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1*
(Hctd) dem Vtcuen Testament.)
Von
Heinrich Schlier.
I.
B e i der Frage, ob und in welchem S in n die Heiden schon vor
der Verkündigung des E vangelium s um G ott wissen, ist von der
Tatsache auszugeben, die das N eue Testament deutlich bezeugt:
D a ß G o t t , d e r S c h ö p f e r , si ch d e n M e n s c h e n i n
e i n e r u r s p r ü n g l i c h e n w e i s e , näml i ch a u s dem
G e s c h a f f e n e n s e l b s t , zu e r k e n n e n g i b t . D avon spricht
Rom. i, 19— 20 in klaren W orten: „. . . denn das, w as von G ott
erkannt werden kann, ist ihnen offenbar; denn G ott bat es ihnen
offenbar gemacht. Denn sein unsichtbares W esen wird seit der
Schöpfung an dem Geschaffenen wahrnehmbar erschaut — seine
ew ige R raft und G otth eit — , so daß sie keine Entschuldigung
b a b e n , D i e Grundthese enthalt V . jga: G ott, sow eit er er
kennbar ist, ist den Menschen bekannt, w a r u m ? D ie A ntw ort
1.
D ie erste S t e ll e , die h ie r in B e tr a c h t k o m m t, ist A p g. i 7 ,
1 6 — 3 4 . A u s diesen S ä tz e n ist f ü r unsere F r a g e e in m al ersicht
lich, d aß G o tt, d e r S c h ö p fe r u n d H e r r , sich den H e id en im m e r
noch g e g e n w ä rtig b ezeu g t. E r lä ß t sich v o n den V ö lk e rn d e r
einen M e n sc h h e it, d e re n Z eiten u n d G ren z en e r b estim m t, suchen
(V . 26 f.). E r e rw e ist seine G e g e n w a rt in seinen W e rk e n . E in
H in w e is a u f ih n ist u n te r a n d e re m d e r M ensch selbst, v o n dem
bei w a h r e r G o tte s e r k e n n tn is die G o tth e it G o tte s ersehen w e r
den k önnte (V . 29). B e z e u g u n g e n G o tte s sind auch die n a t ü r
lichen w o h l t a t e n , die e r den M enschen erw e ist u n d in denen er
sich a ls d e r fü rs o rg e n d e E r h a l t e r d e r V ö lk e r e rfa h r e n lä ß t, A pg.
14, 16 f. D ie P e r ik o p e in A p g . 17 zeigt noch ein zw e ite s, näm lich
d ie s, d aß die H e id e n u n te r U m stän d en a u f diese B e z e u g u n g G o t
te s auch achten, d a ß sie sein a u s dem G eschaffenen a n sie e rg e h e n
d es G e b o t, ih n zu suchen, auch befo lgen. T ro tz d e r V erschlossen
h e it g eg en ü b er dem u rs p rü n g lic h e n A n spruch G o tte s a u f E h r e
w ir k t d ieser doch noch a u s die H eid en ein, so d aß sie sich ih m nicht
en tzieh en können. D e s h a lb e rric h te n sie in fr o m m e r S c h e u den
A l t a r f ü r den „ U n b e k a n n te n G o tt " . D e s h a lb lo b t d e r A postel die
A th e n e r auch: „ich sehe w ie i h r in jeder w e i s e se h r g o ttessü rch -
tig seid" (V . 22). S i e w en d en ih r e S ch e u G o t t zu. A b e r n u n ist
d a s E ntscheidende d a s D r i t t e , w a s u n se r T e x t noch zeigt: w o sich
H eid en dem in d e r W e l t stän d ig ergehenden R u se G o tte s nicht
en tzieh en , d a e rric h te n sie einen A l t a r dem u n b e k a n n t e n
G o t t u n d geben so zu v e rste h e n , d aß sie um den b ekannten G o tt
nicht w issen. G e ra d e d o r t, w o sie sich dem E r w e is G o tte s im G e
schaffenen nicht v e rs a g e n , v e r r a t e n sie, d aß sie sich ih m schon
v e r s a g t h a b e n : sie v e r e h r e n den b ekannten G o t t a ls den un b e
k an n ten . G e ra d e d o r t, w o H eid en sich dem A n blies des offen b aren
•’>) Freilich, sollte man nicht sagen, daß sich dem Einsichtigen die geheime
superbia dieser Tugenden schon in einer gewissen angestrengten Art, tugend-
haft zu sein, verrät? I h r inneres Ziel enthüllt sich jedenfalls in einer gewissen
Erstarrung des Lebens, die dort eintritt, w o solche Lugend längere Zeit
geübt wird.
ti) I n der Zeit der Rieche und das heißt in der Zeit der mit Jesus Chri
stus begonnenen Brise der W elt, kommt dieses retardierende Moment des
Achtens auf den Anspruch der Wirklichkeit umsaffend darin zur Geltung,
daß das römische Imperium und im weiteren S in n die geordnete politische
Macht als das erscheint, was den Antichristen „niederhält", „bannt" (rö
Kat €) tov, b;w. o v, r.Theff. r ,; ff.). Solange der iustitia civilis die An
forderungen der Wirklichkeit noch einigermaßen klar zugängig sind, ist es
nicht möglich, daß sich der Antichrist, „der Mensch der Anarchie", „der Sohn
des Untergangs" als Gegner Gottes über alles, was Gott oder Gottesdienst
genannt wird, hinwegsetzt, an die Stelle Gottes in der Rirche tritt und sich
kraft feiner Zeichen und Wunder für Gott ausgibt. Solange ist der w id e r
stand der geordneten W elt, das Schwergewicht der geschaffenen W elt zu
groß. Erst wenn in der Zeit des Abfalls der Glaube nicht mehr die 'Kraft
hat, den natürlichen Blick für die Wirklichkeit offen zu halten, wenn der
S in n für das Rechte durch die Begierde nach Zweckmäßigem betäubt und die
Ordnung durch ihre Hüter selbst fundamental zerstört wird, ist der Boden
für den Antichristen bereitet, der ja nicht ein geistiges Prinzip, sondern eine
reale endgeschichtliche Macht ist.
E vangelische T heologie 2
') V gl. dazu das reiche und schone Buch von Theodor H a c k e r , V ergil,
V ater des Abendlandes. - is ; z . Ulan kann auch an Augustin denken, dem
V ergil als poetarum quidam in R om ana lingua nobilissimus ein B ü rge für
die W ahrheit der S ib ylle ist. V gl. die Inchoata expositio des Xömerbriefes
zu Köm. 1,
8) Ich wähle diese Übersetzung, w eil dadurch der Sachverhalt des mit
<To<pia Gemeinten am umfassendsten zum Ausdruck kommt. D a s t v meint
<= v Tij
fachlich Hier zugleich in, unter, an, durch. D ie W eish e it G ottes ist ja die im
Geschaffenen die Uienfchenwelt umgebende, gleichsam einhüllende, ihr sich
anbietende, sie angehende W eish eit.
S t o v und dir 0-091« toü Koa/iov d as gem einsam haben, daß sie eben beide <ro<pia
sind, die Einsicht gew ährt, w ährend d as /oi/«"/«« a ls d as A u sru fen ein es
Geschehens und ein er Tatsache zunächst nicht Einsicht, sondern A nnahm e und
G lau ben v e rla n g t, um dann erst Einsicht des G lau b en s zu gew ähren. D er
Gegensatz 0-091« — Ktjpvy/ni ist also hier prim är ein form aler und die utapia
ist h ier prim är nicht die des I n h a lt e s , sondern die der F orm des R ery g m a s.
F reilich hängt die F orm im w eiteren S in n m it dem I n h a l t eng zusam m en.
10) Konkret ist die <ro<pla der <ro<pol in K o rin th nicht die griechische
Philosophie der Zeit, freilich auch nicht wie S ch iatter meint, W eisheit, die
die „jüdische Überlieferung fortsetzt", sondern „Gnosis" oder Theosophie,
die P a u lu s freilich — im Anschluß an das alttestamentliche Z itat — im Lichte
jüdischer W eisheit sieht und beschreibt. I n der Konsequenz ist aber jede
Philosophie als System profane Theosophie. M a n denke an Hegel und
Nietzsche.
H ) „Aus einem solchen, verhältnism äßig hohen' Standpunkte, auf wel
chem sie alles Hinter und gewissermaßen unter sich Hatten (— in der T a t ist
es kein hoher, sondern n u r der letzte S tandpu n k t; beides aber w ird von den
.Gebildeten' der alten wie der neuen Zeit, die sich niem als durch Scharfblick
und Denkkraft ausgezeichnet Haben, stets verwechselt —), erschien ihnen der
gekreuzigte C hristus a ls ein unfertiges und ungeschicktes Religionsexperi
ment auf einem ganz untergeordneten, von ihnen längst überlebten und über
wundenen Standpunkte. E r erschien ihnen, die schon alles, w as ihnen R eli
gion w ar, befaßen oder vielm ehr besessen hatten, . . . nichts weniger als
gefährlich, sondern nur lächerlich; wenn sie über ihre schönen G ö tter längst
hinausgekommen, wie sollte ihnen der häßliche, gekreuzigte G o tt irgend
etw as anders abgewinnen als ein m itleidiges Lächeln?" A. F. G. V i l m a r ,
Zur neuesten Kulturgeschichte Deutschlands II, j 99 f. ( 1S5 S).