzielen, da die Paulusforschung in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts unter den sehr starken Einfluss der
existentialen Interpretation Bultmanns geriet, die nicht so sehr auf hi-
storische Entwicklungen zurückgreifen wollte, sondern Paulus im
Sinne der existentialen Interpretation systematisch-synchron auslegte
und Antworten für „heute“ suchte,81 wofür gerade die Rechtfertigungs-
lehre einen sehr guten Ansatzpunkt bot. Im Folgenden soll nur auf die
wichtigsten Streitpunkte innerhalb der Diskussion um die Rechtferti-
gungslehre eingegangen werden, eine ausführliche Analyse aller rele-
vanten Stellen zur Rechtfertigungslehre würde zu sehr von der eigent-
lichen Fragestellungen wegführen und wurde in der Vergangenheit
schon zur Genüge durchgeführt.82
Blickt man auf die Briefe selbst, so wird von den Befürwortern
einer Entwicklung immer wieder darauf hingewiesen, dass Paulus erst
im Galaterbrief zu seinen entscheidenden Aussagen bzgl. der Recht-
fertigungslehre durchstößt. Auslöser sei der Konflikt in Galatien, bei
dem das paulinische Evangelium aufgrund der Gesetzesfreiheit
vehement angegriffen wurde. In diesem Zusammenhang legitimiert
Paulus sein Evangelium, indem er sein Verständnis der Rechtfer-
tigungslehre vor den Heiden darzulegen versucht. Neben einer polemi-
schen Abgrenzung gegen die Positionen seiner Gegner legt Paulus eine
wohldurchdachte theologische Konzeption vor, die versucht, die geset-
zesfreie Predigt auf fundierte biblische Grundlagen zu stellen. Im Röm
wird diese Rechtfertigungslehre dann nochmals inhaltlich vertieft und
erweitert. Paulus streicht alle polemischen Züge und legt in theologi-
scher Tiefe vor der judenchristlichen Gemeinde in Rom sein Konzept
einer Rechtfertigungslehre vor, in der er die bereits im Gal angedeute-
ten biblischen Bezüge nochmals erweitert.
Die Frage allerdings ist nicht einfach zu klären, ob dieser quali-
tative Sprung auf die Situation zurückzuführen ist oder von Paulus nur

79 Wrede, Paulus, 67. Vgl. auch S. 74: „Athene sprang gewappnet in voller Kraft
aus dem Haupte des Zeus hervor. So ist die Theologie des Paulus nicht
entstanden. Sie ist gewachsen und geworden, und wir begreifen sie wie alles
Geschichtliche nur in dem Maße wirklich, als wir in ihr Werden hineinsehen.“
80 Schweitzer, Mystik, 220.
81 Zum Bultmannschen Einfluss auf die Paulus-Exegese vgl. Kümmel, Bultmann,
174-193.
82 Ausführliche Analysen etwa bei Schnelle, Wandlungen, 49-76, oder – um auch
einen Gegner der Entwicklungshypothese zu Wort kommen zu lassen – bei von
Bendemann, Erwägungen.
35

deswegen so ausführlich dargestellt wird, weil er dies im Zusammen-


hang für nötig erachtet. Sieht man vom Negativbefund bzgl. der Geset-
zesaussagen im 1Thess ab, ist vom Galaterbrief ausgehend in drei
Schritten zurückzufragen, ob man nachweisen kann, dass eine ähnliche
Position vorher schon vorgelegen haben könnte oder ob es Gründe
gibt, sie als neu zu qualifizieren.
Geht man einen Schritt zurück, kommen die Aussagen der Ko-
rintherbriefe ins Blickfeld. Schon hier entzündet sich der erste Streit
um die passende Einordnung der dortigen Aussagen zum Zusammen-
hang Gesetz / Gerechtigkeit etc. Die Begriffe, die Paulus im Gal für
die Ausformulierung der Rechtfertigungslehre heranzieht, tauchen hier
bereits auf. Allerdings kann man den Befund mit Berger etwa
folgendermaßen formulieren:

„Gerechtigkeit wird in diesen Texten nicht mit Glauben ver-


knüpft, Gesetz nicht mit Werken des Gesetzes. Damit aber fehlt
die klassische Konstellation der Rechtfertigungslehre.
Vorgegeben ist der Zusammenhang von Gesetz und Verur-
teilung sowie die christologische bzw. pneumatologische Fundie-
rung der Gerechtigkeit der Christen. (...) Aber 'Werke' und
'Gerechtigkeit aus Glauben' fehlen noch ganz.“83

Einzig 1 Kor 15,56 lässt schon einmal den Horizont der Rechtferti-
gungslehre erahnen, wenn es heißt: to; de; kevntron tou' qanavtou hJ
aJmartiva, hJ de; duvnami" th'" aJmartiva" oJ novmo". Hier wird also der
Zusammenhang von Sünde, Gesetz und Tod zum ersten Mal explizit
aufgegriffen. Ein Bezug zum Begriff dikaiosuvnh fehlt im 1 Kor noch
ganz. Dieser findet sich allerdings im 2 Kor im Zusammenhang mit
der Rede von der Sünde. Die Frage ist, wie dies zu bewerten ist.
Entwicklungsbefürworter urteilen im Sinne Bergers, indem sie das
Fehlen entscheidender begrifflicher Zusammenhänge bemängeln. Das
Zitat in 1 Kor 15,56 erinnere zwar schon sehr stark an den
Zusammenhang, der im Gal entfaltet wird, nach Schnelle ist es aber
eher als zufällige Äußerung zu werten, die noch nichts von einer
durchdachten Theorie erkennen lasse.84 Schnelle zufolge wäre die
Rechtfertigungslehre, hätte sie schon das Niveau des Gal erreicht,
sicher aufgegriffen worden in der Auseinandersetzung mit den korin-
thischen Enthusiasten.85 An dieser Stelle widerspricht allerdings von
Bendemann. Er sieht genau im 1Kor die Wende zwischen „Frühling
83 Berger, Theologiegeschichte, 444.
84 So Schnelle, Wandlungen, 53. Ähnlich urteilt auch Wilckens, Entwicklung, 163.
85 Vgl. Schnelle, Wandlungen, 53.
36

und Herbst“86 der paulinischen Aussagen zum Gesetz und erkennt,


dass bereits die entscheidenden Linien hinsichtlich der Recht-
fertigungslehre gezogen seien. Dies begründet er mit drei Argumen-
tationslinien, die seiner Meinung nach darauf schließen lassen, „dass
Paulus die entsprechenden Korrdinaten nicht ad hoc entwickelt, son-
dern auf begründete Positionen bereits zurückgreifen kann“ 87: So fügt
er den Überlegungen zu Ehe und Ehelosigkeit in 1 Kor 7, wonach je-
der in dem Status verbleiben solle, in dem er bei der Berufung ange-
troffen wurde, zugleich Überlegungen an, wonach dies auch für den
Unterschied zwischen Beschnittenen und Unbeschnittenen zu gelten
habe. Ebenso gebietet er im Zusammenhang der Frage um das Essen
von Götzenopferfleisch (1Kor 9) den Starken Einhalt, indem er die
Position der Schwachen mit dem Festhalten am Gesetz in Zusam-
menhang bringt und damit beiden Positionen ihr jeweiliges Recht
zubilligt. Schließlich bewertet er in 1Kor 15,56 im Zusammenhang der
Erörterung der Auferstehungsbotschaft das Gesetz als Unheilsmacht,
da er im Gegensatz dazu den Sieg Gottes über den Tod als dia; tou'
kurivou hJmw'n jIhsou' Cristou' interpretiert. Allerdings kann von Ben-
demann auch nicht beweisen, dass tatsächlich schon eine ausgearbeite-
te Rechtfertigungslehre vorliegen würde. Denn der Zusammenhang
mit dem Gesetz in 1 Kor 7 und 9 erfordert nicht unbedingt die aus-
gearbeitete Rechtfertigungslehre, sondern ist auch assoziativ zu erklä-
ren. Die Problematik des Essens von Götzenopferfleisch kann ohne
weiteres mit den jüdischen Speisevorschriften in Verbindung gebracht
werden (wobei dann in der Argumentation des 1 Kor der antiocheni-
sche Konflikt unter neuen Vorzeichen aufleben würde). Ähnlich erfor-
dert der Vergleich des Verharrens im Zustand von Ehe und Ehelosig-
keit einerseits und Beschneidung und Unbeschnittenheit andererseits
keinen Rückgriff auf die Rechtfertigungslehre, sondern lässt sich ohne
größere Problematik aus der gängigen Missionspraxis ableiten.
Da vor dem 1 Kor nur der 1Thess zu veranschlagen ist, finden
sich keine früheren Zeugnisse innerhalb der paulinischen Briefe, die
hinsichtlich der Rechtfertigungslehre befragt werden könnten. Aller-
dings werden auch immer wieder historische Daten bemüht, die
eventuell schon eine Neuausrichtung innerhalb der Argumentation
erklären würden. Was schon Söding dazu gebracht hat, den 1Thess als
typisch paulinisch und nicht antiochenisch auszulegen, ist die Bewer-
tung des antiochenischen Zwischenfalls. Hier sehen einige Autoren
eine Wende im Denken des Paulus, nach der die Rechtfertigungslehre

86 Von Bendemann, Erwägungen, 214.


87 Von Bendemann, Erwägungen, 219.
37

grundgelegt wäre.88 Freilich ist auch die Bedeutung Antiochias nicht


eindeutig auszuwerten. Wird Paulus in Antiochia bereits dazu veran-
lasst, ein theologisches Konzept zu erarbeiten? Oder ist es nur die Ent-
täuschung darüber, dass Barnabas den Judenchristen Zugeständnisse
macht, indem er die Heidenchristen „trennt“? Eine Weichenstellung
mag sicher auch hier zu erkennen sein.
Geht man schließlich noch einen Schritt weiter zurück, wird auf
das Damaskus-Ereignis verwiesen. Hierzu stellt Stuhlmacher fest:

„Im Streit mit seinen galatischen Kontrahenten erklärt Paulus, das


Evangelium sei ihm bei seiner Berufung (vor Damaskus) durch
Gottes Offenbarung zuteilgeworden, d. h. doch wohl inhaltlich
vorgegeben worden (Gal 1,12.16). Für das Verständnis des
paulinischen Evangeliums hängt sehr viel davon ab, diese
Aussage richtig zu verstehen.“89

Da die Berufung des Paulus zum Heidenmissionar mit dem Zeitpunkt


zusammenfällt, als er die Christen aufgrund ihres gesetzeskritischen
Verhaltens verfolgt, müsse nach diesem Verständnis die Bekehrung
ein völliges Umdenken bzgl. des Gesetzes bedeutet haben.90 Durch
Jesus sei das Gesetz vollendet worden, dies ist ein unveränderlicher
Kern aller Aussagen zum Gesetz. Ob man allerdings wirklich einen
unverbrüchlichen Zusammenhang zwischen Damaskus und der Recht-
fertigungslehre sehen darf, ist mehr als fraglich. Zunächst ist das
Damaskusereignis wohl nicht anders als christologisch zu interpre-
tieren. Es geht darum nachzuweisen, dass die Predigt auf das Heil der
Heiden ausgerichtet sein müsse.91 Freilich wird Paulus klar, dass er
zwangsläufig einen neuen Weg einschlagen muss. Er verfolgt keine
Christen mehr, sondern lässt ihren Heilsweg zu. Aber dies setzt nicht
voraus, dass Paulus für diese Umwendung bereits zum Zeitpunkt des
Damaskusereignisses eine differenzierte theologische Lösung bewusst
war. Ihm ist nur klar geworden, dass Christus der Heilsweg für die
Heiden ist, und somit das Gesetz, das ihm vorher als unumgängliche
Voraussetzung erschien, neu bewertet werden müsse. Sicher ist zu
erwarten, dass sich aufgrund der Biographie als Pharisäer und der
Lebenswende zwangsläufig mit der Zeit eine theologische Begründung

88 Vgl. oben zur Auseinandersetzung zwischen Söding und Becker. Für die
Ausprägung der Rechtfertigungslehre in Antiochia plädiert Dunn, New
Perspective, 33.
89 Stuhlmacher, Evangelium, 161.
90 Zu dieser Position vgl. insbesondere Dietzfelbinger, Berufung, 16ff.29.
91 Zum Gegenentwurf vgl. Schnelle, Wandlungen, 15-21.
38

herausbildet, die in der Rechtfertigungslehre, wie sie in den späteren


Briefen begegnet, gipfelt. Aber dies sofort vorauszusetzen wird den
Quellen nicht gerecht. Wenn Paulus damals das „Evangelium“ emp-
fangen hat, so mag der Paulus des Galaterbriefes dahinter etwa seine
Rechtfertigungslehre erblicken. Ursprünglich jedoch wird es nicht viel
mehr gewesen sein als der Auftrag, die Heiden zu missionieren.

(b) Zur Eschatologie

Die Rechtfertigungslehre wird im 1Thess nicht argumentativ entfaltet,


und deshalb kann der 1Thess selbst nicht für eine Beurteilung einer
Entwicklung herangezogen werden. Das einzige im 1Thess formulierte
theologische Problem handelt von der Parusie. Die Parusievorstellung
innerhalb des 1Thess unterscheidet sich allerdings in wesentlichen
Punkten von den eschatologischen Aussagen der späteren Briefe, und
so ist zu fragen, ob man hierbei von einer theologischen Entwicklung
sprechen kann.
Liest man den 1Thess, so hat man den Eindruck, die Thessa-
lonicher würden in allernächster Zeit mit dem Eintreten der
eschatologischen Ereignisse rechnen. Diese Unmittelbarkeit nimmt in
späteren Briefen des Paulus nachweislich ab.92
Im 1Thess wird die Parusie deswegen thematisiert, weil die Ge-
meinde wohl mit ersten Todesfällen konfrontiert ist (vgl. die
Darstellung in 1Thess 4,13-18). Anscheinend wird das zum Problem,
da die Gemeinde mit einem baldigen Eintreten der letzten Tage
rechnet und jetzt verstört ist durch das Ableben einiger Gemeinde-
mitglieder, die nun möglicherweise in Gefahr sind, das Heil nicht
erlangen zu können. Paulus beruhigt die Thessalonicher und verbindet
die Vorstellung der Parusie mit der Auferstehung Jesu – dieser würde
demnach vor seiner Wiederkunft die bereits verstorbenen Gemeinde-
mitglieder auferwecken und dann gemeinsam mit den noch lebenden
Gemeindemitgliedern „entrücken“.
Wendet man den Blick auf den 1 Kor, so ist zu erkennen, dass im
Gegensatz zur Darstellung des 1Thess der Tod von Gemeindemitglie-
dern kein Ausnahmefall mehr ist.93 Und so sieht sich Paulus wohl

92 Lüdemann, Paulus I, 264, sieht in der besonderen Parusieerwartung des 1Thess


eine Bestätigung seiner Frühdatierung und meint, bei einer Ansetzung um 51 n.
Chr. sei die Erwartung, dass bei der Parusie noch alle Gemeindemitglieder am
Leben sein würden, kaum haltbar.
93 Vgl. nur 1 Kor 7,39; 11,30; 15,6.17.29.51.
39

genötigt, diese Problematik schärfer in den Blick zu nehmen. Die


theologische Lösung geschieht dadurch, dass er das Motiv der
Verwandlung einführt. Es ist ganz gleich, ob die Christen bei der
Parusie noch leben oder nicht, in ihrem leiblichen, vergänglichen Sta-
tus können sie nicht in das Reich Gottes gelangen (1 Kor 15,50), sie
müssen erst verwandelt werden, sich mit dem Unvergänglichen, dem
Unsterblichen kleiden (1 Kor 15,51-54). Insgesamt ist allerdings auch
noch im 1 Kor die Naherwartung präsent, zumindest Paulus selbst ist
der Überzeugung, bei der Wiederkunft des Herrn noch am Leben zu
sein.
Im Philipperbrief gibt Paulus die Erwartung der Parusie noch zu
seinen Lebzeiten beinahe auf. Er befindet sich in Gefangenschaft und
rechnet damit, zum Tode verurteilt zu werden. Zwar verliert die Paru-
sie in diesem Zusammenhang auch weiterhin nicht ihre Bedeutung,
Paulus führt aber eine alternative Vorstellung ein, die er als „Mit-
Christus-Sein“ (Phil 1,23) definiert. Paulus sehnt sich gleichermaßen
nach dem Tod, um bei Christus zu sein, wie nach dem Leben, um für
seine Gemeinde da zu sein (1,24). Schließlich kommt Paulus in 3,20f.
auch auf die Parusievorstellung zu sprechen und rechnet in diesem Zu-
sammenhang womöglich damit, schon direkt nach seinem Tod unmit-
telbar in das „Mit-Christus-Sein“ zu gelangen.94

(c) Israel

Die dritte größere Linie, die innerhalb der paulinischen Theologie als
Anzeichen für eine Entwicklung seines Denkens gesehen wird, ist das
Verhältnis der paulinischen Mission zu Israel. Freilich ist die Israel-
frage nicht eindeutig von dem vorhin besprochenen Themenkomplex
Gesetz und Rechtfertigung zu trennen. Allerdings wäre eine Identifi-
zierung beider Fragestellungen eine Engführung, die einer Erhellung
paulinischer Theologie im Wege stünde. Deshalb sollen in diesem Ab-
schnitt die expliziten Äußerungen des Paulus bzgl. Israel zur Sprache
kommen.
Die Aussage in 1Thess 2,14-16 wirkt in ihrer Polemik überaus
radikal. Aufgrund der Behinderung der Mission der Apostel erklärt
Paulus, dass der Zorn Gottes vollständig über die Juden herein-
gebrochen sei. Dabei stellt Paulus die Mitglieder der thessalonischen
Gemeinde den Juden gegenüber. Die Thessalonicher hätten am kom-
menden Heil Anteil, die Juden hingegen jeglichen Anspruch auf dieses
94 So Schnelle, Wandlungen, 46.
40

Heil verwirkt.95
Der 1 Kor thematisiert die Israelproblematik nicht. Kraus 96 je-
doch interpretiert die Aussagen – sieht man von der polemischen
Überspitzung der Formulieurng im 1Thess ab – in Kontinuität zu den
Aussagen des 1Thess. Nach Kraus „finden sich im 1 Kor Ansätze,
Israel als Gottesvolk in den Hintergrund zu drängen. Dies geschieht
insbesondere durch die direkte Übertragung atl. Motive auf die
christliche Gemeinde.“97 In 2 Kor 3 macht Paulus deutlich, dass auch
Israel für das Heil noch nicht verloren ist. Allerdings muss es sich zu
Christus bekehren, denn ohne ein Bekenntnis zu Christus bleibt ihnen
das „Alte Testament“ verschlossen, und somit auch ihr Anspruch auf
das Heil. Nur in Christus kommt die Verheißung Gottes zur Geltung.
Paulus nimmt also die pauschale Verurteilung der Juden zurück, inter-
pretiert aber das Heilsangebot Gottes ähnlich wie im 1Thess – Israel
hat sich durch die Ablehnung Jesu ins Abseits manövriert und kann
erst durch eine Umkehr wieder zum Heil gelangen.
Die Ausführungen des Gal sind in Auseinandersetzung mit
judenchristlichen Gegnern des Paulus formuliert und aufgrund dessen
auch teilweise polemisch gefärbt. Ansonsten liegen die Aussagen auf
einer Linie mit den Aussagen des 1Thess in der Betonung der christo-
logischen Interpretation in Gal 6,15: weder Beschneidung noch Unbe-
schnittenheit hätten Bedeutung, sondern nur die neue Existenz in
Christus. Das Verhältnis der Bundestreue Gottes zu seinem Volk hat
Paulus insofern gelöst, als er in 4,25 den Israelbegriff auf die christ-
lichen Gemeinden anwendet. Das ungläubige Judentum aber stehe au-
ßerhalb der Treue Gottes, da es in der Tradition Hagars und Ismaels
stünde, nicht Saras und Isaaks.
Erst im Röm kommt es dann zu einer zufriedenstellenden, sehr
komplexen Zeichnung des Zusammenhangs der atl. Verheißung und
der ntl. christologischen Interpretation dieser Verheißung. Grundaus-
sage in Röm 3,1-8 ist zunächst, dass Gott seine Treue zum Volk Israel
aufrechterhält. Das Thema der Treue Gottes wird dann in Röm 9-11
breit entfaltet. Wieder greift Paulus den Unterschied des wahren
Israels (der Judenchristen) gegenüber den ungläubigen Israeliten auf
(‚nicht alle, die aus Israel sind, sind Israel’). Das verstockte Israel ist
nicht verstoßen. Die Heidenmission soll Israel auch dazu motivieren,
wieder in die Heilsgemeinschaft einzutreten. Im Endgeschehen erwar-

95 Zur Auslegung von 2,14-16 vgl. Kapitel 2.4 dieser Arbeit


96 Vgl. im Folgenden Kraus, Volk Gottes, 353-361 sowie Schnelle, Wandlungen,
81-87.
97 Kraus, Volk Gottes, 353.
41

tet Paulus dann auch ein Eingreifen Gottes, das die Juden wieder zum
Heil führen wird.
Gerade hinsichtlich der Israel-Problematik wird allerdings
deutlich, dass Paulus sehr kontextbetont argumentiert. Betrachtet man
die entfaltete Theorie im Röm, so wird deutlich, dass vor diesem Hin-
tergrund die Aussagen des 1Thess zur Stellung Israels nicht mehr
möglich wären. Allerdings muss man bei solchen Überlegungen vor-
sichtig sein, da der Fokus im 1Thess sehr eingeschränkt ist. Wie sich
im Vorgriff auf die Ergebnisse dieser Arbeit sagen lässt, gibt es neben
der rein polemischen Wertung der Wendung in 1Thess 2,15-16 auch
die Möglichkeit der Interpretation in der Richtung, dass Paulus hier
eine Einschränkung üblicher Vorwürfe der Heiden gegenüber dem
Judentum beabsichtigt. Wenn die Thessalonicher wesentliche Elemen-
te des jüdischen Glaubens übernehmen, so besagt dies nicht, dass das
Urteil der Griechen über die Juden, diese seien „Feinde aller Men-
schen“, auch auf die christliche Gemeinde übertragen werden kann.
Paulus deutet das pagane Urteil über die Juden um und bezieht es auf
die jüdischen Angriffe auf die urchristlichen Missionsbestrebungen. 98
Dennoch ist im Röm ein wesentlicher Erkenntnisfortschritt nach-
vollziehbar, der zeigt, dass Paulus seine theologischen Überlegungen
zur Stellung des Judentums in wesentlichen Punkten überarbeitet hat.

1.3.3.2 Zur Bewertung des Befundes

Betrachtet man den Befund, so mag man grundsätzlich fragen,


inwieweit überhaupt der erste Thessalonicherbrief von dieser Diskus-
sion betroffen ist. Da der 1Thess nicht auf das Thema Gesetz und
Rechtfertigung eingeht, das im Diskurs um die Entwicklung pauli-
nischen Denkens eine so große Rolle spielt, ist zu fragen, inwieweit er
als Ansatzpunkt für diese Fragestellung herangezogen werden kann.
Zumindest gibt es einige Autoren, die nicht nur voraussetzen, dass die
Rechtfertigungslehre bereits vorgelegen haben müsse, sondern sogar
schon explizit in den Aussagen des 1Thess wiederzufinden sei.99
Gemeinsam ist allen diesen Autoren die Warnung vor der Ver-
flüchtigung der Bedeutung wichtiger und zentraler Topoi paulinischer
Theologie. Sie rücken dabei einen defensiv ausgerichteten metho-
dischen Vorbehalt in den Mittelpunkt, wonach nahezu alle vermeint-
lichen Entwicklungen ihre Erklärung in der jeweiligen brieflichen Si-

98 Dazu aber in der Auswertung der Arbeit mehr.


99 So z. B. Hengel/Schwemer, Paulus, 27-30; Kim, Justification; Hahn, Entwick-
lung; zuletzt auch wieder Nebe, Kritik.
42

tuation finden könnten. Für sie scheint es ganz wichtig, die Einheit
paulinischer Theologie zu retten und schon Anfragen an diese Einheit
im Keim zu ersticken. An dieser Stelle soll ein kurzer Überblick über
die methodischen Vorbehalte gegenüber einer Entwicklung bei Paulus
gegeben werden.

(a) Der zeitliche Rahmen

Hengel und Schwemer bspw. lehnen im Vorhinein eine Möglichkeit


der Entwicklung im Rahmen der Briefe ab, da sie die ca. 16 Jahre seit
der Berufung des Paulus bis zur Verfassung des 1Thess unterschlagen
würde, in denen sich die paulinische Theologie bereits vollständig aus-
gebildet haben müsse. Bei seinem Aufbruch nach Europa, also in der
Zeit, in der die paulinischen Briefe entstanden sind, müsse man vo-
raussetzen, dass die paulinische Theologie schon vollständig ausge-
prägt war. Hengel fasst die Problematik folgendermaßen zusammen:

„Die Diskrepanz zwischen dem schändlichen Tod eines jüdischen


Staatsverbrechers und jenem Bekenntnis, das diesen Exekutier-
ten als präexistente göttliche Gestalt schildert, die Mensch wird
und sich bis zum Sklaventod erniedrigte, diese – soweit ich sehe,
auch für die antike Welt analogielose – Diskrepanz beleuchtet das
Rätsel der Entstehung der urkirchlichen Christologie. Paulus hatte
die Gemeinde in Philippi etwa im Jahr 49 n.Chr. gegründet, und
er wird in dem 6/7 Jahre später geschriebenen Brief den dortigen
Gläubigen keinen anderen Christus vorgestellt haben als in seiner
gemeindegründenden Predigt. Das bedeutet aber, daß sich diese
'Apotheose' des Gekreuzigten schon in den vierziger Jahren
vollendet haben muß und man ist versucht zu sagen, daß sich in
jenem Zeitraum von nicht einmal zwei Jahrzehnten christologisch
mehr ereignet hat als in den ganzen folgenden sieben Jahr-
hunderten bis zur Vollendung des altkirchlichen Dogmas.“100

Hengel setzt als selbstverständlich voraus, dass Paulus nicht nur


Grunddaten, sondern auch theologische Ausformulierungen gewisser-
maßen im Kopf hat, um sie je nach Bedarf abzurufen und einzusetzen.
Nach dieser Vorstellung sind alle theologischen Äußerungen in den
paulinischen Briefen von dieser im Hintergrund vorausgesetzten Theo-
logie eindeutig als situativ begründet zu interpretieren, da inhaltliche
Änderungen Paulus seinen Gemeinden gegenüber als unglaubwürdi-
gen Zeugen erscheinen lassen würden.

100 Hengel, Sohn Gottes, 9-11.


43

(b) Situation vs. Sache

Ein beliebtes Argument im Streit um die Entwicklung bei Paulus ist


das Argument, dass sachliche Widersprüche nötig seien, um von ver-
schiedenen theologischen Entwicklungsstufen sprechen zu können.101
Ansonsten wären theologische Differenzen alleine aus der Brief-
situation erklärbar. Bei der Darstellung der Israelproblematik etwa
mag dies zutreffen, wenn im Gal die wahre Verheißung Israels nicht
mit dem irdischen Israel gleichgesetzt wird, obwohl im 1 Kor die
Rettung Israels weiterhin in Erwägung gezogen wird. Ebenso ist
1Thess 2,15-16 sicher auch bis zu gewissen Grenzen als polemischer
Text anzusehen. Schwer ist es allerdings, die Position des Röm rein
situativ zu erklären. Auch wenn der Brief an eine judenchristliche
Gemeinde gerichtet ist, so ist von der Tiefe der Argumentation in den
früheren Briefen des Paulus noch nichts zu erahnen. Dass die Situation
eine Änderung der Position erbringt, lässt sich auch an Hand der Aus-
sagen zur Parusie erläutern, kann man doch zumindest nachvollziehen,
dass die Vorstellung der zeitlichen Dimensionen einer Korrektur
bedarf und somit theologisch neu reflektiert werden muss. Schließlich
wurde bereits deutlich, dass auch hinsichtlich der Rechtfertigungslehre
die Situationen dafür verantwortlich gemacht worden sind, eine
Veränderung der paulinischen Position anzunehmen.
Allerdings stehen einer einfachen Kausalitätsbeziehung zwischen
Situation und Sache massive methodische Vorbehalte gegenüber. Das
Problem dabei ist, dass der Rückschluss auf die Situationen immer
hypothetisch bleiben muss. Die Briefe des Paulus reagieren zweifellos
auf bestimmte Situationen, zudem sind sie als Briefe keine theologi-
schen Abhandlungen, sondern nur Momentaufnahmen paulinischen
Denkens. Deswegen drehen viele Exegeten die Kausalkette Situation –
Sache um und behaupten, dass unterschiedliche Äußerungen nicht als
Entwicklung paulinischen Denkens verstanden werden dürften, da die
unterschiedliche Äußerung auf die Situation zurückgehe. Allerdings

101 Vgl. Hahns, Entwicklung, 343, methodische Vorüberlegungen, wenn er


Wandlungen, Weiterführungen und Entwicklungen voneinander unterscheidet.
Wandlungen sind demnach „sprachliche und vorstellungsmäßige Veränderun-
gen ... ohne ... sachliche Verschiebungen“; „Weiterführungen“ bezeichnen das
erneute Aufgreifen und tiefere Durchdenken von Themen, während Entwick-
lungen „klar erkennbare sachliche Verschiebungen“ voraussetzen würden.
„Ausschlaggebend ist, daß es sich um inhaltliche Aussagen handelt, die mit frü-
heren in Spannung stehen und sich nur im Sinne eines neuen Denkansatzes
verstehen lassen.“
44

fuße die Argumentation auf einer fest im Hintergrund stehenden Theo-


logie. Am massivsten sind die Gleichsetzungen aber wieder hinsicht-
lich der Rechtfertigungslehre, da sogar für den 1Thess nachgewiesen
werden soll, dass ein derartiges Konzept im Hintergrund stehe. Hahn
etwa treibt diese Ansicht auf die Spitze, wenn er deswegen meint,

„daß für Paulus Evangeliumsverkündigung und Rechtfertigungs-


lehre identisch sind, sowohl in ihrer Intention als auch in ihrem
Inhalt, wenngleich Paulus beide unabhängig voneinander heran-
ziehen kann. Die Rechtfertigungsthematik ist für ihn von Anfang
an vorgegeben und ist als einheitlich anzusehen. Von einer Ent-
wicklung kann keinesfalls gesprochen werden, von einer
sprachlich-vorstellungsmäßigen Wandlung nur sehr bedingt;
neben Situationsbezügen ist jedoch eine für Paulus sehr bezeich-
nende Weiterführung und Vertiefung der Thematik zu erken-
nen.“102

Eine solche Aussage ist ein Beispiel dafür, wie entschieden eine
Weiterentwicklung der theologischen Positionen des Paulus bestritten
wird. Aus Hahns Position ist aber ebenso zu erkennen, dass er bis zu
gewissen Grenzen eine „Weiterführung und Vertiefung der Thematik“
anerkennt, nur billigt er dieser Erkenntnis anscheinend keinen heuristi-
schen Wert zu. Zumindest wendet er sich mit seiner These gegen
solche Positionen, die den Akzent auf die Herausbildung der Recht-
fertigungslehre in der galatische Krise schieben. Damit wendet er sich
zu Recht gegen rein reduktive Ansätze, die die Rechtfertigungslehre
nur im Sinne Wredes als Kampfeslehre verstanden wissen wollen.103
Für die Interpretation des 1Thess bedeutet dies, dass auch dort
die Rechtfertigungslehre vorauszusetzen sei, was viele Autoren ähn-
lich wie Hahn nachzuweisen versuchen.104 Gemeinsam ist allen diesen
Positionen, dass sie das Damaskusereignis als Ausgangspunkt der
Rechtfertigungslehre deuten.
Diese Herangehensweise an das Thema Gesetz und Rechtferti-
gungslehre ist allerdings methodologisch ebenso problematisch wie
die Annahme, dass eine Entwicklung paulinischer Theologie ohne
weiteres nachvollzogen werden könne. Bezüglich paulinischer
Theologie ist – wie oben bereits erwähnt – auch die Einschätzung der
Damaskuserfahrung des Paulus ein entscheidendes Datum. Insgesamt
aber kann man erkennen, dass die Entscheidung für oder gegen
102 Hahn, Entwicklung, 365f.
103 Vgl. hierzu Anmerkung 84.
104 Vgl. dazu oben, 25-29.
45

Entwicklung mit der Aussageabsicht der einzelnen Autoren zusam-


menhängt. Die Gegner der Entwicklung messen allein der Kontinuität
paulinischen Denkens Bedeutung zu, während die Befürworter die von
den Gegnern ebenso konstatierten Vertiefungen, Veränderungen etc. in
ihre Überlegungen mit einbeziehen wollen. Beide Positionen unter-
scheiden sich also gar nicht so weit voneinander. Es geht vielmehr um
die Grundsatzentscheidung, ob die Rede von einer Entwicklung einen
Erkenntnisgewinn für die Darstellung paulinischer Theologie ergeben
kann oder eher die Gefahr in sich birgt, den theologischen Wert der
paulinischen Ausführungen zu relativieren. Allgemeiner ausgedrückt
geht es um den Zusammenhang zwischen theologischer und histori-
scher Aussage in ihrer gegenseitigen Verwiesenheit. Der Fokus der
paulinischen Briefe ist diesbezüglich äußerst klein und sicher metho-
disch nicht ohne weiteres auszuwerten. Dennoch verweist der Zusam-
menhang zwischen historischer und theologischer Fragestellung auf
das Grundproblem, wie die theologischen Äußerungen bei Paulus ein-
zuschätzen sind. Diesem Problem soll in einem kurzen Exkurs nachge-
gangen werden.

Exkurs: Zur Diskussion um die Problematik einer Theologie des


Neuen Testaments

In seinem Aufsatz Über Aufgabe und Methode der sogenannten Neute-


stamentlichen Theologie von 1897 stellt Wrede in Auseinandersetzung
mit der von Holtzmann veröffentlichten „Theologie des Neuen Testa-
ments“ folgendes Grundsatzprogramm vor:

„Holtzmann stellt der neutestamentlichen Theologie die Aufgabe,


den religiösen und sittlichen Gehalt der kanonischen Schriften des
Neuen Testaments wissenschaftlich darzustellen oder die daraus
erkennbare religiös-sittliche Gedankenwelt wissenschaftlich zu
rekonstruieren. Ich würde demgegenüber sagen: Die Disziplin hat
die Geschichte der urchristlichen Religion und Theologie darzu-
stellen. Man wird das vielleicht für ziemlich identisch halten,
abgesehen von der Frage, ob die Grenze des Neuen Testaments
überschritten werden darf. Allein genau betrachtet liegt doch eine
viel erheblichere Differenz darin, dass das eine Mal die
Aufmerksamkeit auf den Inhalt von Schriften gelenkt wird, das
andere Mal lediglich auf die Sache. (...) Was suchen wir eigent-
lich? Letztlich wollen wir doch jedenfalls wissen, was in der Ur-
zeit des Christentums geglaubt, gedacht, gelehrt, gehofft, gefor-
dert und erstrebt worden ist, nicht aber, was bestimmte Schriften
46

über Glauben, Lehre, Hoffnung usw. enthalten.“105

Dieser Ansatz lehnt keinesfalls die theologische Fragestellung ab,


doch wendet er sich gegen die Bezeichnung „Theologie“, der es die-
sem Verständnis nach zu sehr um Abstraktion und Reduktion auf
Glaubensinhalte geht. Wrede schwebte ein Bild der urchristlichen Re-
ligionsgeschichte ohne jegliche dogmatisch-theologische Einschrän-
kung vor, die auch nicht vor den Grenzen des neutestamentlichen Ka-
nons Halt machen dürfe. Bedauerlicherweise folgte diesem Entwurf
Wredes aufgrund seines frühen Todes nicht mehr die angekündigte
Entfaltung, und so konnte sein Ansatz auch nicht die nötige Wirkung
zeigen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewannen insbeson-
dere die Arbeiten Bultmanns großen Einfluss auf die neutestament-
liche Forschung, die von ihrem Ansatz her eine historisch orientierte
Darstellung der Entstehung des Christentums immer mehr zurück-
drängte und106 somit in starkem Kontrast zu Wredes Entwurf stand.107
Zwar begreift auch Bultmann seinen Entwurf einer neutestamentlichen
Theologie als historisch ausgerichtet, allerdings wird er dieser eigenen
Einschätzung in der Ausführung nur bedingt gerecht. Insbesondere die
Behandlung der beiden „Theologen“ Johannes und Paulus durchbricht
den historischen Ansatz, da beide Autoren nicht historisch interpre-
tiert, sondern anhand der existentialen Interpretation Bultmanns eben
systematisch als „Theologen“ ausgelegt werden. Gefragt wird dabei
nicht nach historischen Ansatzpunkten dieser Theologien, sondern
nach der Bedeutung ihres Denkens für die Gegenwart. Die Theologie
wird damit zur Anthropologie.108
Allerdings war die Wirkung Bultmanns auf die Auslegung pauli-
nischer sowie johanneischer Theologie so groß, dass auch die metho-

105 Wrede, Aufgabe, 34f.


106 Vgl. hierzu Frey, Problem, 29. Er verweist darauf, dass explizit bei Bultmann
die Sachaussage im Gegensatz zu Wredes historischem Ansatz leitend wird.
107 Vgl. Bultmann, Theologie, 600. In seinem Entwurf unterscheidet er zwei
bedeutende Theologien, die des Paulus und die des Johannes, die er dann für
seine existentialen Überlegungen ausarbeitet.
108 Bultmann ist eindeutig abhängig von der Grundtendenz der Philosophie der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er steht dabei unter dem Einfluss Heideggers
und versteht seine existentiale Interpretation auch als Weiterführung Heidegger-
scher Positionen. Vgl. zur Position Bultmanns Kümmel, Bultmann, speziell 188-
193 zur Kritik. Vgl. auch Braun, Überwindung, 67: „Bultmann hat von seinem
Ansatz her folgern zu müssen gemeint, die paulinische Theologie sei ihrem
Wesen nach Anthropologie ... Es ist mir mehr als zweifelhaft, daß man solche
Konsequenzen tatsächlich ziehen darf, und jedenfalls vermag ich nicht
einzusehen, daß der Apostel sie gezogen hat.“
47

dische Herangehensweise an diese Autoren als Theologen die gesamte


weitere Forschung beeinflusst hat. Insbesondere der Rekurs auf die
Sache findet sich immer wieder als entscheidendes Argument gegen
historische Beschreibungskategorien. Bedeutend sind in jüngster Zeit
die beiden Versuche von Theißen und Räisänen,109 die den Bultmann-
schen Ansatz überwinden wollen und eine andere Herangehensweise
an die Erschließung des frühesten Christentums fordern. Beide lehnen
den Begriff Theologie ab, da er das Feld des Untersuchungsgegen-
standes zu sehr einschränken würde. Ihnen geht es vor allem darum,
die Dynamik des geschichtlichen Prozesses während der Entstehung
des Christentums zu erfassen. So schreibt Theißen:

„Um zu erkennen, was die ersten Christen in ihrem Innersten


bewegte, muss man ihr ganzes Leben untersuchen und ihre
theologischen Aussagen in semiotische, soziale, psychische und
historische Zusammenhänge hineinstellen, die nicht unmittelbar
theologische sind. Die Dynamik des urchristlichen Glaubens ist in
der Dynamik des Lebens verwurzelt.“110

In diesem Sinne erarbeitet Theißen ein semiotisches System in An-


schluss an Geertz und Limbeck, um diesen Prozess in allen Facetten
fassen zu können, wobei der Begriff der Theologie zu sehr eine Ein-
schränkung dieses Prozesses darstellen würde. Darum wählt er für sein
Vorhaben die Bezeichnung „Theorie urchristlicher Religion.“ Ein rein
theologischer Begriff „entzieht das Zentrum urchristlichen Lebens
dem allgemeinen Gespräch. Er bewegt sich im innerkirchlichen Dis-
kurs.“111 Im Gegensatz dazu könne man in einer Theorie des Urchris-
tentums bzw. der urchristlichen Religion „den urchristlichen Glauben
in seiner das ganze Leben bestimmenden Dynamik mit allgemeinen re-
ligionswissenschaftlichen Kategorien beschreiben und erklären.“
Räisänen orientiert sich bei der Erarbeitung seiner „religionswis-
senschaftlichen Alternative“ zur Theologie des Neuen Testaments
ebenfalls sehr stark an Wredes Programmschrift. 112 Auch Räisänen ist
sich der Problematik bewusst, dass die Rekonstruktion des frühchristli-

109 Vgl. Theißen, Religion; Räisänen, Theologie; ders., Alternative. Vgl. auch die
Diskussion der Ansätze bei Vos, Theologie, 248-250; Becker, Theologiege-
schichte, 115f.
110 Theißen, Religion, 17. Zur Psychologie des Urchristentums vgl. den neuen Ent-
wurf von Theißen, Erleben.
111 Theißen, Religion, 17.
112 Auch von Räisänen liegen bisher nur Entwürfe eines groß angelegten Pro-
gramms vor.
48

chen Denkens nicht abgelöst von „geschichtlichen, psychologischen


und sozialen Realitäten“113 funktionieren kann. In sein Programm führt
er folgendermaßen ein:114

„Ich schlage vor, dass eine Darstellung frühchristlichen Denkens


diese Gedankenwelt als ein Ergebnis der Wechselwirkung von
Tradition, Erfahrung und Interpretation beschreiben könnte. Wo
der Nachdruck liegen sollte, kann dabei unterschiedlich bestimmt
werden. Es kann entweder die Rolle der Tradition, die jede
Erfahrung bestimmt, betont werden oder auch die Bedeutung
neuer Erfahrungen, die zur (sic!) Änderungen der Tradition
führen. ‚Erfahrung’ ist dabei in viel weiterem Sinne zu verstehen
als ‚Erlebnis’. Wo eine ‚ruhigere’ Entwicklungsstufe einer
Religion untersucht wird, wird das Hauptgewicht auf der Tradi-
tion liegen müssen, die das Leben und Denken der Gläubigen
strukturiert. Wenn aber eine Zeit des Umbruchs der Gegenstand
ist, wie die Entstehung des Christentums (oder des Buddhismus
oder des Islams), dann fällt notwendigerweise mehr Gewicht auf
das Neue: auf Erfahrungen, die zu Umdeutungen der Tradition
und zur Bildung neuer Traditionen führen. Immer sind jedoch
beide Seiten zu berücksichtigen; die Wirkung läuft nie in nur eine
Richtung.“

In diesem Zusammenhang greift Räisänen den soziologischen Erfah-


rungsbegriff auf, indem er sich an den Arbeiten von P. Berger orien-
tiert.115 Räisänen versucht nicht nur, einen Ansatz zu erarbeiten, der
aus heutiger Sicht die damaligen Ereignisse zu rekonstruieren ver-
sucht, sondern er will die historischen Personen in ihren Lebenszusam-
menhängen und Problemen verstehen, er will wissen, „warum ein
Paulus aus seinem visionären Erlebnis andere Konsequenzen zog als
etwa der Herrenburder Jakobus und seine Jerusalemer Anhänger aus
ihren Visionen.“116 Damit weist Räisänen aber auch schon darauf hin,
dass eine rein theologische Pauluslektüre, die situative Aspekte
ausklammert, nicht ausreichend ist.117 Paulus lässt sich nicht aus dem

113 Räisänen, Theologie, 100.


114 Räisänen, Theologie, 100f.
115 Vgl. P. Berger, Imperative, 50.
116 Räisänen, Theologie, 102f.
117 Zwar rückt Räisänen Paulus nicht explizit in den Mittelpunkt seiner Überle-
gungen, es wird jedoch klar, dass auch das Denken des Paulus eingebettet ist in
die gesamte Theologiegeschichte des entstehenden Christentums, seine Theo-
logie somit abhängig ist vom Denken anderer Personen (Missionare,
Gemeindemitglieder, Gegner) aus seinem Umfeld.
49

geschichtlichen Prozess herausreißen, sondern ist ebenso eingebunden


in die Dynamik des frühen Christentums. Sicher wird man auch auf-
grund der paulinischen Biographie schon zur Zeit seiner Berufung ei-
nen hohen theologischen Sachverstand voraussetzen dürfen, doch sind
die Situationen, die auf ihn zukommen, damit noch lange nicht bewäl-
tigt. Räisänen bezieht sich in seinen Überlegungen auf die soziologi-
schen Theorien von Luckmann und Berger118 und greift deren Begriff
des „symbolischen Universums“ auf. Dieser Begriff sagt, dass der
Mensch die Welt genau so wahrnimmt, wie es ihn die Gemeinschaft
gelehrt hat. Dies impliziert aber zugleich, dass es sich um eine dyna-
mische Größe handelt, da sich auch die Zusammensetzung der Ge-
meinschaft bzw. die Erfahrungen derjenigen Personen, die die Ge-
meinschaft ausmachen, ebenso stetig ändern. Gerade bei einer Größe
wie dem Christentum, das damals noch gar nicht als solches existierte,
sollte man nicht voreilig eine festgeprägte Theologie erwarten können.
Die Missionare verfolgten selbstverständlich ein eigenes theo-
logisches Programm, aber auch diese Theologie war eine dynamische
Größe. Theißen wie Räisänen haben versucht die Konstanten für die
theologischen Voraussetzungen auf ein Minimum zu reduzieren.
Theißen spricht von den Grundaxiomen Monotheismus und Erlöser-
glaube, die durch weitere Grundmotive (irrationale Schöpfung, Glaube
als Zugang zu Gott, Weisheit Gottes, Nächstenliebe und Demut)
erweitert werden,119 Räisänen spricht in diesem Zusammenhang vom
Referenzrahmen, der durch die Begriffe Monotheismus, jüdische
Moral und eschatologische Erwartungshaltungen definiert ist.120 An
diesen Konstanten kann man frühchristliche Positionen identifizieren,
und diese Konstanten waren wohl zu großen Teilen auch unantastbar.
Ihre inhaltliche Explizierung war jedoch nicht unabänderbar. Neue
Erfahrungen konnten immer wieder zu wesentlichen Umdeutungen
führen, wie es Räisänen an Hand der Parusieproblematik kurz
andeutet:121

118 Vgl. Berger/Luckmann, Construction; Berger, Reality, 13-37; Gager, Kingdom,


9ff.
119 Vgl. Theißen, Religion, 37f. Im selben Zusammenhang weist Theißen auf, dass
dadurch bereits die Unterscheidung zum Judentum der Zeit deutlich wird. Das
zweite Axiom, der Erlöserglaube, ist für ihn die Modifikation des jüdischen
Grundmotivs des Bundesnomismus. „Das ganze religiöse Zeichensystem wird
von der Gestalt eines einzigen Erlösers her neu strukturiert. Alles wird auf diese
Mitte bezogen. Dieser Erlöser rückt neben Gott, was von den Juden als Infrage-
stellung eines strengen Monotheismus erlebt werden musste.“
120 Vgl. Räisänen, Theologie, 105.
121 Räisänen, Theologie, 105f.
50

„Die Parusie wird eifrig erwartet, aber sie kommt nicht.


Irgendwann muss das Ausbleiben intellektuell und emotionell be-
wältigt werden. Entweder muss die problematische Erfahrung im
Nachhinein so gedeutet werden, dass sie nicht aus dem Rahmen
der akzeptierten symbolischen Welt herausfällt. Oder die Erfah-
rung kann zu einer Änderung in der symbolischen Welt führen.
Dies setzt voraus, dass die Änderung von führenden Mitgliedern
der Gruppe anerkannt wird. Dies wiederum impliziert oft
Kunstgriffe der Legitimierung, die das Neue bei der neuen
Entscheidung kaschieren und Kontinuität mit der Tradition her-
vorheben. Wird eine Änderung nicht von den Führern anerkannt,
kann dies zur Spaltung der Gruppe führen. Der ausgestoßene oder
ausgewanderte Teil muss dann eine neue symbolische Welt
konstruieren.“

Dieses Modell kann sowohl dazu herangezogen werden, die Entste-


hung des Christentums und seine Trennung vom Judentum, als auch
die Herausforderungen der urchristlichen Mission vor ihren neuen
Adressaten zu erklären. Je weiter sie sich aus ihrem ursprünglichen
Lebensbereich herausbewegten, umso unterschiedlicher waren auch
die religiösen Anknüpfungspunkte für die christliche Mission. Legt
man Räisänens Überlegungen zugrunde, so kommt im Rahmen der
paulinischen Mission Paulus selbst die Rolle der Legitimierung zu. Er
ist zu einem erheblichen Maße für die theologischen Inhalte der
Erstverkündigung verantwortlich. Doch ist auch Paulus nicht frei von
Einflüssen. Der Verständnishorizont der Adressaten seiner
Verkündigung kann die Inhalte seiner Mission ebenso beeinflussen
wie Anfragen oder historische Entwicklungen. Eine Veränderung fällt
Paulus selbst nicht auf, sie ist aber im Nachhinein objektiv
nachvollziehbar.122

Da die hier vorgestellten Überlegungen sich auf die Betrachtung des


paulinischen Denkens beschränken, kann dieser Diskurs nur bruch-

122 Ein tiefer Einblick in die Eigendynamik des paulinischen Evangeliums lässt sich
insbesondere in der Korinthermission darstellen. Vgl. Schnelle, Paulus, 201: „In
Korinth fiel das paulinische Evangelium auf fruchtbaren Boden, mehr noch: die
Korinther nahmen es in ihre eigenen Hände.“ Ein Blick auf die Korinther-
mission mit den gemeindeinternenen Spaltungstendenzen zeigt auf, dass theo-
logische Akzentuierungen nicht nur ihre Entfaltungen aufgrund einer Bedro-
hung von außen (wie im Gal) entstehen, sondern dass auch die Mitglieder der
paulinischen Gemeinden direkten Einfluss nehmen auf die theologische
Entwicklung der Gemeinde und so auch zur Legitimierung herausfordern.
51

stückhaft aufgegriffen werden. Die Theologie des Paulus kann aber


auch nur dann vollständig erklärt werden, wenn sie auch ihn als histo-
rische Persönlichkeit in den Prozess des Urchristentums mit einbe-
zieht.123 Eine Theologie des Paulus ist also immer dann unvollständig
beschrieben, wenn sie unabhängig von seinem situativen Umfeld er-
schlossen werden soll und Paulus als souverän und voraussetzungslos
die Theologiegeschichte lenkend versteht. Dies ist eine logische Folge
von Theißens Ansatz, wenn er den Fokus von einer theologischen,
„konfessorischen“ Betrachungsweise weglenken möchte. Dieser An-
satz ist aber nur dann konsequent zu Ende gedacht, wenn man auch die
paulinische Theologie in einem größeren Rahmen zu sehen versucht
und Paulus als im geschichtlichen Prozess stehend begreift.
Damit ist letztendlich noch keine Entscheidung hinsichtlich der
Rede von einer möglichen Entwicklung bei Paulus getroffen. Jedoch
wird deutlich, dass ein vorschneller Rekurs auf die Sache, die den
Situationen vorausgeht, methodisch in ungerechtfertigter Weise den
Theologiebegriff für eine dogmatische Aussage instrumentalisiert.
Auch wenn es nicht für jeden Fall zu entscheiden ist, inwieweit eine
bestimmte Äußerung von der Situation beeinflusst wird, sollten nicht
zu früh Schlüsse gezogen werden, die etwa die gesamte Theologie des
Paulus schon auf das Damaskus-Ereignis reduzieren wollen. Wer sich
in dieser Weise auf die „Sache“ bezieht, kann lediglich zeigen, dass
paulinisches Denken Kontinuitäten aufweist. Allerdings muss auch der
Vorbehalt, dass Paulus außerhalb seiner Briefe sicherlich mehr wusste,
als er jeweils sagen konnte, bei einer Beschreibung von Entwicklun-
gen selbstverständlich mit berücksichtigt und problematisiert werden.
Folgendes Urteil von Bendemanns bzgl. der Rede über Entwicklungen
bei Paulus ist m. E. ins Gegenteil zu verkehren:

„Setzt man aber ‚Wandlungen’ der paulinischen Aussagen von


‚unreflektierten’ hin zu ‚reflektierten’ Positionen voraus, so ist
die Frage unausweichlich, ob dann durch die ‚reflektierten’ Aus-
sagen diejenigen des noch ‚unreflektierten’ Anmarschweges ver-
zichtbar werden. Eine entsprechende evolutionäre Sicht wird den
Paulusbriefen nicht gerecht. Problematisch sind hier auch ver-
schiedene entsprechende Wachstumsmetaphern, etwa die Rede
vom ‚Entfalten’ ‚keimhafter’ Aussagen bis hin zur ‚vollen Reife’
im Römerbrief. Gefährlich werden ‚Entwicklungs-’ oder ‚Wand-
lungs’modelle aber vor allem dort, wo sie Polaritäten, die die
paulinische Theologie in ihrem Innersten kennzeichnen, diachron

123 Wobei darauf hinzuweisen ist, dass selbst Theißen, Religion, 294-296, dem
Programm einer Entwicklung bei Paulus äußerst reserviert gegenübersteht.
52

auflösen.“124

Von Bendemann untersucht die Möglichkeit, eine Theologie des Pau-


lus zu schreiben.125 Dieses Vorhaben scheint ihm durch die Rede von
Entwicklungen in Gefahr zu geraten. Sein Zitat, etwas umformuliert,
macht deutlich, dass er genau in die falsche Richtung hin argumentiert.
Denn „die unreflektierten Positionen des Anmarschweges“ werden nur
dann verzichtbar, wenn man sie auf die Sachaussage reduziert. Wer
von einer Entwicklung spricht, trägt eben genau diesen „unreflektier-
ten Positionen“ Rechnung. Und so ist das „‚Entfalten’ ‚keimhafter’
Aussagen bis hin zur ‚vollen Reife’ im Römerbrief“ nur insofern pro-
blematisch, als man sich fragen muss, was „Reife“ eigentlich bedeuten
soll. Eine systematische Auslegung paulinischer Rechtfertigungslehre
fügt all seine Aussagen zu einem vollständigen Bild zusammen,
allerdings ist sie in Gefahr, den Anmarschweg viel zu leicht vom Er-
gebnis her zu erklären. So können dann Ungereimtheiten und Polaritä-
ten auftauchen, die wohl tatsächlich „die paulinische Theologie in ih-
rem Innersten kennzeichnen“, aber es muss eben von Fall zu Fall
gefragt werden, ob es sich um Polaritäten oder Entwicklungsstufen
handelt.

1.4 Zusammenfassung und Ausblick

Die Paulusforschung steht vor dem Problem, wie sie interpretatorisch


der Chronologie der paulinischen Briefe gerecht wird, nachdem die
Briefe allesamt relativ spät entstanden zu sein scheinen – zumindest
wenn man dem Großteil der gegenwärtigen Paulus-Exegeten folgt und
den 1Thess auf ca. 50 n. Chr. datiert. Immerhin hat nach diesem
Verständnis der Brief einen noch ausreichenden Abstand von ein paar
Jahren zu den Folgebriefen. Zudem steht dann der 1Thess an der
Schwelle der eigenständigen Missionsarbeit des Paulus, nachdem
dieser sich endgültig von Antiochia gelöst hat. Zumindest lassen sich
sprachliche Eigenheiten darauf zurückführen, dass er noch im Ein-
flussbereich Antiochias entstanden ist, ohne dass man Schluss-
folgerungen hinsichtlich der enthaltenen Theologie überzeichnen
dürfte. Selbstverständlich ist es aufgrund des Quellenmaterials schwer,
die antiochenische Theologie zu beschreiben, und so bleibt der
Versuch, dies aus dem 1Thess abzuleiten, letztlich nur eine (gute)

124 Von Bendemann, Erwägungen, 228.


125 Vgl. von Bendemann, 210-212.229.
53

Idee.126
Wenn es auch nicht gelingt, antiochenische Theologie genauer
zu fassen als bisher möglich, so verbietet es sich, die sprachlichen
Besonderheiten des 1Thess vollständig zu nivellieren. Selbst wenn
schon eine lange Zeit seit der Berufung des Paulus verstrichen ist,
markiert die selbständige Mission in Griechenland dennoch einen
neuen Abschnitt, der neue Probleme mit sich bringt. Auf keinen Fall
darf eine Entwicklung nur deshalb geleugnet werden, weil so die
Kontinuität im Denken des Paulus gewahrt werden kann.
Auf einen relativ neuen Ansatz sei an dieser Stelle schließlich
noch hingewiesen. Dieser Ansatz schafft vielleicht zum ersten Mal
das, was Schnelle als „Kontinuität im Wandel“127 bezeichnet hat, auf
ein breiteres Fundament zu stellen. Wilk128 hat in seiner groß-
angelegten Untersuchung über die Verwendung des Jesaja-Buches bei
Paulus nachweisen können, dass eine Interpretation jesajanischer
Texte in allen Briefen zu erkennen ist. Anhand der Verwendung des
Jesaja-Buches lässt sich aber auch eine Weiterentwicklung bzw. Ver-
tiefung paulinischer Theologie nachvollziehen. Der Befund stellt sich
zunächst folgendermaßen dar:129

„Die Differenzen zwischen dem 1. Thessalonicher- und dem Rö-


merbrief lassen sich keinesfalls allein auf die jeweils anderen Ab-
fassungsverhältnisse und -zwecke beider Schriftstücke zurückfüh-
ren; vielmehr setzt der Römerbrief mit seinen vielen Zitaten und
seinen Äußerungen zur ‚Israelfrage’ eine erneute Lektüre des
Jesajabuches und eine vertiefte Prägung des Apostels durch dieses
Buch voraus. Die Fähigkeit, aus Jesaja – und der Schrift
überhaupt – zu zitieren, unterscheidet aber bereits die Korinther-
briefe von dem Schreiben an die Thessalonicher. Andererseits
lassen die Gestalt der Textvorlage und die spezifische Zitierpraxis
im Römerbrief ein gegenüber der Korrespondenz mit den Ko-
rinthern intensiveres Verhältnis zum Jesajabuch erkennen. Man
kann also drei ‚Stationen’ paulinischer Jesajarezeption unter-
scheiden: 1Thess - 1/2Kor – Röm; zwischen ihnen gewinnt das
Jesajabuch für Paulus jeweils an Bedeutung.“

126 Allerdings finden Becker und sogar Söding (s.o.) durchaus gute Gründe für die
Idee, eine antiochenische Theologie vorauszusetzen. Zur Bedeutung Antiochias
für die paulinische Theologie vgl. ausführlich Hengel/Schwemer, Paulus, 404-
461.
127 Schnelle, Wandlungen, 88-90, weist auf Entwicklungstendenzen innerhalb der
Bereiche Anthropologie, Ethik und Missionsverständnis hin.
128 Wilk, Bedeutung.
129 Wilk, Bedeutung, 404f.
54

Die immer größer werdende Bedeutung130 des Jesajabuches bei Paulus


hat auch Auswirkungen auf dessen Theologie. In dem Maße, in dem
das Jesajabuch für ihn immer wichtiger wird, zeichnen sich mehr und
mehr daran orientierte Lösungen ungelöster Fragen ab. In diesem Sin-
ne entwickelt sich auch die paulinische Theologie im Lesen des Jesaja-
buches. Diese These kann hier nicht bis ins Detail überprüft werden.
Zumindest die Aussagen zur Israelfrage werden im Rahmen der
Interpretation von 2,15-16 noch aufgegriffen werden. Jedenfalls kann
Wilk zeigen, dass sich Paulus weiterentwickelt und auch aktiv und
existentiell den Herausforderungen der Mission gestellt hat, indem er
nicht mit einer endgültig feststehenden Meinung missionierte, sondern
sein Handeln ständig unter Rückgriff auf das Alte Testament
legitimiert hat (wobei er selbstverständlich Jesaja auf das Christus-
ereignis hin neu interpretierte).

Für die Auslegung des 1Thess ist also festzuhalten: zunächst besteht
die Notwendigkeit, den Brief für sich zu lesen, ohne die theologischen
Spezifizierungen späterer Briefe vorauszusetzen. Hinsichtlich der
Herangehensweise ist sodann nicht die Entscheidung zwischen den
eingangs vorgestellten Positionen entweder Beckers oder Södings
nötig. Beide Perspektiven, sowohl der Rückblick auf die antio-
chenische Zeit, als auch der Vorausblick auf die paulinische
Theologie, müssen in den Blick kommen. Man darf weder in den
1Thess hineinlesen, dass er schon die gesamte im Röm entwickelte
Theologie beinhalte, noch darf sein Schweigen über wichtige Themen
paulinischer Theologie bedeuten, dass sich Paulus darüber noch keine
Gedanken gemacht hat. Sein historischer Ort ist allerdings ernst zu
nehmen: der 1Thess ist relativ kurz nach seinem Aufbruch aus
Antiochia entstanden und steht am Anfang der eigenständigen
Missionsarbeit des Paulus. Für die Untersuchung des 1Thess heißt das
Folgendes: Einerseits soll ein eigenständiges Bild der
Thessalonichermission entworfen werden, das klar die Entwicklungs-
möglichkeiten in Richtung späterer Paulusbriefe offen lässt, anderer-
seits sollen insbesondere die Herausforderungen in den Blick kommen,
die während der Mission auf ihn zukamen. Auf keinen Fall darf man
den Folgerungen Riesners zustimmen, wenn er die Entwicklungsmög-
lichkeiten der paulinischen Theologie ablehnt:

130 Vgl. zu den unterschiedlichen Phasen der Jesajarezeption Wilk, Bedeutung,


405-407.
55

„So ist es zumindest nicht zwingend, den ersten Thessalonicher-Brief


als ein Dokument anzusehen, das noch vor der in Krisen ausgebildeten
spezifischen paulinischen Theologie stand. Die Situation seiner
Entstehung und Hinweise im Schreiben selbst weisen darauf hin, daß
Paulus erheblich mehr voraussetzt, als er an Einzelthemen breiter
behandelt. (...) Vielleicht fällt es uns in unserem Erfahrungshorizont
besonders schwer, damit zu rechnen, daß es auch Zeiten gab, in denen
nicht alles kontrovers ist, sondern ein breites Einverständnis im
Glauben besteht.“131

Dieses breite Einverständnis im Glauben im missionarischen Kontext


vorauszusetzen, ist doch etwas kühn. Paulus hat keine Summe seiner
Theologie vorgelegt, selbst der Röm bleibt ein Brief mit situativem
Charakter. Aber es muss auch klar sein, dass das Ziel des Paulus,
christliche Gemeinden zu gründen auch immer wieder sein theolo-
gisches Denken beeinflusste, neue Fragen aufwarf, die neue Lösungen
erforderten. Deswegen muss auch der 1Thess so interpretiert werden,
dass möglichst wenig aus den späteren Briefen in ihn hineingelesen
wird.

131 Riesner, Frühzeit, 358.


56

TEIL II: TEXTANALYSEN

2.1 Begründung der Textauswahl

2.1.1 Situation und Anlass des Schreibens

Situation und Anlass des 1Thess lassen sich sehr gut aus dem Brief
selbst bestimmen. Paulus kam aus Philippi, wo er, wie 2,2 erkennen
lässt, bei der Mission Angriffen ausgesetzt war, nach Thessalonich und
gründet dort erfolgreich eine Gemeinde. Vermutlich musste er die
Gemeinde schneller als erwartet wieder verlassen (2,17) und ist
deswegen in Sorge, da er sein Missionswerk noch nicht zu einem ihn
zufriedenstellenden Ende gebracht hatte (3,10). Auch die
Apostelgeschichte deckt im Grunde genommen diesen Verlauf, aller-
dings ist bei der Darstellung der Mission in Thessalonich (Apg 17,1-9)
Vorsicht geboten. Denn der Aufenthalt des Paulus in der Stadt dauerte
sicher länger als die dort angegebenen drei Sabbate. Man wird mit ein
paar Monaten rechnen dürfen, hat Paulus doch dreimal aus Philippi
finanzielle Hilfen erhalten (vgl.Phil 4,16). Außerdem wird man – unter
der Voraussetzung, dass sich die thessalonische Gemeinde aus ehema-
ligen Heiden zusammensetzt – einen längeren und intensiveren Mis-
sionsprozess annehmen müssen.132 Der Grund für die Abreise wird
nicht näher expliziert. Eventuell hat man auch hier an Nachstellungen
gegen Paulus zu denken, wobei die Flucht aus der Stadt, wie sie in
Apg 17 beschrieben wird, mit äußerster Zurückhaltung zu interpretie-
ren ist.133
Für den Versuch der Fortsetzung der (Erst-)Verkündigung und
die Reaktion auf Anfeindungen Paulus gegenüber sprechen auch die
Bemerkungen, dass baldige Besuchswünsche scheitern mussten
(2,17f.), und die Entsendung des Timotheus von Athen aus (3,1f.), der

132 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 2.2 dieser Arbeit.


133 Selbst Lüdemann, Apg, 195 nimmt für Apg 17 – gerade hinsichtlich der Verfol-
gungssituation – Traditionen an, die einen historischen Kern haben könnten.
57

mit guten Nachrichten zurückgekehrt ist (3,6). Nach der Rückkehr des
Timotheus – vermutlich treffen sich Paulus und Timotheus wieder in
Korinth (vgl. Apg 18,5) – verfassen sie den Brief an die thessalonische
Gemeinde. Die guten Nachrichten über den Status der Gemeinde
schlagen sich innerhalb des Briefes insofern nieder, als die Danksa-
gung einen relativ breiten Raum einnimmt. Ausgehend von 1,2 wird
sie in 2,13 wieder aufgegriffen und kommt erst in 3,13 zu einem Ab-
schluss.134 Die theologischen Ausführungen sind im Verhältnis zu der
ausführlichen Danksagung tatsächlich ungewöhnlich kurz gefasst.135
Neben ethischen Weisungen greift Paulus ein Hauptthema auf, indem
er die Frage nach dem Heil der schon vor der Parusie verstorbenen Ge-
meindemitglieder behandelt. Vermutlich geht Paulus damit auf Anfra-
gen aus der Gemeinde ein, die ihm eventuell Timotheus bei ihrem
Zusammentreffen übermittelt hat.

2.1.2 Überlegungen zur Gliederung

Die ausgedehnte Danksagung und die relativ kurzen theologischen


Ausführungen haben zur Folge, dass der Brief in zwei gleich lange
Teile zu zerfallen scheint. Der Aufbau ist insofern auffällig, als „die
formalen Proportionen der geläufigen Briefform (...) stark verscho-
ben“136 sind. Der erste Teil reicht von 1,2 – 3,13, der zweite Teil von
4,1-5,24.137 Auch die Perspektive unterscheidet sich innerhalb der
beiden Teile. Der erste Teil bezieht sich rückblickend auf den Vorgang
der Mission (1,2-2,16) sowie auf die Zeit und Entwicklung der
Gemeinde seit dem Abschied des Paulus (2,17-3,13). Der zweite Teil
wendet den Blick dann in Richtung „Zukunft“, indem die Gemeinde
insbesondere auf ihre Lebensführung hinsichtlich der bald eintretenden
Parusie ausgerichtet wird.138
134 Zur Einschätzung vgl. nur Schubert, Form, 16-27; Holtz, 1Thess 29; Haufe,
1Thess, 7f.; Gerber, Paulus, 254.
135 Vgl. die Ausführungen in 1.1.1.
136 Holtz, 1Thess, 29.
137 Vgl. Haufe, 1Thess, 7; von Dobschütz, 1Thess, 27f.; Holtz, 1Thess, 29ff.; Van-
hoye, Composition; Lyons, Autobiography, 180f.; Malherbe, 1Thess, 78f.; Lam-
brecht, 1994a, 320 u.a.
138 Vgl. hierzu die Überlegungen bei Johanson, Brethren, 67-79, der dem Abschnitt
1,2-3,13 eine „expressive function“ mit einer „Predominant Present-Past
Perspective“ zuschreibt, dem Abschnitt 4,1-5,24 eine „conative function“ mit
einer „Predominant Present-Future Perspective“. Nach Gerber, Paulus, 255
entspricht dies expressiver (Danksagung) und appellativer (Paränese) Funktion.
Vanhoye, Composition, 76, fügt mehrere Gliederungssignale an, mit denen er
die Zusammenghörigkeit der jeweiligen Einzelabschnitte näher begründen kann.
58

Zur Übersicht soll hier ein Gliederungsvorschlag vorgestellt wer-


den, der dieser Zweiteilung gerecht zu werden versucht.139

I. Briefeingang (Präskript) 1,1


II. Dankbarer Rückblick (1. Hauptteil)
1. Die Gründung der Gemeinde (1,2-2,16)
a) Erwählung und Vorbild 1,2-10
b) Das vorbildliche Wirken der Missionare (2,1-12)
c) Die Annahme der Botschaft unter Leiden (2,13-16)
2. Missionare und Gemeinde seit der Trennung 2,17-3,13
a) Gescheiterte Besuchspläne (2,17-20)
b) Sendung des Timotheus (3,1-5)
c) Rückkehr des Timotheus (3,6-10)
3. Abschließender Gebetswunsch 3,11-13
III. Ermahnung und Belehrung (2. Hauptteil)
1. Fortschritte in gottgefälligem Wandel 4,1-12
2. Die Toten und die Parusie 4,13-18
3. Bereitschaft für den Tag des Herrn 5,1-11
4. Leben in der Gemeinde 5,12-22
5. Abschließender Gebetswunsch 5,23f.
IV. Briefschluß (Postskript) 5,25-28

Schon aus der Gliederung wird eine Gemeinsamkeit zwischen beiden


Hauptteilen (II und III) erkennbar, da beide Teile mit einem Gebets-
wunsch abgeschlossen werden (3,11-13 und 5,23).140 Zudem wird
deutlich, dass im ersten Hauptteil die Beziehungen zwischen den
Thessalonichern und den Missionaren behandelt werden, während im
zweiten Hauptteil theologische Problemzusammenhänge erörtert
werden.
Hat man diese Zweiteilung des Briefes als wesentliches Gliede-
rungsmerkmal erschlossen, so ist zu fragen, ob eine differenziertere
Darstellung nach epistolographischen Gesichtspunkten einen Erkennt-
nisgewinn erbringen kann. Bickmann lehnt dies ab. Sie weist insbe-
sondere auf die Schwierigkeit hin, den Aufbau des Briefes mittels der
Anwendung der typischen epistolaren Gliederungsprinzipien darzu-
stellen:141
139 Vgl. die der Kommentierung des 1Thess bei Haufe, 1Thess zugrundeliegende
Gliederung. Ganz ähnlich Holtz, 1Thess, 32.
140 Vgl. Haufe, 1Thess, 8. Für weitere Belege und Gliederungsmerkmale vgl. die
ausführlichen Untersuchungen bei Vanhoye, Composition, 74-79; Johanson,
Brethren, 67-79, sowie Bickmann, Kommunikation, 103-146.
141 Vgl. Bickmann, Kommunikation, 103.
59

„Gerade im 1. Thessalonicherbrief lassen sich die Nöte einer auf


die Auffindung von ‚Briefteilen’ fixierten strukturalen Analyse
gut verdeutlichen: Geht man davon aus, daß ein Brief aus den
‚normalen’ Briefteilen Präskript, Danksagung, Corpus, apostoli-
sche Parusie, Paränese, Briefschluß besteht, und bestimmt man
darüber hinaus das Corpus als Hauptteil des Briefes, dem die
Funktion zukommt, Information zu vermitteln, gerät die Analyse
des 1Thess schnell an eine Grenze: In diesem Brief findet sich
eben dieser Hauptteil nicht oder nur mit größerem argumentati-
ven Aufwand.“142

Sie will bei ihrer Analyse „einem dynamischeren Textverständnis


Rechnung tragen“143 und dem Brief kein vorgegebenes Schema über-
stülpen, sondern ihn zunächst für sich in seinen kommuniativen Funk-
tionen sprechen lassen.
Den Überlegungen Bickmanns ist grundsätzlich zuzustimmen.
Dennoch soll hier eine Gliederung nach epistolographischen Gesichts-
punkten vorgestellt werden. Diese versucht ebenfalls der Zweiteilung
des Briefes Rechnung zu tragen. Klauck144 schlägt folgende Gliede-
rung vor:

1,1 Präskript
1,2-10 Proömium
2,1-5,11 Korpus

2,1-12 Korpuseröffnung (apostolische


Selbstempfehlung)
2,13-3,13 Korpusmitte I
4,1-5,11 Korpusmitte II

5,12-5,22 Korpusende
5,23-5,28 Briefschluss

Bickmann hat recht, wenn sie darauf hinweist, dass das Briefkorpus
nicht ohne Schwierigkeiten zu erschließen ist. Jedoch heißt das noch
lange nicht, dass ein solcher Versuch deshalb sinnlos sei. Die Vermitt-
lung von Informationen lässt sich sowohl im ersten (das werden im

142 Ähnlich reserviert steht sie den Überlegungen bzgl. der rhetorischen Analyse
gegenüber, da sie die argumentatio bei Paulus vermisst.
143 Bickmann, Kommunikation, 103.
144 Vgl. Klauck, Brieflieteratur, 269-281.
60

exegetischen Hauptteil insbesondere die Analysen zu 2,1-12 zeigen),


als auch im zweiten Korpusteil aufzeigen. Auffällig ist, wie erwähnt,
nur die Kürze des Hauptteils. Klauck schafft es nun, die Spannung
zwischen den beiden Hauptteilen 2,13-3,13 und 4,1-5,11 zu erfassen:
Demnach würde Paulus die Parusie Christi mit der eigenen
apostolischen Parusie in Verbindung bringen.145 Denn im ersten Teil
unterstreicht Paulus die Bedeutung seiner eigenen Person als Apostel
und Missionar für die Gemeinde. Die apostolische Parusie kündigt
sich denn auch nicht nebenbei an, sondern in drei Anläufen: den ge-
scheiterten Besuchsplänen des Paulus, durch den Boten Timotheus und
letztlich durch den Brief selbst. Im theologischen, zweiten Hauptteil
hingegen befasst sich Paulus mit dem Thema der Parusie Christi.
Wenn sich diese These beweisen lässt, so wäre ein Indiz gewon-
nen, mit dem sich die etwas eigenartige Zweiteilung des Briefes von
einer neuen Warte aus schlüssig begründen ließe. 146 So ist zumindest
gegen Bickmann zu zeigen, dass man bei der Heranziehung der „nor-
malen“ Briefelemente nicht unbedingt scheitern muss, sondern dass
auch für den 1Thess diesbezüglich ein Erkenntnisgewinn nachge-
wiesen werden kann. Überhaupt sollten die unterschiedlichen Heran-
gehensweisen nicht gegeneinander ausgespielt werden, da kein Ansatz
alle Facetten aufdecken kann.147

2.1.3 Zur Textauswahl

Gemäß der oben vorgenommenen Aufteilung konzentriert sich die


vorliegende Arbeit auf den „ersten Teil“ des 1Thess, wenn auch die
Vorstellungen aus dem zweiten Teil erklärend herangezogen werden
müssen. Im Mittelpunkt des Interesses liegt die missionarische Ver-
kündigung des Paulus. Obwohl es eigentlich naheliegend wäre, hat die
Forschung bisher den Zusammenhang der Verse 1,6-2,16 sehr zurück-
haltend interpretiert. Die Bekehrungsaussage beschränkt sich bei ge-
nauerem Hinsehen nicht alleine auf 1,9f., auch wenn diese Stelle meist
aus dem Zusammenhang gerissen interpretiert wird. Doch 1,9f. berich-

145 Vgl. Klauck, Briefliteratur, 281.


146 Wie sich zeigen wird, fügt sich dies sogar sehr gut in das Bild der Christologie,
wie sie im 1Thess entworfen wird. Das aber kann erst nach den Einzelanalysen
nachgewiesen werden.
147 Klaucks und Haufes Gliederungen unterscheiden sich aber auch insofern, als bei
Haufe der Abschnitt 1,2-2,16 als Zusammenhang erscheint, während dieser
Zusammenhang innerhalb der rhetorischen Analyse nicht mehr zur Geltung
kommt. Wie unter 2.1.4 deutlich wird, ist dieser Zusammenhang aber auch vom
Text her zu belegen.
61

tet nur von den Inhalten, die bei der Bekehrung vermittelt wurden.
Auffällig ist auch das doppelte Strukturmerkmal: Sowohl der Ab-
schnitt in 1,9f., als auch 2,1-12 sind Beschreibungen der ei[sodo" der
Apostel bei den Thessalonichern. Der Unterschied der Darstellung
begründet sich aus den verschiedenen Perspektiven, aus denen diese
ei[sodo" berichtet wird. In 1,9 verweist die Wendung„sie selbst“
zurück auf die Gläubigen in Makedonien und Achaja, die in dieser
Weise ein positives Urteil über den Glauben abgeben; parallel dazu
wird dann in 2,1-12 die Gemeinsamkeit dieser ei[sodo" der Apostel
aus Sicht der Thessalonicher entfaltet. Die Verse dienen der Absicht,
die Apostel als würdig darzustellen und ihr Handeln zu legitimieren.
Allerdings ist damit noch nicht der gesamte Zusammenhang
erfasst. Die beiden Texte, die von der Bekehrung und dem erfolg-
reichen Eingang sprechen, sind gerahmt von zwei Stellen, die vom
entscheidenden Ergebnis dieser Mission sprechen. Sowohl in 1,6-8 als
auch in 2,13-16 werden die Thessalonicher als vollgültige „Christen“
identifiziert. Paulus bezeichnet sie beide Male als „Nachahmer“
(mivmhtai). In 1,6-8 sind sie „Nachahmer der Apostel und des Herrn“,
in 2,13-16 sind sie „Nachahmer der Gemeinden Gottes, die da sind in
Christus Jesus“. Also sind auch hier wieder zwei unterschiedliche
Bezugspunkte angegeben. Welche Perspektiven dadurch genau
abgedeckt werden, muss noch genauer untersucht werden. Klar er-
sichtlich ist, dass Paulus mehrschichtig argumentiert.
Der eben dargestellte komplexe Zusammenhang wurde in der
Forschung bisher eher konstatiert als konsequent durchdacht.148 Zwar
mehren sich die Stimmen, die erkennen, dass die Auslegung nicht
mehr eklektisch vorzunehmen ist, dass etwa die Passage 2,13-16 nicht
für sich allein sprechen darf, sondern erst dann zu vollen Geltung
gelangt, wenn die Verse 2,1-12 mit in die Untersuchungen einbezogen
werden.149 Der Gesamtzusammenhang von 1,6-2,16 wurde aber bisher
noch nicht angemessen gewürdigt. Im Rahmen dieser Arbeit soll
gezeigt werden, dass dies für das Verständnis des 1Thess eine
wesentliche noch bestehende Lücke darstellt, da die Symmetrie, die
durch die Begriffe mivmhsi" – ei[sodo" – ei[sodo" – mivmhsi" angelegt
ist, wohl mit Absicht in dieser Weise konstruiert wurde. Die folgende
Auslegung will versuchen, diesem Sturkturschema gerecht zu werden.

148 In den Kommentaren geht man davon aus, dass der zweite Mimesisbegriff die
konsequente Wiederaufnahme des ersten ist, allerdings wurde der
Zusammenhang bisher nicht vertieft.
149 Darauf hat Hoppe, Verkündiger, 325f., kürzlich mit guten Gründen
hingewiesen.
62

2.2 Die Bekehrung der Thessalonicher (1Thess 1,9-10)

V. 9: aujtoi; ga;r peri; hJmw'n ajpaggevllousin oJpoivan ei[sodon


e[scomen pro;" uJma'", kai; pw'" ejpestrevyate pro;" to;n
qeo;n ajpo; tw'n eijdwvlwn douleuvein qew'/ zw'nti kai;
ajlhqinw'/,
V. 10: kai; ajnamevnein to;n uiJo;n aujtou' ejk tw'n oujranw'n, o}n
h[geiren ejk [tw'n] nekrw'n, jIhsou'n to;n rJuovmenon hJma'" ejk
th'" ojrgh'" th'" ejrcomevnh".

Als erster Text soll der von der Forschung mittlerweile intensiv
behandelte Abschnitt 1,9f. analysiert werden. Bereits Harnack las da-
rin die „monotheistische Missionspredigt in nuce“150, woraufhin Dob-
schütz dieser Fragestellung einen eigenen Exkurs in seinem Kommen-
tar zum 1Thess widmete.151 Friedrich versuchte ein „Tauflied helle-
nistischer Judenchristen“ daraus zu rekonstruieren152, und spätestens
seit der wichtigen Arbeit von Wilckens zu den Missionsreden der
Apostelgeschichte153 und dessen Einschätzung, dass man durch einen
Vergleich von 1,9f. mit Apg 14,15-17; 17,22-31 und Hebr 5,11-6,2 ein
Schema monotheistischer Missionspredigt rekonstruieren könne, sind
die Diskussionen um diese Stelle kaum mehr verstummt.154 Auch wenn
unterschiedliche Akzentuierungen gesetzt wurden, gab es zumindest
einen Grundkonsens: die Annahme, dass Paulus hier eine geprägte
Formel aus dem Missionskontext aufgegriffen hätte.155 Die These von
Wilckens wurde insbesondere durch den EKK-Kommentar von
Holtz156 widerlegt, der das Augenmerk auf die Herkunft aus der helle-
nistisch-jüdischen Diasporaliteratur gerichtet hat. Zwei Gründe sind
für diese Diskussion ausschlaggebend. Zum einen fällt auf, dass
Paulus auf Formulierungen zurückgreift, die er sonst vermeidet, zum

150 Harnack, Mission, 117.


151 Vgl. Dobschütz, 1Thess, 81f. Vgl. außerdem Dibelius, 1Thess, 6f.; Oepke,
1Thess, 127; Neil, 1Thess, 26f.; Dewailly, 1Thess, 38; Rigaux, Saint Paul, 387-
397, Morris, 1Thess, 39.
152 Friedrich, Tauflied, 502-516.
153 Wilckens, U., Missionsreden, 81-91.
154 Wilckens ist inzwischen selbst von seiner These abgerückt, da die Forschung an
dieser Stelle doch entscheidend weitergekommen ist. Jedoch ist der Einfluss
seiner Arbeit diesbezüglich nicht zu unterschätzen. Vgl. Theologie 1.3, 55, wo
er sich der Position von Holtz anschließt (s.u.).
155 Vgl. außerdem die Arbeit von Bussmann, Themen, 47-56, der versucht hat, die
Textstelle als Umformung der hellenistisch-jüdischen Missionspredigt zu inter-
pretieren.
156 Holtz, 1Thess, 56-60; vgl. ders., Glaube.
63

anderen kennzeichnet er den Text selbst als Aussage der „Gläubigen in


Makedonien und Achaja“ durch die Einleitung „denn sie selbst
berichten über euch, welchen Eingang...“ (1Thess 1,9a). Zwar scheint
die Schlussfolgerung, dass ein im Urchristentum festgeprägtes Zitat
verwendet wird, etwas voreilig, doch immerhin muss geklärt werden,
warum Paulus in dieser Weise formuliert. Ein Lösungsvorschlag kann
deshalb erst nach einer nochmaligen Analyse des Textes gemacht
werden.

2.2.1 Analyse

2.2.1.1 Auffälligkeiten

In einer kurzen Übersicht werden diejenigen Auffälligkeiten zusam-


mengestellt, die zu den bereits angedeuteten unterschiedlichen Ein-
schätzungen hinsichtlich des 1Thess geführt haben.

(1) Die Bekehrung der Heiden zu Gott ist mit ejpistrevfein ausge
drückt. Innerhalb der Literatur des hellenistischen Judentums wie
auch des frühen Christentums157 (außer Paulus) ist dieser Begriff
hinreichend belegt und kann mit Bussmann als terminus technicus
der Missionspredigt gelten.158 Paulus bevorzugt die Wendung
uJpakoh' bzw. uJpakoei'n159, bzw. pisteuvein in der Bedeutung
„zum Glauben kommen.“160 Das Verb ejpistrevfein findet sich
hingegen nur an zwei weiteren Stellen, nämlich in Gal 4,9 und in
2 Kor 3,16. Die Bedeutung im Gal ist jedoch negativ konnotiert
und meint nicht die Bekehrung zu Gott, sondern im Gegenteil den
Rückfall der Galater zu ihren stoicei'a, ihren alten Götzen.

157 Dtn 30,2; 1 Kön 7,3; 4 Kön 23,25; 2 Chr 6,26; 15,4; Jes 45,22; Jer 4,1; 15,19;
Hos 5,4; 6,1; Am 4,6.8.9.10; Mal 3,7; Thr 5,21; Neh 1,9; Tob 3,6; Bar 4,28;
TestJud 23,5; TestIss 6,3; TestDan 5,9.11; TestNaph 4,3; JosAs 11,11; TestAbr
A 10,14; B 12,13; Mt 13,15; Mk 4,12; Apg 3,10; 9,35; 11,21; 14,15; 15,19;
26,18.20; 28,27.
158 Vgl. Bussmann, Themen, 39 im Anschluss an Oepke, Missionspredigt, 25.
159 Vgl. zu uJpakohv Röm 1,5; 15,18; 2 Kor 10,5.6; zum Infinitiv uJpakouvein Röm
6,17; 10,16.
160 Vgl. Laub, Verkündigung, 29, mit Verweis auf Röm 1,5; 15,18; 2Kor 10,5.6
und Röm 13,11; 1Kor 3,5; 15,2.11; Gal 2,16. Konradt, Gericht 41f. weist jedoch
darauf hin, dass die Wortwahl auch stilistische Gründe haben könnte, da er auch
schon in V.8 pisteuvein gebraucht hat und deswegen ejpistrevfein anstelle von
ejpisteuvsate schreibt, um „die Dissoziation der thessalonischen Neu-Christen
von ihrer 'heidnischen' Vergangenheit zu betonen...“ (42).
64

Ebenso ist der Bezugspunkt in 2 Kor 3,16 ein anderer. Hier geht
es nicht um die Bekehrung von den Heiden zu Gott, sondern um
die theologische Erörterung der Gesetzesproblematik, wahr
scheinlich als paulinische Auslegung des Textes Ex 34,34 LXX.
Allerdings ist ejpistrevfein dort eine Modifikation des Textes,
die wahrscheinlich Paulus eingetragen hat. Im LXX-Text steht
eijsporeuveto.161
(2) Ebenso ist die Gottesprädikation ajlhqinov" in V. 9 der einzige Be
leg bei Paulus. Im NT taucht das Wort ansonsten nur in johannei
scher Tradition auf162, allerdings ist es, ebenso wie das an dieser
Stelle korrelierende, bei Paulus und im Frühchristentum belegte
zw'n, der alttestamentlich jüdischen Tradition zuzuweisen und
taucht besonders häufig in der jüdisch-hellenistischen Missionsli
teratur auf.163
(3) Ein weiteres auffälliges Indiz ist die Verwendung von ajnamevnein,
einem ntl. hapax legomenon. Wenn Paulus an anderen Stellen von
der Parusieerwartung spricht, verwendet er ajpekdevchsqai.164
Aber auch in diesem Fall wird man die Sprache der LXX an
nehmen dürfen, da dort an einigen Stellen ajnamevnein im Kontext
von Aussagen zum Thema Heilserwartung verwendet wird, in Jdt
8,16f. LXX sogar im Zusammenhang mit dem rechten
Gottesverhältnis.165
(4) Ferner fällt die Verwendung von rJuvesqai als Ausdruck für die es
chatologische Rettungshandlung Jesu auf. Nur in Röm 11,26 ver
wendet es Paulus in ähnlicher Weise, dort allerdings eindeutig

161 Hierzu vgl. Holtz, Glaube, 285.


162 Joh 7,28; 17,3; 1 Joh 5,20, Offb 3,7.
163 Zu qeo;" zw'n vgl. Num 14.21; Dtn 5,26; Jos 3,10; 1 Kön 17,36; 4 Kön 19,4.16;
Est 6,13LXX; Tob 13,2; Ps 41,3; 83,3; Jes 37,4.17; Hos 2,1; Dan 5,23LXX;
grHen 5,1; Jub 21,3f; TestAbr A 17,11; JosAs 8,5.6; 11,20; 19,8; TestHiob 37,2;
Sib III 763; qeo;" alhqino;" vgl. 2 Chr 15,3; Jes 65,16; 3 Makk 6,18; JosAs
11,10; VitProph 21,6; SibFragm. I 20; Fragm. III 46; Philo, SpecLeg I 332;
LegGai 366; Josephus, Ant XI 55, auch Ex 34,6; Num 14,18LXX; Ps 85,15;
TestHiob 4,11; u.ö.
164 Dazu vgl. Bussmann, Themen, 45. ajpekdevchsqai verwendet Paulus in Röm 8,
19.23.25; 1 Kor 1,7; Gal 5,5; Phil 3,20.
165 Vgl. außerdem TestAss 5,2. Vgl. Jdt 8,17; Sir 7,2, evtl. auch Jes 59,11 in
ähnlicher Verwendung wie im 1Thess. Jedoch ist mit Konradt, Gericht, 44,
darauf hinzuweisen, dass von diesen Belegen auf keinen Fall auf ein festge-
prägtes, frühchristliches Traditionsgefüge geschlossen werden darf, da
ajnamvenein nach der Verwendung im 1Thess erst wieder in den Ignatianen (Mg
9,2; Phld 5,2) zu finden ist.
65

unter Berücksichtigung von Jes 59,20 LXX.166 Ansonsten verwen


det Paulus den Begriff ausschließlich, wenn er von Rettung aus
Gefahr im rein profanen Sinne spricht.167 Die eschatologische
Rettertätigkeit wird ansonsten mit sw'/zein168 ausgedrückt.
(5) Traditionsgeschichtlich problematisiert wurde ebenso die Frage,
wie die Verbindung des Gottessohn-Titels mit der Parusieaussage
zustandekommen konnte, da diese Verbindung ansonsten nicht zu
finden sei. Interessant wäre eine solche Verbindung nur, wenn
man eine vorpaulinische Tradition ausmachen könnte169, von der
bloßen Verwendung der Begriffe geht zunächst noch keine Auf
fälligkeit aus. Als entscheidend wird dann auch die Verbindung
des Jesusnamens mit der Retterfunktion zu sehen sein, die ur
christlich breit bezeugt ist und ein wichtiges Überlieferungsgut
darstellt.170

Paulus gebraucht also zumindest auf den ersten Blick theologische


Schlüsselbegriffe, die nicht seinen typischen Sprachstil wiedergeben.
Die Verwendung weist in Richtung der LXX oder, etwas allgemeiner,
in die Literatur des hellenistischen Judentums. Würde man davon aus-
gehen, dass Paulus, wie er angibt, auf feste Traditionen zurückgreift,
so würde auch der Rest des Textes diesbezüglich keine Auffälligkeiten
bieten. Denn dort, wo die Wortwahl typisch paulinisch ist, ist sie auch
166 Wobei er in der Einleitung die für ihn sonst typische Formulierung sw'/zein
bringt! Insgesamt muss man sagen, dass ausgerechnet das Verb rJuvesqai sehr
selten verwendet ist, in eschatologischer Hinsicht kaum.
167 Vgl. Mattern, Verständnis, 83 mit Verweis auf Röm 15,31 und 2 Kor 1,10 für
den uneschatologischen Gebrauch (außerdem Röm 7,24; 11,26). Furnish, 2 Kor,
125 und Thrall, 2 Kor I, 120 erwägen allerdings auch für 2 Kor 1,10 eine escha-
tologische Interpretation im Sinne einer eschatologischen Rettungshandlung.
168 Vgl. 1Thess 2,16; Röm 5,9.10; 10,9; 1 Ior 1,18; 3,15; 5,5. Auch das Zitat aus Jes
59 leitet er in Röm 11,26 mit sw'/zein ein.
169 So wie in der älteren Forschung vertreten. Vgl. Kramer, Christos, 123 vermutet
eine sekundäre Verbindung, die allerdings bereits vorpaulinisch als
judenchristliche Formel im Umlauf gewesen sei; ähnlich Friedrich, Tauflied,
513, der daran denkt, dass ein für den hellenistischen Kontext unverständliches
„Menschensohn“ durch „Sohn Gottes“ ersetzt worden wäre; Laub, Verkündi-
gung, 32. Eine ursprüngliche Verbindung erkennt Hahn, Hoheitstitel, 287-292,
wenn er im Anschluss an Lk 1,32f. und Mk 14,16f. vermutet, dass der Sohnes-
titel ursprünglich mit der eschatologischen Messiasvorstellung zusammenhängt.
— Allerdings funktioniert diese „Auffälligkeit“ nur dann, wenn man eine ge-
prägte Formel voraussetzt. Sowohl das Gottessohnprädikat als auch den Jesus-
namen benutzt Paulus häufiger.
170 Vgl. Karrer, Jesus Christus, 47. Vgl. Mt 1,21; 21,15; Mk 3,4; 11,9 par.; Lk 1,69;
2,30; 3,6; Joh 12,13; Apg 13,23; 1 Tim 1,15; 2,3; 2 Tim 1,9; Tit 3,5.
66

typisch für die LXX – man beachte etwa die Wörter douleuvein171,
ojrghv172 oder die Gottesprädikation zw'n173. Doch bleibt diese Verortung
noch sehr vage, und so soll im Folgenden versucht werden, durch
weitere Überlegungen die verwendeten Traditionen weiter einzugren-
zen.

2.2.1.2 Deutungsversuche

Der eben analysierte Befund hat zu den unterschiedlichsten Deutungen


bzgl. der Herkunft des Textstücks geführt. Wohl ausgehend von Vers
9a, wo Paulus die Aussage als Zusammenfassung des Urteils der Ge-
meinden in Makedonien und Achaja über die Thessalonicher formu-
liert, wurden zahlreiche Versuche unternommen, einen von Paulus un-
abhängigen traditionellen Hintergrund in dieser Formulierung festzu-
stellen. Über Friedrichs Idee kann getrost hinweggesehen werden, da
sie keine Anhänger finden konnte. Er meint, ein Tauflied hellenisti-
scher Judenchristen hinter der Formulierung in 1,9f. zu entdecken, das
aus „zwei Strophen mit je drei Verszeilen“174 besteht. Dieser Ansatz ist
kaum nachvollziehbar, denn die gehobene Sprache mag man wohl
eher auf die traditionellen Sprachmuster zurückführen.175 Eine Ähn-
lichkeit zur Logienquelle, die an Hand eines Vergleichs mit Lk 12,8
und Mt 3,7 sowie auf das Fehlen des Passionskerygmas zurückgeführt
wird176, überfordert die Aussagekraft des Quellenmaterials erheblich.
Wesentlich größeren Einfluss auf die Forschung hatte die Arbeit
171 Vgl. zu Röm 7,6; 12,11; 14,18; außerdem: Gal 5,13; Röm 6,6 (dort allerdings
negativ);16,18; Gal 4,8f.; Röm 6,16-22.
172 Ex 6,6; 12,27;14,30; Jdc 8,34; 2 Kön 12,7; 22,18.44.49; 4 Kön 18,32; 2 Esr
8,31; 19,28 [= Neh 9,28]; Est 4,17t.z.; 1 Makk 2,60; Mi 4,10; 5,5; Jes 25,4;
36,15.18.20; 44,6; 47,4; 48,17.20; 49,7.26; 50,2; 52,9; 54,5.8. 59,20; 63,16; Ez
13,21.23; 37,23; Dan 3,88; Hiob 5,20; 22,30; 33,30; Sap 2,18; 16,8; 19,9; kaum
überschaubar in den Psalmen (6,5; 7,2, 16,13; 17,1; 32,19; 49,22; 55,14; 58,3;
70,2.4. 11; 90,3; 106,6.20). Außerhalb der LXX s. TestRub 4,10; TestSim 2,8;
TestGad 2,5; TestJos 4,3.8; 10,3; JosAs 12,7.11.12; 13,12; 15,12; 27,10; 28,4;
PsSal 4,23; PsSal 12,1; 13,4; 17,45; ApkSedr 16,7.
173 Paulus erwähnt nur an drei weiteren Stellen die Vorstellung eines lebendigen
Gottes, und zwar in Röm 9,26 als Zitat von Hos 2,1, sowie in 2 Kor 3,3 und evtl.
2 Kor 6,16. Auch sonst taucht der Begriff im NT nur sporadisch auf, etwa in Mt
16,16 und 26,63 (Schwurzusammenhang), in der oben schon erwähnten Stelle
Apg 14,15; in 1 Tim 3,15 und 4,10; Hebr 3,12; 9,14 sowie 10,31 und 12,22;
Offb 7,2; 15,7 10,5f. Außerdem 2 Klm 20,2; Ignatius, Phld 1,2; Herm, Vis II
3,2; III 7,2; Sim VI 2,2.
174 Friedrich, Tauflied, 508. Vgl. auch Bruce, 1Thess, 11.
175 Mit Holtz, 1Thess, 56.
176 Friedrich, Tauflied, 514-516.
67

Ulrich Wilckens zu den Missionsreden der Apostelgeschichte. Wil-


ckens interessiert sich für die Herkunft der Reden der Apostel-
geschichte und meint in Bezug auf die Acta-Reden 14,15-17 und
17,22-31, sowie Hebr 5,11-6,2 einen gemeinsamen motiv- und tradi-
tionsgeschichtlichen Hintergrund ausmachen zu können.

Die einzelnen Texte spiegeln das möglicherweise im Hintergrund liegende


Schema nur unterschiedlich wider. Wilckens selbst spricht deshalb zurück-
haltend von „Hinweise[n] auf derartige Überlieferungskomplexe.“ 177 Im
1Thess erkennt er die vier Aspekte (1) Bekehrung zu Gott und Abkehr von
den Götzen, (2) das Warten auf den Sohn aus den Himmeln, (3) Auf-
erweckungsaussage und (4) Retterfunktion vor dem Zorn Gottes. Das Sche-
ma würde sich auch aus den oben schon vermerkten sprachlichen Besonder-
heiten zu erkennen geben. Fünf Motive sind es, die im Hebr erhoben werden:
(1) Umkehr und Glaube, (2) Taufe, (3) Handauflegung (4) Totenauferste-
hung, (5) ewiges Gericht. Auf den ersten Blick mag der Zusammenhang
schwer nachzuvollziehen sein, zumal auch die Wortwahl eine andere ist.
Wilckens isoliert den Aspekt (1), da er grammatikalisch unabhängig und eine
eigene Tradition darstellen würde, und er meint tatsächlich dies als genügen-
den Grund für eine traditionsgeschichtliche Verortung anführen zu können.
Er folgert aus der Tatsache des unterschiedlichen Sitzes im Leben und der
Formelhaftigkeit, ein ausreichendes Indiz dafür zu haben, „die Wirksamkeit
ein und desselben Schemas zusammengehöriger Vorstellungen sichtbar zu
machen.“178 Die beiden Reden in Apg 14 und 17 böten dasselbe Schema. In-
teressanterweise ist sogar in Apg 14 dieselbe Wortwahl – ejpistrevfein, qeo;n
zw'nta – zu konstatieren. Allerdings ist dort das Bekehrungsschema nicht
vollständig ausgeführt, da auf der narrativen Ebene nicht die Bekehrung
thematisiert wird, sondern die Abwehr der Falschverehrung. In der
Areopagrede Apg 17 ist der gesamte Bekehrungsvorgang bis ins Detail
durchreflektiert – der Paulus der Apg bietet in der philosophischen Hochburg
Athen all seine intellektuellen Fähigkeiten auf. Außerdem findet sich dort in
der Tat dieselbe motivgeschichtliche Tradierung: (1) Buße, Abkehr vom bis-
herigen Götzendienst und Hinkehr (metavnoia) zum wahren Gott, (2) Ende
dieser Periode der Unkenntnis mit der Erwartung des Weltgerichts und (3)
Beweis: Auferweckung.

Alles in allem geht Wilckens eher synthetisch denn analytisch vor. So


erreicht er die gemeinsame Basis nur durch das Vermischen der vor-
kommenden Motive, ohne jedoch mehrere Elemente durchgängig zu
entdecken. Dies mag zumindest erklären, dass sich Paulus mit theolo-
gischen Fragestellungen auseinandersetzen musste, die nicht nur für

177 Wilckens, Missionsreden, 81.


178 Wilckens, Missionsreden, 84.
68

ihn, sondern für alle urchristlichen Missionare relevant waren und auf
ähnliche Weise gelöst werden sollten. Motivgeschichtlich kann man in
der Zusammenschau, wie es Wilckens tut, durchaus ein Schema mono-
theistischer Missionspredigt wiedererkennen, das jedoch für jeden Fall
eigens akzentuiert zu sein scheint.
Dennoch hat sich im Großen und Ganzen lange die Meinung ge-
halten, dass auch in 1,9f. ein Missionsschema der monotheistischen
Missionspredigt vorliegen würde, auch wenn immer mehr Stimmen
gegen die Verortung durch Wilckens laut wurden. Auf ein ent-
scheidendes Argument gegen Wilckens hat Holtz in seinem großen
Kommentar zum 1Thess hingewiesen. Er insistiert auf die Nähe des
Missionsschemas, wie es auch im jüdischen Roman „Joseph und Ase-
neth“179 vorkommt. Dort wie bei Paulus taucht ein sehr ähnlicher Be-
kehrungsvorgang auf – beide Male wird die Bekehrung mit
ejpistrevfein beschrieben, und beide Male ist auch die Bekehrungsbe-
wegung dieselbe: Im Mittelpunkt steht das Ziel der Hinwendung zu
Gott, die Abkehr von den Götzen wird als logische Folge begriffen,
nicht als Voraussetzung, wie es die anderen frühchristlichen Texte ver-
stehen. Holtz erkennt also in der Gemeinsamkeit zwischen dem pauli-
nischen Text und JosAs den entscheidenden Unterschied zu den von
Wilckens zum Vergleich herangezogenen Texten. Denn im paulini-
schen Text, so Holtz, geht es nicht wie in Wilckens Vergleichstexten
darum, eine Brücke zu bauen, die erst den jüdischen Gott vermittelt
und dann im Nachhinein die christliche Interpretation beifügt, sondern
im 1Thess erscheint der Bekehrungsvorgang zum jüdischen Gott be-
reits christlich interpretiert.180
Aber auch diese Konkretisierung auf den Horizont jüdisch-helle-
nistischer Missionspredigt beschränkt sich einzig auf den dargestellten
Bekehrungsvorgang. Damit mag man einzig verdeutlichen, dass die
These von Wilckens überholt ist, da die Formulierung eine Kombina-
tion aus der Auferstehungsaussage mit der typisch jüdisch-monotheis-
tischen Bekehrungsaussage ist.
In jedem Falle wird deutlich, dass es kaum möglich ist, ein fest-
geprägtes Schema hinter den einzelnen Aussagen aufzudecken, weder
aus dem frühchristlichen noch dem jüdisch-hellenistischen Kontext.
179 Vgl. JosAs 11,10f.: ajkvkoa de; pollw'n legovntwn o{ti oJ qeo;" tw'n Jebraivwn
qeo;" ajlhqinov" ejsti, kai; qeo;" zw'n, kai; qeo;" ejlehvmwn ... loipo;n tolmhvsw
kajgw; hJ tapeinhv, kai; ejpistrevyw pro;" aujtovn, kai; katafeuvxomai ejp j
aujtovn. „Ich habe viele sagen gehört: Der Gott der Hebräer ist ein wahrer Gott
und ein lebendiger Gott und ein erbarmender Gott ... So wage auch ich, die
Elende, es und wende mich zu ihm und suche Zuflucht bei ihm.“
180 Vgl. zum Zusammenhang, Holtz, 1Thess, 56-60, sowie ders., Glaube.
69

Allerdings mag es dennoch erhellend sein, die einzelnen Formulierun-


gen zu überprüfen und ihre Herkunft näher zu bestimmen. Nur so lässt
sich erklären, warum Paulus diese für ihn untypischen Formulierungen
gebraucht hat.

2.2.1.3 Die verwendeten Einzeltraditionen

(a) Die Auferweckungsaussage

Am einfachsten zu isolieren ist die Auferweckungsaussage. Hier kann


man relativ sicher davon ausgehen, dass Paulus auf den „Fundus“
frühchristlicher Theologie zurückgreift. „Paulus – wie auch andere
neutestamentliche Schriftsteller – zitieren und modulieren [die Auf-
erweckungsaussage] so häufig, daß wir hier mit einer Glaubensformel
rechnen können, die zwar noch nicht in ihrem Wortlaut, wohl aber in
ihren wesentlichen Bestandteilen festgelegt ist.“181 In 1 Kor 15,3-5 be-
stätigt Paulus sogar selbst, dass er die Formel – dort in ähnlicher For-
mulierung – aus der Tradition übernommen hat.182 Auch wenn die
Auferweckungsaussagen auf den ersten Blick zu differieren scheinen,
haben sie doch zwei charakteristische Konstanten. Zum einen ist die
Auferweckung immer im Aorist formuliert. Dies weist auf ein einmali-
ges Geschehen in der Vergangenheit hin. Zum anderen geht die Akti-
vität immer von Gott aus. Es handelt sich dabei um ein einmaliges
Handeln Gottes bei der Auferweckung Jesu. Holtz 183 und Konradt184
weisen mit Recht auf die auffälligen Unterschiede in einzelnen Formu-
lierungen hin, wenn sie argumentieren, es sei etwa auffällig, dass nur
noch in Eph 5,14 oder Kol 1,18 der Artikel in der Formulierung ejk
tw'n nekrw'n auftauche, ansonsten nur in der Konstruktion mit ajpov
(ajpo; tw'n nekrw'n) in Mt 14,2; 27,64; 28,7. Im missionarischen
Kontext lassen sich die Unterschiede innerhalb der Wortwahl ohne
weiteres erklären, geht es doch dort um den Inhalt der Missionspredigt
und nicht um die Wiedergabe festgeprägter Formeln. Vermutet man
allerdings hinter der gesamten Aussage in 1,9f. eine festgeprägte
181 Gnilka, Theologie, 16f. mit Verweis auf Röm 10,9; 4,24; 6,4; 8,11; 1 Kor 6,14;
2 Kor 4,14; Gal 1,1; 1Thess 1,10; Kol 2,12; Eph 1,20; 2 Tim 2,8; Apg 3,15;
4,10; 13,30; 1 Petr 1,21. Mt 14,2; 27,64; 28,7.
182 Nach Gnilka, Theologie, 10, kann die Formel schon im ersten Jahrfünft nach
Jesu Tod entstanden sein, wohl in einer griechisch sprechenden
judenchristlichen Gemeinde.
183 Holtz, Glaube, 291.
184 Konradt, Gericht, 44f.
70

Formel, die die Auferweckungsaussage mit einschließen würde, kann


man zumindest fragen, warum Paulus hier so frei formuliert.

(b) Der Bekehrungsvorgang

Aber wie geht man mit der Bekehrungsaussage um? Ist sie ebenfalls
der Missionsterminologie entnommen oder geht sie doch auf Paulus
zurück? An dieser Stelle ist es nötig, auf die eingangs schon angedeu-
tete Forschungsdiskussion zurückzukommen. Wie bereits festgestellt
wurde, kommt der Zusammenhang der Gottesprädikationen zw'n und
ajlhqinov" nur sehr selten vor. Holtz185 hat auf die besondere Nähe der
vorliegenden Textstelle zu einer Formulierung in Joseph und Aseneth
(JosAs 11,10) hingewiesen, wo die Bekehrung ebenso mit
ejpistrevfein beschrieben wird. Wie oben erwähnt, wird die Bekeh-
rung nicht als Folge von der Abkehr der nichtigen Götzen verstanden,
sondern genau umgekehrt erscheint die Abkehr von den Göttern als
Folge des Glaubens an den einen Gott.

(c) Die Parusieaussage

Für eine vollständige Lösung der traditionsgeschichtlichen Auffällig-


keiten muss außerdem die Parusieaussage untersucht werden. Insbe-
sondere die Wortwahl von rJuvesqai ist ungeklärt, da Paulus im
eschatologischen Zusammenhang lieber swthriva verwendet. Einen
interessanten Vorstoß, dieses Problem zu lösen, hat Wilk186 unternom-
men. Er nimmt an, dass man 1Thess 1,9f. auch als Anspielung auf Jes
59,19f. lesen könne. Sowohl in 1,9f. als auch in Jes 59,19f. ist die Er-
wartung der Parusie das Thema; beide Male geht es um den Retter (oJ
rJuovmeno" bzw. to;n rJuovmenon) aus dem Zorn (ojrghv) Gottes. Die
Verbindung dieser beiden Wörter ist sowohl im NT als auch in der
LXX singulär und schon von daher ähnlich auffällig wie das Zu-
sammenkommen der Gottesprädikationen ajlhqinov" und zw'n. Für diese
Stelle ist es jedoch möglich, einen direkten Bezug herzustellen. Wie
oben schon festgestellt wurde, verwendet Paulus ebenso in Röm 11,26
185 Dazu vgl. oben.
186 Vgl. im Folgenden Wilk, Bedeutung, 326-327. Die Wirkung dieses Ansatzes ist
noch relativ gering, zumindest auf das vorliegende Textstück gesehen. Konradt,
Gericht, 45, Anm. 123, bspw. widmet ihm nicht mehr als eine Fußnote, ohne
dabei den Ansatz positiv in seine Überlegungen einfließen zu lassen. Allerdings
liegt dies auch daran, dass selbst in Wilks Werk der Stelle nur der Status „wahr-
scheinlich“ zukommt und andere Passagen für die Rückfragen wichtiger
erscheinen.
71

rJuvesqai in eschatologischem Sinne, und dort wird der Zusammenhang


mit derselben Jesaja-Stelle besonders deutlich.187 Dass diese Überein-
stimmung kein Zufall sein kann, bestätigt der 1Thess selbst, da in der
Parusieaussage in 1Thess 5,8ff. ebenfalls Formulierungen aus demsel-
ben Zusammenhang bei Jesaja auftauchen.188
Auf die weiteren Argumente, die Wilk anfügt, wird in der Ausle-
gung noch genauer eingegangen werden. Insgesamt findet er im Kon-
text beider Textstücke noch eine Reihe weiterer Berührungspunkte:
Wilk kann etwa nachweisen, dass Paulus an mehreren Stellen die Rede
Jesajas vom tw'/ bracivoni aujtou' christologisch interpretiert.189 Weitere
vage Ähnlichkeiten im Kontext beider Texte190 legen nach Wilk den
Schluss nahe, dass „Paulus Jes 59,15-21 im Zuge seiner Ausführungen
in 1Thess 1,6-2,4 als Weissagung auf das – in der Gegenwart sich
ankündigende – Parusiegeschehen, das Gottes Zorn über die
Widersacher der paulinischen Mission heraufführen und die endgültige
Rettung der Christusgläubigen realisieren werde“, liest.191

2.2.1.4 Syntheseversuch

Wilks Analyse tritt keinesfalls in Konkurrenz zu den Erkenntnissen


von Holtz. Allerdings wird deutlich, dass die Formulierung ihren Aus-
gangspunkt bei der Interpretation des Jesajawortes nimmt. Im Mittel-
punkt steht dabei die christologische Umdeutung der Parusieaussage,
die Paulus mit der Bekehrungs- und der Auferweckungsaussage kom-
biniert.192 Man wird annehmen können, dass Paulus an dieser Stelle
selbständig argumentiert und bewusst die eben eruierten Traditionen
aufgreift, um die alttestamentliche Verheißung auf das Christusgesche-

187 Vgl. Wilk, Bedeutung, 199-202 sowie 242 mit Anm. 14.
188 Vgl. Wilk, Bedeutung, 322 zum Zusammenhang Jes 59,17 und 1Thess 5,8,
189 Vgl. die Wendung in Jes 59,16. Diese erscheint nach Wilk, Bedeutung, 245
auch in Röm 11,10-32 christologisch interpretiert. Ebenso deutet Röm 15,18 oJ
bracivwn kurivou aus Jes 53,1 in dieser Weise christologisch, vgl. Wilk,
Bedeutung, 233f.
190 Zu den weiteren Vergleichspunkten aus dem Kontext vgl. Wilk, Bedeutung,
326.
191 Wilk, Bedeutung, 327.
192 Holtz, 1Thess, 61f. hat ebenfalls darauf hingewiesen, dass die christologische
Aussage im Mittelpunkt der Ausführungen in 1Thess 1,9f. steht. Allerdings geht
er in seinen Folgerungen etwas zu weit, wenn er meint, dass man aufgrund der
Nähe zu JosAs und gegen die Nähe zu den Texten der Apg und des Hebr darauf
schließen müsse, dass die paulinische Missionspredigt nicht mit der
monotheistischen Predigt eingestiegen sei, sondern grundsätzlich mit dem
Christusereignis missionarisch geworben hätte.
72

hen hin zu interpretieren.


Ausgehend von diesen Überlegungen soll nun die Intention des
Textstücks geklärt werden. Auf der rein narrativen Ebene handelt es
sich um die Bekehrung der Thessalonicher zum „biblischen“ Gott. Auf
dieser Ebene hat auch Harnacks Einschätzung der Stelle als Missions-
predigt „in nuce“ weiterhin Bestand. Denn wenn auch die Analyse von
Wilckens als widerlegt erscheint, so hat dies allenfalls Bedeutung für
die sprachliche und traditionelle Herleitung des Textes, jedoch keines-
falls, was die Motive anbelangt. Diese zeigen, dass Paulus, wenn er
sich auf die missionarische Grundlagenarbeit bezieht, auf dieselben
Aspekte verweist, die auch in anderen Texten ausgebreitet werden.
Andererseits darf man dies, da keine traditionelle Grundlage zu erken-
nen ist, nicht überbewerten. Es beweist jedoch, dass Paulus bei der Be-
kehrung der Heiden mit denselben Problemen wie andere urchristliche
Missionare konfrontiert war. Inwieweit dadurch aber ein tatsächliches
Bild von der Erstverkündigung erhoben werden kann, soll vorerst of-
fen bleiben.
Ein gewichtiger Einwand gegenüber der Einschätzung, Paulus
beziehe sich auf die tatsächlichen Vorgänge der Erstverkündigung, fin-
det sich bei Munck.193 Er weist darauf hin, dass auch 1 Kor 2,1-5 so-
wie Gal 3,1-5 zusammenfassend auf die Grundzüge der Missionspre-
digt eingehen. Im Mittelpunkt stünde demnach die Verkündigung des
gekreuzigten Herrn.194 Von daher zieht er in Zweifel, dass man 1,9f.
als (vollständige) Zusammenfassung der Missionspredigt in Thessalo-
nich lesen dürfe.195 Munck will zeigen, dass es Paulus in 1,10 in erster
Linie darum geht, die Problematik, die in 4,13-18 und 5,1-9 angespro-
chen ist, vorzubereiten.196 D.h. also die christologische Aussage sei
vorbereitend auf die Anfrage bzgl. des Problems der bereits vor der
Parusie verstorbenen Christen und zugleich auf seine Ausführungen
zum Kommen der Parusie überhaupt formuliert. Die Formulierungen
in 1,9 hingegen würden die ethischen Erläuterungen vorbereiten, wie
sie speziell in 4,1-8 auftauchen. Grund hierfür sei die Tatsache, dass
die neubekehrten, ehemaligen Heiden konkrete Hinweise nötig hatten
hinsichtlich der Lebensführung, wie es durch das douleuvein qew/ zw'nti

193 Vgl. Munck, Preaching. Im Anschluss an dessen Ansatz als Weiterführung ist
der Aufsatz von Hooker, Nutshell, zu beachten.
194 Vgl. Munck, Preaching, 104-105.
195 Zur Kritik dieser These vgl. die Anmerkungen zu Söding in Kapitel 1.3.2 dieser
Arbeit.
196 Ein ähnliches Vorgehen entdeckt Munck übrigens auch im Gal sowie 1 Kor
1,2.7 (108).
73

kai; ajlhqinw'/ ausgedrückt war.197


Im Grunde genommen ist Munck zuzustimmen, wenn er meint,
die Formulierungen in 1,9f. würden paränetischen Interessen dienen.
Zumindest für die Nähe von 1,10 zu 5,1-13 konnte Wilk nachweisen,
dass hinter beiden Passagen ein Reflex auf Jes 59 zu erkennen sei. Al-
lerdings ist damit wohl noch keine ausreichende Antwort auf die Frage
nach der Intention des Abschnitts gegeben. Um diesbezüglich zu ei-
nem befriedigenden Ergebnis zu kommen, müssen auch andere Sach-
verhalte untersucht werden – etwa die Frage, ob Paulus Jesaja deswe-
gen heranzieht, um seine eigene Theologie zu legitimieren,198 oder
welche Stellung die Verse im Rahmen des hier untersuchten Gesamt-
zusammenhangs von 1,6-2,16 haben.199 Zudem zeigt die Sprache, die
sehr an der LXX orientiert ist, dass Paulus bei seinen Adressaten ein
großes Vorwissen voraussetzt. Und wenn nicht eine Zusammenfas-
sung der Missionspredigt geboten ist, so muss gerade deswegen da-
nach gefragt werden, warum Paulus in dieser speziellen Weise argu-
mentiert.200 Das Motiv der Umkehr von den ei[dwla hin zum biblischen
Gott ist jedenfalls eindeutig innerhalb des Textes nachzuweisen. Selbst
wenn die Verse 1,9f. nicht den Bekehrungsvorgang beschreiben wol-
len, so implizieren sie dennoch die Frage nach der Möglichkeit des Er-
folges der Missionare vor der heidenchristlichen Gemeinde. Im Fol-
genden soll deshalb der Text interpretiert werden, indem zunächst
mögliche Berührungspunkte zwischen den Inhalten der Verkündigung
und dem Verständnishorizont der Thessalonicher aufgedeckt werden
sollen, die die Bekehrung ermöglicht haben, um dann den Text für sich
197 Vgl. Munck, Preaching, 109f. Allerdings verweist Munck ausdrücklich auf den
hypothetischen Charakter dieses Vorschlags. Hooker, Nutshell, hat nun
versucht, die These Muncks zu erneuern. Sie weist zugleich auf die doppelte
Verwendung der ei[sodo"-Formulierung hin und will nachweisen, dass selbst
Kapitel 2 schon damit angedeutet sei. Leider räumt Hooker der Beweisführung,
dass keine festgeprägte Intention im Hintergrund stehe, mehr Platz ein als der
positiven Ausführung der eigenen These, sodass am Ende die Ergebnisse nur
dicht gedrängt angedeutet werden. Gerade aber hinsichtlich der Ausführungen
zum doppelt verwendeten ei[sodo" wäre doch hinzuweisen auf die
Gesamtstruktur, und deshalb wäre es sinnvoller, nicht nur 1,9 als auf den Brief
hin formuliert anzunehmen, sondern die gesamte Argumentationsstruktur des
Textes zu erschließen.
198 Auch wenn die Jesaja-Stelle im Zusammenhang mit 5,9 wieder auftaucht, muss
man sehen, dass Paulus nicht nur vorbereitet, sondern auch theologisch zu
argumentieren scheint.
199 Vgl. die in 2.1 vorgeschlagene Interpretationsgrundlage.
200 Außerdem würde die Eruierung einer tatsächlichen Zusammenfassung der
Missionspredigt ebenso nach der Intention im Briefzusammenhang fragen
müssen.
74

zu interpretieren. Dabei sollen Bezüge zu anderen Passagen innerhalb


des 1Thess keinesfalls verschwiegen werden, jedoch darf sich das Ver-
ständnis auch nicht allein darauf beschränken, als ginge es allein um
die Vorbereitung der Lösung drängender Fragen innerhalb der Ge-
meinde der Thessalonicher.

2.2.2 Interpretationen

2.2.2.1 Der Eingang der Apostel in Thessalonich

Auf der narrativen Ebene erscheint der Text als Schilderung der
ei[sodo" der Apostel und der damit einhergehenden erfolgreichen Hin-
wendung der Thessalonicher zum jüdischen Gott, wie es die Gemein-
den aus den Provinzen Achaja und Makedonien dem Paulus geschil-
dert haben. Paulus spricht nicht nur von der Bekehrung, sondern führt
das Missionswerk auf seinen (und seiner Mitarbeiter) „Eingang“ in
Thessalonich zurück, stellt damit also die Bedeutung seiner Person ex-
plizit in den Mittelpunkt. Das Wort ei[sodo" ist in diesem Zusammen-
hang nicht eindeutig zu übersetzen, kann es doch in passiver Verwen-
dung auf pro;" uJma'" verweisend die Aufnahme des Wortes durch die
Thessalonicher ausdrücken, in aktiver Wendung hingegen im Blick auf
das peri; hJmw'n auch das Auftreten der Apostel charakterisieren. Mit
Dobschütz kann man deswegen annehmen, „daß Paulus gar nicht so
scharf beide Bedeutungen auseinander hielt.“201
In den folgenden Untersuchungen soll nun dieser so knapp ge-
schilderte Eingang, explizit also die Bekehrung der Thessalonicher,
auf die Möglichkeit des Erfolges untersucht werden. Die Auslegung
des Textes wird deshalb in folgenden Schritten vollzogen: ein erster
Untersuchungsgang gibt grundsätzlich Auskunft über das inhaltliche
Ziel der Bekehrung, nämlich die Verkündigung des jüdischen Gottes.
In einem zweiten Schritt wird dann nach Anknüpfungspunkten für die
christliche Missionspredigt gesucht. Diesbezüglich werden konkret die
Religiosität der Thessalonicher untersucht sowie der allgemeine Hori-
zont des damaligen theologischen Denkens. In einem dritten interpre-
tatorischen Schritt schließlich wird die Bekehrungsbewegung, wie sie
der Text beschreibt, nochmals genauer ausgelegt. Diese Auslegung
soll den Vollzug des neuen Glaubens deutlich machen sowie die Frage
nach der Christologie aufnehmen.

201 Dobschütz, 1Thess, 75. Für 2,1 wird man hingegen die aktive Bedeutung
voraussetzen dürfen, doch dazu s.u.
75

2.2.2.2 Die eigentliche Aufgabe: Die Verkündigung des


alttestamentlichen Gottesglaubens

Der Erfolg der Missionare steht und fällt mit der Vermittlung des
jüdisch-biblischen Gottes. Es ist nicht alleine der Monotheismus, der
diesen Gott zu etwas Besonderem macht und der im Dialog mit den
Griechen zu unzähligen Missverständnissen geführt hat.202 Erst wenn
dieses Gottesverhältnis mit all seinen Konsequenzen bewusst wird,
kann es als verstanden gelten. Der Unterschied zwischen dem jüdi-
schen Gott und anderen griechischen Göttern, ja auch zu monotheisti-
schen Konzepten Griechenlands ist groß und darf nicht übersehen wer-
den. Treffend hat diesen Unterschied E. Aurelius auf den Punkt ge-
bracht, wenn er schreibt:

„Als Israel starb, starb nicht Jhwh - und deshalb starb auch Israel
nicht. Das ist das Besondere an diesem Volk: daß es seinen politi-
schen Untergang überlebte. Anders gesagt: Das Besondere am Al-
ten Testament ist seine Existenz.“203

Hier zeigt sich also folgendes: Der jüdische Gott ist mit keinem Gott
der Religionen seiner Umwelt zu vergleichen. Er erweist sich als stark
und ist eine tiefe Beziehung mit seinem Volk eingegangen, die sich
letztlich unabhängig für seine eigene Existenz erweist. Dieser Gott ist
nicht untergegangen, sondern er ist mit der Geschichte seines Volkes
und gerade aufgrund vieler Niederlagen seines Volkes gewachsen und
immer stärker geworden. Niederlagen wurden nicht als Versagen Got-
tes interpretiert, sondern als Verfehlungen des Volkes Israel im Ver-
hältnis zu seinem Gott. Dies wird meistens als Grund dafür angesehen,
dass sowohl Israel, als auch der Glaube an den Gott Israels nie aufge-
hört haben zu existieren.204
202 Auch im griechischen Denken gab es ein wachsendes Interesse an der
Reduzierung vieler Götter auf einen einzigen Wahrheitsursprung hin, vgl.
hierzu unten, 2.2.2.5.
203 Aurelius, E., Israel, 325.
204 Vgl. z. B. Lang, NBL, Art. Monotheismus, 836. Es würde an dieser Stelle zu
weit führen, auf die Forschungen der atl. Wissenschaft zur Frage nach der
Entwicklung zum Monotheismus einzugehen. Zur Zeit des Paulus war dieser
jüdische Monotheismus mit all seinen Konsequenzen bereits Realität und nicht
mehr zu hinterfragen. Einen guten Einblick in die atl. Forschung vermitteln etwa
die (selektiv ausgewählten, neueren) Arbeiten von Aurelius, Israel; Herr, JHWH;
Niehr, Weg; Zwickel, Religionsgeschichte; Wacker, Monotheismus; Stolz, Gott;
76

Dieses besondere Gottesverhältnis muss Paulus nun auch seinen


Hörern zu vermitteln versucht haben, bietet er seinen Anhängern
schließlich keine weitere Alternative im Rahmen polytheistischer
Frömmigkeit, sondern fordert er eine ausdrückliche Bekehrung zu
einem exkulsiv verstandenen Monotheismus. Liest man den 1Thess
aufmerksam, so erkennt man sofort, dass dieses Gottesverhältnis ein-
deutig vorausgesetzt wird, etwa in dem knapp formulierten Bekenntnis
in 1,9f., in dem Paulus die „toten“ Götzen dem „lebendigen“ und
„wahren“ Gott gegenübergestellt (1,9f.),205 oder in 2,15f., wenn er vom
„Zorn Gottes“ gegen die Juden spricht.206 Die Selbstverständlichkeit,
mit der Paulus dieses Gottesbild voraussetzt, lässt darauf schließen,
dass diese Fragestellung wohl auch im Mittelpunkt der paulinischen
Bemühungen stehen musste.
An dieser Stelle interessiert besonders das „Wie“ dieser Vermitt-
lung. Nicht die theologische Aussage des Paulus als solche soll inter-
pretiert werden, sondern der missionarische Weg, der diese Aussage
im Brief möglich gemacht hat, soll rekonstruiert werden. Daher ist es
nötig, vor der Auslegung des Gottesverständnisses in 1,9f. zuerst nach
möglichen Ansatzpunkten bei den Hörern der paulinischen Predigt zu
suchen. In einem ersten Schritt soll die (religiöse) Zusammensetzung
der Gemeinde untersucht werden (2.2.2.3), bevor auf das religiöse
Umfeld Thessalonikis eingegangen werden soll (2.2.2.4). Schließlich
soll – parallel zur Frage nach dem biblischen Monotheismus – der Idee
des einen (Gottes) in der griechischen Philosophie nachgegangen
werden, die eventuell auch einen Ansatzpunkt für die paulinische Mis-
sion bilden konnte (2.2.2.5). Nach diesen drei grundlegenden Arbeits-
schritten, sollten genügend Ansatzpunkte gefunden sein, die erklären
können, inwieweit das in 1,9f. gesagte von den Thessalonichern auch
wirklich verstanden werden konnte. Zugleich kann man erst dann be-
werten, welche Anstrengungen inhaltlicher Art Paulus meistern musste
und welche Voraussetzungen eine frühchristliche Bekehrung auch
wirklich erst möglich machten. In einem abschließenden Schritt
(2.2.2.6) soll schließlich die theologische Aussage der beiden Verse
interpretiert werden.

Loretz, Einzigkeit; Weippert, Synkretismus; Lang, NBL, 834-844, Zenger,


Monotheismus. Zur Analyse des Gottesnamens JHWH sind auch die Analysen
von Görg, Wege; ders. NBL 2, 260-262; ders., Beziehungen; ders.; YHWH.
205 Zur Analyse des Gottesbildes vgl. unten, 2.2.2.6.
206 Vgl. die Analyse in Kapitel 2.4.3 dieser Arbeit.
77

2.2.2.3 Die Zusammensetzung der Gemeinde

Nach dem Zeugnis des 1Thess setzt sich die dortige Gemeinde aus
ehemaligen Heiden zusammen. Die Aussage in 1,9f. ist eindeutig auf
diejenigen bezogen, die sich von ihren Göttern abgewandt haben, um
dem wahren und lebendigen Gott zu dienen. Aus ehemaligen Heiden
wurden Christen, die nun an den biblischen Gott glauben mit allen nö-
tigen Konsequenzen, die daraus folgen.

(a) Hinweise auf vorpaulinische Mission?

Reiser207 hat versucht nachzuweisen, dass Paulus in 1,9f. auf die Be-
kehrung der Thessalonicher vor seiner Ankunft in der Stadt anspielen
würde, d.h. dass er zumindest, wie es auch die Apostelgeschichte
nahelegt, vor Gottesfürchtigen gepredigt hat und daher einen so
sicheren Missionserfolg erzielen konnte. Nach Reiser müsste dann
aber ejpistrevfein plusquamperfektisch aufgefasst werden und sich auf
christliche Missionsleistungen beziehen, die schon vor dem Auftreten
des Paulus erzielt worden seien. Allerdings wird diese Interpretation
dem Text nicht gerecht, da die Rede von der ei[sodo" des Paulus
eindeutig auf das ejpistrevfein der Thessalonicher bezogen ist und
somit ein direkter Zusammenhang zwischen dem Auftreten der
Missionare und der Hinwendung der Thessalonicher zum Glauben be-
stehen muss. Die Bekehrung zu Gott wurde demnach durch die Mis-
sion des Paulus in die Wege geleitet.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob die bekehrten Heiden ein
jüdisches Vorwissen abrufen konnten. Von Diasporasynagogen ist be-
kannt, dass sie auch für Nicht-Juden offen waren, sodass Inhalte jüdi-
schen Glaubens auch für Außenstehend zugänglich war. Welche Kon-
sequenzen dieser Sachverhalt für die Situation in Thessalonich haben
könnte, soll im Folgenden erörtert werden.

(b) Gottesfürchtige als Mitglieder der Gemeinden?

Viele Autoren nehmen an, dass die Neubekehrten im Einflussbereich


der Synagoge gestanden hätten, da man sich ansonsten schwer erklä-
ren kann, wie in so kurzer Zeit so viel Glaubensinhalte vermittelt
werden konnten.208 Holtz etwa meint, dass das Umfeld der Synagoge

207 Reiser, Paulus, 91.


208 Zwar wird man die Angabe der Apg, die Erstverkündigung hätte sich lediglich
über einen Zeitraum von drei Sabbaten erstreckt, als Übertreibung werten
78

„das hauptsächliche Missionsfeld des Paulus“ sei, und führt aus:

„Der Brief setzt voraus, daß die Gemeinde vor nicht sehr langer
Zeit gegründet ist. Er bedient sich gleichwohl einer Sprache, die
durch das Judengriechische wesentlich bestimmt und zu einem
entschiedenen Teil nur dem voll verständlich ist, der dieses kennt.
Will man nicht annehmen, daß Paulus an seinen Lesern vorbeire-
det, muß man voraussetzen, daß sie mit dieser Sprache vertraut
waren, d.h. in ihrer Mehrheit dem hellenistischen Kreis ent-
stammten, der sich in vielfältig abgestufter Weise um die Synago-
ge sammelte, ohne doch zum Judentum überzutreten und damit
sein angestammtes sozio-kulturelles Umfeld radikal aufzuge-
ben.“209

Vom Brocke versucht diese These von Holtz mit dem Hinweis zu rela-
tivieren, dass im gesamten Brief kein einziges Zitat aus der LXX zu
finden sei und die sprachlichen Bezüge auf die Herkunft des Paulus zu
beziehen wären. „Insofern dürften Reste ‚judenchristlichen’ Sprach-
stils, auch wenn sie sich in einem Brief an eine makedonische Ge-
meinde finden, nicht überbewertet werden.“210 Vom Brocke versucht
damit die Behauptung zu stützen, dass sich die Gemeinde der
Thessalonicher alleine aus heidenchristlichen Mitgliedern zusammen-
gesetzt habe. Jedoch verkennt er dabei die Problemlage völlig. Zu-
nächst sind die Bezüge zur LXX nicht ganz so lückenhaft wie er
meint.211 Zudem darf man den Hinweis auf den Einflussbereich der Sy-
müssen. Damit soll allerdings suggeriert werden, dass die Abreise des Paulus in
einem sehr frühen Stadium der Mission erfolgte. Dies bestätigt nämlich auch der
Brief selbst. Nach 1Thess 2,17 ist Paulus erst vor kürzester Zeit aus Thessalo-
nich abgereist und hätte sein Missionswerk gerne noch fortgesetzt, wurde jedoch
daran gehindert (deshalb hat er ja auch Timotheus geschickt, siehe 3,2.5.6).
209 Holtz, 1Thess 10. Vgl. auch Holtz, Traditionen, 56f. Ähnlich argumentieren
Morris, 1 Thess, 18. Marxsen, 1Thess, 20. Etwas zurückhaltender formulieren
Malherbe, 1Thess, 56; Collins, First Letter, 773, Downing, Paul's Drive, 361.
Erneut aufgegriffen und umfassender begründet hat diese Idee Blumenthal in
seinem Aufsatz über die Adressaten des 1Thess, vgl. Blumenthal, Adressaten.
210 Vom Brocke, Thessaloniki, 115. Dass es sich nicht um Juden handelt, kann vom
Brocke schließlich durch die Argumentation stützen, dass die Gegner der
Thessalonicher in 2,14 aufgrund ihrer Kennzeichnung als sumfulevtai zu
bezeichnen sind und deswegen – da zur Zeit des Paulus die Phylenverfassung in
Thessalonich noch bedeutend war, in der Juden kaum Mitglieder sein konnten –
eindeutig als Heiden ausgewiesen seien. Vgl. hierzu die Ausführungen in
Kapitel 2.4.2.2 dieser Arbeit.
211 Wenn sich auch kein direktes LXX-Zitat ausmachen lässt, so konnte Wilk,
Bedeutung, jedoch zeigen, dass zumindest Jes 59 den Hintergrund für die
Formulierungen in 1,9f. sowie 5,9ff. bildet (zu Wilks Auslegung vgl. 2.2.1 und
79

nagoge nicht ohne Kommentar ausklammern, da man damit noch


keine Erkenntnis über die tatsächliche Religiosität bzw. den Bekeh-
rungsstatus der im Einflussbereich der Synagoge stehenden Personen
gewonnen hat. Dies wird im Folgenden noch zu klären sein.
Zweifel an der Darstellung der Apostelgeschichte sind allerdings
– zumindest was die Behauptung angeht, dass auch Juden Mitglieder
der Gemeinde waren – angebracht. Dem Schema des Lukas getreu
ging Paulus zunächst in die Synagoge, um vor den Juden zu predi-
gen.212 Nach der Apostelgeschichte setzt sich also die neu gegründete
christliche Gemeinde in Thessalonich aus einigen Mitgliedern der jü-
dischen Gemeinde sowie einer hohen Zahl an Gottesfürchtigen und
vornehmen Frauen (Apg 17,4) zusammen. Eine Predigt vor Heiden
wird nicht berichtet, was aufgrund der kurzen Darstellung, nach wel-
cher Paulus Thessalonich bereits nach drei Sabbaten wieder verlassen
musste, auch kaum möglich ist.213 Für einen zweiten Missionsgang vor
den Heiden blieb demzufolge also gar keine Zeit mehr. Notgedrungen
musste sich nach diesem Konzept die paulinische Gemeinde aus dem
Umfeld der Synagoge rekrutieren. Der Missionserfolg bei den Gottes-
fürchtigen führt nach dieser Darstellung zu einem Konflikt mit der jü-
dischen Gemeinde, da die christliche Mission von den meisten Juden
nicht nur abgelehnt wird, sondern mit dem Abwerben der Gottesfürch-
tigen zusätzlich der Konflikt zwischen Juden und Christen geschürt
wird. Allerdings darf man dieser Darstellung keinen allzu hohen histo-
rischen Wert beimessen.214 In der Ablehnung durch die eifersüchtigen
Juden folgt Verfasser der Apostelgeschichte nachweislich einem Sche-
ma.215
Will man einen historischen Kern aufdecken, liefert die Apg

2.2.6 dieser Arbeit).


212 Zum Schema vgl. Lüdemann, Apg, 192.
213 Paulus arbeitete während seines Aufenthaltes, um niemanden zu belasten,
zudem empfing er nach Phil 4,16 mehrere Male aus Philippi Unterstützung, was
bei einer Beschränkung des Aufenthalts auf 3-4 Wochen wohl nicht sinnvoll
wäre. Vgl. auch Lüdemann, Apg, 195.
214 Nach Alvarez-Cineira, Religionspolitik, 270, versuchen die Juden „die
Verbannung der neuen Eindringlinge zu erreichen ..., um die Gottesfürchtigen,
die Frauen der Prominenten sowie die abtrünnigen Judenchristen wieder für sich
zu gewinnen, ohne auf diese selbst zu viel Druck auszuüben ...“ Ob allerdings
die Angaben der Apg historisch gelesen werden dürfen, ist äußerst zweifelhaft
(vgl. hierzu Kapitel 2.4 dieser Arbeit). Zumindest kann die These, dass die
Juden die Unruhen in Thessalonich auslösten, nicht überzeugend. Einen
historischen Kern hinter dem Aufruhr um Jason und der Auseinandersetzung
mit den Stadtoberhäuptern nimmt auch Lüdemann, Apg, 195 an.
215 Vgl. nur Apg 13,45; 14,2; 14,19; 18,5f.; 19,8-10; etc.
80

eventuell den Nachweis, dass es im ersten Jahrhundert bereits Juden in


Thessalonich gab. Archäologische Funde ergeben erst für das 4. Jahr-
hundert n. Chr. Gewissheit für die Existenz einer Synagoge,216 eine jü-
dische Grabinschrift217 belegt darüber hinaus schon für das Ende des 2.
Jahrhunderts n. Chr. jüdisches Leben in der Stadt. Diese schwache
Quellenlage sollte allerdings nicht als hinreichender Beleg dafür aus-
gewertet werden, dass es in Thessalonich keine jüdische Gemeinde
gab. Philo von Alexandrien erwähnt in legatio ad Gaium 281 einen
Brief Agrippas I. an Kaiser Gaius Caligula, wonach Makedonien eine
jüdische Kolonie sei.218 Auch wenn in diesem Zusammenhang die For-
mulierung Makedonien sehr allgemein gehalten ist, so wäre es alles
andere als wahrscheinlich, dass die Hauptstadt der Provinz nicht mit-
gemeint war.219 Auch sollte man dem Historiker Lukas insofern ver-
trauen, als er in Sachen Lokalkolorit seine Zuverlässigkeit gerne unter
Beweis stellt.220
Setzt man eine Synagoge voraus, wird man ebenso die nicht-
jüdischen Sympathisanten dieser Synagoge voraussetzen müssen221,
die sich in ihrem Umfeld aufhielten, jedoch entweder für einen voll-
ständigen Übertritt zur Synagoge nicht bereit waren oder aber diesen
Schritt aufgrund der strengen Aufnahmekriterien von jüdischer Seite
nicht vollziehen wollten. Eine Teilnahme am Synagogengottesdienst
war damit dennoch möglich. Siegert hat darauf hingewiesen, dass
diesbezüglich keine Zugangsbeschränkungen nachzuweisen sind. Die
Gottesdienste waren, so weit dies aus den Quellen zu erheben ist,
öffentlich.222
Schwierig wird es, wenn man die heidnischen Personengruppen

216 Lifshitz / Shiby, Synagogue, 368-378 (T. 35f).


217 CIJ I 506.
218 Agrippa warnt in seinem Brief Kaiser Caligula davor, den Tempel in Jerusalem
für den Kaiserkult zu vereinnahmen mit dem Hinweis auf den großen Einfluss
der Juden in weiten Teilen des römischen Reiches.
219 So auch vom Brocke, Thessaloniki, 216.
220 Zwar gibt es keinen Konsens, was Lukas nun nach seinen Interessen dargestellt
hat und was vorgegeben war, jedoch ist zu beobachten, dass er an vielen Stellen
– man gestatte die moderne Ausdrucksweise – detailgenau recherchiert zu haben
scheint. Vgl. etwa die Hinweise bei Breytenbach, Paulus, 29-31 (zu Apg 13-14),
mit Verweis auf die grundlegenden Überlegungen von Theißen, Lokalkolorit, 7-
14.
221 Zur Begriffsgeschichte vgl. Wander, Gottesfürchtige; Siegert, Gottesfürchtige;
Solin, Juden; Krauter, Bürgerrecht, 214-228; Woyke, Götter, 132-154.
222 Vgl. Siegert, Gottesfürchtige, 130. Nach Apg 13,44 sei zur Predigt des Paulus
im pisidischen Antiochien die ganze Stadt zusammengekommen. Außerdem
verweist Siegert auf die Belege bei Jos. Bell. VII 45; Apg 15,21.
81

im Umfeld der Synagogen eindeutiger identifizieren will. Die Gottes-


fürchtigen sind bei genauerer Betrachtung keine homogene Größe. Zu
fassen sind sie zumeist mit Begriffen wie fobouvmeno", sebovmeno"
to;n qeovn, qeosebhv" oder metuens. Allerdings stellt die Terminologie
nur Bezüge zum Phänomen der Nähe zur Synagoge her, ist aber nicht
geeignet, unterschiedliche Ausprägungen begrifflich eindeutig
festzuschreiben. Hierfür müssen die Quellen von Fall zu Fall
hinterfragt werden. Cohen223 etwa nennt folgende sieben Kriterien,
nach denen das Interesse am und die Zuneigung zum Judentum durch
Heiden beschrieben werden kann: (1) „admiring some aspects of
judaism“, (2) „acknowledging the power of the God of the Jews“, (3)
„benefiting the Jews or being conspicously friendly to Jews“, (4)
„practicing some or many of the rituals of the Jews“, (5) „venerating
the God of the Jews and denying or ignoring the pagan gods“, (6) „joi-
ning the Jewish community“ und (7) „converting to the Jewish com-
munity.“224 Das Interesse vieler Griechen an der jüdischen Religion
lässt sich also keinesfalls, wie lange Zeit angenommen, auf den bil-
derlosen Ein-Gott-Glauben reduzieren oder auf die Ethik225, da man
hier Anknüpfungspunkte zur griechischen Philosophie zu erkennen
glaubte. Es kann auch gezeigt werden, dass jüdischen Bräuche ins
Zentrum des Interesses rücken konnten, etwa der Tempelkult226 oder
das Einhalten von Sabbat und Speisegeboten.227 Allerdings kann auch
damit nichts über die Intensität dieses Interesses ausgesagt werden.
Mit diesen Feststellungen ist zunächst für die Charakterisierung
der Neubekehrten in Thessalonich noch wenig gewonnen. Da im
Zentrum der Fragestellung die inhaltliche Bekehrung zu Gott steht,
muss die Nähe zum Judentum hinsichtlich der Einstellung zum mo-
notheistischen Gottesbild gesucht werden. Wendet man den Blick auf
die Darstellung in Apg 17,4, wird eine Gruppe identifiziert, die Lukas

223 Vgl. Cohen, Respect, 19-33.


224 Vgl. auch Wander, Gottesfürchtige, 234, der fünf unterschiedliche Gruppen
unterscheidet, und zwar (1) die Proselyten, die durch Beschneidung voll in die
jüdische Gemeinschaft aufgenommen worden sind, (2) die Gottesfürchtigen, die
vom jüdischen Gottesglauben überzeugt sind, jedoch vor einem vollen Übertritt
zum Judentum zurückscheuen, (3) die Sympathisanten, (4) die Interessierten
sowie (5) die Nachahmer, die sich etwa am Kult orientieren.
225 Vgl. etwa bei Broer, Konversion, 157 oder Walter, Christusglaube, 103.
226 Vgl. Ios. ant. 14,110, wo Geldspenden von Gottesfürchtigen für den Tempel
erwähnt werden.
227 Vgl. Krauter, Bürgerrecht, 216-217, mit Verweis auf Ios. c. Ap. 2,282; Philo
Mos. II 20-23; Ov. ars 1,415f; Ov. rem. 219f; Tib. 1,3,17f; Hor.sat. 1,9,68-72;
Suet. Tib. 32,2; Tert. nat. 1,13,3f.
82

als tw'n te sebomevnwn JEllhvnwn plh'qo" poluv bezeichnet. Diese


neubekehrten Christen allerdings standen der Synagoge bereits so
nahe, dass man von Bekehrung nicht mehr sprechen musste. Inhaltlich
wird in der Predigt, wie sie Lukas wiedergibt, nicht die Bekehrung
thematisiert, sondern einzig und allein das, was vor Juden das ent-
scheidende Thema war, nämlich die Erläuterung der Bedeutung Jesu
Christi im Rahmen der Heilsgeschichte. Die Gruppe, von der Lukas
spricht, ist also in ihrer Zugehörigkeit zur Synagoge zu identifizieren
und wird auch hinsichtlich ihres Gottesglaubens so gezeichnet, als hät-
te sie den Glauben bereits verinnerlicht. Der Befund im 1Thess scheint
dieser Darstellung zu widersprechen, zumindest wird aus dem Text
durch keinen Bezug deutlich, dass die Neubekehrten im Einfluss der
Synagoge standen. Das einzige, was diese Anschauung unterstützen
könnte, sind die vielen Bezüge zur LXX, die eventuell ein jüdisches
Vorwissen voraussetzen.
Die Unterschiede in der Darstellung zwischen der Apostelge-
schichte und dem 1Thess hat nun Woyke begrifflich näher zu fassen
versucht.228 Er geht dabei im philonischen Schrifttum auf Spurensuche
und kann deutlich machen, dass es dort prinzipiell drei Typen von
heidnischen Beziehungen zum Judentum gibt: die Proselyten, die zum
Judentum übergetreten sind, die sog. „‚Gesinnungsproselyten’, die den
Gott Israels exklusiv verehren und schließlich die ‚Sympathisanten’,
welche nicht nur den sozialen Übertritt zum Judentum scheuen, son-
dern auch die Verehrung des einen Gottes im weltanschaulichen Rah-
men eines monarchischen Polytheismus oder eines synkretistischen
Monotheismus vollziehen"229.
Die Proselyten sind durch die Beschneidung übergetreten, wäh-
rend die „Gesinnungsproselyten“ auf diesen letzten Schritt verzichten,
sich ansonsten aber im Glauben an den einen Gott und in ihrer damit
einhergehenden monolatrischen Praxis in nichts von den Proselyten
unterscheiden.230 Die Gottesfürchtigen des „Jethro-Typus“ gehen zu-
rück auf die biblische Gestalt des Jethro (Ex 18,11). Dieser wird bei
Philo als zwar interessiert am Gottesglauben interpretiert, allerdings ist
sein Bekenntnis in Bezug auf andere Götter als indifferent zu bezeich-
nen, d.h. er reiht diesen Gott als einen unter vielen ein. Den Schritt,
sich für den einen Gott gegen die vielen anderen Götter zu entschei-

228 Vgl. Woyke, Götter, 132-154.


229 Woyke, Götter, 152-153.
230 Vgl. auch Wander, Gottesfürchtige, 52; Feldman, Jew, 348. Vgl. bei Philo Virt
221; SpecLeg 1,52; Praem 152.
83

den, mag Jethro nicht gehen (vgl. Ebr 39f.).231


Woykes Überlegung ist insofern zuzustimmen, als das Bild, das
Apg 17,4 zeichnet, sehr gut mit der Darstellung der Gesinnungsprose-
lyten bei Philo harmoniert. Will man bei der Einschätzung bleiben,
dass auch die Thessalonicher bereits vor ihrer Bekehrung sehr großes
Interesse am Judentum gezeigt hätten, taten sie das nur in der Variante
des dargestellten „Jethro-Typus“. Erst durch das Auftreten des Paulus
seien sie demnach zum Gott Israels übergetreten.232 Eine zu große Nä-
he zur Synagoge und eine Identifizierung als Gesinnungsproselyten
darf nicht angenommen werden. Nichtsdestoweniger darf man damit
rechnen, dass ein begrenztes Vorwissen und eventuelle Kontakte zur
jüdischen Gemeinde den Prozess der Mission unterstützen konnten.
Die Darstellungen der Apostelgeschichte dürfen aber nicht über-
bewertet werden. Sowohl die zeitliche Raffung der Mission auf drei
bis vier Wochen, als auch die besondere Zeichnung der Gottesfürchti-
gen konnten als unwahrscheinlich für den Hintergrund des 1Thess
nachgewiesen werden. Dass sich die Gemeinde dennoch aus Gottes-
fürchtigen, so wie es Woyke und Blumenthal zeigen wollen, zusam-
mengesetzt haben kann, soll nicht bestritten werden. Ob diese Annah-
me nötig ist, sei jedoch dahingestellt. Stattdessen soll im Folgenden
nach weiteren Bezügen gesucht werden, die Anknüpfungspunkte für
die paulinische Predigt liefern könnten. Wenn die Thessalonicher
Sympathisanten im Sinne Jethros waren, dann waren sie in jedem Falle
Polytheisten. Im Folgenden soll deshalb ein kurzer Überblick über die
Götterwelt der Thessalonicher gegeben werden.

2.2.2.4 Die Religionen der Thessalonicher

Setzte sich die Gemeinde aus sehr lose verbundenen Sympathisanten


der Synagoge zusammen, so war die Motivation für das Interesse am
Judentum nicht auf die Gottesvorstellung zu reduzieren. Man wird
eher davon ausgehen müssen, dass der Reiz im Kult selber lag, der
durch seine Andersartigkeit eine sehr interessante Alternative bot.
Damit ist allerdings die Grenze zu denjenigen, die keinen Kontakt zur
Synagoge hatten, für Außenstehende kaum zu bestimmen. Wenn man
das lukanische Paulusbild insofern ernst nimmt, als Lukas das Interes-

231 Zur ausführlichen Interpretation vgl. Woyke, Götter, 136-138.


232 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Blumenthal, Adressaten, 104f. Da die
Grenzziehung zwischen Heiden und Gottesfürchtigen nicht eindeutig möglich
sei, rechnet er mit der Möglichkeit, dass sich die Gemeinde zu einem
beträchtlichen Teil aus Gottesfürchtigen zusammengesetzt hat.
84

se des Paulus an der Mission unter den Juden ausmalt, wird man auch
erkennen, dass sich Paulus sehr für das Vorwissen der Nichtjuden in-
teressiert. Besonders deutlich wird dies in der Einführung zur
Areopagrede Apg 17,22f., wo er sein Vorgehen eindeutig beschreibt:

„Männer von Athen, ich sehe, dass ihr in jeder Beziehung den
Göttern sehr ergeben seid. Denn als ich umherging und eure Hei-
ligtümer betrachtete, fand ich auch einen Altar, an dem die Auf-
schrift war: Einem unbekannten Gott. Was ihr nun, ohne es zu
kennen, verehrt, das verkündige ich euch.“

In anderen Passagen zeichnet Lukas ebenfalls ein Bild der Ver-


mittlung des Glaubens, indem er die Darstellung mit reichlich
Lokalkolorit färbt. Selbst wenn dieser Zug zu einer der schriftstelleri-
schen Leistungen des Lukas gehört, wird immer versucht, auch bei
Paulus ein solches Vorgehen zu eruieren. Im 1Thess vermuten einige
Autoren diesbezügliche Anspielungen. Deswegen soll im Folgenden
auf diese Fragestellung eingegangen werden.233
Die Missionspredigt, falls man sie rekonstruieren darf, bezeich-
net die Götter, die vor der Bekehrung die zentrale Rolle im kultischen
Vollzug der Thessalonicher spielten, als ei[dwla. Ei[dwlon kommt von
i[dein, sehen. Die Form ei[dwlon ist dabei wohl als „Erweiterung zu
dem Wortstamm, den wir in griechisch ei\don, ei\do", ktl. ... vorfin-
den“ entstanden. „Diese Erweiterung ist über die Anfügung des Suffix
-lo gegangen. Das kann ggf. eine deminuierende Bedeutung ins Spiel
bringen.“234 In der ursprünglichen Bedeutung Bild bzw. Abbild taucht
das Wort bspw. schon bei Homer, Od. 11,476 auf. Dort beschreibt es
die Schattenbilder der Verstorbenen, deren ontologischer Status als
sinnlos und nichtig bezeichnet wird. Hier wird schon im Begriff die
negative Konnotation deutlich. Diese negative Bedeutungsnuance setzt
sich denn auch immer mehr durch, aus den Abbildern werden die
Trugbilder etc. In der griechischen Philosophie werden die ei[dwla in
diesem Sinne als Gegensatz zur ajlhvqeia, der Wahrheit begriffen. Bei
Platon etwa bezeichnen sie die vorgefundenen Abbilder der Ideen (der
paradeivgmata).235 In der stoischen Erkenntnislehre bezeichnen die
ei[dwla alles, was die Möglichkeit der Erkenntnis von Wahrheit behin-
dern kann, also „geistig-seelische, u.U. trügerische Vorstellung.“236 Im
Profangriechischen hat das Wort selten religiösen Charakter,
233 Vgl. diesbzgl. insbesondere Donfried, Cults.
234 Nebe, Kritik, 199.
235 Vgl. nur Symp 212a.
236 Klauck, Herrenmahl, 242.
85

zumindest bleibt es eher die Ausnahme, damit das Verhältnis zur


Gottheit beschreiben zu wollen.237 In der LXX hingegen werden ei[-
dwla zum terminus technicus für die Götterbilder, Weihestatuen und
die heidnischen Götter selbst, die nach diesem Verständnis „eine we-
senlose Existenz führen und in leblosen Bildern verkörpert sind.“238
Welche ei[dwla hat Paulus nun in Thessalonich vorgefunden? Im
Grunde genommen war Thessalonich eine Großstadt mit den unter-
schiedlichsten Kulten, wie es sie überall im Imperium Romanum gab.
Wie vom Brocke aufgezeigt hat, sind die Kulte in Thessalonich auf
den ersten Blick gewissermaßen unüberschaubar.239 Sowohl der Kai-
serkult war verbreitet, als auch die wichtigsten ägyptischen Gottheiten
(Isis, Serapis, Osiris, Anubis). Außerdem verehrte man Apollon, die
Dioskuren, Zeus (Theos-Hypsistos), Aphrodite, Aphrodite Homonoia,
Nemesis, die Nymphen sowie der Kabirus- und der Dionysoskult – um
nur die wichtigsten zu nennen. Kann man etwa davon ausgehen, dass
die werbende Missionpredigt des Paulus auf Erfolg stieß, weil er bei
den konkreten Kulten der Thessalonicher ansetzte? In der Forschung
wurde immer wieder versucht, im Text selbst Vorstellungen und
Reflexe anderer Kulte festzustellen. Hier soll nicht erneut das ganze
Material ausgebreitet werden. Es soll genügen, auf die möglichen
Bezüge des 1Thess zur Umwelt hinzuweisen, um zu erkennen, dass
Paulus tatsächlich Wissen von der religiösen Struktur der Stadt haben
musste.

(a) Der Kabirus-Kult

Charakteristisch für die Stadt Thessalonich war der Kult des Kabi-
rus.240 Bei den Kabiren handelte es sich dem Mythos nach um drei
Brüder, deren einer von den beiden anderen umgebracht und dessen
Kopf am Fuße des Olymp begraben wurde. Ihren Mittelpunkt hatte die
Kabirenverehrung wohl auf der Insel Samothrake. Auffällig war, dass
in Thessalonich nur ein einziger Kabirus verehrt wurde241, und folgt

237 Vgl. hierzu Büchsel, ThWNT II, 373. Die Götterbilder oder Weihestatuen
werden in diesem Zusammenhang denn auch meist als a[galma bezeichnet. Vgl.
aber die Verwendung bei Dion von Prusa in der Olympischen Rede (dazu
unten).
238 Klauck, Herrenmahl, 242.
239 Vom Brocke, Thessaloniki, 116.
240 Zum Kabirus-Kult vgl. Edson, Cults, 153-204; Hemberg, Kabiren; Witt, Ka-
beiroi, 67-80; Donfried, Cults; Vom Brocke, Thessaloniki, 117-121.
241 Nach Witt, Kabeiroi, 78, handelt es sich hierbei um eine monotheistische Form
des Kabiruskultes. Allerdings sollte man mit solchen Zuweisungen vorsichtig
86

man der Einschätzung des Rhetors Firmicus Maternus aus Syrakus,


war dieser eine Kabirus der tote beim Olymp begrabene Bruder:242

„Denn ein Bruder wird von zwei (andern) ermordet, und damit
kein Anzeichen den gewaltsamen Tod des Bruders verrate, wird
er am Fuß des Berges Olymp von den Brudermörden göttlich ver-
ehrt. Eben diesen verehren die Mazedonier in törichter Einbil-
dung. Das ist Kabirus, zu dem die Thessalonicher mit blutbefleck-
ten Händen als dem Blutbefleckten zu flehen pflegten.“

Über die inhaltliche Ausgestaltung lässt sich freilich nur spekulieren.


Autonome Münzprägungen aber zeigen, dass der Kult wohl bereits zur
Zeit des Paulus einen wichtigen Teil der Götterverehrung innerhalb
Thessalonichs eingenommen haben wird.243
Einige Forscher gehen davon aus, dass man im 1Thess zumindest
auf Spuren des Kabiruskultes stoßen kann. In einer Inschrift wurde der
Kabirus mit dem Titel aJgiwvtato" pavtrio" qeov" belegt.244 Der
1Thess hingegen spricht auffällig oft von der Heiligung (aJgiasmov")
der Thessalonicher (1Thess vgl. 4,3.4.7) sowie von der aJgiwsuvnh
(3,13).245 Eventuell kann man darauf schließen, dass diese Formulie-
rungen wirklich in Abgrenzung zum Kabirenkult gewählt sind 246;
nimmt man für den Kabiruskult orgiastische Elemente an, greift die
Rede von der Heiligung eines jeden einzelnen ein bekanntes Stichwort
der Kabirenverehrung auf, wendet es aber zugleich um durch die Aus-
gestaltung innerhalb des ethischen Kontexts.247

sein, da sie sicher nicht als Beweismittel für eine besondere Aufnahmefähigkeit
der Thessalonicher für den Monotheismus herangezogen werden dürfen.
242 Zur Übersetzung vgl. A. Müller, Schrift, 37.
243 Nach vom Brocke, 118-119 lässt sich insbesondere durch die autnomen
Münzprägungen schon zur Zeit des Kaisers Vespasians (69-79 n. Chr.) eine
hohe Präsenz dieses Kultes eventuell bereits für die erste Hälfte des 1. Jahrhun-
derts annehmen. Hemberg, Kabiren, 209, weist außerdem darauf hin, dass die
Kabiren schon 200 v. Chr. in Larissa verehrt wurden, und schließt von da aus
wenigstens auf die Bekanntheit der Kabiren in Thessalonich in vorpaulinischer
Zeit.
244 Vgl. IG X 2,1 Nr. 199.
245 Paulus verwendet aJgiasmov" außerdem in Röm 6,19.22, 1 Kor 1,30, aJgiwsuvnh
in Röm 1,4; 2Kor 7,1.
246 Vgl. Witt, Kabeiroi, 79.
247 Vgl. hierzu auch Holtz, 1Thess, 146 sowie vom Brocke, Thessaloniki, 121.
87

(b) Anspielungen auf den Dionysos-Kult?

Eine ähnlich bedeutende Rolle schien der Dionysos-Kult in Thessalo-


nich zu spielen248, der schon für die Vorgängersiedlung Thermä nach-
zuweisen ist. Durch seine Charakterisierung als Gott des Weines, des
Ackerbaus und der Fruchtbarkeit sowie durch die im Zusammenhang
des Kultes auftretende Jenseitsvorstellung249 übte Dionysos eine große
Anziehungskraft aus. Allerdings gaben die kultischen Feste mit ihrem
feucht-fröhlichen Charakter, die auch des Nachts stattfanden 250, immer
wieder Anlass für Gerüchte und Vorurteile.251 Davon scheint auch der
1Thess Zeugnis zu geben. In 1Thess 5,5b-8 sehen mehrere Forscher
eine eindeutige Anspielung bzw. Polemik gegen den Dionysoskult.252
Im Kontext der Parusieerwartung, die zeitlich eben nicht zu fassen ist
(„wie ein Dieb in der Nacht“), fordert Paulus die Nüchternheit der
Thessalonicher, da sie jederzeit bereit sein müssen für das Kommen
des Herrn.253
Ebenso werden die Warnungen des Paulus vor sexuellen Miss-
ständen (1Thess 4,3-8, insbesondere was die Interpretation von skeu'o"
angeht) immer wieder auf den Dionysos-Kult mit seiner Überhöhung
des Phallos zurückgeführt.254 Allerdings lässt sich mit vom Brocke zu
Recht fragen, ob man hier nicht lieber vorsichtiger formulieren sollte,
da eine Verbindung von Sexualität und Dionysos-Kult in Thessaloniki
nicht nachgewiesen werden kann. Eine Einschränkung auf bestimmte
Kulte würde den Fokus der Kritik zu sehr einschränken, da sexuelle
„Missstände“ in der Antike nicht allein im Kult angeprangert, sondern
als gesamtgesellschaftliches Problem wahrgenommen wurden.255

248 Vgl. Riesner, Frühzeit, 331, der sogar von Staatsreligion spricht; ähnlich Elliger,
Paulus, 98. Zum Dionysos-Kult allgemein, vgl. R. Merkelbach, Hirten.
249 Hierzu vgl. Merkelbach, Hirten, 123.131f.; auch Pilhofer, Philippi, Bd.1, 105ff.
250 Die Weiheinschrift IG X 2,1 nr. 259 spricht von der „mitternächtlichen Zeremo-
nie“, vgl. Daux, Inscritptions, 532.
251 Vgl. Merkelbach, Hirten, 122.
252 Riesner, Früheit, 333; Donfried, Cults, 342; vom Brocke, 128f.
253 Vom Brocke, Thessaloniki, 129, jedoch sieht gerade in der Verbindung der
Trunkenheit mit der Nacht den besonderen Reflex auf den Dionysos-Kult gege-
ben. Zurückhaltender hier Holtz, 1Thess, 224, oder von Dobschütz, 1Thess, 209,
die in der nächtlichen Trunkenheit nicht sofort kultische Anspielungen ent-
decken wollen, da die Betrunkenheit generell als „nächtliches“ Phänomen zu
deuten sei.
254 Insbesondere Donfried, Cults, 337 oder Riesner, Frühzeit, 332. Donfrieds Über-
legungen zur Bedeutung von oJmeivromai sind abzulehnen, da eine Gleichsetzung
mit ejpiqumiva keinen Sinn ergibt. Vgl. hierzu Kap. 2.3.4.1 dieser Arbeit.
255 Vgl. vom Brocke, 130f. Griechische Städte waren damals bekannt für ihr
88

(c) Der Kaiserkult

Der Kaiserkult spielt im Vergleich zu anderen Kulten im 1. Jahrhun-


dert nach Christus wohl eine etwas geringere Rolle, ist allerdings
zweifelsfrei nachweisbar. Die älteste gefundene Inschrift wurde zur
Zeit des Augustus in Thessalonich errichtet und verweist auf die Ver-
ehrung des divus Iulius.256 Eventuell wurde dieser Kult bereits zu Be-
ginn der Regierungszeit des Augustus in Thessalonich ausgeübt, wie
eine Münzprägung von 27 v. Chr. nahezulegen scheint.257
Anspielungen auf den Kaiserkult werden von der Forschung im
1Thess aufgedeckt, etwa in 5,3 in der Äußerung „Friede und Sicher-
heit“, die auf das „Pax et Securitas“ – Programm anspielen könnte, das
von Rom mit Verweis auf militärische Sicherheit im gesamten römi-
schen Reich propagiert wurde.258 Zur besonderen Entfaltung kam diese
unter der Herrschaft des Augustus, der dann selbst „zum Prototypen
des ‚Friedensbringers’“ hochstilisiert wurde, „indem man mit seiner
Herrschaft das aureum saeculum anbrechen sah.“259 Sieht man mit
Donfried auch in der Rede von der Parusie Anklänge an den Kaiser-
kult260, wäre hier ein äußerst geschickt anmutendes Gegenprogramm

„buntes“ Treiben, ihre Bordelle, etc. Auch für Thessalonich ist dies
nachzuweisen (vgl. vom Brocke, Thessaloniki, 129). Hingegen war es sicher im
Interesse der frühen Christen, sich um eine ethische Lebenführung zu bemühen,
da sie sich auf das Kommen des Herrn vorbereiten wollten. Und deswegen war
ein Anliegen der Christen, sich vor illegitimer Sexualität zu verwahren, die –
wie es Holtz, 1Thess, 160, ausdrückt – „vorzüglich außerhalb der Ehe ihren Ort
hat.“
256 Belege bei Elliger, Paulus, 96 sowie vom Brocke, Thessaloniki, 139.
257 Vgl. Donfried, Cults, 346; vom Brocke, Thessaloniki, 139f. Zu der Münzdar-
stellung ist folgendes zu sagen: auf der Vorderseite ist Iulius Caesar abgebildet
und mit QEOS überschrieben, während auf der Rückseite Augustus abgebildet
ist mit der Aufschrift QESSALWNIKEWN.
258 Darauf hat als erstes Bammel, Beitrag, 837, hingewiesen. Siehe auch Wengst,
Pax Romana, 216 A. 50; Faust, Pax Christi, 444.
259 Vom Brocke, Thessaloniki, 172.
260 Donfried, Cults, 344, sieht insbesondere in den Wörtern parousiva, ajpavnthsi"
und kuvrio", die die Aussage vorbereiten, eine mögliche Unterstützung der
These vom Kaiserkult, da diese auch im Zusammenhang mit dem Kaiserkult
immer wieder auftauchen: „parousiva refers to the arrival of Caesar, a king or an
official, ... ajpavnthsi" refers to the citizens meeting a dignitary who is about to
visit the city ... kuvrio", especially when used in the same context as the two
preceding terms, also has a definite political sense. As Deissmann has shown,
the people in the eastern Mediterranean applied the term kuvrio" to refer to the
Roman emperors from Augustus on ...“
89

zu identifizieren. Denn die Aussage in Kapitel 5 dient zur Erläuterung


der paulinischen Parusieerwartung. Diese grenzt sich eindeutig von der
Möglichkeit einer innergeschichtlichen Erwartung ab. Mag man sich
noch so in Sicherheit wiegen, der Herr kommt wie ein Dieb in der
Nacht und ist nicht vorhersehbar.261

Die hier angedeuteten möglichen Reflexe in der paulinischen Wort-


wahl auf heidnische Religiosität, sind letztlich schwer überprüfbar und
behalten so einen überaus hypothetischen Charakter. Allerdings darf
die Fülle möglicher Anspielungen zumindest als Hinweis dafür gelten,
dass Paulus, um seinen Erfolg während der Mission zu erhöhen,
intensiv auf die Religionen seiner Hörer eingegangen ist.

2.2.2.5 Monotheistische Tendenzen im griechischen Denken

Steht die Mission zumindest im sprachlichen Kontext der in Thessalo-


nich vorgefundenen Kulte, interessiert dennoch weiterhin, ob es für die
paulinische Mission Anhaltspunkte gab, die es Paulus ermöglichten,
ohne ein Vorwissen bzgl. des jüdischen Gottes voraussetzen zu müs-
sen, das Bekenntnis zu dem einen Gott zu vermitteln. Auf den ersten
Blick scheint diese Möglichkeit kaum gegeben, ist doch bei der Viel-
falt der unterschiedlichen Kulte nicht daran zu denken, ein ausschließ-
liches Bekenntnis zu erwarten. Die monotheistische Variante der Kabi-
rusverehrung in Thessalonich ist sicher nicht als Anhaltspunkt heran-
zuziehen.262
Allerdings sollte man hier nicht voreilig zu dem Schluss kom-
men, dass gar keine inhaltlichen Berührungspunkte vorliegen würden.
Aus den vielfältigen Einschätzungen der antiken Umwelt bzgl. der Ju-
den ist bekannt, dass ihnen von philosophischer Seite her bzgl. ihres
Gottesbildes Anerkennung und Lob entgegengebracht wurde. So
spricht mit Hekataios von Abdera ein Vertreter der pyrrhonischen Ske-
psis überaus wohlwollend über die jüdische Religion und Mose als de-
ren herausragendster Gestalt:

„Er (Mose) machte keinerlei Bild von Göttern, da er nicht glaubte,


dass Gott menschengestaltig sei, vielmehr sei der Himmel, der die
Erde umfasst, allein Gott und Herr des Alls.“ (FgrHist 264 F6, §5)
261 In ähnlicher Weise kann auch die Rede vom Reich Gottes in 2,12 als
Anspielung und Gegenprogramm zum Kaiserkult gelesen werden. Vgl. Don-
fried, Cults, 346. Dies deutet auch Gerber, Paulus, 299, an. Vgl. dazu die
Interpretation zu 2,12 in vorliegender Arbeit.
262 Dazu s.o.
90

Ähnlich lobt Poseidonius das jüdische Bilderverbot:

„Denn nur dieses eine Wesen sei Gott, das uns alle, Erde und Meer
umfasse und das wir Himmel, Welt und die Natur des Seienden
nennen. Wie könne nun wohl jemand, der bei Verstand sei, sich er-
dreisten, sich von diesem Wesen ein Bildnis zu formen, das irgend-
einem der Dinge bei uns gleiche?“ (Strabo XVI, 34ff.)263

Zumindest diese Wertschätzung könnte als Anknüpfungspunkt heran-


gezogen werden für eine Näherbestimmung des Verhältnisses zwi-
schen jüdischem und antik-philosophischem Denken. Allerdings ist
damit noch nicht geklärt, inwieweit bei den Adressaten des paulini-
schen Evangeliums Kenntnisse des philosophischen Monotheismus
vorausgesetzt werden konnten.
Im Folgenden soll deswegen zunächst gefragt werden, wie die
Rede von dem einen Gott in der griechischen Philosophie zu verstehen
ist, um in einem zweiten Schritt nachzuweisen, inwieweit dieser Got-
tesbegriff typischen Vertretern der griechischen Stadtbevölkerung und
Adressaten der paulinischen Predigt zugänglich war.

(a) Der eine Gott in der griechischen Philosophie

Der Weg, den das griechische Denken zur Rede von „dem Einen“
bzw. „dem einen Gott“ genommen hat, ist mit der Entwicklung im bib-
lischen Bereich überhaupt nicht vergleichbar. Die Verbindung mit dem
Kult existierte nicht, oder zumindest schaffte es die philosophische
Besinnung auf das Eine hin nie, das Verhältnis der Griechen zu ihren
kultischen Bezügen zu erschüttern.264 Dennoch ist die Besinnung auf
das Eine in der griechischen Philosophie vom Phänomen her gar nicht
so weit entfernt von der Entwicklung bei den Juden zum biblischen
Monotheismus. Ursprünglich ist es im griechischen Denken die Frage
263 Allerdings kommt Poseidonios im selben Zusammenhang auf das jüdische
Gesetz zu sprechen, das er polemisch als Aberglaube abqualifiziert. Zur Kritik
des Verständnisses des Judentums bei Poseidonius, vgl. Amir, Begegnung, 9.
Zur Auseinandersetzung des jüdischen Monotheismus mit dem griechischen
Denken vgl. insbesondere Amir, Begegnung; ders., Eingottglaube.
264 Vgl. Nesselrath, Griechen, 44. „Mehr als tausend Jahre lang half dieses Götter-
bild vielen Griechen, sich in ihrer Welt zurechtzufinden, und weder die kriti-
schen Fragen eines Xenophanes im 6. Jahrhundert vor Chr. noch der Spott eines
Lukian im 2. Jahrhundert nach Chr. konnte seine Lebensfähigkeit ernsthaft be-
drohen; es waren erst die zum Teil recht brachialen Maßnahmen christlich ge-
wordener römischer Kaiser, die ihm den Todesstoß versetzten.“
91

nach dem Woher, nach dem Ursprung, der ajrchv, die am Anfang allen
Philosophierens steht. Zugleich wurzelt sie auf den mythischen und
kultischen Vorstellungen Griechenlands. Gigon bezeichnet nicht um-
sonst Hesiod als ersten Philosophen, war er es doch, der innerhalb sei-
ner Theogonie die Frage nach dem Woher der Götter und allen Seins
aufgebracht hat.265 Ähnlich verweist auch West in seiner Untersuchung
zum Monotheismus von den Ursprüngen bis hin zu den Vorsokratikern
immer wieder auf die Frage nach der ajrchv als Ursprung der Frage
nach dem Einen.266
An dieser Stelle wird allerdings auch schon ein grundlegendes
Problem bewusst: Wer sich mit der Frage nach dem „einen Gott“ bei
den Griechen auseinandersetzt, darf nicht enttäuscht sein, wenn er
nicht durchgehend auf die Terminologie qeov" stößt. Die Frage nach
den Ursprüngen ist im Griechischen zunächst nicht auf die Gottesfrage
beschränkt. Auch darf man nicht annehmen, dass das griechische Wort
qeov" deckungsgleich ist mit der jüdischen Verwendung. Wenn die
Juden ihren Gott im Griechischen als qeov" bezeichnen, wird das Wort
allenfalls zur Vergleichsgröße, die eben durch den Zusammenhang erst
näher zu spezifizieren ist.
Im Folgenden sollen stichprobenartig wichtige philosophische
Positionen zur Sprache kommen, die die Denkbewegung auf das Eine
hin in ihrer Bedeutung für den theologischen Kontext zu erschließen
vermögen.267

Xenophanes

Das Aufkommen der Philosophie geht einher mit der Kritik an religiö-
sen Mythen und kultischer Praxis. Bei Xenophanes wird dies zum er-
sten Mal in einer Art Theorie greifbar, in deren Zusammenhang so et-
was wie ein Bekenntnis zum philosophischen Monotheismus heraus-
zuhören ist. Natürlich ist beim fragmentarischen Charakter seines

265 Vgl. Gigon, Ursprung, 22: „Hesiod will vom Anfange reden, vom Ersten, das da
war. So beginnt keine Dichtung (...) die Frage: 'Was war zuerst?' ist entschei-
dend bezogen auf die Gegenwart, sofern sie den Anfang eines Prozesses meint,
der in die Gegenwart des Fragenden mündet. Sie ist die Frage der Geschichte,
und zwar an ihrem Grenzpunkt, wo sie schon in Philosophie umschlägt.“
266 Zu den unterschiedlichen Realisierungen der Rückfrage nach dem Ursprung bei
den Vorsokratikern vgl. insbesondere West, Monotheism, 29-40. Vgl. auch
Zeller, Gott, 49.
267 Sehr aufschlussreiche Übersichten und zugleich differenzierte Detailanalysen
finden sich bei West, Monotheism und Frede, Monotheism. Einen guten Über-
blick bietet auch Zeller, Gott.
92

Werkes höchste Vorsicht geboten, um nicht vorschnell Gedankenver-


bindungen herzustellen, die gar nicht vorhanden sind. Offensichtlich
ist allerdings seine Kritik an anthropomorphen Zügen innerhalb der
Gottesvorstellungen. Er versucht einsichtig zu machen, dass das in der
Literatur aufkommende Bild Gottes eine Folge menschlicher Unfähig-
keit zur Abstraktion ist. In folgenden Zitaten wird dies fassbar:

„Alles haben für die Götter gestiftet Homer und Hesiod, was bei
den Menschen Schimpf und Tadel ist: Stehlen, Ehebruch treiben
und einander betrügen.“ (B 17)

„Wenn die Ochsen, die Pferde und Löwen Hände hätten, um mit
Händen zu zeichnen oder Werke zustandezubringen wie die Men-
schen, würden die Pferde den Pferden, die Ochsen den Ochsen
ähnlich die Gestalten der Götter zeichnen und Körper bilden von
der Art, wie sie selbst ihre Gestalt haben.“ (B15)

„.. stellen sich doch die Neger ihre Götter stumpfnasig und
schwarz vor, die Thraker rotblond und blauäugig ...“ (B16)

Die Kritik an den anthropomorphen Göttern ist im 6. Jahrhundert ein


Novum.268 Für die Griechen galten lange Zeit gerade diese anthropo-
morphen Züge als etwas besonderes, mit denen sie sich von den tier-
köpfigen, ägyptischen Gottheiten abgrenzten und damit auf die beson-
ders hohe Stufe ihres religiösen Denkens verweisen konnten.269 Xeno-
phanes bringt die Kritik an der therimorphen Gottesvorstellung mit an-
thropomorphen Göttern zusammen und lehnt beide ab. Damit aber
noch nicht genug. Das Verständnis eines von menschlichen Zügen be-
freiten Gottes führt schließlich zu folgender radikaler Aussage:

268 Nesselrath, Griechen, 23 verweist auf die zu Xenophanes parallele Kritik der
anthropomorphen Züge der Götter in der ‚Musenelegie‘ Solons, wo darauf
hingewiesen wird, dass göttliches Handeln vom Menschen nicht einsehbar sei.
269 Vgl. Nesselrath, Griechen, 21f. mit Verweis auf Anaxandrides, Povlei", fr. 40
K.-A.: „Nicht könnte ich mit euch verbündet sein: Nicht nämlich Wesen noch
Gesetz vergleichbar sind von uns; nein, voneinander vielmehr weit getrennt. Du
betest Rinder an, ich aber opf're Göttern; gewaltig groß als Gottheit, glaubst du,
sei der Aal – gewaltig köstlich ist dagegen er für uns. Du ißt kein
Schweinefleisch, ich aber freue mich daran am meisten; du ehrst den Hund, ich
schlage ihn, wenn ich ihn fressend meine Speis' erwisch'. Die Priester hier sind
unversehrt – so das Gesetz; bei euch, wie's scheint, sie müssen angeschnitten
sein. Wann immer du die Katze leiden siehst, dann weinst du; ich dagegen bring'
sie um und häute sie. Bei euch, da gilt die Spitzmaus viel, doch nicht bei uns.“
93

„Ein Gott, unter Göttern und Menschen der größte, weder an Ge-
stalt den Sterblichen ähnlich noch im Denken. Als ganzer sieht er,
als ganzer denkt er, als ganzer hört er. Stets bleibt er im gleichen,
ohne sich zu bewegen; es ziemt sich nicht für ihn, bald da, bald
dorthin zu gehen. Ohne Anstrengung durch einen Akt des Den-
kens erschüttert er alles...“ (B 23-26)

Die Kritik am Polytheismus ist an dieser Stelle nicht zu übersehen.


Xenophanes kommt zu dieser Kritik durch seine vorigen Beobachtun-
gen – die vielen Götter sind nach diesem Denken ja auch nur deswe-
gen verschieden, weil sie aus verschiedenen, dem jeweiligen Umfeld
angepassten Vorstellungsbereichen resultieren. Daher ist der Gott, den
Xenophanes propagiert, letztlich eine Abstraktionsleistung, der Gott,
der hinter all den Göttern steht. Lehnt er aber deswegen schon die an-
deren Götter ab? Kann man seine Position bereits als monotheistisch
bezeichnen? Diese Schlussfolgerung wäre voreilig, wenn auch deut-
lich die Tendenz zu erkennen ist, dass das Denken für sich schon den
einen Gott gegenüber anderen Göttern propagiert.270 Kritik an der
monotheistischen Interpretation der Aussagen des Xenophanes übt
insbesondere W. Burkert. Zwar erkennt er die Kritik des Polytheismus
durchaus an, sieht aber nicht eine Abstraktion von anderen Göttern,
sondern liest die Aussage „ein Gott, unter Göttern und Menschen der
größte“ als sprachliche Übertragung aus dem Bereich der persischen
Herrschaftsideologie. Für den persischen König gibt es einen Gott,
„der über alle anderen weit herausragt, Ahura Mazda, der das König-
tum verliehen hat.“271 Die Besonderheit dieses Gottes liegt einzig in
der Legitimierung der Königsherrschaft, auf die anderen Kulte hat dies
keinerlei Auswirkungen. Der Spruch des Xenophanes ist nach Burkert
„rhetorische Figur; das will die anderen Götter nicht ausschalten, nur
die universale Ordnung fixieren.“272 Burkert mag mit seiner traditio-
nellen Herleitung richtig liegen, man fragt sich allerdings, inwieweit
Xenophanes daran gelegen ist, nur Rhetorik zu betreiben. Bezieht man
die Fragmente B 15-17 mit in die Untersuchungen ein, sollte klar
werden, dass es um mehr geht. Wenn er eine rhetorische Sprachfigur
übernimmt, nimmt er sie in Dienst für seine Argumentation, die ein-
deutig die Vielzahl der Götter kritisiert. Die Notwendigkeit, andere
Götter abzulehnen, kommt aus den Fragmenten nicht zur Geltung.
Götter waren in der Antike eine ständige Realität. Der Begriff war
270 Zur Diskussion um die Beurteilung des Fragments bei Xenophanes vgl. Burkert,
Mythen, 17-20; West, Monotheism, 32-33.
271 Burkert, Mythen, 19.
272 Burkert, Mythen, 19.
94

weiter gefasst als der heutige Begriff, der immer schon monotheisti-
sche Implikationen oder Erwartungshaltungen voraussetzt. Bei Xeno-
phanes taucht zum ersten Mal in deutlichen Worten Kritik und damit
einhergehend die Spezifizierung eines neuen Verständnisses des Wor-
tes „Gott“ auf; deswegen ist er in jedem Falle als erste Station auf ei-
nem Weg zum philosophischen Monotheismus zu würdigen. Mag die
spärliche Quellenlage einen letzten Vorbehalt auch Burkert gegenüber
zulassen, ist anzumerken, dass immerhin seine Wirkungsgeschichte
sehr bald in Richtung Monotheismus ging.

Heraklit

Xenophanes ist darüber hinaus kein singuläres Phänomen. Er war


nicht der einzige, der die Vereinheitlichung der Frage nach dem Göttli-
chen ins Zentrum rückte. Noch dürftiger ist das Material, das uns von
Heraklit überliefert ist, schon in der Antike tat man sich schwer mit
dessen Philosophie. Von Diogenes Laertios etwa wird er „der Dunkle“
(oJ skwteinov") genannt. Auch bei Heraklit ist eine kritische Auseinan-
dersetzung mit alten Mythen zu erkennen. Überhaupt fällt er aus dem
Rahmen als entschiedener Kritiker seiner Umwelt – und trotz der au-
genscheinlichen Nähe der Fragmente mit denen des Xenophanes,
schien er von letzterem sehr wenig zu halten. 273 Allerdings in dieselbe
Richtung wie die Ausführungen bei Xenophanes vorhin gehen folgen-
de Fragmente:

„Eines ist das Weise, allein für sich; es will nicht genannt sein und
will doch genannt sein mit dem Namen Zeus.“ (B 32)

„Von welchen Leuten ich auch Erklärungen hörte, keiner kommt


bis zu der Erkenntnis, dass das Weise etwas von allem Getrenntes
ist.“ (B 108)

Ganz ähnlich findet auch hier eine Substitution statt. Heraklit nimmt
weiterhin den Namen des obersten olympischen Gottes an, impliziert
dabei aber, dass eine Gleichsetzung nur bedingt funktioniert, dass etwa
bestimmte Eigenschaften es rechtfertigen würden, ihn als Zeus zu be-
zeichnen, andere wiederum nicht.274 Die Äußerung spielt mit der Pro-
273 So kann man zumindest den Rundumschlag gegen andere philosophische „Grö-
ßen“ in B 40 auswerten, wenn Heraklit schreibt: „... viel Gelehrsamkeit lehrt
noch nicht, sich einen Begriff zu machen; sonst würde sie es Hesiod gelehrt
haben und Pythagoras, wie auch Xenophanes und Hekataios.“
274 West, Monotheism, 33.
95

blematik der Aussagbarkeit bzw. Nichtaussagbarkeit Gottes, einem


Phänomen, das auch an die Nichtaussagbarkeit des biblischen Gottes
erinnert. Dahinter steckt wohl das Wissen des Nicht-Wissens, d.h. die
Überzeugung, dass alle Begriffe, die wir haben, unscharf bleiben und
diesen Gott nicht bezeichnen können bzw. ihn herabwürdigen würden.
Wer etwa die Zeus-Geschichten aus der Odyssee verfolgt, erkennt
bald, dass dort wenig von der Würde Gottes zu erkennen ist.
Bei Heraklit ist eine Radikalisierung in der Kritik der Gottesvor-
stellungen zu verfolgen, die selbst vor kultischen Praktiken nicht Halt
macht, bedenkt man seine Einschätzung des Phallos-Umzugs für Dio-
nysos als schamlos275 oder seine polemische Abgrenzung gegenüber
Götterbildern.276 Dies mag auch an der Wahl des Begriffes to; sofovn
liegen, eines Neutrums, das sich erkennbar von dem maskulinen oJ
qeov" abhebt.277 Auch wenn nicht klar ist, ob die Genus-Wahl beab-
sichtigt ist, wird doch die übergeordnete Stellung dieses sofovn gegen-
über den anderen Göttern deutlich, die Heraklit ebensowenig wie Xe-
nophanes leugnet.

Platon

Auch in Platons Dialogen lässt sich auf den ersten Blick kein einheitli-
ches theologisches Konzept erkennen. Allerdings fällt auf, dass er im-
mer wieder versucht, letzte Wirklichkeiten aufzudecken, etwa die Idee
des Guten (Rep. 508f.), oder eine Weltseele, die die Bewegung der
Himmelskörper erklären könnte (Nom. 897c).278 Schließlich findet sich
auch das Verständnis Gottes als Schöpfer (etwa Rep. 415a3f. oder Ion.
537c7f.). Platon spricht einerseits von vielen Göttern, andererseits
kennt er aber auch die Bezeichnung oJ qeov". Bordt verweist darauf,
dass man oJ qeov" im Zusammenhang je unterschiedlich übersetzen
müsse, da der Artikel im Griechischen individualisierend oder genera-
lisierend verwendet werden könne, d.h. Platon bezeichnet mit oJ qeov"
entweder anaphorisch einen ganz bestimmten Gott oder aber er ver-

275 Vgl. B 15: „Wäre es nicht Dionysos, dem zu Ehren sie die Prozession begehen
und das den Schamgliedern gewidmete Lied singen, so geschähe das Unver-
schämteste. Dionysos, dem zu Ehren sie sich wie Verrückte und Rasende
benehmen, ist ja derselbe wie Hades.“
276 Vgl. B5: „... Und sie beten zu zu den Götterbildern um uns herum, so wie wenn
einer sich mit Tempeln unterhielte, ohne auch nur im geringsten von Göttern
und Heroen zu wissen, wer sie sind.“
277 Vgl. West, Towards Monotheism, 33.
278 Vgl. auch Zeller, Gott, 50f.
96

wendet „Gott“ als Gattungsbegriff.279 Daher verbietet es sich von die-


ser Begrifflichkeit vorschnell auf einen Monotheismus zu schließen.280
Indizien für eine monotheistische Anschauung ergeben sich in
individualisierenden Bezeichnungen Gottes mit Artikel, bei denen eine
eindeutige Referenz auf einen bestimmten Gott fehlt. So beschließt
Sokrates seine Verteidigung, er würde nicht an Götter glauben, mit
folgenden Worten:

„Ich glaube doch [an sie], Athener, wie keiner von meinen Anklä-
gern, und ich überlasse es euch und dem Gott, so über mich zu ur-
teilen, wie es für mich und für euch das Beste sein würde.“ (Ap.
35d6-9)

In diesem Falle ist die Formulierung oJ qeov" wahrscheinlich nicht ge-


neralisierend zu verstehen. „Wenn Sokrates (...) in den Singular wech-
selt, kann dem eine gewollte, aber für die Zuhörer nicht eindeutige Be-
deutungsverschiebung zu Grunde liegen. Es ist durchaus plausibel an-
zunehmen, daß es Sokrates nicht um die Götter geht, auf die seine An-
kläger sich beziehen, sondern um einen nicht mit Namen bestimmten
Gott, der nicht nur ein Gott neben anderen Göttern, sondern überhaupt
der einzige Gott ist, den Sokrates als Autorität akzeptiert (...)“281 Be-
dauerlicherweise erlaubt der Kontext keine positive Wendung dieses
Gedankens, ein monotheistisches Verständnis wird jedoch auch so un-
missverständlich deutlich.
Beim Versuch, auf monotheistische Spuren in Platons Denken zu
stoßen, kommt man immer wieder auf seinen Dialog Timaios zu spre-
chen. Dort erklärt Platon, dass es einen obersten Gott gebe, der alle an-
deren Götter schafft. Diese Götter hätten die Aufgabe, die sterblichen
Teile der Menschen zu bilden; der oberste Gott, der Demiurg 282 könne

279 Vgl. im Folgenden insbesondere Bordt, Theologie, 56-72. Dort findet sich auch
eine Auflistung der unterschiedlichen Aussageweisen zu oJ qeov".
280 Deswegen ist die Verwendungsweise auch nicht mit derjenigen im
Johannesprolog gleichzusetzen, wo der Gott durch den Artikel vom Logos
unterschieden wird.
281 Bordt, Theologie, 75. Vgl. in diesem Zusammenhang auch weitere Belege einer
unbestimmten individualisierenden Verwendung.
282 Das komplizierte Verhältnis des Demiurgen zur Welt der Ideen kann in diesem
Rahmen nicht diskutiert werden. Wahrscheinlich handelt es sich beim
Demiurgen nach Ferrari, Gott, 23f., nicht um „ein von der Welt der Ideen
getrenntes und unabhängiges Wesen“, sondern um „die Metapher eines
Aspektes dieser Welt, genauer gesagt ihres aktiven Aspektes. Wenn Platon
behauptet, dass Gott die höchste der Ursachen sei (...), will er nicht zum
Ausdruck bringen, dass dieser sich von den Ideen unterscheidet und ihnen
97

nämlich nur Unsterbliches schaffen. Bei der Beschreibung dieser Göt-


ter will sich Platon terminologisch kaum festlegen lassen und spricht
abwechselnd von qeov", oJ qeov" oder qeoiv. Die beiden Stellen Tim. 73b8
(„der Gott“ schafft das Rückenmark und befestigt daran die Teile der
Seele) und Tim. 74d6f. („der Gott“ umgibt das Rückenmark und die
Knochen mit Fleisch und Sehnen) sind nach Bordt generalisierend zu
übersetzen, da der Zusammenhang nahelege, dass es keine Aufgaben-
verteilung der Götter untereinander gebe.283 Dennoch finden sich ge-
rade in Platons Timaios eindeutige monotheistische Bezüge. Der De-
miurg ist nach diesem Modell nicht als oJ qeov" zu bezeichnen, trägt
aber Züge, die ihn von allen anderen Göttern unterscheiden: diese
nämlich sind erschaffen (Tim. 41b2) und von sich aus nicht unsterblich
(Tim. 41b3). Sie sind nur deswegen unsterblich, weil es der Wille des
Demiurgen ist, auch sie an seiner Unsterblichkeit teilhaben zu lassen.
Damit steht aber das traditionelle Bild der Unsterblichkeit der Götter
in der Kritik, da die Unsterblichkeit auf einen einzigen, über allen an-
deren Göttern stehenden Gott zurückgeführt wird.
Alles in allem sind bei Platon monotheistische Bezüge mehr als
deutlich. Mit Bordt kann man diesen Monotheismus allerdings als ei-
nen „schwachen“ Monotheismus bezeichnen:

„Einerseits gibt es im strengen Sinne tatsächlich nur einen Gott, an-


dererseits wird nicht die für den starken Monotheismus charakteris-
tische These vertreten, daß es nur einen Gott und keine weiteren
Götter gibt.“284

Aristoteles

Schlüsselstelle für die Interpretation der aristotelischen Gotteslehre ist


dessen Verständnis des unbewegten Bewegers in Metaphysik Lambda.
Das Prinzip des unbewegten Bewegers rückt dabei ins Zentrum des
gesamten Weltverständnisses, da alles, der Himmel und die ganze Na-
tur, davon abhängen (L7, 1072b13-14). So bezeichnet Aristoteles die-
ses Prinzip kurze Zeit später auch als oJ qeov", „der Gott“:

„Wenn sich nun so gut, wie wir zuweilen, Gott immer verhält, so
ist es bewundernswert, wenn aber noch besser, dann noch bewun-
dernswerter. So verhält er sich aber. Und Leben kommt ihm zu;

überlegen ist, sondern dass er der Höchste ist, da er das Ganze der Ideen bildet.“
Ähnlich Zeller, Gott, 51.
283 Vgl. Bordt, Theologie, 70.
284 Bordt, Theologie, 86.
98

denn die wirkliche Tätigkeit der Vernunft ist Leben, jene aber ist
die wirkliche Tätigkeit. Ihre wirkliche Tätigkeit an sich ist aber
bestes und ewiges Leben. Gott, sagen wir, ist das ewige, beste Le-
bewesen, so dass Leben und kontinuierliche Ewigkeit Gott zu-
kommen; dieses ist nämlich (der) Gott (oJ qeov").“ (L7, 1072b24-29)

Dieses Zitat aus L7 ist nun entscheidend für das aristotelische Gottes-
verständnis. Auch an dieser Stelle ist zu fragen, wie der Artikel oJ auf-
zufassen ist, generalisierend oder individualisierend.285 Düring286 wählt
die erste Möglichkeit, versteht oJ qeov" also generalisierend als allge-
meine Aussage zum Themenbereich ‚Götter’. Das Verständnis, wo-
nach es sich um einen einzigen Gott handelt, der gegenüber anderen
Göttern eine Sonderstellung einnimmt und somit in Richtung Mono-
theismus verstanden werden könnte, lehnt Düring ab. Dieses Fehlver-
ständnis sei auf die mittelalterliche interpretatio christiana zurückzu-
führen, die mit Aristoteles den Monotheismus philosophisch zu durch-
dringen versuchte. Auf Aristoteles angewendet sei die Fragestellung
ein Anachronismus, da die griechische Philosophie nicht die Alternati-
ve ein Gott – viele Götter thematisierte, sondern nur die Frage nach
Göttern an sich.287
Allerdings ist Düring in diesem Punkt nicht zuzustimmen. Rich-
tig ist, dass die Fragestellung, ob es nur einen oder viele Götter gebe,
in der Philosophie nicht thematisiert wurde. Jedoch beweist dies nicht,
dass Aristoteles sich Gott nicht als einen einzigen vorstellen konnte.
Eine Analyse der einschlägigen Stellen aus Metaphysik L kann darle-
gen, dass im vorliegenden Fall nicht die interpretatio christiana den
Blick auf die Argumentation bei Aristoteles verstellt, sondern die Ab-
wehr einer christlichen Interpretation jegliche theologischen Argumen-
te auszuklammern versucht.
Entscheidend ist der Nachvollzug, dass es Aristoteles darum
geht, auf ein allererstes Prinzip durchzustoßen, welches er schließlich
mit Gott identifiziert.288 Der Gedankengang ist für das heutige Ver-
ständnis denn auch sehr eigenwillig. Für das grundlegende Verständnis
des unbewegten Bewegers sind zunächst die ontologischen Prämissen

285 Dazu siehe die obigen Ausführungen Bordts zu Platon.


286 Vgl. im Folgenden Düring, Aristoteles, 209-219, besonders 213f.
287 Vgl. Düring, Aristoteles, 219 in Anschluss an Meyer, Geschichte II, 762: „In
Griechenland spielt die Frage bezüglich eines oder mehrerer Götter kaum
irgendeine Rolle. Ob die göttliche Macht als eine Einheit oder Mehrheit gedacht
wird, ist belanglos im Vergleich zu der Frage, ob sie überhaupt existiert und wie
ihre Natur und Beziehung zur Welt verstanden werden muß.“
288 Zur Aristotelesinterpretation, vgl. insbesondere Frede, Monotheism, 44-50.
99

in Betracht zu ziehen, die in Metaphysik I 8 entfaltet werden. Aristote-


les geht davon aus, dass die Wirklichkeit immer der Möglichkeit
vorausgeht. Alles, was möglich ist, ist auch vergänglich, da „es indif-
ferent ist gegenüber Sein und Nichtsein.“289 Alles Seiende wird durch
ein anderes Seiendes hervorgebracht, ist also vergänglich. Jedoch kann
man nach Aristoteles diese Reihe nicht ins Unendliche fortsetzen,
letztlich muss man auf eine Wirklichkeit zurückkommen, die nicht nur
der Möglichkeit nach existiert, sondern als Grund für die Möglichkeit
denknotwendig vorauszusetzen ist. Diesen ontologischen Grundgedan-
ken entfaltet er nun in Metaphysik Lambda anhand seiner Überlegun-
gen zum Unbewegten Beweger. Ausgehend von der Prämisse, dass
Zeit weder Anfang noch Ende besitzt, sondern in einer ewigen Kreis-
bewegung aufzufassen sei, kann er sich den Grund für diese Bewe-
gung nur in einem von der Bewegung unabhängigen Prinzip erklären.
Aber nicht nur die Zeit, sondern die gesamte Wirklichkeit ist laut Aris-
toteles nach diesem Modell der unterschiedlichsten Bewegungen, die
jeweils von einem unbewegten Beweger abhängen, strukturiert. All
diese Bewegungen hängen letztlich ab von einer allen diesen Bewe-
gungen vorgeordneten Bewegung, die er mit der Fixsternsphäre identi-
fiziert. Diese Fixsternsphäre aber wird bewegt von dem allem
zugrunde liegenden ersten Beweger – demjenigen, den Aristoteles mit
oJ qeov" identifiziert.
Aristoteles erschließt somit ein erstes Prinzip, das für die Len-
kung der Welt verantwortlich scheint,290 und dieses erste Prinzip ist in-
folge seiner Logik auch ein einziges Prinzip; der Gott, den er mit dem
unbewegten Beweger identifiziert, ist damit auch ein einziger Gott, der
durch den Artikel oJ individualisierend aus der Menge der vielen mög-
lichen Götter herausgehoben wird.
Interessant ist nun, dass Aristoteles diesen ersten Beweger nicht
nur als Gott bezeichnet, sondern auch mit göttlichen Attributen näher
beschreibt – dieser unbewegte Beweger ist ewig, ein intelligentes We-
sen „enjoying an eternal life of bliss that he identifies him as the
god.“291 Damit erhält der aristotelische Gott aber auch personale Züge,
die erkennen lassen, dass die Identifizierung dieses ersten Prinzips als
„Gott“ mehr sein will als eine bloße ontologische Qualifizierung. Al-
lerdings werden diese personalen Züge nicht näher ausgeführt. Die
Kritik an einer interpretatio christiana würde erst greifen, wenn man
die Personalität des biblischen Gottes auch in das aristotelische Gottes-

289 Ricken, Philosophie, 134.


290 Vgl. hierzu Frede, Monotheism, 48.
291 Frede, Monotheism, 48.
100

bild eintragen würde. Bei Aristoteles bleiben diese personalen Züge


beschränkt. Allerdings dürfen sie nicht außer Acht gelassen werden,
denn die Theorie des unbewegten Bewegers enthält schon eine
personale Komponente: Der erste Beweger ist ein unbewegter
Beweger und bewegt wie alle unbewegten Beweger nicht durch
aktives Eingreifen in den Bewegungsablauf, sondern

„wie ein Geliebtes, und durch das Bewegte bewegt es die anderen
Dinge.“ (L7, 1072b3)

Die personalen Züge des aristotelischen Gottes beschränken sich also


nicht allein auf die Charakterisierung seines Wesens, sondern fordern
zugleich eine Antwort heraus.

Stoa

Auch in der Stoa ist eine eindeutige Tendenz auf einen Gott hin
nachzuweisen. Nach dem Urteil des Philodemus gilt für die Stoiker:

„Alle von Zenon an ... sagen, es gebe nur einen Gott.“ 292

Entscheidend für das stoische Gottesverständnis ist nun die Tatsache,


dass der eine Gott nicht von der Welt unterschieden werden kann, son-
dern mit ihr zusammenfällt. Am eindeutigsten ausgedrückt ist dies in
den Worten Marc Aurels:293

„Denn eine Welt (ist) aus allem


und ein Gott durch alles hindurch
und eine Wesenheit und ein Gesetz.“

Der stoische Gottesbegriff gilt als die Grundlage des Pantheismus:


zwischen Gott und Welt besteht kein wirklicher Unterschied, beide
fallen in eins.
Das bedeutet aber nicht, dass die Unterscheidung von Gott und
Göttern sinnlos wird. Denn auch die Stoiker kennen mehrere Götter,
doch schaffen sie es, durch ihren Ansatz, die Rede von dem einen Gott
mit der Rede von den vielen Göttern in Einklang zu bringen. Dem
novmo" nach gebe es viele Götter, der fuvsi" nach allerdings nur einen
einzigen. Die Stoiker stellen sich nicht gegen den Polytheismus, son-

292 Vgl. SVF I 164; Philosdemus piet. Gomperz 84 17,9ff.


293 Marc Aurel VII 9.
101

dern erkennen in den vielen Göttern einzig „kosmische Aspekte der ei-
nen Weltvernunft, deren Wesen Himmel und Erde darstellen.“ 294 Frede
erklärt dies mit der antiken Strömung, den Wahrheitsgehalt hinter den
alten Mythen wieder zu entdecken und so in wesentlichen Prinzipien
eine Zuschreibung zu vollziehen (etwa in den Elementen Feuer, Erde,
Wasser, Luft), was insbesondere in der Stoa „Konjunktur“ hatte.295
Die vielen Götter gelten wie der eine Gott als unsterblich, aber
nur der eine Gott ist zugleich auch ewig und von daher wiederum ein-
deutig zu unterscheiden. Sind die vielen Götter nur als Entfaltungen
der Welt zu verstehen, so ist der eine Gott das Prinzip, das Werden
und Vergehen steuert. Nach dem Denken der Stoa erneuert sich die
Welt immer wieder im Weltenbrand, fällt in sich zusammen und ent-
faltet sich neu. Gott ist also nicht von der Materie, aus der die Welt be-
steht, zu trennen, sondern ist mit dem dynamischen, dem Werden und
Vergehen der Materie steuernden Prinzip zu identifizieren. Von daher
wird auch die Unterordnung der anderen Götter verständlicher, die nur
im Rahmen der aktuellen Entfaltung der göttlichen Materie zu identifi-
zieren sind.
Untrennbar mit dem Wesenszug des stoischen Gottesbildes ver-
bunden ist auch die provnoia, die göttliche Fürsorge. Nach Cicero, De
nat. d. II 3 kümmern sich die Götter um die Menschen, und zwar so-
wohl kollektiv als auch individuell (De nat. d. II 164). Cicero setzt da-
bei die göttliche Vorsehung mit der göttlichen Vernunft bzw. dem
„künstlerischen Feuer“ gleich, da das Ziel der Fürsorge ist, alles zum
Besten zu lenken (De nat. d. II 57f.). Auch in der Stoa tauchen ver-
meintlich personale Züge im Wesen Gottes auf. Allerdings dient die
Vorstellung der Fürsorge Gottes der Stützung des pantheistischen
Weltbildes der Stoa. Dadurch erweist sich nämlich die Entfaltung der
Wirklichkeit grundsätzlich als auf das Gute und „auf das Gelingen des
Gesamtplanes“ hin ausgerichtet.296

294 Zeller, Gott, 52.


295 Vgl. Frede, Monotheism, 53.
296 Vgl. hierzu auch Klauck, Interpretationen, 194f. Die provnoia ist letztlich auch
mit der eiJmarmevnh (dem Schicksal) austauschbar, vgl. Cicero, De nat. d. II 3.
Sie ist gleichzusetzen mit „der ewigen vollständigen, ausnahmslosen und
unausweichlichen kausalen Verkettung der Ereignisse miteinander.“ Zur
Problematik vgl. Ricken, Philosophie, 169.
102

(b) Vermittlungsinstanzen

Wenn Frede297 konstatieren kann, dass in der Spätantike zumindest ein


bedeutender Anteil der Gebildeten Monotheisten gewesen sein mögen,
ist zu fragen, was mit den Ungebildeten war, und zwar noch einige
Jahre früher, in der Zeit, als die ersten christlichen Missionare ihren
Glauben verbreiteten. Konnte auch dieses philosophische Gottesden-
ken zur Grundlage werden für den Missionserfolg der ersten Christen
auf griechischem Boden?
Ein Verweis auf das Werk zweier Autoren kann zeigen, dass die
philosophischen Überlegungen zu dem einen Gott auch im Umfeld der
frühchristlichen Mission vorzufinden waren. Im Folgenden sollen die
Positionen Dions von Prusa sowie Plutarchs von Chaironeia genauer
untersucht werden.

Dion von Prusa

Die christlichen Missionare, die von Stadt zu Stadt zogen und das
Evangelium verkündeten, waren auf den ersten Blick kein Einzelphä-
nomen. In der Antike gab es viele Reisende, die ihr Wissen und ihren
Glauben verkünden und verbreiten wollten. Neben religiösen Denkern
waren reisende Philosophen anzutreffen, die ihr Wissen nicht in Aka-
demien anbieten wollten, sondern im öffentlichen Leben zu erproben
versuchten. Am berühmtesten sind wohl die Wanderprediger der kyni-
schen Tradition. Bei ihnen handelte es sich um Philosophen, die der
Tradition der Stoa nahe standen und versuchten, ihre Philosophie in
der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Auch sie griffen explizit theolo-
gische Fragestellungen auf. Als bedeutend für die Interpretation des
1Thess wird immer wieder Dion von Prusa298 herangezogen. Dient er
Malherbe299 insbesondere dazu, den Abschnitt 2,1-12 zu erklären, fin-
den sich in seinen Reden auch wichtige Aspekte zum philosophischen
Gottesverständnis in neutestamentlicher Zeit.300
In der sog. Olympischen Rede, die Dion von Prusa während der
Olympischen Spiele im Jahre 105 (?) n. Chr.301 gehalten hat, ist das
Thema die Verehrung Gottes bzw. der Götter. Ausgangspunkt bildet
die für den Zeustempel in Olympia angefertigte, mit Gold und Elfen-
297 Vgl. Frede, Monotheism, 67.
298 Zu Dion von Prusa, vgl. insbesondere von Arnim, Leben und Werke; Klauck,
Pantheisten, 7.15; ders., Dion von Prusa.
299 Dazu siehe Malherbe, Nurse.
300 Vgl. hierzu insbesondere Klauck, Pantheisten, 7-15.
301 Zur Problematik der Datierung vgl. Klauck, Einleitung, 25-27.
103

bein überzogene Zeus-Statue des berühmten antiken Bildhauers Phei-


dias, die unter die Weltwunder der Antike eingereiht wurde. 302 Aus-
gangspunkt bildet die These, dass die Gottesidee den Menschen ange-
boren ist (§27):

„Vom Wesen der Götter im Allgemeinen und von dem des Lenkers
des Alls im Besonderen gibt es als erstes und vor allem eine Vor-
stellung und eine Idee, die dem gesamten Menschengeschlecht,
Griechen und Barbaren gleichermaßen, gemeinsam ist. Notwendig
ist sie jedem vernunftbegabten Wesen von Natur aus eingepflanzt;
ohne Dazwischentreten eines sterblichen Lehrers oder eines Myste-
rienpriesters und somit auch ohne Täuschung hat sie sich durch-
gesetzt. Sie resultiert aus der Verwandtschaft von Menschen und
Göttern und aus den vielen wahrheitsgetreuen Zeugnissen, die es
nicht zuließen, dass die allerersten und ältesten Generationen in
dieser Hinsicht schläfrig oder unaufmerksam wurden.“

Es gibt also eine angeborene Idee von Gott bzw. den Göttern. Die Ar-
gumentation lässt noch keine nähere Spezifizierung zu, ob Dion einen
polytheistischen oder monotheistischen Gottesbegriff voraussetzt, er
kennt sowohl die vielen Götter als auch den einen Gott. Allerdings
lässt die Rede vom „Lenker des Alls“ erahnen, dass auf der kosmolo-
gischen Ebene eine Tendenz in Richtung Monotheismus gegeben zu
sein scheint.
Für die weitere Entfaltung seiner Aussagen greift Dion auf eine
Art Modell zurück, das in der Antike weit verbreitet war. Dabei han-
delt es sich um die sog. theologia tripertita, die sog. „dreifältige“
Theologie (auch wenn, wie sich zeigen wird, Dion auf 4 Weisen zu-
rückgreift).
Lange Zeit war die Annahme verbreitet, dass die theologia
tripertita ihren Ursprung in der Stoa habe, genauerhin auf Panaitios
zurückgehe. Diese Annahme kann allerdings mittlerweile als widerlegt
gelten. Lieberg303 konnte in einer kritischen Bestandaufnahme der
einschlägigen Quellen und des Forschungsstandes aufzeigen, dass die
traditionsgeschichtliche Herleitung der theologia tripertita scheitern
muss, da sich die überkommenen Traditionen einer systematischen
Einordnung entziehen. Die Quellenbasis ist einerseits relativ schmal,
andererseits nicht auf eine philosophische Richtung zurückzuführen.
Am berühmtesten wird die Rede von der dreifältigen Theologie in der
Auseinandersetzung des Augustinus mit der Theologie Varros.
302 Zur Archäologie vgl. Bäbler, Zeus.
303 Vgl. den Forschungsüberblick bei Lieberg, Theologia, insbesondere 107.
104

Gemeinsam ist allen Ausprägungen der theologia tripertita ein


ähnliches Grundschema: mu'qoi, novmoi, lovgoi (z.B. Amat. p. 763C)
sind die gängigen Gliederungsprinzipien, wie sie bei verschiedenen
Autoren auftauchen, etwa bei Aëtios (der die Gesetzgeber explizierte
als Gesetze und Bräuche der Städte), Strabo und schließlich Varro, so
wie er bei Augustinus wiedergegeben wird.
Der Bezug auf die theologia tripertita ist bei Dion eindeutig. Al-
lerdings durchbricht er das gängige Schema, indem er zunächst die an-
geborene Form der Gotteserkenntnis von der erworbenen Gotteser-
kenntnis unterscheidet und zugleich die bildenden Künstler als eigene
Sparte aufführt (die nach der gängigen Vorstellung wohl am besten zu
den mythikoi, d.h. den bildenden Künstlern zu ziehen wären). Er stellt
die einzelnen Weisen der Gottesverehrung denn auch in verschiedenen
Zusammenhängen je eigen dar, sodass sich theoretisch auch unter-
schiedliche Zählweisen ergeben würden. In §27 (vgl. obiges Zitat)
stellt Dion der angeborenen Gottesidee (e[mputo") die erworbene
(ejpivkthto") gegenüber, welche er nochmals genauer spezifiziert als
lovgoi" te kai; muvqoi" kai; e[qesi, zu übersetzen etwa mit „rationale
Argumentation, mythisches Erzählen und religiöses Brauchtum.“304
Dies wäre eigentlich schon die theologia tripertita.305 Allerdings kennt
Dion in §42f. eine andere Art der Zusammenstellung. Dort zählt er
vier Arten der Gottesrede: die angeborene Form der Gottesvorstellung
(1), die von den Dichtern kommende Gottesrede (2) sowie die von den
Gesetzgebern hergeleitete (3). In §44 fügt er diesen drei Arten der
Rede noch als vierte Weise die bildende Kunst hinzu, auf die Weise
des Logos verzichtet er an dieser Stelle. Schließlich lässt er in §47 die
erste Weise der Gotteserkenntnis außer Acht und nennt neben den
bildenden Künsten, den Dichtern und den Gesetzgebern schließlich
noch die Philosophie.
Die Dichter haben in ihren Werken bunte Bilder der Götterwelt
gezeichnet, die Politiker greifen auf Gott hinsichtlich der Gesetzge-
bung zurück, die Philosophen denken über das Wesen der Gottheit
nach und kommen zum Schluss, dass Gott als ein einziger zu denken
ist, und schließlich – als Beigabe des Dion in Anbetracht der
Situierung seiner Rede vor der Zeusstatue – errichten die Bildhauer
und Maler, Kunstwerke, Bilder und Statuen zur Vergegenwärtigung
des Göttlichen.
Für den Vergleich mit dem frühen Christentum sind nun Punkt
(3) und Punkt (4) von besonderem Interesse. Punkt (3) liegt auf der

304 Klauck, Interpretationen, 190.


305 Vgl. auch Dihle, Theologia, 185.
105

Hand, weil auch hier auf die Einheit und Einzigkeit Gottes zurückge-
griffen wird. Punkt (4) ist von besonderem Interesse, weil auch im
1Thess die ei[dwla thematisiert werden. In der christlichen Vorstel-
lungswelt ist dieser Begriff selbstverständlich negativ besetzt. Sie sind
unbrauchbar, tot, etc. und werden dem christlichen Gott gegenüberge-
stellt. Nicht so bei Dion.306 Er wagt eine Synthese. Auch er kennt Ar-
gumente, die gegen die Verbildlichung der Götter angeführt werden,
wie sie etwa bei Plinius dem Älteren zu finden sind.

„Ich halte es deshalb für ein Zeichen menschlicher Schwäche, nach


dem Bild und der Gestalt der Gottheit zu suchen ... Die gebrechli-
chen und mühebeladenen Sterblichen haben, ihrer Schwäche be-
wusst, die Gottheit in Teile zerlegt, damit jeder in seinem Anteil
das verehre, dessen er am meisten bedarf...“ (Nat Hist 2,14) 307

Dion findet allerdings eine Erklärung dafür, warum Menschen die


Götter in Menschengestalt darstellen müssen. Davon ausgehend erklärt
er die Position der Dichter. Er hat also die Absicht, alle Weisen der
Gotteserkenntnis zusammenzudenken. Damit würdigt er viele unter-
schiedliche theologische Ansätze und erklärt ihre Zusammenhänge.
Der Blickwinkel ist eindeutig von der Philosophie dominiert, wie Dion
am Ende (§84) nochmals ganz klar zu erkennen gibt:

„Möglicherweise ist vielen Hörern verborgen geblieben, wovon


meine Rede handelte, obwohl sie, wie ich meine, sehr wohl auf
Philosophen wie auf das Volk als Zuhörer abgestimmt war. ...“

Die positive Charakterisierung der Götterbilder widerspricht aber nicht


nur jüdischem und christlichem Empfinden, Dion argumentiert an die-
ser Stelle wohl bewusst entgegen philosophischen Strömungen seiner
Zeit. In seiner Argumentation, mit der er die positive Bedeutung der
Zeusstatue begründen will, greift er nämlich auf das rhetorische Mittel
der Prosopopoiie zurück. Der Bildhauer Pheidias setzt gewissermaßen
vor Gericht zu einer Verteidigungsrede an und kann sehr wohl begrün-
den, warum es sinnvoll sein kann, die Götter in Kunstwerke zu fassen.
306 Vgl. hierzu Klauck, Pantheisten, 9-12.
307 Zur Bilderkritik vgl. auch Plutarch, De superstitione 167D-E: „... Sie lassen sich
überzeugen von Kupferschmieden und Steinmetzen und Wachsbildnerinnen,
welche den Göttern ein menschengestaltiges Aussehen geben. Sie fertigen
solche (Bildnisse) an, umsorgen sie und verehren sie. Auf Philosophen und
Staatsmänner blicken sie verächtlich herab, wenn die ihnen beweisen wollen,
dass Gottes Erhabenheit sehr wohl zusammengeht mit Güte, Großmut, Milde
und Fürsorge.“
106

Entscheidend ist in seiner Darstellung sein Insistieren auf der Tat-


sache, dass es sich wirklich um Kunst handelt, die nicht einfach etwas
abbilden will, sondern durch Symbolkraft das Nichtdarstellbare anzu-
deuten versucht. Davon zu unterscheiden sind „barbarische“ Darstel-
lungsformen, die einfach Tiere (§ 59) oder Berge, nicht kultivierte
Bäume bzw. unbehauene Steine (§ 61) an die Stelle von Göttern setzen
und damit dem Göttlichen in keiner Weise nahekommen können.
Auch der Künstler muss einschränken, dass seine Kunstwerke nur aus
der Notwendigkeit entstehen, dem Normalbürger, dem die Philosophie
nicht ausreicht, einen Zugang zur Gottesverehrung zu ermöglichen.
Aber gerade diese Nähe zum Göttlichen wird durch die künstlerische
Leistung erreicht. Dions Pheidias beschreibt sein Kunstwerk deswegen
auch mit rein philosophischen Begriffen und klammert alle mythi-
schen Anspielungen aus (§ 77):

„So weit es überhaupt möglich ist, so etwas darzustellen, ohne


sich dabei der Sprache zu bedienen, geschieht das nicht in hin-
reichendem Umfang nach allen Maßstäben der Kunst (in mei-
nem Standbild)? Seine Herrschaft und sein Königtum will die
Wucht der Gestalt und ihre Majestät zum Ausdruck bringen, sei-
ne Vaterrolle und seine Fürsorge das sanftmütige und freundli-
che Moment, den ‚Beschützer der Stadt’ und den ‚Wahrer des
Rechts’ die Erhabenheit und die Strenge, die Verwandtschaft
von Göttern und Menschen irgendwie eben diese menschliche
Erscheinung, und zwar auf symbolische Weise, den ‚Garanten
der Freundschaft’, den ‚Hort der Schutzflehenden’, den ‚Schutz-
gott des Gastrechts’, den ‚Gott der Zuflucht’ und alle ähnlichen
Attribute schlechthin die Menschenliebe und Sanftmut und Gü-
te, die (im Bild) zum Vorschein kommen. Den ‚Wahrer des Be-
sitzes’ und den ‚Fruchtbringer’ aber repräsentieren die Einfach-
heit und der Großmut, die sich in der Gestalt zeigen; der Gott
gleicht nämlich, kurz gesagt, am ehesten jemandem, der das
Gute gnädig schenkt und spendet.“

Ausgeblendet sind hingegen mythische Aspekte, wie sie bei Homer


und Hesiod noch zu finden sind (§78).308

Zusammenfassend kann folgendes festgehalten werden. Auf den ersten


Blick ist Dion ein Vertreter des Polytheismus. Zumindest verwirft er
in seinen Ausführungen nicht die Idee der vielen Götter (genauso
308 Bäbler, Zeus, 222f.233, stellt klar, dass Dion bewusst über mythische Darstel-
lungen hinwegsieht, wie etwa die Sphinx- und Niobedarstellungen im
Thronbereich.
107

wenig wie er die Götterstatuen ablehnt), sondern er rückt sie in-


terpretatorisch ins rechte Licht. Andererseits fällt bei Dion die Sonder-
behandlung des Zeus auf, die auch sprachlich kenntlich wird.309 Selbst-
verständlich hat dies mit dem Thema der Rede zu tun, der olympi-
schen Zeus-Statue. Die angedeutete Kritik an der Unvollständigkeit
der künstlerisch-gestalterischen Kraft und die damit einhergehende
philosophische Abstraktion vermitteln nun ein Gottesbild, das gerei-
nigt werden kann. Der über allen anderen Göttern stehende Zeus wird
zum „innersten Wesen der Natur, und die vielfältigen Kräfte, die in ihr
wirken, können als Entfaltung der einen anfänglichen Urkraft interpre-
tiert werden.“310
Dion legt kein monotheistisches Modell vor. Seine Gottesrede
trägt die typischen Züge stoischer Philosophie, und sein kosmologi-
scher Ansatz ist denn auch eher als Pantheismus zu identifizieren. Die
unterschiedlichen Götter stehen hauptsächlich für philosophisch-kos-
mologische Prinzipien. Durch die Konzentration auf den Zeusbegriff
ist allenfalls eine Tendenz zu erkennen, die die Rede bzgl. Gott und
den Göttern auf ein grundlegendes Prinzip zu reduzieren versucht. Es
geht darum nachzuweisen, dass die Rede über Gott, so wie sie Paulus
seinen Gemeinden näher bringen wollte, den paganen Hörern nicht
fremd sein musste. Auch wenn die Gottesvorstellung Dions noch we-
nig mit dem biblischen Gott zu tun hatte, kann damit jedoch gezeigt
werden, inwieweit Paulus bei seiner Missionsarbeit auf philosophi-
sches Vorwissen bei seinen Hörern zurückgreifen konnte. Von Interes-
se ist insbesondere die vermittelnde Funktion der unterschiedlichen
Aussageweisen in der Rede über Gott. Da zwar Dion seine Reden
nicht für akademisches Publikum hält, aber dennoch für philosophisch
Interessierte oder sonstige „Normalbürger“, erreicht er damit ebenso
das einfache Volk wie Paulus.
Das heißt: auch wenn sich die Gemeinde nicht aus Gebildeten
zusammengesetzt hat, ist es dennoch möglich, dass die Mitglieder eine
Ahnung von philosophischen Standpunkten hatten, da Dion kein Ein-
zelphänomen war, nur einer der tradierten und somit herausragenden
Vertreter.

309 Vgl. die Übersicht bei Klauck, Interpretationen, 198f.


310 Klauck, Interpretationen, 199.
108

Plutarch von Chaironeia

Auch das philosophische Denken Plutarchs beschränkte sich nicht auf


die akademische Ausarbeitung philosophischer Theorien, sondern
wollte immer Bezüge herstellen zum wirklichen Leben. Insbesondere
bzgl. theologischer Fragestellungen finden sich viele unterschiedliche
Reminiszenzen – auf sein Verständnis der theologia tripertita wurde
ja bereits hingewiesen. Das Besondere an Plutarch ist die Tatsache,
dass er einerseits ein akademisch geschulter Philosoph und dabei einer
der wichtigsten Vertreter des Mittelplatonismus war, andererseits auch
als delphischer Priester tätig war. In seinem Denken finden sich viele
Anspielungen auf das Judentum.311 Erstaunlich ist, dass er das Chris-
tentum kaum wahrzunehmen schien, eventuell aufgrund der noch zu
geringen Ausbreitung oder der für Außenstehende kaum zu erkennen-
den Unterscheidung zum Judentum. Als Lehrer in einem eigenen
Schulbetrieb hat Plutarch ein nicht unbedeutendes Werk hinterlassen.
Das Problem bei der Erfassung seiner theologischen Arbeiten besteht
darin, dass er keine systematische religionsphilosophische Abhandlung
geschrieben, sondern in den unterschiedlichsten Zusammenhängen sei-
ne religiösen Ansichten eingestreut hat. Eine Systematisierung kann
hier nicht geleistet werden. Allerdings sind ein paar Einblicke in die
religionsphilosophischen Argumentationen Plutarchs überaus auf-
schlussreich für die Vermittlung monotheistischer Ansätze innerhalb
der griechischen Religiosität.
Plutarchs Äußerungen zur Gottesfrage sind auch deshalb von Be-
deutung für das frühe Christentum, weil sich auf der phänomenologi-
schen Ebene viele Gemeinsamkeiten zu ergeben scheinen. Für Plu-
tarch ist es mittlerweile selbstverständlich, die Einheit und Einzigkeit
Gottes zu postulieren. Dabei wird deutlich, dass dies nicht einfach das
Ergebnis philosophischen Fragens ist, sondern existentiellen Bezug
hat. Plutarchs Gott hat wie der biblische Gott personale Züge, was bis
in die Gottesprädikationen hinein erkennbar ist. Genau das macht ihn
interessant für die vorliegenden Fragestellungen.
Zunächst allerdings muss der philosophische Ansatz auf den
Prüfstand gestellt werden. Plutarch gilt als einer der wesentlichen Ver-
treter des Mittelplatonismus312, d.h. einer von Platons Akademie unab-
hängigen Philosophentradition, die entscheidende Begriffe und Postu-

311 Vgl. Hirsch-Luipold, Einleitung, 2 mit Anm. 5.


312 Wesentliche Autoren neben Plutarch sind etwa Eudoros aus Alexandrien oder
Apuleius von Madaura.
109

late der platonischen Philosophie aufnimmt 313, sich allerdings auch an-
deren philosophischen Strömungen öffnet314. Im Prinzip orientiert sich
Plutarch in seiner Gotteslehre an Platons Gott aus dem Timaios, dem
Demiurgen.315 Er interpretiert die platonische Philosophie auf seine ei-
gene Weise, weicht aber in den wichtigsten Zügen nicht von Platons
Denken ab.316
In seiner Schrift de E apud Delphos, die über das Epsilon-Zei-
chen über dem Apollon-Tempel in Delphi reflektiert, kommt er in-
teressanterweise zu dem Schluss, dass dieses Epsilon als Bekenntnis
zu Gott aufzufassen sei: ei\ – „Du bist“ bzw. „Du bist eins.“ Dieses Be-
kenntnis bezieht sich auch auf die Frage nach der Unvergänglichkeit,
nach dem Einzigen, was nicht vergeht. Dieses Eine scheint Grundlage
allen Denkens zu sein und wird zum Anbeginn jeglicher Ontologie. 317
Dies führt er folgendermaßen aus:

„Weil nun Gott einer ist, deshalb hat er mit dem einen Jetzt das Im-
mer angefüllt, und nur was auf diese Weise ist, ist wahrhaftiges
Sein, das weder geworden ist noch eine Zukunft vor sich hat, das
weder Anfang noch Ende kennt.“ (393A)

Die Formulierung als Bekenntnis verweist darauf, dass der Gott Plu-
tarchs nicht als rein ontologisches Prinzip verstanden wird, sondern
eindeutig personale Züge trägt.318 Denn das Bekenntnis ist grundsätz-
lich als Antwort eines Anrufes Gottes zu verstehen, wie aus folgenden
beiden Zitaten zu erschließen ist:

„Denn der Gott ruft jeden von uns, die wir hierher kommen,
gleichsam als Gruß das ‚Erkenne dich selbst’ entgegen ... und
wird wiederum sprechen, dem Gott antwortend, ‚Du bist’, womit

313 Nach Klauck, Umwelt II, 124 sind diese die Transzendenz Gottes, die Existenz
der Ideen sowie die Unsterblichkeit der Seele.
314 Mit Ausnahme der Epikureer, denen bspw. Plutarch mehrere Streitschriften ge-
widmet hat. Vgl. etwa die Schriften non posse suaviter vivi secundum Epicurum
(vgl. den Kommentar von Zacher, Plutarchs Kritik) oder de latenter vivendo
(vgl. die Interpretationen bei Berner et al., Plutarch).
315 Vgl. Ferrari, Gott, 23f.
316 Vgl. hierzu insbesondere Ferrari, Gott.
317 Vgl. im Folgenden Hirsch-Luipold, Gott, 142f. Hirsch-Luipold verweist auch
auf die Deutung der Namen Apolls, wie sie in 393B und 388F vorzufinden sind:
jIhvio" sei demzufolge eine Zusammensetzung aus ei|" kai; movno", jA-povllwn
bedeute ajrnouvmeno" ta; pollav (= derjenige, der der Vielfältigkeit eine Absage
erteilt).
318 Mit (sehr) viel Phantasie kann man dabei bereits das Schema Israel heraushören.
110

wir ihm das wahre, nicht irrende, ihm allein einzig zukommende
Prädikat, das des Seins, als Anrede widmen.“ (392A).

„Übrigens ist, wie es scheint, dem ‚Du bist’ das ‚Erkenne dich
selbst’ auf eine Weise entgegengesetzt und auf gewisse Weise
wiederum mit ihm in Einklang.“ (394A)

Zumindest wird deutlich, dass es Plutarch nicht allein um philosophi-


sche Theorie geht, sondern um ein existentielles Anliegen, es handelt
sich um das Bekenntnis zu einem personalen Gott. Wesentliches
Kennzeichen dieses Gottes ist die Philanthropia. Plutarchs Gott „setzt
sich selbst zur Welt und zum Menschen als Vater, Herr, Herrscher und
Richter, aber auch als Retter und Arzt, sogar als Mysterienführer in
Beziehung. Gott als philosophisches Prinzip und als Person – für
Plutarch handelt [es] sich dabei um zwei unterschiedliche Perspektiven
auf denselben Gegenstand.“319 Gott ist nicht nur durch Denken zu
erschließen, sondern von sich aus aktiv, hinterlässt Spuren in der Welt
und richtet dadurch die Menschen auf sich aus, damit sie ihn erreichen.
Seinen Ursprung hat er immer in der religiösen Praxis 320, sie ist
für Plutarch „gleichermaßen Gegenstand des Lebensvollzugs wie
Gegenstand philosophischer Reflexion.“321 Das, was Dion in der
Olympischen Rede als die eingeborene Idee und somit als erste Weise
der Erkenntnis Gottes gedeutet hat, kommt bei Plutarch in ähnlicher
Weise zur Geltung. Plutarch erkennt die unterschiedlichsten Formen
von Gotteserfahrungen an und ist der Meinung, dass der

„von den Vätern ererbte Glaube ... völlig ausreichend [ist] und
man ... darüber hinaus keine klareren Aussagen und keinen kla-
reren Beweis (sc. über die Götter) finden“322

kann. Die Philosophie bringt hinsichtlich der Gotteserkenntnis also nur


insofern etwas Neues, als sie diese Zugänge zu Gott in anderer Weise
zu verstehen versucht und ihre Gemeinsamkeiten, nicht ihre Unter-
319 Hirsch-Luipold, Gott, 143f.
320 Vgl. zum Zusammenhang insbesondere Feldmeier, Philosoph und Priester, 412-
425.
321 Hirsch-Luipold, Gott, 145.
322 Amat. 756B. Auch hier geht es um die Essenz dieser Aussageformen.
Andernorts sieht er den Wahrheitsgehalt der Mythen zumindest etwas
differenzierter, wenn er sie bspw. in Amat. 762A als „dünne und verschwom-
mene Ausflüsse der Wahrheit“ bezeichnet. Überhaupt darf hier nicht ausgespart
werden, dass bei Plutarch auch intensive Kultkritik geübt wird. Vgl. hierzu
Graf, Plutarch.
111

schiede herausstellen will. Somit wird der Blick auf die entscheiden-
den Aspekte der alten Überlieferungen gelenkt. Wenn Plutarch die
Einheit Gottes zu erklären versucht, kann beinahe jeder Gott zum „ei-
nen Gott“ werden. Plutarch will keinen bestimmten der traditionellen
Götter gegen einen anderen ausspielen, sondern zeigt für jede Tradi-
tionslinie die Bedeutung auf, die sich im je eigenen Bekenntnis mani-
festiert, und wie sich in jedem Bekenntnis immer der Absolute, einzige
Gott zu offenbaren scheint. So sind denn auch Apollo (der delphische
Hauptgott, vgl. in de E apud Delphos), Eros (im Amatorius) und Osiris
(in de Iside et Osiride) beinahe austauschbar. In De Is. 377 F etwa
heißt es:

„Es gibt keine unterschiedlichen Götter bei den unterschiedli-


chen Völkern, keine Barbaren- und Hellenengötter, keine südli-
chen und nördlichen Götter, sondern wie Sonne und Mond,
Himmel, Erde und Meer allen gemeinsam sind, aber von den ei-
nen so, von den anderen anders genannt werden, so ist es ein
Logos, der dies alles ordnet, eine einzige Vorsehung, die darü-
ber waltet.“

Die Tatsache, dass in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Göt-


ter verehrt werden, stellt sich letztlich für Plutarch als Sprachproblem
heraus. So erklärt er in De Is. 377F-378A etwa folgendermaßen:

„... wurden aber bei den verschiedenen Völkern, dem Brauch-


tum entsprechend, verschiedene Ehren und Benennungen zuteil
und man verwendete geheiligte Symbole, die bald nur dunkel,
bald klarer, das Denken auf das Göttliche hinwenden, freilich
nicht ohne Gefahr...“

Damit erklärt sich auch, warum verschiedene Götter durch andere er-
setzt werden können, warum es letztlich egal ist, welchen Gott er ins
Zentrum rückt. Er hat ein grundsätzlich inklusives, harmonisierendes
Anliegen, will nicht den Kampf um den richtigen Gott entfachen, son-
dern geht davon aus, dass alle Glaubensrichtungen, werden sie nur
konsequent zu Ende gedacht, sich bei demselben Gott treffen.323
Der eine Gott Plutarchs trägt eindeutig personale Züge, wie es
der traditionelle Rückgriff auf verschiedene Götter immer wieder ver-
anschaulichen kann. Schließlich sei eine weitere Linie in Plutarchs
Gottesverständnis aufgedeckt, die ebenfalls Berührungen mit dem bib-

323 Hier sei auch an die Grenzen dieser „Offenheit“ erinnert. Was das Kultische
anbelangt, ist Plutarch wie schon erwähnt ein Gegner von Götterbildern.
112

lischen Gottesverhältnis aufweist. Wenn Plutarch davon spricht, „dass


Osiris als ‚König über die Toten’ (De Iside 78,382E) der Führer der
Seelen zu einem glückseligen Leben ist (78,382F-383A), während das
Zerstörerische und der Tod auf eine widergöttliche Gegenmacht zu-
rückgeführt werden ...,“324 mag man zumindest Anklänge an die bibli-
sche Vorstellung des lebendigen Gottes erkennen. Zum Verständnis
des lebendigen Gottes gelangt Plutarch durch philosophische Schluss-
folgerung. Ausgangspunkt sind seine Überlegungen zum ägyptischen
Tierkult. Er versucht entgegen der pauschal ablehnenden Haltung pa-
ganer Philosophen positive Aspekte im Tierkult aufzudecken. Plutarch
schließt sich der allgemeinen Kritik an der therimorphen Kultpraxis
an,325 erkennt aber dahinter „eine ... philosophische Wahrheit. ... Diese
Wahrheit besteht darin, dass das Göttliche sein Wesen in dieser Welt
am vollkommensten im Lebendigen offenbart.“326 Deswegen wäre die
Verehrung von Tieren qualitativ höher einzuschätzen als die Vereh-
rung von Götterbildern, da sie mehr Ähnlichkeit mit dem Göttlichen
hätten:

„Nicht in Farben, Formen und feinem Schliff liegt das Göttli-


che, sondern alles, was am Leben nicht teilhat und teilzuhaben
nicht befähigt ist, steht an Rang und Würde noch unter den Ka-
davern; ein Wesen aber, das lebt und schaut und aus sich selbst
den Ursprung der Bewegung hat und Eigenes und Fremdes un-
terscheidet – dieses Wesen hat einen Ausfluss und Anteil von
der Schönheit des Denkenden in sich aufgenommen, von dem
die Welt gelenkt wird, wie Heraklit sagt.“ (76,382B)

Der eigentliche Aspekt des Tierkultes ist also die Verehrung des Le-
bendigen, welches dem Wesen Gottes ontologisch am nächsten
kommt.327 Auch für Plutarch ist – ganz in platonischer Tradition – die
göttliche Wirklichkeit nicht erreichbar, selbst mit der Philosophie kann
nicht mehr als ein „undeutliches Traumbild“ erfasst werden. Das gilt
324 Vgl. Feldmeier, Osiris, 215. Im Folgenden orientiere ich mich sehr stark an der
Argumentation Feldmeiers. Aufgrund der erstaunlichen Parallelen sollen die
wichtigsten Argumente an dieser Stelle trotzdem zur Sprache gebracht werden.
325 Vgl. seine Kritik in De Isid. 71,379 D-E, wo er die praktizierten Kultformen als
unpassend abqualifiziert.
326 Feldmeier, Osiris, 222.
327 Plutarch weicht an dieser Stelle entscheidend von Platon ab. Er stellt nicht das
Sein dem Leben entgegen, sondern den Tod. Zitat Hirsch-Luipold, Denken, 219:
„Als Gegensatz zu der anderswo bei Plutarch als Werden und Vergehen
qualifizierten Sphäre des irdischen Lebens erscheint hier nicht das wahre Sein,
wie man es in Anschluss an Platon erwarten würde, sondern die Leblosigkeit.“
113

auch für Osiris:

„Aber in Wirklichkeit ist Osiris weit weg von der Erde, unbe-
rührt, unbefleckt und rein von jeder Substanz, die Verfall und
Tod ausgesetzt ist.“ (...) (78,382E-F)

Von daher erschließt sich auch, inwieweit Osiris als Gott des Todes zu
denken ist. Er ist kein Gott der Unterwelt, der den Aspekt des Lebens
an sich reißt, sondern durch seine Trennung von der Welt Garant für
das wirkliche Leben. „Als Totengott ist er gleichsam die Negation der
Negation; durch den Tod wird der Tod überwunden.“328 Durch den
Tod wird die menschliche Seele befreit:

„Aber wenn sie [sc. die menschlichen Seelen], vom Körper ge-
löst, hinübergehen zum Unsichtbaren, Unschaubaren, Leidlosen,
Reinen, dann ist dieser Gott ihnen Führer und König.“
(78,382F)

(c) Fazit

Zusammenfassend ist zu sagen, dass von einer Übereinstimmung der


biblischen mit der philosophischen Gottesvorstellung nicht gesprochen
werden kann. Der Unterschied liegt im erkenntnistheoretischen Zu-
gang, der im biblischen Denken mit der Erfahrung der Macht dieses
einen Gottes einhergeht, während er in der Philosophie durch die
Rückführung auf abstrakte Prinzipien zu erfahren ist. Doch kann man
dies nicht einschränkend bestimmen und festlegen. Der Weg der Phi-
losophie hat ebenso eine Wirkungsgeschichte entfaltet, die in Richtung
religiösen Denkens verweist. Zudem hat der Bezug zu letzten ontolo-
gischen Prinzipien auf die existentiellen Komponenten hinzuweisen
vermocht, wie es bei Plutarch überaus deutlich wurde. Weder die Kri-
tik an Götterbildern noch die Vorstellung des lebendigen Gottes waren
paganem Denken fremd.
Wenn man ein solches Denken als ein vermitteltes verstehen
kann (Dion von Prusa agierte öffentlich und verbreitete seine Reden,
Plutarch war delphischer Priester und lehrte in seiner Schule) – die
Theorien hatten eindeutig auch Außenwirkung – wird man auch ver-
muten, dass der erfolgreiche ei[sodo" des Paulus nicht zuletzt durch
gemeinsame religiöse Motive des jüdischen und paganen Gottesver-
ständnisses unterstützt wurde. Bei allen Unterschieden ist im Rahmen

328 Feldmeier, Osiris, 225.


114

der Erstverkündigung auf die Gemeinsamkeiten zu verweisen, die den


Dialog zwischen Missionaren und Gemeinde erst ermöglichten. Und
so kann man mit Frede schließen:

„It may be noted in passing that Aristotle seems to go out of his


way to characterize this divine principle as a living, thinking
being. This should be enough to set aside another prejudice,
namely the view that, though ancient pagan thought may have
moved in the direction of postulating one supreme God, this
God was conceived of more as an abstract principle than as a
concrete person. There is nothing impersonal about Aristotele's
God, or the God of the Stocis, or the God of Numenius or Plo-
tinus.“329

2.2.2.6 Das vermittelte Gottesbild

So komplex die religiöse Struktur griechischer Städte zu zeichnen ist,


so vielfältig sind auch die religiösen Anknüpfungspunkte für die um-
herziehenden Missionare. Paulus musste bei seiner Verkündigung
nicht ganz von vorne beginnen, sondern konnte durch eine geschickte
Auswahl eines Gerüsts an Vorannahmen seine Vorstellungen des bib-
lischen Gottes näherbringen. Dabei soll explizit die Darstellung der
Verse 9 und 10 aufgegriffen werden, auch wenn es sich hierbei nur um
einen Teilaspekt handelt. Weitere Aspekte des Gottesbildes sollen in
den folgenden Textuntersuchungen zutage gefördert werden. Hinsicht-
lich der Verse 1,9f. gilt es schließlich trotz der Ergebnisse der Tradi-
tionsanalyse zu fragen, inwieweit man die Stelle als einen Reflex auf
seine tatsächliche Missionspredigt lesen kann. Diese Frage ist auch
weiterhin aktuell und noch nicht abschließend beantwortet.330 Zunächst
aber zur Interpretation dieses Bekehrungsvorgangs. Auf der narrativen
Ebene wird die Motivation der Bekehrung geschildert. Sprachlich wird
dies durch die Verbindung von ejpistrevfein mit den beiden koordi-
nierten finalen331 Infinitiven douleuvein und ajnamevnein gekenn-
zeichnet. Wie schon ausgeführt wurde, geht es um die Abkehr von den

329 Frede, Monotheism, 48.


330 Den Überlegungen Muncks, Preaching, und Hookers Nutshell, stehen immer
wieder Anfragen gegenüber, zuletzt sehr ausführlich bei Woyke, Götter, 120-
157. Dazu vgl. oben, 2.2.1.4.
331 Darüber herrscht im Großen und Ganzen Konsens. Anders allerdings Rigaux,
Saint Paul, 392.
115

sog. ei[dwla, den sog. Götzen, und man wird davon ausgehen können,
dass tatsächlich eine polemische Komponente mitgedacht ist.

(a) Die Gottesprädikationen

- lebendiger Gott

Die Rede vom lebendigen Gott hat Paulus, wie schon eingangs gezeigt
wurde, ohne Zweifel aus der LXX übernommen. Grundsätzlich ist der
Begriff auch im Urchristentum verbreitet. Allerdings scheint es sich
um kein zentrales Theologumenon zu handeln, da er im AT und NT
nur spärlich vorkommt.332 Versucht man die Geschichte dieses Be-
griffs nachzuzeichnen, gelangt man zu der zunächst grundlegenden re-
ligionsgeschichtlichen Vorstellung, dass dieser Gott allein für die Le-
benden von Bedeutung ist.333 Mit dem Aufkommen des Gedankens ei-
ner creatio ex nihilo ändert sich jedoch das Verhältnis zum Bereich der
Toten, da jetzt alles Dasein göttlich ist und somit auch das Nichts und
der Tod unter dem Einflussbereich Gottes stehen.334 Dass Gott ein Gott
des Lebens ist, erschließt sich auch aus den Erfahrungen des Volkes
Israel mit diesem Gott. Sie erfahren ihren Gott als den Gott, der sie im-
mer wieder rettet und in höchster Gefahr für ihr Leben einsteht. Von
daher ist die Rede vom „lebendigen Gott“ zu verstehen.335 Er trägt die
Verantwortung für die Verheißung des Lebens. In vielen Aussagen
wird das Attribut „lebendig“ auch schöpfungstheologisch verwendet.
Für die neutestamentliche Verwendungsweise sind insbesondere
diejenigen Stellen aufschlussreich, die den Begriff in Zusammenhang
mit der Abgrenzung gegenüber anderen Göttern gebrauchen. Zu nen-
nen wären etwa 4 Bas 19,4.16 mit der Parallele Jes 37,4.17 sowie Dan
5,23. In diesen Stellen wird die Ohnmacht der anderen Götter im Ge-
gensatz zum lebendigen Gott dargestellt. Zumindest in 4 Bas 19,15
332 Vgl. zur Einschätzung Stenger, lebendiger Gott, 61 mit Verweis auf Schmidt,
Alttestamentlicher Glaube, 140 und Kraus, Gott, 172.
333 Vgl. hierzu Feldmeier, Osiris, 215: „Ursprünglich wurde damit zum Ausdruck
gebracht, dass der alttestamentliche Gott mit dem Bereich der Toten nichts zu
tun hat. Rhetorische Fragen wie ‚Wer wird dir bei den Toten danken?‘ (Ps 6,6)
oder ‚Wirst du an den Toten Wunder tun?‘ (Ps 88,11) unterstreichen dies ebenso
wie die Feststellung: ‚Die Toten loben dich nicht‘ (Jes 38,18; Ps 115,17).“
Anders Stenger, lebendiger Gott, 61, der den Ursprung der Vorstellungen „aus
dem Vorstellungsbereich der sterbenden und wiederauferstehenden Gottheiten
der kanaanäisch-syrischen Religion entlehnt“ sieht.
334 Vgl. Feldmeier, Osiris, 126 unter Verweis auf 2 Makk 7,28f (Auferste-
hungsglaube) sowie SapSal 2,23-3,9; 6,18f. (Verewigung der frommen Seelen).
335 Siehe Kraus, lebendiger Gott, 183.
116

wird der lebendige Gott auch im Sinne seines Schöpfungshandelns ge-


deutet, d.h. die Erklärung, dass allein JHWH als lebendiger Gott zu
verstehen sei, wird durch die universalisierende Aussage „du bist der
einzige Gott über alle Königreiche der Erde, du hast Himmel und Erde
erschaffen“ in einen übergreifenden Horizont gestellt, der das Bezugs-
feld Gott – Israel eindeutig zu überschreiten scheint. Dadurch verlieren
die anderen Götter in logischer Folge hierzu ihre Bedeutung, werden
selbst nur Geschöpf, nicht nur Geschöpfe Gottes, sondern Geschöpfe
aus Menschenhand.336 Im Übrigen kann man darauf schließen, dass die
Verwendung von ei[dwlon in 1,9 ebenfalls polemisch konnotiert ist und
nicht in der tendenzfreien Verwendung des profangriechischen
Sprachgebrauches übernommen wurde.337

- wahrer Gott

Ebenso ist die Gottesprädikation ajlhqinov" nur an dieser Stelle für


Paulus nachweisbar. Ansonsten ist das Wort im NT lediglich in der jo-
hanneischen Tradition belegt338, allerdings ist es, ebenso wie das vo-
ranstehende, bei Paulus und im Frühchristentum auch nicht gerade
häufig gebrauchte zw'n, der alttestamentlich jüdischen Tradition zuzu-
weisen und taucht vornehmlich in der jüdisch-hellenistischen Mis-
sionsliteratur auf.339 Hier sind die meisten Stellen in Auseinanderset-
zung mit anderen Göttern formuliert. An dieser Stelle wird der antike
Wahrheitsbegriff wichtig, gerade in seiner Abgrenzung von den ei]-
dwla. Auch wenn man nicht erwarten kann, dass Paulus bewusst phi-
losophisch argumentiert, zeigt die Verwendung des Begriffs ajlhqinov",
dass er bewusst im Gegensatz zu den Götzen auf die Wahrheit der
Existenz des einen Gottes und auf die reine Abbildhaftigkeit der Göt-
zen hinweist und ihre Existenz in Zweifel zieht. Schon Platon kenn-
zeichnete sie negativ (etwa in Symp 212a) als Abbilder der Ideen, in
der Stoa bezeichnen die ei[dwla alles, was in irgendeiner Form die Er-
kenntnis von Wahrheit behindert.340 Interessanterweise findet sich eine
ähnliche Kritik beim Platoniker Philon von Alexandrien. Er stellt dem
wahren Gott nicht die Götzen gegenüber, aber ähnlich kritisch be-
336 Vgl. Woyke, Götter 118, mit dem Hinweis, dass im Jesaja-Text das "elohim"
nicht mit qeoiv, sondern mit ei[dwla übersetzt worden ist.
337 Vgl. zu den ei[dwla den ausführlichen Exkurs bei Woyke, Götter, 37-103.
338 Vgl. o. zur Traditionsanalyse in 2.2.1.
339 Vgl. ebd.
340 Vgl. hierzu insbesondere Klauck, Herrenmahl, 242. Klauck weist auch auf den
Zusammenhang mit der Stoa hin.
117

zeichnet er diese anderen Götter als yeudwvnumoi, einem ähnlich treff-


sicherer Begriff, um den Wahrheitsgehalt dieser Götzen anzugreifen.341

- lebendiger und wahrer Gott

Intensiver sollten diejenigen seltenen Stellen betrachtet werden, bei


denen beide Attribute zur Anwendung kommen: JosAs 11,10, Jer
10,10 (allerdings nur masoretisch überliefert), 3Makk 6,18.28 sowie
SibFrgm. 3,43-46.
Der Kontext in JosAs ist die Bußklage der Aseneth, die sich von
ihren Göttern abgewandt hat, da sie ei[dwola kwfa; kai; nekrav, also
stumme und tote Götter sind (JosAs 13,11). Sie will sich hingegen
dem Gott der Hebräer zuwenden, denn der ist qeo;" ajlhqino;" ... kai;
qeo;" zw'n kai; qeo;" ejlehvmwn kai; oijktivrmwn kai; makrovqumo" kai;
poluevleo" kai; ejpieikhv" (JosAs 11,10).342 Die Bedeutung der Attri-
bute lebendig und wahr ist dem weiteren Kontext zu entnehmen. Jo-
seph liebt Aseneth, kann sie aber als gottesfürchtiger Mann nicht hei-
raten, weil sie die toten Götzen verehrt (JosAs 8,5-7). In seinem fol-
genden Segensgebet bittet er um die Erneuerung Aseneths (JosAs 8,9).
Diesen Gott ruft er an als denjenigen, der das All zum Leben erweckte
(oJ zwopoihvsa" ta; pavnta), aus dem Irrtum zur Wahrheit (ajüpo; th'"
plavnh" eij" th;n ajlhvqeian) und aus dem Tod ins Leben (ajpo; tou'
qanavtou eij" th;n zwhvn) führt. ajlhqinov" und zw'n werden demnach als
schöpfungstheologische Begriffe verwendet. Der lebendige und wahre
Gott ist der alles umfassende Gott, der letztlich auch für die Heiden
konstitutiv ist, allerdings von ihnen nicht erkannt wird – aus Un-
wissenheit (JosAs 13,11). „Der qeo;" oJ zw'n ist also der lebendigma-
chende Gott, dessen schöpferisches Handeln in Bezug auf das Weltall
Paradigma wie Fundament für die Neuschöpfung der Heiden durch ih-
re Eingliederung in das jüdische Volk ist.“ 343 Das Verständnis der At-
tribute erschließt sich eindeutig aus der Opposition zu den ei[dwla,
denn diese sind tot, nicht lebendig und werden nur aus Unkenntnis der
Wahrheit des richtigen Gottes verehrt.
Ganz ähnlich stellt sich der Zusammenhang in den anderen Ver-
gleichstexten dar. In Jer 10,10 steht der lebendige und wahre (wahr-
haftige) Gott den ohnmächtigen Götzen gegenüber. Die Götzen kön-

341 Vgl. Woyke, Götter, 119.


342 Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Stelle vgl. Woyke, Götter, 113;
Holtz, Glaube.
343 Woyke, Götter, 114.
118

nen weder Gutes noch Böses tun, der lebendige und wahre Gott hat
Himmel und Erde geschaffen und ist Herr über die Naturgewalten. 344
3Makk 6,18.28 handelt von der Verfolgung der Juden Alexandrias.
Diese werden von ihrem „allherrlichen, allmächtigen und wahren
Gott“ (megalovdoxo" pantokravtwr kai; ajlhqino;" qeov" ) durch eine
Epiphanie gerettet, woraufhin Ptolemäus IV. anordnet, die Söhne die-
ses „allmächtigen lebendigen Gottes des Himmels“ (pantokravtwr
ejpouravnio" qeo;" zw'n) freizulassen. Hier finden sich im weiteren
Kontext Belege für die Abgrenzung des jüdischen Gottes von den Göt-
zen, da Ptolemäus die militärischen Erfolge auf seine eigenen Götter
zurückführt (3,14). Ausdrücklich polarisiert wird der Gegensatz zwi-
schen den Götzen und dem wahren und lebendigen Gott auch in Sib
Frgm 3,43-46. Über die Heiden soll ewiges Feuer wegen ihrer Götzen-
verehrung kommen (3,45), während die Juden aufgrund des ewigen
und wahren Gottes ewiges Leben erben werden (3,46).
Die Kombination der Begriffe zw'n und ajlhqinov" rückt die Aus-
sagen – zumindest in den paulinischen Vergleichstexten zu 1Thess 1,9
– in einen explizit schöpfungstheologischen Zusammenhang, mit dem
die Ablehnung von den toten Götzen begründet werden soll. Diese Vo-
raussetzung wird man auch im 1Thess annehmen dürfen. Hier werden
die toten Götter dem wahren Gott gegenübergestellt. Das Bekenntnis
zum wahren Gott bestätigt nochmals den erfolgreichen Verlauf der Be-
kehrung, da wie in JosAs die Thessalonicher zu der Erkenntnis gelan-
gen konnten, dass die Götzen tot bzw. überhaupt nicht sind, während
der biblische Gott lebendig ist und die Wahrheit verheißt.

- Der Zorn Gottes

Nicht mehr abhängig von douleuvein, sondern vom Folgeinfinitiv ist


der Zorn Gottes, die Kehrseite bzw. die negativ erscheinende Kom-
ponente Gottes. Die Rede vom Zorn Gottes ist eine Konstante inner-
halb der paulinischen Briefe, sie ist sowohl in seiner frühesten Schrift,
dem 1Thess bedeutend (im 1Thess, neben der vorliegenden Stelle auch
noch in 2,16 und 5,9), bleibt es aber auch in den späteren Briefen (und
nimmt in Röm 1,18-3,20; 5,9 eine zentrale Stelle ein), scheint also we-
sentlicher Bestandteil paulinischer Theologie zu sein.345 Die Vorstel-

344 Jer 10,10 fehlt in der LXX und ist nur masoretisch überliefert (‫אמת אלהים ויהוה‬
‫)חיים הוא־אלהים‬. Auch werden die Attribute nicht näher erörtert, stehen allerdings
eindeutig in schöpfungstheologischem Zusammenhang.
345 Die Kritik Konradts, Gericht, 45 an den Thesen Bergers, Theologiegeschichte,
355 und Beckers, Erwählung, 93-95, die einen antiochenischen Ursprung in der
119

lung vom Zorn Gottes ist angesichts der missionarischen Herausforde-


rung keine Besonderheit. Die in der LXX weit verbreitete Rede vom
Zorn Gottes war auch in den Nachbarreligionen der Antike ein übli-
cherweise den Gottheiten zugeschriebenes Verhalten. Sorgen im All-
tagsleben, Schicksalsschläge, Naturkatastrophen etc. werden häufig
auf den Einflussbereich der Götter zurückgeführt. 346 Auch im kulti-
schen Bereich haben sie Anspruch auf Verehrung, die bei Nichteinhal-
tung mit Zorn vergolten wird.347 Im biblischen Denkhorizont, beson-
ders auch in der hellenistisch-jüdischen Diaspora, sowie im Urchris-
tentum gewinnt die Rede vom Zorn Gottes an Bedeutung. Grundsätz-
lich kann sich der Zorn an zwei verschiedene Adressaten wenden: (1)
Er trifft entweder die Heiden oder (2) er wendet sich gegen das eigene
Volk.348 Beide Seiten können den Zorn Gottes auf sich ziehen, wenn
sie sich seinem Heilshandeln und seinem Willen entgegenstellen.
Manchmal sind die Gründe für den Zorn nicht ohne weiteres einsich-
tig.349 Allerdings stehen meist diejenigen Stellen im Mittelpunkt, in de-
nen der Abfall des eigenen Volkes von Gott thematisiert wird. In viel-
fältiger Weise kommt es zu diesen Negativerscheinungen. Wie schon
in Kap. 2.2.2.2 zum biblischen Monotheismus erwähnt wurde, wurden
die Katastrophen nicht als Schwäche JHWHs ausgelegt, sondern als
von ihm auferlegte Strafen, was wiederum zu einer Stärkung seiner
Stellung geführt hat. Dieses Verständnis spielt zweifelsohne auch im
1Thess eine nicht zu unterschätzende Rolle, wie durch den Zu-
sammenhang mit den eben genannten Attributen und dem douleuvein
deutlich wird. Hier wird offensichtlich, dass Gottes Wille im Zentrum
steht, dass er das Subjekt jeden Glaubens ist. 350 Dies lässt sich durch-

paulinischen Rede vom Zorn voraussetzen, ist nicht unbedingt nachvollziehbar.


Deswegen kann sie genauso zu einem integralen Bestandteil seiner Theologie
geworden sein. Allerdings ist die Reduzierung auf Antiochia dennoch fraglich,
da die Rede vom Zorn biblisch bedeutend gewesen ist und Paulus deshalb nicht
fremd gewesen sein wird.
346 Vgl. die ausführlichen Belege bei Kleinknecht, ThWNT V, 383-392.
347 Nach Konradt, Gericht, 58, spiegelt sich gerade in der Kritik gebildeter Autoren
die Verbreitung der Vorstellung vom Zorn Gottes innerhalb des Volkes wider.
Das eindrücklichste Beispiel sei mit Cicero Off III 28,102 wiederholt: „Aber das
ist doch allen Philosophen gemeinsam...: Gott zürnt oder schadet nie.“ Eine
ähnliche Vorstellung findet sich übrigens in Ep. Arist. 254: „Gott regiert die
Welt gütig und ohne Zorn.“
348 Vgl. hierzu Konradt, 59-65, der ausführlich die wichtigsten Stellen auswertet.
349 Fraglich zumindest in Ps 88; Job 16,9; 19,11.
350 Zudem korrespondiert der Text hier mit 1,4, mit der Erwählung Gottes, die
Becker in den Mittelpunkt seiner theologischen Beurteilung des 1Thess gestellt
hat.
120

wegs durch die Belege im Alten Testament zeigen, in denen sowohl


der Affekt als auch das Zorngericht als solches zu finden sind. 351 Zur
Kennzeichnung des apokalyptischen Strafgerichts erscheint der Zorn
Gottes vornehmlich in den apokalyptischen Texten des
Frühjudentums.
Wie nach der Analyse von 2,13-16 noch deutlich werden wird,
geht es auch hier schon um die von Paulus reinterpretierte Zugehörig-
keit der Thessalonicher zum Volk Gottes. Dies wird ersichtlich an ih-
rer Hinwendung zum Glauben. Im Mittelpunkt steht dabei nicht die
Gefahr des Abfalls, sondern die Identifikation mit den anderen christli-
chen Gemeinden. In 2,13-16 ist das die eigentliche Kernaussage: die
vom Glauben abgefallenen Juden hören nicht auf Gott und werden so-
mit vom Zorn Gottes getroffen. Die Thessalonicher tun hingegen alles
(oder besser gesagt: das Richtige), um vor diesem Zorn gerettet zu
werden. Sie werden also – unter Berücksichtigung der Erwählungs-
handlung Gottes – durch ihr vorbildliches Verhalten in der Heilsge-
meinschaft akzeptiert und aufgenommen. Der Zorn trifft nun alle an-
deren, die sich diesem Heilsangebot widersetzen – sowohl Heiden als
auch Juden.352

(b) Zur Bestimmung des Gottesverhältnisses: douleuvein

Der Ausdruck douleuvein, der das Gottesverhältnis der Thessalonicher


näher zu beschreiben versucht, muss im missionarischen Kontext ge-
genüber den Heiden auffallen. Im Profangriechischen ist dieses Wort
terminus technicus des Verhältnisses der Sklaven zu ihren Herren und
bildet den Gegensatz zur ejleuqhriva.353 In der religiösen Sprache der
Griechen hat dieser Begriff eigentlich keinen Platz, da im antiken Ver-
ständnis das Gottesverhältnis nicht auf das Abhängigkeitsverhältnis
Sklave – Herr zurückgeführt wird. Auch im kultischen Bereich hätte
sicherlich kein Grieche in Erwägung gezogen, seine Freiheit den Göt-
tern zu opfern.354 Für die Verehrung der Götter im Kult finden sich im
griechischen Denken die Wendungen latreuvein355 und – noch häufi-

351 Vgl. hierzu Konradt, Gericht, 58 mit Stellenverweisen.


352 Zu einer ausführlichen Diskussion dieser Problematik vgl. Kapitel 2.4 dieser
Arbeit.
353 Vgl. etwa Dautzenberg, Freiheit, 57.
354 Vgl. hierzu auch Schneider, EWNT I, 846 oder Bussmann, Themen, 43.
Rengstorf, ThWNT II, 267: „Aus dem Überblick über den Sprachgebrauch
ergibt sich, daß die Wortgruppe auf griechischem Boden von Haus aus zum
religiösen Gebiet in keinerlei Beziehung steht.“
355 Was auch im Neuen Testament verwendet wird, wenn der Blick spezifisch auf
121

ger – qerapeuvein.356
Im 1Thess allerdings wird die Freiheitsproblematik an keiner
Stelle thematisiert, der Begriff gibt nur zu erkennen, dass die Thessa-
lonicher dem jüdischen Gott dienen wollen. Zunächst sagt die Ver-
wendung von douleuvein bei Paulus noch nichts Ungewöhnliches aus,
ist doch douleuvein in der LXX „der häufigste Ausdruck für den Got-
tesdienst, und zwar im Sinne totaler Bindung an die Gottheit, nicht et-
wa im Sinne des gottesdienstlichen Einzelaktes.“357 Wenn Paulus die-
ses Wort voraussetzt, kann man vermuten, dass er in diese Richtung
bereits im Rahmen seiner Erstverkündigung argumentiert hat, da das
Verhältnis zum lebendigen und wahren Gott nicht verglichen werden
konnte mit dem paganen Interesse an der Verehrung mehrerer Götter.
Den 1Thess kann man aber nicht als Indiz dafür werten, dass Paulus
bereits auf ein ausgefeiltes Konzept eines Freiheitsverständnisses wie
in seinen späteren Briefen zurückgreift, jedoch waren ihm sicher die
grundlegenden Probleme der griechischen Freiheitsterminologie geläu-
fig.358

„Griechische“ Freiheit359 realisierte sich zunächst in der Polis, ganz wie im


ursprünglichen Wortsinn ejleuqhrov" die „Heimat als den Bereich, wo einer
sein und bleiben kann“360, beschreibt. Im Blick ist also die politische Kompo-
nente. Um frei zu sein, war es nötig, Bürger der Polis zu sein. Wer kein Bür-
gerrecht hatte, der war Sklave. Wie wichtig der Zusammenhang zwischen
Polis und Freiheit war, beweist nicht zuletzt die Krise des Freiheitsverständ-
nisses aufgrund der Einigung Griechenlands. Von der Freiheit blieb nur „das
alte Ideal, aber dieses Ideal hatte etwas Romantisches an sich.“ 361 Auch in der
antiken Philosophie wurden bereits Konzepte entwickelt, die über dieses rein
politische Modell hinauswiesen. Mußner etwa erläutert in diesem Zusam-
menhang das Freiheitskonzept, wie es bei Epikur entwickelt wurde. Epikur
will die Freiheit nicht im politischen Leben entdecken, sondern stellt dem
den Kult gerichtet wird, vgl. Stanley-Jones, EWNT II, 430.
356 Vgl. Strathmann, ThWNT IV, 59.
357 Rengstorf, ThWNT II, 270.
358 Es ist umstritten, ob man zu diesem Zeitpunkt schon von einem ausgeprägten
Freiheitsverständnis sprechen kann. Nach Jones, Freiheit, 141 entwickelt sich
insbesondere die Vorstellung der Freiheit vom Gesetz erst allmählich in den
Auseinandersetzungen während der Jahre der Heidenmission; andererseits meint
Vollenweider, Freiheit, 21 zeigen zu können, dass dieses Freiheitsverständnis
schon vorpaulinisch angelegt sei.
359 Vgl. im Folgenden neben den erwähnten Stanley-Jones und Vollenweider auch
Mußner, Freiheit; Nestle, Eleutheria; Niderwimmer, Freiheit.
360 Nestle, Eleutheria, 135.
361 Niederwimmer, Freiheit, 28. Zum antiken Freiheitsbegriff vgl. auch die
grundlegende Studie von Pohlenz, Freiheit.
122

bivo" politikov" den bivo" ejleuqhrov" entgegen. Die Freiheit ist nicht mehr
von der Stellung innerhalb der Gesellschaft abhängig, sondern vollzieht sich
allein in der „Heiterkeit des Lebens.“ Nach diesem Konzept kann auch der
Sklave „jene Freiheit, die von den Mächten der Selbstentfremdung befreit,“
gewinnen.362 Für die Herleitung des paulinischen Freiheitsverständnisses
wird immer wieder auf das Freiheitsverständnis der Stoa hingewiesen, das
auch in formaler Hinsicht mit neutestamentlichen Freiheitskonzeptionen har-
moniert, etwa wenn Epiktet Diss. 4,1-6.33-40 die Einfügung in Gottes Welt-
ordnung als wahre Freiheit gegenüber den Abhängigkeiten und Versklavung
der Welt propagiert, von denen auch die „sog.“ Freien abhängig sind. 363 Was
das paulinische Freiheitsverständnis betrifft, soll nur in groben Linien nach-
gezeichnet werden, wie die Verhältnisbestimmung Freiheit – Sklaverei ver-
standen werden kann. Paulus bezeichnet sich in Röm 1,1 und Phil 1,1 als
„Sklave Christi“. Jedoch wendet sich dieses Verständnis zugleich weg von
der Erfahrung weltlicher Versklavung. Durch die Erlösertat Jesu Christi er-
hält der Mensch zum ersten Mal die Chance, wirklich frei zu werden – aber
eben nur, wenn er seine Abhängigkeit und Begrenzung im Hinblick auf Gott
einsieht. In Gal 4,8 wird in diesem Sinne die Unsinnigkeit des antiken Frei-
heitsstrebens herausgestellt. Erst wenn man seine Begrenzung und Abhän-
gigkeit von Gott akzeptiert und einsieht, kann man auf diesem Fundament
aufbauend allmählich für den Menschen konkrete Freiheit erschließen: Frei-
heit vor dem Gesetz, von der Macht der Sünde, von der Todesmacht, etc. Mit
diesen Begriffen weist Paulus über den atl. Zusammenhang hinaus, indem er
wichtige Inhalte an Hand des Freiheitsbegriffs neu zu fassen versucht. 364 Die
Freiheitsthematik kommt im 1Thess an keiner Stelle zum Tragen. Dennoch
kann man vermuten, dass Paulus zumindest die Grundzüge der Verhältnisbe-
stimmung douleuvein – ejleuqhriva vermittelt hat, wenn er den Thessaloni-
chern das Gottesverhältnis als douleuvein näher erläutern wollte.

Das Verständnis von douleuvein erschließt sich letztendlich erst, wenn


man erkennt, worauf es innerhalb der Bekehrungsaussage in 1,9f. zu
beziehen ist, nämlich auf den lebendigen und wahren Gott, und wenn
man das Verhältnis von douleuvein zum zweiten Infinitiv ajnamevnein
bestimmen kann. Eine abschließende Klärung kann also erst im An-
schluss an die Auslegung der gesamten Aussage der Verse 9 und 10
versucht werden.

362 Mußner, Freiheit, 58. „Daher hatte Epikur bei seinen Anhängern den Ehrenna-
men swthvr und ejleuqhrwthv".“
363 Zum stoischen Freiheitsverständnis vgl. ausführlich Vollenweider, Freiheit, 23-
104.
364 Vgl. hierzu auch Mußner, Freiheit, 16-27.
123

(c) Der christologische Aspekt

Die beiden Infinitive douleuvein und ajnamevnein sind zwar parallel ge-
führt, verweisen allerdings auf zwei unterschiedliche Objekte. Mit
douleuvein wird auf die theologische Aussage verwiesen, mit ajnamev-
nein auf die christologische. Beide scheinen zunächst gleichwertig.
Ein leichtes Übergewicht erhält freilich die theologische Aussage, da
auch im zweiten Halbsatz die Aussage über Christus von der Aussage
über Gott abhängig ist – schließlich erhält Christus seine Funktion nur
deshalb, weil ihn Gott erweckt hat von den Toten. Die Auferweckung
ist konstitutiv dafür, dass Jesus die Gläubigen aus dem kommenden
Zorn zu retten vermag. Die christologische Aussage ist von daher auf
die theologische Aussage hingeordnet. Auf der narrativen Ebene be-
gründet sich die theologische von der christologischen Aussage her, da
die Lebensführung, das douleuvein in der Rettungsaktion durch Jesus
ihre Begründung oder Motivation erfährt. „Der Hinweis auf den ret-
tenden Jesus, den ‚Gott erweckte', nahm dem [Tod] seinen möglichen
Schrecken. Denn Jesu Retten ist keine Sache des Rückblicks. Es hat
einen eschatologischen Ton. Jesus rettet vor Gottes Zorn.“365 In diesem
Sinne spricht Holtz davon, dass die Aussage der Verse 1,9f. unter ei-
ner christologischen Klammer stehe.366
Dies ist auch in der Pragmatik des Briefes erkennbar. Schon
Munck367 hatte darauf hingewiesen, dass die Intention des Textes in
1,10 als Vorbereitung der Ausführungen zur Parusie-Problematik
formuliert ist. Von der Sache her ist es am Text zu belegen, denn die
Erwartung ist auf ein konkretes in der Zukunft liegendes Ereignis
365 Karrer, Jesus Christus, 48.
366 Hierzu Holtz, 1Thess 62: „Es darf als wahrscheinlich gelten, daß ein derartiger
Glaube von Anfang an über die Christuspredigt geweckt worden ist. Wenn man
überhaupt von 1Thess 1,9b.10 auf eine Form der Missionspredigt
zurückschließen kann, dann auf eine derartige, die der Missionsweise entspricht,
die hinter JosAs sichtbar wird. Nicht eine vorlaufende monotheistische Predigt,
sondern das mit einem ganz bestimmten Inhalt, nämlich der Christusgeschichte,
gefüllte Gotteszeugnis erweckt den Glauben. Der Glaube der Gemeinde an Gott
ist der durch das Evangelium gegründete Heilsglaube.“ Hierzu ist zu sagen, dass
Holtz davon ausgeht, dass sich die Gemeinden des Paulus vornehmlich aus
Gottesfürchtigen zusammensetzten, und deswegen sei die monotheistische
Missionspredigt auch nicht nötig gewesen. Vgl. auch Holtz, Glaube, 475f;
Klumbies, Rede, 142, schließt sich diesem Urteil an. M. E. geht allerdings die-
ser Rückschluss zu weit. Auf der narrativen Ebene ist der christologische
Schwerpunkt durchaus nachvollziebar, allerdings kann der historische Rück-
schluss auf die tatsächliche Missionspredigt in Thessalonich nicht überzeugen.
Vgl. dazu u.
367 Zu Munck vgl. o. 2.2.1.4.
124

hingeordnet, das bald eintreten wird. Auf dieses kommende Ereignis


scheint ebenso die mit douleuvein bezeichnete Lebensführung ausge-
richtet zu sein.
Die Rolle Jesu Christi innerhalb der Aussage 1,9f. ist nun ganz
dem im Zorn Gottes angekündigten Heilsgeschehen zugeordnet. Jesus
ist als derjenige gezeichnet, der vor dem Zorngericht Gottes retten soll.
Die Erwartungshaltung selbst ist durch das ntl. hapax legomenon ajna-
mevnein eschatologisch gekennzeichnet. Auch wenn der Begriff im Ur-
christentum kaum eine Rolle spielt, kann immerhin durch Rückbezug
auf Aussagen der LXX nachgewiesen werden, dass es sich hierbei um
einen aus der alttestamentlich-jüdischen Eschatologie erwachsenen
Begriff handelt.368 Zu fragen ist aber zunächst nach dem Verständnis
dieser Auferweckungsaussage. Folgt man der Darstellung Karrers,
steht nicht die Sohnesaussage im Mittelpunkt, sondern die Nennung
des Namens „Jesus“, wodurch ein Bezug zum irdischen Leben Jesu
hergestellt wird.369 Davon ausgehend ist Jesu Retterfunktion zu fassen:
„Der Klang der Rettung verbindet sich über den irdischen Jesus hinaus
intensiv mit der Auferweckung.“370 Ebenso wie die Auferweckung von
Bedeutung ist, ist es auch das Sterben Jesu, wie der Wendung in
1Thess 5,9f zu entnehmen ist: dort wird die Rettung im Verweis auf
den „Tod Jesu für uns“ verdeutlicht.371 Alles zusammen weist also auf
eine zukünftige Rettungshandlung Jesu, der genauso, wie er bereits
auferweckt wurde, wiederkommen wird, um die anderen ebenso zu
retten, wie er selbst gerettet wurde.372
Als nächstes ist zu fragen, wie man sich diese futurische Ret-
tungshandlung vorzustellen hat. Einige Autoren haben vorgeschlagen,
dass Jesus im Rahmen des erwarteten allgemeinen Weltgerichts vor
Gott für die Seinen durch Fürbitte eintritt.373 Nach Müller hingegen ist
368 So Müller, 1Thess, mit Verweis auf Langevin, Jésus Seigneur, 67-73. Zu
biblischen und urchristlichen Belegen für ajnamevnein, vgl. o., 2.2.1.1.
369 Vgl. Karrer, Jesus Christus, 45.
370 Karrer, Jesus Christus, 48. Er fährt fort: „Die Auferweckung hat eine wesent-
liche soteriologische Dimension. Sie ist weniger bekannt als die soteriologische
Entfaltung um den Tod Jesu und die rettende Zuwendung des Irdischen zu
einzelnen Menschen. Doch sie ist alt und trägt gewichtige Akzente.“
371 So auch Konradt, Gericht, 66.
372 Konradt, Gericht, 66, warnt vor einer präsentischen Deutung, wie sie etwa bei
Best, 1Thess, 84 oder Stählin, ThWNT V, 447 vorgeschlagen wird. In der
präsentischen Form der Auferweckungsaussage zeige sich nicht ein sich bereits
auswirkendes eschatologisches Phänomen. Sie diene einzig der Beschreibung
der Retterfunktion Jesu Christi.
373 So etwa Lohse, Weltenrichter, 479f.; Berger, Theologigeschichte, 145; Wolter,
Rechtfertigung, 190f.
125

es Jesus selbst, der als Richter auftritt. 374 Diese Interpretationen orien-
tieren sich an Vorstellungen, wie sie in Röm 2,5-11 oder Röm 8,34
dargestellt sind – die Guten werden belohnt, die Schlechten bestraft,
und Jesus tritt für die Seinen ein. Konradt allerdings wendet sich mit
Recht gegen derartige Deutungsversuche.375 Die Vorstellung passt
nicht in den Zusammenhang des 1Thess. Dort ist nämlich nirgends
von einem Gericht die Rede, bei dem das Verhalten vor dem Urteils-
spruch geprüft wird und dann entweder positiv oder negativ ausfällt.
Die Rettung durch Jesus ist den Thessalonichern durch ihre Lebens-
form aufgrund ihrer Bekehrung ja schon zugesagt. Deswegen muss
man bei der Retterfunktion Jesu aus dem Zorn Gottes „an die Bewah-
rung der Christen vor dem eschatologischen Vernichtungshandeln
Gottes denken.“376
Dies bestätigen auch die beiden anderen Stellen innerhalb des
1Thess, an denen Paulus auf die Parusie zu sprechen kommt. In 4,13-
18 ist die Rettungshandlung Jesu als Entrückungsszene beschrieben,
die Paulus an dieser Stelle auch deswegen heranzieht, um auf die Ret-
tung der bereits vor der Parusie Verstorbenen verweisen zu können.
Aus dem Zusammenhang der Verse 16 und 17 wird nicht ganz klar,
wie man sich die Parusie vorzustellen hat. Eindeutig ist nur die positi-
ve Aussage – Christus steigt herab, und unmittelbar darauf werden die
toten Christen auferstehen. Erst dann werden die Lebenden zusammen
mit den auferstandenen Christen „entrückt.“ Paulus greift hier die üb-
liche Vorstellung der Entrückung in einer Wolke auf.377 Die Vor-
stellung der Entrückung ist weder Juden noch Heiden fremd. 378 Jedoch
ist immer nur von der Entrückung Einzelner die Rede, Kollektivent-
rückungen sind nicht belegt. Nach Haufe ist diese Kollektiventrückung
„ein singulärer Zug im Text.“379
Schließlich ist noch zu fragen, ob man unter Einbeziehung der
374 Vgl. Müller, 1Thess, 119.
375 Vgl. im Folgenden Konradt, Gericht, 66-69.
376 Konradt, Gericht, 68 im Anschluss an Brandenburger, Gerichtskonzeptionen,
307.311 und Müller, Gott, 34f.
377 Siehe auch äth Hen 39,3; ApkEsr 5,7; Apg 1,9; Apk 11,12. Ähnlich wird in Dan
7,13 oder Mk 13,16 das Kommen des Menschensohnes auf Wolken erwartet,
378 Od 4,561-569 berichtet von der Entrückung des Menelaos; Il 20,232-235 von
Ganymed; Hesiod, Erg. 167-172 kennt die Entrückung der Heroen. Im AT sind
Elijas (2 Kön 2,1-15) und Henochs (Gen 5,21-24) Entrückung bekannt. Auch in
der jüdischen Apokalyptik ist die Rede von Entrückungen, vgl. etwa Sap 4,10f;
Jub 4,23; äth Hen 39,3; äth Hen 70f; sl Hen 36,2 (Henoch); äth Hen 89,52
(Elia); 4 Esr 14,9(.14).49 (Esra); syr Bar 13,3; 25,1; 76,2 (Baruch).
379 Haufe, 1Thess, 85. In diesem Sinne auch Siber, Christus, 52f; Konradt, Gericht,
68.
126

traditionsgeschichtlichen Überlegungen Wilks diese Sicht bestätigen


oder gar vertiefen kann.380 Wilks Ansatz zufolge ist im Hintergrund
der Aussage von 1Thess 1,10 der Vorstellungsbereich aus Jes 59 LXX
präsent. Die Aussage in 1Thess 5,8, die durch das Aufgreifen der Me-
tapher aus Jes 59 einen eindeutigen Bezug herstellen kann, harmoniert
dann auch mit der Aussage in 1,9. Die christliche Lebensführung, die
in 1,9 durch douleuvein ausgedrückt wird, ist nach 5,9 der „Panzer des
Glaubens und der Liebe“, während die Erwartungshaltung aus 1,10 mit
dem „Helm der Hoffnung“ auf das Heil ausgedrückt ist. Die Idee
Wilks, Paulus würde den Arm Gottes (tw/' bracivwni aujtou') christolo-
gisch interpretieren, passt ebenfalls sehr gut ins Konzept des 1Thess.
Die Christologie des 1Thess ist auf die Rettertätigkeit reduziert. Sie er-
füllt dieselbe Hilfsfunktion wie Gottes Arm, der im Falle des Zornge-
richts für die christliche Gemeinde helfend eintreten wird. Ob aller-
dings mehr aus diesem Vergleich herauszuholen ist, bleibt fraglich.
Paulus hat die gesamte Jesaja-Stelle im 1Thess eher assoziativ ge-
braucht, von einer bewussten, strukturierten Parallelisierung kann je-
denfalls nicht die Rede sein.

2.2.3 Zusammenfassung

In diesem Kapitel wurde versucht, ein differenziertes Bild der An-


knüpfungspunkte und Herausforderungen für die paulinische Mis-
sionsarbeit in Thessalonich zu zeichnen. Die These, wonach 1,9f. auf
ein festgeprägtes Schema urchristlicher Mission zurückginge, gilt als
mittlerweile widerlegt. Paulus übernimmt zwar vorgeprägte Traditio-
nen, stellt sie allerdings selbst zusammen. Eventuell hat er seine For-
mulierung im Hinblick auf die theologischen Ausführungen in Kapitel
4 und 5 zur Parusievorstellung gewählt (so Munck und Hooker). 381
Dies wird bestätigt durch die Idee Wilks, der vermutet, dass sich Pau-
lus in seiner Formulierung an Jes 59,19f. orientiert, da in 1Thess 5,8
derselbe Jesajazusammenhang auftaucht (dort Jes 59,17).382
Allerdings heißt das nicht, dass keine Rückschlüsse auf die tat-
sächliche Bekehrungspredigt in Thessalonich möglich sind. 1Thess
1,9f. erschöpft sich nicht in der den Brief vorbereitenden Funktion.
Auf der narrativen Ebene erinnert Paulus die Thessalonicher an ihre
Bekehrung und fasst dabei die wichtigsten Punkte dieser Bekehrung
zusammen. Holtz vermutet eine christologisch ausgerichtete Bekeh-

380 Zu Wilk, vgl. oben, 2.2.1.


381 Zu Munck und Hooker, vgl. 2.2.1.4.
382 Zur Position Wilks, vgl. 2.2.1.3.c.
127

rungspredigt vor einer Gemeinde aus Gottesfürchtigen.383 Die Untersu-


chungen zur Zusammensetzung der Gemeinde in Kapitel 2.2.2.3 haben
allerdings gezeigt, dass die Gemeinde vornehmlich aus ehemaligen
Heiden bestand, die eventuell teilweise lose mit der Synagoge sympa-
thisiert haben könnten. Gottesfürchtige aber, die bereits an den Gott
des Judentums glaubten, werden zumindest durch die Wortwahl in
1,9f. nicht angesprochen. So bleibt die „schwache“ These am Schluss
stehen: über die tatsächliche Missionspredigt gibt der Text keine
eindeutige Auskunft, allerdings kann man davon ausgehen, dass trotz
der auf die Christologie zugeschnittenen Formulierung in 1,9f. auch
mit einer voraufgehenden monotheistischen Missionspredigt zu rech-
nen ist.384

383 Vgl. o., Anm. 384.


384 Gegen Holtz, 1Thess 62; ders., Glaube, 475f. Vgl. aber Woyke, Götter, 155:
„Aus der Syntax von 1Thess 1,9b-10 ... wird ersichtlich, dass die Bekehrung der
Thessalonicher ‚von den Götter(bilder)n zu Gott‘ als eigenständiger Akt
anzusehen ist, motiviert durch die Aussicht auf Zugehörigkeit zum 'lebendigen
und wahren Gott' wie auch auf eschatologische Errettung durch seinen von den
Toten auerweckten Sohn Jesus.“ Allerdings stellt Woyke, Götter, 132, fest, dass
gerade „aufgrund der epistolaren Funktion ... ein abschließendes Urteil über den
präzisen Inhalt der paulinischen Missionspredigt“ nicht gefällt werden könne.
128

2.3 1Thess 2,1-12 – Das Auftreten der Missionare

2.3.1 Zum Text

V1 aujtoi; ga;r oi[date, ajdelfoiv, th;n ei[sodon hJmw'n th;n pro;"


uJma", o{ti ouj kenh; gevgonen,
V2 ajlla; propaqovnte" kai; uJbrisqevnte" kaqw;" oi[date ejn
Filivppoi" ejparrhsiasavmeqa ejn tw'/ qew'/ hJmw'n lalh'sai
pro;" uJma'" to; eujaggevlion tou' qeou' ejn pollw'/ ajgw'ni.
V3 hJ ga;r paravklhsi" hJmw'n oujk ejk plavnh" oujde; ejx ajkaqarsiva"
oujde; ejn dovlw/,
V4 ajlla; kaqw;" dedokimavsmeqa uJpo; tou' qeou' pisteuqh'nai to;
eujaggevlion ou{tw" lalou'men, oujc wJ" ajnqrwvpoi"
ajrevskonte", ajlla; qew'/ tw'/ dokimavzonti ta;" kardiva"
hJmw'n.
V5 ou[te gavr pote ejn lovgw/ kolakeiva" ejgenhvqhmen, kaqw;"
oi[date, ou[te ejn profavsei pleonexiva", qeo;" mavrtu",
V6 ou[te zhtou'nte" ejx ajnqrwvpwn dovxan, ou[te ajf j uJmw'n ou[te ajp
j a[llwn,
V7 dunavmenoi ejn bavrei ei\nai wJ" Cristou' ajpovstoloi ,** ajlla;
ejgenhvqhmen nhvpioi* ejn mevsw uJmw'n.** wJ" eja;n trofo;" qavlph/
ta; eJauth'" tevkna:
V8 ou{tw" oJmeirovmenoi uJmw'n hujdokou'men metadou'nai uJmi'n ouj
movnon to; eujaggevlion tou' qeou' ajlla; kai; ta;" eJautw'n
yucav", diovti ajgaphtoi; hJmi'n ejgenhvqhte.
V9 mnhmoneuvete gavr, ajdelfoiv, to;n kovpon hJmw'n kai; to;n movcqon:
nukto;" kai; hJmevra" ejrgazovmenoi pro;" to; mh; ejpibarh'saiv
tina uJmw'n ejkhruvxamen eij" uJma'" to; eujaggevlion tou' qeou'.
V10 uJmei'" mavrture" kai; oJ qeov", wJ" oJsivw" kai; dikaivw" kai;
ajmevmptw" uJmi'n toi'" pisteuvousin ejgenhvqhmen,
V11 kaqavper oi[date: wJ" e{na e{kaston uJmw'n wJ" path;r tevkna
eJautou'
V12 parakalou'nte" uJma'" kai; paramuqouvmenoi: kai; marturovmenoi
eij" to; peripatei'n uJma'" ajxivw" tou' qeou' tou' kalou'nto"
uJma'" eij" th;n ejautou' basileivan kai; dovxan.

Für die ersten Vorüberlegungen sind einige Anmerkungen im Text ge-


kennzeichnet. Zunächst zum Text selbst. Dort ist an erster Stelle ein
textkritisches Problem zu erörtern. Bis zur 25. Auflage des Nestle-
Aland galt die Überzeugung, dass die Wendung h[pioi in Vers 7 (*)
besser bezeugt sei als nhvpioi. Jedoch hat die Auswertung weiterer
Handschriften seither zur Feststellung geführt, dass die textkritisch
129

besser bezeugte Lesart tatsächlich nhvpioi ist.385 Das wiederum stellt


die Forschung vor unerwartete Probleme, da die ältere Fassung eine
verständlichere Übersetzung bieten konnte, die sogar – zumindest im
popularphilosophischen Umfeld – als Metapher verbreitet war.386 Die
Charakterisierung der Amme als h[pio" (mild, wohlwollend) wäre aber
auch ohne Vermittlungsebene verständlich. Mehr Schwierigkeiten be-
reitet es, die besser bezeugte Lesart nhvpio" als sinnvoll zu erweisen. In
der Forschung zeichnen sich derzeit im Großen und Ganzen folgende
drei Positionen ab, dieses textkritische Problem in der Auslegung zu
berücksichtigen:

(1) Man ignoriert das scheinbar besser bezeugte nhvpio" und bleibt
bei der älteren Lesart h[pio", die auf den ersten Blick mehr
Sinn ergibt. Argumentiert wird, dass es sich etwa um Dittogra-
phie handle, oder aber, wie Schoon-Janßen387 behauptet, der
Vergleich der bedeutendsten Handschriften eine Patt-Situation
ergebe und die bessere Bezeugung von nhvpio" deshalb nicht
zutreffend sei.388
(2) Legt man den kritischen Text von Nestle-Aland zugrunde,
muss man zugleich die Zeichensetzung innerhalb des Textes
überdenken, die in der Neuausgabe nicht geändert wurde. Bei
genauerem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass die Zeichen-
setzung gerade darauf ausgerichtet war, die Amme als mild zu
bezeichnen. Deswegen schlägt Merk eine andere Zeichenset-
zung vor. Im Anschluss an Dibelius389 fordert er, „hinter ajpov-
stoloi ein Komma zu setzen und hinter ejn mevsw uJmw'n einen

385 Zur besseren Bezeugung und somit der Entscheidung für nhvpio" vgl. Aland,
Text, 287f.; Bickmann, Kommunikation, 178f.; Gaventa, Apostles, 194ff;
Müller, 1Thess, 131; Sailors, Wedding, 80-88. Weima, Infants, 549ff.
386 So der Titel des Aufsatzes von Malherbe, „gentle as a nurse.“
387 Vgl. Schoon-Janßen, Apologien, 59. Die Zeugenschaft des P 65 kann er denn
auch nur mit sehr viel Mühe nivellieren.
388 In diesem Sinne interpretieren Best, 1Thess, 101; Bruce, 1Thess, 29; Dobschütz,
1Thess, 93; Dibelius, 1Thess, 9; Haufe, 1Thess, 37f.; Holtz, 1Thess, 82; Hoppe,
Metaphorik, 274f; Lyons, Autobiography, 198; Malherbe, Nurse; ders., 1Thess,
145. Stegemann, Anlaß, 405f.; Wanamaker, 1Thess, 100; Burke, Paternity, 75.
Dass sich Malherbe schwer tut, seine Position zu revidieren, mag verständlich
sein, da die von ihm aufgedeckten Parallelen zur popularphilosophischen
Literatur gerade in der Einschätzung der Amme als h[pio" gipfeln. Allerdings
verlieren die Bezüge auch ohne diesen Bezugspunkt nicht ihre Aussagekraft,
dazu allerdings vgl. im Folgenden.
389 Vgl. Dibelius, 1Thess 8.
130

Punkt.“390 Er begründet dies mit der Überlegung Stegemanns,


dass mehrfaches ou[te (in V. 6) ein ajllav im selben Satzgefüge
verlange. Das Adjektiv nhvpioi würde somit als Gegensatz zu
ejn bavrei als Charakterzug der Apostel im Halbsatz davor ver-
standen werden müssen und die Ammenmetaphorik bezöge
sich einzig auf V. 8. (da das wirkliche Gegensatzpaar erst dann
zu Ende gedacht ist). wJ" in V. 7c gehört schließlich zu ou{tw"
in 8a.391
(3) Bedenkenswert ist auch der hiervon abweichende Ansatz Ger-
bers. Ihre Argumentation setzt ebenfalls bei der Zeichenset-
zung ein. Allerdings teilt sie nicht mit Merk den Neueinsatz der
Metapher in V. 7c, sondern erweitert den Spannungsbogen von
V. 7 bis 9. nhvpio" interpretiert sie dabei nicht als Adjektiv,
sondern grenzt es als Vokativ392 ab. Somit würde Paulus die
Thessalonicher im Vorverweis auf den Ammenvergleich als
Kleinkinder bzw. Säuglinge bezeichnen. Gerber meint damit
eine Lösung gewonnen zu haben, „die nicht von der textkriti-
schen Entscheidung, sondern vom wörtlichen Verständnis des
Vergleichsfokus und seiner Interaktion mit dem Rahmen aus-
geht.“393

Variante (1) lässt sich m.E. nicht mehr sinnvoll vertreten, und wie sich
im Verlaufe der Interpretationen zeigen wird, ist der Umweg über die
„Amme“ auch gar nicht nötig. Wie man sich hinsichtlich der Varianten
(2) und (3) zu entscheiden hat, sollte der Diskurs in der Forschung her-
ausarbeiten. In meinen Augen ist Variante (2) vorzuziehen, da hier
nicht so sehr wie in (3) der Gegensatz der Apostel zu den Thessaloni-
chern in den Mittelpunkt gerückt wird, sondern im Gegensatz dazu das
zurückhaltende Auftreten der Apostel veranschaulicht wird. Zwar sind
beide Gegensätze sinnvolle Annahmen, jedoch charakterisieren auch

390 Merk, 2,1-12, 396.


391 Vgl. Stegemann, Anlaß, 406.
392 Vgl. Gerber, Paulus, 278.290. Bereits Crawford, Problem, 69-72, hat
vorgeschlagen, h[pio" als Vokativ aufzufassen, allerdings wurde seine These
bisher kaum wahrgenommen. Dagegen allerdings Delobel, Letter, 130f.
393 Gerber, Paulus, 277. Gerbers Ansatz versucht dabei mehrere Probleme zu lösen.
Im Prinzip will sie den gesamten Zusammenhang der Verse 7-9 als unter dem
Fokus des Unterhaltsverzichts der Apostel interpretieren. Dazu vergleiche unten
im nächsten Abschnitt. Sie argumentiert hier in gewisser Weise „ganzheitlich“,
da sie versucht, mehrere für die Auslegung schwierige Probleme zu lösen.
Letztlich ist ihre Entscheidung auch von ihrem Verständnis von ejn bavrei
abhängig; vgl. dazu die folgende Auslegung.
131

die anderen Gegensatzpaare das Auftreten der Missionare, da dies das


leitende Interesse des gesamten Abschnitts ist.

2.3.2 Zu Intention und Aussageabsicht des Abschnitts

Besonderes Augenmerk hat die Forschung seit jeher auf die Aussage-
absicht des Abschnitts im Briefzusammenhang gelegt. So dokumen-
tieren der im Jahr 2000 von Donfried und Beutler herausgegebene
Sammelband „The Thessalonians Debate“ als sowie aktuelle Veröf-
fentlichungen zu dieser Frage394, dass die Diskussion um die Intention
des Textstückes 2,1-12 noch weit entfernt ist von einem Forschungs-
konsens.395 Die große Frage, die im Hintergrund steht, ist die, ob es
sich um eine Apologie des Paulus handelt, also um den Versuch der
„Widerlegung gegnerischer Vorwürfe gegen seine Person.“396 Dabei
herrschte lange Zeit zumindest in der Tendenz Übereinstimmung, dass
sich Paulus in irgendeiner Weise gegen Gegner zu verteidigen ver-
sucht. Anders konnte man sich den durchwegs antithetisch gestalteten
Aufbau nicht erklären. Warum sah sich Paulus nach erfolgter Mission
dazu gezwungen, sich vor seiner Gemeinde zu verteidigen?
Dass Paulus auch schon zur Zeit der Thessalonichermission Geg-
ner hatte und Verfolgungen ausgesetzt war, bestätigt der 1Thess ein-
deutig. Schon seine Ankunft in Thessalonich ist überschattet von den
Verfolgungen, die er in Philippi erlitten hat und die ziemlich sicher mit
der Evangeliumsverkündigung in Zusammenhang standen.397 Zudem
ist Paulus in Sorge um den Status der Gemeinde, weil auch jene Be-
drängnissen ausgesetzt zu sein scheint (vgl. 2,14 oder 3,4). Er selbst
wollte sogar zur Unterstützung der Gemeinde nach Thessalonich rei-
sen, wurde aber daran gehindert (3,5). Eventuell musste Paulus früher
als erwartet aus Thessalonich abreisen, deuten doch die „Mängel des
Glaubens“ (3,10) darauf hin, dass das Missionswerk noch nicht ganz
abgeschlossen war.398
Konkrete Hinweise aber auf die Gegner, die hinter 2,1-12 stehen,
sind dem Text zunächst nicht zu entnehmen. Dennoch gibt es immer

394 Vgl. Weima, Apology.


395 Donfried, Beutler, The Thessalonians Debate.
396 Schoon-Janßen, Apologien 9. Auf diese konkrete Einschränkung kommt es an,
da ansonsten die Unterscheidung zu rein rhetorischen Überlegungen hinfällig
wäre.
397 Vgl. hierzu die Auslegung von 2.2 unten.
398 Die Darstellung in Apg 17,1-5 überzeichnet wie gesagt diesen Sachverhalt sehr
stark (vgl. die Ausführungen in Kap. 2.1 dieser Arbeit).
132

wieder Versuche, solche Gegner zu rekonstruieren.399 Man findet sie


z.B. auf jüdischer Seite, indem man die Auseinandersetzung der Apos-
telgeschichte historisierend mit dem polemischen Angriff in 2,14-16 in
Einklang zu bringen versucht und auch für 2,1-12 voraussetzt.400 Ein
völlig konträrer Vorschlag will Libertinisten und Gnostiker eruieren,
die gegen die Auferstehungsbotschaft vorgehen würden.401
Die Diskussion ins Rollen bracht hat schließlich Malherbe mit
seinem bahnbrechenden Aufsatz „Gentle as a Nurse“ von 1970, 402 ge-
schrieben im Anschluss an Überlegungen von Martin Dibelius, 403 der
bereits kynische Motive in der Sprache des Paulus rekonstruieren zu
können glaubte, und somit erste Indizien dafür lieferte, eine briefim-
manente paränetische Absicht hinter den Formulierungen 1Thess 2,1-
12 zu sehen.404 Die Übereinstimmung liege nach Malherbe eben nicht
allein in der Wortwahl, sondern auch in der Absicht, sich im Sinne der
kynischen Wanderprediger entschieden von minderwertigen Konkur-
renten in Form der Selbstempfehlung abzuheben.

Hier seien nur die wichtigsten von Malherbe in den Raum gestellten Auffäl-
ligkeiten zusammengefasst: Zunächst (1) weist Malherbe auf den scheinba-
ren Zusammenhang der Worte uJbrisqevnte", kenov", ejparrhsiasavmeqa und
ajgw'n in 1Thess 2,1-2 hin, da diese vier Worte zumindest in Dions Or. 32 ei-
nen argumentativen Zusammenhang ergeben. Dort werden andere Wander-
prediger kritisiert, weil sie weltabgewandte Philosophie betreiben und sich
nicht dem Kampf des Lebens stellen wollen (ajgw'n), wohl aus Angst vor der
u{bri" der Menge. Der wahre Philosoph hingegen könne – da seine Rede
ebenso von Gott autorisiert ist (siehe die mehrfachen Bezüge im 1Thess zur
göttlichen Beauftragung) – offen auf die Menge zutreten (parrhsiva). (2) In
Or. 32,11-12 seien eine ganze Reihe weiterer Parallelen zu Paulus zu ver-

399 Eine übersichtliche Zusammenfassung der wichtigsten Forschungspositionen


findet sich bei Schoon-Janßen, Apologien, 53-56; Donfried, Context, 31f.;
Gerber, Paulus, 309-313.
400 Lipsius, Zweck, 906f.; Frame, 1Thess, 9f.; Neil, 1Thess, 34.
401 In diesem Sinne interpretieren Lütgert, Die Vollkommenen, 102; Hadorn,
Abfassung, 127; Reicke, Thessalonicherbriefe, Sp. 851; Schmithals. Situation,
97.153f. Die These wird dabei gestützt durch die Annahme, der 1Thess sei erst
auf der 3. Missionsreise entstanden, nach Schmithals, Situation, 184 erst nach
dem Gal und Teilen des Phil.
402 Malherbe, Nurse.
403 Dibelius, 1Thess, 11; vgl. auch Oepke, 1Thess, 128.
404 Malherbe begründet damit beinahe einen eigenen Forschungsansatz, zumindest
sind seine Arbeiten revolutionär für die Forschung zum frühen Christentum,
denn nicht nur für die Paulus-Exegese, sondern auch für die Rückfrage nach
dem historischen Jesus und die Q-Forschung werden die kynischen Ideale
diskutiert.
133

zeichnen: Dions ajpatw'sin/plavnh steht bei Paulus die Wendung oujk ejk
plavnh" gegenüber, sowohl Dion (kaqarw'"/ajdovlw") als auch Paulus (oujk ejx
ajkaqarsiva" oujde; ejn dovlw/) weisen darauf hin, dass ihre Rede weder unrein
noch listig sei. Zudem findet sich zum Zusammenhang des paulinischen Un-
terhaltsverzichts in Kombination mit dem Desinteresse am Streben nach ei-
genem Ruhm (ou[te zhtou'nte" ejx ajnqrwvpwn dovxan ... ou[te .. en lovgw/
kolakeiva") eine Parallele bei Dion (mhvte dovxh" cavrin ... mhvt j ejp j
ajrgurivw/ ... kolavkwn). Schließlich ist auch bei Dion die in 1Thess 2,1-8
vorherrschende oujk-ajllav-Konstruktion zu erkennen. (3) Dion verweist in Or.
77/78,40-43 auch auf die Fürsorge der Philosophen bzgl. ihrer Hörer, was
eventuell mit der Familienmetaphorik bei Paulus in Einklang gebracht wer-
den könnte: Dion ist väterlich, brüderlich, fällt nicht zur Last (baruv"), eher
sanft (h[pio" ...).

Der Aufsatz Malherbes hat die Forschung zu 1Thess 2,1-12 sehr stark
vorangetrieben. Auch wenn das Ergebnis der Textkritik die Verwen-
dung von h[pio" als sekundär erweist und so gerade der Titel des Auf-
satzes keinen Bezugspunkt mit der Textbasis mehr zu haben scheint,
kann man die Aussagekraft der anderen Vergleichspunkte nicht so
ohne weiteres zur Seite schieben. Malherbe kommt zu dem Schluss,
dass man den Text nicht als Apologie lesen sollte, sondern dass Paulus
aus paränetischem Interesse sich als Lehrer darstellt und somit im
Rahmen der brieflichen Selbstempfehlung seinen Legitimitätsanspruch
unterstreicht.
An den Forschungen Malherbes kommt man heute nicht mehr
vorbei, auch wenn die Debatte damit noch lange nicht entschieden ist.
Viele Interpretatoren begnügen sich mit dem Verweis auf die paräneti-
sche Bedeutung des Abschnitts, wenn auch auf die apologetischen Zü-
ge immer wieder hingewiesen wird. Bezeichnend ist hierfür die Positi-
on Schoon-Janßens, der in diesem Zusammenhang von einer „potenti-
ellen Apologie“ spricht405, zwar im Großen und Ganzen den Ausfüh-
rungen Malherbes zustimmt, jedoch dem Text die apologetische Funk-
tion nicht endgültig absprechen will.406
Bickmann407 und Schmeller408 haben sich von der Einschätzung,
es handle sich bei 1Thess 2,1-12 um eine Apologie, deutlich entfernt.
Beide sehen den Schwerpunkt der Argumentation auf dem Dialog mit
der Gemeinde und entfalten die Idee, dass Paulus sich ähnlich wie
405 Schoon-Janßen, Apologien, 53.
406 Nach Konradt, Gericht, 31, „lässt es [der Textbefund] nicht geraten erscheinen,
zwischen paränetischem und apologetischem Anliegen eine strikte Alternative
zu sehen. Der Text ist vielmehr mehrdimensional.“
407 Bickmann, Kommunikation, 183-187.
408 Schmeller, Schulen, 139-145.
134

Dion im vorliegenden Abschnitt als Lehrer darstellen will.


Schmeller orientiert sich in seinen Überlegungen sehr stark an
den Arbeiten Malherbes. Für ihn ist klar, dass die Identifizierung kon-
kreter Gegner unnötig ist, und er meint, man könne den Abschnitt 2,1-
12 als „Relikt paulinischer Erstverkündigung sehen, das in anderen
Briefen so deshalb nicht mehr begegnet, weil es in späteren Situatio-
nen nicht mehr gebraucht wurde.“409 Genauso wie die philosophischen
Wanderprediger sah sich auch Paulus dazu gezwungen, sich von ande-
ren Predigern abzugrenzen.410 Die Gemeinsamkeiten sieht Schmeller in
3 Aspekten:411 (1) Er lehrt nicht in einer Schule, sondern sucht die
Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit; (2) Abgrenzungen sind nö-
tig, da er leicht in den Verdacht käme, nur finanzielle Interessen zu
verfolgen; (3) er beansprucht Autorität, die er allerdings positiv im
Sinne elterlicher Zuwendung auffasst. Die Unterschiede sind aber
ebenso deutlich, da es nicht um die Vermittlung eines philosophischen
Vernunftsystems gehe, sondern um das Evangelium. Deswegen nimmt
er auch den Anspruch seiner Person immer wieder relativierend zu-
rück, um eindeutig darzulegen, dass er nur die vermittelnde Instanz ist.
„Das Selbstverständnis als ein Lehrender, der von der Dynamik des
wirksamen Wortes Gottes in Dienst genommen wird und dessen
(durchaus vorhandene, vgl. V. 10!) Eigendynamik in diesem Dienst
vollständig aufgeht, wird in solcher Intensität auch von den Popular-
philosophen nicht vertreten, die den religiösen Aspekt ihrer Lehre
stark betonen.“412
Bickmann entdeckt zwar im gesamten Abschnitt 1,2-2,16 Ten-
denzen, die auf ein Lehrgespräch schließen lassen 413, der Abschnitt
2,1-12 jedoch dient der genaueren Begründung dieses Sachverhalts.
Paulus geht es zunächst um die Darstellung der Besonderheit dessen,
was er verkündet, nämlich das von Gott, nicht von Menschen vermit-
telte Evangelium. Dazu dienen ihm die Antithesen in den VV. 1-8 zur
Abgrenzung. Die doppelte Familienmetaphorik diene demnach dem

409 Schmeller, Schulen, 142.


410 Mit Recht wendet sich Schmeller, Schulen, 141 gegen Holtz, 1Thess 93, Anm.
422, der meint, Paulus könne sich auf seine göttliche Autorität berufen und hätte
somit keine Verwechslung zu fürchten, denn: „nur christliche Hörer hätten
diesen Unterschied gegenüber Dio konzediert.“
411 Vgl. Schmeller, Schulen 143.
412 Schmeller, Schulen, 144-145.
413 Vgl. Bickmanns, Kommunikation, Analyse der semantischen Struktur, 168-204,
besonders Abschnitte 7.2.1 „Beziehung als Thema“ (169-176), 7.2.2
„‚Wissensweitergabe‘ als Beziehungsbasis“ (177-188).
135

Ausbau der Lehrerrolle.414 Allerdings grenzt sich Bickmann eindeutig


von Malherbe ab. In ihren Augen argumentiert Paulus nicht als ky-
nisch-stoischer Wanderphilosoph, sondern als jüdisch-apokalyptischer
Weisheitslehrer. Die Ausführungen zur Familienmetaphorik seien
nämlich „in apokalyptisch-weisheitlichen Texten des Frühjudentums
nachweisbar.“415 Zudem sieht sie insbesondere im existentiellen Theo-
zentrismus der Aussage eher eine Eigenheit des Judentums, als die ein-
deutige Nähe zu den nur rhetorischen Äußerungen der kynischen Phi-
losophen. Denn was Malherbe nach Bickmann übersieht, das „ist dabei
die für das Rollenkonzept eines Weisheitslehrers zentrale Frage, woher
sein Wissen kommt.“416
Die These, dass dem Text ein Lehrer-Schüler-Konzept zugrunde
liegt, kann noch tiefer begründet werden. Zumindest lässt sich inner-
halb des Abschnitts zeigen, dass nicht nur die Lehrbeziehung darge-
stellt wird, sondern ebenso der Erkenntnisfortschritt der Gemeinde
nachvollzogen werden kann. Diese These soll anhand der Gliederung
und der anschließenden Interpretation bekräftigt werden.

2.3.3 Aufbau und Gliederung

Wie bereits erörtert wurde, ist 2,1-12 als eigenständiger Abschnitt in-
nerhalb des gesamten Zusammenhangs von 1,6-2,16 zu interpretie-
ren.417 Markiert wird der Text eindeutig durch den Begriff ei[sodo",
derparallel steht zum ei[sodo" aus Vers 1,9 und somit zum zweiten
Mal auf das anspielt, was dazu geführt hat, dass die Thessalonicher zu
Nachahmern werden konnten. Im Gegensatz zu Vers 1,9f. geht es hier
allerdings nicht um die Inhalte der Verkündigung, sondern um die
kommunikative Situation. Paulus thematisiert in 2,1-12 die Art und
Weise, wie der Dialog mit den Thessalonichern zustande kam. Es wird
nicht auf fremdes Wissen rekurriert wie im Abschnitt 1,9f., der als Zu-
sammenfassung der Aussagen der Gläubigen in Makedonien und
Achaja über die Thessalonicher formuliert ist, sondern augenschein-
lich auf die tatsächliche Eingangssituation – mit kaqw'" oi[date in V. 1
spricht Paulus die Gemeinde direkt an und thematisiert im Dialog mit
der Gemeinde das eigene Auftreten während der Mission in Thessalo-

414 Vgl. Bickmann, Kommunikation, 181f.


415 Bickmann, Kommunikation, 185f. Kenov" sei in diesem Zusammenhang als
frühjüdische Denkkategorie mit„nicht vergeblich“ zu übersetzen (s.u.).
416 Bickmann, Kommunikation, 187. In diesem Sinne vgl. auch Lyons, Autobiogra-
phy, 196.
417 Vgl. Kapitel 2.1 dieser Arbeit.
136

nich. Die Bedeutung liegt dabei nicht mehr auf dem Inhalt, sondern
auf dem Vorgang bzw. den Rahmenbedingungen von Bekehrung und
Mission.418
Nach dieser Abgrenzung im Gesamtrahmen soll die innere Struk-
tur des Textes näher untersucht werden. Eine erste Auffälligkeit ist,
dass die Wendung in V. 1 (aujtoi; ga;r oi[date, ajdelfoiv) in V. 9 (mnh-
moneuvete gavr, ajdelfoiv) ähnlich wiederaufgenommen wird.419 Dies
weist auf einen Neueinsatz hin, wobei die unterschiedliche Wortwahl
(oi[date einerseits, mnhmoneuvete andererseits) einen Wechsel im
Argumentationsniveau angibt. Zwar taucht im gesamten Zusammen-
hang oi[date immer wieder auf, jedoch nie als eindeutiges Gliede-
rungselement. Teilt man den Text aber in die Abschnitte 1-8 und 9-12
auf, so werden bei einem näheren Vergleich trotz ihrer unterschiedli-
chen Länge einige auffällige Parallelen sichtbar.420 Auf folgende Über-
einstimmungen ist demnach hinzuweisen:

(1) Jeweils einleitend kommt Paulus auf die Verkündigung des


Evangeliums zu sprechen: in 2,2 heißt es ... lalh'sai pro;"
uJma'" to; eujaggevlion tou' qeou', in 2,9 ejkhruvxamen eij" uJma'"
to; eujaggevlion tou' qeou'.
(2) Außerdem steht der Formulierung in 2,3: hJ ga;r paravklhsi"
hJmw'n in 2,12 die Wendung parakalou'nte" uJma'" gegenüber.
(3) Die Wendung ejn bavrei aus V.7 wird in V. 9 mit ejpibarh'sai
wieder aufgegriffen.
(4) Des Weiteren taucht zweimal der Begriff mavrtu" auf: in 2,5
qeo;" mavrtu", in 2,10 uJmei'" mavrture" kai; oJ qeov".
(5) Schließlich ist hinzuweisen auf den Vergleich der Thessaloni-
cher als seine Kinder: in 2,7 heißt es wJ" eja;n trofo;" qavlph/
ta; eJauth'" tevkna, in 2,11 wJ" path;r tevkna eJautou'.

418 Von da aus wird die Abgrenzung zu V. 13ff. klar. Denn dort wechselt die
Argumentation erneut, auch bzgl. der kommunikativen Situation. Deswegen
sind 2,1-8 und 2,9-12 auch nicht voneinander zu trennen.
419 Vgl. zur Strukturierung des Absatzes insgesamt auch die informative Studie von
Bickmann, Kommunikation, 161-166, die den vorliegenden Text in ähnlicher
Weise gliedert, allerdings die VV. 1-8 und 9-12 voneinander trennt, da sie als
unterschiedliche Sprechakte kenntlich werden: V. 1 thematisiert dabei die Rede
der Apostel, V. 9 die Erinnerung der Thessalonicher an die Arbeit der Missiona-
re. Bickmann geht es insbesondere darum, die kommunikativen Strukturen in-
nerhalb des Textes ausfindig zu machen.
420 In diesem Sinne gliedern auch Johanson, Brethren, 149, und Coulot, Paul, 380.
137

Damit sind aber erst die Gemeinsamkeiten der Ansätze geklärt. Schaut
man sich die einzelnen Aspekte etwas genauer an, erkennt man auch
Unterschiede in der Formulierung, die eventuell auf einen Erkenntnis-
fortschritt schließen lassen und damit als ein Indiz dafür gelten könn-
ten, dass sich Paulus nicht nur als Lehrer sieht, sondern innerhalb des
Textes auch der Lernerfolg seitens der Gemeinde nachvollzogen wer-
den kann. Ohne vorerst zu große Rückschlüsse ziehen zu wollen, sei
doch auf die unterschiedlichen Ebenen hingewiesen: (1) das oi[date in
V.1 kennzeichnet den ersten Durchgang (1-8) hinsichtlich des episte-
mologischen Aspekts im Gegenüber von Aposteln – Gemeinde, wäh-
rend durch mnhmoneuvete am Anfang von (9-12) auf die gemeinsame
Erinnerung aus demselben Blickwinkel rekurriert wird. (2) So ist auch
die Darstellung in der Struktur zu unterscheiden: im ersten Durchgang
ist sie stets antithetisch (1-2; 3-4; 5-7b)421, im zweiten Durchgang fehlt
diese antithetische Struktur. (3) Die unterschiedlichen Ebenen verdeut-
licht auch die Verwendung von mavrtu": im Gegenüber Gemeinde-
Apostel in 1-8 tritt Gott als Zeuge für die Apostel auf, auf der neuen
Ebene in 9-12 sind die Gemeinde und Gott Zeugen für die Apostel. (4)
Schließlich wird man auch die beiden unterschiedlichen Stufen der
geschilderten Familienbeziehungen für diese Lehrbewegung in An-
schlag bringen dürfen, wenn zunächst das Verhältnis der Amme/
Mutter-Säuglinge, dann das Verhältnis Vater-Kinder thematisiert wird.
Die meisten Exegeten schließen sich in Grundzügen dieser Glie-
derung an,422 zumindest akzeptieren sie den Neueinsatz in V.9 als
Gliederungselement. Allerdings besteht Uneinigkeit über den ersten
Abschnitt. Meistens wird er nochmals unterteilt und entweder V.1423
oder VV. 1 und 2424 als gesondert herausgehoben, oft mit dem Hinweis
auf die antithetische Struktur der VV. 3-8. Die durchgängige oujk-
ajllav-Struktur, auf die Reck425 hinweist, ist nämlich nicht erst ab V. 3,
sondern schon ab V. 1 das leitende Strukturprinzip. So sind die VV. 1-
8 als gemeinsamer Abschnitt zu interpretieren. Die Rede von der ei[s-
odo" mag zwar als Überschrift für den gesamten Abschnitt gelten,

421 Darüber herrscht Konsens, wenn freilich die Abgrenzung der einzelnen Antithe-
sen von mehreren textkritischen Entscheidungen abhängig ist.
422 Merk, 2,1-12, 387, verweist auf den völlig konträren Versuch in Bultmanns
Manuskripten zum 1Thess, in denen die ersten beiden Kapitel in die Abschnitte
1,4-2,4 und 2,5-12 untergliedert werden.
423 So etwa bei Hill, Church, 83ff.; Schoon-Janßen, Apologien, 56f; Müller,
1Thess, 121-123.
424 Vgl. bspw. Reck, Kommunikation, 174f; Gebauer, Paulus, 95f.; Holtz, 1Thess,
65f., untergliedert V. 1-2.3-4.5-9 und 10-12.
425 Vgl. Reck, Kommunikation, 174f.
138

allerdings ist sie bereits in die antithetische Struktur eingebunden.

Hinzuweisen ist auf den Ansatz Gerbers426. Gerber untersucht in ihrer Arbeit
die Verwendung der Eltern-Kind-Metaphern bei Paulus. So ist ihre Gliede-
rung auch in diesem Falle auf diese Problematik abgestimmt. Sie gliedert den
Text in die Abschnitte 1-6 (Abgrenzung von anderen Predigern), 7-9 (Mut-
ter-Kind-Beziehung) und 10-12 (Vater-Kind-Beziehung). Auch hier liegt ei-
ne Steigerung vor, jedoch wendet sich Gerber gegen die Charakterisierung
des Paulus als Lehrer. Dabei geht sie „davon aus, dass ejn bavrei und ejpi-
barh'sai inkludierend auf dasselbe referieren.“ 427 Ihr Beweisziel ist, dass in
den Versen 7-9 der apostolische Unterhaltsverzicht thematisiert wird und ejn
bavrei auch im ersten Falle bereits als finanziell konnotiert zu verstehen sei.
Deswegen gehören ihrer Interpretation zufolge VV 7-9 zusammen und be-
schreiben das Ammen/Mutter-Kind-Verhältnis im Zusammenhang des Un-
terhaltsverzichts. So interessant dieser Versuch auch sein mag, so wenig
überzeugt die Idee, das Bild der Amme auf das Thema Unterhaltsverzicht
einzuschränken. Außerdem geht damit das doch auffällige Gliederungs-
merkmal aus V.9 verloren. Hier soll aber kein letztes Urteil über Gerbers An-
satz gesprochen werden, in der Auslegung wird häufig auf ihre wichtige Ar-
beit einzugehen sein.

Diese Vorüberlegungen sollen im Folgenden die Interpretation leiten.


Eine vertiefte Untersuchung des gesamten Abschnitts 2,1-12 soll ge-
nauere Aukunft über die Wissensvermittlung während der Mission in
Thessalonich geben.

2.3.4 Interpretation

Zum tieferen Verständnis des Lehrgespräches müssen die einzelnen


Stationen im Text nachvollzogen werden. Dabei soll die beiderseitige
mögliche Abhängigkeit aus dem griechisch-philosophischen (Mal-
herbe) bzw. jüdisch-weisheitlichen (Bickmann) Traditionszusammen-
hang nicht aus den Augen verloren werden.428 Nach der Interpretation
soll die Intention des Abschnittes verständlich gemacht sowie der

426 Vgl. Gerber, Paulus, 270-313, besonders die für die Gliederung entscheidenden
Überlegungen 275-279.
427 Gerber, Paulus, 278.
428 Wobei die Entscheidung entweder jüdisch-weisheitlich oder philosophisch zu
plakativ ist. Selbst wenn im paulinischen Denken die jüdisch-weisheitlichen Ka-
tegorien leitend sind, werden diese von einem heidnischen Publikum nicht unbe-
dingt als solche wahrgenommen. Zudem wird dadurch nicht ausgeschlossen,
dass Paulus im Rahmen seiner jüdischen Argumentation bewusst philosophische
Fragestellungen aufgreift.
139

Überlegung nachgegangen werden, inwieweit sich 2,1-12 in den Ge-


samtduktus der Überlegungen innerhalb des Abschnitts 1,6-2,16 ein-
fügt.

2.3.4.1 Der erste Rückblick – die Perspektive des „Gegenüber“


(2,1-8)

Die Argumentationsführung in den VV. 1-8 ist antithetisch formuliert,


Paulus versucht sich eindeutig von anderen Missionaren und Verkün-
digern abzugrenzen, indem er in erster Linie erklärt, was seine Mission
nicht ist und sich dabei nicht direkt inhaltlich äußert, sondern nur
durch den Ausschluss negativer Aspekte positiv qualifiziert. Folgende
antithetische Struktur ist gegeben:
1. VV. 1-2 konkretisieren den Eingang (ei[sodo") der Apostel in
Thessalonich: dieser war nicht leer/kraftlos trotz Verfolgungen
in Philippi: die Verkündigung geschieht frei in Gott, das Evan-
gelium Gottes wird in viel Kampf näher gebracht.
2. VV. 3-4: Die Ermutigung (paravklhsi") zur Verkündigung ge-
schah nicht aus Betrug, Unlauterkeit, nicht aus List, sondern
die Rede ist von Gott abhängig, sie muss denn auch nicht den
Menschen gefallen, sondern Gott.
3. VV. 5-7b: Die göttliche Beauftragung führt jedoch nicht dazu,
dass die Apostel ihre Autorität offensiv ausspielen und in den
Verdacht geraten, ihre Position auszunutzen. Ihr Auftreten ist
so gekennzeichnet, dass sie auf jegliche Form von Autoritäts-
ansprüchen verzichten, und deswegen „unmündig“ oder zumin-
dest gleichberechtigt, ohne Abhängigkeitsansprüche einzufor-
dern, den Thessalonichern gegenübertreten.
4. VV. 7b-8: Die Familienmetaphorik rundet den ersten Durch-
gang ab mit dem Bild der Amme, das aussagt, dass die wäh-
rend der Mission aufgebaute Beziehung trotz der geographi-
schen Entfernung der Missionare von ihrer Gemeinde weiter
aufrechterhalten wird.

Zum tieferen Verständnis des Zusammenhangs folgt nun die Interpre-


tation.

(a) VV. 1-2: Der Eingang der Apostel in Thessalonich

Die erste Antithese versucht den Eingang der Thessalonicher näher zu


beschreiben. Die ei[sodo" ist in diesem Falle ebenfalls dialogisch auf-
140

gefasst und nicht in Außenansicht wie in 1,9 formuliert. Es geht um


gemeinsames Wissen: aujtoi; ga;r oi[date, ajdelfoi;, th;n ei[sodon
hJmw'n th;n pro;" uJma'" spricht die Gemeinde als direkten Dialogpartner
an. Diese Aussagen bzgl. des Wissens sind Kennmarken, die sich
durch das ganze Textstück ziehen und somit nochmals die Zusammen-
gehörigkeit der VV 1-12 unterstreichen.429 Setzt man einen popularphi-
losophischen Hintergrund voraus, und sei es auch nur bei den Hörern,
könnte man schon in der Verwendung des Wortes ei[sodo" ein erstes
Indiz für diesen finden. Ähnlich wie in 1 Kor 16,9 oder 2 Kor 2,12
Gott für Paulus die Tür zur Mission öffnet, greift ei[sodo" an dieser
Stelle auf dasselbe Sprachspiel zurück, das insbesondere bei zeitgenös-
sischen Philosophen anzutreffen ist.430 Als prominentestes Beispiel zur
Stützung dieser These führt Malherbe den Kyniker Krates an, der u.a.
den Beinamen „Türöffner“ erhielt, da er, um sein Anliegen näher zu
bringen, in die Häuser gegangen ist und dort „philosophiert“ haben
soll.431
Für die nähere Charakterisierung dieses Eingangs stellt Paulus
die beiden Begriffe ouj kenhv und ejparrhsiasavmeqa ... lalh'sai anti-
thetisch gegenüber. Paulus beschreibt auf dem Hintergrund der Leid-
erfahrungen432, die er in Philippi gemacht hat, seinen Eingang als ouj
kenov". Die Eingangssituation wird denn auch im Zusammenhang mit
der Ankunft der Apostel in ihrer Bedrängnis beschrieben: trotz der
Verfolgungen, wie sie ihnen zuteil wurden, war ihr Eingang nicht
kenov". Die passende Übersetzung dieses Adjektivs ist weiterhin um-
stritten.433 Ernsthaft diskutiert werden zwei Möglichkeiten. Im An-
schluss an den Sprachgebrauch in der LXX sowie der Verwendung bei
Philo wird häufig versucht, den Begriff auf den Erfolg der Missionare

429 Zum Zusammenhang von 2,1-12 vgl. insbesondere Holtz, 1Thess, 65f., Müller,
1Thess, 121f.
430 Vgl. Malherbe, 1Thess 135 mit Verweis auf Lukian, Hermotimus, 73-74, für die
Verwendung von ei[sodo". Dort auch weitere Belege.
431 Plutarch, Symp. 2,632 E; Diog. Laertius, Vit.Phil. 6,86.
432 Freilich sind diese Leiderfahrungen, die durch propaqovnte" kai; uJbrisqevnte"
ausgedrückt werden, nicht näher zu spezifizieren, zu übersetzen etwa mit
Vorleiden und Misshandlungen. Nach Malherbe ist uJbrisqevnte" in Verbindung
mit der Verwendung bei Dion zu bringen (s.o.), wenn die Auseinandersetzung
mit der Menge für Paulus bittere Realität geworden zu sein scheint. Die sog.
„Vorleiden“ (pro-paqovnte") sind evtl. am besten unter Einbeziehung von Apg
16,22.24 oder Phil 1,30 in Form von Gefängnisstrafen oder Auspeitschungen zu
verstehen, vgl. hierzu Müller 1Thess 124.
433 Müller, 1Thess 124: „Von den 18 ntl. Belegen des Begriffs 'kenos' kommt mehr
als die Hälfte bei Paulus vor, sie gehen meist auf LXX-Sprache zurück und
müssen differenziert übersetzt werden.“
141

hin zu deuten.434 Der Eingang der Thessalonicher war demnach „nicht


vergeblich“ oder „leer“. Bickmann qualifiziert deshalb die Wendung
eij" kenov" als „frühjüdische Denkkategorie“, die den Erfolg der
Botschaft der Missionare auszudrücken vermochte.435
Allerdings scheint diese Übersetzung, wie sie sich etwa in 1 Kor
15,10.58; 2 Kor 6,1 anbietet, an dieser Stelle nicht zuzutreffen. Durch
die antithetische Gegenüberstellung mit ejparrhsiasavmeqa ... lalh'-
sai kann sich kenov" nicht auf die Qualifizierung des Missionserfolges
beziehen, sondern auf die nähere Charakterisierung des Auftretens der
Missionare.436 Dies bestätigt sich auch „aus der kynischen und stoi-
schen Vorstellung, daß Theorie und Praxis, Verkündigung und Le-
bensführung untrennbar zusammenghören und das Gegenteil, eine Di-
vergenz zwischen Predigt und Leben den 'Scheinphilosophen' oder
'Scheinkyniker' ausmacht.“437 Deswegen ist es besser, man übersetzt
entweder mit „substanzlos, Inhalt vortäuschend“438 oder aber mit
„kraftlos“439, wenn man ajgw'n als vertiefende Charakterisierung von
ejparrhsiasavmeqa verstehen will.440
Mit ejparrhsiasavmeqa greift Paulus auf einen Begriff zurück,
der nun eindeutig zum Repertoire von philosophischen Wanderpredi-
gern gehört und auf den öffentlichen Charakter ihres Auftretens ver-

434 Vgl. Bickmann, Kommunikation, 186; Reinmuth, „Nicht vergeblich“, 103.


435 Vgl. Bickmann, Kommunikation, 186. Ferner Bjerkelund, Vergeblich, 179-
182.185; 179: „In unserem Zusammenhang [LXX?] verdient der Gebrauch von
ou[k eij" kevnon als eine Art (negativ geformte) Qualitätsbezeichnung für das,
was von Gott stammt, größere Aufmerksamkeit. An mehreren Stellen wird dies
einfach durch 'nicht vergeblich' ausgedrückt (...)“ Vgl. Jes 45,18; 65,23; Hab
2,2f.; Dtn 32,47; Weish 3,1; Sir 34,1; Jer 6,29. Ähnlich auch Best, 1Thess, 90;
Wanamaker, 1Thess, 92, Merk, 1Thess 2,1-12, 391.
436 So auch Gerber, Paulus, 271.
437 Poplutz, Athlet, 29, mit Verweis auf Epictet, Diss. III,22,91; Dion von Prusa,
Or. 32,7-12.
438 Vgl. Gerber, 271, im Anschluss an Dobschütz, 1Thess, 83.
439 So etwa Malherbe, 1Thess 135; Marxsen, 1Thess, 44; Haufe, 1Thess, 35. In
diesem Sinne ist auch 1 Kor 15,14 zu übersetzen. Vgl. zur philosophischen
Verwendungsweise Quin., Inst. Orat. XII 10,17; 10,73; Sen. Ep. 114,16; Dion
von Prusa, Or. 31,30; Plutarch, Suav. Viv. Epic. 1090a.
440 Poplutz, Athlet, 229, verweist auf das verbreitete Bild von Athleten, die im
Training mit ihren Fähigkeiten protzen, den eigentlichen Wettkampf allerdings
scheuen. Vgl. Epict., Diss. IV, 4,11f. (zitiert nach Poplutz, Agon, 229, Anm.
39): „Du gleichst einem Athleten, der, wenn er das Stadion betritt, weint, daß er
nicht außerhalb sich übt. Deswegen hast du ja geübt, dafür waren die
Sprunggewichte, der Griff [sc. in den Staub], die Jünglinge [sc. als
Trainingspartner]!“
142

weist.441 Der Begriff der parrhsiva442 wurzelt in der politischen Theo-


rie der Antike und wird dort zu einem wichtigen Begriff in der Be-
schreibung der athenischen Demokratie, um die freie Sprache des
freien Bürgers (also das antike Recht der Meinungsfreiheit) deutlich zu
machen.443 Später allerdings wuchs das Bedeutungsspektrum weiter
an. Allmählich gewannen ethische Aspekte immer mehr an Bedeu-
tung, demzufolge die freie Rede in philosophischer Terminologie als
Vorrecht der Philosophen galt, da diese aufgrund ihrer Ausbildung
einen besseren Zugang zur Wahrheit hatten. 444 Kann dies bei der
paulinischen Verwendung intendiert sein, ist jedenfalls auch auf das
Bedeutungsspektrum aus dem biblischen Bereich hinzuweisen. So-
wohl in der LXX als auch in weiteren jüdischen Texten wird mit
parrhsiva die Freiheit des Gerechten vor Gott beschrieben, die „einen
offenen, durch nichts mehr versperrten Zugang zu ihm [Gott] er-
schließt.“445 Dieses Verständnis muss auch für Paulus vorausgesetzt
werden, da er, wie sich zeigen wird, gerade im Abschnitt 2,1-12 immer
wieder darauf hinweist, dass seine Autorität und seine Verkündigung
in Gott gründet und ohne Gott keinerlei Bedeutung hat.446
ejn pollw/' ajgw'ni charakterisiert abschließend nochmals das Auf-
treten der Missionare. Gegenüber der in Gott gründenden Freimütig-
keit der Rede weist die Kampfeshaltung der Missionare eindrücklich

441 Vgl. Poplutz, Athlet, 232, Anm. 58.


442 Das Verb bringt Paulus nur an dieser Stelle. Das Substantiv gebraucht Paulus in
2 Kor 7,4; Phlm 8; 2 Kor 3,12; Phil 1,20 immer mit der Bedeutung „Offenheit“.
443 Zur Begriffsgeschichte, vgl. Schlier, ThWNT V, 869-872.
444 Vgl. Malherbe, 1Thess, 136f. In diesem Zusammenhang gesteht selbst Holtz,
1Thess, 69 den Überlegungen Malherbes zu, dass die philosophische Begriff-
lichkeit anscheinend ‚gezielt gewählt‘ sei – als Signum für Wahrheit. Allerdings
scheint sein Einwand auf S. 68 etwas verwirrend zu sein: „Paulus stellt das
Leiden, das er im Vollzug seines Dienstes am Evangelium erfährt, in einen
Gegensatz zur freien Verkündigung eben dieses Evangeliums. Das ist
überraschend, da er anderwärts mit andrängender Gewißheit das Wissen
ausspricht, daß Bedrängnis und Leiden notwendig zur Existenz des Apostels
hinzugehören.“ Die Beobachtung ist natürlich richtig, jedoch untermauert
Paulus gerade durch die Form seiner Predigt das Verständnis, das Holtz
argumentativ zu vermissen scheint: Es geht nicht um den Gegensatz, sondern
um den Zusammenhang, wenn er seiner neuen Gemeinde berichtet, dass er trotz
der Verfolgungen frei sein Evangelium verkünden müsse.
445 Schlier, ThWNT V 873 mit Verweis auf Hiob 27,9f; 22,23-27; Sap 5,1f.; Prv.
13,5; 20,9. Weitere Belege zur Verwendungsweise innerhalb der LXX und der
griechisch-jüdischen Literatur vgl. Schlier, ThWNT V, 872-877.
446 Vgl. Schlier, ThWNT V, 881: „parrhsiva ist dabei das Offensein gegenüber
Gott ... und gegenüber den Menschen ..., schließt aber auch das Offensein im
Evangelium ein...“
143

darauf hin, dass sie standhaft bleiben und sich auch nicht vor weiteren
Verfolgungen fürchten.447 Es betont ihren Ansatz gerade im Gegenzug
zu den Verfolgungen in Philippi.448
Zusammenfassend lässt sich sagen: der Eingang der Missionare
war von Erfolg gekrönt, denn der Kontakt zur Gemeinde wurde herge-
stellt. Dabei wurde allerdings nicht nur der Erfolg an sich charakteri-
siert, sondern zugleich die Art und Weise des Auftretens als richtig le-
gitimiert.

(b) VV. 3-4: Die paravklhsi"

Nach der ei[sodo" wird die paravklhsi" der Apostel, wie Gebauer
meint, beschrieben, was zunächst „nichts anderes als die Verkündi-
gung der Missionsbotschaft“449 meint. Allerdings weist Gebauer zu-
gleich darauf hin, dass der Aspekt der Zuwendung mitzudenken sei,
und so charakterisiert Paulus vielleicht schon im Vorgriff auf die be-
sondere Zuwendung, die in der Familienmetaphorik vertieft zur Gel-
tung kommen wird, seine Verkündigung als Zuspruch. Paulus hat nur
Erfolg, wenn sein Missionswerk wirklich Bestand hat, und deswegen
sorgt er sich auch weiter um die Thessalonicher. Die Zuwendung ist
nicht rhetorisches Mittel, sondern ehrlich gemeint.450
Wieder sieht sich Paulus genötigt, diesen Zuspruch antithetisch
näher zu beschreiben. Sein Zuspruch geschieht deswegen auch nicht
aus Betrug, Böswilligkeit (bzw. schmutziger Gesinnung) 451 oder gar
List (oujk ejk plavnh" oujde; ejx ajkaqarsiva" oujde; ejn dovlw/ )452, sondern
die Missionare sprechen so, wie sie von Gott für Wert befunden
wurden (kaqw;" dedokimavsmeqa uJpo; tou' qeou' pisteuqh'nai to; euj -
aggevlion ou{tw" lalou'men). Es läuft auf den Gegensatz hinaus, Gott

447 Vgl. zur Stelle Müller, 125. Zur Wettkampfmetaphorik im Allgemeinen vgl.
Poplutz, Athlet, insbesondere 230-234 (zur Stelle); Schwankl, Lauft.
448 So auch Haufe, 1Thess, 35.
449 Gebauer, Paulus, 95.
450 Vgl. Gebauer, Paulus, 95. Nach Schmitz, ThWNT V, 792, handelt es sich um
die „werbende Heilsverkündigung bei der Predigt.“
451 Mit Holtz, 1Thess, 71, ist darauf hinzuweisen, dass ajkarqasiva in diesem
Zusammenhang etwas weiter gefasst werden muss als sonst bei Paulus oder im
hellenistischen Judentum, da es dort immer sexuell konnotiert ist. Auch in
1Thess 4,1 wird es allgemeiner, zur zusammenfassenden Charakterisierung der
„heidnischen Hauptlaster, Unzucht und Habsucht“ verwendet. So könne man
etwa „schmutzige Gesinnung“ o.ä. als Bedeutung annehmen.
452 Wie bereits erwähnt konnte Malherbe, Nurse, diese Begriffe eindeutig der
griechischen Popularphilosophie zuweisen.
144

als Subjekt ins Zentrum jeglicher Verkündigungstätigkeit zu rücken


und menschliche Interessen auszuschließen (wobei damit eine Stei-
gerung zu VV. 1-2 erzielt wird). Gott ist derjenige, der dafür Sorge
trägt, dass alles mit rechten Dingen abläuft: er hat die Missionare für
tauglich befunden, mit dem Evangelium betraut zu werden. Mit
dokimavzein453 greift Paulus einen Begriff aus dem juridischen Zusam-
menhang auf, der hier besagt, dass die Legitimation von Gott ausgeht.
Dies wird im Folgenden in einer nachgeschobenen, die erste Antithese
erklärenden zweiten Antithese bestätigt, diesmal jedoch aus der Sicht
der Apostel. Ihr Ziel ist es nicht, den Menschen 454, sondern Gott zu
gefallen, wobei Paulus einen bedeutenden Topos aus dem Alten
Testament aufgreift.455 Dies mag allerdings auch bei philosophischen
Wanderpredigern der Zeit ein wichtiger Topos gewesen sein. 456 Der
Grund, warum man Gott gefallen sollte, wird wiederum mit
dokimavzein beschrieben, diesmal erweitert mit „ta;" kardiva" hJmw'n.“
Die Vorstellung, dass Gott die Herzen prüft ist dabei eine „‚biblizisti-
sche’ Wendung“, die „ihm möglicherweise als geprägte Gottesprädi-
kation bekannt gewesen“457 ist. Sie will wohl besonders eindrücklich
beschreiben, dass die Verkündiger des Evangeliums bis auf ihre hin-
tersten und verstecktesten Gedanken durchschaut werden, bevor sie
zur Evangeliumsverkündigung zugelassen werden.458

(c) VV. 5-7: Dritte Antithese

Die dritte Antithese erstreckt sich nach der vorliegenden Interpretation


und der Entscheidung für die Interpunktion vom Anfang von V. 5 bis
einschließlich V. 7b. Der eigentliche Kontrast ist dabei erst in V. 7 ge-
geben. Paulus spielt seine Autorität nicht aus, obwohl er das könnte
(ejn bavrei ei\nai wJ" Cristou' ajpovstoloi), sondern verhält sich den
Thessalonichern gegenüber als nhvpio" (unmündig). Der Grund hierfür

453 Nach Grundmann, ThWNT, 259, ist dokimavzein „in der Bedeutung prüfen ...
terminus technicus für die amtliche Prüfung, die veranstaltet wird,“ (vgl. etwa
Xenophon Mem III 5,20; Platon, Nomoi VI, 754a ff.), kann aber auch auf die
Bewährung nach Erprobung anspielen (z.B. Xenophon Mem I 2,42).
454 ajnqrwpavresko" ist einzig im Bibelgriechischen verwendet. Vgl. Holtz, 1Thess
73 mit Verweis auf Ps 52,6; PsSal 4,8.10.21; Kol 3,22; Eph 6,6.
455 Vgl. z.B. Gen 5,22; 6,2; Ps 25,3; 114,9; [mehr]; für den hellenistischen Kontext
vgl. Epiktet, discourse 1.30.1, Dion von Prusa or. 12,1ff; 33,3.13ff.
456 Vgl. Dion von Prusa, Or. 34.31-33; 66.26; Ps-Crates, Ep. 35.2; Ps.-Diogenes,
Ep. 11.
457 Holtz, 1Thess, 74 mit Verweis auf Jer 11,20 und Ps 16,3.
458 Vgl. hierzu auch Best, 1Thess, 97.
145

kann in den Negativreihen der VV. 5 und 6 gesehen werden, die aus-
führlich darauf eingehen, wozu eine falsch verstandene Autorität bei
Paulus hätte führen können.
Im Einzelnen genannt sind Schmeichelrede (kolakeiva)459, Hab-
gier (pleonexiva)460 und Streben nach Ruhm (zhtou'nte" ... dovxan)461
gegenüber anderen Menschen, letztlich alles Vorwürfe, die den Apos-
teln gemacht werden könnten, wenn sie nicht bewusst ihre Autorität
außen vor gelassen hätten. Die dovxa darf deswegen nicht erstrebt wer-
den, weil der Begriff in 1Thess 2,12 eindeutig für Gott reserviert ist.462
Besonderen Nachdruck verleiht Paulus seiner Aussage, indem er
nach dem zweiten Negativglied den Satz „Gott ist mein Zeuge“ beina-
he im Sinne einer Schwurformel einschiebt.463 Wichtig scheint es Pau-
lus auch hier wieder zu sein, darauf hinzuweisen, dass die apostolische
Autorität immer wieder von Gott ausgeht. So wie er im Rahmen der
Antithesen der VV. 3-4 Gott als den Prüfenden beschrieben hat, so re-
kurriert hier Gott als Zeuge wieder auf denselben Sachverhalt. Ein be-
sonderes Signal setzt Paulus mit dem Wort mavrtu", da es in V. 10 er-
neut auftaucht, dort aber, um die Thessalonicher zusammen mit Gott
als Zeugen zu bezeichnen.
Der Akzent der Negativkette der VV. 5 und 6 liegt nach Ger-
464
ber eindeutig auf dem Aspekt des Unterhaltsverzichts der Apostel.
Dies werde in der Verwendung des Begriffes ejn bavrei deutlich, der
den eigentlichen Anspruch des Apostelbegriffes qualifiziert. Die mei-
459 Ein ntl. Hapaxlegomeneon, in der LXX ist nur kolakeuvw 1 Esdr 4,31; Hi
19,17; Sap 4,17; Bei Philo findet sich sowohl das Verb (LegGai 116; DetPotIns
21; SpecLeg I 60; MigrAbr 111), als auch das Substantiv (Sobr57; LegAll III;
Abr 126). Belege im Profangriechischen vgl. Malherbe, 1Thess, 142.
460 Nach Müller, 1Thess, 128, hat die Rede von der pleonexiva „im AT und in der
jüd. Ethik eine lange Vorgeschichte und ihren festen Platz in den ntl.
Lasterkatalogen. Der Begriff bezieht sich nicht nur auf Gier nach Geld und
Reichtum, sondern auch auf das unmoralische Streben nach Macht auf Kosten
der anderen. In der prophetischen Drohrede gegen gewaltsame Bereicherung,
Ausbeutung der Armen und Bestechung, hat der Begriff in der LXX seinen
festen Platz...“
461 Freilich war es ebenso ein wichtiger Begriff im jüdischen Denken, nicht den
eigenen Ruhm, den Selbstruhm in den Vordergrund zu stellen, etwas, was
nämlich nur Gott gebührt (kabod JHWH!), darf vom Menschen nicht bean-
sprucht werden. Im popularphilosophischen Umfeld vgl. etwa Dion von Prusa
or. 32,6.10.11; Lukian Peregrinus 13.
462 Vgl. zur Stelle.
463 So etwa auch Müller, 1Thess, 129. Rigaux, Saint Paul, 415 sowie von Dob-
schütz, 1Thess, 91 haben sicher nicht Recht, wenn sie meinen, er brauche in
puncto Habgier einen Zeugen.
464 Vgl. im Folgenden Gerber, Paulus, 280f.
146

sten Ausleger fassen ejn bavrei ei\nai als „gewichtiges Auftreten“ der
Apostel. Gerber wendet ein, dass dieser Bedeutungsgehalt im Griechi-
schen allerdings kaum belegt ist465 und im NT grundsätzlich im Sinne
einer Belastung negativ verwendet wird. Hingegen sei eindeutig beleg-
bar, dass sich das Wortfeld bavro", baruv", barei'n auf Belastungen fi-
nanzieller Natur beziehen würde.466 Den Zusammenhang mit dem Un-
terhaltsverzicht stellt dann eindeutig 1Thess 2,9 her, wo Paulus darauf
hinweist, selbst für seinen Lebensunterhalt gesorgt zu haben, um seine
Gemeindemitglieder nicht zu belasten. Ob allerdings der Begriff auch
in 2,7 ganz so eng ausgelegt werden muss, bleibt dahingestellt, dies
würde den Aussagegehalt der Negativreihe der VV. 5-6 zu sehr auf
den finanziellen Aspekt einschränken.467 Dass er mitgedacht werden
muss, geht eventuell aus 1 Kor 9,1-15 hervor, wo Paulus ebenfalls de-
monstrativ auf seine apostolische Autorität im Zusammenhang mit
dem Unterhaltsrecht verzichtet.
Wenn sich Paulus in 2,7 als Apostel Jesu Christi bezeichnet, be-
gründet er sein Auftreten eschatologisch mit der Retterfunktion Chris-
ti, wie sie in 1,10 inhaltlich deutlich wird. 468 Der Gegensatz zum ge-
wichtigen Auftreten der Apostel ist nhvpio", was wörtlich „kindlich“
bzw. „unmündig“ heißt.469 Paulus gebraucht das Wort in übertragenem
Sinne, wie es in der Armentheologie des Alten Testaments verwendet
wird. Demnach heißt nhvpio" demütig, bescheiden, anspruchslos.470
Die Apostel verzichten in diesem Sinne auf ihre (finanziellen) Vor-
rechte und begegnen den Thessalonichern ganz bescheiden auf glei-
cher Ebene.

465 Vgl. Gerber, 279 unter Verweis auf Schrenk, ThWNT I, 551-559.
466 So schon Strelan, Burden-Bearing, 268, Stegemann, Anlaß, 407f.; Merk, 1Thess
2,1-12, 397. Zur ntl. Verwendung in diesem Sinne vgl. 1Thess 2,9; 2 Kor 11,9;
2 Kor 12,16; 2 Thess 3,8.
467 So auch Wanamaker, 1Thess, 99. Gerber, Paulus, 279f., schränkt den Inhalt der
drei Antithesen tatsächlich im Sinne der finanziellen Belastung ein. Auch ist ihr
Hinweis auf die grundsätzliche negative Konnotation von baruv" nicht
ausgeschlossen, da Paulus den Begriff ja hinsichtlich der Gefahr negativer
Auslegung einsetzt. Würde er seine Autorität positiv herausstellen, dann sicher
nicht mit der Vokabel ejn bavrei. Spricht Paulus von seiner apostolischen
Vollmacht, verwendet er den Ausdruck ejxousiva, wie etwa in 2 Kor 13,10; Gal
2,7f. oder 1 Kor 9,1-15.
468 Dass er sich in einer Linie mit Christus sieht, wird auch durch die Verwendung
des Mimesis-Begriffes in 1,6 deutlich. Vgl. dazu Kap. 2.4.2.1.
469 Vgl. Légasse, EWNT II, 1142.
470 Vgl. Bertram, ThWNT IV, 913-925; W. Grundmann, NEIPIOI; Müller, 1Thess,
131.
147

(d) VV. 7-8: Familienmetaphorik I

Nachdem das Wort nhvpio" zur Charakterisierung des Auftretens der


Apostel gebraucht wurde, kann es nicht mehr für die Beschreibung der
Amme verwendet werden. Aufgrund der textkritischen Entscheidung
für nhvpio" und der veränderten Interpunktion kann allein V. 8 zur nä-
heren Erläuterung des Bildes der Amme herangezogen werden: wJ"
eja;n trofo;" ... und ou{tw" oJmeirovmenoi ... sind aufeinander bezogen.
Unabhängig von dieser Entscheidung hat die Forschung auf einige
Probleme und Ungereimtheiten hingewiesen, die ein klares Verständ-
nis erschweren:

(1) Zunächst fällt auf, dass das Bild zwischen der Amme (trofov")
und der Mutter (ta; eJauth;" tevkna) pendelt.
(2) Außerdem wird darauf hingewiesen, dass der Vergleich un-
glücklich gewählt ist471, da die Apostel ihren Unterhaltsverzicht
herausstellen, während die Amme für ihre Tätigkeit Geld ver-
langt.
(3) Schließlich muss auf der Sachebene geklärt werden, wie das
ntl. Hapaxlegomenon oJmeivromai zu übersetzen ist, dessen Be-
deutung umstritten ist.

Zuerst zur Worterklärung von oJmeivromai. Aufgrund der schwierigen


Herleitung hat sich in der Forschung ungeachtet der Kritik durch Blaß-
Drebrunner-Rehkopf472 durchgesetzt, mit iJmeivresqai, „ersehnen“473
oder abgeschwächt „liebevolle Gesinnung hegen“474 zu übersetzen.
Demnach würde der Vergleichspunkt die emotionale Zuwendung der
Apostel zu der Gemeinde betonen, die weit über die Evangeliumsver-
kündigung hinausgeht. Jedoch hat Baumert475 versucht, eine neue Her-
leitung zu begründen, nach der oJmeivromai mit „getrennt sein von“
bzw. „ferngehalten werden von“ zu übersetzen sei.

Ein Problem besteht darin, dass das Wort ojmeirovmenoi kaum belegt ist, nur
in Ijob 3,21 LXX, Ps 63,2 Sym, in 1Thess 2,8 sowie einem Epigramm aus

471 So zumindest Merk, 1Thess 2,1-12, 398; Holtz, 1Thess, 83, der „Ungeschick-
lichkeit“ in der paulinischen Ausdrucksweise annimmt.
472 Nach § 101 Anm. 39, S. 78 ihrer Grammatik sei eine gemeinsame Etymologie
beider Wörter unmöglich.
473 Vgl. Gerber, Paulus, 286.
474 So übersetzt Bickmann, Kommunikation, 163.
475 Vgl. Baumert, JOmeirovmenoi.
148

dem 4. Jahrhundert. Sowohl Ijob 3,21 LXX, Ps 63,2 Sym, als auch 1Thess
2,8 bieten als alternative Lesart iJmeivromai, was mit „liebevolle Gesinnung
hegen“ oder „Sehnsucht haben“ übersetzt werden könnte, in allen vorliegen-
den Texten aber wenig Sinn zu ergeben scheint. Auch die ursprüngliche he-
bräische Textbasis hinter den atl. Stellen führt zu keiner sicheren Lösung.
Deshalb hat Baumert vorgeschlagen, ojmeivromai von meivromai her zu verste-
hen, was in der Grundbedeutung zwar „Anteil haben“, allerdings im Dialekt
auch „teilen“ oder „trennen“ bedeuten kann, wie er es beim Dichter Aratos
an zwei Stellen nachweist. Demnach wird ojmeivromai „gebildet aus dem
Grundwort meivresqai mit prothetischem o (ohne Aspiration), liegt seman-
tisch in der Linie von ‚teilen, trennen’ in passivischer Bedeutung und heißt
an unseren Belegstellen: ‚von jemandem oder von etwas (schicksalhaft) ge-
trennt werden, weggehalten werden’, und zwar von jemandem, zu dem man
gehört.“476

Diese Erklärung würde damit die augenblickliche Situation der Tren-


nung der Apostel von der Gemeinde ins Visier nehmen. Und sie über-
zeugt auch auf der inhaltlichen Ebene. 477 Es soll gesagt werden, dass
trotz dieser Trennung eine tiefe Beziehung zwischen der Gemeinde
und den Aposteln besteht: der Kontakt bricht nicht ab, weil die Thes-
salonicher „Geliebte“ der Apostel geworden sind. Deswegen halten sie
es nicht nur für gut (eujdokou'men), ihnen die Evangeliumsverkündi-
gung näherzubringen, sondern auch ihr eigenes Leben bzw. ihre See-
len.478 Damit wird angedeutet, dass die Beziehung zwischen Aposteln
und Gemeinde über die eigentliche apostolische Aufgabe der Evange-
liumsverkündigung weit hinausgeht. Die Apostel verzichten auf alle

476 Baumert, jOmeirovmenoi, 554. Diesbezüglich versucht er dann auch


nachzuweisen, dass sein Vorschlag in allen vier Fällen den besten Sinn ergeben
würde. Interessant sind zudem Baumerts Überlegungen, wie es überhaupt zur
Verwechslung von ojmeivromai und iJmeivromai kommen konnte (562-563):
„Solche Wörter sind oft auf bestimmte Sprachräume beschränkt. So ist Aratos,
der bisher einzige Zeuge für meivresqai = teilen in Kilikien daheim. Das eben
behandelte Epigramm weist uns ins Phrygische, dem ja der kilikische Raum
zuzuordnen ist, und die LXX nach Alexandria, von wo es manche Brücke zum
Phrygischen gibt. Paulus hätte also hier ein Wort seines Heimatdialektes
aufgegriffen, das man in Thessalonich zur Not verstand, aber wohl kaum selbst
gebrauchte. ... Manchen Abschreibern war das Wort unbekannt, so daß sie es –
bei Diktat – sinngemäß durch ein ihnen bekanntes Wort ersetzten.“
477 Hier ist Baumert und Merk, 2,1-12, 398-399 zu folgen.
478 Die Übersetzung von ta;" eJautw'n ysucav" ist umstritten und schwankt
zwischen „sich selbst darreichen“ (so etwa Merk, 399), das Leben (Baumert)
oder im Sinne Malherbes, 1Thess, 147 und Gerbers, Paulus, 287, „das Herz
schenken.“ Bickmann, Kommunikation, 165, übersetzt ganz wörtlich mit
„Seele“.
149

Autoritätsansprüche, um allein die Autorität Gottes herauszustellen.


Ihr Verhältnis zur Gemeinde charakterisiert Paulus deswegen auch
nicht durch eine autoritäre Distanz, sondern durch die Tiefe der per-
sönlichen Beziehung, die sich während der Zeit der Missionierung her-
ausgebildet hat.
Von daher muss das Bild der Amme erschlossen werden. Paulus
vergleicht sich mit einer Amme, die ihre (eigenen) Kinder umhegt
bzw. pflegt. qalpei'n darf nicht auf das Stillen reduziert werden479, da
die antike Ammentätigkeit als Beruf mehr umfasste als nur die Sorge
um die Ernährung; sie hatte auch für die frühkindliche Erziehung zu
sorgen, oft über das Stillalter hinaus, hatte also häufig die Funktion des
Kindermädchens.480 Der Aspekt des Stillens allerdings schwingt in der
Wortwahl trofov" unüberhörbar mit. Wenn man so will, könnte man
den Aspekt des Stillens auf der Bildebene mit dem Aspekt der Evange-
liumsverkündigung auf der Sachebene gleichsetzen. Dann würde
qalpei'n die über diese Grundfunktion hinausgehende Beziehung, das
Umhegen, Pflegen, Ausstatten mit dem ganzen Leben, ausdrücken.
Immerhin gibt es Belege dafür, dass die Beziehungen von Ammen zu
ihren Ziehkindern sehr tief waren und teilweise ein Leben lang anhiel-
ten.481 Vielleicht sollte man sich aber der Interpretation Gerbers an-
schließen, die meint, dass mit den eigenen Kindern die leiblichen Kin-
der der Amme – Mutterschaft ist ja Grundvoraussetzung dafür, Amme
zu werden – gemeint sind.482 Nach dieser Interpretation würde sich die
Tiefe der Beziehung darin zeigen, dass sie für die eigenen Kinder tie-
fere Gefühle hegen, ja ihnen ihr ganzes Leben, ihr Herz schenken wür-
de, was auf ihre Stillkinder nicht zuträfe. Gerber hätte dann zusätzlich
ein Argument zur Hand, das den Unterhaltsverzicht der Apostel be-
züglich der Thessalonicher erklären könnte – da Paulus sie als die ei-
genen Kinder betrachtete. Auch wenn das Thema Unterhaltsverzicht
wirklich leitend ist, erscheint der Vergleich in dieser Komplexität doch

479 Gegen Holtz, 1Thess, 83; Müller, 1Thess, 131f.; Kuhn, Bedeutung, 344, die
einzig die Funktion des Stillens betonen.
480 Gerber, Paulus, verweist darauf, dass der Begriff tivtqh eindeutig auf die
Nähramme Bezug nehmen würde, während trofov" weiter zu fassen sei. Vgl.
Belege bei Herzog-Hauser, PRE 34,1491; Hopfner/Klauser RAC 1,381.
481 Vgl. dazu kritisch Gerber, Paulus, 284, die auf das ambivalente Ammenbild der
Antike hinweist. Dies weist letztlich nur nach, dass der Einflussbereich der
Amme auf die Kinder groß war. Ob Paulus deswegen das Ammenwesen kritisch
einschätzen musste, bleibt zu hinterfragen. Im Blick auf atl. Stellen kann man
evtl. annehmen, dass er das Bild übernommen hat, ohne die soziologischen
Aspekte bis ins Detail zu durchdenken.
482 Vgl. hierzu Gerber, Paulus, 283.
150

etwas konstruiert. M.E. würde es genügen, zwischen der Funktion der


Amme (Evangeliumsverkündigung) und mütterlicher Zuneigung (die
darüberhinausgehende tiefe Beziehung) zu unterscheiden. Damit wäre
das Verhältnis für die erste Zeit der Mission und dessen Fortbestehen
in der Trennung hinreichend dargestellt.483

2.3.4.2 Der zweite Rückblick – Perspektive Miteinander (2,9-12)

Der zweite Durchgang ist wesentlich knapper gestaltet als der erste.
Auffällig ist, dass keine Antithesen mehr verwendet werden. Im gan-
zen Abschnitt hat man außerdem den Eindruck, dass die Thessaloni-
cher ein höheres Niveau erreicht haben, dass also ein Lerneffekt nach-
vollziehbar wird: Geht es im ersten Fall um das Wissen über das da-
malige Geschehen (oi[date), das Vernunftbegriffe bemüht, die die Ar-
beit der Apostel als richtig erweisen soll, geht es im zweiten Fall um
die Darstellung der gemeinsamen Erinnerung an diese Zeit. Daher ist
es nicht mehr nötig antithetisch abzugrenzen, sondern aus dieser Sicht
zu berichten: die Thessalonicher erscheinen nunmehr auf der gleichen
Ebene. Sie müssen nicht mehr durch das Zeugnis Gottes von der
Rechtmäßigkeit des Tuns der Apostel überzeugt werden, sondern kön-
nen dies nun selbst richtig einschätzen, sie sind ebenso wie Gott Zeu-
gen des Tuns der Apostel. Daher kann sich Paulus letztlich auch kür-
zer fassen. Ebenso erscheint das Schüler-Lehrer-Verhältnis auf einer
neuen Ebene, nämlich im Verhältnis von Kindern zu ihrem Vater. Die-
ser Erkenntnisfortschritt soll im Folgenden analysiert werden.

483 Man könnte mit Guiterrez, Paternité, 97ff., die Apostel auf die Ammenfunktion
beschränken und die Mutterrolle auf Gott übertragen, da durch seinen Ruf zur
Erwählung die „Kinder“ erst zur Welt kommen, durch die Apostel nur mit der
Evangeliumsverkündigung genährt werden. Jedoch wäre dies eine Überinterpre-
tation, die wohl am Folgevergleich Vater-Kinder scheitert. Danach wird
deutlich, dass die Rolle Gottes die des Königs, nicht diejenige der Mutter sein
kann. Vgl. dazu unten.
151

(a) V.9

Paulus erinnert zunächst die Gemeinde an die Zeit der Mission. Der
Neueinsatz wird markiert durch mnhmoneuvete gavr, ajdelfoiv.484 Im
Mittelpunkt der Aussage in V. 9 steht wiederum das Verhältnis der
Missionare zu ihrem Evangelium. Diesmal greift Paulus nicht auf ab-
strakte Begriffe zurück, sondern wird ganz konkret: er verweist auf
seine finanzielle Ungebundenheit, da er beinahe rund um die Uhr gear-
beitet hat, um den Gemeindemitgliedern nicht finanziell zur Last zu
fallen. Dies drückt Paulus mit dem Verb ejpibarh'sai aus.485 Hier malt
er also inhaltlich das aus, was er in V. 7 noch antithetisch abstrakt be-
züglich seiner apostolischen Autorität ausgesagt hat.486
Seine finanzielle Unabhängigkeit ist Paulus während der Mission
überaus wichtig, wenn er auch immer wieder Unterstützungen erfahren
hat aus bereits existierenden Gemeinden. 487 Die Betonung des Unter-
haltsverzichts trifft man bei Paulus öfters an. 488 Dass er selbst für sich
sorgen konnte, erklärt sich aus seiner Biographie. Paulus war vor sei-
ner Berufung zum Heidenmissionar Pharisäer, zu deren Ethos es ge-
hörte, einen Beruf auszuüben.489 Dies kam ihm auf seinen Missionsrei-
sen stets zugute, und er konnte dadurch auch immer wieder auf seine
Glaubwürdigkeit verweisen. Eventuell kann man annehmen, dass Pau-
lus einen großen Teil seiner Mitglieder während der Arbeit gewinnen
konnte, indem er gleichzeitig missionierte.490
484 Anders Holtz, 1Thess, 85, der meint, die erneute Anrede sei kein Neueinstieg,
sondern würde der Aussage Nachdruck verleihen. Ähnlich Merk 399, 1Thess
2,1-12, der im Anschluss an Bultmanns Manuskript zum 1Thess meint: „Mit V.
9 hat der speziellere Gedankengang über den Unterhalt des Paulus seine
Rundung gefunden.“ Aber damit holt er zuviel aus den Aussagen und der
apostolischen Autorität, in überaus synchronem Paulusverständnis.
485 Nachdem schon für V.7 mit Stegemann und Gerber auf den möglichen
finanziellen Anhaltspunkt verwiesen wurde, wird an dieser Stelle der
Bezugspunkt klar.
486 Von daher ist die Gliederung, die Gerber vorschlägt, auch nicht ganz von der
Hand zu weisen. Wenn man durchgehend den Schwerpunkt auf der Aussage
bzgl. der apostolischen Autorität sehen will, lässt der Neueinsatz in V.9 die
gesamte Darstellung in einem neuen Licht erscheinen.
487 Außerdem ist daran zu erinnern, dass Paulus finanzielle Hilfen aus Philippi in
Anspruch genommen hat (Phil 4,16).
488 Vgl. neben 1Thess 2,9 auch 1 Kor 9; 2 Kor 11,7-11.
489 Vgl. hierzu Hengel, Der vorchristliche Paulus, 208-212.
490 Dies legt zumindest die Interpretation von Hock, Workshop, 442f. nahe, der
ejrgazovmenoi als modales Partizip auffasst: „Grammatically, this verse can be
read as evidence for Paul preaching while working, for the participle 'working'
is circumstantial, that is, it defines the circumstances under which the preaching
152

Interpretiert man V.9 als Wiederaufnahme von V.7, nur nicht


mehr in antithetisch-abstrakter, sondern konkreter Sprache, fällt auf,
dass die mögliche Legitimation zur Verkündigung in V.7 als Cristou'
ajpovstoloi bezeichnet wird, während in V.9 als Reflex dazu das Evan-
gelium Gottes auftaucht. Spricht das einerseits wieder für die Zusam-
mengehörigkeit der beiden Stellen, zeigt sich andererseits die konse-
quente Darstellung, dass in V.7 die Autorität der Apostel selbst be-
gründet wird, während in V.9 allein das erfahrbare Handeln, nämlich
die Evangeliumsverkündigung als Legitimationsgrund herangezogen
wird, was wiederum den Bruch bzw. Neuanfang der Argumentation in
V.9 erklären kann.

(b) V.10

Aufgrund dieser konkreten Erfahrung sind die Thessalonicher nun in


der Lage, selbst ein Urteil über die Apostel und ihre Verkündigung ab-
zugeben. Paulus setzt den Erfolg der Evangeliumsverkündigung vo-
raus, denn durch den Perspektivwechsel in V.10 werden die Thessalo-
nicher zusammen mit Gott als Zeugen der Rechtmäßigkeit des aposto-
lischen Auftretens benannt. Sie sind Mitwisser in Bezug auf den göttli-
chen Heilsplan und von da aus in der Lage, eigenständig über die
Apostel zu urteilen. Und diese Einschätzung kann nun eindeutig posi-
tiv bestimmt werden durch die syndetische Aneinanderreihung der drei
Adverbien o{siw", dikaivw" und ajmevmptw". Geläufig ist eigentlich das
paarweise Auftreten dieser Adverbien, insbesondere von o{siw" und
dikaivw",491 die in philosophischen Texten, das menschliche Handeln
sowohl vor Gott als angemessen und heilig, als auch vor den Men-
schen als gerecht bezeichnen.492 „Zu dritt, als Homoioteleuta und mit
gleicher Anzahl von Silben, deuten sie plerophor darauf, dass die In-
tegrität des Verhaltens alles umfasst: Gott angemessen (oJsivw"), vor
den Menschen rechtschaffen (dikaivw"), untadelig, zunächst vor Gott
(ajmevmptw").“493

was delivered.“
491 Im NT außerdem Lk 1,75; Eph 4,24; Tit 1,8, in der LXX nie.
492 Vgl. Malherbe, 1Thess, 150 mit Verweis auf Platon, Gorgias 507B; Polybius,
Hist. 22.10.8; Dion von Prusa, Or. 69,2; PParis 63. Zur Zusammenstellung eines
dieser Adverbien mit a[mempto" vgl. Holtz, 1Thess, 88, Anm. 385.
493 Gerber, Paulus, 295.
153

(c) VV. 11-12: Familienmetaphorik II

Dass das Lehrer-Schüler-Verhältnis nicht aufgehoben ist und auch


weiterhin die Vermittlung von Wissen eine Rolle spielt, markiert der
Einsatz in V. 11, der erneut das oi[date aus V. 1 aufgreift und die Per-
spektive nun wieder auf das Lehrer-Schüler-Verhältnis zwischen Pau-
lus und der Gemeinde lenkt. Auf diesem Niveau ist nicht mehr wie im
ersten Durchgang der Vergleich Amme-Kleinkinder leitend, sondern
der von Vater und Kindern. Dadurch wird sowohl die Aufgabe der
Apostel als auch der Wissensstand der Gemeinde neu definiert. Nach-
dem die Amme gewissermaßen für die Erstverkündigung, die Nährung
der Gemeindemitglieder mit den grundlegenden Glaubensinhalten zu-
ständig war, bedeutet die Vater-Kind-Beziehung, dass auch nach die-
ser Erstverkündigung die Beziehung der Apostel zu ihrer Gemeinde
noch nicht an ihr Ende gekommen ist.
Dies wird in V. 12 entfaltet. Zunächst weist parakalou'nte" da-
rauf hin, dass die Gemeinde weiterhin mit Trost und Mahnung von
Seiten der Apostel zu rechnen hat.494 Das Verb paramuqei'sqai bedeu-
tet im Grunde genommen dasselbe495 und unterstreicht die apostolische
Zuwendung zur Gemeinde.496 Das dritte Partizip marturovmenoi
schließlich betont die Eindringlichkeit des apostolischen Mahnens. So
ist das Verhältnis des Paulus zu seiner Gemeinde in erster Linie
ethisch definiert.497 Dies wird auch in der eigentlichen Bestimmung der
väterlichen Unterweisung deutlich: damit ihr Gott würdig wandelt, der
euch in seine Herrschaft und Herrlichkeit beruft. Zum einen wird also
deutlich, dass das in 1,9f. formulierte Ziel, dass die Thessalonicher
durch ihre Bekehrung und ihre neue Lebensführung im douleuvein und
ajnamevnein vor dem Zorn Gottes gerettet worden sind, auch weiterhin
in den Verantwortungsbereich der apostolischen Zuwendung gehört.498
Zum anderen lässt sich erkennen, dass die Apostel nur unterstützende
Funktion haben, da sie der Gemeinde helfen, dem Ruf Gottes (tou'
qeou' tou' kalou'nto") zu folgen.
Gerber499 hat darauf aufmerksam gemacht, dass sich die Vorstel-
lung von Gott, der hier in atl. Sprache als König die Thessalonicher in
494 In 1Thess 3,7 und 4,18 ist parakalei'n am besten mit „trösten“, in 4,1 mit
„ermahnen“ zu übersetzen. Vgl. auch zur paravklhsi" in 2,1.
495 Vgl. Stählin, ThWNT V, 815-822.
496 So auch Gerber, Paulus, 298.
497 Was ja auch das Verhältnis Vater-Kinder nur allzu eindrücklich bestätigen
kann.
498 Ähnlich Bickmann, Kommunikation, 182.
499 Vgl. Gerber, Paulus, 298f.
154

sein Königtum beruft, vorzüglich mit dem Vergleich des Paulus mit
seiner Gemeinde als eines Vaters zu seinen Kindern zusammenpasst:
„An Stelle der Gott-Vater-Metaphorik steht hier das Bild eines hierar-
chischen Imperiums, in dem Gemeinde, Missionare und Gott einen je
eigenen Platz haben – jedoch kein römischer Potentat.“ 500 In diesem
von der gesellschaftlichen Realität enthobenen Bild manifestiert sich
also bereits das Reich Gottes, das eigentlich erst bei der Parusie des
Herrn vollendet wird. Die von Gott Berufenen befinden sich bei einer
dem Ruf gemäßen Lebensführung bereits im Heilszustand und haben
deshalb den Zorn nicht mehr zu fürchten.501 Allerdings ist mit Schwe-
mer502 darauf hinzuweisen, dass die Vorstellung der Basileia nicht prä-
sentisch aufzufassen ist, sondern paränetisch-eschatologisch sich erst
bei der Parusie verwirklichen würde.
Damit wird zudem klar, dass sich Paulus jetzt eindeutig in bibli-
schen Sprachmustern bewegt. Die im ersten Teil virulenten rhetorisch-
philosophischen Bezüge werden im zweiten Teil ganz eindeutig auf
die alttestamentliche Verheißung hin ausgelegt.503 Ähnlich wird deut-
lich, dass auch das Bild des väterlichen Lehrers eindeutig jüdische Im-
plikationen trägt. Denn bei den Griechen trägt zwar ebenfalls der Vater
die Verantwortung für die Erziehung, jedoch wurde dort die Bildung
schon damals sehr früh in professionelle Hände gegeben,504 während
sich im Alten Testament die Forderung an den Vater findet, für die
religiöse Unterweisung zu sorgen.505 Diese väterliche Sorge um den
Glauben der Kinder bestimmt also zum Zeitpunkt des Briefes das Ver-
hältnis zwischen Paulus und seiner Gemeinde. Davon ausgehend soll
schließlich zusammenfassend die Intention des Abschnitts erneut be-
trachtet werden.

500 Gerber, Paulus, 299. Mit Yeo, Election, 531f. verweist sie zugleich auf mögli-
che politische Implikationen, die anderen Machthabern außer Gott keinen Raum
geben wollen.
501 Auch Kraus, Volk Gottes, 138, weist auf die präsentische Komponente der
Gottesherrschaft hin und versteht die Berufung zur basileiva als Zugehörigkeit
zum Volk Gottes und sieht darin „sachlich-inhaltlich eine Gleichstellung der
zum Glauben an Jesus gekommenen Thessalonicher mit dem Gottesvolk.“
502 Schwemer, Gott als König, 117f. Siehe auch Hengel/Schwemer, Königsherr-
schaft, 18.
503 Freilich sind die Vorstellungen des Wandelns auf Gottes Wegen auch
philosophischen Texten nicht gänzlich unbekannt, jedoch geht Paulus in seiner
Sprache eindeutig über diesen Bereich hinaus.
504 Vgl. hierzu Müller, Mitte, 89ff.; Eyben, Fathers, 138ff.
505 Vgl. Dtn 4,9; 6,7.20-25; 11,19 – die Sorge um die Vermittlung der 10 Gebote.
Vgl. auch 2 Makk 7; 4 Makk 18,10ff. Gen 49,1; 1 Kön 2,1; Tob 14,1; TestXII;
vgl. zur Argumentation ausführlich Gerber, Paulus, 302.
155

2.3.4.3 Zusammenfassung

Im Rückblick auf die Verse 1-12 des zweiten Kapitels wird klar, dass
es nicht sinnvoll ist, den Textzusammenhang als Apologie zu deuten.
Zumindest bezieht sich der Text an keiner Stelle auf konkrete Gegner.
Allenfalls kann die antithetische Struktur der VV. 1-8 deutlich heraus-
stellen, dass die Verkündigung des Paulus nicht zu verwechseln ist mit
der Verkündigung von Scharlatanen oder Predigern, die nur auf den ei-
genen Profit bedacht sind. In seiner Abgrenzung geht Paulus so weit,
darauf hinzuweisen, dass es ihm letztlich gar nicht um die Verfolgung
seiner Interessen, sondern derjenigen Gottes geht. Er definiert seine ei-
gene Aufgabe als eine Vermittlung des Evangeliums Gottes in zwei
Phasen. In der ersten Phase geht es ihm um die grundsätzliche Unter-
wiesung und die Vermittlung von Grundlagenwissen des Glaubens. In
dieser Phase grenzt er sich eindeutig von anderen Lehrenden ab, um zu
verdeutlichen, dass sein Zugang zur Gemeinde mit der Legitimation
durch Gott steht und fällt. In einer zweiten Phase, nachdem die Ver-
mittlung der entscheidenden Glaubensinhalte bereits abgeschlossen zu
sein scheint, macht er seine weitergehende Verantwortung deutlich, in-
dem er die Gemeinde weiterhin in ihrem Glaubensvollzug unterstützt
und nicht allein lässt. Damit zeigt er auf, dass das von ihm verkündete
Evangelium nicht einfach mit philosophischen Lehren verglichen wer-
den kann, die man durch die Verkündigung möglichst überall bekannt
machen will, sondern dass zudem ein existentieller Bezug dahinter-
steckt, der neben der Vermittlung für das Bleiben im Glauben die Ver-
antwortung trägt.
Durch die Argumentation auf zwei Ebenen wird ein Erkenntnis-
fortschritt thematisiert. Die Aufgabe der Apostel ist im ersten Fall mit
derjenigen einer Amme verglichen, im zweiten mit derjenigen des Va-
ters. Die Gemeindemitglieder machen in diesem Rahmen die Entwick-
lung von Säuglingen zu Kindern durch. Paulus macht innerhalb des
Textstücks also seine Funktion als der eines Lehrers deutlich, der eine
sehr tiefe Beziehung zur Gemeinde aufbauen konnte und auch weiter
für sie Verantwortung trägt. Letztlich wird man Bickmann zustimmen
können, dass Paulus dem Bild eines jüdischen Weisheitslehrers 506 eher
gerecht wird als dem eines philosophischen Wanderpredigers. Aller-

506 Vgl. zur Einschätzung oben, Kapitel 2.3.2. Vgl. hierzu auch die Hinweise bei
Hoppe, Verkündiger, 334, und Vos, Response, 84-87 auf die Analogien aus der
biblisch-prophetischen Tradition, die durch die Verknüpfung von 2,1-12 mit
2,13-16 deutlich hervortreten.
156

dings muss darauf hingewiesen werden, dass Paulus sehr wohl mit bei-
den Kategorien spielt, da diese Unterscheidung erst im Abschnitt 9-12
eindeutig zum Tragen kommt. In der Erstbegegnung mit der Gemeinde
ist Paulus von anderen Wanderpredigern zunächst nur insofern zu un-
terscheiden, als seine Lehre sich positiv von den Lehren der anderen
abhebt.507 Erst nach der erfolgreichen Unterweisung und der Übernah-
me der christlichen Lebensform erkennen die Thessalonicher die gan-
ze Tragweite des Glaubens und somit die Tatsache, dass es beim
Evangelium nicht um eine alternative philosophische Lehre geht, son-
dern um einen existentiellen Glaubensvollzug. Der Erkenntniszuwachs
lässt sich durch folgende Übersicht verdeutlichen:

(1) Die Gegenüberstellung von oi[date und mnmoneuvete könnte


wie erwähnt die These eines Erkenntnisfortschritts stützen.
Dem Wissen um seinen Eingang in Thessalonich stellt Paulus
die konkrete Erinnerung an sein Auftreten gegenüber. Eventu-
ell kann man so weit gehen zu behaupten, dass der erste Teil
die Wissensvermittlung in den Mittelpunkt stellt, während der
zweite Teil aus dem Fokus einer gemeinsamen Rückerinnerung
an die Vorgänge bei der Mission gestaltet ist.
(2) Diesen Wechsel bestätigt auch die zweimalige Verwendung
des Begriffes mavrtu". Kann im ersten Teil nur Gott das positi-
ve Wirken der Missionare in Thessalonich bezeugen, sind im
zweiten Durchgang die Thessalonicher auf derselben Stufe an-
gelangt und können jetzt mit Gott zusammen Zeugnis abgeben
über die Redlichkeit der Missionare. Zumindest scheint die
grundlegende Missionsarbeit erfolgreich abgeschlossen zu
sein.508
(3) Im ersten Abschnitt nimmt die Abgrenzung des Paulus von an-
deren Missionaren einen großen Raum ein. Die Wendungen
der Verse 1 bis 7 sind durchgehend antithetisch formuliert, wo-
bei jeweils die Verse 1-2, 3-4 und 5-7b die Vergleichspaare ab-
geben. Nimmt man hinzu, dass die Art und Weise der Ab-
grenzung sehr an die Art kynischer Wanderprediger erinnert,
wird man annehmen dürfen, dass Paulus bewusst auf ihre Wis-

507 Und deswegen schießt Bickmann, Kommunikation, 185-188, m.E. ein wenig
über das Ziel hinaus, wenn sie unbedingt die Belege für den philosophischen
Hintergrund im ersten Teil bei Malherbe zu widerlegen versucht.
508 Bickmann, Kommunikation, 210.211 bringt diesen Erkenntnissprung sehr schön
zur Geltung, wenn sie den Abschnitt 2,1-18 mit „Die Rolle des Lehrers
entwerfen“ und 2,9-12 mit „Das Handeln des Lehrers erinnern“ betitelt.
157

sensebene bei seiner Ankunft in Thessalonich rekurriert. Im


zweiten Abschnitt finden sich keine Antithesen, nur positive
Aussagen über das Wirken und den Charakter der Missionare.
Die Abgrenzung ist deshalb nicht mehr nötig, weil die Thessa-
lonicher die Seite gewechselt haben (und gemeinsam mit Gott
Zeugen sind, siehe oben).
(4) Auch die Familienmetaphorik mag diesen Fortschritt ein wenig
genauer darlegen. Im ersten Falle ist Paulus die Amme bzw.
Mutter und somit für Ernährung, Überleben und Pflege der
Säuglinge zuständig. Das Verhältnis des Vaters zu seinen Kin-
dern hingegen stellt ein anderes Niveau dar, es bezieht sich be-
reits auf die Möglichkeiten der inhaltlichen Unterweisung.
Dies gibt allerdings einschränkend zu erkennen, dass die Mis-
sionsarbeit noch nicht abgeschlossen ist, sondern auf dieser
neuen Ebene noch vorangetrieben werden muss.
(5) Die wesentliche Konstante, die Verkündigung des Evangeli-
ums Gottes, bildet die Grundlage beider Durchgänge. Nur die
Verkündigung des Evangeliums Gottes legitimiert überhaupt
die Apostel zu ihrer Tätigkeit. In diesem Sinne verweisen pa-
ravklhsi" in V. 3 sowie das parakalou'nto" in V. 12 auf ihre
Rolle in der Unterweisung der Gemeinde.

Der Abschnitt 2,1-12 hat im Briefganzen also eindeutig eine


paränetische Funktion. Mit Gerber509 ist abschließend entschieden da-
rauf hinzuweisen, dass sich die Intention nicht im Entwurf des Lehrer-
bildes (sei es nun jüdisch oder philosophisch) erschöpft. Vielmehr geht
es um die Bedeutung des Lehrers für die Gemeinde und die
gemeinsame Beziehung. Was die parallele Komposition mit 1,9f.,
verknüpft durch den Begriff ei[sodo", angeht, wird deutlich, dass
Paulus den Erfolg der inhaltlichen Verkündigung in 1,9f. auf sein
erfolgreiches Auftreten, wie es in 2,1-12 beschrieben ist, bezieht. Da
die wichtigsten Inhalte schon in 1,9f. wiedergegeben sind, streicht er
heraus, dass seine Bedeutung wie im Rahmen der Erstverkündigung
(2,1-8 mit dem „inhaltlichen“ Ergebnis 1,9f.) weiterhin Bestand hat,
nur eben, dass die Beziehung zwischen ihm und der Gemeinde ein
neues Niveau erreicht hat, das die aktuelle Beziehung besser zu
beschreiben vermag.

509 Vgl. Gerber, Paulus, 313.


158

2.4 Die Thessalonicher als Nachahmer

1:6 Kai; uJmei'" mimhtai; hJmw'n ejgenhvqhte kai; tou' kurivou,


dexavmenoi to;n lovgon ejn qlivyei pollh'/ meta; cara'" pneuvmato"
aJgivou,
1:7 w{ste genevsqai uJma'" tuvpon pa'sin toi'" pisteuvousin ejn th'/
Makedoniva/ kai; ejn th/' jAcaia.
1:8 ajf j uJmw'n ga;r ejxhvchtai oJ lovgo" tou' kurivou ouj movnon ejn th'/
Makedoniva/ kai; ejn th'/ A
j caia, ajll j ejn panti; tovpw/ hJ pivsti"
uJmw'n hJ pro;" to;n qeo;n ejxelhvluqen, w{ste mh; creivan e[cein hJma'"
lalei'n ti.

...

2:13 Kai; dia; tou'to kai; hJmei'" eujcaristou'men tw'/ qew'/


ajdialeivptw", o{ti paralabovnte" lovgon ajkoh'" par j hJmw'n tou'
qeou' ejdevxasqe ouj lovgon ajnqrwvpwn ajlla; kaqwv" ejstin ajlhqw'"
lovgon qeou', o}" kai; ejnergei'tai ejn uJmi'n toi'" pisteuvousin.
2:14 JUmei'" ga;r mimhtai; ejgenhvqhte, ajdelfoiv, tw'n ejkklhsiw'n
tou' qeou' tw'n oujsw'n ejn th'/ jIoudaiva/ ejn Cristw'/ jIhsou', o{ti ta;
aujta; ejpavqete kai; uJmei'" uJpo; tw'n ijdivwn sumfuletw'n kaqw;" kai;
aujtoi; uJpo; tw'n jIoudaivwn,
2:15 tw'n kai; to;n kuvrion ajpokteinavntwn jIhsou'n kai; tou;"
profhvta" kai; hJma'" ejkdiwxavntwn kai; qew'/ mh; ajreskovntwn kai;
pa'sin ajnqrwvpoi" ejnantivwn,
2:16 kwluovntwn hJma'" toi'" e[qnesin lalh'sai i{na swqw'sin, eij" to;
ajnaplhrw'sai aujtw'n ta;" aJmartiva" pavntote. e[fqasen de; ejp j
aujtou;" hJ ojrgh; eij" tevlo".

Nachdem die beiden Stellen interpretiert wurden, die vom ei[sodo" der
Apostel und ihrer Verkündigung in Thessalonich gehandelt haben, soll
nun die Rahmung dieser beiden Stellen untersucht werden, die durch
die Stichwortverknüpfung des beidemal verwendeten Begriffes der
mimhtaiv gegeben ist. Auch innerhalb dieser beiden Textstücke sind et-
liche Bezüge zu erkennen, die aufeinander verweisen. Für eine erste
Orientierung dienen daher die Hervorhebungen im obigen Text. Mit
dem Begriff mimhtaiv kann ähnlich wie mit der ei[sodo" die Problema-
tik von zwei Seiten her betrachtet werden. Thematisiert wird nicht die
Arbeit der Missionare, sondern die Reaktion der Thessalonicher auf
deren Arbeit. Um die Eruierung dieses Zusammenhangs soll es im Fol-
genden vornehmlich gehen. Die bisherige Forschung hat diese Verbin-
159

dungslinie bisher eher zurückhaltend oder gar nicht interpretiert. 510 Na-
türlich wird bestätigt, dass der Begriff mimhtaiv an zwei Stellen ver-
wendet wird und diese wohl auch aufeinander verweisen würden, je-
doch wurde der Zusammenhang mit den beiden ei[sodo"-Stellen in der
Forschung kaum berücksichtigt, was wohl daran liegt, dass sich die In-
terpretation der Verse 2,14-16 sehr stark verselbständigt hat. Das
Hauptaugenmerk gilt dabei der Frage, was Paulus zu dieser – für Hö-
rer des 21. Jahrhunderts – antisemitisch erscheinenden Aussage veran-
lasst hat, bzw. der Klärung des Sachverhalts, dass die Kategorie „anti-
semitisch“ für die paulinische Äußerung unpassend ist. 511 In diesem
Zusammenhang soll gezeigt werden, dass eine zufriedenstellende Lö-
sung allein durch die Auswertung der parallelen Komposition des Zu-
sammenhangs der Verse 1,6-8[.9-10].[1,1-12.]13-16 möglich er-
scheint, um die Aussage des Paulus ins rechte Licht rücken zu kön-

510 Obwohl schon Dibelius, 1Thess, 13 auf den planvollen Aufbau der ersten beiden
Kapitel des 1Thess hingewiesen hat. Ähnlich Schulz, Nachfolge, 315. Vgl. hier-
zu auch die Hinweise bei Jewett, Correspondence, 220f.; Bickmann, Kommuni-
kation, 126f.; Merk, 1Thess 2,1-12, 385-387; Hoppe, Verkündiger, 325f.
511 Auf absolutes Unverständnis muss die Forderung Goldhagens, Kirche, 360-363
treffen, Passagen, die man antisemitisch verstehen könnte, aus der Bibel zu
entfernen. „Wer geltend macht, dass die katholische Kirche ihre Bibel wegen
des kanonischen Status nicht verändern dürfe oder solle, müsste imstande sein
zu behaupten, dass der Schaden, den der Text durch den darin verbreiteten
Antisemitismus hervorruft, nicht so groß sei, dass dadurch die Entfernung der
textlichen Ursache für diesen Schaden gerechtfertigt wäre. Angesichts der
Größe des Schadens und vor dem Hintergrund des moralischen Prinzips (...),
anderen keinen ungerechten Schaden zuzufügen bzw. an anderen keine Sünde
zu begehen, fällt es schwer, eine Behauptung wie diese zu verteidigen“ (361).
Selbst die historisch-kritische Aufarbeitung, die die Aussagen in ihrem Kontext
zu erklären versucht, erscheint ihm nicht ausreichend. Denn der „naive“
Bibelleser hätte kaum Möglichkeiten, diese Kritik nachzuvollziehen. So erklärt
Goldhagen, Kirche, 354: „Aber die Kirche verbreitet diese [antisemitischen]
Anwürfe an jedem Tag, an dem Katholiken ihre Bibel lesen. Das ist um so
betrüblicher, als so viele derer, die ein Auge zudrücken und solche schädlichen
Lehren sogar verteidigen, Männer und Frauen guten Willens sind, die ihre
Leben der Güte geweiht haben, indem sie sich in den Dienst ihrer Kirche und
Gottes stellten.“ Damit fordert Goldhagen aber die Veränderung historischer
Quellen, die auf den ersten Blick dem jüdisch-christlichen Verhältnis
Konfliktpotential entziehen würde. Doch damit würden eben auch historische
Zusammenhänge, die durch die Auswertung dieser problematischen Stellen erst
erschlossen werden können, einem harmonisierenden Anliegen geopfert werden.
Goldhagens Ansinnen ist deshalb in aller Schärfe abzulehnen. Allerdings stehen
Kirche und historische Wissenschaft in der Pflicht, unermüdlich auf die
Problematik dieser leicht misszuverstehenden Texte hinzuweisen und ihr
Entstehen zu erklären.
160

nen.512 Der doppelte Verweis auf die mimhtaiv soll genau wie die dop-
pelte Schilderung der ei[sodo" nicht jeweils etwas anderes aussagen,
sondern dasselbe von einer anderen Perspektive aus darstellen, um
sich zu einer vollständigen Aussage zusammenzufügen. Dies soll im
Folgenden näher erläutert werden.

2.4.1 Die parallele Argumentationsführung

Nachdem der Begriff ei[sodo" den Eingang der Apostel auf der narrati-
ven Ebene zum einen aus der Perspektive der Glaubenden in Makedo-
nien und Achaja dargestellt hat, zum anderen aus der Sicht, wie die
Thessalonicher selbst die Apostel bei der Mission erlebt haben, gibt
der Begriff mimhtaiv gewissermaßen die „Antwort“ auf die ei[sodo" in
zwei unterschiedlichen Argumentationszusammenhängen. Die erste
Verwendung in 1,6-8 verweist direkt auf die Verknüpfung mit der Ein-
schätzung der ei[sodo" in 1,9f. Dort wird die Nachahmung der Apostel
und Christi durch die Thessalonicher begründet durch den Verweis auf
die Erfahrbarkeit ihres Glaubens in Makedonien und Achaja und an-
deutungsweise in der gesamten Ökumene (vgl. 1,8). Die zweite Stelle
legt das Augenmerk nicht so sehr auf die aktive Form des Christseins
wie 1,6, sondern auf die passive Seite. Im Prinzip erkennen die Apos-
tel in den Anfeindungen und Leiderfahrungen, denen die Thessaloni-
cher infolge ihrer Bekehrung ausgesetzt sind, ein wichtiges Identitäts-
kriterium, das auch bei den palästinischen Gemeinden zu beobachten
ist und somit wohl zu einem entscheidenden Kriterium christlicher
Existenz überhaupt wird.513

512 Hoppe, Topos, 536ff.; ders., Verkündiger, 332-336 weist ebenfalls darauf hin,
dass zwar die Isolierung der Verse 2,1-12 und 2,13-16 sinnvoll ist, allerdings für
die inhaltliche Durchdringung nur in ihrer gegenseitigen Verwiesenheit zu
verstehen sind. 2,13-16 kann demnach nur unter Einbeziehung des Kontextes
1,2-10.2,1-12 verstanden werden.
513 Die Leiderfahrungen scheinen beinahe denknotwendig zum Christentum
dazuzugehören. So bezeichnet schon von Dobschütz, 1Thess, 108, das Leid als
„Zeichen des Christenstandes.“
161

2.4.1.1 Das Begriffsfeld Mimesis

(a) Zur traditionellen Herkunft des Begriffes

Im Neuen Testament erhält das Begriffsfeld mivmhsi" ktl. keine grö-


ßere Entfaltung. Zu unterscheiden ist in erster Linie die Nachahmung
Christi von der Nachahmung Gottes. Neben den beiden Belegen im
1Thess – 1Thess 1,6 („Nachahmer der Apostel und des Herrn“) und
2,14 („Nachahmer der Gemeinden Gottes, die da sind in Jesus Chris-
tus“) – spricht Paulus in 1 Kor 4,16 („werdet meine Nachahmer“) und
11,1 („werdet meine Nachahmer, so wie ich Christi Nachahmer ge-
worden bin“), sowie in Phil 3,17 („Mit-Nachahmer mit mir
werdet, ...“) auf sich selbst bezogen von der mivmhsi". Weitere neutes-
tamentliche Belege finden sich in 2 Thess 3,7.9 (beidemale mimei'sqai
hJma'") sowie die mihmhtai; tou' qeou' in Eph 5,1. Schließlich sei noch
auf Hebr 6,12 („Nachahmer derer, die aufgrund ihres Glaubens und ih-
rer Ausdauer Erben der Verheißung sind“); 13,7 („ahmt den Glauben
nach“) und 3 Joh 11 („ahmt nicht das Böse nach, sondern das Gute“)
hingewiesen, die ebenfalls das Begriffsfeld aufgreifen.
Auch ein Blick in die LXX ist für die Erschließung der Bedeu-
tung und Herkunft der Begriffswahl nicht aufschlussreich, da dort das
Wortfeld mimevomai ktl. so gut wie überhaupt keine Rolle spielt. Le-
diglich fünf Belege lassen sich hierfür ausmachen, Sap 9,8 (mivmhma),
Sap 4,2; 15,9 sowie 4Makk 9,23; 13,9 (jeweils mimevomai).514 In Sap
9,8 wird der Tempel als Abbild des heiligen Zeltes bezeichnet; in 4,2
wird die Nachahmung der Kinderlosen als tugendhafte Haltung
entworfen, 15,9 steht im Kontext der Kritik der Götzen-
bilderverehrung. Kritisiert wird der Töpfer, der nicht nur Alltagsge-
genstände fertigt, sondern auch Götzen, indem er Gold- und Silber-
schmiede nachahmt. In 4 Makk 9,23 ruft der erste der sieben Brüder,
der in den Martertod geht, seinen Brüdern Mut zu durch die Aufforde-
rung, sie sollten ihm in den Martertod folgen, was in 13,9 in einem
gemeinsamen Chor der sieben Brüder wieder aufgegriffen wird, indem
sie sich als Nachahmer der drei Jünglinge im Feuerofen aus Dan 3
verstehen. Für weitreichende Schlüsse ist also auch der Befund der
LXX nicht ergiebig.515

514 Vgl. Michaelis, ThWNT IV, 665. Die Stelle Ps 30,7 B ist als Schreibfehler
(ejmivmhsa" anstelle von ejmivshsa") zu vernachlässigen.
515 Betz, Nachahmung, 85 interpretiert das Schweigen der LXX als bewusste Zu-
rückhaltung gegenüber einer vom heidnischen Kult überbeanspruchten Termi-
nologie.
162

Anders stellt sich die Sachlage in der Literatur des hellenisti-


schen Judentums dar, wo die Begriffswahl vielfach belegt ist. 516 Insbe-
sondere im Werk des jüdischen Philosophen Philo von Alexandrien
findet sich die Vorstellung von der sittlichen Nachahmung Gottes in
den unterschiedlichsten Bezügen und Sachzusammenhängen.517 Offen-
bar dient ihm die Rede von der mivmhsi" zur vertieften Darstellung
biblischer Sachverhalte und Vorstellungen, um den jüdischen Glauben
philosophischem Denken gegenüber als vernünftig und nachvollzieh-
bar erscheinen zu lassen. Er tut dies, indem er die Nachahmung Gottes
insbesondere in Form des Tugendstrebens qualifiziert.518 Es wird of-
fensichtlich, dass „das Judentum der Diaspora (...) den Gedanken der
ethischen Imitatio dei sicher aus der hellenistischen Popularphiloso-
phie übernommen“519 hat. Die Verwendung der mivmhsi" in der helleni-
stischen Diasporaliteratur weist in Richtung griechischer Ethik. In der
Tat, ein Überblick über die Verwendung bei griechischen Autoren
lässt erkennen, dass die Vorstellung der mivmhsi" dort in den unter-
schiedlichsten Zusammenhängen und Bezügen verwendet wird.
Was den ursprünglichen griechischen Sprachgebrauch anbelangt,
ist auf die grundlegende Arbeit von Betz 520 zu verweisen. Betz konnte
ausführlich darlegen, dass der Begriff, der in der philosophischen
516 Vgl. im Aristeasbrief, wo es mit e{pesqai und ajkolouqevw bedeutungsgleich
verwendet wird. Außerdem wären zu nennen Josephus, Ant 1,19; 8,315; 12,75;
12,203; 17,97 18,291; Bell 3,111; 3,123; 4,562; 7,142, 12,77; Ap 1,165; 1,225;
2,191; 2,283; Vgl. außerdem Test Ben 3,1; Benj 4,1; ep.arist. §187f; 190; 192;
205; 210; 211. Zur Auswertung der Belege vgl. Betz, Nachahmung, 93-95;
Michaelis, ThWNT IV, 665-668; Schulz, Nachfolge, 213-215.
517 Folgende Zusammenhänge fasst Schulz, Nachfolge, 216, zusammen: „Ruhe Be-
ständigkeit und Festigkeit“ (de posteritate Caini 22-31, De migratione Abrahami
132; de confusione linguarum 30; Quaestionum et solutionum in Genesi
sermones IV 1.25.53, „allgemeines Tugendstreben“ (de migratione Abrahami
146f; de gigantibus 64; , „Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (de fuga et inventione
53-63), „Sorge für die ganze Schöpfung“ (de mutatione nominum 44-46),
„Freude und Festfeier“ (De Abrahamo 201-204), „Alleinsein“ (de opificio
mundi 151; de Abrahamo 87), „Beschauung und Tätigkeit in weitestem
Umfang“ (De decalogo 98-101, „Elternwürde und Führeramt“ (de specialibus
legibus IV 186-88), „Wohltun“ (de specialibus legibus IV 73; de virtutibus 165-
70) und „Bedürfnislosigkeit“ (de virtutibus 8).
518 Eine ausführliche Auswertung des Materials bei Philo bieten Michaelis,
ThWNT IV, 666-668, sowie Schulz, Nachfolge, 216-221. Dort finden sich auch
weitere Stellenangaben. Da für die paulinische Verwendung die Belegstellen
des hellenistischen Judentums nur bedingt von Bedeutung sind, sollen diese
knappen Notizen genügen.
519 Vgl. Schulz, Nachfolge, 213.
520 Betz, Nachahmung. Zur Forschungsgeschichte vgl. Merk, Nachahmung, 303-
323.
163

Ethik der Antike eine so große Rolle spielen sollte, seinen Ursprung
im kultischen Bereich hatte521 und eventuell als „kultische Aufführung
eines Mythos“522 verstanden werden muss, die in engem Zusam-
menhang mit dem Dionysos-Kult zu stehen scheint.523 Da das my-
thische Denken für die Theoretisierung der griechischen Philosophen
von großer Bedeutung ist, ist es auch nicht verwunderlich, dass der
Begriff in der Philosophie bald sehr wichtig zu werden scheint. 524 Las-
sen sich erste Vorstellungen bereits bei den Vorsokratikern ent-
decken525, gewinnt die Rede von der Mimesis im Sinne einer sittlichen
Angleichung an Gott insbesondere in Platons Ideenlehre auf unter-
schiedlichsten Ebenen an Kontur. In Theaetet 176b beschreibt Sokra-
tes das Tugendstreben als Möglichkeit, dem Übel der Welt zu entflie-
hen (fugh; de; oJmoivwsi" qew'/ kata; to; dunatovn ). Denn das Tugend-
streben ist der Versuch des Menschen, Gott ähnlich zu werden, und bei
Gott wird das Gute nicht durch das Böse bedroht. 526 Zugleich aber
wird durch kata; to; dunatovn angezeigt, dass diese Angleichung des
Menschen an Gott nur bedingt funktionieren kann, da der Abstand
zwischen Mensch und Gott unüberwindlich zu sein scheint. 527 Soll der
Mensch im Theaetet gerecht (divkaion) werden, soll er nach Nomoi IV
715e-716e durch Nachahmung Gottes besonnen (sofrw'n) werden. In
Politeia X 613a beschreibt Platon jegliches Tugendstreben als Nach-
ahmung Gottes.
Besondere Bedeutung erlangt der Begriff der Nachahmung in der
platonischen Kosmologie. Im Mittelpunkt dieses Denkens steht die
Gottheit bzw. der Demiurg, der die Welt als sein Abbild geschaffen
hat.528 Von daher erhält der Begriff der mivmhsi" die Bedeutung, die
unterschiedlichen kosmologischen Relationen und Abstufungen zu be-

521 Vgl. hierzu Cornford, Mysticism, 137ff; Diès, Platon, 593ff.; Gulin, Nachfolge,
45-47. „Im Kult ahmte man Gott nach, imitierte ihn, und dabei hatte man das
Gefühl, wie ein Gott zu werden“ (46) ; Nielen, Kultsprache, 59ff.
522 Betz, Nachahmung, 50 mit Verweis auf Plutarch de def. orac. 418 A (mivmhma);
Strabo IX, 422; Aischylos, Fragment 71 Mette (=Fragment 57 Nauck, 2. Aufl.)
aus Strabo X, 470.
523 So Betz, Nachahmung, 59. Vgl. zum Ursprung der Mimesisvorstellung Betz,
Nachahmung 48-61 und zur weiteren Verbreitung 61-84. Dort finden sich
weitere Belege.
524 Vgl. Betz, Nachahmung 107f.
525 Vgl. den Überblick bei Betz, Nachahmung, 107-111.
526 Man beachte die Überlegungen in 2.2.2.4 zur Einschätzung der ei[dwla als
Trugbilder, die die negative Charakterisierung kenntlich machen.
527 So auch Schulz, Nachfolge, 108.
528 Zur kosmologischen Interpretation vgl. insbesondere Betz,Nachahmung 113-
120.
164

schreiben – so wie der Kosmos das Abbild des Demiurgen ist und ver-
sucht, ihn nachzuahmen, so ist die Wirklichkeit die Abbildung der
Ideen, das Sichtbare die Nachahmung des Unsichtbaren, etc. Eine be-
sondere Stellung nimmt der Mensch ein, der die Schöpfungsordnung
des Demiurgen begreifen kann und deswegen versucht, ihn nachzuah-
men. Dies allerdings geht alleine durch die Mittel der Philosophie
bzw. des Denkens, weil damit die Wahrheit erkannt werden kann.
Höhepunkt dieses Strebens ist die Schau des Guten.
Der Begriff der mivmhsi" ist sowohl positiv als auch negativ kon-
notiert. Positiv ist er in seiner Ausrichtung, die immer auf etwas Hö-
heres verweist, negativ dadurch, dass in ihm die das Bewusstsein der
Unerreichbarkeit des Vorbildes (Gott!) immer schon mit angelegt
ist.529 So wird er je nach Aussageabsicht auch positiv oder negativ ein-
gesetzt.
Platons Mimesisverständnis wurde in der philosophischen Tradi-
tion breit rezipiert und weiterentwickelt. Die Mimesisvorstellung war
nicht nur auf die Nachahmung Gottes ausgerichtet. Auch wichtige Per-
sonen konnten als bedeutende Vorbilder, die man nachahmen sollte,
dienen. Dies wird besonders für die paulinische Verwendung interes-
sant, da dieser sich selbst immer wieder als Vorbild, wie man Christus
nachahmen solle, in den Mittelpunkt stellt. Ähnliche Aussagen finden
wir bei vielen Philosophen und Rhetorikern, die auf bedeutende Perso-
nen oder auf sich selbst als Beispiele verweisen, um nachgeahmt zu
werden.530 Berühmt ist etwa der ideale Mensch, den die Stoiker erwar-
ten, der allerdings nur alle 500 Jahre „wie der Phönix aus der Asche
auftaucht.“531

529 Daher können die Abbilder auch abschätzig betrachtet werden, vgl. etwa die
negativen Äußerungen in Platons Politeia gegenüber den Malern und Dichtern
(Belege bei Michaelis, ThWNT IV, 662f.).
530 Vgl. zum Zusamenhang Fiore, Example, 33-35.177 mit Verweis auf die
wichtigsten Stellen der antiken Literatur: Dion von Prusa or. 55.4-5; 18.21;
Epictetus Diss. 3.21.1-6; Seneca Ep. 94.49; Plutarch, De se ipsum citro inv.
544D, 15-F fin; Ps-Diogenes Ep. 15 (108.17); 18 (110.17); Isocrates Adv.
sophist. 17-18; Xenophon Mem. 1.6.1; Plato Symp. 209 B-C; Seneca Ep. 6.5;
Ps-Diogenes Ep. 33 (140.31); 15 (108.14); 38 (160.28); 46(176.7); Isocrates
Antid. 239,237.
531 Vgl. Malherbe, 1Thess, 126 mit Verweis auf Seneca, Ep. 42,1. Vgl. hierzu auch
das umfangreiche Material bei Fiore, Example, 26-44 („Example in rhetorical
theory, education and literature“), 45-78 („The use of example in the kingship
literature of Isocrates, Plutarch and Dio Chrysostom“), 79-100 („Example in
epistolary exhortation“), 101-163 („Example in the Socratic letters“).
165

(b) Die Verwendung der Mimesisvorstellung im 1Thess

Blickt man auf die paulinische Verwendung des Begriffs mivmhsi",


fällt auf, dass im Mittelpunkt die Nachahmung des Paulus selbst steht
(so auch ansatzweise der 2 Thess, wo beide Male ganz allgemein
„werdet unsere Nachahmer“ steht). Die Nachahmung des Paulus ist
nur deswegen legitimiert, weil sich Paulus als Nachahmer Christi
bezeichnet, wie beinahe in allen Fällen deutlich wird. Im 1Thess wird
die Verwendungsweise zumindest teilweise variiert. In 1,6 bezieht
Paulus seine Mitarbeiter mit ein (unsere Nachahmer). Der zweite Be-
leg in 2,14 geht dann eindeutig über die gewohnte Verwendungsweise
hinaus, wenn Paulus nun von der Nachahmung der Gemeinden Gottes
in Judäa spricht. Dies lässt sich allerdings schlüssig erklären, wenn
man bedenkt, dass Paulus aus unterschiedlichen Perspektiven formu-
lieren will und im Zuge seiner symmetrischen Darstellung den Begriff
als geeignet dafür ansieht, sowohl auf das aktive Vorbild seiner
Missionstätigkeit hinzuweisen als auch auf das passive Ertragen der
Anfeindungen durch Gegner. Auffällig ist letztlich auch, dass Paulus
ansonsten immer zur Nachahmung aufruft, während im 1Thess
„Widerfahrnis der Nachahmung als geschenktes Heil, der Indikativ des
Heilsgeschehens ... ausgesprochen“532 ist. Das, wozu Paulus ansonsten
seine Gemeinden aufruft, haben die Thessalonicher also schon
verwirklicht.533
Deutlich unterscheidet sich die paulinische Verwendung von den
anderen neutestamentlichen Verwendungsweisen. Von Bedeutung ist
außerdem der Sachverhalt, dass die synoptischen Evangelien den Be-
griff der Nachahmung überhaupt nicht zu kennen scheinen und von
der Nachfolge Jesu (ausgedrückt durch das Verb ajkolouqei'n) spre-
chen534 – was wiederum Paulus nicht zu kennen scheint oder nicht ver-
wenden will. Hier stehen sich zwei Begriffswelten diametral gegen-
über, und man kann sich fragen, ob die unterschiedliche Wortwahl Ab-

532 Merk, Nachahmung, 323.


533 Vgl. Michaelis, ThWNT IV, 673: „... indem die Thessalonicher das Wort
annahmen, taten sie, was von ihnen erwartet wurde denn zu diesem Zweck hatte
Paulus im Auftrag des Herrn ihnen das Wort verkündigt.“ Allerdings ist
Michaelis nicht zuzustimmen, dass „der Gedanke der Befolgung eines Vorbildes
auszuscheiden“ hat. Zwar scheint den Thessalonichern nicht bewusst zu sein,
dass sie die Apostel „nachahmen“, aber liegt dem Text eindeutig das Konzept
tuvpo" – mivmhsi" zugrunde, da aus 1,7 hervorgeht, dass das tuvpo"-Sein logische
Folge der mivmhsi" ist.
534 Nachweise bei Schneider, EWNT I, 117-125; Larsson, EWNT II, 1053-1057.
166

sicht ist.535 Eine letzte Entscheidung ist kaum möglich. Man kann nur
festhalten – Paulus spricht genau da von der Nachahmung, wo in den
Evangelien von der Nachfolge die Rede ist.

2.4.1.2 Negative Aspekte bei der Bekehrung?

Beim Versuch zu erklären, was es mit der qli'yi" der Thessalonicher


bei der Bekehrung auf sich hatte (1Thess 1,6), wird immer wieder die
Parallele mit den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, wie sie
hinter der parallelen Aussage in 2,14 auftauchen (dort ausgedrückt mit
ejpavqhte), in Einklang zu bringen versucht.536 Beide Male werden die-
se Herausforderungen zu einem wesentlichen Kriterium der Nachah-
mung. Es bleibt zu fragen, ob eine einfache Gleichsetzung nicht die ei-
gentliche Aussageabsicht verdeckt. Gemeinsam ist beiden Stellen eine
zunächst negativ erscheinende Komponente. Die eindeutige Erwäh-
nung von Verfolgungen, die in 2,14 angedeutet sind, mag eventuell
auch in 1,6 eine Rolle spielen, jedoch ist der Begriff qli'yi" zunächst
eher unbestimmt. Genaueres kann erst nach einer eingehenden Unter-
suchung des Verses ausgesagt werden. Deutlich ist in jedem Fall, dass
die Nachahmung immer auch in irgendeiner Weise negativ konnotiert
war.

2.4.1.3 Geographische Bezugspunkte

Nicht übersehen werden sollten die geographischen Bezüge in 1,7.8


und 2,14. In ihrer direkten Umgebung in Makedonien und Achaja kön-
nen die Thessalonicher als Vorbilder für die anderen Gläubigen wahr-
genommen werden. Diese konkreten Erfahrungen werden zum allge-
meinen Identifizierungskriterium „an jedem Ort“ (1,8). Diese letztere
Einschätzung bestätigt dann 2,14. Dort werden die Thessalonicher auf-
grund ihrer Standhaftigkeit auf eine Ebene mit den christlichen Ge-
meinden innerhalb Palästinas gehoben.537

535 Eingehende Analysen zur Problematik finden sich bei Schulz, Nachfolge, 332-
335; Betz, Nachahmung, 137-142.
536 Vgl. hierzu u.a. Müller, 1Thess, 110: „Die Bedrängnis, von der auch 2,14 redet,
bestand sicher in all den leidvollen Erfahrungen, die zunächst Paulus selbst in
seinen Verfolgungen durch jüd. Mitbürger wie durch heidnische Behörden und
Gegner machte, und die nun die Thessalonicher in ihrem heidnischen Milieu in
ähnlicher Weise gemacht haben.“ Ähnlich Holtz, 1Thess, 49; Tannehill, Dying,
100-109; Haufe, 1Thess, 27; Schlier, ThWNT III, 146; Dibelius, 1Thess, 5,
überaus pragmatisch: „Von der thlipsis erzählt 2,14.“
537 Der Unterschied zwischen Vorbild und Abbild ist in diesem Fall nicht in einer
167

2.4.1.4 Gegenüberstellung

Der zunächst parallele Aufbau von 1,6-8 und 2,14-16 wird am Schluss
umgeformt in eine Gegenüberstellung von den Thessalonichern und
den Juden. 1,8 endet mit der Einschätzung, dass nichts mehr zu sagen
ist; die Leiderfahrungen aus 2,14 bringen Paulus dazu, sehr wohl
etwas zu sagen, aber nicht zu den Thessalonichern, sondern zu den
Juden, die nicht wie die Thessalonicher den Glauben angenommen
haben, sondern sich trotz des Heilsangebotes einem Anschluss
verweigern und sogar aktiv gegen die Verbreitung dieses
Heilsangebotes agitieren.538

2.4.2 Einzelanalysen

Diese Hinweise auf die gemeinsame Argumentationsstruktur beider


Abschnitte mögen zunächst genügen. Es folgen Einzelanalysen, die je-
den Abschnitt für sich auszulegen versuchen, um dann noch offene
Fragen in einer abschließenden Zusammenschau klären zu können.

2.4.2.1 Nachahmer der Apostel und des Herrn 1,6-8

Als erstes soll die Nachahmervorstellung in 1,6-8 näher untersucht


werden. Nach dem Hinweis auf die Erwählung der Gemeinde durch
Gott in 1,4 und der Erklärung, dass die Evangeliumsverkündigung
nicht nur durch die Worte der Apostel vermittelt wurde, sondern auch
durch die Kraft des Heiligen Geistes (1,5), wodurch zugleich die Ge-
wissheit des Evangeliums und die Aufrichtigkeit der Apostel bestätigt
wird, erkennt Paulus, dass auch von Seiten der Gemeinde der entschei-
dende Schritt vollzogen wurde: Sie wurden zu Nachahmern der Apos-
tel und des Herrn, indem sie das Wort „in viel Bedrängnis und mit
Freude heiligen Geistes“ annahmen, sodass sie den Glaubenden in Ma-
kedonien und Achaja Vorbild wurden. Der Vorbildcharakter wird in
Vers 8 erläutert, wo erklärt wird, dass das Wort „herausschallt“, und
zwar in die ganze damalige christliche Ökumene. Schließlich wird
unterschiedlichen Qualität des Christseins zu suchen. Im Gegenteil, durch die
Standhaftigkeit im Leid identifiziert Paulus die christlichen Gemeinden auf
jüdischem Boden mit der Gemeinde der Thessalonicher. Die judäischen
Gemeinden zeichnen sich nur durch einen zeitlichen Vorsprung in der
Bekehrung und ihrer Nähe zum Ursprungsort des Glaubens aus, aber keinesfalls
darf deren jüdische Identität als Qualifizierungskriterium gelten.
538 Dazu vgl. unten.
168

1,9f. als zusätzliche inhaltliche Bestätigung des Glaubens angefügt.


Zurück zur Ausgangsfrage – wie ist diese Nachahmung zu ver-
stehen? Allein die Annahme des Glaubens wird wohl zu wenig sein.
Dies reicht für den Vorbildcharakter nicht aus. Kann man aus der Aus-
sage, dass das Wort „herausgeschallt“ ist, auf eine missionarische Tä-
tigkeit der Thessalonicher schließen? Für eine genaue Klärung dieser
Frage sollen die Einzelaspekte im Folgenden näher analysiert werden.

(a) Erstes Kriterium für die Nachahmung: „indem ihr annahmt das
Wort in viel Bedrängnis mit Freude heiligen Geistes“

Die Annahme des Wortes geschieht aus freien Stücken, wird den
Thessalonichern also nicht aufgezwungen, wie das Partizip im Aorist
(dexavmenoi)539 ausdrückt. Die Charakterisierung dieser Annahme mit
„in viel Bedrängnis mit Freude heiligen Geistes“ wird zum ersten,
grundlegenden Kriterium der Nachahmung.540 Es handelt sich bei der
Nachahmung also zunächst um die Bestätigung des Angebots der
Apostel in 1,5 durch die Antwort der Thessalonicher in 1,6. Genauso
wie die Apostel bei der Verkündigung vom Heiligen Geist unterstützt
werden, so unterstützt der Geist auch die Annahme des Wortes durch
die Thessalonicher. Die Apostel werden durch den heiligen Geist legi-
timiert, und durch die Geistwirkung erscheint das Evangelium den
Thessalonichern glaubwürdig, selbst wenn die qli'yi" dieser Annahme
entgegenstehen sollte.
Die Rede von der qli'yi" ist im Neuen Testament weit verbreitet.
Besonders bei Paulus kommt dem Begriff eine tragende Rolle zu. Ur-
sprünglich leitet sich qli'yi" von qlibei'n, also „drücken“, „quetschen“,
„reiben“ ab, es kann allerdings in übertragenem Sinne auch „be-
drängen“, „bedrücken“, „betrüben“ bedeuten.541 Im biblischen Anwen-
dungsbereich trifft man weitestgehend auf den übertragenen Gebrauch,
der allerdings theologisch mit großem Bedeutungsumfang verwendet
wird. So werden unterschiedliche hebräische Begriffe in der LXX mit

539 Vgl. Müller, 1Thess, 110.


540 Mit Holtz, 1Thess, 48f. gegen Michaelis, ThWNT IV, 673, der allein in der
Annahme des Wortes das entscheidende Kriterium hierfür erblickt. Dobschütz,
1Thess, 73, weist entschieden darauf hin, dass dexavmenoi nicht temporal
aufzufassen ist. Die Nachahmung bezieht sich in erster Linie auf die Annahme
des Wortes, nicht unmittelbar auf die Folgeverse 7 und 8. Damit soll aber nicht
behauptet werden, dass sich die Nachahmung in diesem einen Kriterium
erschöpft. Dazu vergleiche unten.
541 Vgl. im Folgenden Schlier, ThWNT III, 139. Siehe auch Kremer, EWNT II,
376.
169

qli'yi" wiedergegeben. Gemeinsam ist ihnen, dass die so ausgedrück-


ten Bedrängnisse meist mit der Gefährdung des Lebens zu tun haben.
Der Begriff qli'yi" wird damit zu einem Oberbegriff „für die verschie-
denartigste Not und Bedrängnis in der LXX.“542 Dabei ist ebenso an
äußere Bedrängnis zu denken (Anfeindungen, Verbannung, Sklaverei,
persönliche Feinde, ...) wie auch an innere Bedrängnisse (Betrübnis
und Angst). Theologische Bedeutung erhält die qli'yi" in der LXX, wo
der Begriff meistens zur Beschreibung des Zustands der „Bedrängnis
und Trübsal des Volkes Israel und des Israel vertretenden From-
men“543 herangezogen wird.544
Im Neuen Testament wird die qli'yi" zum Kennzeichen christli-
cher Existenz, insbesondere als Herausforderung an die Apostel, die
ihr Leiden den Gläubigen zum „Vergleich“ zur Nachahmung bzw. als
positives Vorbild anbieten. Allerdings ist nicht klar, inwieweit man
hier zwischen äußeren und inneren Bedrängnissen unterscheiden soll
oder kann. Paulus spielt häufig auf seine Leiderfahrungen an, und sei-
ne Leiderfahrungen sind für ihn auch nur logische Folge des Leidens
Jesu Christi.545 Gemeinsam ist allen neutestamentlichen Aussagen eine
eschatologische Komponente, die zweifelsfrei auch im 1Thess zur
Geltung kommt.546
Die oben angekündigte Frage ist für vorliegenden Sachverhalt
von besonderer Bedeutung: handelt es sich bei den Bedrängnissen in
1,6 ebenfalls um eindeutig tatsächliche Verfolgungen, auch wenn sie
nicht mehr identifizierbar sind? Einige Kommentatoren machen es
sich an dieser Stelle m.E. zu einfach, wenn sie die Bedrängnisse in
2,14 auf die qli'yi" in 1,6 zurückprojizieren.547 Es gibt auch andere
Versuche, dies zu deuten. Bereits von Dobschütz argumentiert gegen
eine Gleichstellung. Die qli'yi" sei eindeutig auf den Prozess der Be-
kehrung zu beziehen und beschreibe die fundamentale Entscheidung
542 Schlier, ThWNT III, 141.
543 Schlier, ThWNT III, 141.
544 Zur Verwendungsweise innerhalb der LXX vgl. Ex 4,31; Dt 4,29; Ri 6,9; 10,6
bis 16; 1 Bas 10,18ff; 4 Bas 19,3. 2 Ch 20,9ff; Hos 5,15; Neh 9,26f.; Jes 26,16;
37,3; 63,9; 65,16; Jer 10,18 etc.
545 Vgl. hierzu Holtz, 1Thess, 49. Vgl. 2 Kor; Phil 1,17; 4,14 für die apostolischen
Erfahrungen, Röm 5,3; 8,35f; 12,12 für die Erfahrungen aller Christen. Vgl.
auch die Peristasenkataloge 2 Kor 4,8-12; 11,23-33, die die unterschiedlichsten
Möglichkeiten von Bedrängungen ausweisen. Dazu vgl. Schiefer Ferrari,
Sprache, 9-18.178-293.
546 Vgl. Müller, 111. Als wichtigste Stellen außerhalb des paulinischen Schrifttums
seien genannt Mt 24,9.; Lk 8,13 par.; 24,21 par; Apg 3,14f.; Kol 1,24; Offb
2,22; 7,14
547 Vgl. oben.
170

zu einer neuen Lebensform548 bzw. die „mit dem Übertritt unmittelbar


verbundenen Schwierigkeiten, das sich Losreißen von Familie und
Freundschaft u. ä., wovon Mission und Diaspora noch heute zu erzäh-
len wissen ...“549 Malherbe unterstützt eine solche Interpretation, indem
er unter Verweis auf Röm 2,9 und 2Kor 4,8 die qli'yi" „as the distress
and anguish of heart experienced by persons who broke with their past
as they received the gospel“550 interpretiert. In diesem Sinne ist qli'yi"
im philosophischen Umfeld belegt.551 Malherbe verweist ferner auf
den hellenistisch-jüdischen Bekehrungsroman Joseph und Aseneth,552
wo in ähnlicher Weise die inneren Bedrängnisse bei der Bekehrung ins
Zentrum gerückt werden.
Jedenfalls lassen sich die Thessalonicher von den Bedrängnissen,
wie immer diese auch geartet sein mögen, aufgrund ihrer neuen Glau-
benshaltung nicht verunsichern. Wie bereits erwähnt, kommt hierbei
dem Geist eine entscheidende aktive Rolle zu. Zuerst entscheiden sich
die Thessalonicher zur Übernahme des Glaubens; dies führt unweiger-
lich zu Bedrängnissen, doch der Geist Gottes erfüllt die Gemeindemit-
glieder mit seiner Freude, und somit wanken sie nicht in ihrer Ent-
scheidung. Dabei wird die Freude „nicht künstlich von den Betroffe-
nen selbst hervorgebracht (...) im Sinne einer psychologischen Eigen-
therapie, sondern [dass sie] vom heiligen Geist Gottes und seines
Christus ausging und erzeugt wurde, geht aus dem Genitivus auctoris
‚des Geistes’ hervor.“553 Der Geist bestätigt die eingangs formulierte
Würde der Thessalonicher, ihre Erwählung. Obwohl oder gerade weil

548 Vgl. die obigen Ausführungen zum douleuvein in der Auslegung von 1,9f.
549 Von Dobschütz, 73-74. Nicht gemeint sein könne „die qli'yi" der Apostel (s. zu
2,2; 3,3), durch die sich die Thessalonicher nicht zurückschrecken ließen“ (74).
550 Vgl. Malherbe, Paul and the Thessalonians, 48. Hiergegen wendet sich Haufe,
1Thess, 27, der meint, dass die „Freude“ sich auf die Gewissheit der Erwählung
beziehen würde und deshalb innere Bedrängnisse ausgeschlossen seien.
Allerdings ist diese Ansicht alles andere als schlüssig, schließt doch die durch
den Geist gewirkte Freude nicht innere Spannungen im Gefühlsleben der
Thessalonicher aus, zumal die Geistwirkung diesbezüglich als Hilfestellung
interpretiert werden kann.
551 Bei Epiktet spielt der Begriff qli'yi" eine wichtige Rolle und steht für die
Widrigkeiten bzw. Bedrängnisse des Lebens, die es philosophisch zu überwin-
den gilt, vgl. Dissertationes 1,25,17; 1,25,28; 1,27,2f; 3,13,8; 4,1,45. Vgl. hierzu
Schlier, ThWNT III, 139.
552 Vgl. Malherbe, 1Thess, 128 mit Verweis auf JosAs 12,11; 13,11. Beide Stellen
veranschaulichen eindrucksvoll die Sorgen und Nöte Aseneths, als sie erkennt,
dass sie ihr ganzes bisheriges Leben die falschen Götter verehrt hat.
553 Müller, 1Thess. Ähnlich Rigaux, Saint Paul, 383; von Dobschütz, 1Thess, 74;
Holtz, 1Thess, 49.
171

sie aus freien Stücken das Wort annehmen, unterstützt sie der Geist bei
diesem Prozess. Zugleich hilft er, die qlivyei", welcher Art sie nun im-
mer auch sein mögen, zu kompensieren.554
Der sog. „Topos von der Freude im Leid“ 555 ist bereits im Juden-
tum häufig belegt und wurde vom frühen Christentum bereitwillig re-
zipiert und ausgebaut556. Die Verwendung an dieser Stelle will die ein-
gangs erwähnte Erwählungshandlung Gottes nochmals unterstreichen.
Nach Holtz557 ist die „Freude des heiligen Geistes“ Zeichen dafür, dass
die Thessalonicher zumindest objektiv als Nachahmer der Apostel und
Jesu bestätigt sind, auch wenn man nicht auf eine bewusste Nachah-
mung ihrerseits schließen könne.558

(b) Folge von Kriterium 1 und Grundlage für Kriterium 2: „sodass ihr
allen Glaubenden in Makedonien und Achaja ein Vorbild wurdet“

Man könnte meinen, dass erst an dieser Stelle die Nachahmung akzen-
tuiert würde, jedoch handelt es sich hier nur um das Ergebnis, um die
Folge oder um die Bestätigung der Tatsache, dass die Christen Nach-
ahmer geworden sind.
In den paulinischen Texten verlangt der Mimesisbegriff immer
ein Vorbild.559 Diese Vorbilder sind zunächst für die Thessalonicher
die Apostel und der Herr Jesus Christus; die Konsequenz ist, dass die
Thessalonicher nun selbst Vorbilder werden für die Gemeinden in Ma-
kedonien und Achaja. In 2,14, wo die Thessalonicher nur durch ihre
Leiden passiv als Nachahmer identifiziert werden, fehlt der Bezug auf
ihr Vorbild-Sein. In 1,7 allerdings werden sie aktiv gezeichnet und
auch selbst zu Vorbildern. Sie „treten damit in die orientierende Reihe
Gott-Christus-Apostel ein. Sie werden jetzt ihrerseits Nachahmer und
Nachfolger finden (Phil 3,17; 2 Thess 3,9).“560 Zu fragen ist allerdings,
wie diese Vorbildhaftigkeit der Thessalonicher zu beschreiben ist. Ih-
ren Vorbildcharakter üben sie zunächst auf die Gläubigen im Gebiet

554 Nach von Dobschütz, 1Thess, 74 betont Paulus die freudige Geistwirkung umso
mehr, je höher sich die Bedrängnisse seiner Adressaten erweisen. Dabei ver-
weist er auf Röm 15,13; 2 Kor 1,24 und Gal 5,22.
555 Vgl. Conzelmann, ThWNT IX 358; Nauck, Freude, 78-80. Holtz, 1Thess, 49f.
zur Stelle, Müller, 1Thess 111 zur Stelle; biblische Belege: 2 Makk 7,30; 4
Makk 10,20.
556 Vgl. Jak 1,2; 1 Petr 1,6f.; 2,20-24; 3,17; 4,12-14.
557 Vgl. Holtz, 1Thess 49.
558 Vgl. hierzu Schulz, Nachfolgen 287.314-316; Tannehill, Dying, 103.
559 Vgl. Holtz, 1Thess, 48.
560 Müller, 1Thess, 112.
172

der beiden römischen Provinzen Makedonien und Achaja aus. Von


seinem missionarischen Konzept her versucht Paulus in den Metropo-
len der Provinzen Fuß zu fassen und Zentren zu bilden, von denen aus
sich der Glaube in der ganzen Provinz ausbreiten konnte. 561 Ob Paulus
an andere Gemeinden denkt, die nicht von ihm gegründet wurden,
kann aufgrund der Quellenlage nicht beantwortet werden. Bekannt für
den griechischen Raum sind für diese frühe Zeit nur die Gemeinden
von Thessalonich, Philippi, Beröa (Makedonien) und Korinth (Acha-
ja).562

(c) Zweites Kriterium für die Nachahmung: „von euch nämlich ist
herausgeschallt das Wort...“

Der erste Halbsatz bestätigt sodann, dass man eventuell schon erste
missionarische Tendenzen bei den Thessalonichern erwarten darf.
Zumindest kommt die Nachahmungsvorstellung zu einem Schluss-
punkt – die Thessalonicher sind nicht nur zum Glauben gekommen,
sondern von ihnen schallt (ejxhcevw) das Wort des Herrn, sprich das
Evangelium, heraus. Das Verb ejxhcevw ist ntl. Hapaxlegomenon563 und
meint, dass das Wort des Herrn „wie ein Echo (...) heraus- und zurück-
schallt, nachdem dieses ‚Wort des Herrn’ zuvor von den Missionaren
in die Gemeinde hineingesprochen worden war.“564 Damit werden die
Provinzen Makedonien und Achaja zumindest indirekt als Missions-
bereich der Gemeinde der Thessalonicher ausgewiesen. Wahrschein-
lich kann man zu diesem frühen Zeitpunkt so kurz nach der Gemein-
degründung noch nicht davon ausgehen, dass die Thessalonicher sich
zum Ziel gesetzt hätten, die ganze Provinz zu bekehren und neue Mis-
sionszentren zu schaffen. Allerdings legt die Gemeinde lebendiges
Zeugnis ab, indem sie das Wort des Herrn laut bekennt. Das Wort
schallt heraus, es ist nicht zu überhören, die Thessalonicher sind mu-
tig, offen und verstecken sich nicht. Sie bekennen sich aktiv und offen-
siv zum Evangelium.565

561 Vgl. hierzu Holtz, 1Thess, 51; Dibelius, 1Thess, 5; Rigaux, Saint Paul, 385.
Ähnlich wie an vorliegender Stelle nennt er auch in Gal 1,21; Röm 15,19.24.28
(2 Kor 1,1) Provinzen.
562 So Müller, 1Thess, 112.
563 Vgl. 1 Kor 13,1 hjcevw. In der LXX vgl. Joel 3,14; Koh 9,13; 15,13; 3 Makk
3,2. Vgl. Rigaux, Saint Paul, 386.
564 Müller, 1Thess, 113.
565 Es ist kaum möglich viel mehr über die Missionsbestrebungen der Thessaloni-
cher auszusagen. Müller, 1Thess 113. Holtz, 1Thess, 52, lehnt die Vorstellung
173

(d) Ergebnis: Identifizierung der Thessalonicher als Mitglieder der


gesamten christlichen Ökumene

Der zweite Halbsatz bringt das mit ajllav konstruierte überbietende


Glied. Erstaunlich ist dabei die Tatsache, dass sowohl Subjekt als auch
Prädikat wechseln.566 Dieser Wechsel macht deutlich, dass Paulus auf
zwei Ebenen argumentiert. Den Vorbildcharakter haben die Thessalo-
nicher für die Gemeinden in Makedonien und Achaja. In dieser Ge-
gend wird das Wort Gottes, das von der Gemeinde ausgeht vernom-
men. Der zweite Halbsatz bestätigt nochmals, dass die junge Gemein-
de in die Gemeinschaft aller christlichen Gemeinden aufgenommen
worden ist.567 Denn ihr Glaube an Gott 568 ist an jedem Ort zu verneh-
men. Eine Identifizierung war wichtig, da der Zusammenhalt des
Christentums durch ständigen Kontakt in Form von Korrespondenz
oder reisenden Christen aufrecht erhalten wurde. Thessalonich war auf
der Landkarte der christlichen Mission ein fester Bestandteil gewor-
den.569 Deswegen kann Paulus mit der Bemerkung schließen, dass
hierzu nichts weiter zu sagen sei.

(e) Zwischenresümee

Die Thessalonicher können als Nachahmer der Apostel und des Herrn
bezeichnet werden, da sie selbst zu Vorbildern für die Glaubenden in
den Provinzen Makedoniens und Achajas geworden sind. Ihre Charak-
terisierung als Nachahmer realisiert sich dabei in zweierlei Hinsicht.
Zum einen dadurch, dass sie das Wort Gottes trotz aller Widrigkeiten
aufnehmen, zum anderen, dass sie offen Zeugnis ablegen und als Vor-
bilder in die Nachahmerreihe Christus-Paulus/Apostel gleichwertig

einer aktiven Missionstätigkeit entschieden ab.


566 Bornemann, 1Thess, 62f. versucht deswegen nach kuvrio" ein Kolon zu setzen,
was allerdings kaum Anhänger finden konnte. Vielmehr sollte man dies als
stilistische Eigenart des Paulus verstehen, da er gelegentlich auf diese Weise
formuliert. Vgl. Bl-Dbr-Rehkopf § 458,4b mit Anm. 4. Die meisten Kommenta-
toren schließen sich dieser Auslegung an.
567 Zur hyperbolischen Redeweise „an jedem Ort“ vgl. ähnliche Formulierungen in
Röm 1,8; 16,19 oder 2 Kor 2,14. Vgl. auch Holtz, 1Thess, 53 sowie Müller,
1Thess, 114.
568 Hierbei handelt es sich um explizit jüdische Redeweise, die im NT ansonsten
nicht vorkommt. Vgl. 4 Makk 15,24; 16,22; Philo Abr 268.271.273.
569 Zur Ausbildung „intergemeindlicher“ Strukturen, vgl. Reck, Kommunikation,
267-285; 306-308.
174

eingegliedert werden. Die Leiderfahrungen Jesu und der Apostel mö-


gen eventuell mit der Verwendung des Begriffes qli'yi" assoziiert wer-
den, jedoch bezieht er sich in 1,6-8 noch nicht auf Leiderfahrungen der
Thessalonicher, wie sie in 2,14 konkret fassbar sind. Hier dient er zur
näheren Charakterisierung der inneren Bedrängnisse, die die Thessa-
lonicher als Folge ihrer Bekehrung durchgemacht haben werden.
Entscheidender Vergleichspunkt zu den Aposteln ist schließlich auch
die Tatsache, dass sie das Wort Gottes angenommen haben und aktiv
Zeugnis ablegen.

2.4.2.2 Die Gemeinde als Nachahmer der judäischen Gemeinden


(2,13.14)

Hier folgt nun die Darstellung der Nachahmervorstellung, wie sie in


1Thess 2,14 ausgedrückt ist. Es handelt sich, wie gesagt, um die einzi-
ge Verwendung des Mimesis-Begriffes bei Paulus, in der nicht er, son-
dern die Gemeinden Gottes in Judäa als Vorbilder der Thessalonicher
fungieren. Paulus will sich an dieser Stelle nicht wiederholen. War in
1,6 der Blick auf die Aktivität der Thessalonicher gerichtet, wie sie ih-
ren eigenen Glauben bekennen, werden sie jetzt im größeren Rahmen
identifiziert – als eine den judäischen Gemeinden gleichwertige christ-
liche Gemeinde.
Vers 2,13 fungiert als Überleitung.570 In einer erneuten Dank-
sagung wendet Paulus den Blick auf die Thessalonicher und dankt
Gott dafür, dass sie zum Glauben gekommen sind. Er greift dabei die
Vorstellung auf, dass die Bekehrung nicht Menschenwort in den
Mittelpunkt gestellt hat, sondern das Wort Gottes. Dabei stellt er einen
Bezug zur Vorstellung des wahren Gottes her, diesmal in Form einer
adverbialen Kennzeichnung für das Wort Gottes als Wahrheitskri-
terium (ouj lovgon ajnqrwvpwn ajlla; kaqwv" ejstin ajlhqw'" lovgon
qeou').571

570 Zur Abgrenzung von V. 12 zu V.13 vgl. Holtz, 1Thess, 65 sowie Merk, 1Thess
2,1-12, 385f.
571 Vgl. die Rede vom wahren Gott in 1,9 (vgl. oben). Auch an dieser Stelle ist in
dieselbe Richtung zu deuten.
175

(a) Nachahmer der Gemeinden Gottes die sind in der Judaia in


Christus Jesus

Die zweite Mimesis-Stelle erkennt in den Thessalonichern Nachahmer


der Gemeinden Gottes in der Judaia in Christus Jesus. Wie bereits ge-
sagt, handelt es sich hier um die einzige Mimesis-Stelle im Corpus
Paulinum, in der der Apostel nicht seine eigene Nachahmung mit ein-
bezieht. Vorbild sind in diesem Falle die „Gemeinden Gottes in der Ju-
daia.“572 Während im ersten Fall die Apostel und Christus auf funktio-
naler Ebene für die aktive Seite, die Verbreitung und das Zeugnis des
Glaubens stehen, geht es im zweiten Teil um das Ergebnis und den
weiteren Bestand des göttlichen Heilsplanes. Darin wird die Gemeinde
integriert, und hier werden diejenigen ausgeschlossen, die sich diesem
Heilsplan widersetzen wollen. Bedenkenswert ist die genaue Definiti-
on der Vorbildgemeinden: Sie sind Gemeinden Gottes, die da sind in
der Judaia in Christus Jesus.
Eine genauere Eingrenzung des Gebietes „Judaia“ ist nicht ohne
weiteres möglich. Deutlich ist nur, dass Paulus mehr als die Jerusale-
mer Urgemeinde im Blick hat, er meint alle bereits existierenden Ge-
meinden im palästinischen Raum.573 Die Gemeinden sind als „Gemein-
den Gottes in Christus Jesus“ sowohl theozentrisch als auch christo-
zentrisch bestimmt.574 Allerdings kann man dies im Vorausblick auf
die mögliche Verurteilung der Juden noch ein wenig spezifizieren: der
theozentrische Aspekt besagt, dass sie in die Heilsgemeinschaft aufge-
nommen sind. Im Gegensatz zur christologischen Qualifizierung der
572 Eventuell erklärt sich hieraus der Bruch in 1Thess 1,8: die Thessalonicher sind
Vorbild für die Gläubigen in Makedonien und Achaja, können allerdings nicht
für die gesamte Christenheit als Vorbild gelten, da sie noch zu „jung“ sind, um
als passende Vergleichsgröße zu fungieren. Allerdings ist fraglich, ob
Dobschütz, 1Thess, 108f. den Sachverhalt richtig erfasst, wenn er davon
spricht, dass sich durch den Vergleich „die junge heidenchristliche Gemeinde ...
geehrt fühlen“ sollte. In erster Linie bestätigt Paulus durch seine Aussage
eigentlich nur, dass die Thessalonicher in der Heilsgemeinschaft stehen.
573 Aus der Zeit des Paulus ist nur die Jerusalemer Urgemeinde bekannt. Die sehr
vage Angabe „Judäa“ sagt eigentlich nur aus, dass es mehrere Gemeinden auf
jüdischem Boden gegeben haben muss. Wo und wie viele es waren, darüber
kann man nur spekulieren. Zur Zeit des Paulus war Judäa jedenfalls römische
Prokuratur, Cäsarea am Meer war Hauptstadt. Galiläa und Peräa gehörten
ebenfalls zu den Staatsgrenzen. Vgl. auch Görg, NBL II 397f. Dobschütz,
1Thess, 109, meinte den Begriff sehr weit fassen zu müssen: „ jIoudaiva" ist hier
sicher in dem weiteren Sinne gemeint, wonach es außer der eigentlichen
Landschaft Judäa auch Galiläa und den Hauran umfaßt, wo Christengemeinden
bis nach Damaskus hin blühten...“
574 Vgl. Müller, 1Thess 143.
176

Mimesis in 1,6, die die aktive Komponente herausstellt, ist die theolo-
gische Qualifizierung zunächst rein passiv auf die Identifizierung mit
den anderen Gemeinden ausgerichtet. Die Gemeinden Gottes werden
ebenfalls christozentrisch bestimmt. Man kann mit Holtz die nachträg-
liche Charakterisierung „in Christus“ als unnötig bezeichnen, da
Paulus andernorts diesen Zusatz nicht bringt.575

(b) Kriterium für die Nachahmung: „weil dasselbe littet auch ihr von
den eigenen Stammesgenossen, gleichwie auch sie selbst von den
Judaiern“

Für den vorliegenden Sachverhalt sind die vergleichbaren Leiderfah-


rungen der Thessalonicher einerseits und der palästinschen Gemeinden
andererseits Kriterium der Nachfolge. „In dieser Form scheint das
Verfolgtwerden gleich als ein Zeichen des Christwerdens.“576
Offizielle Verfolgungen der Gemeinden in Judäa sind historisch zu
dieser Zeit noch nicht nachzuweisen, allerdings finden sich zumindest
im Neuen Testament Hinweise auf beginnende Verfolgungen.577
Genaueres ist aus der knappen Notiz in 1Thess 2,14 bzgl. der kon-
kreten Leiderfahrungen nicht abzuleiten. Eindeutig ist nur die Wen-
dung der Juden gegen das Heilsangebot (siehe dazu V. 15). Die Juden
akzeptieren das Bekenntnis zu Jesus Christus nicht und stellen sich der
urchristlichen Mission entgegen. Paulus ist selbst aktiver Zeuge dieser
Verfolgungen. Aus der Apostelgeschichte sowie aus seinen Selbst-
zeugnissen geht hervor, dass er vor seiner Berufung zum Heiden-
missionar selbst als Verfolger christlicher Gemeinden aktiv war.578 Die
Auseinandersetzungen rührten nicht zuletzt daher, dass sich die
Gemeinschaft weiterhin als jüdische Gemeinschaft verstehen wollte,
jedoch aufgrund ihrer Ausrichtung dazu wohl kein „Recht“ haben
sollte.579

575Vgl. Holtz, 1Thess, 100: „Damit sind sie [die Gemeinden Gottes] eigentlich
inhaltlich überbestimmt. Denn ejkklhsiva tou' qeou' benennt die Gemeinde des
allein einen Gottes, der in der Christusgeschichte Jesu sich endzeitlich gültig
offenbart hat. Daneben kann es keine anderen 'Gottesgemeinden' geben.“
576 Dobschütz, 1Thess, 108.
577 Vgl. etwa 1Thess 2,2; Röm 8,36; 12,12; 1 Petr 3,13ff; 4,12ff; Jak 2,16f; 5,6-11;
Hebr 10,32ff u. ö. Vgl. hierzu Baumeister, Anfänge, 66-228, besonders 156-
191.
578 Vgl. Gal 1,13f.; Apg 7,54-8,3.
579 Allerdings wird er nicht seine eigene Biographie an dieser Stelle auswerten
wollen. Sicher hat er konkrete Verfolgungen im Blick, die, falls sie wirklich in
177

Die grundsätzliche Frage ist die nach den Gegnern der thessalo-
nischen Gemeinde. Ohne auf die Verse 15 und 16 einzugehen, die oft
für die Lösung dieser Frage herangezogen werden, soll hier allein auf-
grund der Angaben in V. 14 die Entscheidung getroffen werden. Die
Leidenserfahrungen der Thessalonicher gehen denn auch von den
sumfulevtai der neuen Gemeindemitglieder aus. Das Wort sumfulev-
tai ist neutestamentliches Hapaxlegomenon und auch sonst im Grie-
chischen sehr selten belegt.580 So ist seine Bedeutung zunächst unsi-
cher. Der Wortstamm fuvlh bezeichnet zunächst einmal die Phylen, die
im weitesten Sinne eine Einteilungsform für gesellschaftliche Grup-
pierungen innerhalb der antiken Polis waren. Ein sumfulevto" wäre
demnach ein Mitglied einer solchen Phyle. Holtz behauptet, dass für
die neutestamentliche Zeit die ursprüngliche Bedeutung nicht mehr
gelten würde und einzig „die Vorstellung von einem Wohnbezirk bzw.
seiner Einwohner“ ausgesagt sei und deswegen „nicht die Angehöri-
gen eines bestimmten Volkes, auch nicht einer bestimmten Religion,
sondern die Mitglieder des sozialen Lebensbereiches, dem die Thes-
salonicher zugehören“, meine.581
Vom Brocke konnte allerdings nach der Auswertung epigraphi-
schen Materials feststellen, dass zumindest vier solcher Phylen noch
bis ins dritte Jahrhundert in Thessalonich Bestand hatten. 582 Drei dieser
Phylen finden sich auf Ehreninschriften für Claudius Meno, einem Ho-
noratioren der Provinz. Alle drei Ehreninschriften tragen dabei densel-
ben Text, sind mit povli" überschrieben und werden von der jeweiligen
Phyle unterzeichnet (IG X 2,1 nr. 183-185). Dies sei ein Beleg dafür,
„daß die Bürgerschaft Thessalonikis – die povli" im verfassungs-

den 30er Jahren stattgefunden haben, in den 50er Jahren noch wichtiger
wurden.
580 Vgl. dazu die Hinweise bei Pilhofer, Philippi, Bd. I, 124, der nach einer
Auswertung des TLG feststellt, es gebe „lediglich 28 Belege, von denen einer
die hier diskutierte Stelle ist; 26 weitere sind bei christlichen Autoren zu finden,
die häufig sogar auf ihre Quelle im Thessalonicherbrief ausdrücklich Bezug
nehmen.“
581 Holtz, 1Thess, 102. Die Übersetzungsvorschläge innerhalb der Forschung gehen
alle in diese Richtung. V. Dobschütz, 1Thess, 109, übersetzt mit
„Volksgenossen“, noch weiter fassen Marxsen, 1Thess, 42 oder Riesner,
Frühzeit, 311, die Bedeutung, indem sie von „Landsleuten“ sprechen (vgl. auch
„compatriots“ bei Wanamaker, 1Thess, 113). Holtz, 1Thess, 96 schließlich
nennt sie „Mitbürger“.
582 Zu nennen wären die fulh; jAsklhpiav" (aus IG X 2,1 nr. 183), die fulh;
jAntigoniv" (aus IG X 2,1 nr. 184), die fulh; Dionusiav" (aus IG X 2,1 nr. 185)
sowie die fulh; Gnaiva"(aus IG X 2,1 nr. 278). Vgl. hierzu und im Folgenden
vom Brocke, Thessaloniki, 156-162.
178

rechtlichen Sinne – wie in anderen Städten in einzelne Phylen unter-


teilt war. Diese dienten der politischen Organisation sowie der lokalen
Gliederung.“583 Auch wenn sich keine weiteren Phylen für die christ-
liche Zeit in Thessalonich nachweisen lassen, kann man annehmen,
dass die Phylenstruktur zur Zeit des Paulus immer noch von Bedeu-
tung war. Demnach hat der Begriff sumfulevth" bei den Adressaten
die Assoziation mit der Phylenstruktur hervorgerufen und bezeichnet
die Mitglieder der jeweiligen Phylen, denen auch die thessalonischen
Christen angehörten. Darüber hinaus kann man mit vom Brocke wei-
testgehend ausschließen, dass Juden Mitglieder dieser Phylen sein
konnten. Grundvoraussetzung für die Mitgliedschaft war der Besitz
des Bürgerrechts, das Juden kaum erteilt wurde. 584 Auch wäre die Mit-
gliedschaft in Phylen deshalb kaum in Frage gekommen, da die einzel-
nen Phylen kultisch ausgerichtet waren.585 Allein schon aus den Na-
men zweier der Phylen Thessalonichs (der Phyle des Asklepios sowie
der Phyle des Dionysos) wird ein solcher kultischer Bezug ersichtlich.
Für den vorliegenden Sachverhalt ergibt sich aus den Überlegun-
gen vom Brockes folgendes: Wenn Paulus in 2,14 auf die sumfulevtai
zu sprechen kommt, kann man wohl ausschließen, dass damit Angriffe
von jüdischer Seite gemeint seien. Auch ist die Annahme unwahr-
scheinlich, dass Juden die Sympathisanten der Synagoge gegen die
thessalonische Gemeinde aufgehetzt hätten. Sucht man nach Gründen
für Angriffe von Seiten der sumfulevtai, wird man diese in Konflikten
zu sehen haben, die aus der Bekehrung der Christen zu Gott und der
damit einhergehenden Ablehnung jeglicher alternativen Kultpraxis be-
gründet sind.586
Somit scheitern die Interpretationen, nach denen laut Apg 17,1-5
die Mitglieder der jüdischen Gemeinde verantwortlich seien für die
Auseinandersetzung in Thessalonich. Als einziges Indiz für die Identi-
fizierung kann man nur die scharfe Polemik der folgenden Verse 15
und 16 annehmen.587 Allerdings überzeugt dies in Kombination mit

583 Vom Brocke, Thessaloniki, 157.


584 Zum Status der Juden im römischen Reich vgl. Noethlichs, Judentum, 34. 73-
90; Treblico, Jewish Communities, 170-172. Inschriftlich lässt sich nach
Ausweis vom Brockes, Thessaloniki, 164, die Mitgliedschaft von Juden in
Phylen ebensowenig belegen.
585 Belege hierfür bietet Liebenam, Städteverwaltung, 225.
586 So auch vom Brocke, Thessaloniki, 162.
587 So Schnelle, Paulus, 186, wenn er gegen vom Brocke geltend macht: „Diese
historisch vermutlich zutreffende Beobachtung schließt nicht aus, dass Paulus
sie [die Juden] dennoch als Mitverursacher der Verfolgungen sieht, denn nur
unter dieser Voraussetzung ist die Polemik in V. 15f verständlich.“
179

dem Begriff sumfulevtai nicht.588 Ob es möglich sein wird, Genaueres


über den Grund der Auseinandersetzungen in Erfahrung zu bringen,
muss eine differenzierte Auslegung zeigen.

(c) Zwischenresümee

Der Begriff mivmhsi" wird zum Identitätskriterium für die junge christ-
liche Gemeinde. Die doppelte Verwendung deckt dabei alle nötigen
Komponenten ab, und von beiden Seiten her erscheint die junge Ge-
meinde als vollgültig in die Gemeinschaft der Christusanhänger integ-
riert. Die beiden ei[sodo"-Stellen geben Auskunft über deren Christ-
werdung, sowohl aus inhaltlicher Sicht, als auch bzgl. der Art und
Weise der Missionierung. Beide Elemente werden möglicherweise in-
nerhalb der Mimesis-Vorstellung zur Geltung kommen, wobei zugege-
benermaßen die vollgültige Übertragung nicht aufgeht. Ein eindeutiger
Bezug lässt sich für die erste Mimesis-Stelle herstellen, da der Glaube
der Gemeinde als leuchtendes Vorbild für andere herausschallt, d.h.
der Inhalt, wie er in 1,9f.589 dargestellt wird, weitergetragen wird und
so den Vorbildcharakter der Apostel, wie er in 2,1-12 herausgestellt
wird, selbst einnimmt. Der Vers 2,14 andererseits gibt das Ergebnis
nochmals wieder, gewissermaßen als Konsequenz und logische Folge
dieser Wandlung von den mimhtaiv zu den tuvpoi – jetzt sind sie

588 Somit scheitert ein Großteil der Rekonstruktionsversuche konkreter Gegner, da


die Aussagen der Apostelgeschichte oft als einzig verständlich angenommen
wurden. Vgl. Botermann, Heidenapostel, 50. Holtz, 1Thess, 102 interpretiert
den Begriff sumfulevtai offener und meint, auch Juden darunter subsumieren
zu können. Dem schließt sich auch Schnelle an (vgl. vorige Anmerkung).
Ebenso scheitert der differenziert angelegte Versuch von Alvarez-Cineira,
Religionspolitik, 280-290, der die Auseinandersetzungen in Apg historisch als
Auswirkung des Claudius-Ediktes interpretieren will. Letztlich allerdings erklärt
er damit nur die Darstellung der Apostelgeschichte, die für Thessalonich durch
Juden angezettelte Auseinandersetzungen annimmt. Allerdings erscheinen „die
Juden“ als Gegner der judäischen Gemeinden und die sumfulevtai der
Thessalonicher als zwei unterschiedliche Gruppierungen, und es gibt kaum
Anhaltspunkte dafür, dass auch die sumfulevtai Juden waren. Die Lösung muss
m.E. anderweitig gesucht werden. Dass das Claudius-Edikt grundsätzlich die
Lage der Juden erschwert hatte und somit auch Auswirkungen auf die
christlichen Gemeinden haben konnte, ist selbstverständlich möglich.
589 Freilich trägt Paulus den Text vor, um die Logik des Glaubens näherzubringen
und um seine Erklärungen bzgl. der Parusie vorzutragen. Aber insgeheim hebt
er darauf ab, dass die Gemeinde das Wesentliche bereits begriffen haben muss,
und er will von da aus nur eine kleine Verständnislücke schließen. Insofern ist
die Aussage auch eine Vorbereitung für das im Brief folgende Thema, jedoch
zugleich eine Bestätigung, dass ihr Glaube bereits vollständig sein müsse.
180

vollgültig aufgenommen.

2.4.2.3 Die Judenpolemik der VV. 15 und 16

Blickt man auf die Schwierigkeiten, die die folgenden Verse der bishe-
rigen Forschung bereitet haben, so wird man kaum annehmen können,
mehr Licht in die Frage nach den Gründen für die Verfolgungen der
Gemeinden zu bringen. Gemeinsam ist den Gegnern der Gemeinden in
Judäa und denjenigen der Gemeinde in Thessalonich die ablehnende
Haltung gegenüber deren religiösen Ansichten. Zu fragen ist nach der
Intention der VV. 15 und 16. Sind sie nur polemische Beigabe, hat
sich Paulus also „gehen lassen“590, oder sollen sie als vertiefende Er-
klärung gelten, was zugegebenermaßen auf den ersten Blick als eher
unwahrscheinlich erscheint? Jedoch wird sich zeigen, dass man dies-
bezüglich gute Gründe angeben werden kann.
Die traditionelle Herkunft der Passage ist dank ihres befremden-
den Tons inzwischen gut erforscht und als authentisch paulinisch er-
wiesen. Auch macht die symmetrische Komposition mivmhsi" – ei[so-
do" – ei[sodo" – mivmhsi" deutlich, dass der Text bewusst angelegt ist
und nicht nachträglich erweitert wurde. Jedoch gab – und gibt es
immer noch – Versuche, die VV. 15-16 (oder 13-16) als Interpolation
zu betrachten, was aber nicht zuletzt aufgrund der scharfsinnigen Ana-
lysen Broers als widerlegt zu gelten hat.

Wie bereits im ersten Teil der Arbeit im Zusammenhang der Authenti-


zitätsfrage des 1Thess argumentiert wurde, bezweifelten F.C. Baur und
einige seiner Schüler die paulinische Verfasserschaft.591 Ein wesentli-
ches Element hierfür war für sie auch die Stelle 2,14-16, die einen ein-
deutigen Bezug zur Zerstörung des Tempels herstellen würde. 592 Zwar
wird die Authentizität des Briefes heute nicht mehr angezweifelt, je-
doch votieren einige Autoren dafür, die Passage 2,13-16 als spätere In-
terpolation zu betrachten.593 Die wichtigsten Argumente seien hier
kurz zusammengefasst:594 (1) Es wird immer wieder behauptet, dass

590 Kraus, Volk Gottes, 148 spricht in diesem Zusammenhang ganz diplomatisch
von einer „Entgleisung“.
591 Vgl. oben, Abschnitt 1.2.1
592 Vgl. Kapitel 1.2.1 dieser Arbeit.
593 Vgl. insbesondere Pearson, 1Thess 2,13-16. 79-94. Außerdem gehen von einer
Interpolation eines oder mehrererer Verse aus: Okeke, Fate, 127; Thoma,
Theologie, 238; Köster, Einführung, 546; Schenke-Fischer, Einleitung, 70;
Laub, 1Thess, 21f.
594 Broer, Antisemitismus; ders., Zorn, setzt sich ausführlich mit den Argumenten
181

die Polemik gegenüber den Juden einzig im Kontext der Zerstörung


des Jerusalemer Tempels um 70 n. Chr. zufriedenstellend verstanden
werden kann. Nur dies würde die absolute Aussage in 16c (der Zorn ist
über sie gekommen bis zum Ende) erklären können. (2) Ebenso wäre
die Zuweisung des Todes Jesu an die Juden um 70 n. Chr. eher ver-
ständlich als zur Zeit des Paulus. (3) Zudem sei es undenkbar, dass
Paulus, der immer wieder betont, selbst Jude zu sein, in dieser polemi-
schen Weise die Juden als solche verurteilen würde. (4) Grundsätzlich
könne man wohlvauch erst nach 70 von einer Verfolgung der Christen
durch Juden sprechen. (5) Auch die Mimesisvorstellung sei in einer für
Paulus untypischen Weise gebraucht, da Paulus normalerweise immer
sich selbst als nachzuahmendes Vorbild anbietet. (6) Schließlich sei
das erneute Aufgreifen der Danksagung in 2,13 ein eindeutiges Indiz
für die These, es handle sich um einen nachträglichen Einschub.
Die Argumente können allesamt nicht überzeugen. Zugegebener-
maßen würde die Aussage in 2,14-16 sehr gut in den zeitlichen Rah-
men um 70 n. Chr. passen, da die Zerstörung des Tempels ein wesent-
licher Einschnitt war, der die endgültige Trennung der christlichen Ge-
meinden vom Judentum beschleunigte.595 Im Rahmen dieser Auseinan-
dersetzungen würde auch der Vorwurf, die Juden seien für den Tod Je-
su verantwortlich, Sinn ergeben. Allerdings ist dieses Verständnis
nicht zwingend. Wenn man unbedingt ein zeitgeschichtliches Ereignis
als Grund für die Polemik annehmen will, können auch andere Ereig-
nisse herangezogen werden.596 Dass Paulus als Jude das Judentum in
scharfer Weise kritisieren kann, geht beispielsweise auch aus der Pole-
mik über die „Zerschneidung“ in Phil 3,2 hervor, kann also allein nicht
als Indiz gegen die Authentizität herangezogen werden. Der These,
Verfolgungen urchristlicher Gemeinden durch jüdische Agitatoren
seien erst nach der Tempelzerstörung greifbar, steht Gal 4,29 entge-
gen, wo Verfolgungen durch die Juden zumindest angedeutet werden.
Die unterschiedliche Mimesisvorstellung allerdings wurde, wie hier
argumentiert wird, bewusst eingesetzt und von Paulus wohl auch
bewusst von der anderen Verwendung in 1,6 unterschieden. Schließ-
lich zählt auch das Argument der doppelten Danksagung nicht, da in
3,9 zum dritten Mal eine Danksagung aufgegriffen wird.
Am sinnvollsten wird es sein, die Einzelaussagen des Textes auf
ihre traditionelle Herkunft zu befragen. Schon die typischen judenkriti-
schen Äußerungen oder diejenige bzgl. der Tötung der Propheten las-

der Befürworter der Interpolationshypothese auseinander.


595 Zum Problemzusammenhang, vgl. Wander, Trennungsprozesse.
596 Zur Problematik vgl. u.
182

sen erkennen, dass sich Paulus sprachlich in unterschiedlichen Bahnen


bewegt, die es herzuleiten gilt. In der Forschung zeichnet sich mittler-
weile ein deutlicher Konsens hinsichtlich der Herleitung dieser Tradi-
tionen ab. Darauf soll im Folgenden eingegangen werden. Zunächst ist
festzustellen, dass die Verse 15 und 16 aus 8 Thesen aufgebaut sind597:

1. Sie töteten den Herrn, Jesus


2. Sie töteten die Propheten
3. Sie verfolgen die Missionare/Apostel
4. Sie gefallen Gott nicht!
5. Sie sind allen Menschen feindlich gesinnt!
6. Sie hindern die Apostel, das Heil zu den Heiden zu bringen!
7. Sie füllen ihre Sünden allezeit auf!
8. Es kam über sie der Zorn bis zum Ende!

Die ersten sechs Vorwürfe sind sehr konkret, 3 und 6 beziehen sich auf
die aktuellen Herausforderungen der Mission und könnten den Grund
angeben, warum Paulus sich in dieser Weise echauffiert – nicht nur die
Thessalonicher und die judäischen Gemeinden, auch die Apostel sind
in Auseinandersetzungen verwickelt. Beide Vorwürfe zeigen auf, wo-
rum es eigentlich geht – um die Ermöglichung des Heils. Greift man
die vorigen Überlegungen zum Mimesis-Begriff und zur apostolischen
Funktion als Bindeglied bis zur Parusie auf, erkennt man in 1-3 zu-
nächst eine Reihung der Aussagen von den Propheten über Jesus bis
hin zu den Aposteln. Die Aspekte 4 und 5 erklären sich dann durch die
Konkretisierung in These 6. These 4 hat deutlichen Bezug zu 1Thess
2,4, wo das Gegenteil von den Aposteln ausgesagt wird. Wie deutlich
zu erkennen ist, dass die Apostel Gott gefallen, ist genauso offensicht-
lich, dass die Juden Gott nicht gefallen. Der Grund liegt auf der Hand:
sie stellen sich gegen das Heil, gegen das, was Gott plant. Von daher
erschließt sich die Bedeutung von These 5: der Versuch, die Heiden
durch aktive Opposition gegen die christliche Mission an der Teilhabe
am Heilsangebot zu hindern, wird als Feindschaft gegenüber den
anderen Menschen interpretiert. Thesen 7 und 8 schließlich sind zu
klärende theologische Aussagen. Die Bedeutung der These 8 liegt auf
der Hand. Wenn in 1,10 die Lebensführung der Thessalonicher
insofern charakterisiert wird, als sie durch das douleuvein und das
ajnamevnein den Schutz vor Gottes Zorn erfahren können, wird deutlich,
dass den Juden, die sich aktiv gegen das Heil stellen, das Gegenteil zu

597 Vgl. Haufe, 1Thess, 45f.


183

widerfahren droht – der Zorn Gottes wird über sie hereinbrechen.598


Zur Vertiefung sollen noch die wesentlichen Traditionen erwähnt
werden, die in der Formulierung aufgefunden werden können. Das
sind (a) die deuteronomistische Prophetenaussage zusammen mit der
Kontextualisierung auf die Tötung Jesu (1 + 2), als nächstes (b) der
Misanthropie-Vorwurf gegenüber den Juden (5) und schließlich sollen
(c) die Aussagen über den Zorn Gottes (7) und (d) das eschatologische
Sündenmaß (8) näher in Betracht gezogen werden.

(a) Die deuteronomistische Prophetenaussage und die paulinische


bzw. urchristliche Kontextualisierung

Der Vorwurf, die Juden hätten ihre Propheten ermordet, ist eine im
biblischen Denken weit verbreitete Anschauung, deren Ursprünge auf
die deuteronomistische Geschichtsschreibung zurückgehen.599 Diese
sog. „deuternomistische Prophetenaussage“ erhält in nachexilischer
Zeit große Bedeutung. Dabei handelt es sich um eine zweigliedrige
Aussage, wie sie zum ersten Mal in Neh 9,26 begegnet. Die Ab-
weisung prophetischer Warnungen durch das von Gott abgefallene
Volk Israel wird in diesem Zusammenhang als Tötung der Propheten
interpretiert und durch eine Gerichtsaussage abgeschlossen. Als Hin-
tergrund für die Gerichtsaussage werden dabei die großen Katastro-
phen 722 (Untergang des Nordreichs) und 586 (babylonisches Exil) v.
Chr. herangezogen. Die Aussage

„tritt im Verlauf ihrer Überlieferungsgeschichte im geschichtli-


chen Rückblick (2 Kön 17), in der Geschichtsdarstellung (2Chr
36), in Reden (Jeremia Quelle C, Sacharja) und in Bußgebeten
(Esr 9; Neh 9) auf. In ihr sind die Propheten von Anfang an als
Umkehr- und Gesetzesprediger gefaßt; die Vorstellung ihres
generell gewaltsamen Geschicks hingegen bildet sich erst allmäh-
lich heraus, um die die Katastrophe(n des Nordreichs und) Judas
bewirkende stete Halsstarrigkeit des vorexilischen Israel rück-
schließend auch im Blick auf die Propheten selbst umfassend aus-
598 Gegen Müller, 1Thess, 145, sei darauf hingewiesen, dass seine Einschätzung,
es handle sich um all die Juden, die weiterhin an der Thora-Frömmigkeit
festhielten und sich nicht dem Evangelium öffneten für etwas zu weit gefasst
angesehen werden muss. Auch wenn der Text hinsichtlich seiner Intention nie
ganz befriedigend zu klären sein wird, ist doch klar, dass die aktiven Gegner der
Mission kritisiert werden, nicht alle Juden, die sich nicht zu Christus bekennen.
599 Zur traditionellen Herleitung der Formel vgl. die grundlegende Arbeit Stecks,
Israel.
184

zusagen. Adressat des Wirkens wie Täter des Geschicks der


Propheten ist das im ganzen seiner (Königs-) Geschichte genom-
mene vorexilische Israel; um seinetwillen und nicht um der Pro-
pheten willen ist die Vorstellung von deren gewaltsamem Ge-
schick auch ausgebildet worden und deshalb genauer als die Vor-
stellung von Israel als dem Täter eines generell gewaltsamen
Geschicks der Propheten zu fassen.“600

Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. lebt diese Vorstellung bei den
Rabbinen und auch bei Joesphus unter neuem Vorzeichen wieder auf,
indem diese die Kritik der Prophetentötung auf die Katastrophe der
Zerstörung des zweiten Tempels hin deuten.601
Die deuternomistische Prophetenaussage ist also in erster Linie
ein Zeugnis für innerjüdische Selbstkritik, indem die Untreue des eige-
nen Volkes als Begründung für die großen Katastrophen gedeutet
wird. Im 1Thess wird die Rede vom Prophetenmord auf die Verkündi-
ger der christlichen Mission ausgeweitet.602 Die Juden haben nicht nur
ihre Propheten getötet, sondern sogar den Herrn, Jesus. Der Tod Jesu
wird damit nicht „als trauriger Ausnahmefall, sondern als hervorste-
chendes Glied einer Kette des gewaltsamen Widerstandes gegen Got-
tes Boten und damit gegen Gott selbst“603 dargestellt. Dadurch stellt
Paulus den Tod Jesu in den Zusammenhang der Tradition von der
Ermordung der Propheten, deutet also letztlich die Missachtung der
Lehre Jesu und die Behinderung der Mission mit dieser innerjüdischen
Kategorie. Somit steht er zunächst nicht in Konfrontation mit dem
Judentum, sondern stellt sich auf die Seite der Propheten, da auch sein
Missionswerk immer wieder von jüdischen Angriffen bedroht wird.
Zu fragen ist, ob die Zusammenstellung der Aussagen in 2,15
(und 16) eine Leistung des Paulus selbst ist oder bereits in der
Tradition in ähnlicher Weise vorlag. Die Zuschreibung der Schuld am
Tod Jesu wird trotz der Tatsache, dass Jesus Opfer römischer Justiz
ist,604 im Neuen Testament sehr bald greifbar. 1Thess 2,15 ist hierfür
600 Steck, Israel, 79f.
601 Vgl. Jos. Ant. IX, 13, 2 und 14,1. Und zwar aus lebendiger Überlieferung, nicht
nur aus der Schrift allein abgeleitet (Steck, 86.). Vgl. in rabbinischen Quellen
PesR 183a; PesR 146a; PesR 129a; LevR 10,2; PRK 16 u.v.m.
602 Vgl. die Aussagen Mk 12,1-9; Mt 23,29-33 par.; Apg 7,52; Röm 11,3 etc. Vgl.
auch Hebr 11,32-38.
603 Konradt, Gericht, 79f.
604 Vgl. die Arbeit von Riedo-Emmenegger, 290-306; inwieweit die Jerusalemer
Aristokratie beteiligt war, ist zu hinterfragen. Stegemann, Beteiligung, 16-20,
geht davon aus, dass die Verurteilung Jesu zum Tode ganz ohne jüdische
Beteiligung auf die Römer zurückzuführen ist.
185

der früheste literarische Beleg, doch lässt die Quellenlage den Schluss
zu, dass diese Zuweisung schon älter ist. Insbesondere in der
Apostelgeschichte findet sich vermehrt die Aussage „ihr (die Juden)
habt ihn (Jesus) getötet, Gott hat ihn auferweckt“, die Lukas aller
Voraussicht nach der Tradition entnommen hat.605 Eine Verknüpfung
dieser Schuldzuweisung mit der deuteronomistischen Prophetenaus-
sage liegt auch in Apg 7,52 sowie im Winzergleichnis Mk 12,1-9 vor.
Schließlich ist die Kontextualisierung der Prophetenaussage auf das
Schicksal der Apostel hin bereits in der Logienquelle nachweisbar.606
Der Befund lässt keine eindeutige Entscheidung zu, ob Paulus an
dieser Stelle eine festgeprägte Tradition aufgegriffen hat oder nicht.
Allerdings ist deutlich, dass mindestens die gedanklichen Verbindun-
gen der einzelnen Aussagen im frühen Christentum grundgelegt
waren.
Alle Versuche, den traditionsgeschichtlichen Hintergrund der
Stelle konkreter zu fassen, können nicht restlos überzeugen. Die Über-
legungen Beckers und Haufes,607 die meinen, dass die Verbindung der
drei Aussagen in V. 15 mit den aus der heidnischen Judenpolemik
stammenden Aussagereihen aus V. 16 in Antiochia realisiert wurde,
sind überaus hypothetisch, da es keinerlei überzeugende Anhaltspunk-
te gibt, die diese Idee stützen könnten. Aber auch der Versuch Stecks,
bereits die Verbindung mit dem Gerichtsmotiv der Tradition zuzu-
schreiben, mag nicht so ganz überzeugen.608 Voraussetzung für diese
Annahme wäre die Zuweisung von Mt 23,32 zur Logienquelle, sodass
in Q 11,47f. bereits eine Verbindung zwischen der Prophetenaussage
und der Aussage bzgl. des eschatologischen Maßes (vgl. 1Thess 2,16)
vorliegen würde. Jedoch geht die Mehrheit der Exegeten davon aus,
dass Mt 23,32 redaktionell ist.609 Eine gemeinsame traditionelle

605 Zur traditionellen Einschätzung der Aussagen der Apg vgl. etwa Roloff,
Anfänge, 38f. oder Schneider, Apg I, 271. Vgl. hierzu auch, Konradt, Gericht,
79. Vgl. die Äußerungen innerhalb der Apostelgeschichte: Apg 2,23.36;3,15;
4,10; Siehe ferner Mk 8,31;14,1; Joh5,18; 7,19f. 25; 8,37.40; 11,53.
606 Vgl. Q 6,22f; 11,47-51; 13,34; vgl. Mt 21,33-46; 22,1-10.
607 Vgl. Becker, Paulus, 490f. und Haufe, 1Thess, 46.
608 Vgl. Steck, Israel, 274. Ihm folgen Lüdemann, Paulus und das Judentum, 22;
Donfried, Paul, 248f.; Best, 1Thess, 121f; Holtz, 1Thess 104; Wanamker,
1Thess, 116; Haufe 1Thess, 46; Konradt, Gericht 81. Dagegen argumentiert
Broer, Antisemitismus, 69-72.
609 Vgl. etwa Luz, Mt III, 343; Gundry, Mt, 468f.; Newport, Sources 150f. Ebenso
spricht sich die Critical Edition des IQP gegen eine traditionelle Zuordnung von
Mt 23,32 zur Logienquelle aus. Ähnlich verweist Tuckett, Tradition, 166 auf mt
Redaktion. Auch hinsichtlich der übrigen Parallelen sieht er keine
Notwendigkeit zur Annahme einer gemeinsamen Tradition.
186

Grundlage kann demnach nicht postuliert werden, ist wohl aber auch
nicht nötig. Die Verwendung bei Matthäus bestätigt nur aufs Neue die
Bedeutung des Aussagekomplexes innerhalb des Urchristentums.

(b) Der (heidnische) Misanthropie-Vorwurf gegen die Juden

Der Vorwurf der Tötung der Propheten und Jesu durch die Juden mag
für Heiden unverständlich wirken, findet allerdings in den parallelen
Vorwürfen, die Juden würden Gott nicht gefallen und seien Feinde al-
ler Menschen, eine Entsprechung aus dem paganen Milieu. Beide Vor-
würfe werden im heidnischen Umfeld, entweder getrennt oder gemein-
sam, immer wieder gegen die Juden vorgetragen.610 Der erste Vorwurf,
die Juden würden Gott nicht gefallen, gipfelt in einem pauschalen
Atheismusvorwurf, der die Juden aufgrund der Leugnung anderer Göt-
ter als Atheisten bezeichnet.611 So weit kann Paulus in seinem Urteil
nicht gehen, da er bzgl. der Gottesvorstellung eindeutig in Kontinuität
zum Judentum steht. Dies ändert sich allerdings in der Qualifizierung
des Gottesverhältnisses. In Abgrenzung zu seinem missionarischen
Wirken (in 1Thess 2,4 hat Paulus darauf hingewiesen, dass er nicht
den Menschen gefallen will, sondern Gott) bezeichnet er die Juden als
diejenigen, die Gott nicht gefallen. Beide Aussagen sind zu den ersten
beiden Anschuldigungen den Juden gegenüber parallel geführt. Zu-
mindest ist hier von der Struktur eine Gleichsetzung der Vorwürfe vor-
gegeben, die auch ähnlich begründet werden. Im ersten Fall war der
Vorwurf des Prophetenmordes im Einklang mit den Verfolgungen der
Missionare formuliert, im vorliegenden Fall wird die Feindschaft den
Menschen gegenüber an der Haltung festgemacht, die das Heil der
Heiden verhindern möchte.
Bei den Anschuldigungen handelt es sich um das „typische Re-
pertoire des heidnischen Antijudaismus“,612 das immer wieder in ähnli-
cher Weise auftaucht – die Feindschaft allen Menschen gegenüber fast
wörtlich bei Tacitus, Hist. V,5: adversus omnes alios hostile odium.613
Diese Einschätzung kann auch bei Josephus Ap 1,310; 2,125.148
nachgelesen werden und bestätigt immer wieder aufs Neue die
Vorurteile gegenüber dem Judentum aufgrund seiner exklusiven Got-
tesbeziehung.

610 Kümmel, Problem, 412; Dibelius, 1Thess 12, bezeichnet sie als „geläufige
Beschuldigungen der Umwelt gegen die Juden.“
611 Vgl. zum Atheismusvorwurf das Zitat von Poseidonius bei Anm. 280.
612 Kraus, Volk Gottes, 151.
613 Vgl. auch Est 3,13eLXX.
187

Nach einer Auswertung der ihm vorliegenden Quellen kommt


Conzelmann zu folgendem Schluss:

„Das 1. Gebot ist der Monotheismus, die anderen Gebote hängen


mit ihm zusammen, z.B. das Bildverbot, andere gesetzlich Vor-
schriften dagegen nicht, z.B. das Verbot, Schweinefleisch zu es-
sen. Man muß also differenzieren. So kann man sich in der Antike
da und dort mit dem jüdischen Monotheismus abfinden, z.B. so-
gar mit der Verweigerung des Herrscherkultes. Eine antijüdische
‚Bewegung’ bleibt in der Antike jeweils lokal begrenzt. So gibt es
keinen kontinuierlichen antiken Antisemitismus, vielmehr die
Kontinuität des jüdischen Volks- und Erwählungsbewußtseins mit
der Bereitschaft, die Konsequenzen zu tragen ...“614

Paulus greift die pagane Einschätzung der Juden als Feinde aller Men-
schen auf, deutet sie aber entschieden um. Für die Heiden bestand das
Problem darin, dass die Juden aufgrund ihrer exklusiven Gottesbezie-
hung und ihrer strengen Bräuche in vielen Lebensbereichen ihre Mit-
bürger auszuschließen schienen und deshalb im Verdacht standen, ih-
nen feindlich gesinnt zu sein. Paulus setzt mit seiner Kritik in gewisser
Weise ebenfalls bei der Verschlossenheit der Juden gegenüber den An-
dersgläubigen an. Allerdings sind für ihn die Juden Feinde aller Men-
schen, weil sie das Heil Gottes für sich allein beanspruchen und sich
aktiv gegen die christliche Mission stellen, die durch ihre christologi-
sche Neuinterpretation das Heil auch den Heiden anbieten will.

(c) Das eschatologische Maß

Die beiden letzten Thesen in V. 16 sind nicht mehr im Sinne von


Vorwürfen zu lesen, sondern abschließendes Urteil über die
Verfehlungen der Juden. Dabei gipfelt die Kritik in der Aussage, dass
sie sich gegen die Rettung der Heiden wenden. „Mit einem finalen eij"
zieht er [Paulus] sodann die Konsequenz aus seinen Vorwürfen: ‚Sie
machen das Maß ihrer Sünden fortgesetzt (pavntote)615 voll’.“616 Die
Rede vom „Maß der Sünde“ greift auf Vorstellungen zurück, die

614 Conzelmann, Heiden, 119. Zur Einschätzung vgl. auch Michel, Fragen, 208.
Vgl. zudem das ausführliche Material bei Conzelmann, Heiden, 54-119 sowie
die Beilagen 1-13 bei Dibelius, 1Thess, 34-36.
615 Vgl. die Vorstellung in Jes 30,1, dass Israel das Sündenmaß „fortgesetzt voll
mache.“
616 Kraus, Volk Gottes, 151.
188

insbesondere in der zwischentestamentlichen Zeit in der Vorstellung


vom „eschatologischen Sündenmaß“ gipfelt.617 Diese Vorstellung ist
gewissermaßen die Größe, die das Eingreifen Gottes in die Geschichte
nachvollziehbar machen will. Gott setzt für Zeit, Sünden, Rettung etc.
Maße, die sein Eingreifen genau dann erfordern, sobald das „Maß“
voll wird. Dabei war die Vorstellung darauf angelegt, dass Gottes
Volk immer rechtzeitig zurechtgewiesen worden war, bevor ein
endgültiges Urteil gesprochen werden musste, wie die Belege in Sir
23,2ff; PsSal 7,3.5.; 10,1-3; 16,10 aufzeigen. Durch die exklusive Bin-
dung an ihren Gott war immer wieder die Möglichkeit zur Umkehr ge-
geben.618 Den Heiden jedoch fehlte diese „Schutzfunktion“, und so
wartet Gott, bis das Sündenmaß voll wird, um dann ein endgültiges
Urteil zu sprechen (vgl. 2 Makk 6,14-15). Diese Vorstellung greift
Paulus in 1Thess 2,16 auf. Denn die Verwerfung der Heiden im 2
Makk steht in unmittelbarem Kontext der Angriffe auf die jüdische
Religion (vgl. 2 Makk 6,1-11). Wie also die dortigen Anfeindungen
den jüdischen Heilsweg in Frage stellen und deswegen den Zorn
Gottes hervorrufen, so wendet Paulus diese Aussage nun gegen die
Juden. Auch sie füllen ihr Maß an, ohne Hoffnung auf ein rettendes
Eingreifen Gottes. Das pavntote gibt eindeutig zu erkennen, dass nach
diesem Verständnis „das Maß“ eher schon überschritten ist, sodass das
Urteil Gottes an dieser Stelle nicht mehr als Einschreiten mit dem Ziel
des Zurechtrückens, sondern der endgültigen Verurteilung zu lesen
ist. Dies wird auch in der abschließenden Aussage vom Zorn Gottes
bestätigt.

(d) Der Zorn Gottes bis zum Ende

Mit der Rede vom Zorn Gottes wird zurückgegriffen auf die Heils-
zusage an die Gemeinde der Thessalonicher in 1,9f.619 Im Vergleich ist
damit eine Gegenbewegung gezeichnet. Während die Thessalonicher

617 Vgl. insbesondere Stuhlmann, Maß, 93ff. Auch Kraus, Volk Gottes, 151f., ders.,
Tod Jesu, 101 A. 54. 133. Wesentliche Stellen dabei sind Sir 23,2ff, PsSal 7,3.5;
10,1-13; 16,10. Der Beleg Mt 23,32 sei nach Haufe, 1Thess, 47, Beleg dafür
dass es sich bei der Vorstellung vom eschatologischen Sündenmaß um eine
„breite ‚biblizistische‘ Wendung [handle], der sich christliche Judenpolemik
schon sehr früh bediente, um das Strafgericht Gottes über die das Evangelium
ablehnende Synagoge zu begründen.“
618 Als Ausnahme wäre PsPhilo, LibAnt 26,13, zu nennen wo feindliche Angriffe
mit der Auffüllung des Sündenmaßes begründet werden.
619 Zum Bedeutungsspektrum des Zornes Gottes siehe die Ausführungen zu 1Thes
1,9f.
189

durch ihre Bekehrung und ihre Lebensführung, die auf Gottesdienst


und das Erwarten der Parusie ausgerichtet ist, vor dem kommenden
Zorn Gottes in Sicherheit zu sein scheinen, sind die Juden, die sich
diesem Heilsangebot entziehen, bereits diesem Zorn Gottes
ausgeliefert, und zwar eij" tevlo", was bedeutet, dass auch hier das
Maß der Begrenzung aufgehoben ist. Paulus greift hier auf eine
Formulierung zurück, die ganz ähnlich in TestLev 6,11 zu finden ist
und sich dort ebenso auf diejenigen bezieht, die sich gegen das Volk
Gottes wenden und deswegen vernichtet werden sollen.
Umstritten ist die Übersetzung des Aorists e[fqasen. Zu klären
ist, ob er auf ein konkretes, zurückliegendes Ereignis verweisen will,
wie aus dem Tempus des Aorists hervorgehen könnte.620 War dies u.a.
ein Grund für die Zuweisungen der Interpolationshypothesen,621
welche die Zerstörung des Jerusalemer Tempels voraussetzen, so
denken andere Autoren auch an die Vertreibung der Juden aus Rom
aufgrund des Claudius-Edikts622, den Tod Agrippas (44 n. Chr.), die
Hungersnot in Judäa 46/47623 etc.624 Allerdings fügten sich diese
Vorschläge nicht ohne weiteres in das Bild des endgültigen Zorns
(sieht man von der Zerstörung des Tempels ab) und wirken deshalb in
diesem Zusammenhang ein wenig konstruiert.625 Nimmt man die
Überlegungen zum Sündenmaß hinzu, legt sich eine andere Deutung
für e[fqasen nahe, etwa in dem Sinne, dass „das Zorngericht damit als
bei Gott schon beschlossene Sache ausgewiesen wird – schließlich ist

620 Eine Stütze erhhält diese These auch durch die Tatsache, dass auch die deutero-
nomistische Prophetenaussage häufig auf eine historische Situation hingedeutet
war, zunächst auf die großen Katastrophen 722 und 586, später bei Josephus auf
die Zerstörung des Tempels.
621 Vgl. Pearson, 1Thessalonians 2:13-16, 83.
622 Vgl. etwa Bammel, Judenverfolgung, 295ff.308-310; Theißen, Aporien, 537;
auch Kraus, Volk, 152. Gegen die ingressive Fassung des Aorists bei Kraus
wendet sich zurecht Konradt, Gericht, 85, wenn er anmerkt, dass nach 1Thess
5,2 keine Vorboten des Zorngerichtes zu erwarten seien.
623 Buck/Taylor, Paul, 148f.
624 Erwähnt werden außerdem der Theudasaufstand unter Cuspius Fadus (44-46 n.
Chr.) im Anschluss an den Bericht des Josephus in Ant 20,97-99; Apg 5,36)
oder der Tod von 20-30000 Juden in Jerusalem unter Ventidius Cumanus im
Jahre 49, worauf Johnson, Notes, 174f. sowie Jewett, Agitators, 205, Anm. 5
hinweisen.
625 Allerdings ist auch nicht dem Ansatz Stegemanns, Anlaß, 60f. zu folgen, wenn
er e[fqasen zu pavntote aus V. 16b zieht und übersetzt: „Stets hat sie aber der
Zorn schließlich erreicht“, was allerdings grammatikalisch schwierig zu
begründen ist und sich auch zu weit von den vorgegebenen Traditionen
wegbewegt.
190

das Maß der Sünden jetzt voll.“626 Und von daher erschließt sich auch
eindeutig die Übersetzung von eij" tevlo" als definitives, endgültiges
Urteil Gottes über die Juden.

2.4.2.4 Fazit: Was kann der 1Thess über die sumfulevtai und ihre
Angriffe auf die Thessalonicher aussagen?

Die Überlegungen zu den Versen 2,15-16 machen die schon für V.14
abgelehnte These, bei den Gegnern der Thessalonicher handle es sich
um Juden bzw. von jüdischer Seite angezettelte Agitationen, nicht
wahrscheinlicher.627 Eine genauerer Blick auf den Text kann m. E. den
polemischen Ausfall des Paulus hinreichend erklären.
Entscheidend ist dabei ein erneuter Rekurs auf die sumfulevtai.
Der Grund für die Auseinandersetzung zwischen den sumfulevtai und
der paulinischen Gemeinde dürfte wie gesagt in den Konsequenzen der
Bekehrung zu finden sein. Versteht man die Wendung sumfulevtai
eng gefasst als „Phylenmitglieder“, wie vom Brocke vorschlägt, 628
wird man die konträren Auffassungen in kultischen Belangen als
Auslöser dieser Konflikte zu sehen haben. Aber auch bei einer
offeneren Verwendung scheinen Konflikte um den Kult die
naheliegendsten Aspekte für die Auseinandersetzung darzustellen. In
diesen Auseinandersetzungen kann man möglicherweise die Lösung
dafür finden, dass Paulus mit den Juden so hart ins Gericht geht.
Beziehen sich die Anfragen auf kultische Auseinandersetzung, so sind
genau die Vorwürfe, die Paulus gegen die Juden erhebt, wohl diesel-
ben Vorwürfe, mit denen sich die Thessalonicher von Seiten ihrer
sumfulevtai konfrontiert sahen. Eventuell wurden sie von ihren
Mitbürgern als Juden beschimpft. Auch wenn sie einst Heiden waren,
dürfte ihnen bewusst geworden sein, dass ihr neuer Glaube auf den
Traditionen des Judentums beruhte.629 Kam es etwa zu Verunsicherun-
626 Konradt, Gericht, 86 im Anschluss an von Dobschütz, 1Thess, 116; Rigaux,
1Thess 452; Haufe, 1Thess, 46; Johanson, 1Thess, 522.529-531. Vgl. auch Hab
2,16; Jes 4,13; Jud 11.
627 Auch sehr hypothetisch bleibt der Versuch bei Konradt, Gericht, 91, der die
Annahme von im Hintergrund agitierenden Juden dadurch stützen will, dass er
die Aussage in Apg 18,6f, wonach ihm das Predigen in der Synagoge verboten
wird, historisch in zeitlichen Zusammenhang mit der Abfassung des 1Thess zu
bringen versucht. Jedenfalls würde damit die Ursache für den polemischen
Ausfall von den sumfulevtai abgelenkt und auf konkrete Gegner des Paulus
bezogen.
628 Zu vom Brocke s.o.
629 Gegen Fenske, Paulus, 240, nach dem Juden für die Thessalonicher nur „ein
Beispiel für ihre heidnischen Mitbürger“ sind.
191

gen, die Paulus durch seine elaborierte Argumentation beseitigen woll-


te? Jedenfalls wird trotz der Härte des Ausfalls gegen die Juden eine
Relativierung in den Überlegungen des Paulus deutlich. Es geht ihm in
keiner Weise darum, die heidnischen Vorwürfe einfach zu wiederho-
len. Argumentieren die Heiden in erster Linie in die Richtung, dass die
Juden Feinde aller Menschen sind, so ist dies auf kultische Vorbehalte
und Vorurteile zurückzuführen.630 Paulus greift dieses Vorurteil inso-
fern auf, als die kultische Abschottung der Juden auch Konsequenzen
für die christliche Mission hat. Allerdings erscheint diese Abschottung
in einem ganz neuen Licht. Die Heiden kritisierten die Juden aufgrund
der Ablehnung der Götter sowie der kultischen Praktiken, also aus
demselben Grund, warum auch die Gemeinde der Thessalonicher mit
ihren sumfulevtai in Konflikt geraten ist. Paulus hingegen deutet diese
Aussage vollkommen neu. Er relativiert dabei das pauschale Urteil der
heidnischen Umwelt gegen die Juden, indem er den Akzent darauf
legt, dass sich die Juden aufgrund ihres exklusiv verstandenen Gottes-
und Gesetzesverständnisses aktiv dem göttlichen Heilsangebot an die
Heiden verschließen würden. Deswegen ist der Vorwurf, die Juden
würden Gott nicht gefallen, keinesfalls mit dem Atheismusvorwurf
aus dem paganen Umfeld gleichzusetzen, er weist aber in dieselbe
Richtung, insofern die Haltung der Juden dem Willen ihres Gottes
zuwider läuft.

2.4.2.5 Zusammenfassung

Wie in den Vorüberlegungen angekündigt, muss erneut der Zusam-


menhang zwischen 1,6-8 und 2,13-16 verdeutlicht werden. Nur so
lässt sich die polemisch wirkende Aussage des Paulus näher erfassen.
Es konnte gezeigt werden, dass die beiden Stellen voneinander ab-
hängig sind. Durch die zweimalige Rede von der mivmhsi" liegt ein
differenziertes Strukturschema vor, das einerseits versucht, aus einer
doppelten Perspektive die Thessalonicher als vollgültige „Christen“ zu
bezeichnen, andererseits die Juden,631 die sich gegen die christliche
Mission stellen, als vom Heil ausgeschlossen betrachtet. Die Juden
werden damit also den Thessalonichern gegenübergestellt, mit den
sumfulevtai der Thessalonicher allerdings gleichgesetzt. Erweist sich

630 Vgl. die bereits zitierte Einschätzung bei Conzelmann, Heiden, 119.
631 Auch wenn die Wortwahl nahelegt, dass Paulus von den Juden insgesamt
spricht, macht dennoch der Kontext deutlich, dass es um diejenigen geht, die
sich aktiv gegen die paulinische bzw. urchristliche Mission im Allgemeinen
stellen.
192

die hier vorgetragene Interpretation als richtig, wendet Paulus also die
antijüdischen Argumente der heidnischen Gegner der thessalonischen
Gemeinde auf diese selbst zurück.
Aber die Frage bleibt bestehen – was hat Paulus zu dieser harten
Aussage veranlasst? Der Text gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass
Juden Auslöser der Bedrängnisse der Thessalonicher sein könnten.
Dennoch ist man erst zufrieden, wenn man für diesen Zusammenhang
klären kann, warum Paulus unvermittelt und so hart mit den Gegnern
ins Gericht geht. Hierfür sollte man sich noch einmal die Argumenta-
tionsstruktur der Verse 1,6-8 und 2,13-16 im Vergleich vor Augen
führen:

(1) 1,6-8 und 2,13-16 sind parallel strukturiert, da beide Stellen


nach dem Mimesis-Muster aufgebaut sind.
(2) Beide Male werden die Thessalonicher in einer Gemeinschaft
als aufgenommen betrachtet (zuerst unter den Gläubigen aus
Makedonien und Achaja, später dann unter den judäischen
Gemeinden in Palästina)
(3) Beide Male wird das Motiv der „Bedrängnis“ ausgebreitet. Im
ersten Fall sind die „inneren“ Bedrängnisse bei der Bekehrung
gemeint, im zweiten Fall sind die Verfolgungen als Konse-
quenz des neuen ihres Glaubens gemeint.
(4) Der Unterschied liegt im Schlussglied. Im ersten Teil wird die
Heilszugehörigkeit positiv begründet, während sie im zweiten
Teil den Juden gegenüber negativ bestimmt wird.
(5) Die unterschiedliche Ausrichtung der Aussagen über die Ge-
meinde liegt an den unterschiedlichen Vergleichen. So ist der
Akzent im ersten Versuch positiv bzw. aktiv gekennzeichnet:
ebenso wie die Missionare sind auch die Thessalonicher
missionarisch aktiv, zumindest „schallt“ von ihnen das Wort in
Makedonien und Achaja heraus. Im zweiten Abschnitt liegt
eine negative Deutung vor, gewissermaßen als Folge ihrer Ak-
tivität, die passiv ausgerichtet ist – sie müssen die Leiden
ertragen, die alle ertragen müssen, die zum Glauben gekom-
men sind. Hier sind allerdings nicht die Apostel der Ver-
gleichspunkt, sondern die Gemeinden in Judäa.
(6) Schließlich kann man jetzt noch versuchen, die beiden
ei[sodo"-Stellen mit in die Überlegungen einzuordnen. 1,6-8
betrachtet die bekennenden Christen der Gemeinde, 2,13-16
die Gemeinde als Ergebnis der apostolischen Arbeit. 1,9f. und
2,1-12 sind darauf zugeordnet. 1,9f. meint den verkündeten
193

Inhalt, 2,1-12 meint das Vorgehen der Mission aus der Sicht
der Missionare. Wie sich zeigt, erfolgt die Zuordnung doppelt.
Einerseits kann 2,1-12 die Parallelität der missionarischen Ak-
tivität darstellen, aber auch den Grund dafür, dass sowohl die
Thessalonicher als auch die Apostel negativ angegriffen wer-
den. Andererseits können aus 1,9f. Inhalte der Missionsverkün-
digung abgeleitet werden, die ebenso erklären können, warum
die Thessalonicher „Ärger“ bekommen haben. Insgesamt zeigt
sich also, dass die vier Textstellen 1,6-8.9-10.2,1-12.13-16 eng
miteinander verwoben sind und nur in der Aufdeckung ihrer
gegenseitigen Zuordnungen alle Aspekte des Missionsverlaufs
in Thessalonich dargestellt werden können.

Nach einer Interpretation des Zusammenhanges 1,6-2,16 ist davon


auszugehen, dass Paulus sowohl die Frage nach dem richtigen
Heilsweg als auch die Israelthematik im 1Thess sehr wichtig sind.
Eventuell ist dies ein wesentlicher Aspekt der Intention des Aufbaus
der Verse 1,6-8/1,9f./2,1-12/2,13-16. So mag der Abschnitt als
Reaktion auf den Vorwurf, die Thessalonicher seien Juden und
deswegen Feinde aller Menschen gedeutet werden. Zumindest sind der
kunstvolle Aufbau dieser Verse sowie die paulinische Umdeutung der
Vorwürfe aus dem paganen Milieu nicht zu übersehen. Nicht die
Thessalonicher sind demnach Feinde der Menschen, sondern ihre
sumfulevtai. Damit greift Paulus nicht unreflektiert und übertrieben
polemisch die Vorwürfe aus dem heidnischen Umfeld auf, sondern
relativiert sie im Hinblick auf die Herausforderungen der Mission.
Falls der Vorwurf, die Thessalonicher seien Juden und deswegen
Feinde aller Menschen, im Raum stand, läge mit 1,6-2,16 eine umfas-
sende Argumentation vor, die diesen Vorwurf eindeutig entkräften
könnte.
194

TEIL III: ZUSAMMENFASSUNG UND


AUSWERTUNG

3.1 1,6-2,12 im Zusammenhang

Ausgangspunkt der Überlegungen war der anscheinend bewusste


Aufbau der Verse 1,6-2,16. Während die Abschnitte 1,9f. und 2,1-12
jeweils von der ei[sodo" der Apostel in Thessalonich handeln, haben
die beiden rahmenden Abschnitte 1,6-8 und 2,13-16 die mivmhsi" der
Thessalonicher zum Thema. Dabei werden die unterschiedlichsten
Perspektiven abgedeckt. Grundsätzlich sind die mivmhsi"-Stellen auf
die ei[sodo"-Stellen hin formuliert. Der Eingang der Apostel wird als
Erfolg beschrieben, der sich darin zeigt, dass die Thessalonicher zu
Nachahmern wurden. Sowohl die ei[sodo", als auch die mivmhsi" sind
doppelt beschrieben. Die ei[sodo" in 1,9f. gibt den Inhalt der Bekeh-
rung wieder, die ei[sodo" in 2,1-12 hingegen expliziert das Vorgehen
der Apostel während der Mission. Die Thessalonicher werden ähnlich
auf zwei Weisen als Nachahmer charakterisiert. Zum einen sind sie
Nachahmer der Apostel und des Herrn, zum anderen Nachahmer der
Gemeinden Gottes. Der Unterschied liegt, wie in obiger Interpretation
vorgeschlagen wurde, darin, dass die Thessalonicher in 1,6 aktiv ge-
zeichnet werden, zwar nicht als fertige Missionare, aber doch als aktiv
ihren Glauben bekennende „Christen“. In 2,13-16 werden sie explizit
als Gemeinde angesprochen, die den Herausforderungen der Mission
standhält und somit auf der christlichen Landkarte als den Gemeinden
in Palästina ebenbürtig qualifiziert. Alle vier Äußerungen sind letztlich
195

ineinander verwoben und versuchen, Missionsprozess in Thessalonich


vollständig zu beschreiben. Zusammen geben sie das Ergebnis der er-
folgreich verlaufenen Mission ab. Schließlich wird auch die Polemik
gegen die Juden in 2,15f. von da her verständlich. Die Thessalonicher
werden als Nachahmer der Apostel und Christi einerseits und der Ge-
meinden in Judäa andererseits als in der Heilsgemeinschaft stehend be-
schrieben, während „die Juden“ durch die Behinderung der christli-
chen Mission aus diesem Heilszusammenhang ausgeschlossen worden
sind. Von daher ist es nicht nötig, auch unter den Gegnern der Thessa-
lonicher jüdische Agitationen zu vermuten, um die Polemik zu erklä-
ren. Dieser Rückschluss ist nur von Apg 17 her möglich, hat aber kei-
nen Anhaltspunkt im 1Thess. Dort werden nur die Gegner der Ge-
meinden in Judäa als Juden beschrieben, nicht die Gegner der Thessa-
lonicher. M.E. erklärt sich die Polemik daraus, dass die neubekehrten
„Christen“ von ihren Mitbewohnern als Juden wahrgenommen wur-
den. Paulus hätte demnach versucht, durch die ausführliche Argumen-
tation in 1,6-2,16, den Thessalonichern zu verdeutlichen, dass die ty-
pischen Vorwürfe nicht auf sie zutreffen könnten, sondern nur auf die-
jenigen, die sich der Heilszusage Gottes aktiv entgegenstellen.632
Nachdem der Gesamtzusammenhang klar geworden ist, sollen
noch einige Einzelaspekte besprochen werden, nämlich das Gottesbild
(3.2), die Christologie (3.3) sowie auf der theologische Ort des 1Thess
im Denken des Paulus (3.4). Den Abschluss soll schließlich eine kurze
Schlussreflexion bilden (3.5).

3.2 Zur Theologie des 1Thess

Die Frage nach der Theologie des 1Thess hat in den Interpretationen
bereits einen breiten Raum eingenommen. Aufs Ganze gesehen steht
die Rede von Gott im 1Thess im Mittelpunkt, nicht zuletzt weil der
Horizont der Erstverkündigung immer noch mitschwingt. Merk fasst
den Sachverhalt folgendermaßen zusammen:

„Aus der Charakterisierung und Betonung des Handelns Gottes


ergibt sich die 'theo'-logische Leitstruktur des Briefes. Allein
36mal wird in ihm unmittelbar auf Gott Bezug genommen, an
weiteren Stellen ist eindeutig er gemeint (4,6: kuvrio"; 4,9:
qeodivdaktoi verweist auf Gott); sämtliche Aussagen, die
632 Diese Interpretation scheint mir dann auch schlüssiger zu sein als die sehr
zurückhaltend formulierte Annahme, dass Paulus unmittelbare Auseinan-
dersetzungen mit Juden im Blick hat, wie Konradt, Gericht, 91 vorgeschlagen
hat.
196

Erwählung betreffend, gelten Gottes Handeln (1,4f.; 2,11f.; 4,7;


5,9; 5,23f.). ... Schon diese wenigen Hinweise machen deutlich,
daß die Gemeinde ihre Existenz dem berufenden und erwählen-
den Gott verdankt.“633

Dies wurde bereits ähnlich im Ansatz Beckers expliziert, der die Ei-
genart des 1Thess als Erwählungstheologie beschrieben hat (vgl. Kapi-
tel 1 dieser Arbeit). Im Zentrum steht dabei der Gott der Bibel. Dessen
traditionelle Wurzeln werden besonders in 1,9f deutlich. Er ist der
lebendige und wahre Gott, aber auch der zornige Gott, der über alle
richten wird, die am Tag des Gerichts nicht auf seiner Seite stehen.
Dieser Gott fordert auch völlige Unterwerfung unter seinen Willen.
Das wird durch das für antike Hörer befremdliche douleuvein mehr als
deutlich. Es gibt keine Alternative zu diesem Gott, er ist nämlich der
einzige Gott. Darauf verweist auch die Zusammenstellung der beiden
Attribute lebendig und wahr, die, wie nachgewiesen wurde, in Kombi-
nation immer in schöpfungstheologischem Zusammenhang stehen. 634
Die urchristliche Mission bricht die Begrenzung dieses Gottes auf das
jüdische Volk auf. Nicht mehr die Zugehörigkeit zum Volk der Israeli-
ten ist entscheidend, sondern die Erwählung durch Gott, die all dieje-
nigen Gemeinden bezeichnet, die wie die Thessalonicher zum Glauben
gekommen sind und den Herrn und die Apostel nachahmen.
Auch die Arbeit der Missionare ist von Gott legitimiert, wie im
Zusammenhang von 2,1-12 deutlich gemacht wird. So erfahren die
Thessalonicher, dass der Dialog mit den Missionaren zugleich immer
ein Dialog mit Gott ist, weil deren Botschaft einzig und allein göttliche
Interessen beinhaltet (vgl. 2,1-12). Paulus zeichnet dabei das Bezie-
hungsverhältnis in Familienmetaphern nach. Auch hier wird deutlich,
dass Gott diesen Beziehungsformen enthoben ist. Ihm kommt gerade
nicht die Vater- oder gar Mutterrolle im Verhältnis zur Gemeinde zu,
sondern die Rolle des Königs. Hier finden sich also bei Paulus An-
klänge an die Gottesherrschaft. Man mag dies etwa als Anspielung an
den Kaiserkult interpretieren, Ziel der Argumentation ist jedenfalls
auch hier wieder die Ausrichtung der Gläubigen auf den Weg des bib-
lischen Gottes, der durch die Missionare vorgezeichnet wird. Die
Thessalonicher sollen diesen Weg ebenfalls einschlagen, „auf dass sie
würdig Gottes, des sie Rufenden zu seinem Glanz, wandeln“ (1Thess
2,12).
In den rahmenden Stellen 1,6-8 und 2,13-16 wird hauptsächlich

633 Merk, Christologie, 369.


634 Vgl. Kapitel 2.2.2.6.
197

das Christ-Sein der Thessalonicher thematisiert. Jedoch ist auch dort


der Einfluss Gottes greifbar. In 1,7 ist es der Geist Gottes, der die An-
nahme des Wortes Gottes bei den Thessalonichern unterstützt hat.
Somit wird die apostolische Leistung erneut deutlich zurückgenom-
men und allein aufgrund der göttlichen Handlung legitimiert. Gott hat
die Thessalonicher erwählt. Sie haben das Wort Gottes angenommen,
und deswegen war die Mission in Thessalonich erfolgreich. 2,13-16
bestätigt nochmals die Heilszusage Gottes gegenüber der Gemeinde,
da dort die Thessalonicher mit den Gemeinden Gottes in Judäa gleich-
gesetzt werden. Diejenigen aber, die sich gegen dieses Heilsangebot
stellen, sind dem Zorn Gottes ausgesetzt.

3.3 Zur Christologie des 1Thess

Die Christologie des 1Thess ist, wie gezeigt wurde, in sehr „zurück-
haltender“ Weise präsentiert. Zwar sind beinahe alle wesentlichen
christologischen Hoheitstitel bereits im 1Thess vorhanden. Doch
besagt dies nichts für die konkrete Ausgestaltung der Christologie. 635
Paulus stellt einzig die soteriologischen Aspekte in den Vordergrund.
Andere christologische Aussagen wie z. B. Schöpfungsmittlerschaft
etc. werden nicht thematisiert. Der Aspekt der Schöpfung ist angedeu-
tet in der Person Gottes als lebendig und wahr (s.o.), aber grundsätz-
lich nicht von Bedeutung innerhalb der Darstellung der Christologie
des 1Thess. Christus ist in allen Belangen Gott untergeordnet. Seine
einzige Funktion ist die Rettung aus dem Zorngericht. Er wird am Tag
des Gerichtes kommen, um zunächst diejenigen, die vor der Parusie
verstorben sind, aufzuerwecken, und diese zusammen mit den dann
noch Lebenden zu entrücken.
Aber auch diese Rettungsfunktion Christi wird zuallererst legiti-
miert durch das Handeln Gottes. Grundvoraussetzung für die soterio-
logische Funktion Christi ist das Handeln Gottes. Gott hat Jesus von
den Toten auferweckt (1,10). Dies ist die Grundbedingung für die
soteriologische Retterfunktion Jesu im Endgeschehen.
In 2,1-12 kommt die Christologie nur am Rande zur Geltung. In
1Thess 2,7 bezeichnet Paulus sich und seine Mitarbeiter als Apostel
Christi, was eigentlich als Legitimationsgrund für autoritatives Auftre-
ten gelten könnte. Paulus verzichtet allerdings auf diesen Autoritätsan-
spruch, um nicht mit anderen Predigern, die nur ihren eigenen Vorteil
suchen, verwechselt zu werden. Erst durch diese Zurückhaltung wird

635 Vgl. die Hinweise bei Hahn, EWNT III, 1156f. Ihm folgt Merk, Christologie,
367.
198

er wirklich zum Apostel Jesu Christi, denn nur so vermeidet er es, sein
Missionswerk zu gefährden. Eventuell kann man auch die Funktion
der Apostel als christologisch bezeichnen. 636 Denn sie sind es, die die
Rettungsaktion Jesu beim Gericht Gottes vorbereiten. Die Gemeinden
Gottes in Jesus Christus gelten als die Gemeinden, die gerettet werden.
Aufgabe der Apostel ist es, Gemeinden zu gründen und daher
möglichst viele Gläubige zu erreichen. Denkt man diesen Gedanken in
all seinen Konsequenzen zu Ende, dann übernimmt auch die Gemein-
de der Thessalonicher bis zu gewissen Grenzen christologische Funk-
tion. In 1,6-8 werden die Thessalonicher als Nachahmer der Apostel
und des Herrn bezeichnet. Damit sind drei verschiedene Ebenen
bezeichnet. Die Heilszusage Christi wird unterstützt durch die Verkün-
digung der Apostel sowie durch die Aufnahme und Bezeugung des
Wortes Gottes durch die Thessalonicher. Zumindest in ihrem nächsten
Umfeld werden sie zu einem Beispiel des richtigen Lebenswandels.
Durch ihre Standhaftigkeit trotz erster Verfolgungserfahrungen (wie
sie nochmals in 2,14 bestätigt wird), unterstützen sie durch ihre
Vorbildhaftigkeit die christliche Mission.

3.4 Theologische Entwicklungslinien bei Paulus ausgehend vom


1Thess?

Der 1Thess ist der früheste erhaltene Brief des Paulus an eine Gemein-
de und zugleich das älteste literarische Zeugnis des Neuen Testaments.
Er unterscheidet sich von den anderen Paulusbriefen insofern, als er
zentrale Themen späterer Briefe (Rechtfertigungslehre, theologia
crucis etc.) mit keinem Wort erwähnt.637 Wesentliches Merkmal des
Briefes ist die Nähe zur Erstverkündigung. Paulus breitet keine theolo-
gischen Themen und Auseinandersetzungen aus, sondern stellt die
Erstverkündigung ins Zentrum, um durch inhaltliche Erläuterungen
zur Parusieproblematik diese zu präzisieren bzw. abzuschließen. Dane-
ben ist nur noch durch die Polemik in 2,14-16 ein weiteres wichtiges
Thema paulinischer Theologie angedeutet, nämlich die Frage nach
dem Verhältnis der christlichen Gemeinden zu Israel. Beide Themen
lassen erahnen, dass die Ausführungen innerhalb des 1Thess am

636 Dies würde überdies durch Klaucks Vorschlag bestätigt, der bzgl. des
Briefaufbaus die „apostolische Parusie“ der Parusie Christi zuordnet. Somit also
übernehmen die Apostel die Rolle Jesu, bis er wiederkommt.
637 Auf eine Einordnung der Position des 1Thess bzgl. dieser Themen soll deshalb
verzichtet werden, da diese nur indirekt erschlossen werden könnte. Hierzu sei
auf die grundlegende Übersicht in Kapitel 1.3.3.1 verwiesen.
199

Anfang einer Entwicklung stehen,638 und so soll abschließend


nochmals überprüft werden, ob die Rede von einer Entwicklung an
dieser Stelle wirklich sinnvoll vorausgesetzt werden kann.

3.4.1 Die Parusieerwartung des 1Thess

Hinsichtlich der Entwicklung der Parusieerwartung bestätigen sich


nach einer Analyse des 1Thess die Überlegungen aus Kapitel 1.3.3.1,
dass man an Hand der Äußerungen des Paulus zur Parusie eine
Entwicklung ablesen könne.
Mittelpunkt der Erwartung im 1Thess ist die baldige Parusie des
Herrn. Die Ausführungen des Paulus in 1Thess 4,13-18 sind angeregt
durch Anfragen der Gemeinde bzgl. des Heilsstatus der bereits vor der
Parusie verstorbenen Gemeindemitglieder. Paulus erklärt den Thessa-
lonichern, dass trotz des Todes vor der Parusie weiterhin Hoffnung auf
das Heil besteht. Er erklärt den Thessalonichern, dass Jesus die vor der
Parusie Verstorbenen zum Leben erwecken wird, so wie auch Jesus
selbst von Gott zum Leben erweckt wurde. Er bringt somit die Rede
von der Auferstehung der Christen in Zusammenhang mit der Aufer-
stehung Jesu Christi. Wahrscheinlich hat Paulus bei der Erstverkündi-
gung diesen Zusammenhang noch nicht explizit dargelegt, da der Sta-
tus der bereits vor der Parusie verstorbenen Gemeindemitglieder bis-
her noch nicht zum Problem geworden ist.639 Um dieses Problem zu
lösen, führt Paulus die Auferstehung der Toten bei der Parusie des
Herrn als Hilfsgedanken ein.640
Das Besondere an der Parusieerwartung im 1Thess ist nun Fol-
gendes. Paulus beschreibt die Rettertätigkeit Jesu bei seiner Parusie als
eine direkte Entrückung. Als erstes werden die Toten auferweckt und
anschließend zusammen mit den Lebenden direkt in einer Wolke ent-
rückt. Bereits im 1 Kor wird diese Vorstellung durch die Einführung
des Verwandlungsmotivs (1 Kor 15,51f.) modifiziert. Im 1 Kor ist der
Tod Einzelner nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel, und so
scheint auch Paulus die Problematik der Toten vor der Parusie vertie-
fend reflektiert zu haben. Im 1Thess ist von einer Problematisierung in
dieser Richtung noch wenig zu spüren. Paulus greift kaum ein, um die
638 Vgl. Kapitel 1.3.3.1.
639 Vgl. Brandenburger, Auferstehung der Glaubenden, 20; Sellin, Streit, 37ff.
Lüdemann, Paulus, 264, meint, dass sich nur bei der Frühdatierung eine solche
Position erklären ließe. Eine Ansetzung des Briefes in den 50er-Jahren würde
s.E. eine andere Position voraussetzen, da zu diesem Zeitpunkt schon einige
Gemeindemitglieder gestorben sein dürften.
640 Lüdemann, Paulus, 264, Anm. 147.
200

Erwartung der Thessalonicher einzudämmen. Er weist nur darauf hin,


dass der Tag des Herrn nicht berechenbar ist, sondern „wie der Dieb in
der Nacht“ (1Thess 5,9) kommt. Ansonsten ist die gesamte Argumen-
tation des 1Thess auf die Parusie zugeschnitten, und so erscheint auch
die Christologie allein in soteriologischem Zusammenhang. Das Be-
wusstsein, dass die Parusie auf sich warten lässt, reift bei Paulus also
nach und nach und führt erst sehr spät zu der Einschätzung, dass er
selbst bei der Parusie nicht mehr am Leben sein wird (vgl. Phil
1,23).641
Die Überlegungen des 1Thess stehen eindeutig am Anfang einer
sich stets verändernden Einschätzung des Paulus bzgl. des Eintretens
der Parusie. Die Anfragen der Gemeinde scheinen zum ersten Mal
überhaupt ein theologisches Nachdenken des Paulus bzgl. der Rettung
der vor der Parusie verstorbenen Christen anzuregen.642 Auch wenn
Paulus die Parusieerwartung nie gänzlich aufgibt, zeigt sich aufgrund
der „Dehnung der Zeit“643 eine einsetzende Vertiefung theologischer
Reflexion.

3.4.2 Das Verhältnis zu Israel

Als unüberwindbar wird oft der Gegensatz des 1Thess zum Röm hin-
sichtlich der Israelproblematik betrachtet.644 Die vollkommene Ver-
werfung der Juden in 1Thess 2,16 scheint schwerlich zusammenge-
dacht werden zu können mit der Argumentation in Röm 9-11, in der
auch die Rettung ganz Israels bei der Parusie erwartet wird. Allerdings
sind beide Stellen extrem kontextbezogen. Die Verwerfung „der Ju-
den“ in 1Thess richtet sich trotz der absoluten Formulierung in erster
Linie gegen diejenigen Juden, die sich der christlichen Missionsarbeit
entgegenstellen. Die Thessalonicher werden aufgrund ihrer Bekehrung
zum biblischen Gott und ihres neuen Lebenswandels von ihren Mitbe-
wohnern verfolgt und als Juden wahrgenommen. Dabei werden sie
wohl mit dem typischen heidnischen Vorwurf konfrontiert, sie seien
Feinde aller Menschen. Paulus jedoch erklärt ihnen, dass dieser
Vorwurf auf sie keinesfalls zutrifft, indem er einerseits in der ausführ-
lichen Argumentation von 1,6-2,16 die Rechtmäßigkeit ihres
641 Dazu allerdings vgl. die Ausführungen in 1.3.3.1.
642 Warum das Problem davor keine Rolle gespielt hat, sei dahingestellt.
Wahrscheinlich hat sich diese Frage für Paulus nicht gestellt, da ihm als Jude
die Vorstellung einer Auferweckung von den Toten bekannt war. Vgl. Schnelle,
Wandlungen, 39.
643 So Schnelle, Wandlungen, 41.
644 Vgl. die Überlegungen in Kapitel 1.3.3.1
201

Lebenswandels betont, andererseits diesen neuen Lebenswandel dem-


jenigen der Juden entgegensetzt. Der Vorwurf, die Juden seien Feinde
aller Menschen trifft auf die Thessalonicher nicht zu, wohl aber auf die
Juden, da diese sich gegen das von Gott angebotene Heil stellen. Im-
plizit trifft dieses Urteil dann auch die sumfulevtai der Thessaloni-
cher, da auch diese versuchen, das von Gott angebotene Heil zu behin-
dern.645
Die Überlegungen in Röm 9-11 setzen gewissermaßen an genau
diesem Punkt an. Im Raum steht das Problem, dass sich Israel gegen
das sich in Christus offenbarte von Gott angebotene Heil stellt. Paulus
schreibt an eine Gemeinde, die er nicht gegründet hat und die er kaum
kennt. Auch in der römischen Gemeinde gab es theologische Ausei-
nandersetzungen zwischen Juden- und Heidenchristen (vgl. Röm 14,1-
15,13). Um von der römischen Gemeinde akzeptiert zu werden, konnte
Paulus nicht wie im Gal die judaisierenden Positionen polemisch ver-
werfen, sondern musste sein heidenchristlich ausgerichtetes Missions-
konzept eindeutig in ein auch von Judenchristen zu akzeptierendes
theologisches Konzept integrieren. Es geht vornehmlich um die Frage
nach der Fortsetzung der Treue Gottes zu Israel auf dem Hintergrund
des Christusereignisses und der Heilszusage an die Heiden (vgl. Röm
9,14ff.; 10,3ff.).646 Paulus argumentiert, dass Gottes Erwählungshal-
tung gegenüber Israel auch weiterhin gültig ist, selbst wenn sich Israel
der Offenbarung Gottes in Jesus Christus verweigert. Allerdings
definiert er den Begriff Israel neu (vgl. schon Gal 6,16). In Röm 9,8
unterscheidet er das wahre Israel der Verheißung, also die Juden-
christen, vom Israel „nur dem Fleisch“ nach.647 Im Hintergrund steht
immer die freie Erwählungstat Gottes.648 Dies expliziert Paulus anhand
biblischer Beispiele: nicht alle Nachkommen Abrahams sind Nach-
kommen der Verheißung Gottes, sondern nur die Nachkommen Isaaks
(Röm 9,7-9), nicht der Erstgeborene Esau, sondern der jüngere Jakob
ist Erbe der göttlichen Verheißung (Röm 9,10-13). Ebenso ist die Be-
rufung der Heidenchristen auf dieses freie Handeln Gottes zurückzu-
führen (Röm 9,23-29). Dies besagt aber nicht, dass Gott sein Volk ver-
worfen hätte. Israel aber, das weiter die Gerechtigkeit durch Werke er-
645 Aber auch die gängige Interpretation, wonach sich die Polemik aufgrund
jüdischer Angriffe auf die Thessalonicher erklärt, wie von Holtz, Gericht, 314
oder Alvarez-Cineira, Religionspolitik, 280-290, vertreten wird, liegt inter-
pretatorisch auf derselben Linie.
646 Vgl. Luz, Geschichtsverständnis, 36; Räisänen, Römer 9-11, 2893; Schnelle,
Wandlungen, 81.
647 Vgl. Hübner, Israel, 17.
648 Vgl. zur Auslegung Schnelle, Wandlungen, 82.
202

langen will, erkennt nicht, dass diese nur noch durch den Glauben an
Jesus Christus, dem Ende des Gesetzes (Röm 10,4), zu erlangen ist.
Die entscheidende Frage stellt Paulus in Röm 11,1: „Hat Gott sein
Volk verstoßen?“ Dagegen wendet sich Paulus. Zwar deutet sich be-
reits an, dass sich die christlichen Gemeinden mittlerweile überwie-
gend aus Heidenchristen zusammensetzen, jedoch hat sich auch eine
gewisse Anzahl an Juden zu Gott bekehrt, gewissermaßen der „Rest“
Israels (Röm 11,5).649 Das restliche Israel aber ist verstockt (Röm
11,7). Hier nun stößt Paulus zu seinem eigentlichen
Argumentationsziel durch: er gibt die Rettung Israels nicht auf,
sondern sieht in der Heidenmission einen Weg zur Rettung Israels –
durch den Übergang der Erwählung auf die Heiden soll Israel eifer-
süchtig werden und ebenfalls zum Glauben gelangen (Röm 11,12f.).
Sobald aber die „Fülle“ der Heiden bekehrt ist, kann die Verstockung
überwunden und ganz Israel gerettet werden (Röm 11,25-27). Die Ret-
tung Israels, die Aufhebung der Verstockung erwartet Paulus bei der
Parusie Christi, wie er durch den Bezug auf Jesaja 59,20f. deutlich
macht: „Der Retter wird aus Zion kommen, er wird alle Gottlosigkeit
von Jakob entfernen.“ Paulus erwartet also ein endzeitliches Handeln
Gottes, bei dem ganz Israel zum Glauben kommen wird, denn nur im
Glauben ist die Erlangung des Heils möglich (vgl. Röm 11,23).650
Holtz651 versucht aufzuzeigen, dass der Unterschied zwischen
1Thess und Röm nicht unüberwindbar ist. Denn zweifellos bezieht
sich der polemische Vorwurf gegen die Juden, der Zorn sei bereits
über sie gekommen, auf diejenigen Juden, die sich der Mission aktiv in
den Weg stellen.652 Zudem wird man damit rechnen können, dass sich
die paulinische Mission nicht allein auf Heidenchristen beschränkt,
sondern sich auch an die Mitglieder der Synagoge richtet, wie Paulus
etwa in 1 Kor 9,20 selbst bestätigt. 653 Und ebenso setzt der Röm die
Position voraus, dass die Juden, die nicht an Christus glauben, außer-
649 Zur Vorstellung des Restmotivs vgl. Hübner, Israel, 101f.
650 Zur ausführlichen Interpretation von Röm 11,25-27 vgl. Hahn, Verständnis,
227; Luz, Geschichtsverständnis, 288f. Die Einschränkung auf den Glauben
macht deutlich, dass Paulus wohl nicht daran denkt, dass wirklich das gesamte
ethnische Israel (vgl. Röm 9,6!) gerettet wird. Zwar ist zu erwarten, dass durch
die Aufhebung der Verstockung möglichst viele Israeliten erwählt werden,
allerdings ist in Röm 11,14 das Ziel einschränkend formuliert: Paulus will
wenigstens einige seiner Landsleute retten. Das Ziel freilich ist die Rettung
aller. Zur Problematik vgl. Schnelle, Wandlungen, 84f. mit Verweis auf
Käsemann, Röm, 295.
651 Vgl. Holtz, Gericht.
652 Vgl. Holtz, Gericht, 314.
653 Vgl. Holtz, Gericht, 324f.
203

halb des Heils stehen.654 Aber dennoch sollte man vorsichtig sein bei
einer Harmonisierung beider Positionen. Argumentationsziel des Röm
ist die Rettung aller Juden beim Endgeschehen, während der 1Thess
nur die Rettung derjenigen thematisiert, die zum Glauben an Gott ge-
kommen sind und sich in ihren Lebenswandel ganz auf die kommende
Parusie ausgerichtet haben. Ist das Ziel der christlichen Mission nach
dem 1Thess die Rettung möglichst vieler vor dem Zorn Gottes, so be-
gründet Paulus in Röm 9-11 die Heidenmission damit, dass er Juden
eifersüchtig machen und zur Öffnung für das Heil provozieren will.
Beide Positionen lassen sich auf den jeweiligen Kontext im Brief zu-
rückführen. Doch es bleibt zweifelhaft, ob Paulus auch schon im
1Thess das Ziel verfolgt hat, durch die Heidenmission die Juden zu
retten.655 Dafür wirkt das allgemeine Urteil, dass der Zorn bis zum En-
de über Israel hereingebrochen sei, .in 2,16 doch ein wenig zu hart.
Entscheidend für den Unterschied beider Positionen ist aber eine
andere Beobachtung. Interessanterweise gipfelt die Argumentation in
Röm 11,25-27 in der Aufnahme von Jes 59,20f. Diese Passage hat
Paulus nach Wilk auch im Kopf, wenn er im 1Thess seine Überlegun-
gen zur Parusieerwartung verschriftlicht. 656 Ist Wilks Interpretation
richtig, so ist die Interpretation von Jes 59,20f. als wichtiges Kontinu-
um paulinischer Theologiebildung zu betrachten. Zugleich aber sind
Differenzen in der Anwendung des Zitats zu erkennen. Wie bereits er-
wähnt setzt Wilk für den Röm eine erneute Beschäftigung des Paulus
mit dem Jesajabuch voraus.657 Den Unterschied macht Wilk dann wie
folgt deutlich:

„Wie aber lässt sich diese neue Ausrichtung der Jesajarezeption


im Römerbrief charakterisieren? Im Blick z.B. auf Röm 11,2ff. –
wo Paulus diejenige Polemik gegen Israel abweist, die er in
1Thess 2,15 selbst geübt hat – könnte man versucht sein, sie als
Wandel im Verständnis der Jesajatexte zu werten. Solch ein
Postulat ist jedoch mit Schwierigkeiten behaftet: Man müßte
annehmen, der Apostel hätte seine frühere Auslegungsweise im
großen Stil korrigiert, ohne dafür wirklich Belege nennen zu
654 Vgl. Holtz, Gericht, 317-322.
655 Selbst Holtz, Gericht, 325, gesteht zu, dass Paulus den Gedanken der Rettung
aller Juden möglicherweise erst bei der Ausformulierung des Röm gewonnen
hat, misst dem aber keinen entscheidenden Bedeutungsunterschied zu.
656 Zur Position Wilks, vgl. Abschnitt 1.4 dieser Arbeit.
657 Vgl. Wilk, Bedeutung, 404f. Siehe dazu Anmerkung 130 dieser Arbeit. Auf die
Bedeutung der Schrift als Motor für die Weiterentwicklung paulinischer
Theologie verweist auch Kraus, Volk Gottes, 358.
204

können. ... Aufschlussreich ist insbesondere der paulinische


Umgang mit Jes 59,20. ‚kai; h{xei ejk Siwn oJ rJuovmeno" kai;
ajpostrevyei ajsebeiva" ajpo; Iakwb.’ Anders als in 1Thess 1,10;
5,9f. nimmt Paulus diese Prophetie in Röm 11,26 insofern beim
Wort, als er sie hier ihrem Wortsinn gemäß auf Israel deutet; die
– gleichsam übertragene – Deutung auf die Christengemeinde ist
damit jedoch nicht widerrufen oder für ungültig erklärt.
Demnach kann man die Neuorientierung seiner Jesajarezeption
wie folgt kennzeichnen: Im Römerbrief, zumal in Röm 9-11,
liest der Apostel die betreffenden Jesajatexte in ihrem – seinem
Verständnis nach – ‚ursprünglichen‘ Sinn, der auf das Handeln
des in Christus sich offenbarenden Gottes am Volk Israel zielt. In
früheren Briefen hingegen deutet er diese Texte in universalisie-
render, jenen Ursprungs-Sinn modifizierender Weise auf das
Christusgeschehen insgesamt. Letztere Lesart wird durch die
erstgenannte aber nicht abgelöst, sondern ergänzt.“658

Der eigentliche Fortschritt in den paulinischen Überlegungen zur Isra-


elproblematik vollzieht sich also erst in den Ausführungen zum Rö-
merbrief. Lässt sich bereits in den Korintherbriefen sowie im Galater-
brief erahnen, dass sich Paulus immer intensiver mit der Problematik
des Verhältnisses der christlichen Mission zu Israel auseinander-
setzt,659 so interpretiert er noch im Gal (vgl. Gal 6,16) den Israelbegriff
einzig auf die Gläubigen in Christus hin, während erst im Röm auch
das ursprüngliche Israel (wenn freilich auch problematisierend, vgl.
Röm 9,6) wieder mit einbezogen wird. Die Weiterentwicklung der
paulinischen Aussagen aber entspringt nicht einfach der Willkür oder
einfachen Abwehr gegnerischer Positionen. Wie Wilk zeigen konnte
ist das Kontinuum all dieser Aussagen stets in der Auseinandersetzung
des Paulus mit der Heiligen Schrift zu suchen.

658 Wilk, Bedeutung, 363.


659 Vgl. die Ausführungen in Kapitel 1.3.3.1 zur Israelfrage.
205

3.5 Ausblick

Der 1Thess bietet einen vollständigen theologischen Entwurf, der sich


eindeutig von der Theologie der späteren Briefe unterscheidet, aber
diesen keinesfalls entgegensteht. Die Ausführungen im 1Thess sind
noch nicht in ihrer Fülle mit den Aussagen der späteren Briefe zu
vergleichen, jedoch ist zu erkennen, dass in späteren Briefen einzelne
Themen an entscheidenden Punkten weiterentwickelt worden sind.
Gerade die theologische Gesamtkonzeption verleitet einige Autoren,
auch für den 1Thess die Rechtfertigungslehre vorauszusetzen (vgl.
Hahn, Kap. 1.3.3.2). Es ist allerdings nicht möglich, eine Aussage über
den Reflexionsstatus bzgl. der Rechtfertigungslehre zu machen. Der
eigenständige, aber auch sehr knappe Entwurf problematisiert das Ge-
setz nicht, er setzt es schlicht und ergreifend nicht voraus, da eine
Auseinandersetzung mit jüdischen Positionen im 1Thess nicht nötig zu
sein scheint. Auch macht das harte Urteil gegen die Juden in 2,15f.
deutlich, dass für Paulus die Frage nach einer Integration Israels in das
Heilsangebot Gottes durch Jesus Christus und somit die Rechtferti-
gungslehre im 1Thess (noch) keine Rolle spielt. 660 Schließlich konnte
gezeigt werden, dass die Polemik gerade nicht den Fokus auf die
Abwehr jüdischer Positionen gerichtet hatte, sondern auf die Identifi-
zierung der thessalonischen Christen durch ihre Mitbewohner als
„Juden“.
Der 1Thess gibt sozusagen „frei“, ohne den Einfluss der Diskus-
sion des Paulus mit judaisierenden Gegnern, Auskunft über das pauli-
nische Verständnis des Heilsangebotes Gottes in Christus. Und genau
das macht den Brief so interessant. Und von da her wird auch deutlich,
warum einige Exegeten der Meinung sind, dass von der „Sache“ her
bereits im 1Thess die vollständige paulinische Theologie vorliege.
Dies aber, so wurde argumentiert, wäre eine Reduktion. Die theologi-
sche Leistung des Paulus zeigt sich ja gerade in der Lösung der durch
seine Gegner aufgeworfenen Positionen. Aber dennoch darf dabei die
Position des 1Thess nicht in Vergessenheit geraten. In seiner „Reduk-
tion“ kann er sowohl für die paulinische als auch für die moderne
Theologie immer wieder als Beispiel herangezogen werden, dass es
hilfreich sein kann, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, um
somit theologische Barrieren zu überwinden. Damit werden weder die
„späteren“ theologischen Errungenschaften des Paulus noch die bedeu-
tenden protestantischen Auslegungen bzgl. der Rechtfetigungslehre

660 Zum Zusammenhang von Rechtfertigungslehre und Israelproblematik vgl.


Schnelle, Wandlungen, 87.
206

hinfällig. Die Position des 1 Thess steht ja schließlich nicht im Wider-


spruch mit solchen Konzepten – das haben insbesondere die Gegner
der Entwicklungstendenzen im paulinischen Denken schlüssig zeigen
können. Bewiesen haben sie allerdings nicht, dass die Rede von einer
Weiterentwicklung der paulinischen Theologie heuristisch nicht
wertvoll sein kann. Der 1Thess gibt – setzt man seine Positionen in
Dialog mit den späteren Briefen – Auskunft über die Entstehungsbe-
dingungen der paulinischen Theologie. Schließlich darf die Stimme
des Briefes nicht überhört werden, richtet sie sich doch – wendet man
den Vorwurf aus 2,15f. ins Positive – an die „Freunde aller Men-
schen“, wie er den Thessalonichern zu verstehen gibt. Diese universale
Öffnung des Heils auf die gesamte Menschheit hin ist der Kern der
Auseinandersetzung des Paulus mit den „Juden“ im 1Thess, der auch
seinen späteren theologischen Überlegungen zugrunde liegen wird.
Schließlich muss diese Identifizierung der Thessalonicher als zeitloses
Identifizierungskriterium für jede christliche Position gelten – nur
wenn Christen Freunde aller Menschen sind, sind sie dem 1 Thess zu-
folge auch wirklich Christen.
207

Literaturverzeichnis

Die folgende Bibliographie enthält die in den Anmerkungen mit


eindeutigen Kurztiteln abgekürzt zitierte Literatur. Abkürzungen von
Lexika, Zeitschriften und Sammelwerken richten sich nach: Theologi-
sche Realenzyklopädie. Akürzungsverzeichnis, zusammengestellt von
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Kommentare zu biblischen Büchern werden in den Anmerkungen mit


der Abkürzung der jeweiligen Schrift zitiert.

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