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Leo Scheffczyk

Schöpfung als Heilseröffnung

Schöpfungslehre

M M Verlag 1997
C IP -T ite la u fn a h m e der D eu tsch en B ib lio th e k
K a th o lisch e D o g m atik
L e o S c h e ff c z y k - A n t o n Z i e g e n a u s
Bd. III: S c h ö p fu n g als H eils erö ffn u n g
Leo S ch effczy k
M M Verlag, A ach en , 1. A ufla ge A pril 1997
IS B N 3 -9 2 8 2 7 2 -5 1 -9

© C o p y rig h t 1997 by M M Verlag, A ac h e n


A lle R e ch te Vorbehalten
U m sch la g g e sta ltu n g : M M A g en tu r
G esetzt aus der Tim es
G e sa m th e rste llu n g : C la usen & B osse, L eck
P rin ted in G erm an y
Inhalt

V orwort 9

Kapitel I:
V orfragen zur S ch öp fu n gsleh re
§ 1: Die Schöpfungswahrheit im modernen Denken 11
I. Eine sprachliche W iederentdeckung? 12
II. D istanzierungen seitens der W issenschaften 13
1) Philosophische Einwände 13
2) Die „A ufhebung“ der Schöpfungswahrheit in der
neomarxistischen Philosophie 15
3) Kritik seitens der Naturw issenschaften 17
4) Das polare Gott-Welt-Verhältnis in der Prozeßtheologie 22
III. A nnährungen des modernen Denkens an die S chöpfungswahrheit 25
1) Philosophische Öffnungen 25
2) Die Entgrenzung in den N aturw issenschaften 27
§ 2: Theologische Bedeutung, Aufgabe und A usform ung der
Schöpfungslehre 32
I. U nbeständigkeiten in der Schöpfungslehre 33
1) B ewegungen innerhalb der katholischen Theologie 33
2) Ambivalenzen innerhalb der evangelischen Theologie 36
II. Die theologische Bedeutung der Schöpfungslehre 40
1) Die Explikation des G ottgeheimnisses 40
2) Die Erschließung des Weltgeheim nisses 43
3) Die Erhellung des G eheimnisses des Menschen 49
III. A ufgabe und A usform ung der Schöpfungstheologie 51
1) Die O rientierung an der H eilsgeschic hte 52
2) Schöpfungstheologie als C hristozentrik 54
3) Die eschatologische A usrichtung der Schöpfung auf die
Vollendung in Christus: die Christusfinalität 55

Kapitel II:
Die göttlich e S ch öp fu n g als A nfang der H eilsgesch ich te
§ 3: Die göttliche Schöpfung als U rgeschichte im Alten Testament 58
I. Das literarische Genus der Schöpfungsberichte 59
1) Mythos und Wahrheit der Schöpfungsberichte 59
2) Der geschichtliche Gru ndzug 65
3) Die geschichtliche Ä tiologie 69
II Die Grundelem ente des priesterschriftlichen
Schöpfungsglaubens 72
1) Schöpfung als göttliche Urhebung 72
2) Die theologische Bedeutung der G üteformeln 73
3) Das Vollendungsziel im „Schöpfungssabbat“ 75
4) Die G ottebenbildlichkeit des M enschen (Gen 1,27f.) 76
5) Die schöpfungsgemäße Geschlechtlichkeit 77
III. Die jahw istische Schöpfungsgeschichte als Darstellung von
Gottesnähe und Gottentfremdung der Schöpfung (Gen 2,4b-3,24) 77
1) D er anthropozentrische Zug der J-Erzählung 78
2) Die Gottesfreundschaft des M enschen 79
3) Die Gottentfremdung des M enschen 79
4: Die Resonanz des S chöpfungsglaubens im Gesamt des
Alten Testamentes 80
1) Das heilsgeschichtliche Konzept des D euterojesaja 81
2) Das Schöpferlob in den poetischen Texten 82
3) Die Verankerung des Schöpfungsglaubens im Kult 84
4) Das Schöpfungs werk in der Weisheitsliteratur 85
5) Erhaltung und Vorsehung 86
5: Die Vollendung der Schöpfungsoffenbarung im N euen Testament 87
I. Kontinuität und D iskontinuität zwischen alt- und neutestam entlichem
Schöpfungsglauben 88
1) Die ethische Fassung des Schöpfungsgedankens
bei den Synoptikern 88
2) Die geschichtstheologische Ausrichtung bei Lukas 90
II. Die „Schöpfung in Christus“ als Spezifikum der neutestam entlichen
Schöpfungs-Verkündigung 91
1) Die Schöpfung „im Wort“ bei Johannes oder die L ogosschöpfung 92
2) Der kosm ische Christus bei Paulus 92
6: Die Entfaltung der Offenbarungswahrheit zum D ogm a der Kirche 95
I. Das biblische Erbe in der frühen Tradition 97
1) Die apostolischen V äter und die frühchristlichen
Kirchenschriftsteller 97
2) Die Versuche zur A ssimilierung des Hellenismus in der
V ätertheologie 100
II. Die rational-doktrinäre S chöpfungstheologie des Mittelalters 103
1) Das Vordringen der neuplatonischen M etaphysik 103
2) Scholastische S ystembildungen 105
3) Entw icklungslinien in der Neuzeit 107
III. Marksteine der dogm engeschichtlichen Entw icklung 108
1) Frühe Bekenntnisform eln 108
2) Das Bekenntnis zur Schöpfung in den ersten Symbolen 109
3) Mittelalterliche D ogmatisierungen 110
4) Die neuzeitliche Lehrverkündigung 111
5) Neue A kzentsetzungen des Zweiten Vatikanums 112

K apitel III:
D ie g ö ttlich e Sch öp fu n g im d ogm atisch en A spekt
§ 7: Die Trinität als Grund der Schöpfung 114
I. Die positive Bestim m ung des trinitarischen Schöpfungsgrundes 115
1) Der Ansatz in der Schrift 115
2) Das Zeugnis der Tradition 119
3) Die Lehre der Kirche 120
II. Die theologische B egründung der trinitarischen Vermittlung der
Schöpfung 121
1) Bedeutung und Probleme der theologischen Auslegung 121
2) Die innertrinitarische Ordnung als A usgangspunkt 124
III. Die theologische Explikation der personalen B esonderungen im
S chöpferhandeln 125
1) Die Schöpfung als „Werk des Vaters“ 125
2) Die Schöpferrolle Christi 127
3) Der Geist im Werk der Schöpfung 130
4) Trinitarische Abbildlichkeit? 132
§ 8: Die Souveränität des göttlichen Schöpferhandelns in der
„creatio ex nihilo“ 133
I. Zur Begriffsgeschichte 135
1) Die Nähe zum biblischen Denken 135
2) Die Bekräftigung in der frühen Tradition 136

3
3) Die Übernahm e in die kirchliche Lehrverkündigung 138
II. Der theologische Gehalt der Form el 138
1) Die theologische und religiös-existentielle Bedeutung 138
2) Die Einw ände gegen die „S chöpfung aus dem N ichts“ 140
3) Die Verifizierung der Form el und die verbleibende Schwierigkeit 142
III. Die Souveränität des Schöpfers über die Zeit 144
1) Die Glaubensaussage über den Anfang mit der Zeit 144
2) Die philosophische Frage nach der Möglichkeit einer anfanglosen
Schöpfung 146
§ 9: Die Freiheit des Schöpfers und der göttliche Sinn der Schöpfung 148
I. Souveränität und Freiheit Gottes 148
1) Die heilsgeschichtliche B egründung 149
2) Die theologische Verifizierung 152
II. Motiv und Ziel der Schöpfung 154
1) Das „W arum“ und „W ozu“ der göttlichen Schöpfung 155
2) Das Problem des selbstbezogenen Handelns Gottes 156
III. Die K onkretion des Weltzieles in Christus 159
1) Christus als Urbild der Schöpfung 160
2) Christus als primäres Ziel der Schöpfung 162
IV. Die Güte der göttlichen Schöpfung 163
1) Der biblisch-christliche O ptim ismus 164
2) Christlicher Glaube und tragische Weitsicht 166
§ 10: Gottes Weg mit der Schöpfung: Erhaltung und Vorsehung 168
I. Die w eitergehende Schöpfung 169
1) N otw endigkeit und Bedeutung der Differenzierung 169
2) Das Zeugnis der G laubensquellen 172
3) D er N iederschlag in der Lehre der Kirche 174
II. Das Zusam m enw irken von Schöpfer und G eschöpf 175
1) H erkunft des „concursus-divinus“-Begriffes 175
2) T heologische A pplikation 176
III. Die göttliche Vorsehung als Zielführung der G eschöpfe 178
1) H erkunft und geschichtliche Vieldeutigkeit des Begriffes 178
2) Die offenbarungsgem äße Vereindeutigung 181
3) Erkennbarkeit und Geheim nis der göttlichen Vorsehung 185
§ 1 1 : Christlicher Schöpfungsglaube und naturwissenschaftlicher
Evolutionsgedanke 191
I. Zur Geschichte des theologisch-naturwissenschaftlichen Disputs 192
1) Distanz und A nnäherung der Theologie 192
2) Die A ntw ort des kirchlichen Lehramtes 195
II. Die theologische Bestim m ung des Verhältnisses zwischen Schöpfung
und Evolution 200
1) Die A ufgabe der Theologie 200
2) Der Zusam m enhang von Schöpfung und Evolution 206

Kapitel IV:
D e r M e n s c h in d e r S c h ö p fu n g G o tte s
§ 12: Der M ensch als G eschöpf in U nm ittelbarkeit zu Gott 211
I. G rundaussagen des Alten Testamentes über den Menschen 212
1) G eschöpflichkeit als W esensmerkm al 212
2) Die Sonderstellung des M enschen in der Schöpfung 214
3) Die Erschaffung der Frau und die schöpfungsgemäße
geschlechtliche Differenzierung 216
4) Der M ensch als gottbezogenes Wesen 219
II. Der Mensch im Licht des N euen Testamentes 222
1) Das Erbe des Alten Testamentes 222
2) Die neuen Züge 223
III. Die G ottebenbildlichkeit des Menschen 225
1) Der alttestamentliche Befund und die Vielgestaltigkeit seiner
Interpretation 225
2) Die theologisch-systematische Bestim m ung der
G ottebenbildlichkeit 228
IV. Die Vollendung des Ebenbildseins in der Christusbildlichkeit 231
1) Der eingeborene Sohn als vollkomm ene imago 232
2) Der M ensch als Bild oder Abbild Christi 233
§ 13: Grundlagen christlicher A nthropologie 234
I. Theologie und Hum anw issenschaften 236
1) Zur G eschichte der A nthropologie 236
2) Der Aufgang der Human Wissenschaften als Auftrag an die
Theologie 239
3) Kritische Offenheit 242
II. Das Menschenverständnis in den L ehrzeugnissen der Kirche 245
1) Die antidualistische Tendenz der altkirchlichen Lehrverkündigung 246
2) Die Einheit des M enschen als A nliegen der Kirchenlehre des
Mittelalters 248
3) Distanz und Öffnung zum modernen Denken 250
III. Der W esensbestand des M enschen 252
1) Die Geistleiblichkeit des Menschen 252
2) Die Geistleiblichkeit als Person 257
3) Die geschlechtliche Bipolarität als Ausprägung des einen
menschlichen Wesens 260
4) Der Ursprung des M enschen 263
§ 14: Die Schöpfung als Auftrag des M enschen 266
I. Der M ensch als Gottes M andatar in der Beherrschung der Welt 267
1) Überhobenheit in Verantwortung 267
2) Das Verhältnis zu den Tieren 269
3) Zur Deutung des dominium terrae in der Geschichte 270
4) Der Sinn der M itgeschöpflichkeit 271
II. Der Schöpfungsauftrag als Weltarbeit 275
1) Der Sinn der Weltarbeit 276
2) Die ökologische Aufgabe 279
3) Das Problem der Technik 281

Kapitel V:
Die E ngel als dien en d e G e is te r in Schöpfung und H eilsgesch ieh te
§ 15: Die Existenz der Engel in den O ffenbarungszeugnissen auf dem
H intergrund des säkularisierten Weltbewußtseins 286
I. Historische und gegenwärtige Kritik 287
1) Der religionsgeschichtliche Einw and 287
2) Die Einw ände seitens der rational-naturwissenschaftlichen
Weltauffassung 291
3) A nknüpfungspunkte im modernen D enken 296
II. Biblische Grundlagen 298
1) Die E ntw icklung im Alten Testament 298
2) Die Engel als Wirkmächte des Gottesreiches im Neuen Testament 300
§ 16: Die Entfaltung der Engellehre in der Theologie- und
D ogm engeschichte 303
I. Die Entw icklung der Engellehre 304
1) Frühe theologische Versuche 304
2) Die A usweitung und Klärung des E ngelglaubens in der Väterzeit 308
3) Die Dom inanz der Seinsfrage und die Systematisierung in der
Scholastik 312
II. Die dogmatische Entw icklung 314
1) Die L ehrzeugnisse der Kirche 314
2) Das Zeugnis der Liturgie 319
§ 17: Die Engel im Verständnis des Glaubens 322
I. Dienst und Sendung der Engel 323
1) Die Z ugehörigkeit zur Welt Gottes 324
2) Der him m lische Kult der Engel 327
3) Der Kult der Engel und die Liturgie der Kirche 329
4) Der D ienst der Engel an der M enschenw elt 331
II. Das Sein der Engel 337
1) Die G eistigkeit und Personalität der Engel 337
2) Das spekulative Denken und seine Grenzen 341
3) Die Engelverehrung 347
§ 18: Realität und Grenzen der bösen Engelm ächte 349
I. Infragestellungen und Entg egnungen 351
1) Einsprüche gegen den Teufelsglauben 351
2) Einsprüche und A nnäherungen evangelischer Theologie 352
3) Schwierigkeiten innerhalb der katholischen Theologie 355
II. Die m aßgeblichen Zeugnisse 357
1) Spurenhafte Anfänge im Alten Testament 357
2) Die Däm onen im H eilswirken Jesu 359
3) Die vielstim mige Tradition 363
4) G renzziehungen der kirchlichen Lehrverkündigung 365
III. Der W idersacher in der H eilsökonom ie 366
1) Der Sinn der Scheidung der Engel 366
2) Mächte oder Personen? 369
3) Das Phänom en der Besessenheit 370

Kapitel VI:
U rsünde und „ E rb sü n d e“
§ 19: Der begnadete Anfang des M enschen 372
I. Der A usgang von der biblischen U rgeschichte 373
1) Bedenken der Frage nach dem Anfang 373
2) Die exegetische Problem atik bezüglich der jahw istischen
G eschichte vom Paradies 375
3) Die B estimm ung des Geschichtscharakters der
P aradiesesgeschichte 377
II. Der theologische Sinn der U rstandslehre 380
1) Wege und Umw ege der Tradition 380
2) Die Lehrbestim m ung der Kirche 383
3) Theologische U rstandslehre und naturwissenschaftliche
E ntw icklungslehre 388
§ 20: Der Sündenfall und seine universale Folge: Ursünde und „E rbsünde“ 389
I. Die theologische Bedeutung des Sündenfalls 391
1) Die exegetische Problematik 391
2) Der heilstheologische Sinn 396
3) Die Lehre der Kirche 399
II. Das Geheim nis der „E rbsünde“ 400
1) Zum Vorverständnis 401
2) W iderstände und Annäherungen im modernen Denken 404
3) Die Grundlagen in Schrift und Tradition 408
4) Die K onzentrierung im D ogm a der Kirche 417
5) Das Wesensgeheim nis der „E rbsünde“ 421
6) Der Heilssinn der Sünde 428
III. Versuche zur Neuinterpretation des Dogmas 430
1) Extrem e Entw ürfe 431
2) Diskutierte N euinterpretationen 432

R egister
A bkürzungen 437
Personenregister 439
Sachregister 449
Vorwort

Dem zw eiten Band der „K atholischen D ogm atik“ , der die Lehre
vom „Gott der O ffenbarung“ behandelt, folgt hier die Abhandlung
über die erste O ffenbarung G ottes, die sich im Werk der Schöpfung
ereignet (Bd. 3). D er Titel „Schöpfung als H eilseröffnung“ läßt be­
reits etwas von der Anlage und dem C harakter dieser Schöpfungs­
lehre erkennen. Es geht in ihr nicht um eine religiös getönte K os­
m ologie oder W eltentstehungslehre (obgleich Fragen des N aturw is­
sens auch berücksichtigt sind), sondern um die einm alige und stets
w eiter gew ährte G rundlage des H eils und seiner G eschichte. Wer
diese G rundlage geringschätzt oder unbeachtet läßt, verfehlt das
Fundam ent des H eils und löst den Z usam m enhang der H eils­
geschichte auf, der allein vom Schöpfergott gew ährleistet wird.
Dem Gedanken von dem in der Schöpfung eröffneten Heilsw eg
entspricht die deutliche Rückbindung der creatio an das trinitarische
U rgeschehen, aus dem allein das D asein und L eben aller
Schöpfungsw erke bis hin zum M enschen und zu den Engeln für den
Glauben zu erkennen ist. Ihm entspricht aber auch die A usrichtung
des beginnenden H eilsw eges auf das Ziel im vollkom m enen H eils­
bringer Jesus Christus. D eshalb bildet die biblische W ahrheit von der
„Schöpfung in C hristus“ ein Leitm otiv dieser D arstellung, welches
das Ganze durchstim m t und die Exem plarität des „Erstgeborenen der
ganzen Schöpfung“ (Kol 1,15) für die W elt wie besonders für den
M enschen und seinen W eltauftrag hervortreten läßt. H ier m acht sich
die A rbeit auch das ökum enische A nliegen zu eigen.
Diese A usrichtung bedingt die um fangreiche H eranziehung der
H eiligen Schrift in allen Teilen der A bhandlung, wobei das breite
Schriftargum ent, das den G rund des Dogm as der Kirche abgibt, k ri­
tisch verw andt wird, d.h. nicht nur unter B erücksichtigung der gesi­
cherten Ergebnisse der historisch-kritischen M ethode, sondern auch
unter Ü berw indung ihrer E ngführungen durch das Program m der
E ntm ythologisierung und den theologischen E xistentialism us, der
die H eilstatsachen als solche elim inieren m öchte.
E ine h eilsg e sc h ich tlic h e D ogm atik m uß dem gegenüber (in
Entsprechung zum D ogm a der K irche) die Schöpfung und ihren
Fortgang als göttliches Tun und W irken verstehen, dessen Ereignis-
und eigentüm licher G eschichtscharakter an bestim m ten Fixpunkten
besonders deutlich hervortritt: in der Schöpfung aus dem N ichts, in
der uranfänglichen Begnadung („Paradies“), im Einbruch der Sünde
in die Schöpfung („U rsünde“ und „Erbsünde“). So erst wird dem
h eilsg esch ich tlich en A nspruch der Schöpfungs W ahrheit G enüge
geleistet.

Da sich aber die H eilsgeschichte innerhalb der W eltgeschichte


vollzieht (ohne m it dieser zusam m enzufallen), kann die dogm atische
Schöpfungslehre den Bezug zu den Hum an- und N aturw issenschaf­
ten nicht entbehren, welche die natürliche W irklichkeit der Welt aus­
legen. H ier kom m t es in dem Werk zu einem durchgehenden D ialog
m it den W issenschaften bezüglich des U rsprungs der Welt, ihrer
E volution und ihrer A ufgipfelung im M enschen. Er ist sowohl von
der Erkenntnis geleitet, daß es keine doppelte W ahrheit geben kann,
als auch von der Ü berzeugung bestim m t, daß es m it einem freundli­
chen E invernehm en zw ischen N aturw issenschaft und T heologie
nicht getan ist, bei welchem die Schöpfungsw ahrheit als folgenloser,
schm ückender Überbau zu den naturw issenschaftlichen Daten gera­
de noch in G eltung belassen wird. G efordert ist vielm ehr eine innere
kritische Bezugnahm e beider aufeinander, so daß das wahre theolo­
gische Verständnis der Evolution erst durch die Präsenz des göttli­
chen Schöpferaktes zustande kom mt. Dazu bedarf es auch des
Einsatzes der Philosophie, der innerhalb eines heilsgeschichtlichen
Konzeptes eine unentbehrliche Stützfunktion zukomm t.

Zum grundsätzlichen heilshaften Optim ism us des christlichen


Schöpfungsglaubens bildet das Böse und der Einbruch der Sünde,
der als Ereignis ernstgenom m en werden muß, keinen W iderspruch.
Es stellt die im Gang der Schöpfung zu überw indende (und von
Christus überw undene) endliche G egenkraft dar, die dem H eilsw eg
der Schöpfung den C harakter eines Dram as verleiht, in dem die
m enschliche Freiheit sich bew ähren und ihren V ollendungsstand
erreichen soll.

L eo Scheffczyk
K apitel I:
Vorfragen zur Schöpfungslehre

§ 1:
Die Schöpfungswahrheit im modernen Denken
Literatur: K. Ja spers, P h ilo so p h ie und Welt, M ü n c h e n 1952; R. G uardini,
Welt und Person , W ü rzb urg 41955; M. H e ide gge r, E in fü h ru n g in die M etap hy sik,
T ü b in g e n 21958; R. Lay, U n sere Welt. G e sta lt und D eutu ng , M ü n c h e n 1960;
H. M esch k o w sk i, Das C h ris te n tu m im J a h r h u n d e rt der N a tu rw is se n sc h a fte n ,
M ü n ch en 1961; P. Jordan , D er N a tu rw is s e n s c h a ftle r vor der re ligiösen Frage.
A bb ruc h ein er M auer, H am bu rg 1963; B. R üssel, W arum ich k ein C hrist bin,
M ü n ch en 1963; N. B un dsche rer, M o d ern e N a tu rw is s e n s c h a ft und c h ristlic h e r
G laube, M ü n ch en 21966; W. H eise n b erg , D er Teil u nd das G anze. G esp rä ch e im
U m k re is d er A to m p h y s ik , M ü n c h e n 1971; D e rs., S c h ritte ü b e r G re n z e n ,
M ü n ch en 1973; J. M on od , Z ufall und N o tw e n d ig k e it. P h ilo so p h isc h e F rag en der
m o d ern en B iolog ie, M ü n c h e n 21971; H. W. B eck, W eltfo rm el co n tra S c h ö p ­
f u n g s g la u b e . T h e o l o g i e u n d e m p i r i s c h e W i s s e n s c h a f t e n v or e in e r n e u e n
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N a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e W e it s i c h t u n d c h r i s t l i c h e r G la u b e . D as m o d e r n e
W eltbild, F reibu rg 1974; A. G anoczy, D er s c h ö p feris ch e M e n s ch und die
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F reiburg 1981; J. R atzinger, T heol. P rin zip ien leh re . B a u stein e zur F u n d a m e n t a l­
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Schö pfu ng . K osm os und M e n s ch in R elig io n , P h ilo so p h ie und N a tu rw is s e n ­
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G o ttesleh re , M ü n ch en 1985; R. S p a em an n , R. Löw, P. K o slow ski (H rsg.),
E v o lu tio n is m u s und C h ris te n tu m , W e in h e im 1986; H. M e ie r (H rsg.), Die
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K .-H. Weger) G raz 1992; Fr. B reid (H rsg.), G ottes S c hö pfun g, S teyr 1994;
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G esam ten tw u rf, F ra n k fu rt a. M. 1994; J. S ch um ach e r, B ib lisch es S c h ö p fu n g s ­
v e rs tä n d n is und m o d e r n e s W eltb ild : Fr. B reid , G o tte s S c h ö p fu n g , 39-66;
R. H ü n telm a n n , S ch ellin gs P h ilo so p h ie der S c hö pfun g . Z ur G e sch ich te des
S chö pfu n g sb eg riffs, D e tte lb a c h 1995; G. L. M üller, K a th o lisch e D og m atik . Für
Stud ium und Praxis d er T h e o lo g ie, F reib urg 1995.

Eine Theologie, die auf die geschichtliche Verm ittlung der G lau­
bensw ahrheit B edacht nim m t, wird auch das Verständnis der Schöp­
fungsw ahrheit im m odernen D enken aufzudecken suchen, das als
A nknüpfungspunkt für die G eltendm achung des theologischen
A nspruchs, für seinen zeitgem äßen A usdruck, aber auch für die
Präzisierung des eigenen Standpunkts von B edeutung ist. Dies
erscheint umso angem essener, als die Schöpfung auch eine n atürli­
che W ahrheit ist und der Schöpfergott „mit dem natürlichen Licht der
m enschlichen Vernunft aus den geschaffenen D ingen gewiß erkannt
werden kann“ (DH 3004; 2. Vatikanum: Dei Verbum, 3). Dem e n t­
spricht die Tatsache, daß der Schöpfungsgedanke in gew issen
Brechungen im Licht des m odernen Denkens auftritt.

1. Eine sprachliche W iederentdeckiing?


Das W ort „Schöpfung“ hat gegenw ärtig w ieder einen guten
Klang und ein gewisses Ansehen gewonnen. M an spricht von der
m öglichen „Z erstörung der S chöpfung“ , von der notw endigen
„Erhaltung der Schöpfung“ und von der „Evolution der Schöpfung“ 1.
So scheint der B egriff der „Schöpfung“ im säkularen Denken w ieder
heim isch geworden zu sein. Das ist um so verw underlicher, als noch
vor kurzem (nicht ohne Grund) behauptet wurde, daß der B egriff der
„Schöpfung“ in der m odernen Welt durch den der „N atur“ ersetzt
worden sei2. Bei genauerem H inblick kann man gewahr werden, daß
der G ebrauch des W ortes „Schöpfung“ nicht schon über seinen Sinn
und Inhalt entscheidet. D er neu aufgekom m ene und verbreitete
W ortgebrauch ist frei von jedem christlich-theologischen Inhalt.
Auch hier ist „Schöpfung“ als etwas den M enschen U m greifendes,
ihm V orgegebenes, ihn T ragendes verstanden, das dam it den
C harakter eines L etztbegründenden annim m t, dem sich der M ensch
verpflichtet fühlt. So bestätigt sich, daß der B egriff der „Schöpfung“
mit dem der „N atur“ in eins gesetzt ist. M ochte dabei dieses N atur­
verständnis im 19. Jahrhundert noch m it einem gew issen religiösen
A ffekt verbunden w orden sein, so ist dieser in der Gegenw art gew i­
chen: Die Schöpfung oder N atur ist im Z eitalter der Technik und
K ybernetik der Raum für die Selbstverw irklichung des M enschen
und eines eigenen Schöpfertum s gew orden3.

1 J . M o l t m a n n , G o tt in der S c h ö p f u n g , 193.
2 So R. G u a r d in i, Das E n d e der N e u z e it, 36f.
3 A. G an ocz y , D er sc h ö p fe r i s c h e M e n s c h un d die S c h ö p f u n g , 98f.
Im ganzen fehlt der m odernen Vorstellung von der Schöpfung als
der alles um fassenden N atur das W issen um einen Schöpfergott wie
auch das B ew ußtsein von der Schöpfung als einer ursprünglichen Tat
und einem Ereignis, das auf die Initiative eines über aller N atur ste­
henden G ottes zurückgeht. A uf dem H intergrund dieses an der gött­
lichen Schöpfung desinteressierten Denkens wird die kritische Frage
eines N aturw issenschaftlers verständlich: „Wenn es [das Universum ]
w irklich keine G renze und keinen Rand hat, dann hätte es auch
w eder einen Anfang noch ein Ende: Es w ürde einfach sein. Wo wäre
dann noch Raum für einen Schöpfer?“4.
Dem steht das christliche Schöpfungsdenken von vornherein ent­
gegen. Ihm geht es zutiefst gar nicht um die Feststellung einer in sich
stehenden Schöpfung, sondern um das Bekenntnis zum Schöpfer und
(dam it zusam m enhängend) zu seinem Werk. So steht im christlichen
Schöpfungsglauben nicht eine Sache (und sei sie noch so faszinie­
rend) im Vordergrund, sondern eine Person und eine Tat. Diese
G rundeinstellung zeichnet sich schon in der Tradition an der Tat­
sache ab, daß der betreffende Traktat seit Petrus Lom bardus (+ 1160)
m it dem Titel: „De creatore“ , „über den Schöpfer“ , ausgestattet ist
und nicht einfach die Schöpfung zum G egenstand hat oder die Natur,
über welche die Philosophen des A ltertum s schrieben.
Das m angelnde Verständnis für die christliche Schöpfungsw ahr-
heit läßt sich aber im Blick auf die W issenschaften genauer belegen
und ausarbeiten.

II, D i s ta n z i e r u n g e n s e ite n s der W is s e n s c h a f te n


1) Philosophische Einw ände
N achdem am Beginn der N euzeit G. B runo (+ 1600), die
G edanken des N ikolaus v. Kues und des K opernikus zusam m en­
führend, die U nendlichkeit und G renzenlosigkeit der W elt selbst zur
G ottheit erhob, geriet der christliche Schöpfungsgedanke imm er
m ehr in die K ritik der Philosophen. So führt H. Spencer (+ 1903), der
Vertreter des englischen Em pirism us und Positivism us, gegen den

4 G. P aul, Das U n i v e r s u m o h n e A n f a n g un d E n d e; z itiert n a c h J. S c h u m a c h e r ,


B ib lis c h e s S c h ö p f u n g s v e r s t ä n d n i s u nd m o d e r n e s W eltb ild , 53.
christlichen Schöpfungsbegriff und den K ernbefund der „creatio ex
nihilo“ ins Feld, daß die R elation zw ischen N ichts und Etwas so
unvorstellbar sei, wie „das im Akte des W erdens zw ischen dem
N ichts und dem Etwas schw ebende D ing“5. Von idealistischer Basis
her hatte I. G. Fichte (+ 1814) in seiner „R eligionslehre“ die
Schöpfungsw ahrheit angegriffen und behauptet, daß sie „der absolu­
te G rundirrtum aller falschen M etaphysik und R eligionslehre“ sei6.
Sein Sohn I. H. Fichte (+ 1879) lehnte den B egriff der „creatio ex
nihilo“ als denkw idersprüchlich ab7. Aufgrund seiner pessim isti­
schen W eltauffassung kam auch A. Schopenhauer (+ 1860) zu einer
A blehnung des Schöpfungsgedankens, weil er (wie richtig gesehen)
eine positive E instellung und die Anerkennung der Güte der Welt fo r­
dere8, was Schopenhauer ablehnen mußte.
N äher an der G egenw art liegen die Stellungnahm en des dialek ti­
schen M aterialism us, der in seinen Vertretern (u.a. N. J. B ucharin
und M. M itin) wegen der G rundannahm e der ewigen M aterie dem
christlichen Schöpfungsgedanken kein Verständnis entgegenbringen
kann. In ihrer D arstellung des W eltprozesses geraten sie aber an
einen Punkt, an dem die A ufnahm e der These von einem ersten
Bew eger unum gänglich wird.
A u f dem B o den des N eo p o sitiv ism u s und der an aly tis ch en P h ilo so p h ie s t e ­
h e n d , k o m m t B. R ü s s e l z u r r a d i k a le n V e rn e in u n g des c h r i s t l i c h e n
S ch ö p fu n g s g e d a n k e n s, den er fä lsc h lic h m it der Frage nach der ersten U rsach e
der D in ge id en tifiziert; denn „w en n alles eine U rsach e hat, kann das e b e n so g u t
die Welt wie G ott sein, so daß das A rg u m en t b ed eu tu n g s lo s w ird “9. M an sieht
aber selb st im M o du s der N eg atio n des S c h ö p fu n g s g e d a n k en s, wie eng d ieser
mit der rech ten G ottes Vorstellung zu sa m m e n h ä n g t, so daß die eine W ahrheit
n ich t ohne die andere zu haben ist. B e d e u tsam ist h ier auch der Z u sa m m e n h a n g ,
der zw isch en S c hö pfun g und E n d e der Welt h erg es tellt w ird oder zw isch en
P ro to lo g ie und E sch a to lo g ie . D as N ein zur S ch öp fun g sc h ließ t auch ein N ein zu
j e g lic h e r Z iel- und S in n an n ah m e b ezü g lich der W elt in sich: „D er M o n d fü hrt
uns vor A u g e n , w o r a u f die E rd e zusteu ert: au f etw a s Totes, K alte s und
L e b lo s e s “ 10.

5 H. Sp en cer, S y stem d er sy n t h e ti s c h e n P h i l o so p h ie , S tu ttg a rt 1876, 3 lf.


6 D ie A n w e i s u n g zu m se lig e n L e b e n o d e r au ch die R e lig io n s le h re : Säm tl. W W (hrsg.
von I. H. F ich te) V, 479.
7 I. H. F ich te, Z u r S eele n f ra g e . E in e p h i l o s o p h i s c h e C o n f e s s i o n , L eip zig 1859, 183.
8 S ä m t l i c h e W er ke II, 481 A.
9 B. R ü s sel, W aru m ich kein C h r ist bi n, 24.
10 E bd a., 24.
Lenkt man das Interesse auf das andere Ende des philosophischen
Spektrum s, das in der E xistentialphilosophie anzunehm en ist, dann
trifft der Blick auf die G estalt M. H eideggers (+ 1976), den eigentli­
chen R epräsentanten dieser philosophischen R ichtung. Die bei ihm
vorzufindende Fixierung auf die D aseinsanalytik des M enschen und
auf sein „In-der-W elt-Sein“ vollzieht sich in einer D istanzierung
sowohl vom Theism us als auch vom A theism us und strebt allein nach
dem G ew inn der W ahrheit des S eins, dem (nach m anchen
Form ulierungen) das Seiende entstam m t". Aber dieses Sein kann
nicht im Sinne der theistischen M etaphysik m it G ott oder dem
Schöpfer gleichgesetzt werden, weil dadurch die Fragw ürdigkeit der
m enschlichen Existenz durch die U nbedingtheit des G laubens aufge­
hoben w erden m üßte. D eshalb ist auch die Frage, die schon Schelling
stellte: „Warum ist überhaupt Seiendes und nicht N ichts?“ als der
Existenz des M enschen w idersprechend abzuw eisen12. Es gehört zur
sogenannten Seinsgeschichte, daß das Sein gegenw ärtig „durch das
W egbleiben des G ottes“ oder durch den „Fehl G ottes“ bestim m t ist.
Auch wenn m it dem tatsächlichen W egbleiben Gottes die M öglich­
keit eines N euerscheinens des G ottes nicht ausgeschlossen wird, so
bietet diese vage, ans M ythische grenzende Erw artung keinen Ansatz
zur Entw icklung eines christlichen Schöpfungsgedankens.
2) Die „A ufhebung“ der Schöpfungs Wahrheit in der
neom arxistischen Philosophie
Für die philosophische E instellung des N eom arxism us charakte­
ristisch und deshalb besonders erw ähnensw ert erscheint das Beispiel
E. Blochs (+ 1977), der das Christentum m it seiner m aterialistischen
R eligiosität und seiner naturalistischen M ystik „beerben“ m öchte.
Der neom arxistische Philosoph nim m t in aphoristischen, logisch
nicht abgeleiteten und geschlossenen G edanken Stellung gegen die
„gänzlich antiquarische M ythologie eines Deus creator am besonders
hochvollendeten A nfang“ 13. Ein W issen um einen A nfang der Welt,
gar in einem guten G ott, ist dem M enschen nicht gegeben, ja, es wäre
für ihn sogar gefährlich. Der Blick auf einen guten A nfang in der

11 Was ist M e t a p h y s i k ? , F ra n k fu r t a. M. 71955, 44.


12 E i n f ü h r u n g in die M e t a p h y s i k , 5f.
13 E. B loch, A t h e i s m u s im C h r i s t e n t u m , F ra n k f u r t a. M. 1968, 294.
V ergangenheit und auf ein sinnvolles Ganzes, das der Schöpfungs­
glaube tatsächlich darbietet, würde das Geheim nis von W elt und
M ensch entschleiern und dam it den Im puls des M enschen auf die
Zukunft hin drosseln und auslöschen. D er M ensch ist und m uß b lei­
ben ein hom o absconditus, ein noch verborgenes W esen. Das
m enschliche D enken kann und darf deshalb nur beginnen m it dem
„Dunkel des jew eils gelebten A ugenblicks“ , aus dem der M ensch den
A nstoß zum Z ukünftigen, zum M orgen, zur Steigerung seines
W esens und seiner Welt erhält.
N ach Bloch ist für den sich auf sein Geheim nis und sein w erden­
des Sein besinnenden M enschen nicht der biblische Schöpfungs­
bericht bedeutsam , sondern der Exodusbericht; in ihm geht es um
A ufbruch, um Fortschritt, um den Gewinn der Zukunft. Das allein ist
dem M enschen w esentlich. So verbietet sich letztlich der G edanke an
die Schöpfung14. An seine Stelle hat die Z ukunftsvision vom M en­
schen zu treten, die reale U topie, der Tagtraum, der den M enschen
erst zu seiner Eigentlichkeit erhebt. D eshalb kann der A utor auch
behaupten, daß der Anfang des M enschen noch gar nicht geschehen
sei: „A ller w irklicher A nfang ist daher noch zukünftig“ . Das Erste ist
das Dunkel unserer Existenz, das wir selbst durch schöpferischen
Einsatz erhellen können und m üssen.
W esen tlich ist allein die H o ffn u n g au f die Z u kunft. B loch ve rk en n t dam it
den Sinn der c h ristlich en S ch ö p fu n g s Wahrheit. Sie will g erad e sagen, was der
G rund u n serer H o ffn un g ist, n äm lich u nsere H erk u n ft von Gott, unsere g o tt ä h n ­
liche A u ssta ttu n g und B eru fu n g für ein V ollendungsziel. So lan ge d iese F rag en
n ich t b e a n tw o rte t sind, kann der M ensch keine w ah re H o ffn un g haben, so ndern
h ö c h ste n s eine U top ie hegen o der ein em W ach trau m an hän gen , daß noch etw as
anderes k o m m e n m öge, dessen S inn und Inhalt aber nich t b e n a n n t w erden k ö n ­
nen. D as G anze ist der literarisc he Versuch zur S e lb s tb e g rü n d u n g des M en s ch en
und sein er W elt durch die F aszin atio n des K om m en den . D er G ed ank e sc heitert
aber nic h t n ur an der w illk ü rlich en S ch riftau sleg u n g , sondern auch an seiner p h i ­
lo s o p h isc h e n F eh lerh aftig k e it; den n der M en sch m uß z u n ä c h st etw as sein, um
etw as H ö h eres w erd en zu kö nnen; die H o ffn un g au f Z u k u n ft m uß beg rü n d et sein
in ein em W esen des M e n sc h e n , in seinen A n lagen und F ähig keiten . A u ch kan n
sich keine Z u k u n ft ersch lie ß e n lassen ohne W issen um die H erku n ft. W esen und
H erk u n ft des M en s ch en erfah ren w ir aber aus der S chö pfun g. Sie ist also auch
die G ru n d la g e für je d e b e g rü n d ete H o ffnu ng a u f Z u ku nft. S onst w ird das G anze
illu s io n är und irrational.

14 Vgl. dazu C. H. R a tsch ow , A t h e i s m u s im C h r iste n tu m ? , F ra n k fu r t a. M. 1968, 35.


T atsächlich neig t B lo ch h ie r dem m o d e rn e n Irratio n alism u s zu, der für einen
v ern u n ftg e m ä ß e n G lau b en keine Ö ffnu ng besitzt.

3) K ritik seitens der N aturw issenschaften


Insofern der christliche Schöpfungsglaube eine dem natürlichen
D enken zugew andte Seite besitzt, ist es verständlich, daß die Schöp­
fungstheologie zu jed er Zeit an den Bereich des N aturw issens
angrenzte und besonders in der N euzeit (nach zuvor aufgetretenen
Streitfällen, wie im Fall G alilei) die Ü bereinstim m ung m it ihm such­
te. Die K irchenväter des A ltertum s wie auch die Physiko-Theologie
der N euzeit lebten sogar der Ü berzeugung, daß Schöpfungsw ahrheit
und N aturw issen eine E inheit bildeten, die von seiten der Theologie
bestim m t und norm iert w erden könnte. D ieser unsachgem äße Kon-
kordism us wurde (nicht erst durch den Fall G alilei) im Gang der
m odernen W issenschaften durch die E rkenntnis der w esensverschie­
denen M ethodik und Inhaltlichkeit der beiden Bereiche aufgehoben.
Daraus ergaben sich nicht nur legitim e Spannungen, sondern direkte
Entgegensetzungen, wie etw a das B eispiel E. H aeckels (+ 1919)
zeigt, der m it seinem kausal-m echanistischen Evolutionism us eine
naturw issenschaftliche W eltanschauung etablieren und zum R eli­
gionsersatz erheben w ollte15.
Nach der revolutionären U m gestaltung der klassischen Physik,
nach der A bw endung vom M echanism us und D eterm inism us bahnte
sich eine Entkram pfung des V erhältnisses an, die sogar die Hoffnung
aufkeim en ließ, daß „die N aturw issenschaft auf dem Wege zur
R eligion“ 16 sei und daß „der N aturw issenschaftler vor der religiösen
Frage“ stehe17. D iesen Eindruck gab auch Pius XII. wieder, als er
1951 eine A nsprache an die Teilnehm er eines von der Päpstlichen
A kadem ie der W issenschaften veranstalteten K ongresses von den
„G ottesbew eisen im Lichte der m odernen N aturw issenschaft“ hielt,
die m it den W orten begann: „Entgegen oberflächlichen B ehauptun­
gen von früher entdeckt die wahre W issenschaft Gott, und zw ar in
im m er höherem M aße, je m ehr sie Fortschritte m acht - als ob Gott
gleichsam wartend hinter jedem Tor stünde, das die W issenschaft

15 E. H aec k el, D ie W elträtsel, B o n n 1899.


16 So der Titel des W erkes von B. B a vin k, F ra n k f u r t a. M. 1948.
17 So das o b e n g e n a n n t e B u c h vo n P. Jo r d a n , H a m b u r g 1963.
öffnet“ 18. Positiv äußerte sich auch das Zw eite Vatikanum, wenn es
„die neuen Forschungen und Ergebnisse der N aturw issenschaften“
den Theologen zur K enntnisnahm e em pfiehlt und auch den S tudie­
renden der Theologie die K enntnis des Fortschritts der m odernen
N aturw issenschaften n a h e le g t19. In die gleiche R ichtung w eist
Johannes Paul II., wenn er in einer A nsprache vom Jahre 1986 an­
läßlich eines Sym posions zw ischen Philosophie und Theologie, auf
das engere Problem der E volution Bezug nehm end, erklärte, daß sich
„recht verstandene E volutionslehre und recht verstandener Schöp­
fungsglaube nicht im Wege stehen“ . A llerdings kritisiert er im g lei­
chen Zusam m enhang auch eine „evolutionäre W eltanschauung“ , m it
der sich „das dem Glauben verantw ortliche D enken ... auseinander­
setzen m uß“20.
Solche w eltanschaulichen A bzw eckungen der N aturerkenntnis,
die notw endigerw eise zum Schöpfungsglauben in Gegensatz stehen,
treten heute tatsächlich auf und beweisen, daß nicht jede naturw is­
senschaftliche R ichtung dem Schöpfungsglauben positiv gegenüber­
steht. Als B eispiele seien Spielarten des N eodarw inism us und des
Kybernetism us genannt.
Der französische Biologe J. M onod bietet eine Erklärung der
Evolution, die der christlichen Schöpfungsauffassung entschieden
w iderspricht. Für ihn gleicht das organism ische W erden einer „riesi­
gen L otterie“21, in der es auch zu solchen großen Z ufallstreffern wie
dem „organischen Leben“ und dem „M enschen“ kam. Die U r­
sprungsfrage erklärt er m it dem Vorhandensein einer „U rsuppe“ , aus
der langsam ihre B estandteile ausgelaugt wurden. Zugleich muß er
zugeben, daß allein für die Entstehung des Lebens auf der Erde die
W ahrscheinlichkeit eines solchen Zufallstreffens gleich Null war.
A ber er erklärt dazu: D ieser Zufall ist nun einm al eingetreten, und
dam it sind alle Spekulationen über seine U nw ahrscheinlichkeit fak­
tisch w iderlegt und bedeutungslos. Das zeigt, daß in diesem Denken
die K ategorie von G rund und Sinn ausfällt.

18 Z itier t n a c h P. Jo r d a n , a.a.O ., 267.


19 O p t a t a m to tiu s, 15.
20 R. S p a e m a n n u.a. (H rsg .) , E v o lu t i o n i s m u s u nd C h r iste n tu m , 146.
21 J. M o n o d , Z u fall un d N o t w e n d i g k e i t , 171.
Als Z ufallsprodukt hat das m enschliche Leben keinen endgülti­
gen Sinn. D er M ensch ist ein „Zigeuner am Rande des W eltalls“ . Der
W iderspruch zur christlichen Schöpfungsw ahrheit gipfelt in dem
neuen Bekenntnis: „Der Alte Bund ist zerbrochen; der M ensch weiß
endlich, daß er in der teilnahm slosen U nerm eßlichkeit des U niver­
sums allein ist, aus dem er zufällig hervortrat. N icht nur sein Los,
auch seine Pflicht steht nirgendw o geschrieben“22.
Inzw ischen ist dem christlichen Schöpfungsgedanken vor allem
im Punkt der A nthropologie ein neuer Einw and und eine G egner­
schaft erw achsen. Sie kom m t aus der K ybernetik und aus ihrer extre­
men Anw endung im K ybernetism us. M it dieser erst jüngst ent­
w ickelten W eltauffassung m uß sich vor allem die c h ristlich e
A nthropologie befassen. Vom K ybernetism us her sehen nicht wenige
D enker die größte G efahr kom m en, nicht nur für die christliche
W ahrheit, sondern für das H um anum als solches, ohne das es auch
kein Christianum geben kann.
Die m o d ern e K y b e rn e tik als E rfo r sc h u n g von N a c h ric h te n ü b e rtra g u n g e n in
m ec h a n isc h - e le k tr isc h e n S ystem en hat ihre h ier e rw o rb e n e n E rk e n n tn isse auch
a u f die N e rv e n sy ste m e von O rg an is m en au sg ed eh n t. Sie gelan gte da rau fh in zur
A u ffassun g, daß diese F u n k tio n e n sich in n ic h to rg a n isc h e n und k ü n stlich en , also
m as ch in elle n , S yste m en n ich t w e sen tlich von so lchen in o rg a n isc h e n u n te r s c h e i­
den. D araus resu ltiert die w eitere A n n ah m e, daß auch der M en sch in seiner g e i­
stigen T ä tig k eit nichts and eres sei als ein hö ch st k o m p liziertes S y stem von
N ach rich ten -Ü b ertrag un g und R e g e lu n g 23.
H ier tau cht aus der V erg ang en heit die m ate ria listisc h e M e n s c h e n a u ffa ss u n g
des „ l ’ho m m e m a c h i n e “ von J. L am ettrie (+ 1748) und Paul H enri H o lba ch
(+ 1789) w ied er auf, n u r nicht m e h r als th e o re tisc h e H y po the se , sondern als w is­
sen s c h a ftlich p ra k tik a b le s M od ell. Das P ra k tik a b le e rw eis t sich darin, daß man
es un ternim m t, solche k ü n stlich en S y stem e zu plan en, die in b ezug au f die
In te llig en zleistu n g vom M e n s c h e n nicht m e h r u n te rsc h ie d e n w erden können.

N im m t man eine Parallelentw icklung in der Biologie noch hinzu,


vor allem in der M olekularbiologie, die darauf zielt, den M enschen
durch B eeinflussung des DN S-Codes program m ieren zu können, so
ergibt sich aus diesen greifbaren w issenschaftlichen V oraussetzun­
gen die Vorstellung von der direkten M achbarkeit des M enschen, wie
sie Aldous Huxley in seiner „Schönen neuen W elt“ vorausgesagt hat.

22 E bd a., 219.
23 H. E. Halt, K y b e r n e t i k un d M e n s c h e n b i l d , Z ü ri c h 1972, 7.
D am it verliert der U nterschied zw ischen M ensch und M aschine für
die K ybernetik an Bedeutung. Es gibt K ybernetiker wie M. A.
W right, die solchen k ü nstlichen System en sogar S pontaneität,
K reativität und Selbsterneuerung zuerkennen. Die Verteidiger einer
solchen A ngleichung des M enschen an die M aschine können heute
schon darauf hinw eisen, daß es bereits von C om putern kom ponierte
M usikstücke gibt, die m it den W erken Palestrinas konkurrieren kön­
nen24. Auch wenn man nicht im m er gleich so weit geht, die M aschine
mit dem M enschen völlig gleichzusetzen, so weiß man doch kaum
noch U nterschiede anzugeben. M ancherorts hält man tatsächlich die
E ntw icklung denkender M aschinen für den ersten S chritt zur
E rschaffung des M enschen durch den M enschen. So führt die
K ybernetik zum K ybernetism us, d.h. zu der W eltanschauung, in der
der M ensch sich und seine W elt als total m achbar, technisierbar und
gleichsam neu erschaffbar versteht. Im H intergrund steht eine
A uffassung vom M enschen, die davon überzeugt ist, daß der M ensch
nicht eine „im ago D ei“ ist, sondern eine „imago m achinae“ , ein nach
dem Bild der M aschine konstruiertes W esen, das im m er höher kon­
struiert werden kann.
Was das für die W eltauffassung und für das Verständnis der
Schöpfung bedeutet, hat G. G ünther so form uliert: „W ir begegnen in
der K ybernetik einem neuen W eltgefühl, in dem die Seele ihre H ei­
m at nicht in einem Jenseits sucht, sondern in der Welt, die durch den
Prozeß der R eflexion ihrer Frem dheit entkleidet und zum A bbild des
M enschen um geschm iedet w erden soll. In der m it Denken und B e­
w ußtsein begabten M aschine gestaltet der M ensch eine A nalogie des
eigenen Ich“25. Es begegnet hier ein subtiler kybernetischer M ateria­
lism us, der pseudoreligiöse Züge annim mt. Der M ensch tritt hier an
die Stelle des Schöpfers, der die Welt und seinesgleichen schafft. Ein
theologischer Schöpfungsgedanke hat hier keinen ersichtlichen Platz
mehr.
Eine w ichtige Stellung in der Frage nach dem Entstehen des
Kosm os darf gegenw ärtig der Kosm ologie eingeräum t w erden, die

24 E bd a., 138.
25 G. G ü n th er, D as B e w u ß tse in der M a s c h i n e , B a d e n -B a d e n 1963, 87.
sich vor allem im angelsächsischen Raum ungeniert theologischen
Fragestellungen nähert, welche stellenw eise zur E ntw icklung einer
neuen Art von „N aturtheologie“ führen. In ihr werden theologische
K onsequenzen aus den Ergebnissen der K osm ologie gezogen auf
dem H intergrund der Ü berzeugung, daß dieser naturw issenschaftli­
chen D isziplin die höchste Z uständigkeit für die Deutung „des G an­
zen“ zukomm e. A ber die genannten Folgerungen sprechen in vielen
Fällen nicht für einen christlichen G ottes- oder Schöpfungsbegriff.
So k o m m t St. H aw k in g in seinem p o p u lä re n B uch „Eine kurze G eschic hte
der Z e it“ zu ein er logisch g e sc h lo sse n e n B e s ch re ib u n g des U n ive rsu m s au f der
G ru n d lag e einer T heo rie, w elche, unter A b leh u n g des S ta n d a rd m o d e lls vom
„ U r k n a l l “ , den Z u s a m m e n s c h l u ß von a l l g e m e i n e r R e l a t i v i t ä t s t h e o r i e und
Q u a n te n m e c h a n ik a n s tre b t26. H aw k in g e n tw ic k e lt eine „ Q u a n te n th e o rie der
S c h w e rk ra ft“ , nach w elc h e r das U n iv ers u m als v ie r d im e n sio n a le r K u g elrau m zu
denk en sei (m it der Z eit als vierter D im en s io n , so daß auch der zeitlich e B eginn
in dieses rä u m lich e G anze, das d en n o ch ohne A nfan g wäre, ein z u b e z ie h e n wäre).
D ieses a llu m fassen d e G anze w ü rd e durch Q u a n te n p ro z e s se zur E x p a n sio n g e la n ­
gen, die zur B ild un g von G alax ie n , S o nn en und P laneten fü hrten. Wenn diese
U rsp ru n g s b e d in g u n g e n gelten, sei die E n tsteh u n g des U niv ersum s erklärt. D ann
hätte zu n ä ch st ein seitens der R elig io n p o stu lie rte r G o tt k e in erlei F reih eit b e z ü g ­
lich d ies er n o tw e n d ig e n U rs p ru n g s b e d in g u n g e n . D araus aber ergibt sich die w e i­
tere F olg erun g, daß ein G o tt zur E rk läru n g des K osm os ü b erh aup t nicht n o tw e n ­
dig sei. „Das U n iv ers u m h ätte w e der A n fan g noch E nde, es w äre einfach. Wo
wäre dann R aum für ein en G o tt? “ 27. F re ilich ist d ieser T heo rie von seiten der
W is sen sch aft selbst eine d eu tlich e In k o n s iste n z vo rge w o rfen w orden. A be r u n a b ­
h äng ig von der F rag e der S tim m ig k eit in te re ss ie rt die T h eolo gie als solche die
Tatsache, daß h ier seitens der K o sm o lo g ie der A n sp ru c h e rh ob en wird, die
W irk lic h k e it im g anzen zu erk lären, was n ur durch V erab so lu tieru ng einer
E in zel W issenschaft m ö g lich ist, die h ier o ffen sich tlich eine G re n z ü b e rsc h re itu n g
vo rnim m t.

In ähnliche R ichtung w eist die Theorie des Physikochem ikers


P. W. A tkins, der den E rklärungsgrund für das Entstehen des Kosmos
in Z ufallsprozessen sucht. Wenn diese als kosm ische O rdnungs­
m uster naturw issenschaftlich belegt würden (was offenbar jetzt noch
nicht gänzlich gelungen sei), wäre die A nnahm e eines Schöpfers ent­
behrlich28.
Den genannten Theorien, die stark antim etaphysisch ausgerichtet
sind, steht ein m oderner G esam tentw urf gegenüber, der das m oderne

26 St. H aw k in g , A B r i e f H isto ry o f T im e, L o n d o n 1988.


27 E b d a., 141.
28 P. W. A tkin s, T h e C r e a tio n , O x f o rd 1981; vgl. d azu D. A. W ilk in so n , Die W ie d e r k e h r
der N a t u r t h e o l o g i e in der K o s m o l o g i e , in: E Z W -T ex te. I n fo r m a t i o n 120, X I / 1 9 9 2 , 5-7.
N aturw issen m it der M etaphysik verbinden m öchte und so einen
eigentüm lichen C harakter annim m t, der besonderer Erw ähnung wert
ist.
4) Das polare G ott-W elt-V erhältnis in der Prozeßtheologie
Eine gew isse A nnäherung zur christlichen Schöpfungsw ahrheit,
die freilich im Endergebnis zu einer noch größeren D istanzierung
führt, bietet das von dem M athem atiker und N aturphilosophen
A. N. W. W hitehead (+ 1947) entw orfene System einer „Prozeßphilo­
sophie“ bzw. -theologie, das eine Erklärung der G esam tw irklichkeit
bieten w ill auf der G rundlage der Zusam m enfassung gegensätzlich­
ster T rad itio n en (etw a der W eltreligionen) und P o sitio n e n 29.
W hitehead vertritt eine natürliche Theologie und M etaphysik, die
aber nicht vom B egriff des Seins, der Substanz und des W esens aus­
geht, sondern vom Begriff des W erdens und des Fließens. Für ihn ist
die Welt ein in Expansion befindlicher Organism us, in dem alles auf
alles einw irkt. Weil alles in der Entw icklung, in einem Prozeß begrif­
fen ist und in Interdependenz zueinander steht, kann auch Gott dem
Prozeß nicht überhoben sein und sich der Interdependenz entziehen.
Auch er unterliegt der universalen G esetzm äßigkeit des Prozesses
und der A bhängigkeit von anderen Kräften.
Das hat erhebliche K onsequenzen für den G ottes- wie für den
S chöpfungsbegriff. W hitehead lehnt den ch ristlic h -th e istisch e n
G ottesbegriff ab, der angeblich von A ristoteles herkom m t, und er­
klärt: „... die Lehre von einem ursprünglichen, höchst realen, trans­
zendenten Schöpfer, nach dessen fiat die Welt zu sein begann und
dessen aufgezw ungenem W illen sie gehorcht, ist der Irrglaube, der
die G eschichte des Christentum s und des Islam m it Tragödien erfüllt
hat“30. Das sagt: Für W hitehead ist die letzte, absolute W irklichkeit
nicht der creator, sondern eine in der W irklichkeit w issenschaftlich
erkennbare „K reativität“ , deren A usdruck und A usform ung auch der
„Schöpfer“ ist. Er ist nur eine spezielle, bevorzugte Verkörperung
dieser K reativität.

29 D as M o d e ll ist n ie d e r g e le g t u.a. in den W er ken: A b e n t e u e r d e r Ideen, F ra n k fu r t a. M.


1971; P ro z e ß u nd R e alität, F ra n k fu r t a. M. 21979; vgl. dazu L. S c h e f fc z y k , P ro z e ß t h e i s m u s
u nd c h r i s t l i c h e r G o t t e s g la u b e , in: M T h Z 35 (1 98 4 ) 81 -104.
30 P ro z eß und R e alität, 611.
Die E ig e n tü m lic h k e it d ieser Welt, die n ac h den p lato n is c h e n Id een e in g e ­
richte t ist, b e d a rf zw ar eines Id een reserv o irs o de r eines Id e e n p o ten tials, das
„ G o tt“ g en a n n t w e rd en kann. A b e r die Id een sind etw as A bstrak tes, sie w erden
k o n k re t du rch die g e g e n stä n d lic h e und m a terie lle Welt. D a m it w e rd en G ott und
W elt als e in a n d e r z u g e o rd n e t e , e in a n d e r b e d in g e n d e P ro z e ß W irklichkeiten
gedacht, als a u fe in a n d e r an g ew ie se n e Pole. D e r n ich t leich t n a c h z u v o llz ie h e n d e
sc h ö p f u n g sp h ilo so p h is c h e G ed an k e n g a n g k an n v e re in fa c h t so w ied erg eg eb en
w erden: „ G o tt“ ist das P o ten tial an Id een o d e r M ö g lic h k e ite n , die sich der m a t e ­
riellen W eltw irk lich k e it m itteilen, so daß w irk lic h e , sin nh afte und w erthafte
D in ge e ntstehen . Als R e se rv o ir der Ideen b etrach tet, ist G ott aber n o ch nich t e x i­
stent, so ndern er b e ste h t in ein er sog. „ p rim o rd ia le n N a tu r “ , die erst in der sog.
„ F o lg e n a tu r“ real w erd en und zu sich selbst k o m m e n muß. D ieses R e alw erd en
G ottes aber g e sch ieh t durch den K on tak t d er Id een m it der m a te rie lle n Welt,
d urc h das E in g eh en d er P o te n z e n in die M aterie . Es „erfo lg t dabei eine R eaktion
der Welt a u f G o tt“ . In d ie se m G e sc h e h e n e n tw ic k e lt sich G ott also selbst. Er
n im m t in d iesem P ro zeß die K reatu ren in sich h in ein und ü b erfo rm t sie. Das aber
ist z u g le i c h d ie I n t e g r i e r u n g und E r f ü l l u n g s e i n e r U r n a tu r in d er sog.
„ F o lg e n a tu r“ .
D a ra u s erg ib t sich au ch ein p o la r e s V erh ältn is G o ttes zu r Welt, ein
Verhältnis p ositiver G e g en sätzlic h k e it. Das k o m m t an ein er p ro g ra m m a tis c h e n
Stelle b e so n d ers deu tlich zum A usdruck , wo W h ite h e a d die E ig e n sc h a fte n oder
B estim m u n g e n G o ttes auch der W elt (und um g ek eh rt) z u sc h re ib t und die
A n tith esen fo rm u liert: „Es ist gen au so w ahr zu sagen, daß G ott b e stä n d ig ist und
die Welt fließ end , wie zu beh au p te n , daß die W elt b estä n d ig ist und G ott
f l ie ß e n d “ .
Das ist aber n ur dann zu b e g rü n d e n u n d nu r in sow eit zu halten, als G ott und
Welt einen e inzigen u m fa sse n d e n O rg an is m u s b ilden, in w elch em die O rgane
a u fe in a n d e r b e z o g e n sind u nd fu n k tio n a l in e in a n d e rg r e ife n . D ies h at zur
K o n seq u e n z, daß der von W h ite h e a d do ch auch b eh a u p te te U n te rs c h ie d zw ischen
G ott und Welt dah infällt. Es sind je d e n f a lls keine W esens V erschiedenheiten
z w is c h e n b e id e n f e s t z u s t e l l e n , k e in e U n t e r o r d n u n g , s o n d e r n e in e p o la r e
B e iord nu ng .

Das bringt das System in die Nähe eines subtilen Pantheism us. Es
scheint, daß das eigentlich G öttliche w eder in G ott noch in der Welt
gelegen ist, sondern im Selbsterschaffungsprozeß allein, der Gott
zum W erden hindrängt und die w erdende W elt zum begrifflichen,
ideellen göttlichen Sein. So gesehen, sind G ott und W elt keine ver­
schiedenen W esenheiten, sondern Organe und Funktionen ein und
derselben um greifenden Dynam ik.
Die konkretere Fassung dieses kosm ologisch-m etaphysischen
G ottesbegriffes läßt sich an einem Vergleich m it dem christlichen
Schöpfergott gewinnen, dessen Bild hier tatsächlich zunächst in die
Nähe rückt. So kann W hitehead gelegentlich Gott auch die Schöp­
fertätigkeit zubilligen und feststellen, daß G ott der „Schöpfer jeder
zeitlichen aktuellen E ntität“ ist. A ber das ist sachlich nicht dasselbe
wie eine form elle göttliche Schöpfertätigkeit, die etwas „aus dem
N ichts“ erschafft. Beim A usgang von einer Erfahrung der K reativität
des kosm ischen W erdens kann die Vorstellung eines N ichts nicht auf-
kom m en. D am it rü ck t G ott allen falls in die S tellung eines
D em iurgen, der dem Reich des W erdens nur die Bestim m ung, die
O rdnung und die Struktur verleiht. Er kann deshalb nicht im Sinne
des christlichen G laubens als Schöpfer verstanden werden. Wenn
W hitehead die T ätigkeit G ottes im W eltprozeß konkreter faßt, dann
spricht er von ihm als dem D ichter oder Poeten der Welt (wom it aber
über sein P erso n sein nich t schon en tsch ied en ist), der die
M öglichkeiten zur V erwirklichung der Dinge visionär konzipiert,
welche danach durch die H ineinnahm e in seine N atur W irklichkeit
em pfangen. „Er schafft die W elt nicht, er rettet sie; oder genauer: Er
ist der Poet der Welt, leitet sie m it zärtlicher G eduld durch seine
E insicht in das W ahre, Schöne, G ute“31.
Die K onkretion des G ottesbildes W hiteheads geschieht besonders
durch H ervorhebung jen er Züge, die eine Teilnahm e Gottes an der
geschöpflichen Welt, sein M itfühlen und M itleiden bew eisen sollen.
Sie werden nicht aus Gottes A llm acht hergeleitet, sondern aus seiner
Sym pathie, seinem M itleid, seiner Geduld und seiner Z ärtlichkeit
gegenüber den zeitlichen Dingen. A uf diese Weise m eint W hitehead
der Liebe G ottes erst volle W irklichkeit und K onkretion zu verschaf­
fen, w ährend sie im christlichen Verständnis angeblich apathisch,
gefühllos und leer bleibe. Die m etaphysisch-kosm ologische Fassung
des G ottesbegriffes führt am Ende auch zu einer Preisgabe der
Personalität Gottes. Schließlich ist auch nicht zu verkennen, daß die­
sem Entw urf, so sehr er sich auch auf die W issenschaft und die em pi­
rische E rfahrung zu stützen verm eint, m ythologische W urzeln
zugrunde liegen. Die Vereinigung von K osm ogonie und Theogonie
ist altes m ythologisches E rbgut32.

31 E b d a., 618.
32 Vgl. L. S che f fc z y k , E in f ü h r u n g in die S c h ö p f u n g s l e h r e , 4 2-4 6 .
I I I . A n n ä h e r u n g e n des m o d e r n e n D e n k e n s a n die
S ch ö p fu n g sw ah rh eit
Die dargestellten A ntithesen zum Schöpfungsglauben erlauben
nicht den Schluß auf einen grundsätzlichen und durchgängigen W i­
derspruch zw ischen m odernem w issenschaftlichem D enken und
christlichem Glauben. Im übrigen haftet m anchem dieser Entw ürfe
das M erkm al ideologischer Verfremdung der strengen naturw issen­
schaftlichen Ergebnisse an. D agegen können die auf ihre Grenzen
bedachten W issenschaftler gerade in ihrer B escheidung dem w eiter­
führenden theologischen D enken Raum gewähren, zum al dieses die
w issenschaftlichen D aten grundsätzlich nicht leugnet, sondern sie
nur auf eine neue Ebene und in ein neues Bezugssystem hebt. Das
gilt von den zuerst genannten philosophischen Gedanken m it ihrem
Hang zur positivistischen Verschließung vor dem A usblick auf jede
Transzendenz.
1) Philosophische Ö ffnungen
An sich könnte die A useinandersetzung m it dem Positivism us
und dessen G rundbehauptung von der N ichtexistenz eines M etaem ­
pirischen oder M etaphysischen sich m it dem A ufweis des in diesem
G rundsatz angelegten W iderspruches begnügen, der das ganze
System w iderlegt. Die genannte G rundbehauptung kann näm lich
nicht m it den M itteln der Em pirie verifiziert werden; sie stellt eine
m etaphysische A ussage im M odus der Verneinung dar und dokum en­
tiert, daß der Positivism us um m etaphysische Aussagen nicht herum ­
kom mt.
M an kann diesen Sachverhalt aber auch im einzelnen aufdecken,
u.a. an dem G egensatz zw ischen dem Positivism us B. Rüssels und
der gew andelten E in stellu n g seines S chülers L. W ittgenstein
(+ 1951). Den positivistischen G rundansatz auf das Problem der
Sprache übertragend, kam er zur E ntw icklung einer analytischen
L ogik, in der das V erhältnis von S prache und W elt durch
E lem entarsätze getroffen und exakt zum A usdruck gebracht werden
sollte, so daß die G renzen der Sprache zugleich die Grenzen der Welt
bildeten. A ber W ittgenstein überw and schließlich diesen positivisti­
schen A bsolutism us einer geschlossenen Sprachw elt. Schon im
„Tractatus logieo-philosophicus“33 begrenzt er die Einstellung zur
Welt verm ittels der Sprache auf das „Sagbare“ und hebt davon das
„M ystische“ ab, das nicht sagbar ist, aber doch existiert.
W ittgenstein wird zu dieser U nterscheidung nicht zuletzt durch
die m enschliche Erfahrung der Grenzen der W issenschaft geführt
und durch die Erkenntnis, daß das Hum anum nicht m it dem Um fang
der W issenschaft identifiziert oder auf diesen reduziert werden kann.
Dies tritt in dem B ekenntnis zutage: „W ir fühlen, daß selbst, wenn
alle m öglichen w issenschaftlichen Fragen beantw ortet sind, unser
Problem noch gar nicht berührt ist ... Es gibt allerdings U naus­
sprechliches. Dies zeigt sich, es ist das M ystische“34. Zum Bereich
dieses M ystischen gehört nach W ittgenstein die Existenz der Welt.
„Nicht wie die Welt ist, ist das M ystische, sondern daß sie ist“ .
So öffnet sich der Weg zu ein em tieferen Sinn der Welt und zum G lau ben .
D ieser ist alle rding s m it g ew issen E in sc h rä n k u n g e n verb un den , so m it der
B eh au p tu n g , daß G ott sich in d ieser W elt nich t o ffen bare und daß d esh a lb „der
Sinn der Welt h inte r dieser Welt lie g e n “ 35 m üsse und n ic h t in ihr zu find en sei.
D esh alb sind n ach W ittge nstein d er Sinn des L eben s und das M y stisc h e , „das wir
G ott n en n en k ö n n e n “ , kognitiv n ich t zu erfassen und auch sp ra chlic h nich t f e s t­
zu m ach en. D iese A u ffassu ng rich tet sich gegen je d e als G la u b e n se rk e n n tn is und
G la u b e n sw is se n a u sg eg eb en e T h e o lo g ie und op tiert allein für das E rlebe n des
R e lig iö sen in der Praxis. F reilic h ist diese au ssc h lie ß lich e A n e rk en n u n g der r e l i ­
g iösen Praxis u nd der leb en s m ä ß ig e n E rfahru ng unter A b le h n u n g j e d e r in h a l tl i­
chen W ahrheit nich t k o nseq uen t. A llein schon der Satz: „Es ist das M y s tis c h e “
ist als E x iste n tia lu rte il eine in h a ltlic h e A u ssag e, die eine T h eo lo g ie im K ern d a r ­
stellt.

Wenn so für W ittgenstein theologische A ussagen über Gott und


die Schöpfung nur als Chiffren gelten, so w erden diese doch in der
religiösen Erfahrung mit Inhalt erfüllt. Das ist in der E xistenzphi­
losophie K. Jaspers (+ 1969) ähnlich, für den der B egriff der Chiffre
im philosophischen Glauben ebenfalls eine bedeutsam e Rolle spielt.
In seinem W erk „Philosophie und W elt“36 begegnet er auch dem

33 L o n d o n 1921; vgl. zu m F o l g e n d e n R.- A. D ietrich, S p ra c h e u nd W i r k l ic h k e i t in


W it t g e n s t e i n s T ractatu s , T ü b in g e n 1979; W. S ch w eid ler, W it t g e n s t e i n s P h ilo s o p h ie b e g r iff ,
F re ib u rg 1983.
34 T a g e b u c h a u f z e i c h n u n g vom 25. M ai 1915 (S c h riften Bd. I, 142; vgl. T ractatu s 6.522.
35 T ractatu s 6.41.
36 M ü n c h e n 1952.
Schöpfungsgedanken und sagt von ihm, er sei „von entscheidender
B edeutung für das Bew ußtsein unseres eigenen W esens“37.
Freilich m eldet sich im m enschlichen Bew ußtsein auch die ande­
re M öglichkeit, näm lich der G edanke von einer unerschaffenen Welt,
an. A ber bezüglich der Existenz des M enschen gew innt der erste
G edanke eine gew isse Dom inanz: „Es ist, als ob wir geschaffen
wären, wie die W elt geschaffen ist, aber nicht durch die Welt. Als
beseelter Leib sind w ir ein Teil der W eltschöpfung. Als Freiheit sind
wir unm ittelbar von Gott. D aher sind w ir in der Welt zugleich von
anderswoher. W ir finden uns in der W elt und sind doch nicht von die­
ser W elt“38. Aber auch hier bleibt „W eltschöpfung“ ein Sym bol oder
eine Chiffre, ein G leichnis oder ein Spiegel, aus dem wir kein W issen
gew innen können. D er G edanke verleiht dem M enschen einen Bezug
zur Transzendenz, ohne daß er der Transzendenz habhaft würde.
Diese B eispiele verm ögen zu zeigen, daß die m oderne P hilo­
sophie nicht in allen ihren Richtungen der Schöpfungs Wahrheit
ablehnend gegenübersteht. Der philosophische G edanke reicht in
gew issen E ntfaltu n g en an eine G renze heran, h in ter der die
Schöpfungs Wahrheit aufscheint. Hier ergibt sich jedenfalls von sei­
ten der Theologie die M öglichkeit eines D ialogs, in dem auch gew is­
se M ißverständnisse abgeklärt werden könnten. So könnte von der
T heologie zu den Verdächtigungen bezüglich eines verfügbaren
Sachw issens gesagt werden, daß das Bekenntnis zur Schöpfung letzt­
lich die Bejahung eines G eheim nisses ist, das w eder gänzlich adä­
quat in die Sprache gefaßt werden noch auch in seinem Inhalt vom
M enschen als gegenständliches neutrales W issen in Besitz genom ­
men werden kann. Es ist ein H eilsw issen, das nur im M odus des ent­
schiedenen G laubens festgehalten werden kann und das philosophi­
sche W issen (nicht aufhebt, aber) übersteigt.
2) Die Entgrenzung in den N aturw issenschaften
Auch im Bereich der N aturw issenschaften läßt sich erkennen,
daß M echanism us, M aterialism us und Positivism us, die im 19.
Jahrhundert das Feld beherrschten und jeden Schöpfungsgedanken

37 E b d a., 145.
38 Vgl. eb d a., 145.
ausschlossen, nicht m ehr ausschließliche Geltung beanspruchen. Vor
allem im Bereich der G renzfragen, die freilich nicht bei allen N atur­
w issenschaftlern auf Interesse stoßen, kom m en A nnäherungen vor,
die den Blick für ein w iderspruchsfreies Begegnen von Natur- und
H eilsw issen freigeben.
An der G ren ze, an der sich für den N a tu rw is se n sc h a ftle r die F rag e nach d em
letzten W oher der D ing e stellt, die so fo rt auch die F rage nach dem W ozu n ach
sich zieht, e n ts teh en Ö ffn ung en, die a u f ein die N a tu rw is se n sc h a fte n t r a n s z e n ­
dieren des A n d ere s h inw eisen . M an k ö nn te zum E rw eis der B e d e u tu n g dieses
A nsatze s z u n ä c h st a u f S te llu n g n a h m e n b e d e u te n d e r N a tu rw is se n sc h a ftle r hin-
w eisen, die den G ottes- und S c h ö p fu n g s g e d a n k e n am E nd e ihrer E rk e n n tn isse
n ich t au ssch ließe n. So sagte A. E in ste in (+ 1955) in ein em nach Art eines
B ek en n tn isses g eha ltene n Z u sa m m e n h a n g s: „M eine R elig ion b e steh t in der
d em ü tig e n A n b e tu n g eines u n e n d lic h e n g eistig en W esens h ö h e re r N atur, das sich
selbst in den k lein sten E in ze lh eiten kun dtu t, die wir mit un seren sch w ach en und
u n z u län g lich en S in nen w a h rz u n e h m e n verm ögen. D iese tiefe, g e fü h lsm ä ß ig e
Ü b erz eu g u n g von der E x isten z e in e r hö heren D en kk raft, die sich im u n e rfo rsch -
lichen Weltall m an ife stiert, b ild et den Inhalt m ein er G o tte s v o rs te llu n g “39. M an
w ird eine solche A u ssag e nich t schon m it dem ch ristlich en S ch ö p fu n g s g la u b e n
id entifizieren, aber auch n ich t leu gn en kö nn en, daß sie ihm nich t g än zlic h e n t­
g eg en g ese tzt ist. Ä h n lich es gilt von M. P lanc k (+ 1947), der seinen v ielzitierten
Vortrag „ R elig io n und N a tu rw is s e n s c h a ft“ mit den W orten schloß: „Hin zu
G o tt“40. (F reilich konnte er sich u.a. nich t zur A n n a h m e der E x isten z von
W undern b ereitfind en , w obei die F rag e bleibt, ob dies in rein n a tu r w is s e n s c h a ft­
lich em D e n k ra h m e n g e fo rd e rt w erd en kann). B e k a n n t ist au ch die F ra g e
W. H eisen b e rg s (+ 1976) a n g esich ts d er k o sm isch en O rdnung: „Ist es völlig
s in n lo s , sich h in t e r den o r d n e n d e n S tr u k tu r e n d e r W elt im G ro ß e n ein
B ew u ß tsein zu denken, dessen A b sich te n sie sin d ? “ Die F rage nach dem Sinn am
U rsp ru n g m ü n d e t aber in die F rage nach dem Wozu ein, deren B ea n tw o rtu n g für
H eisen b erg „den K o m p a ß “ für unseren Weg durchs L eben be reitste llt, d essen der
M en s ch b e d a rf, d a m it n ic h t „ se h r s c h r e c k lic h e D in g e p a s s ie r e n “41. D iese
E rw ä g u n g e n zeigen, daß der N a tu rw is se n sc h a ftle r am E nd e seiner E rken ntn is
vor ein em G a n z en steht, das er m it den M itteln seiner W is sen sch aft nicht e rf a s ­
sen kann, nach d em er aber fragen k ann und e h rlic h e rw eise fragen wird.

Aber entscheidend sind nicht solche subjektiven B ekenntnisse


einzelner N aturforscher, sondern der objektive Gang der Forschung
selbst. Sie ist einerseits gekennzeichnet durch das Bestreben der
theoretischen und kosm ologischen Physik (m it Parallelen in der
B iologie) nach der E rstellung einer letzten einheitlichen W irkfeld-
theorie unter Einbeziehung aller bekannten physikalischen G rund­

39 Vgl. H. M e s c h k o w s k i , Das C h r i s t e n t u m im J a h rh u n d e r t d er N a t u r w i s s e n s c h a f t e n , 92.


40 M. P lan ck , Vorträge un d E ri n n e r u n g e n , S tu ttg art 1949, 319.
41 W. H e i s e n b e r g , D e r Teil und das G an ze , 290ff.
kräfte, woraus m it H ilfe einer Kette von Sym m etriebrüchen das W er­
den der Welt erklärt werden soll42. D em gegenüber ist es zunächst
bedenkensw ert, daß K. Popper in allem m onistischen Em pirism us,
D eduktionism us und Positivism us einen „irrationalen“ vorw issen­
schaftlichen Faktor am Werke sieht, der auf einer W illenszuw endung
und einer vorw issenschaftlichen W ertnahm e beruht, die der gläubi­
gen theologischen W ertnahm e nicht unähnlich ist43. Von hier aus
m üßte sich eine O ffenheit der N aturw issenschaften für die spezifi­
sche W ertnahm e der Theologie ergeben.
Daß solche O ffenheit in vielen Fällen tatsächlich zutage tritt, läßt
sich an gewissen G renzerfahrungen naturw issenschaftlichen D en­
kens aufzeigen. Sie sind einerseits von der (auch theologisch legiti­
m ierten) Ü berzeugung getragen, daß aus der K osm ologie nicht der
Schöpfer bewiesen werden kann. A ber andererseits wird auch aner­
kannt, daß sich die N aturw issenschaft an ihren G renzen vor Fragen
gestellt sieht, die sie m it ihrer M ethode und ihren E rkenntnism itteln
nicht m ehr beantw orten kann und die sie an die Schw elle der
M etaphysik führen: „Die Grenze zw ischen G rundlagenforschung und
m etaphysischer Theorie wird im m er schw erer zu bestim m en. Die
A nschauung w eicht dem G lauben“44. M it dieser G renzerfahrung
stellt sich vielfach ein eigentüm liches M om ent des Erstaunens und
der E hrfurcht vor der Größe und der O rdnung des U niversum s ein,
das sich besonders am „anthropischen Prinzip“ entzündet, d.i. die
exakte Feinabstim m ung des Kosm os auf die Entstehung des M en­
schen hin (obgleich auch dieses Prinzip von anderen w eltim m anent
zu erklären versucht w ird)45. Solche Erfahrungen verdichten sich
angesichts der an die Schöpfungstheologie heranreichenden U r­
sprungsfrage des Kosm os, die heute w eithin m it der Standardhypo­
these des „U rknalls“ (die aber nicht unw idersprochen ist) beantw or­
tet wird. H ieran knüpfen sich unabw eisbar die Fragen nach einem

42 V g l. d a z u H. W. Beck, C hristlicher S ch ö pfungsglaube im K ontext heutiger


W is s e n s c h a f t, 5 lff.
43 K. R. Po p per, L o g ik der F o rs c h u n g , T ü b in g e n 21966, 75f.
44 So J. D. B a rro w - F. J. T ip ler, T h e A n t h r o p i c C o s m o l o g i c a l P rin c ip le , O x f o rd 1986,
373.
45 Vgl. dazu: E Z W -T exte. I n fo r m a t i o n 120, X I/1 , 1992,2 u.ö.
zeitlichen A nfang der Schöpfung oder nach seiner zeitlosen Existenz,
welche die B ehauptung von der Ew igkeit der M aterie m it sich führt,
als deren A lternative einzig die Schöpfung aus dem N ichts erscheint.
Freilich gibt es in diesem Zusam m enhang w eiterhin divergieren­
de M einungen. Wenn der U rknall unter schöpfungstheologischem
A spekt als der absolute A nfang gedeutet wird, kann ein G egenargu­
m ent laut werden, das den U rknall als Folge eines vorhergehenden
W eltzustandes (etwa eines kollabierenden Kosmos) ausgibt, woraus
die A nnahm e einer unendlichen Folge von W ellen resultierte.
A llerdings verm ag die N aturw issenschaft m it ihren M itteln über den
Zustand „vor dem U rknall“ nichts auszusagen, so daß das A rgum ent
naturw issenschaftlich nicht zw ingend ist und die Annahm e einer
Schöpfung aus dem N ichts von ihr nicht abgew iesen werden kann.
A llerd in g s w ird die B e h au p tu n g eines zeitlichen B egin ns des K o sm os und
in s b eso n d e re des E ntsteh en s der M a terie aus dem N ichts auch w ied er h in t e r ­
fragt. Von der A n n ah m e eines ganz ex tre m en Z u stan d s der M aterie her w ird
gefragt, ob n ich t auch un ser h eu tig es Z eitm aß der V eränderung u n terw o rfen sein
k ö n n te , so daß u n s e r g e g e n w ä r t i g e s Z e it m a ß a u f e in a n d e r s g e a r t e t e s
N a tu rg e s c h e h e n n ic h t an w en d b ar w äre und ein eig en tlich zeitlich er B eg inn d ie ­
ses G esc h e h e n s n ic h t gefo rd ert w erd en könne. D azu w ird von c h ristlic h e r Seite
auch die L e h re des T h o m a s un d se in e r S c h u le von d er p h il o s o p h i s c h e n
N ic h tw id e r s p rü c h lic h k e it und N ich tb e w e isb a rk e it ein e r von E w ig k e it b e s t e h e n ­
den S ch ö p fu n g h e ran g ezo g en , so daß die Z eitlich k eit nu r vom G lau b en fe s tg e ­
halten w erden k ö n n e 46. F reilich ist d iese T h ese bei T h o m as m it ein em e in d e u t i­
gen S ch ö p fu n g s g la u b e n v erb u n d en , so daß sie im G e sp räch mit der diesen
G la u b en a b leh n e n d en N a tu rw is s e n s c h a ft n icht v erw en d et w erd en kann. D ie ser
ist nur e n tg e g e n z u h a lte n , daß bei der g erade von der R e lativ itä ts th eo rie e r k a n n ­
ten E in h e it von M aterie, R aum u nd Z eit in ein em un b e g ren zte n , aber e n d lich en
All die A n n a h m e ew iger D au er u n w a h rsc h e in lic h ist. D avon ist auch die T h ese
von d er E w i g k e i t d er M a t e r ie b e tr o f f e n , so d a ß die F o lg e r u n g e in e s
N a tu rw is se n sc h a ftle r s zu versteh en ist: „Vor dem U rk nall gab es nichts, w ede r
Z eit no ch R au m noch M a te rie “47.
Dam it kann freilich die N aturw issenschaft nicht zum B ew eis­
grund für eine Schöpfung aus dem Nichts genom m en w erden, weil
weder „Schöpfung“ noch „N ichts“ im naturw issenschaftlichen D enk­
rahm en eine Stellung haben. Sie kann aber auch nicht als G egen­
instanz einer Schöpfung aus dem N ichts berufen werden. So läßt sich

46 S.th. I q.46 a.2.


47 H. F ri t z s c h , Vom U r k n a ll z u m Z erfall. Urzeugung u nd S c h ö p f u n g , W i e s b a d e n
1976, 320.
w eiterhin erkennen, daß seitens der N aturw issenschaft nicht einfach
eine Parität oder G leichgültigkeit gegenüber diesen beiden Optionen
besteht. Es läßt sich vielm ehr behaupten, daß die Ergebnisse der
m odernen naturw issenschaftlichen K osm ogonie der Annahm e einer
Schöpfung offener, geneigter und „rationaler“ gegenüberstehen als
der entgegengesetzten Auffassung. Das gilt vor allem dann, wenn
man die Ergebnisse unter H inzunahm e philosophischer Erkenntnis
bew ertet. Dann kann noch deutlicher w erden, daß eine endliche, sich
ständig w andelnde, auf ein Ende zugehende W elt etwas K ontingentes
ist, das nicht aus sich selbst erklärt werden kann, sondern nach einer
dahinter liegenden absoluten E rklärungsgröße und nach einem trans­
zendenten U rgrund su ch t48. D aß dies der perso n ale gö ttlich e
Schöpfer der O ffenbarung sein muß, ist dam it freilich noch nicht
gesagt.
Die Feststellung dieser größeren R ationalität der naturw issen­
schaftlichen G renzerfahrungen für den Schöpfungsgedanken bedeu­
tet für die Theologie die Verpflichtung zur größeren Intensität in der
Führung des G esprächs m it dem Ziel des Erw eises der V ernunft­
gem äßheit des G laubens auch in einer von den N aturw issenschaften
geprägten Welt. Sie verlangt von der Theologie aber auch, den
B egriff des Schöpfergottes in seiner E inzigartigkeit und Größe so
darzustellen, daß er dem naturw issenschaftlichen W eltbild nicht als
L ückenbüßer für noch U nerklärliches vorgesetzt wird. Er muß als der
das naturw issenschaftliche D enken T ranszendierende dargestellt
w erden, der gerade in seiner Ü berhobenheit über das K ontingente der
N atur und dem W issen von ihr G rund und H alt bietet.
D am it ist die A ufgabe der Schöpfungslehre nach außen hin
um schrieben. D aran schließt sich die noch w ichtigere A ufgabe an,
die nach innen weist.

48 D u r c h p h i l o s o p h i s c h e V ertiefu ng d er E rg e b n i s s e der K o s m o l o g i e k o m m t R. K o l t e r ­
m a n n zu d e m S c h l u ß , d aß G o t t di e „ E r s t u r s a c h e “ ist: G r u n d z ü g e d e r m o d e r n e n
N a t u r p h i l o s o p h i e , 83f.
§2 :
Theologische Bedeutung, Aufgabe und Ausformung der
Schöpfungslehre
L iteratu r: J.B rin k trin e , D ie L e h re von der S c hö pfun g, P ad erb o rn 1956;
K. B arth, D ie k irc h lich e D o g m a tik I I I / 1 -4, Z ü rich 31957; P. A lthaus, Die c h ri s t­
liche W ahrheit. L eh rb u ch d er D o g m atik , G ü terslo h 1959; M. J. S ch eeb en ,
H an d b u ch der D o g m a tik , 3. und 4. B uch (hrsg. von W. B re u n in g und Fr. L akn er)
Freibu rg 31961; L. Sch effczy k, C h ris tlich e W eltfröm m igk eit?, E ssen 1964; D ers.,
E in fü h ru n g in die S c h ö p fu n g s le h re , D a rm s ta d t 31987; H. L ais, D o g m atik ,
K ev elaer 1965; J. F ein e r - M. L ö h re r (H rsg.), M yste rium S alutis II, E in sie d e ln
1967; C. C o lo m b o , D ie T h e o l o g i e d er S c h ö p f u n g im 20. J a h r h u n d e r t:
H. V o rg rim le r - R. van d er G u c h t ( H rsg .) , B il a n z der T h e o lo g i e im
20. Ja h r h u n d e rt III, F reibu rg 1970, 32-62; W. P a n n e n b e rg , S y ste m a tisc h e
T h e o lo g ie II, G ö ttin g e n 1971; CI. W esterm ann , S c h öp fu ng , S tu ttgart 1971;
J. F ein er - L. Vischer, N eu es G lau b en sb u ch . D er g e m ein sa m e christlich e G laub e,
F reiburg 21973; G. K nap p, D er a n tim e ta p h y sisc h e M ensch. D arw in - M arx -
Freud, Stu ttg art 1973; W. B ein ert, C h ristu s und der K osm os. P ersp ek tiv en zu
einer T h eo lo g ie der S c hö pfun g, F re ib u rg 1974; J. Auer, J. R atzin ger, D ie Welt -
G ottes S ch öp fu ng: K K D III, R e g ensbu rg 1975; G. E belin g, D o g m atik des c h r i s t­
lichen G lau b en s I, T ü b in g e n 1979; G. H asen hü ttl, K ritisch e D o g m atik , Graz
1979; M. S chm au s, D er G lau be d er K irch e III: G ott der Schöpfer, St.O ttilien
21979; R. P. M cB ria n, Was K ath o lik en glauben. Eine B e sta n d s a u fn a h m e , 2 Bd.e,
Graz 1982; E. S chlink, Ö k u m e n is ch e D ogm atik. G ru n d zü g e, G ö ttin g en 1983;
H. de L ub ac, Ü b er G ott hinaus. T ragö die des a th e istisc h e n H u m a n is m u s,
E in sied eln 1984; W. L ütg ert, S c h ö p fu n g und O ffen barun g. E ine T h e o lo g ie des
ersten A rtikels, G ieß en 1984; K .-H. O hlig, Die Welt ist G ottes S chö pfu ng .
K osm os und M en sch in R elig ion , P h ilo so p h ie und N a tu rw is se n sc h a fte n , M ainz
1984; J. M o ltm a n n , G ott in der Schö pfun g. Ö k o lo g isc h e S ch ö p fu n g s le h re,
M ü n ch en 1985; K. Rahner, G ru n d k u rs des G laubens. E in fü h ru n g in den B e g riff
des C h r i s t e n t u m s , F re ib u rg 41987; P. E ic h e r ( H rsg .) , N e u e S u m m e d er
T h eo lo g ie II: Die neue S c hö pfun g, F reiburg 1989; Chr. L ink, Schö pfu ng :
H a n d b u c h s y s t e m a t i s c h e r T h e o l o g i e (hrsg. vo n C. H. R a ts c h o w ) 7,1:
S c h ö p fu n g s th e o lo g ie in re f o rm a to risc h e r Tradition; 7,2: S ch ö p fu n g s th e o lo g ie
a n g e s i c h ts d er H e r a u s f o r d e r u n g des 20. J a h r h u n d e r ts , G ü te r s lo h 1991;
Th. S c h n e id e r (H rsg.), H an db uch der D o g m atik I, D ü s s e ld o rf 1992; Fr. B reid
(H rs g .) , G o tte s S c h ö p fu n g . R e f e r a t e d er I n t e r n a t i o n a l e n T h e o l o g i s c h e n
S o m m e ra k a d e m ie 1994 des L in z e r P riesterk reises, Steyr 1994; J. M o rale s, El
M isterio de la C reacion , P am p lo n a 1994; W. B ein ert (H rsg.), G la u b en szu g än g e .
L e h rb u c h der k a th o lis c h e n D o g m a tik I, Pad erb orn 1995; Fr. C ourth, G ott -
M e n s c h - W elt. Was sa g t c h r i s t l i c h e r S c h ö p f u n g s g la u b e ? L e it f a d e n zur
S c h ö p fu n g s le h re , St. O ttilien 1996.
I. U n b e s t ä n d i g k e it e n in d e r S c h ö p f u n g s le h r e
1) Bewegungen innerhalb der katholischen Theologie
Da die Schöpfungsw ahrheit (wie gezeigt wurde) auch G egen­
stand des natürlichen Denkens ist, da sie ferner eine gew isse B edeu­
tung auch in anderen R eligionen h a t1, könnte der Eindruck entstehen,
daß sie kein spezifisch und w esentlich christlicher G laubensgehalt
sei. G egenüber der Trinitätslehre, der C hristologie und Soteriologie
oder der Lehre von der Vollendung könnte m an ihr eine m indere
B edeutung zuerkennen.
Im Blick auf die gegenw ärtige Situation lassen sich tatsächlich
A nzeichen für ein gew isses geringeres Interesse an der Schöpfungs­
w ahrheit finden. So fällt auf, daß in einem neueren katholisch-evan­
gelischen G laubensbuch die Schöpfungsw ahrheit keine them atische
A usarbeitung erfährt. Ein bescheidener G edanke wird der Schöp­
fungsw ahrheit bei E rörterung des V erhältnisses von „Schöpfungs­
glaube und N aturw issenschaft“2 gewidm et. H ier aber heißt es in star­
ker A bhängigkeit von naturw issenschaftlichen V orstellungen und in
k ritisc h e r W endung gegen die b ib lisch -th e o lo g isc h e Sicht:
„Schöpfung als Inbegriff einer auf den M enschen zugeschnittenen,
ihn hegenden, nährenden, ihm freundlichen U m w elt - eine Schau des
Universum s, an die uns Texte wie Gen 1-2 gew öhnt haben - : Das ist
ein G edanke, den die W issenschaft uns aufzugeben zwingt. Begriffe
wie Selektion und M utation sind intellektuell viel redlicher als der
Schöpfungsbegriff“3. Schließlich wird in positiver R ichtung gesagt:
„Schöpfung bedeutet B erufung für den M enschen - was sonst dazu
noch gesagt werden mag, auch in der Bibel, ist nicht die Botschaft
von der Schöpfung selbst, sondern ihre teilw eise m ythologische,
apokalyptische Form ulierung“4. Es ist das eine existentiell-anthropo­

1 F ü r den Islam b e s t ä t ig t d ies das Z w e i t e V atik an um in der „E rk l ä r u n g über das


Verhältnis d er K irch e zu d en n i c h t c h r i s t l i c h e n R e l i g i o n e n “ („ N o str a a e t a t e “ ), 3; den
U n t e r s c h i e d stellt K .- H . O h lig h eraus: D ie Welt ist G o ttes S c h ö p f u n g , 66f; vgl. auch
Fr. K ö n ig (H rsg .) , C h r istu s un d die R e li g i o n e n d er E rde, 3 Bd.e, W ien 21961, I, 516f. (für
die H o c h g o t t r e l i g io n e n ).
2 J. F ein er-L . V isc h er (H rsg .) , N e u e s G l a u b e n s b u c h . D er g e m e i n s a m e c h r istlic h e
G lau b e, 4 3 1-4 3 4.
3 E b d a., 433. D ie s e A u s s a g e er fo lg t z w ar i n n e r h a l b e in e r B e s p r e c h u n g d e r K o s m o lo g ie
von J. M o n o d , ab er d a n a c h w ird „die k r a ft v o l l e A tta c k e von J. M o n o d g e g e n eine zu viel
sa g e n d e I n te rp r e ta tio n des S c h ö p f u n g s g l a u b e n s “ als „ h e i l s a m “ b e z e i c h n e t (435).
4 E b da., 435.
zentrische R eduktion der Schöpfungsw ahrheit, die der fundam enta­
len B edeutung des ersten G laubensartikels nicht entspricht.
B em erkensw ert erscheint auch der Um stand, daß in einem syste­
m atischen W erk wie dem „G rundkurs des G laubens“ K. Rahners
keine dogm atische B ehandlung der Schöpfungsw ahrheit erfolgte,
sondern nur gew isse A nklänge an sie Vorkommen. D er reiche Inhalt
und die universale A usrichtung der Schöpfungslehre werden hier auf
die transzendentale Erfahrung der „K reatürlichkeit“ des M enschen
reduziert5. Da nach dem anthropozentrischen und transzendental­
theologischen Konzept „K reatürlichkeit“ ein grundlegendes, dauern­
des und im m er aktuelles Verhältnis des M enschen zu G ott ist, das
im m er auch schon die Gnade in sich schließt, verliert die Frage nach
einem z e itlic h en A nfang dieses V erhältnisses an B edeutung.
Entscheidend ist das Festhalten an der „K reatürlichkeit ... als radika­
ler A bhängigkeit von G ott“ .
Diese transzendentaltheologische R eduktion besitzt eine gewisse
Ä hnlichkeit m it D. Fr. Schleierm achers (+ 1834) A nschauung, nach
der „die Frage nach dem A nfang alles endlichen Seins nicht in dem
Interesse der Fröm m igkeit entsteht, sondern in dem der W ißbegier-
de“6. Auch hier ergab sich eine R eduktion, allerdings aus dem
G rundansatz einer G efühlsreligion, für die auch das W esen des
Christentum s in einem Gefühl beruhte, näm lich „im Gefühl der
schlechthinnigen A bhängigkeit“ des M enschen von G ott7.
W iederum aus anderem G rund erfo lg t ein Ü bergehen der
Schöpfungslehre in der D enkw eise des theologischen E xistentialis­
mus. In der „K ritischen D ogm atik“ von G. H asenhüttl wird der
G laube vornehm lich auf Erfahrung und auf m itm enschliche B egeg­
nung abgestellt, in der auch G ott begegnen kann. Wie aber dieser
G ott nicht objektiviert w erden kann, so auch nicht ein (angeblich)
urgeschichtlicher Vorgang wie die Schöpfung. Es gilt stets nur das
aktuelle eschatologische H eilsereignis, das die eigene Existenz er­

5 K. R a h n er, G r u n d k u rs des G l a u b e n s , 83 -88.


6 D. Fr. S c h le ie r m a c h e r , D er c h r is tlic h e G la u b e (hrsg. von M. R e d e k e r) , B e rlin 71960,
194.
7 E b d a., 193 u.ö.
schließt. D am m bleibt die Schöpfung als urgeschichtliches objekti­
ves H eilsereignis in dem ganzen D iskurs unerw ähnt8.
Ebenfalls aus Gründen der Erhebung der originalen christlichen
Existenz findet die Schöpfungsw ahrheit auch in dem aus A m erika
kom m enden W erk „C atholicism “ keine B erücksichtigung. Es will
hauptsächlich eine „Theologie der m enschlichen E xistenz“9 ent­
w ickeln, die sich auf dem elem entaren Verhältnis zu G ott und zu
Jesus Christus aufbaut und die offenbar einer G rundlegung in einer
universalen objektiven Schöpfungs Wahrheit nicht bedarf. Aber es ist
die Frage, ob der Aufbau einer solchen christlichen Existenz gelin­
gen kann, ohne daß der G laube an den Schöpfergott und an die „neue
Schöpfung“ in Jesus Christus aufgenom m en wird.
In der in m a n c h e r H in sic h t o rig in ellen „N euen S u m m e der T h e o lo g i e “ w ird
der S c h ö p fu n g s w a h rh e it zw ar ein b e m e s s e n e r R aum z ug ete ilt, aber g em äß der
v o rh e rrsc h e n d e n g esch ic h tlic h e n K o n z e p tio n des Werkes erfo lg t dies in ü b e r ­
s tre n g e r A u s ric h tu n g a u f die „n e u e S c h ö p f u n g “ in C h ris tu s und a u f die
E sch ato lo g ie . Es find et sich h ie r der b e h e rz ig e n sw e rte Satz, daß „es ke inen Sinn
[hat], von G ott zu reden, ohne das W erk seiner H änd e zu b e tr a c h te n “ 10. A ber
indem hier unter ein e m leiten d en g e s c h ic h ts th e o lo g is c h e n A sp ek t S ch ö p fu n g als
„V o llend e n “ v ers tan d en ist, w ird die S c h ö p fu n g s Wahrheit m eh r als Frage nach
der b e ste h e n d e n g e sc h ic h tlic h e n W irk lich k eit e n tfalte t denn als F rage n ach dem
e in zig artig en A n fan g d iese r W irk lich k e it und ihrer G esch ich te. Die F rage nach
dem A nfan g wird als „ S p e k u la tio n “ über die ‘U r a n f ä n g e ’“ ab g e ta n ". D am it g e r a ­
ten solche F rag en wie die nach der „creatio ex n ih i lo “ , ab er auch die nach einem
u rsp rü n g lic h e n H eils z u sta n d ( „ P a r a d ie s“ ) un d ein em Fall des M e n s c h e n ins
A b seits. Es gehe nic h t um ein en u rsp rü n g lic h e n „ p lu m p e n “ Fall, so nd ern um ein
„W e rd e n “ , das zum G uten bestim m t, ab er z ug leich auch u nheilvoll i s t 12.

Die hier zutagetretenden red uktionistischen Tendenzen sind


allerdings in der katholischen T heologie nicht beherrschend. Sie
w erden von der M ehrzahl der positiven dogm atischen B earbeitungen
der Schöpfungs W ahrheit in ihre G renzen verw iesen13. Ä hnliche
Vorgänge spielen sich auch in der evangelischen Theologie ab.

8 G. H a s e n h ü ttl, K r itis c h e D o g m a t i k , 16-21.


9 R. P. M c B r ia n , Was K a t h o l i k e n g l a u b e n I, 77 -15 4.
10 P. E ic h e r (H rsg .) , N e u e S u m m e d er T h e o l o g ie II, 19.
11 E b d a., 27.
12 E b d a., 41.
13 V g l. dazu d ie a u f g e f ü h r t e n dogm atischen L e h r- und H an d b ü ch e r von
J. F ein e r -M . L ö h re r (H rs g .), M. S c h m a u s , J. Auer, M. Lais bis zu den n e u e r e n D o g m a t i k e n
vo n Th. S c h n e i d e r (H rsg .) u n d W. B e in e rt (Hrsg.).
Tendenzen zur M inderbew ertung der Schöpfungslehre m achten
sich im evangelischen Raum seit dem 19. Jahrhundert besonders
deutlich bem erkbar. Das B eispiel Fr. D. Schleierm achers und seiner
G e fü h lsth eo lo g ie w urde bereits genannt. A uf h e g e lian isc h er
G rundlage und als Vertreter der liberalen Theologie kam auch
Ferd. Chr. Baur, der B egründer der jüngeren protestantischen T übin­
ger Schule (+ 1866) zu einer M inim alisierung der Schöpfungstheo­
logie, wie die Aussage zeigt: „... solche Lehren haben überhaupt für
das christliche B ew ußtsein nicht die B edeutung, die man ihnen
früher beilegen zu m üssen glaubte, da, sobald das w esentliche
M om ent der A bhängigkeit der W elt von Gott festgehalten ist, die
bestim m te Form desselben das christliche Interesse nicht näher
berührt“ 14. So wird die Schöpfungs Wahrheit, welche noch die prote­
stantische O rthodoxie um fänglich auslegte, auf ein B ew ußtseins­
m om ent zurückgeführt, was so auch der biblischen Tradition w ider­
spricht. Die universale A usrichtung der Schöpfungs Wahrheit als der
ersten O ffenbarungstat Gottes auf Welt und G eschichte m it den darin
enthaltenen E insichten über U rsprung, Fortbestehen und Sinn dieser
Tat für den M enschen ist dam it ausgeblendet.
D er G rund für diesen A usfall liegt in gew issen A nsätzen, die
schon bei den Reform atoren auftreten.
Im allgem einen hat die reform atorische T heologie auf die
E rörterung und A usw ertung der Schöpfungs Wahrheit ein geringeres
Interesse verw andt und stärkeren N achdruck auf die W irklichkeit der
Sünde und des Sündigseins des Geschöpfes gelegt. Dazu bem erkt
E. Schlink: „Es ist ... oft ausgesprochen worden, daß die Lehre von
der Schöpfung in den lutherischen B ekenntnisschriften zu keiner k la­
ren und eindeutigen E xplikation gelangt ist“ 15. Er begründet diese
B ehauptung m it dem H inw eis darauf, daß schon die „Confessio
A ugustana“ und die „A pologie“ von der Trinitätslehre sogleich zur
Lehre von der Sünde übergehen und daß die „Schm alkaldischen
A rtikel“ nach der Trinitätslehre gleich die C hristologie behandeln. Er
gibt so auch zu, daß m an von einer V ernachlässigung der

14 F erd. Chr. Baur, L eh rb u c h der c h r i s t l i c h e n D o g m e n g e s c h i c h t e , L eip zig 31867, 370f.


15 T h e o l o g ie der l u t h e r is c h e n B e k e n n t n is s c h ri f t e n , M ü n c h e n 1940, 67.
Schöpfungslehre in den lutherischen B ekenntnisschriften sprechen
darf, die in der ganzen G eschichte ihre A usw irkungen hatte. Schlink
versucht allerdings, diesem U m stand eine gew isse N otw endigkeit
abzugew innen, wenn er bezüglich Luthers m eint: „Es ist zu fragen,
ob nicht gerade die V ieldeutigkeit der lutherischen Schöpfungslehre
w esentlich zum lutherischen B ekenntnis hinzugehöre. K önnte es
nicht sein, daß man schon nicht m ehr das Evangelium verstanden hat,
wenn m an von der Schöpfung m ehr sagen w ill, als in den
B ekenntnisschriften gesagt ist“ 16. H ier regt sich ein gew isser inner­
theologisch begründeter Verdacht gegen eine zu stark ausgeführte
Schöpfungslehre. D ahinter steht offenbar die Befürchtung, daß man
das Evangelium , d.h. die Gnade, die Erlösung, die neue Schöpfung in
Christus und insgesam t die neutestam entliche H eilsbotschaft aus
ihrer Zentralstellung verbannen könnte, wenn m an der Schöpfung
zuviel E igengew icht einräum t17.
Zu solchen th eo lo g isch en B edenken g esellten sich im
20. Jahrhundert die Aversion der existentialen Theologie gegen die
objektivierenden A ussagen der K reationsdogm en und die Schw ie­
rigkeiten der biblischen B egründung dieser W ahrheit angesichts des
M ythologieverdachts hinzu, so daß die B ereitschaft wuchs, die
Fragen „nach dem U rsprung“ (die freilich nicht den eigentlichen
In h alt der S chö p fu n g sleh re ausm achen) den G eschichts- und
N aturw issenschaften zu überlassen.
Freilich trat in der neueren protestantischen Theologie ein be­
deutsam er U m schw ung ein, in dessen Verlauf sich die G ew ichte ver­
lagerten und die Schöpfungslehre w ieder in den Vordergrund gerückt
wurde. Hier hat vor allem Karl Barth m it seiner ausgebreiteten
Schöpfungslehre bahnbrechend gewirkt.
D iese W endung war nicht unabhängig von dem genuin evangeli­
schen Anliegen, dem christologischen Zentrum der D ogm atik seine
B edeutung zu belassen. A ber B arth w ollte dies nicht auf Kosten einer
M in im alisieru n g der S chö p fu n g sleh re tun, sondern durch die
B egründung der Protologie in der C hristologie und durch die strenge
Fassung des Schöpfungsgeschehens als vorbereitendes G eschehen

16 E b d a., 68~
17 B e z ü g l ic h der R e f o r m a t o r e n urteilt p o sitiv er Chr. L in k, S c h ö p f u n g s t h e o l o g i e in ref o r-
m a t o r is c h e r T rad ition , 17-175.
des B undes18. N ach Barth w ird „die W irklichkeit der Schöpfung in
der Person Jesu Christi erkannt“ 19. Der Ausgang der Schöpfungs­
theologie vom inkarnierten O ffenbarungsw ort, der in betontem
G egensatz zu jed er natürlichen Theologie steht, erbringt gewiß eine
A ufw ertung der Schöpfungslehre, aber um den Preis der E igen­
ständigkeit und der N atürlichkeit dieses G eschehens und seiner
U nterscheidung von der Gnade. „Die Schöpfung wird so fast zum
Akzidenz der Gnade und zum Sym bol C hristi verflüchtigt“20. So hat
sich der A nsatz Karl Barths nicht durchgesetzt21, obgleich die h eils­
geschichtliche Fassung verm ittels des B undesgedankens B eachtung
fand22.
U nter Z urückw eisung eines ein seitig en „ C h risto m o n ism u s“
gewann die Schöpfungs Wahrheit nach K. Barth in der evangelischen
Theologie w ieder an Bedeutung. Die Einseitigkeit korrigierend,
beharrte E. Schlink auf dem Ausgang von der alttestam entlichen
Schöpfungsoffenbarung, deren Zeugnisse aber nicht in einer isolier­
ten, von der zentralen H e ilsta t an seinem Volk absehenden
Betrachtung aufgenom m en werden sollten. Es sollte vielm ehr die
gläubige Erkenntnis führend sein, daß in ihnen das H eilsw erk Jahwes
vorbereitet wurde im Verein m it einer hohen Verheißung, die sich in
Jesus Christus und im Neuen Bund erfüllte23. So wurde ein gegensei­
tiger Bedingungszusam m enhang deutlich, in welchem die Schöpfung
als erste O ffenbarung Gottes A usgangspunkt und G rund der neuen
Schöpfung in Christus bleibt, aber so, daß das heilsgeschichtlich
w ichtige N acheinander von Schöpfung und Erlösung erhalten bleibt.
In dieser R ichtung schreitet W. Pannenberg w eiter aus, wenn er
die H eilsökonom ie des göttlichen Handelns an der B eziehung von
Schöpfung und Versöhnung aufw eist, dabei aber in einer für prote­

18 K. B arth , D ie k ir c h lic h e D o g m a t i k I I I / 1-4, Z ü rich 31957; zu K. B a rth vgl. Chr. L in k ,


a.a.O ., 2 5 7 -3 2 9 .
19 E b d a., 111/1,29.
20 So H. G. P ö h l m a n n , A n a l o g i a en tis o d e r A n a l o g i a fidei? D ie F ra ge d er A n a l o g i e bei
K. Barth, G ö t t i n g e n 1965, 145f .
21 K ritik e r fu h r er u.a. a u ch von P. A l t h a u s , Die ch ristlich e W ah rh eit, 301, u nd von
W. L ü tg e rt, S c h ö p f u n g und O f fe n b a ru n g , 52.
22 So u.a. in d e r k a t h o l i s c h e n h eilsgeschichtlichen D ogm atik „M ysterium
S a l u t i s “ II, 4 0 5 - 5 5 8 .
23 E. S ch lin k , Ö k u m e n i s c h e D o g m a t i k , 7 3 ff.
stantisches D enken neuartigen W eise die Schöpfung auf das W irken
des trinitarischen G ottes gründet24. Als W erk der Trinität verstanden,
em pfängt nicht nur das C hristusereignis vorbildhafte B edeutung für
die G esam tschöpfung und den M enschen, es wird darüber hinaus
auch das W irken des G eistes in das Schöpfungsgeschehen einge-
bracht und m it der D ynam ik der N aturw irklichkeit verbunden. Dabei
kann sogar für die sich dynam isch entw ickelnde Schöpfungsw irk­
lichkeit eine positive Erw ägung des W unders in B etracht gezogen
w erden25.
D ieser w eitgefaßte, auch die inhaltlichen W ahrheiten aufnehm en­
de und m it philosophischen D enkm itteln ausgearbeitete Schöpfungs­
aspekt erfährt bei G. Ebeling w ieder eine deutliche Einschränkung.
Als V ertreter einer herm eneutischen Theologie, die streng auf das
m enschliche Verstehen des G laubens dringt, entw ickelt der Tübinger
Theologe das Wort vom Schöpfergott als Rede von der m enschlichen
W irklichkeit und der geschichtlichen W eltsituation in A usrichtung
auf die konkrete Lebenserfahrung. D iese ist nach Ebeling getroffen,
wenn die Schöpfungslehre als „Zusam m ensein von Welt und G ott“
wie von „Gott und M ensch“26 interpretiert wird. So ruht der Blick
nicht direkt auf dem Schöpfergott, seiner Tat und seinem Planen,
sondern auf der Beziehung des M enschen zu diesem Gott, die in der
Erfahrung des M enschen aufgehen soll. Was nicht in diese Erfahrung
eingeht (wie U rzustand und U rsünde), w ird aus der Schöpfungs­
offenbarung ausgeschlossen. D am it bew eist der E ntw urf eine anthro­
pozentrische Engführung, in w elcher die Schöpfung als Tat und
W ahrheit Gottes nicht gänzlich eingeht27.
W ährend bei G. E beling die A usrichtung der Schöpfungs Wahrheit
auf das individuelle D asein und die subjektive L ebenserfahrung vor­
herrscht, dom iniert bei J. M oltm ann der Zug zum Sozialen, zum
Politischen und zur Zukunft der Schöpfung „im R eich der H errlich­
keit“ . Die Schöpfung w ird hier, ausgehend von der ökologischen
K rise der Gegenwart, vornehm lich als ein vom Geist gesteuerter
Prozeß m it dem Ziel der ökologischen W eltgem einschaft und zur

24 W. P a n n e n b e r g , S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 15-76.
25 E b da., 60 -62.
26 G. E b elin g , D o g m a t i k des c h r is tlic h e n G l a u b e n s I, 105; 291; 352.
27 Vgl. L. S ch effc zy k , E in f ü h r u n g in die S c h ö p f u n g s l e h r e , lOf.
„Sym pathie aller D inge“ in G ott dargestellt28. In diesem Konzept tre­
ten durchaus bedenkensw erte originelle Gedanken bezüglich der
Vollendung der Schöpfung durch das M itschaffen des M enschen auf.
Aber sie geben nicht eigentlich das O riginal der biblisch-christlichen
Schöpfungsw ahrheit w ieder als m ehr eine Paraphrase in A nlehnung
an eine evolutive Philosophie.
A llen beachtensw erten evangelischen E ntw ürfen zur Schöp­
fungstheologie ist schließlich der A bstand zum D ogm a der K irche
gem einsam , das hier nicht eigentlich als Norm der originellen
Entw ürfe anerkannt ist, sondern m ehr als ergänzende Inform ations­
quelle.
Die U neinheitlichkeit und das Schwanken in den K onzeptionen
der Schöpfungslehre läßt eine genauere Bestim m ung ihrer B edeu­
tung angem essen erscheinen.

I I. Die th eologisch e B ed eu tu n g der Schöpfun gslehre


D er erste G laubensartikel zielt nicht zuerst auf die gegenständli­
che Schöpfung, sondern auf den Schöpfer und sein Tun. So geht es in
der Schöpfungstheologie zuerst um den Schöpfergott. Darum hat
sich der christliche Schöpfungsglaube auch in A useinandersetzung
m it den antiken V orstellungen vom aristo te lisch -p lato n isc h e n
Dem iurgen, vom bösen gnostisch-dualistischen W eltbildner und vom
im m anentistischen stoischen W eltgrund entw ickelt. Das A nliegen der
Schöpfungslehre ist in diesem Sinne ein spezifisch theologisches,
d.h. ein auf G ott gehendes29.
1) Die E xplikation des G ottgeheim nisses
Es geht der Schöpfungslehre zuerst um die W irklichkeit G ottes,
die sich nach außen in der Erschaffung einer endlichen Welt offen­
bart, welche so in ein besonderes Verhältnis zu G ott gesetzt wird. In
diesem Sinne spricht katholische Theologie von einer Schöpfungs­
offenbarung, woran schon die Aussage über den ersten Schöpfungs­
tag erinnert, der als ein L ichtereignis beschrieben wird (Gen 1,3).
Schöpfung ist so die erste O ffenbarung des Lebens G ottes und der

28 J. M o l t m a n n , G o tt in der S c h ö p f u n g . Ö k o l o g i s c h e S c h ö p f u n g s l e h r e , 26; 20.


29 Vgl. dazu W. Liitgert, S ch ö p f u n g und O f fe n b a ru n g , 24f.
göttlichen Liebe nach außen, dam it auch Tat und W erk G ottes, der so
nicht m ehr als Deus otiosus angesehen w erden kann. Diese Tat- und
W erkoffenbarung steht in einem Verhältnis zu G ottes innerem Sein
und Leben. N icht als ob sie m it N otw endigkeit aus diesem Sein und
Leben heraus erfolgte; denn der G laube weiß, daß Gott schon in sei­
nem inneren Sein dreifältiges Leben, W irken und Lieben ist und daß
deshalb die Welt aus einem freien W illensakt des in sich vollendeten
dreieinigen Gottes entsprungen ist. So m ußte der dreifältige Gott
auch nicht erst in der Schöpfung sein Tätigsein und seine A ktivität
beweisen. Wenn er die Schöpfung aber freiw illig ins Werk setzte, so
geschah dies aus der M acht und Liebe des trinitarischen Lebens her­
aus, so daß die Schöpfung trotz der E inheit der drei Personen im
H andeln nach außen in ein V erhältnis zum in n ertrinitarischen
Lebensprozeß gesetzt ist.
D iesen S a ch v erh alt hat B asilius d. Gr. (+ 379) treffend in die Worte gefaßt:
„Sieh bei der E rsch affu n g d ieser Wesen den Vater als den v o rau s lie g e n d e n
G ru nd , den Sohn als den scha ffen de n, als den v o lle n d e n d e n den G eist, so daß die
d ie n e n d e n G e is te r im W ille n des V aters ih ren A n fa n g h a b e n , d u rc h die
W irk sa m k e it des So hn es in das Sein gefü h rt w erden und durch den B eistand des
G eistes v ollen det w e rd e n “ 30. So ist die S c h ö p fu n g n ich t rein m o n o th e is tisc h zu
den ken , so ndern auch trin ita risc h zu ve rsteh en. Sie kann nich t n ur ihren
U rsp ru n g im Tun des Vaters, des So hn es und des G eistes verbergen , sondern sie
o ffenb art auch ihr E in b e z o g e n s e in in das Wort, das der Vater spricht, und in die
L ieb e, die zw isch en beid en lebt und webt. Dies tritt dann in der H eils ö k o n o m ie ,
in der S e nd un g des Soh nes und des H eilig e n G eistes in h ö c h ste r K la rh eit z u ta ­
ge.
N atürlich hebt die Schöpfungsoffenbarung auch das eine Sein
und Wesen Gottes ans Licht. Das deutet schon das Buch der W eisheit
an, wenn es davon spricht, daß sich „von der Größe und Schönheit
der G eschöpfe auf den Schöpfer schließen läßt“ (Weish 13,5), ein
Gedanke, den Paulus aufnim m t: „Seit Erschaffung der Welt wird
seine unsichtbare W irklichkeit an den W erken der Schöpfung m it der
V ernunft w ahrgenom m en, seine ew ige M acht und G o tth e it“
(Röm 1,20). D ieser G edanke findet auch in der Tradition ein starkes
Echo, so in dem W ort des Irenäus v. Lyon (+ um 202): „Denn durch
die Schöpfung selber offenbart das W ort [das G ott gesprochen hat]
G ott als den Schöpfer, durch die W elt den H errn als den Schöpfer

30 B a siliu s, Ü b e r den H e ilig e n Geist, 31.


dieser W elt und durch das G eschöpf den K ünstler“31. A ugustinus
(+ 430) legt den N achdruck auf die Bekundung der A llm acht Gottes
in der Schöpfung aus Nichts: „Du hattest nichts in der Hand, woraus
du Erde und Him m el hättest bilden können ... Du hast also gespro­
chen. ‘Und es w ard ’, und in deinem Wort hast du es geschaffen“32.
A ber es ist nicht nur die Offenbarung der M acht G ottes, die in der
Schöpfung hervortritt. So bedeutsam diese E igenschaft für den aus
der Schöpfung hervorgehenden G ottesglauben und insbesondere für
das K reaturgefühl des M enschen ist (Luther form uliert dies über­
stark: „D ieser A rtikel soll uns alle dem ütigen und erschrecken“33), so
verb in d et schon das A p o sto lisch e G lau b en sb ek en n tn is das
M achtattribut m it dem Vatersein Gottes, das die A llm acht sogleich
m it der A ura des gütigen und liebenden Gottes um gibt, so daß die
(recht verstandene und dem [sündig gewordenen] G eschöpf durchaus
anstehende) G ottesfurcht sogleich auch m it der H inneigung des
G eschöpfes zum „G eber aller guten G aben“ (vgl. Jak 1,17) verbun­
den ist.
D urch die M anifestation der Gabe Gottes, an der die Welt und in
Sonderheit der M ensch A nteil erhält (vgl. das Erste Vatikanum und
seine A ussage über „die Güter, die er den G eschöpfen gew ährt“ :
DH 3002), gew innt die O ffenbarung G ottes, die im m er auch eine
Selbstoffenbarung ist, den C harakter einer Selbsthingabe. D er
unendliche G ott gibt dem endlichen G eschöpf A nteil an sich selbst
und gibt sich ihm hin. Der G ew altigste w endet sich dem G eringsten
zu, der H öchste dem N iedrigsten, der Vollendete dem U nvoll­
endeten34 (denn auch die Schöpfung ist noch nicht schlechthin voll­
endet, sondern, obwohl in sich gut, auf eine perfectio finis ausge­
richtet).
In d em der S c h ö p fe r den G esc h ö p fe n A nteil an seinem Sein, seinem L eben
und sein er G ü te gibt, neig t er sich zu ihnen herab und n im m t so je n e s E re ign is
der exinatio voraus, w elches der In b e g riff der „ z w e ite n “ , der „ n e u e n “ S ch ö p fu n g
in C hristu s ist (vgl. Phil 2,5-8). So ist auch die G üte Gottes, die in der
S ch ö p fu n g als G abe an die M e n s c h e n o ffen bar wird, ein V orentw urf der G nad e
und der h o h e n G abe der E rlösu ng . D er h ier zu tage tre ten d e A u sd ruc k der G üte

31 Adv. haer. IV,6.


32 Conf. X I , 5.
33 G r o ß e r K a t e c h i s m u s : WA 30 ,1 ,1 85 .
34 Vgl. d azu L. S che f fc z y k , G ott der S ch ö p f er: Fr. B reid (H rs g .), 2 8 ff.
und L iebe G ottes ist be reits ein Vorschein der e rlö se risc h e n L iebe G o ttes und der
in C hristu s v o llen d et ers c h e in e n d e n G nade. D ie A n g le ic h u n g führt A u g u stin u s in
dem W ort aus: „ F reilich kan n m an du rch au s von der G nad e sp rechen , durch die
w ir ers ch affen sin d “35.

Im B lick auf die geschaffene W elt gingen dem G lauben aber nicht
nur die M acht und Güte, sondern auch die W eisheit Gottes auf. „Er
aber hat die Erde erschaffen durch seine K raft, den Erdkreis gegrün­
det durch seine W eisheit, durch seine Einsicht den Him m el ausge­
spannt“ (Jer 10,12). Die V äter der K irche schlossen diese A ndeutun­
gen zu einem D reiklang zusam m en, der die Selbstoffenbarung Gottes
in seiner Schöpfung in eins faßte: „G ott schuf in seiner Güte das
N ützliche, in seiner W eisheit das Schönste, in seiner M acht das
G rößte“36.
Im ganzen läßt die O ffenbarung G ottes in der Schöpfung deutlich
w erden, daß das trinitarische G ottgeheim nis, das allem zugrunde
liegt, nicht eine theoretische G ottesidee beinhaltet, ebensow enig
einen deistischen oder pantheistischen Gott meint, sondern einen aus
seiner U nendlichkeit heraustretenden G ott erkennen läßt. Er existiert
nicht allein in seiner trinitarischen Selbsterfülltheit, sondern er
begibt sich als m itteilsam er G ott in einen tätigen, geschichtlichen
W eltbezug hinein, der gänzlich frei erfolgt, der aber deshalb doch
nicht als rein äußerlich oder gar als zufällig gedacht werden kann37.
Von dem durch den Schöpfer gesetzten W eltbezug her fällt aber
auch Licht auf das W eltgeheim nis.
2) Die E rschließung des W eltgeheim nisses
Die Schöpfungsoffenbarung erbringt nicht nur eine E xplikation
des G ottgeheim nisses, sondern läßt auch L icht fallen auf die
E xistenz der Dinge und auf das Geheim nis der Welt, vor das sich ein
D enken, das sich nicht rein positivistisch versteht, im m er gestellt
sieht. D er Schöpfungsglaube leistet hier etw as, was von der positivi­
stischen N aturw issenschaft nicht zu erbringen ist, obgleich sich m an­
che ihrer Vertreter, sei es unter dem A spekt der K osm ologie, sei es
unter dem der B iologie, der E rkenntnis von einer Präsenz des Nu-
m inosen in der Welt nähern.

35 Ep. 177,8.
36 B asiliu s d. Gr., H e x a e m e ro n , H om . 1,7.
37 Vgl. L. S ch e f fc z y k , E in f ü h r u n g in die S c h ö p f u n g s l e h r e , 12.
So v ertritt J. C. P o lk in g h o rn e die A uffassun g, „daß eine re lig iö se D im e n s io n
d er R e alität e rfa h rb a r se i“ und „daß m an der n u m in o se n P rä senz des ganz a n d e ­
r e n “ im K o sm os „ begegnen k ö n n e “ un d „im Wesen der Welt ein letzter Sinn
g e fu n d e n w erd en k a n n “ 38. Im A s p e k t der b io lo g is c h e n W eitsic h t g e la n g te
A. P o rtm a n n am E nde seines F o rs c h u n g sw e g e s zu dem B eken ntn is: „ D ad urch
m ü ß te e in e Ü b e r z e u g u n g s te tig w a c h s e n : D as A h n e n d er g e w a lti g e n
G e h e im n issp h ä r e der W irklichk eit, die uns um gib t und von der w ir ein Teil
s in d “39. Z w ar sind solche B e k e n n tn isse n ich t häufig; die b etre ffen d e n A u to ren
w e rd en von ihren F ac h k o lleg en nich t selten als „w eiße R ab en ihrer Z u n f t“40 a u s ­
gegeben. A b er doch sind sie n ic h t ohne je g lic h e R e p rä se n ta n z fü r ein offenes
n atu rw isse n s c h a ftlic h e s D enken.
Die rein positivistische N aturw issenschaft gerät allerdings bei
ihrer grundsätzlichen Selbstabgeschlossenheit in Gefahr, bei all
ihrem Reichtum an Erkenntnissen an innerer geistiger und hum aner
B edeutung zu verlieren. N icht zu U nrecht hat m an auf seiten einer
kulturw ertenden Philosophie von einem m it den ungeheuren E rfol­
gen der N aturw issenschaft einhergehenden „T rivialisierungsprozeß“
im m enschlichen U rteilen und Werten gesprochen41. Er resultiert dar­
aus, daß die staunensw erten Ergebnisse dem M enschen keinen Bezug
zur Sinn- und Lebensfrage erschließen, so daß sie dem M enschen
bald selbstverständlich, bald aber auch als personal irrelevant
erscheinen. D iese M inderbew ertung kann die N aturw issenschaft nur
aufgeben, wenn sie ihre E rkenntnisse für eine höhere D im ension
offenhält.
Die Schöpfungstheologie kann diese Perspektive auf das in der
Welt w altende G eheim nis, das N um inose an ihrer undurchschauba­
ren Größe und Ordnung wie an ihrem beinahe unendlichen Reichtum
an Inhalten und Form en durch den Ursprung in G ott dem Verständnis
nahebringen. Dies geht vor allem durch die H eranziehung des in der
Schöpfungs Wahrheit eingeschlossenen Gedankens von Gottes T rans­
zendenz und Im m anenz. D er die Welt m it unendlicher K raft in abso­
luter Souveränität aus dem N ichts rufende G ott bleibt der Welt

38 J. C. P o l k i n g h o rn e , O ne World, L o n d o n 1986, 29.


39 A. P o rt m a n n , An den G r e n z e n des W is sen s . Vom B e itrag der B io lo g ie zu e in e m n e u e n
W eltb ild ( F is c h e r T asch en b u c h ) F ra n k fu r t a. M. 1974, 136; vgl. auch H. Müller, Die
G o t t e s fr a g e bei A. P o rtm a n n , in: F K T h 4 ( 19 88 ) 98- 110.
40 H. M üller, eb da., 98.
41 So F. H. T en b ru ck , D e r F o rts c h r itt d er W is s e n s c h a f t als T r i v i a l i s i e r u n g s p r o z e ß , in:
K ö ln e r Zt. f. S o z i o l o g i e un d S o z i a l p s y c h o lo g i e 18 (197 5) 19-47.
w esentlich überhoben, von ihr radikal unterschieden und von ihr
durch keine A nstrengung der Natur und des G eistes zu erreichen: Er
ist ihr transzendent. A ber insofern er m it seiner unvergleichlichen
Schöpferkraft die G eschöpfe ins Sein ruft und so zur U rsache des
ganzen Seins und Lebens der G eschöpfe wird, das von ihm auch
getragen und erhalten werden muß, ist er als Schöpfer den geschaf­
fenen D ingen auch zuinnerst gegenw ärtig, durchw irkt und durch­
dringt sie: Er ist ihnen auch im m anent. D iese Im m anenz erklärt sich
nicht nur aus der Ü b erräu m lich k eit und Ü b e rz eitlich k e it des
Schöpfergottes, die zur K oexistenz G ottes m it jed er räum lichen und
zeitlichen E rstreckung der geschaffenen Dinge führt, sie ist tiefer
begründet in der inneren A bhängigkeit der G eschöpfe von ihrem
Schöpfer, in ihrer K ontingenz, derentw egen sie nur durch den be­
ständigen Seinszufluß G ottes im D asein gehalten werden können.
So ist G o tt den G e s c h ö p f e n t r a n s z e n d e n t a u f g r u n d s e i n e r a b s o l u te n
E rh a b e n h e it ü ber alle K reatur; er ist ih nen aber auch im m a n e n t und in existen t
au fg ru n d der In n e rlic h k e it des a n d au ern d en und das D asein der G esch ö p fe tr a ­
g en d e n S c h ö p fu n g s a k te s . In d ie s e r E in h e it v on G o ttes T ra n s z e n d e n z und
Im m a n e n z g e g e n ü b e r den G e sch ö p fen liegt das G eh eim n is der D in g e und das
G eh e im n is der Welt. W e lttra n sz en d e n z und W e ltim m a n e n z G ottes sind deshalb
kein e G e g en sätz e und sch ließ en e in an d e r n ich t aus. D ie le tztere ergib t sich aus
der ersteren: Weil der S c h ö p fe r allem g esch ö p flic h e n V erm ögen g e g e n ü b e r so
ab so lu t ü berh o b en und e rh a b e n ist, k an n sich diese Ü b e rh o b e n h e it für das
G e s c h ö p f auch in der Form der inn ersten G eg e n w a rt und v ö llig er D istan zlo sig -
keit ausw irk en. F ür das G e s c h ö p f ab er b e g rü n d e t d iese V erw iesenh eit au f das
A b so lu te un ter g le ic h z e itig e m Ergriffen- und D u rc h d ru n g e n se in von ihm das
ihm eig en tü m lic h e D a sein s g eh eim n is.

D ieser im W esen des absoluten Schöpfergottes gründenden


D ialektik von Transzendenz und Im m anenz bezüglich der G eschöpfe
steht gegenw ärtig ein Versuch zur A uflösung dieser gespannten
D ualität nach der Seite der Im m anenz gegenüber. Es heißt, daß nicht
m ehr die D ifferenz zw ischen G ott und W elt zu erheben und zu beto­
nen sei, sondern eine „ökologische Schöpfungslehre heute die
W eltim m anenz G ottes wahrnehm en und lehren“ müsse. Zu diesem
Zw eck sei auch auf den K ausalbegriff in der Schöpfungslehre zu ver­
zichten, weil er der Bevorrechtung der Transzendenz Vorschub leiste
und keine w echselseitigen B eziehungen zw ischen dem Schöpfer und
den G eschöpfen zulasse42. Aber die letztgenannte Konsequenz ist

42 Vgl. J. M o l t m a n n , G o tt in der S c h ö p f u n g , 28.


nicht schlüssig; denn gerade durch des Schöpfers Transzendenz wird
das G eschöpf ein W esen der Beziehung zum A bsoluten, wogegen die
einseitige Betonung der Im m anenz diese B eziehung auflösen m üßte
in ein p an th e istisc h e s oder p an e n th e istisc h e s In ein an d er von
Schöpfer und G eschöpf.
Die B eziehung zw ischen dem Schöpfer und der Schöpfung und
dam it das W eltgeheim nis w ird durch das in der Schöpfungsw ahrheit
enthaltene M om ent der Exem plarität noch bestim m ter gefaßt und
qualifiziert. Es gründet in der schon in der W eisheitsliteratur an­
klingenden Ü berzeugung, daß G ott die Welt unter M ithilfe und
Voranleuchten seiner W eisheit geschaffen hat (Spr 8,1-9, 18; Sir
24,3ff.; W eish 7,22ff.), w oraus sich besonders beim M enschen
(vgl. Gen l,2 6 f.) ein Verhältnis zum Schöpfer wie das zw ischen
U rbild und A bbild ergibt. D iesen „Exem plarism us“ entw ickelten die
V äter w eiter zur Ideenlehre, nach w elcher die G eschöpfe in G ott
auch ihre causa exem plaris besitzen, so daß die W elt in gestufter
W eise als um bra, als vestigium und als imago G ottes verstanden w er­
den kann. Ein beredter Zeuge dieser Ideen- und E xem plaritätslehre
war A ugustinus, der die A bbildlichkeit trinitarisch begründete und so
die W elt als einen „D reifaltigkeitsspiegel“ erklärte43.
D en d if fe re n z ie rte ste n und s u b tilste n A u sd ru c k n ah m d iese L e h re bei
B o n a v e n tu ra (+ 1274) an, der die D in g e e n ts p re c h e n d ihrem g rö ßeren o de r g e rin ­
geren A b sta n d von G ott als Sc hatten, S p ure n und B ild e r des gö ttlich en U rb ild es
interp re tierte und sie so als S tu fe n re ic h von A na log ien v erstand, die in d ieser
ihrer Z eic h e n h a f tig k e it dem M e n s c h e n auch den Weg zu G o tt w ie se n 44. D iese r
aus f r a n z i s k a n i s c h e m G e is t e r w a c h s e n e G e d a n k e d e r A b b i l d l i c h k e i t d er
G esch ö p fe galt auch als N orm der E rk e n n tn is der D inge, so daß diese w e sen tlich
n ich t in ihrer po sitiv en G e g e b e n h e it und in ih rer D in g lic h k e it v erstan de n w erden
k on nten , so nd ern nur in ih rem Z e ich en - und H in w e isc h a r a k te r au f ihren letzten
U rsp ru n g und G ru n d e insic htig w u rd e n 45.

Man wird nicht verkennen, daß der G edanke der göttlichen


E xem plarität und dam it der Transparenz der G eschöpfe für den
Schöpfer durchaus dazu angetan war, die Im m anenz Gottes in den
G eschöpfen und dam it ihre von G ott abkünftige geheim nishafte
W ürde zu steigern. In der sich daraus ergebenden E inheit von

43 J. Auer, Die Welt - G o ttes S c h ö p f u n g , 88.


44 Vgl. In Sent. d.3 p. 1 a.l q 2 concl.
45 Vgl. M. S c h n e i d e r S .J., Die t h e o l o g i s c h e A u s d e u t u n g vo n S c h ö p f u n g u n d H e i l i g e r
S ch r ift bei B o n a v e n t u ra , in: T h P h 69 ( 1 99 4 ) 373-38 9.
geschöpflicher K ontingenz und übergeschöpflicher A ngleichung an
G ott konnte das den G eschöpfen innew ohnende G eheim nis getroffen
und lebendig erfahren w erden, z.B. in der zum al der franziskani­
schen R ichtung eignenden N aturliebe und „W eltfröm m igkeit“ . Sie
erbrachte zugleich auch, entgegen allen in der G eschichte der christ­
lichen Lehre vorkom m enden dualistischen Tendenzen, eine innere
Zuw endung zur Welt, die deshalb wegen der im m er m itgedachten
Transzendenz G ottes doch nicht vergöttlicht und divinisiert wurde.

Die Frage ist nur, ob ein solches tief theologisches Verständnis


des W eltgeheim nisses dem m odernen, auf die Em pirie eingeschw o­
renen und am P aradigm a der N aturw issenschaften orientierten
M enschen noch aufgehen und ihn berühren kann. Spuren einer
„W eltfröm m igkeit“ oder einer „A ndacht zur W elt“ finden sich auch
in der M oderne, z.B. in der G oethezeit46. Sie haben aber bezeichnen­
derw eise ihren Bezug zur Transzendenz verloren und sind so in eine
rein innerw eltliche R eligiosität abgeglitten.
A b er selbst ein solche r R e stb e s ta n d von relig iö se r T ran sp aren z fü r etw as
H ö heres sch eint der m o d e rn e n Welt- und N a tu ra u ffa ssu n g v e rlo re n g e g a n g e n zu
sein. K. L oren z k ritisiert in seinem B uch „D ie R ü c k se ite des Spiegels. Versuch
ein er N a tu rg e s ch ich te des m e n s c h lic h e n E rk e n n e n s “ das b e k an n te G o eth ew o rt
am E nd e des ersten Teiles der F a u std ich tu n g : „A lles V ergängliche ist nur ein
G le ic h n i s “ m it dem Satz: „D as L eb ew e s en ist n icht G leich nis von ir g e n d e t­
w a s “47. H inter der g e g e n te ilig en A n n a h m e stecke w e ltfre m d e r Ide alism u s, der
dem m e n s c h lich e n S treb en n ach ex ak te r E rk en n tn is d er W irk lich k eit schade. Von
a n d e re r S eite m ag d e r E i n w a n d k o m m e n , daß ein so lch es th e o l o g is c h e s
Verständnis der D in ge und der Sc h ö p fu n g in re in e r K o n tem p latio n v erharre und
da m it alle Im pu lse zum tätig en W eltb ezug und zur V eränderung der Welt u n te r­
b in d e 48.

Die W ahrheit des G laubens w ird von diesen Einw änden im


G runde nicht getroffen. Sie bew eist ihre R ichtigkeit zunächst
dadurch, daß sie kein positiv-naturw issenschaftliches Datum und
Faktum leugnet, sondern das positiv G egebene nur in einen neuen
K ontext stellt oder in eine neue D im ension erhebt, die ihr vom
Positivism us, will er sich selbst nicht m etaphysisch begründen, nicht
streitig gem acht werden kann. Zum Bew eis der L egitim ität dieses

46 V g l. d a z u E. S p r a n g e r , W e l t f r ö m m i g k e i t . E i n V o r trag , L eipzig 1941, 8f;


L. S c h e f fc z y k , C h r istlic h e W el t f rö m m i g k e i t ? , 7 ff.
47 K. L o ren z, Die R ü c k se ite des S p ieg els, M ü n c h e n 1972, 326.
48 Vgl. das von J. M o l t m a n n , a.a.O ., 47 ü b e r die „ r elig iö se K o s m o l o g i e “ G esag te.
Ü berschritts darf die Theologie auf die Kontingenz der Dinge hin-
weisen, die so dem m enschlichen Denken nicht aus sich selbst her
erklärbar sind.
Freilich könnte dem gegenüber im m er noch der Verdacht erhoben
w erden, daß es sich bei dem G lauben an diese Transparenz der
G eschöpfe für das G eheim nis des Schöpfers um einen w illkürlichen
Ü berbau und dam it um eine realitätsferne Ideologie handele. D iesem
Einw and aber ist nicht nur m it den allgem einen G rundsätzen der
G laubensbegründung zu begegnen, sondern auch m it dem H inw eis,
daß viele N aturforscher die M öglichkeit dieses Ü berschrittes von der
Em pirie zur Transzendenz und zur „Theophanie“ der Dinge zugeben
und sogar einen solchen S ch ritt anerkennen (E. D acque,
I. v. Uexküll, P. Jordan, W. H eisenberg, A. Portm ann). Auch wenn
sich das Universum dem an der N aturw issenschaft orientierten
D enken nicht m ehr so sym bolträchtig darstellt wie dem m ittelalterli­
chen M enschen, so ist es doch nicht ohne Transparenz für ein
A bsolutes, das vom Schöpfungsglauben seine D eutung erfährt.
Im L ichte des Schöpfungsglaubens gewinnt das W eltgeheim nis
noch eine zusätzliche Bestim m ung, insofern es auch U nsichtbares,
d.h. die G eister in sich einbezieht. D am it tut sich gegenüber den
N aturw issenschaften w ieder eine neue D im ension auf, die dennoch
keinen G egensatz aufreißt. Der im A postolicum bekannte „Schöpfer
des H im m els und der E rde“ gilt dem christlichen Glauben als der
Erschaffer des ganzen Alls (M k 13,31; M t 5,34; Lk 12,56; 1 Kor 8,5),
zu dem auch überirdische Lebew esen gehören, Engel (Gen 16,7-13),
H eilige (Dtn 33,2f.) und Söhne Gottes (Gen 6 ,l-4 )49, die von der
T radition b estim m ter als G eistw esen verstanden w urden. Ihre
Existenz verleiht nicht nur der W irkm acht des Schöpfers eine neue
Höhe und M ächtigkeit, sondern erw eitert auch die Schöpfung um
eine neue D im ension, die in ihrer U n sichtbarkeit und reinen
G eistigkeit bis an die G renzen des göttlichen Seins heranreicht und
doch geschaffene K reatur bleibt. Im Blick auf diese „jenseitige
W elt“ , die doch m it der M enschenw elt verbunden lebt und w irkt,
gewinnt die Schöpfung auch in ihren A usm aßen eine geheim nisvolle
Weite und Höhe. Die vom m odernen Denken wie auch von der

49 Vgl. N B L Lfrg. 4, 5 3 7 - 5 3 9 ( „ E n g e l “ , H. R öttg er, B. L ang).


Theologie erhobenen Einw ände, die in eine dynam ische oder exi­
stentielle U m interpretation dieser Schöpfungsordnung auslaufen50,
erbringen keine zw ingenden G egenargum ente gegen den katholi­
schen Engelglauben.
3) Die E rhellung des G eheim nisses des M enschen
Das Schöpfungsgeheim nis gew innt im M enschen seine höchste
K onzentration. Die Erschaffung des M enschen in U nm ittelbarkeit zu
Gott bietet die G laubensw ahrheit nach dem Sein und dem Sinn des
M enschenlebens, die nicht erst in der M oderne strittig geworden ist,
sondern sich als d u rchgängiges P roblem der ab en d ländischen
G eistesgeschichte erw iesen hat, beginnend m it der A ussage der grie­
chischen Tragödie: „Gew altiges lebt auf der Erde, aber nichts ist
gew altiger als der M ensch“51. Aber die A ntike hat dieses „G ew altige“
nich t e ig en tlich zu begründen verm ocht. Dem so p h istisch en
Skeptizism us und Relativism us (Gorgias: „Der M ensch, das Maß
aller D inge“) stellte zw ar Platon die These „G ott ist das M aß aller
D inge“52 entgegen und erreichte in der Lehre von der U nsterblichkeit
der Seele tiefe E insichten über die M enschen, die A ugustinus zu dem
E ingeständnis bestim m ten: „N iem and ist uns so nahe gekom m en wie
die P latoniker“53. A ber das ästhetisch-ethische B ildungsideal der
„K alokagathia“ , verbunden m it den W erten von M aß, Form und
S elb stb eg ren zu n g , fü h rte zu ein er A n th ro p o ze n trik 54, die den
M enschen an sich selbst Genüge finden ließ (das A utarkieideal), ihn
aber andererseits (in der Stoa) seine Eigengesetzlichkeit an das
W eltgesetz und an das Fatum verlorengehen ließ.
F reilich ersc hien der „g riech is ch e H u m a n is m u s “ d u rch das B e w u ß tsein der
E n d lic h k e it g eb un den und au sgew o gen . Von d iese r V orau ssetzu ng löste sich der
in d er R e n a is s a n c e a u f k o m m e n d e H u m a n i s m u s , d e r die m e n s c h li c h e
In d iv id u a ln a tu r als pote ntie ll u n en d lic h ansah und das U n e n d lich k e its streb en mit
dem P ro m e th e u sm o tiv in V erb ind un g b r a c h t e 55. Z w a r w irkte der b iblisc he

50 So hält J. M o l t m a n n die E n g e l f ü r „ P o t e n z e n G o t t e s im B e r e i c h s e i n e r
M ö g l i c h k e i t e n “ : a.a.O ., 172; W. P a n n e n b e r g i n t e r p re t i e r t sie „n ich t in erster L in ie als p e r ­
so n a le G es talt, so n d e rn als ‘M a c h t ’“ : a .a .O ., 127.
51 S o p h o k l e s , A n tig o n e ; C h o rlied .
52 N o m . 716c.
53 De civ. Dei VI II, 5.
54 Von d er „ a n th r o p o z e n t r is c h e n W e n d u n g “ s p r ic h t W. Ja eg er, D e r tr a g isc h e M e n s c h des
S o p h o k les: P aidaia. Die F o r m u n g des g r i e c h i s c h e n M e n s c h e n I, B e rlin 41959, 357.
55 Vgl. H. M eyr, A b e n d l ä n d i s c h e W e l t a n s c h a u u n g IV, P a d e r b o rn 1950, 25.
S c h ö p fu n g s g e d a n k e im m e r no ch nach (N ik olaus v. Kues, + 1464), aber er w ird
le b e n s m ä ß ig von dem B ew u ß tsein des eig enen S ch ö p fertu m s üb erd eckt, so daß
das V erständnis vom M e n s c h en sich la n g s am den m eta p h y sisc h e n und relig iö sen
D eu tu n g e n e n tw in d e t (N. M acch ia v e lli, + 152756). So zeic h n et sich das E n tste h e n
der „T rag ö die des H u m a n is m u s “ ab, die im 19. J a h rh u n d e rt ihren H ö h e p u n k t
g e w in n t57. D er D e g rad ieru n g des M e n s c h e n (von D a rw in zum „ h o c h e n tw ic k e lte n
S ä u g e tie r“ von M arx zum „ p ro d u z ie re n d e n G a ttu n g s w e s e n “ , von F re ud zum in
sich „w id e rs p rü c h lic h e n T rie b w e s e n “58) v e rsuc ht Fr. N ietzsc h e die h y b rid e Idee
des Ü b e rm e n s c h e n e n tg eg e n zu setzen , d er in ein em d io n y s isch en L eb en und im
W ille n zur M ach t den E rsatz G o ttes in sich selbst sucht, um sch ließ lich g esteh en
zu m üssen, daß „alles Ü b e rm e n s c h lic h e am E nde als K ra n k h e it und W ah nsinn
e rs c h e in t“ 59.
Im H inblick auf die Tragödie des Hum anen in der N euzeit hat
M. Scheler das Fazit gezogen: „W ir sind in der ungefähr zehntau­
sendjährigen G eschichte das erste Zeitalter, in dem sich der M ensch
restlos problem atisch geworden ist, in dem er nicht m ehr weiß, was
er ist, zugleich aber auch weiß, daß er es nicht w eiß“60.
A ngesichts dieser Situation erw ächst der Theologie die A ufgabe,
Licht auf das Geheim nis des M enschen zu werfen, der in den
Selbstzeugnissen seiner G eschichte den Beweis für das hellsichtige
Wort Pascals über „Größe und Elend des M enschen“ liefert: „Denn
sicher ist, daß, in dem M aße, in dem den M enschen Einsicht wird, sie
sowohl Größe als Elend im M enschen finden“61.
Die Schöpfungslehre aber erw eist sich als die erste Instanz zur
Verm ittlung dieser Einsicht. Im Verhältnis zum Schöpfer wird dem
M enschen einerseits seine G röße und W ürde verstehbar, die in der
biblischen K ennzeichnung als E benbild Gottes (vgl. Gen 1,27) ihren
tiefsten A usdruck findet. D urch die Schöpfung als R uf Gottes wird
der M ensch in eine B eziehung zu G ott als seinem „absoluten D u“
gesetzt, welche ihn selbst zu einem „endlichen A bsolutum “ m acht,
das ihn, trotz der V erbundenheit m it allem G eschaffenen in der
M itgeschöpflichkeit, unvergleichlich über die ungeistige Welt hin ­
aushebt. A ber als geschaffenes, endliches Sein muß er diese seine
W ürde in Freiheit und V erantw ortlichkeit im Gang durch die Zeit

56 E b da., 76-80.
57 Vgl. H. de L u b a c , Ü b e r G o tt h in au s . D ie T ra g ö d ie des at h e i s ti s c h e n H u m a n i s m u s , 9ff.
58 G. K n a p p , D e r a n t i m e t a p h y s i s c h e M e n s c h , 15-19.
59 N ie t z s c h e s Werke: G r o ß - O k t a v a u s g a b e XII, 361.
60 M. S cheler, P h i l o s o p h i s c h e W e l t a n s c h a u u n g , B o n n 1929, 15.
61 Ü b er die R e li g i o n (P e nsees; hrsg . von E. W asm uth ) H e i d e l b e r g 1963, 186 (nr. 416).
bewähren und zu dem von G ott gesetzten Ziel bringen, auch und
gerade in der sündigen Fehlbarkeit seiner Natur, die in seiner
G eschichte einm al aufgebrochen und so zu einer gefährdenden
G egenkraft angew achsen ist.
So erschließt die göttliche Schöpfung dem M enschen nicht nur
das Geheim nis seiner H erkunft, sondern eröffnet ihm zugleich auch
seine Zukunft und den Weg auf ein Vollendungsziel, das er nicht
ohne ernsten Einsatz seiner geistigen und w illentlichen K raft errei­
chen kann. D araufhin nim m t das M enschsein in der durch die
Schöpfungsw ahrheit gesetzten O rdnung den C harakter eines Dramas
an, das aber anders als die „Tragödie des atheistischen H um anis­
m us“ , in der der M ensch zu einem W esen unerfüllbarer w idersprüch­
licher Begierde degradiert wird, auf die Vollendung des M enschen
zielt.
D ieses G eheim nis des M enschen beleuchtet die Schöpfungs­
w ahrheit auf dem Grunde der geschichtlichen O ffenbarung und des
G laubens. Da sie aber dabei den M enschen in allen seinen w esentli­
chen Bezügen trifft und erfaßt, bew eist sie eine Nähe zum M ensch­
lichen und zum Hum anum als solchem . So verm ag sie auch den
natürlichen M enschen anzusprechen, der nach Sinn und Ziel seines
Daseins sucht und von seiten der Offenbarung ein A ngebot em pfängt
zur Erhellung des R ätsels seines D aseins.

I I I . A u fg a b e u n d A u s f o r m e n g d e r S c h ö p fu n g sth e o lo g ie
Was hier als B edeutung der theologischen Schöpfungslehre aus­
gegeben wird, kann zugleich von seiten der Lehre als A ufgabe ange­
sehen werden: Die Schöpfungstheologie hat diesen ihren gekenn­
zeichneten Rang als Interpretin des Gott- und W eltgeheim nisses wie
des R ätsels des M enschseins ins einzelne gehend aufzuarbeiten und
zu einem für die Erkenntnis erfaßbaren Ganzen (um nicht zu sagen
zu einem „System “) auszuführen. D abei ist die B ew ältigung dieser
Aufgabe nicht so sehr von der A ufnahm e der M aterialien oder von
der Zahl der darzubietenden Inhalte abhängig als vielm ehr von der
Art und Weise der denkerischen B ehandlung des Stofflichen, also
von der D enkw eise oder von der M ethode der E rfassung des
Inhaltlichen.
l)D ie O rientierung an der H eilsgeschichte
Soll die Schöpfungs Wahrheit nicht als natürlicher philosophi­
scher Vorbau der Theologie m ißverstanden werden, dann muß sie als
H eilslehre entw ickelt werden. Als Erstoffenbarung Gottes eignet ihr
H eilscharakter. Da die H eilso ffen b aru n g nach ch ristlich em
G laubens Verständnis geschichtlich ereignishaft ergangen ist und so
in einem von G ott gefügten Zusam m enhang steht, muß die Schöp­
fung als Eröffnung der H eilsgeschichte verstanden werden. Die
Schöpfungstheologie kann deshalb, wenn sie dieser grundlegenden
Tat G ottes zur G ründung einer geschichtlichen W elt gerecht werden
w ill, ihren A nsatz n ich t beim „G efühl der sch lech th in n ig en
A bhängigkeit des M enschen“ (Schleierm acher) nehm en, aber auch
nicht bei der transzendentalen Erfahrung des M enschen von seiner
K reatürlichkeit62. Es ist nicht ein m enschliches G rundverhältnis oder
ein E xistential, das den M enschen zur Anerkennung einer Schöpfung
führt, sondern es ist die göttliche Schöpfungstat, die dem M enschen
den C harak ter der K re a tü rlic h k eit v erleih t und ihn in das
G rundverhältnis zu seinem Schöpfer setzt, so daß er sogleich auch
zum Verständnis dieser O ffenbarung gelangen kann.
D er h e ilsg e sc h ic h tlic h e A sp e k t u nte rsch eid e t sich nich t nur von ein em exi-
s te n tia listisc h e n oder id e alis tisch e n A n sa tz im S ch öp fun gs Verständnis, so ndern
auch von der tr a d itio n ellen sc h o la stisc h e n und n eu sch o la stisc h e n D arstellu n g
der S c h ö p fu n g s leh re . D iese war b e s tim m t durch ein b e to n t ra tio n a l-d o k trin ä re s
D e nk en von der S chö pfun g, d er „creatio ex nihilo secu n d u m totam suam sub-
sta n tia m “63. M an d a rf von ihr sagen, daß sie die S c h öp fu ng als erste Tat der
O ffen b aru n g G o ttes nach außen d u rch au s ernst nahm. A b e r sie kon nte diese Tat
in n erh alb ihres ra tio n a le n S y ste m d e n k e n s nicht anders b e sc h re ib e n und erfassen
als m it den M itteln der na türlich en T h eo lo g ie , d.h. der M etap h y sik . Es e n ts ta n d
darau s eine p h ilo so p h isc h e W e s en s b esc h reib u n g des g esch affen en Seins in s e i­
nem V erhältnis zum u n g esch affe n e n Sein G ottes. D ieses V erhältnis w urd e im
G ru n d e au f das S ch e m a der v ier U rsa c h e n ge b rac h t und nach diesem S ch em a
b esch rie b e n . Die c ausa m aterialis fiel dabei aus und w urde d urch den B eg riff der
„ creatio ex n ih i lo “ ersetzt, d em e in g e h e n d e Ü b e rleg u n g e n g e w id m e t w urden.
M an k an n n ich t leugnen, daß h ier große d e nk erisch e L e istu n g en v ollb rach t
w urd en, für die als B eispiel die S c h ö p fu n g s le h re M. J. S ch ee b e n s h e ra n g e z o g e n
w erd en k a n n 64. A b e r es ging doch dabei v orne hm lich um die p h ilo so p h isc h e

62 Vgl. K. R a hn er, G r u n d k u rs des G l a u b e n s , 83-88.


63 So T h o m a s v. A q uin : S.th. I q.65 a.3.
64 M. J. S c h e e b e n , H a n d b u c h der D o g m a t i k , 3. und 4. B uc h (hrsg. von W. B r e u n in g und
Fr. L a k n e r) F re ib u rg 31961.
D u rc h d rin g u n g des „in se“ der S c h ö p fu n g , nich t so sehr um eine für den
M e n sc h e n , für das „pro m e “ b e stim m te E rsc h lie ß u n g der Sc h ö p fu n g als einer
H eilsw ahrhe it. So ko nn te der E in d ru c k en tstehe n, die S ch ö p fu n g s le h re sei m ehr
ein m e ta p h y s is c h -k o s m o lo g is c h e r Vorbau der d o g m a tis c h e n T h e o lo g ie als diese
T h e o lo g ie selb st in h e ilsh a fte r B e deu tun g. M it d ie ser A u ffassu n g war eng v e r ­
b u nd en eine an das alte W eltbild a n g ele h n te V erteidig un g aller h is to risch en
E le m e n te des S c h ö p fu n g s g la u b e n s.

D ieser theologischen A uffassungsform steht das heilsgeschichtli­


che Denken gegenüber. Sein tiefster A ntrieb ist in der A bsicht gele­
gen, nicht zuerst nach den W esensstrukturen einer W irklichkeit oder
eines G eschehens, hier der Schöpfung, zu fragen, sondern nach dem
Ereignis als solchem , nach seinem übergreifenden Zusam m enhang,
d.h. dann auch nach seinem Sinn, seiner B edeutung und nach seinem
Ziel. H eilsgeschichtliches D enken iso liert deshalb niem als die
E inzeltatsachen und E inzelw ahrheiten, sondern stellt sie in einen
großen Zusam m enhang.
Es bew eist so auch ein geschichtstheologisches Interesse, das den
B lick nicht einfach auf den Anfang fixiert hält und die Schöpfung als
fernes Ereignis betrachtet, das heute nur in den K onsequenzen zu
bedenken wäre. Es blickt vielm ehr vom Anfang sofort auf die M itte
und auf das Ende, wie auch auf die neue Schöpfung, die erst am Ende
volle W irklichkeit erlangen soll.
D arauf treten auch Schöpfung und Erlösung als erste und zweite
Schöpfung in enge B eziehung zueinander, aber auch Schöpfung und
Bund. G erade die Einbeziehung des B undesgedankens in diesen
Zusam m enhang zeigt, daß diese Perspektive vom biblischen Denken
durchdrungen ist, und zwar schon auf seiner alttestam entlichen
Stufe65.
D iese P ersp ek tiv e w urde in der D o g m a tik der ne u e ren Z eit vor allem von
K. B arth kraftvoll zur G eltu n g gebrach t. So e n tw ic k e lte er im d ritten B and sei­
nes H au p tw e rk es die S c h ö p fu n g s le h re b e z e ic h n e n d e rw e is e un ter der Form el:
„die S c h ö p fu n g als äu ß e rer G ru n d des B u nd es - der B u nd als in n erer G rund der
S c h ö p fu n g “66. Fast u nter dem g leich en Titel stand die S c h ö p fu n g s le h re in der
h eilsg e sc h ic h tlic h e n D o g m a tik „ M y s teriu m S a lu tis “ . Die S c hö pfun g w u rd e hier

65 D ies en Z u s a m m e n h a n g hat b e s o n d e rs G. v. R a d h e r a u s g e a rb e i t e t : Das erste Buch


M ose. G e n e s is (Das AT d eu ts ch , Teilbd. 2/4) G ö t t i n g e n 51958 u nd T h e o l o g ie des A lten
T e sta m e n te s , M ü n c h e n 1957, 140-164. D a g e g e n b r in g t CI. W e s te rm a n n , G en es is 1-11,
N e u k i r c h e n 21976, m e h r den u n i v e r s a l g e s c h i c h t l i c h e n Sinn d er U r g e sc h ic h te zur G eltu ng .
66 K. B arth , K i r c h l i c h e D o g m a t i k II1/1, 10 3- 377; vgl. Chr. L in k, a.a .O ., 27 1 -2 7 6 .
„als b le ib e n d e r U rsp ru n g des H e ils “ und „als V oraussetzu ng des B u n d e s “ zur
D a rste llu n g g e b ra c h t67. D er th eo lo g is c h e Vorzug dieses h e ilsg e sc h ic h tlic h e n , am
B u n d e sg e d a n k e n o rie n tierte n S ch ö p fu n g s Verständnisses ist u n m itte lb a r e in s ic h ­
tig. So w ird die S c hö pfung n äm lic h des C harakte rs einer v e rm ein tlic h e n re l ig i ö ­
sen K o sm o lo g ie e n tk leid et o de r eines fernen, n atu rh aften U rge sc heh en s. Sie
w ird v ie lm e h r selbst scho n als H e ils g e sc h e h e n verstehbar, als G u tta t und
L ieb estat G ottes am G esch öp f, als Tat der Güte, die je tz t auch n och g esch ieh t,
die bereits ein V ore ntw u rf der G na de ist, die G ott m it der S c h ö p fu n g als das noch
H ö here bereits intendierte.

An dieser Stelle muß freilich hinzugefügt werden, daß die von


der D ogm atik übernom m ene biblisch-heilsgeschichtliche Perspek­
tive sich nicht in einer N acherzählung der H eilsgeschichte erschöp­
fen kann. D ogm atik geht nicht in N acherzählung der G eschichte vor,
sondern dringt auf ihre Sinn- und W ahrheitsfrage, die nur m it den
M itteln philosophischen Denkens erschlossen werden kann.
D er theologisch-heilsgeschichtliche Gedanke von der Schöpfung
erfährt aber noch einm al eine Steigerung und Ü berhöhung, wenn
man in seiner K onsequenz das H eilsgeschehen der Schöpfung als
Anfang des Bundes auf sein Zentrum hin auslegt und interpretiert,
das ist das C hristusereignis.
2) Schöpfungstheologie als C hristozentrik
U nter diesem A spekt tritt zutage, daß die Schöpfung in Christus
nicht nur ihre M itte und ihr Ziel hat, wie viele A ussagen der paulini­
schen Briefe bezeugen (etwa 1 Kor 8,6; Kol l,19ff.; Eph 1,13-20),
sondern daß sie auch im Sinne des Johannesprologs (Joh 1,1-18) von
ihm herkom m t und von ihm getragen wird, daß er auch in ihr lebt.
H ier kom m t die Schöpferfunktion Christi in Sicht, aus der die
W ahrheit folgt, daß Christus die Schöpfung um greift und erfüllt, daß
er ihr Leben und ihr Licht von A nfang an ist, daß er dies aber erst
recht in seiner M enschw erdung geworden ist68. Es ist ein neutesta-
m entlicher Gedanke, der im A lten Testam ent in der Erkenntnis vor­
bereitet ist, daß der Schöpfer auch der Erlöser ist, wie bei D eutero-
Jesaja zu erkennen ist (Jes 44,1-2; 51,9-16).
Die Schöpfung ist daraufhin in bestim m ter W eise „christifiziert“ ,
d.h. christusförm ig gew orden. C hristus selbst ist ihre innerste

67 II, E in s i e d e l n 1967, 44 0ff.


68 Vgl. W. B e in e rt, C h r istu s und d er K o s m o s , 28 -51.
W ahrheit und W irklichkeit, eine W ahrheit, die nach Joh 8,32 den
M enschen auch im rechten Sinne frei m acht zum Guten, zum
G öttlichen hin.
Was diese „C hristifizierung“ der Schöpfung inhaltlich besagt,
kann freilich wegen seiner R eichhaltigkeit und wegen seiner schon
ins M ystische hineinreichenden Tiefe an dieser Stelle nicht ausgelegt
werden. H ier genügt die Feststellung über den Tatbestand eines sol­
chen C hristusbezuges der Schöpfung und der H inw eis auf die
K onsequenzen, die sich daraus etw a für das christliche W eltethos
ergeben, das sein Proprium von Christus und von seinem G eist her
em pfängt. Im C hristusbezug ist näm lich nicht nur die trinitarische
B egründung des Schöpfungsw erkes gesetzt, sondern im besonderen
auch die B eziehung zum G eist als dem erfüllenden und belebenden
Prinzip der Schöpfung69.
Die heilsgeschichtlich-christozentrische Schöpfungsauffassung
bringt das theologische Denken folgerichtig auch zur Anerkennung
einer dritten eigentüm lichen Aufgabe und Ausform ung. Sie geht vom
C hristusereignis der M itte zum Ende der G eschichte, sie w eist nach
vorn und in die Zukunft hin. Insofern gehört als Proprium einer
heilsgeschichtlichen Schöpfungslehre auch die Zukunftsperspektive
hinzu™.
A ber die Zukunft, das Kom m ende, ist für das christliche D enken
keine leere Erw artung und keine vage Utopie. Es ist vielm ehr die
durch C hristus festg e le g te e sch a to lo g isch e B estim m ung der
Schöpfung.
3) Die eschatologische A usrichtung der Schöpfung auf
die Vollendung in Christus: die C hristusfinalität
Die Schöpfungslehre, geschichtlich entfaltet, gibt ihren vollen
Sinn erst her, wenn sie auch auf die Eschatologie ausgerichtet ist.
Insofern zielt die „Protologie“ im m er auf die „E schatologie“ , und die
„E schatologie“ hat in der „Protologie“ ihren Grund. In diesem

69 Vgl. W. P a n n e n b e r g , S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 96ff.


70 D ies e w ird von J. M o l t m a n n a n g e l e g e n t l i c h e n tw ic k e lt, fre ilic h m it d er T en d en z zur
h o r iz o n ta le n Z u k u n ft un d e in e r c h i l i a s t i s c h e n E s c h a t o l o g i e ; vgl.: C h r i s t l i c h e Ho ffn un g:
M e s s ia n i s c h o d er t r a n s z e n d e n t. E in th e o l o g i s c h e s G e s p rä c h m it Jo a c h i m von F io re un d
T h o m a s v. A qu in, in: M T h Z 4 (1 9 82 ) 2 4 1-2 6 0 .
Punkte wird die dogm atische Schöpfungslehre einem Zeitbedürfnis
entsprechen, das ein vehem entes Interesse auf die Zukunft richtet
und die H offnung als die entscheidende Kraft des m enschlichen
D aseins beschw ört. Wenn näm lich Christus als die M itte der Zeit
anerkannt wird, dann muß er auch als das Ende und Ziel der Z eiten
angesehen werden, etw a nach der Aussage des H ebräerbriefes 13,8:
„Jesus Christus heri et hodie; ipse et in saecula“ .
D ieser G edanke kann noch besser begründet werden, wenn m an
die folgende E rkenntnis hinzunim m t: Die M enschw erdung des
Sohnes, m it seinem Tod und seiner A uferstehung, ist selbst schon ein
vorw eggenom m enes E n d ereig n is, eine P rolepse, w ie die
A lexandriner sagen, der Vollendung der Welt. So überraschend das
auch klingen mag, so ist es doch für das christliche G laubensver­
ständnis unaufgebbar und aus der Erkenntnis des G laubens zu
begründen; denn Höheres als die M enschw erdung Gottes und die
Ü berw indung des Todes kann der Schöpfung nicht m ehr geschehen.
Das besagt dann aber E ntscheidendes für die H offnung auf die
Zukunft der Welt, und zw ar sowohl in positiver, inhaltlicher E rfü l­
lung, wie auch in kritischer A bsetzung von der Zukunftshoffnung des
profanen Denkens.
Es sagt zunächst: Die christliche Hoffnung kann objektiv nicht
scheitern; denn der Schöpfer ist zugleich der E rlöser und Vollender,
der seine Verheißung nicht zurücknehm en kann. Das Positive dieser
Hoffnung aber liegt darin, daß sie nicht nur einen irdischen, diessei­
tigen Vollendungszustand erw artet, sondern die Vollendung in der
Glorie, in der H errlichkeit G ottes, wie sie schon in den E rscheinun­
gen Christi am A uferstehungsleib, bei dem die M aterie verw andelt
war, offenbar wurde.
Dam it ist auch schon die kritische Absetzung von allen irdischen
H offnungsentw ürfen gegeben. Sie sind alle im m anentistisch gehalten
und streben der unw ahren U topie von einem irdischen Paradiese zu,
das z.B. Aldous Huxley in der „Schönen neuen W elt“ ad absurdum
führte.
Indem die christliche H offnung auf Transzendenz geht, auf den
„neuen Him m el und die neue E rde“ (nach Offb 21,1 und 2 Petr 3,13),
wird sie gegenüber dieser Welt auch realistischer. A ufgrund der in
der Schöpfung angelegten W irkfaktoren der Endlichkeit und des
U nendlichkeitssehnens, der K ontingenz und des A usgreifens nach
dem A bsoluten, der Sünde und der Gnade, des K reuzes und der
A uferstehung, können nach christlichem Denken diese Welt und der
M ensch in n erw e ltlic h gar nich t v o llen d et w erden. D ie vom
M enschen künstlich herbeigeführte innerw eltliche Vollendung, etwa
durch die K onstruktion eines höheren, intellektuell vollkom m eneren
M enschen, m üßte das w ahrhaft M enschliche geradezu verderben.
D am it ist die W eltarbeit des Christen nicht entw ertet, aber der
höhere Auftrag liegt in der N achfolge C hristi und in der H eiligung
der Welt, so wie die sechs Tage des ersten Schöpfungsberichtes alle
auf den siebenten Tag der H eiligung zugehen.
Kapitel II:
Die göttliche Schöpfung als Anfang der
Heilsgeschichte

§ 3:
Die göttliche Schöpfung als Urgeschichte im Alten Testament
L iteratur: Ch. H artlich - W. Sachs, D er U rsp ru n g des M y th o sb e g riffe s in der
m o d e rn e n B ib e lw isse n sc h a ft, T ü b in g e n 1952; G. v. R ad, T h e o lo g ie des A lten
T estam en tes I, M ü n c h e n 1957; D ers., Das erste B uch M ose, G ö tting en 31958;
M. N o th, D e r B e itra g der A r c h ä o lo g i e zur G e s c h ic h te Is raels , in: Vetus
T e sta m en tum , suppl. 7 (1960) 279ff.; H. Volk, G ott alles in allem. G e sam m elte
A u fsätz e, M a in z 1961; L. A lo n so -S c h ö k e l, M otivos sapien ciale s y de alianza en
Gn 2-3, in: B ib lica 43 (1962) 295 -31 6; N. Lohfink, G enesis 2f. als „ g e s c h ic h tli­
che Ä tio lo g ie “ , in: S cho lastik 38 (1 963) 321-334; H. B a u m an n , Sc h ö p fu n g und
U rz e it des M e n s c h e n im M y th o s d er a fr ik a n i s c h e n V ö lk er, B e rlin 1964
(N ach dru ck ); W. H. S ch m id t, D ie S ch ö p fu n g s g e sc h ic h te der P rie ste rsch rift. Z ur
Ü b e rlie fe ru n g s g e sc h ic h te von G en esis 1,1 -2,4 a, N e u k irc h e n 1964; H. G roß,
T h e o lo g isc h e E x ege se von G en esis 1 -3: M y ste riu m Salutis II (hrsg. von J. F e in e r
und M. L öh rer) E in sied eln 1967, 4 21 -4 63 ; CI. W esterm an n, D er M en sch im
U rg esch eh en , in: K uD 13 (1 967) 231 -246; D ers., S ch ö p fu n g (T h em en der
T h eo lo g ie 12) S tu ttg art 1971; D ers., G en esis I (1-11) (Bibi. K o m m en tare, hrsg.
vo n S. H e rrm a n n un d H. W. W olff) N e u k ir c h e n - V l u y n 21976; A. O hler,
M y t h o l o g i s c h e E l e m e n te im A lte n T e s ta m e n t. E in e m o t i v g e s c h i c h t l i c h e
U n te r s u c h u n g , D ü s s e l d o r f 1969; L. S c h e f f c z y k , D ie F ra g e n a c h d er
G o tte b e n b ild lic h k e it in der m o d e r n e n T heo lo gie: L. S c heffczy k (H rsg.), Der
M e n sc h als B ild G ottes, D a rm s ta d t 1969, IX -LIV ; D ers., E in fü h ru n g in die
S c h ö p fu n g s le h re , D a rm s ta d t 31987; L. J. J. S tade lm an n, T he H ebrew C o n c ep tio n
o f the World, R om 1970; U. H ed ing er, W id er die V ersöhnung G ottes m it dem
Elend. E ine K ritik des c h ristlich en T h eism u s und A -T h eism u s, Z ü rich 1972;
H. B lu m en b e rg , A rbeit am M yth os, F ran k fu rt a.M. 1979; G. E b eling , D o g m atik
des c h ristlic h e n G la u b en s I, T ü b in g e n 1979; R. M a rtin -A c h a rd , Et D ieu cree le
Ciel et la Terre, G e n f 1979; L. R u p p ert, „U rg e sc h ic h te “ oder „ U rg e s c h e h e n “ ?
Z u r In te rp re tatio n von G en 1-11, in: M T h Z 30 (1979) 19-32; M. S chm au s, D er
G la u b e der K irch e III, S t.O ttilien 21979; A. Z iegen aus, „Als M ann und Frau
e rs c h u f er sie “ (G en 1,27). Zum sa k ra m e n ta le n Verständnis der g e sc h lech tlich en
D ifferen zieru n g des M e n sc h e n , in: M T h Z 31 (1980) 21 0 -22 2; K .-H. O hlig, D ie
Welt ist G o ttes S c hö pfun g. K osm os und M en sc h in R eligion , P h ilo so p h ie und
N a tu rw is s e n s c h a ft e n , M ain z 1984; K. H übner, D ie W ah rh eit des M y th o s,
M ü n ch en 1985; H. D. Preuß, T h e o lo g ie des A lten T estam ents, 2 B d.e, S tuttg art
1991/92; R. A lb ertz , R e lig io n sg e s c h ic h te Is raels in altte s ta m e n tlic h e r Zeit,
2 B d.e (A ltes T e sta m e n t D eu tsch , E rg ä n z u n g s r e ih e 8/2), G ö ttin g e n 1992;
L. B o rsig-H ov er, Die h e ilsg e sc h ic h tlic h e B e d eutu ng der Frau. E dith Steins
B eitrag zum V erhältnis von Frau und K irch e, in: F K T h 11 (1 995) 193-202;
A. G a n o c z y , C h a o s - Z u fa ll - S c h ö p f u n g s g la u b e . D ie C h a o s th e o r ie als
H e ra u sfo r d e ru n g der T h eo lo g ie, M ain z 1995.
I. Das literarische Genus der Schöpfungsberichte
Die grundlegenden Aussagen über den christlichen Schöpfungs­
glauben finden sich bereits auf den ersten Seiten des Alten Testa­
mentes in den beiden Schöpfungsberichten, dem jüngeren priester­
schriftlichen Bericht (Gen 1,1-2,4a) und dem älteren, mehr anthro-
pomorph gehaltenen jahwistischen Bericht (Gen 2,4b-3,24). Dieser
Bericht steht allerdings bereits in einem größeren Zusammenhang,
der auch Paradieses- und Sündenfallerzählung einbegreift.
Zur Erhebung der Bedeutung dieser Berichte als Grundlagen des
Schöpfungsglaubens ist die Feststellung ihres literarischen Charak­
ters unerläßlich. Sie werden nämlich vielfach als bloß fabulierende
Erzählungen oder als religiöse Dichtungen verstanden, die keine
Wahrheit und W irklichkeit treffen wollen. Man ordnet sie dann in das
Genus der Mythen ein, das sind menschliche Deutungen der uner­
gründlichen Geheimnisse des Ursprungs, die mehr die Erfahrung
naturhaft-zyklischer G rundgegebenheiten um schreiben als ge­
schichtlich Einmaliges und für die menschliche Erkenntnis Verbind­
liches benennen wollen1. Dies würde eine heilsgeschichtliche Deu­
tung dieser Berichte verunmöglichen.
1) Mythos und Wahrheit der Schöpfungsberichte
Auszugehen ist von der Erkenntnis, daß es sich bei diesen Be­
richten nicht um historische Zeugnisse handelt, wie sie die Ge­
schichtswissenschaft voraussetzt, um daraufhin Aussagen nach Art
der Geschichtsschreibung machen zu können. Dieser Befund wird
häufig so interpretiert, daß man zum Mythos als einziger Alternative
greift, womit die Bedeutung dieser Berichte oder Erzählungen ent­
wertet werden soll.
Bei der ersten E n td e c k u n g des M y th o s und des M y th o lo g isc h e n in der
A u fk lä ru n g w ar m a n g eneig t, die S c h ö p fu n g s g e sc h ic h te n der G e nesis gä nzlich
als M y the n zu e rk lä re n 2, d.h. als b ild h a fte, p h a n ta s iev o lle K o m p ilatio n en üb er
die R ä ts e l des B e g in n s von W elt u nd M e n s c h . So g e s e h e n , w ü rd e den
S c h ö p fu n g s b e ric h te n n ich t der C h a ra k te r eines A n fan gs der G esch ich te des
H eiles z w isch en G ott und den M e n s c h e n z u ko m m e n.

Nun hat die neuere Exegese durch genauere Analyse dieser Be­
richte herausgestellt, daß das AT hier sicher Einschlüsse und

1 K. H ü b ner, D ie W ah rh eit des M y th o s , 151-156.


2 Chr. H artlich - W. S achs, D e r U r s p r u n g des M y t h o s b e g r i ff e s , 11-19; vgl. zum
F o l g e n d e n L. S che f fc z y k , E in f ü h r u n g in die S c h ö p f u n g s l e h r e , 15-17.
Einsprengsel mythologischen Denkens zeigt. Dazu gehören im prie­
sterschriftlichen Bericht (P) die Vorstellungen von dem der
Schöpfung vorausgehenden Chaos und von der Urflut (Gen 1,2), im
jahwistischen Bericht (I: Gen 2,4b-25) die Bildung des Menschen
aus Lehm und seine Belebung durch den Atem Gottes. Auch in der
Schilderung des Gartens und des Sündenfalls (Gen 3,1-24) finden
sich unstreitig mythische Elemente.
Aber mit dieser Feststellung muß der Hinweis auf die antimythi­
schen Momente und Formeln verbunden werden, welche sich in die­
sen Texten auch finden und sogar ein Übergewicht besitzen. Sie lie­
gen u.a. vor in der Verwendung des einzigartigen, kraftvollen
Verbums „bara“, das ein völlig unabhängiges, müheloses, souveränes
Tun Gottes zeigt. Sie treten ferner hervor in der Unterwerfung der
Astralmacht der Gestirne unter den Schöpfer. Auch die ganz natürli­
che Wertung der Geschlechtlichkeit, die weder dämonisiert noch
sakralisiert erscheint, paßt nicht zur Wesensform des Mythos3.
A n tim y th isc h ist vor allem auch die E rsch affun g du rch das so u veräne
M a c h tw o rt G ottes, und zw ar n ic h t in der A rt des b a b y lo n isc h e n und a ltä g y p ti­
schen W o rtzaub ers, sondern in der A rt des g eistigen, ra tio n a len W ortes, das
O rdn un g und K larh e it schafft und das die S c h ö p fu n g s d in g e selbst auch d u r c h ­
sichtig und w o rth aft m acht, vor allem den M e n s c h e n 4.
V ergleicht m an desh alb etw a den p rie ste rsc h riftlic h e n S c h ö p fu n g s b e ric h t
m it dem b a b y lo n isc h e n S c h ö p fu n g s e p o s „E nu m a E lis c h “ („A ls d ro b e n “ , nach
den A n fa n g sw o rte n b enan nt, da tiert um 1700 v. Chr.), so w ird d er ab so lute
U n ters ch ied greifbar. H ier g e sch ieh t die E rsch affu ng du rch den G ott M ard u k
nach einem erb itterte n K a m p f m it dem M e e ru n g e h e u e r „T ia m a t“ . Aus d em z e r ­
rissen en Leib dieses M ee ru n g e h e u e rs wie „aus einem g e tro c k n e te n F is c h “ m a c h t
M arduk die e in ze ln en S chö p fu n g sd in g e.
E tw a 1000 Jahre vor dem E n u m a E lisch schild ert der D ile m u n -M y th o s der
S u m erer die W elten tsteh u n g als einen B e g a ttu n g sk a m p f zw isc h e n g ottheitlich
g ed ac h ten N atu rk r ä fte n (des O ze ans und der „ M utter des L a n d e s “ ), der neue
G ö tter e n ts teh en läßt, w oraus in ein e r Folge von G eb urten auch die G e sch ö p fe
he rvorgehen.
Im alten Ä g y p te n h aften die S c h ö p fu n g s vors teil ungen an den G o tth eiten der
ein ze ln e n K ultu rzen tren . Im S o n n e n g e sa n g des E ch n aton , in dem m an P ara llele n
zum sp äteren P salm 104 zu erk en n e n m eint, w ird der S ch ö p fer als d erjenig e
g epriesen, der „ M illio n en G estalten aus sich allein m a c h t“ . D a ran w ird d eutlich,

3 G. v. Rad, Das erste B u c h M o se, 3 8 f f . ; zu den m y t h i s c h e n M o tiv en vgl. a u ch A. Ohler,


M y t h i s c h e E le m e n te im A lten T estam en t, 117-145.
4 Vgl. G. E b e l in g , D o g m a t i k des c h r i s t l i c h e n G la u b e n s I, 314; M. S c h m a u s , D er G la u b e
d er K irch e III, 23 ff.
daß es sich n ich t um ein en über der Welt stehe nd en G o tt han delt, so n d ern um
eine N atu rk ra ft, die in ihren P ro d u k tio n e n aufgeht. Im m e r ist der G ed an k e an
N a tu rk rä fte v o rh errsch en d , aus denen wie aus ein em U rsto ff G ö tte r wie irdische
D ing e h ervo rg ehe n. K o sm o g o n ie und T h e o g o n ie n e rs ch ein en m ite in a n d e r v e r­
b u n d e n 5.

Die neuere Religionsgeschichte hat freilich nachgewiesen, daß


die Schöpfungserzählungen eine noch weiter verzweigte Tradition
besitzen, die sich von den Hochkulturen zurückverfolgen läßt bis zu
den vorgeschichtlichen Stadien der Primitiven6, z.B. in Afrika7. Es
entsteht hier von neuem die Frage, wie sich das biblisch-alttesta-
mentliche Reden von der Schöpfung zu diesen jahrtausendealten
Traditionen verhalte und ob es ihnen gegenüber überhaupt eine
Eigentümlichkeit beanspruchen könne. Allerdings ist an direkte
Einflüsse nicht zu denken. Auch diesen Traditionen gegenüber kann
nicht bestritten werden, daß das biblische Sprechen von der
Schöpfung etwas Spezifisches an sich hat, das es in eine exzeptio­
nelle Position erhebt. CI. Westermann weist in diese Richtung, wenn
er im Überblick über diese verschiedenartigen Schöpfungstradi­
tionen vier voneinander deutlich unterschiedene Typen herausstellt:
die Schöpfung durch ein dem menschlichen Tun und Handeln ange­
glichenes Machen oder Wirken; die Erschaffung durch Zeugung und
Geburt von den Göttern; das Entstehen der Welt durch Kampf des
Gottes mit entgegenstehenden kosmischen Gewalten und schließlich
die Schöpfung durch ein Wort oder einen worthaften Befehl des
Gottes8.
Nun kann man zwar feststellen, daß in der Genesis, vor allem
beim Jahwisten, ^Elemente dieser verschiedenen Schöpfungstypen
ebenfalls zum Vorschein kommen, so z.B. der Typus des einfachen
Werkens und Mächens im Bild vom Gestalten des Menschen aus dem
Lehm der Erde. Aber der Typus, dem der priesterschriftliche Bericht
zugehört, ist doch eindeutig der der Erschaffung durch das Wort
Gottes. Auch für die Schöpfung durch das Wort lassen sich freilich
gewisse Anklänge in der babylonischen und memphitischen Kos­

5 K.- H. O hlig , Die Welt ist G o ttes S c h ö p f u n g , 8-22.


6 Vgl. CI. W e s te rm a n n , S c h ö p f u n g , 26ff.; ders., G e n e s i s I, 27 -31.
7 H. B a u m a n n , S c h ö p f u n g u n d U r z e it des M e n s c h e n , p assim .
8 CI. W e s te rm a n n , S c h ö p f u n g , 58.
mologie finden. Und dennoch zeichnet den bibischen Bericht ein ent­
scheidender Umstand aus. Dort ist diese Wortschöpfung Kosmogo-
nie, Erklärung des den Menschen bedrückenden Rätsels des Anfangs;
hier im Alten Testament ist dieser Anfang als Eröffnung des
Heilsweges verstanden, der zur Erwählung des Volkes Israel führt.
Z u r B e stim m u n g des V e rhältnisses der bib lisc hen S ch ö p fu n g s b e ric h te zu
den W e lten ts te h u n g sm y th e n ist s c h lie ß lic h auch au f die T atsache h in zu w eis en ,
daß sich in der R e lig io n s w is s e n s c h a ft b e z ü g lic h der B e u rteilu n g des M y th isc h e n
ein W andel zum Po sitiv en vo llzo ge n hat. E r ist an vie len E in z e lz e u g n iss e n zu
b eleg en , die erk en n en la ssen, daß z w isc h e n M yth os und W ahrheit, aber auch
z w is c h e n M y t h o s u n d G e s c h i c h t e 9 k e in v o ll s t ä n d ig e r G e g e n s a tz b e s te h t.
H. B lu m en b erg läßt den M yth os als Versuch zur D a se in s b e w ä ltig u n g g e lt e n 10.
K. H ü b n e r sieht in ih m (im A n s c h lu ß an M. E liad e) die E rfa h ru n g des
N u m in o s e n , das als eigen e Q ualität und F orm alitä t die W irk lich k e it gerad ezu
d u rch d rin g t, w oraus er z.B. gegen B u ltm an n eine R e h a b ilitie ru n g des s a k r a m e n ­
talen W esens des C h ris te n tu m s fo lg e rn k a n n " . So gibt es „ ü b e rh au p t k einen
t h e o r e tis c h z w in g e n d e n , a u f W i s s e n s c h a f t o d e r P h il o s o p h i e v e rw e is e n d e n
G rund, die m y th is c h e n G ru n d e le m e n te des ch ristlich en G la u b en s ab zu le h nen , da
W is s e n s c h a f t und P h il o s o p h i e n u r e in e b e s tim m te , h is to r i s c h v e rm itte lte
W ir k lic h k e itse rfa h ru n g d arstellen, die n ich t den A n sp ru ch erh eb en kann, die e in ­
zig m ö g lich e zu sein “ 12. T ro tzdem v erk enn t er den U n te rs c h ie d zw isch en m y t h i­
scher R e lig io sitä t und c h ristlich em G laub en nicht. Er liegt vor allem darin, daß
der M ytho s eine W elte rk läru n g e rs tre b t und auch erreicht, n ich t aber au f das
V erhältnis des M en s ch en zu G ott zielt. Das b e sag t ge rad e für die S c h ö p fu n g s ­
lehre: D er M y th os leistet eine E rk läru n g der W elten tsteh u n g oder der sozialen
W e ltordn un g (vgl. die ind isch e Idee vom W eltei), nicht aber die E rk läru n g des
V erhältnisses von S ch ö p fer und G e sc hö pf; das kann er d esh alb nich t leisten, weil
die E rfa hrun g des N u m in o s en w e se n h a ft po ly th eistisch ist und n icht zum
M o n o t h e i s m u s v o r z u d r in g e n v e rm a g . So is t d er M y th o s e in e r e l ig i ö s e
W irk lic h k e itsb e d e u tu n g , eine F u n k tio n n a tü rlic h e r R elig iositä t, k ein (ü b e r n a tü r­
licher) G laube. A b e r der G lau be kan n sch ließ lich au f d iesen n a tü rlich en Fun du s
nich t v erzichten .
Eine solche Rehabilitierung des Mythischen ist der Deutung der
biblischen Schöpfungserzählungen durchaus zuträglich, insofern das
Vorhandensein von m ythischen Elem enten nicht gegen ihren
Anspruch auf Offenbarungs- und Glaubenscharaker ausgespielt wer­
den kann. Trotzdem ist die biblische Theologie heute häufig auf eine
Abgrenzung bedacht, die den im letzten Grunde antimythischen
Charakter dieser Erzählungen betont hervorkehrt. In dieser Hinsicht

9 Vgl. K. H ü b n e r , a.a.O ., 343f.


10 H. B l u m e n b e r g , A r b e it am M y th o s , 2 9 1 - 3 2 6 ; vgl. zum F o l g e n d e n L. S ch effc zy k ,
E in f ü h r u n g , 21 -24.
11 K. H üb n er, a.a .O ., 342.
12 E b d a., 343.
hat CI. Westermann den Ansatz G. v. Rads noch verstärkt, indem er
auf die Verbindung und Verzahnung der biblischen Urgeschichte mit
der beginnenden Realgeschichte der Väter Israels hinweist. Von
daher wird eine Besonderheit dieser Erzählungen erkennbar, die sie
von den Ursprungsmythen der Umwelt abhebt. „Das Besondere der
biblischen Urgeschichte liegt zunächst und eigentlich in der Zusam­
menbindung des Redens von der Urzeit mit der Darstellung seiner
Geschichte. Die Vorfügung der Urgeschichte vor die mit dem Her­
ausrufen Abrahams beginnende Geschichte durch I und P ist der
Schlüssel zu deren für Israel spezifischen Bedeutung. ... Damit tritt
das Urgeschehen in eine Analogie zu der mit Abraham beginnenden
Geschichte, durch die alles in ihr anders wird“ 13. So wird auch deut­
lich, daß diese Erzählungen einen anderen „Sitz im Leben“ gewin­
nen, als sie ihn im Mythos besitzen. Hier im Mythos sind die
Genealogien als Erzeugung der Götter dargestellt und entwickelt; in
der biblischen Urgeschichte dagegen gänzlich als M enschheits­
genealogien verstanden, die von Adam zu Abraham führen.
Der andere „Sitz im Leben“ bedingt auch eine andere Motivation
und ein anderes Interesse an der Konzeption solcher Berichte. Die im
Rahmen des Mythischen stehenden Schöpfungserzählungen sind ein­
mal von der intellektuellen Frage nach dem kosm ologischen
Ursprung der Dinge und des Menschen erwachsen. Aber noch stärker
und ursprünglicher sind sie von einer Motivation erfüllt, die an der
Erhaltung und Bewahrung des Bestehenden und an der Sicherung der
kosmischen Ordnung wie des menschlichen Daseins interessiert ist.
Es ist die w eitere E ig e n a rt des M y th isch en , daß diese S ich eru n g nicht
g e s c h i c h tl ic h v e r m i t t e l t ist, s o n d e r n in d e r k u lt is c h e n R e z i t a t i o n d er
S ch ö p fu n g s g e sc h ic h te re p rä se n tie rt und v erg e g e n w ä rtig t wird. D a m it g ew in nen
die S c h ö p fu n g s m y th e n ein stark au sg e p rä g te s V erhältnis zur G eg en w art, das aber
d urch au s anders g earte t ist als das b ib lis c h e G e genw artsV erständnis. Für jen e
gilt: „D iese G attu ng des S ch ö p fu n g s - o de r E n tste h u n g sm y th o s hat ihren Sitz im
L ebe n u rs p rü n g lic h in den In s titu tio n e n der S ic h e ru n g des B e sta n d es von Welt,
L ebe n und L e b e n so rd n u n g e n , der das E rz ä h le n o der sonstige V e rg eg en w ärti­
g u ng en der S ch ö p fu n g s e rz ä h lu n g d ie n t“ 14. A n ders in den S ch ö p fu n g s e rz ä h lu n g e n
der G enesis. Ind em das U rg e sc h e h e n in eine A n alo g ie zur R ea lg e sc h ic h te der
V äter tritt, v erliert es z u n ä c h st seine (m ög lich e) U n m itte lb a rk e it zur G e gen w art
und ihrer Sicherun g. D ie B e d e u tu n g für die G eg e n w a rt v erliert den C ha rak te r

13 G en es is I, 92.
14 G e n e s is I, 30.
ze it- u n d g e s c h i c h t s l o s e r G le i c h z e i t i g k e i t . B e d e u tu n g und W ir k u n g des
U rg e sch eh en s sind h ier nur n o c h im M edium der G e sch ich te aufzu n eh m e n .
D esh alb w ird die W irku ng aber k ein e geringere: Sie k o m m t im relig iö s-e th isc h e n
G la u b en an die G ro ß tat des S chö pfers zum A u sd ru ck und en tfaltet ihre th e o l o g i­
sche B e d e u tu n g im D a nk und L o b p re is des Sch öp fers, dessen Tun im m e r als in
der G e sc h ic h te w e iterg eh en d an e rk a n n t wird. „D iese Z u o rd n u n g der S c h öp fu ng
zur G esch ich te zeig t sich am d eu tlic h s te n bei D eu te ro je sa ja und im H io bb uch .
D as A u fse h e n zum S ch ö p fe r und das B e ja h en des S ch öp fers k o m m e n h ie r zu
ihrer eig e n tü m lic h e n B e d e u tu n g fü r M en sc h en , die in N o t und V erzw eiflun g im
A u fb lic k zum S ch ö p fer den re tten d e n G ott, den H eiland , w iede rfin de n. D ie in
der U rg esc h ich te in ten die rte V erbind un g von S chö pfun g und G e sch ich te k o m m t
h ie r zu ih rer letzten K o n s e q u e n z “ 15.
Damit ist den mythologischen Elementen in den Schöpfungs­
erzählungen eine positive Bedeutung eingeräumt. Sie sind als Aus­
sageformen und Ausdrucksmittel eines naturhaften religiösen Den­
kens nicht abzuwerten. Sie können darüber hinaus auch als Symbole
naturhafter Religiosität anerkannt werden. So drückt sich in ihnen
die Erfahrung der Kontingenz des Menschendaseins aus, ebenso sein
in aller Immanenz geahnter Transzendenzbezug und seine Sehnsucht
nach Erlöstheit.
So k an n M y th isch es als S tru k tu r auch zum A u sd ru c k der O ffe n b a ru n g s ­
w a h rh eit und des ihr e n ts p re c h e n d e n G laub en s dienen. A b er die W ahrheit der
e re ig n ish a ft in das L eb en der W elt ein b re c h e n d e n O ffen barun g ist m it der „ ta g ­
täg lic h e n E r f a h r u n g “ 16 des m y t h is c h e n E rle b e n s n ic h t g le ic h z u s e tz e n ; die
g e sc h ich tlich e E in m a lig k e it des H e ils ere ig n isse s ist m it d er „ G le ic h z e itig k e it“
der m y th is c h e n E rfah ru n g n ich t zu id entifizieren ; die W e lte n ts te h u n g sle h re n des
M y th o s sin d n ic h t m it d er g ö tt li c h e n U r h e b u n g u n d g e s c h i c h t l i c h e n
Z ie la u sric h tu n g der W elt in eins zu setzen. H ier d u rc h b ric h t der L o go s der
O ffe n b aru n g als E reig nis und W ah rh eit die n atu rh a ft-m y th isc h e S truk tur des
R elig iö se n und öffnet sie auf das re a lg e sc h ic h tlic h e H a n d e ln G ottes m it dem
M en s ch en hin und auf die A n tw o rt des G laubens.
Darum ist auch eine solche Aufwertung des Mythos abzulehnen,
die alles Werthafte, Religiöse und mit absolutem Anspruch Auftre­
tende als mythisch ausgibt und den Begriff des Mythos als Äquiva­
lent für jede Art des Glaubens nim mt17. Ebenso ist die begrenzte
Bedeutung des Mythischen für den Ausdruck der Offenbarung und
des Glaubens dort verkannt, wo die Mythen nach dem Vorbild der
Psychoanalyse (S. Freud, C. G. Jung) als Widerspiegelungen von

15 E b d a ., 93.
16 K. H ü b n er, a.a .O ., 344.
17 So etw a bei L. K olak o w s k i, Die G e g e n w a r t des M y th o s , M ü n c h e n 21974, p assim .
Grundmustern des menschlichen Seelenlebens ausgegeben werden.
Nach dieser Deutung enthält auch die jahwistische Schöpfungs­
erzählung nur psychische Symbole, die auf „Neurosen“ hinweisen.
Danach würde von den Erzählungen der Urgeschichte gelten: „Sie
sind zu lesen wie Märchen und Träume“ 18.
2) Der geschichtliche Grundzug
Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß die biblischen
Schöpfungsberichte, auch wenn sie von einer realgeschichtlich nicht
greifbaren Urzeit erzählen, diese doch mit der Geschichte des
Gottesvolkes und mit seinem geschichtlichen Credo (vgl. Dtn 26,5-
9) verbinden und so „Urgeschichte“ mit „Zeitgeschichte“ verknüp­
fen. Die Begründung ist in dem Umstand gegeben, daß Israel aus sei­
ner Verbundenheit mit dem Gott des Heils, der das Volk seit Abraham
geführt und geleitet hat, die lebendige Überzeugung gewann: Gott ist
der Herr der Geschichte, zunächst der Geschichte des Volkes. In der
Erkenntnis der geschichtlichen Führungen des Volkes durch Jahwe
reifte in Israel aber auch die Erfahrung, daß Gott der Herr aller
Völker und der ganzen Welt sei und daß diese ganze Welt mit dem
Menschen auf Gott zurückgehe. So war er im Glauben als der
Schöpfer anerkannt. Die Hagiographen der Genesis sprechen sozusa­
gen in einer prophetischen Retrospektive über die Tat Jahwes an der
ganzen Welt, an ihrem Ursprung. Sie bieten damit gleichsam eine
prophetische Geschichte, die den Glauben festigt, daß der Herr
Israels Schöpfer der ganzen Welt ist. Diese Wahrheit aber verkünden
sie nicht aus Interesse an einem historischen, kosmologischen
Wissen, sondern aus Interesse am Heil des Volkes wie aller Völker.
Denn der Schöpfer ist auch Führer, Lenker, Erhalter der Welt und
schließlich auch ihr Erlöser.
In d em die H ag io g ra p h e n d iese sch lich te und g roß artige W ah rh eit aber in
eine E rzäh lu n g bring en, m ü s sen sie diese auch e rz ä h le risc h form en und a u s g e ­
stalten. So w ird im p rie ste r sc h riftlic h e n B e ric h t das G esch eh en der S c h öp fu ng
als A bfo lg e einer O rd nu ng von sieben Tagen erzäh lt, in der G ott z u n ä c h st in den
ersten drei Tagen ein e m sog. „opus d is ti n c ti o n is “ (S ch e id u n g des L ic hte s von der
F insternis; d er ob eren von den unteren W assern; des M eeres von der Erde) den
Raum der Welt erstellt, in den er d an n in ein em „opus o rn a tu s “ der A u s ­
sch m ü ck u n g und d er A u sfü llu n g die P flan zen , die G estirn e, die Tiere und den

18 E. D r e w e r m a n n , S t ru k t u r e n d es B ö s e n I, P a d e r b o r n 1977, XXXIV.
M e n s ch en einsetzt. D as ist das „ H e x a e m e ro n “ , das aber b esser als „H e ptae m e-
r o n “ b e z e ic h n e t w ird unter E in sc hlu ß des sieb enten Tages, des R uh etag es G ottes.
D ieser Tag hat eine tiefe sy m b olisc he B edeu tun g. Er zeig t nä m lich an, daß die
ganze S c h ö p fu n g für das Ziel der R uh e des Sabbats, der R u he in G ott g e s c h a f ­
fen ist.
Diese Geschichte, die im jahwistischen Bericht in einer anderen
Ordnung dargeboten wird, ist mit vielen Elementen der alten
Naturerkenntnis und des alten Weltbildes ausgestattet, die als solche
heute keine Geltung mehr beanspruchen können, aber auch grund­
sätzlich nicht zum Aussageinhalt gehören. Es sind anschauliche
Einkleidungen für den gläubigen Grundgedanken, daß Gott das
Ganze wie die Einzelheiten der Schöpfung in völliger Souveränität
geschaffen hat, daß er es in einer Ordnung und gut geschaffen hat
und daß der Mensch als Beauftragter Gottes an die Spitze der heils-
haft-geschichtlich verfaßten Schöpfung gesetzt ist. Diese heilshaften
Inhalte verbieten es, diese Berichte, selbst wenn sie in der Aussage­
form mythische Elemente verwenden, als geschichtslosen Mythos zu
bezeichnen.
Aber daran schließt sich die Frage an, um welche Art von
Geschichte es sich handelt. Das sich hier stellende Problem ist tref­
fend auf die Alternative „Urgeschichte oder Urgeschehen?“ gebracht
und vor allem durch die Beiträge CI. Westermanns vorangetrieben
worden.
D ie b e d e u t s a m e n E r g e b n is s e d er p ro f u n d e n G e n e s i s f o r s c h u n g d ie s e s
E x egeten, die im Voraus g ehen den g eb ü h ren d g ew ü rd igt w orden sind, w eisen
einerseits in eine R ichtu ng , die ein e r gesch ich tlich en D eu tu n g der gesam ten
U rg esch ich te G en 1-11 A rg um e nte liefern. Vom Verfasser der P rieste rsc h rift
w ird in d iesem Sinne gesagt, daß er „in den Vorgang der S c hö pfun g ein G efälle
g e b ra c h t“ habe, „das die Werke der S ch öp fu ng , m it dem R uhen G ottes am sie b ­
ten Tag ab sch ließ en d , zu einem ein d ru c k sv o llen P rälud ium der g esam ten in d ie ­
sem W erk d arg estellten G esch ic hte m a c h t“ 19. So lehnt er auch die v u lg är m y t h o ­
log isch e D eu tu n g der E rz äh lu n g en ab, als ob sie tr a n sz e n d e n t-m y th isc h e Inhalte
zur S p rac he b rächten, die sch lech terdin gs ohne je d e n B ezu g zur G esch ich te
stü n d en . W ie sc h o n e rö rtert, e rk e n n t er die B e s o n d e r h e i t d er b ib l is c h e n
U rg esch ich te an. In ihrer L azierun g vor der A b ra h a m s g e sc h ic h te fin det sich für
die In terp retatio n ein relev anter Zug. Es w erde dam it eine V erbindung zw isch en
b eid en G esc h e h e n sre ih e n geschaffen, die eine A nalog ie z w isch en b eid en h e r ­
stelle, was nich t u n be ach tet b le iben k a n n 20. D iese A u ssa g e n lassen die A n n ah m e

19 S c h ö p f u n g , 60; auch nach R. A lb ertz, R e li g i o n s g e s c h i c h t e Israels in a l tte sta m e n tli-


ch e r Z eit II, 532, m a c h e n die P ri e s t e r t h e o l o g e n die U r z e it „zu ein e m Teil der G e s c h i c h t e “ .
20 Vgl. G en es is I, 92.
zu, daß h ier an e inem b e stim m te n g e sc h ic h tlic h e n C h arak te r d ies e r B erich te
fe s tg e h a lte n werde.

Aber es fällt auf, daß die Erklärung des Autors plötzlich in der
Wortwahl von der „Urgeschichte“ zum „Urgeschehen“ wechselt, eine
Änderung, deren Bedeutung erst aus dem größeren Zusammenhang
der Gedanken in ihrer Bedeutung erfaßt werden kann. Mit dem
Ausdruck „Urgeschehen“ soll nämlich der Anspruch des Ereignis­
haften und real Geschichtlichen wieder zurückgenommen werden.
Die Kategorie des Geschichtlichen sei auf diese Texte nicht anzu­
wenden21; denn von der Schöpfung gebe es keine Zeugen und Zeug­
nisse; diese gebe es nur für das rettende Handeln Gottes in der
geschichtlichen Zeit, die mit Abraham beginne. Was kann dann der
Vorfügung der „Urgeschichte“ vor die heilshafte Geschichte Israels
noch für eine Bedeutung zukommen? Doch wohl nur diese, daß es in
diesem Urgeschehen „um Erfahrungen und Verstehensbemühungen
der M enschheit“ geht, die sich überall auf der Welt auf einen Ur­
sprung verwiesen weiß, die sich ihrer Begrenztheit und ihrer Ge­
fährdungen bewußt ist, die sich von Frevel, Schuld und Tod bedroht
fühlt, aber auch die positiven M öglichkeiten wie die erhaltende Kraft
der Fruchtbarkeit und die Bewältigung der Daseinsnöte anerkennt.
Da alle diese Existenzerfahrungen aber auch in die Gegenwart und
ihre G eschichte hineinreichen, stehen sie in einer gewissen
Verbindung mit der Geschichte, ohne wirklich geschichtlich-ereig-
nishaft vorgefallen zu sein. Es sind existential-anthropologische
Grundbefindlichkeiten der Schöpfung und des Menschen, die zeitlos
sind und seit der Existenz von Menschen Geltung haben. Die bei der
Verwendung des Wortes „Urgeschichte“ oder „Urgeschehen“ ge­
brauchte Vorsilbe „Ur“ hat keinen zeitlich-historischen Sinn, sondern
eine grundsätzliche Bedeutung, die besagt, daß diese Erfahrungen
und Existenzphänomene aller menschlichen Geschichte zugrunde
liegen und für das Welt- und Menschsein paradigmatisch sind. Die
bei Westermann zunächst vom ungeschichtlichen Mythos getrennten
und mit der Geschichte Israels verbundenen Berichte der Genesis
werden am Ende entgeschichtlicht, und zwar nicht wieder auf den

21 Vgl. dazu b es o n d ers : D er M e n sc h im U r g e s c h e h e n , in: K u D 13 (19 6 7) 23 1-2 4 6 ; d azu


L. R u p p e rt, „ U r g e s c h i c h t e “ o d er „ U r g e s c h e h e n “ ? Z u r In t e rp r e t a t i o n von G en 1-11, in-
M T h Z 30 (1 9 79 ) 19-32.
Mythos zurückgeführt, wohl aber als reine Existentialaussagen
gedeutet.
Die Schwierigkeiten dieser Deutung sind nicht zu übersehen.
Zunächst ist schon bezüglich des Wort- und Begriffsgebrauchs ein­
zuwenden, daß für wesentlich existentiale Aussagen der Gebrauch
der Begriffe „Geschichte“ und „Geschehen“ unzutreffend ist und zu
(möglicherweise gewollter) Zweideutigkeit führt. Das vom Autor
Gemeinte wäre besser mit den Begriffen „Urtatsachen“ oder „Ur-
gegebenheiten“ wiederzugeben, die allen Menschen und Völkern
gemeinsam sind. Dieser Mangel hat zur weiteren Folge, daß diese
Berichte keinen heilshaft-theologischen Charakter an sich tragen und
daß mit dem Ausfall des Geschichtlichen auch das Fehlen des
Heilshaften gegeben ist. Dieser Mangel beweist sich besonders deut­
lich bezüglich der Erzählung vom Sündenfall22. Da auch diese
Erzählung nicht als Entwicklung des Menschen zum Bösen und als
geschichtliches Ereignis verstanden werden kann, sondern nur als
Ausdruck der immer gegebenen Möglichkeit des Widerstandes des
Geschöpfes gegenüber seinem Schöpfer gedeutet werden darf,
w iderspricht der Autor auch der zuvor behaupteten Güte der
Schöpfung. Hier übersieht Westermann auch die auf den heilsge­
schichtlichen Charakter verweisende Besonderheit, daß in bezug auf
den Bericht von Schuld und Strafe kaum Parallelen in mesopotami-
schen oder ägyptischen Mythen zu finden sind. Im ganzen haben
diese Erzählungen, wie Westermann meint, mit Offenbarung nichts
zu tun, weil es sich bei ihnen um universal gültige und naturhafte
Aussagen über die Schöpfung handelt. Sie behalten zwar auch so
eine bleibende Bedeutung für den Menschen, aber keine Heils­
bedeutung. Folgerichtig kommt es bei dieser Interpretation auch zu
einer Überbetonung der Angaben über die Errungenschaften der
Kulturarbeit. So behauptet der Autor, daß den Berichten der Hinweis
auf die Arbeitsteilung und ihre Auswirkungen im Sinne von Marx zu
entnehmen sei23. Die von der Exegese gegen die Gesamtauffassung
erhobenen Einwände betonen vor allem den Umstand, daß Wester­
mann sich einseitig an die Einzelerzählungen hält, nicht aber an die

22 Vgl. L. R u p p e rt, a.a .O ., 21 f.


23 CI. W e s te rm a n n , S c h ö p f u n g , 41.
durch den Endredaktor geschaffene Zusammenfügung dieser Ge­
schichten, die ein heilsgeschichtliches Grundkonzept verraten.
3) Die geschichtliche Ätiologie
Die angemessenste Antwort auf die Frage nach dem literarischen
Genus der Urgeschichte, die auch ihrer dogmatischen Wertung ent­
gegenkommt, scheint in ihrer Charakterisierung als Ätiologie gele­
gen zu sein. Unter einer Ätiologie (aitia) versteht die Exegese die
Denk- und Aussageweise, in der ein gegenwärtiger Brauch, ein Ritus
oder eine menschliche Grundbefindlichkeit auf einen zurückliegen­
den Vorgang oder ein ursprüngliches Ereignis zurückgeführt wird.
Dabei wird seitens der Exegese zugegeben, daß „ätiologische
Erzählungen von Natur ein Verhältnis zur Geschichte haben; denn sie
erklären einen Sachverhalt durch irgendeinen geschichtlichen
Vorgang“24. A llerdings wird die H inzufügung des Adjektives
„geschichtlich“ und die Zusam m enführung zum B egriff der
„geschichtlichen Ätiologie“ als Angabe für eine literarische Gattung
vielfach auch abgelehnt, vor allem im Hinblick auf Gen 2, weil eine
solche „Geschichtserkenntnis durch Rückschluß“ literarisch in ihrer
historischen Aussageintention nicht erwiesen werden kann. So
kommt es zu der kritischen Anfrage: „Aber steht wirklich fest, daß
das gesamte Modell mitsamt dem Raumzeitschema nicht auch
gebraucht werden konnte, um Aussagen einfach über das Jetzt der
Welt des Aussagenden zu machen?“25 Damit gelangt man häufig zu
keiner bestimmten Aussage über den „geschichtlichen“ bzw. „heils­
geschichtlichen“ Charakter der biblischen Schöpfungsberichte. Die
M öglichkeit bleibt offen, daß diese Berichte auch nur als Fragen des
in seiner Welt bedrohten Menschen und dementsprechend auch als
existentielle Antworten der Daseinsbewältigung zu verstehen seien,
die das „Geschichtliche“ nur fingieren bzw. an ihm kein wesentliches
Interesse bezeigen. So rücken die Schöpfungsberichte der Genesis
doch wieder in den Bereich des Mythischen, zumal die Ätiologie von
sich aus keine eindeutige Unterscheidung zum Mythos hin trifft. In
dieser Perspektive wären die biblischen Berichte keine sichere

24 So M. Noth, D er B e itrag der A r c h ä o l o g i e zur G e s c h i c h t e Israels, 279f .; vgl. zum


F o l g e n d e n L. S ch e f fc z y k , E in f ü h r u n g , 17-19.
25 So N. L oh fin k , G e n e s is 2f. als „ g e s c h i c h t l i c h e Ä t i o l o g i e “ , 333.
Grundlage für das heilsgeschichtliche Interesse der Dogmatik. Die
Spannung zwischen exegetischem Befund und dogmatischer Aussage
wäre hier nicht ausgeglichen.
Trotzdem ist die Frage berechtigt, ob eine solche Spannung wirk­
lich besteht und aufrechterhalten werden muß. Deshalb geben auch
kritisch verfahrende Exegeten im Hinblick auf Gen 2f. zu, daß ein
mythisches Selbstverständnis (und damit eine rein existentiale Inter­
pretation) aufgrund der Sinnrichtung des gesamten Kontextes nicht
angenommen werden kann26. Daraus ergibt sich sogar das Zuge­
ständnis, daß durch die Untersuchung des größeren Zusammenhangs
von Gen 2f. und des ganzen jahwistischen Werkes der Aufweis einer
historischen Aussageabsicht innerhalb dieser Texte durchaus mög­
lich sei. Es müsse zwar noch genauer nachgewiesen werden, „daß der
urgeschichtliche Vorbau ebenfalls noch dem Bereich der echt histori­
schen Aussageintention eingegliedert ist“27, aber die grundsätzliche
Möglichkeit dieses Nachweises wird nicht in Zweifel gezogen.
Tatsächlich ist die Exegese stellenweise auch um diesen Nach­
weis bemüht. Wenn etwa gesagt wird, daß die „Urgeschichte“ als
„eines der wesentlichen Elemente einer theologischen Ätiologie
Israels“ verstanden werden müsse28 und als solche ausgewiesen wird,
so ist hier eine notwendige innere Verklammerung zwischen Urge­
schichte und Heilsgeschichte gegeben, die zwar für eine positive
Wissenschaft wie die Exegese sehr anspruchsvoll ist, die aber aus
dem inneren Zusammenhang der Strukturen des Heilsdenkens Israels
nicht geleugnet werden kann. Darum ist wohl auch eine weiterge­
hende Erklärung der Exegese nicht unbegründet, die hier von einer
„retrospektiven Prophetie“29 spricht, die, ähnlich wie die prospektive
Prophetie, eine für den Glauben erfaßbare ereignishafte Wirklichkeit
beschreibt, die etwas anderes ist als eine mythische Gleichzeitigkeit,

26 L. A l o n s o - S c h ö k e l , M o tiv os s a p ie n c ia le s, 300.
27 N. L o h fin k , a.a .O ., 334.
28 G. v. Rad, T h e o l o g ie des A lten T e s t a m e n t e s I, 168.
29 So H. G roß , M y s t e r i u m S alu tis II, 425.
als die Wiedergabe einer allgemeinen Idee oder als bleibende
Existenzaussage. Deshalb ist der vielfach kritisierte Ausdruck einer
„geschichtlichen Ätiologie“ zur Kennzeichnung des besonderen
Anliegens der biblischen Schöpfungsberichte (auch wenn er nicht im
Sinne eines allgemein feststehenden literarischen Genus genommen
werden muß) wohl nicht gänzlich unangemessen.
D er h ier m ö g lich e E in w a n d w ird w eite r d a ra u f insistieren , daß es sich, wenn
m an das g e sc h ic h tlic h e M o m e n t an d ie se r Ä tio lo g ie u rgiert, je d e n f a lls nur um
e in e „ k o n s t r u ie r te G e s c h i c h t e “ d er H a g i o g r a p h e n o d e r d er i s r a e li ti s c h e n
T rad ition h and eln könne. A b e r was pejorativ als „ K o n s tr u k tio n “ b e z e ic h n e t w ird,
k a n n m it e in e m d u r c h a u s g l ä u b i g e n S in n v e r b u n d e n w e rd e n . D iese
„ K o n s tr u k tio n “ k a n n n äm lich n ich t als w illk ü rlic h e m e n s c h lich e E rfin d u n g a u s ­
g e g e b e n w erd en, so n d ern sie kann im Z u s a m m e n h a n g m it der G la u b e n s ­
gesch ic h te Is raels, die n icht ohne gö ttlich e O ffe n b aru n g zu denk en ist, durchau s
als E rg eb n is des sich v ertie fe n d e n G lau b en s a n g ese h e n w erden , der seine in der
G e sc h ich te gew o n n en e G e w iß h e it bis au f den U rsp ru n g hin ausdehnt. Das g e ­
sc h ieh t nicht m it den M itte ln der h isto risc h e n V ernunft allein, sondern in der
K raft eines e rleu ch tete n G la ub ens, der, m it ein e m lum en p ro p h e tic u m a u s g e s ta t­
tet, seinen B lick au f die A n fä n g e rich tet und darin die G ew iß h eit des G laub ens
gew innt, nach Art ein er retrosp ektiven P rop hetie.

Sie ist aber nicht ohne Haftung an der geschichtlichen W irklich­


keit zu denken, die sich dem Blick eines Glaubens erschließt, der von
der Geschichte herkommt und in ihr gründet. Der Begriff der pro­
phetischen Retrospektive und der prophetischen Geschichtsschau
will besagen, daß hier aus der Erfahrung der geschichtlich erlebten,
jetztzeitlichen Führungen Jahwes diese Geschichte im Glauben nach
rückwärts verlängert wird und bis auf den Ursprungspunkt zurückge­
führt wird. Dieser Rückschluß erfolgt aus der Logik des Glaubens an
einen universalen Gott und an einen geschichtlich handelnden Gott.
Für den einen universalen Gottes- und Heilsglauben wäre jeden­
falls die umgekehrte Annahme unmöglich, daß Gott bei Abraham in
die Geschichte eingegriffen hat, daß alles Vorhergehende aber mit
Gott nichts zu tun habe.
Der Redaktor führt jedenfalls diese heilsgeschichtliche Verzah­
nung zwischen Abrahamsgeschichte und Urgeschichte so eindeutig
durch, daß dies auch exegetisch zu begründen ist. Der Jahwist, der
den älteren Schöpfungsbericht enthält, stellt nämlich im ganzen eine
Geschichtsquelle dar, die sich wie in Adern durch den ganzen
Pentateuch hindurchzieht. Zu ihm gehören auch die Abrahams­
geschichte Gen 12-13, die Erzählungen des Buches Exodus 1-14 und
die Geschichte über das Ende des Moses im Deuteronomium 31 und
34. Diesem Ganzen gehört nun aber der Anfang wesentlich hinzu, so
daß auch er nur als geschichtlich aufgefaßt werden kann, in der
Weise, wie man damals Geschichte verstand. Der Zusammenhang der
ganzen Komposition ist auch exegetisch der Grund für die Annahme,
daß die Urgeschichte einen geschichtlich-heilshaften Sinn hat, den
der Redaktor zum Ausdruck bringen wollte.
Wenn feststeht, daß die Schöpfungsberichte dem israelitischen
Erwählungs- und Heilsglauben (der sich zuvor schon in Bekenntnis­
sen wie Dtn 6,20-24; 26,5-9; Jos 24,2-13 ausgesprochen hatte) zu
dessen Ausweitung und frühmöglichsten Befestigung vorangestellt
wurden, dann dürfen diese Zeugnisse auch auf ihren Aussageinhalt
hin befragt werden, der den heilsgeschichtlichen Grund der Dog­
matik abgibt.

II. Die Grundelemente des priesterschriftlichen


Schöpfungsglaubens
1) Schöpfung als göttliche Urhebung
Als theologisch bedeutsam darf hier schon die Einleitungsformel
erachtet und bedacht werden, die zeitliche Betonung „im Anfang“
(Gen 1,1). Man meinte, dieses Wort schlicht mit „zuerst“ übersetzen
zu können, womit nur die Reihenfolge der kommenden Schöpfungs­
dinge angegeben wäre, an deren erster Stelle „Himmel und Erde“
stünden. Aber es spricht alles dafür, daß dieser erste Vers bereits eine
theologisch bestimmte Aussage macht. Sie will verdeutlichen, daß
hier der absolute Anfang des Geschehens gesetzt wird, vor dem kein
anderes Geschehen und Sein existierten als nur Gott allein. Deshalb
sagt G. v. Rad: „Der Aussage von Vers 1 darf nicht der Charakter
eines theologischen Hauptsatzes genommen werden“30. Ähnlich
meint CI. Westermann, daß dieser erste Satz der Genesis ein
Hauptsatz von eigentümlich monumentalem Charakter sei. Er ist ein

30 D as erste B u c h M o s e, 36.
Hinweis darauf, daß der Schöpfer und sein Werk der Erste und das
Erste sind, also hier ein absoluter Anfang gesetzt ist31.
Dieser Satz ist nämlich, genauer betrachtet, als Gottesprädikation
zu verstehen. Er will besagen, daß die Schöpfung in totaler
Abhängigkeit von Gott steht, daß Gott den Anfang aller Dinge setzt.
Damit ist auch über das Wesen der geschaffenen Dinge eine Aussage
gemacht und gesagt, daß sie sich einer radikalen Urhebung durch
Gott verdanken und allein auf der Macht Gottes beruhen. Wenn hier
der absolute Anfang allen Geschehens zum Ausdruck gebracht wer­
den soll, könnte allerdings die Vermutung auftauchen, daß in
Verbindung mit Vers 2, in dem die Rede von der chaotischen
Verfassung der Erde ist, die Schöpfungstat Gottes zuerst auf ein
Chaos geht32. Gott hätte demnach zuerst etwas Chaotisches geschaf­
fen. Für ein geläutertes theologisches Denken ist das freilich ein
schw er vollziehbarer Gedanke. Hier ist exegetisch auf die
Vorstellungswelt der Verfasser des P-Berichtes hinzuweisen. In die
Form bildlichen Denkens und Sprechens konnte „Schöpfung“ nur als
ein Formen aus Ungeformtem eingehen. Die Aussageabsicht geht
freilich auf den Beweis der Macht, der Größe und der Sinnhaftigkeit
des Schöpfers wie seines Tuns. Aber es ist zuzugeben, daß die hier
vorhandene Spannung zwischen dem theologischen Gedanken und
dem anschaulichen Ausdruck nicht behoben und gemeistert ist33.
2) Die theologische Bedeutung der Güteformeln
Theologische Bedeutsamkeit kommt auch den in diesem Bericht
wiederholt gebrauchten Aussagen über die Güte der einzelnen
Schöpfungsdinge zu. Es sind die auch als Billigungsformeln bezeich-
neten Aussagen im Stil von Gen 1,10 „Et vidit Deus, quod esset
bonum“ . Diese Charakterisierung der einzelnen Werke als „gut“
erfolgt konstant und fehlt nur bei der Erschaffung der Himmelsfeste

31 G e n e s is I, 135f.; zum B ild des S c h ö p f e rs im A lten T e sta m e n t vgl. H. D. P re uß,


T h e o l o g ie des A lten T e sta m e n ts I, 259f.
32 D ie s e V erm utu ng legt a u c h A. G a n o c z y nahe, C h a o s - Z u fall - S c h ö p f u n g s g l a u b e , 9 5 f.
33 G. v. Rad, a.a.O., 38f.
am zweiten Tage. Hier fehlt sie aber nur deshalb, weil dieses Werk
am dritten Tage erst abgeschlossen erscheint.
Auch die Tatsache, daß diese Formel im Vers 31 zusammenfas­
send nochmals auf die ganze Schöpfung bezogen wird, darf nicht
geringgeachtet werden: „Viditque Deus cuncta, quae fecerat, et erant
valde bona“ . Auf dem Hintergrund der den biblischen Schriftstellern
gewiß nicht unbekannten W eltwirklichkeit mit ihrer Leid- und
Schmerzerfahrung, für die dann der folgende jahwistische Bericht
über den Sündenfall (Gen 3,1-24) die Erklärung abgibt, haben diese
Qualifizierungen kein geringes theologisches Gewicht. Es findet sich
nämlich darin die Überzeugung eingeschlossen, daß Gott nicht
Urheber des Übels ist und seine Werke vom Ursprung her nicht feh­
lerhaft angelegt sind. Dadurch ist die Antwort auf die Frage nach
dem Ursprung des Übels mindestens schon negativ vorbereitet.
Dabei ist mit der Güte nicht so sehr eine ästhetische Kategorie des
Schönen, des Künstlerischen gemeint und verwendet, als vielmehr
eine seinshafte und werthafte Anschauungsform. In ihr findet der
Gedanke seinen Ausdruck, daß der vollkommene Gott auch seinem
Werk das Siegel der seinsmäßigen Güte und M akellosigkeit auf­
drückt. Dieses Siegel prägt die Existenz und das Leben des Ge­
schöpfes.
D ies w u rde n eu erd in g s freilich bestritte n. Vom E v o lu tio n sg e d a n k e n b e e in ­
druckt, k o m m t CI. W esterm ann zu der A uffassung, daß die G ü te fo rm eln n icht ein
o bjektives G u tse in au ssag en w ollen, son dern n ur eine faktisc he B rau c h b a rk e it
der D ing e für ihre w eitere V erw en du ng , eine G e e ig n e th e it für ein w eiteres
Werden. D er A utor, der auch sonst in der bib lisc h e n U rge sc hic hte e v o lu tio n s ­
th e o retisch e E rk e n n tn isse a ng ele gt findet, m eint, daß die A u ssa g e n ü b e r das
G utsein der S c h ö p fu n g s d in g e „nich t als objektive B eu rte ilu n g g em eint s e ie n “ ,
sondern nu r b ed euten sollen: Es ist g ut oder richtig für den Z w eck , für den es
a n g efertig t w u rd e “ 34. Die S c h lu ß fo lg e ru n g , w on ach die S ch ö p fu n g nur gut sei in
bezug au f das, was G o tt m it ihr w eiter vorhat, verneint offen bar die innere,
s e in sm ä ß ig e und b leib en de G üte des G esch affen en. A ber m an k ann hie r „ g u t“
nicht mit „ b ra u c h b a r“ übersetzen . D araus k ö nn ten sich n egative K o n se q u e n z e n
ergeben. D ie D in ge w ären nie ganz gut, sondern erst, w enn sie ihren v o ll k o m ­
m e n e n E n tw ic k lu n g s s ta n d erre icht hätten. D ie se r ist n a tü rlic h in der ird isch en
E n tw ic k lu n g niem als erreichbar. So w äre je d e irdische E n tw ic k lu n g sfo rm nich t
e ig en tlic h gut, so n d ern allein von d er Z w ec k m ä ß ig k e it und V erw e nd barke it her
zu beu rteilen. D as w ürde in s b e so n d ere die M en sc h e n sc h ö p fu n g in ein Z w ie lic h t
setzen. N och n eg ativ er u rteilt U. H edin ger, w enn er erklärt, daß die G ü te fo rm e ln

34 G e n e s is I, 22 8; S c h ö p f u n g , 88.
gegen den Text u nd die A b sich t des V erfassers als F o rd e ru n g e n nac h der Ü b e r­
w in d u n g des B ösen in der Welt v ers tan d e n w e rd e n m ü s s e n 35.

Aber diese Ableitungen sind weder exegetisch noch theologisch


überzeugend. Unter theologischem Aspekt darf man hier allerdings
an die Unterscheidung erinnern, die zwischen „perfectio formae“
und perfectio finis“ besteht36. Danach sind die Dinge zwar in sich als
gut und werthaft („perfekt“) anzusehen. Aber sie sind deshalb nicht
schlechthin vollkommen und vollendet. Ihre Vollendung ist das
eschatologische Ziel, auf das die Schöpfung im ganzen ausgerichtet
ist.
Man darf und muß deshalb dabei bleiben, daß das „gut“ eine
innere theologische Qualität aussagen will, die dem Geschaffenen
wirklich innewohnt. Der theologische Grund liegt in der Anteilhabe
an der Güte Gottes.
3) Das Vollendungsziel im „Schöpfungssabbat“
Bezüglich der Aussage über den siebten Tag (Gen 2,21): „Gott
ruhte aus am siebten Tag von seinem ganzen Werk und segnete den
Tag und erklärte ihn für heilig“ , besteht Übereinstimmung in der
Erkenntnis, daß sie „eines der merkwürdigsten und gewagtesten
Zeugnisse der ganzen Priesterschrift“ enthalte37. Als „gewagt“ darf
diese Aussage der Priesterschrift deshalb bezeichnet werden, weil in
ihr das Schöpfungsgeschehen auf die Welt Gottes hin überstiegen
wird, in der Ruhe ist. Die Schöpfung, die in einer Ordnung von
Tagen abläuft, erschöpft sich nicht in ständiger Wiederholung dieses
Rhythm us’, sondern sie ist auf einen „Gottestag“ als auf ihr Ziel aus­
gerichtet, das anders ist als sie selbst, nämlich die Ewigkeit Gottes.
Nach dem priesterschriftlichen Bericht ist das Ende des
Schöpfungshandelns das Eingehen der Schöpfung in die Ewigkeit
und Heiligkeit Gottes. Darin liegt nicht nur ein Hinweis auf den spä­
teren Sabbat (obgleich hier keine „Einsetzung“ gemeint ist), sondern
auch die Zubereitung eines Heilsgutes, für das die Schöpfung in
eschatologischer Ausrichtung bestimmt ist38.

35 U. H ed in g er, W id e r die V e r söh nu ng G o ttes m it d em E le n d, 107.


36 Vgl. dazu H. Volk, G o tt alles in allem , 38.
37 G. v. Rad, Das erste B u c h M o s e , 48.
38 Vgl. d azu CI. W e s te rm a n n , G e n e s is I, 2 3 5 - 2 3 8 ; S c h ö p f u n g , 93f.
4 ) Die Gottebenbildlichkeit des Menschen (Gen l,27f.)
Eine Zentralaussage des P-Berichtes geht auf den Menschen, des­
sen theologische Bestimmung mit dem Ausdruck imago - similitudo
Dei getroffen wird. Die Interpretation dieser Aussage ist Gegenstand
einer ganzen Forschungsgeschichte geworden, die von Philo und der
Väterzeit bis hin zur Gegenwart reicht39. Ohne diese Geschichte hier
aufnehmen und eine vollständige Exegese bieten zu können, darf als
weithin anerkanntes Ergebnis der Schriftforschung aufgeführt wer­
den, daß in der Konzeption der P keine dem Menschen äußerlich oder
innerlich anhaftende Qualität oder Ausstattung (aufrechter Gang,
Vernunftgebrauch, Herrschaftsstellung, ausstrahlende Hoheit) ge­
meint sein kann, sondern zuallererst ein aus dem Schöpfungsvor­
gang resultierender Bezug. Dieser läßt sich genauer als Unmittelbar­
keit des Menschen zu Gott bestimmen. Während alle anderen Ge­
schöpfe nur in mittelbarer Beziehung zu Gott stehen, ist der Mensch
allein unmittelbar zu Gott. Er ist von Gott als sein Gegenüber ge­
schaffen. Diese Relation betrifft das ganze Menschsein als solches
und verleiht ihm seine einzigartige Würde. Sie hebt den Menschen so
über die Gesamtschöpfung hinaus, daß er als für die Schöpfung
Verantwortlicher auftreten und zum Mandatar Gottes bestellt werden
kann (vgl. Gen 1,28). Aber wichtiger als diese Herrschaftsstellung ist
das Gegenüber-Sein des Menschen zu Gott, das ihn in der Begeg­
nung mit Gott leben läßt und so seinem Leben Sinn und Ziel verleiht.
Allerdings ist damit vom Text her die Frage nicht beantwortet,
worin eigentlich die Entsprechung und die Ähnlichkeit besteht. Es
heißt nur, daß der Mensch „elohimartig“ geschaffen wurde. Der Text
begnügt sich mit der Feststellung der Tatsache. So blieb die Antwort
der Interpretation durch das christliche Denken überlassen, das wohl
nicht falsch orientiert war, wenn es in dieser Frage eine personologi-
sche Richtung einschlug40.

39 CI. W e s te rm a n n , G en es is I, 20 3 -2 1 4 .
4 0 L. S c h e f f c z y k , D ie F r a g e n a c h d e r G ottebenbildlichkeit in der m odernen
T h e o lo g ie , XLVIIIff.
Die in diesem Bericht im Kern gebotene Anthropologie betrifft
aber auch den Menschen als geschlechtliches Wesen in der Differen­
zierung von Mann und Frau.
5) Die schöpfungsgemäße Geschlechtlichkeit
Sie ist im P-Bericht 1,27 und 28 ausgesagt, in J 2,18-24 in der
bildhaften Form der Eva-Schöpfung, die keine Parallele in den
Mythen hat, noch einmal hervorgehoben und wohl schon auf die
Begründung der Ehe bezogen.
Während Gen 1,27f. mit der Gottebenbildlichkeit beider Ge­
schlechter ihre theologische Gleichwesentlichkeit bezeugt, legt der 1
mehr Wert auf die Darstellung ihrer Ergänzungsfähigkeit und ihrer
Verwiesenheit auf die Gemeinschaft. Über alle Abstände von Kultur-
und Sozialwandlungen hinweg ist hier das Verhältnis von Mann und
Frau als Personen zur Grundform menschlicher Gemeinschaft erho­
ben, die sich im „adiutorium sibi simile“ (2,18), d.h. im gegenseiti­
gen Helfen und Ergänzen verwirklicht. Dies ist nicht nur auf einzel­
ne Akte bezogen, sondern meint einen ganzheitlichen Lebensbezug
in personalem Austausch. Beim Vorherrschen des Ergänzungsgedan­
kens ist aus dem Text eine förmliche Unterordnung der Frau unter
den Mann nicht zu entnehmen. Wohl aber läßt er sich auf den moder­
nen Gedanken der Polarität der Geschlechter beziehen. Dann aber
schließt der Text jede alte mythische (aber auch in moderner Ab­
wandlung vorkommende) Vorstellung vom Androgyn genauso aus
wie die Vernachlässigung des Anders- und des Eigenseins der Ge­
schlechter in bestimmten Formen des Feminismus41.

III. Die jahwistische Schöpfungsgeschichte als Darstellung


von Gottesnähe und Gottentfremdung der Schöpfung
(Gen 2?4b-3,24)
Die theologische Konzentration, die dem priesterlichen Schöp­
fungsbericht eignet, ist in der alttestamentlichen Offenbarungsge­
schichte von keinem anderen Dokument mehr erreicht worden. Das

41 N a c h M. D aly g ibt es kein von G o ttes S c h ö p f u n g g e s e tz te s W e s e n sb ild des M a nn -


o d e r F ra u s e i n s , K irch e, F ra u un d S exu s, O lten 1970, 235; zu r I n t e rp r e ta tio n von G en 1,27
vg l, A. Z ie g e n a u s , „A ls M a n n un d F ra u e r s c h u f er s i e “ (Gen 1,27). Z u m s a k ra m e n t a l e n
V erständ nis d er g e s c h l e c h t l i c h e n D i f fe r e n z i e r u n g des M e n s c h e n , in: M T h Z 31 (19 80 )
210- 222.
gilt zunächst von dem zeitlich vorausliegenden jahw istischen
Bericht, der von der Exegese nicht als förmlicher Schöpfungsbericht
angesehen wird, sondern als Erzählung vom „Paradies“ .
1) Der anthropozentrische Zug der J-Erzählung
Der Blick des Jahwisten ruht weniger auf dem umfassenden
W eltgebäude als vielm ehr auf dem engeren Bereich der dem
Menschen nahen Erde. Deshalb ist dieser Bericht auch stärker
anthropozentrisch und anthropomorph gehalten. Der Bericht des
Jahwisten in Gen 2,4b-25, der das erzählerische und psychologische
Element stärker als die Priesterschrift betont, kann daraufhin diese
aber in manchen Einzelheiten ergänzen. Die gewaltige, herrscherli­
che Tat der Schöpfung, wie sie die Priesterschrift sieht, wird dem
Jahwisten zu einem Erweis der göttlichen Freundlichkeit und Güte,
die den Menschen mit den einzelnen Schöpfungswerken umsorgt und
beglückt. In dieser Sicht gewinnt dann auch das Verhältnis des M en­
schen zu Gott eine stärkere Durchleuchtung und Veranschaulichung.
Seit je hat man beobachtet, daß der priesterschriftliche Bericht nach
Art einer Pyramide auf den Menschen hin ausgerichtet ist. Dagegen
folgt der jahwistische Bericht einem anderen Schema. Er sieht den
Menschen im Zentrum eines ihn umgebenden Kreises stehen, der von
Gott gleichsam um ihn herum erstellt und angelegt worden ist. Hinter
dieser Anordnung und diesem Schema steht eine andere kulturge­
schichtliche Auffassung: Im priesterlichen Bericht steht die kosmi­
sche Urwelt im Hintergrund, die vom Wasser bedroht wird. Im
J-Bericht ist es die dem Bauern nahe Kulturlandschaft, die vom
Wasser zu einer fruchtbaren Oase wird42.
D ieser Z ug v e rle ih t dem ja h w is tis c h e n B ericht eine g röß ere N ähe zur k o n ­
kreten w irk lic h e n L eb e n sw e lt des M en sch en . H ier h an d e lt es sich nich t m eh r um
reflek tierte, leh rh a fte D arstellu n g p rie s te r lic h e r W eisheit, sondern um le ben dige
E rz äh lu n g , in die b ereits E rfahru ng und P sy ch o lo g ie e in g e g a n g e n sind. F re ilich
s in d d ie s e p s y c h o l o g i s c h e n E r k e n n t n i s s e ü b e r den M e n s c h e n u nd sein
G o ttv erh ä ltn is auch in B ilder g ek le id et, wie z.B. in das Bild vom G e fo rm tw e r­
den des M en s c h e n aus d em L eh m der E rd e und vom E in h a u c h e n des g ö ttlich en
O dem s (G en 2,7). A b e r es kann kein Z w eife l sein, daß d a h in te r tiefe th e o l o g i­
sche M otive u nd G eh alte stehen.

42 G. v. Rad, D as erste B u c h M os e, 59 -6 9; CI. W e s te rm a n n , G e n e s is I, 259 -2 69 .


2) Die Gottesfreundschaft des Menschen
Ein Hauptmotiv, das unter der heilsgeschichtlichen Perspektive
betont herausgestellt werden darf, ist die hier erwähnte Freundschaft
Gottes zum Menschen, die schon in dem Motiv des Gartens anklingt.
Auch dabei handelt es sich nicht um ein eigentlich mythisches
Motiv; denn die Mythen kennen zwar die Vorstellung von dem
Götterberg oder der Götterwohnung, in denen die Götter wie in seli­
gen Gefilden wandeln, aber der Jahwist berichtet nicht von einer
Götterwohnung, sondern von einer Behausung des Menschen, in die
er von der Güte Gottes hineinversetzt wurde43. Dieses Güte- oder
Gnadenmotiv wird noch durch die Erwähnung des Umstandes ver­
stärkt, daß Gott nach Gen 3,8 „sich im Garten ergeht“. Der Garten ist
also auch der Ort, an dem Gott dem Menschen seine besondere Nähe
und seine Freundschaft bezeigt. Die ganze Schilderung des
Verhältnisses von Gott und Mensch drängt zu der Annahme, daß hier
eine religiös-theologische W ahrheit über das ursprüngliche
Verhältnis des Menschen zu Gott ausgedrückt werden soll. Für das
hier im Blickpunkt stehende Verhältnis des Menschen zu Gott ist
auch die Bindung an den Willen Jahwes wesentlich. Sie tritt deutlich
hervor im Paradiesesgebot Gen 2,16f. Hier wird der Mensch in die
Bewährung vor Gott gestellt und damit das Freiheitsthema ange­
schlagen, das für die ganze fernere Geschichte Gottes mit dem
Menschen das Leitmotiv abgeben soll.
3) Die Gottentfremdung des Menschen
Der Jahwist will nicht nur vom heilen Anfang der Menschenwelt
berichten, sondern auch vom Abfall des Menschen von Gott, vom
Einbruch der Sünde. Der Autor wird daraufhin von der Exegese als
der erste und einzige Verfasser einer „Hamartiologie“ im Alten
Testament ausgegeben, d.h. einer Lehre von der Sünde. Der Einbruch
der Sünde wird wiederum unter Verwendung von Bildern dargestellt,
in denen mythische Stoffe aufgenommen, aber auch verarbeitet sind.
Diese Verarbeitung geschieht nicht zuletzt durch eine psychologische
Deutung des Ursprungs und der Folgen der Sünde. Deshalb gilt auch
hier das Urteil: „Mythisch sollte man diese Erzählungen vom
Sündenfall bis zum Turmbau nicht nennen“44. Auch hier ist die
Annahme zu begründen, daß die Erzählung im Duktus des ganzen
jahwistischen Geschichtswerkes etwas Ereignishaftes meint, ein in
der Menschheit wirklich Geschehenes. Man kann den Geschehens­
charakter auch nicht mit dem Hinweis auf die Priesterschrift entwer­
ten, welche die Sünde angeblich nicht kenne und um ihren Einbruch
nicht wisse. Richtig ist nur, daß P vom Ursprung der Sünde nicht
ausführlich und dramatisch berichtet. Daß die Priesterschrift aber um
den Einbruch der Sünde weiß, zeigt der Text Gen 6,11-13 (besonders
Vers 12), wo es heißt: „Die Erde war verderbt vor Gott und die Erde
füllte sich mit Gewalttat“.
Da die Aussagen über den Fall weniger das Thema der
Erschaffung als vielmehr das der Verkehrung der Schöpfung beinhal­
ten, haben sie ihre eigentliche Stellung erst in der theologischen
Anthropologie45.

§ 4:

Die Resonanz des Schöpfungsglaubens im Gesamt des Alten


Testamentes
L it e r a tu r : W. F o e rs te r, D e r a lt t e s t a m e n t l i c h e S c h ö p f u n g s g l a u b e , in:
T h W N T III (1 938) 1004-1015; G. L ind esk o g , S tu d ien zum n eu te s ta m e n tlic h e n
S c h ö p fu n g s g e d a n k e n I, U p p sa la 1952; R. R endtorff, Die th eo lo g is ch e S tellun g
des S c h ö p fu n g s g la u b e n s bei D e u te ro je sa ja , in: Z T h K (1 954) 3-13; A. Weiser,
Die P sa lm e n (D as A lte T estam en t D eu tsch , Teilbd. 14/15) G ö ttin g en 41955;
L. S cheffczy k, S ch ö p fu n g und Vorsehung: H D G II/2a, Freibu rg 1963; D ers., Die
Welt als S c h ö p fu n g G ottes, D a rm s ta d t 1968; J. A uer - J. R atzing er, K K D III,
R eg en sb u rg 1975; E. H aag, G ott als S ch ö p fer und E rlö ser in d er P ro p h etie des
D e u t e r o j e s a j a , in: T T h Z 85 (1 9 7 6 ) 1 93 -2 13 ; W. K ir c h s c h lä g e r , D ie
S ch ö p fu n g s th e o lo g ie des D e u te ro jesa ja, in: BiLi 49 (1976) 407-4 22 ; R. Lux,
S ch ö p fu n g s th e o lo g ie im AT, in: Z dZ 31 (1977) 416 -43 1; E. von N o rd h eim , D er
große H y m n u s des E c h n ato n und P salm 104: Stu dien zur altä g y p tisch en K u ltu r
(hrsg. von H. A lte n m ü lle r und D. W ild u ng 7/1979) H am b urg 1979, 227 -2 51 ;
A. A ng ersto rfe r, D er S c h ö p fe rg o tt des A lten T estam entes, F ran k fu rt a. M. 1979;
M. S c h m a u s , D e r G la u b e d e r K ir c h e III, S t . O tt il ie n 1979; S. W agn er,
„ S c h ö p fu n g “ im B u che H iob, in: Z dZ 34 (1980) 93-96; H. D. Preuß, E in fü h ru n g

44 G. v. R a d , T h e o l o g ie des A lte n T e sta m e n te s I, 158.


45 Die s y s t e m a t i s c h e A u s a rb e i t u n g der S c h ö p f u n g s b e r i c h t e u.a. für die A n t h r o p o l o g ie
e r fo lg t in K ap itel IV dieses Band es.
in die a ltte s tam e n tlich e W eish eitslite ratu r, S tu ttg art 1987; D ers., T h eo lo g ie des
A lten T estam en ts I, S tu ttg art 1991; M. S ch ub ert, S c h ö p fu n g s th e o lo g ie bei
K ohelet, F ra n k fu rt a. M. 1989; D. S attler - T h .S c h n eid e r, S ch öp fu n g sleh re:
Th. S c h n e id e r (H rsg.), H an d b u ch der D o g m a tik I, D ü s s e ld o rf 1992; Fr. Courth,
G ott - M en sch - Welt. Was sagt c h ristlic h e r S ch ö p fu n g s g la u b e ? L eitfad en zur
S ch ö p fu n g s leh re, St. O ttilien 1996.

Ein (wenn auch kurz gefaßter) Durchblick durch das Alte


Testament, der nur einige Schwerpunkte erfassen möchte, vermittelt
den Eindruck einer vielstimmigen Resonanz der Schöpfungswahr-
heit, die sich in allen Gattungen des alttestamentlichen Schrifttums
Gehör verschafft. Sie tritt dabei nicht als isolierte Schöpfungstheo­
logie auf, sondern in der Form lebendigen Bekenntnisses zu Jahwe,
dem Schöpfer und Retter, wobei das heilsgeschichtliche Verständnis
sich noch verstärkt1. Die „Urgeschichte“ erscheint noch inniger mit
der Geschichte des Volkes verquickt und mit dieser verwoben. Dabei
tritt das aktuelle Geschichtswirken Jahwes noch deutlicher hervor in
einer Art von weitergehender Schöpfung (creatio continua)2.
1) Das heilsgeschichtliche Konzept des Deuterojesaja
Das gegenwärtige Handeln Gottes in der Geschichte des Volkes,
die von den Großtaten Jahwes (wie Auszug aus Ägypten, Taten am
Schilfmeer und in der Wüste: Ps 106) erfüllt ist, klingt bei Deute­
rojesaja auch in hymnischer Form und unter Verwendung natürlicher
Bilder an (vgl. 40,3-5; 41,18; 42,10-16; 44,27; 45,18 u.ö.), wobei die
Erinnerung an die überragende Tat am Anfang immer mitschwingt
(vgl. 40,22; 42,5; 44,24), woran eine gewisse Nähe zum priester-
schaftlichen Bericht erkennbar wird. Aber beherrschend wird die
worthafte Selbstaussage Jahwes über sein Schöpfer- und Rettersein,
die er in W eissagungen (vgl. 43,1-7), in Reden an das Volk
(vgl. 40,12-31) und in Anklagen richterlicher Art (vgl. 45,18-25)3
vorbringt. Dabei tritt ein Zusammenhang der einzelnen Teile hervor,
der einen Plan und eine zielhafte Ausrichtung erkennen läßt. Im
Kapitel 51 werden alle Taten Jahwes seit Gründung der Welt zu einer
Kette aufgereiht, in welcher die Schöpfungswerke wie das Werk der

1 Vgl. H. D. P re uß , T h e o l o g ie des A lten T e s t a m e n t e s I, 269.


2 Vgl. L. S ch effc zy k , S c h ö p f u n g und V o rsehu ng , 7 ff.
3 H. D. P re u ß , a.a.O ., 268.
Auserwählung Israels zum Volk Jahwes zusammen aufgeführt wer­
den (51,16). So wird das schöpferische Handeln Gottes, das sich
durch die ganze Geschichte erstreckt, zugleich als ein Heilshandeln4
verstanden, so daß es zu einer „Koinzidenz der beiden Schöp­
fungswerke“ kommt5. Auch die erwartete Rückkehr des Volkes aus
dem Exil wird als eine Tat des Schöpfers ausgegeben, welcher
zugleich der Erlöser ist (43,14f.; 44,23)6.
F ür die U n iv ers alitä t dieses H an d eln s und die g e h eim n is h afte F ü h ru n g des
L enk ers der G e sc h ic h te sprich t auch die Tatsache, daß er eine G estalt wie den
P ers e rk ö n ig K yros zu sein em W erkzeu g beru ft (Jes 4 5 , l ) 7. D arin tritt auch (wie
zur A b g re n z u n g vom D u alism u s der p ersisch en U m w elt) ein Z u g hervor, der in
sc h w e r v o r s t e l l b a r e r W eise die E i n z i g k e i t u n d v ö ll ig e S o u v e r ä n i t ä t des
Schö pfer- und E rlö s erh an d e ln s Jah w es hervo rh eb t. E r sagt von sich selbst: „Ich
ersch affe das L ich t und m a ch e das D unkel, ich bew irke das H eil und e rsch affe
das U n h e il“ (Jes 45,7). Im T rito jes a ja aber le uch tet das Ziel dieser au f der
S c h ö p fu n g s Wahrheit b e g rü n d e te n H eils b o tsc h a ft auf, w en n der P ro p h et den
h e im k e h re n d e n E x ila n te n die E rsc h a ffu n g eines „neu en H im m e ls und ein er
n euen E r d e “ verh e iß t (Jes 6 5 , 17)8. So fügt D e u te ro je sa ja die G e sc h ic h te zu
einem e in h e itlic h e n S p an n u n g sb o g e n zusam m en , der von der ersten S c h öp fu ng
zur „ n e u e n “ S c h ö p fu n g zu rü c k s c h lä g t in K ra ft des w e ite rg e h e n d e n a k tu e l­
len S ch ö p fe rh a n d e ln s G ottes. In ä h n lic h e r Weise findet sich die V erkn üp fu ng
von S c hö pfun g, E rlö su n g und V ollendung durch Jahw e auch bei Jer 1,5, bei
Ez 3 2,3 ff. u n d in e in e r R e ih e von e x il is c h e n u nd n a c h e x i l i s c h e n
P salm en (74,12ff.; 89; 102) au sg edrück t.
Das in dieser heilsgeschichtlichen Fassung immer auch m itge­
hende existentielle Moment des Vertrauens findet eine noch stärkere
Ausprägung in den hymnischen Zeugnissen des Alten Testamentes,
die zugleich den Lobpreis und den Dank an den Schöpfer singen.
2) Das Schöpferlob in den poetischen Texten
Unter Zurücktreten des heilsgeschichtlichen Konzeptes zeichnen
sich die poetischen und hymnischen Texte (häufig aus nachexilischer
Zeit) durch eine lebendigere Darstellung der Schöpfungstat aus, bei
der sogar alte mythologische Vorstellungen wieder Raum gewinnen9,
wie der Kampf mit den Chaosmächten. Jahwe muß die feindlichen

4 VgL E. H a a g , G o t t als S c h ö p f e r u n d E r l ö s e r in d e r P r o p h e t i e d es
D e u t e r o j e s a ja , 193-213.
5 G. v. Rad, T h e o l o g ie des AT I, 142.
6 Vgl. G. L in d e s k o g , S tud ien zum n e u t e s t a m e n t l ic h e n S c h ö p f u n g s g e d a n k e n I, 28.
7 Vgl. dazu A. A n g e r sto r fe r, D e r S c h ö p f e rg o t t des A lten T e sta m e n te s , 154- 15 6.
8 Vgl. D. S a ttle r - Th. S chn eid er, S c h ö p f u n g s l e h r e , 141.
9 D azu H. D. P re u ß , a.a .O ., 270.
Gewalten durch zürnende Worte (Ps 104,7) und durch harte Worte
(Ps 74,13) bändigen, bis er sie in den Grund der Schöpfung bannt.
Sie erscheinen auch in den Gestalten Rahabs und des Leviathan per­
sonifiziert bzw. individualisiert (Jes 51,9f.; Ps 74,14; 89,11). Aber
sie treten auch in der Gestalt des Wassers auf, das, entgegen der
jahwistischen Einschätzung als fruchtbares Element, hier in seiner
widergöttlichen Macht erfahren wird (Ps 74,13; 77,17). Diese Re­
miniszenzen an die altorientalischen Vorstellungen (zumal an das
babylonische Schöpfungsepos) stehen aber gänzlich in Abhängigkeit
von der theologischen Idee. Es „sind diese A ussagen ihres
Eigengewichtes beraubt“10.
Ein m ark an te s B eispiel fü r d iesen Typus des L o b p reis e s au f die S c hö pfun g
bietet Ps 8, „ein P re islied (H ym n u s) zum R u h m G ottes des S c h ö p fe r s “ ". D ieses
G e m e in d e lie d geht zw ar von d er e rh ab en en S ch ö n h e it der N atur aus, v ersteht sie
a ber als G o tte s o ffe n b a ru n g und bleib t bei d iese m E in d ru c k nicht stehen, sondern
d rin gt zum „H errn und H e rrs c h e r“ der S ch ö p fu n g d urch und zieh t aus der
A n e r k e n n u n g s e i n e r E r h a b e n h e i t in e in e r a n t h r o p o l o g i s c h e n W en d e die
F o lg e ru n g e n für das M en sch sein . Die G rö ß e des S c hö pfers zw in g t den M en sch en
zu r A n e r k e n n u n g d e r e ig e n e n G e r in g h e i t, n ic h t aber, um im N i c h t i g ­
k e itsb e w u ß tsein zu ve rsink en , son dern um a n g esich ts der M a je stä t G ottes das
G esch en k des e ige ne n G e sch affen s e in s zu erfassen und freu dig zu erfahren. Hier
bricht auf altte s ta m e n tlic h e m B od en eine S c h ö p fu n g s frö m m ig k e it auf, welche
die S c h ö p f u n g s o f f e n b a r u n g z u g le ic h als L ic h t fü r das w ah re M e n s c h e n ­
v erstän dn is aufnim m t.

Eine ähnliche Grundauffassung bestimmt den „Naturpsalm“ 19a,


bei dem allerdings das Gewicht noch stärker auf das Naturerleben
gerichtet ist, das sich besonders an der Schöpfung der Sonne
(Ps 19,5-7) auferbaut und in kunstvollem dichterischem Empfinden
der Größe des Schöpfers die Ehre gibt12.
In einer neuerlichen Brechung desselben Lichtes erscheint der
Schöpfungsgedanke in Ps 104. In diesem „Loblied auf den Schöp­
fer“ , in dem der Sänger Jahwe persönlich anredet, hat man Anklänge
an den Sonnenhymnus des Pharao Echnaton finden wollen13, wo der
Gott Aton als einziger Gott und als Schöpfer der Welt gepriesen wird,

10 E bd a., 270.
11 A. Weiser, Die P sa lm e n , 94.
12 E b da., 132-135.
13 H. D. P re u ß , a.a.O., 261 f.
aber der naturhaft-kosm ische Zug des Ganzen die personale
Beziehung des Psalmisten zum Schöpfer nicht erreicht; denn die
anhaltenden Großtaten Jahwes in seinem aktuellen Schöpfertum sind
von seiner Weisheit (V. 24) und seinem Geist (V. 30) geprägt und fin­
den ihren Widerhall im Menschen und seiner Freude am Herrn
(V. 34). Der theologische Grundzug kommt am Schluß in dem
Verdikt über die Sünder zum Vorschein, die nach dem Sänger „von
der Erde verschwinden sollen“ (V. 36). So erscheint die Sünde als
Widerpart der Schöpfung in den Schöpfungsgedanken einbezogen.
Die christliche Frömmigkeit war offenbar von diesem Psalm so
beeindruckt, daß sie etliche seiner Aussagen als Gebetssprüche auf­
genommen hat (V. 27f; V. 30; vgl. auch Ps 145,15f.).
3) Die Verankerung des Schöpfungsglaubens im Kult
Schon der genannte Ps 8 fügt in das Loblied des Sängers auf die
Schöpfung das Echo der Gemeinde ein (Ps 8,2.10)14. Er beweist
damit, daß er in der Überlieferung der Gemeinde und des Kultes
steht. Auf diesem Boden konnten dem Schöpfungsgedanken beson­
dere Kraft und Intensität Zuwachsen, so daß die lex credendi von der
lex orandi mit Geist und Leben erfüllt wurde. Der hymnisch gehalte­
ne Kult war „der gegebene Ausdruck ... , um die Schöpfertat Gottes
darzustellen“ 15. Hier sind aus der Psalmenliteratur reiche Beispiele
anzuführen (Ps 66,5; 96,4f.; 104; 119,73; 134,3; 136,5f.; 145-148).
Darin findet der Lobpreis auf den Schöpfergott einen lebendigen
Ausdruck, zugleich aber werden auch die hohen Eigenschaften sei­
nes Wesens in apologetischer Wendung gegen den Polytheismus
gerühmt.
Aus dem L ob preis des S ch öp fers ergibt sich n atu rg em äß die S tim m e des
D ank es für die ein z ig artig e Tat der S c hö pfun g, die auch hier als H eils- und
G n ad en tat G o ttes an sein em Volk v e rs ta n d e n w ird (Ps 65,10; 92,5; 114,17 u.a.).
Wenn aber die v erg ang en e Tat als A n laß zur D a n k e sb e z e u g u n g g e n o m m e n wird,
so ist die E rk e n n tn is n ic h t m eh r fern, daß Jah w es W irken mit der ein m a lige n
S ch ö p fu n g s ta t nic h t aufhörte und sich in v ielen w eiteren Taten an seiner
G em ein d e wie am E inz elne n fo rtsetz te und daß auch d afü r der M en sc h zum
D ank v e rp flic h tet ist. So ist es zu erklären, daß die sich an die S c h ö p fu n g s ta t

14 A. Weiser, a.a.O ., 94f.


15 G. L in d e s k o g , a.a.O ., 31; vgl. zu m F o l g e n d e n L. S ch effc zy k , Die Welt als S c h ö p f u n g
G o ttes , 21 f .; 24f.
an sch lie ß e n d e D an k e sg e sin n u n g auf alle Taten G o ttes ü bergreift, weil alle le tz t­
lich in der U rtat ihren G ru n d haben.

Das Bewußtsein, Gott dem Schöpfer für seine Werke verpflichtet


zu sein, weckt aber zugleich auch die Erkenntnis, daß er auch jetzt
seine Kraft bezeigen kann mit seinen machtvollen Taten. Dieses
Vertrauen auf die Treue des allmächtigen Gottes ist der Keimgrund
für das Bittgebet, das in den Hymnen und Liedern immer wieder eine
Stelle hat (Ps 39,9ff.; 71,6.17; 89,48 u.a.). Hier wird Gott um Hilfe
angefleht unter Berufung auf seine Schöpfertat und unter Hinweis
darauf, daß er jetzt noch allem Geschaffenen nahe ist, es trägt und
erhält. Damit findet der Schöpfungsgedanke seine Ergänzung im
Erhaltungsgedanken, und es zeigt sich, daß die creatio originalis ihre
Fortsetzung in der creatio continua findet.
4) Das Schöpfungswerk in der W eisheitsliteratur
Eine Sonderstellung unter den alttestamentlichen Schöpfungs­
aussagen nehmen dann die bereits vom hellenistischen Geist
beeinflußten Texte in den Weisheitsbüchern ein. Während das ur­
sprüngliche Schöpfungsdenken Israels vorwiegend geschichtlich
vorging, d.h. daß die Schöpfung nicht als abgeschlossenes Werk,
sondern als ein Geschehen verstanden wurde, tritt in der Weisheits­
literatur eine gewisse Versachlichung und Vergegenständlichung des
Schöpfungsgedankens ein. Die geschaffene Welt wird von der Ver­
nunft gegenständlich erfaßt und ob ihrer technischen Anlage und
künstlerischen Schönheit bewundert (so Ijob 26,7 und das Gedicht
im Kap. 28). Bedeutsam ist aber auch, daß die Weisheit am Schöp­
fungsw erk beteiligt gedacht wird, wie das besonders in den
Proverbien im Kap. 8, in Jesus Sirach 24,3ff. und in Weish 7,21 zum
A usdruck kommt. H ier wird die W eisheit als M itprinzip der
Schöpfung gedacht und in Weish 7,21 ausdrücklich als Welten­
schöpferin bezeichnet. Damit wird das die Welt transzendierende
Geheimnis der göttlichen Schöpfung auf neue Weise betont, was hier
allerdings in einer gewissen rationalen Distanz geschieht16.
So ging mit dem Einbruch hellenistischen Denkens das Interesse
an der heilsgeschichtlichen Erfassung der Schöpfung zurück.
Dagegen erwachte der Sinn für die Harmonie und die ausgewogene
Statik des Schöpfungswerkes, und der griechische Kosmosgedanke
kündigte sich an, der sonst im Alten Testament keine Stellung hat,
außer in Weish und in 2 Makk. Einen Einfluß des hellenistischen
Denkens zeigt dann besonders die Formulierung der Schöpfungs­
wahrheit im 2. Makkabäerbuch (7,28), wo die Schöpfung aus dem
Nichts anklingt, und zwar mit den Worten: erkenne angesichts
der reichen Schöpfung, daß Gott sie aus dem Nichts hervorrief“ . Die
Unterschiede zwischen dem frühen Stand des israelitischen Schöp­
fungsdenkens und dem spätesten in der W eisheitsliteratur können die
G rundrichtung des alttestam entlichen Schöpfungsglaubens aber
nicht ändern, die eine heilsgeschichtliche war und die Schöpfung als
den Anfang des Weges betrachtete, der zum Bund und zur eschatolo­
gischen Vollendung des Gottesvolkes wie der ganzen Welt führte.
Im H in b lic k a u f die ratio n ale und o b jek tiv ierend e A uffassun g der S ch ö p fu n g
in der W eis h e itslite ra tu r kann m an zw ar von ein er E in bu ße der u rs p rü n g lic h e n
h e i l s g e s c h i c h t l i c h e n S ic h t un d ih r e r D y n a m ik sp r e c h e n . A b e r die n e u e
S ic h tw eise erbrac hte an einer an d eren Stelle doch auch eine B ere ic h eru n g . Sie
ist vor allem in der A ne rk en n u n g der gö ttlich en W eisheit als eines s c h ö p f e ri­
schen M itp rin z ip s der E rsc h a ffu n g zu sehen. F ern er k ü n d ig t sich in der A rt und
Weise, wie hier die g öttliche W eisheit perso n ifiz iert wird (Spr 8; Sir 2 4 ,3 f f .;
Weish 7,21f.), eine V erinnerung des G ott-W elt-V erh ältn isses an, in so fern die
pe rs o n ifizierte W eisheit zu gleich als die in der ganzen Welt ge gen w ä rtig e, sie
d u r c h d r i n g e n d e un d o r d n e n d e K r a f t a n g e s e h e n w ird , die z u g le ic h d e r
U n te rw e is u n g des M en sc h e n ü b er das G esetz und die O rd n u n g der S c h öp fu ng
dient. So w ird in der V orstellung von der gö ttlich en W eisheit das G o ttg eh eim n is
der S c h ö p fu n g au f e ig e n tü m lic h e W eise tran sp are n t. D e s h a lb w eist diese
V orstellung auch schon voraus auf je n e W irklichk eit, die das C h risten tu m vom
G o ttg e h e im n is d er Welt erfaßte, w enn es die Welt im L og os und im G eist
g esch affen sieht.

Das Nebeneinander bzw. Nacheinander von heilsgeschichtlich-


aktualem Verständnis und objektiv-sapientialer Sicht des Schöp­
fungswerkes hat auch K onsequenzen für das Verhältnis von
Schöpfung und Erhaltung wie von Schöpfung und Vorsehung.
5) Erhaltung und Vorsehung
Das alttestamentliche Denken kennt der Sache nach auch diese
im Schöpfungsdenken angelegten Momente. Aber in seiner kon­
kret-dynamischen W irklichkeitsauffassung hat es an ihrer Trennung
kein Interesse. Das gilt zunächst vom Begriff der Welterhaltung, der
in späterer Zeit als „conservatio“ von der „creatio“ unterschieden
wurde. Das Alte Testament betrachtet die Erhaltung der Welt durch
Gott, die an vielen Stellen ausgesprochen ist (so Ps 139,13-16; Ijob
31,15 u. 33,6; Spr 20,12), als Fortwirken und Weiterführen seines
Schöpferhandelns, als die fortgesetzte Schöpfung. Die Frage nach
dem begrifflichen Unterschied zwischen der am Anfang stehenden
Schöpfung, die ja nach dem Genesisbericht als abgeschlossen
gedacht werden muß, und der erhaltenden Tätigkeit Gottes wird
dabei vom alttestamentlichen Denken noch nicht gestellt.
Das gilt auch bezüglich des Begriffes der Vorsehung, den das Alte
Testament in Abhängigkeit vom Hellenismus nur an zwei Stellen
verwendet (Weish 14,3; 17,2). Freilich ist die Wahrheit einer
Lenkung der Geschöpfe und einer sinnvollen Führung durch Jahwe
vertraut. Sie tritt an vielen Stellen hervor, so in den Aussagen, daß
Jahwe alles in der Natur lenkt (Gen 27,28 u. 1 Kön 17,1), daß er den
Menschen im M utterleib bildet (Ijob 10,8-11). Wenn dieses Wirken
Jahwes in der Welt oft mit dem Verb „bara“ (= erschaffen) bezeich­
net wird (Ex 34,10; Num 16,30; Jes 43,1.15), so ist dies ein Beweis
dafür, daß der Gedanke der Schöpfung und der Vorsehung im Alten
Testament praktisch in eins zusammenfallen. In diesen Bezügen ist
das Alte Testament die Grundlage für das Neue und für die christli­
che Theologie geblieben.

§ 5:
Die Vollendung der Schöpfungsoffenbarung im Neuen Testament
L iteratu r: G. L in d e sk o g , S tu d ien zum n e u te s ta m e n tlic h e n S c h ö p f u n g s ­
g ed an k en I, U p p sa la - W ien 1952; H. Schlier, K e ry g m a und Sophia. Z u r n e u te ­
s ta m e n tlic h e n G ru n d leg u n g des D og m as: D ie Z e it der K irche, F re ibu rg 1955,
2 06 -23 2; G. B o rn k am m , Jesus von N a z areth , Stu ttg art 1956; G. W ingren,
S c h ö p f u n g u nd G e s e tz , G ö t ti n g e n 1960; L. S c h e f f c z y k , S c h ö p f u n g und
Vorsehung: H D G II/2a, F reibu rg 1963; D ers., D ie Welt als S c h öp fu n g G ottes,
A sch affen b u rg 1968; A. H o ck el, C hristu s der E rstg eb orene . Z ur G e sc h ic h te der
E x eg ese von Kol 1,15, D ü s s e ld o rf 1965; R. S ch n a ck en b u rg , N e u te sta m e n tlic h e
T h eo lo g ie . S tand der F orsc h u n g , M ü n ch en 21965; D ers., Das Jo h a n n e s e v a n g e ­
lium I (H erders th e o lo g is c h e r K o m m e n ta r zum N e uen T estam en t, Bd. IV),
F reibu rg 1965; Fr. M ußner, S ch ö p fu n g in C hristus: M y s teriu m S alutis II (hrsg.
von J. F e in e r und M. L öhrer), E in sie d e ln 1967; K. H. S ch elkle, T h e o lo g ie des
N euen T estam ents I, D ü s s e ld o rf 1967; E. L oh se , Die B riefe an die K olo sser und
an P h il e m o n (M e y e rs k r i t i s c h - e x e g e t i s c h e r K o m m e n t a r ü b e r das N e u e
T estam en t), G ö ttin g en 1968; H. C o n z e lm a n n , D er erste B rie f an die K orin th e r
(M eyers k ritisc h -e x e g e tisc h e r K o m m e n ta r über das N eue T estam ent), G öttin ge n
1969; H. S chü rm a n n , Das L u k asev an g eliu m I (H erders th e o lo g is c h e r K o m m en tar
zum N e u en T estam ent, Bd. III), F reib urg 1969; W. B einert, C hristus und der
K osm o s. P e rs p e k tiv e n zu ein e r T h e o lo g ie der S c h ö p fu n g , F reib u rg 1974;
L. G op pelt, T h eo lo g ie des N eu en T estam en ts I, G ö ttin g en 1975; E. G rässer,
N eu te sta m e n tlic h e E rw ä g u n g e n zu ein er S ch ö p fu n g s -E th ik , in: W is se n sc h a ft und
P raxis in K irche und G ese llsc h a ft 6 (1 979) 98-117; Ch. K ing sley B arret, Das
J o h a n n e s e v a n g e liu m (M eyers k ritisc h -e x e g e tisc h e r K o m m en tar üb er das N eue
T estam en t), G ö ttin g e n 1990; J. G n ilk a, T h e o lo g ie des N eu en T estam en ts,
F reibu rg i.Br. 1994; Fr. C ourth, G ott - M ensch - Welt. Was sagt c h ristlic h e r
S c h ö p fu n g s g la u b e ? L eitfaden zur S ch ö p fu n g s le h re, St. O ttilien 1996.

Das Neue Testament erw eist sich auch bezüglich der


Schöpfungs Wahrheit als Überhöhung und Vollendung der alttesta­
mentlichen Offenbarung. Damit sind die Bindung an das Alte
Testament und die Kontinuität mit ihm gegeben, aber auch das
Aufkommen eines Neuen angenommen und eine Diskontinuität fest­
gestellt.

I. Kontinuität und D iskontinuität zwischen a lt- und


neutestamentlichem Schöpfungsglauben
l)D ie ethische Fassung des Schöpfungsgedankens bei
den Synoptikern
In den synoptischen Evangelien ist die Schöpfung kein zentrales
Thema. Darum konnte von der von ihnen berichteten Predigt Jesu
gesagt werden: „Das Wort Schöpfung kommt in Jesu Botschaft kaum
vor, erst recht nicht so etwas wie unser auf griechisches Denken
zurückgehendes Wort Natur“ 1. Aber demgegenüber ist die andersge­
artete Feststellung genauso zutreffend: „Jesus ist der Glaube an den
Schöpfergott selbstverständlich, so daß er ihn ohne Betonung aus­
spricht“2. Diese Aussprache erfolgt innerhalb der zentralen Botschaft
von der Königsherrschaft Gottes. Die Reich-Gottes-Predigt kann von
der Schöpfung nicht absehen; denn das Gottesreich ist seit Beginn
der Schöpfung zubereitet: „... nehmt das Reich in Besitz, das seit
Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist“ (Mt 25,34). An vielen
Wendungen, die auf die Grundlegung der Welt oder auf den

1 G. B o r n k a m m , Je sus von N az a re th , 108.


2 K. H. S ch elk le, T h e o l o g ie des N e u e n T estam ents 1, 27.
„Anfang“ hinweisen (Mk 10,6; Mt 13,35; 19,8; 25,34; Lk 11,50),
wird ersichtlich, daß die Gottesherrschaft mit der ursprünglichen Tat
Gottes ihren Anfang nahm. Die Schöpfung ist die Erstellung des
Raumes und der Zeit für das werdende Gottesreich, „Offenbarungs­
ort der Herrlichkeit und Güte Gottes“3.
Allerdings liegt bei den Synoptikern das Hauptinteresse nicht auf
der ursprünglichen Schöpfungstat als solcher, als vielmehr auf dem
Gedanken von der gegenwärtigen Bestimmtheit des Menschen durch
diese Tat, in der Gottes Güte als entscheidend angesehen wird. So
erfährt der synoptische Schöpfungsgedanke eine betont ethische
Ausrichtung. Gottes universale Güte und Barmherzigkeit beweisen
sich vor allem am Menschen; denn dieser Gott „läßt seine Sonne auf­
gehen über Bösen und Guten, und er läßt regnen über Gerechte und
Ungerechte“ (Mt 5,45). Im Lichte des herankommenden Reiches
Gottes leuchtet die Güte des Schöpfers und der Schöpfung4 auf. In
diesem Licht wird dem Menschen aber auch die Ordnung der Welt
und seine ethische Verpflichtung klar. Die Konsequenzen für die
Ethik lassen sich beispielhaft an dem vieldiskutierten Logion Jesu
über das Verbot der Ehescheidung (Mt 19,4-12; Mk 10,6-12) ablesen.
Das Wort besagt (unter Hinweis auf die beiden Schöpfungsberichte
Gen 1,27 und 2,24), daß Mann und Frau nach der ursprünglichen
Schöpfungsordnung nicht zu trennen seien. Hier wird das Wort „im
Anfang war es nicht so“ (Mt 19,8) geradezu zum Prinzip erhoben und
festgestellt, daß die ursprüngliche Schöpfungsordnung Gottes auch
die Gegenwart bestimmt. Damit zeigt der Schöpfungsglaube beim
synoptischen Christus seine für das konkrete Leben fundamentale
Bedeutung.
Wenn behauptet wird, die hier von Jesus vertretene
Unauflöslichkeit der Ehe sei nur ein anzustrebendes Zielgebot, so
widerspricht diese Deutung der festen Verankerung dieser Ordnung
in der ursprünglichen göttlichen Schöpfung. Es handelt sich vielmehr
um ein mit der ursprünglichen Schöpfung verbundenes Gebot, dem
Normcharakter eignet. An ihm wird ein aus der Schöpfung abgelei­
tetes biblisches Ethos greifbar, das dem modernen philosophischen

3 E b d a ., 20.
4 L. G o p p elt, T h e o l o g ie des N e u e n T e sta m e n ts I, 125.
Autonomiegedanken entgegensteht. Ihm gegenüber muß gesagt wer­
den: „Biblisches Ethos wie christliche Ethik sind theonom“5. Die
dem Menschen verbleibende Freiheit ist Ausdruck einer relativen
Autonomie, die zusammen mit der Bindung an den Schöpfer besteht.
Dieses Ethos ist kein Produkt oder Konstrukt des Menschen, auch
wenn es vom Menschen und seinem Denken als ihm gemäß ange­
nommen wird oder verworfen werden kann. Christliche Ethik ist
nicht nur vom Ursprung her theonom, sondern auch vom Ziel her:
Das Ziel des Ethos ist, die Ehre Gottes zu fördern: „Auf daß die
Menschen eure guten Werke sehen und den Vater im Himmel prei­
sen“ (Mt 5,16).
An der unversehrten Schöpfung des Ursprungs und vom kom­
menden Gottesreich her werden aber auch die Mängel und Nöte der
Schöpfung sichtbar, die Jesus in seiner Predigt nicht verschweigt, so
wenn er sagt, daß „jeder Tag genug hat an seiner Bosheit“ (Mt 6,34).
In den eschatologischen Ausblicken seiner Verkündigung weist er auf
die ansteigenden Nöte der Endzeit hin (Mk 13,1-13), die jetzt schon
anheben. Bedeutsam aber ist nicht nur der damit verbundene Blick
auf die Vollendung der Schöpfung (Mt 25,31-40), sondern auch die
Tatsache, daß Jesus den N öten der Schöpfung durch seine
Dämonenaustreibungen und Heilwunder entgegenwirkt, so die voll­
kommene Erlösung der Schöpfung andeutend (Mt 8-9). Dieser
ethisch-heilshafte Zug der synoptischen Schöpfungsauffassung wird
bei Lukas durch ein heilsgeschichtliches Moment verstärkt, das die
Linie des Alten Testamentes weiterführt.
2) Die geschichtstheologische Ausrichtung bei Lukas
Das heilsgeschichtliche Moment klingt bei Lukas schon im
Stammbaum Jesu an, in dem er das Weltwirken Gottes mit der uni­
versalen Menschheitsgeschichte in Verbindung bringt6. Von Jesus
ausgehend, führt Lukas die Ahnenreihe (in ungewöhnlicher Weise)
bis auf Adam zurück und läßt diesen als „Sohn“ von Gott abstammen
(Lk 3,23-38). Damit ist der Gedanke nahegebracht, daß die ganze
M enschheit auf Gott zurückgeht, aber in Jesus ihren Gipfel erreicht.

5 K. H. S ch elk le, T h e o l o g ie des N e u e n T estam en ts III, 33.


6 H. S c h ü r m a n n , Das L u k a s e v a n g e li u m I, 200-20 4 .
Diesen Gedanken führt Lukas in der Apostelgeschichte innerhalb
der Areopagrede ähnlich aus, wenn er den Apostel (unter Anknüp­
fung an ein griechisches Wort) sagen läßt: „Wir sind von Gottes
Geschlecht“ (Apg 17,28b = „ipsius enim et genus sumus“). Demnach
kommt die ganze adamitische M enschheit aus Gott, sie besitzt eine
einheitlich vom Schöpfer gelenkte Geschichte, die in Christus gip­
felt.
Das besagen auch die Worte der Rede Pauli in Lystra
(Apg 14,16-17): „Er (der Schöpfer) ließ in den vergangenen Zeiten
alle Völker ihre eigenen Wege gehen. Und doch hat er sich nicht
unbezeugt gelassen als Wohltäter, da er vom Himmel her Regen
spendete und fruchtbare Zeiten und unsere Herzen mit Speise und
Wonne erfüllte“. Der Schöpfer am Anfang ist aber auch der Erhalter
der M enschheit und der Führer ihrer Geschichte.
D ie se E rk e n n tn is e rf ä h rt n o c h m a ls eine Z u s p it z u n g a u f den je t z ig e n
M en s ch en und au f die G eg e n w a rt hin (A pg 17,28a): „In ihm leben wir, b ew egen
wir uns und sind w ir“ . D er S ch ö p fer ist also z u g leic h au ch der L e b e n strä g e r und
L e b e n sg e b e r der je tz ig e n M en s c h h eit, in dem sie ihren Halt, ihre E xisten z und
ihre Z u k u n ft hat. D ie se Z u k u n ft ist g e n a u e r b e stim m t d urch das E reig nis der
A u fersteh u n g Jesu C hristi. D er Text der A re o p a g re d e gipfelt n äm lich in dem
Satz (17,3 1): „Er (der S ch öp fer) hat ein en Tag fe stg e se tzt, an dem er die Welt
rich ten will in G erec h tig k e it durch ein en M an n, den er dazu beste llt hat und
durch seine A u ferste h u n g von den Toten bei allen b eg la u b ig t h a t“ . C hristus in
seiner A u fe rste h u n g ist hier in das Z en tru m d er S c h ö p fu n g gestellt, w o rau fh in er
dann als der V ollender und das Ziel d er W elt und ihrer G esch ich te v erstand en
werden kann. So bietet L ukas, an g efa n g en m it Lk 3,38 bis hin zur A re op ag red e,
eine th e o lo g is c h e S ch au der S c h ö p fu n g s g e sc h ic h te , die aus G ott en ts p rin g t, von
G ott g efüh rt w ird und in der A u fe rste h u n g ihr Z en tru m hat, um sch ließ lich im
G ericht v ollen det zu w erden. D en n o ch ist in d er T radition der S y n o p tik e r das
ty p isch N eu te sta m e n tlic h e des c h ristlic h e n S c h ö p fu n g s g la u b e n s noch nicht v o ll­
k om m en ausg edrück t.

II. Die „Schöpfung in C h ris tu s “ als Spezifikum der


neutestamentlichen Schöpfungs-Verkündigung
Mit neuem Geist werden diese Anschauungen erst dort erfüllt, wo
die Beziehung zu Christus gleichsam als christliches Glaubens­
bekenntnis in prägnanten Formeln aufgenommen wird. Das aber
wurde erst nach Jesu Tod und Auferstehung möglich, als das
Verständnis für die allumfassende Bedeutung des Christusereignisses
sich herausbildete.
1)Die Schöpfung „im Wort“ bei Johannes oder die
Logosschöpfung
Der Logosbegriff des Johannes ist vor allem als W eiterentwick­
lung der alttestam entlichen Vorstellungen vom personifizierten
Gotteswort (Ps 34,4ff.; 108,20) und der hypostasierten Sophia
(Spr 8,22-31; Weish 7,22ff.; 8,3; 9,9ff.) zu verstehen7. Es handelt
sich freilich um eine Weiterbildung, die zu einem Teil einer origina­
len Neuschöpfung gleichkommt und das Ergebnis einer tieferen theo­
logischen Auswertung des Christusereignisses darstellt; denn der
johanneische Logos ist nicht nur das schöpferische Wort Gottes im
Sinne des Alten Testamentes, sondern der präexistente Sohn Gottes,
der eine einzigartige Nähe zu Gott besitzt, aber mit ihm nicht
schlechthin identifizierbar ist. Als solcher fungiert er als das perso­
nale Prinzip der Schöpfung, das die Welt auch in ihrer weiteren
Geschichte durch wirkt (Joh 1,3)8. Als „Leben“ und „Licht“ der
M enschen ist der Logos auch Quelle aller übernatürlichen
Heilsgüter. Im gleichen Sinne ist der Begriff in 1 Joh 1,1 (ähnlich in
Offb 19,13) verwandt.
Die johanneischen Aussagen über die Logosschöpfung sind
bereits im Blick auf den logos incarnandus gemacht. So bahnt sich
eine Konvergenz des Schöpfungs- und Erlösungsratschlusses im
menschgewordenen Sohne an, die im paulinischen Kerygma noch­
mals eine eigentümliche Ausprägung findet9.
2) Der kosmische Christus bei Paulus
Man darf von vornherein vermuten, daß die Aussagen des Neuen
Testamentes über die kosmische Funktion Christi von erheblicher
theologischer Bedeutung sind, und zwar nicht nur für die Schöp­
fungstheologie. Sie reichen selbstverständlich auch in trinitarische
und christologische Bezüge hinein. Hervorstechend erscheint ihre
Bedeutung für die Christologie selbst. Wenn man diese Aussagen
ernst nimmt, kann man nämlich keine Christologie allein „von unten
her“, also nur vom Menschen Jesus her, entwerfen, die etwa dann in
dem als höchstes angesehenen Prädikat gipfelt: „Er ist der Mensch

7 R. S c h n a c k e n b u r g , Das J o h a n n e s e v a n g e l iu m I, 2 1 4 f f .
8 K. H. S ch elk le, T h e o lo g ie des N e u e n T estam en ts I, 51.
9 E b d a., 52.
für andere“; denn ein Mensch vermag nicht in der Präexistenz des
Schöpfungsmittlers beim Vater aufzutreten.
Die Bedeutung dieser Aussagen über den kosmischen Christus
für die Schöpfung hat die Exegese verhältnismäßig wenig herausge­
arbeitet. Auch für Paulus gilt der Satz: „Jesus ist ... der M ittler der
Schöpfung“. Dabei liegt auch schon der soteriologische Gedanke
nahe, daß die in Christus erfolgte Offenbarung neue Schöpfung ist10.
„Christus übt in Schöpfung und Erlösung seine mittierische Funktion
aus“ ". Paulus kennt auch die johanneische Glaubensauffassung von
der Schöpfung durch den Logos, so wenigstens in der ihm naheste­
henden Tradition des Hebräerbriefes (so Hebr 1,2f.). Aber in der
Mehrzahl der Fälle spricht er von der Schöpfung in Christus. Dieser
Christus aber ist der auferstandene und der erhöhte Herr, der Kyrios,
dem die Herrschaft über die Welt- und Schöpfungsmächte zukommt.
Diese Herrschaft hat er sozusagen nach Tod und Auferstehung und
Erhöhung aufs neue und herrlicher zurückerhalten, weil sie ihm
ursprünglich, in der Präexistenz, schon gebührte. Es ist eine kosmi­
sche Christologie und eine christologische Kosmologie.
Was sie aussagen und bedeuten will, kommt u.a. an der Stelle
1 Kor 8,6 zum Vorschein, die in ihrer prägnanten Art schon einer
dogmatischen Bekenntnisformel nahekommt, die später für die
Gestaltung des Credo maßgeblich w urde'2. Es heißt hier: „Wir haben
nur einen Gott, den Vater, von dem alles geschaffen ist und für den
wir sind, und einen Herrn Jesus Christus, durch welchen alles ist und
durch den wir sind“ („Nobis tarnen unus est Deus, Pater, ex quo
omnia, et nos in illum; et unus Dominus Jesus Christus, per quem
omnia, et nos per ipsum“). Das Charakteristische dieser formelhaften
Aussage liegt in dem Umstand, daß hier sowohl der Vater als auch
der Sohn in einer Schöpferfunktion auftreten. Damit ist zunächst die
Unterscheidungslinie zum starren M onotheismus des Judentums
auch in der Schöpfungslehre gezogen. Die gesamte Schöpfungs­
wirklichkeit, die in dem Ausdruck „alles“ gemeint ist, wird hier auf
den Vater und den Sohn gemeinsam zurückgeführt.

10 H. C o n z e l m a n n , D e r erste B r i e f an die K orin ther, 172.


1 1 R. S c h n a c k e n b u r g , N e u t e s t a m e n t l i c h e T h e o l o g ie , 87; J. G n ilk a, T h e o l o g ie des N eu en
T e sta m e n ts , 29.
B eide sind also an der S c h ö p fu n g beteiligt. A llerd in g s lassen die v e rs c h ie ­
d en en P rä p o s itio n e n („ v o n “ und „ z u “ b eim Vater - „ d u rc h “ zw eim a l b eim S ohn)
doch in e tw a scho n erk enn en, daß das V erhältnis des Vaters zur S ch ö p fu n g und
zur G em e in d e (die hie r eben falls in den B lick g en o m m e n ist) n ic h t sch le ch th in
iden tisch ist m it der B e zieh u n g C h risti zu die sen beide n W irk lich keiten. G ott
(der Vater) e rs ch ein t hier als der S c h ö p fe r schlech thin, als der U rg ru nd , aus dem
alles ko m m t, aber auch als das letzte Z iel, au f das deshalb auch alle S c h ö p fu n g
au sg e ric h te t ist. C h ristus, der K y rio s, ist da geg en d er ein zig e M ittler der
S c hö pfun g, w ie er auch d er ein zig e M ittle r des H eils ist, durch das die G e m e in d e
(„w ir“ ) besteht.
Die B e to n u n g des e in zig en M ittlers ist gegen die vielen M ittelw e sen des
antiken D en k en s gerichtet. S ch on darau s kann m an etw as von dem tie feren
A n lieg en der M ittle rs c h a ft Christi erk enn en: Sie soll die K o n k u rren z aller ille g i­
tim en Z w is c h e n w e s e n au ssch alten .
Einen noch differenzierteren Ausdruck aber haben diese
Gedanken von der kosmischen Rolle Christi, von der Präexistenz
Christi und seiner M ittlerschaft bei der Schöpfung, in dem Christus­
hymnus des Kolosserbriefes gefunden (Kol 1,15-18a), der dem pau­
linischen Schriftenkreis zugehört13. Dieser Hymnus geht auf eine
ältere Tradition zurück, die Paulus übernommen hat.
Wenn diese Perikope wegen ihres gedrängten Stils und ihrer
Inhaltsfülle die Exegese auch vor manches Problem stellt, so ist sie
bezüglich ihrer Bezeugung der Schöpferrolle Christi ganz eindeutig.
Es heißt dort: Kol 1,15-18: „Er ist das Ebenbild des unsichtbaren
Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung“ (= „Qui est imago
Dei invisibilis, primogenitus omnis creaturae ...“). „Denn in ihm ist
alles geschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und
Unsichtbare, die Throne, Herrschaften, Fürstentümer und Gewalten
- alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen. Und er ist vor aller
Schöpfung und alles hat in ihm Bestand“ (= „Quoniam in ipso con-
dita sunt universa ... omnia per ipsum et in ipso creata sunt: et ipse
est ante omnes, et omnia in ipso constant ...“).
Der „geliebte Sohn“ (V. 13) ist der „Erstgeborene der ganzen
Schöpfung“ . Damit will Paulus dem Sohn keineswegs nur eine zeit­
liche Priorität einräumen und ihn als erstes Geschöpf Gottes ausge­
ben. Die nachfolgende Erklärung macht vielmehr deutlich, daß hier
eine absolute Vorrangstellung Christi gegenüber aller Schöpfung
ausgemittelt werden soll, die ihn auf die Seite des Schöpfers selbst

13 Z u m K o l o s s e r b r i e f vgl. E. L o h se, Die B r iefe an die K o lo ss er u n d an P h i l e m o n , 27-3 1.


stellt. Das beinhalten die lapidaren Sätze: „Denn in ihm wurde alles
geschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und Unsichtbare
... Alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen. Und er ist vor aller
Schöpfung, und alles hat in ihm Bestand“ (Kol 1,16.17). Damit ist
Christus als universaler Schöpfungsmittler anerkannt, aber auch als
derjenige, in dem die Dinge ihren Bestand haben, der die Dinge auch
jetzt trägt und erhält und auf den hin sie geschaffen sind. Was
Apg 17,28 und ähnlich 1 Kor 8,6 noch von Gott allein sagt, gilt hier
auch von Christus. Christus ist ja auch das Telos der Schöpfung; die
Schöpfung ist an Christus auch als ihrem Vollendungsziel festge­
macht.
Auch der Gedanke von der Einheit zwischen Schöpfung und
Erlösung ist hier verankert. Er gewinnt seine höchste Steigerung in
der Aussage: „In Christus sind wir auserwählt vor Grundlegung der
Welt“ (Eph 1,4; vgl. 3,10; 2 Tim 1,9). Nach den paulinischen
Aussagen ist die Schöpfung im Ursprung, in ihrem Fortbestand und
in ihrem Ziel von Christus bestimmt. Ihr eignet eine Christozentrik
und eine Christusfinalität. So bietet die paulinische Theologie den
höchsten Ausdruck der neutestamentlichen Schöpfungsauffassung
dar, der einer weiteren Vertiefung durch die systematische Theologie
zugänglich ist.

§6 :
Die Entfaltung der O ffenbarungswahrheit zum Dogma der Kirche
L it e r a tu r : K. J. v. H e fe le - H. L e c le r c q , H is t o ir e des c o n c il e s d ’a p re s les
d o c u m en ts o rig inau x, t. I - IX, Paris 1907ff.; Y. C o u rto n n e , Saint B asile et l ’helle-
nism e. E tüd e sur la ren co n tre de la p en se e c h re tie n n e avec la sagesse an tiqu e dans
l ’H ex aem ero n de B asile le G ran d, Paris 1934; J. A. Möhler, G e sa m m e lte S chriften
un d A u f s ä t z e II (h rsg . von J. D ö lli n g e r ) R e g e n s b u r g 1940; J. de G h e lli n k , Le
m o u v e m e n t th e o l o g iq u e du X l l e sie c le , B r ü g g e 21948; E. B ru n n e r, D ie c h r i s t ­
lich e L e h re von d e r S c h ö p f u n g . D o g m a t i k II, Z ü r ic h 1 950; H. Jo n a s , G n o sis
und s p ä t a n t i k e r G e ist, G ö tti n g e n I 21954; 11,1, 1954; M. G r a b m a n n , D ie G e ­
s c h i c h te d er s c h o l a s t i s c h e n M e t h o d e , 2 B d .e , B e r li n 1956 (N a c h d r u c k ) ;
H. S c h lie r, K e r y g m a u n d S o p h ia . Z u r n e u t e s t a m e n t l i c h e n G r u n d l e g u n g des
D o gm as: Die Z eit d er K irche, Freibu rg 1956; G. W in gren , S c hö pfun g und G esetz,
G ö ttin g e n 1960; L. S ch effc zy k , Die h e il s ö k o n o m is c h e T rin itä tsle h re des R u p ert
v. D e u tz und ihre d o g m a t is c h e B e d e u tu n g : F e s t s c h r i f t J. R. G e is e l m a n n (hrsg.
von J. B e tz und H. F r i e s ) , F re i b u rg 1960; D e rs ., S c h ö p f u n g u n d V o rse hu ng :
H D G II/2a, F reiburg 1963; D ers., Die Welt als S c h ö p fu n g G ottes, A sc haffe nb urg
1968; D ers., Sc h ö p fu n g , in: L M A VII, M ü n c h e n 1995, 1540-1542; E. G öß m an n,
M e t a p h y s i k u n d H e i l s g e s c h ic h te . E in e t h e o l o g is c h e U n t e r s u c h u n g d er S u m m e
H a le n s i s ( A le x a n d e r von H a ie s ) , M ü n c h e n 1964; Fr. H. K e ttle r, D er u r s p r ü n g ­
lic h e S in n d er D o g m a ti k des O r ig e n e s , B e r li n 1966; L. U llr ic h , F ra g e n d er
S c h ö p f u n g s l e h r e n a c h Ja k o b v on M e t z O.P. E in e v e rg l e ic h e n d e U n t e r s u c h u n g
zu S e n te n z e n k o m m e n t a r e n aus der D o m in i k a n e r sch u le um 1300 (E rf u rte r t h e o ­
log isch e Stu dien , hrsg. von E. K le in e id a m und H. S ch ü rm an n , 20), L e ipzig 1966;
J. H. N e w m a n , Ü b e r d ie E n t w i c k l u n g d er G l a u b e n s l e h r e ( ü b e r s e tz t von
Th. H a e c k e r, h rsg . von J. A rtz: A u s g e w ä h l te W W V III), M a in z 1969; P. Z e m p ,
D ie G r u n d la g e n h e i l s g e s c h i c h t l i c h e n D e n k e n s bei G re g o r v. N y s s a ( M T h S t II,
38. B d .), M ü n c h e n 1970; H. G ö r g e m a n n s un d H. K a rp p ( H rsg .) , O rig e n e s V ier
B ü c h e r vo n d en P r i n z i p i e n (T ex te zu r F o r s c h u n g , Bd. 2 4), D a r m s ta d t 1976;
K. F las ch , A u g u stin u s. E in fü h r u n g in sein D en k e n , S tu ttg a rt 1980; C. A n d re s e n
(H rs g .) , H a n d b u c h d er D o g m e n - u n d T h e o l o g i e g e s c h i c h t e I, G ö tti n g e n 1982;
J. R a tz i n g e r , T h e o l. P r i n z i p i e n l e h r e . B a u s te i n e zur F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e ,
M ü n c h e n 1982; H. U. v. B a lt h a s a r , D ie a p o s t o li s c h e n V ä te r, E i n s i e d e l n 1984;
J. B. M. W is s in k ( H rsg .) , T h e E te r n i ty o f the W o rld in the T h o u g h t o f T h o m a s
A qu . an d his C o n t e m p o r a r i e s , L e id e n 1990; Th. S c h n e id e r (H rs g .) , H a n d b u c h
d er D o g m a ti k I, D ü s s e l d o r f 1991; P. A u b in , P lo tin et le C h r is ti a n is m e . T ria d e
p l o t i n i e n n e et tr in ite c h r e t ie n n e , P aris 1992; H. R. D ro b n e r, L e h r b u c h d e r
P a tr o lo g i e , F re i b u r g 1994; K. R u h , M e i s te r E c k h a rt. T h e o lo g e . P re d ig e r.
M ystiker, M ü n c h e n 21989; W. B ra n d m ü lle r, G alilei und die K irche . Ein Fall un d
seine L ö su n g , A a c h e n 21992; W. B eierw altes, S cotus E riu gen a. G ru n d z ü g e seines
D en ke ns, F ra n k f u rt a. M. 1994.
Die in der biblischen Offenbarungs- und Heilsgeschichte grund­
gelegten Schöpfungsdaten erfahren ihre Weiterentwicklung in der
Geschichte der Kirche. In ihr erfährt die Heilsgeschichte ihre
Fortsetzung, wenn auch nicht mehr unter Bekräftigung und
A usw eisung durch das göttliche O ffenbarungs wort. Aber das
Offenbarungs wort geht weiter in der Form der lebendigen Überliefe­
rung, d.h. in der Form des Bleibens und zugleich der Entfaltung im
Glaubensverständnis wie im Glaubensdenken (das zur Lehre und
Theologie führt). Diese Entfaltung geschieht vornehmlich auf dem
Feld der Dogmengeschichte, welche „die Reihe der Entfaltungen des
von Christo der M enschheit mitgeteilten Licht- und Lebensprinzips“ 1
zum Inhalt hat. Sie ist in den umfassenden Zusammenhang der
Theologiegeschichte eingefügt, welche alle theologischen Ideen,
Disziplinen, Probleme und Methoden umfaßt. Zwischen beiden gibt
es mannigfache Wechselwirkungen, wobei der Dogmengeschichte
aber die zusammenhängende Darstellung der Entwicklung des inner­
sten Glaubensbewußtseins und seiner Gestaltwerdung in Bekennt­

1 D ies e D e f in itio n g ib t J. A. M ö h l e r vo n der K i r c h e n g e s c h i c h t e i n sg e sa m t. Sie gilt ab er


im p r ä z i s e n S inn vo n der D o g m e n g e s c h i c h t e : J. A. M ö hle r, G e s a m m e l t e S c h i i ft e n u nd
A u f s ä t z e II, 272.
nissen, in lehramtlichen Aussagen und Dogmen obliegt. Diese Ent­
wicklung geschah unter wechselnden geistigen Horizonten und kul­
turellen Einflüssen in Kontinuität, aber auch in Diskontinuität mit
den Ursprüngen.

I. Das biblische Erbe in der frühen Tradition


l)D ie apostolischen Väter und die frühchristlichen
Kirchenschriftsteller
Es ist nicht anzunehmen, daß die nachapostolische Literatur, die
sogenannten „Apostolischen Väter“2, den Reichtum und die Tiefe der
biblischen Zeugnisse über die Schöpfung in vollem Umfang aufneh­
men und verarbeiten. In ihrer praktisch-ethischen Ausrichtung führen
sie die grundsätzlichen Gedanken der biblischen Wahrheit mehr im
Zitat an. Im ersten Klemensbrief, dem ältesten Werk christlicher
Literatur nach den biblischen Schriften (um 96/97 n. Chr. entstan­
den), wird der Schöpfer als Bildner, als Vater der Zeiten und als
Erbauer der Welt bezeichnet, wobei der Einfluß stoischer
Kosmologie nicht zu verkennen ist3. Die kosmologische Sicht der
Schöpfung, aber in deutlichem Gegensatz zur griechischen Philo­
sophie, tritt auch im „Pastor Hermae“ (einer apokryphen Apokalypse
aus den Jahren 130-140) hervor, die erstmals das Bekenntnis aus­
drückt, daß der eine Gott „alles erschaffen und vollendet und aus
Nichts gemacht hat“4.
D ag eg en kling en bei Ig natiu s v. A n tio c h ie n h eilsg e sc h ic h tlic h -c h ris to lo g i-
sche V orstellungen an, so w enn er C h ristu s „den neu en M e n s c h e n “ n enn t und
v° n einem H e ils p lan spricht, der m it C hristus verb u n d en ist, „ w elch er vor den
W eltzeiten beim Vater“ w ar5. D en ch risto lo g is c h e n B ezu g v erstärk t der zw eite
K lem en s b rie f, die älteste ch ristlich e P re d ig t (um die M itte des 2. Jah rh u n d erts
e n tstan den ), w enn er von C h ristus sagt: „E r r ie f uns, als wir nicht w aren, und er
wollte, daß w ir aus dem N ichts ins D asein tr a te n “6. A uch der B a rn a b a s b r ie f (um
130) bringt die M e n s c h e n s c h ö p fu n g (in trin ita risc h e r D eu tu n g von Gen 1,26) in
V erbindung mit dem Sohn, „d er eine zw e ite S c h ö p fu n g in der E n d zeit g e m a c h t“7
hat.

2 D iese S a m m e l b e z e i c h n u n g e r fr e u t sich h eu te k e in e r a l l g e m e i n e n A n e r k e n n u n g meh r;


vgl. H. R. D ro bn er, L eh rb u c h der P a tr o lo g ie , 38.
3 1 K lem 19,2; 20,11.
4 M and. 1,1.
5 Ad M a g nes. 6,1.
6 2 K lem 1,8.
7 B arn ab. 6,13.
Daß der S ch ö p fu n g s g e d a n k e au ch in der L iturgie seine S tellu ng hatte,
bew eist das E u c h a ristie g e b e t in der D id ach e, wo die eu ch a ristisc h e n G aben auf
den S c h ö p fe rg o tt z u rü c k g efü h rt w erd en , aber auch die V erbindung zw isch en der
ersten S ch ö p fu n g , dem E rsc h e in e n Jesu C hristi u nd der V ollendung an g ed eu tet
w i r d 8. A b e r d ie s e g le i c h s a m n u r im Z ita t e r f o lg e n d e n E r w ä h n u n g e n des
S ch ö p fu n g s g e d a n k e n s dien en v o rn e h m lic h der V ergew isserung des c h ristlic h e n
G lau b en s und der B eg rü n d u n g der c h ristlich en L eb en sfü h ru n g .
Demgegenüber tritt bei den griechischen Apologeten des zweiten
Jahrhunderts als neuartige Intention die Auseinandersetzung mit der
griechischen Philosophie hervor, die unter Verwendung ähnlicher
philosophischer Mittel erfolgt, so daß deren Schöpfungsaussagen
einen philosophisch-kosmologischen Ausdruck annehmen. So nimmt
Marcianus Aristides v. Athen in seiner Apologie (verfaßt zwischen
117 und 138) schon im ersten Kapitel naturwissenschaftliche und
philosophische Gedanken der Stoa auf, um von der wunderbaren
Bewegung des Alls auf den ersten Beweger und auf den Schöpfer des
Alls zu schließen, „der alles um des Menschen willen gemacht hat“
mit dem Ziel, „daß man Gott verehre und den (Mit-)Menschen nicht
kränke“9. Im Sinne des mittleren Platonismus, welcher von der
Spekulation der M ittlergestalten beeindruckt ist, versteht Justin
(+ 165 n. Chr.) den Logos als Schöpfungsm ittler, der als
Vernunftkraft des Vaters erst zum Zwecke der Schöpfung aus diesem
hervorgeht und so zwischen dem absoluten Gott und der Schöpfung
zu stehen komm t10, eine subordinatianistische Tendenz, die sich ähn­
lich auch bei Tatian, dem Syrer, dem Schüler Justins (geb. um 120),
findet". Philosophisch argumentiert auch Theophilus v. Antiochien
(nach 180) gegen die unerschaffene Materie der Platoniker, die das
Schöpfertum Gottes leugnen m üssen12.
Eine neue Phase der frühchristlichen Schöpfungstheologie setzte
in der Auseinandersetzung mit den Gnostikern ein, die „den Versuch
machten, die geschaffene Welt von Gott loszureißen, um dem
Demiurgen Gewalt im leiblichen und äußerlichen Dasein zuzuerken­

8 D i d a c h e 10,3.
9 A p o l o g i e 1,1-3.
10 D ia lo g m it T ry p h o n 56,4 ; A p o l o g i e 1,13.
11 Orat. ad G r a e c o s IV,3 - V,7.
12 Ad A u t o l y c u m 11,4.
nen“ 13. Die Führungsrolle kirehlicherseits in dieser Auseinanderset­
zung übernahm Irenäus v. Lyon (+ um 202), der unter Absetzung von
der Philosophie eine entschiedene Hinwendung zur biblisch-heilsge-
schichtlichen Schöpfungsauffassung vollzog. Der Bischof v. Lyon
faßt das Schöpfungsgeschehen nicht nur trinitarisch („der eine Gott,
der durch sein Wort und die Weisheit alles gemacht und geordnet
hat“ 14), sondern unterwirft es einem einheitlichen Plan, in dem die
Erlösung durch den präexistenten menschgewordenen Sohn vor aller
Zeitlichkeit und Geschichte der Welt beschlossen und das eigentliche
Ziel der Schöpfung w ar15. So wird die Schöpfung als Geschichte ge­
dacht, die ihr Ziel in der Erscheinung des Erlösers hat, welcher zu­
gleich auch der Schöpfer ist. Der heilsgeschichtliche Entwicklungs­
gedanke verbindet die Schöpfung zugleich mit der Kirche, den
Sakramenten und den Letzten Dingen in der Kraft Jesu Christi, „der
durch die ganze Heilsordnung hindurchging und alles in sich selbst
zusammenfaßte“ 16.
Während Irenäus (ähnlich wie Hippolyt [+ nach 235]) und
Tertullian (+ um 220) gegen die gnostischen Spekulationen heilsge­
schichtlich (wenn auch mit unterschiedlicher Intensität) argumentie­
ren, versuchen die Vertreter der alexandrinischen Schule, welche auf
die Entstehung der ersten christlichen Theologie maßgeblichen
Einfluß nahm, der Gnosis unter Einbeziehung der philonisch-plato-
nischen und stoischen Philosophie zu begegnen und eine „christliche
Gnosis“ zu begründen. Bei Klemens v. Alexandrien (+ vor 215)
kommt es daraufhin aufgrund der allegorischen Schriftinterpretation
zu einer Spiritualisierung der Schöpfungs- und Paradiesesgeschichte
zugunsten der phiionischen Lehre von der Simultanschöpfung17 und
ebenso zur Übernahme der Unterscheidung zwischen einer intelli-
giblen Schöpfung (der Ideenwelt) und der materiell-sinnenfälligen
Schöpfung18. Dies führt bei Origenes (+ um 254) zu der wider­
sprüchlichen Annahme, daß die materielle Welt erst nach einem vor­

13 So G. W ing ren, S c h ö p f u n g und G es etz, 12.


14 Adv. haer. IV, 20,4.
15 E b d a., IV, 14,1.
16 E b d a., III, 16,6.
17 S tro m . V, 16.
18 E b d a ., V, 14.
zeitlichen Fall entstanden sei, was dem Ganzen einen idealistisch-
spiritualistischen Zug verleiht19. Diesem idealistischen Ansatz ent­
sprach auch die Ansicht von der Rückführung aller vernünftigen
Geschöpfe zur ursprünglichen Einheit und zur Wiederbringung aller
Dinge (Apokatastasis20). An dieser Stelle wie in der Lehre von der
Präexistenz der Seelen zeigen sich die Grenzen des Systemversuches
des Alexandriners, der das Weltbild seiner Zeit von der Hl. Schrift
her zu durchdringen suchte, um so die Überlegenheit des christlichen
Schöpfungsglaubens zu demonstrieren. Aber der überstarke philoso­
phische Einschlag führte nicht zu einer angemessenen Synthese21,
sondern zu einem Übergewicht der platonischen Ontologie, so daß
auch das heilsgeschichtliche Konzept entwertet wurde. Gleichwohl
lieferte Origenes ein beachtenswertes Beispiel für die Nähe der
Offenbarungslehre von der Schöpfung zum natürlichen Denken, das
freilich den Offenbarungsgedanken nicht präjudizieren darf.
2) Die Versuche zur Assimilierung des Hellenismus
in der Vätertheologie
Die Auseinandersetzung mit der hellenistischen Kosmologie, die
ein entscheidendes Antriebsmoment des frühchristlichen Schöp­
fungsdenkens war, nahm in der Väterzeit einen anderen Charakter an.
Die Eigenbedeutung der christlichen SchöpfungsWahrheit wurde
(nicht zuletzt in den vielen Genesiskommentaren) umfänglicher und
gründlicher ausgearbeitet, was auch zur deutlichen Absetzung vom
H ellenism us führte. Dem kam der Umstand zugute, daß die
Schöpfungs Wahrheit im Zusammenhang mit den trinitarischen und
christologischen Auseinandersetzungen erörtert und strenger an der
Glaubensregel ausgerichtet wurde, so daß der Unterschied zwischen
Gott und Welt, zwischen Zeugung und Erschaffung, zwischen
Ewigkeit und Zeit deutlicher hervortreten mußte. Zugleich trat in der
Auseinandersetzung das Bestreben zutage, die Wahrheitselemente
der hellenistischen Philosophie christlich umzugestalten. Starke

19 De pr inc. I, 8,1; II, 5,3.


20 De pr inc. III, 5,4-8; vgl. Fr. H. Kettler, D er u rs p r ü n g l i c h e Sin n der D o g m a t i k des
O r ig e n e s, 21 f.
21 Vgl. H. G ö r g e m a n n s und H. K a r p p (hrs g.), O rig en es. Vier B ü c h e r vo n den P rin z ip ie n ,
17-21.
Verbindungen zu Origenes und zur platonisch-philonischen Schöp­
fungslehre zeigen sich bei Gregor v. Nyssa (+ 394), was sich u.a. an
der Verwendung des Teilhabegedankens zur Vertiefung des göttlichen
Schöpfertums zeigt22. In seinen Kommentar „In Hexaemeron“ findet
nicht nur die platonische Philosophie Eingang, sondern auch die
antike Kosmologie und Naturerkenntnis23. Das Ganze ist zwar in ein
heilsgeschichtliches Konzept gefaßt, aber die Heilsgeschichte ist
zyklisch verstanden und so gleichsam in ein Entwicklungssystem
(mit der Apokatastasis) gebracht, worin sich wiederum das Überge­
wicht der Philosophie andeutet24.
Noch reichlicher verwertet Basilius d. Gr. (+ 379) in seinen
Homilien zum Hexaemeron die antike Kosmologie (unter Ablehung
des Gedankens von der Ewigkeit der Materie und unter Einschluß
des Gedankens von der creatio ex nihilo), die er mit erhebenden
Schilderungen der Schöpfermacht Gottes und der Naturschönheit
christlich überhöht25. Er setzte damit im Altertum den Beginn einer
physiko-teleologischen Literatur, auf die sich auch Ambrosius,
Augustinus und das M ittelalter beriefen. Damit ergab sich zwar eine
gewisse Distanzierung von der heilsgeschichtlichen Konzeption der
Schöpfung und eine Annäherung an eine rational-kosmologische
Kreationslehre, ohne daß jedoch die Grundpositionen der Offenba­
rungswahrheit eine Schmälerung erfuhren. Sie blieb trotz Heranzie­
hung der zeitgenössischen Kosmologie und Philosophie in ihrer
Eigenwertigkeit unangetastet, wozu im einzelnen gehörten: die
Wahrheit vom frei erschaffenden personalen Gott und der trinitari-
schen Vermittlung seines Werkes (unter Ablehnung des Gedankens
von der Ewigkeit der Materie und unter Einschluß des Gedankens
von der creatio ex nihilo), das Bekenntnis zur lebendigen Führung
dieses Werkes durch die göttliche Vorsehung bis hin zur Vollendung,
die Abkehr von jedem Dualismus wie vom stoisch-pantheistischen
Immanentismus.

22 O r a tio catech. V,2.


23 Vgl. L. S ch e f fc z y k , S c h ö p f u n g un d V orseh un g, 56f.
24 Vgl. P. Z e m p , D ie G r u n d l a g e n h e i l s g e s c h i c h t l i c h e n D e n k e n s bei G r e g o r v. Nyssa ,
2 46 -2 4 9 .
25 Vgl. Y. C o u r t o n n e , S aint B a sile et 1’h e l l e n i s m e , Paris 1934.
Den bedeutsamsten Versuch zur Integration der griechisch-neu­
platonischen Philosophie in die christliche Schöpfungswahrheit lei­
stete im Abendland Augustinus (+ 430), der zugleich die Traditionen
des Morgenlandes aufnahm. Mit Ambrosius (+ 397) verband ihn das
religiös-ethische Interesse an der Schöpfungswahrheit, das jedoch
viel stärker philosophisch strukturiert war, zugleich aber auch eine
betonte Bindung an die Hl. Schrift bezeigte, so daß die wichtigsten
Stellungnahm en zum Schöpfungsglauben an der biblischen
Urgeschichte entwickelt sind26. Der philosophische Einschlag dieser
Schöpfungstheologie besagt aber nicht eine schlichte Übernahme
neuplatonischer Positionen, von denen er sich oft genauso absetzte
wie vom dualistischen Manichäismus, um den christlichen Schöp­
fungsglauben in eine Form zu übertragen, welche die Gebildeten sei­
ner Zeit ansprechen konnte.
So ist der G o tte s b e g riff mit den B e zeic h n u n g e n der „su m m a e s s e n tia “ oder
des „U rg u te n “ zw ar n e u p la to n is c h g efärbt, und auch die S c hö pfun g ist, als
A b stufu ng des Seins vom h ö chsten Sein G ottes bis hinab zum N ichts verstand en,
dem n e u p la to n is c h e n V erständnis a n g e n ä h e rt27. Es ist je d o c h nicht der G ott
Plo tins in der M etap h y sik des E inen, nach der G ott als Sein je n s e its des Seins
steh end v ers tan d en w ird, so ndern es ist der w irklich in Fülle und G a n z h e it e x i­
stierend e, näh erh in der dreifältige Gott. D aru m lehnt der K irche nv ater von
H ipp o auch den E m a n a tio n sg e d a n k e n P lotins ab, nach dem das E ine ob sein er
F ülle in das Viele ü b e rs trö m en m uß, das tro tzd em dem E in en z ug ehö rig bleibt.
D er in der trin itarische n E in heit w irk lic h existierend e G ott verm ag in seiner p e r ­
sonalen F reih e it das von ihm V erschie den e zu setzen in der Weise der S c h öp fu ng
aus dem N ic h ts 2“. Das g esch ieh t n ich t im M ed ium der von den G riec h e n fo r tla u ­
fend vers tan d en en Zeit, sondern in der M itersch affu n g der Z e it29, was A u g u stin
zu e in e r n e u a rtig e n A u s a rb e itu n g des m e t a p h y s i s c h - p s y c h o lo g is c h e n Z e i t ­
begriffes führt im G e g e n ü b er zur E w igk eit. D am it hän gt auch der zuvor nur
w enig (etwa bei B asilius) b eru fen e G ed an k e von dem in einem e inzigen M o m e n t
v ollz o g en en S ch ö p fu n g s a k t (S im u lta n sc h ö p fu n g ) zu sam m en , w en igste ns b e z ü g ­
lich d e r ra tio n e s sem in ale s. A u fg ru n d so lc h e r V o ra u sse tz u n g e n k an n d er
K irc h e n v a te r auch den S e c h s t a g e - B e r i c h t a lle g o ris c h d e u te n und ihn als
A n o rd n u n g v e rs ch ied en e r M o m en te für die E rken ntnis der G eiste r in te rp re tie ­
r e n 30. D ie trin itarische R ü c k b in d u n g der S c h öp fu ng läßt auch die B e d e u tu n g des

26 Das zeig en bes o n d ers die drei G e n e s i s - A u s l e g u n g e n : De G e n e s i c o n tr a M a n i c h a e o s


(3 88 -38 9 ); De G enesi ad litteram i m p e r fe c t u s lib er (393); De G e n e s i ad litteram , lib. XII
(401-4 1 4).
27 De G enesi ad litteram imp. lib er IV, 11.
28 D e G en esi co n tr a M a n i c h a e o s 1,7, 12.
29 De civitate Dei X I ,6.
30 De G en es i ad littera m IV; V.
Log os wie des G eistes h e rv o rtrete n und die tr in itarisch e Stru k tu r der g e s c h a f fe ­
nen W elt erken nen , ohne daß d abei eine h e ilsg e sc h ic h tlic h e A u sw e r tu n g gegeb en
wird. D er h e ilsg e sc h ic h tlic h e A sp ek t tritt in a b g e w a n d e lte r F orm in der G e ­
sc h ic h tsth e o lo g ie des „ G o tte s s ta a te s “ hervor, ist hier aber v o rzü glic h a u f die
T h eo d izee au sgerich tet.

Im ganzen hat Augustinus die relativ ausgewogenste Synthese


zw ischen griechischen Denkelem enten und christlicher Offen­
barungswahrheit geschaffen, auch wenn sie bereits einen stark ratio­
nal-metaphysischen Grundzug zeigt.

XL Die rational-doktrinäre Schöpfungstheologie des


Mittelalters
Schon die frühe theologische Entwicklung der Schöpfungs Wahr­
heit läßt eine gewisse Gesetzmäßigkeit erkennen. Die biblische
Wahrheit (von Newman „reale Idee“ genannt31) entfaltet sich in eine
Mehrzahl von Aspekten in Auseinandersetzung mit der Philosophie
der Zeit, aber auch unter Verwendung von deren Denkmitteln. Dabei
tritt auch die nicht leicht zu erfüllende Aufgabe deutlicher hervor, die
geschichtlich ergangene Heilswahrheit und Heilswirklichkeit so auf
den theologischen Begriff zu bringen, daß das heilshaft-geschichtli-
che Sein der Wahrheit nicht überdeckt und verleugnet wird.
Diese Abstimmung von Heilsgeschichte und Metaphysik blieb
auch das Hauptproblem der späteren Entwicklung. Es erfuhr, wenn
man nur einige M arksteine des Entwicklungsganges berücksichtigt,
eine einseitige Lösung in der Zeit zwischen Patristik und Scholastik.
1) Das Vordringen der neuplatonischen Metaphysik
Von Plotin (+ 269 n. Chr.) und Proklos (+ 485) übernahm am
Anfang des 6. Jahrhunderts Pseudo-Dionysius-Areopagita neuplato­
nische Grundgedanken und konzipierte danach, in loser Anlehnung
an die Hl. Schrift, die Schöpfung in der Weise der Emanation als
Gottes ausstrahlendes Licht, das allen Dingen Bestand, Leben und
Erkenntnis schenkt32. Obwohl er den naturalistischen neuplatoni­
schen Emanatianismus und die damit gegebenen pantheisierenden

31 J. H. N e w m a n , Ü b e r die E n tw ic k lu n g d er G l a u b e n s l e h r e , 35 -41.
32 De div. no m . IV, 1 -3.
Tendenzen fernzuhalten sucht, ist wohl nicht zu verkennen, daß der
biblisch-geschichtliche Schöpfungsrealismus vom neuplatonischen
Idealismus überformt wird.
In n och e n ts c h ie d e n e r e r Weise brachte der im F rü h m itte la lte r einsam d a s t e ­
hende Jo h an n es Scotus E riu g en a (+ um 877) die n e u p la to n is c h e Id ee vom
W eltpro zeß, der von G o tt au sg eh t und w ied er in seinen U rsp ru n g z u rü c k m ü n d e t,
zur G eltu ng . U n ter g änzlich n eu er In terp reta tio n der „creatio ex n ih i lo “ v ersteh t
er das N ichts als ein in G ott selb st ang ele g tes M o m e n t in dem Sinne, daß G o tt
sich selb st in sein er U n e n d lic h k e it nich t vo llk o m m e n erfaßt und so sich selb st
u n b e stim m t ble iben muß. D ieses in G ott vorfindliche N ich ts ein w ird dann als
das eig en tlich e Motiv der S ch ö p fu n g s ta t ausgeg eben , w ä h ren d die bis h erig e
T rad itio n dies in der G üte und L ieb e G ottes gelege n sah. Die S c h ö p fu n g w ird
d a rau fh in in ein e r sch e in b a re n E rh ö h u n g ihrer W ü rde und B e d e u tu n g als
S e lb s to ffen b a ru n g G ottes und als fö rm lic h e T h eo p h an ie erklärt, die im Sinne der
n e u te s ta m e n tlic h e n „d o x a “ (der a ltte s ta m e n tlic h e n „ k a b o d “ ) zu einer g n a d e n h a f­
ten a n sch e in b a ren A n w e se n h e it G o ttes in der K rea tu r und zur V ergöttlichung der
G esch ö p fe fü h r t33.
K o n s e q u e n te r w e i s e k o m m t es in d ie s e m S y stem zu e in e r R e ih e von
U m d e u tu n g e n der b ib lis c h -p a tr istis e h e n Ü b erlieferun g: zur E n tw e rtu n g der M a ­
terie in der A b k u n ft des G esc h le c h tlic h e n aus der Sünde, zu einer A b sc h w ä c h u n g
des B ö se n in einer au f H a rm o n ie und au f A p o kata stasis (im Sinne G reg ors
v. N y ssa) a u s g eric h teten Welt. E riug ena , der in seiner d e n k e risc h e n D y nam ik die
O ffen b aru n g fak tisch m it der V ernunft g leichsetzt, erk enn t die S c h ö p fu n g nicht
als M y s teriu m und e n tw ic k e lt eine rein p h ilo so p h isc h -n e u p la to n isc h e S c h ö p ­
fun gsleh re. N ich t zu U n recht hat m a n h ier den „ n e u z eitlich en G ed an k en vom
sich selbst sc haffe nd en G o tt“ v o rg eb ild et g e fu n d e n 34. D ie K irch e hat au f dem
P ro v in z ia lk o n z il von Paris das H au p tw e rk E riu gen as veru rteilt, was von P ap st
H on orius III. i.J. 1225 b e stä tig t w u rd e 35.
Obgleich die neuplatonischen Systemgedanken als Anregungen
auch von der Nachwelt aufgenommen und positiv verwandt wurden,
ging die frühscholastische Entwicklung doch andere Wege, die von­
einander nicht unbeträchtlich abweichen. So entwickelte sich in der
Schule von Chartres eine Interpretation des Sechstagewerkes, die den
Schöpfungsbericht mit Hilfe des zeitgenössischen Naturwissens und
der platonischen (wie auch neupythagoreischen) Philosophie (unter

33 De d iv isio n e n a tu r a e 111,8 u.ö.


34 So H. M eyer, A b e n d l ä n d i s c h e W e l t a n s c h a u u n g II/III, P a d e r b o rn 1953, 67; vgl. zum
G an ze n R. H o ep s , T h e o p h a n i e und S c h ö p f u n g s g r u n d , in: T h P h 67 (199 2 ) 161-191; vgl.
auch W. B e ie rw a l t e s , E riu g e n a , 124-145.
35 Vgl. H. D e n if le , C h a rt u l a r i u m U n iv ers. Par is. 1,106 n.50.
Einfluß des Platonischen Timaios) rational zu durchdringen suchte36,
was dem biblischen Befund nicht immer entsprach (so u.a. die
Identifizierung des Heiligen Geistes mit der Weltseele37).
D ieser R ich tu n g ab er en tstan d eine e b e n b ü rtig e G eg enk ra ft vor allem in den
R e ih en der m ö n c h isc h e n T h eo lo g ie, w elch e die h eilsg e sc h ic h tlic h e A u srich tun g
der S c h öp fun g au f die M e n s c h w e rd u n g , a u f die E rlö s u n g und V ollendung bezog,
w o fü r b eso n d ers die Werke des R u p ert v. D eu tz (+ 113S)38 und des R ichard
v. St. V iktor (+ 1173) b e is p ie lh a ft sind, ob gleich bei letzteren auch m e t a p h y s i­
sche F rag e s te llu n g e n und B eg rü n d u n g e n eine R o lle sp ie lte n 39. Das h e il s g e ­
sch ic h tlich e M o m e n t v e rm o c h te sich sog ar in den ersten S en tenz e n w erken noch
d u rc h z u h a lte n 40, w u rde sch ließ lich aber von der n e u a u fk o m m e n d e n D ialek tik
(P etrus A b aelard , + 1142) und der ratio n a l-d o k tr in ä re n L eh rd a rs te llu n g (Petrus
L o m b ard u s , + 1160) z u rü c k g e d r ä n g t41.

2) Scholastische Systembildungen
Mit der Übernahme des aristotelischen W issenschaftsideals (un­
ter Beibehaltung des augustinischen Platonismus) gelang der Hoch­
scholastik eine Synthese der traditionellen Schöpfungsgedanken, in
der sich Glaube und Wissen, Im m anentism us (der Gott-Welt-
Verbindung) und Transzendentalismus (der Gott-Welt-Unterschei-
dung), Augustinismus und Aristotelismus zusammenfanden, wofür
Alexander v. Haies (+ 1245) in der „Summa Alexandri“42 das erste
imponierende Beispiel bot. Während bei ihm aber die augustinische
Tradition noch überwiegt, gibt Thomas v. Aquin (+ 1274) einem kri­
tischen Aristotelismus den Vorzug, was sich u.a. schon daran zeigt,
daß er die „creatio ex nihilo“ (gegen Albert und Bonaventura) auch
als eine Vernunftwahrheit betrachtet43.
A u f den a risto telisc h e n G ru n d la g e n der A k t-P o te n z -L e h re und der K a u s a l­
lehre, die er je d o c h mit n euem G eist erfüllt, e n tfaltet er den S c h ö p fu n g s g e d a n ­
ken aus dem G o tte s b e g rif f des ipsum esse und des ens a se, w obei G o tt als die
A llu rsa ch e (W irk-, E xe m plar- und Z ie lu rsa c h e ) erk an n t ist, der allein eine

36 Als B e ispie l ist h ier T h ie rr y v. C h a rtr e s (+ 1150) und sein K o m m e n t a r zu r G en es is zu


n en nen: De sex d ie r u m op erib u s.
37 So u.a. bei B e rn h a r d S ilv ester, De m u n d i u n iv e r sita te libri duo (ed. B a ra c h 1,2).
38 De trinitate et o p er ib u s eius.
39 D e s a cra m e n tis c h r is tia n a e fidei 1,1,1.
40 V g l. j . de G h e l l i n c k , Le m o u v e m e n t t h e o l o g i q u e du X H e siecle, 133-148;
M. G r a b m a n n , Die G e s c h i c h t e d er sc h o l a s t i s c h e n M e t h o d e II, 13öff.
41 P etru s L o m b a rd u s , S e n te n tia e in IV lib ris d istin c ta e , üb. II.
42 Ed. Q u arad i 1924-1948.
43 II. Sent. d. 1 q. 1 a.2.
S c hö pfun g aus d em N ichts en ts p ric h t44. E ine solche U rh e b u n g des G esch ö p fes,
die das G e s c h ö p f seinem ganzen Sein nach h e rv o r b rin g t45 und ihm Teilhabe an
G ott v erleiht, fo rd ert zu gleich auch ein ständiges E rsch affen (creatio c o n tin u a 46)
und eine E rh altu n g der W elt47. F ü r die beg riffliche V ertiefung des g ö ttlich en
S ch ö p fu n g s a k te s, der ohne V eränderung, B ew egu ng und Z eit g ed ach t w erden
m u ß 48, ist die H e ran zieh u n g des R e latio n sb e g riffes b e d e u tsa m . Er m a ch t v e r ­
ständlich, daß die E rscha ffu ng auch a u f seiten des G e sc h ö p fe s k eine B e w egu ng
o der V eränderung, son dern nur eine R elatio n zum Sc h ö p fe r sein k a n n 41, so daß
das Sein des G esc hö pfes zu allererst als sch ö p ferisch e B e z ieh u n g zu G ott e rk a n n t
w e rd en m uß (was freilich auch ein o n tisc h e r Sa chv erh alt ist), die von den drei
gö ttlich en P erson en gesetzt ist. A llerd in g s führt diese trin itarisch e B eg rü n d u n g
d er S c h ö p fu n g n ic h t zu e in e r b e to n t h e i l s ö k o n o m is c h e n A u s r i c h tu n g des
S ch ö p fu n g s g e sc h eh e n s.
Die in der Schöpfungslehre des Thomas geleistete Denkarbeit,
die auf einer konsequenten Seinslehre beruht, erw eist ihre
Originalität auch darin, daß sie in der Frage nach einer ewigen
Schöpfung im Gegensatz zu den meisten Scholastikern deren
Möglichkeit nicht ausschließt bzw. die dafür gegen den Averroismus
vorgebrachten Vernunftgründe nicht als stichhaltig ansieht. Deshalb
plädiert er dafür, daß der zeitliche Anfang der Welt „sola fide ten-
etur“30, wofür er sogar Angemessenheitsgründe zuläßt51. Nicht zuletzt
an der Aufnahme dieser subtilen Problematik erweist sich die
Schöpfungslehre des Thomas als wissenschaftliche Darstellung der
christlichen Wahrheit, gestützt auf ein metaphysisches Gerüst, das
die heilsgeschichtliche Dynamik und ihren Beziehungsreichtum
nicht vollauf zur Geltung kommen läßt.
Nicht als sachlichen Gegensatz, aber unter einer den Vorrang des
Glaubens betonenden ergänzenden Perspektive entwickelt Bonaven­
tura (+ 1274) die Schöpfungslehre im Medium geschichtlich-symbo­
lischen Denkens, das einen Schwerpunkt in der Ideenlehre hat. Die
geschaffenen Dinge werden, als Abbilder des innertrinitarischen Pro­
zesses begriffen, Ausdrucksgestalten des göttlichen Seins und gemäß

44 S.th. I q.45 a. 1 (resp.).


45 Ebda., q.65 a.3 (resp.).
46 E b d a., I q. 103 a. 1.
47 E b da., I q .10 4 a.2.
48 E b d a., I q.45 a.3.
49 E bd a., I q.45 a.3 (resp.).
50 E b d a., I q .4 6 a.2.
51 S.c.g. 11,38.
dem geringeren oder größeren Abstand vom Schöpfer als Schatten,
Spuren oder Bilder Gottes ausgegeben52, deren Symbolkraft dem
Menschen den Weg zu Gott weist. So erfährt das Band zwischen Gott
und der Schöpfung eine für die franziskanische Weltzugewandtheit
charakteristische Festigung, das „pulcherimum carmen“53, das die
Schöpfung darstellt, wird zum Ansporn für das Gotteslob des
Menschen.
3) Entwicklungslinien in der Neuzeit
Die Angleichung des Geschöpfes an den Schöpfer, die auch heils­
geschichtlich an der Rolle Christi demonstriert wurde, konnte frei­
lich nur Bestand haben, solange die für Bonaventura und die ältere
Franziskanerschule charakteristische Einheitsauffassung von Theo­
logie und Philosophie, von Glaube und Wissen in Geltung war. Als
sie sich bei Duns Scotus (+ 1308) löste und im Nominalismus voll­
ends zerbrach, wurde mit der einseitigen Betonung der omnipotenten
göttlichen Ursächlichkeit das innere Band zwischen Schöpfer und
Geschöpf zerschnitten, so daß die Weltdinge nur noch in ihrer
Individualität und in ihrer empirischen Realität wahrgenommen wur­
den54. Die im Gegensatz dazu stehende mystische Einheitsschau von
Schöpfer und Geschöpf bei Meister Eckhart (+ 1327)55 und in der
Deutschen Mystik näherte sich dem anderen Extrem des Immanen­
tismus. So wich die Synthese des M ittelalters am Ende einer Diastase
im Schöpfungsgedanken, die den Geist der Neuzeit vorbereitete. Auf
ihrem Feld drangen die entgegengesetztesten Tendenzen hervor: der
mystisch-kosmische Immanentismus bei Giordano Bruno (+ 1600);
die im „Fall Galilei“ (+ 1642)56 aufkommende, sich verselbständi­
gende wissenschaftliche Weitsicht, welche durch Descartes (+ 1650)
einseitig mechanistisch entwickelt und von Spinoza (+ 1677) deter­
m inistisch interpretiert wurde; die philosophisch-spekulative

52 I Sen t. d.3 p. 1 a. 1 q.2 concl.


53 B r e v ilo q iu m , P ro log , 2.
5 4 E in B e is p iel b ietet W ilh e lm v. O c k h a m (+ 1349), n ach dem die A l l m a c h t G o ttes ni cht
m e h r von se in em W esen m e n s u ri e r t w ird und a u c h die I deen k ein e B in d u n g m e h r zu m g ö t t ­
lich en Wesen besitz en: I Sent. d .3 5 ,9,5 .
55 Vgl. u.a.: O p us tr ip a rtitu m , P ro lo g u s ; d azu K. R uh , M e i s t e r E ck h art, 7 2-94.
56 Vgl. W. B ra n d m ü lle r , G alilei u n d die K irch e, 3 01 -3 0 9 .
Aufhebung des Schöpfungsgedankens durch G. W. Leibniz (+ 1716),
später durch die Aufklärung und den Deutschen Idealismus; die
Ablösung der Theozentrik durch die Anthropozentrik (L. Feuerbach,
+ 1872); die durch den Darwinismus ausgelöste Entgegensetzung
von Schöpfung und Evolution.
D iese dem O ffe n b a ru n g s d e n k e n w id ers treb en d e n T end en zen stellten die
S ch ö p fu n g s th e o lo g ie vor sch w ere A u fga ben . Die refo rm a to risc h e T h e o lo g ie v e r ­
suchte ihnen zu e n ts p rech en (oder sich ihnen zu entz ieh en) d urch eine bei den
R e fo rm a to re n (L u ther und C alvin) a n setz en d e m eh r h e ilsg e sc h ic h tlic h - c h ris to lo -
g ische und relig iö s-p ra k tis c h e Fassu ng der S ch öp fun gs Wahrheit u nter A b seh en
von m eta p h y sisc h e n und k o sm o lo g isc h e n F ra g e s te llu n g e n 57, die k ath o lis c h e
T h e o lo g ie u nter W eite ren tw ick lu n g des th e o lo g is c h -ra tio n a le n S y stem d en k en s
in a p o lo g e tis c h e r A b w e h r oder in k o n k o rd istisc h e r H a rm o n isie ru n g der m o d e r ­
nen W is s e n s c h a f te n 58. Es g eschah im W issen um eine unv o llen db are A u fg abe , die
nur app ro x im ativ erfüllt w erden kann.

III. M a rk ste in e d er d o g m eo g esch ich tlich en E n tw ick lu n g


Die Theologiegeschichte ist von der Dogmengeschichte nicht zu
trennen, sie ist mit ihr aber nicht identisch. Sie stellt den breiten
Strom geistiger Bemühungen um die zeitentsprechende Aneignung
und die sprachliche Ausformung der Offenbarungs Wahrheit dar, aus
welchem der Glaube das M aterial entnimmt, um sich im Dogma zu
einer verbindlichen Gestalt zu formieren. So ist die Dogmen­
geschichte die innerste, vom Glauben getragene und auf sein eindeu­
tiges Bekenntnis gerichtete Strömung der Theologieentwicklung.
Demgemäß geht der unreflektierte Glaube nicht nur der Theo­
logie, sondern auch dem Dogma voraus.
1) Frühe Bekenntnisformeln
Die bekenntnismäßige Formung des Schöpfungsglaubens setzt
bereits im Neuen Testament an59, wofür die Aussage des ersten
Korintherbriefes beispielhaft ist: „Von ihm [dem Vater] stammt alles,

57 Vgl. d azu den k u r z e n Ü b e r b lic k bei E. Bru nn er, D ie c h r istlic h e L e h re von S c h ö p f u n g


u nd E r l ö s u n g , 4 5 - 5 0 ; e i n e a u s f ü h r l i c h e W ü r d i g u n g b i e t e t Chr. L in k , S c h ö p f u n g .
S c h ö p f u n g s t h e o l o g i e in r e f o r m a t o r is c h e r T rad itio n, G ü te r slo h 1991, 76- 80; 172-175;
L. S ch e f fc z y k , S c h ö p f u n g und V orsehu n g, 106-152.
58 Z u r n e u z e i t l i c h e n F ra g e s t e l l u n g vgl. unten.
59 D ie B e d e u t u n g d ie s e r „ P r ä s y m b o l a “ für das w e r d e n d e D o g m a e rh eb t H. Sch lier ,
K e r y g m a u nd S o p h ia, 216.
und wir leben auf ihn hin. Und einer ist der Herr: Jesus Christus.
Durch ihn ist alles und wir sind durch ihn“ (1 Kor 8,6). Charak­
teristisch ist hier die Beziehung der Schöpfung auf Christus, die so
auch in den Schriften der frühen Kirchenschriftsteller lebendig ist,
etwa in dem Bekenntnis des Irenäus v. Lyon (+ 202): „Es ist also ein
Gott Vater ..., und ein Christus Jesus, unser Herr, der durch die ganze
Heilsordnung hindurchging und alles in sich zusammenfaßte“60. Die
Wahrheit von der Schöpfungsmittlerschaft Christi hält sich auch in
der mystisch-spekulativen Theologie der Alexandriner durch, so bei
Origenes (+ 251), dessen Glaubensregel das Bekenntnis enthält:
„Denn Jesus Christus selbst, der herniederstieg, ist vor aller
Schöpfung aus dem Vater geboren. Er, der bei der Schöpfung des Alls
dem Vater gedient hatte (durch ihn ist nämlich alles geschaffen wor­
den), ist in der letzten Zeit Mensch geworden“6'. So setzt sich gleich­
sam die Schöpfung in der Menschwerdung fort, die zu einer neuen
Schöpfung führt.
2) Das Bekenntnis zur Schöpfung in den ersten Symbolen
Die Bedeutung der Schöpfungs Wahrheit für den christlichen
Glauben zeigt sich daran, daß sie in den frühen Bekenntnissen und
Symbolen der Kirche im ersten Glaubensartikel verankert wird. So
heißt es schon in den Urformen des Apostolischen Glaubens­
bekenntnisses: „Ich glaube an Gott, den allm ächtigen Vater“
(DH 16), wobei allerdings wegen der trinitarischen Dreiteilung die
Schöpferrolle Christi nicht mehr erwähnt wird. Verständlicherweise
stellen auch die frühen kirchlichen Synoden und Konzilien, die
bereits Bezug auf glaubensirrige Tendenzen nehmen müssen, das
Bekenntnis zum einen Gott, „dem allmächtigen Vater, Schöpfer alles
Sichtbaren und Unsichtbaren“62 an den Beginn ihrer Symbole. Im
N icaeno-Constantinopolitanum (DH 150) ist wiederum an die
Tätigkeit des Sohnes bei der Schöpfung gedacht, insofern „alles
durch ihn geschaffen ist“.

60 Adv. Haer. 111,16,6.


61 D e p r in cip iis , p raefatio .
62 So das S y m b o l des K o n zils von N i k a i a (325): D H 125.
D ie s c h o n in d er A lten K ir c h e a u fg e tre te n e G e fa h r e in e r g n o s tis c h -
m a n i c h ä i s c h e n E n t s t e ll u n g d er S c h ö p f u n g s W ahrheit f o r d e r te e in e d i r e k te
S te llu n g n ah m e gegen den P risz illia n is m u s heraus. So nah m die S y n od e von
B rag a (i.J. 563) gegen d u a listisc h e Irrle h rer S tellung, w elche „die S c h öp fu ng
des g e sa m te n F le is c h e s “ als ein W erk „ b ö sw illig er E n g e l“ a nsah en (DH 463 ), die
Ehe v era b s c h e u te n (DH 461), die m e n s c h lic h e n S eelen aus der S u b sta n z G ottes
h e rv o rg e h e n ließe n (DH 445) od er sie als p räex istieren d an sah en (DH 456) und
die m einten , daß der Teufel „das P rin zip und die S ub stan z des B ö s e n “ sei
(D H 457). A u ch gegen die A n sc h a u u n g e n eines e x trem en O rig e n ism u s hatte sich
die K irch e, vor allem im O sten, zu w ehren. So verurteilte die S ynode von
K on stan tin o p e l vom Jahre 543 den Satz: „E n tw ed er sei G ottes M a ch t b e g re n z t
und er h abe soviel geschaffen, w ie er u m fassen und d enk en ko nn te, od er die
G esch ö p fe seien g leic h e w ig wie G o tt“ (DH 410).
An solchen Stellungnahm en ist zu ersehen, wie sehr die
Schöpfungswahrheit, trotz ihrer Nähe zur menschlichen Vernunft,
auch dem Widerspruch und dem Irrtum ausgesetzt war.
3) M ittelalterliche Dogmatisierungen
Die aus der alten Philosophie kommenden Irrtümer blieben auch
im M ittelalter virulent und führten aufgrund des Widerstandes der
Kirche zu dogmatischen Entscheidungen. Eine Unterströmung des
griechischen Im m anentism us und Pantheism us brach sich bei
Amalrich v. Bena (+ um 1206) und bei David v. Dinant (+ nach 1215)
Bahn. Unter extrem gedeuteten Vorstellungen der Schule v. Chartres
kam Amalrich zu einer Gleichsetzung von Schöpfer und Schöpfung,
während David Gott mit der materia prima gleichsetzte, welche
Irrtümer zuerst eine Synode von Paris (i.J. 1210) verwarf63.
Aber auch die dem entgegengesetzten dualistischen Anschau­
ungen erfuhren im Hochmittelalter durch die Katharer und A lbigen­
ser einen gefährlichen Aufbruch. Ihm stellte das Vierte Laterankonzil
vom Jahre 1215 im Caput „Finiter“ eine förmliche Definition gegen­
über, welche die wesentlichen Bestände der Schöpfungslehre zusam­
menfaßte: der dreipersönliche Gott ist das „unutn universorum prin-
cip iu m “, „der Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren“, welcher
„mit seiner allmächtigen Kraft vom Anfang der Zeit an aus nichts
zugleich beide Schöpfungen [erschuf], die geistige und die körperli-
che, nämlich die der Engel und die der Welt: und danach die mensch­
liche, die gewissermaßen zugleich aus Geist und Körper b e ste h t“.
Danach wird gegen den Dualismus bezüglich des Teufels gelehrt, daß
dieser „und die anderen Dämonen zwar von Gott ihrer Natur nach gut
geschaffen, aber selbst durch sich böse wurden“ und daß „der
Mensch ... sündigte aufgrund der Eingebung des Teufels“ (DH 800).
Diese Sätze, die nicht nur den Dualismus, sondern zugleich jeden
Schöpfungspessimismus, Pantheismus und theoretischen M aterialis­
mus verwarfen, waren in deutlicher Anlehnung an die Aussagen des
Petrus Lombardus64 formuliert und lieferten den Beweis für die
Initiativkraft der Theologie, die im Dogma zur definitiven Bedeutung
für den Glauben erhoben wurde.
D as D o g m a der K irche, vom zw eite n K on zil von Lyon 1274 k n app w ie d e r­
holt (D H 8 5 1)6\ e rfuh r in A u s e in a n d e r s e tz u n g m it e inig en v erfä n g lic h e n Thesen
M e iste r E ck harts (+ 132 7)66 eine g e w isse E x p lik a tio n nach der Seite der
N ich te w ig k e it der S ch ö p fu n g (DH 951 f.), der U n te rs c h ie d e n h e it von Z e ug un g
des So hn s und S ch ö p fu n g (DH 953), der N ic h tid e n titä t im Sein zw isch en dem
S c h ö p fer und dem M e n s c h e n (D H 960).
E ine n o c h m a lig e B e k rä ftig u n g des D o g m a s erfolg te im S p ä tm itte la lte r auf
dem Konzil von F lo re n z (1442) im „ D e cretu m pro J a c o b i ti s “ , in dem einige
E in z e lm o m e n te noch eine stärkere B e to n u n g erfahren: so die F re ih e it des
S ch öp fe rs, das M otiv sein er G üte und das G u tsein der G esch öp fe, die ab er der
V erän derlich keit u n te rw o rfen sind (D H 1333).

So trug die autoritative kirchliche Lehrverkündigung entschei­


dend zur Befestigung des Schöpfungsdogmas bei, auch wenn man
die Begrenztheit der dogmatischen Formeln nicht übersehen kann. In
ihrer Fixierung auf die anstehenden Irrtümer vermochten sie nicht
den ganzen Reichtum des Glaubensbewußtseins auszudrücken. So
trat vor allem der heilsgeschichtliche Beziehungsreichtum der
Schöpfungswahrheit zurück.
4) Die neuzeitliche Lehrverkündigung
Die zuletzt getroffene Feststellung gilt auch für die kirchliche
Lehrverkündigung der N euzeit, die zunächst auf dem Ersten

64 Sent. II d. 1 c. 12 u. 16.
65 E n th a lt e n im G l a u b e n s b e k e n n t n i s des K ais ers M i c h a e l P aläo log u s.
66 Be i der E n ts c h e i d u n g d er F ra g e n ach d er a u t h e n t i s c h e n L e h re E c k h a rt s ist d es sen
m y s t i s c h e und d i a l e k t i s c h e S p re c h w e i s e zu b e a c h t e n , so d aß bei B e rü c k s i c h t i g u n g des
G e s a m t z u s a m m e n h a n g s se in er A u s s a g e n eine r e c h t g l ä u b i g e D e u t u n g m ö g l i c h ist; vgl. dazu
K. R u h, M e iste r E c k h a rt 190ff.
Vatikanum (1869/1870) einen relativ umfangreichen Ausdruck fand.
Als Heilmittel gegen die durch den modernen Rationalismus und
Naturalismus heraufbeschworene Krise gedacht, wollte sich das
Konzil auch mit den G rundfragen der O ffenbarung wie des
Gottesglaubens befassen, wozu auch die in der Zeitphilosophie viel­
fach entstellte Schöpfungswahrheit gehörte. So faßte das Konzil in
der „Constitutio dogmatica de fide catholica“ über Schöpfung und
Vorsehung (unter A nhalt an den Entscheidungen des Vierten
Laterankonzils) die geltende Lehre bündig zusammen (DH 3001)
und verurteilte in den angefügten Canones (DH 3021-3025) die
Irrlehren des Atheismus, des Pantheismus und des Materialismus
neben zwei in der katholischen Theologie selbst aufgekommenen
Irrtümern bezüglich des Zwecks und der Freiheit der Schöpfung
(DH 3025 gegen Güntherianer und Hermesianer). So wurden in prä­
zisen Formulierungen die Grundlagen des in der Tradition gereiften
katholischen Schöpfungsglaubens ins Licht gehoben: der allmächti­
ge, von der Welt unterschiedene schöpferische Gott, der aus dem
inneren Motiv seiner Güte und in vollkommener Freiheit die Welt zu­
sammen mit der Zeit ins Dasein setzt zum Zwecke der Offenbarung
seiner H errlichkeit und zur B eseligung der G eschöpfe durch
Mitteilung seiner Güte und der das All mit seiner Vorsehung schützt
und lenkt (DH 3001-3003). Die Wirkungsgeschichte dieser D efini­
tion, obgleich sie wiederum ohne den heilsgeschichtlichen Bezug
auskam, war so nachhaltig, daß sie nahezu ein Jahrhundert lang die
Arbeit der systematischen Theologie bestimmte.
5) Neue Akzentsetzungen des Zweiten Vatikanums
Entsprechend seiner pastoralen Grundausrichtung hat das Zweite
Vatikanum keine dogmatische Lehre von der Schöpfung entwickelt,
sondern (unter gelegentlicher Zitierung des Ersten Vatikanums67)
vornehmlich die praktischen Konsequenzen des Schöpfungsglaubens
für das Weltverhältnis und das Selbstverständnis des Christen inner­
halb der geschaffenen Welt gezogen. Dadurch entfernen sich die die
Schöpfung betreffenden Aussagen von einer kosmozentrischen und
spekulativen Perspektive und nehmen einen stark anthropozentri-

67 L u m e n G e n t i u m , 18; D ei Ver bu m, 1; G a u d i u m et Spes, 59.


sehen Charakter an, der allerdings vermöge der Christusbeziehung
wieder stärkeren Anschluß an eine heilsgeschichtliche Denkweise
gewinnt. So bildet der biblische Schöpfungsgedanke den Grund für
die Wesensbestimmung des Menschen (gemäß Gen 1,26 und Ps 8,5),
die aber unter Einbeziehung des Dramas der Sünde durch die
Menschwerdung Christi überhöht wird, so daß Christus als Wirk-
und Exemplarursache der neuen Schöpfung gewürdigt ist68. Von
daher erfährt auch die Finalursache der Schöpfung unter
Einbeziehung des Schaffens des Menschen eine neuartige Wertung:
„Der nach Gottes Bild geschaffene Mensch ... soll durch Aner­
kennung Gottes als des Schöpfers aller Dinge sich selbst und die
Gesamtheit der Dinge in Beziehung zu Gott bringen, so daß, nach­
dem alle Dinge dem Menschen unterworfen sind, Gottes Name wun­
derbar sei auf der ganzen Erde“69. Hier werden offensichtlich aus der
Schöpfungswahrheit Impulse für die Weltarbeit des Christen abgelei­
tet und die Weltnähe des Glaubens kraftvoll zur Geltung gebracht,
ohne daß damit die der Kirche „eigene Sendung“, die „in der reli­
giösen Ordnung“ liegt, mit dem Weltauftrag gleichgesetzt wurde70.
Mit diesen Aussagen unternahm das Konzil den Versuch, den
Schöpfungsgedanken in pastoraler Weise für das Leben von Kirche
und Welt wirksam zu machen, ein Anliegen, das sich grundsätzlich
auch die Theologie zu eigen machen wird. Aber der dogmatischen
Theologie obliegt es zuallererst, diesen Gedanken in seinem
Beziehungsreichtum im Medium der gläubigen Vernunft zu entfalten
und seine innere Wahrheit systematisch zu begründen.

68 G a u d i u m et Spes, 22.
69 E bd a., 34.
70 E bd a., 42.
Kapitel III:
Die göttliche Schöpfung im dogmatischen Aspekt

§ 7:

Die Trinität als G rund der Schöpfung


Literatur: H. Schell, Das W irk en des D reie in ig e n G ottes, M ain z 1885;
E. Walter, C h ristu s und der K osm os, S tu ttg art 1948; R. Prenter, Spiritus Creator,
M ü n s te r 1954; K. R ahner, T h eo s im N eu en Testam ent: S chriften zur T h eo log ie I,
E in sied eln 1954, 91-167; Fr. M u ßn er, C hristus, das All und die K irche (T rierer
th e o lo g is c h e S tudien, 5), T rier 1955; D ers., S c hö pfun g in C hristus: M y s teriu m
Salutis II, 4 55-4 6 1 ; I. B rink trin e, Die L ehre von der S c h öp fu ng , P ad erb orn
1956; G. W ingren, M an and the Inca rn atio n . A Study in B ib lical th eolog y of
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hrsg. von M. Sch m aus und A. G rillm eier), Freiburg 1963; A. H o ckel, C h ristus
der E rstg e b o ren e . Z ur G e sch ich te d er Exegese von Kol 1,15, D ü s s e ld o rf 1965;
R. S c h n a c k e n b u r g , D as J o h a n n e s e v a n g e l i u m I ( H e rd e rs t h e o l o g i s c h e r
K o m m en ta r zu m N euen T estam ent, hrsg. von A. W ik en h a u ser und A. V ögtle),
Freibu rg 1965; M. S chm au s, K ath o lisch e D o g m atik 11,1, M ü n ch en 61962; D ers.,
Die p sy c h o lo g isc h e T rin itä tsleh re des heilig en A u g u stin u s, M ü nster -1966,
W. K ern, Z u r th eo lo g is ch en A u sle g u n g des S c h ö p fu n g s g lau b en s: M y s te riu m
Salutis II. Die H e ils g e sc h ic h te vor C hristus (hrsg. von J. F e in e r und M. L ö hrer),
E in sie d e ln 1967, 4 64-54 5; W. B einert, C hristu s und der K osm os. P ersp e k tiv en zu
einer T h e o lo g ie der S c hö pfun g, F reibu rg 1974; J. A uer - J. R atzin ger, K K D III:
Die Welt - G ottes S c h öp fun g, R eg en sb u rg 1975; CI. W esterm a nn , G en esis I
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G ieß en 21984; Fr. L ang , Die B riefe an die K orinther (D as N eue T estam en t
D eu tsch, Bd. 7), G ö ttin g e n 1986; H. U. v. B althasar, T h e o lo g ik II: W ah rheit
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1987; J. M o ltm an n , G o tt in der S ch öp fu ng . Ö k o lo g is ch e S c h ö p fu n g s le h re ,
M ü n ch en 1985; D ers., T rin ität und R eich G ottes. Z ur G o tte sleh re , M ün che n
219 8 6; W. P a n n e n b e r g , S y s t e m a t i s c h e T h e o lo g i e II, G ö tti n g e n 1991;
B. J. H ilb era th, P n e u m a to lo g ie (L eitfade n T h eo lo g ie, 23), D ü s s e ld o rf 1994;
G. L. M üller, K a th o lisch e D og m atik, Freib urg 1995, 156-223; Fr. C ourth, G o tt -
M e n s c h - W elt. Was sa g t c h r i s t l i c h e r S c h ö p f u n g s g la u b e ? L e it f a d e n zur
S ch ö p fu n g s leh re, St. O ttilien, 1996.
Es verdient Beachtung, daß die christlichen Glaubensbekennt­
nisse die Schöpfung nicht eigentlich als Vorgang und als Wirkung in
den Blick nehmen, sie also nicht sachlich-gegenständlich betrachten,
sondern daß sie zuerst vom Schöpfer sprechen, der ein ihm allein
vorbehaltenes Werk vollführt. Damit ist der Einsicht der Weg ge­
bahnt, daß das Werk der Erschaffung nicht ohne den Schöpfer ver­
standen werden kann. So ist die Schöpfung als ein einzigartiges Ge­
schehen ausgewiesen, das nur vom absoluten Gott her zu einem
gewissen Verständnis gebracht werden kann. Zugleich wird damit
auch die Schöpfung als Wirkung und Ergebnis so eng mit ihrem per­
sonalen Grund in Gott verbunden, daß sie diesen Bezug niemals ver­
lieren kann und daß die Deutung und Erklärung alles Geschaffenen
ohne den Bezug zum Schöpfer nicht auskommt. Dieser Schöpfer ist
aber der dreipersonale Gott. Darum muß die Trinität als das eine
göttliche Prinzip der Schöpfung anerkannt und aufgewiesen werden.

I. Die positive Bestimmung des trmitarischen


Schöpfungsgrundes
1) Der Ansatz in der Schrift
An die Schrift des Alten Testamentes ist die Frage nach der trini-
tarischen Begründung der Schöpfung nur insoweit zu stellen, als das
Alte Testament überhaupt Spuren und Ansätze eines trinitarischen
bzw. triadisehen Verständnisses des göttlichen Handelns kennt1. Das
ist unter Voraussetzung eines heilsgeschichtlichen Offenbarungsver­
ständnisses, das bei Anerkennung sich steigernder Offenbarungs­
stufen doch auch um das Bestehen bleibender Grundmotive und
-Strukturen weiß, nicht zu bestreiten. Deshalb wurde bei der Er­
schließung des dynamischen, weltzugewandten alttestamentlichen
Gottesverständnisses darauf verwiesen, daß hier das Handeln des
einen Gottes unter Verwendung verschiedener Vermittlungs- und
Mediationsformen zum Ausdruck gebracht wird, unter denen „das
Wort“ , „die Weisheit“, und „der Geist“ hervorgehoben erscheinen2.
Das „Wort des Herrn“ gilt Israel als Offenbarungsträger (Ps 33,6)
und als gestaltende Kraft in der Geschichte des Volkes (1 Sam 9,27;
2 Sam 7,4). Mit besonderem Nachdruck ist die Stellung der Weisheit
als M ittlerin der Schöpfung in der W eisheitsliteratur des Alten
Testamentes versehen. Sie war „anwesend, als er die Himmel baute“
(Spr 8,27; vgl. auch Weish 7,24ff.; 8,1; 9,18).
Auch für die Beteiligung des Geistes an der Schöpfung bieten die
Zeugnisse des Alten Testamentes Hinweise, so schon am Ursprung

1 Vgl. dazu W. Kern, Z u r th e o l o g i s c h e n A u s le g u n g des S c h ö p f u n g s g l a u b e n s , a.a.O.,


479-481.
2 D a r ü b e r h a n d e lt a u s f ü h r l i c h e r Bd. II, § 8, I u. II.
der Schöpfung (Gen 1,2), vor allem aber im Punkte der Entstehung
des Lebens in den Geschöpfen (Gen 2,7; Ps 104,29f.)3.
B ei dem w e ite n B e d e u tu n g s s p e k tr u m , das d er G e is t b e g r i f f im A lte n
T e sta m e nt besitzt, übt die n eu ere E xeg ese K ritik an ein er zu e in d e u tig e n
V erkn üp fu ng d ieser A u ssag en m it dem G ottesgeist. D esh alb w ird b e z ü g lic h
Gen 1,2 die Ü b e rse tz u n g m it „W ind G o tte s “ bevorzugt, w oraus sich n u r eine
B e s c h reib u n g des Z u stan d e s vor der S ch ö p fu n g ergeb en so ll4. E n tsp re c h e n d wird
Gen 2,7 ohne B ezu g zu m G o tte s g e ist als „ L e b e n so d e m “ g e d e u te t5. Von an d erer
Seite w ird freilich z ug egeben , daß in G en 1,2 der „Ü b erg ang zu G ottes G e is t“
nich t fern liegt und daß in dem W ort vom „ G o tte s w in d “ auch eine A sso z ia tio n
auf den G e ist ein g e s c h lo ss e n ist6. Im g anzen ist nich t zu b estre iten , daß der G eist
im A lten T e sta m e nt auch als s c h ö p fe ris c h e G o ttes k ra ft ve rs ta n d en wird, die p h y ­
sisches L eb en (G en 6,3; Ez 37,9; Ps 33,6) und geistige F äh ig k eiten verleih t
(Dtn 34,9; D an 5,14), die aber vor allem in e s c h ato lo g isch en Z u s a m m e n k lä n g e n
als G o tte s k ra ft w irk sam wird: „ E rsc h a f f mir, Gott, ein reines H erz, und gib m ir
einen neuen b e stä n d ig e n G e is t“ (Ps 51,12; vgl. auch Jes 44,3; Joel 3 , l f . ) 7.

Als schöpferische Kraft tritt der Geist auch in Weish in Erschei­


nung, insofern er „den Erdkreis erfüllt“ (Weish 1,7) und sein Hauch
lebendig macht (Koh 12,7; Ijob 27,3; 34,14). Im Buch der Weisheit
sind Wort und Weisheit nahezu gleichgesetzt, wenn vom Vater-Gott
gesagt wird: „... du hast das All durch dein Wort gemacht, den
Menschen hast du durch deine Weisheit erschaffen“ (Weish 9,1 f.).
Sofern man diese schöpferischen Vermittlungsformen von Wort,
Weisheit und Geist nicht schon als Hypostasen oder Personen aus­
gibt, sind hier Spurenelemente eines triadisch-trinitarischen Schöp­
ferwirkens anzuerkennen8.
Diese Andeutungen nehmen im Neuen Testament eine bestimm­
tere Form und einen klareren Ausdruck an. Er bezieht sich zunächst
auf den Vater, der vom Neuen Testament vornehmlich gemeint ist,
wenn von „Gott“ (ho theos) die Rede ist9. Er ist für Jesus selbst der
„Vater, Herr des Himmels und der Erde“ (Mt 11,25); „er läßt seine
Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er läßt regnen über
Gerechte und Ungerechte“ (Mt 11,25). Zu ihm betet die Urgemeinde:

3 Vgl. T h W N T , V I ,361: p n e u m a (Fr. B a u m g ä rte l) .


4 So N B L , Lfrg. V, 7 65 -7 6 9 : G eis t (H. S eeb aß ); CI. W e s te rm a n n , G e n e s is I, 150.
5 CI. W e s t e rm a n n , ebd a., 285.
6 N B L V, 766.
7 E b d a., 769.
8 Vgl. J. Auer, Die Welt - G o ttes S c h ö p f u n g , 34-37.
9 D a z u K. R a hn er, T h e o s im N e u e n T estam en t, 91 -167 .
„Herr, du hast den Himmel, die Erde und das Meer geschaffen und
alles, was dazugehört“ (Apg 4,24). Von ihm sagt der johanneische
Christus: „Mein Vater ist noch immer am Werk“ (Joh 5,17), und für
Paulus ist er „Gott, der Schöpfer des Alls“ (Eph 3,9).
Aber gerade bei Paulus10 gewinnt die trinitarische Differenzie­
rung des Handelns des Schöpfergottes ein erhöhtes Gewicht und eine
neuartige Bedeutung. Beispielhaft kommt dies in der bekenntnishaf­
ten Formel zum Ausdruck, in der er den christlichen Gottesglauben
von dem Anhängen an den „sogenannten Göttern“ absetzt: „So haben
doch wir nur einen Gott, den Vater. Von ihm stammt alles, und v/ir
leben auf ihn hin. Und einer ist der Herr Jesus Christus. Durch ihn ist
alles, und wir sind durch ihn“ (1 Kor 8,6). Hier ist der die neutesta-
m entliche Schöpfungs Vorstellung erst spezifizierende und zur
eigentlichen Bedeutung erhebende Gedanke von der Schöpferrolle
Christi und von der „Schöpfung in Christus“ zum Ausdruck gebracht.
Die Vorstellung vom „kosmischen Christus“ erfährt in den Paulinen
ihre weitere Ausgestaltung in A ussagen wie Eph 1,4.10; Kol
1,15-18a; Hebr 1,3- Sie erfährt ihre Bestätigung und Ergänzung
durch die unter einer anderen Perspektive stehende johanneische
Vorstellung von der „Schöpfung im Wort“ (vgl. Joh 1,1-14; 1 Joh 1,1;
Offb 19,13), die mit dem paulinischen Gedanken nicht schlechthin
identisch ist", aber ihm auch nicht disparat gegenübersteht. Beide
Vorstellungsreihen bieten dem Gedanken eine feste Stütze, daß das
neutestamentliche Schöpfungszeugnis (das unter heilsgeschichtli­
chem Aspekt schon einmal berührt wurde12) die Wahrheit von einer
trinitarischen Vermittlung des Schöpfungsgeschehens vertritt, dessen
theologische Bedeutung freilich noch einer eigenen Ausführung
bedarf (s.u.).
Diese kann freilich überzeugend erst geleistet werden, wenn auch
der Geist Gottes in das einheitliche Schöpfungsprinzip einbezogen
wird. Hier ergibt sich auf neutestam entlichem Boden die
Schwierigkeit, daß die theologische Verwendung des Geistbegriffes

10 Vgl. N B L V, 771 ff. (M. R e in e r).


11 R. S c h n a e k e n b u r g , D as J o h a n n e s e v a n g e l iu m I, 2 57 -2 69 .
scheinbar ausschließlich den Heiligen Geist meint, der z.B. das mes-
sianische Wirken Jesu erfüllt (Mt 3,11; Lk 3,16) und der auch in
Kirche und Heilsgeschichte die gnadenhaft-übernatürliche Kraft dar­
stellt (vgl. Lk 1,15.17; 4,14.18; 24,29; Apg l,4 f.8 )13.
In der eigentümlichen Geisttheologie des vierten Evangeliums
(vgl. Joh 14-16) ist der Heilige Geist der „Geist der Wahrheit“ , der
„in die ganze Wahrheit einführen“ (Joh 16,13) und der Stellvertreter
Jesu, des eigentlichen Offenbarungsträgers, sein soll (14,16). In der
vielgestaltigen Geisttheologie des Apostels Paulus ist der Geist vor­
züglich die im Christen das neue Sein wirkende Macht (Röm 8,1.9f.;
Gal 3,2) und der Spender außergewöhnlicher Gaben und Charismen
(1 Kor 12,1-4; 14,1). Er ist in den genannten Fällen vornehmlich als
gnadenhafte Wirklichkeit verstanden und nicht als Kraft der natürli­
chen Schöpfung gedacht. Es ist, als wenn der Heilige Geist nur als
Prinzip der „Zweiten Schöpfung“ wirke, nicht aber als Prinzip der
natürlichen Welt, der Natur und des Kosmos.
T ro tzd e m ist n ich t zu b estreiten , daß der G eist vom N euen T estam ent auch
als S ch ö p fe r k ra ft g ese h e n und v ers tan d e n wird. E ind eu tig tritt dies bei der ü b e r­
n atü rlic h e n E rz e u g u n g Jesu aus dem G e ist in E rsch ein u n g . Das von M atthäu s
und L uk as b e rich tete W u n d er der ju n g f rä u lic h e n E m p fä n g n is Jesu w ird von b e i ­
den E v a n g e li s te n a u f ein G e is t g e s c h e h e n z u rü c k g e f ü h rt. M a tth ä u s e rk lä rt
schlicht, daß das E reign is „ durch das W irken des H eilig e n G e is te s “ g esc h a h
(M t 1,18); L u k as spricht a u sfü h rlic h e r vom K o m m en des H eilig e n G eistes über
M aria un d davon, daß „die K raft des H ö ch sten sie ü b e rs c h a tte n “ w ird (Lk 1,37).
B e d e u ts a m sin d fü r d ie s e n Z u s a m m e n h a n g die ü b e r Je s u s g e m a c h te n
G eista u ssa g e n . Wenn der G eist „Jesus in die W üste tr e ib t“ (M k 1,12), w enn von
ihm ge sa gt wird, daß G ott auf ihn „den G eist le g e n “ w erd e (M t 12,18) od er daß
er die D ä m o n e n „durch den G eist G o ttes au stre ib e “ (M t 12,28), dann ist h ie r die
a ltte s ta m e n tlic h e Ü b e rz e u g u n g a u fg en o m m en , daß der G e ist eine G o tte s k ra ft ist,
die zu a u ß e rg e w ö h n lic h e n Worten un d W erken befähig t, also n a tü rlic h -sc h ö p fe -
rischen C h arak te r besitzt. Das b e stä tig e n auch die p sy ch isch en W irku ng en , die
vom G eist h erv o rg eru fen w erden; p ro p h etisch e Ä u ß eru n g en (Lk 1,41.67; 2,25),
V isionen (Apg 7,55) und W u n d erw irk u n g en (Apg 8,19).
Es trifft zwar zu, daß das Wirken des Geistes in der Entfaltung
des Offenbarungsverständnisses im Neuen Testament vornehmlich
als heiligende, das Gnadenleben vermittelnde Kraft erkannt wird.
Aber das hindert nicht die Anerkenntnis der Wahrheit, daß es sich in
jedem Fall um eine zu Gott gehörende schöpferische Macht handelt,

13 Vgl. N B L V, 770, vgl. auch Th. F re yer, P n e u m a t o l o g i e als S t ru k t u r p r in z ip der


D o g m a tik , P a d e r b o rn 1982, 38-60.
welche auf die Schöpfung im ganzen einwirkt und sowohl natürliche
als auch übernatürliche Werke hervorbringen kann. Hier ist auch zu
bedenken, daß die Heilige Schrift eine begriffliche Scheidung von
rein Naturhaftem und rein Gnadenhaftem im Tun Gottes nicht kennt.
2) Das Zeugnis der Tradition
In ihr ist eine langsam e Entw icklung des trinitarischen
Verständnisses der Schöpfungstat festzustellen, die mit der Festigung
des Trinitätsgeheimnisses zusammenhängt. Dabei ist auch verständ­
lich, daß die Schöpferrolle des Logos vor dem Gedanken an die
Mitwirkung des Heiligen Geistes in den Blick kommt. So tritt schon
im Barnabasbrief bei der Deutung des „faciamus“ von Gen 1,26 die
Erkenntnis von einem Zwiegespräch zwischen Vater und Sohn her­
vor, durch welches der Sohn in das Schöpfungsgeschehen einbezo­
gen erscheint14. Ein erster deutlicher Hinweis bezüglich der trinitari­
schen Schöpfung findet sich bei Irenäus v. Lyon (+ 202) in dem Bild
vom Sohn und Geist als den zwei „eigenen Händen“, mit denen der
souveräne Vater-Gott das Werk der Schöpfung w irkt15. Bemerkens­
wert ist hier auch das Bemühen, die Tätigkeit des Geistes bei der
Schöpfung von der des Sohnes zu unterscheiden, weshalb der Autor
die Schriftäußerungen Spr 3,19f. und 8,22f. über die Weisheit nur auf
den Geist bezieht'6. Er weiß auch schon die Tätigkeitsweisen der
Drei begrifflich zu unterscheiden, wie die Trias facere - plasmare -
insufflare zeigt17.
N ach dem durch Irenäus in itiierten h e ilsö k o n o m isc h e n T rin itätsd en k en
k on nte die trin itarisch e B e g rü n d u n g der S c h ö p fu n g eine u ng eh in d erte E n tw ic k ­
lung n eh m en , dies vor allem im B ereich der g rie ch isc h en T h eo log ie. H ier waren
es b e s o n d e r s die K a p p a d o k ie r , w e lc h e die E rk e n n tn i s d e r tr i n i t a r i s c h e n
G rü n d u n g der S ch ö p fu n g fö rderte n, aber auch sch on an U n te rs c h e id u n g e n der
sc h ö p f e ris c h e n F u n k tio n e n der drei g ö ttlic h e n P e rso n en d achten. So wies
B asiliu s d. Gr. (+ 379) dem Vater die v o rb ereiten d e U rsäch lic h k e it im S c h ö p ­
fu n g s v o rg an g zu, w äh ren d er dem Sohn die A u sfü h ru n g anträgt und dem G eist
die V ollendung der S ch ö p fu n g z u s p r ic h t18.
D iese noch sehr fo rm a listisc h a n m u te n d e n U n te rs c h e id u n g e n w erden von
A u g u stin u s (+ 430) in haltlich ang ereich ert. D er K irch en v ater von H ipp o läßt die
S ch ö p fu n g aus dem U rsp ru n g im Vater d urch das Wort, das der Sohn ist, hervor-

14 B arn ab . 16,8.
15 Adv. Haer. IV, 20,1.
16 Vgl. L. S ch effc zy k , S c h ö p f u n g un d V o rsehu ng , 44.
17 Adv. Haer. III, 24,2; IV, 20,1.
18 D e S p iritu S an cto 16,38.
gehen und d urch den H e ilig en G eist als die p e rs o n g e w o rd e n e G üte v o lle n d e t
w erden; den n der Vater sprach das „Es w e rd e “ , das daraus E n tsta n d e n e ist d urch
das W ort (den Sohn) gew orden, und es ist nur aus G u th e it g ew orden. „U n ter d ie ­
ser G u th e it ist der H eilige G eist zu v e rs te h e n “ '1'. So erfolgt die g änzlich e in h e i t­
liche au ß erg ö ttlich e W irk sam k e it in der S c hö pfun g doch in der O rd n u n g der
in n e r g ö ttlic h -trin ita risc h e n H e rvo rg äng e. D iese Ü b e rz e u g u n g setzt A u g u stin u s
(m it der g anzen Patristik ) in stan d, in der S c h öp fu ng nach trin itarisch en S pu ren
oder A b b ild ern zu suchen. A u g u stin u s find et sie vor allem in d er m e ta p h y sisc h e n
S icht der D in g e (E inheit, W ahrheit, Güte) und im g eistig en Sein des M en sch en
(G edä chtn is, E in sicht, L ie b e )20.
Die Wahrheit von der trinitarischen Rückbindung des Schöp­
fung saktes ging auch der Scholastik nicht verloren. In der Frühscho­
lastik gewinnt sie einen beredten Anwalt in der trinitarischen Schöp­
fungslehre des Rupert v. Deutz (+ 1135), für den die Schöpfung im
Vater entspringt, im Sohn ihren Sinngrund hat und im Heiligen Geist,
der Gen 1,2 präsent gedacht wird, ihre „formatio“ und „exornatio“
erfährt21. In der Hochscholastik verlieh Thomas v. Aquin (+ 1274) der
Wahrheit von der trinitarischen Schöpfung ihr volles Gewicht22. In
neuerer Zeit erfuhr sie u.a. von H. Schell (+ 1906)23, M. Schmaus
(+ 1993)24, J. Auer25, aber auch bei evangelischen Theologen26 die
gebührende Beachtung. Auch die N euscholastik räumte dieser
Wahrheit eine angemessene Stellung ein, auch wenn die Erklärung
nur auf dem Wege der Appropriation oder der Ähnlichkeit verlief27.
So wurde die Schöpfung als Werk der Allmacht dem Vater zugeord­
net, als Werk der Weisheit dem Sohn angetragen und als Tat der
Liebe mit dem Heiligen Geiste in Verbindung gebracht.
3) Die Lehre der Kirche
Im Verfolg dieser ungebrochenen und langanhaltenden Tradition
kam das Lehramt der Kirche zu einer definitorischen Festlegung der

19 D e civ, Dei XI, 24.


20 Vgl. M. S c h m a u s , Die p s y c h o l o g is c h e T r in itä tsle h r e des h ei l i g e n A u g u s ti n u s , 190-
194; 2 0 1 -28 1.
21 De T rin itate et o p e r ib u s eins I, 8.
22 S.th. I q.45 a.6 und 7.
23 H. S ch ell, Das W irken des D r e i e i n i g e n G o ttes, 84ff.
24 M. S c h m a u s , K at h o l i s c h e D o g m a t i k II, 1,60-75.
25 J. Auer, K K D III, 80-90.
26 So u.a. J. M o ltm a n n , G o tt in d e r S c h ö p f u n g , 106-109; W. P a n n e n b e r g , S y s t e m a t i s c h e
T h e o l o g ie II, 34-49.
27 Vgl. u.a. J. B r in k trin e , Die L eh re vo n d er S c h ö p f u n g , 41 f.
trinitarischen Verursachung und Vermittlung der Schöpfung. Die
Kirche erhob es zum förmlichen Glaubenssatz, daß die Trinität ein
einziges, gemeinsames Prinzip der Schöpfung sei (unum univer-
sorum principium: DH 800): „Sie allein ist der Ursprung von allem,
außer dem man keinen anderen finden kann “ (DH 804). Das Konzil
von Florenz (i.J. 1442) bekräftigte: „Sie [die Kirche] glaubt ganz
fest, bekennt und verkündet, daß der eine wahre Gott, der Vater, der
Sohn und der Heilige Geist, der Schöpfer alles Sichtbaren und
Unsichtbaren ist“ (DH 1333). Die Begründung dieser Wahrheit lag in
der zuvor schon (auf der 11. Synode von Toledo [begonnen 675]:
DH 531) erhobenen Erkenntnis von der Einheit aller göttlichen
Außentätigkeit (die Pius XII. in der Enzyklika „Mystici Corporis“
vom Jahre 1943: DH 3814 nochmals bekräftigte). Daran kann deut­
lich werden, daß die Kirche (im Gleichklang mit der traditionellen
Theologie) bei ihrer Lehrverkündigung an dem Gedanken von der
einen göttlichen Wirkursache orientiert war, welche der göttlichen
Natur oder dem göttlichen Wesen zukommt. Es ging ihr um die
Einheit des essentialen Aktes nach außen. Die Frage, ob die
Schöpfungstat darüber hinaus nicht auch unter Anhalt an die inner­
göttliche Ordnung der Hervorgänge und Beziehungen erklärt werden
könne, lag dabei nicht im Blickpunkt des Interesses, wurde aber auch
nicht abgewiesen.
So bietet sich hier der Theologie die M öglichkeit und Aufgabe,
die trinitarische Vermittlung enger an die drei Personen
anzuschließen. Die Erfüllung einer solchen Aufgabe kann sowohl für
die Weltzugewandtheit der Trinität als auch für den trinitarischen
Bezug der Schöpfung fruchtbar werden.

II. Die th eologische Begründung der trinitarischen


Vermittlung der Schöpfung
1) Bedeutung und Probleme der theologischen Auslegung
Der dogmatischen Theologie geht es aus dem eben angeführten
Grund um den tieferdringenden Nachweis, daß sich die Schöpfungs­
tat innerlicher mit dem dreipersonalen göttlichen Lebensprozeß ver­
binden lasse, als dies auf dem traditionellen Wege der Appropriatio­
nen geschah. Dieser Weg war insofern nicht müßig, als dadurch für
das Vorverständnis des Menschen und für die Ordnung der Erkennt­
nis eine gewisse Verschiedenheit der Beteiligung der göttlichen
Personen ermittelt wurde. Aber dem Glaubensdenken erscheint es zu
wenig, auf diese Weise den trinitarischen Weltbezug Gottes wie den
trinitarischen Sinn der Schöpfung erschließen zu können. Die
Appropriationen scheinen keinen Blick auf ein wirklich dreipersona­
les Schöpferwirken freizugeben und lassen keine objektive Diffe­
renzierung im Beteiligtsein der drei Personen zu28. Andererseits ist
anzuerkennen, daß sie mit dem Ernstnehmen der Einheit der göttli­
chen Außentätigkeit eine Grenze setzen, die auch von einem neueren
Erklärungsversuch nicht überschritten werden darf. Die drei Per­
sonen dürfen, unter dem Aspekt der causa efficiens betrachtet, nicht
als drei verschiedene Ursachen verstanden und dargestellt werden.
Gegen diesen Grundsatz scheint eine Auffassung zu verstoßen, wel­
che die Wechselseitigkeit des Verhältnisses der Personen in der
Trinität „nach außen“ verlegt und in der Außenwelt als verschiedene
Tätigkeiten oder Werke bezeichnet.
Das ge sc h ieh t bei J. M o ltm a n n ,d e r „bei allen opera trin itatis ad extra ... nach
den d am it v e rb u n d e n e n opera dei ad in t ra “29 fragt. Da die „o pe ra dei ad in tra “
u n te rsc h ie d e n sind, m ü ssen es fo lg e ric h tig auch die „ op era dei ad e x tr a “ sein;
denn der a llm äc h tig e und a llg e g e n w ä rtig e G ott ka nn gar kein „ A u ß e n “ h a b e n ’0
(was freilic h wohl n u r bei V erw e ndu ng einer dras tis c h e n a n th ro p o m o rp h e n
D en k w eise gesagt w e rd en kann). So w erd e n (sch olastisch gesp ro ch en ) die n otio-
n alen A kte mit den e ss en tiellen g leich ge se tzt. Es wird zw ar zu g egeb en, daß in
d er G e s c h ic h t e des R e ic h e s , in w e lc h e r sich d e r e ig e n t l i c h e S in n d e r
T rin itätsleh re enthüllt, „die drei g ö ttlic h e n S ub jekte Z u s a mm e n wi r k e n “ 31 als eine
m o ra lisch e G e m e in s c h a ft, aber sie v ollb rin g e n dabei ein je e ig en tü m lich es Werk,
so daß der G ru n d sa tz von der E in h e it der A u ß en tätig k eit eig en tlich au fg eg eb en
ist. D aru m en d e t der G e d a n k e n g a n g k o n se q u e n t in der B eh aup tun g; „Das
Sch ö p fu n g s w erk wird - gegen die au g u stin isch e T rad itio n - nich t nur dem Vater
‘a p p ro p r iie rt’, o bw ohl es Werk der g anzen D reiein ig k eit ist. Es ist u m g ek eh rt die
S c hö pfun g ein P ro d u k t der Liebe des Vaters und w ird dann der ganzen T rin ität
zu g e s c h r ie b e n “32. D araus resu ltiert am Ende die vom sch lich ten relig iösen
D enk en als real v ers tan d e n e T re nn un g, daß in der S c hö p fu ng das W erk des
Vaters, in d er V ersö hn un g das W erk des Sohnes und in der H e ilig u n g oder
E rlö sun g das Werk des G eistes zu sehen sei33.

28 D ie s e s U n g e n ü g e n stellt auch W. P a n n e n b e r g h erau s: a.a.O ., 19f.


29 T rin ität und R e ic h G o ttes , 127.
30 E b d a., 123.
31 E b da., 111.
32 E bd a., 128.
33 E b d a., 112.
A uf diese Weise kommt eine eigentlich trinitarische Begründung
der Schöpfung als solche nicht zustande, sondern nur eine trinitari­
sche Deutung des ganzen Weltprozesses, bei dem schließlich auch
schöpferisches und gnadenhaft-übernatürliches Wirken Gottes von­
einander nicht unterschieden werden.
E in en o rig in ellen V orschlag u n te r b re ite t auch W. P an n en b e rg , dem leg iti­
m e r w e ise an einer „A u sw e itu n g der V orstellung g öttlic he n H an d e ln s au f die inn-
e rtrin ita risc h e n B e z ie h u n g e n “ g eleg en ist. M it e in e m gew issen R ech t kritisiert er
an der tr a d itio n ellen T h eo lo g ie, daß sie m it ih rer H eran z ie h u n g der A p p ro p ri a ­
tion en im D un keln g elassen habe, „w ie diese im tr in itarisch en L eb en G ottes
selbst b e g rü n d e t“34 sind. O ffen sich tlich ist ih m an ein e r en geren V erbindung der
g ö ttlich en A u ß e n tä tig k e ite n m it den in n e r trin itariseh en V orgängen g eleg en, „so
daß den B e z ie h u n g e n des ein en G ottes zu den G e sc h ö p fe n und der G e sch ö p fe zu
ihm im m e r auch schon das g eg en seitig e H a nd eln der tr in ita risc h e n P erson en
zu g ru n d e lie g t“ 15. Das W elth an d e ln G ottes soll „ nich t ein v öllig a n d e re s “ sein als
das in n e rtrin ita risc h e Leben. D as sp ezifisch e in n e rtrin ita risc h e G e sc h e h e n z w i­
schen d em Vater und dem ew ig en Sohn w ird a b e r (unter Z u rü c k ste llu n g der k la s ­
sischen R e latio n e n le h re ) als „ S e lb s tu n te rs c h e id u n g “ des Sohn es vom Vater
b egriffen , in w elch e r der Sohn in ein em A kt d er D em u t „dem Vater allein e die
E hre g ib t“ ’6. N un w ird u n te r A b se h e n von den tr a d itio n e lle n V o rstellun gen der
L o g o sm ittle rsc h a ft, der h y p o sta tisc h e n W eish eit und der in ihr vo rg eb ilde ten
Ideen in dem G e sc h e h e n d er „ S e lb s tu n te rs c h e id u n g “ als solc hem das g e n e rie ­
ren de P rin zip der W eltdinge m it B ezu g a u f den Soh n und seine S c h ö p fu n g s m itt­
le rsch a ft g esehen. In d ie s er freien S e lb s tu n te rsc h e id u n g des Sohnes vom Vater,
als A k t des G eh o rsam s und der D em u t vers tan d en , ist auch das D asein g eschö pf-
lich er W irk lich keit b eg rün det, weil G e sc h ö p flic h k e it w esen tlic h die „ G e m e i n ­
schaft m it G ott d urch A n n a h m e der eige ne n U n te rs c h ie d e n h e it von ih m “ besagt.
In der „ S e lb s tu n te rs c h e id u n g “ 37 ist n äm lich „das P rin zip der B e s o n d e rh e it“ a n g e ­
legt, das n ich t n ur für den L o go s, sondern auch für die G esc h ö p fe gilt. So wird
der So hn durch seine in n e r trin itarisch e „ S e lb s tu n te rs c h e id u n g “ (die eine F o rt­
setzu ng in seiner M e n s c h w e rd u n g findet) nich t nur zum U rbild, so nd ern auch
zum U rsp ru n g allen g esch ö p flic h e n Seins. A u f d ie sem E rk lä ru n g sw e g e w ird die
S ch ö p fe rtä tig k e it dem So hn n ich t m eh r nur ap p ro p riie rt, so ndern eine e ig e n t ü m ­
liche B eteilig u n g des Soh nes an der S ch ö p fe rtä tig k e it des Vaters au fg ew iesen ,
die ihm eb enso eig e n tü m lic h zu k o m m t wie sein in n ertrin ita risc h e s L eb en in
U n te rs c h e id u n g und E in ig u n g zum Vater.

Es ist nicht zu bestreiten, daß in dieser Erklärung die Schöpfer­


rolle des Sohnes ganz eng mit seiner innertrinitarischen Stellung ver­
bunden wird und daß beide Vorgänge einander beleuchten und
erklären. Trotzdem wird man an diesen eigenständigen Versuch

34 S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 19.
35 E b d a., 19.
36 E b d a., 37.
37 E b d a., 44.
zunächst die Frage stellen, ob im Begriff der „Selbstunterscheidung“
wirklich ein schöpferisches Moment angelegt gesehen werden kann
und ob der Begriff der göttlichen Schöpfung mit dem Begriff der
Unterscheidung getroffen ist. Es scheint, daß in diesem Konzept das
eigentliche Schöpfertum doch dem Vater Vorbehalten bleibt, während
der Sohn (in Gehorsam und Demut) nur zur Unterschiedenheit der
Weltendinge beiträgt, die er danach zusammen mit dem Geist wieder
zur Einheit „sammelt“. Eine solche Erklärung aber führt zu der w ei­
teren Frage, ob Sohn und Geist bei der Schöpfung wirklich dasselbe
tun wie der Vater, oder ob sie nicht doch, wenn auch in höchster
Gemeinschaft, etwas anderes tun. Das aber würde dem Grundsatz
(bzw. dem Glaubenssatz) von der Einheit des göttlichen Wirkens aus
einem einzigen Prinzip nicht entsprechen, wobei es in der Tat um
eine numerische Einheit derselben Handlung geht, nicht um eine
moralische Einheit wie etwa beim gemeinschaftlichen Wirken dreier
menschlicher Subjekte an einer Sache. An diesem Punkte wird deut­
lich, daß die Einheit des göttlichen Wirkens nach außen im geschöpf­
lichen Bereich ohne Beispiel ist und daß sie etwas von der Geheim-
nishaftigkeit der göttlichen Wesenseinheit der drei Personen an sich
hat.
2) Die innertrinitarische Ordnung als Ausgangspunkt
Grundlage für ein Schöpfungs Verständnis, das unter Wahrung des
einzigen göttlichen Prinzips des Schöpfungsgeschehens doch eine
trinitarische Vermittlung sichtbar werden läßt, ist die Anerkennung
der Wahrheit, daß die Schöpfungstat mit dem dreipersonalen göttli­
chen Lebensprozeß verbunden ist, so daß die Erschaffung in Ent­
sprechung der innergöttlichen Hervorgänge und Beziehungen ge­
schieht. Diese Überzeugung hat schon Augustinus in die Formel
gefaßt: „Vom Vater durch den Sohn im Heiligen Geist“38. Thomas
nimmt eine gewisse Erweiterung der Formel vor, wenn er unter
Heranziehung des Bildes vom Künstler, der mit Intellekt und Willen
schafft, feststellt, daß der „Vater die Kreatur geschaffen hat durch
sein Wort, welches der Sohn ist, und durch seine Liebe, die der
Heilige Geist ist“. Daraus folgert er: „Deshalb sind die Hervorgänge
der Personen der Grund für die Erschaffung der Kreaturen“39. Dies
besagt, daß in der Schöpfung die personalen Hervorgänge mit be­
stimmend und mit am Werke sind. Der Aquinate führt diesen Grund­
satz noch weiter aus, indem er den Grund für dieses Erschaffen nach
der Ordnung der Hervorgänge benennt. Er liegt darin, daß der Vater
die virtus creandi nicht von einem anderen, sondern im ursprungslo­
sen Selbstbesitz zu eigen hat, der Sohn sie vom Vater und der Heilige
Geist sie von beiden empfängt. So erfolgt das gemeinsame Schöp­
fungshandeln auf der Basis der gegenseitigen Beziehung der Per­
sonen.
Das haben Thomas und viele in seiner Nachfolge begrifflich
geklärt, sie haben es aber nicht mit Realität gefüllt, etwa durch die
diesbezüglichen Aussagen der Väter und der patristischen Tradition.
Die inhaltliche Ausfüllung dieser abstrakten Formeln wird deshalb
vor allem von den Schriftaussagen ausgehen müssen.

III. Die theologische Explikation der personalen


Besonderungen im Schöpferhandeln
l)D ie Schöpfung als „Werk des Vaters“
Die traditionelle Theologie hat im Anschluß an die verbindlichen
Glaubensbekenntnisse der Kirche die Schöpfung in besonderer Weise
dem Vater zugeschrieben (appropriiert) und dies damit begründet,
daß der ursprungslose Grund des göttlichen Wesens und des göttli­
chen Handelns im Vater gelegen ist, was sowohl für die notionalen
Akte (des Erzeugens des Wortes und des Spirierens des Geistes) als
auch für die essentialen Akte der Erkenntnis und Liebe zu den
Geschöpfen gilt. So darf die Schöpfung gleichsam als freigewollte
zeitliche Fortsetzung des innertrinitarischen Erkennens und Liebens
des Vaters verstanden und als diesen Akten verwandt angesehen wer­
den. Darum konnte dem Vater auch in besonderer Weise die für das
Schöpfungswerk erforderliche Allmacht zugeschrieben werden, aber
auch der Ratschluß zum Erschaffen40.

39 S .th. I q.45 a.6.


40 So u.a. B asilius, D e S p iritu S an cto , 16.
Unter Berücksichtigung der zuvor genannten Schriftaussagen
über das Verhältnis des Vaters zur Schöpfung (Mt 5,17; 5,45; 11,25;
Joh 5,17; Apg 4,24; 1 Kor 8,6) kann die Ähnlichkeit zwischen dem
innergöttlichen Erzeugen und dem außergöttlichen Wirken des Vaters
noch verdeutlicht und die Bedeutung der Vaterverbindung der
Schöpfung vertieft werden. Der Ausgang der Schöpfung vom Vater
als dem Urquell allen Lebens macht die Schöpfung als von Gott
abkünftig und in ihm gründend. Diese Abkünftigkeit kann (beim
Festhalten am theologischen Begriff der Schöpfung) ohne Gefahr des
Emanatianismus behauptet werden, wie ja auch Thomas v. Aquin
ohne Befürchtung eines Irrtums von einer „processio“ und einer
„emanatio“ der Dinge aus Gott spricht41. Wenn G. Fr. W. Hegel
(+ 1831) in seiner Religionsphilosophie gelegentlich die Welt mit
dem Sohn Gottes identifiziert (weil Gott sich nach diesem System in
der Welt entäußern mußte42), dann liegt zwar darin eine Übertrei­
bung, die aber im christlichen Glauben auf ihren wahren Kern
zurückgeführt werden kann. Der Hervorgang der Schöpfung aus dem
Vater setzt die Welt und zumal den Menschen in ein Sohnesverhältnis
zum Vater. Sie wird dadurch zwar nicht zum „eingeborenen Sohn
Gottes“ (Joh 3,16), aber sie tritt doch in eine geschaffene Sohnschaft
ein, für die (unter Vermittlung des Menschen) die Auszeichnung gilt:
„Ihr alle seid Söhne des Höchsten“ (Ps 82,6), ein Gedanke, der seine
eigentliche Bedeutung in bezug auf die vom einzigen wahren Sohn
gewirkte gnadenhafte Adoptiv-Sohnschaft gewinnt, der aber auch
von der natürlichen Schöpfung gilt, zumal diese auf das Werk des
Sohnes seit Ewigkeit ausgerichtet ist.
D er A u sg an g der S ch ö p fu n g vom Vater, der an seiner P erson die A llm a c h t
und A b so lu th e it G ottes, aber auch seine H errlich k eit und G üte a ufg eh en läßt,
v erle ih t dem G esc h a ffe n e n eine neu e h öh ere S in nh aftig keit. An der A llm a c h t und
A b so lu th e it des Vaters geht z u n ä c h st die totale A b h ä n g ig k e it und K o n tin g en z der
W elt auf, an sein er H e rrlic h k e it und G ü te die gesch en kte W ü rd e und das a n te i l­
hafte G utsein der D inge. Wenn aber die S chö pfu ng nich t als m o m e n ta n e r A kt
und als bloß es U rsp ru n g s e re ig n is v erstan d en , sondern als an d a u e rn d es und in der
G esch ich te w e ite rg e h e n d e s g öttlich es H an de ln geg laub t w ird, dann w ird die
Welt als G e sc h ic h te in je n e n P rozeß h in e in g e z o g e n , der au f die E rrich tu n g des
R eic h es G ottes g e ric h te t ist und a u f je n e V ollendung, in der G ott, dem Vater,

41 S.th. I q. 4 4 u n d 45.
42 V o rlesu n g en ü b e r die P h i l o s o p h i e der R e lig io n I (hrsg. vo n G. L a ss o n ) L e ip z ig 1925,
221.
alle s ü b e r g e b e n w ird , „dam it G o tt herrscht über alles und in allem “
(1 Kor 15,28).

So vermag der Gedanke an die Schöpfung als „Werk des Vaters“


sowohl die Erkenntnis der Distanz des Endlichen zur Unendlichkeit
des Göttlichen zu vertiefen, als auch die Größe und Würde der
Schöpfung in Abhängigkeit vom Vater zu erschließen. Alles, was
über diese Distanz und Nähe zu ermitteln ist, kommt zuletzt aus der
Wahrheit, daß die Welt in die Beziehung des Vaters zum Sohn einge­
schlossen ist und daß jene Urbewegung, die der Vater als Ursprung,
als Erzeugen, als Erdenken und Sprechen des Wortes auslöst, auch
schon jedes Geschöpf in sich schließt.
2) Die Schöpferrolle Christi
Die trinitarische Vermittlung der Schöpfung gewinnt eine neue
Bedeutung und Sinnhaftigkeit vermittels der Schöpferrolle Christi43.
Auf dem Grund der schon genannten johanneischen und paulinischen
Aussagen (s.o.) läßt sich die Schöpfungsmittlerschaft Christi, die bei
Johannes auf den praeexistenten Logos geht, die bei Paulus auch den
menschgewordenen verklärten Kyrios einbezieht, in ihrer reichen,
den Sinn der Welt und des Menschen betreffenden Bedeutung entfal­
ten. Während Paulus Röm 11,36 am Schluß seiner Erörterung des
G eheim nisses der Stellung Israels in der H eilsgeschichte die
Schöpfung auf ihre Geschichte noch ganz aus der Tiefe und Weisheit
des Vatergottes ableitet („denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin
ist die ganze Schöpfung“), erfolgt in dem Bekenntnis 1 Kor 8,6 eine
christologische Differenzierung: Sie erfährt im Christusgeheimnis
des Kolosserbriefes (Kol 1,15-18 a) eine gewisse Ergänzung. Faßt
man diese Aussagen über die M ittlerrolle Christi bei der Schöpfung
(deren Einzelexegese schon bei der neutestamentlichen Grundlegung
der Schöpfungslehre erfolgte: vgl. § 5, 11,2) in einer der Systematik
angenäherten Weise zusammen (die so von der Exegese nicht inten­
diert wird), dann ergibt sich eine weite Perspektive bezüglich der
Schöpfungsmittlerschaft Christi, in der ihre Eigenheit vor allem
gegenüber dem von absoluter Ursprünglichkeit gekennzeichneten
Schöpfungstun des Vaters deutlich zum Vorschein kommt. Während

43 Vgl. Fr. M uß ne r, D ie S c h ö p f u n g in C h r istu s , 455.


der Vater in der Stellung der schlechthinnigen Erstursache auftritt,
erscheint der Sohn (wenn man diesen Begriff hier zu Hilfe nehmen
will) in der Position einer instrumentalen Ursache44. Sie kann aber
nicht in die Ordnung eines geschaffenen Werkzeuges eingereiht w er­
den, sondern ist Ausdruck der persönlichen Eigentümlichkeit des
Sohnes beim Schöpferwirken45.
Unter dogmatischem Aspekt können den christologischen Be­
stimmungen des „in ipso“ und des „per ipsum“ aber noch gewisse
Nuancen abgewonnen werden. Die Schöpfung „in Christus“ läßt sich
aus dem im Hintergrund erkennbaren gnostisch-platonischen Gegen­
satz als Ausdruck der Unmittelbarkeit der Schöpfung in Gott verste­
hen. Das aus dem Urgrund des Vaters hervorgehende Geschaffensein
besagt zunächst die Aufrichtung einer Distanz zum Schöpfer, die
vom Geschöpf nicht negiert werden kann. Aber sie weckt im Ge­
schöpf das Streben nach Annäherung und Vermittlung, das dem reli­
giös-philosophischen Denken der alten Welt durch die Einführung
von M ittelwesen erfüllt schien, das aber so doch eine unüberbrück­
bare Trennung vom göttlichen Ursprung anerkennen mußte. Das
christliche Denken erkannte die Notwendigkeit der Vermittlung auch
an, konnte aber nur eine solche gelten lassen, welche den direkten
Bezug zu Gott nicht hinderte. Diese Vermittlung in Unmittelbarkeit
leistet der Logos, der von Ewigkeit her zur Menschwerdung be­
stimmt war. So knüpfte der menschgewordene Sohn das unauflösli­
che Band zwischen Gott und der Schöpfung, das die Gottinnigkeit
der Schöpfung und ihr Insein in Gott bei bleibender Wesensver­
schiedenheit garantierte46.
Die Schöpferrolle Christi läßt sich in Anlehnung an die zitierten
Texte dogmatisch aber auch nach der Seite der Urbildlichkeit und der
Exemplarität ausfalten. Als der „Erstgeborene der ganzen Schöp­
fung“ (Kol 1,15) ist er zugleich „das Ebenbild des unsichtbaren
Gottes“ (Kol 1,15a). Demgemäß ist Christus, wie das menschgewor­
dene „Wort“ des Johannesevangeliums, durch welches „alles gewor­

44 E b d a ., 455; vgl. auch: D ers., C h r is tu s , das All und die K ir c h e , 29-33; vgl. a uch
Fr. L ang , D ie B r i e f e an die K orin ther, 1 lOf.
45 E b d a., 4 5 5 - 4 5 8 ; 45 9 - 4 6 1 ; vgl. h ier a u c h die E x eg ese zu H e b r 1,2 u nd Jo h 1,1-4.
46 Vgl. H. U. v. B a lth as ar, T h e o l o g ik II, 288.
den ist“ (Joh 1,3), auch als das Urbild der Schöpfung zu betrachten,
nach dem die Welt geformt und gestaltet ist.
D ie trad ition elle T h e o lo g ie hat den G e d a n k e n entw ic k e lt, daß G o tt die Welt
nach dem V o ran leu chten ein er Idee g e sc h a ffe n hat, in der die E in z e lid e e n der
D in ge e in g e s c h lo ss e n w aren. Sie hat diese n G ed an k en u nter V erw end un g der
A u ssa g e n des A lten T e stam en ts üb er die W eisheit G ottes, die an der S chö pfun g
b ete ilig t war (nach S pr 3 ,1 9 ff.; 8,27; W eish 7,21; Ps 104), als w ichtig erachtet,
um d a rzu tun , daß die S c h ö p fu n g kein n o tw e n d ig e s und irration ales G esch eh en
eines b lin d en D em iu rg en ist, son d ern daß sie ein em g eistigen , w eish eitsv o llen
G e d a n k en G ottes en tsp ring t. D araus hat sie dann auch die In tellig ib ilität, die
S c h ö n h e it und O rd nu ng des K osm o s abg ele itet. Von d iesem G ed an k en h er w urde
„ S c h ö p fu n g “ auch ein „ d o x o lo g is c h e r“ B egriff, d.h. eine W ahrheit, die zur
F reud e am S eie n d en und an G o tt b eflüg elt, so be so n d ers in den N a tu rp s alm e n
und in der L iturgie. A b e r sie tat das w en ig e r m it dem H inw eis darauf, daß diese
Id ee k o n k re t und real der L o go s des Vaters se lbst ist47.

Aus dem „Auf-ihn-hin“ (eis auton: Kol 1,16; 1 Kor 8,6) läßt
sich auch die Zielursächlichkeit Christi ableiten. Exemplar- und
Ziel-ursächlichkeit sind voneinander nicht zu trennen. So stand der
menschgewordene Sohn auch als das Ziel und als die höchstmögliche
Verherrlichung Gottes vor den Augen des Schöpfers. Das ist der
irenäische Gedanke, daß der zur Menschwerdung bestimmte Logos
der Urgedanke des Vaters war, der damit auch die Summa creaturae
bildet, auf die hin alle anderen Geschöpfe ausgerichtet sind und in
der sie ihr Sinnziel besitzen.
Diese Bestim m ungen, die aus der Schöpfungsm ittlerschaft
Christi als Urbild und Ziel der Welt abgeleitet werden können, finden
ihre nochmalige Bestätigung in der Kennzeichnung Christi als des
Alphas und des Omegas der Schöpfung, insofern der Apokalyptiker
alle Gottesprädikate auch auf Christus anwendet (Offb 1,8; 22,3). Als
das A und O faßt Christus das ganze Alphabet der Wirklichkeit
zusammen und ist für sie sowohl Ursprung als auch Ziel. Für die
Stellung des Menschen in der Schöpfung ist dies von wesentlicher
Bedeutung.
Die christologische Begründung des Schöpfungsgedankens ist
gegenwärtig auch ein erklärtes Anliegen evangelischer Theologen48,

47 Vgl. L. S ch e f fc z y k , Die W elt als S c h ö p f u n g G ottes , 92.


48 V g l. d a z u u.a. K. B a r t h in d e r V e r k n ü p f u n g v o n „ S c h ö p f u n g un d B u n d “ :
D o g m a t i k I I I / 1, 4 4-3 7 7; J. M o l t m a n n , G o tt in d er S c h ö p f u n g , 10 6 f .; W. P an n e n b e r g ,
S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie 11,42-48; W. L ü tg e rt, S c h ö p f u n g und O f fe n b a ru n g , 138-140.
die bei der Verknüpfung von Protologie, Christologie und Escha­
tologie innerhalb der Geschichte des Reiches Gottes allerdings gele­
gentlich die naturhaft-kosmische Stellung Christi von seiner Er­
löserrolle zu wenig unterscheiden.
3) Der Geist im Werk der Schöpfung
Obgleich der katholische Glaube in der Liturgie den „Schöpfer­
geist“ verehrt und preist (vgl. das „Veni Creator“ im Stundengebet
des Pfingstfestes), bringt ihn die Dogmatik mit der göttlichen
Schöpfungstat als solcher nur wenig in Verbindung. Der Grund mag
in der stereotypen Formel bezüglich der Appropriationen gelegen
sein, in welcher dem Heiligen Geist das Werk der Heiligung zuge­
sprochen wird. So wird faktisch das Wirken des Geistes nur in der
Heiligung der Schöpfung im Zusammenhang mit der durch Christus
gewirkten Erlösung zur Geltung gebracht.
Die angeführten biblischen Zeugnisse (s.o.) rechtfertigen ein sol­
ches Vorgehen nicht. Auch wenn bei der Verwendung des zweiten
Verses der Genesis für das Schöpfungswirken des Heiligen Geistes
Zurückhaltung geboten ist49, so verlangt der Glaube an die trinitari-
sche Vermittlung der Schöpfung auch den Nachweis des Wirkens des
Geistes gemäß der Ordnung seines Hervorganges. In der Tradition ist
dieser Gedanke verankert, so u.a. bei Gregor v. Nazianz (+ um 390),
nach dem in dem einen göttlichen Schöpfungsakt der Vater den
Ratschluß faßt, der Sohn das „M itwirken“ vollzieht und der Geist das
„Beleben“ wirkt50. Nach Johannes v. Damaskus (+ 750), der von
Ps.-Dionysius-Areopagita angeregt ist, wird der Schöpfungsgedanke
des Vaters durch das Wort vollbracht und durch den Geist vollendet51.
Insofern die innertrinitarische Prozession des Geistes das göttliche
Leben in der gegenseitigen Hinneigung der beiden Personen zur
höchsten Blüte, zur Steigerung und Vollendung bringt, wird ihm mit
Recht bezüglich der Kreaturen das erfüllende, beseelende und bele­
bende Wirken zugeschrieben, das in der Heiligung seinen Gipfel
erreicht, aber eben schon in der Schöpfung anhebt. Trinitätstheolo­

49 N a c h B. I. H ilb e r a th sollte eine so lc h e Z u rü c k h a l t u n g ab e r n ic h t zu ein er v o r s c h n e l ­


len E i n s c h r ä n k u n g des B e d e u t u n g s s p e k t r u m s f ü h ren : P n e u m a t o l o g i e : H a n d b u c h der
D o g m a t i k I (hrsg. von T h .S c h n e i d e r) , 458.
50 Orat. th eo l. 2,1.
51 De fide orth. 1,8; 11,2.
gisch geurteilt, ergreift die Selbsthingabe des Vaters und des Sohnes
im Geist auch die Schöpfung und in Sonderheit den Menschen und
läßt den Geist schon als Prinzip des geschöpflichen Seins und Le­
bens präsent werden.
Bei der Explikation dieses Grundsatzes (der wie die Lehre von
den Appropriationen im ganzen nicht den Verbindlichkeitscharakter
eines Dogmas besitzt) vermag die Theologie eigene Entwürfe vorzu­
legen, die ihre Stimmigkeit an der Norm des innertrinitarischen Be­
zugs ausweisen müssen. Den universalistischen Impetus des Heiligen
Geistes betont Johannes Calvin (+ 1564), wenn er den Geist als den­
jenigen erhebt, „der sich über alles ausbreitet, der alle Dinge im
Himmel und auf Erden im Dasein erhält, sie belebt und ihnen die
innere Kraft verleiht“ in seiner „Macht, allen Wesen Sein, Leben und
Bewegung einzuflößen“52. Von dem dieser Sicht verpflichteten
K. Barth angeregt, erwägt H. U. v. Balthasar, den Geist als jenen
anzuerkennen, „der die Existenz der Kreatur als solcher ... möglich
macht, der ihr das Existieren erlaubt, der sie in ihrem Existieren
trägt, auf den sie in ihrem Existieren angewiesen ist“53. Daraus erge­
ben sich Folgerungen für Welt und G eschichte, die bis zur
Einbeziehung des Gedankens der Evolution reichen.
D ie b ib lis ch e A u ffa ss u n g vom b e le b e n d e n P rinz ip des G eiste s in der
S c h ö p fu n g v erb ind et W. P a n n e n b erg in o rig in e lle r W eise mit dem A n lieg en
m o d e r n e r N atu re r k lä ru n g üb er die m aterielle n E rsc h e in u n g e n als M a n i fe s t a ti o ­
nen von K raftfeld ern , hin te r d enen ein ein zig es k o sm isc h e s K raftfeld verm ute t
wird. So wäre die D y n a m ik des G eistes in d er S ch ö p fu n g als E n tfa ltu n g ihrer
k o n tin g en ten M ö g lich k eiten , als Integ ratio n aller E reig n isse und als G ew äh ru ng
ih rer D au er m it dem Ziel der Teilhabe an der E w ig k e it zu v e rs te h e n 54. F reilich
dürfte der G eist dabei nich t als in R aum und Z eit w irken de N a tu rk o n s tan te
ers ch ein en , son dern m ü ß te als tr a n s z e n d e n ta le r U rgrun d des G e sch eh en s g e ­
w a hrt bleiben.
W enige r von ein er natu rh a fte n als von ein e r m eh r g e sc h ic h tsm ä c h tig e n
W irku ng des G eistes im S c h ö p fu n g s g e sc h e h e n geht z.B. J. B. H ilb erath aus, der
den G eist als „von G o tt in sein e r Z u w e n d u n g zum M en s ch en g e sch en k te L e ­
b e n s m ä c h ti g k e it“ u m sch reib t, als K raft, die „Israel zu n eu er L e b e n d ig k e it h ilft“ ,
und M acht, die „g e isterfü llte G e m e in s c h a f t“55 stiftet. A m n a c h d rü c k lic h s te n hat

52 I n stitu tio I, 13,14.


53 K. Barth, K ir c h lic h e D o g m a t i k 111/1,60; H. U. v. B a lth as ar, T h e o l o g ik III, 386f.
54 W. P a n n e n b e r g , S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 9 9 -1 24 ; ders., G eist als F eld - nu r eine
M e ta p h e r? , in: T h P h 71 ( 1 99 6 ) 25 7 -2 6 0 . .
55 J. B. H ilb er ath , P n e u m a t o l o g i e , 45 9f., vgl. auch Th. F re yer, a.a.O ., 127-160.
d iesen G ed a n k en der g e sc h ic h tsm ä c h tig e n K raft des S ch ö p ferg eistes J. M o l t­
m an n h e ra u s g e a rb e ite t, für den der G eist auch eine K enose in die L e id e n s ­
gesch ic h te der S c h ö p fu n g h in ein vollz ieht, so daß „aus d ieser L e id e n sg e sc h ic h te
eine H o ffn u n g s g e s c h ic h te “56 wird.
Im Grundsätzlichen besitzen diese Erklärungen einen Konver­
genzpunkt und können (ohne Übernahme aller bei einzelnen Autoren
einbezogenen Konsequenzen) im Hinblick auf diesen legitimiert
werden: Der Geist als Schöpfungsprinzip teilt der Schöpfung die in
seinem innertrinitarischen Hervorgang gründende Macht der Liebes-
vereinigung, der höchsten Belebung, Durchseelung und Vervoll­
kommnung mit. Als „Siegel“ der Gottheit verleiht er auch dem ge­
schöpflichen Sein seine Bestätigung, seinen Bestand, seine sinnvolle
Gestalt und seine zielstrebige Entfaltung, dies alles in der Weise der
Hineinnahme der Geschöpfe in die Liebesbewegung zwischen Vater
und Sohn, die er, der Geist, in Person ist. Er wirkt so seine verinner­
lichende und vollendende Macht auf die Schöpfung aus und bereitet
damit seine übernatürliche Heils Wirksamkeit vor, die erst in der
Sendung durch Vater und Sohn geschieht.
An der schöpferischen M itteilung des Heiligen Geistes kann am
Ende nochmals der unaufgebbare Grundsatz verifiziert werden, daß
die trinitarische Begründung der Schöpfung keine Dreiteilung der
Wirkursache bedingt, sondern eine je eigene Beziehung und ein
besonderes Verhalten der Personen zur Schöpfung besagt, das den
Sinn der Appropriationen vertiefen kann.
4) Trinitarische Abbildlichkeit?
Die Frage ist nach der inhaltlichen Seite schon in der Trinitäts­
lehre erörtert worden57. Die an dieser Stelle erfolgende Erinnerung
kann nur darauf verweisen, daß die trinitarische Begründung der
Schöpfung in der Verbindung der innergöttlichen Hervorgänge mit
dem daraus sich ergebenden besonderen Schöpfungsbezug der drei
Personen dem Gedanken von der trinitarischen Abbildlichkeit der
Schöpfungsdinge ein zusätzliches Argument beibringt. Das Interesse
an der Anerkennung der Welt als eines „Dreifaltigkeitsspiegels“58,

56 J. M o l t m a n n , G o tt in d er S c h ö p f u n g , 114.
57 Vgl. Bd. II, § 18, IV: G e s c h ö p f l i c h e A b b ild e r der Trinität.
58 So J. Auer, K K D III, 88.
das sich von der patristisch-augustinischen Tradition über Thomas,
Bonaventura, Nikolaus v. Kues bis zur Gegenwart hinzieht (und auch
bei Luther angelegt ist59), beweist ein tiefreichendes Interesse des
gläubigen Denkens, den trinitarischen Bezug der Schöpfung als die
Wirklichkeit betreffend zu erweisen. Deshalb nimmt Thomas keinen
Anstand, den Satz Augustins zu wiederholen, „quod Trinitatis vesti-
gium in creatura apparet“60.
Der Sinn dieses Grundsatzes ist dahingehend einzugrenzen, daß
bei Verwendung geschöpflicher Trinitätsanalogien deren grundsätzli­
che Inkongruenz zugegeben werden muß. Zunächst besitzen die aus
Natur, aus Kultur und Religion gefundenen Bilder nicht alle die glei­
che Aussagekraft (am höchsten stehen die Analogien aus dem
menschlichen, sich auf Gott ausstreckenden Geistesleben), zum
anderen eignet ihnen keine eigentliche Beweiskraft. Sie entstammen
nämlich einem bereits gewonnenen Trinitätsglauben, der sich ver­
mittels solcher Analogien das Geheimnis denkerisch näherzubringen
und ihm eine gewisse W ahrscheinlichkeit abzugewinnen sucht. Doch
sind diese Versuche nicht als müßig zu betrachten; denn zumal in
einer Zeit des Empirismus und Positivismus, in der die Schöpfungs­
dinge nur noch in ihrer Vereinzelung und ihrer sinnenhaften
Gegebenheit aufgenommen werden, erschließen diese Bilder die tie­
fere W irklichkeit der Dinge, die auf das Göttliche selbst verweist
(auf ihre Logizität und ihre Geistbestimmtheit), ohne dieses direkt
erreichen zu können. Aber schon das Streben danach und die Aus­
richtung darauf besitzen eine heuristische Funktion auf dem Weg
zum Verstehen der Gottinnigkeit der Welt und der Weltinnigkeit
Gottes.

§8 :
Die Souveränität des göttlichen Schöpferhandelns
in der „creatio ex nihilo“
L iteratur: K. B arth, D ie ch ristlic he D o g m a tik III/3: Die L eh re von der
S c h ö p f u n g , Z ü ric h 1950; H. M ey er, A b e n d lä n d is c h e W e lt a n s c h a u u n g IV,
P ad erb o rn 1950; H. H em p el, D er M en sch in se in er G eg en w art. A cht histo risc h e

59 Vgl. K. B arth, a.a .O ., 355.


60 S.th. I q.45 a.7.
E ssay s, G ö ttin g e n 21955; O. Weber, G ru n d lag en der D o g m a tik I, N eu k irc h e n
1955; G. v. Rad, Das erste B uch M ose (Das A lte T estam ent D eu tsch 2,4),
G ö ttin g e n 51958; M. H eidegger, Was ist M eta p h y sik ?, F ra n k fu rt a.M. 81960;
A. A n tw eiler, D ie A n fa n g lo s ig k e it der Welt nach T h o m as v. A q u in und K ant,
2 Bd.e, T rier 1961; H.-E. H en g sten b e rg , E v olu tio n und S c hö pfun g, M ü n ch en
1963; L. G ilkey, D er H im m el und E rde g em a c h t hat: D ie c hristlich e L eh re von
der S c h ö p fu n g und das D enk en u n serer Zeit, M ün ch en 1971; H. M. S ch m id t,
S c hö pfun g, G erec h tig k e it und Heil. S c h ö p fu n g s th e o lo g ie als G e sa m th o riz o n t
b ib lis c h e r T h eo lo g ie, in: Z K T h 70 (1 973) 1-19; H. Schlier, D er R ö m e rb r ie f
(H erders theol. K o m m e n ta r zum N e u e n T estam ent VI), Freib urg 1977; G. May,
S ch ö p fu n g aus dem N ichts, B erlin 1978; E. W ö lfel, Welt als S c hö pfu ng , Zu den
F u n d a m e n ta ls ä tz e n der c h ristlic h e n S ch ö p fu n g s leh re h eu te, M ü n ch en 1981;
W. L u tgert, S ch ö p fu n g und O ffen ba ru ng . Eine T h e o lo g ie des ersten A rtikels,
G ieß en 21984; L. S cheffczyk, P ro z e ß th e ism u s und c h ristlic h e r G o ttes g lau b e, in;
M T h Z 35 (1 984) 81-104; A. N. W. W h iteh ead , P rozeß und R ealität. E n tw u rf
einer K osm o lo g ie, F ran k fu rt a.M. 21984; J. M o ltm ann , G ott in d er S chö pfu ng .
Ö k o lo g is ch e S c h ö p fu n g s leh re , M ü n c h e n 1985; J. B. M. W issing (H rsg.), The
E tern ity o f the W orld in the T h o u g t o f T h om as A quinas, L o nd on 1990; Chr. L ink,
S c h ö p fu n g . S c h ö p f u n g s th e o lo g i e in r e f o r m a t o r i s c h e r T ra d itio n ( H a n d b u c h
S y ste m . T h e o lo g i e 7 /1 ) , G ü t e r s l o h 1991; W. P a n n e n b e r g , S y s t e m a t is c h e
T h e o lo g ie II, G ötting en 1991; R. H oep s, T h eo p h a n ie und S c h ö p fu n g s g ru n d . D er
B eitrag des Jo h an n es Scotus E riu g e n a zum V erständnis der creatio ex nihilo, in:
T h P h 67 (1992) 161-191; R. K o lte rm an n , G ru n d z ü g e der m o d e rn en N a tu r p h i lo ­
sophie. E in k ritisch er G e sa m te n tw u rf, Fran k fu rt a. M. 1994; R. H ü n telm an n ,
S ch elling s P h ilo so p h ie der S c hö pfu ng . Z u r G esch ich te des S ch ö p fu n g s b eg riffs,
D e tte lb a c h 1995.

Die Theologie hat von früh an die Eigenart des trinitarischen


Schöpferhandelns Gottes mit dem Begriff der „creatio ex nihilo“ ver­
knüpft. Dies erscheint zunächst wie eine Einengung des einzigarti­
gen geheimnishaften Vorgangs in ein philosophisches Konstrukt, das
in der Schrift als solches nicht vorhanden und das selbst weiterer
Erklärung bedürftig ist. Doch ist die Formel von der Tradition in un­
ablässigem Bemühen theologisch so angereichert worden, daß sie für
das Verständnis des Geheimnisses aussagekräftig erscheint: Was den
unter dieser Formel zum Ausdruck gebrachten Vorgang angeht, so hat
Luther von ihm gesagt: „Der Artikel der Schöpfung der Dinge aus
dem Nichts ist schwerer zu glauben als der Artikel von der
Inkarnation“ 1. Der Grund für diese Annahme war für den Reformator
darin gelegen, daß die Schöpfung an keine Voraussetzung anknüpfen
kann und keine Vermittlungsinstanz kennt (wie sie bei der Inkarna­
tion die Menschheit des Sohnes bildet), sondern ohne jeden Über­
gang und jede Vermittlung den Abgrund zwischen dem Nichts und
dem Sein aufreißt und zugleich überwindet2. Von daher aber erweist
der Begriff der „creatio ex nihilo“ gerade seine Eignung für die
Feststellung des Geheimnisses der Schöpfung.

I. Zur Begriffsgeschichte3
l)D ie Nähe zum biblischen Denken
Daß das lateinische Begriffssymbol als solches in den Texten der
biblischen Urgeschichte nicht vorkommt, ist wegen seiner philoso­
phischen Fassung nicht verwunderlich. Aber die Darstellung des
Schöpfungsgeschehens durch die Priesterschrift läßt doch die Eigen­
art des Handelns des Schöpfergottes erkennen, das analogielos ist.
Die Mühelosigkeit dieses göttlichen Tuns, verbunden mit der allein
dem Schöpfer eignenden Voraussetzungslosigkeit des Bewirkens
(gekennzeichnet durch das Jahwe allein zugeeignete Verbum bara:
Gen 1,1; Jes 40,28; 45,18; Ps 89,13 u.ö.), das Herausrufen der Dinge
in der Macht des befehlenden Wortes, das (trotz des religionsge­
schichtlichen Hintergrundes der Vorstellung von der „Wortschöp­
fung“4) im Munde des Schöpfers eine unverwechselbare Eigenheit
beweist: das alles sind Momente, welche das Urteil möglich erschei­
nen lassen: „Es wäre falsch zu sagen, der Gedanke der creatio ex
nihilo läge überhaupt nicht vor“5. Die in dem Ausdruck enthaltene
Erkenntnis von der radikalen Unabhängigkeit der Souveränität und
unbegrenzten Freiheit Gottes im Schöpfungshandeln ist hier jeden­
falls der Sache nach vorhanden.
In d ieser H in sic h t schein t so gar der erste w irk lich e G eb rau ch der F orm el im
z w eite n M a k k a b ä e rb u c h 7,28 h inte r d em G e h a lt der A u ssag en in Gen 1,1-2,4a
z u rü c k z u b le ib e n ; denn der h ier ve rw a nd te A u sd ru ck , „daß G ott dies n ich t aus
D ing en g em ac ht hat, die sch on da w a re n “ , b esagt, genau g en o m m en , nur den

2 So Chr. L in k, S c h ö p f u n g , 38.
3 H W P h VI II, 1 38 9 -1 4 1 4 (R .A lbertz - J. K ö h l e r - F. B. S t a m m k ö tte r) ; vgl. auch
R. H ü n t e l m a n n , S c h e llin g s P h i l o s o p h i e d er S c h ö p f u n g , 19-22.
4 D ie W o r t s c h ö p f u n g k a n n zwar, für sich g e n o m m e n , den G e g e n s a tz zu m M y th o s n ich t
b e w e is e n , ab er sie gib t d ies e B e s o n d e r h e i t d o ch im g a n z e n Z u s a m m e n h a n g , vor allem
u n t e r B e r ü c k s i c h t i g u n g des d o m i n i e r e n d e n G o t t e s b i l d e s her; vg l. W. P a n n e n b e r g ,
S y s t e m a t i s c h e T h e o lo g ie II, 27.
5 G. v. R a d , D as er ste B u c h M o s e , 39. D i e s e A u s k u n f t ist b e f r i e d i g e n d e r als
CI. W e s te rm a n n s A n n a h m e : „Die F ra g e, ob c r eatio ex nih ilo o d er ni cht, ist dem Text n ich t
g e m ä ß “ : G en es is I, 150.
ab so lu ten U rsp ru n g der Welt, die z uv or nicht existierte. A llerd in g s kann d iese
A u ssag e auch nich t m it der p lato n is c h e n V orstellung von ein e m F o rm en der
D ing e aus ein em gestaltlo sen S toff verb u n d en w erden. Sie m uß als B e k räftig u n g
des a n a lo g ielo s en U rsp ru ngs der S c h öp fun g d urch den S c h ö p fe r in G e ltu n g
b e la s s e n w e rd e n . D a g e g e n z e ig t die F o rm u li e ru n g W eish 11,17 v on d er
S ch ö p fu n g „ex m a teria in v isa“ deu tlich n eu p lato n isch es G e prä ge, das sich s p ä ­
ter auch no ch bei A th e n a g o ra s 6 und Ju stin (+ 165)7 findet. A n ders ist bei der
A u ssag e des R ö m e rb rie fe s ü ber den „G ott, der die Toten leb en d ig m a ch t und das,
was nich t ist, ins D a se in ru f t“ (R öm 4,17) schon der E in flu ß des G ed an k en s
einer „creatio ex n ih i lo “ a n z u n e h m e n 8, was sich ä hnlich bei H eb r 11,3 n a h e le g t9.
So kan n m an der F orm el von der creatio ex nihilo eine g ew isse N ähe zum b ib l i­
schen D en k e n nich t absprechen.

2) Die Bekräftigung in der frühen Tradition


Eine bewußte Aufnahme erfuhr die Formel unter den Apologeten
des zweiten Jahrhunderts, die sie in Auseinandersetzung mit der dua­
listischen Gnosis gebrauchten. Ihre Bedeutung erhellt aus der Fest­
stellung des Pastor Hermae (zwischen 130 und 140 in Rom entstan­
den): „Fürs allererste: glaube, daß es einen Gott gibt, der alles
erschaffen und vollendet und aus Nichts gemacht hat, daß es sei,
indem er auch alles umfaßt, während er allein unfaßbar ist“ 10. Die
Formel ist hier offenbar schon als Äquivalent für die unermeßliche
Macht des Schöpfers gebraucht.
Einen eigentümlichen Beitrag zur Bekräftigung dieser Vorstel­
lung lieferte der Justinschüler Tatian, der zwar nicht von der „Schöp­
fung aus dem Nichts“ spricht, aber dennoch gegen die valentiniani-
sche Gnosis (von der er in anderen Punkten auch abhängig war) den
Gedanken von der Ewigkeit der Materie verwirft und die Hervor­
bringung der Materie durch Gott lehrte". Auch dieses Moment, durch
das vor allem die Allmacht und die Unabhängigkeit Gottes betont

6 S u pp lic. 22,2.
7 A p ol. I, 10, 2.
8 H. S chlier, D e r R ö m e r b r ie f, 132.
9 G. Ma y, S c h ö p f u n g aus dem N ichts , 27, h eb t h ervor, daß diese aus der h e l l e n i s t i s c h ­
j ü d i s c h e n T h e o l o g ie k o m m e n d e n F o r m u l i e r u n g e n n ich t die S c h ö p f u n g aus N ich ts „im
s t r e n g e n S i n n e “ a u s d r ü c k e n w o l l e n . A b e r n a c h ih m „ s c h e i n t v o m j ü d i s c h e n
S c h ö p f u n g s g l a u b e n ein fast s e l b s t v e r s t ä n d l i c h e r S ch ritt zu r F o r m u l i e r u n g des G e d a n k e n s
von d er c reatio ex nih ilo zu f ü h r e n “ : 23; zu m Ver fe hlen des B e g riffs in d er id e a l i s t i s c h e n
P h i l o s o p h i e vgl. R. H ü n te lm a n n , S c h e llin g s P h ilo so p h ie der S c h ö p f u n g , 237-25 3 .
10 M a n d. 1,1.
11 Orat. V,3.
erscheinen, konnte dem langsamen Vordringen des Begriffes der
„creatio ex nihilo“ dienen.
D ag e g e n re d e t T h e o p h ilu s v. A n tio c h ie n in d em ältesten K o m m e n ta r zur b i b ­
lischen S ch ö p fu n g s g e sc h ic h te (nach 180) in schon g e fe s tig te r T erm in olo gie von
der „ S c h ö p fu n g aus dem N ic h ts “ . Er führt dabei auch die W e ltb ild u n g sle h re n der
Stoiker, E p ik u rs und P lato ns an, b e k ä m p f t ab er vor allem die A u ffassu n g der
P la to n ik e r mit d em A rg u m en t, daß bei A n n a h m e ein er un g ew o rd en en M aterie
G ott n ic h t m e h r als S ch ö p fer des Alls g e d ach t w erden k ö n n t e 12. D am it verbin det
er auch schon den G ed ank en, daß der alleinig e G ru n d der S ch ö p fu n g im s o u v e ­
rän en gö ttlic hen W illen g elegen i s t 13.

Vollends führte diese Formel zur Anerkennung Irenäus v. Lyon


(+ um 202). Trotz des heilsgeschichtlich bestimmten Konzeptes sei­
ner Schöpfungsauffassung, bei welcher der Hauptnachdruck auf der
Menschenschöpfung liegt, befaßt er sich in Abwehr der valentiniani-
schen Spekulationen mit der „creatio ex nihilo“ und stellt sie als die
entscheidende Prärogative göttlichen Schaffens im Vergleich zum
menschlichen Bilden heraus14. Danach nahm die Formel bei Hippolyt
(+ 235), Tertullian (+ um 220) und Origenes (+ um 254) den Cha­
rakter eines Fundamentalsatzes der christlichen Schöpfungslehre an,
der auch schon mit dem Vorsehungsgedanken verbunden wurde. So
kann Origenes bereits sein Erstaunen darüber zum Ausdruck bringen,
daß gelehrte Männer die Meinung von einer ungewordenen Materie
haben vertreten können15.
Später verband Augustinus diesen theologischen Gedanken auch
mit dem Ausdruck der Frömmigkeit, wenn er fragte: „Wie aber hast
du Himmel und Erde geschaffen und mit welchem Werkzeug dein
großes Werk ausgeführt? Du hast sie nicht geschaffen wie ein Künst­
ler, der einen Körper aus einem bereits vorhandenen herausbildet
nach dem Gutdünken seines Geistes ... Du hattest nichts in der Hand,
woraus du Erde und Himmel hättest bilden können. In deinem Wort
hast du es geschaffen“ 16.

12 A d A u t o l y c u m 11,4.
13 E b d a ., 11,4.
14 Adv. Haer. 11,10,4.
15 De princ. II, 1,4.
16 Con f. X I , 5.
3) Die Übernahme in die kirchliche Lehrverkündigung
Die Bedeutung der Formel konnte von der kirchlichen Lehrver­
kündigung nicht übersehen werden. So fand sie i.J. 447 Eingang in
einen Brief Leos I. (+ 461) an den spanischen Bischof Turibius
v. Astorga in Sachen des dualistischen Priszillianismus, in dem es
heißt: „Außer dieser einen wesensgleichen Dreifaltigkeit aber gibt es
überhaupt nichts unter den Geschöpfen, was nicht an seinem Anfang
aus nichts geschaffen wurde“ (DH 285). Die endgültige dogmatische
Festigung erfuhr die Formel auf dem Vierten Laterankonzil vom
Jahre 1215 in der Definition: „utramque de nihilo condidit crea-
turam “ (DH 800), die vom Ersten Vatikanischen Konzil übernommen
wurde (vgl. DH 3001). Danach wurde sie in geringfügig veränderter
Form vom „Decretum pro Jacobitis“ des Konzils v. Florenz (1442)
aufgenommen, wo es von allen Geschöpfen heißt, daß „sie aus nichts
gemacht w urden“ („quia de nihilo factae sunt“ : DH 1333). Das
Zweite Vatikanum hat diese Kurzformel zwar nicht wörtlich ver­
wandt, aber sie doch durch die Erwähnung der Erschaffung aller
Dinge „durch das Wort“ 17 sinngemäß wiedergegeben. Darum kann
der Gedanke von der „creatio ex nihilo“, wie gelegentlich gesagt
wird, nicht als ein Theologoumenon ausgegeben werden18, sondern
muß als Glaubensaussage anerkannt bleiben.

II. Der theologische Gehalt der Formel


Obgleich die „creatio ex nihilo“ eine philosophisch-metaphysi­
sche Prägung besitzt, können aus ihr im Kontext der biblischen
Schöpfungsgedanken unschwer die theologische wie die religiös-exi­
stentielle Bedeutung erhoben werden.
1) Die theologische und religiös-existentielle Bedeutung
Der kurze Überblick über die Geschichte der Formel konnte er­
kennen lassen, daß der Sinn ihres dogmatischen Gebrauchs zunächst
in der Abwehr jeder dualistischen Vorstellung vom Schöpfer und sei­
nem Werk gelegen war. Aber mit diesem Sinn verband sich von
Beginn an ein erweitertes Bedeutungsfeld. So war mit dieser Formel

17 Dei Verbum , 3.
18 So R. H oeps, T h e o p h a n ie u nd S c h ö p f u n g s g r u n d , 166.
zugleich auch der heidnische Polytheismus mit seiner Vergöttlichung
der Welt getroffen. Mit dem Bekenntnis zur Erschaffung aus dem
Nichts war ebenso auch die Entgöttlichung der Welt vollzogen; denn
„die Götter weichen aus den Dingen, wenn Gott die reine Herrschaft
über die Dinge antritt“ 19.
So sagt die Formel nicht nur etwas über Gottes unvergleichliches
Selbstsein in seiner Macht, seiner Souveränität und seiner Herr-
scherlichkeit aus, sie bietet vielmehr auch dem Weltverhältnis Gottes
den angemessenen Ausdruck. Wenn die Welt in absoluter Souverä­
nität aus dem Nichts ins Dasein gerufen ist, dann ist damit gesagt,
daß Gott den Grund und die Voraussetzung seines Schaffens allein in
sich selbst hat. Damit ist zugleich auch die Überzeugung ausgespro­
chen, daß das Geschöpf sich in seinem ganzen Umfang der schöpfe­
rischen Souveränität Gottes verdankt und von ihr abhängt, was kei­
neswegs seinem Wesen Abbruch tut, sondern seine eigentliche
Würde hervorhebt.
F reilich w ird so z w ische n dem S c h ö p fe r und den G e sc h ö p fe n zu n äch st das
B e ste h e n ein er ab solu ten qualitativ en D istan z ane rka nn t, die nicht nur gegen j e ­
de S p ielart des P o ly th e is m u s, so ndern auch gegen den P a n th e ism u s und gegen
den m o d e rn e n E v o lu tio n ism u s (der nich t id en tisch ist m it ein er w iss en sch aftlic h
b e g rü n d eten E v o lu tio n sth e o rie ) g erichte t ist. D ie „ creatio ex n ih i lo “ schließt
j e d e n G ed an k e n d aran aus, daß die Welt selb st göttlich sein könnte, daß sie aus
G ott in F orm ein er E m a n a tio n h e rv o rg eg an g en sein od er daß G ott sich in sie h in ­
ein en tfa ltet h aben kö nn te. So verm ag d ie se r G ru n d sa tz das rech te G ott-W elt-
Verhältnis festzu le g en , das anders e n tw e d e r d urch die V erw eltlich un g G ottes
od er durch die V erg öttlichu ng der Welt und des M en sch en v erfeh lt w erden
müßte.

Aber der Grundsatz, der die Unbedingtheit des göttlichen Schaf­


fens befestigt, zeitigt auch Folgerungen für die weitergehende
Schöpfung. Wenn Gott die absolute Souveränität in seiner ersten
Schöpfung zukommt, dann beansprucht er diese auch für die zweite
Schöpfung wie für die Vollendung und alles geschichtliche Werden
der Welt. Die Welt bleibt so in ihrem ganzen Sein und Werden auf die
Schöpfermacht Gottes angewiesen, der sich ihr gegenüber bleibend
als der Souverän erweist: „Gott ist schlechthin der freie Schöpfer -
creatio ex nihilo. Er ist der schlechthin freie Vollender - resurrectio
mortuorum“20.

19 So H. H e m p e l, D er M e n s c h in se in er G e g e n w a rt , 157.
20 O. Weber, G r u n d l a g e n der D o g m a t i k I, 553.
Die so in der Formel enthaltene absolute Souveränität Gottes
über Welt und Menschen könnte freilich den Eindruck einer totalen
Nichtigkeit des Geschöpfes gegenüber einem solchen Schöpfer er­
wecken. In der Mystik des Spätmittelalters wie in Luthers früher
Theologie finden sich Gedanken, welche das Nichts als eine den
Dingen selbst anhaftende Qualität verstehen lassen, die sie zur gänz­
lichen Passivität und zur Unwirksamkeit gegenüber dem alleinwirk­
samen Gott verurteilt21. Demgegenüber ist daran festzuhalten, daß
das „Nichts“ nur von Gott her den Anfang und Ursprung der Welt
dem Verständnis näherbringen, nicht aber das Sein der Geschöpfe als
nichtig erklären will, was eine nähere Interpretation unschwer zeigen
kann, die auf das Geschenk des Seins, das den Geschöpfen zuteil
wird, abhebt.
2) Die Einwände gegen die „Schöpfung aus dem Nichts“
Trotzdem wird diesem Grundbegriff vielfach Unzulänglichkeit
und W idersprüchlichkeit vorgehalten. Solche Einwände dürfen von
der Theologie nicht unbeachtet gelassen werden, weil sie Anlaß zur
Behebung von Mißverständnissen bieten und zur genaueren Bestim­
mung des im Kern Gemeinten führen können. In früher Zeit formu­
lierte der Epikureer Titus Lucretius Carus (+ um 55 v. Chr.) auf dem
Grunde einer materialistischen Weltschau die Forderung: „Erstlich
stehe für uns als die oberste Regel fest: Nichts wird je aus Nichts
erzeugt durch göttliche Schöpfung“22. Hier verbindet sich der antike
Atomismus (wenn auch widersprüchlich) mit dem Pathos der
menschlichen Freiheit, die eine göttliche Schöpfung als Aufhebung
des Eigenseins des Menschen empfinden zu müssen meint (ähnlich
wie in der Neuzeit bei Fr. Nietzsche zu sehen). Aber diese Auffas­
sung widerspricht der „creatio ex nihilo“ , die ja gerade den souverä­
nen göttlichen Ruf zum Sein ausdrücken will.
A n dere E in w ä n d e erw u c h se n sp äter aus der S c h w ie rig k e it der d e n k erisch en
E rfas su n g des B egriffes des „ N ic h ts “ wie aus dem a n g e b lic h e n W id ersp ru ch
gegen den G ru n d satz „ex n ih ilo n ih il fit“ . So v ers u c h te der k a ro lin g isc h e
T h eo lo g e F red e g isu s (+ 834) das N ic h ts nur als relatives nihil zu d eu ten und es
als u n sic h tb a re s S u b strat zu e r k l ä re n 23, w o du rch der G ed an k e von der ab so lu te n
S o u v erän ität G ottes a u fg eg eb en wurde.

21 Vgl. Chr. L u tz , S c h ö p f u n g , 40f.


22 D e r eru m n a tu r a I, 149f. (Reel. C. M ü ller, Z ü ric h 1975, 11).
23 In der S ch r ift De n ih ilo et t e n e b r is (PL 105, 7 5 1 -7 56 ).
E in e n h o c h s p e k u l a t i v e n A u s w e g b e s c h r i t t J o h a n n e s S c o tu s E r iu g e n a
(+ 877), indem er das N ichts in G o tt h in e in n a h m , in so fern G ott sich in seiner
U n e n d lic h k e it selbst u nerfaß t un d u n b e stim m t bleibt. In d ies em M o m e n t des
N ich ts ein s sei dann das M otiv zur S ch ö p fu n g gelegen , in w e lc h e r G o tt sich
selbst erst b e stim m t und en tfaltet, so daß es zu ein em K a usaln exu s z w ischen
G ott und Welt ko m m t, der fre ilich die rad ik ale D istan z zw isch en d em S ch ö p fe r
und dem G e s c h ö p f v erm iss en lä ß t24. S c h ö p fu n g w ird hie r zu e in e r T h eo p h an ie
e rho ben , die den U n te rs c h ie d zw isch en G o tt und Welt wie z w isc h e n S c h öp fu ng
und H e ils g e sc h e h e n nich t m e h r fe s tz u h a lte n verm ag.
In n e u e re r Z eit hat I. H. F ichte (+ 1879), d e r Sohn J. G. F ichtes, die „ c re a ­
tio ex n ih ilo “ als eine für das p h ilo so p h isc h e D e nk en u n a n n e h m b a re Z u m u tu n g
ab geleh nt, weil d a d u rc h a n g eb lich die in nere B ezie h u n g zw isch en dem S c hö pfe r
und den G e sch ö p fen v erlo ren g eh e. An ihre Stelle setzt er G ott als den R e alg ru nd
der E n d lic h k e it und als L eb en sm a c h t, w elch e die im gö ttlich en W esen präfor-
m ierten K räfte zu ein em S o n d erd as ein b e s t im m t25. E r leh nt zw ar das pan th eisti-
sche A ufg e h e n G o ttes in d er Welt ab, k o m m t aber m it der w e se n tlic h e n Welt-
ü b e rh o b e n h e it G o ttes nich t ins R ein e und v e ru n k lä rt G ottes u n ab h ä n g ig e s Wesen
n o c h m a ls durch die n atu r h a ft-m y s tis c h e A u ffa ss u n g von ein e m W eltäther, in
w e lc h e m die K eim e der D in ge g ru n d g e le g t sind, an d en en G ottes W illen ansetzt.

Eine gewisse Annäherung an diesen spekulativen Theismus unter


Ablehnung der „creatio ex nihilo“ findet sich gegenwärtig auch bei
den Vertretern der Prozeßtheologie im Anschluß an A. N. W. White-
head, der Gott nur als Ursprung der Formgebung der Dinge gelten
läßt und ihnen die Idee ihrer Selbstverwirklichung vorgibt, so daß sie
weder im Entstehen noch im Bestehen in wesentlicher Abhängigkeit
von Gott stehen26.
Von seiten der E x iste n tia lp h ilo so p h ie hat M. H e id e g g e r der christlich en
T h e o lo g ie vo rg ehalten , daß sie mit dem B e g riff der „creatio ex n ih i lo “ le ic h tf e r­
tig u m g eh e und die P ro b le m a tik dieses B egriffes n ich t erkenne. Das N ichts
k ö n n e n ich t als G eg e n b e g rif f zu G ott k o n z ip ie rt w erden, w eil es „sich als z u ­
g ehö rig zum Sein des S eie n d en e n th ü l lt“27. W enn das N ich ts, in der A n g st z u ta ­
ge treten d, im Sein nistet, k an n S eien des n ich t o hn e das N ichts g e d a ch t w erden.
Bei H eid e g g e r g e sch ieh t aber eine p s y c h o lo g isc h e R ealisie ru n g des N ich ts, w e l­
che den G lau b e n an ein ab solu tes Sein im rein en G eg en satz zum N ichts p h ilo s o ­
p hisch un m ö g lich m acht. In d e sse n ble ibt der G ed a n k e n ur solange sch lüssig, als
m an au fg ru n d der e in g e e n g te n D en k v o rste llu n g e n ein H in a u sk o m m e n über die
F ra g lic h k e it und N ic h tig k e it des Seins leugnet.

24 Vgl. d azu die D e u t u n g von R. H o e p s , T h e o p h a n i e und S c h ö p f u n g s g r u n d , 161-191, die


d em S c h ö p f u n g s d o g m a nich t g e r e c h t wird.
25 Vgl. H. M eyer, A b e n d l ä n d i s c h e W e l t a n s c h a u u n g IV, 399-40 3.
26 A. N. W. W h i t e h e a d , P r o z e ß un d R e a l i t ä t , 7 9 ff.; vg l. dazu L. S cheffczyk,
P r o z e ß t h e i s m u s und c h r i s t l i c h e r G o t t e s g la u b e , 9 Off.
27 Was ist M e ta p h y sik ? , 39.
Einer gewissen M ystifikation des Nichts und damit einer m iß­
verständlichen Deutung des Schöpfungsgeschehens leisten auch
christliche Theologen Vorschub. Das geschieht bei K. Barth, der das
Nichts als „Widerspruch und W iderstand“ gegen Gott mit einer Art
von W irklichkeit ausstatten möchte28. Aus einer beinahe entgegenge­
setzten Motivation, nämlich zwecks Erhaltung der Selbständigkeit
der Geschöpfe, deutet J. Moltmann das Nichts als den Raum, den
Gott dem Geschöpf eröffnet bei gleichzeitiger Zurückziehung auf
sein eigenes Wesen29. Aber die kabbalistische Lehre von der Selbst­
beschränkung Gottes krankt an einem sichtlichen Anthropomorphis­
mus, der theologisch nicht zu verifizieren ist.
3) Die Verifizierung der Formel und die verbleibende
Schwierigkeit
Die angeführten Gegenstimmen beweisen, daß der Begriff der
„creatio ex nihilo“ gewisse Schwierigkeiten bereitet und manchen
M ißverständnissen ausgesetzt ist, die aber aufgeklärt werden kön­
nen. Das hat schon die scholastische Theologie unternommen, wenn
sie die reine Negativität des Begriffes herausarbeitete und ihn vom
Fehlen oder Ausfall des Seins her bestimmte30. Er wird als Gedan­
kending an der Begrenztheit und Endlichkeit aller irdischen Dinge
miterfaßt und tritt im Verhältnis zur Fülle Gottes als der reinste
Gegensatz hervor. Demnach besagt die „creatio ex nihilo“ nicht das
Hervorbringen des Geschöpfes aus einem irgendwie gearteten Etwas,
sondern gerade das Fehlen dieses Etwas und jeglicher M aterialur­
sache. Die traditionelle Theologie hat diesen Sachverhalt mit der
Erklärung verdeutlicht, daß die Schöpfung „ex nihilo sui et subiecti“
erfolgte, d.h., daß das Hervorgebrachte zuvor nicht existierte und daß
ihm nicht ein anderes, schon existierendes Ding zugrundelag. Unter
dieser letzten Rücksicht wird durch das „ex nihilo“ nur jede M a­
terialursache verneint, nicht aber eine Ursächlichkeit überhaupt
bestritten, die ganz im Gegenteil als einzigartige göttliche Ursäch­
lichkeit in vollen Stand gesetzt wird. Deshalb ist hier auch die
Berufung auf den Grundsatz „ex nihilo nihil fit“ als Gegenargument

28 D ie k i r c h l ic h e D o g m a t i k III/3, 327.
29 G o tt in der S c h ö p f u n g , 9 8-105.
30 So e r k lä rt T h o m a s v. A quin: „I d e m a u te m est nihil qu o d n u llu m e n s “ : S.th. I q.45 a. 1.
unzutreffend31; denn die „creatio ex nihilo“ behauptet ja gerade die
einzigartige Kausalität Gottes.
Positiv gewendet, besagt die Formel die Hervorbringung des
Geschaffenen nach seinem ganzen Sein, d.h. nach seinem Wesen und
seiner Existenz, durch die Schöpfermacht Gottes. Damit hängt zu­
sammen, daß die creatio nicht als Entwicklung von einem zum ande­
ren gedacht werden darf, ebenso nicht als Werden, als Veränderung
oder als Bewegung vom Nichts zum Sein32. Sie ist auf seiten Gottes
identisch mit Gottes vollkommener Aktualität, auf seiten des Men­
schen besagt sie die Setzung einer realen Beziehung, die das Ge­
schöpf in vollkommener Abhängigkeit von Gott existieren läßt33. Mit
einer solchen Abhängigkeit ist aber keine Distanzierung der Welt von
Gott gesetzt, wie sie Kritiker der „creatio ex nihilo“ immer wieder
unterstellen. Wohl bringt die Formel die Transzendenz Gottes zur
Welt deutlich zum Ausdruck gegen jeden Monismus, Emanatianis-
mus, Pantheismus und Evolutionismus. Aber sie behauptet keine
Trennung zwischen Gott und Welt. Sie besagt im Gegenteil (bei wei­
terer Explikation des Gedankens) eine Erhaltung, ein Gehalten- und
Getragensein des Geschöpfes durch den Schöpfer, insofern das Ge­
schöpf sich niemals selbst sein Sein gewähren kann.
Trotzdem haftet dem Grundsatz von der „creatio ex nihilo“ für
das anschauliche Denken etwas Undurchdringliches an. Sie sagt
etwas aus, das keine Entsprechung im menschlichen Vorstellen und
Erfahren hat. Annähernd ähnlich gelagerte Vorgänge wie künstleri­
sches Schaffen, wie Gestalten, Hervorbringen oder Zeugen erweisen
sich bei näherem Hinblick nicht als wahre Entsprechungen. Es han­
delt sich um ein analogieloses Setzen einer Ursprungsbeziehung, die
mit der Einzigartigkeit Gottes zusammenhängt und die deshalb
genausowenig anschaulich erfahrungsgemäß erfaßt werden kann wie
das Sein Gottes selbst.
Auch wenn das „Wie“ des Schöpfungsvorgangs unanschaulich
bleibt, wird doch die Schöpfung (als creatio ex nihilo) von der

31 So w ie d e r R. H o ep s , a.a .O ., 169.
32 D e s h a l b der w ich tig e G r u n d s a t z des T h o m a s v. A q u in , der besagt, daß G o tt „ohne
B e w e g u n g “ schafft: Q u ia qu od creatur, n on fit p e r m o t u m vel m u t a tio n e m : S.th. I q.45 a.3;
vgl. d a z u H.- E. H e n g s t e n b e r g , E v o lu tio n un d S c h ö p f u n g , 2 8 ff.
33 S.th. I q.45 a.2.
Theologie nicht als bloße Offenbarungswahrheit angesehen, sondern
auch als Vernunftwahrheit betrachtet, dies unter Berufung auf das
Erste Vatikanum. Dieses lehrte, „daß Gott, der Ursprung und das Ziel
aller Dinge, mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft aus
den geschaffenen Dingen erkannt werden kann“ (DH 3004). Damit ist
freilich die natürliche Erkennbarkeit der Schöpfung als solche nicht
definiert, sondern nur die Möglichkeit natürlicher Gotteserkenntnis
festgelegt. Deshalb läßt sich sagen, daß unter Voraussetzung der rech­
ten Gottesvorstellung die Vernunft auch an den Schöpfungsgedanken
heranreichen kann, der aber seine Fülle und Gewißheit erst aus der
Offenbarung empfängt. Letztlich zeigt sich daran eine Verschränkung
zwischen dem Gottes- und dem Schöpfungsbegriff. Beides sind
Korrelate ein und derselben Wirklichkeit, die mit letzter Gewißheit
nur im Glauben erfaßt werden kann.

III.Die Souveränität des Schöpfers über die Zeit


Die Souveränität des Schöpfungsaktes erweist sich auch in seiner
Unabhängigkeit und Überlegenheit in bezug auf die Zeit. Insofern
die göttliche Schöpfung nicht als Bewegung vor sich geht, fällt sie
auch nicht unter das „Maß der Bewegung“ , die Zeit. So konnte aber
auch die Frage aufkommen, ob der Schöpfungsakt und damit auch
sein Ergebnis nicht etwas Ewiges sein müsse. So ergab sich eine
gedankliche Spannung zwischen dem ewigen Akt und dem zeitlichen
Effekt, welche die Theologiegeschichte durchzieht.
1) Die Glaubensaussage über den Anfang mit der Zeit
Die Frage nach dem zeitlichen Anfang der Welt, die einen stark
philosophischen Einschlag besitzt, wird unter dieser Rücksicht von
der Heiligen Schrift nicht beantwortet. Gen 1,1 spricht zwar von
einem Anfang der Welt und der Geschichte, aber ohne die philoso­
phische Absicht, die Zeithaftigkeit der Welt gegenüber dem zeitlosen
Wirken Gottes zu behaupten. Dasselbe gilt von ähnlich gehaltenen
hymnischen Bekundungen der Ewigkeit Gottes wie Ps 95,2 und
Ps 102,26. In letzterem findet sich die Gebetsaussage: „Vorzeiten
hast du der Erde Grund gelegt, die Himmel sind das Werk deiner
Hände“ . Solche Aussagen schließen nicht aus, daß die Zeit als
Kontinuum gedacht wird, in dem etwas geschieht.
Die frühe christliche Tradition aber hat diese Gedankenschwie­
rigkeit, von der grundlegenden Erfahrung der Geschichte des Heils
bestimmt, im Sinne der Erschaffung der Dinge mit der Zeit entschie­
den, welchen Gedanken schon Philo vorgebildet hatte34. So erklärte
danach Klemens v. Alexandrien (+ vor 215), daß „die Zeit erst
zugleich mit dem Seienden geschaffen wurde“35, welche Überzeu­
gung Basilius d. Gr. (+ 379) in seinem Kommentar zum Sechstage­
werk vertiefte36. Seine gültige Formulierung hat er durch Augustinus
erfahren, der die Frage nach dem Tun Gottes vor der Schöpfung
abwehrte und den Grundsatz festlegte: „Zweifellos hat Gott die Welt
nicht in der Zeit, sondern mit der Zeit geschaffen ... Mit der Zeit aber
wurde die Welt geschaffen, wenn in ihr die veränderliche Bewegung
geschaffen wurde“37 Er hat damit die Zeit zu einer Bestimmung des
geschaffenen Seins erklärt und damit die Differenz zum ewigen Sein
des Schöpfers festgelegt.
Wegen der Bedeutung dieses philosophischen Gedankens für das
Gottes- und Weltverständnis des Glaubens hat die kirchliche Lehr­
verkündigung die Wahrheit vom zeitlichen Anfang der Welt zu einem
Glaubenssatz erhoben und im Caput „Firmiter“ des Vierten Lateran -
konzils vom Jahre 1215 gegen die Albigenser feierlich definiert, daß
Gott „simul ab initio temporis utramque de nihilo condidit crea-
tu ra m “ (DH 800), welche Definition das Erste Vatikanum bekräftig­
te (DH 3002).
Unter Festhalten an dieser Lehre verurteilte Papst Johan­
nes XXII. i.J. 1329 die Propositionen Eckharts, welche die Lehre von
der Ewigkeit der Schöpfung zu enthalten schienen (DH 951 f.). Zur
Begründung dieser Glaubenslehre wird auch die Aussage des Konzils
von Florenz herangezogen, in der es heißt, daß Gott die Welt „quan-
do voluit“ („wann“ oder „als er wollte“ : DH 1334) erschuf. Die hin­
ter diesem Glaubenssatz aufstehende Frage, wie ein zeitloser Schöp­
fungsakt mit einem zeithaften Effekt zu vereinen sei, fand ihre

34 Leg. all. 1,2.


35 S tro m . V I , 16, 142.
36 Hex. 1,6.
37 De civ. D ei X I , 6.
Lösung schon in der Lehre von der Unveränderlichkeit und Ewigkeit
Gottes. Hierzu gab Augustin die Erklärung, daß der ewige göttliche
Akt, in den auch die göttliche Weltidee aufgenommen ist, sich in
zeitlichen Manifestationen aus wirke, wobei alle Veränderlichkeit nur
auf seiten der Geschöpfe liege38. In Anbetracht der wesentlichen
Unterschiedenheit zwischen dem Geschöpf und dem Schöpfer, der
das Endliche ohne Verlust seiner eigenen Unendlichkeit schaffen
kann, muß der Grundsatz als zutreffend anerkannt werden.
2) Die philosophische Frage nach der Möglichkeit einer
anfanglosen Schöpfung
Die ursprüngliche, existentielle Glaubensüberzeugung (von der
nur Origenes eine Ausnahme bildet) von der Schöpfung mit der Zeit
erfuhr nur scheinbar eine Einbuße durch die im Hochmittelalter auf­
gekommene Diskussion um die philosophische Denkmöglichkeit
einer anfanglosen Schöpfung39. Hier war es Thomas v. Aquin
(+ 1274), der, entgegen der von Albert d. Gr., Bonaventura u.a. ver­
tretenen Auffassung, im Hinblick auf eine besonders in Ausein­
andersetzung mit den Averroisten und Simon Maimonides (+ 1204)
notwendige Unterscheidung von Glaube und Wissen in der Annahme
einer seit Ewigkeit bestehenden Schöpfung keinen Denkwiderspruch
angelegt sah, so daß nach ihm umgekehrt für die Zeitlichkeit der
Welt kein stringenter Vernunftbeweis geführt werden könne. Dahin­
ter steht die Überzeugung, daß Geschaffensein und Anfanglosigkeit
sich begrifflich nicht ausschließen.
Sie wird durch das Argument unterbaut, daß die innere M öglich­
keit eines Dinges mit dessen Wesenskonstituentien zusammenge­
dacht werden muß, diese aber von Akzidentien (wie der Zeit) unab­
hängig sind. Fr. Suärez (+ 1619) u.a. räumten dieser Begründung
eine gewisse Berechtigung ein, ließen sie aber nur für eine unverän­
derliche Welt gelten. Bezüglich einer veränderlichen Welt aber ver­
neinten sie die Stringenz des Gedankens von einer ewigen Welt­
schöpfung40.

38 De civ. Dei X V I ,6.


39 S.th. I q.4 6 a.2.
40 Fr. S u ärez, De o pere sex d ieru m 1,2; Met. disp. 20 sect. 1 n. 1 öff.
Die kritische Sicht des Thomas war nicht gegen den Glauben
gerichtet. Die Argumentation (die auch von vielen Nichtthomisten
angenommen wurde) führte schließlich zur Bekräftigung des Glau­
bensstandpunktes : „Mundum non semper fuisse, sola fide tenetur et
demonstrative probari non potest“41. Zur Vermittlung dieses Glau­
bensstandpunktes von der Nichtewigkeit der Schöpfung läßt Thomas
sogar probable Vernunftgründe gelten.
Die Theologie hat sich im ganzen dieser kritischen Einstellung
des hl. Thomas nicht angeschlossen. Sie war dabei nicht unbeein­
druckt von den besonders in der modernen Zeit unternommenen
Versuchen, vermittels der Zeitlosigkeit dem Weltall Unendlichkeit
und Göttlichkeit zuzusprechen (so Giordano Bruno, + 1600, und in
anderer Weise der Pantheismus und der Materialismus).
Der Glaubensstandpunkt erfährt heute eine gewisse Entspre­
chung durch das moderne naturwissenschaftliche Denken, das von
der „Entstehung“ und „Expansion“ des Kosmos spricht und ihn „als
unbegrenzt, aber endlich“ bezeichnet. Die moderne Kosmologie, die
das Modell vom „Urknall“ und vom expandierenden Weltall favori­
siert, muß für dieses „explodierende“ raum-zeitliche Universum
einen Anfangszustand annehmen, nach dem sich auch die bisherige
Dauer des Kosmos auf 15-20 M illiarden Jahre bemessen läßt.
Daraufhin muß die Welt als zeitlich endlich angesehen werden. Doch
können solche Bestimmungen nur auf den Zustand der gegenwärti­
gen Welt bezogen werden. Über diesen postulierten Ursprungspunkt
vermag die Kosmologie nicht hinauszudenken42. Sie kann und will
einen absoluten Anfang genausowenig begründen wie das naturwis­
senschaftlich nicht erreichbare Faktum einer Schöpfung aus dem
Nichts. Aber im Punkt der Zeitlichkeit der bestehenden Welt wider­
spricht sie jedenfalls dem Glaubensbefund nicht.

41 Vgl. A. A n tw eiler , D ie A n f a n g l o s i g k e i t der Welt n ach T h o m a s v. A q u in un d K a n t II,


1-62.
42 Vgl. d azu R. K o lter m an n , G r u n d z ü g e d er m o d e r n e n N a tu r p h i l o s o p h i e , 38-64; zu den
A p o r i e n des „ p o s t m o d e r n e n “ Z e itb e g rif fe s (bei E. L ev in as un d F. I. L yo ta rd ), vgl.
Th. Fre yer, Z eit - K o n tin u ität u nd U n t e r b re c h u n g , W ü r z b u r g 1993, 464ff. u.ö.
§ 9:
Die Freiheit des Schöpfers und der göttliche Sinn der Schöpfung
L itera tur: H. S teph an, G la u b e n sle h re , B erlin 31941; H.-E. H en g sten b e rg ,
D as B a n d z w is c h e n G o tt u n d S c h ö p f u n g , P a d e r b o r n 21948; P. T illic h ,
S y ste m a tisc h e T h e o lo g ie I, S tu ttg art 31956; G. v. Rad, Die T h eo lo g ie des A lten
T estam en ts I, M ü n c h e n 1 9 5 7 ; H. Schlier, D er B rie f an die E pheser. Ein
K om m entar, D ü s s e ld o rf 1957; D ers., D er R ö m erb rief, F re ibu rg 1977; P. W enzel,
D as w i s s e n s c h a f t l i c h e A n lie g e n d es G ü n t h e r i a n i s m u s . E in B e it r a g zu r
T h e o lo g ie g e s c h ic h te des 19. Ja h r h u n d e rts , E ssen 1961; L. S ch effczy k, S c h ö p ­
fu ng und V orsehung (H D G II/2 a), F reibu rg 1963; D ers., Die W elt als S ch ö p fu n g
G o tte s , A s c h a f f e n b u r g 1968; D e r s ., E in f ü h r u n g in die S c h ö p f u n g s l e h r e ,
D a rm s ta d t 31987; D ers., Der G n a d e n c h a ra k te r d er S ch öp fu ng : G laub e in der
B e w ä h r u n g (G e s a m m e l te S c h r i f te n zu r T h e o lo g i e III), S t.O tt il ie n 1991,
157-171; D ers., G o tt der Schöpfer. Das G o ttes b ild der Schö pfu ng : G ottes
S c h ö p fu n g (hrsg. von Fr. B reid), S tey r 1994, 13-38; H. Lais, D o g m atik I, K e v e ­
la er 1965; M y s te riu m S alutis II: D ie H e ils g esch ic h te vor C h ristu s (hrsg. von
J. F e in e r und M. L öh rer), E in sie d e ln 1967; J. R atzing er, E in fü h ru n g 1968;
A. G läßer, K onvergenz. Die S tru k tu r d er W eltsu m m e P. T eilhard de C h ard in s,
K ev ela er 1970; J. N eu n er - H. R o os, D er G lau be der K irche in den U rk un de n der
L e h r v e r k ü n d i g u n g , R e g e n s b u r g 81971; H. S c h e ll, K a th o li s c h e D o g m a ti k
(K ritisch e A u sg a b e , hrsg. von J. H a se n fu ß und P.-W. Sch eele) II, M ü n c h e n 1972;
I. A ue r - J. R a tzin ger, Die Welt - G ottes S ch ö p fu n g (K K D III), R e gen sbu rg 1975;
O. K uss, D er R ö m e rb rie f, 3. Lfrg., R e gen sbu rg 1978; M. S ch m a us, Der G lau be
der K irch e III, S t.O ttilien 1979; H. U. v. B althasar, Z u ein er c h ristlic h e n
T h e o lo g ie der H o ffnu ng , in: M T h Z 32 (1981) 81-102; J. M o ltm ann , G ott in der
S c h ö p f u n g . Ö k o l o g is c h e S c h ö p f u n g s l e h r e , M ü n c h e n 1985; N e u e s B ib e l-
L ex ik o n (hrsg. von M .G ö rg un d B .L an g) Z üric h 19 8 8 f f .; H .L u b sczy k , Die
B u n d e s u r k u n d e . U r s p r u n g u n d W i r k u n g s g e s c h i c h t e d es D e u t e r o n o m i u m s ,
W eilheim 1990; H. D. Preuß, T h e o lo g ie des A lten T estam en ts I, S tuttgart 1991;
R. A lbertz, R e lig io n sg e s c h ic h te Israels in a ltte s ta m e n tlic h e r Z eit I, G ö ttin g en
1992; Fr. C ou rth , G ott - M en sch - Welt. Was sagt ch ristlic h e r S c h ö p fu n g s g la u b e ?
L e itfa d e n zur S ch ö p fu n g s leh re, St. O ttilien 1996.

I. Souveränität und Freiheit Gottes


Der Glaube an die absolute Souveränität des Schöpfers, der sich
im Gedanken von der „Schöpfung aus dem Nichts“ konkretisiert und
konzentriert, schließt schon ein Moment der Freiheit des Schöpfer­
handelns in sich, freilich zunächst nur im Sinne der Unabhängigkeit
von allen äußeren Bedingungen und Determinanten wie Materie, wie
Raum und Zeit. Damit ist seine äußere Freiheit, die Freiheit von
jedem äußeren Zwang (libertas a coactione) festgestellt. Für das
Weltverhältnis Gottes wie für das Gottverhältnis des Geschöpfes ist
aber auch die Erkenntnis der inneren Freiheit Gottes wesentlich (li-
-

bertas a necessitate intrensica), damit die Schöpfung nicht aus inne­


ren Bedingungen und Bedürfnissen seines Wesens, aber selbst nicht
aus den Vollkommenheiten seiner Natur als notwendig erscheint. So
würde der Schöpfer durch seine Natur genötigt, die Schöpfung ins
Werk zu setzen. Die sich aus einem solchen Ansatz ergebende Fol­
gerung wäre dann nicht mehr abzuwehren, daß die Schöpfung zur
Natur Gottes gehöre, genauso wie die Zeugung des Sohnes und die
Hauchung des Heiligen Geistes. Dann müßte eine innere Zusam­
mengehörigkeit zwischen Gott und Welt angenommen werden. Hält
man demgegenüber an der inneren Freiheit zur Selbstbestimmung
Gottes wie zur Wahlfreiheit fest, dann stellen sich freilich auch
Fragen: die Frage der Unterscheidung zwischen absoluter Freiheit
und Willkür und die Frage nach der Notwendigkeit eines W illensrat­
schlusses überhaupt. Auch die Frage nach der Verpflichtung zur
Schaffung der besten aller Welten stellt sich in diesem Zusammen­
hang ein.
1) Die heilsgeschichtliche Begründung
Die biblischen Bezeugungen der Freiheit des Schöpferhandelns
Gottes wurden häufig einzelnen Aussagen entnommen, die, wie etwa
Ps 115,3, das Wohlgefallen Gottes an den Schöpfungsdingen bekun­
deten: „... alles, was ihm gefällt, vollbringt er“ (vgl. auch Ps 135,6).
Besonders beweiskräftig erschien dabei die Aussage des Ephe-
serbriefes über den Vater und seinen „Plan“, „der alles so verwirk­
licht, wie er es in seinem Willen beschließt“ (Eph 1,11; vgl. auch
Offb 4,11)1. Aber diese distinkten, punktuellen Bekundungen stehen
in einem umfassenden Zusammenhang; sie sind Bestandteile eines
umgreifenden Ganzen, das von der Heilsgeschichte gebildet wird.
Sie handelt nicht nur von den Machttaten Gottes, sondern zugleich
auch von der Freiheit des dahinter stehenden Ratschlusses und
Willens Gottes.
Der Gedanke der mit Freiheit verbundenen Macht Jahwes als des
Schöpfers tritt schon in der Verbindung von Schöpfung und
Erwählung hervor. Die Koinzidenz von Schöpfungs- und Erlösungs­
idee spricht eindeutig für ein gänzlich freies, huldvolles Handeln
Gottes. Die soteriologische Deutung des Schöpfungsgeschehens

1 Zu E ph 1,11 vgl. H. Sch lier , D er B r i e f an die E p h eser , 67.


(vgl. Jes 51), die gleichsam zu einer „Koinzidenz der beiden Schöp­
fungswerke“2 führt, worin auch alle heilsgeschichtlichen Taten Jah­
wes eingeschlossen sind, wird nur unter Voraussetzung der Freiheit
Jahwes verständlich, die ihren Gipfel in der Befreiung des Volkes
gewinnt, die aber genau so schon in der Gründung von Welt und
Geschichte verankert ist3.
Am deutlichsten wird das erkennbar, wenn man die Geschichte
der Schöpfung auch als Geschichte des Bundes versteht4. Die Schöp­
fung, als Voraussetzung des Bundes, als Zurüstung zur Stiftung des
innersten Treueverhältnisses zwischen Gott und dem Volk verstan­
den, hat bereits Anteil an dem im Bund eingeschlossenen Freiheits­
moment; denn der Bund trägt wesentlich das Moment personaler
Freiheit des Gebers in sich5, dem auf seiten des Empfängers des
Bundes ebenso die freie personale Annahme im Gehorsam ent­
spricht.
A uch bei B e ach tu n g der W an dlu ng des B un d e sb e g riffes im A lten T estam en t
u n te r V e rla g e r u n g s e i n e r i n h a l t l i c h e n S c h w e r p u n k te ( „ G e s c h e n k b e r i t “ ,
„V e rtrag sb e rit“ )6 b leib t doch der K e rn g e h a lt u na ng eta stet, daß es sich um eine
freie W illen s e n tsc h e id u n g Jah w es han d e lt, die als G esch e n k bereits g n a d e n h a f­
ten C harakter, als V erpflichtung G e b o tsc h a r a k te r ann im m t, die ab er in je d e m
Fall A u sd ru c k ein e r freie n Tat Jah w es ist.
Vor allem in dem schon g n a d e n h a fte n M o m en t der E rw äh lu n g , das den B u nd
b estim m t, k o m m t ein göttliches V erhalten zum V orschein, das in kein er W eise
au f ein N a tu rv e rh ä ltn is z u rü c k g e fü h rt w erden kann. Wenn Ja h w e vor A b sch lu ß
des A b ra h a m s b u n d e s sagt: „Ich will einen Bund stiften zw isch en m ir und dir und
dich sehr z ah lre ich m a c h e n “ (G en 17,2) o d er wenn er d urch den P ro p h e te n sagen
läßt: „Ich will euer G ott sein und ihr sollt m ein Volk se in “ (Jer 7,23), dann ist in
so lchen W orten der E rw ä h lu n g und der V erheißung ein p e rs o n ales V erhältnis
ausg ed rü ck t, das im freien W illen des B u n d esg o ttes grü ndet.

Der Bundesgedanke als exzeptionelles Gottverhältnis7 wäre nicht


zu halten ohne die Überzeugung vom freien gnadenhaften Handeln
des Bundesherrn.

2 G. v. Rad, T h e o l o g ie des A lten T e sta m e n ts , 142.


3 L. S c h e f fc z y k , S c h ö p f u n g und V orsehu ng , 7 ff.
4 D ies en , vo r allem von K. B a rth h e r v o r g e h o b e n e n G e d a n k e n g reift W. Kern auf:
M y s te r iu m S alu tis II, 4 4 7, un d sp r ich t vom „ D o p p e l a k k o r d B u n d - S c h ö p f u n g “ im
H i n b l i c k a u f G en 1 und 2.
5 H. D. P re u ß , T h e o l o g ie des A lten T e sta m e n ts I, 81.
6 W. Kern, a.a .O ., 4 4 8 f.; vgl. auch N e u e s B i b e l - L e x ik o n , Lfrg. 3, 3 4 4 -3 4 8 (N. L o h fink );
H. L u b sc z y k , D ie B u n d e s u r k u n d e , 36.
7 Vgl. R. A lb er tz, R e li g i o n s g e s c h i c h t e Israels in a lt t e s t a m e n tl i c h e r Z eit I, 103.
Die Vollgestalt der Freiheit im Welt- und Heilshandeln Gottes
offenbart sich aber erst im Abschluß des neuen endgültigen Bundes
durch Christus (vgl. 2 Kor 3,6; Hebr 7,1-10,18). Das gesamte Werk
Christi geschieht nicht, „um meinen Willen zu tun, sondern den
Willen dessen, der mich gesandt hat“ (Joh 6,38). So wurde Christus
„nach Gottes beschlossenem Willen und Vorauswissen hingegeben“
(Apg 2,23).
Eine letzte Steigerung erfährt die Erkenntnis des freien Herr­
scherwillens Gottes, wo es um das Geheimnis des Gnadenhandelns
Gottes an Israel wie an den Heiden geht (vgl. Röm 9,1-11,36). An
dieser Stelle beweist sich der freie Wille Gottes in seiner für den
Menschen unergründlichen Tiefe als „Freiheit des souveränen Got­
tes, der die Geschichte vor aller Geschichte nach seinem Willen
bestimmt und entsprechend seinem ‘R u f’ ergehen läßt ...“8. Sie kann
dem M enschen zum Ärgernis w erden9. Aber gerade das dem
Menschen Widerstand Entgegensetzende ist ein Beweis für die Exi­
stenz solcher einzigartiger Freiheit.
V erstä n d lic h e rw eise ist d ieses M o m e n t in der T rad ition in den h e il s g e ­
s c h ich tlich en K o n z ep tio n e n der S c h ö p fu n g b e so n d e rs d eu tlich h era u s g e a rb e ite t
w orden, weil G e sch ich te n ur im Z u s a m m e n h a n g von P e rs o n a litä t und F re ih eit zu
ve rs teh e n ist. B e isp ie lh a ft g e sch ieh t das bei Ire näu s v. Lyon (+ 202), der die
„ W e ltp la n e in h e it“ , die Z u s a m m e n o rd n u n g von S ch ö p fu n g und E rlö s u n g so e n t­
sc h ied en faßt, daß beide in der F reih eit des S chö pfers w urzeln, d er „alles aus
freiem W illen und nach seinem G u td ü n k e n g e m a c h t h a t“ 10. D iesen G ru n d zu g
ü b e rn im m t auch H ip p o ly t (+ 238), für den die E rlö s u n g die F o rtse tzu n g der
S ch ö p fu n g s g e sc h ic h te ist. Für ihn gilt: „Er schuf, wie er wollte, denn er war
G o tt“ ". Für A u g u stin u s (+ 430) ist in der g e sc h ic h tsp h ilo s o p h isc h e n Idee von
der O ffen b a ru n g der G ere c h tig k e it und W eisheit G ottes in der S c hö pfun g
zu gle ich die F re ih e itsid e e ein g es ch lo ss en . So sagt er über die M e n s c h e n s c h ö p ­
fu ng (w as für die g anze S c h ö p fu n g gilt): „D en M e n s c h e n [ersc h u f er] nic h t nach
e in em n eu en p lö tz lic h e n E infall, so ndern nach sein em u n w an d elb aren und e w i­
gen R a ts c h l u ß “ 12.

Das kirchliche Lehramt, das die überlieferte Wahrheit meist in


Auseinandersetzung mit abweichenden Lehrauffassungen in konzen­
trierter doktrinärer Form befestigte, nahm gegen Meister Eckhart

8 H. Sch lier , D e r R ö m e r b r i e f, 293.


9 Vgl. O. Kuss, D er R ö m e r b r i e f, 3. Lfrg., 828ff.
10 Adv. haer. III, 8,3.
11 C o n t r a N oet., 10.
12 De civ. Dei XII, 15.
(+ 1327) Stellung, der zugleich mit der Annahme einer ewigen
Schöpfung den Unterschied zwischen der Zeugung des Sohnes und
der Erschaffung der Welt nicht eindeutig voneinander abhob. So
konnte die These, daß „Gott in seinem einmaligen Gottsein, da er den
gleichewigen Sohn ... zeugte, zugleich auch die Welt geschaffen
[hat]“, im Sinne eines naturhaften Hervorgangs der Schöpfung
mißdeutet werden (DH 953). Eine förm liche Definition nahm das
Konzil von Florenz im Jahre 1442 vor im Lehrentscheid für die
Jakobiten, dessen Ausssage lautete: „Aus seiner Güte schuf er, wann
er wollte (quando voluit) alle Geschöpfe ... “ (DH 1333). Verdeutlicht
wurde das Freiheitsmoment in der auch auf G. Hermes und A.
Günther Bezug nehmenden Definition des Ersten Vatikanums: D ieser
alleinige wahre Gott hat in seiner Güte ... aus völlig freiem
Entschluß (liberrimo consilio) ‘vom Anfang der Zeit an aus nichts
beide Schöpfungen geschaffen’“' (DH 3002). Damit war immer auch
(gegen Leibnizens „metaphysischen Optimismus“) die Wahlfreiheit
Gottes bezüglich anderer Verwirklichungsweisen der Schöpfung ein­
geschlossen. Verneint wurde freilich die Wahlmöglichkeit zwischen
einer guten und bösen Schöpfung, welche das Tridentinum definitiv
ausschloß (DH 1556).
2) Die theologische Verifizierung
Trotz des stark philosophischen Einschlags der Freiheitsproble­
matik war dem kirchlichen Glaubensbewußtsein die religiös-existen­
tielle Bedeutung dieses Merkmals des göttlichen Schaffens immer
präsent. Es verteidigte ihn schon gegen den Emanatianismus der
Neuplatoniker. Es bekräftigte ihn vor allem in der Neuzeit gegenüber
einem monistischen Einheitsstreben, dem der Gedanke einer absolu­
ten Unabhängigkeit Gottes von der Schöpfung als eine Distanzierung
des Schöpfers von der Welt und ebenso als eine Degradierung der
Schöpfung erschien. Deshalb setzte Spinoza (+ 1677) Gott als die
einzig absolute Wirklichkeit und als erste Ursache, die allen Dingen
innebleibend ist, so daß alle Dinge aus ihr notwendig erflossen sind
und nun Attribute seines Wesens darstellen13. Auch für das Einheits­

13 O p e r a II, ed. C. G e b h a r d t, H ä n d e l b e r g 1925, 62.


pathos G. Fr. Hegels (+ 1831) ist Gott der absolute Geist, der sich in
die Endlichkeit von seinem Wesen her entäußert. „Das, was Gott er­
schafft, indem er die Welt bildet, ist er selbst“ 14. So wird die
Schöpfung spekulativ als notwendig erwiesen und der Glaube in das
Wissen aufgehoben. Es findet eine (gewiß in manchen gedanklichen
Differenzierungen abgemilderte) Identifizierung der geschaffenen
Welt mit Gott statt, die der Faszination der Einheit aller (göttlichen)
W irklichkeit unterliegt.
In ein er gew isse n A b sc h a ttu n g findet sich d ieser G e da nk e auch bei Teilhard
de C hardin (+ 1955), d er in der k lein en S chrift „L ’u nion c re a tric e “ (1 917) die
A u ffassu n g vertritt, daß die S ch ö p fu n g „ nicht abso lut fr e iw illig “ g esch ah, „ s o n ­
dern ein Werk von q u a si-a b so lu te m In teress e d a rs te ll t“ 15, also letztlich doch
einem n atu rh aften A n trieb G o ttes ihren U rsp ru n g verdankt. D er A u to r gibt auch
den G ru nd für diese p ro b le m a tisc h e A n n a h m e an, der in der B e fü rch tu n g g e le ­
gen ist, daß eine abso lu t freie S ch ö p fu n g als g ru nd lo s, als zu fällig und w illk ü r­
lich a n ge sehe n w erden könnte. D a h in te r steht auch die a nd ere Sorge, die w ie­
deru m von dem n eu ze itlich en E in h e itsp a th o s b e stim m t ist, daß n äm lic h der
G lau b e an eine ab solu te N ic h tn o tw e n d ig k e it der Welt das B and zw isch en G ott
und W elt sch w äch en o der gar a breiß en lassen müßte.

Während diese Ansicht eine evolutive Weitsicht und einen eben­


solchen Gottesgedanken hinter sich hat, versucht eine neuere
Deutung eine theologische Vertiefung des Gedankens vom schöpferi­
schen Gott, der (entgegen der kalvinistischen, von K. Barth über­
nommenen Dekretentheologie) keines Schöpfungsratschlusses be­
darf. Gott ist danach in seinem Wesen schöpferisch und bedarf somit
eines auf die Schöpfung zielenden Willensaktes nicht. Diesen Ge­
danken P. Tillichs16 hatten (in zurückhaltender Weise) schon G.
Hermes (+ 1831) und A. Günther (+ 1863) erwogen, wenn sie aus
den unvergleichlich großen Vollkommenheiten Gottes (besonders
seiner W eisheit und Güte) eine faktische N otw endigkeit der
Schöpfung ableiteten. P. Tillich geht aber weiter, wenn er behauptet,
daß Gott sich nicht zu seiner Schöpfung entschlossen habe, sondern
daß sie jenseits von Zufall und Notwendigkeit sein „Schicksal“ ist.
Für Tillich sind göttliches Leben und göttliches Schaffen m iteinan­
der identisch. Der Satz ist in einem allgemeinen Sinne nicht falsch,

14 V o rlesung ü b er die P h i l o s o p h i e der R e lig io n , ed. G. L ass o n , L eip zig 1925, 200.
!5 Vgl. dazu A. Gläßer, K on vergenz. Die S tr u k t u r der W e l t s u m m e T eilh a rd s de C h a rd in ,
219.
16 S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie I, S tu ttg a rt 1956, 290ff.
insofern ja die Schöpfung eine Offenbarung göttlichen Lebens ist
und an diesem Anteil gibt. Aber er ist in einem speziellen Sinne
unzureichend, wenn man voraussetzt, daß das primäre Leben Gottes
nicht das auf die Schöpfung ausgerichtete Leben, sondern das inner-
trinitarische Leben ist, in dem Gott gänzlich erfüllt und in vollkom­
mener Seligkeit existiert.
J. M o ltm a n n b rach te die h ier b e ste h e n d e n U n te rs c h ie d e , die in nur m i n im a ­
len D ifferen zen zu lieg en scheinen, au f den G eg en sa tz zw ischen „ D e k re te n le h re “
und „ S u b s ta n z -“ oder „ E m a n a tio n s le h re “ und versu chte eine V erm ittlung z w i­
schen beiden . Sie erfolg te in der Weise, daß, vom W esen der g ö ttlich en L ieb e
au sg eh en d , „die S e lb s tm itte ilu n g seiner G üte in L ieb e zu seiner S c hö pfun g k ein e
F rag e ein e r freien Wahl, sondern das selb stv erstän d lich e W irken seines ew igen
W e se n s“ sein s o l lt e 17.
Der Ansatz bei der Liebe ist aber nur dann treffend und befriedi­
gend, wenn diese Liebe in vollem Sinne personal verstanden wird
und mit dem Charakter des Entschlusses und der Entscheidung aus­
gestattet ist. Sonst fällt der Vermittlungsversuch auf die Stufe des
Emanatianismus zurück18. Der mit Entscheidung gepaarte Wille be­
sagt aber keinesfalls Willkür oder Distanzierung vom Geschaffenen.
Er ist im Gegenteil eine vollkommenere, weil personale Zuwendung
zum „Partner“, wie sie bei einem Naturvorgang nicht entstehen kann.
Die Hervorhebung von Gottes Freiheit bei der Schöpfung besagt eine
intensivere Zuwendung zu den Geschöpfen, aber bei gleichzeitiger
Souveränität über die Kreatur. Als Letztes bleibt zu bedenken, daß
nur aus der absoluten Freiheit Gottes dem geistigen Geschöpf das
Geschenk der Freiheit zukommen darf. Ein unfreier Gott und ein
freies Geschöpf wären ein innerer Widerspruch.

II. M otiv u n d Ziel d e r S chöpfung


Das Befassen mit dem w illentlichen Grund der göttlichen
Schöpfung entspringt nicht einem rein theoretisch-spekulativen
Interesse oder gar der menschlichen Neugier. Es geht dabei vielmehr
um die Fixierung des primordialen Unterschiedes zwischen dem
Schöpfer und dem Geschöpf, ohne den auch der wahre Charakter der

17 J. M o l t m a n n , G o tt in d er S c h ö p f u n g , 95.
18 Vgl. g eg en M o l t m a n n H. U. v. B a lt h asar, Zu ein er c h r i s t l i c h e n T h e o l o g ie der
H o f fn u n g , 98- 102.
Verbindung beider nicht recht erfaßt werden kann. Das gilt auch für
die jedem geistigen W illensakt zukom mende M otivation und
Zielsetzung.
1) Das „Warum“ und „Wozu“ der göttlichen Schöpfung
Die traditionelle Theologie hat sich aus den erwähnten Gründen
ausgiebig mit dieser Frage beschäftigt und dabei wiederum das ein­
zigartige göttliche Subjekt und seine Unabhängigkeit von allen inne­
ren Bedürfnissen und äußeren Zwecken zur Geltung gebracht. Dabei
versuchte man auch wieder, sich des Wortes der Schrift zu versi­
chern, das freilich von der theologischen Problematik nicht betroffen
ist und deshalb keine distinkte Antwort auf eine solche Frage bietet.
Immerhin konnte man sich auf einzelne Aussagen beziehen, welche
die Frage umkreisen und ihren Sinn berühren. So verkündete der
Prophet Jesaja das Drohwort Jahwes an Israel: „Doch um meines
Namens willen halte ich meinen Zorn lange zurück, um meiner Ehre
willen bezähme ich mich, um dich nicht vernichten zu müssen“
(Jes 48,9). Von dem nun erfolgenden Eingreifen Gottes (das wieder­
um mit der Schöpfungstat verglichen wird: Jes 48,12-16) aber heißt
es: „Nur um meinetwillen handle ich jetzt, denn sonst würde mein
Name entweiht; ich überlasse die Ehre, die mir gebührt, keinem
ändern“ (Jes 48,11). Wenn Gott nur um seines Namens willen schont
und um seiner Ehre willen handelt, so ist die Selbstverherrlichung
Gottes als das eigentliche „Wozu“ seines Welthandelns ausgegeben,
was dem Gesamtbefund bezüglich des alttestamentlichen Gottesbil­
des durchaus entspricht. Eine ausdrückliche Beziehung zum göttli­
chen Schöpfungsakt findet sich in Spr 16,4: „Alles hat der Herr für
seinen Zweck erschaffen, so auch den Frevler für den Tag des
U nheils“ (Universa propter semetipsum operatus est Dom inus.)19.
Im Neuen Testament kommen diesem Gedanken Aussagen wie
Röm 11,30 nahe („Aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die
ganze Schöpfung“), aber auch Hebr 2,10 („Gott, für den und durch
den das All ist“) und Offb 1,8 („Ich bin das Alpha und das Omega.“).

19 D e r U rtext sp rich t freilich n u r von d em b e s o n d e r e n Z w e c k , fü r den j e d e s G e s c h ö p f


b e s t im m t ist.
Die theologische Tradition hat bis hin zur altprotestantischen
Dogmatik diese Motivierung und Zielsetzung der göttlichen Schöp­
fung übernommen. In diesem Sinn erklärt Origenes: „Als Gott im
Anfang schuf, was er schaffen wollte, nämlich vernünftige K rea­
turen, da hatte er keinen anderen Grund zu erschaffen, als sich selbst,
näherhin seine Gutheit“20. Auch Augustinus bestätigt im Hinblick auf
die Güteformeln des P-Berichtes: „Es wird an ihnen deutlich, daß
Gott durch keine äußere Notwendigkeit gezwungen die Welt erschuf,
sondern allein aus seiner Güte, d.h. aus Liebe zu sich selbst“21.
Die Schultheologie hat, in Analogie zum sinnvollen menschli­
chen Handeln, weitere Differenzierungen vorgenommen und am
göttlichen Handeln Motiv und primäres wie sekundäres Handlungs­
ziel unterschieden, nicht um dadurch das Tun Gottes rational zu er­
fassen, sondern um es in seiner Einzigartigkeit darzustellen22. Das
Ergebnis dieser Bemühungen ging in die Definition des Ersten Vati­
kanums ein, die besagt: „Dieser alleinige und wahre Gott hat in sei­
ner Güte und ‘allmächtigen K raft’ - nicht um seine Seligkeit zu ver­
mehren, noch um (Vollkommenheit) zu erwerben, sondern um seine
Vollkommenheit zu offenbaren durch die Güter, die er den Geschöp­
fe n gewährt - aus völlig freiem Entschluß ‘vom Anfang der Zeit an
aus nichts in gleicher Weise beide Erscheinungen der Schöpfung
geschaffen (DH 3002). Damit ist das Motiv der göttlichen
Schöpfung (der finis operantis) in Gott selbst hineinverlegt und als
göttliche Güte oder Selbstliebe bestimmt. Diese muß sich auch in
dem äußeren Werk durchsetzen, so daß als erstes, objektives Schöp­
fungsziel die Offenbarung der göttlichen Vollkommenheit und das
heißt auch die Verherrlichung Gottes erkennbar wird, von dem das
sekundäre Ziel der Anteilgabe seiner Güte an die Geschöpfe und ihre
Beseligung abhängt.
2) Das Problem des selbstbezogenen Handelns Gottes
Die Selbstbezogenheit göttlichen Handelns bereitet der Vernunft
gewisse Schwierigkeiten, die zuletzt daher rühren, daß die Zweck-

20 De p ri n c i p ii s II, 9,6.
21 De civ. Dei XI, 24.
22 M. J. S c h e e b e n , S c h ö p f u n g s l e h r e . S ü n d e n le h r e , 3 5 ff.
haftigkeit menschlichen Handelns der Sinnhaftigkeit des göttlichen
Erschaffens nicht einfach kommensurabel ist. So erwachsen der
Glaubens Wahrheit vom Rationalismus D escartes’ wie vom Auto­
nomismus Kants her manche Einwände, die auch in der katholischen
Theologie des 19. Jahrhunderts (bei G. Hermes23 und A. Günther24)
ihren Widerhall fanden. Dabei war nicht so sehr die innere M oti­
vation des Schöpferhandelns strittig; denn die im Inneren verblei­
bende Motivation, das freie Selbstverströmen in der Liebe, war als
Tat der Freiheit einer weiteren Begründung weder bedürftig noch
fähig. Erst, wo damit die äußere Zielsetzung und der Endzweck ver­
bunden wurden und dafür die Verherrlichung Gottes als primäres Ziel
(als finis operis) der Schöpfung benannt wurde, ergaben sich Ein­
wände. Sie waren z.T. so grundsätzlicher Art, daß H. Schell (+ 1904)
behauptete, man könne im Zusammenhang von Gottes Handeln über­
haupt nicht von Ziel und Zweck sprechen25.
D ieser A u ffa ssu n g sch ließ t sich auch W. P a n n en b erg m it d er B e g rü n d u n g an:
„A b e r das G e s c h ö p f ist n ich t d arum gesch affe n , d am it G ott von ih m E h re e m p ­
fängt. G o tt b e d a rf dessen nicht, w eil er sch on in sich selb st von E w ig k eit her
G ott ist *6. In de sse n gibt der A u to r zu, daß a u f seiten der G e sch ö p fe und in s b e ­
son dere des M en s ch en der Z w e c k ihres G e sc h a ffe n s e in s in der V e rherrlichung
G ottes liege und daß das von ih m g esc haffe ne W erk ihm du rch au s zu r E hre gerei-
che-7. N u r sollte diese a u f seiten des G e sc h ö p fe s lie gen de Z ie lb e stim m u n g nicht
in den S c h ö p fu n g s b e sc h lu ß G o ttes e in b e z o g e n w erd en, w eil d arin das erw ä h n te
M o m e n t der S elb s tsu c h t m it e in g e fü h rt w erde. A b er die G ed an k e n fü h ru n g
ers c h e in t n ich t ganz schlüssig; denn w en n die V erh errlichu ng G ottes das den
G e sc h ö p fe n Vorgesetzte Ziel ist, der dem W erk im m a n e n te finis operis, dann
k ann es sich nu r um eine von G ott gesetzte F in a litä t handeln. D ie objektive
Z ie la u sric h tu n g kann sch w erlich vom W illen G ottes g etren n t w e rd e n 28.

Der Widerspruch zum göttlichen Schöpfungsziel der Selbstver­


herrlichung scheint zuletzt in einer zu äußerlichen, rational-zweck-
haften Fassung des Zielgedankens zu liegen29. Man bedenkt zu

23 E b d a., 38.
24 P. W enze l, D as w i s s e n s c h a f t l i c h e A n l i e g e n des G ü n t h e r i a n i s m u s , 167-170; m it
G. H e r m e s un d A. G ü n t h e r setzte sich die K ö l n e r D i ö z e s a n s y n o d e von 1860 aus ein an d er:
J. N e u n e r - H. R oo s, 190- 193; vgl. auch D H 2 7 3 8 - 2 7 4 0 ; 2 8 2 8 - 2 8 3 1 .
25 K a t h o l i s c h e D o g m a t i k II, 136; vgl. auch J. A uer, D ie W elt - G o ttes S c h ö p f u n g , 106ff.
26 S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 74.
27 a.a.O ., 74f.
28 D a i u m e r k l ä i t das K ö l n e r P ro v i n z ia lk o n z il : „ D a ß ab e r G o tt die A n e r k e n n u n g und
L ie b e se in e r V o llk o m m e n h e ite n , ... se ine äu ß ere E h re w ir k lic h b eab s i c h t i g t hat, steht ü ber
al lem Z w e i f e l “ : N e u n e r - R o o s , 192f.
29 Vgl. J. Auer, Die Welt - S c h ö p f u n g G ottes, 108.
wenig, daß das göttliche Schaffen auf eine der absoluten Vollkom­
menheit Gottes entsprechende Weise zielgerichtet ist. Zunächst gilt,
daß göttliches Schöpferhandeln nicht als ziellos gedacht werden
kann. Zugleich aber kann diese Zielhaftigkeit nicht als Ausrichtung
auf ein außergöttliches Ziel verstanden werden, dem sich Gott unter­
stellen müßte, sei es, um ein höheres Gut zu gewinnen, sei es, um
sich selbst zu verwirklichen30. Das Ziel des göttlichen Handelns kann
nur in ihm selbst liegen, weil eine außer ihm wirkende Zielursache
die absolute Unabhängigkeit des Schöpfers aufheben würde31. Des­
halb muß die zielhafte Ausrichtung Gottes auf die Geschöpfe iden­
tisch sein mit der Ausrichtung Gottes auf sich selbst. Das Wollen
endlicher Dinge bei Gott kann seine Ursache nur im Wollen seiner
selbst, in seiner Selbstliebe und seiner Selbstverherrlichung haben.
Es kann sich dann nur um eine immanente Zielursächlichkeit han­
deln, die keine nützliche Zweckhaftigkeit meint, sondern die wie (in
ferner Analogie) ein Schaffen des Künstlers in sich selbst ruht und
als Manifestation der eigenen Vollkommenheit in Erscheinung tritt.
Die Zielhaftigkeit des göttlichen Schaffens ist so auf das bonum sui
diffusivum gerichtet, das seiner Selbstverherrlichung dient. Die
Interpretation dieses Selbstbezuges als Egoismus müßte im Grunde
Gott sein Gottsein zum Vorwurf machen.
Die Kritik an diesem primären Schöpfungsziel verkennt schließ­
lich die immer mitgehende Wahrheit vom sekundären finis, der in der
Teilgabe Gottes an seiner Güte und damit in der Beseligung der Ge­
schöpfe gelegen ist. Wie sehr sich hierbei das Schöpfungsziel der
Verherrlichung Gottes mit der Beseligung des Geschöpfes verbindet,
zeigt der Satz des hl. Thomas: „Gott sucht seine Verherrlichung nicht
seinetwegen, sondern unsretwegen“32. Damit kommt die auf die
Geschöpfe gehende Liebe des Schöpfers machtvoll zur Geltung, aber
in Unterordnung unter das Erstziel der Selbstverherrlichung Gottes.
Läßt man dieses Erstziel unbeachtet, macht man also die Beseligung

30 D a r a u f n i m m t T h o m a s B e zug m it d em A rgu m ent: „ D i c e n d u m q u o d n u llo m o d o v olu n-


tas Dei c a u s a m h a b e t “ : S.th. I q. 19 a.3; vgl. auch: De m alo q.9 a .l ad 4: „ G l o i i a D ei n o n
est ad a l iq u id aliu d re fe re n d a , se d p r o p ri u m ip sius Dei est, ut g lo r ia p r o p t e r se i p su m qu ae-
ratur“ .
31 L. S c h e f fc z y k , E i n f ü h r u n g in die S c h ö p f u n g s l e h r e , 57ff.
32 D a z u e r k lä rt T h o m a s : „D eu s su a m g lo r ia m non am at p r o p t e r se se d p r o p t e r n o s “ :
S.th. II.II. q .13 2 a . l ad 1.
der Geschöpfe zum ersten und einzigen Ziel der Schöpfung (etwa
gemäß dem vulgären Ausdruck: „Gott will das Glück der Geschöpfe,
sonst nichts“), dann macht man die Geschöpfe zur bewegenden
Ursache der Schöpfung und verstößt gegen die Souveränität des
Schöpfers. In Wahrheit aber kann Gott die Geschöpfe nur lieben,
weil er sich selbst liebt und ihnen an dieser Liebe Anteil gibt. Ohne
die Selbstliebe Gottes und ihre Offenbarung, die ihm zur Verherr­
lichung gereicht, kann die Teilhabe der Geschöpfe an der Vollkom­
menheit Gottes nicht gedacht werden. Gott gewährt den Geschöpfen
Anteil an seinem Wesen, das in sich selbst erfüllt und Selbstliebe ist.
Indem er an dieser seiner Selbstliebe und Selbstverherrlichung fest­
hält, ermöglicht er den Geschöpfen erst die Anteilhabe an seiner
Vollkommenheit und Güte. So ist das den Menschen zur Anteilnahme
an Gott erhebende Schöpfungsziel in das Primärziel einbezogen und
von ihm abhängig.
Diese gedankliche Ordnung der Ziele ist auch für das Sein und
die Berufung des Menschen von maßgebender Bedeutung. Sie be­
sagt, daß der Mensch zur formellen Bejahung der Großtat Gottes,
d.h. zur gloria Dei formalis, berufen ist (während die nichtgeistige
Kreatur die gloria Dei objectiva durch ihr bloßes Dasein vollzieht)33.
Sie verlangt aber auch die Anerkennung des Grundsatzes, daß der
Mensch nicht in einer auf sich allein gestellten Selbstverwirklichung
sein Ziel erreicht, sondern daß er Gott dienen und ihn loben muß, um
sich selbst finden und verwirklichen zu können. So nehmen die
Geschöpfe wahrhaft am göttlichen Sinn der Schöpfung teil, ohne daß
Gott von ihnen abhängig würde. Die Zusammenführung der beiden
Schöpfungsziele bietet den tiefsten Grund für die Beantwortung der
Sinnfrage bezüglich des Menschen. Sie ist in dem Augustinus wort
beantwortet: „Gott wird nicht größer, wenn du ihn verehrst. Aber du
wirst größer, wenn du ihm dienst“34.

III. Die Konkretion des Weltzieles in Christus


Einem heilsgeschichtlichen Verständnis der Schöpfung wird
daran gelegen sein, die vornehmlich theoretische Aussage über die

33 M. S ch m au s , D er G la u b e der K irch e III, 11 öff.


34 Vgl. H. Lais, D o g m a t i k I, 110.
Schöpfungsfinalität an der Realität der Heilsgeschichte zu konkreti­
sieren. Die biblischen Ansätze dazu sind schon bei Erörterung der
„Trinität als Grund der Schöpfung“35 entwickelt worden. Es gilt hier,
diese Ansätze zu verdeutlichen und die schon gewürdigte Schöp­
fungsmittlerschaft Christi in ihrer Realbedeutung zu erfassen.
1) Christus als Urbild der Schöpfung
Unter Rückbezug auf den schon erörterten Schriftbefund bezüg­
lich der Exem plarität Christi im Schöpfungs wirken Gottes
(Weish 7,21; Ps 104; Spr 3,19ff.; 8,27; Kol 1,15; Joh 1,3), welche die
Voraussetzung zur Anerkennung seiner Bedeutung als Schöpfungs­
ziel bildet, ist zunächt auf die auf diesem Grund entwickelte tradi­
tionelle Lehre von den göttlichen Ideen oder der göttlichen Weltidee
hinzuweisen, welche im Anschluß an das platonische Denken, aber
auch unter gleichzeitigem Einschluß der Schriftwahrheit entwickelt
wurde36. Sie war geeignet, gegenüber der formalen „creatio ex nihi-
lo“ die positiv-inhaltliche Seite des Schöpfungsaktes genauer in den
Blick zu nehmen. Das gelingt aber vollauf erst, wenn man (wie schon
Augustinus37) die Ideenlehre mit der Logoslehre bzw. mit Christus in
Verbindung bringt.
Die Lehre von Christus als dem Urbild der Schöpfung38 kann das,
was über die Ideen gesagt wurde, konkretisieren und gleichsam per­
sonalisieren; denn hier wird klar, daß es nicht um theoretische Ideen
und Ideale geht, die der Schöpfung voranleuchteten, sondern daß der
Inbegriff dieser Ideen der präexistente und menschgewordene Got­
tessohn ist. Man darf daraufhin wirklich sagen, daß Christus das
Urbild und das Inbild der Schöpfung ist. Alles das, was deshalb
früher über die Erkennbarkeit, über Sinnhaftigkeit, Ordnung und
Schönheit in der Welt auf Grund der Existenz einer Weltidee gesagt
wurde, das gilt, theologisch genauer gefaßt, jetzt vom Gottmenschen.
Dadurch empfängt die ganze Schöpfung das Gepräge einer Person
und nicht nur das Gepräge von apersonalen geistigen Wirklichkeiten.

35 Vgl. Kap. III § 7 d ie s e r A b h a n d l u n g .


36 Vgl. u.a. G r e g o r v. N a z ia n z , P o em . d og m . 1,4; A u g u s tin u s , D e trin. IV 1,3; T h o m a s ,
S.th I q.15 a. 1; B o n a v e n tu ra , In H ex ae m . X X , 5.
37 D e trin. IV, 1,3.
38 Vgl. zu m F o l g e n d e n L. S c h e f fc z y k , Die Welt als S ch ö p f u n g G o ttes , 70ff.
Das Sein, die Würde und Bedeutung des Logos, auch des
menschgewordenen Logos, besteht näherhin darin, daß in ihm „das
Bild des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15) in der Welt einen Ausdruck
gefunden hat. Man kann deshalb auch sagen, daß das Wesen, die
Würde und Bedeutung des Gottmenschen im „Aussprechen“ und in
der „Bezeichnung“ des göttlichen Vaters besteht. Deshalb konnte der
fleischgewordene Logos von sich sagen: „Wer mich sieht, sieht auch
den Vater“ (Joh 14,9). Der Sinn seines Daseins ist demnach darin
gelegen, daß er auf den Vater hinweisen und eine aussprechende
Funktion für das göttliche Sein des Vaters übernehmen soll. Wenn er
nun zugleich derjenige ist, „durch den alles gemacht w urde“
(Joh 1,3), d.h. wenn er zugleich das Urbild jeglicher Schöpfung ist,
dann heißt dies, daß die Geschöpfe an dieser seiner göttlichen
Funktion auch Anteil haben. So sollen auch die Geschöpfe an der
aussprechenden, worthaften Funktion des Logos und des menschge­
wordenen Gottes teilnehmen.
Der Gedanke von der Christusförmigkeit oder der Christusprä­
gung der Geschöpfe will dann besagen, daß jedes geschaffene Wesen
in endlicher und vereinzelter Weise an der Aussagefunktion des
menschgewordenen Logos gegenüber dem Vater teilnimmt. Jedes
geschaffene Sein spiegelt daraufhin die unendliche Vollkommenheit
des Offenbarungsausdrucks Gottes wider, der im menschgewordenen
Logos Gestalt angenommen hat. In einzelne Momente ausgefaltet,
besagt dieses Geprägtsein der Schöpfungsdinge vom Urbild des Lo­
gos: Sie sollen alle in endlich-begrenzter Weise die Macht, Schön­
heit, Liebe, Ordnung des göttlichen Lebens widerspiegeln. Das
Urbildsein des Gottmenschen gegenüber der Schöpfung ist eine
Teilgabe an der Sinnhaftigkeit und Sinnfülle der Existenz des Gott­
menschen vor dem Vater und von seiten der Geschöpfe eine
Teilnahme an dieser Vollkommenheit und Sinnfülle.
Alle diese Aussagen, die über die christologische Sinn- und
Abbildlichkeit der Geschöpfe gemacht werden können, haben darin
ihren Grund, daß der Gottmensch selber gleichsam in sich die
Summa creaturae darstellt, d.h. daß er in sich alles Geschöpfliche in
höchster Vollkom menheit vereint und, wie es die Geheime
Offenbarung (Offb 1,8; 22,13) ausdrückt, das Alpha und das Omega
der Schöpfung ist. Die Erklärung dieses Bildes muß dahin gehen, daß
Christus als das Alpha und das Omega gleichsam das ganze Alphabet
der W irklichkeit umfaßt und in sich zusammenschließt. Wenn das der
Fall ist und wenn ferner die Summe der W irklichkeit in ihm zur
Einheit mit Gott geführt ist, dann wird verständlich, warum er die
Urgestalt der gesamten Schöpfung sein kann.
2) Christus als primäres Ziel der Schöpfung
Der Gedanke von der Exemplarursächlichkeit Christi geht aber
folgerichtig in den der Finalursächlichkeit über, was insofern ver­
ständlich ist, als die Idee immer auch das Ziel des schöpferischen
Tuns bildet und bei der Gestaltung dem Künstler als das zu Voll­
endende vor Augen steht. Diese Verbindung hat auch eine biblische
Entsprechung, insofern im Christushymnus des Kolosserbriefes in
einer Aussage beides zugleich festgehalten wird, daß nämlich das All
sowohl „durch ihn“ als auch „auf ihn hin“ geschaffen ist (Kol 1,16).
Er stand deshalb als das höchste Ziel gleichsam vor den Augen des
göttlichen Schöpfers, und nur um dieses Zieles willen ist die Schöp­
fung in ihren Einzelheiten gebildet worden. Das ist eine Perspektive,
die die gewohnte kosmozentrische und anthropozentrische Sicht
geradezu umstößt, insofern hier nicht die Welt als das Ziel und der
Sinn der göttlichen Schöpfung ausgegeben wird, in der dann einmal
mehr oder weniger zufällig auch der Gottmensch erscheint. Die
Zuordnung verläuft vielmehr umgekehrt: Das erste im göttlichen
Planen ist der Gottmensch, das zweite ist die Schöpfung in ihren
Einzelelementen, die alle nur der Ausprägung der Uridee dienen und
ihre Verwirklichung im geschöpflich-materiellen Bereich vorberei­
ten.
Es fällt dem gläubigen Denken nicht schwer zu begreifen, daß die
Menschwerdung des Sohnes Gottes die höchstmögliche Erfüllung
des ersten Schöpfungszieles erbrachte, nämlich die Ehre oder
Verherrlichung Gottes; denn die Tatsache, daß Gott in eine mensch­
liche Natur eingeht, daß er sich daraufhin in seiner Gottheit in höchst
realer Weise offenbart, daß hier die Herrlichkeit Gottes unmittelbar
an der Schöpfung aufstrahlt, ist schon in sich ein Geschehen, das von
der Macht und Güte und Größe Gottes spricht und Gott die höchste
Ehre einbringt.
In dieser Wahrheit sind eine ganze Reihe von entscheidenden
Folgerungen für das Welt- wie für das Menschenverständnis einge-
schlossen, zunächst für die gegenständliche Welt und ihr Verständ­
nis. Die Wahrheit von der Christusbezogenheit der Schöpfung besagt
zunächst, daß die Weltdinge, da sie alle auf Christus zentriert sind, in
sich selbst keine absolute Autonomie besitzen39, daß demnach auch
die Ordnungen dieser Welt nicht selbstgesetzlich aufgefaßt werden
und strukturiert sein können. Wo solche Ordnungen wissentlich ohne
Christus oder gar gegen ihn aufgerichtet werden, tragen sie den Keim
ihres Verfalls schon in sich. Das ist allerdings nicht so zu verstehen,
als ob die irdischen Ordnungen dadurch sakralisiert würden. Die
Zielausrichtung auf Christus und die „Christifizierung“ nimmt den
Dingen nichts von ihrer Naturwirklichkeit und echten Weltlichkeit,
sondern läßt sie erst zu ihrer eigentlichen M ächtigkeit kommen, wie
in der hypostatischen Union die Menschheit Christi durch ihre
Zentrierung auf die Gottheit und die göttliche Person erst höchste
menschliche Echtheit und Vollkommenheit erweist.
Die Zielbestimmung der Welt und des Menschen auf Christus hin
darf freilich nicht statisch verstanden werden, als wäre mit dem
Kommen Christi und mit dem Glauben an ihn die Schöpfung am
eschatologischen Vollendungsziel angelangt. Das Vollendungsziel
liegt vielmehr in der geschichtlichen Weiterführung des Christus­
ereignisses in Richtung auf die Verwirklichung des Reiches Gottes
und der eschatologischen Verklärung der Schöpfung zu einem neuen
Himmel und einer neuen Erde (Offb 21,1).

IV. Die Güte der g ö ttlich en S chöpfung


Der Ursprung der Schöpfung aus der Freiheit und Liebe Gottes
wie ihre (sekundäre) Zielbestimmung zur Anteilnahme an Gott und
zur Beseligung der geistigen Geschöpfe fordern die Anerkennung
einer ursprünglichen Güte und das seinshafte Gutsein der Werke
Gottes, das auch angesichts des Einbruchs der Sünde, des Bösen und
des Übels nicht wesentlich geschmälert werden kann.

39 Vgl. d azu auch das II. V atik an u m , G a u d i u m et sp es, 36.


1) Der biblisch-christliche Optimismus
Die Bedeutung des biblischen Grundbefundes über die Güte der
Schöpfung ist anhand der „Billigungsformeln“ des P-Berichtes schon
gewürdigt worden40. Hierin liegen die Grundlagen eines heilsge­
schichtlichen Optimismus bezüglich der Schöpfung und ihrer Ge­
schichte, der freilich nicht mit dem „metaphysischen Optimismus“
von Leibniz identifiziert werden darf. Die patristische Theologie
wußte diesen heilshaften Optimismus sogar noch zu vertiefen, indem
sie von der Schöpfung als von einer Begnadung wie von einem
Gnadengeschehen sprach. So erklärt Augustinus: „Freilich kann man
durchaus ... von der Gnade sprechen, durch die wir erschaffen sind,
nämlich etwa [davon], daß wir über das Nichts erhaben seien und
auch nicht ein Sein besitzen wie der leblose Leichnam, der gefühllo­
se Baum, das vernunftlose Tier, sondern daß wir Menschen seien, die
Sein, Leben, Gefühl und Vernunft besitzen und für eine so große
Wohltat dem Schöpfer zu danken haben. Mit Recht kann auch dies
Gnade genannt werden, weil es uns nicht um des Verdienstes eigener
vorhergegangener guter Werke willen, sondern durch die unverdien­
te Güte Gottes verliehen worden ist“41. Es ist nicht zuletzt diese An­
näherung der Gabe der Schöpfung an die Gnade, diese Beziehung der
ersten zur zweiten Schöpfung, welche die Güte des Schöpfers in ein
neues Licht hebt und mit höchster Bedeutung ausstattet.
Ähnlich bekundet die Güte der Schöpfung Basilius d. Gr. (+ 379):
„Gott schuf in seiner Güte das Nützliche, in seiner Weisheit das
Schönste, in seiner Macht das Größte“42. Daraus ergibt sich auch das
Lob der Schönheit der Schöpfung, das Theophilus v. Antiochien
(+ um 186) so zum Ausdruck bringt: „Betrachte, Mensch, seine Wer­
ke! Den rechtzeitigen Wechsel der Jahreszeiten, die Veränderung der
Witterung, den geordneten Lauf der Himmelskörper, den regel­
mäßigen Gang der Tage und Nächte, der Monate und Jahre, die bunte
Schönheit der Samen, Pflanzen und Früchte ... Betrachte die Unter­
ordnung, in der nach seiner Anordnung alle Wesen unter dem

40 Vgl. Kap. II §§ 3 und 4; vgl. zum F o l g e n d e n L. S ch effc zy k , G o tt d er S chöpfer. Das


G o t t e s b il d der S c h ö p f u n g , 13-38; d ers., D e r G n a d e n c h a r a k t e r der S c h ö p f u n g , 157-171.
41 Ep. 177,8.
42 H e x a e m e ro n , Hom . 1,7.
Menschen stehen. Betrachte die Gestirne, wie sie ringsum am Him­
mel ihren Weg nehmen, denen allen die vielfältige Weisheit Gottes
ihre Namen gegeben hat“43.
In der Kraft dieser theologischen Wahrheit vermochte das frühe
Christentum allen Extremen zu begegnen, die sich in der alten Welt
zwischen dem Epikureismus mit seiner vorbehaltlosen Bejahung der
Schönheit und Fülle des Daseins und dem Dualismus mit seiner
Welt- und Leibfeindlichkeit auftaten44. Diese Wahrheit bildete aber
auch ein Korrektiv innerhalb der im Raum des Christlichen und in
der Geschichte des Christentums aufbrechenden extremen Welthal­
tungen. So gab es im M ittelalter (auch unabhängig von den unter­
schwelligen dualistischen Grundströmungen, die u.a. bei den Katha­
rern zum Durchbruch gelangten) auch eine aszetisch-pessimistische
Grundstimmung hinsichtlich der Welt, die sich in Werken wie „De
vanitate mundi“ (Hugo v. St. Viktor) oder in „De miseria humanae
conditionis“ (Innozenz III.) äußerte. Sie hatte eine Abkehr von der
wirklichen Schöpfung und eine Hinwendung zur himmlischen Weit
zur Folge, die faktisch zur Mißachtung des einen, zusammenhängen­
den Werkes Gottes führen konnte45. Andererseits war das christliche
Denken auch vor der anderen Gefahr nicht gefeit, die darin bestand,
in einseitigem Weltoptimismus zu schwelgen und sich einer schran­
kenlosen Daseinsfreude (wie etwa in Renaissance und Aufklärung)
zu übergeben46, die dem christlichen Schöpfungsgedanken ebenfalls
widersprach; denn offenbar ist die empirische Welt ambivalent und
ihre Betrachtung von rein menschlichen Voraussetzungen bietet bei­
den Perspektiven Raum: dem Pessimismus wie dem Optimismus.
Dem christlichen Denken ziemt allerdings auch keine Neutralität
gegenüber diesen beiden Optionen, wie sie dem Stoiker anstünde.
Eine solche Gelassenheit würde den Christen seine Verwiesenheit auf
die Schöpfung und seinen Weltauftrag nicht ernst nehmen lassen. Er
muß die Ambivalenz der menschlichen Welteinschätzung transzen­
dieren und für die letzthinnige Güte der Welt optieren; dies aber

43 A d A uto ly c. 1,5-7.
44 Vgl. zum F o l g e n d e n L. S c h e f fc z y k , E in f ü h r u n g in di e S c h ö p f u n g s l e h r e , 7 Off.
45 Vgl. h ierzu Chr. L u th a rd t, G e s c h i c h t e der c h r i s t l i c h e n E th ik I, L e ip z ig 1888, 320ff.
46 D a z u vgl. H. S tep han, G l a u b e n s l e h re , 341.
nicht aus einem vorschnellen Blick auf die Empirie und auf einige
isoliert betrachtete Phänomene, sondern im Blick auf die Güte des
Schöpfers, der von seinem Werk nicht zu trennen ist.
2) Christlicher Glaube und tragische Weitsicht
Der Glaube an die seinshafte Güte der Schöpfung erfährt eine
heftige Gegnerschaft durch den Hinweis auf die Nöte der Schöpfung,
auf ihre Unvollkommenheit, ihr Leid und auf das Böse in ihr. Das
hier aufgeworfene Problem läßt sich in die Frage fassen: Wird die
Güte des Schöpfers und seines Werkes durch das Übel und das Böse
w iderlegt? Diese Frage hat schon der antike Denker Epikur
(+ 270 v. Chr.) in einer Weise formuliert, die bis in unsere Zeit
Gültigkeit behalten hat. Er erwägt vier Möglichkeiten der Beant­
wortung dieser Frage und der Einstellung zur Gottheit. Er sagt: „Die
Übel will die Gottheit entweder nicht beseitigen, oder sie kann es
nicht; oder sie kann es, aber will es nicht; oder sie will es weder,
noch kann sie es; oder sie will und kann es“. Nun folgen die Ant­
worten auf diese verschiedenen Möglichkeiten. Es heißt dann:
„Wenn sie es kann und nicht will, so ist sie mißgünstig: eine
Eigenschaft, die ihr billigerweise fremd sein sollte. Wenn sie es
weder will noch kann, so ist sie mißgünstig und schwach: also auch
keine Gottheit. Wenn sie es aber will und kann, was allein der Gott­
heit würdig ist, woher kommen dann die Übel, oder warum werden
sie nicht von ihr beseitigt?“47. Man merkt es dem antiken Denker an,
daß er die Vorstellung von einer guten würdigen Gottheit retten
möchte, aber es zuletzt doch nicht vermag, weil er einer rein empi­
risch-positivistischen Weitsicht folgt.
Im m o d e r n e n M a te ria lis m u s , g e p a a rt m it ein er b e s t im m t e n F o rm des
E v o lu tio n ism u s , m eld et sich diese S icht w ied eru m zu Wort. In der „K ritische n
T h e o r ie “ der F r a n k f u rte r S c h u le w ird die g esam te K u ltu r e n tw ic k lu n g als
G e sc h ic h te eines fo r tsc h r e ite n d e n Verfalls interp retiert, in der selbst „ A u s c h ­
w itz “ als kein b e ilä u fig e r Z w isc h e n fall, son dern eine n o tw e n d ig e Folge d er kata-
stro p h isc h a n g e le g te n E n tw ic k lu n g g ed eute t wird. Ü ber diese stellt die „ n e g a ti­
ve D ia le k t ik “ in U m k e h ru n g des be tre ffen d e n H eg el-S atze s die Devise: „Das
G an ze ist das U n w a h r e “ . M it R ech t b e m e rk t dazu ein K ritiker: „D ie T h eorie, daß
die G enesis der G esch ich te als eine K a tastro p h e b egriffen w e rd en m üsse, stellt

47 Die N ac h s o k ra tik e r. D e u ts c h in A u s w a h l m it E in l e i t u n g e n von W. N estle I., Je n a


1923, 195 (F rag m . 68).
...

eine A n tith e se zur c h ristlic h e n S c h ö p fu n g s th e o lo g ie dar, die den H e rv organ g der


Welt au f die cre atio d urch ein Wort zu rü ck fü h rt, nach dem alles gut g e sch affen
ist.“ D ie D isk re d itie ru n g des G a n z en als des U n w a h re n „stellt in der re lig io n s ­
g e sc h ic h tlic h e n Persp ek tiv e die E rn e u e ru n g der g n o stisc h e n G ru n d ü b e rz e u g u n g
dar, daß die b e ste h e n d e R e a litä t vom Teufel ist und als solche total v e rk e h r t“48.
D as A b seh en von der w e s e n sm ä ß ig e n G üte des G e sc h a ffe n e n find et sich
auch bei E. Bloch, d er das ganze „ G e n e s is -P a th o s “ vom guten A nfan g der Welt
und „den Gott, der sein W erk auch noch sehr g ut f in d e t“49, h eftig k ritisiert. Die
Q u alifizieru n g der S c h ö p fu n g m it „ se hr g u t“ sch eint dem n e o m a rx istis c h e n
P h ilo so p h e n n icht n ur im W id e rsp ru c h zur W irk lic h k e it zu stehen, sie gilt ihm
auch als ten d en z iö se A u ffo rd eru n g zum S ich -A b fin d en m it den g e g e n w ärtig en
V erhältnissen und zum V erzicht a u f je d e v o rw ä rtsd rä n g e n d e V e rän d e ru n g s­
d y n a m ik des M en s ch en , als zu tiefst k o n se rv ativ e Id eologie.

So ist in der gegenwärtigen Verfassung des Geistes der große Zug


zur Anklage alles Bestehenden und zur großen Weigerung gegenüber
der vorfindlichen W irklichkeit aufgebrochen, ein Ikonoklasmus
gegenüber den tragenden Ideen und Werten der Menschheit, der sich
nicht eigentlich gegen einzelne Fehlleistungen richtet, sondern das
Ganze als Fehlkonstruktion ansieht. Die utopische Sehnsucht nach
dem „ganz Anderen“ , der Drang zu extremen Alternativen, das
Ressentiment gegenüber dem Maßvollen und Schönen sind Ausdruck
eines Lebensgefühls, das die Welt nur noch als das Machbare, das zu
Revolutionierende versteht, aber nicht mehr als Geschenk erkennt.
Angesichts dieser Gegensätze kann sich der christliche Glaube nicht
vermessen, dem fragenden Intellekt eine rational befriedigende Ant­
wort zu bieten. Aber er kann sich auch nicht in einem trotzigen
Dennoch auf seine eigene Gewißheit zurückziehen. Wohl aber kann
er vom Licht des Glaubens auch dem Intellekt eine gewisse Richtung
aufzeigen, in welcher das Geheimnis gelegen ist. Der französische
Literat I. Vieujean deutet diese Richtung in einem Bilde an. Er führt
aus: „Ich denke nicht, daß die menschliche Intelligenz je das
Problem des Übels bis auf den Grund lösen wird. Aber vielleicht hilft
Ihnen ein Vergleich weiter. Angenommen, sie beträten ein Haus, das
solide gebaut und auch gut möbliert ist, wo jedoch momentan alles
verwüstet aussieht - die Türen herausgerissen, die Stühle umgewor­
fen, die Wäsche auf dem Boden zerstreut u.s.w. - Sie fragen, woher

48 G. R o h r m o se r, Das E le n d der k r itis c h e n T h e o ri e , F re ib u rg i. Br. 1970, 22f.


49 E. B lo ch , A th e i s m u s im C h r i s t e n t u m , F ra n k fu r t a. M. 1968, 144.
diese Unordnung komme, und Sie sind solange gereizt, bis Sie das
Rätsel aufgedeckt haben. Aber es wird Ihnen sicher nicht der Ge­
danke kommen, es habe keinen Architekten, Schreiner oder Schnei­
der gegeben“50. Das Wort kann auch auf das Verhältnis der Versehrten
Schöpfung zum guten Schöpfer übertragen werden. Das ist möglich,
wenn man in das Bild einige sichere Wahrheiten des Wissens wie des
Glaubens einfügt. Dazu gehört die Erkenntnis, daß auch eine gute
Welt noch nicht eine vollkommene und vollendete ist; ferner gehört
dazu der Gedanke, daß eine materielle Welt, an der auch der Mensch
teilhat, der Korrumpierbarkeit und der Zerfallbarkeit ausgesetzt ist,
wodurch das sogenannte physische Übel, aber auch das psychische
Übel des Schmerzes dem Verständnis nahegebracht werden. Das
eigentliche Übel ist aber für den Glauben das moralische, die Sünde,
welche die grundstürzende Macht in der Welt und die Quelle der
schlimmsten Leiden ist. Aber gerade von ihr sagt der Glaube, daß sie
nicht vom Schöpfer stammt und auch nicht schon mit dem Ursprung
der Schöpfung gesetzt war, sondern danach erst in die Welt einge­
brochen ist und zwar durch das Versagen des Menschen. Zwar ist
diese universale Sünde durch die Erlösung Jesu Christi prinzipiell
gebrochen worden, aber ihre Folgen erweisen sich weiterhin aktiv
und führen zu der Vielzahl von persönlichen Sünden, die das eigent­
liche Drama des Menschenlebens ausmachen.
Hier wird der Blick vom Geheimnis der Gesamtschöpfung auf
das Geheimnis des Menschen, seiner Freiheit und der Sünde gelenkt,
die zum Drama der Schöpfung führt.

§ 10 :
Gottes Weg mit der Schöpfung: Erhaltung und Vorsehung
L iteratu r: H. E. H en g ste n b erg , Von der göttlichen V orsehung, R e g en sb urg
1940; K. B arth, Die k irch lich e D o g m a tik III/3, Z ürich 1950; A. G anoczy,
S ch ö p fu n g s le h re: G la u b en szu g än g e . H an d b u ch der k a th o lis c h e n D o g m a tik I,
P ad erb orn 1955; O. Weber, G ru n d la g e n der D o g m a tik I, N eu k irc h e n 1955;
P. Tillich, S y ste m a tisc h e T h eo lo g ie I, S tuttg art 31956; P. A lth aus, Die ch ristliche
W ahrheit, G ü te rslo h 51959; D. Fr. S ch leie rm a che r, D er christliche G laub e,

50 H. P fe il, G o tt und d ie tr a g isc h e Welt, A s c h a ff e n b u r g 1971, 115.


2 B d.e (neu hrsg. von M. R ed ek er), B erlin 1960; O. S e m m elro th , Die Welt als
S c h öp fu ng , F ra n k fu rt a.M. 1962; K. R ah ner, Die C h ris to lo g ie in ein er evolutiven
W e lt a n s c h a u u n g : S c h r i f te n zu r T h e o l o g i e V, E in s i e d e ln 1962, 183 -22 2;
L. S c h effczyk , S ch ö p fu n g und Vorsehung: H D G II/2 a, Freib urg 1963; D ers., Die
Welt als S c h öp fun g G o ttes, A sch affen b u rg 1968; D ers., U rsp ru n g und Sinn der
Welt (A ntw ort des G lau b en s, 22), Freib urg 1981; D ers., E in fü h ru n g in die
S c h ö p fu n g s le h re , D a rm s ta d t 31987; D ers., S c h öp fu ng . G e h e im n is in den G e ­
h eim n is se n : S ch ö p fu n g (I n fo rm a tio n s z e n tr u m B erufe der K irch e), Freibu rg
1988, 83-98; D ers., G ott der Schöpfer. Das G o ttes b ild der S ch öp fu ng : G ottes
S c h ö p fu n g (hrsg. von Fr. B reid), Steyr 1994, 13-38; H. G. F ritzsch e, L eh rb uch
der D o g m a tik II, G ö ttin g en 1967; W. T rillh aas, D og m atik, B erlin - New York
31972; J. Auer, D ie Welt - G o ttes S c h ö p fu n g (K K D III), R e ge nsbu rg 1975;
G. E b elin g, D o g m a tik des c h ristlic h e n G la u b en s I, T ü b in g e n 1979; M. Schm aus,
D er G la ub e der K irch e III: G ott der S chöpfer, S t.O ttilie n 21979; E. S chlink, Ö k u ­
m en isc h e D og m atik . G ru n d zü g e, G ö tting en 1983; J. M o ltm an n , G ott in der
S ch öp fun g. Ö k o lo g is ch e S ch ö p fu n g s le h re , M ü n c h e n 1985; B. E. N w ig w e , Die
L eh re von der g ö ttlich en Vorsehung und m e n s c h lic h e n F reih eit bei T ho m as
v. A q u in und ihre zeitlo g isch e K ritik durch A. N. P rio r u. P. T. G each, M ü nster
: 1985; W. O e lm ü lle r (H rsg.), T h e o d iz e e - G ott vor G erich t?, M ü n c h e n 1990;
W. P a n n e n b e rg , S y s t e m a t is c h e T h e o lo g ie II, G ö ttin g e n 1991; R. K ocher,
; H e ra u s g e fo r d e rte r V orseh un gsglau be. Die L eh re von der Vorsehung im H orizon t
der g e g e n w ä rtig e n T heo lo g ie , S t.O ttilien 1993.

Das heilsgeschichtliche Schöpfungs Verständnis begreift die


Schöpfung nicht als zurückliegendes Urzeitgeschehen, sondern es
sieht in ihr ein beständiges Wirken Gottes zu ihrer Erhaltung und zu
ihrer Zielführung. Diese Auffassung hängt aber auch am Wesensver­
ständnis der Schöpfung, die als Urhebung des ganzen Seins des Ge­
schöpfes auch in ihrem Fortbestand und in ihrem geschichtlichen
Gang der göttlichen Schöpferkraft bedarf. So ist das göttliche Schaf­
fen ein ursprüngliches, ein gegenwärtiges und ein auf Zukunft bezo­
genes.

I. Die w eiterg eh en d e S chöpfung


Die dogmatische Tradition faßte die weitergehende Schöpfung
unter dem Aspekt des göttlichen Wirkens als „creatio continuata“
und unter dem Aspekt des geschöpflichen Effektes als „conservatio“,
als Erhaltung der Welt.
1) Notwendigkeit und Bedeutung der Differenzierung
Die Unterscheidung zwischen Schöpfung und Erhaltung (creatio
und conservatio) macht die Frage nach dem Grund und der Notwen­
digkeit einer solchen Differenzierung möglich, die auch den An-
schein eines bloßen Begriffsspieles erwecken könnte. Ebenso kann
sich der Verdacht erheben, daß es sich hierbei um zwei verschiedene
göttliche Aktionen handele, welche die Einheit des göttlichen Tuns
aufheben müßten. So ist in der Tat au s verschiedenen Richtungen ge­
gen diese Unterscheidung angegangen worden. Nach dem Skeptiker
Pierre Bayle (+ 1706) hätte diese Unterscheidung den Ungedanken
zur Voraussetzung, daß die Dinge unaufhörlich ins Nichts versänken
und deshalb immer neu geschaffen werden müßten, was Gott zu
immer neuen Schöpfungsakten verpflichten w ü r d e 1.
In n e u e re r Z eit ist aus th eo lo g is c h e n G rü n d en eine solche b egrifflich e
U n te rs c h e id u n g k ritisie rt worden. W ä h re n d D. Fr. S c h le ie rm a c h e r (+ 1834) au f
dem G ru n d e des sch le c h th in n ig e n A b h än g ig k e itsg e fü h ls den G ed an k en an die
„S ch ö p fu n g am A n fa n g “ z u rü c k d rä n g te und alle A u fm e r k sa m k e it der W ahrheit
von der g e g e n w ä rtig e n sch ö p feris ch en E rh altu n g z u w a n d te 2 (so daß es in seiner
p a n th e isie re n d e n W eltau ffassu ng kein en U n ters ch ied z w isc h e n S ch ö p fu n g und
E r h a lt u n g g ab ), n e ig e n m o d e r n e e v a n g e l is c h e T h e o lo g e n e in e r g e w is s e n
D ista n z ie ru n g vom B e g riff der E rh a ltu n g zu. So sieht O. W eber bei V erw endung
dieses B eg riffes, den er als „ u n ra ts a m “ beze ich net, die G e fah r a ufste hen , G o tt in
die Welt „ h in e in z u n ö tig e n “ und ihn „zu einem uns je verfü g b aren , die R ätsel
u nseres D aseins e rh e lle n d e n B e g riff zu m a c h e n “3. Ä h nlic h heg t W. T rillhaas
g e g e n ü b e r dem G e d a n k e n an die creatio co n tin u ata die B efü rc h tu n g , er kö nn e
„die n ötig e D ista n z des G e sc h ö p fe s zum S ch ö p fer b e d ro h e n “4. H. G. F ritz sc h e
find et diese E in w ä n d e b e d e n k e n sw e rt, ohne sich ihnen g än zlich zu v e rs c h re i­
b e n 5.

Indessen plädiert die überwiegende Mehrzahl auch der evangeli­


schen Theologen für die Beibehaltung dieses Begriffes und seines
Gedankengehaltes wegen seiner positiven Bedeutung für ein integra­
les Schöpfungsverständnis6. Dies geschieht nicht nur in Entgegen­
setzung zum in der Neuzeit seit der Renaissance und seit dem mecha­
nistischen Denken des 17. und 18. Jahrhunderts immer virulenten
Deismus (mit manchen Auswirkungen auf einen mechanistischen
Evolutionismus7), sondern es geschieht aus der grundlegenden Er­

1 Vgl. D T h C II, 4 8 4 - 4 9 L
2 D e r c h r i s t l i c h e G la u b e I, 185f.
3 G r u n d l a g e n d e r D o g m a t i k I, 556f.
4 D o g m a t i k , B e rl i n - N ew York 3 1972, 153.
5 L e h r b u c h d e r D o g m a t i k II, 295.
6 D a z u g e h ö r e n K. B a rth , Die k i r c h l ic h e D o g m a t i k III/3; e b e n s o P. A lth a u s , D ie c h r i s t ­
lich e W ah rh eit, 3 0 7 ff.; E. S chlin k, Ö k u m e n i s c h e D o g m a tik , 146ff.; J. M o l t m a n n , Ö k o l o g i ­
sc h e S c h ö p f u n g s l e h r e , 214ff.; W. P a n n e n b e r g , S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g i e II, 4 7 ff.;
G. E b e l in g , D o g m a t i k des c h r is tlic h e n G l a u b e n s I, 296ff.
7 Vgl. u.a. J. M o n o d , Z u fall un d N o t w e n d i g k e i t : P h i l o s o p h i s c h e F ra g e n der m o d e r n e n
B io lo g ie, M ü n c h e n 21971.
kenntnis des Glaubens heraus, daß es beim Ansatz des offenba­
rungsgemäßen Schöpfer- und Schöpfungsgedankens nicht bei einer
Fixierung auf einen urzeitlichen Vorgang bleiben kann, der die jetzt­
zeitliche Schöpfung nicht wirksam beträfe. Das Verhältnis des das
Geschöpf aus dem Nichts rufenden Schöpfers zu seinem Gebilde wä­
re verkannt, wenn man die Abhängigkeit des Geschöpfes auf ein rei­
nes Ursprungsgeschehen reduzierte und ihm danach ein Dasein und
Leben aus eigenen Kräften zubilligte. Diese Kraft kann sich das Ge­
schöpf als aus dem Nichts Gerufenes nicht zuschreiben. Es würde
aber ebenso die im Schöpfungsakt angelegte absolute Souveränität
des Schöpfers über sein Werk verkannt, wenn man der Vorstellung
Raum gäbe, daß er das von ihm einmal geschaffene Werk sich selbst
und seinen eigenen Fähigkeiten überlassen könnte. Der Schöpfer
würde dadurch zu einem Demiurgen degradiert.

Umgekehrt ist diese Überführung des Schöpfungs- in den Erhal­


tungsgedanken, der creatio prima in die creatio continuata, dazu
angetan, die Schöpfung mit dem Index einer einzigartigen Aktualität
zu kennzeichnen, sie damit in die Jetztzeitlichkeit hineinzuheben,
damit aber auch ihre existentielle Bedeutung freizusetzen, was nicht
zuletzt durch den Aufweis der Immanenz des Schöpfers und seines
Tuns im Geschöpf geschieht, die freilich die recht zu verstehende
seinshafte Transzendenz nicht schmälern darf. Schließlich gewinnt
der Gedanke der Erhaltung seine besondere Bedeutung für eine ge­
schichtlich zu verstehende Schöpfung, die noch nicht an das escha-
tologische Vollendungsziel gelangt ist, sondern dieses in der Kraft
des Schöpfer- und Erlöserhandelns Gottes, verbunden mit der eige­
nen Mitwirkung, erreichen soll.

Um diese Bedeutung der „conservatio“ zu erfassen, ist gedank­


lich eine Unterscheidung zur „creatio“ notwendig, die doch nicht zu
einer förmlichen Trennung in zwei Akte führen darf, was der Einheit
des göttlichen Schöpfertums widerspräche. Auch wenn „Schöpfung“
und „Erhaltung“ für das menschliche Denken zu unterscheiden sind,
so kann es sich bei Gott nur um den gleichen Akt handeln. Er ist als
entitativ eins zu verstehen, aber terminativ (mit Bezug auf die
Wirkung im Geschöpf) als unterschieden anzusehen, näherhin in der
Weise eines virtuellen Unterschieds, d.h. einer sachlich begründeten
Verstandesunterscheidung. Bei näherem Hinblick erweist sich die
Unterscheidung als notwendig, weil ohne die Annahme eines zeitlos
fortdauernden (nicht etwa eines immer wiederholten) Schöpfungs­
aktes die Existenz eines im Wesen wie im Dasein total abhängigen
Geschöpfes nicht erklärt werden könnte. Damit kommt aber (gleich­
sam im Rückblick) noch einmal das einzigartige Wesen des Schöp­
fungsaktes in den Blick, der nicht in einem kausalen Wirken an etwas
Vorhandenem besteht, auf das sich das Geschöpf danach stützen
könnte, sondern der in einer Urhebung des ganzen Seins des
Geschöpfes besteht, das des göttlichen Seinszuflusses niemals ent­
behren kann.
Die conservatio setzt das gläubige Denken instand, die Welt­
erhaltung im Unterschied zur Schöpfung als fortgesetzte Erschaffung
zu verstehen oder als Fortbegründung des einmal begründeten Seins
des Geschöpfes. Welterhaltung ist dann im Unterschied zur Schöp­
fung der von Gott zeitlos festgehaltene Schöpfungsakt, der dem zeit­
lichen Sein des Geschöpfes überzeitlich koexistent ist. So wie (im
Vergleich) der M ittelpunkt eines Kreises auf jeden Punkt der
Peripherie in gleicher Weise bezogen und ihm gegenwärtig bleibt, so
ist der Schöpfungsakt dem Geschöpf zum Zwecke seiner Erhaltung
immer gegenwärtig. Aufgrund dieses Verhältnisses besitzen die ge­
schaffenen Dinge zu keinem Zeitpunkt die selbsteigene Kraft, aus
sich heraus zu existieren und sich auf ihr eigenes Vermögen zu grün­
den. Der Fortbestand des Geschöpfes kann nur erklärt werden durch
die Fortdauer des göttlichen Schöpferwillens, d.h. durch die Erhal­
tung des im Schöpfungsakt liegenden Seinszuflusses. Darum erklärt
Thomas: „Die Erhaltung der Dinge durch Gott geschieht nicht durch
eine neue Tätigkeit, sondern durch die Fortsetzung der Tätigkeit, die
das Sein schenkt, freilich eine Tätigkeit, die ohne Bewegung und
Zeit ist“8.
2) Das Zeugnis der Glaubensquellen
Die Schrift, die den Begriff der „conservatio“ nicht verwendet,
handelt nicht in ontologischen Ausdrücken von der Welterhaltung,
sondern unter Wiedergabe der lebendigen Erfahrung vom Wirken
Gottes in der Welt, von seinem ständigen Handeln in der Natur
(Gen 8,22) und dem Erhalt ihrer Ordnungen, der durch den
Noach-Bund garantiert wird (Gen 9,8-17), und vom Handeln Gottes
in der Geschichte (Jes 5,12b; Jer 27,58). Dabei wird gelegentlich auf
die Schöpfung zurückverwiesen (Jer 27,5), aber auch das für das
Erschaffen exklusiv bestimmte Verbum bara gebraucht (Ex 34,10).
Die universal gedachte Erhaltung der Geschöpfe (vgl. Weish 1,7;
11,26) ist aber mit der Fürsorge für die einzelnen Schöpfungsdinge
verbunden (Dtn 11,12-15; Jer 5,24; Ps 104,13-24). Im Neuen
Testament klingt der Gedanke der speziellen, individuellen Erhal­
tung noch inniger an (vgl. Mt 6,25ff.; Lk 12,24ff.), ohne daß die uni­
versale Ausrichtung verlorengeht (vgl. Apg 14,16; 17,28). Sie wird
hier aber in neuer Weise mit der Kraft des Logos in Verbindung
gebracht (Kol 1,16f.; Hebr 1,3).
D ie V ä te rtra d itio n w ar g eh a lte n , den b ib lis c h e n G e d a n k e n g egen den
A ris to telis m u s und den e p ik u re isc h e n A to m ism u s zu v erteidigen und w e ite r z u ­
entfalten; denn je n e r be d u rfte a ufgrun d der V orau ssetzu ng ein er ew ige n M aterie
ein e r W elterh altun g nicht, dieser, der die Welt aus d em freien, ew ig en Spiel der
A tom e erklärte, m u ß te seine G ö tte r m it d em W e ltla u f e b e n so w e n ig befassen.
D abei w urd e der G ed an k e au ch m it dem der V orsehung und der W eltreg ieru ng
verk nü pft. K lem e ns v. A lex an d rien (+ vor 215) e n tw ick e lte d iesen G ed an k en in
sein er E ig e n stä n d ig k e it und v erban d ihn mit der b ib lis ch en A u ssa ge von der
R uh e am siebe nten S c h ö p fu n g s ta g 9. A u g u stin u s erklä rte diese R uh e so, daß der
S ch ö p fe r nach der F e rtig ste llu n g seines Werkes keine n euen G e sc h ö p fe m ehr
he rvo rbrach te. Die positive D eu tu n g schlo ß er an Joh 5,17 an und erklärte; „So
m ü s sen w ir g laub en oder, w enn es m ög lich ist, ein s eh en , daß G ott bis je t z t wirkt,
da die von ihm g e sc h a ffen en D inge, sob ald er ihnen sein W irken en tzieh t, ins
N ichts stü rz e n “ 10. Vielfach e rfu h r der G ed an k e eine in haltliche D ifferen zieru n g ,
indem er in A n leh n u n g an die S chrift als su sten tatio (G ew äh ru n g des Seins), als
su s p e n sio (als E rh eb u n g über den A bg run d), als su b m in istratio (als die nen de
Z u w e n d u n g ) und als co ntin ere (Z u sa m m e n h a lte n ) g e d e u te t wurde.
D ie sc h o lastisch e T h e o lo g ie v ertiefte das V erständnis der W elte rha ltun g in
o n to lo g is c h e r H in sicht, w obei es auch zu u n te r sc h ie d lic h e n S c h u lm e in u n g e n
kam. W ä h re n d Jo h an n es v. N eap el (+ 1336) den U n te rs c h ie d z w isc h e n creatio
und co nservatio als ein en rein b eg rifflic h e n faßte, p lä d ie rten H ein rich v. G en t
(+ 1293) und P etrus A ureo li (+ 1322) fü r zw ei in ne rlich v e rs ch ied en e T ä ti g k e i­
ten G ottes. Im Verfolg d ie s er B em ü h u n g e n kam es auch zur U n ters c h e id u n g z w i­
schen der „ u n m itte lb a r e n “ W elterhaltu ng , in d er G o tt das sub stan tiale Sein der
D in ge positiv e rhä lt (in ein em A kt, der g en au so wie die S c h ö p fu n g ein incom -
m u n ic a b ile ist und au f kein G e s c h ö p f ü b ertra g en w erden kann) und der „ m itte l­

9 S tro m . VI, 16, 142.


10 D e gen. ad litt. IV, 12,22f.
b a r e n “ o d er in d ire k te n E rh altu n g , bei w elch er G o tt bei sein er e rh a lte n d e n T ä ti g ­
keit sich d er G esc h ö p fe als cau sa e secu nd ae b e d ien t un d sie verm ö g e der ihn en
e in g e s e n k te n K räfte bei A b w e h r des ihnen S ch äd lich en und bei Z u w e n d u n g des
ih nen N ü tz lic h e n m itb e te ilig t sein läß t".
Die dem lebendigen Schöpfungsglauben entsprechende Wahrheit
wurde in der Theologie der Reformatoren vor allem unter religiös­
existentiellem Betracht ausgewertet, wofür Luther das beredte
Zeugnis bietet: „Er hat die Welt nicht geschaffen, wie ein Zimmer­
mann sein Haus baut und dann davongeht. Sondern er bleibt dabei
und erhält alles, sonst würde es weder stehen noch bleiben können“ 12.
Er erklärt den Vorgang unmetaphysisch vom immerwährenden Wort
Gottes her: „Durch das Wort im Anfang geschaffen, werden sie [die
Dinge] durch dasselbe wunderbar regiert ...U|3. Katholischerseits trat
in der weithin festgehaltenen Lehre im 19. Jahrhundert eine gewisse
Abweichung bei H. Klee (+ 1840) und A. Berlage (+ 1881) auf, w el­
che die conservatio rein negativ verstehen w ollten14.
3) Der Niederschlag in der Lehre der Kirche
Angesichts der Tatsache, daß es sich bei dem Gedanken von der
Welterhaltung um eine Explikation der Schöpfungswahrheit handelt,
die auch (wenn auch nicht nur) unter Zuhilfenahme der Vernunft
geschieht, ist es verständlich, daß die conservatio mundi von der
Kirche nicht zu einer förmlichen Definition erhoben wurde. Sie ist
aber aufgrund der ordentlichen und allgemeinen Lehrverkündigung
als Glaubenswahrheit (de fide) zu charakterisieren. Der Catechismus
Romanus weist auf die theologische Konsequenz einer Leugnung
dieser Wahrheit hin, die in dem Zurückfallen der Dinge in das Nichts
bestünde15. In der sich daran anschließenden Frage nach der M ög­
lichkeit der Annihilierung der geschaffenen Dinge durch Gott hat die
Theologie die rein abstrakte M öglichkeit der Annihilation wegen der
Freiheit Gottes im Schaffen wie im Nichterschaffen zugegeben, sie
aber faktisch aufgrund der Offenbarungs- und Glaubenserfahrung

11 L. S c h e f fc z y k , S c h ö p f u n g u n d V o rsehu ng , 97f.
12 WA 46, 258.
13 E b d a., 258.
14 Vgl. I. P o h le - I. G u m m e r s b a c h , L e h rb u c h der D o g m a t i k I, P a d e r b o rn 101952, 509; Z u r
S c h ö p f u n g s l e h r e A. B e rla g e s vgl. W. Baier, Die K irche als F o rt s e t z u n g des W irk en s
C h risti, 81; 100-103.
15 I c . 2 q.20.
(vgl. Kol 1,4; 3,14; Weish 1,14) ausgeschlossen. Auch darin kommt
der heilsoptimistische Zug des Schöpfungsglaubens zum Vorschein,
der im Erhaltungsglauben seine jetztzeitliche M ächtigkeit erfährt,
mit der eine Zerstörung eines geschaffenen Wesens nicht vereinbar
ist, sondern nur die endzeitliche Verwandlung und Verklärung aller
Dinge, auch der materiellen.

II. Das Zusammenwirken von Schöpfer und Geschöpf


W ährend die W elterhaltung in einem engen offenbarungs­
gemäßen Kontakt mit der Schöpfungs Wahrheit steht, stellt die beson­
ders von der Scholastik entwickelte Lehre von der Mitwirkung Got­
tes mit den Tätigkeiten des Geschöpfes (concursus divinus generalis
et naturalis) mehr eine vernunftgemäße Folgerung aus dem Schöp­
fungs- und Erhaltungsglauben dar, die aber auch nicht als bloße logi­
sche Deduktion verstanden werden darf, welche allein aus den K räf­
ten der natürlichen Vernunft erfolgte und der natürlichen Theologie
zuzuordnen wäre.
1) Herkunft des „concursus divinus“-Begriffes
Die Entfaltung dieser Wahrheit unter Einsatz hochspekulativer
Denkmittel wie der Verhältnisbestimmung von causa prima und den
causae secundae, von Sein und Tätigsein, von göttlicher Allursäch­
lichkeit und menschlicher Freiheit, konnte sich durchaus auch auf
biblische Grunderfahrungen stützen, welche einerseits davon be­
stimmt sind, daß Gott in den geschöpflichen Tätigkeiten am Werke
ist, daß andererseits diese geschöpflichen Tätigkeiten den Geschöp­
fen nicht abgesprochen werden. Auch wenn eine Mehrzahl von bib­
lischen Aussagen die geschöpflichen Tätigkeiten mit einer gewissen
Exklusivität Gott zuschreibt (vgl. Ijob 10,8f.: „Deine Hände haben
mich gebildet, mich gemacht ..., wie Ton hast du mich geschaffen“;
vgl. auch Ps 147,8), so konnten solche Aussagen doch niemals in der
Weise einer wirklichen Bestreitung ihrer menschlichen Realität ge­
deutet werden. Wenn es Jes 26,12 heißt: „Herr, du wirst uns Frieden
schenken; denn auch alles, was wir bisher erreichten, hast du für uns
getan“, so ist doch eben das menschliche Wirken und „Erreichen“
des betreffenden Geistes aus dem Zusammenhang nicht eliminiert.
Eine gedankliche Brücke zur Feststellung eines wirklichen Zusam­
mengehens von göttlichem und menschlichem Handeln bildete aber
die Feststellung Apg 17,28: „Denn in ihm leben wir, bewegen wir
uns und sind wir“. Solche Bekundungen mußten auch die in diesem
Zusammengehen angelegte Problematik aufrühren und dem theologi­
schen Denken Anlaß zur Frage nach der Erhaltung der menschlichen
Freiheit unter dem göttlichen Einfluß geben, einer Frage, die sich
schon im Zusammenhang mit der Welterhaltung gelegentlich anmel­
dete.
Die Entwicklung einer diesbezüglichen Lehrauffassung (die ihre
Vorbereitungen in der Patristik besitzt, besonders bei Hieronym us16 und
Augustinus17) wäre nicht ohne den Einfluß der Philosophie zustandegekommen,
die der Theologie den Begriff des „concursus divinus“ zur Verfügung stellte. Er
wurde im 12. Jahrhundert dem aus dem Arabischen übersetzten neuplatonischen
„Liber de causis“ entnommen, wo er die Erklärung für die Einheit des
Seinsgrundes und seines Wirkens mit der Mannigfaltigkeit der Einzeldinge und
ihrer Tätigkeiten bot. Der erste Satz des „Liber de causis“ , daß „die Erstursache
jeweils von größerem Einfluß auf das Verursachte ist als jedwede Zweitursache“,
bot der Theologie die Möglichkeit, die Absolutheit und Souveränität des göttli­
chen Schöpfungsaktes auch auf das weitergehende Weltgeschehen zu übertragen.
So konnte die allumfassende Schöpfung des Anfangs in die
Allursächlichkeit Gottes bei allen geschöpflichen Tätigkeiten über­
führt und mit der Eigenständigkeit des geschöpflichen Wirkens ver­
bunden werden. Damit war der Aktualität des Schöpfungsgedankens
ein neuer Beweisgrund erbracht, der in der Neuzeit als Argument
gegen den Deismus, den Okkasionalismus (der jede echte Kausalität
der Geschöpfe leugnete) und den naturalistischen Immanentismus
verwandt werden konnte.
2) Theologische Applikation
Die Theologie verstand das Einwirken Gottes in großer
Einhelligkeit (mit Ausnahme des Durandus [+ 1334]) als ein unmit­
telbares natürliches Mitwirken, dem der Sicherheitsgrad einer sen-
tentia communis zuerkannt wurde. Thomas v. Aquin begründete die­
se Erkenntnis mit dem Argument, daß das Geschöpf zwar die reale
Potenz zum Handeln besitze, aber nicht die höhere Vollkommenheit
des Tätigseins selbst zu eigen habe, die von Gott verursacht werden
muß18 als der causa prima et principalis. Unter Wahrung der ge-
16 Contra Pelag. 1,3.
17 Epist. 205,17.
schöpflichen Eigenwirksamkeit und Freiheit wurde das konkurrenz­
lose Zusammengehen dieser Ursachen nach der Art ihrer Eigentüm­
lichkeit erklärt: „Ein und derselbe Effekt ist ganz von Gott und ganz
von der Natur, aber in je verschiedener Hinsicht: in erster und umfas­
sender Hinsicht ist er von Gott, in sekundärer und partikulärer Hin­
sicht ist er ganz von der Natur ... und von der freien Technik“19. Es
handelt sich also um eine Applikation göttlicher Kraft auf das Ge­
schöpf, das die ihm eigene Kraft durch einen Seinsimpuls in Be­
wegung setzt. Die göttliche Wirkung kann freilich nicht als an Raum
und Zeit gebundenes Geschehen gedacht werden. Sie ist als trans­
zendent zu verstehen, d.h. sie übersteigt die Kategorien von Raum
und Zeit kraft der göttlichen Unendlichkeit, die alles Endliche
umgreift und ihm als das Umgreifende zuinnerst nahe sein kann,
ohne vom Endlichen eingeschlossen zu werden. Insofern der „con­
cursus divinus“ am Geschöpf transzendent und immanent zugleich
geschieht, bildet er ein zusätzliches Moment am Weltgeheimnis
Gottes und am Gottgeheimnis der Welt.
Das sich in diesem Zusammenhang stellende Problem der Mitwirkung
Gottes am bösen und sündhaften Tun des Menschen wurde im Gefolge des
Thomas20 mit der zutreffenden Unterscheidung gelöst, daß Gott zwar an der phy­
sischen Entität des Aktes mitwirke, nicht aber an der Desorientierung des freien
Willens auf das Böse. Der in der Neuzeit aufgebrochene hochspekulative Streit
zwischen Thomisten und Molinisten um den concursus praevius (mit der praede-
terminatio) und dem concursus simultaneus (mit der scientia media) darf vom
Glaubensstandpunkt als unentscheidbar betrachtet werden im Hinblick auf ein
sich hier auftuendes letztes Geheimnis. Dieses bietet dem menschlichen Denken
eine besondere Herausforderung in der Gnadenlehre im Verhältnis von Gnade
und Freiheit. Hier verlangt die Frage nach der Freiheit eine ausführliche
Antwort.
Die theologische Überzeugung vom Mitwirken Gottes an den
Bewegungen der Geschöpfe hat in neuerer Zeit an Bedeutung ge­
wonnen durch den Bezug zum Werden in der Evolution. Im Unter­
schied zur Ursprungssituation, die nur die lineare Aktivität der Ge­
schöpfe vor Augen hatte, nicht aber an eine Höherentwicklung und
an ein Mehrwerden dachte, wird gegenwärtig auch die Höher­
entwicklung der Arten auf den concursus zurückgeführt21. Aber es ist

19 So Vitalis v. Four (+ 1327), De rerum principiis q.2 n.21.


20 De malo q.3 a.2.
21 Vgl. K. Rahner, Die Christologie in einer evolutiven Weltanschauung, 192.
fraglich, ob die Entstehung neuen höheren Seins mit der Erteilung
eines Bewegungsimpulses erklärt werden kann. An der Entwicklung
neuen Seins kann das Geschöpf nicht in gleicher Weise beteiligt sein
wie an der Entstehung natürlicher Akte. Deshalb muß hier auch die
Art göttlicher Mitwirkung anders gedacht werden, nämlich als wirk­
liche Neuschöpfung am schon Geschaffenen.
III. Die göttliche Vorsehung als Zielführung der Geschöpfe
Die universal gerichtete Schöpfungswahrheit, welche die gesam­
te raum-zeitliche Erstreckung der Welt umfaßt, bietet sich dem Glau­
ben unter dem Aspekt des Ursprungs als „creatio prima“ und unter
dem Aspekt ihrer Jetztzeitlichkeit als „conservatio“ dar, dem auch
der „concursus divinus“ als dynamischer Ausdruck der Erhaltung der
Dinge eingeordnet ist. Im Blick auf den universalen Anspruch des
Schöpfungsgedankens wird auch seine Extension auf die Zielaus­
richtung und Vollendung der Geschöpfe, auf ihre Zukunft verständ­
lich, die nicht als reines Werk des Geschöpfes gedacht werden kann.
Wie dieses kraft der Kontingenz seines Seins nicht mächtig ist, wie
es über die perfectio entis nicht verfügt, so kann es auch die Voll­
endung seines Seins, die perfectio finis, nicht in der Weise einer voll­
kommenen Eigenleistung vollbringen. Die besondere Dringlichkeit
eines solchen zielführenden Handelns Gottes, das auch unter dem
Begriff der Weltregierung gefaßt wurde, ergab sich angesichts der
Tatsache der Veränderlichkeit der Geschöpfe, der Möglichkeit des
Verfallens und der Sünde. Dem stellte das gläubige Denken die gött­
liche Vorsehung gegenüber als die schützende und ordnende Kraft
des zielgerichteten Weltprozesses. So bestimmt Thomas v. Aquin die
Vorsehung als den „ewigen, im Verstände Gottes existierenden Plan,
wie die Weltdinge ihrem letzten Ziel entgegenzuführen seien“22. Die
„Weltregierung“ war die Ausführung dieses Planes.
1) Herkunft und geschichtliche Vieldeutigkeit des Begriffes
Gegen die Originalität des christlichen Vorsehungsglaubens
scheint zu sprechen, daß der Begriff und Gedanke von einer göttli­
chen Lenkung der Weltdinge im Abendland griechischen Ursprungs
ist. Schon Platon (+ 347 v. Chr.) spricht in seinem Mythos von der
Weltbildung den Gedanken von der Geisterfülltheit der Welt vermit­
tels der Weltseele aus, die durch ihr Wirken das All lenkt und zu
einem geordneten Kosmos macht23. Hier schon fällt der Begriff der
pronoia (providentia), den später die Apologeten und Kirchenväter
übernahmen. Eine zentrale Stellung gewann der Begriff bei den Stoi­
kern, welche die pronoia sogar mit einem (unpersönlichen, gedach­
ten) Gott identifizieren konnten. Mit diesem Wissen traten sie dem
tragischen Zufallsglauben entgegen und dem grausamen Spiel dämo­
nischer Mächte. Sie vermochten damit sogar das Bewußtsein der Ge­
borgenheit und des Vertrauens zu erwecken, das im Zeus-Hymnus
des Kleanthes (+ 231 v. Chr.) einen gefühlsstarken Ausdruck ge­
wann. Aber der Preis dieses Wissens lag in der gleichzeitigen An­
erkennung der Heimarmene oder des Fatums, das dem Menschen die
Freiheit nahm und ihn dem Schicksal unterwarf, womit er sich unter
Anerkennung des Sinnes einer solchen Ordnung abfinden sollte24. So
haftete dem Begriff der pronoia von seiner Herkunft her ein durchaus
naturalistisch-monistisches und ambivalentes Gepräge an.
Die Spuren dieser Herkunft machten sich noch beim Gebrauch
dieses Begriffes im frühen Christentum bemerkbar. Die frühchristli­
chen Apologeten entwickelten zwar ihre Auffassung von der
Vorsehung gegen den Fatalismus und den Dämonenglauben der alten
Welt. Aber ihre Verteidigung der Vorsehung war in Vielem noch von
der kosmologischen und personal neutralen Sicht der Stoiker
geprägt, so daß die pronoia mehr als Naturkonstante denn als perso­
nal-geschichtliches Walten Gottes über Welt und Menschen in
Erscheinung trat25.
Von daher konnte im Rückblick auf die Geschichte der Theologie der
Eindruck entstehen, daß es sich beim christlichen Vorsehungsglauben doch mehr
um ein Element menschlicher Religiosität und natürlicher Theologie handele als
um eine Wahrheit der Offenbarung, zu welchem Fehlurteil auch manche philoso­
phisch überfrachtete Betrachtung dieses Lehrstückes durch die traditionelle
Theologie beitrug. So geriet die Lehre von der Vorsehung (auch in der prote­
stantischen Orthodoxie) im 17. und 18. Jahrhundert zur Darstellung eines meta­

23 Timaios 30b 5 - c 1.
24 Vgl. dazu M. Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung I, Göttingen
1959, 102ff.
25 Vgl. L. Scheffczyk, Schöpfung und Vorsehung, 39.
physischen Weltgesetzes. Für Chr. Wolff (+ 1754), in dessen System auch die
Gedanken Descartes’ und Leibniz’ und des Deismus eingingen, vollzieht Gott
sein Weltregiment nur durch natürliche Mittel und Bewegungen, die er schon am
Ursprung durch die gegenseitige Verknüpfung der Dinge der Schöpfung einge­
senkt hat. So steht der Schöpfer zwar am Anfang der Welt, die jetzt aber aus der
Kraft der in ihr imponierten Ordnung lebt26. Es ist in etwa verständlich, daß
angesichts des rationalistischen Verblassens des Vorsehungsgedankens
G. W. Fr. Hegel in seiner philosophischen Theologie dem Thema seine Bedeu­
tung zurückgewinnen wollte in der übertriebenen Absicht, „den Plan der Vor­
sehung einsehen zu wollen“, um Gott „in allem die Ehre zu geben und vornehm­
lich auf dem Theater der Weltgeschichte“ . Die Lehre von der Vorsehung wurde
dem idealistischen Philosophen zum Inbegriff einer Theodizee, in der Gott aus
der Geschichte gerechtfertigt wurde und „der denkende Geist mit dem Negativen
versöhnt werden“ sollte27.
Vom Gegenschlag zum idealistischen Optimismus wurde im posi­
tivistischen, von der Naturwissenschaft des 19. Jahrhunderts be­
einflußten Realismus auch der Vorsehungsglaube getroffen, so daß
sich die christliche Theologie die Frage stellen lassen mußte, ob die
im Vorsehungsgedanken angelegte Teleologie überhaupt eine Deute­
kategorie des christlichen Glaubens an das Welthandeln Gottes sein
könne, das in so naturalistischer Abzweckung auch zum „Fernfahrer-
Aberglauben“ und zur Ideologie Hitlers entarten könne.
So konnte in neuerer Zeit von seiten der evangelischen Theologie
sogar die Forderung erhoben werden, von den Begriffen „Vor­
sehung“ und „Erhaltung“ Abstand zu nehmen, weil das „Welthandeln
Gottes“ nicht „als sinnvoll“ erwiesen werden könne. Als Verfechter
dieser Auffassung trat C. H. Ratschow28 auf, der die klassische
Darlegung des hl.Thomas29 mit ihren ausgewogenen Differenzierun­
gen (ratio ordinis - executio ordinis; providentia generalis - specia-
lis-specialissima) als bloße Übertragung der natürlichen prudentia-
Lehre auf das Gott-Welt-Verhältnis deutete und damit der Ablehnung
preisgab. Was dem Christen, dem keine Erkenntnis einer göttlichen
Teleologie verstattet ist, bleibt, ist allein ein Leben in der Anfech­
tung, das im Betroffensein vom Wort Gottes und in der Erfahrung der

26 Ebda., 122.
27 G. W. Fr. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte I (hrsg. von
G. Lasson) Leipzig 1917, 18-24.
28 Das Heilshandeln und das Welthandeln Gottes, in: Neue Zt. für system. Theologie, 39;
56; 80.
29 S.th I q .103-105; 115-1 16.
Vergebung festgehalten werden kann. Kritik an der traditionellen
Vorsehungslehre übt auch P. Tillich mit der Feststellung, daß der
Vorsehungsglaube ein Paradox sei. Er ist ein „Dennoch“ angesichts
aller gegenteiliger Erfahrung in der Geschichte wie im einzelnen
Leben, das aus der Gewißheit der Verbundenheit mit dem Grund des
Seins kommt, der „Gott“ genannt wird30-
Eine neuerliche Erschütterung erfuhr der Vorsehungsbegriff
durch die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, zumal durch die
Leidensgeschichte des jüdischen Volkes, die in „Auschwitz“ den er­
schreckendsten Symbolausdruck fand. Angesichts dieser Katastrophe
ergeht die Forderung nach einer „Revision der Grundlagen christli­
cher Theologie“31, zu denen sicher auch die Vorsehungslehre gehört.
2) Die offenbarungsgemäße Vereindeutigung
Da es sich bei der Vorsehung auch um eine der Vernunft zugäng­
liche Wahrheit handelt, sind die unterschiedlichen philosophischen
Interpretationen und Divergenzen in etwa verständlich. Ihnen steht
das Zeugnis der Glaubensurkunden gegenüber, denen im Unterschied
zur metaphysischen Fassung des Begriffes vor allem das Moment
personal-geschichtlichen Handelns des Offenbarungsgottes eigen ist,
das sich aus einem ebensolchen Schöpfungsglauben erklärt.
Im Alten Testament ist die Vorsehung so eng mit der Schöpfung
verbunden, daß die Zeugnisse keinen eigenen Begriff der Vorsehung
kennen, sondern den erkannten Sachverhalt häufig mit dem Verbum
bara umschreiben, das sonst zur Bezeichnung des schöpferischen
Tuns Gottes dient (vgl. Ex 34,10; Num 16,30; Jes 43,1.15). Der dabei
vorherrschende Gedanke meint das persönliche geschichtliche
Wirken Jahwes, das zwar auch die Natur bestimmt und lenkt (vgl.
Gen 8,22; Ijob 38,33; Ps 19,1-7), das sich vor allem aber im Vollzug
seines vorbedachten wunderbaren Ratschlusses an seinem Volk
(Dtn 32,39; 2 Kön 19,25ff.; Jes 5,12) wie an den Völkern insgesamt
offenbart (Gen ll,lff„; Jes 10,5ff.; Jer 27,3ff.)32. Das Ziel dieses
lebendigen Waltens Gottes, bei dem weit- und heilshaftes Tun nicht

30 P. Tillich, Systematische Theologie I, 306-311.


31 Vgl. LThK T 992, I, 1260f. (J. B. Metz).
32 ThWNT IV 1008f.: pronoia (J. Behm).
wesentlich unterschieden werden, ist das Erscheinen des Gottesrei­
ches (Dan 2,31-45), dem auch die Völker dienen müssen (Jes 7,18;
Jer 25,9). Dieses Handeln ist für Israel schon an innerweltlichen
Vorgängen erkennbar, aber es manifestiert sich auch in wunderbaren
Taten, die auf dem Weg Israels geschehen (los 10,14; 1 Sam 3,11;
2 Kön 21,12), wobei das Wunderbare nicht so sehr an dem Überstieg
natürlicher Möglichkeiten als an der offenbaren Zielstrebigkeit und
Zeichenhaftigkeit der Geschehnisse aufgeht. Erst in der vom griechi­
schen Denken beeinflußten Weisheitsliteratur wird auch unter ratio­
nalem Aspekt von der „ewigen Vorsehung“ gesprochen (Weish 17,2),
wobei dann auch der griechische Begriff der pronoia auftaucht
(Weish 14,3; 17,2).
In der starken Ausrichtung des Vorsehungsgedankens auf das universale Heil
tritt zwar die Fürsorge Gottes für den einzelnen zurück, aber er ist nicht verges­
sen, sondern in den universalen Willen Jahwes eingeschlossen, und er tritt in der
prophetischen Verkündigung deutlich hervor (Joel 3,5; Jes 4,3; Ps 16,5ff.).
Grundsätzlich erfaßt Gottes Vorsehung auch das Kleine und Einzelne (Ps 20,10;
90,3; Jes 41,4) und überhebt es dem Zufall (1 Sam 6,9; Ri 2,3).
Wie wenig dabei die rational-abstrakte Betrachtung der Vorsehung führend
ist, zeigt das Eingehen auf die urmenschliche Problematik des Bösen, des Lei­
dens und der Sünde, das vom alttestamentlichen Denken nicht übergangen wird.
Die vom Alten Testament für dieses negative Moment an der Schöpfungswirk­
lichkeit beigebrachte „Lösung“ liegt nicht in einer theoretischen Theodizee,
sondern im Verweis auf die geheimnisvolle Weisheit und Macht Gottes
(Ijob 38-42) und auf die Vollendung der Welt am „Tage Jahwes“ (Jes 2,20;
Mi 2,4; Am 2,16).
Das Neue Testament, das den griechischen Begriff der pronoia
ebenfalls noch nicht gebraucht, nimmt den alttestamentlichen Vor­
sehungsglauben unverkürzt auf, verinnerlicht ihn aber im Punkte der
individuellen väterlichen Fürsorge Gottes (Mt 6,25-34; 20,1-16;
Lk 12,4-7) und verleiht ihm eine neuartige heilsgeschichtliche Kon­
zentration in der Hinführung der Völker (Apg 14,16f; 17,26ff.) auf
die Fülle der Zeit im Kommen Christi (Gal 4,4; Eph l,9f.). Im
Christusereignis erfährt die Zuwendung Gottes zur Welt, die dem
Ziel der Heraufführung des Reiches Gottes dient (vgl. Mk 1,15), ihre
höchste Steigerung, in die der Tod und die Auferstehung Christi und
seine Wiederkunft einbezogen sind.
Der dahinterstehende umfassende Heilsplan des Vaters ist dabei
mit einer einzigartigen Verbindlichkeit und Gewißheit ausgestattet,
die in dem göttlichen „Muß“ des Werkes Christi zum Ausdruck ge­
bracht sind (vgl. Lk 24,26). Die darin zugleich zum Ausdruck kom­
mende Geheimnishaftigkeit des Wirkens Gottes zeigt sich besonders
daran, daß auch „die Gesetzlosen“, die Jesus dem Kreuzestod über­
lieferten, mit ihrem Tun „den beschlossenen Willen und das Voraus­
wissen“ Gottes erfüllten (Apg 2,23; 4,28). Auch in der Stellung
Israels in der Heilsgeschichte offenbart und verbirgt sich in einem
das Geheimnis der göttlichen Führung (Röm 9,1-11,36, besonders
11,33-36), welche der Gemeinde Anlaß zu einem strahlenden
Loblied wird (vgl. Eph 1,3-14) und dem einzelnen zu unsäglichem
Trost gereicht (1 Petr 5,7).
Die frühchristlichen Apologeten haben den biblischen Gedanken
in Auseinandersetzung mit den spätantiken Philosophemen der
Gnosis, des Fatalismus und Manichäismus mit einem stärker philo­
sophischen Zuschnitt versehen, der aber von Irenäus v. Lyon
(+ um 202) wieder in die heilsgeschichtliche Perspektive gerückt
wurde. Nach ihm schenkte Gott in seinen geschichtlichen Taten
„denen, die seiner bedurften ... seine Gemeinschaft, und denen, wel­
che ihm gefielen, zeigte er, wie ein Baumeister, den Plan der
Erlösung ... So führte er auf vielerlei Weise das menschliche Ge­
schlecht zu dem einen Heil“33. Fernab von einem kosmischen Gesetz
oder einer spekulativen Idee galt dem genuin christlichen Denken die
Vorsehung als eine (freilich auch geheimnisvoll bleibende) Offen­
barung und Lebendigkeit und Weltnähe des Schöpfergottes, die wie
die ursprüngliche Schöpfung der Verherrlichung Gottes und der
Heilssicherung der Menschen diente, die dem Gläubigen aber auch
festen Stand in den Wirrnissen der Geschichte verlieh und Hoffnung
in den Bedrängnissen der Welt. Unter diesem Aspekt verfaßte
Augustinus sein geschichtstheologisches Werk über den „Gottes­
staat“, in welchem er die Menschheitsgeschichte als ein von der
Vorsehung Gottes geführtes antagonistisches Geschehen zweier
„Reiche“ verstand, mit der Zielausrichtung auf eine vom Bösen
befreite jenseitige civitas Dei34. Ähnlich, aber bereits mit Frontstel­
lung gegen ein erschlafftes Christentum, legte Salvian v. Marseille
(+ nach 480) Zeugnis für das Wirken der göttlichen Vorsehung in der

33 Adv. haer. IV,14.


34 De civitate Dei V, 11 u.ö.
Geschichte ab, wobei die über die Christen hereingebrochenen Kata­
strophen als Strafen und als Aufruf zur Umkehr gedeutet werden35.
Der heilsgeschichtliche, personale und aktualistische Zug der Vorsehungs­
lehre erfuhr zwar in der Scholastik eine rational-spekulative Ausrichtung, was
sich allein schon an ihrer gelegentlichen Einordnung und Behandlung als Annex
des göttlichen Willens zeigte36. Aber deshalb wurde aus der Vorsehungslehre kei­
neswegs eine bibelfremde Metaphysik, wie u.a. das Beispiel desselben Thomas
zeigt, der in der „Summa contra Gentiles“ das Endziel der göttlichen Führung
aller Kreaturen, ganz im augustinischen Sinne, in der Angleichung und
Assimilierung an das göttliche Wesen gelegen sieht17.
In Konsequenz der von der Theologie reich entfalteten Lehre hat
das kirchliche Lehramt, freilich stets in knapper, durch apologetische
Intentionen bestimmter Form, die Wahrheit von der göttlichen
Vorsehung und Weltregierung zum Glaubenssatz erhoben. So ent­
schied schon die Synode von Braga i.J. 561 gegen die offenbar gno-
stisch beeinflußten Priszillianisten, daß die menschlichen Seelen und
Leiber nicht Schicksalssternen unterworfen seien (DH 459). In dem
von Innozenz III. den Waldensern vorgeschriebenen Glaubens­
bekenntnis (i.J. 1208) wird der dreifältige Gott als „Schöpfer,
Erschaffer, Leiter und Lenker aller körperlichen und geistigen, aller
sichtbaren und unsichtbaren Dinge“ bezeichnet (DH 790). Schließ­
lich hat das Erste Vatikanische Konzil die Wahrheit von der göttli­
chen Vorsehung und Weltregierung als Glaubenssatz bekräftigt in
den Worten: „Alles aber, was er geschaffen hat, schützt und lenkt er
durch seine Vorsehung, sich kraftvoll von einem Ende bis zum ande­
ren erstreckend und alles milde ordnend [Weish 8,1 ] “ (DH 3003).
Papst Pius XII. hat in der Enzyklika „Humani generis“ (12.8.1950)
die göttliche Vorsehung zusammen mit der Erkenntnis des persönli­
chen Gottes als auch der Vernunft zugängliche Wahrheit erklärt
(DH 3875), was ihren inneren Geheimnischarakter nicht aufhebt.
Das Zweite Vatikanum hat die lebensmäßige Bedeutung dieser
Wahrheit hervorgekehrt für den Weg aller Menschen38, besonders
aber auch für die Erkenntnis der unveränderlichen Wahrheit seitens

35 De gubernatione Dei I-VIII.


36 Vgl. bei Thomas S.th. I q.22.
37 S.c.g. III, c.l, c.20.
38 Nostra aetate, 1.
des einzelnen39. Ein lebendiges Zeugnis für die Kraft des Vor­
sehungsglaubens im Gott- und Weltverhältnis des Christen bietet die
Liturgie, die lex orandi, in der die Verehrung des Geheimnisses der
göttlichen Vorsehung und die Bitte um ihr gütiges Walten ständig
gegenwärtig sind. Dabei herrscht der heilsgeschichtlich-universale
Aspekt vor: die Sendung der Kirche, die Verbreitung des Evangeli­
ums, die Einheit der Christen, das Wohl der Völker.
3) Erkennbarkeit und Geheimnis der göttlichen Vorsehung
Die theologische Ausarbeitung des Vorsehungsbegriffes führt zu
der Erkenntnis, daß es sich bei dieser Wahrheit nicht um eine „allge­
meine Erkenntnis“ handelt, nicht um einen „Extrakt aus dem, was
Juden, Türken, Heiden und Christen hier etwa gemeinsam vermuten
könnten“40. Er stellt vielmehr ein Konzentrat eines dynamischen
Gottes- und Schöpfungsglaubens dar, in dem sich die Allmacht, die
ewige Weisheit und die Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen verbin­
den, um das von ihm geschaffene Werk nach seinem ewigen Plan
durch die veränderliche Zeit hindurch mit schöpferischer Kraft und
mit der Gnade zur Erlösung und zur Vollendung in seinem Reich zu
führen. Als hervorragender Teil der Schöpfung ist auch der einzelne
Mensch in diesen Plan und seinen Vollzug einbezogen, aus dem er
Licht und Kraft für seinen Weg empfangen kann.
Die Theologie hat diesen Kerngehalt des Vorsehungsglaubens gedanklich
weiter differenziert und nach Umfang und Art in eine providentia generalis (alle
Geschöpfe umfassend), specialis (die vernünftigen Wesen betreffend) und spe-
cialissima (auf die Gerechten und Auserwählten bezogen) unterschieden.
Bezüglich der Weise der Durchführung legte sich eine Unterscheidung in eine
mittelbare (mediata) und unmittelbare (immediata) Providenz nahe, je nach
Anwendung oder Nichtanwendung geschöpflicher M ittelursachen. Dieser
Unterscheidung kam die Differenzierung in providentia ordinaria und extraordi-
naria nahe, wobei die erstere innerhalb der Schöpfungsordnung erfolgt, letztere
das darüber hinausgehende übernatürliche Geschehen im Bereich des Heils, der
Gnade und der Wunder meint. Zur näheren Erklärung diente auch die Benennung
von bestimmten Eigenschaften der göttlichen Vorsehung, unter denen vor allem
die unfehlbare Sicherheit der göttlichen Lenkung (unter Ausschluß jeden
Zufalls) und die Unveränderlichkeit des göttlichen Ratschlusses hervorragten,
dabei aber niemals die menschliche Freiheit aufhoben.

39 Dignitatis humanae, 3.
40 K. Barth, Kirchliche Dogmatik III, 3,38; vgl. auch E. Schlink 201 ff.; J. Moltmann,
215 ff.
Diese Erklärungen hatten die Überzeugung zur Voraussetzung,
daß die Vorsehung als Ableitung aus dem Wissen um einen göttlichen
Schöpfer auch eine mit Hilfe der Vernunft zu erfassende Wahrheit
sei, auch wenn sie Gegenstand des Glaubens ist und in ihrem Wesen
ein Geheimnis beinhaltet. Sie stellt, so gesehen, einen articulus mix­
tu s dar, bei dem sich die Spannung zwischen Erkennen und Glauben
unweigerlich aufdrängt und Anerkennung verlangt.
Eine Auflösung dieser Spannung ereignet sich bei Calvin
(+ 1564), der, dem Gefälle des Gedankens von der doppelten Prä­
destination nachgebend, der Überzeugung war, daß die göttliche
Vorsehung in ihrem Vorgehen absolut geheimnishaft sei und wider
jeden Augenschein geglaubt werden müsse zur Demütigung der
Vernunft und zur Verehrung der unbegreiflichen Macht Gottes und
seiner arcana mysteria41. Dem folgt in gewisser Weise auch K. Barth,
insofern für ihn „das Weltgeschehen als solches gar nicht interpre­
tierbar“42 ist.
Dem anderen Extrem treibt jene Auffassung zu, welche mehr
oder weniger bestimmt die Ansicht vertritt, daß die Vorsehung in
ihrem Walten, in der Sinnhaftigkeit der geschichtlichen oder indivi­
duellen Ereignisse und in ihrer Ausrichtung auf ein gutes Ziel der
menschlichen Einsichtnahme offensteht. So werden bestimmte ge­
schichtliche oder individuelle Ereignisse eindeutig mit göttlichem
Sinn und göttlicher Finalität verbunden, was in Konsequenz dazu
führen muß, daß auch die Untaten und das Böse eine Rechtfertigung
erfahren, und sei es auch nur mit Berufung auf den zürnenden und
strafenden Gott. Eine solche Einsichtnahme in den Gang der Vor­
sehung würde dem Extrem Hegels nahekommen, der sich vermaß,
„den Plan der Vorsehung einsehen zu wollen“43.
Das gläubige Denken muß hier eine mittlere Position einnehmen, die in der
Gewißheit um die Existenz der göttlichen Vorsehung und ihrer Ausrichtung auf
die eschatologische Vollendung an einzelnen Ereignissen Zeichen erkennt und
Zeugnisse aufnimmt, die ein Undefiniertes Sinnpotential in sich enthalten, das
der Glaubende erschließen und entbergen kann. Solche Zeichen sind nicht als
Demonstration der göttlichen Vorsehung zu verstehen, sondern als Spuren von

41 Vgl. H. C. Ratschow, Das Heilshandeln und das Welthandeln Gottes, in: Neue Zt. f.
syst. Theologie 1 (1959) 39.
42 Die kirchliche Dogmatik III/3, 224 u.ö.
43 Philosophie der Weltgeschichte I (hrsg. von G. Lasson) Leipzig 1917, 18f.
Gottes Wirken unter dem Schleier seiner Verborgenheit, die einen Richtungssinn
ergeben, der erst am Ende der Geschichte seine volle Erfüllung erfährt.
Handelt es sich bei der Erkenntnis von Zeichen der göttlichen
Vorsehung um die dem Subjekt zugewandte Seite des Geheimnisses,
so besitzt es doch auch eine objektive Seite, von der her der Glaube
eine noch größere Anfechtung erfährt. Sie erwächst aus dem schein­
baren Gegensatz zwischen Vorsehung und Freiheit, zwischen
Vorsehung und Wunder. Schließlich ist von der Theologie auch die
Frage nach dem Sinn des Bittgebetes angesichts des Bestehens eines
ewigen Vorsehungsplanes erwogen worden. Mit dem Geheimnis­
charakter der Vorsehung ist es gegeben, daß es auch bezüglich dieser
Punkte keine rationalen Lösungen und keine Evidenz gibt. Dabei zei­
gen sich die sich ergebenden Denkschwierigkeiten graduell noch
verschieden.
Zunächst stellt sich das Problem der Vereinbarkeit von Vor­
sehung und menschlicher Freiheit. Es läßt sich auf die Frage bringen:
Kann bei Zugehörigkeit eines menschlichen Geschehens zum ewigen
Plan der göttlichen Vorsehung und dessen Vollzug in der Weltregie­
rung diesem Geschehen noch wahre Freiheit zugebilligt werden? Die
sich hier einstellende Gegenfrage kann die Problematik freilich
schon entschärfen. Sie lautet: Können die Bekehrung Pauli, das
Martyrium des Stephanus oder die Pfingstpredigt des Petrus als freie
Akte angesehen werden, wenn sie von der Vorsehung gelenkt waren?
Ein praktischer Zweifel hieran ist ausgeschlossen. Aber damit ist das
Zusammengehen von göttlicher Verursachung und menschlicher
Freiheit verständnismäßig noch nicht vermittelt. Der Versuch dazu
darf zunächst von dem schon bei der Lehre vom concursus ange­
nommenen Grundsatz ausgehen, daß das Geschöpf ohne den trans­
zendenten Seinszufluß Gottes und d.h. ohne die Ermächtigung Got­
tes nicht handeln kann. Dem Geschöpf wird auf schöpferische Weise
Sein mitgeteilt, worauf es seinen eigenen Akt setzen kann, der ganz
der seine und ganz Gottes ist, aber keinesfalls eine Vermischung der
Kausalitäten zuläßt. Bei der vernunftgemäßen Erhellung des Vor­
sehungsgedankens muß freilich auch die Zielausrichtung des betref­
fenden Aktes bedacht werden, bei welcher das Geschöpf auch frei
bleibt. Es wird in seiner Begrenztheit und Fragilität nicht immer das
letzte göttliche Ziel vor sich sehen und anstreben. Dem schöpferi-
sehen Vorsehungshandeln Gottes aber ist zuzutrauen, daß es unter
Berücksichtigung der Spontaneität, des eigenen Strebens und der
eigenen Zielsetzung des Geschöpfes dieses zu dem von der Vor­
sehung bestimmten höchsten Ziele führt, selbst wenn diese Ziel­
führung vom Geschöpf nicht gesehen und erkannt wird (was zum
Geheimnis der Vorsehung gehört).
Diese Zielführung ist so machtvoll, daß sie sogar das Böse und
die Sünde ihren Absichten zu unterstellen weiß; denn „... wo die
Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden“
(Röm 5,20; vgl. 8,28). Das den Menschen in bezug auf Leid, Not und
Sünde bedrängende Problem wird aber nicht mit der Auskunft
besänftigt, daß Gott all dies tatsächlich seiner Vorsehung unterstellen
kann; der Einwand geht dahin und mündet in den Vorwurf, daß es
diese Hinderungen in der gottgeschaffenen Welt überhaupt gibt.
Die Theologie muß auf diese zweiflerische Frage antworten, ohne eine meta­
physische Theodizee nach Art Leibniz’ oder Hegels bieten zu wollen, die in ihrer
logischen Stringenz die leidvolle Wirklichkeit nicht treffen. Die Theologie kann
nur einige aus dem Glauben kommende Hinweise geben, die das Dunkel des
Geheimnisses ein wenig erhellen, ohne es aufzulösen. Das gelingt bezüglich des
physischen Übels in etwa mit dem Gedanken, daß eine endliche Schöpfung, die
zudem den Bruch der Sünde erfahren hat, die Zeichen kreatürlicher Begrenztheit
und Schwäche nicht abzulegen vermag. Die göttliche Vorsehung besteht nicht
darin, diese Begrenzungen, Fehler und Schwächen mit allem sich für den
Menschen daraus ergebenden Unglück, Leid und Tod auszuschalten, wie sie auch
für den Einzelmenschen keine Zusicherung irdischen Wohlergehens bedeutet.
Sie schenkt nur die Glaubensgewißheit, daß alle diese Schäden und Minderungen
von Gott zum Nutzen des Menschen verwertet und auf das endgültige Ziel des
Menschen gelenkt werden.
Das Problem verschärft sich angesichts des moralischen Übels der Sünde.
Aber auch hier vermag der Glaube, über die Erklärung der bloßen Zulassung hin­
ausgehend, aufzuzeigen, daß eine mit dem höchsten natürlichen Gut der Freiheit
ausgestattete Menschenschöpfung die Wahlfreiheit zwischen Gut und Böse nicht
ausschließen und das „Wagnis“ der Freiheit nicht umgehen konnte. Damit emp­
fing die auf Geschichte angelegte Schöpfung einen neuartigen dramatischen
Charakter, bei dem es um die Entscheidung zwischen Heil und Unheil geht. Die
wesentliche Güte der Schöpfung wird dadurch nicht gemindert. Über eine so dra­
matisch ausgerichtete Schöpfung kann Thomas sogar sagen: „Diese Natur, die
sündigen kann und nicht sündigen kann, ist gut“44. Daß diese Dramatik, die zur
hohen Bewährung der geschöpflichen Freiheit gedacht ist, dem Menschen nicht
zum Verhängnis gereichen muß, sondern zu seiner höchsten Vollendung führen
kann, erklärt Augustinus in dem Satz: „Gott würde niemals die Existenz irgend-
eines Übels zulassen, wenn er nicht so mächtig und gut wäre, um selbst aus dem
Übel das Gute zu wirken. Er hat es für besser erachtet, aus den Übeln Gutes zu
wirken, als keinerlei Übel zuzulassen“45.
Als ein Erweis der außerordentlichen Wirkweise der göttlichen
Vorsehung galt der Tradition das Wunder im Gang der Heilsge­
schichte, das jedoch in der Moderne seit Spinoza (+ 1677), Reimarus
(+ 1768), D. Fr. Strauß (+ 1877) und Renan (+ 1892) harter Kritik
ausgesetzt ist46. Es kann nicht Aufgabe der Dogmatik sein, den der
Fundamentaltheologie obliegenden Nachweis über Möglichkeit,
Erkennbarkeit und Beweiskraft von Wundem als Glaubwürdigkeits­
motiven zu erbringen. Die Dogmatik weiß sich hier eins mit der
Lehre der Kirche über die Existenz und Erkennbarkeit von Wundern
(DH 3009; 3034) und vermag deren historische Wahrheit aus der
Heilsgeschichte zu begründen. Zu dieser Begründung würde allein
schon der Hinweis auf wenige fundamentale heilsgeschichtliche
Ereignisse genügen wie die „Jungfrauengeburt“, die leibliche Auf­
erstehung Christi, die Erscheinungen des Auferstandenen und die
Umgestaltung der Schöpfung in den Endereignissen. Die Umdeutung
dieser wunderbaren Ereignisse, zu denen viele Taten des historischen
Jesus hinzugehören, in rückprojizierte Glaubenserfahrungen, steht
jedenfalls dem Glauben der Kirche entgegen. Soweit sich diese
Umdeutungen als Ergebnis der wissenschaftlichen historisch-kriti­
schen Methode ausgeben, ist dem begründet entgegenzuhalten, daß
hier nicht die historische Wissenschaft zwingende Ergebnisse zutage
fördert, sondern philosophisch-weltanschauliche Vorentscheidungen,
nach denen es im wissenschaftlichen Weltbild keine Wunder geben
kann, zu Scheinplausibilitäten aufgebaut werden.
Im Zusammenhang dieser Problematik ist nur eine Erklärung erwägenswert,
die das Wirken der göttlichen Vorsehung unmittelbar betrifft, insofern sie es
grundsätzlich und notwendig an den Einsatz von Zweitursachen bindet, so daß
Wunder im eigentlichen Sinne als „Überragen“ der Naturkräfte (was keineswegs
eine „Durchbrechung“ oder ein „Eingreifen“ bedeutet) nicht möglich wären und
damit eine providentia extraordinaria aufgegeben werden müßte47. Es ist die
Theorie, nach der Gott innerhalb der Welt nicht ohne Zweitursachen handeln
könne, so daß sein Wirken einzig und allein nach dem Modell des concursus auf­

45 Enchiridion XI, 3.
46 Vgl. R. Kocher, Herausgeforderter Vorsehungsglaube, 168-213.
47 L. Scheffczyk, Einführung in die Schöpfungslehre, 84-98.
zufassen sei48. Damit aber würden dem Wirken der Vorsehung das Moment des
Machtvollen, des die Möglichkeiten des Geschöpfes Übersteigenden und der
Charakter des Vorscheins der eschatologischen Vollendung der Dinge beim
Wunder genommen. Was aber den zentralen Grundsatz der Theorie betrifft, daß
Gott beim Handeln ohne Zweitursache selbst zur Zweitursache in der Welt wer­
den müßte, so wird er nicht bewiesen, sondern als Axiom vorausgesetzt. In der
Kritik ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß die Theorie das Verhältnis
von Erst- und Zweitursache mit der Beziehung von causa principalis und causa
instrumentalis verwechsle49. Das Unangemessene dieser Theorie kommt auch
praktisch zum Vorschein, wo die Auferstehung Christi durch die Zweitursache
der menschlichen Gottes- und Nächstenliebe Jesu vermittelt sein soll. Eine wei­
tergehende Kritik müßte auch darauf hinweisen, daß es nach dieser Theorie kein
eigentliches schöpferisches Wirken in der Welt mehr geben könne, weil dies ex
definitione ohne Vermittlung von Zweitursachen erfolgen muß.
Eine letzte Schwierigkeit scheint sich gegenüber der ewigen,
unfehlbar wirkenden göttlichen Vorsehung im Hinblick auf das
Bittgebet zu ergeben, das für den Glauben eine Lebensnotwendigkeit
darstellt und das sich gerade auch an die göttliche Vorsehung und
ihre Durchsetzung im Weltgeschehen wendet50. Hier stellt sich die
(falsche) Alternative: Entweder wirkt die göttliche Vorsehung unfehl­
bar sicher - dann bedarf es des Bittgebetes nicht, oder es bedarf sei­
ner, dann ist der Vorsehungsplan nicht fest und unveränderlich. Über
dieses Dilemma führt aber zunächst schon das rechte Verständnis des
Bittgebetes hinaus, das nicht den Sinn hat, ein göttliches Eingreifen
erzwingen zu wollen. Es ist vielmehr Ausdruck des Vertrauens des
bedürftigen Geschöpfes auf die Allmacht des Schöpfers. Es ist
wesentlich ein Akt der Hingabe an den Willen Gottes, der sich am
Menschen in einer bestimmten Situation mächtig erweisen soll. Von
Gott her gesehen aber gehört das Bittgebet zu den von ihm gesetzten
Bedingungen, unter denen das geschöpfliche geistige Sein seine
Verwiesenheit auf den Schöpfer bekundet. Was den Effekt eines sol­
chen Gebetes angeht, so bleibt es bei Gott nicht ohne Reaktion, was
der Vorstellung von einem regungslosen und apathischen Gott wider­
spricht. Er „reagiert“ freilich nicht zeithaft und momentan, sondern
zeitlos vermittels jenes ewigen Aktes, in dem voraussehend die Akte
des Geschöpfes schon aufgenommen und berücksichtigt sind.

48 Neuerdings zusammenfassend vorgetragen von B. Weissmahr, Gottes Wirken in der


Welt, Frankfurt 1973, I42f.
49 R. Kocher, a.a.O., 226-229.
50 Vgl. L. Scheffczyk, Einführung in die Schöpfungslehre, 96-98.
§ 11:
Christlicher Schöpfungsglaube und naturwissenschaftlicher
Evolutionsgedanke
Literatur: H. Schell, Die göttliche Wahrheit des Christentums. Gott und
Geist, 2 Bd.e, Paderborn 1895/96; A. Schmitt, Katholizismus und Entwick­
lungsgedanke, Paderborn 1923; H. Volk, Schöpfungsglaube und Entwicklung,
Münster 1958; Teilhard de Chardin, Der Mensch im Kosmos, München 21959;
P. Overhage - K. Rahner, Das Problem der Hominisation. Über den biologischen
Ursprung des Menschen (RD 12/13), Freiburg 1961; H. E. Hengstenberg,
Evolution und Schöpfung. Eine Antwort auf den Evolutionismus Teilhard de
Chardins, München 1963; P. Smulders, Theologie und Evolution. Versuch über
Teilhard de Chardin, Essen 1963; L. Scheffczyk, Christliche Weltfrömmigkeit?
Essen 1964; Ders. (Hrsg.), Evolution. Probleme und neue Aspekte ihrer Theorie
(Grenzfragen. Bd. 18), Freiburg 1991; N. Bundscherer, Moderne
Naturwissenschaft und christlicher Glaube, München 1966; I. Hübner, Theologie
und biologische Entwicklungslehre. Ein Beitrag zum Gespräch zwischen
Theologie und Naturwissenschaft, München 1966; H. Mynarek, Der Mensch -
Sinnziel der Entwicklung. Das Bild des Menschen in einem dynamischen
Universum, München 1967; J. Monod, Zufall und Notwendigkeit.
Philosophische Fragen der modernen Biologie, München 21971; R. Dawkins, Das
egoistische Gen (The Selfish Gene), Berlin 1978;H. v. Ditfurth, Wir sind nicht
nur von dieser Welt. Naturwissenschaften, Religion und Zukunft des Menschen,
Hamburg 1981; P. Lüth, Der Mensch ist kein Zufall. Umrisse einer modernen
Anthropologie, Stuttgart 21982; I. Illies, Der Jahrhundertirrtum. Würdigung und
Kritik des Darwinismus, Frankfurt a.M. 1983; R. Spaemann - R. Löw, Die Frage
Wozu? Geschichte und Wiederentdeckung des teleologischen Denkens, München
1981; R. Spaemann - P. Koslowski - R. Löw (Hrsg.), Evolutionstheorie und
menschliches Selbstverständnis. Zur philosophischen Kritik eines Paradigmas
moderner W issenschaft, Weinheim 1984; Dies., Evolutionismus und
Christentum, Weinheim 1986; G. Theissen, Biblischer Glaube in evolutionärer
Sicht, München 1984; Br. Vollmert, Das Molekül und das Leben. Vom makro­
molekularen Ursprung des Lebens und der Arten. Was Darwin nicht wissen
konnte und Darwinisten nicht wissen wollen, Hamburg 1985; I. Prigogine -
I. Stengers, Dialog mit der Natur. Neue Wege naturwissenschaftlichen Denkens,
München 51986; H. Meier (Hrsg.), Die Herausforderung der Evolutionsbiologie,
München 21989; Chr. Link, Schöpfung. Schöpfungstheologie angesichts der
Herausforderungen des 20. Jahrhunderts (Handbuch systematischer
Theologie 7/2), Gütersloh 1991; D. Sattler - Th. Schneider, Schöpfungslehre:
Handbuch der Dogmatik (hrsg. von Th. Schneider) I, Düsseldorf 1992;
H. W. Beck, Christlicher Schöpfungsglaube im Kontext heutiger Wissenschaft,
Weilheim-Bierbronnen 1993; Fr. Cramer, „Chaos und Ordnung (Die komplexe
Struktur des Lebendigen)“, Frankfurt a.M. 1993; Fr. Breid (Hrsg.), Gottes
Schöpfung, Steyr 1994; R. Löw, Die neuen Gottesbeweise, Augsburg 1994;
A. Ganoczy, Schöpfungslehre: Glaubenszugänge. Lehrbuch der katholischen
Dogmatik I (hrsg. von W. Beinert), Paderborn 1995; Ders., Chaos - Zufall -
Schöpfungsglaube. Die Chaostheorie als Herausforderung der Theologie, Mainz
1995; W. Pannenberg, Schleiermachers Schwierigkeiten mit dem Schöp­
fungsgedanken (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Phil.-Histor. Klasse,
Sitzungsberichte 3/1996), München 1996; W. Hoeres, Evolution und Geist. Der
Neodarwinismus als Weltanschauung, Abensberg o.J.
Nach der theologischen Ausarbeitung des Schöpfungsbegriffes
ist es naheliegend, sich dem naturwissenschaftlichen Evolutions­
gedanken zuzuwenden, der von den einen als Stütze, von den ande­
ren als Widerpart des Schöpfungsglaubens angesehen wird. Zuweilen
wird die Übereinstimmung von Schöpfung und Evolution als unge­
ahnte Möglichkeit eines zeitgemäßen Schöpfungsglaubens und eines
weltzugewandten Christentums ausgegeben. Dabei meldet sich dann
auch die Gefahr einer Vermischung von Schöpfung und Evolution an.
I. Z ur Geschichte des theologisch-naturw issenschaft­
lichen Disputs
1) Distanz und Annäherung der Theologie
Das Aufkommen der modernen Abstammungslehre (Deszen­
denztheorie), vorbereitet von J. B. Lamarck (+ 1829), begründet
durch das Werk Charles Darwins (+ 1882)1, bedeutete eine Revo-
lutionierung des biologischen Weltbildes, insofern die zuvor herr­
schende Auffassung von einer Konstanz der geschaffenen Arten
(systematisiert von K. v. Linne, + 1778) durch die Erkenntnis einer
kontinuierlichen Transformation der Organismen zu immer höheren
Formen durch Variation, Selektion und Mutation widerlegt erschien.
Das Neuartige an Darwins Entwurf fand selbst auf naturwissen­
schaftlicher Seite neben begeisterter Zustimmung auch Gegner­
schaft2. Innerhalb der Theologie überwog zunächst die ablehnende
Einstellung, zumal die neue Theorie durch spekulative Überfrem­
dungen seitens Th. H. Huxleys (+ 1895), E. Haeckels (+ 1919) u.a.
eine monistisch-materialistische und antireligiöse Ausprägung an­
nahm und in einen weltanschaulichen Evolutionismus überführt
wurde. Dieser übt bis heute unter dem Einfluß eines gegenüber der
Anfangszeit gewaltig angewachsenen Wissensstandes eine nachhalti­
ge Wirkung aus.

1 On the Origin of Species by Means of Natural Selection or the Preservation of


Favoured Races in the Struggle of Life, London 1859.
2 Vgl. dazu T. Lenoir, Christliche Antworten auf den Darwinismus: Evolution und
Christentum, 132f.
Dabei war die Reaktion von seiten der dem christlichen Glauben
nahestehenden Naturwissenschaftler allgemein nicht so barsch, wie
sie im Jahre 1874 der Amerikaner Ch. Hodge formulierte: „Dar­
winismus ist Atheismus“3. Es gab im Gegenteil vor allem im angel­
sächsischen Bereich „christliche Darwinisten“, welche die Evolu­
tionstheorie mit dem christlichen Schöpfungsglauben zu vereinbaren
suchten. Sie vermochten dies aufgrund der Wahrheit von einer konti­
nuierlichen Präsenz Gottes in der Schöpfung und seines Einwirkens
auf die in der Natur waltenden Gesetze, zu denen nach ihnen auch
Variation und Selektion gehörten4. Allerdings bestand der Grund­
gedanke dieser versuchten Assimilierung Darwins im Beharren auf
der Teleologie und in der Verneinung des Zufalls. Dies mußte freilich
zur Ablehnung durch den am rein kausal-mechanischen Modell fest­
haltenden Darwinismus führen.
Daß der Evolutionsgedanke trotz entschiedener Gegnerschaft1 als solcher
aber nicht als glaubenswidrig empfunden und ängstlich abgelehnt wurde, zeigt
das Wort des katholischen Theologen H. Schell (+ 1906) aus dem Jahre 1896:
„Darin wird kein Einsichtiger dem Darwinismus unrecht geben, daß der
Weltenlauf vom Gesetz der aufsteigenden Entwicklung beherrscht sei, wenn man
auch über die nähere Umgrenzung dieser Tatsache und deren Erklärung ver­
schieden urteilen mag“6.
Dabei konnte sieh die katholische Theologie daran erinnern, daß schon zur
Zeit der Kirchenväter Erklärungen vorgetragen wurden, die, auch wenn sie nicht
den modernen Transformismus vertraten, die Vorstellung von einer fixistisch
verfaßten Naturordnung aufbrachen und ein gewisses Werden der Organismen
zugestanden, das dem göttlichen Schöpfertum nicht widersprach. So läßt Basi­
lius d. Gr. (+ 379) beim Bericht über den fünften Schöpfungstag das Wasser am
Entstehen der Organismen mittätig sein: „... jede See gebar die ihr eigenen und
natürlichen Arten“7. Nach Gregor v. Nyssa (+ nach 394) war in der ersten
Schöpfung zuerst alles nur der Potenz nach enthalten, bevor es wirklich wurde8.
Eine spezifische Ausdeutung erfuhr dieser Gedanke durch Augustins Lehre von
den „rationes seminales“ oder „causales“, den Keimkräften, in denen (außer
Engeln, Elementen und der Menschenseele) alle Schöpfungsdinge angelegt wa­
ren, um sich aus ihnen zu Organismen zu entwickeln9. Noch bei Thomas v. Aquin

3 Ebda., 119.
4 Ebda., 126ff.
5 Einen genaueren Überblick bezüglich der Antidarwinisten und der Vertreter einer
Vermittlungstheologie bietet A. Winter, Evolution und Schöpfungsglaube. Die Antwort der
Theologie: Gottes Schöpfung (hrsg. von Fr. Breid), 132-136.
6 Gott und Geist II, 305.
7 Basilius, Hexaemeron 7,1 f.
8 Hexaemeron: PG 44,77.
9 De Gen. ad litt. 6,10.
klingt dieser Gedanke in der Lehre von der Bewegung der Geschöpfe nach. Nach
ihm verleiht der Schöpfer in der institutio secunda den sublimeren Elementen als
erster Beweger ihre eigentümliche Bewegung, aus welcher die Dinge und
Organismen kraft ihrer Formen unter dem Einwirken der Erstursache hervorge­
hen10.
Die genannten „Entwicklungskonzepte“ waren aber nicht als Vor­
läufer des modernen, auf die Entstehung neuer Arten gehenden Evo­
lutionsgedankens zu verstehen, sondern nur als Hinweise auf ein in
der Natur erkanntes Werden, das zum Entwicklungsgedanken nicht
im Gegensatz stand. Das diesen Interpretationen des Werdens Ge­
meinsame liegt in der Annahme eines teleologischen Agens (sei es
im Samen, sei es in der Wesensform), dessen sich die Erstursäch­
lichkeit Gottes bediente.
Diese in der theologischen Tradition enthaltenen positiven Ele­
mente genügten aber nicht, dem Darwinismus zu begegnen oder ihn
dem theologischen Denken zu assimilieren, zumal er sich bald von
der fachbiologischen Basis löste und im Evolutionismus zu einem
universal geltenden philosophischen Erkenntnisinhalt erhoben
wurde. Er umfaßte alle Seinsbereiche und unterstellte sie einem
Prozeß, der vom geringsten Anorganischen bis zum höchsten
Humanum und darüber hinaus führte. Davon war besonders auch die
Stellung des Menschen in der Natur betroffen, der in die Abstam­
mungslehre einbezogen und in den Gang der Evolution integriert
wurde. Was Darwin am Schluß seines Werkes nur mit einem einzigen
Satz angedeutet hatte, daß nämlich von seiner Theorie auch „auf den
Ursprung des Menschen und seine Geschichte Licht fallen werde“,
das wurde von den Nachfolgern Darwins in übertriebener Kon­
sequenz ausgeweitet und zum Schlagwort von der „Affenabstam­
mung“ des Menschen vergröbert". In dem Werk E. Haeckels über die
„Natürliche Schöpfungsgeschichte“12 wurde eine Alternative zur bib­
lischen Schöpfungslehre angeboten, so daß der Antagonismus zwi­
schen Naturwissen und Schöpfungsglauben zum beständigen Thema
erhoben und unter den Gebildeten die Frage „Darwin oder Moses?“
diskutiert wurde.
10 R. Löw, Zur Interpretation evolutionärer Entwicklungen bei Augustinus und Thomas
v. Aquin: Evolution und Christentum, 14ff.
1 1 Vgl. I. Illies, Der Jahrhundertirrtum, 41.
12 Jena 1868; ,21923.
Im Neodarwinismus des 20. Jahrhunderts, der die Evolutionstheorie mit den
Erkenntnissen der Genetik und der Molekularbiologie anreicherte, wurde der
innere Mechanismus der Entstehung von neuen organismischen Formen einer
tieferreichenden wissenschaftlichen Klärung zugeführt. Die so auf rein natur­
wissenschaftlicher Basis gewonnenen Einsichten über die Genese des Lebens
und das organische Werden wurden aber im 20. Jahrhundert nicht mehr generell
in Gegenstellung zum religiösen Glauben vorgetragen. Aber sie wurden in sol­
cher Stringenz und Dichte entwickelt, daß der religiöse Glaube auch in die Rolle
einer bloßen ideellen Zutat rücken konnte. Daraus aber ergeben sich auch nega­
tive Folgerungen für die Subjektivität und die Sozialnatur des Menschen, beson­
ders drastisch etwa bei J. Monod und seiner Auffassung vom Menschen als
geglückter Zufallsmutation13 oder in der Soziobiologie R. Dawkins, der den
Menschen als „Roboter ... zur Erhaltung der selbstsüchtigen Moleküle“14 defi­
nierte.
So machte sich in der Geschichte der Theorie der Evolution im­
mer auch der Drang zum weltanschaulich quasi-religiösen Evolutio­
nismus bemerkbar. Mit der Faszination durch das Weltgesetz der
Entwicklung, nach dem alle Seinsstufen vom Anorganischen über
das Leben bis hin zum Bewußtsein, zur Moral und Religion evolutiv
aus der Materie und den Naturgesetzen erklärbar wurden, mußte der
Gedanke an ein transzendentes schöpferisches Agens kraftlos wer­
den. So waren Theologie und kirchliche Verkündigung in die Schran­
ken gerufen, sei es zur Abwehr des dem Glauben Widerständigen, sei
es zum Brückenschlag bezüglich des integren Glaubens.
2) Die Antwort des kirchlichen Lehramtes
Der revolutionäre Charakter des Darwinismus, der bald nach sei­
nem Aufkommen auch in die Fänge des dialektischen Materialismus
geriet, macht es verständlich, daß die kirchliche Lehre sich gegen­
über dem Neuen reserviert verhielt, ja mit einzelnen Ablehnungen
nicht sparte. Dabei setzte sich die Kirche schon vor Aufkommen der
biologischen Entwicklungslehre mit den in der Philosophie virulen­
ten, dem Evolutionismus vorangehenden Gedanken des Pantheismus,
des Materialismus und Rationalismus auseinander. So verurteilte
Pius IX. im Syllabus die pantheistische Doktrin, nach der „Gott und
Welt und daher Geist und Materie, Notwendigkeit und Freiheit ... ein
und dasselbe“ (DH 2901) seien. Ebenso wurde in diesem Dokument
die philosophische Auffassung abgewiesen, daß „keine anderen

13 J. Monod, Zufall und Notwendigkeit, 219.


14 Das egoistische Gen, S. VIII.
Kräfte anzuerkennen sind als jene, die in der Materie begründet sind
(DH 2958). Gegen die (dem evolutiven Denken) naheliegende ratio­
nalistische Vermengung von Glaube und Wissen erging die Warnung
Pius’ IX. in Sachen J. Frohschammers (DH 2854). Diese
Grundsatzerwägungen gingen auch in die „Dogmatische Konstitu­
tion ‘Dei Filius’ über den katholischen Glauben“ des Ersten Vati­
kanums ein, zusammen mit der Anerkennung der „gerechtfertigten
Freiheit“ der Wissenschaften (DH 3019).
Damit war die Evolutionslehre als solche noch nicht in Betracht gezogen.
Aber zuvor schon hatte das Kölner Provinzialkonzil (1 860) in seinei ausführli­
chen Darstellung der Schöpfungslehre eine ins einzelne gehende Entscheidung
gefällt, indem es mit Bezug auf die Stellung des Menschen im Kosmos die Des­
zendenztheorie verwarf15. Danach äußerte sich auch das allgemeine kirchliche
Lehramt negativ in der Frage nach der Entstehung des ersten Menschen aus
einem tierischen Leib, dem eine Geistseele eingehaucht worden wäre. Entspre­
chende Thesen und Schriften katholischer Gelehrter, die einem gemäßigten, vom
Materialismus gereinigten Transformismus anhingen (wie St. Geoige Mivait,
M. D. Leroy O.P.; F. Zahm), mußten von diesen zurückgezogen werden’6.
Da naturgemäß in den Problemkreis besonders auch die Aussagen
der biblischen Urgeschichte einbezogen wurden, sah sich i.J. 1909
die Bibelkommission genötigt, den theologischen Stellenwert funda­
mentaler Aussagen und Daten der ersten Kapitel der Genesis zu
fixieren. Gegen die Deszendenztheorie und den Transformismus ge­
wandt, verneinte die päpstliche Kommission die generelle Auffas­
sung, daß die drei ersten Kapitel der Genesis „keine Erzählungen
wirklich geschehener Dinge“ enthielten, sondern den Mythologien
und Kosmogonien der Völker entstammten (DH 3513); im besonde­
ren urgierte die Erklärung den „wörtlichen, histoiischen Sinn
bezüglich der „besonderen Erschaffung des Menschen, der „Bildung
der ersten Frau aus dem ersten Menschen , der Einheit des Men­
schengeschlechtes, der „ursprünglichen Glückseligkeit der Stamm­
eltern ...“ (DH 3514). Diese Feststellungen waren mit einem förmli­
chen Transformismus nicht vereinbar.
Die Beurteilung dieser Aussagen fällt heute meist zuungunsten
des kirchlichen Lehramts aus, das damit nach Meinung vieler den
wissenschaftlichen Fortschritt behindert habe. Aber bei Beachtung

15 Collect. Lac. V, 292.


16 Vgl. A. Winter, a.a.O., 133f.
des ganzen Zusammenhangs (wozu auch die Tatsache der Nicht-
Unfehlbarkeit kongregationaler Sentenzen, ihrer nicht absoluten
Glaubensverpflichtung und die Konzedierung der unterschiedlichen
Interpretationen der Väter und Lehrer [DH 3515] gehört), wird man
diese Anweisung als eine zeitgerechte Verfahrensregel verstehen dür­
fen, die vor vorschnellen Akkommodationen an die noch nicht gänz­
lich gesicherten naturwissenschaftlichen Ansichten schützen sollte,
zumal damals auch innerhalb der katholischen Exegese die Kenntnis
der literarischen Gattungen erst in den Anfängen steckte. In diesem
Sinne deutete eine spätere Verlautbarung derselben Kommission das
Dokument vom Jahre 1909 offener. In einem Brief vom Jahre 1948
hieß es u.a., daß jene früher ergangenen Antworten „keineswegs
einer weiteren echt wissenschaftlichen Überprüfung dieser Probleme
gemäß den während dieser letzten vierzig Jahre erhaltenen
Ergebnisse widersprechen“ (DH 3862).
Inzwischen war im Jahre 1943 die bahnbrechende Enzyklika
Pius XII. „Divino afflante Spiritu“ ergangen, in der den katholischen
Exegeten das Studium der literarischen Gattungen zur Ergründung
des echten Sinnes der Heiligen Bücher empfohlen und damit bei aller
Bindung an die Kirche die Freiheit der Forschung im Aufgreifen
schwieriger exegetischer Fragen befürwortet wurde, „um auch
gewissen Schlußfolgerungen der Profanwissenschaften in gebühren­
der Weise zu genügen“ (DH 3831).
So zeichnete sich im Verhältnis des Lehramtes zu den von der
Deszendenztheorie aufgeworfenen Problemen eine positive Entwick­
lung ab, die sich seit dem Pontifikat Pius’ XI. auch daran ersehen
ließ, daß die Veifechter einer differenzierten Deszendenztheorie
(F. Rüschkamp, P.-M. Perier, E. C. Messenger) seitens des Lehramtes
keine Beanstandung mehr erfuhren, obgleich die Mehrzahl der
Theologen noch immer die Schriftwidrigkeit und dogmatische
Unvereinbarkeit des Transformismus behauptete. Zu dieser Zeit aber
konnte u.a. A. Schmitt die Ansicht vertreten, daß die in Frage kom­
menden Bibelstellen in einem Sinn interpretiert werden könnten, der
eine Abkunft von tierischen Vorfahren nicht ausschlösse17.

17 A. Schmitt, Katholizismus und Entw icklungsgedanke, 70.


Eine neuerliche Wendung zum Positiven brachte die Enzyklika
Pius’ XII. „Humani Generis“ (1950), die eine gemäßigte „Evolu­
tionslehre“ als legitimen Gegenstand der Forschung in beiden Berei­
chen (Theologie und Naturwissenschaft) anerkannte, „insofern sie
nämlich den Ursprung des menschlichen Leibes aus schon existie­
render Materie erforscht“ unter Festhalten an der unmittelbaren Er­
schaffung der Seelen durch Gott und unter Bereitschaft der
Unterstellung unter das Urteil der Kirche. Dabei aber wurde zugleich
auf den noch hypothetischen Stand der Evolutionslehre hingewiesen,
die den Forschern keine absolute Gewißheit bei der Vernunftbegrün­
dung dieser Lehre wie bei ihrer Harmonisierung mit den Offen­
barungsquellen biete (DH 3896).
Diese Zurückhaltung aber wurde im katholischen Bewußtsein kurz danach
aufgegeben, als Teilhard de Chardin (+ 1955) in seinen naturwissenschaftlich­
philosophischen Werken eine „Weltsumme“ entwarf, in welcher, er den
Evolutionsgedanken nicht nur voll bestätigte, sondern auch die „kosmische
Drift“ des Universums mit der Geschichte des Heils in Jesus Christus zusam­
menführte und den Weltprozeß „christifizierte“, d.h. Christus als „Retter der
Evolution“, als das „Omega“ und das „lenkende Fluidum“ des natürlich-gnaden-
haften Weltprozesses18 darstellte. Die Faszination dieser synthetischen Schau
führte einerseits zu einer unkritischen Übersteigerung des Evolutionsgedankens,
trug aber andererseits auch zu einer kritischen Auseinandersetzung mit ihm und
zur Eingrenzung seines Geltungsbereiches bei, vor allem bei der gewagten Über­
tragung auf das Leben des Glaubens und der Gnade19. Die wissenschaftliche
Erkenntnis der Evolution wurde hier geradezu zu einer Glaubensfrage erhoben,
was einer Übersteigerung ihrer Bedeutung gleichkam.
Vom Zweiten Vatikanum heißt es, daß sich in seiner „Pastoral­
konstitution über die Kirche in der Welt von heute“ eine „an Teilhard
genährte Weitsicht“ niedergeschlagen habe20. Allerdings befaßte sich
das Konzil mit den speziellen Fragen der Evolutionslehre und ihrer
Beziehung zur Schöpfungswahrheit nicht. Wohl aber bot es mit sei­
ner Bekräftigung der „richtigen Autonomie der irdischen Wirklich­
keiten“21 und der positiven Wertung des „unerhörten Wachstum[s] der

18 Der Mensch im Kosmos, 289ff.


19 Ein Monitum des S. Officium vom 30.6.1962 (AAS 54 [ 1962] 526) wies auf die
„Doppeldeutigkeiten“ des Systems hin.
20 J. Ratzinger, Kommentar zum 1. Kapitel der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes:
Das Zweite Vatikanische Konzil. Kommentare III, Freiburg 1968, 320.
21 Gaudium et Spes, 36.
Natur- und Geisteswissenschaften“22 Anreize zur Weiterverfolgung
dieser Fragen.
Diese Motivation wurde in der Folgezeit verstärkt, so u.a. in der
Ansprache Johannes Pauls II. im Kölner Dom anläßlich seiner ersten
Deutschlandreise, wo er am Beispiel Alberts d. Gr. die „Gesprächs­
bereitschaft zwischen Wissenschaft und Kirche“ dokumentierte und
als tragenden Grund dafür die Maxime in Erinnerung rief, daß es
„zwischen einer Vernunft, welche durch ihre gottgegebene Natur auf
Wahrheit angelegt... ist und dem Glauben, der sich der gleichen gött­
lichen Quelle aller Wahrheit verdankt, ... keinen grundsätzlichen
Konflikt geben“ könne23. Schließlich hat Johannes Paul II. bei einer
Privataudienz für die Teilnehmer des Symposiums „Christlicher
Glaube und Evolutionstheorie“ speziell auf das Problem der Evo­
lution mit dem Glaubensaspekt Bezug genommen und unter Rück­
verweis auf die Aussagen Pius’ XII. in „Humani Generis“ erklärt,
daß „sich recht verstandener Schöpfungsglaube und recht verstande­
ne Evolutionslehre nicht im Wege stehen“; denn „Evolution setzt
Schöpfung voraus“, und „Schöpfung stellt sich im Licht der Evo­
lution als ein zeitlich erstrecktes Geschehen - als creatio continua -
dar, in dem Gott als der ‘Schöpfer des Himmels und der Erde’ den
Augen des Glaubens sichtbar wird“24.
Der kurze Abriß der Problemgeschichte läßt erkennen, daß
Theologie und Kirche sich nach einem anfänglichen (berechtigten)
Zögern dem Evolutionsgedanken öffneten und ihn nicht als glau­
benswidrig zurückwiesen. Damit ist aber die denkerische Proble­
matik der Evolutionslehre und ihre Verbindung mit der Schöpfungs­
wahrheit noch nicht bewältigt. Es hat im Gegenteil den Anschein,
daß die so betont vorgetragene Nichtwidersprüchlichkeit zwischen
den beiden Instanzen (Schöpfung und Evolution) zu einer vorschnel­
len Harmonisierung treibt, die das Anliegen der Schöpfungstheologie
verfehlen kann: Denn mit einer freundlichen Duldung durch die
Vertreter der Evolutionstheologie kann sich der Schöpfungsglaube
nicht begnügen.
22 Ebda., 54.
23 Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, 25 (hrsg. vom Sekretariat der Deutschen
Bischofskonferenz), Bonn 1980, 27.
24 Evolution und Christentum, 146.
II. Die theologische Bestimmung des Verhältnisses
zwischen Schöpfung und Evolution
1) Die Aufgabe der Theologie
Es stellt sich die Frage, warum die dogmatische Theologie das
Problem der Verhältnisbestimmung von Schöpfung und Evolution
überhaupt thematisiert und sich so eine Last aufbürdet, die nicht
leicht zu bewältigen ist. Allein zum Beweis ihrer Modernität wäre
die Übernahme dieser Aufgabe nicht gerechtfertigt. Es böte sich hier
ja auch die von manchen modernen Theologen bevorzugte „Ent­
flechtungslösung“25 an, bei der das Naturgeschehen und die damit
gegebene Weltbildproblematik allein den Naturwissenschaften über­
lassen werden und die Theologie sich nur mit der existentiellen
Lebensfrage des Menschen befaßt, welche vom theoretischen
Naturwissen unabhängig ist26. Auf diese Weise würde auch jeder
Konflikt zwischen Theologie und Naturwissenschaft vermieden. Die
Kehrseite dieser Entflechtung würde sich freilich bald zeigen, inso­
fern von seiten der Naturwissenschaften der Schöpfungsglaube als
völlig beliebige und folgenlose Zutat zur Realität und Empirie be­
trachtet werden könnte. Die SchöpfungsWahrheit hätte keinerlei
kognitive Bedeutung für die Erfassung der Weltwirklichkeit.
Es ist aber gerade der heilsgeschichtlich-realistische Anspruch
der Wahrheit vom Schöpfergott und seinem Werk, daß er die ganze
Wirklichkeit betrifft und die Naturgeschichte nicht dem Naturalis­
mus der Wissenschaften überlassen kann. Wenn die Schöpfung theo­
logisch als Urhebung des Seins erfaßt ist, wenn sie als dem Geschöpf
zeitlos gegenwärtiger Akt der Erhaltung (creatio continua) und der
Mitwirkung (concursus) verstanden wird, der zudem von Gott auch
seine Zielausrichtung erfährt (providentia, gubernatio), dann kann
gerade eine werdende, evolutive Schöpfung vom Schöpferhandeln
Gottes nicht getrennt gedacht werden. Die Schöpfungstheologie muß

25 So H. W. Beck, Christlicher Schöpfungsglaube im Kontext heutiger Wissenschaft, 10.


26 Diese Einstellung macht sich u.a. bei G. Ebeling bemerkbar, welcher der Evolutions­
und Fortschrittsproblematik keine besondere Bedeutung beimißt, weil der Blick auf die
misere de l ’homme die mit der Evolution verbundene Vorstellung von einer Vollendung
„vergehen“ lasse: Dogmatik des christlichen Glaubens III, 38; vgl. zu solchen
Interpretationen der „Diastatiker“ (M. Werner, Fr. K. Schumann, K. Barth, R. Bultmann,
Fr. Gogarten) J. Hübner, Theologie und biologische Entwicklungslehre, 200-225.
sich aufgrund ihrer einmal angenommenen Voraussetzungen mit der
Evolution befassen.
Freilich muß die Theologie bei Übernahme dieser Aufgabe auch um Ziel und
Grenze ihres Auftrags wissen. Dazu gehört, daß sie nicht im Sinne der alten
Konkordanztheorien einen Konkordismus anstrebt, bei dem die theologische
Wahrheit die Ergebnisse der Forschung in sich aufnimmt oder eine nahtlose
Angleichung der Schöpfungs Wahrheit an das Naturgeschehen intendiert. Es geht,
genau genommen, nicht darum, die theologische Wahrheit mit der
Naturerkenntnis in Einklang zu bringen (dann hätte die Theologie das Besondere
ihrer Offenbarungserkenntnis aufgegeben), es geht genauer darum, das
Naturwissen auf die höhere Dimension des Glaubens auszurichten und zu zeigen,
daß die Naturerkenntnis ohne das Licht des Glaubens unvollständig und sogar
ungeklärt bleibt. Es ist deshalb mit einer „Einbeziehung“ der Ergebnisse der
Evolutionsforschung in den Glauben nicht getan, die nach H. v. Ditfurth
(+ 1989) dem Christen kein „Quentchen seiner religiösen Überzeugungen in
Frage zu stellen“27 vermöchte (wobei sich nachher zeigt, daß der mit so viel
Wohlwollen bedachte Christ doch Wahrheiten wie die von der Höchststellung
des Menschen in der sichtbaren Schöpfung oder wie die von der Menschwerdung
Gottes oder die von einem bestimmten Ziel der Evolution aufgeben muß, weil sie
nicht in ein evolutives Weltbild passen28).
Ebensowenig erscheint es zutreffend, Evolution und Schöpfung
als die beiden komplementären Aspekte der Weltwirklichkeit zu be­
zeichnen; denn sich ergänzende Wesenheiten sind Teilelemente eines
höheren Ganzen. Aber es kann weder der aus der Allmacht Gottes
kommende Schöpfungsakt als Teilmoment eines Ganzen verstanden
werden, noch kann das Naturgeschehen der Evolution als einer gött­
lichen Ergänzung bedürftig angesehen werden, weil Gott auf diese
Weise in die Rolle des Lückenbüßers verwiesen würde. Es kann nur
an eine Zuordnung beider Wirklichkeiten gedacht werden, die aus
der Einsicht des Glaubens heraus dem Naturvorgang eine überempi­
rische Erklärung zuteil werden läßt, für welche er bei Anerkennung
seiner empirischen Begrenztheit und seiner Eingeschränktheit auf
einen rein physikalisch-biologischen Erfahrungsbereich offen ist
(oder offen sein müßte).
Diese Aufgabenstellung bedingt auch, daß die Theologie vor der genauen
Verhältnisbestimmung von Schöpfung und Evolution an die Evolutionstheorie
die Wahrheitsfrage stellt und ihren unangreifbaren Wahrheitsgrund freilegt, der
von den vielen weltanschaulichen Extrapolationen zu unterscheiden ist. Dabei
kann sie freilich nicht schon mit Glaubensargumenten vorgehen, sondern muß,

27 H. v. Ditfurth, Wir sind nicht nur von dieser Welt, 16.


28 Ebda., 138; 141; 243.
sich im Raume der praeambula fidei bewegend, mit Hilfe der Philosophie die
Stringenz der Evolutionstheorie kritisch überprüfen. Eine solche Überprüfung ist
deshalb wichtig, weil philosophische Unklarheiten oder Fehler in der Erklärung
der Evolution ihre theologische Einordnung verunmöglichen müßten. Solche
Fehler sind etwa die (heute weithin herrschende) Ablehnung jeglicher Teleologie
im Evolutionsgeschehen und das Beharren auf dem Zufall als wesentlichem
Faktor der Evolution. Sie widerstehen der Möglichkeit zur Verknüpfung der
Evolution mit der Wahrheit von einem die Werdewelt lenkenden und schöpfe­
risch führenden Gott. Dabei liegt die Annahme einer Zielgerichtetheit der
Evolution manchen Vertretern der Evolutionstheorie nicht gänzlich fern. So
erklärt M. Eigen: „Der molekularen Evolution liegt keineswegs blindes Probie­
ren zugrunde, sondern ein sehr effektiver Optimierungsmechanismus“29. Ebenso
ist das neuerdings ins Gespräch gebrachte „anthropische Prinzip“ eine beden­
kenswerte Instanz gegen den Antiteleologismus: „Wenn wir ins Universum hin­
ausblicken und erkennen, wie viele Zufälle in Physik und Astronomie zu unse­
rem Wohle zusammengearbeitet haben, dann scheint es fast, als habe das Uni­
versum in gewissem Sinne gewußt, daß wir kommen“30.
Zu den Fehlansätzen des Evolutionismus gehört auch die philosophische
Option, daß sich die Evolution kontinuierlich von der Materie zum Leben, zum
Geist, zur Religion und zum Ethos hin vollziehe. Sie würde die theologische
Adaptierung der Theorie unmöglich machen und bei unbedachter Annahme einen
Glaubensirrtum involvieren.
Deshalb muß es im Vorfeld der eigentlichen Problematik um die
Zuordnung von Schöpfung und Evolution der Theologie auch erlaubt
sein, auf die der Evolutionslehre immer noch anhaftenden
Schwierigkeiten aufmerksam zu machen, wenn es um die Klärung
ihrer Gesetzmäßigkeit im einzelnen geht. Hier wird die Theologie
die Stimmen von Naturwissenschaftlern (wie J. Illies, W. Kuhn,
Br. Vollmert u.a.) nicht überhören dürfen, welche die Evolution als
Zusammenhang unter den Organismen im Laufe der Erdgeschichte
bis hin zur heutigen Formenfülle von Pflanzen und Tieren unter
gewissem Einschluß des Menschen nicht leugnen, aber die logisch
zwingende mechanisch-kausale Erklärung nicht als hinreichend
erachten31.
Unter diese Kritik grundlegender Art fallen vor allem die naturphilosophi­
schen Erklärungsversuche zur Begründung des in der Evolution auftauchenden
Neuen, an dessen wirklicher Neuartigkeit die Evolutionslehre dringend festhal-
ten möchte32. Es muß zugleich aber auch kausal aus dem Vorausgehenden abge­

29 GEO-Wissen, Hamburg, Nr. 2, 7.5.1990.


30 R. Breuer, Das anthropische Prinzip. Der Mensch im Fadenkreuz der Naturgesetze,
München 1981, Vorspruch.
31 Vgl. dazu J. 111ies, Der Jahrhundertirrtum, 51.
32 Zum Folgenden vgl. R. Löw, Die neuen Gottesbeweise, 137-155.
leitet werden können. Dazu eröffnen sich drei Wege. Der Reduktionismus erklärt
die neu entstehenden Formationen als zeitlich spätere Konstellationen eines
Ursprünglichen, das in den natürlich erklärbaren chemischen Verbindungen des
Anfangs (der „Ursuppe“) vorgegeben ist und vermittels eines Hyperzyklus zu
einer neuartigen Konstruktion ersteht. Der Präformismus (oder Präformationis-
mus) läßt alles Spätere im Vorangehenden wie in einem Keim eingeschlossen
sein, so etwa Vorformen für Geist und Freiheit im Anorganischen. Weil aber auf
diesen beiden Wegen die Erklärung eines wirklich Neuen nicht gelingt, greift ein
dritter Erklärungsversuch zu dem Symbolwort „Fulguration“. Der Fulguratia-
nismus, der das Neue in der Evolutionskette mit dem Aufgehen eines Blitzstrahls
vergleicht, will erklären, daß bei Zusammenschaltung zweier voneinander unab­
hängiger Systeme und dem Zusammenschluß von Ursachen plötzlich völlig neue
Systemeigenschaften entstehen. So wird die Entstehung der spezifisch menschli­
chen Seinsform erklärt durch eine „Synthese zwischen Raum Vorstellung,
Greifhand, Aufrichtung, Neugierverhalten und Sprachentwicklung“33. Damit soll
bewußt auch das Einwirken jeder außerempirischen Ursache ausgeschlossen
sein. Aber der Fulguratianismus leidet an einer Aporie; denn entweder ist das
Neue, das ja aus dem Zusammenschluß der Systeme kausal hervorgetrieben wird,
nur etwas für unser Erkennen Neues und in der Sache nicht neu, oder es ist sach­
lich wirklich ein absolutes Novum, ist dann aber in seinem Entstehen nicht
naturwissenschaftlich erklärt. Es muß dann als metaphysisches Postulat angese­
hen werden, das nach K. Popper nicht in die Naturwissenschaft gehört.
Ähnlich kritisch muß die sich auf eine realistische Philosophie
stützende Theologie mit der gegenwärtig als Schlüsselwort angese­
henen „Selbstorganisation“ verfahren, ein deutlich anthropomorphi-
stisch geprägter Begriff, der mehr und mehr als Äquivalent für die
molekulare Evolution gebraucht wird34. Er bezeichnet den Prozeß,
bei dem durch Wechselwirkung von Teilfaktoren unvorhergesehene
Synergieeffekte auftreten, die mehr erbringen als eine Summierung
der Leistungen, wobei das Spiel des Zufalls wiederum entscheidend
ist. Dem begegnet jedoch der ernste Einwand, daß ein Artenwandel
aufgrund bloßen Zufalls die extreme Unwahrscheinlichkeit von 10"!00°
bei sich hat35. Unter molekularbiologischem Aspekt hat Br. Vollmert
darauf hingewiesen, daß der für die Entstehung neuer Arten notwen­
dige Längenzuwachs der DNS-Ketten und das Hinzutreten neuer
Gene der Annahme einer Spontanerzeugung widersteht36.

33 So R. Riedl, Biologie der Erkenntnis, Berlin 1980, 211.


34 Vgl. St. E. Boßhard, Probleme der Vereinbarkeit von Evolutionstheorie und
Schöpfungstheologie: Evolution. Probleme und neue Aspekte ihrer Theorie, 129-156, bes.
150ff.
35 Nach Br. Vollmert, Das Molekül und das Leben, 130f.
36 Ders., Entstehung des Lebens: Schöpfung oder Evolution?: Gottes Schöpfung (hrsg.
von Fr. Breid), 88.
Unter theologischem Aspekt muß darauf hingewiesen werden, daß beim
Ernstnehmen des „Selbst“ (im Begriff der „Selbstorganisation“) für die Ein­
beziehung des Schöpfers in das Geschehen kein Platz mehr bleibt, weil eben
alles in einer gewissen Autonomie vom „Selbst“ geleistet wird. Nimmt man aber
diese Einbeziehung vor, dann ist wiederum der Begriff des alleinigen „Selbst
aufgegeben. Die Einbeziehung des Schöpfers könnte dann nur so gedacht wer­
den, daß der Schöpfer am Beginn der Schöpfung am Werke war, dann aber alles
gemäß immanenter Gesetzmäßigkeit (und des Zufalls) ablaufe und unter der
Autonomie des betreffenden geschöpflichen Agens stehe. Das aber ist die Auf­
fassung des Deismus, der ein weitergehendes Schöpferhandeln Gottes an der
Welt ablehnt. So bedarf denn auch die von katholischen Theologen angenomme­
ne Theorie der „Selbstorganisation“ einer zusätzlichen metaphysischen Stützung
durch den Gedanken von einer dem Geschöpf verliehenen und geschenkten
Kreativität seitens des Schöpfers (s.u.).
Diese Bruchstellen in der Theorie von der Selbstorganisation, der
neueren Spielart der Evolutionslehre, machen eine wesentliche
Begrenzung der Evolutionstheorie im ganzen notwendig. Die
Theorie vermag keine kausale Erklärung in der Art zu leisten, daß die
niedrigere Organisationsform die höhere aus eigener Kraft hervor­
bringt. Das ist weder empirisch bewiesen noch auch philosophisch zu
begründen, insofern das Weniger nicht das Mehr hervorbringen kann.
Das ist auch durch die Hinzuziehung eines „göttlichen Faktors“ nicht
möglich, weil Gott nicht als deus ex machina zur Behebung von
metaphysisch Widersprüchlichem herangezogen werden kann.
Was die naturwissenschaftlich begründete Evolutionstheorie zu
leisten vermag, das ist der Aufweis des konditionalen Zusammen­
hangs von Organen, Strukturen und Funktionen der früheren Art mit
der neuen Seinsweise und Gestalt. Das tritt besonders deutlich in
Erscheinung bei den großen Übergängen in der Naturgeschichte vom
Anorganischen zum Organischen, vom Leben zum Geist, vom Tier
zum Menschen. Wenn hier an ein Hervorbringen des Neuen durch
das Alte gedacht würde, müßte jede Unterscheidung zwischen den
Lebensformen preisgegeben werden; die Wirklichkeit bestünde aus
einer einzigen evolutiven Masse, die sich selbst zur Quelle immer
neuer Konstrukte wird, welche aber nichts anderes sein können als
Zustands Veränderungen der zugrundeliegenden Masse: das Zerrbild
des Evolutionismus.
Eine folgenschwere Ausweitung erfuhr die Evolutionstheorie
durch die Einbeziehung des menschlichen Erkennens und des Be­
wußtseins in den physisch-biologischen Weltprozeß. Diese „naturge­
schichtliche Erklärung der Vernunft“37 berührt das Anliegen der
Theologie nicht nur wegen der kirchlichen Lehre von der unmittel­
baren Erschaffung der einzelnen menschlichen Geistseele durch
Gott, sondern auch wegen der anthropologischen Gesamtauffassung
von dem in Unmittelbarkeit zu Gott stehenden Wesen und also von
der Würde des Humanum als solchem.
Diese Glaubensüberzeugung muß einer Theorie kritisch gegen­
überstehen, die das Leben als einen Prozeß sich steigernder, immer
erfolgreich werdender Erkenntnis versteht mit dem Gewinn neuer
Selektionsvorteile für das weitere Überleben, ein Prozeß, der seinen
Gipfel im Aufkommen des reflektierenden Bewußtseins gewinnt. In
dieser These, die menschliche Erkenntnis nur als graduelle Stei­
gerung tierischen Erkennens versteht, welches die Außenwelt regi­
striert und mit Hilfe eines sich stets verbessernden Erkenntnisappa­
rates simuliert, wird das menschliche Erkennen im Grunde zum Me­
chanismus eines Fotoapparates oder einer Kamera degradiert mit
dem geringen Unterschied, daß solches Erkennen Funktion des
menschlichen Gehirns ist. Erkennen ist hier im Grunde als Anpas­
sung der Außenwelt an den „Weltbildapparat“ des Menschen defi-
niert. Damit ist es aber in seiner Tiefe als ein Vordringen zum We­
senskern einer Erscheinung, als ein Erfassen ihres Sinnes und ihrer
Wahrheit gänzlich verkannt. Damm scheitert die evolutive Erkennt­
nistheorie schon daran, daß sie die Frage nach der Stimmigkeit und
Wahrheit der Anpassung nicht beantworten kann, es sei denn durch
Hinweis auf den Überlebenserfolg. Das aber ist wiederum nur ein
Rekurs auf eine ebensolche Anpassung, also ein circulus vitiosus.
Um wirklich zur Wahrheit zu gelangen, bedarf die Vernunft eines über die
biologische Evolution erhobenen Standpunktes, der sie befähigt, die Evolution
zu beurteilen und im Zusammenhang mit der Wirklichkeit im ganzen ihre
Wahrheit zu begründen bzw. ihre Unwahrheit zu erweisen. Das Urteil über die
Evolution kann aber nicht aus ihr selbst abgeleitet werden, sondern muß von
einer Instanz herkommen, die über ihr steht und vor ihr ist. Darum setzt
Evolution die Vernunft, ihre Prinzipien wie auch die Subjektivität des Menschen

37 So u.a. vertreten von K. Lorenz, Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer
Naturgeschichte des menschlichen Erkennens, München 1973 und R. Riedl, Biologie der
Erkenntnis. Die stammesgeschichtlichen Grundlagen der Vernunft, Berlin 1980.
voraus. Vernunft ist in ihrem Wesen unableitbar38. Aber gerade in dieser
Unableitbarkeit und in ihrer (von der evolutiven Erkenntnistheorie nicht erreich­
ten) Erschlossenheit für das Sein im Ganzen und für das Unendliche liegt ein
Hinweis auf ihre Anteilnahme an einem Unendlichen und auf ihre Herkunft von
ihm.
In Verbindung mit der Evolutionstheorie wird heute auch die
sogenannte „Chaostheorie“, die von manchen Autoren mit der Theo­
rie von der Selbstorganisation der Materie zusammengebracht wird39,
in Beziehung zur SchöpfungsWahrheit gesetzt und als Brückenschlag
zwischen Theologie und Naturwissenschaft empfohlen. Sie geht (in
vielen Spielarten) von der im makroskopischen Bereich gewonnenen
Erkenntnis aus, daß sich in dynamischen Systemen, die „durch
Schwingungen, Iterationen, Rückkoppelungen, Grenzzyklen“ be­
stimmt sind, unvorhersehbare Unordnungen ereignen, die aber als
Zwischenspiel von neuer Ordnung und Weiterentwicklung zu erwei­
sen sind. Daraufhin enthält der destabilisierende Prozeß auch Züge
des Schöpferischen in sich. Nach I. Prigogine eröffnet ein solches
Konzept von Bewegtheit und chaotischem Suchen den Blick auf
einen Gott, der ein solches Werden intendiert und es zugleich ord­
net40. Dieser Gott tritt aber in der Welt (nach Art Whiteheads) weni­
ger als Schöpfer denn als Ordner auf, was von der christlichen
Schöpfervorstellung nicht gemeint ist41.
2) Der Zusammenhang von Schöpfung und Evolution
Von seiten einer dem religiös-theologischen Anliegen geöffneten
Richtung der Evolutionslehre wird eine direkte Vereinbarkeit der bei­
den Geschehnisse vorgeschlagen, die besagt, daß der Schöpfungsakt
„außerzeitlich“ dasselbe ist, was wir „innerzeitlich“ als Evolution
erfahren. Kosmische und biologische Evolution wären identisch mit
dem „Augenblick der Schöpfung“42, der sich für uns nur in zeitlicher
38 Vgl. dazu H. M. Baumgartner, Die innere Unmöglichkeit einer evolutionären
Erklärung der menschlichen Vernunft: Evolution und menschliches Selbstverständnis,
55-71.
39 Vgl. R. Koltermann, Grundzüge der modernen Naturphilosophie, 63-75.
40 Vgl. I. Prigogine - I. Stengers, Dialog mit der Natur, 291.
41 Vgl. den daran anschließenden Versuch zum Einbau der Chaostheorie in die
Schöpfungslehre und in den christlichen Glauben bei A. Ganoczy, Chaos - Zufall -
Schöpfungsglaube, Mainz 1995. Der Chaosbegriff erscheint hier mit dem dramatischen
Charakter der Welt- und Heilsgeschichte identifiziert und auf Leid, Tod und Sünde ausge­
weitet.
42 So H. v. Ditfurth, Wir sind nicht nur von dieser Welt, 144.
Erstreckung darstellt. So wird dem Schöpfungsgläubigen insinuiert,
daß er fraglos an Schöpfung und Evolution zugleich festhalten
könne, weil beide ontologisch dasselbe seien. Die sich bei einer sol­
chen Interpretation stellende Frage ist nur die, ob dann die Berufung
auf einen Schöpfungsakt überhaupt noch notwendig ist (insofern ja
die Evolution selbst schon mit schöpferischer Kraft ausgestattet ist)
und ob dies nicht zur bloßen Beruhigung des religiösen Gemütes
geschieht, das die Schöpfungsvorstellung aus Pietätsgründen beibe­
halten dürfe, ohne daß sie sich kognitiv und inhaltlich von der
Evolutionsvorstellung unterschiede. Auf diese Weise wird auch ein
täuschendes Einvernehmen zwischen Theologie und Naturwissen­
schaft hergestellt, das den Glaubensansatz inhaltlich entleert.
Dieselbe Frage ist auch an diejenigen theologischen Interpreten zu
richten, welche die Selbstorganisation als schöpferisches Geschehen
deuten und es ohne nähere Differenzierung als creatio continua
bezeichnen. Damit ist das Wesen der göttlichen Schöpfung als allem
Werden überhobene Urhebung des Seins verkannt.
Demgegenüber muß die sinnvolle Zuordnung von Schöpfung und
Evolution mit der Kennzeichnung ihrer wesentlichen Verschieden­
heit beginnen43. Dazu gehört zuerst die Feststellung, daß Schöpfung
ein transzendentaler, Evolution ein kategorialer Begriff ist. Als trans­
zendentaler Begriff übersteigt Schöpfung alle empirische Wirklich­
keit und Ordnung und setzt die Möglichkeit solcher Wirklichkeit und
Ordnung. Dagegen ist Evolution als kategorialer Begriff auf die er­
fahrbare Wirklichkeit gerichtet und sagt von ihr eine besondere
Modalität aus. Er meint ein Geschehen, welches in Raum und Zeit
verläuft, während hinwiederum Schöpfung etwas erfaßt, was vor
jeder zeit-räumlichen Erstreckung und Bewegung gelegen ist und ihr
zugrundeliegt.
Ein weiterer Unterschied ist (wie schon angedeutet) darin gele­
gen, daß der Schöpfungsbegriff auf den Ursprung und die Erhaltung
des Seins der Dinge geht, der Evolutionsbegriff dagegen nur eine
Feststellung über das Werden und die Veränderung der Dinge trifft.

43 Zum Folgenden vgl. H. Volk, Schöpfungsglaube und Entwicklung, 10-15.


Daraus läßt sich auch ein Unterschied bezüglich des beiderseitigen
Begründungs- und Motivationsmomentes ableiten. Diesbezüglich
läßt sich ersehen, daß der Schöpfungsbegriff das metaphysische
Warum des Geschaffenen erklärt, der Evolutionsbegriff dagegen nur
ihr physisches, räumlich-zeitliches Woher. So ist die wesenhafte
Unterschiedenheit beider „Geschehnisse“ nicht zu übersehen.
Diese Unterschiedenheit ist nicht nur die Voraussetzung dafür,
daß beide Wirklichkeiten einander nicht widersprechen, sondern
auch dafür, daß sie zusammen auftreten können und müssen, wenn
Gott Wesen geschaffen hat, denen er einerseits innerhalb der schöp­
ferischen Relation zu ihm auch Eigenstand, Eigenbewegung und
Eigentätigkeit verliehen hat, die aber andererseits der schöpferischen
Tätigkeit nicht entbehren können, vor allem, wo es um die Entste­
hung neuen Seins in der Welt des Werdens geht.
Da das Geschöpf trotz aller Eigentätigkeit und Selbstbewegung
kein neues Sein erschaffen kann und die Seinsstiftung allein dem
Schöpfer Vorbehalten ist, ergibt sich mit Notwendigkeit die An­
erkennung der Wahrheit: Überall, wo in der Naturgeschichte wirklich
Neues entsteht, d.h. wo neue Wesenheit, neue Art, neue Konstitution
und neuer Sinn hervortreten, kann dies nur vermittels des Einwirkens
der schöpferischen Ursache Gottes erklärt werden, d.h. unter Rück­
beziehung auf die creatio continua, die am bereits Geschaffenen
ansetzt, dieses umprägt und zu einem neuen Sein erhebt. Auch wenn
bei dieser „Schöpfung am Geschaffenen“ die Elemente der alten
Seinsform berücksichtigt werden, handelt es sich doch um einen
wahrhaft schöpferischen Totalakt, der eine neue höhere Seinsstufe
kreiert, die zuvor in keiner Weise vorhanden war. Es ist eine Ur-
hebung neuen Seins, in personaler Kategorie ausgedrückt: ein Ruf
Gottes an das Geschöpf zu einer neuen Beziehung zum Schöpfer44.
Diese Erklärung vermag sowohl das einzigartige Handeln des
Schöpfers innerhalb der creatio continua zu gewährleisten, als auch
die vom Evolutionsdenken geforderte Berücksichtigung der
Naturkräfte und der Selbsttätigkeit des schon Geschaffenen zu garan­

44 Dieses Modell hat erstmals ausgearbeitet: H. E. Hengstenberg, Evolution und


Schöpfung, 202-233.
tieren. Nur handelt es sich bei diesem Beteiligtsein des Geschaffenen
nicht um Verursachung oder Mitverursachung des neuen Seins und
seines Seinsaktes, sondern um ein okkasionales und konditionales
Dabeisein des Geschöpfes, entsprechend dem von der Evolutions­
lehre zu erklärenden Konditionalzusammenhang zwischen Altem und
Neuem.
Der gegen dieses theologische Denkmodell erhobene Einwand, daß Gott
angesichts dieser Erklärung jeweils nur in seine Schöpfung eingreifen und sich
so unter die weltlichen Ursachen einreihe, verkennt einmal das Wesen der schöp­
ferischen Gegenwart Gottes in der Welt, die keiner von außen kommenden Ein­
griffe bedarf; er mißversteht zum anderen die Besonderheit eines Schöpfungs­
aktes, der seinem Wesen nach überzeitlich und überräumlich ist, der sine motu
erfolgt und aller geschöpflichen Bewegung vorausliegt, obgleich er sie kraft sei­
ner Transzendenz zuinnerst umfängt und durchdringt.
Auf anderem Grund steht die Erklärung des Neuwerdens in der
Naturgeschichte vermittels des Axioms von der „aktiven Selbst­
transzendenz“, kraft derer „sich ein Seiendes selbst in seiner eigenen
Tat als der Tat Gottes aktiv nach oben überwindet“45. Mit diesem
Grundsatz, der auch die Annahme vom Geistsein der Materie
[„gefrorener Geist“] bei sich hat46, versucht K. Rahner den mystiscb-
immanentistischen Versuch Teilhards zur Konzeption einer christifi-
zierten Evolutionslehre metaphysisch abzustützen. Er überträgt dazu
den in der Erkenntnisordnung sinnvollen Begriff der Selbstüber­
schreitung des Geistes zum Absoluten hin auf das Naturgeschehen
und will jedem Seienden in Kraft der unendlichen göttlichen Ur­
sächlichkeit die Fähigkeit zum Überschritt in eine höhere Seinsform
zubilligen. Aber es ist schwer verständlich, wie ein intentionales
„Werden“ des Geistes auf das Absolute hin mit dem real-substantia-
len Neuwerden einer biologischen Art aus der anderen oder eines
höheren Individuums aus einem niederen gleichgesetzt werden kann.
Ebensowenig ist die Behauptung nachzuvollziehen, daß „die göttli­
che Ursächlichkeit zur ‘Konstitution’ der endlichen Ursächlichkeit
selbst gehöre, ohne darum zu einem Wesensmoment dieser Natur als
solcher selbst zu werden“47. Wenn das göttliche Wirken für das

45 Das Problem der Hominisation, 6.1.


46 Ebda., 51 f.
47 Ebda., 67.
menschliche Handeln konstitutiv wäre, dann würde das menschliche
Handeln vergöttlicht und göttliches Handeln vermenschlicht.
Es erscheint aufschlußreich, daß Rahner diese Theorie unter dem
Generalthema des „Werdens“ und nicht der „Schöpfung“ behandelt.
Der Begriff der Schöpfung als absoluter Setzung und Urhebung des
Seins gerät hier außer Blick und ist durch den Begriff der Ursäch­
lichkeit Gottes ersetzt, welche zur Konstruktion der geschöpflichen
Ursächlichkeit gehört und so das Werden des Neuen erwirkt. Der
schöpferische Charakter des göttlichen Einsatzes geht jedoch verlo­
ren, wenn „die unendliche Wirklichkeit des reinen Aktes“ als „kon­
stituierendes Moment“ der endlichen Ursächlichkeit ausgegeben
wird48.
Im ganzen scheint hier nicht bedacht, daß Gottes Schöpferhan­
deln kein Werden ist und daß es ohne Bewegung geschieht.
Andererseits gilt auch: Wenn (wie im Falle der Eltern) der neue
Mensch „durch die ihre Selbstüberbietung ermöglichende Kraft Got­
tes, die ihrem Wirken innerlich ist ...“, entsteht, dann wären die
Eltern als Träger göttlicher Schöpferkraft anerkannt, was nicht sein
kann, da Schöpferkraft nicht übertragbar ist. Wo dies dennoch be­
hauptet wird und Schöpferkraft als konstituierendes Moment
geschöpflicher Kraft ausgegeben wird, tritt eine Konfundierung der
Seins- und Tätigkeitsweisen von Unendlichem und Endlichem ein,
die dem Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf wider­
spricht49.

48 Ebda., 69.
49 Der Versuch der Rückführung dieses Konzeptes auf Thomas scheitert an dem Satz des
Aquinaten: „Nichts nämlich, was seiner eigenen Art gemäß wirkt, intendiert eine Form, die
höher ist als seine eigene“: S.c.g. III, 23.
Kapitel IV:
Der Mensch in der Schöpfung Gottes

Der Mensch als Geschöpf in Unmittelbarkeit zu Gott


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Beispiels der personalistisch-existentiellen Konzeption der theologischen
Anthropologie, Uppsala 1973; H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments,
München 1973; W. G. Kümmel, Röm 7 und das Bild des Menschen im Neuen
Testament. Zwei Studien, München 1974; CI. Westermann, Schöpfung, Stuttgart
1971; Ders., Genesis, Neukirchen-Vluyn 21976; J. Ratzinger, Konsequenzen
des Schöpfungsglaubens, Salzburg 1980; W. Schmithals, Die theologische
Anthropologie bei Paulus, Stuttgart 1980; NBL 5, Zürich 1991; U. Schnalle,
Neutestamentliche Anthropologie, Neukirchen-Vluyn 1991; H. D. Preuß,
Theologie des Alten Testaments II, Stuttgart 1992; J. Gnilka, Theologie des
Neuen Testaments, Freiburg 1994; TRE XXII, 464-474.
Die Erschaffung des Menschen beansprucht eine gesonderte
Betrachtung innerhalb der Schöpfung der Welt. Sie ist schon in den
Schöpfungserzählungen der Völker vorhanden, wo Weltschöpfung
und Menschenschöpfung anfangs getrennt voneinander berichtet
werden. Dabei standen die Erzählungen über die Erschaffung des
Menschen denen über die Welterschaffung zeitlich voran. Darum hat
auch die Vermutung ihre Berechtigung, daß das Befassen mit der
Menschenschöpfung die Voraussetzung und den Grund bildete für
die Beantwortung der Frage nach dem Werden der Welt im ganzen1.
Das läßt sich auch an der älteren biblischen Schöpfungserzählung
des Jahwisten ersehen, die vornehmlich vom Ursprung und Urständ
des Menschen handelt und die Erschaffung der Welt nur in einem
Vordersatz erwähnt2. Hier wird auch besonders deutlich, daß der
Mensch im Zentrum eines von Gott gebildeten Kreises von
Schöpfungsdingen steht, während er im P-Bericht die Spitze eines
Baues darstellt. In beiden Fällen aber tritt die Sonderstellung des
Menschen zutage, die ihm trotz seiner Geschöpflichkeit zukommt.
I. G rundaussagen des Alten Testam entes über den
M enschen
1) Geschöpflichkeit als Wesensmerkmal
Ohne den anthropologischen Gehalt des Alten Testaments er­
schöpfend darstellen zu können3, darf den Schöpfungserzählungen
ein gewisser Vorrang eingeräumt und angenommen werden, daß sich
in ihnen bestimmte Grundstrukturen des vielgestaltigen und nuan­
cenreichen alttestamentlichen Menschenbildes ausgeprägt finden. Zu
ihnen gehört an erster Stelle die in J zum Ausdruck kommende abso­
lute Unterschiedenheit zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf,
die das Merkmal der Geschöpflichkeit oder der Kreatürlichkeit des
Menschen ausmacht.
Die Erkenntnis des Schöpfers und seines Tuns bei der
Menschenschöpfung findet ihr Korrelat in deren Wissen um die
Unterlegenheit des erschaffenen Menschen, um seine Vergänglich­
keit, seine Ohnmacht und Nichtigkeit. Das drückt der jahwistische
Bericht in der Schilderung der Bildung des Menschen, d.h. des
Mannes, aus der Erde, der adamah (Gen 2,7), aus, wobei er von Gott
wie von einem Töpfer geformt wird. Der in Gen 3,19 zum Acker­
boden hinzugefügte Zusatz „Staub“ verdeutlicht die Hinfälligkeit des
Menschen wie seine Vergänglichkeit. Diese läßt an anderen Stellen

1 Cl. Westermann, Schöpfung, 101; Ders., Genesis, 267f.


2 G. v. Rad, Das erste Buch Mose, 61.
3 Vgl. dazu die Literaturübersicht bei H. D. Preuß II, 105.
sogar den Vergleich mit dem Vergehen der Pflanze (Ps 90,6) und des
Tieres (Koh 3,19) zu. Als Äquivalent dieses schwachen Seinsstandes
des Menschen gilt dem Alten Testament der Begriff „Fleisch“
(basar), aber nicht im paulinischen Sinne der sündenverfallenen
Existenz4.
Dieser Befund wird auch nicht aufgehoben durch die Einhau­
chung des „Lebensodems“ (nefes), der nicht mit dem Begriff der
„Seele“ gleichzusetzen ist, sondern den „Atem“ als Element des Le­
bendigseins meint, das auch den Tieren zukommt (Gen 7,22). Es han­
delt sich um die „Hauchseele“, die kein eigenes menschliches
Wesenskonstitutiv darstellt, da sie Gen 7,22 auch den Tieren zuge­
schrieben wird. Sie ist „Träger der Lebendigkeit des Menschen in der
Gesamtheit der vitalen Funktionen, kann aber nicht als Wesenskern
der menschlichen Person aufgefaßt werden“5.
Die spezifisch geistigen Tätigkeiten haben zum Subjekt das
„Herz“ (leb: Gen 6,5; 8,21), dem die Trägerschaft der intellektiven
Tätigkeiten und der willentlichen Regungen zukommt, woran sich
zeigt, daß das alttestam entliche Denken die Seelenkräfte des
Verstandes und des Willens nicht scheidet, sondern auch hier den
Menschen in seiner Ganzheit erfaßt.
Eine Doppelung in „Leib“ und „Seele“ ist dem ursprünglichen alttestament-
lichen Denken fern. Sie tritt erst in der hellenistisch beeinflußten
Weisheitsliteratur hervor (Weish 2,22f.; 3,13; 4,10-5,23)6. Allerdings ist auf eine
Tendenz zur Bedeutungssteigerung dieses Begriffes zu achten, insofern nefes
auch das Innere des Menschen bezeichnet, sein Fühlen und Streben, sein vitales
Selbst und sein „Ich (1 Sam 1,15; Ps 42,5; Ijob 30,16). Aber dies geschieht
nicht unter Ausgrenzung der „Seele“, sondern in Kennzeichnung eines einheitli­
chen Ganzen. Das gilt auch dann, wenn man zur Kennzeichnung der geschaffe­
nen Konstitution des Menschen die Bezeichnung „Geist“ (ruach, „Wind“) wählt,
der dem „Herzen“ des Menschen nahesteht. Auch „ruach“ steht vornehmlich für
die Vitalität des Menschen (Jes 42,5). Ruach kann freilich (in Annäherung an das
„Herz ) auch als Subjekt von Funktionen des Wissens angesehen werden
(Jer 51,1 1). Inhaltlich bestimmend ist die Vorstellung dynamischer Kraft, aber
auch hier nicht an den Begriff der Geistseele heranreichend7.
Der wechselseitige Gebrauch dieser Begriffe für den Menschen und ihre
Überschneidungen lassen erkennen, daß dem Alten Testament ein ganzheitliches

4 H. D. Preuß, Theologie des Alten Testaments II, 117.


5 NBL 5, 760 (F. J. Stendebach)
6 Ebda., 118f.
7 NBL 5, 761.
Menschenbild vorschwebt, das unter jeweils verschiedenen Aspekten aufscheint.
Insofern steht das Alte Testament jedem Dualismus, aber auch der Leibfeind­
lichkeit fern. Allerdings darf diese Feststellung nicht dazu verwandt werden,
daraufhin für einen Monismus zu plädieren. So muß eine spätere christliche
Begriffs- und Verständnisentwicklung nicht als illegitim bezeichnet werden;
denn das spätere theologische Denken konnte der Frage nicht ausweichen, wel­
che Realitäten den verschiedenen Funktionen und Aspekten zugrundelagen.
Allen diesen Bezeichnungen gemeinsam ist die Erkenntnis, daß
der Mensch und sein Leben gänzlich von Gott abhängig sind und
seine wesentliche Kreatürlichkeit aussagen. In deren Konsequenz
liegt die Anerkennung der unendlichen Überlegenheit des Schöpfers,
seiner restlosen Verfügungsgewalt über den Menschen und dessen
radikaler Abhängigkeit vom Schöpfer.
2) Die Sonderstellung des Menschen in der Schöpfung
Es wäre aber unzutreffend, das Merkmal der Kreatürlichkeit als
etwas Negatives auszugeben. Die scheinbare Negativität oder Nich­
tigkeit ergibt sich nur aus dem Vergleich mit dem Schöpfer. Genau­
sowenig, wie die „creatio ex nihilo“ wegen ihrer begrifflichen
Behaftung mit dem Nichts als etwas Negatives zu verstehen ist, so ist
auch die mit dem Kreaturbewußtsein gegebene Begrenztheit nicht als
etwas in sich Minderwertiges und Niedriges anzusehen. Das Alte Te­
stament denkt hier in einem rechten Sinne dialektisch, nämlich in
Entfaltung gegensätzlicher Momente an einem Ganzen.
Der positive Aspekt menschlicher Kreatürlichkeit tritt schon an
der Art und Weise der Schilderung des Schöpfungsvorganges beim
Menschen in Erscheinung. Im P-Bericht geht der Menschenschöp­
fung die feierliche Selbstentschließung Gottes voraus („Lasset uns
Menschen machen“: Gen 1,26), welche in der Patristik trinitarisch
verstanden wurde. An die Stelle von neueren Deutungen auf den
Hofstaat Jahwes8 oder auf einen pluralis majestaticus ist die An­
nahme der Stilform der Selbstberatung, eines sogenannten pluralis
deliberationis, getreten9. In jedem Falle kommt so die intensivere
Anteilnahme Jahwes an diesem Werk zum Ausdruck, in dem die
Stufenfolge der Geschöpfe ihren Gipfel erreicht, wodurch der

8 G. v. Rad, a.a.O., 45f.


9 CI. Westermann, Genesis I, 200f.
Mensch als einziges Geschöpf zur Unmittelbarkeit Gottes erhoben
wird10. Der I verleiht dieser Vorzugsstellung des Menschen einen
anderen Ausdruck, wenn er die Schöpfungsbereiche um den Men­
schen herum anordnet, so die Zentralstellung des Menschen beto­
nend (Gen 2,8-19). Dieser bevorzugten Stellung des Menschen dient
auch die ausführliche Schilderung der Versorgung des Menschen mit
Nahrung und den Lebensnotwendigkeiten, wozu auch die Pflanzung
des Gartens gehört und die Versetzung des Menschen in ihn
(Gen 2,15).
Unter dem Eindruck der biblischen Erzählungen hat die Väterlehre die
Erschaffung des Menschen immer als einen speziellen Akt Gottes aufgefaßt und
als besondere Schöpfungstat gewertet, beginnend mit der Aussage des Irenäus
v. Lyon (+ 202): „Gott bildete den Menschen mit eigener Hand. Er verwandte
dazu den feineren und zarteren Stoff der Erde und verband maßvoll miteinander
die Erde und seine Macht“ ". Am Ende der Patristik drückt Johannes Damascenus
(+ 749) den gleichen Gedanken aus: „Darum hat er [Gott] den Menschen aus
sichtbarer und unsichtbarer Natur mit eigenen Händen und nach seinem Bild und
Gleichnis geschaffen“. Damit war die Überzeugung verbunden, daß diese
Erschaffung unmittelbarer Art den ganzen Menschen nach Leib und Seele betraf.
Deshalb fährt der Damaszener an der zitierten Stelle fort: „Den Leib hat er aus
Erde gebildet, die vernünftige und denkende Seele aber hat er ihm durch seinen
Hauch gegeben“ 12. Die kirchliche Lehrverkündigung übernahm diese Auffassung
in ihrer Grundintention, ohne freilich dabei die moderne Frage nach einer unmit­
telbaren oder nur mittelbaren Erschaffung des Menschen unter Berücksichtigung
des Unterschiedes von Leib und Seele in den Blick zu nehmen13. So konnte sie
nur in dieser Allgemeinheit als Dogma angesehen werden. Die Probleme der
modernen Evolutionstheorie konnten dabei in der traditionellen Lehre noch
keine Berücksichtigung finden.
Umso mehr mag es verwundern, daß das Lehramt, wenn auch
nicht in definitiver Weise, im Hinblick auf die durch die Ent­
wicklungslehre entfachte Problematik von einer „peculiaris creatio“,
d.h. von „einer besonderen Erschaffung des Menschen“ sprach
(DH 3514)14. Das könnte als ein Widerspruch zu der von der Human­
biologie bezüglich der Hominisation festgehaltenen Lehre der
Abkünftigkeit des Menschenleibes von tierischen Vorformen emp-
10 G. v. Rad, Das erste Buch Mose, 52.
11 Epideixis, 11.
12 De fide orthodoxa 2,12.
13 Vgl. das Vierte Laterankonzil vom Jahre 1215: DH 800 und das Erste Vatikanum:
DH 3002.
14 Vorausgegangen war die für die Kirchenlehre belangvolle Aussage des vom
Apostolischen Stuhl approbierten Kölner Provinzialkonzils vom Jahre 1860: „Primi paran-
tes a Deo immediate conditi sunt“ : Coll. Lac 5, 292.
funden werden. Aber ein solcher Widerspruch ist tatsächlich nicht
anzunehmen, zumal wenn man die Tatsache hinzuzieht, daß Pius XII.
in einer Akademieansprache am 30.11.1941 den weiteren „vielfachen
Untersuchungen, sei es der Paläontologie, sei es der Biologie und der
Morphologie“ bezüglich der „Probleme, die sich auf den Ursprung
der Menschen beziehen“, Raum gewährte und eindeutigere Antwor­
ten der Zukunft überließ15.
Unter Berücksichtigung gewisser Erkenntnisse der Evolutions­
theorie und unter Festhalten an einem exzeptionellen Geschehen der
Menschenschöpfung galt bis etwa zum Zweiten Vatikanum als sen-
tentia communis, daß der Leib zumindesten mittelbar von Gott
geschaffen worden sei, die Seele aber unmittelbar. Der erste Teil der
Sentenz räumte einer Entwicklungstheorie Raum ein, der zweite
garantierte, daß auch so eine „peculiaris creatio“ gehalten werden
konnte, weil die Einerschaffung der Seele das Ganze des Menschen
ergriffen und bestimmt hätte. Aber sie entsprach der Einheitsauffas­
sung von Leib und Seele nicht und konnte den dualistischen
Eindruck vermitteln, daß bei der Erschaffung zum bereits gebildeten
Leibe die Seele „hinzugekommen“ sei.
Bei Berücksichtigung dessen, was zuvor von der creatio continua als Urbil-
dung eines neuen Seins unter Anschluß an schon Geschaffenes erklärt wurde,
kann der „peculiaris creatio“ eine theologisch tiefere und jeden Dualismus
ausschließende Deutung gegeben werden. Sie besteht in der Annahme, daß der
von der Evolution als Großmutation oder als Sprung bezeichnete Aufgang des
Menschen in der Erschaffung eines neuen Seinsaktes bestand, der ein dazu dis­
poniertes Bion zu einer neuen Einheit, Wesens- und Sinngestalt und zu einem
neuen Sein erhob, d.h. zum geist-leiblichen Personsein rief. Das „Besondere“
der Menschenschöpfung läge dann nicht in der Seltenheit und Einmaligkeit die­
ses Aktes, der als neue Seinsstiftung in einer Werdewelt als perennierend ange­
sehen werden kann, sondern in der einzigartigen Qualität, Formalität und
Sinnfülle dieses Aktes, in seinem einzigartigen metaphysischen Rang. Allerdings
ist die Überzeugung von einer „creatio peculiaris“ noch nicht das letzte Wort
über die Sonderstellung des Menschen in der Schöpfung, die vielmehr aus sei­
nem einzigartigen Gottbezug abzuleiten ist.
3) Die Erschaffung der Frau und die schöpfungsgemäße
geschlechtliche Differenzierung
Die angeführte Erklärung erfährt nochmals eine Problematisie-
rung durch den Umstand, daß die historisch verstandene „peculiaris
creatio“ folgerichtig auf die Erschaffung der Frau bezogen wurde,
die betreffende Erzählung Gen 2,21-23 aber „nicht als realistische
Beschreibung eines rational zugänglichen Vorgangs verstanden wer­
den“16 darf. Schon Augustinus schwankte in bezug auf die Einschät­
zung dieser Erzählung, die er erst später als historisch verstand17. Am
Beginn der Neuzeit vertrat Kardinal Cajetan (+ 1534) eine allegori­
sche Erklärung, während neuere katholische Exegeten hier zu einer
Visionstheorie Zuflucht nahmen18. Schließlich setzte sich auch ka-
tholischerseits die Auffassung von einer symbolischen Darstellung
durch, die insofern mit der Entscheidung der Bibelkommission (vom
30.6.1909) nicht kollidieren muß, als diese nicht die genuine Art und
Weise der Erschaffung der Frau festlegen (was ja auch bezüglich des
Mannes nicht möglich ist), also nicht das Wie dieses Geschehens
bestimmen wollte, sondern die Tatsache der besonderen Erschaffung
der Frau als solche in Entsprechung und in Verbindung zum Mann
erklären wollte19.
Die heutige Exegese legt mit Recht auf das letztgenannte Teil­
moment dieser Schilderung großes Gewicht, so daß der Sinn der
Erzählung in der schon in der Schöpfung gründenden Zusammen­
gehörigkeit von Mann und Frau zu suchen ist. Darin aber liegt der
Ausgangspunkt für eine Anthropologie der Geschlechter und eine
theologische Bestimmung der Geschlechtsdifferenz, welche eine
eigentümliche Höhe des biblischen Denkens gegenüber der israeliti­
schen Umwelt zeigt. Die Aussage, daß Gott sie „als Mann und Weib
erschuf“ (Gen 1,27), und die anthropomorph gehaltene Darstellung
der Erschaffung der Frau (Gen 2,21-24) als „Gehilfin“ des Mannes
(Gen 2,18) bekunden die Überzeugung, daß die Geschlechtlichkeit
aus der göttlichen Schöpfung stammt, daß sie so weder als sakral
numinisiert noch als widergöttlich dämonisiert werden darf20.
Der umfassende geistige Horizont, der die Zweigeschlechtlich­
keit des Menschen bestimmt, ist, trotz der Betonung der Fortpflan­
16 CI. Westermann, Genesis, 313.
17 Hier sind die Aussagen von De Gen. contra Manich. II, 12, 17 (aus dem Jahre 388/89)
mit denen aus De Gen. ad litt. IX, 15, 26ff. (401-414) zu vergleichen.
18 So G. Hoberg, Die Genesis, Freiburg 21908, 42.
19 So schon H. Junker, Die biblische Urgeschichte, Bonn 1932, 44.
20 Vgl. A. Ziegenaus, „Als Mann und Frau erschuf er sie“, in: MThZ 3 1 (1980) 210-222.
zungsfunktion (Gen 1,28), im Gemeinschaftsgedanken gelegen. Die
dem Manne notwendige Ergänzung wird ihm nicht von den Tieren
geboten (Gen 2,20), sondern von der Frau. Die Art und Weise, wie
der Mann die Frau mit „jauchzender Bewillkommnung“21 empfängt
(in rhythmisch gehaltenen Worten), bietet den Beweis, daß hier das
hohe Schöpfungsgut geschlechtlicher Gemeinschaft erfaßt und erlebt
wird, das nicht allein auf Erzeugung von Nachkommenschaft ausge­
richtet ist (wie Augustinus meinte), sondern auf eine ganzheitliche
Erfüllung des Menschen als Gemeinschaftswesen.
Auch wenn die Exegese bezüglich der Identifizierung dieses Gemein­
schaftsgedankens mit der Ehe Zurückhaltung übt und der Drang der Geschlech­
ter zueinander (Gen 2,24) nur als ätiologische Erklärung der rätselhaften Macht
der Liebe interpretiert wird22, so ist doch die Ausrichtung auf die Institution der
Ehe nicht gänzlich zu übersehen. Es ist nahezu gewiß, daß am Ausgangspunkt
dieser ätiologischen Erzählung die altisraelitische Familienauffassung stand, die
als gegenwärtige auf die Ursprungszeit zurückgeführt wurde, wie ebenso die in
Gen 3,16 ausgesprochene Überordnung des Mannes der geltenden patriarchali­
schen Eheordnung Altisraels entspricht23. Theologisch ist der hier anzunehmen­
de Bezug auf die Ehe durch Jesu Berufung auf die beiden Schöpfungsberichte
zum Erweis der Unauflöslichkeit der Ehe begründet (vgl. Mk 10,6 —» Gen 1,27;
Mk 10,7 -» Gen 2,24)24.
Obgleich die Erzählung wie alle alttestamentlichen Aussagen
über Mann und Frau unter männlicher Perspektive stehen, läßt sich
aus der bildhaft geschilderten Abkünftigkeit der Frau vom Manne
ihre wesensmäßige Gleichheit ersehen, eine Tatsache, die gegen jede
Minderbewertung der Frau gerichtet ist. Gleichwohl kommt darin
eine Verschiedenheit zum Ausdruck, die für die weitere gedankliche
Ausarbeitung des Verhältnisses von Mann und Frau wie für ihre bei­
derseitige Stellung in der Schöpfungsordnung und Heilsgeschichte
nicht ohne Bedeutung bleiben konnte25. Die wesensgemäße Gleich­
heit konnte aber dadurch nicht gemindert werden. Sie findet ihren
stärksten biblischen Grund in der Ebenbildlichkeit Gottes, die beiden
Geschlechtern gemeinsam ist (vgl. Gen 1,26). Dieser Grundbefund
der biblischen Auffassung von dem Verhältnis zwischen Mann und

21 So I. G. Herder: CI. Westermann, Schöpfung, 123.


22 CI. Westermann, Genesis, 317.
23 Allerdings ist im Hinblick auf Gen 3,16 anzumerken, daß die „Herrschaft“ des
Mannes über die Frau als aus der Sünde kommendes Strafiibel verstanden wird.
24 Vgl. dazu NBL 3, 475ff., Ehe (B. Lang - W. Kirchschläger).
25 Vgl. A. Ziegenaus, „Als Mann und Frau erschuf er sie“ (Gen 1,27), a.a.O.
Frau behält auch seine theologische Bedeutung, wenn man ergänzend
hierzu die geschichtlichen Fakten bezüglich der familiären und ge­
sellschaftlichen Stellung der Frau im Alten Testament hinzuzieht.
Hier ist, trotz bemerkenswerter Ausnahmen im Hinblick auf große
geschichtliche Frauengestalten (Mirjam: Ex 15,20f.; Debora: Ri 4f.;
Rut, Ester, Atalja: 2 Kön 11; Judit: 1-16), die Abhängigkeit der Frau
vom Mann und ihre faktische Unterstellung (bis hin zum Besitzan­
spruch des Mannes: Gen 18,12; 20,3 und zur Minderbewertung in der
Scheidungspraxis (Dtn 21,14; 24,1-4) nicht zu übersehen26. Aber
auch solche mit der antiken Gesellschaft vergleichbare Mangel­
erscheinungen können weder die große Bedeutung und Achtung
der Frau im völkischen Leben Israels noch den grundsätzlichen
Offenbarungsbefund der schöpfungsgemäßen Gleichstellung wider­
legen27.
Die Stellung des Alten Testamentes zur Geschlechtlichkeit und zur
Bipolarität der Geschlechter geht in ihrer theologischen Bedeutung vollends auf
beim Vergleich mit den entsprechenden Vorstellungen in der Umwelt Israels. Im
Blick auf die Israel benachbarten Kulturen zeichnete sich Israel durch eine
Entdivinisierung wie auch durch eine Entmythologisierung des Geschlechtlichen
aus. Es versagte sich der Möglichkeit, „in das Mysterium des hicrös gamös ein­
zutreten, um im Zentrum seines vitalen Lebens Anteil zu haben an einem
mythisch-gottheitlichen Geschehen“28. So hatte es erst recht keinen Anlaß, dem
in der alten Welt verbreiteten Androgyn-Mythos Raum zu gewähren, der später
in der Spekulation der Gnosis wiederauflebte. Er läuft der ursprünglichen
Gemeinschaftsbestimmung des Menschen streng zuwider und muß die nachträg­
liche Trennung der Geschlechter als einen Bruch erklären, worin sich wiederum
die Verdächtigung des Geschlechtlichen ausdrückte, die weder im Judentum
noch im Christentum Platz fand.
4) Der Mensch als gottbezogenes Wesen
Die höchste Stufe der alttestamentlichen Anthropologie (deren
verschiedene Nuancierungen in einer komprimierten Darstellung
nicht vollständig wiederzugeben sind) liegt unstreitig in der Über­
zeugung von der Gottbeziehung und der Gottzugehörigkeit des Men­
schen. Zugleich findet sich darin die alle anthropologischen
Varianten vereinende Grundstruktur. „Die im Alten Testament über­
lieferten Texte wollen Menschen überhaupt nicht anders erkennen als

26 H. D. Preuß, a.a.O., 1 14-116.


27 NBL 5, 694: Frau (U. Bedmann).
28 G. v. Rad, Theologie des Alten Testaments II, 361.
vor dem ‘Angesicht’ ihres Gottes“29. So sehr der Mensch (allein
schon aufgrund der schöpfungsgemäßen Zweigeschlechtlichkeit) als
Gemein-schaftswesen und damit als dialogisches Sein verstanden
wird, so sehr er in Natur und Umwelt eingebettet und in Familie,
Sippe und Volk auf die Sozietät verwiesen ist, so findet er sein
eigentliches Gegenüber allein in Gott. Er ist, in moderner Sprache
ausgedrückt, eine dialogische Existenz. Darin kommt die andere
Seite seines Kreaturbewußtseins zum Vorschein, die nicht nur in den
Momenten der Hinfälligkeit und Vergänglichkeit besteht, sondern die
sich auch in der machtvollen Verwiesenheit auf Gott, in der
Ausrichtung und Verpflichtung auf ihn zeigt.
Die theologische Begründung dieser Struktur liegt in der Erschaffung des
Menschen in Unmittelbarkeit zu Gott oder in der Relationalität seines Seins zu
Gott hin. Aus einem Anrufgeschehen hervorgegangen (worauf das Sprechen
Gottes: Gen 1,26 hindeutet), steht er in unmittelbarer Beziehung zu Gott und ist
zum Antwortgeben auf das Wort Gottes berufen. Wenn man aufgrund der in P
betonten Spitzenstellung des Menschen und der von J hervorgehobenen
Zentralstellung sagen kann, daß die Welt auf den Menschen hin geschaffen ist
(die Grundlegung des „anthropischen Prinzips“ im frühestmöglichen Stadium
der Schöpfung), so ergibt sich aus dem gleichen Zusammenhang der zwingende
Schluß: Dieser Mensch ist selbst auf Gott hin und für ihn geschaffen.
In Annäherung an die moderne Anthropologie meint dies den
Transzendenzbezug des Menschen, der in gewisser Weise auch vom
natürlichen Denken anerkannt wird. Aber es ist zu prüfen, was je­
weils unter Transzendenz verstanden wird. Auch die Existenzphilo­
sophie K. Jaspers’ legt auf die Kennzeichnung des Menschen als auf
Transzendenz ausgerichtet Wert30. Aber es ist im Grunde ein Trans­
zendieren ohne Anhalt an der Transzendenz. Auch bei Th. Luckmann
ist Transzendenz ein anthropologischer Schlüsselbegriff und Äquiva­
lent für das Religiöse im Menschen. Transzendieren ist hier nur als
Sich-Erheben über die Wirklichkeit verstanden, das schon im Spre­
chen des Menschen vor sich geht, weil es die Wirklichkeit immer
schon übersteigt31.
In diesem schwankenden, intentionalen Sinne sind Transzendenz
und Transzendieren vom Menschen des Alten Testamentes nicht aus-
29 H. D. Preuß, a.a.O., 140.
30 K. Jaspers, Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, München 1962,
213-219.
31 Th. Luckmann, Die unsichtbare Religion, Frankfurt a. M. 1991, 77ff.
Zusagen. Für ihn bedeutet das Übersteigen ein wirkliches Hintreten
vor Gott und ein Stehen vor seiner Person. Es beweist sich zuerst im
Hören auf das als ganz gewiß erachtete Ergehen des Wortes Gottes
(Dtn 6,4; Mi 6,8); denn „der Mensch lebt nicht nur vom Brot, son­
dern ... von allem ..., was der Mund des Herrn spricht“ (Dtn 8,3).
Damit ist aber nicht nur das Achtgeben auf das Wort Gottes gemeint,
sondern die Lebenshaltung des gehorsamen Dieners und der Bindung
an Jahwe.
Dem Wort Gottes schuldet der Mensch Antwort, die er nicht nur
im kultischen Leben durch Opfer und Gebet gibt (Jes 1,11.15), son­
dern in der ethischen Verpflichtung und in der verantwortlichen
Lebensführung. Das von Gott im Bund gesetzte Recht (Ex 20,1-
23,19; Dtn 5,6-21) fordert vom Menschen Gehorsam, bei dessen
Verweigerung der Mensch schuldig und zum Sünder wird. So liegt
ein charakteristisches Merkmal der alttestamentlichen Anthropologie
darin, daß der als Geschöpf gänzlich auf das Gegenüber Jahwes ver­
wiesene Mensch Sünder ist (wie das Volk im ganzen), daß er sich so
dem Willen Gottes widersetzt und dadurch schuldig und strafwürdig
wird, obgleich Jahwe nicht nur Strafe verhängt, sondern auch
Vergebung und Gnade (Gen 4,10 16)32 gewährt.
Das responsoriale Verhältnis des Menschen zu seinem Schöpfer erfährt eine
dramatische Darstellung im Buch Ijob, in dem auch das den Menschen als
Geschöpf belastende Leidensthema eine spannungsreiche Behandlung erfährt, so
daß die condition humaine in eine tragische Beleuchtung rückt (vgl. Ijob 3-27).
Hier nimmt das Menschenbild die gleiche dunkle Tönung wie beim „Prediger“
an, der das Menschenleben im ganzen als eine Fehlleistung ansieht (Koh 6,3f.).
Auch dem Buche Ijob gelingt es nicht, die Leiderfahrung des Menschen mit der
alttestamentlichen Gottesoffenbarung in Übereinstimmung zu bringen. Aber es
durchbricht doch schon die traditionelle Lehre von der alleinigen diesseitigen
Vergeltungsgerechtigkeit Gottes. Und obgleich Ijob über sein menschliches
Elend klagt, verliert er doch die Hoffnung nicht, die sich in dem zukunftswei­
senden Wort verdichtet: „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt“ (Ijob 19,25)3\ So wird
das Verhältnis zu Gott nicht nur als Dialog mit dem Schöpfer verstanden, vor
dem der Mensch seiner Größe wie seines Elends einsichtig wird, sondern auch
als Sehnsucht nach dem Erlöser, der dem alttestamentlichen Menschen noch
nicht geschenkt war.

32 H. D. Preuß, 182-185.
33 A. Weiser, Das Buch Hiob (Das Alte Testament Deutsch, 13) Göttingen 21956, 19f.
II. Der Mensch im Licht des Neuen Testamentes
1) Das Erbe des Alten Testamentes
Das Menschenbild des Neuen Testamentes steht in innerer Ver­
bindung mit dem Erbe des Alten Testamentes34. Soweit es den
Menschen von der göttlichen Erschaffung her versteht, übernimmt es
die alttestamentliche Tradition (vgl. Mt 5,17). So ist der Mensch in
der Verkündigung des synoptischen Jesus das vom „Herrn des Him­
mels und der Erde“ wesentlich abhängige Geschöpf (Mt 11,25;
Lk 10,21), das „sein Leben“ auch nicht „um eine kleine Zeitspanne
verlängern“ kann (Mt 6,27). In allem bleibt der Mensch auf Gottes
Macht und Größe angewiesen. Er soll deshalb alle seine Sorgen auf
Gott werfen (1 Petr 5,7), dessen Fürsorge und Vorsehung sein Ge­
schöpf dauernd umhegt (Lk 12,22ff.). Der Erfahrung der geschöpfli-
chen Ohnmacht steht das Wissen gegenüber, daß „bei Gott alles mög­
lich ist“ (Mk 10,27, unter Hinweis auf Gen 18,14).
Im Glauben an die schöpfungsgemäße Abhängigkeit ist der
Mensch das gottbezogene Wesen, das diese Beziehung in restloser
Hingabe an Gott und im Dienstcharakter seines Lebens verwirklicht
(Mt 6,10). So nimmt der Mensch die Stellung des Knechtes Gottes
ein, der alles für seinen Herrn tun muß und dabei doch anerkennt,
daß er nur ein „unnützer Knecht“ ist (Lk 17,10).
Anders als im Alten Testament ist diese Hingabe an Gott aber
nicht nur aus der herrscherlichen Forderung des Schöpfergottes, son­
dern vom wirklichkeitsträchtigen Beispiel Jesu Christi abgeleitet,
dessen Leben sich in der Erfüllung des Willens des Vaters vollende­
te (vgl. Lk 2,49; Mt 26,39). So ist auch im Neuen Testament das
Verhältnis des Menschen zum Schöpfergott dialogisch verstanden:
„Glaube und Unglaube, Liebe und Haß, Beten und Opfern,
Gehorsam und Ungehorsam, Verantwortung und Schuld, Tugend und
Sünde, all das geht und west nur im personalen Bezug und gewinnt
seine ungeheuere Wirklichkeit und Wirkung eben nur innerhalb der
Ich-Du-Beziehung“35.

34 Vgl. NBL 5, 762 (M. Limbeck).


35 So Fr. Tillmann, Der Mensch vor Gott in synoptischer Sicht, 33.
2) Die neuen Züge
Bei aller Kontinuität mit dem alttestamentlichen Erbe tritt im
neutestamentlichen Denken vom Menschen etwas Neues und Ori­
ginäres auf, das sogar schon an den mit dem Alten Testament gleich­
lautenden Aussagen aufleuchtet; denn bei aller Ehrfurcht vor der
Größe des Schöpfergottes (Mt 11,25; Lk 10,21) werden dessen Di­
stanz und Überhobenheit nicht mehr um ihrer selbst willen gewertet
und betont, sondern als Hintergrund des Geheimnisses von der Men­
schenfreundlichkeit und Güte des Vatergottes und seines Wohlwol­
lens36 gekennzeichnet, damit diese umso leuchtender hervortreten.
Das von der Liebe geprägte Vaterverständnis aber hat seine Entspre­
chung in dem Verständnis des Menschen als Kind Gottes, aufgrund
dessen das stark rechtlich-gesetzhaft gefaßte Verhältnis des alttesta­
mentlichen Menschen zum Schöpfergott neue Züge von Innigkeit,
Vertrautheit und „M enschlichkeit“ gewinnt (vgl. Lk 15,11-32;
Mt 6,19-34). Diese haben ihren letzten Grund in der Tatsache, daß in
Christus „die Güte und Menschenliebe Gottes, unseres Retters
erschien“, der den Menschen gerettet hat durch die „Erneuerung im
Heiligen Geist“ (Tit 3,4f.). So liegt die Differenz zwischen dem alt­
testamentlichen und dem neutestamentlichen Menschenbild zutiefst
in der einzigartigen Christus- und Geistbestimmtheit des „neuen
Menschen“ und in seiner „neuen Schöpfung“ (2 Kor 5,17).
Von dem im Einssein mit Christus begründeten neuen Gottver­
hältnis des Christen weiß Paulus in facettenreichen Formen zu spre­
chen. Sein Menschenbild, das für die neutestamentlich-christliche
Lehre entscheidend wurde37, ist heilsgeschichtlich geartet und zeich­
net den Menschen sowohl als gottgegenüberstehendes Geschöpf wie
auch als gefallenes und erlöstes Wesen (im Gegensatz zum sarkiti-
schen und unerlösten Sein).38 So realistisch der Apostel deshalb auch
die Verfallenheit des Menschen von Adam her sieht (vgl. Röm 5,12;
1 Kor 15,21f.), so überzeugt ist er doch von der Befreiung des
Menschen aus der Sündenmacht durch Tod und Auferstehung Jesu
Christi (Röm 8,3; 6,4) und von seiner Existenz als einer „neuen

36 NBL 5, 762.
37 W. G. Kümmel, Römer 7 und das Bild des Menschen im Neuen Testament, 178.
38 Ebda., 18 Off.
Schöpfung“ (2 Kor 5,17) und dem erhöhten Christus übereignet
(Gal 2,20)39. Die Neuheit seines Seins erweist sich im „Nach-Gott-
geschaffen-Sein in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph 4,24).
In dieser Neuschöpfung werden „die Werke des alten Menschen“
(Kol 3,9) abgelegt und an ihrer Stelle angezogen „herzliches Erbar­
men, Güte, Demut, Milde, Geduld“ (Kol 3,12). Vor allem aber ist es
die Liebe, die als „Band der Vollkommenheit“ (Kol 3,14) den neuen
Menschen qualifiziert. Das Neue dieses Lebens (Röm 6,4) besteht in
nichts Geringerem als in einer Teilnahme am Leben und an der Liebe
Gottes selbst, an der der Gläubige durch Christus Anteil gewinnt.
Christus wird auf diese Weise selbst „unser Leben“ (Kol 3,4), so daß
das Leben für den Menschen „Christus heißt“ (Phil 1,21). Die Teil­
nahme am Leben Christi im Glauben macht die Getauften „in
Christus Jesus zu Gottessöhnen“ (Gal 3,26), zu an Sohnes Statt ange­
nommenen Kindern (Röm 8,15; Gal 4,5), die keine Fremdheit mehr
gegenüber Gott kennen und wie Hausgenossen in seinem innersten
Lebensbezirk wohnen (Eph 2,19)40.
Ist das Menschenbild des Paulus in die heilsgeschichtliche Spannung zwi­
schen Adam und Christus eingefügt, so erscheint die Schau des Johannes auf den
Menschen geradezu dualistisch bestimmt; denn der Mensch scheint „von Haus
aus belebter Staub mit irdischen ungöttlichen Trieben ...in weitester Entfernung
stehend von dem Leben sprudelnden Geist 6,63, daher vom Reiche Gottes, wel­
ches nach 3,5 wie Gott selbst 4,24 geistlicher Natur ist, durch seine ganze irdi­
sche Naturbestimmtheit ausgeschlossen“41. Doch kennt auch Johannes keinen
metaphysischen Dualismus zwischen Mensch und Gott, sondern nur den
Unterschied zwischen welthaft-sündigem Verhalten des Menschen und seiner
Gottergebenheit. Entscheidend für den Menschen ist, in welchem Bereich er sei­
nen Ursprung nimmt und seine Wurzeln schlägt (vgl. Joh 8,12; 1 Joh 1,5f. mit
Joh 3,19-21). Sofern sich der Mensch für Gott in Jesus Christus entscheidet
(Joh 1,12f.), wird er zum Kind Gottes (Joh 1,12; 11,52), worin er sich allerdings
zu bewähren hat durch das Bleiben im Wort Christi (Joh 15,7) und durch das Tun
der Liebe (Joh 13,15)42.
So zeigt das Neue Testament zwar ein differenziertes, im Wesen
aber gleich geartetes Bild einer durch Christus vermittelten Gottun­

39 NBL 5, 763.
40 Vgl. L. Scheffczyk, Der moderne Mensch vor dem biblischen Menschenbild, 69.
41 So W. G. Kümmel, a.a.O., 199 (als Zitat von H. J. Holtzmann).
42 NBL 5, 763.
mittelbarkeit43. Es ist vom Gipfel der Heilsgeschichte in Christus ent­
worfen, während das Alte Testament erst in Erwartung und vor dem
Gipfel steht. Beiden aber gilt die „Gottebenbildlichkeit“ als der kon­
zentrierteste und höchste theologisch-anthropologische Ausdruck.
III. Die G ottebenbildlichkeit des M enschen
1) Der alttestamentliche Befund und die Vielgestaltigkeit seiner
Interpretation
Der Begriff der „Gottebenbildlichkeit“ tritt in Gen. 1,26 als
Doppelbegriff auf, in der Form „imago“ - „similitudo“. Es heißt in
der Vulgata: „Faciamus hominem ad imaginem et similitudinem no-
stram“ („Laßt uns den Menschen machen als unser Abbild, uns ähn­
lich“). Beide Begriffe werden in Gen 1,26 im wesentlichen synonym
gebraucht, obgleich das „similitudo“ auch als Abschwächung ver­
standen wird. Imago (eikon-zälem) würde dann die Ähnlichkeit kon­
kret und realistisch nach Art eines geschnitzten oder gemalten Bildes
fassen, „Gleichnis“ (similitudo, homoioma - demut) würde demge­
genüber nur eine Ähnlichkeit allgemeiner und abstrakter Art
besagen. „Similitudo“ hätte dann eine abschwächende Wirkung und
würde anzeigen, daß der Mensch zwar Gott ganz nahestehe, aber
doch nicht gottgleich sei.
In bezug auf die weitere Frage, was unter der Gottebenbildlich­
keit inhaltlich zu verstehen sei, herrscht eine große Schwankungs­
breite in den Antworten der alttestamentlichen Exegese. So wird das
imago-Sein einmal vorzugsweise als körperliche Bestimmung ange­
sehen (H. Gunkel), zum anderen als die geistige Befähigung der
Vernunft (P. Heinisch); sie wird aber auch mit der Persönlichkeit
(O. Procksch, Fr. Horst), der geistigen Überlegenheit (W. Eichrodt)
und der Herrschaftsstellung des Menschen über die übrige
Schöpfung identifiziert (J. Hempel). Schließlich sieht man in ihr die
von Jahwe auf den Menschen ausstrahlende Herrlichkeit und Hoheit

43 W. G. Kümmel sieht diese differenzierte Einheit durchbrochen durch das „hellenisti­


sche“ Verständnis des Menschen in Apg 17,28 und 2 Petr 1,4 („Anteil an der göttlichen
Natur“): a.a.O., 209-214. Es ist nicht zu bestreiten, daß hier in der Sprache der Stoa und
der griechischen Mysterienreligionen geredet wird. Aber dies besagt nicht, daß diese
Aussagen deshalb einen unchristlichen Sinn angenommen hätten; vgl. dazu K. H. Schelkle,
189; J. Gnilka, Theologie des Neuen Testaments, 442f.
(H. Groß) oder das „Gegeneinander und Füreinander von Mensch
und Mensch, nämlich ... von Mann und Frau“ (K. Barth)44. O. Loretz
hat für Gen l,26f. (im Lichte von Gen 5,1-3) eine inhaltlich weitere
Deutung vorgeschlagen, die viele der anderweitig genannten
Einzelelemente (auch das leibhafte Moment) einschließt. Er erklärt:
„Das Abbild ist in allem nach dem Vorbild: in Gestalt, Erscheinung,
seinem inneren Wesen nach und auch in seinem Handeln. (Vor-)Bild
und Abbild verhalten sich m.a.W. wie Vater und Sohn“45. Damit wird
der biblische Begriff nicht so sehr als Bestimmung des Individuums
„Mensch“ verstanden, sondern als Hinweis auf das gesamte Leben
des Menschen, das in einem gewissen Verwandtschaftsverhältnis zu
Gott steht und von einem Band der Freundschaft mit Gott umschlun­
gen ist.
Dagegen versteht CI. Westermann aufgrund eingehender formgeschichtli­
cher Erwägungen bezüglich Gen 1,26-30 die Aussage Gen 1,26 als eine „Näher­
bestimmung des Schöpfungsaktes, die die Ermöglichung eines Geschehens zwi­
schen Gott und Mensch, nicht aber eine Qualität des Menschen an sich bedeu­
tet“. Die Stelle würde dann nur besagen, daß der Schöpfer sich ein „Gegenüber“
erschuf, „zu dem er reden kann und das ihn hört“46. Indessen kommt wohl auch
eine solche Gegenüberstellung nicht ohne jede Qualitätsbestimmung aus.
Eine neuere Deutung versucht den Sinngehalt der Formel unter
Heranziehung altorientalischer Vorlagen und Parallelen zu erheben.
Danach war der Gedanke der Gottebenbildlichkeit schon in der ägyp­
tischen Königsideologie vorhanden, wo er zum Ausdruck der Gott­
beziehung des Königs diente. „Als Abbild repräsentiert der König
Gott auf Erden, als dem Wesen nach Gottähnlicher besitzt er die nöti­
gen Voraussetzungen für dieses Amt“47 Diese Bildterminologie war
auch im semitischen Sprachraum beheimatet und konnte so auch vom
Alten Testament übernommen werden. Auch hier steht das Bild
sowohl für ein anthropologisches Datum (der Beziehung von Mensch
zu Mensch: Gen 5,3) als auch für den theologischen Sachverhalt der
Relation von Gott zum Menschen (Gen l,26f.; 9,6). Ungeachtet der
Frage nach altorientalischen Einflüssen besitzt die schöpfungstheo­
44 Vgl. L. Scheffczyk, Einführung in die Schöpfungslehre, 106; vgl. auch ders., Die
Frage nach der Gottebenbildlichkeit in der modernen Theologie: Der Mensch als Bild
Gottes, IX-LIV.
45 Die Gottebenbildlichkeit des Menschen, 63.
46 CI. Westermann, Genesis, 217.
47 NBL 5, 453.
logische Verwendung der Bildvorstellung darin ihre Eigenart, daß in
ihr die dem König zugedachte Auszeichnung allen Menschen ange­
tragen wird und jedem Menschen zukommt.
Die Bedeutung dieser Übertragung erhellt näherhin aus dem Umstand, daß
die Anwendung der Bildkategorie in Israel die Sperre des Bilderverbotes zu
überwinden hatte. Das gelang den Verfassern des P-Berichtes, wahrscheinlich
unter Nutzung der inzwischen durch die Visionen des Propheten Ezechiel (vgl.
Ez 1,26.28) positiver gesehenen Bedeutung des Bildhaften und Visionären, auf
eine Weise, die das Anliegen der bildlosen Verehrung des monotheistischen
Gottes mit der theologisch-anthropologisch bedeutsamen Aussage über den gott­
ebenbildlichen Menschen verband. Dies geschah in der Weise, daß (mit Hilfe des
„faciamus“) nicht die Abbildung des einzigen Wesens Gottes intendiert wurde,
sondern nur die Abbildung der göttlichen Größe gemeint war, und zwar im
Hinblick auf die Funktionen des Menschen in der Schöpfung als Repräsentanten
des Schöpfers.
Dieser Pluralität der Deutungen, die zwar nicht völlig konform
verlaufen, aber auch nicht rein gegensätzlich gehalten sind, steht
andererseits die Tatsache gegenüber, daß die Bemühungen der Exe­
gese in neuerer Zeit doch auch ein gewisses Maß an Übereinstim­
mung zutage gefördert haben. Das kommt darin zum Ausdruck, daß
die Gottebenbildlichkeit des Menschen nicht in einem bestimmten
Wesensteil angelegt gesehen wird, daß sie erst recht nicht in einer
partiellen Eigenschaft besteht, sondern daß sie ein Proprium oder
eine Struktur des ganzen Menschen ist. Dies hat G. v. Rad in die
Feststellung gefaßt, die sich heute eines gewissen Konsenses erfreut:
„Der ganze Mensch ist gottebenbildlich geschaffen“48. Es gehört
dazu nach alttestamentlichem Verständnis zuerst die leibliche Ge­
staltung, die als Erhobenheit und Erhabenheit über die umgebende
Schöpfung verstanden wurde. Ez 28,12 spricht dann besonders im
Hinblick auf den Urmenschen von seiner „vollkommenen Schön­
heit“. Ps 8,6 führt diesen Gedanken weiter zur königlichen Würde
des Menschen, der „nur wenig geringer gemacht [ist] als Gott“.
Diese dem hebräischen Denken entsprechenden Bestimmungen
der Gottebenbildlichkeit erfahren in den späteren hellenistisch be­
einflußten Weisheitsbüchern des Alten Testamentes eine gewisse
Erweiterung, die wirkungsgeschichtlich für Christentum und Theo­

48 Das erste Buch Mose, 45.


logie bedeutsam wurde. Lag bislang der Nachdruck auf dem Bezie-
hentlichen und Funktioneilen des menschlichen Abbildseins, so ver­
lagerte sich nun der Akzent auf das Eigenschaftliche, Qualitative und
Ontologische dieser Bestimmung des Menschen. Für den Verfasser
des Weisheitsbuches ist der Mensch „zum Bild seines [Gottes] eige­
nen Wesens gemacht“ und mit der Qualität der „Unvergänglichkeit“
ausgestattet worden (Weish 2,23). Der Siracide bietet eine gewisse
Zusammenfassung der funktionalen und qualitativen Bestimmungen
der Gottebenbildlichkeit, wenn er den „aus Erde erschaffenen“ und
darum vergänglichen Menschen mit „Macht über alles auf der Erde“
ausgestattet sein läßt. „Ihm selbst ähnlich hat er sie [die Menschen]
mit Kraft bekleidet und sie nach seinem Abbild erschaffen“
(Sir 17,1-3). Dazu gehört aber auch etwas Qualitatives und als An­
lage Verstandenes: „ein Herz zum Denken“ (17,6), „kluge Einsicht“,
um „Gut und Böse zu erkennen“ (17,7) und „Weisheit“ (17,11), all
dies als Ermöglichungsgrund des „ewigen Bundes“ (17,12) gedacht.
Unter Zusammenfassung des alttestamentlichen Befundes und
unter Berücksichtigung der Grundstelle Gen l,26f. läßt sich sagen,
daß das Alte Testament weniger um eine seinshafte Bestimmung der
Gottebenbildlichkeit bemüht ist, als vielmehr um die Zielausrich­
tung, das „Woraufhin“ und die Funktion dieses menschlichen
Vorzugs.
Diese Zweckbestimmung oder Funktion ist nach Gen 1,26b und
nach Gen 1,28 die Herrscherstellung des Menschen über die Welt,
aber in Verantwortung vor Jahwe. Gott hat den Menschen in die Un­
mittelbarkeit zu sich selbst erhoben und ihn zugleich als Hoheitsträ­
ger Gottes in der Welt aufgestellt, so wie die Herrscher der Völker
ihre Bilder in ihrem Reiche aufzustellen pflegten. Der Mensch soll
mit dieser seiner Hoheit die Welt beherrschen, aber auch hegen und
pflegen. Seine Herrschaft ist freilich als Dienst verstanden (vgl.
Gen 2,15).
2) Die theologisch-systematische Bestimmung der
Gottebenbildlichkeit
Die relative Offenheit des biblischen Befundes ist Anlaß für die
systematische Theologie, der Imago-Dei-Vorstellung auf den Grund
zu gehen und ihren theologischen Kern eindeutiger zu erfassen.
Diese Aufgabe obliegt der Dogmatik im Hinblick auf die Bedeutung
der Imago-Dei-Lehre, die nach E. Brunner „das Schicksal jeder
Theologie bestimmt“49. Als schicksalhaft darf sie insofern bezeichnet
werden, als von ihrer Kenntnis das Gottesbild des Menschen genau­
so abhängt wie sein Gottverhältnis, sein Selbstverständnis und sein
Weltbezug. Sie erhebt den Menschen in der Heils- wie in der Welt­
geschichte zum „Partner Gottes“ (wenn auch nicht gleichen Rechtes)
und weist ihm so seine einzigartige Bedeutung und Verantwortung in
der geschaffenen Welt zu.
Im Hinblick auf die anthropologische Bedeutung des Imago-Dei-
Seins erklärte H. Schell: „Das Ebenbild Gottes ist dem Menschen
nicht äußerlich angefügt oder als ontologisches Akzidenz einge­
pflanzt, sondern kommt ihm wesenhaft und untrennbar zu“50. Indes­
sen wird man, die biblische Grundlage bedenkend, die imago Dei
nicht zuerst als wesenhafte Entität und damit als statisches Sein
bestimmen dürfen, sondern vom in der Schrift angezeigten Charakter
der Gottunmittelbarkeit und damit der Beziehentlichkeit ausgehen
müssen. Die traditionelle Theologie faßte die Gottebenbildlichkeit
vornehmlich substantiell und identifizierte sie so mit der menschli­
chen Geistbegabung oder mit der Vernunft. Das führte zu einer theo­
logischen Neutralisierung der Imago-Vorstellung, weil der Begriff
des Geistes oder der Vernunft von sich aus keine eigentliche Gott­
beziehung und keine Bewegung des Menschen auf Gott hin aus­
drückt. Die Zusammengehörigkeit von Urbild und Abbild wird nur
getroffen, wenn die imago Dei relational-dynamisch gefaßt wird.
So gesehen, darf Gottebenbildlichkeit zuerst als der Index und die höchste
Potenz der biblisch begründeten Gottunmittelbarkeit des Menschen angesehen
werden. „Gottunmittelbarkeit“ besagt nämlich, daß der Mensch in direkter
Korrespondenz zu Gott steht und Gott gleichsam von Angesicht zu Angesicht
begegnet. Diese Begegnung im direkten Gegenüber ist eine von geistiger
Bewegtheit und von personalem Leben erfüllte. Sie ist gemäß der Schöpfung des
Menschen im Wort als worthaftes Geschehen zu betrachten, genauer als Wort-
und Antwortgeben zu verstehen. Der Mensch ist, so verstanden, ein Wort oder
ein Sprechen Gottes, das dem Schöpfer entsprechen und ihm Antwort geben soll.
So ist Gottebenbildlichkeit die ganzmenschliche Struktur des Antwortseins, der
Verantwortlichkeit und der Responsorialität gegenüber dem absoluten Gott, die

49 E. Brunner, Zwischen den Zeilen 7 (1929) 264.


50 Katholische Dogmatik II, 300.
auch dort noch erhalten bleibt, wo der Mensch das Absolute nicht als den Offen­
barungsgott erkennt. Als dialogisch-responsoriale „Entsprechung“ zu Gott
gefaßt, entzieht sich die Gottebenbildlichkeit dem Mißverständnis, eine theolo­
gisch neutrale Anlage (wie die Vernunft) zu sein und wird als personale Struktur
der Korrespondenz zum absoluten Du Gottes erkennbar.
Die responsorial-dynamische Konzeption ermöglicht auch die
Lösung einer Frage, die seit der Zeit der Reformation zwischen den
Konfessionen strittig war, heute aber weithin einvernehmlich beant­
wortet werden kann. Es ist das Problem des Verbleibens der
Gottebenbildlichkeit auch beim Sünder. Die traditionelle katholische
Lösung lautete im Anschluß an die von Irenäus vorgenommene
Unterscheidung in natürliche (imago) und übernatürliche (similitu-
do) Gottebenbildlichkeit, daß der Sünder die similitudo verliere und
die natürliche imago behalte. Dann aber mußte die imago als rein
natürliche Vernunftanlage ohne Gottbezug gedacht werden. Evan­
gelische Theologie neigte dagegen dazu, in der Sünde einen Total­
verlust des Imago-Dei-Seins anzunehmen oder das Verbleibende als
einen bloßen „Rest“51 anzusprechen - beides unbefriedigende
Positionen.
Die responsorial-dynamische Konzeption kann verständlich
machen, warum und inwieweit der Sünder Ebenbild Gottes bleibt. Er
behält diese Auszeichnung, nicht weil er Geist besitzt, der als solcher
noch keine direkte Relation zu Gott erkennen läßt, sondern weil er in
der Sünde eine ablehnende Antwort zu Gott spricht, die ihn aber als
„Antwortsein“ oder als „Sein in der Verantwortung“ nur bestätigt.
Der Sünder ist in seiner Struktur weiter „imago“ Dei, aber freilich
eine unerfüllte, leere, dunkle „imago“. Die inhaltliche Erfüllung die­
ser Responsorialität ist erst das „Ja“ zu Gott. Als Antwort auf den lie­
benden Gott ist dieses „Ja“ zugleich aus der Liebe Gottes kommend
und also „Gnade“. So ist die gnadenhafte imago Dei die Erfüllung
der strukturalen, natürlichen Imago, die auf diese Erfüllung immer
ausgerichtet ist.
Allerdings muß auch die dynamisch-relationale Interpretation
darauf Bedacht nehmen, daß die Wirklichkeit des Geistes nicht außer
Blick gerät und daß die Gottebenbildlichkeit nicht als bloße Relation
5 1 So die Reformatoren: E. Brunner, Die christliche Lehre von Schöpfung und Erlösung.
Dogmatik II, 92.
verstanden wird, die sich im jeweiligen Sprechen Gottes und Ant­
worten des Menschen ereignet52. Das käme der aktualistischen Auf­
fassung nahe, in welcher Gottebenbildlichkeit als bleibende Struktur
nicht mehr erklärt werden könnte und ein rein personalistisches
Denken die Oberhand gewänne. Demgegenüber ist daran festzuhal­
ten, daß das Relationsmoment sein ontisches Fundament im Men­
schen als solchen, genauerhin in seiner Geistigkeit, beibehalten muß.
Es gibt keine Struktur ohne ein inhaltlich Strukturiertes. Die
Gottbeziehung des Menschen muß im Wesen des Geistes gründen.
Die Relation kommt ohne ein seinshaftes Fundament nicht aus.
Von der Entität des Geistes her ist allein auch das mit der Gottebenbildlich­
keit gegebene Moment der Verantwortlichkeit und der Freiheit zu erklären. Ein
dem absoluten Gott antwortendes, ihm verantwortliches Wesen muß auch ein
freies Wesen sein. In der Strukur der Gottbezogenheit des Geistes ist die Freiheit
der Selbstbestimmung und der Entscheidung zwischen Gut und Böse einge­
schlossen. Sie kann freilich in der Relation des Geschöpfes zu Gott keine auto­
nome und keine unbegrenzte Freiheit sein. Sie ist von Gott geschenkt und auf
Gott bezogen. Darum ist sie wesentlich die Befähigung zur Entscheidung für das
Wahre, das Gute und für die Liebe. Sie ist im Gegensatz zur Willkür und
Selbstverhaftung Freiheit für den Anruf Gottes.

IV. Die Vollendung des Ebenbildseins in der


Christusbildlichkeit
Alle bislang angeführten Gedanken über die Gottebenbildlichkeit
sind auf alttestamentlichem Boden gewachsen. Es darf jedoch nicht
übersehen werden, daß erst das Neue Testament das Ebenbild-
Denken zu seiner Vollgestalt entwickelt, indem es die imago Dei
christologisch faßt und die Gottebenbildlichkeit ihren höchsten Aus­
druck im Gottmenschen Jesus Christus gewinnen läßt. Er ist
schlechthin das „Bild des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15; 2 Kor 4,4),
der „Abglanz seiner Herrlichkeit“ und das „Abbild seines Wesens“
(Hebr 1,3). Von daher rührte die schon in der Patristik aufgekomme­
ne Unterscheidung zwischen dem eingeborenen Sohn Gottes, der
vollkommenen imago Dei, und dem unvollkommenen „ad imaginem“
Geschaffenen des Menschen. Damit ist dem theologischen Denken
die Aufgabe zugewiesen, zuerst das Imago-Sein des Gottmenschen
zu bedenken.
52 Diese Problematik erörtert aufschlußreich A. Nordländer, Die Gottebenbildlichkeit in
der Theologie Helmut Thielickes, passim.
1) Der eingeborene Sohn als vollkommene imago
Auch wenn die folgenden Erwägungen notwendigerweise paral­
lel zu den Gedanken über die „Schöpfung in Christus“ (§ 5, II) und
über die „Schöpferrolle Christi“ (§ 7, III) verlaufen, haben sie doch
ihren eigenen Sinngehalt, der auf die Christusförmigkeit des Erlösten
geht. Bevor man diese aber in den Blick nimmt, muß man die voll­
kommene Gottebenbildlichkeit Christi nach dem Neuen Testament
aufgewiesen haben.
Wenn Christus schlechthin imago des Vaters ist, so bestimmt sich
dieses Ebenbildsein zunächst von seinem Ursprung her. Er kommt
vom Vater her, ist von ihm ausgegangen und steht in einem dauern­
den Wechselverhältnis zu ihm im Erkennen und Lieben (vgl.
Mt 11,25-27). Es ist ein Verhältnis der Begegnung und Hingabe, das
nicht in einem fernen Ursprungsgeschehen gründet, sondern das dau­
ernd wirklich ist.
Dieses Bild, das der eingeborene Sohn ist, läßt das Urbild, den
Vater, aufscheinen und macht ihn einsichtig, wie der johanneische
Christus verbürgt: „Wer mich sieht, sieht den Vater“ (Joh 14,9). So
ist Christus im Sein wie im Wirken die Erscheinungsform oder die
Offenbarungsgestalt (vgl. Phil 2,6) des Vaters, gleichsam sein
Transparent, durch das der Glanz und das Licht Gottes durchschei­
nen. In dieses Abbildsein Christi ist auch seine Menschheit einge­
schlossen. Die paulinischen (wie die johanneischen) Aussagen über
Christus als Erscheinung des Vaters sind immer unter Einbeziehung
seiner Menschheit gemacht. Sie sprechen vom logos ensarkos (vgl.
Joh 1,14).
Damit aber empfängt Christus als das wahre Bild Gottes einen
neuen Zug. Das auch am Menschen haftende Bildsein zieht nämlich
das Moment der Erniedrigung an sich. Aufgrund des Menschseins
Christi war es Gott möglich, den Menschen jenen ihm eigenen
Wesenszug zu offenbaren, den er in der Menschwerdung und
Erlösung ausdrücklich zeigen und unter Beweis stellen wollte: seine
herabsteigende, herablassende Liebe, seine Hinneigung zum Gering­
sten, zum Kleinsten und zum Ärmsten. Der große majestätische Gott
wollte für die Menschen und zu ihrem Heil gerade seine unmaje­
stätische und demutsvolle Art offenbaren. In der Menschwerdung
ging der Sohn in das ganz Andere seiner selbst, in das Extrem seiner
selbst ein. Damit wollte er erkennen lassen, daß er nicht nur die herr­
liche Majestät gegenüber dem Menschen ist, im Sinne der alttesta­
mentlichen Kabod oder Doxa, sondern daß er auch die gänzlich
andere Extremform der Liebe umfaßt, die dienende, die sich ernied­
rigende, die demutsvolle Liebe. Diese Extremform oder diese Art
von göttlicher Tugend konnte er aber nur offenbaren, wenn er sich in
die forma servi hineinbegab und Mensch wurde.
Für das Verständnis des christologischen Bildbegriffes oder
Christi als „imago Dei“ schlechthin ist damit etwas Erhebliches
erbracht. Man muß daraufhin erkennen: Imago Dei ist bei Christus
nicht nur Hoheitsaussage, sondern zugleich auch Niedrigkeitsaus­
sage, wie das der Philipperbrief deutlich macht, wenn er sagt: „Er
[der Logos] entäußerte sich selbst und wurde wie ein Sklave, den
Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen, er erniedrig­
te sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuze“
(Phil 2,7f.).
Diese Abbildung des majestätischen wie des sich entäußernden
Gottes ist für die Menschen gedacht und vollführt. Die Konsequenz
für den Menschen besteht näherhin darin, daß er, der selbst Bild
Gottes ist, dem eminenten Bild Gottes in Jesus Christus zugeordnet
ist, so daß der Mensch seine vollkommene Gestalt in der Teilhabe an
der Gottebenbildlichkeit Christi gewinnt.
2) Der Mensch als Bild oder Abbild Christi
Vor allem im paulinischen Schriftenkreis liegt auf dem Gedanken
der Angleichung der Getauften an das Bild Christi ein starkes Ge­
wicht53. Es gilt dem Apostel als geheimnisvolle Wahrheit und Tat­
sache: „Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht [im Gegensatz zu
Israel] die Herrlichkeit des Herrn wider und werden so in sein eige­
nes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den
Geist des Herrn“ (2 Kor 3,18). Durch den Glauben sind die Christen
in einen beständigen Wandlungsprozeß einbezogen, dessen Ziel

53 Vgl. J. Kürzinger, Symmorphous tas eikonos ton hyou autou (Röm 8,29): Der Mensch
als Bild Gottes, 69-76.
Jesus Christus ist, „der Gottes Ebenbild ist“ (2 Kor 4,4). Über die Art
und Weise der Verbindung mit dem Bild Jesus Christus spricht sich
am bestimmtesten der Römerbrief in der Verheißung aus: „Denn alle,
die er im voraus erkannt hat, hat er auch im voraus dazu bestimmt,
an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben ...“ (Röm 8,29).
Die Christen sollen mit dem Bild des Sohnes „konform“ werden
(„conformes“; „symmorphous“). Es ist damit freilich nicht ein
„Gleichsein“ mit dem Bilde des Sohnes ausgesprochen, wohl aber
ein Teilhaben am Bilde Christi und ein Verbundensein mit ihm. Auch
wenn in erster Hinsicht nicht das (oft auch herangezogene) „Gleich-
gestaltetsein“ gemeint sein dürfte, so liegt doch auch diese Bedeu­
tung in der Nähe der Aussageabsicht des Apostels. In jedem Falle
handelt es sich um eine Verbindung von Person zu Person, die ein
Lebens Verhältnis begründet, das (in weitergehender Interpretation)
auch die Teilnahme am Erlösungsgeschehen und am Schicksal Chri­
sti einbegreift, dessen Ziel und Ende die Verherrlichung beim Vater
ist.
So gipfelt die christliche Ebenbildlehre in der Erkenntnis, daß der
Getaufte nach seinem ganzen Sein in die Lebenswirklichkeit Christi
aufgenommen ist, dies freilich nicht in der Weise eines apersonalen
mystischen Aufgehens in Christus, sondern in der Beziehung von
Person zu Person. Dieses Verhältnis findet seine Bestätigung durch
die Vielzahl der Aussagen über das „In-Christus-Sein“ des
Gläubigen, in dem die christliche Anthropologie ihre sublime, mysti­
sche Höhe gewinnt.

§ 13:
Grundlagen christlicher Anthropologie
Literatur: O. Cassmann, Psychologia. anthropologica sive animae humanae
doctrina II, Hanau 1596; J. Frohschammer, Über den Ursprung der menschlichen
Seelen. Rechtfertigung des Generatianismus, München 1984; M. Buber, Ich und
Du, Heidelberg 1923; E. Dinkler, Die Anthropologie Augustins, Stuttgart 1934;
A. Vetter, Natur und Person. Umriß einer Anthropognomik, Stuttgart 1949;
E. Brunner, Dogmatik II, Zürich 1950; H. Meyer, Abendländische
Weltanschauung IV, Paderborn 1950; H. Thielicke, Theologische Ethik I,
Tübingen 1951; S. de Beauvoir, Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der
Frau, Hamburg 1952; Fr. Ebner, Das Wort und die geistigen Realitäten, Wien
21952; C. Fr. v. Weizsäcker, Die Verantwortung der Wissenschaft im
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25/79; H ilde gard v. B ing en, H e ilkun de . Das B uch von d em W esen und der
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Z ü r ic h 1981; R. S p a e m a n n - R .L ö w , D ie F ra g e W o zu? G e s c h ic h t e un d
W ied e re n td e c k u n g des te le o lo g isc h e n D en k en s, M ü n ch en 1981; P. L üth, D er
M en sch ist kein Z ufall. U m risse einer m o d e rn e n A n th ro p o lo g ie, Stu ttg art 21982;
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der L eb e w e s e n in n a tu r w is s e n s c h a ftlic h e r Sicht: R. B äu m e r - A. v. S to ck h a u s en
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M etap h y sik ? , F ra n k fu rt a.M. 1990; R. H einz m a n n, P h ilo so p h ie des M ittelalters,
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G e se llsc h a ft gestalten. R e flex io n en und P o sition en, F reiburg 1993; D ers., M an n
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E r w ä g u n g e n : G la u b e n b e z e u g e n , G e s e l l s c h a f t g e s t a lt e n , F re ib u rg 1993;
A. Z i e g e n a u s , D as P r o b l e m d e r g e s c h l e c h t s s p e z i f i s c h e n G o tte s a u s s a g e n .
A u se in a n d e r se tz u n g m it der fe m in istisch en T he olo gie , in: A n nales T h e o lo g ia
7 (1993) 323-346; H. Hafner, Die evo lu tion äre E rk e n n tn isth eo rie. U m risse,
F rag en, M a rk ie ru n g e n (E v an g e lisch e Z en tra lstelle für W e ltan sch au u n g s frag en ,
I n f o r m a t i o n Nr. 125), S tu t tg a r t 1995; W. W eier, D as P h ä n o m e n G e ist.
A u sein a n d e rse tz u n g mit P sy c h o a n a ly se , L ogistik , V e rh alte nsfo rsch un g, D arm -
stadt 1995; A n th ro p o lo g ie: H W P h I, 363; H. G. Gadamer.-.P. Vogler (H rsg.),
N eue A n th ro p o lo g ie, dtv W R 4148.

I. Theologie und Humanwissenschaften


1) Zur Geschichte der Anthropologie
Die biblischen Zeugnisse des Alten wie des Neuen Testaments, die
auch Aussagen über den natürlichen Menschen und seinen Seins-stand
machen, betrachten den Menschen doch vornehmlich unter dem reli-
giös-theologischen Bezug zu Gott und zu Jesus Christus. Nach der tref­
fenden Aussage von H. D. Preuß sieht das Alte Testament den Men­
schen so, wie er „vor dem Angesicht Gottes“ steht1. Die Aussagen über
das Leben des Menschen (nephesch), über Fleisch (basar) und Geist
(ruach) wie über sein Herz (leb) besitzen nicht den Charakter einer
eigenständigen Anthropologie, sondern bilden nur die Voraussetzungen
zur Klärung des Gottbezugs des Menschen. Darüber geht auch das Neue
Testament grundsätzlich nicht hinaus. Es sieht den Menschen vor­
nehmlich unter dem Aspekt seiner Berufung zum Heil und seiner
Stellung in der Heilsgeschichte, woran im Grunde auch die Patristik
noch festhielt.
Die Theologie aber mußte über diese Ansätze hinausgehen, je mehr
das Evangelium in die Menschheit eindrang und je deutlicher wurde,
daß das Heil sich unter den Bedingungen des menschlichen Lebens ver­
wirklicht. Dabei wuchs die Erkenntnis, daß die rechte Verkündigung der

1 H. D. P re u ß , T h e o l o g ie des A lten T e sta m e n ts II, 140 (mit B e z u g a u f H. S eeb ass).


Heilsbotschaft an den Menschen auf das Ver-ständnis auch der Natur
des Menschen angewiesen ist. Das Gesetz der Zusammengehörigkeit
von Schöpfung und Erlösung, von natürlichem und übernatürlichem
Gottesbild, von Natur und Gnade (das nicht als stufenförmiger Überbau
zu denken ist), prägte sich dem christlichen Bewußtsein immer nach­
drücklicher ein und lenkte den Blick auf die Naturwirklichkeit des
Menschen, die ja auch Subjekt der Vollendung der Schöpfung ist.
H ierin brachte die V ä te rz e it ein en m e rk lic h e n A u fsc h w u n g , in sofern sie sich
mit ne u e m In tere sse dem T räg er und S u bjek t des H eiles zu w an dte und dabei den
S chatz an th r o p o lo g isc h e r K en ntn isse P lato ns, A r is to te l e s ’, der Stoa und des
N e u p la to n ism u s au fn ahm . U nter dem L e itm o tiv der G o tte b e n b ild lic h k e it des
M en s ch en befaßte man sich vor allem mit d em M e n s c h e n als G e istw e s e n und
ers ch lo ß nach dem Vorgang des A u g u stin u s (+ 4 30) d u rc h fein sin n ig e A n aly sen
die in n ere E rle b n isw e lt des M e n s c h e n und se in er P e rs o n a litä t2. D a n e b e n trat
auch schon das In tere sse an der E rk enn tnis der N a tu rh a f tig k e it und L eib lic h k eit
des M e n s c h e n in E rsch ein u n g . So befaßte sich der lateinisc he K ir c h e n s c h r if t­
steller L ak tan z (+ um 325) mit dem M en s c h e n als G o tte s w e rk in der Weise, daß
er die S c h ö n h eit und Z w e c k m ä ß ig k e it seines O rg an is m u s und die V orzüge seiner
V e rn u n ftau ssta ttu n g b esch rie b , freilich d abei stark in den B a h n e n antiken
W issen s w a n d e ln d 3. In A b h ä n g ig k e it von dem g rie c h isc h e n P h ilo so p h e n und Arzt
G alen o s (+ um 200) sch rie b N em esiu s v. E m e s a (+ 450) sein Werk „Ü b er die
N a tu r des M e n s c h e n “ , das im M itte la lte r viel b e n u tz t w u rd e 4.

Das M ittelalter selbst nahm, auf platonisch-augustinischer oder


auf aristotelischer Grundlage stehend, eine Vielzahl von neuen
Erkenntnissen über das Seelenleben des Menschen auf, über sein
Erkennen und Wollen, seine Affekte und Strebungen, aber es gelang­
te auch zu einem tieferen Verständnis der menschlichen Person,
wobei die Ontologie von der Richtung einer mystischen Theologie
überhöht wurde. Aber auch die Naturbetrachtung und das Interesse
an der leiblichen W irklichkeit des Menschen erfuhren einen neuen
Auftrieb. Beispielhaft wirkte in dieser Hinsicht in der Frühscholastik
Hildegard v. Bingen (+ 1179), die als Mystikerin eine erstaunliche
Naturnähe und vielseitiges Interesse am natürlich-medizinischen
Wissen um den Menschen bewies5. Auf eine neue Stufe wurde die

2 Vgl. d azu u.a. E. Din kler, Die A n th r o p o l o g ie A u g u s tin s , S tu ttg art 1934 im K apitel
ü b er „die a n t h r o p o l o g is c h e n M ö g l i c h k e it e n und S t u f e n “ : 91-2 0 9.
3 De o pific io Dei, c. 6-20.
4 D e n a t u r a h o m i n i s ; vgl. d a z u Fr. U e b e r w e g s G r u n d r i ß der G eschichte der
P h i l o s o p h i e II (hrsg. von B. G eyer) D a r m s t a d t 131958, 120f.
5 Vgl. H eilk u n d e. Das B u c h von d em W esen und d er H e ilu n g der K r a n k h e i t e n Salzbur®
41981 .
Behandlung anthropologischer Fragen d u r c h Albert d. Gr. (+ 1280)
erhoben, der den zentralen Problemkreis des Verhältnisses von Leib
und Seele zu einer Einheitsschau unter Zuhilfenahme zahlreicher
naturwissenschaftlicher Erkenntnisse seiner Zeit verband6. Ihm folg­
te sein Schüler Thomas v. Aquin (+ 1274), der ebenfalls Ansätze
einer ganzheitlichen Anthropologie entwickelte, die den Menschen
als Einheit von Geist und Materie erfaßte und als zentrale Nahtstelle
in eine kosmische Ordnung einbezog7. Es handelte sich dabei aber
stets, auch bei Einbeziehung vieler naturhafter und kosmologischer
Elemente, um eine metaphysische Anthropologie, die ihrerseits auf
die Theologie und auf die übernatürliche Zielbestimmung des
Menschen ausgerichtet war.
Eine beachtliche Wende brachte hier die Renaissance, die eine
anthropozentrische Neuorientierung einleitete mit der Betonung der
Würde und Schöpferkraft des Menschen. Dabei geriet die göttliche
Tat am Anfang nicht außer Blick, aber das Beherrschende war die
Betrachtung der Größe des Menschen und der ihm eigenen schöpfe­
rischen Fähigkeiten, die er nicht nur auf dem Gebiet der Kunst und
W issenschaft, sondern besonders auch auf dem Feld der Geschichte
einzusetzen vermag (so besonders G. Vico, + 1744). Der anthropolo­
gische Grundimpuls des Zeitalters klingt beispielhaft auf in der
Sentenz des Pico della M irandola (+ 1494): „Die Wunder des Geistes
sind größer als der Himmel. Es gibt nichts Großes auf der Erde außer
den Menschen, nichts Großes im Menschen außer seinem Geist und
seiner Seele“8.
Dem W andel des m e ta p h y sisc h v eran ke rte n M e n s c h e n b ild e s ging zur Seite
ein ä h n lic h e r W andel des N a tu rv e rstä n d n isse s , das vor allem von der A stro n o m ie
v o ra n g etrieb en w urde. Sie b ild ete eine N atu rw is se n sc h a ft aus, die nach G alilei
(+ 1642) „ohne M e sse n und W ä g e n “ nicht sein konnte. So w urde alles m e n s c h ­
liche W is se n ss tre b e n als T a tsa c h en fo rsc h u n g v erstand en und em p irisch b e g r ü n ­
det. F reilich ko nn te sich die so v ers tan d en e N a tu rfo rsc h u n g nicht u n m itte lb a r
mit dem G eh eim n is des M e n s c h e n befassen. Das le istete nun die P h iloso ph ie,
die sich aber von den m eta p h y sisc h e n W urzeln trennte und den seit dem
16. J a h rh u n d e rt au fg e k o m m e n e n Titel der „ A n th ro p o lo g ie “ in h a ltlich m it der
B estim m u n g versah: „A n th ro p o lo g ia est d octrin a hu m a n a e n a tu r a e “9.

6 Vgl. R. H e i n z m a n n , P h i l o s o p h i e des M itte la lte r s, 197ff.


7 Vgl. N. A. L u y te n , Das M e n s c h e n b i l d des T h o m a s v. A q u in , 31-43.
8 H. M eyer, A b e n d l ä n d i s c h e W e l t a n s c h a u u n g IV, 26.
9 O. C a s s m a n n , P s y c h o l o g i a a n t h r o p o l o g ic a sive an im a e h u m a n a e d o c tr in a II, H an au
So nahm sich eine psychologisch orientierte Philosophie des
Menschenthemas an, die aber nach O. Marquard unter der einge­
schränkten Fragestellung arbeitete: „Wie ist der Mensch zu bestim­
men, wenn nicht (mehr) durch M etaphysik und (noch) nicht durch
mathematisch-experimentelle Naturwissenschaft“ 10. Diese gesuchte
Bestimmung wurde danach unter verschiedenen nichtmetaphysi­
schen philosophischen Aspekten angeboten, von der M oralphilo­
sophie der Aufklärung (Shaftesbury, Rousseau, Lessing), von der
Geistphilosophie des Deutschen Idealismus (von Kant bis Hegel) und
unter dem neu aufgekommenen geschichtlichen Aspekt vom soge­
nannten Neuhumanismus (J. G. Herder, W. v. Humboldt, W. Dilthey).
2) Der Aufgang der Humanwissenschaften als Auftrag
an die Theologie
Diese lange Zeit dominierende empirisch-rationale Anthropolo­
gie wurde abgelöst von den Humanwissenschaften, die als Ab­
kömmlinge des naturwissenschaftlichen Aufbruchs des 19. Jahrhun­
derts im 20. Jahrhundert zur Herrschaft gelangten. Sie förderten eine
solche Fülle von Einzelerkenntnissen über die Entstehung des
Menschen aus dem Naturreich, über die genetischen, die ethnologi­
schen, psychologischen, physiologischen und soziologischen Gesetz­
lichkeiten des menschlichen Lebens zutage, daß die philosophische
und theologische Betrachtung des Menschen ins Hintertreffen geriet
und zur Bedeutungslosigkeit verurteilt zu sein schien. Noch folgen­
schwerer aber wirkte sich die vielfach bekundete Bereitschaft der
Theologie selbst aus, sich der Vormachtstellung dieser W issenschaf­
ten zu beugen und ihnen auch auf dem Felde der Theologie den
Vorrang einzuräumen. Ihre Bedeutung wurde vor allem von der M o­
raltheologie anerkannt, so daß hier der Vorschlag einer „biologischen
M oral“ auftauchte1' oder (weniger extrem) die humanwissenschaftli­
chen Sachverhalte als „Grund“ für ethische Norm- und Sinngebun­
gen anerkannt wurden. So wurde die Moraltheologie als eine „inte­
grierende“ Wissenschaft bestimmt, welche auf dem „Unterbau“ der

10 A n t h r o p o l o g ie : H W P h I, 363.
11 So bei P. C h a u c h a rd , Wie frei ist d er M e n sc h ? B i o l o g i e und M o ral, 1 1-26.
Humanwissenschaften durch philosophische R eflexion sittliche Ver­
bindlichkeiten erheben sollte, und zwar durch M otivieren, Stim ulie­
ren und K ritisieren m enschlicher H andlungsentw ürfe, wobei das
Lehram t nur die Stellung eines Partners im D ialog der W ahrheits­
findung beanspruchen sollte12.
Aus dem gleichen Verständnis heraus ergingen Warnungen sei­
tens der Theologie selbst, den Menschen nicht „nur mit der ver­
meintlichen geschichtsenthobenen Optik des Auges Gottes selbst“
sehen zu wollen, weil man so „schon für ein bestimmtes M en­
schenbild optiert“ , das es offenbar wegen der Geschichtlichkeit aller
M enschenbilder auch für die Theologie nicht geben kann. Dabei
wurden auch die Erkenntnisse der genuin christlichen Anthropologie
(wie die Gottebenbildlichkeit) als „abstrakte formale Daten“ be­
zeichnet, die für ein konkretes Menschenbild nicht ausreichten13. Aus
der gleichen Richtung erging die Mahnung des Exegeten: „Die theo­
logische Anthropologie muß, wenn sie meint, das Menschsein des
Menschen allein in seiner Gottbeziehung erfassen zu können, ins
Leere stoßen; denn es gibt den Menschen nicht, der allein in der
Gottebenbildlichkeit existierte“ 14. Auch hier geht die Tendenz dahin,
die theologische Anthropologie vor der angeblichen Gefahr einer
Selbstüberschätzung zu bewahren und sie auf den Dialog mit den
Humanwissenschaften zu verweisen, aus dem eine Konvergenz der
Erkenntnisse zutage treten und ein ganzheitliches Menschenver­
ständnis erhoben werden könnte.
Die an die Theologie gerichtete Forderung zur Begrenzung ihrer
Zuständigkeit in der Anthropologie und zur Kenntnisnahme der
humanwissenschaftlichen Forschung erscheint berechtigt; denn der
Anspruch, alles vom Menschen sagen und eine Totalvorstellung vom
Humanum erstellen zu können, würde die Theologie in den Stand
einer anthropologischen Überwissenschaft erheben, woran sie allein
schon aus wissenschaftstheoretischen Gründen scheitern müßte.

12 Vgl. A. Auer, A u t o n o m e M oral un d c h r is tlic h e r G laub e, 42; 44; 152; 189ff.


13 K. L e h m a n n , G l a u b e n b e z e u g e n - G e s e l l s c h a f t gestalte n, 44ff.
14 CI. W e s te rm a n n , S c h ö p f u n g , 113.
Aber soll die erhobene Forderung realistisch bleiben, so muß sie
auch den Stand der H um anw issenschaften berücksichtigen und deren
B edeutung für die Erhebung eines gültigen M enschenbildes relati­
vieren.
H ier sind die aus den R eih en der H u m a n w is s e n s c h a fte n k o m m e n d e n s e lb s t­
k ritisch en S tim m e n zu be achten, w elche die P ro b le m a tik h u m a n w is s e n s c h a f tl i­
ch er B estim m u n g e n des M en sch en zur S prach e brin gen . So verdient die F e s t­
stellung B ea ch tu n g , daß etw a in der B io lo g ie u n tersc h ie d lich e A u ffass u n g e n
vom W esen des M en s ch en h e r r s c h e n 15 oder daß die P sy ch o lo g ie k eine v e rb in d li­
che in tegrative A n th ro p o lo g ie b ieten k ö n n e 16. B e m e rk e n sw e r t ist auch das E in ­
gestä n d n is, das im S c h lu ß b e ric h t eines Werkes üb er die „N eue A n th ro p o lo g ie “
zum A u sd ru c k kom m t. U n ter dem E in d ru c k der n icht gelu n g e n e n In teg ra tio n des
W issens vom M en s ch en w e nd en sich die H e ra u s g e b e r an die A u to ritä t e in z e ln er
h e rv o r ra g e n d e r F o rs ch er und geben ein er H o ffn u n g A u sdru ck : „Wo die u n e n d li­
che A u sb reitu n g m o d e r n e r F o rs ch u n g zu fo r tsc h r e ite n d e r S p e z ia lis ie ru n g und
Isolie ru ng des ein ze ln en A rb e iters ... h in d rän g te , sollte eine in tegrative Kraft
freig esetzt w erden, wie sie in der w iss e n sc h a ftlic h e n L e b e n se rfa h ru n g b e d e u te n ­
der F o rs c h e r v erkö rp ert is t“ 17. Die in tegrative K raft k o m m t also nich t objektiv
aus den E rgeb nissen der F o rs ch u n g , so nd ern soll subjektiv aus der E rfahrun g
und dem B eisp iel e in z e ln e r F o rs c h e r h ervo rg ehe n. So ist das G esam tu rte il nicht
von der Fland zu w eisen, daß die von den H u m a n w iss e n sc h a fte n g ew o nn ene n
E in sich ten über den M en s ch en „a n th ro p o lo g isc h e E rk en n tn isse ohne g e m e i n s a ­
m en N e n n e r sin d “ 1*.

Das bedeutet keine Absage der T heologie an die H um anw issen­


schaften, aber es relativiert den A bsolutheitsanspruch der H um an­
w issenschaften und m acht den Blick frei für den eigenen unersetzli­
chen B eitrag der theologischen A nthropologie zur Erkenntnis des
M enschseins. U nter Anw endung der von M. Scheler (+ 1928) kom ­
m enden N om enklatur, die Leistungs- oder A rbeitsw issen vom We­
sensw issen unterscheidet, muß der T heologie eine darüber hinausge­
hende W issensart zuerkannt werden, die als H eilsw issen zu bezeich­
nen ist. D iese W issensart w ird keine sichere E rkenntnis der
H um anw issenschaften geringachten oder negieren, sondern sie nach
kritischer, philosophisch reflektierter Sondierung in sich aufnehm en.
Sie nim m t keinen E ingriff in den Bereich natürlichen W issens und
Forschens vor, weil sie sich wie eine neue D im ension über dem B e­
reiche des Sach- und W esensw issens erhebt. Sie erstrebt keine

15 H. Altner , B e iträg e der B io lo g ie zu r B e s c h r e i b u n g des M e n sc h e n , 9.


16 A. G ö rres , Kennt die P s y c h o l o g i e d en M e n s c h e n ? , 18.
17 H. G. G a d a m e r - P. Vogler (H rs g.), N e u e A n t h r o p o l o g ie , 375.
18 W. K asper, U n s e r W is se n vom M e n sc h e n , 7.
Totalerkenntnis vom Menschen, wohl aber erschließt sie den Kern
seines überzeitlichen Seins und bringt unter Berücksichtigung des
Zeitlichen das Ewige im Menschen zur Aussage. Wenn man in die­
sem Anspruch etwas Anmaßendes sehen wollte oder die M öglichkeit
der Erfassung des Übergeschichtlichen am Menschen mit dem Hin­
weis auf das Grundgesetz der Geschichtlichkeit leugnen wollte, dann
müßte man die Existenzberechtigung einer theologischen Anthropo­
logie überhaupt preisgeben und im Relativismus enden. Einsichtige
Vertreter der Wissenschaften bestätigen die Theologie in diesem
ihrem spezifischen Auftrag. Ein Beispiel bietet C. Fr. v. Weizsäcker
mit seinem Wort: „Eines möchte ich den Theologen sagen - etwas,
das sie wissen und die anderen wissen sollten: Sie bewahren die ein­
zige Wahrheit, die tiefer reicht als die Wahrheit der W issenschaft, auf
der das Atomzeitalter beruht. Sie bewahren ein Wissen vom Wesen
des Menschen, das tiefer wurzelt als die Rationalität der Neuzeit.
Der Augenblick kommt immer unweigerlicher, in dem man, wenn
das Planen scheitert, nach dieser Wahrheit fragt und fragen wird“ 19.
Die Gültigkeit dieser Aussage findet ihre Bestätigung im prakti­
schen Verhältnis der theologischen Anthropologie zu den modernen
Humanwissenschaften.
3) Kritische Offenheit
Es kann kein Zweifel sein, daß die theologische Anthropologie
die Ergebnisse der Humanwissenschaften beachten muß, insofern
diese den Reichtum und das Geheimnis des Menschen als Natur­
wesen erschließen, das die Theologie nach dem Grundsatz der Zu­
sammengehörigkeit von Natur und Gnade nicht übersehen darf. Des­
halb wird sie z.B. von der wissenschaftlich begründeten Evolutions­
lehre die Erkenntnis von der geschichtlichen und inhaltlichen
Verflochtenheit der M enschennatur mit dem kosmischen Leben und
mit der Materie übernehmen20.
In ähnlichem Sinne wird sie die von der Verhaltensforschung auf­
gezeigte Verknüpfung des M enschlichen mit Vorformen im anim ali­
schen Bereich aufnehmen und etwa auch die Erschließung des

19 C. Fr. v. W eizsäck er, D ie V e r a n tw o r tu n g d er W is s e n s c h a f t im A to m z e ita lte r , 1 If.


20 Vgl. z u m F o l g e n d e n N. A. L u y te n , H at un se r M e n s c h e n v e rs t ä n d n i s sich g e ä n d e r t?
V erä n d e r u n g e n im M e n s c h e n b i l d , 2 84 -2 89 .
menschlichen Seelenlebens durch die Tiefenpsychologie anerkennen.
Unter den genannten Aspekten wird sie die M ehrdimensionalität der
Geschöpflichkeit des Menschen verstehen lernen und daraus bereits
Argumente für die Einzigartigkeit des menschlichen Seins trotz sei­
ner Einbeziehung in die Naturordnung entnehmen können. Sie wird
freilich (wie schon angedeutet) die erhärteten humanwissenschaftli­
chen Ergebnisse nicht ohne Hinzuziehung der philosophischen Re­
flexion seitens der philosophischen Anthropologie aufnehmen kön­
nen, welche bereits eine große Beziehungsnähe zur Theologie besit­
zen. Bei manchen dieser Entwürfe wird diese Beziehungsnähe zu
einer positiven Annäherung der Standpunkte führen (etwa bei H.
Plessner, A. Gehlen, M. Scheler, M. Horkheimer u.a.), bei anderen zu
einer gewinnreichen Distanzierung (wie bei K. Jaspers, M. Heideg­
ger, E. Bloch u.a.)21. Eine solche Einbeziehung humanwissenschaft-
licher Erkenntnisse kann die theologische Anthropologie dazu be­
fähigen, den Menschen in seiner Ganzheit zu sehen und die theolo­
gische Bestimmung des Menschen nicht ohne Bezug auf seine Natur­
beschaffenheit und seine natürlichen Determinanten zu treffen.
Bei dieser Öfffnung für die Humanwissenschaften (die heute von
der Theologie viel entschiedener betrieben wird als in umgekehrter
Richtung seitens der Humanwissenschaften) wird die theologische
Anthropologie freilich auch die Engführungen und Verschließungen
mancher humanwissenschaftlicher Entwürfe kritisch behandeln müs­
sen, die ihre Ergebnisse biologischer oder psychologischer Herkunft
als Wesensbestimmungen des ganzen geistig-personalen Menschen
ausgeben. Das ist die Entscheidung des Reduktionismus, der auch
das spezifisch M enschliche auf elementare naturwissenschaftliche
Gegebenheiten und Erkenntnisse zurückführen möchte.
Als Beispiel dieses Reduktionismus darf auf evolutionstheoreti­
schem Gebiet nochmals die „evolutionäre Erkenntnistheorie“ ange­
führt werden22, die sich anheischig macht, daß das Entstehen von
menschlichem Erkennen und Bewußtsein genetisch aus dem Prozeß
der immer erfolgreicheren Auseinandersetzung der Lebewesen mit

21 A u s f ü h r l i c h e r bei L. S ch e f fc z y k , T h e o l o g is c h e A n t h r o p o l o g ie im S p a n n u n g s f e l d z w i ­
sc hen H u m a n w i s s e n s c h a f t e n u nd P h ilo so p h ie : V e r ä n d e r u n g e n im M e n s c h e n b i l d , 23-32.
22 Vgl. die In t e rp r e t a t i o n von K. L o re n z , D ie R ü c k s e i t e des S p ieg els, 33-45.
der Umwelt entstanden sei. Diese Auseinandersetzung war dieser
Interpretation zufolge immer auch ein erkenntnisbringender Prozeß,
verbunden mit der Hervorbringung immer geeigneterer Erkenntnis­
apparate, die schließlich auch das Entstehen eines reflektierenden
Bewußtseins ermöglichten23.
Ähnliche Kritik muß auf dem Gebiet der Verhaltensforschung die
Ableitung des Bösen aus einem notwendigen, aber nicht ganz geord­
neten Aggressionstrieb erfahren. Das Böse (im personalen Verständ­
nis die Sünde) wird auf einen an sich arterhaltenden Instinkt zurück­
geführt, der wie alle Instinkte oft verderbliche Wirkungen zeitigt,
welche aber auch durch natürliche Hemmungsmechanismen gesteu­
ert werden können. Das Gesamturteil über den Menschen lautet
dann: „Der Mensch ist gar nicht so böse von Jugend auf, er ist nur
nicht ganz gut genug für die A nforderungen des m odernen
Gesellschaftslebens“24. Dabei kommt zwar auch die menschliche
Verantwortung ins Spiel. Aber diese ist auch nur ein Kompensa­
tionsmechanismus, der das Instinktleben des Menschen an die Erfor­
dernisse des Kulturlebens anpaßt25. Ethik ist hier auf Zw eck­
mäßigkeit reduziert und der Sinn des menschlichen Lebens auf die
Erhaltung der Art.
D er g leiche R ed u k tio n ism u s ist am Werk, w enn m an gew isse F o lg e ru n g e n
aus der K y b e rn etik und der T ech n o lo g ie der C o m p u ter b ed en k t, w elche v o rg e ­
ben, die L e istu n g e n m e n s c h lic h e r In tellig en z zu e rreich en oder sie so gar zu
ü b erflüg eln . D ie G ren ze zw isch en dem M en s ch en und der „ m a c h in a s a p ie n s “
scheint zu v e rf lie ß e n 26. D em ist e n tg e g e n zu h a lten , daß m a s ch in elle In tellig en z
zw ar o b jek tiv ierb a re D aten, F ak ten und Vorgänge q u a n tifiz iere n d speichern , v e r­
b in d en und w ie d e rg e b e n kann, daß aber solche ratio n a l-lo g isc h e n P ro z esse nich t
mit m e n s c h lic h e m D en ke n g le ic h g e se tz t w erden kö nn en; denn dieses zeic h n e t
sich aus d u rch das E in d rin g e n in das nich t q u a n tifiz ie rb a re W esen der D in ge,
d urch F rem d - und S elb s tv ers teh en , w ie auch durch W erterfassen. Die d ie s b e z ü g ­
lichen Id e n tifiz ie ru n g sv e rs u c h e zw isc h e n log isch en O p e ra tio n e n der R e c h e n ­
m a sc h in e n und dem m e n s c h lic h e n D enk en v erw e ch se ln den G eist des M en s ch en
mit dem F u n k tio n ie re n des G eh irns. Sie k o m m en aus ein e r v o r w is s e n s c h a ft li­
chen w e lta n s c h a u lic h e n O p tion für ein m ec h a n istisch es M e n s c h e n b ild , die den

23 Z u r K ritik vgl. R. S p a e m a n n - R. L öw , Die F ra ge W ozu?, 2 5 4-2 5 8 ; e b e n s o H. H afner,


Die e v o l u t i o n ä r e E rk e n n t n i s t h e o r i e , 133ff. m it A u f d e c k u n g ihres w e l t a n s c h a u l i c h e n
C h a rak ters.
24 K. L o re n z , D as s o g e n a n n t e Böse, 363.
25 E bd a., 365.
26 H. E. Hatt, K y b e r n e tik u n d M e n s c h e n b i l d , 226 u.ö.
M e n s c h e n auch sc h o n als d e te r m i n ie r t e s u nd a n a ly s ie r b a re s R e g e ls y s te m
b etrach tet, zw ar noch von gra d u ell h ö h e re r K om p le x ität, ab er im G ru n d e doch
der M as c h in e vergleichbar. D er G ed ank e des „ l ’h o m m e m a c h in e “ des A rztes
L a m e t tr i e (+ 1749) un d d e r K r y p t o m a t e r i a l i s m u s e r f a h r e n h ie r eine
W ie d e rb e le b u n g 27.

Die theologische Anthropologie muß diese Grenzüberschreitun­


gen der Humanwissenschaften zur Kenntnis nehmen. Sie vermag so­
gar von diesen Fehlern zu lernen und das Körnchen von Wahrheit in
ihnen ausfindig zu machen. Das gelingt ihr aber nur, wenn sie ihrer­
seits aus den ihr eigenen Quellen die Grunderkenntnisse über das
Menschensein zutage fördert, welche die positiven humanwissen­
schaftlichen Ergebnisse in eine neue Dimension erheben. Diese ist
grundlegend bestimmt von den Momenten der Geistleiblichkeit des
Menschen, von seiner Personalität und von seiner Transzendenz auf
das Absolute Gottes hin.

II. D as M enschen V erständnis in den Lelirzeiignissen d er


K irche
Die theologische Anthropologie gründet auch bezüglich der
schöpfungsgemäßen Bestimmung des Menschen in den Zeugnissen
der Hl. Schrift. Sie empfängt und versteht diese Zeugnisse aber nur
im Medium der glaubensbezeugenden Tradition und d.h. in der
Lehrverkündigung der Kirche. Auch wenn diese in ihrer geschichtli­
chen Begrenztheit nicht alle Fragen und Probleme, vor die sich die
moderne Theologie gestellt sieht, beantworten kann, so bietet sie
doch in der zweitausendjährigen Geschichte richtunggebende Hin­
weise und grundlegende Normen für das christliche Menschenver­
ständnis, welche die Theologie nicht übersehen darf, selbst wenn sie
diese auf ihren bleibenden Sinn hin befragen und interpretieren muß.
Versucht man, diese Geschichte nach den jeweils bestimmenden
Tendenzen und den vorherrschenden Motiven zu beurteilen, so ergibt
sich für die Zeit der Alten Kirche als ein Hauptmotiv der Gegensatz
zum Dualismus.

27 Vgl. d azu W. Weier, Das P h ä n o m e n G eist, 159ff., zu r I n d e p e n d e n z des G eis tes


g e g e n ü b e r allem n a t u r h a ft e n Sein.
1) Die antidualistische Tendenz der altkirchlichen
Lehrverkündigung
In der Alten Kirche wurde die biblische Überlieferung vom
M enschsein weitergegeben unter Hervorhebung der Würde des
Menschen, der „das große und bewundernswerte Lebewesen [ist],
das Gott für ehrwürdiger als die ganze Schöpfung erachtet ,..“28. Auf
dem Hintergrund der griechischen Philosophie mußte das Christen­
tum sein Menschenverständnis sowohl gegen die stoische Auffassung
vom Menschen als dem Maß aller Dinge, wie auch gegen die im
Griechentum latente Minderbewertung des Menschen verteidigen:
Im platonischen Spiritualismus führte dies vor allem zu einer Herab­
setzung der Würde des Leibes, welcher die beginnende christliche
Theologie mit der Hervorhebung des Leiblichen als Schöpfung Got­
tes begegnete. So konnte auch das Leibliche als werthaft und als für
die Erlösung und Verherrlichung bestimmt anerkannt werden. Das
geschah vor allem bei Irenäus (+ um 203) und bei Tertullian
(+ nach 220). Nach diesem „bewirkt das Fleisch, daß die Seele mit
Gott vereint werden kann“29, weil das Fleisch „dem Heil nicht entge­
gengesetzt“ ist30, sondern das Tun des Fleisches ein „instrumentum
aeternitatis“31 darstellt. Mit solcher Wertschätzung des Leibes stimmt
auch der Gedanke überein, daß der Mensch als eine Ganzheit von
„unsichtbarer und sichtbarer Natur“ geschaffen sei32. Andererseits
wuchs im Einflußbereich griechischen Denkens auch die (legitime)
Erkenntnis von der Unterschiedenheit zwischen dem Leib und der
Seele (und dem Geist), so daß der Mensch als Kompositum aus „der
unsichtbaren und der sichtbaren Natur“ verstanden wurde. In ihm
kam der Seele die höhere Dignität zu, so daß ihr allein die Gotteben­
bildlichkeit zuerkannt wurde33 (was freilich nicht vollauf zutreffend
war).

28 J o h a n n e s C h r y s o s t o m u s , H o m i l i e n zu r G en es is, 2.
29 D e r e s u r r e c t i o n e m o r tu o r u m , 8 .
30 E b d a., 46.
31 Ad u x o r em I, 7.
32 G r e g o r v. N a z ia n z , A u f die G e b u r t C hristi, 9-11.
33 So e rk lärt A m b r o s i u s v. M a i la n d (+ 397): „N ich t der L eib also k an n g o t t e b e n b i l d l i c h
se in, so n d e rn n u r die S e e l e “ : H e x a e m e r o n 6 ,4 4-45.
D er Gedanke einer Dualität im M enschsein, welcher einer
menschlichen Grunderfahrung entsprach, konnte aber leicht duali­
stisch interpretiert werden, was unter neuplatonischem Einfluß u.a.
bei Origenes (+ 253/254) geschah, der in stark spiritualistischer N ei­
gung den M enschenseelen als vollkommenen Geistern ein präexi­
stentes Dasein zuschrieb, aus dem heraus sie erst durch die Sünde in
die Materie hinabfielen. In dieser Auffassung war die Zusammen­
gehörigkeit von Seele und Leib gelöst, die schöpfungsgemäße Ver­
bindung aufgegeben und die materielle Leiblichkeit in die Nähe des
Sündhaften gerückt.
D iesen T endenzen, die d urch die O rig e n iste n v e rs c h ä rft w urd en, beg egn ete
die S y n o d e von K o n stan tin o p e l (543) m it d em A n a th e m a tis m u s: „Wer sagt oder
d aran festhält, die Seelen der M en s ch en hätten präe xistie rt, in dem sie ehedem
G e iste r und h eilige K räfte g ew esen seien, seien aber der g ö ttlich en A n sc h a u u n g
ü b e rd rü ssig gew o rden , hätten sich zum S ch le c h te re n g ew andt, seien desh alb in
der L iebe zu G o tt erkaltet, aus diesem G ru n d e S eelen g e n a n n t und zur Strafe in
[die] L e ib e r h in a b g e s a n d t w orden, der sei m it dem A n ath em b e le g t“ (DH 403).
D ie s e g n o s t i s c h - d u a l i s t i s c h e n S t r ö m u n g e n g in g e n auch im (von der
F o rs c h u n g u n ein h eitlich b eu rteilte n ) P risz illia n is m u s weiter, der a u f der Synode
von B raga (be go nn en 561) seine V erurteilung erfuhr, die sich w ie d e ru m gegen
die P rä e x iste n z v o rste llu n g und gegen die V erban nu ng der S eelen in m en s c h lich e
L e ib e r rich tete (DH 4 5 6 -4 59 ). A uch gegen eine b eso n d e rs ab struse Form des
D u a lis m u s, nach w e lc h e r der L eib vom Teufel e rs c h a ffe n w orden sei, n ahm die
S y no de von B raga Stellu ng , in d em sie die A u ffa ss u n g verw arf, „daß der Teufel
einige G esch ö p fe in der W elt g e m a c h t“ h abe (D H 458). Wenn die Lehre der
O rig en isten und d er P risz illia n e r g eleg e n tlich m it der S e e le n w a n d e ru n g in
V erbind un g g e b rach t w ird (die von den V äte rn g en erell abg ele h n t w u r d e 14, so ist
das n ich t beg rü nd et. Sie v ertraten nicht eine im m e r w ied er vor sich geh en de
M e te m p sy c h e , so ndern eine e in m alig e E n so m a to se der gefallenen Seelen.

Gegen eine andere Art von Dualismus wandte sich das Vierte
Konzil von Konstantinopel (869/70), das in der Angelegenheit des
Photius (+ um 891) zu entscheiden hatte35. Es warf dem Patriarchen
einen „psychologischen D ualism us“ vor, nach welchem es im
Menschen zwei Seelen gebe, eine minderwertige und sündige und
eine vernünftige und sündenlose. Obgleich zu bezweifeln ist, daß
Photius selbst eine solche Auffassung vertreten habe, so scheint sie

34 L. S ch effc zy k , D er R e in k a r n a t i o n s g e d a n k e in der altc h r i s t l i c h e n L iteratur, 14-26.


35 D. S tiern o n , K o n s ta n t in o p e l IV, 174.
doch in Byzanz vorgekommen zu sein. Das Konzil reagierte auf sie
mit dem Verdikt gegen diese Häresie und betonte als Lehre des Alten
und Neuen Testamentes die Existenz nur „einer Vernunft- und ver­
standesbegabten Seele“ (DH 657). Bemerkenswert an dieser Ent­
scheidung ist der Umstand, daß das Konzil die Lehre von der einen
(vom Leib unterschiedenen) Seele als schriftgemäß ausgibt.
2) Die Einheit des Menschen als Anliegen der Kirchenlehre
des M ittelalters
Während das altkirchliche, vornehmlich an der platonischen Gei­
stigkeit orientierte Denken vom Menschen der Kirche die Aufgabe
zuwies, die Bedeutung des Leiblichen festzuhalten und das Leibliche
nicht dem Dualismus anheimzugeben, gestaltete sich im M ittelalter
mit dem Aufkommen des Aristotelismus die Aufgabenstellung an­
ders. Wo mit Aristoteles die Einheit des Menschen aus Materie und
Form die vorherrschende Auffassung geworden und gegenüber dem
platonischen Modell der akzidentellen Verknüpfung als überlegen
anerkannt war, kam es der kirchlichen Lehrverkündigung, die in die
gedankenreiche anthropologische Diskussion der Scholastik nur
wenig eingriff, vor allem darauf an, das Zusammensein von Geist
und Leib unter Beachtung des höheren Wertes des Geistes zu sichern.
Diese Aufgabe übernahm die Kirche bezeichnenderweise auch
aus christologischen Gründen in der richtigen Erkenntnis, daß die
Aussagen über die M enschheit Jesu normgebende Bedeutung für das
Menschsein als solches haben mußten. So hatte sich schon das soge­
nannte Symbolum Athanasianum über den „vollkommenen M en­
schen“ Jesus Christus geäußert, „bestehend aus einer Vernunftseele
und einem menschlichen Fleisch“ (DH 76). Ähnlich waren die For­
meln des Zweiten Konzils v. Konstantinopel (553: DH 424) und die
des Vierten Laterankonzils (1215: DH 801) gehalten. Diese
Einheitserfassung schien im Spätmittelalter gefährdet durch die dem
Petrus Johannes Olivi (+ 1298, der älteren augustinischen Tradition
verpflichtet und gegen den Aristotelismus gerichtet) zugeschriebene
Lehre, nach der die menschliche Seele in drei Teilformen bestehe
(vegetativ, sensitiv, intellektiv), die in der einen geistigen Seelen­
materie gründen und zu einer Totalform Zusammenkommen, wobei
nur die sensitive Form den Körper unmittelbar informiert. Die
Geistseele würde dann nur als indirektes Formprinzip anerkannt, ihre
E inheit m it dem Leib wäre nur eine dynam ische und keinesfalls m ehr
eine substantiale Natureinheit.
In der Tradition des Zweiten Konzils von Konstantinopel (553)
stehend, drückte das Konzil von Vienne (1311-1312)36 die gleiche
Wahrheit in scholastischer Terminologie aus und erklärte, „daß die
Substanz der Vernunft- bzw. verstandesbegabten Seele wahrhaftig
und durch sich die Form des menschlichen Leibes i s t “ (DH 902).
Damit hat es die Lehre von der in zwei Wesenheiten existierenden
Ganzheit des M enschen als Dogma definiert und sowohl den
Trichotomismus der alten Gnosis (Geist, Seele, Materie) als auch die
christologische Dreiteilung des Apollinaris v. Laodizea (+ 390) ver­
worfen. Diese Definition wurde vom Fünften Konzil im Lateran
(1512-1517) feierlich bestätigt, das auch die Wesenseigenschaft der
Unsterblichkeit der Seele definierte (DH 1440). Auf die Lehre des
Konzils von Vienne griff Papst Pius IX. nochmals in der Auseinan­
dersetzung mit A. Günther zurück (1857: DH 2828).
M it der D efin itio n des K onzils v. V ienne hat die K irche zw ar die su b s ta n tia ­
le Z w e ie in h e it des M e n s c h se in s zum D o g m a e rho ben , nich t aber die tho m isti-
sche L ehre des H y le m o r p h ism u s (der u n m itte lb a re n V erb ind un g von V e rnu nft­
seele und m ate ria prim a) d o g m atis ie rt, wie sie auch die p h ilo so p h isc h e Frage
nach ein e r M eh rz ahl von F orm en (w ie in der a u g u stin isc h e n T rad itio n a n g e n o m ­
m en) od er nach der E x isten z ein er fo rm a c o rp o reitalis (so die Sk otisten) nicht
e n tschied.
In fo lg e ric h tig e r A n w e n d u n g der E rk en n tn is d er G eistig k eit der Seele und
der dam it geg eb en en E rh o b e n h e it über das M a te rie ll- K ö r p e rlic h e erfu h r auch die
F rag e nach dem U rsp ru n g der Seele eine K läru ng . Schon im Jahre 498 hatte
P apst A n a stas iu s II. den B isch öfen G allien s g e g e n ü b e r die L eh re von der u n m it­
telb aren E rsch affu n g des L eib es und d er Seele du rch G ott verteid ig t und die
E rz e u g u n g d er m e n s ch lich en Seele d urch die E ltern als Irrtum g eb ran d m ark t, auf
diese Weise die E in h e it von Leib und Seele auch im U rspru ng beto nen d
(DH 360). Im späten M itte la lte r m uß te P apst B e n e d ik t XII. d iese F rage no chm als
au fne hm en . In ein em B rie f an die A rm e n ie r vom Jahre 1341 w an dte er sich
g egen die irrige A u ffassu n g , „daß die m en s c h lic h e Seele des K indes von seinem
Vater fo rtg e p fla n z t wird, so wie der L eib vom L eib und auch ein E ngel vom
a n d e re n “ (D H 1007). D am it fiel der T ra d u z ia n ism u s, der schon in der A lten
K irch e als (w enn auch u n ta u g lich e s ) M od ell zur E rk lä ru n g der Ü b e rtrag u n g der
E rb sü n d e h e ra n g e z o g e n w urde, der V erw erfung anheim .

Gegen eine Mißdeutung der Lehre von der Seele als inform ieren­
des Prinzip des Leibes nahm am Ausgang der mittelalterlichen scho-
lastischen Lehrtradition auch das Fünfte Laterankonzil (1512-1513)
Stellung. Als Vertreter eines kritischen Aristotelismus erneuerte
P. Pomponazzi (+ 1525) die schon im Altertum vertretene Lehre von
der Sterblichkeit der Seele (Thnetopsychiten), genauer von der
Nichtbeweisbarkeit der Unsterblichkeit mit der Vernunft. Damit ver­
band sich zu dieser Zeit auch die These des averroistischen
Monopsychismus von einem gemeinsamen allgemeinen Nous der
Menschen und einer unpersönlichen Unsterblichkeit. Dagegen wand­
te sich das Konzil und verurteilte „alle, die behaupten, die vernunft­
begabte Seele sei sterblich oder eine einzige in allen Menschen“
(DH 1440). Es fügte hinzu, daß diese Aussagen (im Gegensatz zu der
damals auch berufenen Theorie von der doppelten Wahrheit) nicht
einmal philosophisch vertreten werden können (DH 1441). Auch
wenn das Hauptgewicht dieser Erklärung auf der Individualität und
Unsterblichkeit der Einzelseele (die hier offenbar als ein natürliches
Gut der Seele angesehen ist) liegt, so ist sie doch nicht im Sinne
einer abstrakten Aussage über die Seelensubstanz allein zu deuten,
sondern in ihrer Heilsbedeutung für den ganzen Menschen zu verste­
hen.
3) Distanz und Öffnung zum modernen Denken
In der Neuzeit beschränkte sich die kirchliche Lehrverkündigung
darauf, die von der Lehrtradition erarbeiteten Grundsätze gegen ein­
zelne vom philosophischen Denken kommende Abweichungen in Er­
innerung zu rufen, so gegen A. Günther (+ 1863) und seine Auffas­
sung von einer Naturpsyche des Stoffes (DH 2828) und gegen
A. Rosmini (+ 1855) und seine Neigung zum Traduzianismus wie zur
Möglichkeit einer Wandlung der sinnlichen Seele in eine Vernunft­
seele (DH 3220ff.). Im Verfolg dieser Grundsätze kam es auch zur
Indizierung (1857) der Seelenlehre J. Frohschammers (+ 1893)37, in
welcher den Eltern bei der Zeugung eine sekundäre Schöpfermacht
bezüglich der Seele des Kindes zugebilligt wurde.
Sind diese A k tio n e n d u rch eine (b egrün dete) D istanz zu einer zu stark von
den W is se n sc h a fte n ab h ä n g ig e n T h eo lo g ie gek en n zeich n e t, so bew eist sch on die
S tellu n g n a h m e P i u s ’ XII. zur F rag e nach der L e g itim ität e v o lu tio n s th e o re tis c h e r

37 N i e d e r g e l e g t in d e m W erk : Ü b e r d en U r s p r u n g der m en sch lic h en Seelen.


R e c h t fe r t i g u n g des G e n e r a t i a n i s m u s , M ü n c h e n 1854.
F o rs c h u n g 38 eine gew isse Ö ffnu ng , die v om Z w e ite n V atik anisch en K onzil w e i­
tergeführt wurde. O b g le ich das Konzil die o n to lo g is c h e n F rag en ein e r th e o lo g i­
schen A n th ro p o lo g ie n ich t aufgriff, zog es aus ih nen die K o n se q u e n z e n für die
Stellung des M e n s c h e n in der S c h ö p fu n g und fü r seinen W eltauftrag. Der
P asto ralk o n stitu tio n ü b er „D ie K irch e in der Welt von h e u te “ („ G au d iu m et
S p es“ ) geht es vor allem um die „B eru fu n g des M e n s c h e n “ (E rster H aup tteil,
11), die in der „W ürde der m en s c h lic h e n P e r s o n “ , d.h. in der G o tte b e n b ild lic h -
keit grü nd et (12). „In L eib und Seele e in e r“ (14), v e rste h t sich der M en sch nicht
als b loß en Teil der N atu r o d er „als a no ny m es E le m e n t in der m en s c h lic h e n G e ­
sellsch aft“ , so nd ern tra n sz e n d ie rt diese O rd n u n g e n sowohl in seiner I n n e r lic h ­
keit wie in seiner T iefe (ebda.). D iese Tiefe ist der O rt des m e n s c h lic h e n G e w is ­
sens, w elches „die v erbo rgen e M itte und das H eilig tu m des M e n s c h e n “ ist, „wo
er allein ist mit Gott, dessen S tim m e in d ie sem seinem In ne ren zu h öre n is t“
(16). Er hört au f das ihm von G o tt ein g e s c h rie b e n e G esetz, so daß das G ew issen
nicht ein fach als a u to n o m ve rs ta n d en w erd en k ann, so n dern als th eo n o m
aufgefaßt w erden m uß. Das G esetz ist zw ar im M en sch en , aber n ich t von ihm. Im
Gewissen, wie in der V ernunft und in der F reiheit, liegen die K e n n z e ic h e n der
P erson w ürd e des M en s ch en , kraft d erer er be ru fen ist, „zur vollen und seligen
Vollendung in E in h eit m it G o tt“ zu g ela n g e n (17). A b er vo llends klärt sich das
G eheim n is des M en s ch en „nur im G e h e im n is des fle isc h g e w o rd en en W o rtes“
auf (22). Zu d iesem G e h e im n is g eh ört auch die „ g eg en se itig e A b h ä n g ig k e it von
m en sch lich er Person und m e n s c h lic h e r G e s e ll s c h a f t“ (25), die den M e n s ch en auf
die nicht gering zu ach te n de W eltau fgab e v erw e is t (33-40).

So bietet die Pastoralkonstitution den Grundriß einer auf die


Berufung und die Zielbestimmung des Menschen ausgerichteten
Anthropologie, welche die ontologischen Grundlagen einschluß­
weise mitführt. Bemerkenswert ist dabei die beiläufig erscheinende
Aufnahme des Seelenbegriffes (14). Den sich daraus ergebenden
Fehldeutungen in der nachkonziliaren Anthropologie versuchte das
Lehrschreiben der Kongregation für die Glaubenslehre vom Jahre
1979 zu begegnen. Es traf, durchaus im Wissen um den nicht ganz
eindeutigen Schriftbefund, die Feststellung, daß „die Kirche den
Ausdruck ‘Seele’, der durch den Gebrauch in der Heiligen Schrift
und in der Tradition sich fest eingebürgert hat“, beizubehalten
gewillt ist, und „daß es keinen stichhaltigen Grund dafür gibt, ihn
abzulehnen“39. Das ist zwar im Hinblick auf die eschatologische
Fragestellung und das Problem der anima separata gesagt, es hat aber
generelle anthropologische Bedeutung.

38 E n z y k l ik a „ H u m an i G e n e r i s “ v om 12. A u g u s t 1950.
39 Zu e i n i g e n F r a g e n d er E s c h a t o l o g i e : S c h r e i b e n d er Hl. K o n g r e g a t i o n fü r die
G laubenslehre vom 1 8 .7 .1 9 7 9 : P re ssed ien st des S ekretariats der D eutschen
B i s c h o f s k o n f e re n z 25/79.
III. Der W eseesbestand des M enschen
Der systematischen Theologie obliegt es, auf der Grundlage der
Offenbarungsaussagen und im Lichte der kirchlichen Lehrverkündi­
gung die grundlegenden Wahrheiten über die Wesenskonstitution des
Menschen zu erheben, weil sich aus ihnen die Besonderheit der
Menschenschöpfung ergibt, aber in ihnen auch die Voraussetzungen
für die Art der übernatürlichen Vollendung des Menschen gelegen
sind. Das geht allererst schon an der leib-geistigen Einheit des
Menschen auf.
1) Die Geistleiblichkeit des Menschen
Von den biblischen Zeugnissen her ist der Theologie und dem
christlichen Denken die Wahrheit von der geist-leiblichen Einheit
des Menschen unbezweifelbar. Gleichwohl gibt es bezüglich ihrer
Begründung und der Art und Weise ihres Bestehens weiterhin
Probleme. Sie ergeben sich schon im Hinblick auf die Interpretation
der einschlägigen biblischen Zeugnisse. So trifft es zu, daß dem bib­
lischen Denken weder die Scheidung von „Leib“ und „Seele“ noch
von „Fleisch“ und „Geist“ geläufig ist. Aber dieser Umstand erlaubt
nicht, der Bibel eine monistische und gar materialistische Einheits­
auffassung zu unterschieben und zu behaupten, daß „man hier durch­
aus von einer materialistischen Auffassung des Menschen spre­
chen“40 könne. Es ist nicht zu verkennen, daß schon das Alte Testa­
ment, dessen Anthropologie wie dessen Eschatologie theologisch
noch nicht voll entwickelt sind, vom Menschen schon differenzierter
denkt, wenn es „die sich ergänzenden und untrennbaren Begriffe von
Körper und Leben“ gebraucht41. Mit dem Begriff des Geistes (ruach)
aber erfaßt es das dem Menschen innerlichste Moment, das in der
höchsten Bedeutung als Quelle des geistigen Lebens angesehen
wird42. Trotzdem kennt das Alte Testament weder eine Dichotomie
noch eine Trichotomie der Wesenskonstitution des Menschen, wohl
aber verschiedene Aspekte und Relationen innerhalb des einen
Wesens. Diese finden in der unter griechischem Einfluß stehenden

40 So CI. W e s te rm a n n , S c h ö p f u n g , 111.
41 Vgl. T h W N T IX 629, P sy ch e (Jacob).
42 Vgl. J. B a u er (H rs g .), B i b e l t h e o l o g i s c h e s W ö r te rb u c h , 258 (R. Koch ).
W eisheitsliteratur eine deutlichere begriffliche Abhebung m it der
U nterscheidung von „Leib“ und „Seele“ (Koh 12,7; Weish 8,19f.;
9,15), die auch in das Neue Testament eingegangen ist (Mt 10,28;
1 Thess 5,23) und die Unterscheidung zwischen Sterblichem und
Unsterblichem bei sich hat.
D as p h ilo so p h isc h -th e o lo g isc h e D en k e n des C h ris ten tu m s ko nn te nich t u m ­
hin, diese D iffe re n z ie ru n g e n kla re r zu b e s tim m e n un d sie in ein b eg rü n d b ares
Verhältnis zu setzen. D azu diente die aus dem G rie c h e n tu m ü b e rn o m m e n e D o p ­
p elu n g von „ L e ib “ und „ S e e le “ , die zw ar (etw a in der a le x a n d rin iseh en Schule)
eine gew isse d u a listisch e F ärb un g a n n eh m e n k on nte , ab er n iem als ein en D u a lis ­
mus e n tg e g e n g e se tz te r P rin z ip ie n hervortrieb. D er vom P lato n is m u s b e stim m te
v e ra b s o lu tie rte G e g e n sa tz zw isc h e n G e ist und Leib, der zu ein e r rein a k z id e n ­
tellen A u ffa ssu ng des V erhältnisses b e id e r fü hrte (L eib als „K e rk e r“ o der „ G ra b “
o der auch als „K leid der S e e le “ ), v erb u n d e n m it d er A n e rk en n u n g der Seele als
d e r eig e n tlic h e n W irk lich k eit, k o n n te z w a r d er c h ristlic h e n A n th ro p o lo g ie
anfangs m a n c h e S puren au fdrück en. So k o n n te A u g u stin u s (+ 430) die Seele als
eine v e rn u n ftb eg ab te S ub stanz definieren m it d er B estim m u n g , den Leib zu
b e h e rr s c h e n 43 (ohne je zu ve rge sse n, daß auch der L eib aus G ottes S c h öp fu ng
stam m e und nicht als K erker der Seele gelte n kö nn e). Die E rh altu n g der E in heit
w ar h ier zw ar inten diert, aber doch nur als in stru m en tale o der fun ktio na le
erklärt.

In dieser Hinsicht gelangte das christliche Denken im M ittelalter


weiter, wenn es mit Thomas v. Aquin an die aristotelische Philoso­
phie anknüpfend, die Formel von der anima als „forma corporis“
gebrauchte und damit zu einer substantialen Einheit von Leib und
Seele kam und so auch den Leib als Konstituens des Menschseins
anerkannte, auch wenn die Konzeption des Menschen von der Seele
her weiter in Geltung blieb. Damit war der Leib aus der Stellung
eines Organs oder eines Instruments der Seele herausgehoben und zu
einem Wesenskonstitutiv des Menschen erklärt. Allerdings blieb die
Unterschiedenheit beider W esenskonstituentien erhalten durch die
eindeutige Trennungslinie, die zwischen Materie und Geist verlief.
Die eine geistige Seele wurde so auch als Seins- und Wirkprinzip des
Leibes angesehen. In dieser Konzeption erscheinen Leib und Seele
nicht als selbständige Wesenheiten, sondern als inkomplette Sub­
stanzen, die aufeinander angewiesen sind. Die menschliche Seele
bedarf des Leibes zu ihrer letzten Vervollkommnung und zur Aus-

43 De q u a n t i t a t e a n im a e 13,22: zu r P r o b l e m a t i s i e r u n g des S e e l e n b e g r i f f e s in der


M o d e r n e und dem B l e i b e n d e n an ih m vgl. G. H aeffn er, Vom U n z e r s t ö r b a r e n im M e n sch en :
S eele (h rsg. von W. B r e u n i n g ) 159-179.
Wirkung der in ihr angelegten Vermögen, während sie umgekehrt
dem Leib das menschliche Sein verleiht. So ist das Verhältnis von
Seele und Leib als das einer gestuften Dualität verstanden. Dieses
Verständnis hält an den Unterschieden fest, aber erkennt gerade in
der Andersheit der beiden Konstituentien das gegenseitige Angewie­
sensein aufeinander und ihre wesenhafte Einheit an.
Obgleich die Lehre, die auf Thomas v. Aquin basierte, von seiten
der augustinisch-franziskanischen Richtung manche subtilen Ein­
wände erfuhr, hat die Kirche sich in ihrer (oben aufgezeigten) Lehr­
verkündigung an ihre grundlegenden theologischen Elemente gehal­
ten, ohne sie in allen ihren philosophischen Ableitungen zu überneh­
men. Die Kirche erkannte ihr eine gewisse Ausgewogenheit zu, die
der menschlichen Erfahrung bezüglich der seinshaften und m orali­
schen Verfassung des Menschen weithin entspricht.
D er E n tw u rf des T h om as b ezü g lich der L eib -S e e le -E in h e it hat im a ll g e m e i­
nen in der m o d e rn e n T h e o lo g ie A n e rk e n n u n g gefunden. M an hat ih m so gar die
V orausnahm e der m o d e rn e n A n th ro p o z e n trik besch einig t. Bei n ä h e re m E in g e h e n
au f d iese po sitiv e B e u rte ilu n g zeigt sich je d o c h bald auch ein A b g eh en von der
th o m a sisc h e n G ru n d p o sitio n . So e rh e b t sich gegen T h o m a s w ied eru m der
D u alism u s v erd acht, d er in ein er W eise a u sg eräu m t w erden soll, die ihrerseits
d em an d e re n E x tre m , nä m lich dem G eistm o n ism u s , nah ek o m m t. Vom D eu tsch en
Id e alism u s b eeinfluß t, h ebt K. R a h n e r den U n tersc h ie d zw isc h e n M aterie und
G eist (ähn lich w ie T eilhard de C h ard in ) n ah ezu au f und v ersteh t das M aterie lle
nur als ein „M o m en t am G e ist und für (endlichen) G e is t“ oder, in b ild lich er
A u sd ru ck s w eise, als „eing e g ren zten , g ew isserm a ß en g efro re n e n G e is t“44, also
als einen A g g re g a tz u s ta n d des G eistes. M it dieser als T h o m ism u s au sg eg eb en en
Ü b e rtreib u n g v erliert ab er nicht nur die M aterie ihren k o n stitu tiv en C h a rak te r
fü r die g e s ch affen en D inge, so n d ern es büß t auch der G eist, der o ffen bar im m er
au f dieses M o m e n t d er E in sc h rä n k u n g an gew iesen ist, sein en e in zig a rtig en
S e in s c h a ra k te r ein. Die Folge ist, wie selb st zu geg eb en w ird, „eine h öc hst ‘m a t e ­
r i e l l e ’ In te rp re ta tio n des e n dliche n G e is te s “45.
Diese Konfundierung der Seinsbestände führt folgerichtig auch
in der Frage des Leib-Seele-Verhältnisses zu einer Aporie. Hier muß
das idealistische Denken notgedrungen zur Annahme einer
Leibartigkeit der Geistseele gelangen und von der Leiblichkeit
behaupten, daß sie die „Offenheit“ und das „Sich-in-Erscheinung-
Bringen des personalen Geistes in der Endlichkeit“ sei46. So kann

44 K. R a h ner, Das P ro b le m d er H o m i n i s a t i o n , 5 lf.


45 E b d a., 53.
46 E b d a., 54.
schließlich noch deutlicher gesagt werden: „Der Leib ist demnach
nichts anderes als die welthafte Selbstgegebenheit der Seele gleich­
sam in einem bestimmten Aggregatzustand“47. Damit ist das Verhält­
nis zwischen Leib und Seele nicht auf eine Einheit von zwei ver­
schiedenen, wenn auch aufgrund ihrer göttlichen Erschaffung einan­
der nicht fremden Seinsbeständen zurückgeführt, sondern monistisch
als eine Erscheinungsform der einzigen geistigen W irklichkeit
erklärt. Es handelt sich so auch nicht mehr um eine Vereinigung bei­
der, sondern nur um die Erscheinungsform eines einzigen Wirk­
lichen. Hier nähert sich die Theorie unter Verwendung nicht ganz
eindeutiger Begriffe dem alten Spiritualismus (etwa bei Berkeley,
+ 1753; Fichte, + 1814; Lotze, + 1881). Sie kann auch schwerlich mit
dem kirchlichen Dogma in Übereinstimmung gebracht werden. Auch
für die philosophische Betrachtung ist die Verschiedenheit von
Materie und Geist so evident, daß sie nicht als eines Wesens in ver­
schiedener Erscheinungsweise gedeutet werden können.
D ie dem s p iritu alistisch en M o n ism u s z u n e ig e n d e S eelen leh re, die zudem
noch ein m a te ria listisc h e s M o m e n t in ihr S y ste m einb ez ie ht, v erm ag dem a n d e ­
ren E x tre m in der m o d e rn e n A n th ro p o lo g ie n ich t zu b egegnen, das die Seele
g än zlich in die M ate rie zu rü c k n im m t oder sie in eine F u n ktion der M aterie bzw.
des G e hirn s verlegt. D iesem M a te ria lis m u s der P ro g r a m m ie rte c h n ik ist n e u e r­
dings von n a tu r w isse n s c h a ftlic h e r Seite selbst w id e rs p ro c h e n w orden. A u f der
B asis der von K. P o p p e r e n tw ick e lten T he o rie von den „drei W elten “ (ph ysisch e
Welt, B ew uß tsein , Welt d er E rz e u g n isse des G eistes) k o m m t J. Eccles zu der
auch ex perim en tell b e g rü n d e ten A u ffassun g, daß der se lb stb e w u ß te G eist zw ar
in e n g e r „ L ia is o n “ und in „ In te ra k tio n “ m it d er G ro ß h irn rin d e steht, daß ihm
aber ihr g e g e n ü b e r ein u n a b le itb a r e r Vorrang zu ko m m t: E r stellt eine „ u n a b h ä n ­
gige E in h e i t“ dar, der es obliegt, die H irn e r e ig n isse nach sein em eig en e n
In tere ss e auszu su ch en , die E in h eit aus der V ielfalt d iese r E re ig n isse a u fzu ba uen ,
sie zur b ew uß ten E rfah ru n g zu b ring en und sie auch aktiv zu m o d ifiz ie re n 48. H ier
e rfäh rt auch der B e g riff der P sy c h e eine R e h a b ilitie ru n g mit der e n ts c h ie d e n e n
K on se qu enz , w elch e auch für die „ U n s te r b lic h k e it“ der Seele offen ist, wie sich
in d er F rage zeigt: „G ibt es keine w eitere E x iste n z für den P ro g r a m m i e re r ? “49.
A u ch wenn hier das L e ib -S ee le-V erh ältn is n ic h t im m e ta p h y sisc h e n Sinne der
s u b s ta n tia le n E in h eit b e a n tw o rte t is t50 (w as m an von ein er e m p irisch en W is s e n ­

47 So J. B. M etz, H T h G II, 33.


48 K. R. P o p p e r - J. C. E c c le s, Das Ich u nd sein G e h ir n , 44 9 -4 5 2 .
49 J. C. E ccles - D. N. R o b in s o n , Das W u n d e r des M e n s c h s e i n s , 59.
50 Vgl. d azu J. S eifert, L eib und Seele, 325.
schaft nich t ew arten kann), so nd ern n ur eine neu artig e W ec h selw irk u n g sth eo rie
k o n z ip ie rt ist, so w id e rle g t sie doch den sp iritu alistisc h e n M o n ism u s , ohne sich
d er m e c h a n i s t i s c h e n K a u s a lt h e o r i e D e s c a r t e s ’ zu v e rs c h r e ib e n (o d e r den
s e lb stb e w u ß te n G eist zu lo k a lis ie re n 51).

Die dem Dogma entsprechende thomasische Lehre kann, durch­


aus über die statische Fassung der Zuordnung hinausgehend, die
Seinseinheit von Geistseele und Leib als dynamische wechselseitige
Begegnung der beiden Konstituentien begreifen. Danach genügt es
nicht zu sagen, daß die Seele die rein passiv gedachte stoffliche Sub­
stanz des Körpers informiert, so daß es zu einer Wesenseinheit von
Geist und Materie, von Geist und Körper kommt. Das Zusammen­
kommen von Geist und Materie ist, weil dynamisch zu verstehen,
differenzierter zu fassen. Die Geistseele formt nämlich den stoffli­
chen Körper zu einem Leib und gestaltet ihn zu einer lebendigen,
dem Geist gemäßen menschlichen Wirklichkeit. Das ist der Grund,
warum wir nur vom „menschlichen Leib“ sprechen, nicht aber vom
Tier- oder Pflanzenleib.
Im Leib schafft sich die Seele den ihr zugehörigen lebendigen
Ausdruck, spricht sich im Leibe wie in ihrem sinnenhaften und greif­
baren Wort aus, mit dessen Hilfe sich der ganze Mensch mit der
geschichtlichen, zwischenmenschlichen Wirklichkeit verbindet. Der
Leib ist so das Ausdrucksmedium der Geistseele, in ihrem Dienst ste­
hend, aber ihr zugleich auch zu ihrer ganzheitlichen Ausdrucks­
gestalt verhelfend. So ist der Leib Konprinzip jener Ganzheit, die in
der Person des Menschen zutage tritt52.
Der Leib, als Ausdrucksgeschehen der Geistseele in der Materia­
lität des Körpers verstanden, kann weder als Akzidenz der Geistseele
angesehen (was zum Dualismus führen müßte) noch als Aggregat der
Seele interpretiert werden (was ihn seiner Eigen Wirklichkeit berau­
ben und den gerade in seiner Andersheit gewollten Reichtum der
Schöpfung aufheben müßte). Als konstitutives Prinzip der Ganzheit
des Menschen verstanden, verwirklicht er eine Einheit mit der
Geistseele, die als Einheit von Verschiedenem bezeichnet werden

51 Z u r k r itis c h e n B e u rt e i l u n g vgl. J. L. R u iz de la Pena, Im a g e n de D ios, 114-149.


52 Es ist das Verdienst H. E. H e n g s t e n b e r g s , d iese G e d a n k e n e r stm a ls e n t w i c k e l t zu
haben: E v o lu t i o n und S c h ö p f u n g , 66-72.
muß. Gerade diese Verschiedenheit, die nach dem göttlichen Schöp­
ferwillen immer auch als Verwiesenheit aufeinander gedeutet werden
muß, vermag eine höhere und innigere Form der Einheit zu erstellen,
a l s sie die Einheit der Identität darbietet. Die „Dualität“ im „Kom­
positum Mensch“ ist aber nicht nur der Grund für eine innigere E in ­
heit, sondern zugleich auch Ausdruck des Reichtums der Schöpfung,
in der zwei Prinzipien angelegt sind, wogegen jede monistische
Lösung den Reichtum der Schöpfung und den Menschen als Zusam­
menfassung dieses Reichtums verfehlt.
2) ' Die Geistleiblichkeit als Person
Die Geistleiblichkeit des Menschen erklärt noch nicht seinen
höchsten ontologischen Status, den er als Person einnimmt, aber sie
ist dessen Voraussetzung. Das Bindeglied zwischen Leibgeistigkeit
und Personalität bietet die von Thomas zuerst erfaßte Substantialität
der Seele, kraft derer sie nicht nur Formprinzip, sondern zugleich
geistiges Selbstsein und Subsistenz ist. So ist der Mensch wesentlich
durch seinen Geist Person. Aber da dieser Geist oder die Geistseele
im Leib ihren Ausdruck findet, gehört auch der Leib zur menschli­
chen Person.
Von der Subsistenz des Geistes her hat man in der traditionellen
Theologie mit Boethius (+ 524) die Person als die Existenzweise
eines geistigen Einzelwesens verstanden, das, in sich selbst und für
sich selbst bestehend, eine unmitteilbare Ganzheit bildet53. Der
boethianischen Definition haftete der Mangel an, daß sie in ihrem
Beharren auf dem es-haften Substanzcharakter und dem Insein der
Person das relationale Moment des Mitseins, des Bezogenseins auf
ein Du und damit auch des Bezugs zum absoluten Du Gottes nicht
zum Ausdruck brachte, das im biblischen Grundbegriff der imago
Dei verankert ist. Verbindet man aber den philosophisch-metaphysi-
schen Personbegriff mit der biblischen imago-Wahrheit, dann ergibt
sich ein theologischer Personbegriff, der dem modernen personolo-
gischen Denken nahesteht. Auch dieses sucht Anhalt an der bibli­
schen Schöpfungswahrheit, wie das Wort F. Ebners (+ 1931) zeigt:

53 Das besag t die D efin ition : P e r s o n a est n a t u r a e ra t i o n a l is i n d iv id u a sub s tan tia: C o n tr a


E uty ch en et N es t o ri u m , c. 3 .
„Gott schuf den Menschen, das heißt nichts anderes als: Er sprach zu
ihm. Er sprach ihn schaffend zu ihm: Ich bin und durch mich bist Du.
Indem Gott so zu ihm sprach und durch das Wort in der Göttlichkeit
seines Ursprungs das Ich (es in seiner Bestimmung zum Du schaf­
fend) in ihn hineinlegte, wurde der Mensch seiner Existenz und sei­
nes Verhältnisses zu Gott sich bewußt“54. Dieses Wort läßt deutlich
werden, daß zwischen Gott, dem göttlichen Ich, und dem geschaffe­
nen Du eine Ursprungsbeziehung besteht, die bleibenden Charakter
besitzt. Ebenso erklärt es, daß das „Ichsein“ des Menschen eine ein­
zigartige Gabe ist, die von Gott in den Menschen, in seine Existenz
hineingelegt, ihm geschenkt ist, so daß man geradezu von einer „na­
türlichen G nade“ sprechen kann. Für das Verständnis von
Personalität ist das Verhältnis zwischen dem Selbstsein der Person
und ihrem In-Beziehung-Sein, ihrem Mitsein bedeutsam. Beide
Momente müssen in gleicher Weise Bestand haben und behalten. Das
„subsistierende“ Moment darf nicht zugunsten des relationalen auf­
gegeben werden, was auch umgekehrt gilt. Hier entsteht ein gewisser
Gegensatz zu bestimmten Formen personologischen Denkens55.
D as w ird vom „ d ia lo g is ch en P e rs o n a lis m u s “ in d ieser W eise n ich t fe s tg e h a l­
ten. Bei M. B u b e r (+ 1956) geht P erso n im re la tio n a le n B ezug au f u nd w ird
w e se n tlich zur W ech selw irk u n g eines M itein and er, was auch ein s c h n e id e n d e
F o lg en für das G o tt-M en sch -V erh ältn is hat, das n ic h t m e h r als A b h ä n g ig k e it
erk lä rt w erd en kann. So w ird und entsteh t die Perso n, das Ich, vom Du her; es
e rw a c h t so zusa gen erst am Du. P erso n w ird d ann au ssc h lie ß lic h aus dem P rinzip
der W ec h selse itig k e it e rk lärt und v erliert das o n to lo g is c h e In -sich -S ein . „Ich
w e rd e am Du; Ich w e rd e n d , sp re c h e ich Du. A lles w irk lic h e L eb en ist
B e w e g u n g “ 56.
D araus ergibt sich als F o lge der A k tu a lism u s, nach dem P erson n ur in der
B eg eg n u n g zw ischen Ich und Du gesch ieh t, so daß sie n ichts W esen ha ftes ist,
von ih rer N atu r nich t b e stim m t und beg ren zt wird. Es b e d e u te t dies die P re isg a b e
des S ein s ch arak ters der P erson , die fo lg e ric h tig g edacht, au ß erh alb d er B e g e g ­
nu ng, des D ialog s, nicht existiert. Das ist e ig e n tlich ein R üc kfa ll un ter dem
E in flu ß m o d e rn e n e x is te n tie lle n D enk ens h in te r die P erso n a lität, w ie er ä h nlich
von der G e g en se ite im Id ealism u s g esch ieh t, der P erso n mit B e w u ß tse in g le ic h ­
setzt.
Die richtige Abmessung zwischen dem Selbstand und dem In-
Beziehung-Stehen, zwischen dem Selbstsein und dem Mitsein der

54 Das W ort und die g e is tig e n R e a litä te n , 39.


55 Vgl. dazu L. S ch e f fc z y k , D e r M e n s c h als P erso n un d G o t te s b ild , 193- 197.
56 M. Bub e r, Ich und Du, 18f.
Person, ist genauso wichtig für das Gottverhältnis der Person, des
Gottebenbildes, wie für das Verhältnis zum Mitmenschen oder zum
Du. Sie bestimmt die Vertikale der Verbindung zu Gott wie die Hori­
zontale der Verbindung zum M itmenschen und zur Gemeinschaft.
Wenn man nämlich im Verhältnis der Person oder des Ebenbildes zu
Gott nur die Beziehung anerkennt, nicht aber den menschlichen
Selbstand in einer geistigen mit dem Leib verbundenen Natur, dann
entwirklicht man den Menschen und macht ihn zu einem Moment am
göttlichen Leben und Handeln. Das tritt etwa in der Aussage zutage:
„Die Person ist das Angeredetwerden durch Gott“57. Das Personsein
des Menschen würde dann im Denken Gottes an eine bestimmte
Kreatur bestehen und in nichts, was sie an sich selbst ist und hat. Ein
solcher Personalismus geht ins Extrem und hebt die Person auf.
Das hat auch Folgen für das horizontale Verhältnis von Selbstsein
und Mitsein der Person. Wenn dieses nach der Seite des Relationa­
len, der Beziehung zum Du - oder zum erweiterten Du der Gemein­
schaft - überzogen wird, verliert das Ich seinen Selbstand und wird
zu einer Funktion in einem Prozeß, der zwischen zweien oder zwi­
schen vielen statthat. Es existiert auch nicht ohne diesen Prozeß, eine
Annahme, die sich auch in konkrete Lebensbereiche hin auswirkt,
etwa in der Frage, wann der Mensch Person wird. Deshalb ist das
Relationale der Person nicht ohne das ontologische In-sich-Sein zu
verstehen.
D iese G ed an k en , die zu letzt im von der S c h ö p fu n g ge setzte n G o tt-M en sch -
V erhältnis b e g rü n d e t sind, b e sitze n ab e r auch eine E rk lä r u n g sk ra f t für ein tie fe ­
res V erstehen des in n e rg ö ttlic h e n P e rs o n g e h e im n is s e s selbst. Da n äm lich das
V erhältnis G ottes zum M e n s c h e n das U rb ild der Ic h -D u -B e z ie h u n g da rstellt, da
G ott aber nicht in d ieser B ezie h u n g zu eine m G e s c h ö p f au fg e h e n kann, muß die
seinem Wesen eig en tü m lic h e P e rs o n a litä t in ne rg öttlich v e rs ta n d en w erden, d.h.
sich in in n e rg ö ttlic h e n p ers o n a le n R e la tio n e n v ollziehen , im Ic h -D u -W ir der
göttlich en P erson en . H at m an dies a n e rk an n t, dann läßt sich ein A bb ild dieser
ein zig artig en tr in itarisch en P e rs o n a litä t auch im m e n s c h lic h -p e rs o n a le n B ereich
erk ennen: Das M itsein zw isc h e n Ich u nd Du w ird zur v o llk o m m e n e n C om m u nio ,
zum Wir der G e m e in s c h a ft, in der K raft der die Z w e isa m k e it v olle n d en d en
Liebe.

57 H. T h ie lick e , T h e o l o g is c h e E th ik I, § 813; vgl. auch das o b en § 12, 111,2 ü b er die


i m ag o Dei G esag te.
3) Die geschlechtliche Bipolarität als Ausprägung des
einen menschlichen Wesens
Zur schöpfungsgemäßen Struktur des Menschen gehören auch
die geschlechtliche Differenzierung und Bipolarität. Die Aussage
„als Mann und Weib erschuf er sie“ (Gen 1,27) und die recht anthro-
pomorph gehaltene Darstellung der Erschaffung der Frau (Gen 2,21-
24) zur „Gehilfin“ (Gen 2,18) des Mannes wollen die Wahrheit zum
Ausdruck bringen, daß der Mensch als Geschlechtswesen in die
Schöpfung hineingestellt ist. Wie der Nachklang dieses Berichtes an
anderen Stellen der Schrift zeigt (Sir 17,5; 1 Kor 11,8; Eph 5,21ff.),
erkannte das biblische Denken hier ein Grunddatum des von der
O ffenbarung verbürgten M enschenverständnisses (vgl. oben
§ 3, II, 4; 5).
Die systematische Theologie kann sich weiter um die Erhellung
des Sinnes der Zweigeschlechtlichkeit bemühen, der im Grunde des
Menschseins angelegt ist, näherhin in seiner Bestimmung zu Ge­
meinschaft.
Der jahwistische Bericht gibt den Grund für die Notwendigkeit
der Erschaffung einer menschlichen Gehilfin des Mannes mit dem
Wort an: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei“ (Gen 2,18). Der
Mensch sollte also kein einsames Wesen bleiben, er sollte vielmehr
als „zweisames Wesen“58 existieren. Der tiefere Grund dafür, warum
Gott den Menschen in dieser Weise als „zweisames Wesen“ gewollt
hat, kann nur darin gelegen sein, daß der Mensch zum personalen
Mitsein bestimmt ist, das in voller Yerwirklichungsform nicht
„Selbstliebe“ sein kann, sondern Hingabe und Liebe zum anderen
sein muß.
Freilich muß auch bedacht werden, daß die grundlegende
Gemeinschaft, Korrespondenz und Liebe, zu der der Mensch we­
sensmäßig bestimmt ist, die Liebe zu Gott und die Gemeinschaft mit
ihm ist. Diese Gemeinschaft und Liebe vollziehen sich gleichsam in
vertikaler Richtung, von unten nach oben, von der Welt zu Gott59. Es
kann nun aber als höchst sinnvoll ausgewiesen werden, daß Gott für

58 E. B ru nn er, D o g m a t i k II, 76.


59 Vgl. L. S c h e f fc z y k , Die Welt als S c h ö p f u n g G ottes, 145-148.
diese letztlich entscheidende R ichtung der m enschlichen Liebe und
„Ich-Du-Beziehung“ auch ein G leichnis und ein reales, w irklich­
keitserfülltes Zeichen in der horizontalen Ebene der W elt schuf,
näm lich in der ehelichen G em einschaft von M ann und Frau60. Wenn
das freilich ein echtes, wirklichkeitserfülltes Zeichen sein sollte,
m ußte es den ganzen M enschen, seine G eistleiblichkeit betreffen und
eine G em einschaft im G eistigen wie im L eiblichen werden, die ihre
Voraussetzung in der ganzheitlichen geschlechtlichen D ifferenzie­
rung hat.
Wenn näm lich der Leib Wesensausdruck des Geistes oder Wort
des G eistes ist, G eist aber zuhöchst Personalität bedeutet, so ist die
D ifferenzierung im Leiblichen oder die B ipolarität des G eschlecht­
lichen eine spezifische Form personalen A ustausches, personaler
L iebe und p e rso n a ler F ru ch tb ark eit im irdisch-geschöpflichen
Bereich. Die Differenzierung in diese Zweiheit und ihre Einigung in
der „Zweisamkeit“ erbringt, wie jede Differenz und ihre Harmo­
nisierung, eine Steigerung des betreffenden Wertes, d.h. der zweige­
schlechtlichen Interpersonalität. So kommt ihr in der geschöpflichen
Welt ein ganz eigentümlicher Wert zu. Er ist freilich umfassender als
Sexualität, die nur das materielle Moment einer personal verstande­
nen Zweigeschlechtlichkeit darstellt.
So ist z.B. für die positive Bedeutung dieser Polarität schon die
biologische Tatsache bedeutsam und weiterführend, daß allein durch
die geschlechtliche Vererbung, die zunächst eine Zusammenführung,
danach eine Reduzierung und eine Vermischung des Chromosomen­
satzes bringt, die höhere Variationsfähigkeit und der Reichtum der
individuellen Gestaltungen hervorgebracht werden kann. Die unge­
wöhnliche Vielfalt von G en-Kom binationen ist nur durch die
geschlechtliche Vererbung zu erreichen61.

60 Von der E x e g e se w ird z w ar g e l e g e n t l i c h ges ag t, daß in G en 2 ,2 4 an die E h e n ich t


g e d a c h t sei: CI. W e s te rm a n n , S c h ö p f u n g , 12 3 f .; d ers., G e n e s i s I, 318. A b e r der Be zug zu r
E h e ist l e g itim ie rt d u r ch das W ort Je su M t 19,5. A n d ie s e r S telle w ird d e u tlic h , daß eine
F e s t s t e l l u n g der h is t o r i s c h - k r i ti s c h e n E x e g e se in e in e r h e i l s g e s c h i c h t l i c h e n P er sp ek tiv e
ein e h ö h e r e B e d e u t u n g g e w i n n e n kann.
61 N. B ischo f, D e r b io l o g i s c h e S inn d er Z w e i g e s c h l e c h tl i c h k e it , 39; vgl. zum F o lg en d en
L. S c h e f fc z y k , Die g e s c h l e c h t l i c h e B i p o la r itä t im L ic h te th e o l o g i s c h e r A n th r o p o lo g ie ,
a.a.O ., 373 -39 7 .
F re ilich ist die S in n b e s tim m u n g d er P o laritä t allein von der B io lo g ie her
nic h t zu le is te n 62. H ier geht eine p h ä n o m e n o lo g is c h e A n th ro p o lo g ie w eiter und
ist um den A u fw eis der P o larität der G e sc h le c h te r b em ü h t, die fre ilich n ic h t
ohne H e ra u sste llu n g der D ifferen zen e rk a n n t w e rd en k a n n 63. D e m e n ts p re c h e n d
eig net Ph. L e rsch dem M an n die aus sich h e ra u s tre te n d e A g ilität zu, der F rau die
in sich ru h e n d e „ P a th ik “ o der E m p fä n g lic h k e it, R ez ep tiv ität, P assivität. D e r
M ann v e rk ö rp e rt so das P rinzip d er E x zen trizität, die F rau das der Z e n tra litä t64.
A. Vetter sieh t im M an n die Sp an n u n g zw ischen G eist und W illen an gelegt, in
der F rau die so g en an n te „ M itte n h a ftig k e it“ b e id e r P o ten zen , d.h. das „ In t e ­
g r ie rts e in “ b eid er vor allem in d en K räften des G e m ü te s 61. In eine andere, w en n
auch n ic h t gän zlich v ers ch ied en e R ich tu n g w eist C. G. Jung m it seiner D if ­
fe re n z ie ru n g von an im u s und a n im a als p sy c h isc h e r G anz heitsS truk tur des
M e n s ch en , die auch das G eg e n g e sc h le c h tlic h e in sich trägt. D ie be id e n G e ­
s c h lech ter sind d em n ac h schon in sich selbst po lar b e stim m t, ihre V erbindung
erb rin g t eine V ervo llständ ig un g des Ind iv id u u m s, das sich so einem V o llko m ­
m e n e n a n n ä h e r t 66. F ü r E. F in k ist die F ra u bis in die W e s e n s tie fe v on
M ü tte rlic h k e it g ep räg t und Typus der h ü ten d e n K räfte des D aseins, w äh ren d der
M an n m e h r das P rin zip der n ach außen g e w en dete n A k tion v e rw ir k lic h t67.

So sehr diese polaren Bestim m ungen auch m enschlicher


Erkenntnis und Erfahrung entsprechen (so daß sie in den
Naturreligionen ins Kosmische und Sakrale gesteigert werden kön­
nen68), so fehlt ihnen doch eine letzte Treffsicherheit und Exaktheit,
was oft Anlaß zur gänzlichen Ablehnung des Polaritätsmodells
wird69. Dabei wird freilich zu wenig bedacht, daß die genannten
Unterschiede nur idealtypische Bedeutung haben, nicht aber in sich
abgeschlossene und konkrete Existenzformen meinen70. Das ihnen

62 D e s h a l b n i ö c h t e J. Illies", T h e o l o g ie der S ex u alität, 45, die Z w e i g e s c h l e c h tl i c h k e it „als


farb ig es B a n n e r des li e b e n d e n Ü b e r f l u s s e s “ v erstehen.
63 Vgl. L. S ch e f fc z y k , a.a.O., 374ff.
64 Ph. L ers ch , Vom W esen d er G e s c h le c h te r , 125.
65 A. Vetter, N atu r un d P erso n , 3 16f.
66 C. G. Ju ng , M y s t e r i u m C o n j u n c t i o n i s II, 192.
67 E. F in k, G r u n d p h ä n o m e n e des m e n s c h l ic h e n D as ein s, 331.
68 A m h ä r t e s t e n k o m m t die E n tw e r t u n g des G e s c h l e c h t l i c h e n bei S im o n e de B e a u v o i r
zu m A u s d ru c k : „M a n k o m m t n ic h t als F ra u zu r Welt, m a n w ird es. Kein b i o l o g i s c h e s , p h y ­
s i s c h e s , w i r t s c h a f t l i c h e s S c h i c k s a l b e s t i m m t die G e s t a l t , d ie das w e i b l i c h e
M e n s c h e n w e s e n im S ch o ß der G e s e l l s c h a f t a n n im m t ‘. D as a n dere G e s c h le c h t, 285, zur
A u s e i n a n d e r s e t z u n g m it d e m F e m i n i s m u s vgl. A. Z ie g e n a u s, Das P ro b l e m d er g e s c h l e c h t s ­
s p e z i fi s c h e n G o t t e s a u s s a g e n , a.a.O ., 3 23 -34 6 .
69 D ies e sc h ö p f u n g s g e m ä ß e W ertun g der G e s c h l e c h t s p o l a r i t ä t k a n n n ic h t als A r g u m e n t
g eg en den ev a n g e l i s c h e n Rat d er J u n g f r ä u l i c h k e i t od er g eg en den Z ö lib a t v e r w e n d e t w e r ­
den; d en n der V erzicht a u f dies e E rg ä n z u n g „um des H i m m e l r e ic h e s w i l l e n “ ist d e r neue
W ert e in e r d ir e k te re n u n d u n m i t t e l b a re re n G o ttb e z ie h u n g .
70 Vgl. K. L e h m a n n , G l a u b e n b e z e u g e n - G e s e l l s c h a f t ges talte n , 8 7 ff.
zugrunde liegende Gemein-Menschliche wird das Idealtypische häu­
fig überdecken und die polaren Merkmale auch vermischt erscheinen
lassen. Dennoch können die aufeinander bezogenen Unterschieden-
heiten als erkennbare bleibende Dispositionen nicht geleugnet wer­
den, auch wenn bei ihrer Darstellung manche geschichtlichen und
soziologischen Bedingtheiten eine Rolle spielen mögen. Würden
diese unterschiedlichen Determinanten des Geschlechtlichen gänz­
lich aufgegeben, dann käm e eine Gleichheit zustande, bei der man
den Sinn des Geschlechtlichen preisgeben oder es in gnostischer
Weise als etwas Minderwertiges verfemen müßte. In Wirklichkeit
weist eine tiefe menschliche Erfahrung dahin, die Geschlechtsdiffe­
renz in ihrer schöpfungsmäßigen Güte als eine M öglichkeit zur Er­
gänzung und zur Erfüllung des Menschseins in einem qualifizierten
Mitsein anzuerkennen mit einschneidenden Konsequenzen für das
gesamte Geistesleben und die Kultur der Menschheit.
Auf dem Grunde der schöpfungsgemäßen Werthaftigkeit der auf
Spannung und Harmonie ausgerichteten Geschlechtsdifferenz ge­
winnt diese Polarität auch ihren geheimnishaften theologischen Sinn.
Er kann nicht, wie in den Mythen der Naturreligionen, in das G ött­
liche selbst hineinverlegt werden. Er kann aber wohl zum Zeichen
und Sakrament für die heilsgeschichtliche Verbindung Gottes (in
Jesus Christus) mit der M enschheit genommen werden. Sie gewinnt
ihren höchsten Sinn in der Abbildung des Verhältnisses Gottes zu der
Menschheit, das schon im Alten Testament als Jahwe-Ehe (Ez 16),
im Neuen Testament als Vereinigung Christi mit der Kirche darge­
stellt wird (Eph 5,21-32), die sich in der sakramentalen Ehe aus­
wirkt. Immer stellt dabei die Menschheit die Frau, die Gemahlin oder
die Braut dar, die als „Partnerin“ in einem einzigartigen Bund der
Liebe erhoben wird.
4) Der Ursprung des Menschen
Die unter den verschiedensten Aspekten betrachtete Sonderstel­
lung des Menschen in der Schöpfung lenkt den Blick noch einmal
und schärfer auf den Ursprung des Menschen, der bisher nur allge­
mein unter dem Blickwinkel der „peculiaris creatio“ erörtert wurde.
Es stellt sich hier von der Evolutionslehre her die Frage, wie das
Entstehen der ersten Menschen zu denken ist und ob diesbezüglich
von einer Abstammung vom Tier gesprochen werden kann. Seit Ch.
Darwin (+ 1882) und E. Haeckel (+ 1919) hat sich die Auffassung
erhalten, daß der Mensch der aufsteigenden Tierreihe entstammt,
auch wenn es in ihr einen diskontinuierlichen „Sprung“ gegeben
haben mag, so daß eindeutige Zwischenglieder fehlen und die
„Vorfahren“ des Menschen nicht in den heutigen Menschenaffen zu
suchen sind, sondern in einer anderen ausgestorbenen Vorform.
Inzwischen wird aber auch von seiten der Naturforschung gefragt, ob
die Hominisation (ähnlich wie der Urakt der Schöpfung und die
Entstehung des Lebens) „nicht etwas ganz und gar Neues bedeutet
und keineswegs das einfache, unproblematische Weiterentwickeln
bereits vorhandener Konstellationen“71 ist. Danach wird die Entste­
hung des Menschen (homo sapiens) aus einem (vielleicht) im Plei­
stozän (etwa vor über 120 000 Jahren) geschehenen „Evolutions­
schub“ erklärt. Aber es wird auch gesagt, daß zwischen den „Men­
schenaffen“ und dem Menschen eine „ungeheure Kluft“ besteht, die
sich vor allem in der Sprache auftut72.
Die Theologie ist berechtigt, unter Verwertung konvergierender
naturwissenschaftlicher Aussagen73 zu erklären: Die Entstehung
eines neuen Wesens mit dem neuen Gestaltungsfaktor der höheren
Art, mit Geistleiblichkeit und Personalität und mit Responsorialität
zu Gott und zum Menschen hin ist nicht ohne einen göttlichen
Schöpfungsakt zu denken. Die N aturw issenschaft kann diesen
Erklärungsschritt nicht mitgehen, sie kann ihn aber auch nicht ver­
bieten; sie wird Offenheit dafür bezeigen, daß die Theologie diesen
Schritt tut.
Diese Grundsätze bestimmen auch die Antwort auf die Frage
nach dem Entstehen des Einzelmenschen bei der elterlichen Zeu­
gung. Auch wenn in der Theologiegeschichte unter der Autorität des
Augustinus (+ 430) ein gewisses Schwanken bezüglich des
Kreatianismus (der unmittelbaren Erschaffung der Einzelseelen aus

71 P. L ü th , D er M e n s c h ist k e in Z u fa ll, 160.


72 E bd a., 184.
73 H ier ist vor allem die von B. V ollm ert e n tw ic k e lte T h ese, „daß D N S - K e t t e n m o l e k ü l e
m it c o o p e r a tiv e r G e n s e q u e n z nich t zu f ä llig - von se lbst e n ts te h e n k ö n n e n “ zu beachten:
D ie F ra g e d er E n ts t e h u n g der L e b e w e s e n in n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e r Sicht: R. B ä u m e r -
A. v. S t o c k h a u s e n (H rs g .), 56.
dem Nichts durch Gott) festzustellen ist und sich diese Lehre erst mit
Thomas v. Aquin durchsetzte, hat die Kirche sie durch Ablehnung
des Generatianismus oder Traduzianismus (die elterliche Seelenzeu­
gung) doch so favorisiert, daß sie als sichere theologische Wahrheit
ausgegeben werden kann (vgl. die oben angeführten Stellungnahmen
Benedikts XII.: DH 1007; Leos X III.: DH 3220f.). Die theologische
Begründung durch Thomas v. Aquin hat noch immer Bestand, in der
gesagt wird: „Da die Seele ein unstoffliches Selbstandwesen ist,
kann sie nicht durch Zeugung verursacht werden, sondern nur durch
Schöpfung“74. Sonst könnte sie nicht ein für sich bestehendes
Selbstandwesen sein.
T ro tzd e m kann die Lehre des A q u in a te n b e z ü g lic h der e lte rlic h e n Z eug un g
e rg ä n z t w erden. Es ist zu sagen, daß die z e u g en d e A ktiv ität der E lte rn und das
von ihnen s tam m e n d e b io lo g isc h e M ateria l, das au f die P e rs o n w e rd u n g h i n g e ­
o rd n et ist, vom S c h ö p fe r m itb e a n s p ru c h t w erden. A ber zug leich w ird die L e ib ­
m aterie im sch ö p feris c h e n A k t durch den Z u flu ß n eu en Seins zu ein er neuen
E in h e it und G an zheit, zum p e rs o n a le n S elb s tsein e rho ben und um gep räg t. So
sind die E ltern mit all ihren g esc h ö p flic h e n F äh ig k e ite n am E n tsteh en des neuen
M en s ch en m itb eteilig t und w erden E ltern des g an zen K indes, ohne je d o c h die
neu e n ts teh en d e Person zu ve rursa che n; denn th e o lo g is c h -p e rs o n o lo g is c h b e ­
trach tet, ist P ers o n w e rd u n g ein R u fg e sc h e h e n , das G ott an ein G eistw es en e rg e ­
hen läßt. Es han delt sich um die S etzun g e in e r s c h ö p feris ch en R elatio n, die nich t
„von u n te n “ , d.h. vom M en sc h e n gesetzt w erd e n kann.

D ieser geheim nishafte Vorgang ist auch nicht durch eine


„Selbstüberbietung“ der Eltern vermittels der „ermöglichenden Kraft
Gottes, die ihrem Wirken innerlich ist“75 zu erklären; denn zunächst
erklärt der Begriff der „Selbstüberbietung“ immer nur einen Vorgang
am eigenen Selbst, nicht aber das Entstehen eines neuen Wesens und
eines neuen Selbst. Zum anderen kann die für das Geschehen der
Personwerdung notwendige Schöpferkraft nicht als Potenz den
Eltern zugewiesen werden, was die Vermischung geschöpflichen und
göttlichen Seins bedeuten würde. In dieser Theorie wird das
entstehen der Person in das allgemeine Werden hineingezogen, was
nicht der Unmittelbarkeit der Person zum Schöpfer entspricht76.

74 S.th. I q. 118 a.2.


75 K. R a h n er, Das P ro b le m der H o m in isa tio n , 8 2 ff.
76 Die a u s fü h r l i c h e r e B e g rü n d u n g bei R. L ü ls d o r ff , C r e a tio sp e c i a l i s s im a h om in is. Die
W ir k w e is e G o ttes b eim U r s p r u n g des e i n z e l n e n M e n s c h e n , 3 26 -3 44 .
Der Vorwurf, daß damit Gott mirakelhaft in das Weltgeschehen
eingreife, ist nicht zutreffend, wenn man bedenkt, daß Gott in der
creatio continua der Schöpfung innerlichst gegenwärtig ist und daß
es überhaupt keines „Eingriffes“ bedarf, sondern nur einer Appli­
kation seiner überzeitlich und überräumlich ständig gegenwärtigen
Schöpferkraft auf einen Raum-Zeit-Punkt.

§ 14:

Die Schöpfung als Auftrag des Menschen


L iteratu r: B. Jaco b, Das erste B uch der Tora. G en esis ü b e rs e tz t und erklärt,
B erlin 1934; N. B erdjajew , D er M en s c h und die Technik, B erlin 1949; J. K rüger,
D as W eltb ild der N a tu rw is se n sc h a fte n im W andel der Z eiten, P ad e rb o rn 1953;
W. K ran z, K osm os, B on n 1958; M. D. C henu, D ie A rb eit und der gö ttlic he
K osm os, M ain z 1959; A. G ehlen, D er M ensch . Seine N atu r und seine S tellu ng in
der Welt, B onn 71962; J. H öffner, D er techn isch e F o rtsch ritt und das Heil des
M e n s c h e n , in: L e b e n d ig e s Z e u g n is , J u n i 1963, 3 0 -5 0 ; K. L ö w i th , D as
V erhängnis des Fortsch ritts: D ie Idee des F ortschritts (hrsg. von E. B urck),
M ü n c h e n 1963; P. O v e rh a g e , E x p e r im e n t M en s c h h e it. D ie S te u e r u n g der
m e n s c h lic h e n E v olu tio n, F ra n k fu rt a.M. 1967; G. Altner, Z w isc h e n N atu r und
M e n s c h e n g e sc h ic h te . P ers p ek tiv en für eine neue S c h ö p fu n g s th e o lo g ie , M ü n ch en
1975; ders. (H rsg.), Ö k o lo g is c h e T h eolo gie. P e rs p ek tiv en zur O rien tieru ng ,
S tuttgart 1989; Gl. W esterm an n, G en esis 1/1 (B ib lisch er K om m entar. A ltes
T e stam ent), N e u k irc h e n 21976; A. G anoczy, D er sch ö p fe ris c h e M en sch und die
S c hö pfun g, M ainz 1976; G. S ie gm u nd , Die Welt als S p ur G o ttes, B u x h eim
21980; L. S ch effczy k, D er c h ristlich e S ch ö p fu n g s g lau b e und das P ro b lem der
T echnik, in: C h ristlic hes A BC. H eute und M orgen, H. 5 (1 982) 17-31; D ers., Vox
C hristi ad P atrem - Vox E cc lesiae ad C h ristu m . C h ris to lo g isc h e H in te rg rü n d e der
b e id e n G ru n d ty p e n c h ristlic h e n P s a lm e n b e te n s un d ihre sp iritu e lle n K o n ­
seq uen zen: L itu rgie und D ich tu n g II (Festschr. f. W. Dürig, hrsg. von H. B ecker
und R. K ac zy n sk i), S t.O ttilien 1983; D ers., E in fü h ru n g in die S ch ö p fu n g s leh re,
D a rm s ta d t 31987; D ers., Die h eile S c h öp fu ng und das Seu fzen der Kreatur,
W eilh eim B ie rb ro n n e n 1992; J. B ern h art, D ie u n b ew ein te Kreatur. R eflex io n en
über das T ier (neu hrsg. von G. Sc hw a iger), W eißenborn 21987; H. K essler, Das
S tö h n e n d er N atu r, D ü s s e l d o r f 1990; H. D. P re u ß , T h e o lo g i e des A lte n
T e s ta m e n ts II, S tu t tg a r t 1992; J.-C . W olf, T ie r e th ik , F re ib u rg 1992; A.
Z ie gen au s, Ist das C h ris ten tu m sch uld an der U m w e ltz e rstö ru n g ? : A. R a u sc h e r
(H rsg.), D ie g e s e llsc h a ftlich e V erantw o rtu ng der K irche (T h eo lo g ie in te rd is z i­
plinär, 8), D o n au w ö rth 1992, 2 0 5-23 1; Fr. Courth, G ott - M en sch - Welt. Was
sagt c h ristlic h e r S c h ö p fu n g s g la u b e ? L eitfad en zur S ch ö p fu n g s le h re, St. O ttilien
1996.

Die Sonderstellung des Menschen in der Schöpfung betrifft nach


den biblischen Schöpfungsberichten zuerst sein Verhältnis zu Gott,
das in dem Begriff der Gottebenbildlichkeit einen theologisch hoch­
qualifizierten Ausdruck gewinnt. Aber es ist beachtenswert, daß im
priesterschriftlichen Schöpfungsbericht die Bestim m ung des
Menschen zum Ebenbild Gottes eng mit seiner Einweisung in eine
H errschaftsstellung über die Schöpfung verbunden ist (vgl.
Gen 1,26a und 1,26b). Unabhängig von der exegetischen Frage, ob
die Herrschaftsstellung des Menschen über die Welt zum Wesen sei­
ner Gottebenbildlichkeit gehört1, ergibt sich doch aus dem Zusam­
menhang beider Gedanken (der wohl nicht nur als ein äußerlicher zu
verstehen ist), daß die H errscherstellung als Funktion des
„Imago-Dei-Seins“ des Menschen anzusehen ist.
Die Verbindung beider Momente ergibt sich schon aus der Eigen­
art orientalischen Denkens. Hierzu lautet die Auskunft der Exegese:
„So, wie auch irdische Großkönige in Provinzen des Reiches, in
denen sie nicht persönlich aus- und eingehen, ein Bildnis ihrer selbst
als Wahrzeichen ihres Herrschaftsanspruchs aufstellen - so ist der
Mensch in seiner Gottebenbildlichkeit auf die Erde gestellt als das
Hoheitszeichen Gottes. Er ist recht eigentlich der Mandatar Gottes,
dazu aufgerufen, Gottes Herrschaftsanspruch auf Erden zu wahren
und durchzusetzen“2.

I. Der Mensch als G ottes Mandatar in der Beherrschung


der Welt
1) Überhobenheit in Verantwortung
Freilich tritt hier auch ein beachtlicher Unterschied zwischen
dem biblisch-christlichen Schöpfungsdenken und der antik-mythi­
schen Vorstellung in Erscheinung, der eine Bedeutung für die Auf­
fassung des Supremats des Menschen über die Schöpfung besitzt3. In
den Schöpfungsmythen der alten Welt werden der Sinn und das Ziel
der Entstehung des Menschen nicht selten darin gesehen, daß der
Mensch „das Joch der Götter tragen“ solle, damit er auf diese Weise
die niederen Götter entlaste und in ihren Dienst trete4.

1 N a c h G. v. Rad, Das erste B u c h M o s e, 46, g e h ö r t die H e r r s c h a f t s b e a u f t r a g u n g n icht


in d ie D e f i n i t i o n d e r G o t t e b e n b i l d l i c h k e i t h i n e i n ; e b e n s o : T h e o l o g i e d es A l t e n
T estam en ts I, 150.
2 G. v. Rad, Das erste B u c h Mose, 46.
3 Vgl. zu m F o l g e n d e n L. S ch e f fc z y k , E in f ü h r u n g in die S c h ö p f u n g s l e h r e , 1 I2ff.
4 So CI. W es term an n , G e n e s is, 219.
Ganz anders dagegen ist im priesterschriftlichen B ericht (ähnlich
wie im jahwistischen) der Weltauftrag des Menschen (abgesehen von
der überw undenen polytheistischen A usrichtung) nicht auf ein B e­
dürfnis G ottes zurückgeführt, sondern als auszeichnende Berufung
des Menschen durch Gott verstanden, die jenen unmittelbar auf den
Dienst für die Welt verweist. Das ist deshalb bemerkenswert, weil
der priesterschriftliche Bericht von kultisch-priesterlichen Traditio­
nen nicht unbeeinflußt ist, in denen die kultische Abzweckung allen
menschlichen Tuns eine große Rolle spielt. Eine solche Zielbestim­
mung der Weltstellung des Menschen ist hier aber nicht getroffen, so
daß der Weltauftrag des Menschen eine eigenständige Bedeutung ge­
winnt und das natürliche Menschsein als solches wie die Geschichte
der Menschheit insgesamt betrifft.
Dabei bleibt bestehen, daß es sich hier nur um einen
Herrschaftsauftrag Gottes handelt, wodurch der Mensch dazu be­
stimmt wird, den Herrschaftsanspruch Gottes über die Welt zu wah­
ren und ihn zur Durchsetzung zu bringen. Darin liegt eingeschlossen,
daß ein solcher Auftrag den Menschen in Pflicht nimmt, ihn mit
Verantwortung ausstattet, so daß die dem Menschen angetragene
Macht nicht als Eigenmächtigkeit verstanden und immer in bezug auf
die ethisch bestimmte Macht Gottes verstanden werden muß.
Das ist d e s h a l b zu b e to n e n , w eil die b ib l is c h e n A u s s a g e n ü b e r die
H e rrsc h a ftss te llu n g des M en s ch en sehr stark gehalten sind. Die in Gen 1,28b
en th a lten e A u ffo rd e ru n g zum „ U n te rw e rfe n “ der E rde und zum „ B e h e rrs c h e n “
der T iere ist m it ein e m M om en t der G e w a ltan w e n d u n g b ehaftet, das heute leicht
als w illk ü rlich es Verfügen über die N atu r und als sch ran k e n lo se A u sb e u tu n g
m iß d eu tet wird. Diese In terp retatio n geht aber an der g em ein ten Sache vorbei.
Z u zu g eb en ist freilich, daß h in ter diesen h arten Form eln no ch die u rtü m lich e
E rfahru ng von der W id erstä n d ig k e it der N atu r und in sb eso n d ere von der F e in d ­
lich keit d er Tiere ge g e n ü b er dem M en sc h en ste h t3, was die M ach ta n w e n d u n g
durch den M en sch en e rfo rd erlich m ac ht und sittlich legitim iert. Als E rg än zu n g
ist der ja h w is tis c h e B e ric h t h e ra n zu zie h e n , wo der H e rrsc h a ftsa u ftra g des
M en sch en d eutlich als K u ltu ra u ftrag erklärt wird, der im B eb auen , B earbe iten
und B ew ah ren des G artens vo llfü hrt w erd en soll (G en 2,15).

Der Inbegriff dieses verantwortlichen Wirkens des Menschen an


der Schöpfung ist die Arbeit, die dem Menschen aus einem doppel­
ten Grunde als Mandatar Gottes in der Schöpfung auferlegt ist: zur

5 CI. W e s t e r m a n n , G e n e s i s I, 219; vgl. zu r F ra g e n ach der S t e l l u n g zu m T ie r


H. D. P re u ß , T h e o l o g ie des A lten T e sta m e n ts II, 216-219.
Sicherung seines eigenen Lebens aus den Ressourcen und Gütern der
Natur, aber auch zur Entbergung und H öherführung dieser G üter in
einer Schöpfung, die in eine G eschichte eingew iesen ist, in w elcher
die Menschen selbst mit-schöpferisch tätig sein sollen. Im Voraus-
hinweis auf einen weiteren Problemzusammenhang darf hier bereits
der Tatsache Erwähnung getan werden, daß diese Verpflichtung des
Menschen zur mit-schöpferischen Arbeit an der Schöpfung Gottes im
„Paradies“, d.h. vor dem Sündenfall erfolgt.
2) Das Verhältnis zu den Tieren
Im gegenwärtigen Fragehorizont des rechten Naturverhältnisses
des Menschen wird der Beziehung zur Tierwelt eine besondere kriti­
sche Aufmerksamkeit zuteil. Auch dieser Bezug wird in der Prie­
sterschrift deutlich als Untertanverhältnis dargestellt6. Es schließt in
sich auch Nutzung und Gebrauch der Tiere durch den Menschen. Ob
hier an der verschiedenen Art der Nahrungszuweisung (dem Men­
schen werden die samentragenden Pflanzen und die Bäume mit sa­
menhaltigen Früchten: Gen 1,29 zugewiesen, den Tieren die grünen
Pflanzen: Gen 1,30; vgl. Gen 9,1-4), die Empfehlung des Ideals einer
vegetarischen Lebensweise in der Aussageabsicht des Verfassers
gelegen und somit eine „ökologische Utopie“ zur Erw ägung angebo-
ten ist7, darf als strittig angesehen werden. Aber dieses „hierarchi­
sche Verhältnis“ ist, ohne grundsätzliche Preisgabe, in der jahwisti-
schen Geschichte vom Garten um ein bedeutsames Moment ergänzt,
das auch eine Sinnhaftigkeit der Tiere für den Menschen außerhalb
des Bereiches der Nutzung erkennen läßt: Die Tiere bekommen, al­
lerdings durch die Namengebung des Menschen (!), eine Bedeutung
für den Menschen als Gemeinschafts wesen; sie sind ihm in gewisser
Weise Hilfen, aber keineswegs jene Hilfe und jener Partner, der dem
M enschen im andersgeschlechtlichen Menschen geschenkt wird.
Von d ah er v erbietet es sich freilich, das Tier als P artne r des M en s ch en a u s ­
z u g e b e n oder auch von der u n te r m e n sc h lic h e n S c h ö p fu n g und dem V erhältnis zu
ihr als „ G e s c h w is te rlic h k e it“ 8 zu sprechen. D ie Tatsac he, daß die m en s c h lich e

6 Vgl. zu m F o l g e n d e n L. S ch e f fc z y k , Die h eile S c h ö p f u n g u n d das S e u f z e n der K reatur,


28f.
7 D a g e g e n w e n d e t sich CI. W e s te rm a n n , a.a .O ., 224ff.
8 Vgl. L. S ch o tto rf, S c h ö p f u n g im N eu en T estam en t: G. A l t n e r (H rsg .) , Ö k o lo g isc h e
T h e o l o g ie . P e r sp e k tiv e n zu r O ri e n t i e ru n g , S tu ttg a rt 1989, 136ff.
un d die u n te r m e n sc h lic h e K reatu r vom S ch ö p ferg o tt stam m en, b esag t w eder, daß
die u n terg e istig e W elt zu G ott als w ie zu ein em Vater steht, noch daß die beid e n
S c h ö p fu n g s o rd n u n g e n e in an d e r „ g e s c h w is te rlic h “ v e rb u n d en sind. Wo diese
U n te rs c h ie d e (trotz der nic h t zu le u g n e n d e n „ M i tg e s c h ö p f lic h k e it“ ) ü b e rs e h e n
w erden, k o m m t es nicht n ur zu ein e r V erm ischung von M en s c h und N atur, s o n ­
dern es rü ck t schlie ßlic h auch die G efah r ein er K o n fu n d ieru n g von G o tt und
S ch ö p fu n g nahe, die der alten h e id n isc h e n D iv in isie ru n g der W elt und der
N a tu ra lisie ru n g G ottes gleicht. So ist an der „M ittle rs te llu n g “ des M en s c h e n
zw isc hen G o tt und Welt und d am it an der g öttlich en „V ertre terro lle“ des
M e n s c h e n im Z en it der S c hö pfun g viel gelegen.

3) Zur Deutung des dominium terrae in der Geschichte


Indem man dem Menschen nach biblisch-christlichem Denken
diese Stellung beläßt und ihm das dominium terrae zuerkennt, macht
man ihn keineswegs zum Ausbeuter der Natur. Der von C. Amery
erhobene Vorwurf, daß der biblische Herrschaftsauftrag den M en­
schen zur Zerstörung der Natur angeleitet und bis hin zur gegenwär­
tigen ökologischen Katastrophe getrieben hätte9, bedeutet eine völli­
ge Umkehrung der biblischen Wahrheit. Er ist aber auch durch die
W irkungsgeschichte von Gen 1,28 in der Christenheit widerlegt, in
der die Herrschaft über die Natur stets mit der Sorge für die Natur
verbunden war (Hugo v. St. Viktor)10 und als Auftrag zur Vollendung
der Natur verstanden wurde (Thomas v. A quin)11. Nach Robert
Grosseteste (+ 1253)12 ist es die Aufgabe des Menschen, die Schöp­
fung mit Gott zu versöhnen. Erst im Aufbruch der Renaissance und
ihres Pathos der Selbstherrlichkeit wird der Mensch zum „Gott der
Elemente und der Tiere“ erhoben (Marsilio Ficino)13 und sein Welt­
auftrag aus dem biblisch-christlichen Zusammenhang herausgebro­
chen. Die danach auftretende wissenschaftlich-technische Zivilisa­
tion mit ihren Gefährdungen entwickelte sich ohne wesentlichen
Einfluß des Christentums. Aber selbst diese ist nicht in Bausch und
Bogen zu verdammen, weil sie die Grundlagen für das moderne zivi­
lisatorische Leben geschaffen hat, aus dem sich ehrlicherweise nie­
mand wird herausstehlen mögen, auch wenn die nun erkennbaren

9 C. A m ery, Das E n d e d er Vorsehu n g, H a m b u r g 1984, 15ff.


10 De s a c ra m e n ti s 1 6,13.
11 S.c. G e n te s III, 22.
12 D. J. U ng er, R o b e rt G r o s s e t e s t e B i s h o p o f L in c o ln ( 1 2 3 5 -1 2 5 3 ) , in: FS 16 (19 5 6)
23 -35.
13 T h e o l o g ia P l a t o n i c a X III, 3.
Schäden und Fehlentwicklungen in ernster Verantwortung und unter
hohem Aufwand zu beheben sind. Aber gerade bei Aufruf dieser Ver­
antwortung beweist sich von neuem die Erhobenheit des Menschen
über die Natur, deren Wunden eben nur durch ihn zu heilen sind.
Die Wahrheit von der ethisch normierten Oberherrschaft und
Mittlerstellung des Menschen in der Schöpfung wird ergänzt und
vertieft durch den in der Schrift angelegten Gedanken von einer
besonderen Kreaturbeziehung des Menschen, die sich als Mit-
geschöpflichkeit erklären läßt und die der Einheit des Menschen mit
aller Kreatur ein theologisches Gewicht verleiht.
4) Der Sinn der M itgeschöpflichkeit14
In der Wahrheit vom Geschaffensein aller Kreatur, der menschli­
chen wie der nichtmenschlichen, ist zugleich auch das Moment der
Einheit, der Zusammengehörigkeit und - analog gesprochen - der
Verwandtschaft alles Geschaffenen angelegt. Man könnte diesen
Gedanken, bereits im Vorausblick auf die noch höhere Schöpfungs­
welt, einen Augenblick lang bezweifeln mit dem Hinweis auf die
Ordnung der Engel, die auch eine geschaffene ist, aber die uns doch
aufgund ihrer reinen Geistigkeit so fern und unzugänglich erscheint,
daß sie uns heute geradezu befremdet und, angeblich ohne Bezie­
hung zur irdischen Schöpfung, aus dem Blick entschwindet. In Wirk­
lichkeit ist auch hier von der Offenbarung und im Glauben der
Zusammenhang gewahrt und der M enschheits- wie der Weltbezug
der Engel niemals unterschlagen, die Zusammengehörigkeit niemals
außer acht gelassen, wie das Wirken der Engel in der Heilsgeschichte
zeigt.
Diese Zusammengehörigkeit erscheint nun innerhalb der irdi­
schen Schöpfung noch gesteigert, weil die Geschöpfe mit dem M en­
schen nicht nur aufgrund der Herkunft vom Schöpfer und aufgrund
der Zielausrichtung zu ihm verbunden sind, sondern weil sie in einer
gewissen Hinsicht auch aus dem gleichen „M aterial“ gefertigt sind,
sei es aus Materie, sei es aus Materie und Leben. Es ist die auch dem
modernen Naturdenken vertraute Einsicht, daß der Schöpfer sein

14 Vgl. zu m F o l g e n d e n L. S ch e f fc z y k , Die h eile S c h ö p f u n g u n d das S eu f z e n der K reatur,


74ff.
gewaltiges Werk aus nur wenigen, miteinander harmonierenden
Bausteinen errichtet.
Im Menschen sind aber alle diese Bauelemente der irdischen
Schöpfung vereint. Es ist eine urtümliche M enschheitserfahrung, daß
der Mensch, nach Gen 2,7 „aus dem Staub vom Ackerboden“ genom­
men, aufgrund seiner Leiblichkeit mit dem materiellen Kosmos und
seinen Kräften verbunden und in die außermenschliche Natur einge­
bettet ist. In der Philosophie der Stoa wurde dafür die Vorstellung
vom Menschen als Mikrokosmos entwickelt, die von den Kirchen­
vätern auf genommen, aber mit neuem Inhalt gefüllt wurde. Nach
Basilius d. Gr. (+ 379) vermag der Mensch in sich selbst einen
Mikrokosmos zu erkennen, er kann „wie in einem Mikrokosmos die
große Weisheit des Schöpfers schauen“ 15. Für den lateinischen
Kirchenvater Ambrosius (+ 397) „verkörpert der Mensch gleichsam
summarisch das Universum“ 16.
Am E n d e der P atristik fand der G ed ank e vom M e n s ch en als M ik ro k o sm o s
eine b e so n d e rs e in d ru c k sv o lle F o rm u lie ru n g beim g rie c h isc h e n P atriarc h en
P ho tius (+ 891), der ein m a l erklärte: „D er M en sch he iß t ein k lein er K osm os,
nich t nur w eil er aus den v ier E le m e n te n z u sa m m e n g e s e tz t ist, denn das ist ja
je d e s L eb e w es e n ..., so nd ern weil er auch alle K räfte des K osm os besitzt. D enn
im K osm o s sind G ö tter [das ist in A n erk e n n u n g d er d iv in is ieren d en N a tu r a u f ­
fassun g der N ic h tc h riste n gesag t], auch die vier E le m en te, e ben so auch die v e r ­
n u n ftlo se n Tiere und P flanzen. D enn der M en sch hat als gö ttlich e K raft die lo g i­
sche, er h at auch die N atu r der E lem en te (und auch) die n äh re nd e, m e h ren d e und
die das G leich e zeu g en d e K ra ft“ in s i c h 17.
Gemäß der größeren Nähe der organischen Welt zum Menschen,
der Welt der Pflanzen und der Tiere, erscheint ihr gegenüber die Ver­
bundenheit noch verstärkt und das Moment der M itgeschöpflichkeit
noch gesteigert. Das hängt nach biblischer Vorstellung, die hier mit
allgemeinen M enschheitsüberzeugungen zusammenstimmt, zunächst
schon an der gemeinsamen Begabung beider Ordnungen mit dem ein­
zigartigen Gut des Lebens. Es ist die Überzeugung aller biblischen
Schriften, daß das Leben, oft im bewegten Odem oder im Blut loka­
lisiert gedacht, sowohl beim Menschen als auch beim Tier eine Gabe
Gottes ist, über welche nur Gott das letzte Verfügungsrecht hat (vgl.

15 Hom . „ A t t e n d e “ : PG 31, 216.


16 H ex ae m . VI, 10, 75: PL 14, 288.
17 „ B i b l i o t h e c a “ des P h o tiu s: W. K r a n z , K o s m o s , 105.
Dtn 32, 39; 1 Sam 2,6). An den ersten Schöpfungsbericht (Gen 1,29)
hat sich aufgrund dieser Ü berzeugung noch die aus einer älteren
Tradition stammende Auffassung angeschlossen, nach welcher dem
Menschen nur die Pflanzen zur Nahrung dienten, weil das Töten von
Lebewesen durch andere Lebewesen als ungeziemend empfunden
w urde18. Dieses Merkmal des paradiesischen Urstandes verlor danach
zwar seine Bedeutung. Aber daß Israel und das biblische Denken
dazu eine bestimmte Nähe und Zuneigung (trotz des Nützlichkeits­
prinzips) bewahrten, ist immer wieder anerkannt worden. I. Bernhart
hat es bündig auf die Aussage der Spr 12,10 zurückgeführt: „Der Ge­
rechte weiß, wie seinem Vieh zumute ist, aber das Herz des Gottlosen
ist gefühllos“ 19.
Aber wichtiger als dieser Einzelzug ist die ebenfalls im ersten
Schöpfungsbericht enthaltene Wahrheit, daß auf dem Leben von
Mensch und Tier ein besonderer Segen Jahwes liegt, der vor allem
das dem Leben wesentliche Element der Selbsterhaltung und der
Fortpflanzung betrifft. Der Segen Gottes, der in Gen 1,22 und
Gen 1,29 über Tiere und Menschen in gleicher Weise ergeht und in
der Segnung des siebenten Tages noch einmal bekräftigt wird
(Gen 2,3), ist Ausdruck der Vergegenwärtigung der Schöpferkraft
Gottes, die sich in der dauernden Lebensgewährung durch den
Schöpfer zeigt und alle Geschöpfe zur Entfaltung ihres Reichtums
und ihrer Fülle ermächtigt. Auch dadurch sind Mensch und Tier
zusammengeschlossen als vom Segen des Schöpfers abhängige We­
sen. Für die nichtmenschlichen Geschöpfe besagt diese Abhängig­
keit, daß auch auf ihnen das Wohlgefallen Gottes ruht, das ihnen
ihren eigenen Wert und ihr seinshaftes Gutsein verleiht. Dieses muß
vom Menschen anerkannt werden, so daß ihm zwar auf diese Weise
wiederum eine führende, sorgende M acht über die Geschöpfe zuge­
billigt ist, aber keine despotische Gewalt. Diese zwei erkennbaren
Aspekte der Mensch-Kreatur-Beziehung, diese doppelte Bestimmt­
heit von Ü bergeschöpflichkeit (im Sinne des Erhobenseins über die
K reatur) und M itgeschöpflichkeit bilden schließlich auch die
Grundlage für die Erkenntnis des Schicksalszusammenhanges von

18 CI. W e s te rm a n n , G e n e s is 1/1, 225.


19 I. B e rn h a r t, Die u n b e w e in te K reatu r, 33.
Mensch und Kreatur, welcher seinerseits wieder die Bedingung dar­
stellt für das „Seufzen“ wie für das „Befreitwerden“ der Schöpfung
durch die Erlösung.
Die Anerkennung der Wahrheit von der M itgeschöpflichkeit läßt
eine noch weitergehende Folgerung zu, die auf eine direkte Schick­
salsgemeinschaft zwischen Mensch und Schöpfung weist.
D ie B e h a u p tu n g ein e r S c h ic k s a ls g e m e in s c h a ft von M en s ch un d n icht-
m e n s c h lic h e r K reatur, die den H in te rg ru n d der p au lin is c h e n A u ssag e üb er das
„ S e u fz e n “ der S ch ö p fu n g bild et (vgl. R öm 8,22ff.), ist von d e r e x iste n tialisti-
schen T h e o lo g ie der M od ern e als ein M yth os b e tra c h te t w orden, wie m an ü b e r ­
h au p t seit der A u fk lä ru n g gen eigt war, die S c h ö p fu n g s b e ric h te als rein m y t h o lo ­
gisch au fzu fa ssen . In der s o g e n a n n te n „ P o s tm o d e rn e “ sc h e in t diese V erengung
ü b e rw u n d e n zu sein und der S ch ö p fu n g s u rk u n d e trotz der in ihr gew iß e n th a l te ­
nen m y t h o lo g i s c h e n E in s p r e n g s e l g e s c h i c h t l i c h e r (o d e r u r g e s c h ic h t lic h e r )
R ea litä tsg e h a lt z u g eb illig t zu w erden. D ie S ch ö p fu n g s w a h rh e it h a t gerad e die
gä nzlich u n m y th o lo g isc h e A b sich t, die Welt der K reatu ren zu e n tg ö ttlic h e n wie
zu e n td ä m o n is ie re n , so daß sie au c h in ein natu r- und v e rn u n f tg e m ä ß e s
V erhältnis zum M e n s c h e n g e s e tz t w erd en k ö n n en , freilic h im L ich te des
S c h ö p fu n g s g la u b e n s.
Die biblisch-christliche Tradition hat, auf der göttlichen Schöp­
fungswahrheit aufbauend, hier immer einen doppelten Aspekt ange­
setzt und die Schöpfung mit einem doppelten Blick betrachtet: mit
dem Blick von oben, vom Menschen her, und mit dem Blick von
unten, von der Natur her. Im Blick von oben her trat zwar zunächst
die Hochstellung des Menschen hervor, aber dies nicht im Sinne phy-
sisch-materieller Macht, sondern geistig-sittlicher Überlegenheit,
was Blaise Pascal einmal in das Wort faßte: „Nur ein Schilfrohr, das
zerbrechlichste in der Welt, ist der Mensch, aber ein Schilfrohr, das
denkt“20. Auf diese Überlegenheit, die sich in der Nutzung, in Hege
und Pflege der Natur manifestiert, ist die Natur angewiesen, wenn sie
ihre höhere Bestimmung erreichen will. Aber als das Pascalsche
Schilfrohr ist der Mensch sogleich auch mit dem Blick von unten her
als Naturwesen ausgemacht, tief in die Schöpfung eingesenkt und zu
seiner Lebenserhaltung wie zur Lebensvervollkommnung auf die
nichtmenschliche Natur angewiesen.
Dieses Angewiesensein ist aber nicht nur in einem materiellen
oder biologischen Sinn zu verstehen. Es hat auch einen geistigen,

20 P e n se e s ( ü b e rt r a g e n u nd hrsg. vo n E. W asm u th) H e i d e l b e r g 1963, 167 (nr. 347).


ethischen und religiös-theologischen Sinn. Man wird seiner gewahr,
wenn man vom Schöpfungsgedanken her anerkennt, daß auch die
nichtmenschliche Kreatur zwar nicht Bild Gottes, imago Dei, ist,
wohl aber ein vestigium Dei, eine Spur und ein Zeichen Gottes dar­
stellt, das der Mensch nicht geringachten darf.
D a m it g ew in nt die n ic h tm e n s c h lic h e K re a tu r fü r den M en sch en , w eit über
den vitalen N u tz effek t hinau s, auch eine ä sth etisc h e , s y m b o lis c h e 21 und re l ig i ö s ­
th e o lo g is c h e B ed eu tu n g . Ihr re lig iö s -th e o lo g is c h e r H ö ch stw e rt k o m m t darin
zum V orschein, daß in ih r die n a tü rlic h e O ffen b aru n g G ottes e rga ng en und e in ­
g esc h lo sse n ist, ja daß sie sogar für den M e n s c h e n zur Q uelle der G o tte s ­
e rk enn tn is und, wie b eso n d e rs in den P s a lm e n 22, zu r Q uelle des G o tte s lo b e s w e r ­
den kann, aus w elch er der M en s c h eb en falls sch ö p fen soll. D er hl. B o n av en tu ra
hat d iese W ahrheit, ganz im Stil f r a n z isk a n isc h e n D en ken s, au f die Form el
g eb racht, daß es zw ei B ü c h e r der O ffen b aru n g gebe, aus d enen der M en s ch die
W ah rh eit e n tn e h m e n k ö nn e und in denen er b estä n d ig lesen m üsse: das B uch d er
hl. S ch rift und das B u ch der S c h ö p fu n g 23. A u ch das ist ein a n sch au lic h e s B ild für
die V erw iesen he it des g la u b en d e n M e n s c h e n au f die Schö pfu ng .
D ie ser G e d a n k e der V erw iesenh eit der b e id e n O rd n u n g e n aufein and er, ihrer
V erzah nu ng und V erflech tu ng bis in die h ö c h ste relig iö se Sphäre des M en sch en
hinein, ist g leic h sam das V erb ind un gsg lied, das die E n tg eg e n se tz u n g von Über-
h o b e n se in des M e n s c h e n und sein em M itse in m it d er S c h ö p fu n g ü b e rw in d e t und
den h ier no ch im m er v e rm u tb a re n S palt schließt. E r b ie tet auch die E rk läru n g
dafür, daß ein Verlust au f der einen Seite, ein E in b ru c h in dem ein en B ereich,
seine F o lg e n auch im an d eren B ere ic h zeitig e n m uß. Das m ach t die S chick sal-
ha ftig ke it dieses V erhältnisses von M en s c h und n ic h tm e n s c h lic h e r K re a tu r und
ihre S c h ic k s a lsg e m e in s c h a ft aus, die sich freilic h erst in der w eiteren G e sch ich te
der S ch ö p fu n g vo llend s zeig e n k o nn te, a u f die scho n das urtü m lic he S c h ö p ­
fu n g s g e sc h e h e n an gele gt war. D ie se G e sc h ic h te füh rt zu n äch st über das tr a g i­
sche G e sc h e h e n des Sü n d e n falle s, von d em nac h Paulus das „ S eu fz en der
K re a tu r“ seinen A u sg an g nahm.

II. Der Schöpfungsauftrag a ls Weltarbeit


In einer zeitlich-geschichtlichen Welt, die zwar gut geschaffen,
aber noch nicht vollendet ist, bedeutet dieser Auftrag ein Mithandeln
des Menschen mit dem Schöpfer auf dem Vollendungsweg der Welt.
Daß diese Vollendung noch aussteht und sich erst noch ereignen soll,
wird durch die (in der Vergangenheit oft falsch interpretierte) Aus­
sage über den Schöpfungssabbat und Gottes Ruhe am siebenten Tage
(Gen 2,1-3) nicht widerlegt; denn dieses Zeugnis will gerade bedeu­

21 V g l . J. B e rn h a r t, a.a.O ., 34-44.
22 Vgl. L. S che f fc z y k , Vox C h risti ad P atr em , 5 7 9 - 6 1 4 .
23 H e x a e m . XII, 14 u.ö.
ten, daß „die Schöpfungswerke in eine Zeitganzheit“ eingeordnet
sind, „zu der das Zugehen der Werktage auf den Ruhetag gehört“24.
Die Schöpfung wird demnach erst vollendet an einem besonderen
„Gottestag“ , den Gott „segnet“ und „heiligt“, d.h. den er für sich aus­
sondert. Damit ist angedeutet, daß die Tage der Schöpfung auf ein
Ziel zugehen, das von anderem Charakter und von anderer Art ist als
sie selbst, ein transzendentes Ziel, nämlich die Heiligkeit, die Ruhe
und die Ewigkeit Gottes.
Wenn die Schöpfung als der Anfang des Weges Gottes mit den
Kreaturen auf ein Vollendungsziel hin verstanden wird, dann wird
der Mensch zum Mitvollstrecker eines geschichtlichen Auftrags und
zum „Partner“ Gottes erhoben, wenn auch nicht auf gleicher Stufe
und gleichen Rechtes. Was an späterer Stelle das Neue Testament
vom Menschen als „M itarbeiter Gottes“ (1 Kor 3,9) innerhalb der
Heilsverwirklichung in der neuen Schöpfung sagt, das erfährt bereits
in der ersten Schöpfung seine Grundlegung und Vorbereitung. Sie ist
umso beweiskräftiger, als ja „erste“ und „zweite Schöpfung“ , Schöp­
fung und Erlösung, Natur und Gnade nicht voneinander zu trennen
sind, sondern in dem einheitlichen göttlichen Weltplan aufeinander
bezogen sind.
1) Der Sinn der Weltarbeit
Der Weltauftrag des Menschen ist nach biblisch-christlichem
Denken durch die Verpflichtung zur Arbeit konkretisiert25. Diese Ver­
pflichtung ist dem Menschen schon vor der Sünde (im „Paradies“)
auferlegt worden (Gen 2,1-5) und gehört zu seiner ursprünglichen
Bestimmung. Hier wird nicht nur ein Menschenverständnis abge­
lehnt, dem die Arbeit als niedrige und sklavische Last gilt; vielmehr
ist die mühevolle Beschäftigung mit der Welt und die Aktion an ihr
in die Verwirklichung des Menschen als geschichtliches Wesen in
dieser Welt miteinbezogen. In einer Epoche, in der ein dynamisches
Weltverständnis bestimmend ist und die Welt als eine auf Evolution
und Fortschritt angelegte begriffen wird, darf auch das biblisch­
christliche Verständnis vom Weltauftrag des Menschen dynamisch

24 CI. W e s te rm a n n , S c h ö p f u n g , 93.
25 Vgl. zum F o l g e n d e n L. S c h e f fc z y k , E in f ü h r u n g in die S c h ö p f u n g s l e h r e , 121 ff.
gefaßt werden, d.h. nicht nur als Bew ahrung und Erhaltung der ge­
setzten O rdnungen, sondern auch als A ktivität zur Entw icklung und
schöpferischen Umgestaltung der Welt auf ihre Vollendung hin.
W ä h re n d die trad itio n elle T h eo lo g ie d ie sen W eltauftrag und den th e o l o g i­
schen Sinn der A rb eit für den M e n s c h e n als H o h e its trä g e r der S c h ö p fu n g w e n i­
ger b e a c h tete (was sich in d ire k t auch schon in der u n g e sc h ic h tlic h e n A u ffa ssu ng
vom „ P a ra d ie s “ als dem O rt seligen G e n ie ß e n s au sd rü ck te), d roht heu te in der
B ew ertu ng des W eltau ftrag s und der W eltarb eit ein an deres E xtrem . Es ist v e r ­
ständ lich , daß die po sitive B ew ertu n g des G esc h a ffe n e n und W eltlichen z u s a m ­
men mit den durch den te c h n isc h e n F o rtsch ritt e rb rach ten M itteln und M ö g lic h ­
keiten zur V erbesserun g der m e n s c h lic h e n L e b e n s b e d in g u n g e n die W eltarbeit
im m er d ringlicher, aber auch im m er v erh e iß u n g sv o lle r und fa s z in ie re n d e r e r­
sc heinen lassen. Z u g le ich aber w äch st im E n th u sia sm u s der W e ltzu w en du ng
doch auch der geg en te ilig e und z w ie sp ältig e E in d ru c k , daß die E rg eb n is se des
F o rtsch ritts in ein e r m e r k w ü r d ig e n A m b iv alen z nicht u n b ed ing t der V erb esse ­
ru ng des m e n s c h lic h e n D aseins im g anzen zu gu te k o m m en und daß sie nicht s e l­
ten sog ar das Wohl d er M e n s c h h e it b edroh en. D arum steht das c hristlich e
S ch ö p fu n g s d e n k e n heu te nic h t nu r vor d er A u fg ab e, die N o tw en d ig k e it des
W eltauftrags des M en s ch en und der W eltarb eit e in z u s ch ärfen , son dern sie auch
th e o lo g is ch in die O rd n u n g und in den G e ist des g ö ttlich en S c h ö p fu n g s p lan es
e inzufüg en.

Mit dem Verhältnis zur Weltarbeit und Weltgestaltung ist nämlich


heute auch die Sinnfrage der Weltentwicklung und des Menschen­
lebens verknüpft. Dabei wird bewußt oder unbewußt der Sinn der
Weltarbeit absolut gesetzt, sei es in der enthusiastischen Form der
marxistischen Ideologie, nach der die Arbeit das Mittel der Selbst­
erschaffung des Menschen ist26 und „das sich bewahrende Wesen des
Menschen selbst“27, sei es auch nur in der skeptisch-relativistischen
Form der Bewältigung des Daseins im ästhetischen Genuß (A. Gide,
J.-P. Sartre) oder in der weltverlorenen Tat (so etwa A. Camus in der
„Pest“). Vor allem aber im marxistischen Pathos bestimmt die Ver­
absolutierung der Arbeit den Sinn der gesamten Weltentwicklung
und des Menschenschicksals. Nach A. Schaff ergibt sich „die Not­
wendigkeit des menschlichen Handelns“ daraus, daß dem „Menschen
im Massenmaßstab die Möglichkeit, wenn auch nicht die Gewißheit
eines glücklichen Lebens“ gegeben werden soll28. Demnach liegt der

26 So Fr. E n g els, A n teil d er A r b e it an der M e n s c h w e r d u n g des Affen. K. M a rx -


Fr. E n g e ls, W er ke, Bd. 20, B e rlin 1962, 447.
27 K. M arx , N a t i o n a l ö k o n o m i e u nd P h i lo so p h ie : A usg . K rö ner, Bd. 209.
28 A. S chaff, M a rx o d er Sartre? Ver such e in e r P h i l o s o p h i e des M e n sc h e n , F ra n k fu r t
a. M. 1966, 154f.
Sinn des menschlichen Tuns in einem sozialen Eudämonismus, in der
Ermöglichung möglichst vielen Glücks für möglichst viele M en­
schen. Aber das Prekäre an dieser Antwort liegt darin, daß sie das
einzelne Individuum und die Person des Menschen nicht ernstnimmt,
sondern diese in das Wohlergehen der Masse vereinnahmt. Auch
E. Bloch kommt mit seiner Wertung des menschlichen Tuns und der
Arbeit als realitätsbezogener Tatkraft zum „Umbau der Welt zur
Heimat“29 nicht zu einem denkerisch verantwortbaren Ergebnis; denn
der Mensch, der „immer wieder durch Geschichte laufen muß, damit
er mittels der Arbeit sei und werde“30, erreicht als Ziel schließlich nur
„das utopische Omega: erfüllter Augenblick, Eschaton unserer
Immanenz, Lichtung unseres Inkognito“31. Das Ziel der Arbeit, die
Naturalisierung des Menschen und die H um anisierung der Natur, ist
ein rein immanentes und wird von dieser Natur im Tod wieder ver­
schlungen.
Hier wird deutlich, daß eine Verabsolutierung der Weltarbeit des
Menschen notwendigerweise in einer Verabsolutierung der eindi­
mensionalen irdischen W irklichkeit enden muß.
D esh a lb ist das christlich e S ch ö p fu n g s d e n k e n h eu te g ehalten , die irdisch e
A rb eit und den m it ihr b e a b sic h tig te n w e ltim m a n e n te n F o rtsc h ritt der t r a n s z e n ­
den ten Z ie lb e stim m u n g der S ch ö p fu n g ein zu o rd n en , die in der A u frich tu n g des
R eiches G ottes geleg en ist. D ieses Z iel ist aber w esen tlich nic h t zu e rreich en
d urch äu ß ere n F o rtsch ritt und d urch äußere Ä n d eru n g en der L e b e n s b e d i n g u n ­
gen, so n d ern vor allem durch die v ertiefte E rke nn tnis der m e n s c h lich en W ü rde,
durch h öh ere W ertung der m e n s c h lic h e n P erson und ihrer F reiheit. D e sh alb d a rf
der e ig en tlic h e Sinn der m e n s c h lic h e n A rb e it und des F o rtsch ritts als E rö ffn u n g
eines R au m es g rö ß erer Freih eit ge se hen w erden, den der M en s c h fü r seinen Weg
auf das tran sz e n d e n te Ziel hin nutzt. In diesem R aum bildet sich z ug leich der
M aß s tab zur re c h ten B e u rteilu n g und B e g re nzu ng des m e n s c h lic h e n W elttuns
aus, das nicht der G efah r der S elb stv e rz w e c k lic h u n g a n h eim falle n darf, die nur
eine neue F orm der U n fre ih e it schafft. Ein W elteinsatz, der z.B. die Z ü c h tu n g
des M e n s c h e n zur b e ss e re n E rfü llu n g b e stim m te r A u fg ab en in der W eltra u m fah rt
zum Z iele h a t32, m üß te das H u m a n u m zerstören und die E n tw ic k lu n g der Welt
durch A rb e it ad ab su rd u m führen.

29 E. B lo ch , Das P ri n z ip H o f fn u n g , F r a n k f u r t a. M. 1959, 334.


30 E bd., 76f.
31 E. B loch, A t h e i s m u s im C h r i s t e n t u m , F ra n k fu r t a. M. 1968, 346.
32 Vgl. h ie r z u P. O v e r h a g e , E x p e r i m e n t M e n sc h h e it, 434ff.
2) Die ökologische Aufgabe
Das enthusiastische Fortschrittsdenken hat inzwischen ein ein­
schneidendes Korrektiv gefunden in der neu entdeckten Aufgabe zur
Bewahrung der Schöpfung vor den zerstörerischen Wirkungen des
Fortschritts, der zu Belastungen der Umwelt und des Ökosystems
geführt hat, die, auch wenn sie nicht selten panikartig übertrieben
werden, doch nicht unbeachtet bleiben dürfen. Von der Schöpfungs­
theologie her lassen sich auch auf die hier neu aufgebrochenen
Fragen Antworten geben, die freilich die der zuständigen Fachwis­
senschaften nicht ersetzen wollen, die aber auch nicht einer religiös
verbrämten Umweltideologie nahekommen dürfen. Alles, was des­
halb heute bezüglich der vergangenen Geschichte an Fehleinstellun­
gen gegenüber der Natur, an Verschwendung ihrer Kräfte, an Raub­
bau ihrer Schätze, an zerstörerischen Eingriffen diagnostiziert wird
(m it allen negativen Folgen für das Dasein des Menschen, das mit
der Entfremdung von der Natur sich einer Kraft der Selbstverwirk­
lichung, aber auch einer Quelle der wahren Gotterkenntnis und damit
der Beziehung zum Schöpfer beraubt), all das ist vom Schöpfungs­
auftrag her nicht zu rechtfertigen, deshalb aber auch nicht von ihm
abzuleiten.
M an kann zw ar den C h ris ten als so lchen mit N. B erd jaje w v orw erfe n, daß
sie sich „als v o llk o m m en u nv o rb ereitet erw ies e n h a b e n “33, die aus ein er d e n a tu ­
rierte n Welt k o m m e n d e n G efa hre n rich tig ab zu sc h ä tz e n und ihnen zu begegnen.
A b er m an kann diese F eh len tw ic k lu n g n ich t a u f den c h ristlich en S c h ö p fu n g s ­
g la u b en zu rü ck fü h re n und in den b ib lis c h e n S c h ö p fu n g s u rk u n d e n a n g ele g t fin ­
den. D ie h ier erh o b e n e n A n k la g e n erfo lgen n äm lic h auch im u m g e k e h rte n Sinne:
Bis vor k u rz em ging die K ritik m e isten s in die e n tg e g e n g e se tz te R ich tu n g und
e rho b den Vorwurf, daß das C h ris te n tu m in sein er W eita b g ew an d th e it und W elt­
fe in d lic h k e it dem F o rtsch ritt der m o d e rn e n Z iv ilisatio n und seinen E r r u n g e n ­
scha ften v erstän d n islo s g e g e n ü b e rg e s ta n d e n und ihn v erfem t hätte.

Die sich in dieser Weise aufhebenden Kritiken sind Ausdruck der


sich abwechselnden Phasen von Kulturoptimismus und Kulturpessi­
mismus, sie treffen aber beide nicht die Einstellung des Christentums
und seines Schöpfungsglaubens zur Welt- und Naturwirklichkeit. Die
aus dem Schöpfungsauftrag kommende Verpflichtung des Menschen,
zum al des Gläubigen, wird grundsätzlich von der Sorge bestimmt
sein, der geschaffenen Welt die in sie eingesenkten natürlichen Güter

33 N. B e rd jajew , D e r M e n s c h und die T ech nik , 8 .


und Werte zu erhalten, die ihren Reichtum ausmachen und die objek­
tiv von der gloria Dei künden34. Dabei geht es aber nicht nur in nega­
tiver Richtung um die Abwehr von Gefahren und Behebung von
Schäden, sondern auch in positiver Richtung um die Entbergung der
schöpfungsgemäßen Werte der Natur, ihrer Schönheit und ihrer
eigentümlichen Würde, welche auch dem Menschen wieder eine ele­
mentare Naturnähe vermittelt, die für sein Eigenleben als Geschöpf
unter Geschöpfen und für sein natürliches Gottverhältnis unentbehr­
lich ist. Diese positive Einwirkung auf die Gestaltung der Natur und
des menschlichen Naturverständnisses bedeutet keine Restituierung
heidnischer Naturreligiosität oder weltimmanenter Naturverehrung.
Sie vergöttlicht die Natur nicht und erhebt sie nicht zur Gottunm it­
telbarkeit, die dem Menschen allein Vorbehalten ist. Aber sie erkennt
in ihr einen vielfachen Abglanz der Größe und Schönheit des Schöp­
fers nach dem Vorbild der alttestamentlichen Naturpsalmen, der
Naturgleichnisse Jesu und der Naturfrömmigkeit des heiligen Fran­
ziskus, der in den Gestaltungen der Natur das dem Menschen Ver­
wandtschaftliche, Brüderliche erkannte und es zum Mittel des geisti­
gen Aufschwungs zu der noch größeren Schönheit Gottes machte.
So empfängt die Sinn- und Zielrichtung der christlichen Natur­
gestaltung ihren eigentümlichen Charakter. Das Ziel natürlich-prag­
matischer Bemühungen um den Schutz der Natur und der Umwelt ist
allein die Optimierung der äußeren Lebensverhältnisse des M en­
schen mit dem Ziel der psychophysischen Verbesserung des Daseins
für die gegenwärtige wie für die zukünftige Menschheit. Man kämpft
für das Leben, um zu leben oder zu überleben. Der logisch zirkel­
hafte Charakter dieser Devise und ihre metaphysische Ziellosigkeit
sind nicht zu übersehen. So muß der Sorge um die Natur auch eine
über sie hinausweisende, transzendente Ausrichtung und eine escha-
tologische Bestimmung beigegeben werden.
U nte r d iese r B estim m u n g n im m t die Sorge des C h risten um die N a tu r wie
die A rb eit an der Welt einen a n d eren C h ara k te r an als den ein er n atu rh aften
L e ben s Verbesserung. Sie w ird z u n ä c h st ihrer in neren M o tiv a tio n nach nich t
allein a u f eine n atü rlic h e L e b e n sste ig e r u n g des M en sch en g e ric h te t sein, s o n ­
dern auch a u f eine D is p o s itio n des M en s c h e n und seiner L e b e n sw e lt für seine

34 Vgl. zum F o l g e n d e n L. S c h e f fc z y k , Die heile S c h ö p f u n g und das S eu f z e n der K reatu r,


61 f f .; vgl. A. Z ie g e n a u s, Ist das C h r i s t e n t u m sch u ld an d er U m w e l t z e r s t ö r u n g ? , 2 0 5 ff.
h ö h e re B e stim m u n g zur G n a d e und zur G lorie. Sie w ird e b enso nich t a u f eine
in n e rw e ltlic h e V ollendung des L e ben s aus sein, son d e rn au f die V orbereitung des
M e n s c h e n und sein er Welt für das v o llen d en d e G n a d e n g e ric h t G ottes.
3) Das Problem der Technik
Wenn die stets aktuelle Schöpfungswahrheit im Kontext der heu­
tigen Lebenswelt (zumal der vom abendländischen Denken gepräg­
ten) gelesen wird, trifft sie auf das Problem der Technik und des
technischen Fortschritts, das ihr heute nicht selten in der Form der
Anklage entgegengehalten wird. Es gab im Sog des modernen Fort­
schrittsgedankens immer wieder gegensteuernde Kräfte und Gedan­
ken (von J.-J. Rousseau bis O. Spengler), die das Verhängnis des
technischen Fortschritts anprangerten und die etwa die „M aschine“
als teuflische Erfindung verfemten. Inzwischen hat das Unbehagen
am Fortschritt, in dem der Faktor „Technik“ eine wichtige Stelle hat,
das Ausmaß einer Gegenbewegung angenommen, die den Eindruck
der Unhäuslichkeit verbreitet und eine Katastrophenstimmung be­
züglich des technischen Fortschritts nährt. Manche Indizien, wie die
m it der Verwertung der Kernenergie und der Gentechnologie auftre­
tenden Gefahren, scheinen diese Einstellung zu legitimieren.
Die schöpfungstheologische A ntw ort auf das Problem der
Technik hat sich sowohl vor einer unkritischen Verherrlichung des
technischen Fortschritts als auch vor dem Extrem einer gänzlich pes­
simistischen Sicht zu hüten35. Vom alttestamentlichen Befund her läßt
sich eine allgemein gehaltene positive Einstellung zum handw erkli­
chen und künstlerischen Tun des Menschen, zur Technik im weite­
sten Sinn, ersehen. In der sogenannten Kainitenliste (Gen 4,17-22)
ist Tubal-Kain „der Vater all. derer, die Erz und Eisen hämmern“. Es
ist das ein für die Kulturgeschichte des alten Israel bedeutsames D a­
tum, an dem der in der ganzen alten Welt, auch in den Mythen des
alten Orients, als entscheidend erachtete Fortschritt zur M etallbear­
beitung fixiert wird. Wenn man bedenkt, welche positive Bedeutung
diese technische und künstlerische Fähigkeit in Israel allein im kul­
tischen Bereich, etwa bei der Ausstattung des Tempels, gewann (vgl.
1 Kön 7), wird man verstehen, daß der hier festgehaltene Übergang

35 Vgl. L. S ch effc zy k , D e r c h r is tlic h e S c h ö p f u n g s g l a u b e und das P ro b le m d e r T echnik


17-31.
zu einem in gewisser Hinsicht „technischen Zeitalter“ durchaus als
Fortschritt anerkannt und als dem menschlichen Dasein förderliches
Moment gewertet ist. Diese Wertung zieht sich bis an das Ende der
sogenannten „Urgeschichte“ hin, bis zur kulturgeschichtlich wie
theologisch relevanten G eschichte des T urm baus von Babel
(Gen 11,1-9). Der Verfasser dieser Erzählung zeigt offensichtlich
auch ein Interesse an dem kulturgeschichtlichen Detail einer neuen
Bautechnik, bei der erstmals gebrannter Ziegelstein verwandt wurde.
Unter diesem Aspekt beleuchtet B. Jacob den Vorgang mit der Be­
merkung: „Es war eine der folgenreichsten Erfindungen, die je ge­
macht worden sind. Mit dem fabrizierten Ziegelstein hat sich der
Mensch von dem naturgegebenen Stein und seinen Fundstätten
emanzipiert“36.
D ieser p ositiven B e u rte ilu n g steht das G e ric h t Jahw es über den T u rm b au
n ich t a u ss c h lie ß lic h en tgeg en; d enn was h ier v eru rte ilt w ird, ist nich t die t e c h n i­
sche L eistu n g , son dern die H ybris des M en sch en. A llerd in g s schü rzt sich hier
das P ro b le m in G estalt der F rage, ob n ic h t z w isch en dem F o rtsch ritt d er T ech nik
und dem A n w a c h se n der Sünde eine u n te rsc h w ellig e V erb ind un g b esteht, was
sich in etw a am K a in ite n s ta m m b a u m (G en 4,17 -2 2) erk en n en läßt, in dem eine
gew isse P a ra llelitä t zw isch en dem F o rtsch ritt im Schaffen des M en s c h e n und d er
bösen G e sin n u n g (vgl. das „ L a m e c h l ie d “) sichtb ar wird. A ber der U ifa ll des
M e n s ch en (G en 3 ,1-24) ist w ie d e ru m ohne je d e n Z u sa m m e n h a n g m it Z ivilisation
und K u ltu r dargestellt.
So scheint es, daß ein an der biblischen Schöpfungswahrheit aus­
gerichtetes Denken wenig Anlaß hat, den technischen Fortschritt zu
verurteilen. Das erweist in etwa auch die Geschichte der Theologie.
Auf der Höhe des M ittelalters haben Albertus Magnus (+ 1280) und
die englische Franziskanerschule durch einen befragenden und
hörenden Umgang mit der Natur37 das Glaubensdenken in positivem
Sinne an die technische Behandlung der Natur herangeführt, so daß
gelegentlich zutreffend gesagt wurde: „Wäre die Entwicklung der
Naturwissenschaften auf der von Albert eingeschlagenen Bahn w ei­
tergegangen, so wäre ihr ein Umweg von drei Jahrhunderten erspart
geblieben“38, nämlich der Umweg über die mystische Naturdeutung,
die Astrologie und die Alchemie (Der hier zu erwartende Einwand im
Hinblick auf den Fall Galilei ist eigentlich nicht sachgemäß, weil er

36 B. Ja co b , Das erste B u c h der Tora, G en es is ( ü b ers etzt u n d erk lärt); zu G en 1 1,3b.


37 j . K rü g er, D as W eltbild der N a t u r w i s s e n s c h a f t e n im W andel der Z eite n , 25.
38 J. Höffner, D e r t e c h n i s c h e F o rt s c h r i tt un d das Heil des M e n s c h e n , 30-50.
auf einer anderen Problemebene spielt, nämlich auf der der Verein­
barkeit von Glauben und Naturwissenschaft39). Daß sich hier freilich
leicht Übertreibungen und M ißverständnisse einstellen konnten,
zeigt das Beispiel Roger Bacons (+ nach 1292), der im Auftrag Papst
Clem ens’ IV. (1265-1268) mit Plänen zur Errichtung eines Weltstaa-
tes befaßt war, der sich auch neuer technischer Mittel zur Abwehr
seiner Feinde bedienen sollte40.
A uch in der N e u z e it bew ies m an k irc h lic h e rse its eine dem tec h n isch en
F o rtsch ritt im g ru n d s ä tz lic h e n w o h lw o llen d e G esin n u n g . So wies Pius XI. in s e i­
n er E n z y k lik a „Q u a d ra g e sim o a n n o “ vom 15.5.1931 a u f die W ü rde des A rb eiters
hin, durch „dessen H an d die M aterie v e red elt die W erk statt v e rlä ß t“41, eine zw ar
nur b eiläu fig ge m ac hte , aber doch positive A u ssa g e zu r tech n isch en W elthaltung
des M en sch en . A uch Pius XII. be ku nd ete bei z a h lre ic h e n A n läss en d iese W ert­
schä tzu ng , so w enn er etw a in ein er A n sp ra c h e vom Jahre 1955 die K e rn fo r­
schu ng als V ollendung der G o tte s sc h ö p fu n g b e z e ic h n e te o de r C o lum bu s und
M arco n i „D ien er des R eich es G o tte s “42 nann te. So lch e B e k u n d u n g e n reichen
ü ber das Z w e ite V atikanische K onzil bis hin zur E n z y k lik a Jo h an n es Pauls II.,
der in „L a bo rem e x e rc e n s “ von d er T echnik sagt: „Sie ist zw eifello s eine Ver­
b ün dete des M e n sc h e n . Sie e rle ich tert ihm die A rbeit, v e rv o llk o m m n et, b e ­
sch leu n ig t und v erv ielfältig t sie. Sie b e g ü n stig t die quantitative M eh ru n g der
A rb e itsp ro d u k te u nd bei viele n auch die V erbesseru ng d er Q u a litä t“43.

A ber in das Gesamtbild der kirchlichen Beurteilung der Technik


gehören ebenso die kritischen Aussagen hinein. So ist die positive
Aus-sage P ius’ XII. durch die Feststellung zu ergänzen: „Von Natur
ein Geschenk Gottes, wird die übermäßige heutige Technik in den
Händen von gewalttätigen Menschen, von Parteien, die mit der Bru­
talität der Gewalt herrschen, von allmächtigen Unterdrückerstaaten
ein furchtbares Werkzeug von Ungerechtigkeit, Sklaverei, G rausam ­
keit und steigert in den modernen Kriegen die Schmerzen und
Qualen der Völker bis zum Unerträglichen“44. Auch Johannes Paul II.
bleibt in seiner Enzyklika nicht beim einseitigen Lob der Technik
stehen, sondern ergänzt die entsprechende positive Aussage durch
einen Gegensatz, in dem es heißt: „Doch ist es auch eine Tatsache,

39 G. S ie g m u n d , Die Welt als G ottes Spur, 142- 148.


40 K. L ö w ith , Das V erh än gn is des F o rts ch r itts , 30f.
41 So i n te r p re tie r t die E n z y k l ik a M. D. C h e n u , D ie A rb eit u nd der g ö ttlic h e K o s m o s 15-
vgl. D H 3 7 2 5 - 3 7 4 4 . ’ ’
42 A A S 47/11 (19 55 ) 284; 733; M. D. C he n u, 16.
43 Vom 14. S e p t e m b e r 1981, nr. 5.
44 A n s p ra c h e an die k a t h o l i s c h e Ju g e n d vom 12. S e p t e m b e r 1948; vgl. J. Höffner, a.a.O.,
daß sich die Technik in manchen Fällen aus einer Verbündeten fast in
eine Gegnerin des Menschen verwandeln kann, wie etwa dann, wenn
die M echanisierung der Arbeit den Menschen verdrängt und ihn jeder
persönlichen Befriedigung und des Ansporns zur Kreativität und
Verantwortung beraubt, wenn sie viele Arbeitnehmer um ihre Be­
schäftigung bringt oder durch die Verherrlichung der Maschine den
Menschen zu deren Sklaven macht“45. Christliche Denker, Philo­
sophen und Theologen haben noch auf eine Vielzahl von anderen
Schadstellen hingewiesen, etwa auf die durch die Technik bewirkte
Veräußerlichung des Menschen, auf das Schwinden von Innerlichkeit
und Beschaulichkeit, auf die Entfremdung gegenüber der Natur und
ihrem Geheimnis, auf den Untergang des homo orans und den
Aufstieg des homo faber46. So ist auch nicht zu übersehen, daß der
Schwund des Religiösen und des christlichen Glaubens in der moder­
nen Welt sich zusammen mit dem Siegeszug der Technik vollzog,
ohne daß man auf einen monokausalen Zusammenhang schließen
dürfte.
So liegt der Schluß nahe, daß in der Technik doch ein ambivalen­
tes Moment angelegt ist, das ihr objektiv zukommt und das durch die
Fehlhaltung des Menschen noch gesteigert wird. Als Arsenal m ateri­
eller und intellektueller Macht genommen, eignet ihr ein Zug zum
Grenzenlosen. Dieser vermag dem Menschen gegenüber den Ein­
druck zu erwecken, daß die äußere Welt des Quantitativen und
M ateriellen die beherrschende Wirklichkeit darstelle. So entsteht die
eigentümliche Faszination der Technik auf seiten des Menschen.
Damit gründet die Ambivalenz der Technik in einem doppelten
Tatbestand. Sie ist kein Übel oder gar etwas Dämonisches. Aber als
Ensemble physischer Kräfte und materieller Macht (zumal in ihrer
Verklammerung mit Wirtschaft, Industrie und Geld) eignet ihr objek­
tiv ein Moment des Unintegrierten, des ins Ungemessene Drängen­
den und des Selbstgesetzlichen, das in ihr als Unheilspotential latent
ist.

45 A .a .O ., nr. 5.
46 I. H ö ffner, a.a .O ., 41 ff.; vgl. auch die E rk lä r u n g d er D e u t s c h e n B is c h o f s k o n f e r e n z zu
F ra g e n der U m w e l t und d er E n e rg ie v e r s o rg u n g : Z u k u n ft der S c h ö p f u n g - Z u k u n ft der
M e n s c h h e i t , B o n n 1980; ebenso : Die V eran tw o rtu n g des M e n s c h e n für das Tier. P o sitio n e n
- Ü b e r l e g u n g e n - A n r e g u n g e n ( A rb e i t s h i l fe n 113; hrsg. vom S e k r e t a ri a t d er D e u ts c h e n
B i s c h o f s k o n f e re n z ), B o n n 1993.
Diese Potentialität wird allerdings nicht aktuiert ohne den Ein­
schluß und die M itbeteiligung des M enschen. Das, was hier als
M achtm om ent, als die ins G renzenlose gehende D ynam ik der Tech­
nik ausgegeben wurde, sind objektive Bestimmungen und Deter­
minanten, die die Ambivalenz des Technischen erklären. Aber sie
kämen nicht zum Zug, wenn der Mensch ihnen als auf diese Macht
ansprechendes und durch den äußeren Schein versuchliches Wesen
nicht korrespondierte. In der Technik ist das Machtmoment beson­
ders konzentriert. Es ist dies zugleich jenes Moment, das im gefalle­
nen Menschen als Quelle der Versuchlichkeit wirkt. Wo eine solche
Konjunktion zwischen objektiver M ächtigkeit und subjektiver Ver­
suchlichkeit und Schwäche zustande kommt, ist das betreffende ge-
schöpfliche Mittel mit der Gefahr der Entartung und mit der Tendenz
der Desorientierung behaftet. Es steht in besonderer Weise unter dem
Schatten menschlicher Fehlbarkeit und Sünde. Aber im Licht der
Erlösung kann auch dieser Schatten zerstreut werden.
Kapitel V:
Die Engel als dienende Geister in Schöpfung
und Heilsgeschichte

§ 15:
Die Existenz der Engel in den Offenbarungszeugnissen auf dem
Hintergrund des säkularisierten Weltbewußtseins
L ite ratu r: W. M. L. de Wette, L eh rb u ch der c h ristlich en D o g m atik , 2 Teile,
B erlin 218 2 1; P. D. C han tepie de la S aussaye, L eh rb uc h der R e lig io n s g e s c h ic h ­
te I, T ü b in g e n 41925; F. Stier, G ott un d sein E ngel im A lten T estam en t, M ü n ch en
1934; J. M ieh l, D ie E ng el vorstell ungen in der A p o k a ly p se des hl. Jo h an n es,
M ü n c h e n 1937; H. S tephan, G lau b e n sle h re , B erlin 31941; H. W. B artsch (H rsg.),
K ery g m a u nd M y th os, H am bu rg 1948; K. B arth, Die kirch lich e D o g m a tik III/3,
Z ü rich 1950; H. W. H e gem ann , D e r E ngel in der d e u ts c h e n K unst, M ü n c h e n
21950; H. B o nn et, R ealle x ik o n der ä g y ptisch en R elig io n sg e s c h ic h te , B erlin
1952; E. P eterson , D as B uch von den E n geln. S tellun g und B e d e u tu n g der h e il i­
gen E ng el im K u ltus, M ü n c h e n 21955; J. B rin k trin e, D ie L e h re von der
S c hö pfun g, P ad erb o rn 1956; Th. B ogler, D er E ng el in der m o d e rn e n K unst, in:
L itu rg ie und M ö n c h tu m H. 21 (1957) 110-121; G. v. Rad, T h e o lo g ie des A lten
T estam en ts I, M ü n ch en 1957; P. Tillich, S y stem atisch e T h e o lo g ie II, S tu ttg art
1958; D. Fr. S c h l e i e r m a c h e r , D e r c h r i s tl ic h e G la u b e I (neu h rs g . v on
M. R ed ek er), B erlin 1960; P.-R. R egam ey, Die Welt der E ng el, A sch affe nb urg
1961; A. W ink lho fer, Die Welt der E ngel, E ttal 1961; J. D anie lou , D ie Sen d un g
der E ngel, S alzburg 1962; H. Schlier, D ie E n gel nach dem N eu en T estam ent:
B esin n u n g au f das N eue T estam ent. E xeg etisch e A u fsätz e und V orträge II,
F reiburg 1964; H. G. Fritzsch e, L e h rb u c h der D o g m a tik II, G ö ttin g en 1967;
K. R ahner, S a c ra m e n tu m m u nd i I, Freibu rg 1967, 887-904; D ers., Ü b er Engel:
S chriften zur T h eo lo g ie X III, Z ü rich 1978, 381-428; M. S eem ann , Die Engel:
M y s te riu m Salutis II (hrsg. von J. F e in e r und M. L öh re r) E in sie d e ln 1967;
G. Tavard (u nter M itarb eit von A. C a q u o t und J. M ichl), D ie E ngel (H D G II/2b),
F re i b u r g 1968; P. L. B e rg e r, A u f d en S p u re n d er E n g e l. D ie m o d e r n e
G e se llsc h a ft und die W ied e re n td e c k u n g der T ran szen den z, F ra n k fu rt a.M. 1970;
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D ie P e rs o n en des Spiels, E in sied eln 1978; G. E b eling , D o g m a tik des c h ristlich en
G la u b e n s I, T ü b in g e n 1979; A. S z ab ö , D ie E n g e lv o r s te l lu n g v om A lte n
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H an d b u ch der D o g m a tik I, D ü s s e ld o rf 1992; H. Vorgrimler, W ie d e rk eh r der
E ng el? Ein altes T h e m a neu d u rch d a ch t, K ev elaer 21994; W. B e in e rt (H rsg.),
G la u b e n sz u g ä n g e . L e h rb u c h der k a th o lis c h e n D o g m a tik I, Pad erb o rn 1995.

Die Heilsgeschichte bezeugt auch das Wirken von geschaffenen


Geistern, die eine eigene Schöpfungsordnung darstellen. Die fraglo­
se Überzeugung von ihrer gottgeschaffenen Existenz und ihrer
Zugehörigkeit zur Heilswirklichkeit drückt Gregor d. Gr. (+ 604) in
dem Wort aus: „Die Existenz von E ngeln bezeugen beinahe alle
Seiten der Hl. Schrift“ 1. Trotzdem war der Glaube an die Engel nie
unangefochten, sei es, daß ihre Existenz, wie von den spätjüdischen
Sadduzäern, geleugnet wurde (vgl. Apg 23,8), sei es, daß ihr Wesen
verkannt wurde wie bei den Gnostikern, die sie aus Gott durch
Zeugung hervorgehen ließen und sie so zu göttlichen Wesen erhoben.
Die nachhaltigste Bestreitung erfuhr der Engelglaube aber durch den
neuzeitlichen Rationalismus, der seit dem frühen 17. Jahrhundert
auch in der protestantischen Theologie Einfluß gewann, woraufhin
diese Lehre als illegitimes Sondergut des „Papismus“ erklärt wurde2.
Seitdem ist die Engellehre dem modernen Bewußtsein immer frag­
würdiger geworden, obgleich Kritik und Skepsis nicht die Kraft be­
saßen, sich völlig durchzusetzen.
Angesichts der Gegnerschaft und der Zurücksetzung, die der En­
gelglaube vielfach erfährt, ist eine kurze Bilanzierung der Einwände
gegen diese Lehre angebracht.

I. Historische u n d gegenwärtige Kritik


1) Der religionsgeschichtliche Einwand
Auf dem Hintergrund der Tatsache, daß die Vorstellung von En­
geln einen weiten religionsgeschichtlichen Hintergrund besitzt und
ihre Wurzeln über das Alte Testament und die mosaische Zeit hin­
ausreichen, erklärt sich der Einwand einer grundsätzlichen Unori­
ginalität und fehlenden Offenbarungsgemäßheit des biblischen En­
gelglaubens. Für den vom theologischen Rationalismus bestimmten

1 H om . 34 in evan g., 9; freilich ist m it H. S c h l i e r die T ra g w e ite dies es W ortes e i n z u ­


g r e n z e n , weil die E n g el n ic h t in allen S c h r i ft e n des N e u e n T e sta m e n te s V orkom m en (z.B.
k a u m im J o h a n n e s e v a n g e l iu m u nd in den J o h a n n e s b r i e f e n ) und weil sie n ic h t als
H a u p t p e r s o n e n auftreten: Die E n g el n ach dem N e u e n T e sta m e n t, 160.
2 So in d er S y n o p sis p ap i s m i des a n g l i k a n i s c h e n K o n t r o v e rs t h e o l o g e n A. W illet; vgl.
G. Tavard, Die E n g el, 91.
w . M. L. de Wette (+ 1849) entstammt die Engellehre einer „auslän­
dischen mythologischen M etaphysik“, die fälschlich in die christli­
che Dogmatik hineingezogen wurde3. Nach H. Stephan sind die
Engel „ein Erbstück vorchristlicher Religion“ und ihre Übernahme
Kennzeichen eines „äußerlichen Biblizismus“4.
Als Ableitungsmöglichkeiten innerhalb des Horizontes der vor­
derorientalischen Welt legen sich Vorstellungen und Lehren in Ägyp­
ten nahe, die aber mehr einen Dämonenglauben erkennen lassen als
die Überzeugung von der Existenz wohlwollender Geister. Auch
wenn diese gelegentlich als Boten im Dienste einer Gottheit auftre-
ten, so betätigen sie sich doch vorzugsweise als Unheilsbringer,
denen gegenüber Zauber und Beschwörung eingesetzt werden müs­
sen5. Es handelt sich dabei vorwiegend um niedrige Götterwesen, die
in der Unterwelt über die ihnen nahestehenden Totengeister herr­
schen und den Menschen übel wollen, auch wenn im Volksglauben
wohlwollende Dämonen eine Rolle spielen, die jedoch die Über­
macht der dunklen Kräfte nicht übertreffen. Darum ist die Annahme
berechtigt, daß die diesbezüglichen Vergleichsmöglichkeiten gering
sind und keine Abhängigkeiten ergeben.
Etwas Ähnliches läßt sich bezüglich des Dämonenglaubens in
Babylonien und Assyrien sagen. Hier ist zunächst die Neigung stark
entwickelt, die dem Menschen widerständigen Naturkräfte zu Dä­
monen zu erheben und ihnen die unheilvollen Naturereignisse zuzu­
schreiben. Wo sie im Kreis der Götter auftreten, erscheinen sie als
Gestalten der Unterwelt, den Totengeistern angenähert. Ihnen und
ihrem Wirken wird wiederum mit Zauberriten begegnet. Gleichwohl
gibt es auch hier vor dem Unheil schützende Geister, die aber hinter
der Vielzahl der Dämonen zurücktreten6.
Am meisten Anklang hat der Versuch gefunden, die biblischen
Engel- und Dämonenvorstellungen auf die in die hellenistische Welt
hineinwirkende Religion der Perser zurückzuführen7, die in ihrem

3 L e h r b u c h der c h r i s t l i c h e n D o g m a t i k , 89.
4 G l a u b e n s l e h re , 12 5 f .
5 H. B o n n e t, R e a l le x ik o n der ä g y p t i s c h e n R e li g i o n s g e s c h i c h t e , 146ff.
6 C h a n te p ie de la S a u ss a y e , L e h r b u c h d e r R e li g i o n s g e s c h i c h t e I, 572.
7 N B L , Lfrg. 4, 537 (H. R ö ttg er); zum F o l g e n d e n vgl. A. S zabö , Die E n g e l v o r s t e l lu n g
vo m A lten T e sta m e n t bis zur G no s is , 147ff.
dualistischen Gepräge besonders auch den Erklärungsgrund für den
biblischen Gegensatz von Gott und Teufel abgeben sollte. Von der
Vorstellung des persischen Hofstaates scheint die platonisch be­
stimmte kleine pseudoaristotelische Schrift „Von der W elt“ beein­
druckt zu sein, in welcher der Autor zu erkennen gibt, daß am Thron
des höchsten Gottes ein prunkvoller Hofstaat von Dienern und
Wächtern zu dessen Schutz existiert. Solche Vorstellungen scheinen
dann in die griechische und römische Mythologie eingeflossen zu
sein, die aber nicht nur bei der Entwicklung eines Polydämonismus,
sondern bei der Götterlehre überhaupt Pate stand.
Gegen eine Abhängigkeit des Alten Testamentes vom Parsismus
spricht vor allem dessen dualistischer Grundzug, nach dem der böse
Gott Ahriman mit seinen Dämonen und der gute Gott Ahura Mazda
im Kampf miteinander standen. Direkte Einflüsse auf den Ursprung
des Engelglaubens im Alten Testament, wie er sich schon in den vor-
exilischen Schriften bekundet, sind deshalb nicht anzunehmen, so
daß eine neuere Stellungnahme zutreffend feststellt: „Ebenfalls
unklar ist der Einfluß anderer, vor allem persischer Einflüsse“8.
E ine W e itere n tw ick lu n g w ird sichtbar, w en n m an den B lick au f die späteren
a p o k a ly p tis c h e n Texte des A lten T estam en tes rich tet und au f die A p o k aly p tik
in s g esam t, die d anach vor allem in die altte s ta m e n tlic h e n A p o k ry p h en eindringt.
In den V isionen des P ro p h e te n S a c h a rja (1 ,7 -6 ,5 ) sp ielt der D eu te- oder
D o lm e tsc h e n g e l eine w ichtig e R olle als A u sle g e r der an den P ro p h e te n g eh end en
O ffen barun g. Das D a n ie lb u c h b e ric h te t nich t nur von ein er Vielzahl von D ienern
vor dem „ H o c h b e ta g te n “ (7,9f.), son dern au ch von „ V ö lk e re n g e ln “ , so von
M ic h a el (12,1), aber auch vom „ E n g e lfü rste n des P e rs e rre ic h e s “ (10 ,1 3), der den
E n gel G abriel an der V ollführung seines A u ftrag s h in d e rt (10,13). F ö rm liche
E n g e lss p e k u la tio n e n treten d anach in den altte s ta m e n tlic h e n A p o k ry p h e n hervor.
N ach d em „B uch der J u b ilä e n “ (15,32) g ib t es E ng el, die G ott von Israel a b h a l­
ten und aus deren H and er das Volk b efreien m uß, was au f die V orstellung von
e in e r gew issen S e lb s tä n d ig k e it der E n g e lk rä fte h in w e is t und ein en d u alistisc h e n
Z ug e rke nn en lä ß t9.

Ein anders geartetes Bild bietet wiederum die Engelauffassung


der (christlichen) Gnostiker, die Charakter und Ausmaß einer förm li­
chen Angelologie annimmt. In ihr erfährt nicht nur die Zahl der
Engel eine deutliche Zunahme, den Engeln kommt vielmehr auch
eine wesentliche Bedeutung zu innerhalb einer dualistischen und

8 E bd a., 53 7.
9 A. S zab ö , Die E n g e l v o r s t e l lu n g vo m A lten T e s t a m e n t bis zu r G n o s is , 150.
gegen die göttliche Schöpfung gerichteten Weltauffassung. Obgleich
in der Gnosis auch Elemente der jüdischen Apokalyptik wiederkeh­
ren, tritt der Gegensatz zwischen den guten Lichtengeln („Könige“,
„Herren“, „Gebieter“, Gerichtsengel) und den Schadensengeln schär­
fer hervor. Es findet aber auch eine Ausweitung der Engelsphäre
unter Aufnahme eines dritten Bereiches statt, so daß die klassische
Dualität zu einer Trichotomie entfaltet wird, zu einem M ittelreich
von Wesen, welche die unterschiedlichsten Aufgaben an der Schöp­
fung ausführen10.
Die V ielfalt d er g n o stisch en E ng el vor Stellungen rüh rt n ä m lic h von ein er
g ru n d s ä tz lic h e n D ista n z d ieser s y n k re tis tisc h e n W eltan sch au u n g zum „ h ö ch sten
G o tt“ her, w e lc h e r selbst nich t der S ch ö p fer ist, so ndern (in der m ild eren
F ass u n g d ie s e r an tisc h ö p fe ris c h e n T en den z) ihn dem u nter der S c hö pfun g s te ­
h e n d e n S ch ö p fe rg e ist ü b erlassen hat, der die F u nk tion eines D em iu rg e n ausübt.
D ie s e r s c h a f f t sich e in e z a h l r e i c h e , re i c h g e g li e d e r t e G e f o l g s c h a f t vo n
A rch o n ten , Ä on en, H im m els- und U n te rw e ltk ö n ig e n . D iese sind dann e n tw e d e r
an der S c h ö p fu n g selbst beteiligt, o der sie zeich nen v e ra n tw o rtlich für ihre
E x istenz. D er D em iu rg „ E lo h im “ sc hafft z u sam m en mit dem w eib lich g e d a ch ten
„ E d e m “ den M e n sc h e n , der, aus der V ereinigung der beid en z w ie sp ältig en W esen
en tstan d e n , selbst den Z w ie sp a lt (G eist, Seele) in sich tra gen und zu ein e r
u n g lü c k lic h e n E x isten z w erd en muß.
Aber noch ausgeprägter wird das Wirken der finsteren Engel
geschildert und erfahren. Die Schrift „Vom Ursprung der Welt“ schil­
dert das Wirken der finsteren Mächte schon anläßlich der Verführung
Evas, die weiteres Unheil über die Menschen bringt. Das „Apo-
kryphon des Johannes“ berichtet von der Verführung der M en­
schentöchter durch finstere Engel und von den bösen Folgen in der
Menschenwelt. Es ist aber auch von der Vertreibung der Archonten
durch die höherstehende Sophia die Rede und von ihrer Degradie­
rung zu Dämonen, die sich ihrerseits wieder niedrigere Schadens­
engel schaffen, welche in der Welt Magie, Irrlehre und Götzendienst
verbreiten".
D ie E n g e lw e lt der G n osis b ietet so ein biz arres d u alistisch es Pa no ram a, das
im G eg en satz zum guten S c h ö p fe rg o tt en tw ick e lt w urde und allein von sein er
geistigen W urzel h er keine G r u n d la g e n im A lten T e sta m ent hat. M it R echt ist
de sh alb auch gesag t w orden, daß zw isch en dem A lten T e stam en t und dem
F rü h ju d e n tu m ein erseits und der G n osis an dererseits kein e k o n tin u ie rlic h e L inie,
son dern ein v o llk o m m e n e r B ru ch besteh t. Was aber die B e zieh u n g d ieser An-

10 E b d a., 147ff.
11 E b d a., 151.
g elo lo g ie zum früh en C h ris te n tu m a ngeht, das sich sc h a r f gegen d iese V orstel­
lu n g en w andte, so ist d och auch eine g ew isse B e e in flu ssu n g festzu stellen . A b er
sie b e sta n d m eh r in äu ß eren A n leih en als in d er Ü b e rn a h m e w e se n tlic h e r Inhalte
und G ru n d v o rstellu n g en . D as C h ris te n tu m w ar a u fg u n d seines S c h ö p fu n g s g la u ­
bens un d sein er V orstellung von d er E in h e it z w isc h e n dem S chö pfer- und E r­
lö s erg o tt davor g efeit, ein em solch en ra d ik a le n D u alis m u s zu verfallen. D eshalb
ist auch die B e h a u p tu n g u n z u tre ffen d , daß g e w isse F orm en d er g n o stisch en
E n g e lv e r e h ru n g in den H e ilig e n k u lt der K irc h e ü b e rg e g a n g e n seien.

Im Rückblick auf die Frage nach der religionsgeschichtlichen


Abhängigkeit des alttestamentlichen Engelglaubens läßt sich in kei­
nem Fall eine Dependenz direkter Art von einer der genannten Quel­
len nachweisen. Aber es ist auch nicht so, daß keinerlei Berührungen
und Angleichungen zur israelitischen Umwelt festzustellen wären.
D arum ist die Annahme berechtigt, daß es sich bei den in der Alten
Welt viel verbreiteten Engelvorstellungen um ein festes Datum der
vor der Heilsoffenbarung liegenden Religionsgeschichte handelt, das
manche Verunklärungen und Verunstaltungen seitens des naturhaften
religiösen Denkens erfuhr, vor denen sich Israel unter dem Einfluß
des Jahweglaubens bewahren konnte. Daß dieser Glaube auf die
möglicherweise aus einer natürlich-übernatürlichen Uroffenbarung
kommende Wahrheit von den Engeln einen Einfluß ausübte, ist wohl
nicht zu bestreiten. Diese Erklärung macht die andere Annahme
unnötig, die den Engelglauben in seinem Entstehen enger an die reli­
giöse Erfahrung Israels binden möchte und ihn auf Lokalnumina
zurückführen möchte, die langsam zu Engeln hinabgestuft w urden12.
2) Die Einwände seitens der rational-naturwissenschaftlichen
Weltauffassung
Gegenwärtig beherrschender ist die Ablehnung aus Gründen des
aufgeklärten Denkens und der rational-wissenschaftlichen Weitsicht,
die den Engelglauben als Relikt einer mythischen Religiosität
betrachtet. Danach gelten Engel vielfach als Restbestände eines Ent­
wicklungsganges vom Mythos zum Logos oder als Residuen eines
vorwissenschaftlichen Weltbildes, das keine Geltung mehr beanspru­
chen kann. Als Initiator und Typus dieser Kritik darf D. Fr. Strauss
gelten (+ 1874), nach dem seit der Abkehr vom kopernikanischen
Weltbild und seit der Zuwendung zur naturwissenschaftlichen Welt-
erkenntnis dem Christentum „der Ort entzogen [ist], an welchem das
jüdische und christliche Altertum sich den von Engeln umgebenen
Thron Gottes dachte“ '3. Eine ähnliche Auffassung, wenn auch mit
stärkerer biblischer Begründung, macht sich bei R. Bultmann gel­
tend, wie das vielzitierte Wort zeigt: „Man kann nicht elektrisches
Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen medizinische
und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die
Geister- und Wunderwelt des Neuen Testamentes glauben“ 14. Das
bedingt die Forderung nach Entmythologisierung der biblischen
Engelvorstellung, die aber wegen der inneren Verbindung der neute-
stam entlichen Engelwelt mit der Offenbarung zu einer Entge-
schichtlichung des ganzen neutestamentlichen Kerygmas führen muß
und zu einer gänzlichen Reduzierung der Botschaft auf ihre existen­
tielle Bedeutsamkeit und auf das persönliche Betroffensein.
Wo das W agnis ein er so lch en radik alen A b lö su n g vom heilsg esch ic h tlich
v e ran k erte n K ery g m a des N eu en T estam entes g esch eu t wird, v ersuch t m an die
E rsc h lie ß u n g ein e r m ittle re n P o sitio n, in w e lch er der M yth os n ich t elim iniert,
so n d e r n i n t e r p r e tie r t w e rd e n s o l l 15. K o n k re t b e d e u te t dies, daß sich das
W a h rh e its m o m e n t des M y th os in ein neues V e rstän d n ism e d iu m ein fü g en und
u nter einen neu en V erstän d n ish o riz o n t stellen m uß, der d em n e u tes ta m en tlich en
te n d e n tiell en tspricht, aber der m o d e rn e n n atu rw isse n s c h a ftlic h e n D en kh altun g
n ich t w ide rspric ht. D as E in ig e n d e ist ein be stim m te s R e a litä tsb e w u ß tse in , das
m it ein e r W irk lich k eit je n s e its d er em p irisch en Welt des einz e ln en und der
K ollektive ernst m acht. Es artik u liert sich in der Ü b e rz e u g u n g , daß sich, ähnlich
wie um die an o rg an isch e M aterie , so auch um alles L e b e n d ig e un d B eseelte, ein
u m g reife n d e s K ra ftfe ld b reitet, das nic h t mit den K riterie n der N a tu rg e s e tz lic h ­
keit und der E m p irie a u sg e m a c h t w erden kann, das aber d o ch dem au f T ran sz en ­
denz an g ele g ten M en s ch en nicht u n e rre ic h b a r ist.

Von dieser Position ausgehend, gewinnt die biblische Vorstellung


von den Engeln freilich einen anderen Charakter: Sie ist nicht mehr
auf einen eindeutigen Wesensbegriff zu bringen und mit einer perso­
nalen Auffassung zu vereinen. Einen relativ klaren Ausdruck hat die­
ser mit dichterischer Vieldeutigkeit behafteten Auffassung P. Tillich
gegeben. Er versteht unter den „mythologischen Namen“ von Engeln
„überindividuelle Strukturen des Guten und überindividuelle Struk­
turen des Bösen“ . Es handelt sich bei ihnen um „konstruktive und

13 Die c h r is tlic h e G la u b e n s l e h r e I, 1840, 670f.


14 K e r y g m a u nd M y t h o s I, 136.
15 So H .- G . F ritz s c h e , L eh rb u c h d e r D o g m a t i k II, 350f.
destruktive Seinsmächte“ . Sie sind „keine Einzelwesen“ , sondern
Seinsmächte, die von der Gesamtstruktur der Existenz abhängig und
in die Zweideutigkeit des Lebens verflochten sind“. Sie stellen Z ei­
chen dar für das Eingefügtsein des Menschen in einen universalen
Schicksalszusammenhang“ l6.
Man darf diese Deutung als eine anthropologische Interpretation
der Engel verstehen, die in ihnen nicht mehr ein personales G egen­
über zum Menschen sieht, sondern eine mit dem Menschen gegebe-
ne, aber über ihn hinausreichende Dynamik, ähnlich wie der Engel
bei R. M. Rilke zum verinnerlichten Kosmos des Menschen selbst
gehört (allerdings bei diesem Dichter mit der Konsequenz, daß auch
die eigene Personalität in Auflösung gerät). Eine noch weitere sub-
jektivistisch-existentialistische Verengung erfährt diese Engelvor­
stellung etwa bei G. Gloege, der in den Engeln nur ein Ideogramm
für den „Anredecharakter des Daseins“ erkennt oder auch ein Sym­
bol für das „gottgefällige Wesen der Welt“, das sich in „den drei
Modi der Rühmung des Schöpfers ..., der Bewahrung des Menschen“
und „der Sinnerfüllung der Welt“ zu erkennen gibt. Unter diesem
Aspekt betrachtet, „vermag jede Erscheinung der Schöpfung befri­
stet ‘E ngel’ zu werden“ 17, ein Urteil, das einer Preisgabe des eigent­
lichen Engelglaubens gleichkommt.
So bleibt angesichts dieser Versuche zur Erhaltung eines Restes
des Engelglaubens in einer positivistischen Geisteswelt, die an sich
allein doch kein Genügen findet, die Frage, ob diese Umdeutung
intellektuell ganz redlich ist und ob sich dabei unter dem Vor wand
der „Rettung“ nicht eine Abkehr vom ursprünglich Geglaubten voll­
zieht, die zudem noch in dem neuen Mythos von einem „geistigen
Kraftfeld“ zu landen droht.
Jedenfalls h ab en solche G ru n d te n d e n z e n zu e in e r m e rk lic h e n D istan zie ru n g
der T heo lo gie von der E n g e lle h re geführt. S c ho n D. Fr. S c h le ie rm a c h e r (+ 1834)
bekundete eine deu tlich e D ista n z zur E n g e lle h re , w enn er b eh au p te te, daß sie
zwar „m it der G ru n d lag e allen g o ttg lä u b ig e n G la u b e n s “ nicht im W id ersp ru ch
stehe, aber doch „n irg end s in den K reis der eig e n tlic h e n c h ristlich en L ehre h in ­
eing ez o g en “ s e i 18 (ein U rteil, das sich etw a an der a ltp ro te sta n tis c h e n D o g m a tik

16 P. Tillich, S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 47.


17 G. G lo eg e, Engel: R G G II, 669.
18 D. Fr. S ch le ie r m a c h e r , D e r c h r istlic h e G l a u b e I, 205 (§ 42).
nicht verifizieren läßt). Ihm bleibt das Thema für die Dogmatik irrelevant,
obgleich er die Engelvorstellung für den Privatgebrauch und in der Liturgie kon­
zediert19, ohne zu bedenken, daß wegen der Einheit von lex orandi und lex cre-
dendi die Dogmatik sowohl aus der Liturgie schöpfen wie ihre Aussagen auch
legitimieren muß.
In einer entschiedenen Gegenbewegung erschloß K. Barth, der
die Lehrentw icklung in der Theologie seit Schleierm acher kritisch
unter den B egriff der „A ngelologie des A chselzuckens“ stellt20, der
Engellehre wieder einen angem essenen Raum , indem er die Engel als
Teilaspekt der geschaffenen „him m lischen W elt“ versteht, als das
„H im m elreich“ , das auf die Erde herabkom m t. Als him m lisch-krea-
türliche G estalten sind sie „Gott angem essen und dienlich ..., zu sei­
ner R epräsentation und Bezeugung geeignet“ , aber als kreatürliche
G estalten „auch dem M enschen, der irdischen K reatur überhaupt
angem essen, in der ihr G ott zugänglich, seine R epräsentation und
B ezeugung vernehm bar ist“21.
D e r Impuls zur W iedergew innung einer b ib lisch-heilsrea listische n
Engellehre ist aber im Raum der evangelischen Theologie nicht überzeugend
wirksam geworden. Das anthropozentrische und das idealistisch-progressive
Denken in der evangelischen Theologie vermögen den Engeln keine selbständi­
ge Bedeutung mehr einzuräumen. Wo die Theologie auf das Gott-Mensch-
Verhältnis reduziert oder auf den Weltbezug des auf die Zukunft ausgerichteten
Gottes eingegrenzt wird, ist kein Raum mehr für die Existenz und die Funktion
einer „himmlischen Welt“ . So bemerkt zwar G. Ebeling, daß die Theologie das
Thema wegen der biblischen Überlieferung und des Niederschlages in der christ­
lichen Frömmigkeit nicht umgehen könne. Aber er begnügt sich doch mit dem
Hinweis, daß es innerhalb des Wirkens der göttlichen Providenz verborgene
Mächte gebe, „durch die Gott uns gleichsam zuwinkt“22, ohne daß der theologi­
sche Gedanke sich um eine Sinnerfassung oder einen Beweis für diese Mächte
bemüht.
J. Moltmann bringt die Engel notdürftig in dem Schema einer „dualen Welt“
unter, in welcher der „Himmel die relative Transzendenz zu r Erde“ bedeutet und
so für ein „offenes System“ der Welt steht. Darin sind die Engel „Potenzen
Gottes im Bereich seiner M öglichkeiten“23, die in den Raum der Schöpfung hin ­
aus entfaltet werden. Aber die Vorstellung eines solchen Reiches der Ideen und
Kräfte, das an einer Stelle der platonischen Ideenlehre nahekommt, wäre in sich
auch schlüssig, wenn darin keine Engel vorkämen, die offenbar hier nur als
Reminiszenz an eine alte Tradition genannt werden.

19 E b d a., 211 (§ 43).


20 Die k i r c h l ic h e D o g m a t i k III/3, 480.
21 D ie k i r c h l ic h e D o g m a t i k III/3, 488.
22 D o g m a t i k des c h r is tlic h e n G l a u b e n s I. 332f.
23 G o tt in der S c h ö p f u n g . Ö k o l o g i s c h e S c h ö p f u n g s l e h r e , 175f.
U n te r Würdigung des Neuansatzes von K. Barth schenkt W. Pannenberg dem
T h e m a g rö ßere B e ach tu n g , ohne es zu ein er fö r m lic h e n L ehre zu entfalten. A b er
er entwickelt (bemerkenswerterweise in Abhängigkeit von der schöpferischen
Wirksamkeit des Heiligen Geistes) Grundsätze, nach welchen die Engel als
Mächte und Gewalten analog zur Dynamik des Geistes zu verstehen sind, die der
Herrschaft des erhöhten Christus in der Welt dienen sollen. Allerdings wird
dab ei die Vorstellung von der Personhaftigkeit dieser Geistwesen als schwierig
empfunden24.

In neuerer Zeit hat evangelischerseits vor allem E. Schlink die


biblische W ahrheit von den Engeln w ieder aufgenom m en und, wenn
auch in konzentrierter Weise, zu einem theologischen Them a erho­
ben. Innerhalb der Lehre von der E rhaltung der Welt spricht er vom
„D ienst der E ngel“ . Für ihn besteht kein Zw eifel daran, „daß Gott
von personalen G eschöpfen um geben ist“ , die in zwei Richtungen
tätig sind: in der A nbetung G ottes im him m lischen G ottesdienst und
als göttliche Boten in der H eilsgeschichte, die als von G ott unter­
schiedene Personen begegnen. O bgleich m it Recht die V erselbstän­
digung der E ngelw elt in Theologie und V olksfröm m igkeit kritisiert
wird, ist sie aus der christlichen W ahrheit nicht wegzudenken, und
zw ar nicht nur als Verweis auf die alle Em pirie transzendierende Un-
erm eßlichkeit der Schöpfung, sondern als G arant der W ahrheit, daß
G ottes R eich in einem Teil der Schöpfung schon vollkom m ene
W irklichkeit geworden ist und dabei auch die sichtbare Schöpfung
im m er m ehr durchdrungen w ird25.
Von dieser prägnanten Konzeption, die w eithin auch das Denken
der katholischen und erst recht der orthodoxen Theologie bestim m te,
scheint neuerdings auch die katholische Theologie A bstand zu neh­
m en26, was umso w eniger zu verstehen ist, als sich in der G egenw art
eine erstaunliche N eubelebung des E ngelglaubens vollzieht, die zwar

24 W. P an n e n b e r g , S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 12 5ff.
25 E. S ch lin k, Ö k u m e n i s c h e D o g m a tik , 176ff.
26 So w ird im „ H a n d b u c h d e r D o g m a t i k “ I (hrsg. von Th. S ch n e id e r ), 163, n u r kurz
b e r ic h te t, d aß „die B ibel von d en Taten des T eufe ls, vo n D ä m o n e n u n d E n g e l n e r z ä h l t “ ; in
d em L e h rb u c h „ G l a u b e n s z u g ä n g e “ I, 4 1 8 - 4 2 1 , w ird r ein p ositiv ü b er „B ö se G eis ter und
E n g el n a c h der B i b e l “ b erich tet. G eg en T en d e n z e n im B e re ic h d er „ N o u v e lle T h e o l o g i e “
zur Z u r ü c k s e t z u n g d e r E n g e l le h r e n ah m sc h on die E n z y k l ik a „ H u m a n i g e n e r i s “ (19 48)
S tellu n g ; vgl. A. W in k lh o fer, D ie Welt der E n g el, 144. E in e E in r e i h u n g d e r E n g e l w e l t in
die a l t t e s t a m e n tl i c h e n L e g e n d e n b i l d u n g e n n i m m t H. H a a g vor: T e u fe ls g la u b e , 246: „D en
F ehler, j ü d i s c h e L e g e n d e n zu m D o g m a zu e r h e b e n , h at erst das C h r i s t e n t u m b e g a n g e n “ .
Vom „ S t r a n d g u t i n n e r w e l t l ic h e n G l a u b e n s o h n e B e d e u t u n g “ spricht au ch das „N eu e
H a n d b u c h th e o l o g i s c h e r G r u n d b e g r i f f e “ I, 349 (B. L an g).
am bivalent ist und kritisch hinterfragt werden muß, die aber doch
positive A nsätze zu einer N eubegründung des biblischen E ngelglau­
bens in seinem w esentlichen und bleibenden G ehalt bietet.
3) A nknüpfungspunkte im m odernen Denken
Die T heologie kann nicht übersehen, daß sich inm itten des T ra­
ditionsverlustes der postm odernen Welt eine W endung zur Trans­
zendenz abzeichnet, die auch eine A nnäherung an die Vorstellung
von den Engeln im Gefolge hat. O bgleich eine solche W endung nicht
unkritisch zu beurteilen ist und nicht in jedem Fall zur Begegnung
m it der W ahrheit führt (insofern es sich auch um Surrogate des W ah­
ren handeln kann, wie etw a bei den Engeln der N ew -A ge-Bew egung,
die als kosm ische Ü berhöhung des Individuum s gedeutet w erden), so
sind doch die zahlreichen Versuche von Kunst, D ichtung und L itera­
tur zur R eaktivierung der E ngelvorstellung bem erkensw ert27. Ein
Zentralm otiv bildeten die Engel im Werk M arc Chagalls, der auf­
grund visionärer Erfahrung „zu dem E ngelm aler unseres Jahrhun­
derts“ w urde28. Eine ähnliche Bedeutung kom m t den E ngelbildern
Paul K lees zu, von denen sich der Philosoph W. B enjam in in seiner
geschichtsphilosophischen Spekulation beeinflussen ließ29.
B esonders in der D ichtung des 20. Jahrhunderts haben die Engel
aufgrund authentischer religiöser Erfahrungen eine H eim statt gefun­
den. In C hristian M orgensterns Lyrik, von anthroposophischem
„G eistesw issen“ geprägt, w ird der Engel als „W eisheit m eines h öhe­
ren Ich“ das über den M enschen seine Flügel breitet, besungen und
verehrt. In R. M. Rilkes D uineser Elegien haben die Engel zwar ihre
biblische B otenfunktion eingebüßt, aber als W esen der geglückten
S chöpfung je n se its der G eb rochenheit ird isch e r E xistenz ihre
B edeutung für den M enschen behalten30. Franz W erfels „Stern der
U ngeborenen“ (1949) m öchte zu einer Engelvorstellung beitragen,
die an „protom ateriellen, ultrakörperlichen W esenheiten“ festhält m it

27 Vgl. d a z u die i n f o rm a tiv e Z u s a m m e n s te ll u n g ü b er „Die W i e d e r k e h r der E n g e l “ von


U. W o lff in: I m p u ls e Nr. 32, 11/1991.
28 E b d a., 3.
29 E b da., 18 f.; zu E n g e l d a r s t e l l u n g e n in der b il d e n d e n K u n s t vgl. Th. Bog ler, D er E n g e l
in d er m o d e r n e n Kunst, in: L itu rgie u n d M ö n c h t u m H . 21 (19 5 7) 110-121.
30 Vgl. H. U. v. B a lth as ar , T h e o d r a m a t i k 0 / 2 , 4 28f; A. W in k lh o f er, D ie Welt d er E n g el,
13.
einer „tiefen N eigung für ihre gesunkenen Halbbrüder, die M en­
schen“31. In der Lyrik von M .-L .K aschnitz wird die G renz- und
K ontingenzerfahrung m enschlicher Liebe zum H inw eiszeichen ange-
lischer Existenzen.
N eben den schw ebenden D eutungsm öglichkeiten, welche die
D ichtung bezüglich der Erscheinung des Engels anbietet, treten die
bestim m teren Versuche einer philosophisch orientierten Literatur,
w elche um die W iederentdeckung der Engel unter den B edingungen
der säkularisierten Welt bem üht ist. So sucht P. L. B erger nach
Zeichen in der transzendenzoffenen W irklichkeit, die als Vorentw urf
einer Engelkunde gelten könnten32. Bei W. B enjam in geht es ähnlich
um die E rfahrung von T ranszendenz im A lltag, die m it der
Erscheinung des Engels verknüpft ist33.
Abgesehen von esoterischer Exzentrik und phantasievoller Spekulation, in
der sich widersprüchlichste Intentionen kreuzen, ist diese Konjunktur eines
säkularisierten und experimentierenden Engelglaubens als Anfrage an die
Theologie ernst zu nehmen. Diese vieldeutigen A h n u n g e n zeugen je d e n f a lls von
ein er Wirklichkeitsauffassung, die nicht mehr vom positivistisch-mechanisti-
schen Weltbild des 19. Jahrhunderts bestimmt ist, dem auch R. Bultmann noch
anhing. Es ist vielmehr eine Weitsicht, in der die Eindimensionalität a u fg e b r o ­
chen ist und auf Transzendenz hin überschritten wird, in der sich dem Menschen
eine ihn überragende Geisteskraft auftut. Die sich der Theologie hier stellende
Aufgabe besteht in d er Freilegung des gültigen Anliegens dieser Engelrenais­
sance und seiner Läuterung am Maßstab eines vernunftgemäßen Offenbarungs­
glaubens. So können die tastenden Versuche zur wirklichen Begegnung mit der
Transzendenz führen und die Engel nicht nur als sublime Überhöhung des e ig e ­
nen Ich verstanden werden, sondern als Künder des Geheimnisses Gottes im
Heilswerk Jesu Christi.

Auch wenn die T heologie bei diesem ihrem Bem ühen einer
H ypertrophie des m it m anchen heterogenen Stoffen verm ischten
Volksglaubens w iderstehen und den Engeln einen nicht ungem esse­
nen Ort in der H eilsökonom ie zuw eisen muß, so sollte sie sich doch
auch der M ahnung Fr. W. I. Schellings erinnern, daß die „Vorstellung
des Satans wie der guten und bösen Engel so tief in den ganzen
Inhalt des C hristentum s eingreifen, daß w er darüber seine A nsicht

31 U. Wolff, a.a.O., 18.


32 A u f den S p u re n d er Engel, 133; vgl. auch A. W in k lh o f e r, Die W elt d e r E n g el, 13.
33 U. Wolff, a.a.O ., 20.
nicht festgestellt hat, über den Sinn des Christentum s nur schw an­
kender V orstellungen fähig ist“34.

II. Biblische Grundlagen


1) Die Entw icklung im A lten Testam ent
Wenn m an von der nicht ganz aufzuklärenden W ir-Form el des
P-B erichtes (G en 1,26 m it der V orstellung eines him m lischen
H ofstaates im H intergrund) und dem m ythologischen Einschub
(Gen 6,1-4) absieht, so haben die Engel in der G eschichte der
Patriarchen und in den älteren Schriften des Pentateuch ihre schon in
der Tradition Vorgefundene Stellung als von G ott G esandte zur
Verm ittlung seiner B otschaft und zur K om m unikation m it berufenen
M enschen (Gen 16,7-13; 17; 19,1). H inter der besonders ausgepräg­
ten Erscheinung von Engeln vor dem im Traum versunkenen Jakob
(Gen 28,12-17) steht die Ü berzeugung, daß sich im Him m el um G ott
seine Boten scharen, die den M enschen seine W eisungen überm itteln
und so H im m el und Erde verbinden.
Die enge Beziehung der Engel zu Gott kommt besonders in der hervorgeho­
benen Gestalt des „Engels Jahwes“ (m al’ äk jahweh) zum Ausdruck, der gleich­
sam als Vertreter Jahwes auftritt, in dem er sich dem Bundesvolk oder seinen
Gliedern offenbart (Gen 16,7-14; Ex 3,2-6 u.ö.) und „die geradezu Person
gew ordene Hilfe Jahwes für I s r a e l “ 35 m anifestiert. Zur F estlegung des
Verhältnisses zw ischen Jahwe und diesem seinem Boten, das zw ischen
Identifizierung und Unterordnung schwankt, hat die alttestamentliche Exegese
eine Reihe von Theorien entwickelt (Repräsentations-, Identitäts-, Logos-,
Revelationstheorie)36, welche als Grundbestimmung erkennen lassen, daß der in
der Nähe Gottes stehende Engel die Allgegenwart Jahwes und seine unsichtbare
Herrlichkeit präsent werden lassen kann. Diesem Engel kommt eine besondere
Funktion in der H eilsgeschichte zu. Er wirkt fast wie ein m ittierischer
A m tsträger des Bundes Verhältnisses“ 37 (vgl. Ex 14,19; 23,20; 33,2f.;
2 Sam 14,17-20).
Als A usführungsorgane des göttlichen W illens erschienen die
Engel auch in der lyrischen Ü berlieferung. Von ihrer Nähe zu Gott
em pfangen sie die auszeichnenden Nam en der „H eiligen“ , die vor

34 S c h e llin g s W erk e (hrsg. vo n K. F. A. S ch ellin g) S tu ttgart 1856ff.; Bd. 14, 292.


35 M. S e e m a n n , D ie E n g el, 956.
36 E b d a., 957ff.
37 G. v. R a d, T h e o l o g ie des A lten T e sta m e n ts I, 285.
G ott eine Gem einde bilden (Ps 89,6), oder der „Söhne G ottes“ , die
dem H errn zujauchzen (Ps 29,1; Ijob 38,7).
Dabei ist zu erkennen, daß die Engelvorstellung in den nachexi-
lischen Büchern (D aniel, Sacharja, Ijob) eine reichere und individu­
ellere A usgestaltung erfährt. W ährend in der älteren Ü berlieferung
der G esam taspekt auf die Schar der gottnahen und den M enschen
hilfreich zugew andten W esen besteht, kom m t es danach zu einer stär­
keren Individualisierung ihrer G estalt, zur Spezifizierung ihrer A uf­
gaben und zur Verteilung von Eigennam en (von denen das Alte Te­
stam ent allerdings nur drei kennt: Raphael, G abriel, M ichael). Beim
Propheten D aniel erscheinen sie als das „H eer des H im m els“ und als
Streitm acht Jahwes (Dan 8,10f.). Im Buch Ezechiel treten „vier
Lebew esen“ als Träger des Thrones Jahw es auf (Ez 1,4-28) und w er­
den als Kerube bezeichnet (Ez 10,1). In der B erufungsvision des
Jesaja werden sie als Seraphim bezeichnet (s-r-p = „brennen“), denen
hier die A ufgabe zukom m t, zw ischen G ott und dem M enschen zu
verm itteln, und zwar sowohl vom Him m el zur Erde als auch in
R ichtung vom M enschen zu G ott (Jes 6,1-13; vgl. auch
2 Kön 2,1 lf.). So zeigt das Alte Testam ent zwar keine einheitliche
Engelauffassung, aber w eist doch auf eine verborgene M itte der
w achsenden E ngelvorstellung. D iese liegt in dem theozentrischen
Bezug der Engel, in ihrer Verbindung m it dem rettenden und heilen­
den W irken G ottes, das sie repräsentieren. So haben sie (im G egen­
satz zur späteren A pokalyptik und G nosis) ihre B edeutung nicht in
sich selbst, sondern im H inw eischarakter ihrer Existenz und ihres
Dienstes auf den Gott des Heils.
D iese Theozentrik ist geeignet, das Gewicht der im Alten Testament auch
vorkommenden Angleichungen an mythische und weltbildbedingte A n s c h a u ­
ung en zu verringern und ihre Bedeutung zu entschärfen. So ist z.B. die A n­
schauung von Engeln als Kronrat oder als Hofstaat Jahwes (vgl. Ps 89,öff.), die
in der ugaritischen Poesie und Mythologie heimisch war und erst in der
Königszeit in Israel aufkam, eine Angleichung der Gottes Vorstellung an die
Königsideologie und eine Poetisierung des Engelglaubens. Aber diese Ver­
äußerlichung wird begrenzt und gebannt durch den Glauben an die ganz anders
geartete Schöpfermacht Jahwes, die der Engel nicht des äußeren Prunkes wegen
bedarf, sondern sie wie die Propheten als Boten und Interpreten seiner
Heilsgegenwart einsetzt.
2) Die Engel als W irkm ächte des G ottesreiches im
N euen Testam ent
W enn der Engelglaube des Neuen Testam entes auch in der
Tradition des A lten Testam entes steht, so tritt in ihm doch eine neue
Perspektive zutage, die den Inhalt dieses G laubens einer N euprägung
unterzieht. W irken die Engel des Alten Bundes als R epräsentanten
des vorerst nur im Him m el existierenden G ottesreiches, so überneh­
m en sie m it der H erabkunft dieses R eiches im m enschgew ordenen
Sohn und in der Sendung des H eiligen G eistes den D ienst für dieses
w achsende R eich Gottes auf Erden. D eshalb treten sie betont an den
H öhepunkten des neutestam entlichen H eilsgeschehens auf und w er­
den gleichsam zu „Personen des Spiels“38, freilich in Ein- und
U nterordnung gegenüber C hristus, der allen Engeln überlegen ist
(vgl. Hebr 1,3-13), weil er der Schöpfer alles Sichtbaren und U n­
sichtbaren ist (vgl. Kol 1,16). So treten die Engel schon am E insatz­
punkt des in Christus zur Vollendung strebenden H eilsdram as in
E rscheinung, w ie an der K in d h eitsg esch ich te Jesu und ih rer
V orbereitungsphase deutlich wird (Lk 1,5-2,52). H ier sind der Engel
G abriel und die Engel der W eihnacht die B otschafter und Interpreten
der G roßtaten Gottes. In der von M atthäus berichteten G eburts­
geschichte (M t 1,18-24 m it den W eiterungen Mt 2,13-15.19-23) tritt
der Engel als Verm ittler der Erkenntnis G ottes an den M enschen auf,
der sich dam it zugleich auch als Schützer und R etter des M ensch­
gew ordenen erw eist. Entsprechend ist auch das Ende des H eilsw er­
kes Jesu Christi auf Erden in Tod und A uferstehung und H im m elfahrt
von Engeln um standen und von ihrer tätigen G egenw art bestim m t.
Ein Engel bietet dem Erlöser K raft in seiner Todespein (Lk 22,43),
E ngelgestalten w irken als Verkünder der O sterbotschaft und fordern
zu ihrer Verbreitung auf (M t 28,2-8; M k 16,3; Lk 24,4-9). Bei der
H im m elfahrt C hristi belehren zwei Engel die Jünger über die E nt­
rückung des H errn und über seine W iederkunft am Ende der Z eiten
( A p g l,10f.).
Zwischen dem Anfang und dem Ende des Erlöserwirkens Christi aber breitet
sich sein tätiges Leben, in dem die Engel als Diener und Bekenner des Erlösers

38 So H. U. v. B a lth as ar, T h e o d r a m a t i k IT/2, 449ff.


auftreten (M t 4,11; Mk 1,13), die sich ü ber die B ek e h ru n g der S ü n d e r freuen
(Lk 15,10), d en en er die M a c h t und S tr e itk ra ft von L e g io n e n z u e rk e n n t
(M t 26,5 3), w elche auch die J ü n g e r über d em M e n s c h e n so h n „auf- und n ie d e r­
steig en se h e n “ w erd en (Joh 1,51) und die bei sein er W ied e rk u n ft in seinem
A u f tr a g d ie A u s e r w ä h l t e n s a m m e l n w e r d e n (M t 24,31 im A n s c h l u ß an
Dan 7,13f.)-
So ist kein Zw eifel daran m öglich, daß das Leben Jesu m it der
W elt der Engel verw oben ist, die sein W irken helfend und verkündi­
gend begleiten und zugleich dem A ufw eis seiner M acht und H err­
lichkeit dienen. Aber sie um sorgen auch die M enschen und nehm en
unter ihnen besonders die „K leinen“ (d.h. die „E infältigen“ und „G e­
ringgeachteten“) unter ihren Schutz (vgl. M t 18,10). Den gleichen
D ienst vollführen sie aber auch im Leben der Gem einde Christi, wie
ihr A uftreten bei der Verkündigung der A postel zeigt (Apg 5,19f.)
und beim W achsen der K irche im Verfolg ihrer m issionarischen
A rbeit (Apg 8,26ff.; Apg 10,3). H ier kom m t es zugleich zu einer
K oinzidenz der Engel m it dem W irken des G eistes (Apg 11,7.12),
woran sich ihre Zugehörigkeit zur Sphäre der H eiligkeit und zur
G eistfülle Gottes bestätigt.
Eine nochm alige Ü berhöhung erfährt das W irken der Engelw elt
in der D arstellung der O ffenbarung des Johannes, wo sie bei der
Vollendung des G ottesreiches als O ffenbarungsm ittler (Offb 1,1.20),
als Bew ahrer der Schöpfung (Offb 7,1; 14,18; 16,5), aber auch als
G erichtsengel fungieren (Offb 8,2-9,21). Ihren höchsten A uftrag aber
vollführen sie in der Feier der him m lischen Liturgie vor dem
geschlachteten Lam m (Offb 5,12). Sie beziehen dabei die ganze
Schöpfung in ihren Lobpreis ein (Offb 5,11-14) und erw eisen sich so
als höchste Sinnträger der auf G ott ausgerichteten Schöpfung. Die
A ussagen der Offb über die „him m lische L iturgie“ darf man als ent­
scheidende theologische W ertung der E xistenz und des D ienstes der
Engel verstehen, ohne welche die Schöpfung der Engelw elt ihren
tiefsten Sinn einbüßte. D iese W ertung darf auch zugunsten einer rein
anthropozentrischen oder kosm ozentrischen A usrichtung der E ngel­
lehre nicht aufgegeben w erden39.
Die enge V erflochtenheit der Engel m it dem Werk Christi und
dem Erlösungsdram a (die auf der anderen Seite durch den W ider­

39 Vgl. d azu K. R a hn er, Ü b e r E n g el, 3 8 1-4 2 8.


stand der bösen M ächte und Gew alten kontrastiert wird, ohne daß
hier von einer gleich starken Parallele gesprochen werden kann) ver­
bietet es, den neutestam entlichen Engelglauben als A kkom m odation
an volkstüm liche, aus der R eligionsgeschichte bekannte V orstellun­
gen zu erklären. Dann m üßte sowohl das göttliche Persongeheim nis
C hristi geleugnet w erden als auch die R ealität des ErlösungsW erkes
selbst in Frage gestellt w erden (wie das die existentiale Theologie
folgerichtig tut). Die R ealität ihrer Existenz und ihrer E rscheinun­
gen, die freilich im m er auch vom Geheim nis ihrer den M enschen
überragenden Größe um strahlt ist, läßt auch die neuerdings versuch­
te tiefenpsychologische D eutung der Engel als „U rgestalt der eige­
nen Person“ oder als „E xistenzgew issen des D aseins“40 unbegründet
erscheinen.
Gegen eine solche Subjektivierung der neutestam entlichen E n ­
gelgestalten spricht auch die Lehre des A postels Paulus, bei dem die
neutestam entliche Entw icklung des Engelverständnisses eine gew is­
se W eiterführung gefunden hat. Paulus blickt gleichsam von der
Höhe des irdisch vollendeten C hristusereignisses auf das H eils­
geschehen und sucht die grundsätzliche Einordnung der Engel in d ie ­
ses G eschehen zu erklären. Sie gelten ihm als Zeugen des geheim ­
n ish aften G eschehens (andeutungsw eise in der A ussage von
1 Kor 4,9), das „von den Engeln geschaut“ worden ist (1 Tim 3,16).
Als Zeugen der Ordnung der göttlichen Schöpfung (so eine m ögliche
Interpretation von 1 Kor 11,10) können sie auch als Zeugen vor der
G em einde angerufen werden (1 Tim 5,21). Sie sind dem H eilsw erk
so präsent, daß sie am Ende bei der W iederkunft Christi gegenw ärtig
sein und sich unverhüllt zu erkennen geben werden (1 Thess 4,16;
2 Thess 1,7). Bei allem steht die absolute V orrangstellung C hristi
über die Engel (Phil 2,8-10; H ebr 1,4) außer Zw eifel, insofern die
Engel als „nur dienende G eister ausgesandt [sind], um denen zu h e l­
fen, die das Heil erben sollen“ (Hebr 1,14). H ier deutet sich m ögli­
cherw eise eine A bw ehrstellung gegenüber einem übertriebenen
E ngelkult an, der vor der M ajestät des erhöhten H errn nicht bestehen
kann.

40 So bei E. D r e w e r m a n n , T i e f e n p s y c h o l o g i e und E x eg ese I, O lten 198 4/85, 509.


In der A useinandersetzung m it einem irrigen E ngelkult (vgl.
Kol 2,8; Gal 4,3-9) erw ähnt Paulus noch andere Nam en, Funktionen
und G ruppierungen von Engeln, die eine gew isse A bw eichung vom
sonstigen neutestam entlichen Bild der Engel erkennen lassen. Hier
treten „M ächte“ (Röm 8,38; 1 Kor 15,24) , „G ew alten“ (Eph 1,21;
Kol 1,16; 1 Petr 3,22), „Fürstentüm er“ (Röm 8,38; Kol 2,10), „H err­
schaften und T hrone“ (Kol 1,16) auf, die vornehm lich, wenn auch
nicht ausschließlich, böse M ächte m it kosm ischen Funktionen m ei­
nen. E ntscheidend ist ihnen gegenüber die gläubige Ü berzeugung,
daß auch sie der H errschaft Christi unterw orfen sind (Eph 1,21) und
daß sie bei der Parusie ihre M acht verlieren werden (1 Kor 15,24).
So zeigt das Zeugnis des N euen Testam entes bezüglich der Engel
eine gew isse R eichhaltigkeit, aber doch keine lehrm äßige E indeu­
tigkeit und Einheitlichkeit. Das N eue Testam ent stellt weder die
Frage nach dem W esen der Engel noch nach ihrer Seinsw eise (trotz
solcher H inw eise auf das „angelische L eben“ wie Lk 20,34ff. parr.).
A uch erteilt es keine A uskunft darüber, w iew eit der biblische
E ngelglaube m it allgem ein religiösen V orstellungen der U m w elt ver­
quickt ist. Im m erhin tritt in seiner „C hristozentrik“ etw as Spezi­
fisches zutage, das den Engelglauben zu einer eigenen Höhe und
B edeutung erhebt.

§16 :
Die Entfaltung der Engellehre in der Theologie- und
Dogmengeschichte
Literatur: K. J. Hefele, K onzilieng eschichte 2III, Freiburg 1877; Fr.
Diekamp, Die origenistischen Streitigkeiten im sechsten Jahrhundert und das
fü nfte allgemeine Konzil, Münster 1898; P. Rottee, La Coscienza Religiosa
Medievale: Angelologia, Turin 1908; K. Pelz, Die Engellehre des hl. Augustinus,
Münster 1912; L. Kurz, Gregors d. Gr. Lehre von den Engeln, Rottenburg 1938;
Fr. Sagnard, La Gnose Valentinienne et le Temoignage de saint Irenee, Paris
1947; K. Barth, Die kirchliche Dogmatik III/3, Zürich 1950; H. Bietenhard, Die
him m lische Welt im U rchristentum und Spätjudentum , T übingen 1951;
I. Danielou, Les Anges et leurs Mission d ’apres les Peres de l ’Eglise, Chevtogne
1951; J. A. Jungmann S.J., Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der
Römischen Messe, 2 Bd.e, Freiburg 31952; E. Montano, The Sin of the Angels.
Some Aspects of the Teaching of St. Thomas, Washington 1955; E. Peterson, Das
B uch von den Engeln. Stellung und Bedeutung der Heiligen Engel im Kultus,
München 1955; J. Danielou, Theologie du Judeo-Christianisme, Toulon - Paris
1958; R. M. Grant, Gnosticism and Early Christianity, New York 1959;
B. Schultze, J. Chrysostomos, Die Glaubenswelt der orthodoxen Kirche,
Salzburg 1961; A. Guillaumont, Les ‘Kephalaia G nostica’ d ’Evagre le Pontique,
Paris 1962; G. Tavard (unter Mitarbeit von A. Caquot u. I. Michl), Die Engel
(HDG II/2b), Freiburg 1968; L. Heiser, Die Engel im Glauben der Orthodoxie,
Trier 1976; K. Rahner, Über Engel; Schriften zur Theologie XIII, Zürich 1978,
381-428; W. Dürig, Zur Interpretation des Axioms „Legem credendi lex statuat
su p p lica n d i“ : Veritati catholicae (Festschr. L. Scheffczyk; hrsg. von
A. Ziegenaus, Fr. Courth, Ph. Schäfer), Aschaffenburg 1985, 226-236; K. Ruh,
Die mystische Gotteslehre des Dionysius Areopagita (Bayer. Akademie der
Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte 2/1987), München 1987.
H. Vorgrimler, Wiederkehr der Engel? Ein altes Thema neu durchdacht, Kevelaer
21994.
Die O ffenbarungszeugnisse zeichnen zwar ein reichhaltiges Bild
vom Sein und W irken der Engel, entw ickeln aber keine geschlossene
Lehre. Im Zusam m enhang dam it ist auch die Tatsache zu verm erken,
daß sich in den Schriftaussagen gew isse m ythologische Einsprengsel
finden (vgl. u.a. Gen 6,1-4: die Ehen der „G ottessöhne“ m it den
M enschentöchtern) wie auch A ussagen in hym nischen Texten und in
legendären D arstellungen (vgl. etw a Lk 16,22: die Engel, welche die
Verstorbenen zum Him m el tragen), die bestim m ten literarischen G at­
tungen zuzuordnen sind, w elche die Feststellung des lehrhaften
Inhalts schw ierig erscheinen lassen. D araufhin läßt sich über die Ver­
bindlichkeit bestim m ter Schriftaussagen kein eindeutiges U rteil fäl­
len. D arum bedarf es eines Blickes auf die Theologie- und D ogm en­
geschichte, an welche die Frage nach der lehrhaften G estaltung und
gültigen Form ulierung des E ngelglaubens zu richten ist.

I. D ie E n tw ic k lu n g d e r E n g e lle h re
1) Frühe theologische Versuche
Bezeichnenderw eise beginnen die ersten christlichen Schriftstel­
ler, die A postolischen V äter und A pologeten, nicht m it einer em pha­
tischen Ü bernahm e und W eiterentw icklung der Schriftaussagen über
die Engel. Sie üben sogar eine m erkliche Z urückhaltung gegenüber
einem ungem essenen Engelglauben und Engelkult, wie er in der
Gnosis aufkam und zur Verdunkelung des C hristusgeheim nisses
führte. So erhebt Ignatius v. A ntiochien (+ um 110) sogar eine w ar­
nende Stim m e und erklärt, daß m an noch kein Jünger C hristi sei,
wenn man fähig ist, „das H im m lische zu erkennen, die Plätze der E n­
gel und die R angordnung der H errschaften, das Sichtbare und
U nsichtbare“ zu w issen1. Im B rief an D iognet (aus der zw eiten H älfte
des zw eiten Jahrhunderts) wird hervorgehoben, daß G ott die W ahr­
heit der O ffenbarung den M enschen anvertraut hat, „nicht [indem er]
einen D iener schickte, etw a einen Engel oder einen Fürsten oder
einen von denen, die m it der Verwaltung im Him m el betraut sind,
sondern den Schöpfer und B ildner des Alls selbst ,..“2. Hier wird
einerseits die Existenz der Engel und ihr hoher D ienst an der Schöp­
fung anerkannt, aber andererseits die Ü berlegenheit Christi und seine
Zentralstellung unvergleichlich höher geschätzt. D agegen m acht sich
in der frühchristlichen A pokalypse des H erm as (entstanden um 140)
etw as von der Faszination, welche die spätjüdische Engellehre auf
das Christentum ausübte, bem erkbar, wenn der A utor über die O rd­
nung und V ielgestaltigkeit der E ngelw elt A uskunft gibt und dam it
Christus selbst als höchsten Engel bezeichnet3.
Bei den A pologeten Justin (+ um 165) und A thenagoras wird ein
neu auftauchendes In teresse an der D u alität von E ngeln und
Däm onen spürbar, wobei in ihre A nschauungen auch m ythische
Stoffe (wie die Annahm e von geschlechtlichen Verirrungen der
Engel) einfließen. D er K am pf der guten m it den bösen Engeln wird
als Leitm otiv der G eschichte angesehen und them atisiert4. Aber es ist
den christlichen A utoren klar, daß die M acht der bösen Engel in der
Welt durch die M enschw erdung des Sohnes Gottes gebrochen ist5
und daß die däm onischen G eister bei der zw eiten A nkunft des Herrn
vom H eer der guten Engel endgültig besiegt werden.
D ie genannten frühchristlichen Apologeten schreiben zu einer Zeit, als
bereits eine apokryphe christliche Literatur im Entstehen war, welche die
Bedeutung der Engel im Weltgeschehen zu verklären und zu übersteigern sucht,
so daß u.a. behauptet wurde, Christus sei bei seiner Herabkunft zur Menschen­
welt zuerst ein Engel geworden und habe alle Stufen der Engelwelt in einer
bestimmten Gestalt6 durchschritten7. Im Zug dieser illegitimen Steigerung kam
es zur Annahme von Myriaden von Engeln, zur Erfindung einer Vielzahl von

1 I g n a tiu s v. A n t i o c h i e n , A d Trall., 5,2.


2 D i o g n e t 7,2.
3 H e r m a s, Sim. 9 ,12,7 ; vgl. G. Tavard, 20f.
4 Ju stin , II. A p o l., 5; A t h e n a g o r a s , A po l., 134f.
5 Ju stin , Dial. 45,4.
6 E b d a., II. A po l., 8,3-5.
7 So in d e r „E p i s t o l a A p o s t o l o r u m “ , 13,14.
Namen, zur Zuweisung einer Fülle von genau umschriebenen Aufgaben im
Himmel, auf E rd e n und unter der E r d e 8.
D am it geht ein gleich starkes Interesse an der Erkenntnis der
Däm onen einher, das sich zum E ntw urf einer der Engellehre parallel
laufenden D oktrin über die D äm onen entw ickelt. Nach den apo­
kryphen „Thom asakten“ hat der Teufel seit seinem Fall eine H err­
schaft über die Erde angetreten und „sitzt auf einem Thron über dem
gesam ten E rdkreis“9. So wird vor allem die H eilsgeschichte vor
Christus unter die Ägide des Satans gestellt. O bgleich für die Zeit
seit dem C hristusereignis die M acht der bösen Engel zurückgedrängt
erscheint, gerät diese Sicht der H eilsgeschichte in die Nähe eines
dualistischen V erständnisses der Schöpfung und ihrer G eschichte.
Was sich hier nur als G efahr andeutet, wird in der ins junge
C hristentum eingebrochenen G nosis vollends zum Verhängnis; denn
im griechisch-orientalischen Synkretism us der Gnosis drohte die
christliche H eilsbotschaft unter Verwendung christlicher Vokabeln
und V orstellungen zu einer esoterischen W eltw eisheit verform t zu
werden, in w elcher die Engel und Däm onen (paarw eise als aufeinan­
der bezogene G egensätze auftretend, auch unter D ifferenzierung der
G eschlechter in das gute M ännliche und das böse W eibliche10) das
W eltregim ent innehaben und den Weg zur Erlösung bestim m en. In
dieser A ngelologie gehen die Engel oder Äonen auf dem Weg der
Em anation aus dem ungeborenen „Vater“ hervor, erschaffen dann
selbst die Him m el und die M aterie und setzen so nicht nur den gött­
lichen Schöpfer außer Kurs, sondern löschen auch die G ottheit
C hristi und die Erlösung durch ihn aus, weil die B efreiung von der
schlechten m ateriellen W elt durch den Anschluß an die guten Engel
und ihr höheres W issen geschieht11.
In dieser bizarren gnostischen Vorstellungsweit, die auch mit phantasierei­
chen Zahlenspekulationen zu beeindrucken suchte, wird die den christlichen
Apokryphen auch schon eignende Überbetonung dieser Schöpfungsordnung
noch um ein Bedeutsam es überschritten. Sie erw eist sich als eine
Entartungserscheinung der christlichen Wahrheit, der relativ bald auch durch

8 G. Tav ard, 23-25.


9 T h o m a s a k t e n , 32.
10 So R e c o g n i ti o n e s III, 61.
11 So u.a. in d er V a l e n tin ia n isc h e n G n o s is : F. S ag n ard , L a G n o s e V alen tin ien n e, 549f.
genuin christliche Gegenkräfte begegnet wurde, die aus dem Zentrum eines
heilsgeschichtlich orientierten Gottes- und Christusglaubens erwuchsen. Ihr
Repräsentant war Irenäus v. Lyon (+ um 202), der in einer grundlegend heils­
ökonomischen Schau von Welt und Geschichte den Ausgang wie die Rückkehr
aller Dinge auf Christus als das Zentrum hin ausrichtete. So erfahren die Engel
eine eindeutige Einordnung in die von Christus beherrschte Schöpfung. „In
Christus“ kommt es sogar zu einer Herrschaft der Menschen über die Engel.
Obgleich Irenäus manche Kenntnisse der Vorzeit über die Engel aufnimmt,
beweist er doch, dem Schriftzeugnis folgend, eine spürbare Distanz zu einem
hypertrophen Sonderwissen und bekennt, daß wir um „die Zahl der Engel, die
Geheimnisse der Throne, die Einteilung der Herrschaften, Mächte und Gewalten
un d Vermögen nicht wissen“ 12, ein Grundsatzwort, das freilich in der nachfol­
genden Geschichte nicht die gebührende Beachtung fand.
Im m erhin v o llz ie h t sich in der „ c h ristlic h e n G n o sis“ der
A lexandriner eine deutliche Bindung der Engelw elt an den Logos,
die von dem hellenistischen Juden Philo v. A lexandrien beeinflußt
ist. H ier wird der Logos als H oherpriester der Erzengel bestim m t, die
w iederum als H ohepriester der Engel dargestellt werden. So wird
eine unter Christus stehende H ierarchie der Engel aufgestellt in
Parallele zur H ierarchie der K irch e13. Das führte bei O rigenes
(+ um 254) zu der Auffassung, daß die Engel eine besondere
B eziehung zur K irche besitzen, so daß jede D iözese einen Engel über
sich hat, der ihr beisteht und der die G ebete der G läubigen zu Gott
trä g t14. A uf diesem Boden konnte so auch die Vorstellung von einem
persönlichen Schutzengel jedes M enschen gedeihen15.
Die Welt des O rigenes kennt aber auch eine Vielzahl von D äm o­
nen, welche selbst die Christen in Versuchung führen können, so daß
keine Sünde ohne den Einfluß des Teufels geschieht16. M an ersieht
daran, daß auch in der „christlichen G nosis“ die Spekulation bezüg­
lich der Engel stark entw ickelt ist. So erw ägt O rigenes u.a. auch die
M öglichkeit, daß die D äm onen sich bekehren k ö nnen17.

12 Adv. haer. II, 30,6.


13 K l e m e n s v. A l e x a n d r i e n , S trom . VI, 13.
14 H om . zu N m 11,4.
15 O r ig e n e s, C o n tra C e ls u m VIII, 27.
16 H o m . zu Nm 27,8.
17 D e p rinc. I, 6,2.
2) Die A usw eitung und K lärung des Engelglaubens
in der V äterzeit
O bgleich in der V äterzeit die von der Gnosis herausgeforderte
Spekulation zurücktritt, erfährt doch der Engelglaube eine A usw ei­
tung und Steigerung. So „stellt sich die A ngelologie der H ochpatri­
stik als ein w underbarer unbehinderter H öhenflug des G laubens in
die G esellschaft m it den heiligen Engeln dar“ 18. D abei kom m t es zu
deutlicherer Hervorhebung theologischer G rundw ahrheiten, die dem
E ngelglauben eine innere O rdnung verleihen, welche durch dam als
schon vorkom m ende Ü bertreibungen der V olksfröm m igkeit verun-
klart wurde.
E iner dieser fundam entalen Gedanken betrifft die W ahrheit von
der Erschaffung der Engel und von ihrer G eschöpflichkeit, der jede
R em iniszenz an gnostische Em anationen ausschloß. Um den W esens­
unterschied zw ischen dem Schöpfer und den geschaffenen E ngel­
wesen recht eindringlich zu betonen, wurde Gott allein die reine G ei­
stigkeit zugeschrieben und den Engeln nur eine relative G eistigkeit
zugebilligt, die sogar m it einer luft- und feuerartigen L eiblichkeit
zusam m engedacht werden konnte19, zugleich aber von jeder ge­
schlechtlichen D ifferenzierung ferngehalten wurde. Im Z usam m en­
hang m it der Schöpfung wurde auch die Frage nach dem Z eitpunkt
der E ngelerschaffung erörtert (ob vor oder zusam m en m it der W elt­
schöpfung erfolgt), aber nicht einheitlich beantw ortet20.
Nach der D ogm atisierung der G leichw esentlichkeit des Logos
m it dem Vater und seiner G ottheit auf dem Konzil von N ikaia
(i.J. 325: DH 125) war die G efahr einer Vergöttlichung der Engel
gebannt, was positive A usw irkungen auf die dam als beginnende
Engelverehrung und den E ngelkult hatte. Nun konnte sich die schon
von O rigenes vorgetragene Ü berzeugung festigen, daß Engeln zwar
eine Verehrung, aber keine A nbetung gebühre. A thanasius d. Gr.
(+ 373) brachte diesen G rundsatz auf die Form el, daß die Engel zu
jenen gehören, die anbeten, nicht aber zu jenen, die angebetet w er­
den21. A ufgrund dieser deutlichen U nterscheidung konnte A ugustinus

18 G. Tavard, Die E n g el, 35.


19 So e tw a bei T ertu llian , Adv. M a rc. 11,8.
20 T h e o d o r e t v. C y ru s, Q u a e s t i o n e s in Gen. IV.
21 O ratio II c o n tr a A r ia n o s, 23.
sogar die Forderung erheben, daß Engeln keine K irchen gew eiht w er­
den sollten, woran sich allerdings auch zeigt, daß die Volksfröm ­
m igkeit entschiedener voranschritt als die B edachtsam keit der
Theologen.
T ro tzdem kann m an nicht sagen, daß z w isc h e n die sen beid en In s tan zen eie
fö rm lic h e r G eg en satz klaffte . Wenn sich z.B. die Ü bu ng der A n ru fu n g von
E ng eln im m er m e h r d u rch s etzte, so k o nn te sich d iese u.a. au f die E m p feh lu n g
des A m b ro s iu s (+ 397) b e ru f e n 22. Im ü b rig en w ar m ö g lic h e n Ü b e rtre ib u n g e n der
F rö m m ig k e itsp ra x is durch ein en r e l ig iö s -th e o lo g is c h e n Vorgang ein W id ersta nd
e n tg eg e n g e se tzt, der für die leg itim e E n tw ic k lu n g von F rö m m ig k e it und Lehre
p ositiv e F o lgen hatte: die w ese n tlich e V erbind un g der E ngel mit d e r h im m l i­
schen L iturgie und ihr H in e in ra g e n in die litu rg isc he F eier der K irche. H ier
k o m m t es zw ar zu em p h a tis c h e n und h y m n isch g esteig erten A u ssa g e n über ein
h ohes, die L e b e n sb e d e u tu n g der E n gel für die K irch e erh ellen d e s G e heim nis,
das aber zu k einem th e o lo g is c h e n E in w a n d A nla ß gibt. Das G eh eim n is dieser
V erbindung von E rde und H im m el in der L itu rg ie, um dessen V erständnis sich
vor allem die ö stliche T h e o lo g ie bem ü ht, v eran laß t Jo ha nn es C h ry so s to m o s
(+ 407) zu der beg eisterten A u ssag e über die liturgisch e Feier: „W ir sin gen mit
den S eraph im , öffnen unsere Flügel m it ihnen, fliegen mit ihnen um den Thron
des K ö n ig s “ 23. Von dieser A n g le ic h u n g der a n g e lisc h e n Welt an das Tun der
K irche rüh rt auch ein an d e rer G ed ank e her, der b is la n g nur a n d eu tu n g s w eise
E rw ä h n u n g fand: die Vorstellung, daß sich die M en s c h e n , denen die E ngel als
F reu n d e beige ge ben sind, d u rch ein g o tte sfü rc h tig e s L eb en den E n g e ln a n g le i­
chen und ein e n g elg leic h e s Leben füh ren k ö n n en , w elche M ö g lic h k eit vor allem
dem ju n g f rä u lic h e n und m o n as tisc h e n L eben erö ffn et w ird 24.

V erständlicherw eise stellten sich unter liturgischem A spekt auch


die Fragen nach dem W esen und den O rdnungen der Engel, die aber
bezeichnenderw eise m it einer .gewissen Z urückhaltung und unter
dem E ingeständnis eines m angelnden W issens um das Geheim nis der
angelischen Welt beantw ortet wurden. In dieser Richtung m ahnte vor
allem H ieronym us (+ 419/420) als Exeget zu Vorsicht und konnte
kritisch anm erken, daß die im K olosserbrief genannten „Elem ente
des K osm os“ (Kol 2,8) wohl als Engel verstanden werden könnten,
daß aber eine D eutung auf Erfindungen des A berglaubens, den das
Christentum ausgetrieben hat, auch m öglich sei25. Ebenso ging er
gegen die A uffassungen origenistischer K reise an, daß M enschen im

22 A m b r o s i u s , De v id u itate IX, 15.


23 H om . in S eraph , n. 3.
24 M e t h o d iu s v. O ly m p o s , G a s tm a h l VI II, 2.
25 H i e r o n y m u s , In epist. ad Gal. II.
künftigen Leben Engel w erden oder daß die bösen G eister sich w ie­
der zu guten Engeln w andeln könnten26.
Einen neuen A spekt bringt A ugustinus (+ 430) in die Engellehre
ein, wenn er die E ngelw elt in sein geschichtstheologisches Konzept
vom G ottesstaat einbezieht. Die Engel bilden den „him m lischen Teil
des Staates, wo der W ille G ottes ungehem m t strahlend und unw an­
delbar G esetz ist“. Sie „lieben uns Sterbliche und U nselige in B arm ­
herzigkeit m it dem W unsche, daß auch wir unsterblich und glückse­
lig seien“27. O bgleich A ugustin in der Frage nach der G eistigkeit oder
K örperlichkeit der Engel zu keiner Entscheidung kom m t28, so geht
ihm doch ihre Erhabenheit an ihrer höheren Erkenntnis auf. Sie
erlangen „ihre K enntnis von G ott nicht durch vernehm bare W orte,
sondern durch die unm ittelbare G egenw art der unw andelbaren W ahr­
heit, d.h. durch sein eingeborenes W ort“29. Die Erkenntnis der m ate­
riellen Schöpfung aber vollzieht sich bei ihnen in der dreifachen
Weise einer „taghellen“ , einer „abendlichen“ und „m orgendlichen“
E rkenntnis30 der Dinge (im W ort vor der Erschaffung der Dinge, im
Wort nach ihrer Erschaffung und in ihnen selbst zum Lob des
W ortes). D iese am Schöpfungsbericht abgelesene D eutung bringt das
lichthafte W esen der Engel zum Ausdruck und läßt sie als Teilhaber
am ewigen Licht des W ortes erkennen. Sie führt A ugustin dazu, den
Engeln auch das W issen geheim er Gedanken und W illensentschlüsse
der M itgeschöpfe (der secreta cordium ) zuzubilligen31, was Thom as
später ablehnte.
Die Tendenzen und Inhalte der patristischen Engellehre faßte Ps.-Dionysius
Areopagita zu Beginn des 6. Jahrhunderts in eine visionäre Schau zusammen, die
von der neuplatonischen Philosophie des Proklos geprägt war, welche den
Abstand zwischen dem bestimmungslosen Einen und der Vielheit der Dinge
durch Z w ischenw esen überbrückte. In der Schrift „Über die him m lische
Hierarchie“ traten an die Stelle der neuplatonischen „Hypostasen“ die Engel als
Ausstrahlungen des göttlichen Lichtes und bildeten das Zwischenreich zwischen
dem Leben des trinitarischen Gottes und der Kirche auf Erden. Dieses
Zwischenreich wird nun erstmals mit Ausschließlichkeit als ein rein geistiges

26 In ep ist. ad E ph. II.


27 De civ. Dei X, 7.
28 Vgl. die S t e l l u n g n a h m e in Ep. 95,8.
29 De civ. Dei XI, 29.
30 De Gen. ad litt. IV, 23 -32.
31 E b d a., X II, 17,34.
gefaßt, aber auch als eine geordnete Stufenfolge verstanden, die in sich eine
Hierarchie von priesterlicher Art und Macht d a rs te ll t32. Sie gliedert sich abstei­
gend in je drei Triaden oder Chöre (Throne, Seraphim, Cherubim - Herrschaften,
Gewalten, Mächte - Fürstentümer, Erzengel, Engel), in Nachbildung des inneren
göttlichen Lebens33. Nun erst gewinnt die bis dahin in der Theologiegeschichte
im m er schw ebende Bestim m ung der E ngelnam en und ihrer Funktion
Eindeutigkeit. Diese bemißt sich nach der Stärke des göttlichen Lichtes, an dem
sie partizipieren und das sie auf die niedrigeren Ordnungen verströmen lassen:
D ie erste Triade ist unmittelbar mit Gott vereint, die zweite Trias umfaßt die den
Willen Gottes verkündenden und ausführenden Mächte, die dritte Dreiheit ist für
den Dienst an der Menschheit bestimmt, an Nationen wie an den Einzelnen34.
Diese „himmlische Hierarchie“ , die ihrerseits den Typus der kirchlichen
Hierarchie darstellt, bedeutet aber keine einmal ausgebildete und nun fixistisch-
statische Ordnung, sondern sie ist die ständige Dynamik der Durchdringung der
unteren Welt durch die Licht- und Kraftströme des Himmels, dem die Menschen
entsprechen, indem sie sich den erleuchtenden und reinigenden Eingebungen der
Engel öffnen und sich so der himmlischen Welt entgegenheben und zu Gott
zurückkehren.
D ieser grandiose E ntw urf einer m ystischen Schau des aus Gott
ausström enden und zu ihm nicht zuletzt über die Stufen und W ir­
kungen der Engel zurückström enden Kosm os hat auf die N achw elt
seinen Eindruck nicht verfehlt, aber er ist als ganzer w eder von der
T heologie noch von der Kirche übernom m en w orden35.
A uf den Areopagiten bezieht sich auch der Vollender der patristischen
Theologie des Ostens, Johannes v. Damaskus (+ 749). Im allgemeinen ist die
Engelauffassung der östlichen Theologie noch intimer und beschaulicher gehal­
ten als die des Westens. Es tritt in ihr auch eine besondere Bindung der Engel an
den Logos und den Heiligen Geist hervor. In einem Punkte aber ergibt sich im
Osten eine bemerkenswerte Neuerung, die der Hochschätzung der Engel zu wi­
dersprechen scheint. Es ist die mit dem Aufbruch des m a ria n isc h e n G eda nk ens
verbundene Überzeugung von dem Vorrang der Gottesmutter gegenüber den
Engeln36. Er resultiert aus der einzigartigen Bedeutung der Menschwerdung, w e l­
che eine den Engeln nicht zukommende Auszeichnung Marias und des gesamten
Menschengeschlechtes erbrachte. Dieser Gedanke war nicht dazu angetan, die
Engelverehrung zu mindern, wohl aber konnte er die Wechselbeziehung zwi­
schen der Engel- und Menschenwelt in ein neues Licht rücken.

32 De c a e le s ti h i e r a rc h ia 3,1.
33 E b d a., 6.
34 E b d a., 7,1-9.
35 A ll e r d i n g s w a r d er E in f lu ß bei Jo h a n n e s S c o tu s E r i u g e n a (+ nach 877) b e s o n d e rs
n ach h altig .
36 So u.a. bei P s .- E p i p h a n iu s , H o m i l i e zu m L o b p re i s d er G o t t e s m u t t e r (PG 43, 49 1).
3) Die Dom inanz der Seinsfrage und die System atisierung
in der Scholastik
In K enntnis sowohl der augustinischen wie der dionysianischen
Tradition entw ickelte die Scholastik auf ihrem H öhepunkt eine
streng am aristotelischen W issensideal und an der M etaphysik aus­
gerichtete Lehre von den Engeln, die ihren Schw erpunkt in der
W esensfrage und in den dam it zusam m enhängenden Fragen nach der
Eigenart des Erkennens, W ollens und geschöpflichen W irkens der
Engel im irdischen Raum e und in der Zeit hatte. D abei beantw ortete
die Frühscholastik die Frage nach dem Wesen vornehm lich im augu­
stinischen Sinne, indem sie den Gedanken von der L ichthaftigkeit
der Engel bevorzugte. Nach Hugo v. St. Viktor (+ 1141) w urden die
E ngel zum L icht „durch ihre eigene W ende zum L icht der
G erechtigkeit und durch ihre Erleuchtung durch das L icht“37. M it
diesem A nsatz vertrug sich gut die Antwort auf die in der Patristik
unentschieden gebliebene Frage nach dem Zeitpunkt der Erschaffung
der Engel wie des Abfalls der bösen Geister: Die Erschaffung ge­
schah m it dem „Fiat lux“ der G enesis, bei dem sich sogleich auch die
Trennung der guten von den bösen Engeln vollzog38. A ber diese doch
noch m ehr auf die E rscheinung der Engel bezogene A ntw ort wurde
von Thom as v. Aquin (+ 1274), dem „doctor angelicus“ , der in sei­
nen W erken dem T raktat über die E ngel w ied erh o lt große
A ufm erksam keit w idm et39, durch die A ufnahm e der W esensfrage ver­
tieft. D ies geschah n ich t zu letzt w egen der gegenüber dem
Averroism us notw endig gew ordenen U nterscheidung des Seins und
Erkennens der Engel von dem der M enschen40.

37 H u g o v. St. Viktor, De s a c ra m e n tis Christ, fidei I, 1,10.


38 So u.a. bei P etrus C o m e s t o r (+ um 1178), H isto r ia S ch o las tica . H is t o r i a libri G en es is,
c. 3.
39 T ra k t a t ä h n l i c h e D a r s t e l l u n g e n fin d en sich bei ih m u.a. im S e n t e n z e n k o m m e n t a r
(d. 1-11), in d er S u m m a t h e o l o g i a e I q. 50 -6 4; q. 93 a.3; q. 106-11 4, im C o m p e n d i u m th eo -
lo giae (I, 12 4 f f .), in der S u m m a co n tr a g en tes (II, 4 6-55 u.ö .), in De Veritate (q. 8f.), im
O p u s c u l u m „D e sp iritu alib u s c r e a t u r is “ .
40 Die E n g e l le h r e des T h o m a s fan d in K. B a rth (Die k i r c h lic h e D o g m a t i k III/3, 452ff.)
ihren s c h a rf e n K ritik er, d er dem A q u i n a t e n n ic h t nu r die A b s tr a k t h e i t se iner G ed a n k e n ,
s o n d e r n b e s o n d e r s a u c h die a n g e b l i c h g ä n z l i c h u n b i b l i s c h e , r e i n p h i l o s o p h i s c h e
A u f fa s su n g v on den E n g eln zum V o rw u rf m ach te. D e m g e g e n ü b e r ist zu sagen, daß T h o m a s
in der A u s e i n a n d e r s e t z u n g m it d em A v er ro is m u s sich der p h i l o s o p h i s c h e n B e g rü n d u n g
b e d i e n e n m u ß t e , d aß er a b e r d e n B e w e i s für die E x i s t e n z vo n E n g e l n n u r m it
K o n v e n i e n z g r ü n d e n fü hrte. F re ilic h sta n d d a h in te r die Ü b e r z e u g u n g , daß die E x is t e n z der
E n gel in g e w i s s e r H in sic h t auch der n a t ü r l ic h e n V ernunft o ffen steh t.
M it der L ehre des m u s lim isc h e n P h ilo so p h e n , daß die „ g etren n ten I n te lli­
g e n z e n “ die ird ische n b eh errsc h e n , stand die F re ih e it des M e n s c h e n in seinem
E rk e n n en a u f dem Spiel. A uch T h om as b e tra c h te t da b e i die E ngel als rein g e i­
stige „g etrenn te F o rm e n “ od er „ S u b s ta n z e n “ , die von N a tur aus un sterb lich sind
und wegen je d e s F eh len s von M a te ria litä t (g em äß d er e ig e n tü m lic h e n L eh re des
A q u in a te n vom In d iv id u a tio n sp rin z ip ) je für sich eine eigen e Art bilden. A ber
sie sind w egen ihrer P erso n alitä t, ih rer F re ih eit und V e ran tw o rtlic hk eit mit den
k o sm isc h e n Inte llige nze n des Averros nic h t g leic h z u setze n . D e sh alb schw an kte
T h o m a s auch b ezü g lic h der F rage, ob den E n g e ln die B ew e gu ng der H im m e ls ­
k ö rp e r z u zu sp rec h e n sei. S ch ließ lic h b ean tw o rte te er sie d a h in g e h e n d , daß e in i­
ge Engel mit d iese r T ä tig k e it b e a u ftra g t w u rden , was ihm die K ritik seines O r­
d en sb ru d e rs D ietrich von F re ibe rg (+ um 1320) e in t ru g 41, bei dem sich im ganzen
das B estreb en zu ein er a u to n o m en W elterk läru n g g eltend m achte, so daß die
E n gel in ihrer k o sm isc h e n V erm ittlerro lle zu rüc ktraten .

O bgleich Bonaventura (+ 1274) in bezug auf die io, der E ngel­


lehre auftretenden denkerischen Problem e von Thom as nicht w esent­
lich abw eicht, atm et doch seine Engellehre einen anderen Geist. Sie
ist stärk er von sp iritu e lle n A n trieb en b eseelt; sie geht, von
Ps.-D ionysius beeinflußt, von der N achahm ung der D reifaltigkeit aus
und erreicht ihr Ziel in der V ergegenw ärtigung der Engel in der
Seele, die zu einem Spiegel des göttlichen Lebens und der Engel
wird, so daß der M ensch selbst engelhaft werden kann42.
Einen anderen A kzent als Thom as setzte in der A ngelologie auch
der andere große Franziskaner, Duns Scotus (+ 1308). Vor allem in
der von allen Scholastikern als Paradigm a betrachteten E rkenntnis­
lehre glich er die Fähigkeit der angelischen G eister denen des
m enschlichen Geistes m ehr an. Doch konnten die von ihm ange­
brachten kritischen N uancen in der W irkungsgeschichte m it der
Synthese des Thom as nicht konkurrieren. Ein literarisches Beispiel
bietet dafür die „Divina C om edia“ D antes (+ 1321), in der die Em p­
findungsw elt des M ittelalters bezüglich der Engel noch einm al einen
lebendigen A usdruck gewinnt, der thom istische Züge an sich trägt.
Die m ittelalterlich-scholastische V orstellungsw elt verflüchtete
sich m it der Reform ation, obgleich die Vertreter der lutherischen
O rthodoxie die theologische T radition im m er noch aufnahm en.
D agegen unternahm Franz Suärez S.J. (+ 1617) einen großangelegten

41 Vgl. K. F lasch, E in le itu n g zu D ietrich v. F re ib e rg O p e r a o m n ia III, H a m b u r g 1983,


X XIII.
42 B o n a v e n tu ra , D e P la n ta tio n e P aradisi, 10.
Versuch zur theologischen R enaissance des E ngelglaubens in dem
um fangreichsten Werk, das je über die Engel geschrieben w urde43. In
ihm faßte er die theologische Ü berlieferung zusam m en und war
bem üht, einen eigenen philosophischen Weg zw ischen Thom ism us
und Skotism us zu finden.

II. Die dogmatische Entwicklung


Beim Ü bergang von der überreich entfalteten Engellehre der
T h eologie zu den do g m atisch en L eh ren tsch eid u n g en ist die
Feststellung voranzustellen, daß die Kirche die Ergebnisse der spe­
kulativen Theologie im ganzen bei weitem nicht übernom m en hat.
Das gilt z.B. auch von der seitens des Suärez vertretenen Auffassung,
daß die Existenz von E ngelhierarchien G egenstand des G laubens der
K irche sei. D ieser Tatbestand, der einer eigenen Erklärung bedarf,
besagt jedoch keinesw egs, daß die Kirche sich den Engelglauben
nicht zu eigen gem acht oder ihn unter die A diaphora gerechnet hätte.
Die L ehrverkündigung der K irche bew eist das G egenteil.
1) Die L ehrzeugnisse der K irche
Die Lehrzeugnisse der K irche haben ihren A nsatzpunkt in den
frühen G laubensbekenntnissen, vor allem in denen der östlichen
K irchen, w elche seit der M itte des dritten Jahrhunderts im ersten
A rtikel den Vater als „den Schöpfer alles Sichtbaren und U nsicht­
baren“ artikulieren (DH 40)44. Das erste A llgem eine Konzil von
N ikaia (i.J. 325) übernahm aus einem dieser Bekenntnisse die For­
m el über „den S chöpfer alles S ichtbaren und U n sic h tb a ren “
(DH 125). D am it war zunächst einm al die Existenz der Engel als
G laubensartikel der Kirche befestigt. Wenn einschränkend gesagt
wird, daß die Kirche die Existenz von Engeln niem als feierlich defi­
niert habe, sondern sie in ihren Lehräußerungen im m er nur voraus­
setzte45, so ist das kein A rgum ent gegen den glaubensverpflichtenden
Charakter dieser Lehre. Das Fehlen von feierlichen D efinitionen hat
darin seinen Grund, daß diese W ahrheit aufgrund des allgem einen

43 De an gelis , 1620 ( W W ed. Vives II).


44 So im G l a u b e n s b e k e n n t n i s des B i s c h o f s E u s e b i u s v. C a esar ea: D H 40.
45 Das b e to n t K. R a hn er, S a c r a m e n t u m m u n d i I, 1042; ders., Ü b e r E n g el, 401.
und universalen Lehram tes und des G laubensassenses als O ffen­
barungsw ahrheit anerkannt wurde, w elche die Kirche als solche (bis
zur N euzeit hin) auch nicht gegen A ngriffe zu verteidigen hatte.
A nders verhielt es sich m it dem zw eiten M oment, das in der
genannten G laubensform el auch e n th alten war: m it dem
G eschaffensein und der G eschöpflichkeit der Engel. Sie wurde
w egen der allgem ein sch öpfungsfeindlichen Spekulationen der
G nostiker ein A ngriffspunkt gegen den Glauben und dam it der
Verteidigung durch die Kirche bedürftig. D ieser Aufgabe unterzog
sich erstm als die Synode von Braga (i.J. 561), die gegen die von der
Gnosis oder dem M anichäism us beeinflußten P riszillianer und ihrem
E m anatianism us erklärte: „Wer glaubt, die m enschlichen Seelen oder
die Engel seien aus der Substanz G ottes entstanden, wie M anichäus
und Priscillian sagen, der sei m it dem A nathem belegt“ (DH 455).
A uf der gleichen Synode erging auch eine Verurteilung eines duali­
stischen Teufelsglaubens, der den Teufel als ein ungeschaffenes
Prinzip und als das Böse in Substanz verstand (DH 457f.).
Etw a zur gleichen Zeit kam unter den M önchen Palästinas ein
Streit um angeblich dem O rigenes zugehörige Positionen auf, welche
die Stellung der Engel in der H eilsordnung übertrieben. Schon in der
zw eiten Hälfte des vierten Jahrhunderts hatte eine Synode von
L aodizea in Phrygien gegen eine E ntartung des Engelkultes Stellung
genom m en und die A nbetung der Engel verboten46. Gegen die Ori-
genisten erging ein Edikt des K aisers Justinian, das auf der Synode
von K onstantinopel (i.J. 543) proklam iert und auch von Papst
Vigilius (+ 555) bestätigt wurde. Die Synode nahm daraufhin in zwei
Punkten zu einer extrem en Engelauffassung Stellung, die einm al be­
hauptete, daß der Logos „allen him m lischen O rdnungen ähnlich ge­
worden [sei], indem er den C herubim ein Cherub und den Seraphim
ein Seraph w urde“ (DH 406), und zum anderen lehrte, daß „der
H im m el, die Sonne, der M ond, die Sterne und die Gewässer, die
oberhalb der Him m el sind, irgendw elche beseelten oder vernunftbe­
gabten K räfte seien“ (DH 408), daß es sich also um eine A rt niede-
rer Engel handele. Die betreffenden häretischen A uffassungen feh l­
ten durch die G leichstellung der Engel m it Christus und die Verken­
nung der E inzigartigkeit der Inkarnation, aber auch durch eine illegi­
tim e Bindung der Engel an m aterielle kosm ische Kräfte. Im Lichte
dieser abw ehrenden und dam it negativen Stellungnahm en der Kirche
läßt sich aber dennoch das positive A nliegen der kirchlichen L ehr­
verkündigung erkennen. Es zielt auf die Anerkennung der absoluten
O berhoheit des Logos über die Geschöpfe der Engel (die ihm den­
noch in besonderer W eise verbunden sind), und es dringt auf die
E rhaltung des U nterschiedes zw ischen den Engeln und dem m ateri­
ellen Kosmos.
Das durch einen ungem essenen E n g elg lau b en g efährdete
C hristu sd o g m a m ußte vom zw eiten K onzil v. K onstantinopel
(i.J. 553) nochm als gegen eine Irrlehre verteidigt w erden47. In einer
Spielart des O rigenism us wurde Christus als fleischgew ordener
Nous, also als höheres G eistw esen verstanden, das zwar m it dem
Logos vereint, aber m it ihm nicht identisch wäre. D ieser fleischge­
wordene Nous sollte die gefallenen G eister w ieder in das Ur-eine
zurückführen, dam it am Ende alle Vernunftwesen, auch die D ä­
m onen, m it Christus und dem Logos w iedervereint würden. Nach
diesem Konzept wäre Christus nur ein Engel unter anderen Engeln.
Aber es waren in der patristischen Zeit nicht nur diese dogm ati­
schen Fragen, zu welchen konziliare E ntscheidungen ergingen. M an
nahm auch Bedacht auf die Entw icklung des Engelglaubens in der
Volksfröm m igkeit, die im 6. Jahrhundert einen A ufschwung erlebte,
bei w elchem aber auch heterodoxe Elem ente aufkam en, so u.a. die
Einführung und Verehrung von aus den Apokryphen (H enochbuch)
stam m enden Engelnam en. So verbot eine röm ische Synode unter
Papst Zacharias (i.J. 745) den G ebrauch nichtbiblischer Engelnam en
und erklärte nur die A nrufung der drei biblischen Engel (M ichael,
G abriel, Raphael) für legitim 48, ein G rundsatz, den die Synode von
A achen 789 übernahm 49.

47 D ie b e t r e ff e n d e n A n a t h e m a t i s m e n bei A. G u i lla u m o n t, L es ‘K e p h a l a i a G n o s t i c a ’
d ’E v a g re le P o n tiq u e , 140-159; Fr. D i e k a m p , D ie o r ig e n is tis c h e n S t re itig k e ite n im s e c h ­
sten Ja h r h u n d e r t u n d das fü n fte a l l g e m e i n e K on zil, 90-97.
48 K. I. H efele, K o n z i l i e n g e s c h i c h t e 2III, 539.
49 G. Tavard, a.a .O ., 58.
W ährend die Kirche des W estens sich gegen einen übertriebenen
E ngelkult wandte, m ußte sich der Osten m it einer beinahe gegentei­
ligen A birrung auseinandersetzen, näm lich m it der Verfemung je g li­
cher B ilderverehrung, w orunter auch die B ilder der Engel fielen.
Darum verteidigte das Siebte ökum enische K onzil (das zw eite von
N ikaia, 787) die A nbringung und Verehrung der B ilder „der ehrw ür­
digen E ngel“ (DH 600).
Die gew ichtigste Stellungnahm e der Kirche zur Engellehre aber
erfolgte am Eingang zum H ochm ittelalter, in einer Zeit, da die Reste
der alten dualistisch-m anichäistischen Irrlehren bei den A lbigensern
und K atharern w iederaufleuchteten: auf dem Vierten Laterankonzil
vom Jahre 1215. Das Konzil beginnt m it einem ausführlichen G lau­
bensbekenntnis, das zugleich eine D efinition darstellt und im Schöp­
fungsartikel präzise A ussagen über die E ngelschöpfung m acht. D a­
nach ist der eine G ott „der Schöpfer der sichtbaren und unsichtbaren
[Dinge], der geistigen und der körperlichen. Er sc huf in seiner all­
mächtigen Kraft vom Anfang der Zeit an aus Nichts zugleich beide
Schöpfungen, die geistige und die körperliche, nämlich die der Engel
und die der W elt“. A uf die gefallenen G eister eingehend, verkündet
das Konzil: „Der Teufel näm lich und die anderen D äm onen wurden
zw ar von G ott ihrer N atur nach gut geschaffen, sie w urden aber
selbst durch sich böse“ (DH 800). D am it bot das Konzil freilich
keine entfaltete A ngelologie, aber es führte einige G rundpfeiler auf,
auf denen eine solche fortan aufruhen m ußte.
Auf das hyperkritische Bedenken, daß im Hinblick auf das Vierte Lateran­
konzil „doch die Frage“ bleibe, „was darin wirklich definiert ist und was
nicht“MI, ist zu antworten: Die gegen die Albigenser und Katharer gerichtete
Definition hat die (gute) Schöpfung der geistigen wie der körperlichen Welt, der
„Engel und der Welt“, zum Gegenstand und nicht eine gesonderte Lehre über die
Engel. Man mag sogar sagen, daß dabei die Existenz der Engel „vorausgesetzt“
sei und nicht eigens hervorgekehrt werde. Aber das ändert doch nichts an der
Tatsache, daß ihre Existenz aufgrund ihrer Erschaffung mitausgesagt ist und daß
alle Einzelelemente der verkündeten Lehre unter der Versicherung „Wir glauben
fest und bekennen aufrichtig“ stehen. Deshalb ist das Dokument in seiner G e­
samtheit als „de fide“ anzusehen, wobei als glaubensverpflichtende Inhalte zu
gelten haben: die Wahrheit von der Erschaffung der Engel aus Nichts (damit
ihrer Existenz), die gegen die neognostische Emanationstheorie gewendet ist;
diese Erschaffung wird als eine solche in der Zeit dargestellt (wobei die speziel-
le Frage nach der genauen Bedeutung des „simul ab initio temporis“ - ob als
„Gleichzeitigkeit“ beider Erschaffungen zu verstehen oder nur als bloßes „In-
und Miterschaffensein mit der Zeit“ - offen bleibt); die Geistigkeit der Engel
(womit aber die theologische Sentenz von der reinen Geistigkeit der Engel noch
nicht getroffen ist); die ursprüngliche Güte dieser Schöpfungsordnung; der
selbstverschuldete Abfall einiger dieser Geister zum Bösen.
In veränderter Form wurde diese D efinition vom Konzil von F lo­
renz im D ecretum pro Jacobitis aufgenom m en (DH 1333), w ährend
sie das Erste Vatikanum im W ortlaut w iederholte (DH 3002). Eine
dogm atisch gleichw ertige Stellungnahm e des kirchlichen Lehram ts
ist seitdem nicht erfolgt. A llerdings hat Pius XII. in der Enzyklika
„Hum ani generis“ vom Jahre 1950, wohl naturalistischen und ratio ­
nalistischen Tendenzen im Engelglauben entgegentretend, im Punkte
der G eistigkeit der Engel der kirchlichen Lehre indirekt eine B e­
stätigung zuteil werden lassen, wenn er sein Bedauern darüber aus­
spricht, daß theologischerseits in Frage gestellt werde, „ob die Engel
persönliche G eschöpfe seien und ob sich die M aterie w esentlich vom
G eist unterscheide“ (DH 3891).
Im übrigen wurde der traditionelle kirchliche Engelglaube in der allgemei­
nen Lehrverkündigung vornehmlich unter dem Aspekt des geistlichen Lebens
und der Spiritualität weitergetragen, u.a. in besonders eindringlicher Weise von
Leo XIII. im „R undschreiben über den m arianischen R osenkran z“ (vom
12. September 1897)51. Hier interpretiert der Papst das Rosenkranz-Gebet, in
dem der Beter die Geheimnisse des Heils überdenkt, als „Wettstreit mit den
Engeln“ , die uns die gleichen Geheimnisse „zu ihrer Zeit enthüllt“ haben, indem
sie bei ihrer Veröffentlichung im Leben Jesu dienend mitwirkten. Unter einem
ähnlich spirituellen Aspekt nimmt Pius XII. den vor allem in der griechischen
Tradition beheimateten Gedanken auf, daß die menschliche Natur zwar der ange-
lischen als Natur unterlegen ist, daß sie aber wegen der Vereinigung Christi
allein mit der Menschennatur vor je ner einen Vorzug hat. Christus selbst aber
steht auch seiner Menschheit nach über den Engeln52. Den spirituellen Aspekt
des Engelglaubens haben im Laufe des 19. Jahrhunderts, offenbar unter dem
Eindruck einer nachlassenden Engelverehrung, mehrere Provinzialsynoden h e r ­
v o rg e k e h rt53. Das Zweite Vatikanum hat die Wahrheit von den Engeln nicht the­
matisiert, sondern erwähnt ihre Verehrung durch die Kirche zusammen mit der
der Apostel, der Märtyrer und der Seligen Jungfrau und erinnert an ihre
Anwesenheit bei der P a ru s ie 54.

51 A A S 30 ( 1 8 9 7 /9 8 ) 132-134.
52 M y s tici C o r p o r is: D o k u m e n t e von Pius IX. bis Pius XII. (hrsg. von A. R o h r b a s s e r ),
F r e i b u r g / S c h w e i z 1953, nr. 789.
53 G. Tav ard, a.a.O ., 95.
54 L u m e n G e n tiu m , 50; 49; vgl. G. BJ asko, Die an g e l o g i s c h e n A u s s a g e n des Z w e ite n
V atik an is ch en K o nzils, in: O b e r r h e i n is c h e s P a sto r a lb la tt 68 (196 7) 197-206; 2 4 1-2 47 .
Die im ganzen zahlenm äßig gering erscheinenden Stellungnah­
m en des kirchlichen Lehram ts zum E ngelglauben und der nur ver­
halten hervortretende dogm atische F ortschritt könnten auf ein ver­
m indertes Interesse der K irche an diesem G lauben schließen lassen.
Ä hnliches gilt von der D iskrepanz zw ischen den überreichen A us­
sagen der positiven und spekulativen (vor allem m ittelalterlichen)
T heologen und der Sparsam keit in den A ussagen der kirchlichen
Lehrverkündigung. A ber zunächst ist hier an den G rundsatz zu erin­
nern, daß Zeugnisse nicht gezählt, sondern gewogen werden. Das
G ew icht der verlautbarten Zeugnisse ist aber derart, daß die G rund­
lagen eines offenbarungsgem äßen E ngelglaubens und Engelkultes
gelegt wurden.
Gewiß spielte bei der sichtlichen Zurückhaltung auch der Umstand eine
Rolle, daß die Kirche angesichts des breiten positiven Stromes von Theologie
und (vielfach ausufernder) Frömmigkeit mit Lehrentscheidungen nicht einzu­
greifen brauchte, abgesehen von den wenigen (genannten) Fällen, in denen gno-
stisch-emanatianistische oder manichäisch-dualistische Häresien den Glauben
zu verfälschen drohten. Die sich hier ebenfalls meldende Frage, warum die
Kirche gegen die ins Folkloristische und teilweise Phantastische gehende
Volksfrömmigkeit des Mittelalters nicht lehramtlich einschritt, kann dahinge­
hend beantwortet werden, daß sie es auch hier Genüge sein ließ mit der
Beharrung au f der Unverletztheit des Schöpfungs- und des Christusgeheim nis­
ses, die beide auch von der volkstümlichen Angelologie nicht eigentlich angeta­
stet wurden. Zudem konnte sie sich hier auch auf eine Vielzahl von Theologen
verlassen, die, von Bernhard v. Clairvaux bis hin zu Dionysius d. Kartäuser, trotz
glühender Engelverehrung die vom Glauben gesetzten Grenzen nicht überschrit­
ten und so ausgleichend wirken konnten.

Im übrigen wird die K argheit der lehram tlichen Verkündigung in


etw a dadurch aufgew ogen, daß m an die authentischen Z eugnisse der
Schrift, der K irchenväter und der kirchentreuen Theologen heran­
zieht, die ebenfalls theologische E rkenntnisquellen darstellen, auch
wenn sie beim Fehlen der kirchlichen Vorlage der betreffenden
W ahrheit nicht den höchsten G ew ißheitsgrad erreichen.
Gerade bezüglich der im gelebten G lauben verw urzelten E ngel­
lehre gew innt eine andere dogm atische E rkenntnisquelle an B edeu­
tung, w elcher die K irche seit alters den C harakter der „ le x orandi“
zugebilligt hat.
2) Das Zeugnis der Liturgie
D er sogenannte „Liturgiebew eis“ , der in den „Loci theologici“
des M elchior Cano (+ 1560) nicht aufgeführt wird, ist in der
A ngelologie nicht zu entbehren, obgleich er nicht förm lich als glau­
bensbegründend angesehen werden kann55. Aus der Liturgie kann das
Verständnis für die Existenz der Engel, ihr Leben bei G ott und ihr
M itleben m it der K irche und den M enschen am lebendigsten
erschlossen w erden. Die B edeutung ihres Zeugnisses erhellt auch aus
der engen Verbindung zur H eiligen Schrift (so zu le s 6 und zur Offb).
A llgem ein resultiert aus der V ielzahl der liturgischen Z eugnisse und
aus der Verbindung der Engel m it dem Sein Gottes und dem Leben
der K irche die Erkenntnis, daß „die Engel m ehr als eine poetische
Staffage aus dem R epertoire der Volks- und M ärchenpoesie sind“56.
Ihr A uftreten bezeugt hier eine m ajestätische Größe und einen erha­
benen Ernst.
Beim A usschöpfen des theologischen Q uellbereiches der Liturgie
kann man sogar auf jene große Zahl von Z eugnissen verzichten, in
denen die V äter ihre Auffassung von der Präsenz und dem W irken der
Engel bei der Feier der Liturgie bekunden37 (was m ehr zu einem
Traditionsbew eis führen w ürde). Es genügt, auf die authentischen
Zeugnisse selbst hinzuw eisen, die im W esten wie im Osten vorhan­
den sind (freilich im Osten in größerer Zahl und in hym nisch gestei­
gerter Form).
Im Confiteor der römischen Messe, in welchem das Sündenbekenntnis nicht
nur vor Gott, sondern auch vor der himmlischen Kirche abgelegt wird, hat auch
der Name des „Erzengels Michael“ seine Stellung zum Erweis der Herrlichkeit
und Heiligkeit der himmlischen Kirche, die aller Sünde entrückt58 ist. Bei der
Segnung des Weihrauchs im Hochamt wird die Fürbitte dieses Engels angefleht,
der zur Rechten des Altars steht59. In den Präfationen mündet das Gotteslob stets
in die Lobgesänge der Engelchöre ein, die hier auch in den verschiedenen
Ordnungen von „Engeln, Herrschaften, Mächten, Kräften, Seraphim“60 aufge­
führt werden (Die je verschieden gehaltene Anzahl zeigt aber, daß dabei nicht an
die neun Chöre des Ps.-Dionysius gedacht ist.). Dahinter steht der tiefe theolo­
gische Gedanke, daß die feiernde Gemeinde mit den seligen Geistern des H im­
mels verbunden ist und in die himmlischen Lobgesänge der Engel einstimmt,

55 Vgl. W. D ü rig, Z u r In t e rp r e t a t i o n des A x i o m s „L eg em cred en d i lex sta tu a t su p p lica n -


d i “ , 2 2 6-23 6.
56 E. P e te r so n , D as B u c h von den E n g e ln , 63.
57 Vgl. die Z e u g n i s s e bei G. Tavard, 35 -39.
58 J. A. J u n g m a n n S.J., M is sa r u m S o l l e m n i a I, 391; n ach d er L it u r g i e r e fo r m geht die
Bitte um F ü r s p r a c h e an „alle E n g el und H e i l i g e n “ .
59 E b d a., II, 89.
60 So in der P ra e fa ti o c o m m u n i s des M is sa le R o m a n u m .
d.h. an der h im m lis c h e n L itu rg ie teiln im m t. In d em in allen L itu rg ie n v o rh a n d e ­
nen „Dreimalheilig“ des Sanctus aus der Vision des Propheten Jesaja (Jes 6,3)
macht sich die irdische Gemeinde den Engelgesang zu eigen und vereint sich mit
allen Chören der himmlischen Geister wiederum zum Zeichen, daß die irdische
Liturgie „schon jetzt Teilnahme ist an dem nimmer endenden Lobgesang der
Gottesstadt“61. In der Annahmebitte des Kanons, dem „Supplices rogamus“ , wird
um die Entsendung des heiligen Engels gebeten, der die Gaben zum himmlischen
Altar (in Anspielung auf Offb 8,3-5) der göttlichen Majestät emporträgt. Auch
damit ist eine Beteiligung der Engelwelt am Opfer der Kirche angesprochen, was
den vorausliegenden biblischen Gedanken bei sich hat, daß die Engel auch beim
Opfer Christi und bei unserer Erlösung in bestimmter Weise beteiligt waren.
Aber die Liturgie ist nicht der Ort (woran sich auch ihre dogmatischen Grenzen
andeuten), die Art dieser Beteiligung zu fixieren und lehrhaft festzulegen.
A ußerhalb der Liturgiefeier bekennt die K irche ihren E ngelglau­
ben vor allem in der Feier eigener E ngelfeste. Auch in der erneuer­
ten Liturgie ist das im 16. Jahrhundert eingeführte Schutzengelfest
als „G edenktag“ (2. Oktober) erhalten, an dem die Kirche im Tages-
gebet die B itte ausspricht: „Sende uns deine heiligen Engel zu Hilfe,
daß sie uns behüten auf allen unseren W egen, und gib uns die
G em einschaft m it ihnen, deine ewige F reude“ . Sie verehrt die Engel
auch als „Beistand ... auf dem Weg des H eiles und des F riedens“
(S chlußgebet). In dem je tz t zu sam m en g eleg ten F est der drei
Erzengel (29. Septem ber) w erden die Engel als H elfer gegen die
M acht des Bösen in der Welt angerufen und als B eschützer der
M enschen vor dem U nheil (Tagesgebet). „U nter dem Schutz der hei­
ligen E ngel“ wollen die G läubigen „auf dem Weg des H eiles voran­
schreiten“ (Schlußgebet).
G egenüber der röm ischen Liturgie sind die östlichen Liturgien
nicht nur inhaltlich reicher entfaltet und von noch größerer Innigkeit
getragen, sie sind z.T. auch m it deutlichen Lehrelem enten verw oben,
an welche die orthodoxe Theologie unm ittelbar anschließen konnte.
Am B eispiel der C hrysostom osliturgie62 läßt sich ablesen, daß M i­
chael als „das H aupt der M ächte in der H öhe“ verehrt wird, der „uns
im m er begleitet und uns alle vor den A ngriffen des Teufels bew ahrt“ ,
während G abriel, „der oberste H eerführer“ , vor allem als „Zeuge des
M ysterium s der Inkarnation“ gepriesen wird. Beide Erzengel aber
sind „unsere L ehrm eister“ , welche „die W elt erleuchten m it dem

61 J. A. J u n g m a n n II, 170.
62 Vgl. G. Tavard, 79-81 ; vgl. auch H. Vorgrim ler, W i e d e r k e h r der E n g el?, 73ff.
Feuer der unzugänglichen G ottheit“ . Dabei w ird auch besonders auf
ihre Erhöhung in den Stand der Gnade abgehoben; denn C hristus hat
sie nicht nur „durch das hypostatische Wort geschaffen“ , sondern er
hat sie auch „geheiligt m it göttlichem G eist“ . Einschlußw eise sind in
solchen hym nischen Erhebungen auch A ussagen über das W esen der
Engel enthalten. Es handelt sich bei ihnen um „ehrw ürdige him m li­
sche und unkörperliche M ächte“ , denen durch die Gnade Unver­
sehrtheit geschenkt ist.
Bei all dem aber fällt der (schon in anderem Zusam m enhang
erw ähnte) Zug zur U nterstellung der Engel unter die W ürde und
G lorie der G ottesm utter auf, die im Geheim nis der M enschw erdung
seinen G rund hat. An dieser Eigentüm lichkeit bew eisen sich bei aller
noch so gew altigen Erhebung der Engel ihre G eschöpflichkeit und
ihre dienende Einordnung in die H eilsgeschichte.
Alle diese A ussagen sind in der Form hym nischen Lobpreises
und poetischen Überschw angs gehalten. Aber sie sind doch nicht
ohne jeden kernhaften Lehrgehalt. Zu diesem Kern, dem dann auch
der C harakter der „lex orandi“ zugebilligt werden muß (w elche die
„lex credendi“ bestim m t), gehört sicher neben dem G eschaffensein
durch den Logos ihre Personalität, ihre Vielzahl, eine (nicht w eiter
festgelegte) Über- und U nterordnung, ihre gnadenhafte U nversehrt­
heit und ihre naturhafte G eistigkeit, vor allem aber ihr D ienst und
ihre Funktion als W esen, die zur V erherrlichung G ottes und zur Hilfe
der M enschen geschaffen sind.

§ 17:

Die Engel im Verständnis des Glaubens

Literatur: W. Leitz, Die E n g e l. Ihr Wesen und Werk, Siegen 1948;


E. Peterson, Das Buch von den Engeln. Stellung und Bedeutung der heiligen
Engel im Kultus, München 21955; Th. Bogler (Hrsg.), Die Engel in der Welt von
heute, Maria Laach 1957; K. Rahner (mit P. Overhage), Das Problem der
Hominisation (QD 12/13) Freiburg 1961; Ders., Über Engel: Schriften zur
Theologie XIII, Zürich 1978; M. J. Scheeben, Das Reich der reinen Geister oder
der Engel: Handbuch der katholischen Dogmatik, 3./4. Buch (hrsg. von
W. Breuning und Fr. Lakner: G esam m elte Schriften V, Freiburg 1961;
A. Winklhofer, Die Welt der Engel, Ettal 1961; J. Danielou, Die Sendung der
Engel, Salzburg 1962; H. Vorgrimler, Die Eucharistiefeier der Ostkirche im
byzantinischen Ritus, Graz 1962; Ders., Wiederkehr der Engel? Ein altes Thema
neu durchdacht, Kevelaer 1994; H. Schlier, Die Engel im Neuen Testament:
Besinnung auf das Neue Testament. Exegetische Aufsätze und Vorträge II,
Freiburg 1964; M. Seemann, Die Engel: Mysterium Salutis, Grundriß heilsge­
schichtlicher Dogmatik II (hrsg. von J. Feiner und M. Löhrer), Einsiedeln 1967,
954-995; M. Schmaus, Der Glaube der Kirche I, München 1969; H. Schell,
Katholische Dogmatik II (Kritische Ausgabe; hrsg. von J. Hasenfuß und
P.-W. Scheele), München 1972; J. Auer - J. Ratzinger, KKD III: Die Welt -
Gottes Schöpfung, Regensburg 1975; V. Hirth, Gottes Boten im Alten Testament,
Berlin 1975; L. Heiser, Die Engel im Glauben der Orthodoxie, Trier 1976;
H. Röttger, M a l’äk Jahwe - Bote von Gott, Frankfurt 1978; U. Mann, Das
Wunderbare Wunder, Segen und Engel, Gütersloh 1979; CI. Westermann, Gottes
Engel brauchen keine Flügel, S tuttgart 21980; E. Schlink, Ö kumenische
Dogmatik. Grundzüge, Göttingen 1983; A. Rosenberg, Engel und Dämonen.
Gestaltwandel eines Urbildes, München 21986; K. H. Schelkle, Die Chöre der
Engel, Ostfildern 1988; A. Benning, Zeugen der Nähe Gottes. Ein Buch über die
Engel, Lönnigen 21990; G. Hierzenberger, Die Boten Gottes - Helfer der
Menschheit biblisch gesehen, Innsbruck 1990; Neues Bibel-Lexikon (hrsg. von
M. Görg und B. Lang), 4. Lfrg., Zürich 1990; W. Pannenberg, Systematische
Theologie II, Göttingen 1991.
Die dogm atische T heologie hat die vielfach offenen A ussagen der
Schrift wie die spekulativen Gedanken m it den L ehraussagen der
K irche zusam m enzufügen, sie in das Ganze des G laubens zu inte­
grieren und eine E insicht in die gültige W ahrheit zu verm itteln.
D abei darf, der Tradition und dem heilsgeschichtlichen Gang fo l­
gend, zuerst der D ienst der Engel in den B lick genom m en werden.

I. Dienst und Sendung der E n g el


Die beinahe definitorische A ussage des H ebräerbriefs, nach der
die Engel „alle nur dienende G eister [sind], ausgesandt, um denen zu
helfen, die das Heil erben sollen“ (Hebr 1,14), und die in einer Ü ber­
zahl von biblischen A ussagen hervorgehobene B otenfunktion rücken
den D ienstcharakter ihrer Existenz in den Vordergrund. Dies en t­
spricht auch der Etym ologie des W ortes, das (angelos, angelus) Bote
bedeutet und im biblisch-theologischen Verständnis den Boten G ot­
tes m eint. Darum hat A ugustinus (in E inheit m it vielen Vätern) be­
züglich des Engelnam ens erklärt: „A ngelus nom en officii est, non
naturae.“ (Dam it hat er freilich die Frage nach der N atur nicht abge­
schnitten, wie der Zusatz beweist: „Q uaeris nom en huius naturae,
spiritus est“ 1.
1) Die Zugehörigkeit zur Welt Gottes
Die G laubensw ahrheit von der Erschaffung der Engel vorausge­
setzt (DH 800; 3002), kann die Theologie der Frage nach der genaue­
ren Zu- und Einordnung der Engel in die Schöpfung nachgehen. Es
ist zugleich die Frage nach dem „O rt“ oder der „H erkunft“ und dem
„W oher“ dieser Boten und G esandten. Als dieser „O rt“ ist ihnen nach
alttestam entlicher, im Spätjudentum verstärkter V orstellung der
„H im m el“ zugewiesen: Sie sind nach vielen A ussagen der Schrift
„Engel des H im m els“ , der Welt Gottes. D ieser „H im m el“ ist, in theo­
logischer und nicht kosm ologischer Perspektive, so eng m it G ott
verbunden, daß er auch als U m schreibung des G ottesnam ens dienen
kann (M k 11,30; Lk 15,18.21). Er ist die D im ension des G öttlichen
und der M achtbereich Gottes. Als solcher ist er nicht ein leerer Ort,
sondern erfüllt von him m lischen G ütern (Hebr 8,2; 9,24), vor allem
aber auch W ohnung der Engel (Mk 12,25; M t 18,10; Lk 2,15;
Joh 1,51).
Nach der O ffenbarung des Johannes stehen „die sieben G eister
G ottes“ m it ihren brennenden Fackeln vor dem Thron, der „im H im ­
m el“ steht (Offb 4,2.5). Sie gehören dam it, anders als alle sonstigen
G eschöpfe, zur Welt Gottes. D iese Welt ist die des Him m els und als
solche der Erde überhoben (wenn auch nicht räum lich). Sie ist eine
geschaffene Welt (wie die Erde), aber doch als „H im m el“ in anderer
Nähe, Verbundenheit und B eziehung zu G ott als die irdische Welt
und ihre Bewohner. Es ist jene Welt, in der „Christus zur R echten
G ottes“ sitzt (vgl. Mk 14,62; Kol 3,1; Offb 3,21).
Die Engel, die nach Thomas „prope Deum“ sind, werden deshalb in späteren
Schriften des Alten Testaments auch schlicht als „die H im mlischen“ bezeichnet
(Ps 29,1; Sach 14,5) oder auch als die „Heiligen“ benannt (Ijob 5,1; 15,13;
Dan 4,10.20), ebenso mit dem Ausdruck der „Söhne Gottes“ (Ijob 1,6; Ps 29,1)
bedacht, weil sie gottnahe Wesen sind, w oraus manche nicht ganz zu Unrecht das
Fehlen eines eigentlichen Wesensnamens für die Engel ableiten2. Dem entspricht
auch die im Bundesbuch als Wort Jahwes wiedergegebene Aussage: „... in ihm ist
mein Name gegenwärtig“ (Ex 23,21). In all diesen Fällen kommt, wenn auch in
verschiedener literarischer Art, zum Ausdruck, daß die Engel Jahwe in besonde­
rer Weise nahestehen, seine machtvollen Abbilder und Offenbarungen seiner
Herrlichkeit darstellen. So ist es für die Väter (mit Ausnahme des Ambrosius)
nicht zweifelhaft, daß die Engel „ad imaginem“ geschaffen sind, und zwar
„unvergleichlich mehr als wir“3.

2 Vgl. jT Ä u er, K K D III, 396.


3 So C yrill v. A l e x a n d r i e n , R esp. ad T ib e riu m S o cio sq u e , 14.
Die V äter bringen diese Nähe auch durch den G edanken einer
besonderen Teilhabe der Engel am Logos zum A usdruck. Nach
A ugustinus besteht die Seligkeit der Engel darin, daß sie dem Logos
vollständig verbunden sind4. Sie wurden zur Teilhabe am ewigen
L icht des W ortes geschaffen und sind so „im W orte“ selbst L icht5.
In neuerer Zeit ist darüber hinaus versucht worden, die Engel in eine beson­
dere Nähe zum Heiligen Geist zu rücken und sie als Abbilder des Geistes zu ver­
stehen. Obgleich eine solche Annäherung des Engels an den Heiligen Geist in
der Patristik von A th an a siu s6 abgelehnt wurde (was in der Zeit der
Auseinandersetzung um die Person des Heiligen Geistes und im Kampf mit den
Pneumatomachen verständlich war), kann sie bei Wahrung des wesentlichen
Unterschiedes zwischen einer göttlichen Person und einem geschaffenen Geist
doch begründet werden7. Das hierfür bestimmende Motiv ist in der Geistigkeit
der Engel gelegen. Als geschaffene Wesen gehen sie (ähnlich dem Geiste) nicht
durch Zeugung hervor und sind auch kein Prinzip weiterer Zeugung. Sie sind
insofern wie der Geist ungezeugt und haben zu ihrem Grunde nichts anderes als
das göttliche Leben und die göttliche Liebe. Des weiteren ist der Heilige Geist
die Glut und das Feurige der innergöttlichen Liebe, der sich deshalb auch in
Gestalt des Feuers den Menschen offenbart (vgl. Apg 2,3). Wie der Geist Vater
und Sohn als personale Liebe aneinanderbindet, so steht auch im Hintergrund
der Sendung der Engel in die Welt die Liebe Gottes, welche die Menschen durch
die Engel enger an sich binden möchte. So ist es gewiß nicht ohne tiefere
Bedeutung, daß in der Apostelgeschichte das Werden und die Geschicke der ju n ­
gen Christus gemeinde e in m a l unter Vermittlung des Geistes stehen (vgl.
Apg 8,29; 10,19), zum an deren durch Engel vermittelt werden (Apg 8,26; 12,7).
Nicht ohne Aussagekraft ist auch die Gerichtsfunktion des Geistes und der
Engel. Der Geist ist es, der vor der Welt aufdecken wird, „was Sünde,
Gerechtigkeit und Gericht ist“ (Joh 16,8). Aber auch die Engel werden beim
Endgericht beteiligt sein, wenn sie die Auserwählten vor dem Menschensohn
zusammenführen (Mt 24,31). Mag man in diesen Bildern auch nur eine entfern­
te Verwandtschaft des Seins und der Sendung der Engel mit dem Heiligen Geist
anerkennen, so sind sie doch nicht ohne jeden Realgehalt und nicht bloße
Wortübereinstimmungen. Sie besitzen die Kraft, die Nähe der Engel zu Gott, wie
sie sich in ihnen als Bewohnern des „Him mels“ ausdrückt, um ein aus ihrer
natürlichen Geistigkeit und ihrer übernatürlichen Geisterfülltheit kommendes
Moment zu bereichern.
Ihre Zugehörigkeit zur him m lischen Welt, die ein A usdruck der
geschaffenen H errlichkeit Gottes ist, hat eine B edeutung für das
G esam tverständnis der Schöpfung. Die Existenz einer unsichtbaren
„him m lischen“ neben einer sichtbaren irdischen Schöpfung öffnet

4 D e civ. Dei XII, 6.


5 De civ. Dei XI, 9.
6 A t h a n a s i u s , E rs te r B r i e f an S er a p io n , 11; 26.
7 Vgl. d azu A. W in k lh o fer, D ie Welt d er E n g el, 153, m it B e ru f u n g a u f E. H e u f e l d e r und
den e v a n g e l i s c h e n T h e o l o g e n G. Stäh lin.
den Blick auf eine neue D im ension des Kosmos, die seine geheim nis­
hafte und beinahe unbegreifliche Größe erkennen läßt. D er M ensch
im Z eitalter des naturw issenschaftlichen Positivism us verm ag gerade
noch in Staunen zu geraten über die quantitative A usdehnung des
Kosm os, die nach M illiarden von L ichtjahren gem essen wird. Die
Engelw elt dagegen gibt Zeugnis von einer qualitativen Expansion
des Kosm os, w elcher als geschaffener doch an das G öttliche grenzt.
Dabei schließt die Zugehörigkeit der Engel zum göttlichen Bereich ihre
Einordnung als „Zwischenwesen“ oder die Ausgrenzung eines „Zwischenrei­
ches“ aus, wie ihn Ps.-Dionysius konzipierte. Für ihn berührten die Engel mit
ihren Hierarchien und Chören zuoberst gleichsam den Saum der Gottheit und
berührten zuunterst die materielle Welt. Wenn aber der Himmel als die geschaf­
fene Ausstrahlung der göttlichen Herrlichkeit angenommen und als „Ort“ der
Engel verstanden wird, dann wird der Gedanke an ein Zwischenreich hinfällig.
Es ist vielmehr der gottnahe Bereich, in dem der Schöpfer eine vollendete gei­
stige Schöpfungsordnung ins Dasein gerufen hat, in der er seine Herrschaft un­
geschmälert ausübt und die ihm in ungebrochener Hingabe dient. So ist der
„ H im m e l“ als „Ort“ der Engel zugleich auch die vollendete, auch begnadete
Schöpfung, in w elcher der Sinn alles Geschaffenen als Bezeugung der
Gottesherrrschaft sich schon jetzt in vollendeter Weise erfüllt. Die seinshafte
„Fremdheit“ und Ferne dieser Welt zur empirischen Schöpfung ist aber genauso­
wenig eine wirkliche Distanz und Trennung von der irdischen Sphäre, wie die
Transzendenz Gottes eine Entfernung des Schöpfers von den irdischen G e­
schöpfen besagt. Der Himmel im theologischen Verständnis ist ja der Ort der
höchsten und leuchtendsten inneren Einheit zwischen Gott und dem Geschaffe­
nen, als solcher ist er auch für die sichtbare Schöpfung und ihr Einssein mit Gott
bedeutsam und wirksam, weil sich Gott und die himmlische Welt beständig auf
die irdische Welt hinabsenken und das Himmelreich sich auf Erden durchsetzt.
Der Wille Gottes geschieht ja „im Himmel wie au f Erden“ .

Indem der Him m el als „O rt“ der Engel die gottnahe unsichtbare
Schöpfung bedeutet, die den B ereich der unm ittelbaren Verherr­
lichung und H errschaft G ottes bildet, ist auch etwas W esentliches
über den Sinn der göttlichen Schöpfung insgesam t gesagt und über
ihr erstes objektives Ziel. Alles über die Engel und den „H im m el“
Gesagte m acht deutlich, daß der finis prim arius der Schöpfung in der
Verherrlichung G ottes gelegen ist, aber so, daß in ihm sogleich auch
die B eseligung der G eschöpfe eingeschlossen ist.
Für die Engel selbst aber liegt die V erherrlichung G ottes, in w el­
cher allein sie ihre Seligkeit finden, im D ienst an Gott. D ieser kann
zuerst und w esentlich nicht in ihrem Botensein und ihrer Verm ittlung
zur irdischen W elt hin gedacht werden, sondern im him m lischen
Lobpreis und in der Anbetung Gottes.
rt

2) D er him m lische K ult der Engel


Die Zeugnisse der H eiligen Schrift sprechen häufiger vom B oten­
sein der Engel und von ihrem D ienst an den M enschen in der H eils­
geschichte als von ihrem Stehen vor G ott und ihrem him m lischen
Tun. A ber rein äußere Zahlenverhältnisse sind nicht der Beweis für
eine innere Ordnung. D iese ist aufgrund des gottbezogenen Seins der
Engel so gestaltet, daß auch ihr W irken zuerst als ein auf G ott zie­
lendes verstanden und als Verherrlichung G ottes anerkannt werden
muß. Sie stehen nur insofern im D ienste der G eschöpfe, als sie
logisch zuerst im D ienst an der V erherrlichung Gottes stehen, auf den
ihr ganzes Sein ausgerichtet ist. Wenn sie zur Welt als Boten kom ­
m en, nehm en sie ja ihren A usgang von G ottes Thron, vor dem sie
ihre erste und w esentliche Aufgabe erfüllen8.
Man darf aus der Anerkennung dieser Wahrheit nicht eine Trennung in den
Diensten der Engel ableiten, als wenn ihre liturgia von ihrer diakonia an den
Geschöpfen getrennt wäre. Aber man darf bei Aufrechterhaltung der Einheit d ie ­
ser Funktionen den grundlegenden Akt von dem abgeleiteten unterscheiden wie
die Quelle von dem daraus strömenden Wasser. Dies will sagen, daß alles ird i­
sche Dienen der Engel in ihrem Dienst in der himmlischen Welt und in der
himmlischen Liturgie gründet. Dazu bedarf es nicht des Rückgangs auf die defi­
nitionsähnliche Aussage des H e b räerb rie fes und der künstlichen Trennung in die
„leiturgica pneum ata“ und in das „eis diaconian apostellömena“ (Hebr 1,14). Es
ergibt sich vielmehr aus der gottnahen Schöpfung der Engel, daß der Dienst vor
Gott ihnen gleichsam „wesensimmanent“ zukommt und der Dienst an den
Geschöpfen das transeunte Moment ihres Dienstes vor Gott ist. E. Peterson e n t­
n im m t der Wahrheit von der himmlischen Liturgie der Engel sogar eine
Bestimmung ihres Wesens. Im Hinblick a u f das „Dreimal-Heilig“ der Seraphe in
der Berufungsvision des Jesaja (Jes 6,1-4) wird gesagt: „In diesem Verströmen
und Ausströmen in Wort und Gesang, in diesem Phänomen fundiert sich das
eigentliche Wesen der Engel .... Dieser R u f konstituiert erst ihr eigentliches
Wesen. In diesem Verströmen sind sie das, was sie sind“9.
Die G rundlagen für die A nnahm e eines den E ngeln w e ­
sensgem äßen kirchlichen D ienstes im H im m el bietet das Neue
Testam ent. Schon bei den Synoptikern deutet sich diese Aufgabe der
Engel in dem Jesusw ort über „die K leinen“ an: „Ihre Engel im H im ­

8 G e g e n die „ Z w e i t e i l u n g “ der A u f g a b e n o p p o n i e r t K. B a rth m it d e m A r g u m e n t, daß


kein g e s c h a f fe n e s Wes en ein en D ie n s t vo r G ott v e r ric h te n k ö n n e, d e r n ich t z u g le ic h ein
D i e n s t an d en M e n s c h e n sei. Das A r g u m e n t b e w e i s t ab er n u r die Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t der
D ie n s te und ihre in n ere V erb ind u ng , es kann ab e r n ic h t die A n d e r s h e i t d ie s e r A k te nach der
in n e r e n F o rm und der Z ie lh a f t i g k e i t a ufheben; vgl. Die k i r c h l ic h e D o g m a t i k III/3, 529;
vgl. a uch M. S e e m a n n , Die E n gel, 992.
9 E. P e te r so n , Das B u c h von den E n g eln , 60.
m el sehen stets das A n g esich t m eines him m lisch en V aters“
(M t 18,10), ein A usdruck für die staunende Bew underung des g öttli­
chen Seins, die nicht ohne A nbetung, Lobpreis und D anksagung zu
denken ist. Seine um fassendste und eindringlichste M anifestation
aber erfährt der him m lische G ottesdienst der Engel im H ebräerbrief
und in der O ffenbarung des Johannes. U nter dem Bild vom him m li­
schen Jerusalem , dem sich die Christen genaht haben, begreift der
V erfasser des H eb räerb riefes eine festlich e V ersam m lung von
„Tausenden von Engeln“ , zu der auch die vollendeten G erechten
gehören (Hebr 12,22f.). Es ist ein Fest der vollendeten G eschöpfe,
dessen herausragende Träger die Engel sind, w elche den „lebendigen
G ott“ und den „M ittler eines neuen B undes“ (Hebr 12,24) feiern.
In der Offenbarung des Johannes aber steht im Hintergrund allen irdischen
eschatologischen Geschehens die ewige Welt des Himmels, in der Gottes Thron
aufgestellt ist, vor dem die „vier Lebewesen“ , die als höchste Engel dem Throne
Gottes am nächsten sind, unaufhörlich das „Dreimal-Heilig“ singen. Bedeutsam
ist auch der Umstand, daß die höchsten Engel ihr Lob und ihre Danksagung vor
dem Lamme singen, das „aussah wie geschlachtet“ (Hebr 5,6), d.h., daß es der
Erlösungstat Christi und seiner himmlischen Erhöhung gilt. Daß diese „himmli­
sche Liturgie“ aber keine weltabgeschiedene kultische Sonderaktion ist, sondern
mit der irdischen Welt in Verbindung steht, wird daran ersichtlich, daß der
Gesang der Engel seinen Widerhall im ganzen sichtbaren Kosmos findet und alle
Geschöpfe sich ihm anschließen (Offb 5,13). Aber bezeichnenderweise sind es
wiederum die „vier Lebewesen“ , die auf das Lob der sichtbaren Schöpfung das
Amen sprechen. Sie erweisen sich so als die Initiatoren wie auch als die
Vollender des himmlischen Kultes, der die ganze Schöpfung in sich einbezieht.
Die G egenw art und M ittlerfunktion der Engel beim him m lischen
Kult ist eine von der Schrift, von den Vätern und von der Liturgie gut
bezeugte W ahrheit. Die K irche aber hat sie nicht zum G egenstand
einer besonderen Lehraussage gem acht. Dies hat wohl darin seinen
Grund, daß es sich hierbei um eine vornehm lich m ystisch-spirituelle
G egebenheit handelt, die keinen besonderen Anlaß zu einer lehrhaf­
ten Form ulierung bietet, w elche dann auch genauer auf den Sinn, auf
B edeutung und Tragw eite dieser W ahrheit eingehen m üßte. Die
Tatsache als solche bezeugt die Kirche einschlußw eise in ihrer a ll­
täglichen L ehrverkündigung, etwa m it der Aussage des „K atechis­
mus der katholischen K irche“ : „In ihrer Liturgie vereint sich die
Kirche m it den Engeln, um den dreim al heiligen G ott anzubeten“ 10.

10 K a t e c h i s m u s der k a t h o l i s c h e n K irch e, nr. 336.


3) D er Kult der Engel und die L iturgie der Kirche
Die Verbindung, die nach der O ffenbarung des Johannes zw i­
schen dem angelischen H im m elskult und dem kosm ischen Lobpreis
der G eschöpfe besteht, gibt den B lick frei für einen noch spezifi­
scheren Konnex m it der L iturgie der K irche. Vom Seher der
O ffenbarung wird er durch die B eteiligung der 24 Ä ltesten verbürgt,
w elche als R epräsentanten des „ g e istig e n “ Israel auftreten in
Entsprechung zum irdischen K ollegium der Ä ltesten. A ber auch ab­
gesehen von dieser Verbindung ist ein solcher Konnex in der Sache
selbst begründet; denn das Einstim m en des ganzen Kosm os in den
Lobpreis des Lam m es kann nicht ohne B eteiligung der K irche ge­
dacht w erden, die in ihrer Liturgie den Sanctus-R uf der Engel
beständig w iederholt. So ist die K irche an der him m lischen Liturgie
beteiligt, aber auch um gekehrt sind die Engel bei der Liturgie der
K irche anwesend, was in der Tradition nicht nur von der Eucharistie
gesagt, sondern auch auf die Feier einzelner Sakram ente bezogen
w urde11.
M it Recht wurde die B eteiligung der Engel am G ottesdienst der
K irche als „der erhabenste G esichtspunkt“ bezeichnet, „unter dem
w ir die Engel betrachten können“ 12. U nter Rückverw eis auf das über
die L iturgie als F undort für die E xistenz der Engel G esagte
(vgl. § 16, II) stellt sich hier die Frage nach Sinn und Bedeutung der
Teilnahm e der Engel am G ottesdienst der K irche. Die hier bekunde­
te Präsenz der Engel ist zunächst ein m achtvolles Zeichen für die
Einheit des „him m lischen Jerusalem “ m it der pilgernden Kirche auf
Erden. Darin liegt der Beweis, daß die Kirche „zugleich göttlich und
m enschlich“ , zugleich „sichtbar und m it unsichtbaren G ütern ausge­
stattet ist“ 13. A ber indem die Engel die irdische Liturgie m ittragen
und ein Engel die „Opfergabe auf deinem him m lischen A ltar vor
deine göttliche H errlichkeit“ em porträgt (Erstes H ochgebet), wird
diese G em einschaft je neu aktuiert und intensiviert. Auch wenn die
Engel nicht in form ellem Sinn zur K irche als dem Leibe Christi ge­
h ö ren 14, so haben sie doch G em einschaft m it der Kirche und bestäti­

11 E. P e te r so n , 46ff.
12 A. W in k lh o f er, a.a .O ., 80.
13 S a c r o s a n c tu m C o n c iliu m , 2.
14 So A. W ink lho fer, a.a.O ., 78.
gen diese durch die Teilnahm e an der kirchlichen Liturgie, obgleich
sie nicht in das innere G eschehen der H eilshandlung eingreifen.
Durch ihr Mitfeiern verleihen sie der Liturgie der Kirche einen kosmischen
Zug und führen sie aus der irdischen Enge und Begrenztheit in die unbegrenzte
Weite eines den H im mel und die Erde erfassenden G ottesdienstes. Das
Zusammenschlagen ihres himmlischen Jubels mit dem Lobpreis der Kirche ver­
leiht dem kirchlichen Beten und Singen nicht nur über das Menschliche hinaus­
gehende Kraft, es weist die Kirche auch auf die eschatologische Vollendung in
der himmlischen Liturgie hin und hebt den irdischen Kult dem himmlischen ent­
gegen.
D er A ufw eis dieser geistlich-m ystischen Perspektive bezüglich
der V erbundenheit der Engel m it dem Kult der K irche führt m an­
cherorts zu der Befürchtung, daß dam it einer „V erobjektivierung der
W irklichkeit“ der Engel das W ort geredet und ihre „kultische
V erselbständigung“ betrieben werde, die „den Zugang des M enschen
zu Gott nicht selten zu verstellen“ 15 drohe. Aber bei V ergegenw ärti­
gung des gem einsam en Zentrum s der him m lischen und der irdischen
Liturgie w ird dieser Verdacht gegenstandslos und nim m t im G egen­
teil den Charakter eines einzigartigen Vorzugs an; denn im Zentrum
des beiderseitigen Lobpreises steht jedesm al das „Lamm, [das] aus­
sah wie geschlachtet“ (Hebr 5,6). Dem nach geht es bei der E in ­
beziehung der Engel in den K ult nicht um dessen Verselbständigung
und um eine Ablenkung des Blickes vom göttlichen H eilsgeheim nis.
Es geht vielm ehr um eine Z entrierung beider Schöpfungsordnungen,
der Engel wie der M enschen, um eine Vereinigung und Bündelung
beider K räfte auf den Lobpreis des von G ott in Jesus Christus ge­
w irkten Heiles. D er Beitrag der Engel ist dazu angetan, die Größe
und H errlichkeit dieser G ottestat in ein höheres überirdisches Licht
zu erheben.
Allerdings ist bezüglich der dogmatischen Verbindlichkeit der Lehre von der
„himmlischen Liturgie“ und ihrer Verbindung mit der Kirche eine Einschränkung
angebracht. Diese Verbindung ist von der kirchlichen Lehrverkündigung nicht
förmlich thematisiert worden. Deshalb behalten die Zeugnisse der Offenbarung
des Johannes und der Liturgie (unter Einschluß der östlichen Liturgien) ihren
Wert. Aber da die Liturgie kein schlechthin selbständiges Zeugnis darstellt und
die betreffenden Schriften wie Väteraussagen eine gewisse Offenheit an sich tra­
gen, ist der dogmatische Sicherheitsgrad dieser Aussagen nicht der gleiche wie

15 D as b e m ä n g e l t E. S c h lin k in se in er „ Ö k u m e n i s c h e n D o g m a t i k “ , 179f., w e lc h e so nst


ein p o sitiv es Z e u g n is für den E n g e l g la u b e n ableg t.
der ü be r die E x iste n z und das G e s c h a ffen s ein der E ngel. A n d e rerseits d ürften sie
w eg en ihres Z u sa m m e n h a n g e s m it S ch rift und T ra d itio n und L itu rgie nich t e in ­
fach als „fro m m e M e i n u n g e n “ a n g eseh en w erden.

4) D er D ienst der Engel an der M enschenw elt


Von dem höchsten G esichtspunkt aus, d.h. von der Stellung der
Engel im him m lischen und kirchlichen Kult, ist zu verstehen, daß
sich der D ienst der Engel darin nicht erschöpfen kann. Die Verehrung
des geschlachteten Lam m es ist ja R esultat und Endergebnis des gan­
zen heilsgeschichtlichen W erkes des Erlösers. So ist auch die G egen­
wart der Engel im Kult nur das Ergebnis ihrer zuvor im H eilsw erk
bew iesenen Präsenz und M itbeteiligung.
Vom helfenden D ienst der Engel in der H eilsgeschichte ist das
ganze Neue Testam ent erfüllt. Sie treten als Verkünder, als Zeugen
und M itw irker des C hristusgeschehens auf, das sie in seinem ganzen
Verlauf von der Verheißung des Erlösers (Lk 1,26-38) über die
Geburt (Lk 2,9-14) bis hin zu seiner A uferstehung (Lk 24,1-8;
Mt 28,1-8) und H im m elfahrt (Apg 1,9-11) begleiten und bei dessen
trium phalem Abschluß in der Parusie (M t 24,31) sie ebenfalls anw e­
send sein werden. Dabei bereiten die A ngelophanien eine gewisse
Schw ierigkeit, insofern sie in verschiedener Weise und A bstufung
geschehen: als Traum stim m en (Mt 1,20; 2,13; Apg 8,26), in anschau­
licher Erscheinung (Mk 16,5; Mt 28,3) und in unanschaulicher
G egenw artsw eise (Mt 4,11; M k 1,12)16. Es ist verständlich, daß solch
ein Einbruch der unsichtbaren Welt nur bildhaft ins Wort gebracht
werden kann und daß sich m it dem objektiven G eschehen auch sub­
jektive Vorstellung und individueller A usdruck verbinden, ohne daß
dam it die R ealität des G eschehens in Z w eifel gezogen werden m uß17.
Weil die H eilsgeschichte aber nicht abgeschlossen ist und das Er­
lösungsw erk verm ittels der Kirche w eitergeht, ist es verständlich,
daß das christliche G laubensdenken bald die Ü berzeugung gewann,
daß die Obhut und Fürsorge der Engel im besonderen der Kirche ge­
widm et sein wird. So ist im apokryphen Buch der „A scensio Isaiae“ 18

16 N B L , Lfrg. 4, 538.
17 Vgl. d azu M. S c h m a u s , Der G la u b e der K irch e I, 422.
18 E in aus dem z w e ite n J a h rh u n d e r t st a m m e n d e s A p o k r y p h o n ü b er die H i m m e l f a h r t des
J e sa ja m it W e i s s a g u n g e n ü b er die K irch e, das g n o s t i s c h e n E in f l u ß zeigt; vgl. A s c e n s i o Is
III, 15.
vom „Engel der christlichen K irche“ die Rede. Im „Pastor H erm ae“
wird M ichael als „der große und herrliche E ngel“ bezeichnet, „der
Gewalt hat über dieses Volk und dasselbe beherrscht“ 19. Diese Tra­
dition, die in Offb 12,7 einen gew issen A nhalt hat, ist von den K ir­
chenschriftstellern (H ippolyt) und V ätern w eitergetragen w orden20.
Bei O rigenes (+ um 254) konkretisiert sie sich zu der Vorstellung,
daß jede D iözese von zwei B ischöfen geleitet wird, einem m enschli­
chen und einem E ngel21. G regor v. N azianz (+ um 390) verleiht ihr
den klaren A usdruck: „Die Sorge für diese Kirche ist einem Engel
anvertraut worden. Und andere leiten andere K irchen, wie der
hl. Johannes in der A pokalypse lehrt“22. In Parallele dazu scheint
sich, ebenfalls nicht unabhängig von spätjüdischen Vorstellungen,
die Auffassung von der Existenz von V ölkerengeln entw ickelt zu
haben, welche Johannes v. D am askus, die betreffende patristische
Tradition zusam m enfassend, wie selbstverständlich vertritt: „Sie be­
w achen die verschiedenen Erdteile; sie stehen den N ationen und
L andesgegenden vor; sie regieren unsere G eschichte und bringen uns
H ilfe“23.
Mag so die Z u o rd n u n g der E n gel zur Kirche (die A u g u stin u s im Hinblick auf
das zu wahrende Geheimnis mit großer Zurückhaltung angeht24) eine feste
Grundlage in der Tradition besitzen, so wirkt doch ihre Verbindung mit der spät­
jüdischen Literatur und ihre Versetzung mit apokryphen Stoffen störend und ver-
unklärend. Freilich ist hinsichtlich des Einflusses der Apokryphen grundsätzlich
zu sagen, daß eine partielle Übereinstimmung mit diesen das Entstehen einer
legitimen Traditionslinie nicht verhindert; denn erstens besitzen die Apokryphen
selbst ihre Ansatzpunkte in der Schrift, und weiterhin ist auf ihren Einbau in das
Ganze der Christuswahrheit und des Kirchengeheimnisses zu achten. Von daher
erfahren ihre Aussagen eine Rektifizierung und Läuterung, so daß sie als äußere
Anregungsmittel einer sich aus der Schrift erhebenden Tradition nicht gänzlich
abgelehnt werden müssen.
A ndererseits bleibt die G rundlegung dieses Lehrpunktes in der
H eiligen Schrift spärlich, so daß auch die Kirche w iederum zu die­
sem Einzelthem a keine spezielle lehram tliche Stellung genom m en

19 So in den „ G l e i c h n i s s e n “ : Sim. VIII, 3,3.


20 Vgl. J. D a n i e l o u , Die S e n d u n g d e r E n g el, 74ff.
21 H o m ilie n zu Lk XIII.
22 Orat. 42.
23 D e fide o r t h o d o x a 11,3.
24 So b e m e r k t A u g u s ti n u s im E n c h i ri d i o n X V I, 61, daß uns die V erb ind un g der K irch e
m it den E n g e l n erst bei u n se re r V erein ig un g m it ih n en k lar w e r d e n wür de.
hat. Wohl aber hat sie in ihrer ständigen und alltäglichen L ehrver­
kündigung die G laubensüberzeugung von einer allgem einen Schutz­
funktion der Engel an der Welt und besonders auch an der Kirche
bestätigt und w achgehalten, so im „K atechism us der katholischen
K irche“ : „Bis zur W iederkunft Christi kom m t die geheim nisvolle
m ächtige H ilfe der Engel dem ganzen Leben der K irche zu“25.
Zurückhaltung wahrt die Kirche auch bezüglich der in der Patristik wie in
der Scholastik problemlos positiv beantworteten Frage nach einer naturhaft-kos-
mischen Funktion der Engel, mit der sie auch als Naturkräfte im Kosmos wirken.
Die in der Offenbarung des Johannes enthaltenen Hinweise auf kosmische
Wirkungen der Engel als Beherrrscher der Winde (Offb 7,1), als Machthaber
über das Feuer (Offb 14,1 8) und über das Wasser (Offb 16,5) dürfen als literari­
sche Formen für den gottgewollten Dienst der Engel an der Welt verstanden wer­
den, nicht aber als realistische Detailangaben. Auch wenn solche Aussagen bei
den Vätern wiederkehren26, so ist doch bei ihnen schon zu erkennen, daß das
Hauptgewicht ihrer Gedankengänge auf der liturgischen Funktion der Engel und
auf ihrem geistlich-spirituellen Weltbezug gelegen ist, bei dessen Darstellung
die weltbedingten Anschauungselemente zurücktreten.
Im Mittelalter widmete der in der E n g elle h re als A u to rität anerkannte
Thomas v. Aquin (1274) der Frage nach dem Verhältnis der Engel zur Körperwelt
in der theologischen Summe eine eigene Quästion, in der die naturwissenschaft­
lichen und philosophischen Voraussetzungen des alten Weltbildes (Platon,
Aristoteles, aber auch die arabischen Philosophen) vom Einfluß höherer
Geistmächte auf den sichtbaren Kosmos (Himmelskörper) mit den Zeugnissen
der Schrift kombiniert werden27. Für das Denken in einem hierarchisch gestuften
Kosmos schien die Annahme einer Einwirkung der höheren geistigen Ordnung
auf die niedrigere körperliche naturgegeben. Immerhin nahm Thomas an der
überkommenen Lehre einige Einschränkungen vor, wenn er feststellt, daß dem
Engel keine bestimmte Zuordnung zu irdischen Wirklichkeitsbereichen aufgrund
einer in seiner Natur liegenden Bindung zukomme, sondern daß dies allein von
der Weisheit Gottes gesetzt werde28; ebenso korrigiert er die Ansicht, daß den
reinen Geistern vollkommene Verfügungsgewalt und Befähigung zur Wesens­
gestaltung des Stoffes zukomme29. Auch kennt Thomas Grenzen des Einwirkens
der Engel auf die irdischen Geschöpfe, so daß sie keine Wunder im eigentlichen
Sinne wirken können10 (was erst recht für die Dämonen gilt).
In die kirchliche Lehrverkündigung ist dieser naturhaft-kosm ische Wirk-
bereich der Engel nicht eingegangen. Er kann von der Theologie als weltbeding­
te Aussageform für die Beziehung der Engel zur Schöpfung überhaupt angesehen

25 K a t e c h i s m u s der k a t h o l i s c h e n K irche, nr. 334.


26 Vgl. A. W in k lh o fer, Die W elt der E n g el, 6 3 f f .
27 S.th. I q. 110 a. 1-4.
28 S.th. I q 110 a .l ad 3.
29 S.th. I q. 110 a.2 corp.
30 S.th. I q. 110 a.4.
werden, die aber in bezug auf kosmologische Einzelbestim mungen nicht zum
Offenbarungsinhalt gehören.
Schon für Thom as selbst scheint die Ü berzeugung von der B e­
treuung der M enschen durch die Engel wegen ihrer Verankerung in
der H eilsgeschichte bedeutungsvoller zu sein. Es geht ihm besonders
um die nach dem C hristusereignis fortdauernde Schutzfunktion der
Engel für die M enschen insgesam t wie auch für die Einzelnen. Sie
fand ihren für die Fröm m igkeit kraftvollsten A usdruck im Glauben
an die Existenz von Schutzengeln, die je einzeln einem M enschen
beigegeben sind. D ieser G laube besitzt Bezeugungen in der H eiligen
Schrift, die von m ythischen Spekulationen relativ frei sind. Zwar
steht der begleitende Engel Raphael („G ott hat geheilt“) in der
W eisheitsdichtung des Tobitbuches noch im Um kreis archaischer
M ärchen und Legenden, aber die Zeichnung der G estalt dieses
Engels in ihrer B eziehung zum Schutzbefohlenen M enschen zeugt
von erhabener Größe und hoher sittlicher Güte, die von der M ajestät
des heiligen G ottes kom m en (Tob 12,15). Aber an anderen Stellen
treten die U nabhängigkeit der schützenden Engel von archaischen
R esiduen und ihre Zugehörigkeit zur göttlichen O ffenbarung deutli­
cher hervor, so im Bekenntnis Jakobs zum „Engel, der m ich erlöst
hat von jeglichem U nheil“ (Gen 48,16), in den Psalm en (vgl. Ps 34,8;
91,11 ff.) und in den im M unde Christi vorkom m enden A ussagen des
Neuen Testam ents bezüglich der „Engel im H im m el“ , die „den
K leinen“ zugeordnet sind und die das „A ntlitz des him m lischen
Vaters sehen“ (vgl. Mt 18,10). Die V äter haben diese Ü berzeugung
w eiterentw ickelt. Bei Basilius d. Gr. (+ 379) trat sie in dem charak­
teristischen Satz hervor: „Daß jedem der G läubigen ein Engel zur
Seite steht gleichsam als E rzieher und Hirt, der das Leben leitet, wird
niem and abstreiten, der des W ortes gedenkt ...“ (nun folgt der
Verweis auf M t 18,10; Ps 34,8; Gen 4 8 ,16)31. Im frühen M ittelalter
zog B ernhard von Clairvaux (+ 1153) daraus die Folgerung für die
E instellung des M enschen zu „seinem E ngel“ : „In jedem W inkel
erw eise deinem Engel E hrerbietung“32.

31 In ps. 48, n. 9.
32 S e r m o 12 in ps. 90.
Wiederum war es Thomas v. Aquin, der diese Auffassung systematisch aus­
arbeitete. Er ordnete bezeichnenderweise das auf die Menschen bezogene
Wirken der Engel in die Lehre von der göttlichen Vorsehung ein, deren Gesetz es
ist, das Niedere durch das Höhere, also die Menschen durch die Engel zum Ziele
kommen zu lassen. Mit dem Rekurs auf die Vorsehung ist alles Wirken der Engel
dem Verdacht des autonomen und selbsteigenen Handelns neben oder außerhalb
der göttlichen Souveränität entzogen, so daß der bis in die Neuzeit hin erhobene
Vorwurf ausgeschlossen bleibt, daß das Dasein und Wirken der Engel der Größe
und Allursächlichkeit Gottes zuwiderlaufen könnte. Dabei bietet Thomas auch
Angemessenheitsgründe für das Walten der Engel von seiten der menschlichen
Verfaßtheit: Es ist die Anfälligkeit des gefallenen Menschen gegenüber dem
Irrtum im Erkenntnisleben und gegenüber der Schwäche im sittlichen Streben,
welches durch die Affekte und Leidenschaften des Herzens behindert wird.

In diesem Zusam m enhang entw ickelt der A quinate auch w ichti­


ge, bis heute gültige G rundsätze über die A rt und W eise des angeli­
schen Einw irkens der Engel auf die M enschen, die auch w ieder dem
Ziele dienen, die B eeinflussung nicht ins U ngem essene zu steigern
und die den G eschöpfen gesetzten G renzen im W irken auf andere
G eschöpfe aufzuzeigen. W ie die E ngel in der objektiven
H eilsgeschichte nicht V ollbringer der H eilstaten selbst sind, sondern
deren Zeugen, Interpreten und Begleiter, so verm ögen sie auch im
individuellen H eilsgeschehen nicht eigentlich als Spender und
Verm ittler der auf dem H eilsw eg erforderlichen natürlichen und
übernatürlichen K räfte zu wirken, aber sie verm ögen diese K räfte
anzuregen, die ihnen entgegenstehenden Störfaktoren zurückzudrän­
gen und im D ienst der göttlichen Vorsehung den Weg zum endgülti­
gen Heil des M enschen zu ebnen (w oran sich w ieder ihr Bezug zur
H eilsordnung zeigt, in w elcher zuletzt w ieder Christus führend ist).
So verm ag die T ätigkeit des Engels den m enschlichen Verstand
zu stärken und zur E rleichterung des G laubens beizutragen, er ver­
mag aber den m enschlichen W illen nicht von innen her zu bewegen,
was allein ein Vermögen Gottes ist. Darum kom m t den Engeln auf
die m enschliche Person letztlich nur ein m oralischer Einfluß zu,
nicht aber ein physischer. Im A nschluß an diesen G rundsatz hat die
nachfolgende Theologie den Einfluß der Engel als einen Zuspruch
von Trost, von Vertrauen und Z uversicht gedeutet, als Schutz vor
Versuchung und zeitlichem Übel, als Anregung zum G ebet und als
G eltendm achung („E m portragen“) des G ebetes vor das A ntlitz
G ottes, vor dem die V erherrlichung G ottes m it dem D ienst an den
M enschen w ieder zusam m enklingt.
Thomas prädiziert alle diese Hilfen auf die Gestalt eines Schutzengels für
jeden Menschen. Das die ganze Schöpfung durchwaltende Gesetz der göttlichen
Vorsehung, wonach die höhere Ordnung auf die niedrigere Einfluß nimmt, fin­
det, genau so wie die göttliche V orsehung selbst, auch Anwendung auf das
Einzelne und Individuelle im menschlichen Bereich. Darum spricht für Thomas
alles dafür, „daß den einzelnen Menschen einzelne Engel zum Schutz zugewie­
sen sind“33. Der Aquinate zieht aus dieser Lehre weitere Folgerungen sekundärer
Art (wie die von der „bisweilen“ vorkommenden Zuweisung mehrerer Engel an
einen Menschen, vor allem insofern der einzelne Mensch als Glied einer
Gemeinschaft verschiedene Aufgaben zu erfüllen hat, zu deren Bewältigung je
ein eigener Engel Schutz und Hilfe bietet), die nicht die gleiche Ü berzeugungs­
kraft besitzen wie die in seinem System stringent begründete Lehre vom
Schutzengel.
D iese Lehre hat als A usdruck einer lebendigen Vorstellung von
der vielgestaltigen, auch personal verm ittelten göttlichen Vorsehung,
wie auch wegen ihrer anthropologisch bedeutsam en A usrichtung auf
das Heil des M enschen in der kirchlichen Lehrverkündigung einen
deutlicheren W iderhall gefunden als die Lehre über die Zahl oder die
Chöre der Engel oder die A uffassung von der B eauftragung besonde­
rer Engel zum Schutz von K irchen und Völkern. N icht nur die nahe­
zu einhellige Lehre der V äter seit O rigenes34 bezeugt die W ahrheit,
daß den E ngeln grundsätzlich eine Schutzaufgabe über die M enschen
zukom m t, sondern auch praktische wie theoretische Stellungnahm en
der Kirche bestätigen und bekräftigen diese Lehre als G laubens­
wahrheit. U nter den ersteren sind die Einrichtung von K irchen und
A ltären zu E hren der S ch u tzen g el, vor allem aber die im
16. Jahrhundert erfolgte Einführung des Schutzengelfestes zu nen­
nen, unter den letzteren die Bezeugung dieser W ahrheit in den
K atechism en, etw a im „Catechism us R om anus“35 oder neuerdings im
„K atechism us der katholischen K irche“ , der erklärt: „Von der
K indheit an bis zum Tod um geben die Engel m it ihrer Hut und
Fürbitte das Leben des M enschen“36. Darum wird diese Lehre allge­
m ein als vom m agisterium ordinarium vorgelegte O ffenbarungs­
w ahrheit anerkannt, w elcher der dogm atische Sicherheitsgrad „de

33 S.th. I q. 1 13 a.2 resp.


34 D ies er e r k l ä rt in D e pr inc. I p raef., n. 10: „A u ch dies ist in d er k i r c h l ic h e n
L e h r v e r k ü n d i g u n g e n th a lte n , daß es E n g el G o ttes u nd gute K r äfte gibt, w e lc h e ih m d ienen,
um das Heil d er M e n s c h e n zu v o l l e n d e n “ .
35 C ate ch. R om . IV, 9,4.
36 M ü n c h e n 1993, nr. 336.
fide divina et catholica“ entspricht. Die daraus abgeleitete Lehre vom
eigenen Schutzengel für jeden C hristen wird als „theologisch siche­
re W ahrheit“ anerkannt37, als Lehre, die sich in einem eigenen und
sicheren Schluß aus der Offenbarung ergibt.
Die Lehre von den Schutzengeln, die freilich im Volksglauben oft
der V erniedlichung und kindlicher N aivität preisgegeben wurde, ver­
m ag (fernab von solchen E ntartungserscheinungen, denen durchaus
begegnet w erden kann) an diesen schützenden L ichtw esen die
H errlichkeit G ottes und die W eisheit seiner Führungen erahnen zu
lassen; sie stellt aber auch die W ürde und K ostbarkeit jedes M en­
schen vor Gott in ein erhabenes Licht. In ihm strahlt auch die
Verantw ortung des freien M enschen in neuer Weise auf.

I I . D as S ein d e r E n g el
Für das H eilsverständnis ist die Frage nach dem D ienst der Engel
bedeutsam er als die nach ihrem Sein und W esen. A ber die system ati­
sche Theologie, die den Erscheinungen auf den Grund gehen muß,
kann auch die W esenfrage nicht ausschließen, ohne sich dabei (wie
in der Vergangenheit) in endlosen Spekulationen zu verlieren. Der
hier notw endige Einsatz philosophischen Denkens muß auf das Ver­
ständnis der Stellung und des W irkens der Engel in der H eils­
geschichte ausgerichtet sein.
1) Die G eistigkeit und Personalität der Engel
Im G egensatz zu der oft w iederholten B ehauptung, daß die
H eilige Schrift keinerlei A uskunft über das W esen der Engel gebe, ist
doch festzuhalten, daß die Engel im N euen Testam ent nicht ohne
B etonung als G eister (pneum ata) bezeichnet werden (H ebr 1,14;
12,9; Apg 23,8f.; Offb 1,4 u.ö.)38. Dies war der legitim e A usgangs­
punkt, von dem aus die Tradition das Verständnis für das G eistw esen
der Engel im m er deutlicher entw ickelte.
D iese G edankenentw icklung verlief zw ar nicht gänzlich ohne
Schw ankungen, insofern in der christlichen Frühzeit bei Justin
(+ um 165), Tertullian (+ nach 220) und Laktanz (+ nach 317) auf­

37 D er B e z u g a u f alle M e n s c h e n g ilt als „ t h e o l o g i s c h b e g r ü n d e t e “ S en ten z.


38 So auch W. P a n n e n b e r g , S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 126.
grund einer falschen D eutung des m ythologischen Einschubs von
Gen 6,1-2 (die Sünde der „G ottessöhne“ m it den M enschentöchtern
betreffend) den Engeln eine gew isse feine L eiblichkeit zugesprochen
wurde. H ier scheint neben dem Einfluß stoischen Denkens auch die
Schw ierigkeit der U nterscheidung zw ischen der G eistigkeit Gottes
und dem geschaffenen G eist der Engel eine Rolle gespielt zu haben.
D iese U nschärfe zeigt sich vor allem bei den abendländischen V ätern
(auch bei A ugustinus) und reichte bis ins frühe M ittelalter hinein bis
hin zu B ernhard v. Clairvaux (+ 1153) und Petrus Lom bardus
(+ 1160). D agegen gelangten die griechischen V äter unter neuplato­
nischem E in flu ß zu ein er ein d eu tig eren F assung der reinen
G eistigkeit der Engel, die bei Johannes v. Dam askus (+ 749) zu dem
überzeugenden U rteil führte: „Der Engel ist also eine denkende, all­
zeit tätige, m it freiem W illen begabte, unkörperliche W esenheit, die
G ott dient und in ihrer N atur die U nsterblichkeit aus Gnade em pfan­
gen hat, deren W esen und Form bestim m theit der Schöpfer allein
kennt. Er (der Engel) heißt aber unkörperlich und im m ateriell im
Vergleich m it uns; im Vergleich m it Gott, dem allein U nvergleich­
lichen, wird alles als grob und m ateriell em pfunden; denn w ahrhaft
im m ateriell und unkörperlich ist nur die G ottheit“39.
E rst die Scholastik hat die Lehre von der reinen Geistigkeit der Engel m it
allen philosophischen Folgerungen für den Ausschluß von Materie und Form bei
ihnen (nicht aber von Potenz und Akt) zu Ende geführt. Die Kirche hat sie sich
insoweit zu eigen gemacht, als sie die Lehre von der Geistigkeit der Engel in
einem allgemeinen Sinn zum Dogma erhob, ohne damit auch eine absolute
Unstofflichkeit zu definieren (DH 800; 1302). Die traditionelle Theologie hat
mit guter Begründung aus der Geistigkeit auch eine natürliche Unsterblichkeit
der Engel abgeleitet; denn eine Geistnatur ist der Möglichkeit eines inneren und
äußeren Zerfalls enthoben und nur durch einen göttlichen Annihilationsakt zer­
störbar, der aber aufgrund der Weisheit des Schöpfers nicht angenommen werden
kann (vgl. Weish 11,24).
Der Schluß von der Geistigkeit der Engel auf die reine a bsolute Geistigkeit
aufgrund der in den Offenbarungsurkunden zutagetretenden übermenschlichen
Höhe des Seinsstandes und der Mächtigkeit der Engel erscheint naheliegend.
Allerdings kann diese einzigartige Verfassung der Engel vom natürlichen
Denken weder apriorisch noch aposteriorisch bewiesen werden. Das gelingt auch
dem hl. Thomas nicht, wenn er im Hinblick auf die Vollkommenheit der
Schöpfung fordert, „daß es, damit das Universum vollkommen sei, auch unkör­
perliche geistige Geschöpfe geben müsse“40. Das natürliche Denken ist aber wohl

39 De fide orth. II, 3.


40 S.th. I q .5 0 a . l .
fä h ig , die W i d e r s p r u c h s f r e i h e i t d er A n n a h m e e i n e r E x is t e n z vo n re in e n
Geistwesen gegen den Empirismus und gegen den Materialismus zu erweisen.
D ieser Erweis kann von der G eist-L eiblichkeit des M enschen
ausgehen. Die G eistseele ist zwar auf den Leib bleibend angew iesen,
aber sie ist ihm doch nicht so verhaftet, daß sie bei den höchsten
T ätigkeiten des Verstehens und W ollens sich dem Leib nicht auch als
überlegen erw iese und die höhere Seinsm acht des G eistes offenbar­
te. Im ganzen erw eist sich die G eistseele nicht nur als Entelechie des
K örpers (was sie m it ihm zugrunde gehen lassen m üßte), sondern als
geistiges Selbstsein und als Subsistenz. W enn so die G eistseele auf
der obersten G renzlinie des körperlich und leibhaft G eschaffenen
steht, ist die A nnahm e nicht w idersprüchlich, daß es einen G eist oder
G eistw esen geben könne, welche den M enschengeist an U nabhän­
gigkeit, an Innerlichkeit, an Subjektivität und M ächtigkeit überragen
und das Eigensein des G eistes in vollkom m ener W eise zum A usdruck
bringen. D iese M öglichkeit kann auch von der anderen, der g öttli­
chen Seite her verständlich gem acht w erden, insofern bedacht wird,
daß Gott die A bbildlichkeit seines eigenen G eistseins in noch höhe­
rer W eise in der Schöpfung verw irklichen kann als nur in der Weise
der leibgebundenen m enschlichen G eistseele. Diese M öglichkeiten
finden von der O ffenbarung her eine positive Antwort, welche das
vom M enschengeist als m öglich E rahnte im Glauben zur R ealität
erhebt und bestätigt.
Die reine G eistigkeit der Engel, w elche die Kirche offenbar w e­
gen des auch philosophischen Charakters der Frage nicht zu einem
D ogm a erhoben hat, aber deshalb nicht einfach als unverbindliche
M einung versteht, w ird heute in einer m erkw ürdigen Rückw endung
zur nicht ganz eindeutigen V ätertheologie problem atisiert. So tritt
von neuem die B ehauptung auf, daß die Engel nicht als reine G eister
konzipiert, sondern m it einem „ihnen notw endig zukom m enden We­
sensbezug zur M aterie“41 ausgestattet gedacht w erden m üßten, wenn

41 So K. R a hn er, Ü b e r E n g e l, 405. U m d ie s e n W e s e n s b e z u g n a c h z u w e i s e n un d dam it


auch z u r E n tm y t h o l o g i s i e r u n g des E n g e l g la u b e n s in e in e r n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h g e p r ä g t e n
E p o c h e b e iz u tr a g e n , v e r b in d e t d er A u to r die ( h y p o t h e t is c h e ) E x is te n z von E n g e ln m it der
„ W e r d e w e l t “ , in der die E ng el „ eh er als E n d p r o d u k t e in e r W e l t e n t w i c k l u n g zu v e r s t e h e n “
seien, „ w ä h r e n d die t r a d i ti o n e l l e T h e o l o g ie sie als (auch k o s m i s c h e ) P ri n z ip i e n am A n fan g
d e r W elt v e r s t e h t “ : ebda., 41 7. Sie m ü ß te n sich dan n , str e n g g e n o m m e n , au s d er v o r a u s g e ­
auch zu einer M aterie höherer Art. Der U nterschied der A uffassun­
gen liegt in einer anderen K onzeption des M aterie-G eist-V erhältnis­
ses. H ier w ird die M aterie nicht als vom G eist w esensverschieden
angesehen, sondern als „eingegrenzter, gew isserm aßen gefrorener
G eist-Sein-A kt“ verstanden, als „ein M om ent am G eist“ , ja sogar als
„M om ent am ewigen L ogos“42. D er hier geforderte notw endige
M ateriebezug der Engel rückt diese wieder in die aus der noch nicht
abgeklärten Tradition bekannten Stellung der „M ächte und Gewalten
dieser unserer m ateriellen W elt“43 und als Entelechien größerer und
differenzierterer Einheiten von R aum zeitlichkeit. D am it werden die
Engel w ieder als kosm ische und kosm ologische R ealitäten gedeutet,
w om it sie w ieder in die Nähe des M ythologischen geraten.
Als Schw ierigkeit der Engellehre wird auch die Vorstellung von
der Personalität der Engel em pfunden. Aber der Schritt von der A n­
erkennung ihrer G eistigkeit zur Annahm e ihrer Personalität kann
nicht unterlassen werden. In der Im m aterialität des G eistes, in seiner
E infachheit und Substantialität ist die Fähigkeit zum Selbstbesitz
und zur Selbstbestim m ung eingeschlossen. D er intellektuellen Natur,
die nicht in eine andere substantielle E inheit eingefügt ist, die zudem
nicht nur G eist, sondern auch W illen besitzt, ist die G anzheit und das
Für-sich-Sein, und das heißt die Personalität, nicht abzusprechen.
Die Leugnung der Personalität der Engel erfolgt vorwiegend aus Gründen,
welche im Monismus und Empirismus wurzeln. Hier wird die Person nicht als
etwas Ontologisches angesehen, sondern nur als etwas Akthaftes und D ynam i­
sches verstanden. In der Form von „Kräften“ , „Mächten“ und „Gewalten“ lassen
sich dann die Engel auch leichter in ein naturhaft-immanistisches Verständnis
einordnen, das für überindividuelle Kräfte des Guten und des Bösen Platz hat.
Zur Not lassen sich in ein solches Konzept auch die neutestamentliehen
Aussagen über „Mächte und Gewalten“ (vgl. Kol 1,16) einfügen. Aber schon der
neutestamentliche Gesamtbefund entspricht einem solchen Konzept nicht. Zwar
zeigen die Engel im Glanz ihres machtvollen Erscheinens auch impersonale
Züge. Aber es ist nicht zu verkennen, „daß ihr überpersonales Wesen personal
bestimmt ist“44: durch Gehorsam Gott gegenüber, durch Erkennen und freies
Handeln, durch Bildung von Gemeinschaft und Mitteilung durch „Sprache“ (vgl.

h en d e n E v o lu t i o n s s t u f e des M e n s c h s e i n s e n t w i c k e l t hab en , ein u n v o l l z i e h b a r e r G ed an k e ,


d er aber auch m it dem D o g m a d er K ir c h e u nv e r e in b a r ist (vgl. das „s im ul ab initio te m p o -
r i s “ DH 800).
42 K. R a h n er, Das P ro b le m d er H o m i n i s a t i o n , 5 If.
43 Ü b e r E n g el, 404.
44 H. S ch lier, Die E n g el im N e u e n T e sta m e n t, 162.
1 K or 13,1; Gal 1,8), Vor allem aber der u n au fh ö rlic h e , w esen ha fte L o b p re is vor
G ott, ihr u n au fh ö rlic h es S teh en vor dem A n g e s ic h t des Vaters im H im m e l (vgl.
M t 18,10) erw e isen sie als p e rs o n a le M ächte. Die K irche hat diese G ru n d ü b e r­
z eug un g (in ein er gewiß v ielfach u n reflek tie rte n W eise) b estä tig t in allem , was
sie über die E ng el im V erhältnis zu G ott w ie zu den M en s ch en in der a llg e m e i­
nen, un iversalen L eh rv e rk ü n d ig u n g äußerte.

A ufgrund dieses Befundes läßt sich sagen: D er Engelglaube


w ürde im Kern getroffen oder zu einem bloßen Surrogat seiner selbst
entw ertet, wenn ihm der personale Bezug fehlte. N ur auf personalem
G runde sind auch die in der Kirche beheim atete Engelverehrung und
das personal-existentielle B etroffensein des M enschen von dieser
transzendenten und doch nahen Welt zu halten45.
2) Das spekulative D enken und seine G renzen
Es hängt m it der seinsm äßigen T ranszendenz der Engelw elt zu­
samm en, daß diese geistige und zugleich geschaffene W elt vom
m enschlichen Denken nicht vollkom m en zu durchdringen ist. Es
scheint, daß das absolute geistige Sein G ottes aus dem reinen G e­
gensatz des Endlichen zu ihm durch die m enschliche Erkenntnis als
das ganz Andere leichter erschlossen werden kann als die Engelw elt,
die als geschaffene dem M enschen nahesteht und ihm doch zugleich
in ihrer geistigen Seinsw eise und V erw irklichungsform unvergleich­
bar ist. D ieser U m stand zw ingt auch zu der A nnahm e, daß die E ngel­
w elt sowohl in ihrer Existenz wie in ihrem W esen etwas m odal Ü ber­
natürliches bedeutet, das nicht direkt als natürliche Vernunftwahrheit
ausgegeben werden kann, auch wenn sie sich nach erfolgter O ffen­
barung als der Vernunft sehr naheliegend erw eist. Sie stellt sozusa­
gen eine „res m ixta“ dar, die gerade deshalb für das m enschliche
Erkennen in vielem unerhellt und dunkel bleibt.
Die spekulative Theologie der V ergangenheit hat das U nerhellte
und U nerhellbare der Engelw elt unterschätzt und so aus der Angelo-
logie eine Dom äne der Philosophie gem acht, in w elcher die Spe­
kulation die H eilsw ahrheit überdeckte. W ill m an das legitim e A nlie­
gen des theoretischen Denkens am M aßstab der H eilsw ahrheit und
des H eilsdenkens ausrichten, dann darf m an den Problem kreis auf
einige heilsbedeutsam e Fragen begrenzen. Zu ihnen gehört die in den

45 So bei W. P a n n e n b e r g , S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 128, spricht von der p e r so n a le n


V orstellu n g als von e in er „ s e k u n d ä r e n “ .
O ffenbarungsurkunden nicht eigens genannte Erhebung der Engel in
den G nadenstand, der nicht einfach schon m it ihrem G eschaffensein
identisch gesetzt werden kann. In A nalogie zum Sinn des Schöpfer­
handelns im ganzen, das auf die Beseligung der G eschöpfe zielt, ist
der G edanke unabw eisbar, daß G ott die Engel in den Stand der
Gnade erhoben und als begnadete W esen geschaffen hat46 (nach T ho­
mas in zeitlichem Zusam m enfall von Schöpfung und H eiligung47,
nach B onaventura und Scotus [w eniger w ahrscheinlich] nach einem
zeitlichen Intervall zw ischen Natur- und G nadenstand). A nders wäre
der in den O ffenbarungsurkunden bezeugte E rhobenheitszustand der
„heiligen E ngel“ (Dan 8,13), der „A userw ählten“ (1 Tim 5,21) und
„der G ottessöhne“ (Ijob 38,7) nicht zu erklären, aber auch ihre
B estellung zum him m lischen G otteslob und zum H eilsdienst an den
M enschen nicht zu begründen. Einem begründeten A nalogieschluß
entstam m t auch die Ü berzeugung, daß die Engel ihre Begnadung
nicht schon in der W eise der seligen Vollendung in statu term ini em p­
fingen, sondern in einem V orbereitungszustand der endgültigen Se­
ligkeit in statu viae, in dem sie sich die vollendete G ottschau durch
eine sittliche Prüfung und einen Akt der Entscheidung verdienen
konnten. Die Frage nach der Z eitlänge dieser Prüfung geht bereits
über das hinaus, was das anschauliche Denken aufgrund der Zeit-
überhobenheit der E ngel48 beantw orten kann.
G rößere Schw ierigkeit bereitet einem theologischen Denken, das
die Engel in die H eilsgeschichte einbezieht (trotz ihres einzigartigen
Verhältnisses zur Zeit und G eschichte), die Frage nach dem Fall und
der Verwerfung der sündigen Geister. Sie ist unter A nhalt an eine
lange Tradition vom Vierten Laterankonzil entschieden worden. Das
Konzil hat als G laubenssatz erhoben, daß „der Teufel ... und die
anderen D äm onen zwar von G ott ihrer N atur nach gut geschaffen,
aber selbst durch sich böse w urden“ (DH 800). Das in der K unst in
gew altigen Schöpfungen ausgem alte Ereignis des E ngelssturzes

46 Vgl. die S e n t e n z e n P i u s ’ V. gegen Baju s: DH 19 03 -1905; C a te c h i s m u s R o m a n u s I


c .2.9.17.
47 S.th. I q .6 2 a.3.
48 D ie S c h u l t h e o l o g i e h at das V erhältn is der E n g el zu r Zeit, das dem f ö rm l i c h e n Z e itf lu ß
ü b e r h o b e n ist, als aev ite r n ita s b e z e ic h n e t, das ist eine relativ e U n v e r ä n d e r lic h k e it, die sich
d o c h m it d er Z e i t v er b in d e n kann ; vgl. S.th. I q. 10 a.5.
gehört deshalb dem G ehalt (nicht der A rt und W eise) nach zum
G laubensgut der K irche. Trotzdem erfährt die V erbindlichkeit dieser
Lehre m anche A nzw eifelung, vor allem wegen des angeblichen
m ythologischen Charakters der zu ihrer B egründung herangezogenen
Schriftstellen in Jud 6 und 2 Petr 2,4.
D ie Andeutungen des Jud über den Sturz der Engel, „die ihren hohen Rang
mißachteten und ihren Wohnsitz verlassen haben“ und die der Herr „mit ewigen
Fesseln in die Finsternis eingeschlossen hat, um sie am großen Tag zu richten“
un d die ähnlich lautende Aussage 2 Petr 2,4 (von der Jud abhängig ist), daß
„G ott auch die Engel, die gesündigt haben, nicht verschont, sondern sie in die
finsteren Höhlen der Unterwelt verstoßen“ hat, gehen angeblich auf die mythi­
sche Episode von Gen 6,1-4 zurück, die von der jüdischen Apokalyptik phanta­
sievoll ausgestaltet wurde49. Danach wären diese Aussagen volkstümlichen spät­
jüdischen und mythologischen Ursprungs und ihr Offenbarungsgehalt entwertet.
Aber es ist nicht zu übersehen, daß die beiden genannten Zeugnisse zwar von der
Sünde der Engel wie von ihrer Bestrafung berichten, aber keinerlei Anspielung
a u f die in Gen genannten Engelehen mit irdischen Frauen enthalten. Sie sind
nicht eig en tlich an der Beschreibung der U m stä n d e dieses Ereignisses in te re s­
siert (2 Petr noch weniger als Jud), wie ja gerade der 2. Petrusbrief den Mythen
entgegentritt (vgl. 2 Petr 1,16). So ist hier auch eine Zurückhaltung gegenüber
der Verwendung außerkanonischer Quellen spürbar. Der Nachdruck dieser
Aussagen liegt auf dem gegen die Irrlehrer gerichteten Nachweis vom Handeln
des richtenden Gottes in der Welt, dem auch die Engel unterstellt sind. Zudem
eig n e t beiden genannten Schreiben die Mahnung, an der Überlieferung der
Apostel und am Glaubensbekenntnis festzuhalten (Jud 17f.20; 2 Petr 3,2).
Daraus läßt sich erschließen, daß auch das von ihnen erwähnte Gericht über die
Engel als zum Glauben gehörig angesehen wird.
M ag deshalb auch das hier über den „E ngelsturz“ B erichtete in
außerkanonischen Q uellen A nklänge aufw eisen und Entsprechungen
haben, so ist dam it noch nichts W esentliches gegen den biblischen
und glaubensgem äßen C harakter dieser E rklärungen gesagt. Sie sind
hier ihrer m ythologischen Form entkleidet, in einen m onotheistisch­
h eilsg e sc h ich tlic h e n Z usam m enhang ein g eb rach t und zu einer
Synthese m it dem G lauben verschm olzen. D iese Synthese erfährt
außer der B eteiligung durch die Tradition ihre w eitere und endgülti­
ge L egitim ierung durch die Lehrverkündigung der K irche. E in­
schlußw eise lehrte die erste Synode von B raga (i.I. 561) den Abfall
des gut geschaffenen Teufels von G ott (DH 457), form ell das Vierte
Laterankonzil (von 1215: DH 800), das Clem ens VI. i.J. 1351 im

49 Vgl. K. H. S ch e lk le , D ie P e t r u s b r i e fe - D e r J u d a s b r i e f ( H erd e rs t h e o l o g i s c h e r
K o m m e n t a r zum N e u e n T estam en t, hrsg. von A. W i k e n h a u s e r und A. V ögtle, X III/2)
F re ib u rg 1961, 207.
B rief an die A rm enier in der W eise zur Geltung brachte, daß er die
gute Erschaffung der Engel neuerlich betonte (DH 1078). Die Lehre
vom Engelfall kann deshalb nicht anders denn als sententia de fide
gew ertet werden.
In der Frage nach der Art der Engelssünde haben sich Patristik und
Scholastik manchen Spekulationen überlassen. Es ist hier allerdings
ein Grenzpunkt der m enschlichen Erklärungsm öglichkeit erreicht,
insofern es dem M enschengeist nicht möglich ist, eine Psychologie
des Falles der Engel zu entwerfen. Zwar eröffnen manche Deutungen
theologisch und heilsgeschichtlich sinnreiche Perspektiven, so wenn
man den Anlaß zu dieser Sünde in der Verweigerung der Verehrung des
G eheim nisses der M enschwerdung des Logos sieht (Suärez). Da aber
die Offenbarung darüber keine Auskunft gibt, kann die gläubige
Vernunft nur grundsätzlich urteilen und an das Wesen der Sünde erin­
nern, die ein innerer W iderspruch zum Gott der Liebe ist, in dem sich
das G eschöpf Gott versagt, sich auf sich selbst stellt, seine eigene
Ehre sucht, um „wie Gott sein“ zu wollen. Die Sünde bestand letztlich
auch bei den Engeln in dem „Non serviam “ des Stolzes, das die auf
den Dienst vor Gott angelegte angelische Natur geradezu pervertieren
mußte, so daß die Sünde auch unabänderlich war.
Die sich hier aufdrängende Frage ist nur die, wie bei der Höhe der
Intelligenz und der Stärke des Willens der reinen Geister eine solche Verirrung
möglich war. Hier ist dann doch ein kurzes Eingehen auf die Wesensfrage
un erläß lich. Es erbringt zunächst die Erkenntnis, daß die Engel trotz ihrer über­
ragenden Geisteskraft, mit der sie die Gegenstände intuitiv erfaßten, in „statu
viae“ jedenfalls G ott se lb st nicht intuitiv erkannten (weil sie ja noch nicht in der
Gottesschau waren), sondern das Geheimnis Gottes im Glauben (wenn auch mit
höherer Erleuchtung) annehmen mußten. In statu viae vermochten auch sie die
Geheimnisse Gottes nicht völlig zu durchdringen, wie sie auch auf Offenbarun­
gen bzw. Erleuchtungen bezüglich der Annahme aller übernatürlichen Wahrhei­
ten angewiesen waren. Gerade aber die letzte Undurchdringlichkeit des Glau­
bens hat ihnen, die Höhe ihrer Geisteskraft vorausgesetzt, zum Anlaß des
Widerspruchs gegen das auch ihnen noch unerschwingliche Geheimnis Gottes
werden können.
Ä hnliches ergibt sich m it Bezug auf ihren W illen, der von N atur
aus und von der Gnade erhoben, von allen sinnlichen Affekten unab-
gelenkt, m it ungehinderter Freiheit und Strebekraft auf das geschaf­
fene Gute und zuletzt auf G ott ausgerichtet ist. Aber dem selbst-
m ächtigen W illen muß auch die W ahlfreiheit eignen, die im Stand
der noch nicht erreichten Vollendung auch die W ahlm öglichkeit zwi-
sehen Gut und Böse ie sich schließt. So eignete ihnen prinzipiell die
M öglichkeit, das Streben auf das absolute Gute, das ihnen eigentlich
gem äß, aber doch nicht endgültig und vollendet gefestigt war, auch
auf sich selbst um zulenken und so zu sündigen. Die Folge der Sünde
konnte nur in der eigenen U nseligkeit und in der radikalen Verdun­
kelung des D ienstes an der Welt bestehen.
Jedoch erw eisen sich alle diese Erklärungen nur als ungenaue
A nnäherungen an das Ziel eines adäquaten V erständnisses des Seins
und Tuns eines reinen Geistes. H ier wird ein w eiteres A rgum ent für
die Ü berzeugung erkennbar, daß es sich bei der Annahm e von Engeln
nicht um eine reine V ernunftw ahrheit handelt.
L eichter lassen sich einige Erkenntnisse über das äußere Leben
der Engel gewinnen, die nach ihrer Entscheidung zur Vollendung in
der A nschauung Gottes gelangten. Als geschaffenen G eistern kom mt
es ihnen zu, ihr m achterfülltes Selbstsein auch im M itsein m it ande­
ren G eschöpfen gleichen W esens auszuw irken und sich so in B ezie­
hung zu anderen in höherer W eise zu verw irklichen. Darum ist der
Gedanke einer Vielzahl von Engeln (die aber durch keine Z ahlen­
spekulation zu bestim m en ist) und ihrer seligen G em einschaft, wie er
besonders aus den Schriftaussagen über ihren D ienst vor G ott her­
vorgeht, vernunftgem äß begründbar. In ihm ist auch die Annahm e
gegenseitigen A ustausches und geistiger K om m unikation einge­
schlossen, die beim M enschen m it H ilfe des V erständigungsm ittels
der Sprache erfolgt. In A nalogie dazu ist die Fähigkeit der Engel un­
bestreitbar, einander Gedanken m itzuteilen, was durch Einsatz eines
W illensaktes auf rein geistigem Wege geschehen kann50.
Daß eine solche G em einschaft von individuellen G eistern auch
U nterschiede und G liederungen besitzt, wird zunächst durch die in
der Schrift genannten verschiedenen Funktionen nahegelegt und w ei­
terhin durch die Erw ähnung von Engelordnungen bekräftigt (vgl.
dazu Gen 3,24; Jes 6,2; Kol 1,16; Eph 1,21; Röm 8,38), die auf
W esensunterschiede hindeuten. D er A usbau dieser D ifferenzierungen
zu neun Engelchören und drei H ierarchien ist freilich die geistige Tat
des Ps.-D ionysius, die so beeindruckend w irkte, daß sie von Thomas
w eithin übernom m en w urde51. Sie ist aber in die Lehrverkündigung
der K irche so nicht eingegangen. A ber die traditionelle T heologie hat
selbst in ihren m odernen A usform ungen (wie u.a. bei H. Schell52) auf
diese aus der m ystischen Schau kom m enden Gedanken nicht ver­
zichtet. Sie bergen ihren theologischen Sinn darin, daß sie die Fülle
und die O rdnung der durch die Engel repräsentierten göttlichen
H eilsverm ittlungen erkennen lassen. Es soll in ihnen der unerschöpf­
liche Reichtum Gottes selbst in der Art seiner durch diese hohen
G eister verm ittelten W eltzuw endung und Vorsehung zum A usdruck
gebracht werden, so daß dahinter das Interesse an der V eranschau­
lichung des Reichtum s und der Ideenfülle Gottes sichtbar war und
das erste Schöpfungsziel, das der V erherrlichung G ottes, deutlich
hervortritt.
In bezug auf die R ealisierung dieses W eltbezuges G ottes verm it­
tels der Engel (w odurch die U nm ittelbarkeit G ottes zu seiner Schöp­
fung keinesw egs geschm älert wird, insofern sie alles in der K raft
G ottes und in U nterordnung unter Christus tun) stellen sich auch
Fragen philosophischen C harakters, vor allem die Frage nach dem
Verhältnis der Engel zur Zeit und zum Raum . Die traditionelle
Theologie hat diese Fragen w iederum mit einem erstaunlichen den­
kerischen A ufw and aufgenom m en und auf dem H intergrund ihres
vorw issenschaftlichen W eltbildes entw ickelt. D iese Bem ühungen
entstam m ten der zutreffenden Erkenntnis, daß ein w irklicher W elt­
bezug der Engel nicht gehalten werden könne, wenn m an ihre B e­
ziehung zur raum -zeitlichen Verfassung des Kosmos nicht klärte.
Daß eine solche Klärung sich nicht anschaulicher Vorstellungen bedienen
kann, erweist sich schon bei der an den Anfang zu setzenden F rag e nach dem
' „O rt“ der Engel im Himmel. Er ist nicht als physikalischer Ort oder als räumli­
che Wohnung zu verstehen, sondern als die der sichtbaren geschöpflichen Welt
seinsmäßig und qualitativ gänzlich überhobene Daseinsweise Gottes, als Gottes
Reich, als sein Leben und seine Ewigkeit, an dem die Geistwesen Anteil haben.
Die von diesem „Ort“ her erfolgende Bewegung der Engel zur Welt hin kann des­
halb nicht als physikalische Raum- und Zeitbewegung verstanden und gemessen
werden.
Trotzdem ist den reinen Geistern als geschaffenen endlichen Wesen nicht die
absolute Raum- und Zeitlosigkeit Gottes zuzubilligen. Deshalb k ö n n e n sie nicht

51 S.th. I q. 108 a. 1-8.


52 K a t h o l i s c h e D o g m a t i k II, 2 0 6-2 13 .
an der A llw irk sam k e it, an d er A llg e g e n w a rt und an der a b so lu ten (u nräu m liche n)
E rfü llu n g des R au m es d urch G ott teilh abe n. D e sh a lb m u ß ihnen trotz A b leh n u n g
einer zirkumskriptiven Gegenwart im Raume (in der Weise der Ausdehnung) eine
g ew isse „Verörtlichung“ zuerkannt werden, die als „definitive“ bezeichnet wird
und die besagt, daß der Engel zwar ganz im Raum (wie die Seele im Leib) gegen­
wärtig ist, daß er aber nicht zugleich an diesem und jenem Ort sein kann. Die
Zuwendung des Engels zum Raum erfolgt durch Applizierung seiner Kraft auf
ein bestimmtes Objekt. Beim gegenseitigen Verwobensein von Raum und Zeit ist
auch die zeitliche Bewegung des Engels anders zu denken als bei ein e m Körper:
Der Engel bewegt sich „überzeitlich“ insofern, als er dem kontinuierlichen Fluß
der Zeit nicht unterworfen ist und als er das für unsere Erfahrung zeitlich
Gedehnte und Zerstreute als ein diskontinuierliches Geschehen von Akten und
Inhalten umgreift, die sich in ihm wie „stehende“ Augenblicke ereignen.
So ist in etwa auch das Problem der Engelerscheinungen aufzu­
hellen. Auch wenn die M öglichkeit von E rscheinungen rein geistiger
Art in intellektueller Erkenntnis (etwa im Traum) m it nachfolgender
sinnenhafter A usgestaltung durch den M enschen eingeräum t werden
muß, so ist die A nnahm e doch theologisch nicht w idersprüchlich,
daß G ott m it der Sendung des Engels und m it seiner G egenw art auch
ein m aterielles M edium verbindet53.
3) Die Engelverehrung
Dem gläubigen Blick stellen sich die Engel als eine einzigartig
erhabene, gottnahe Welt dar, in der sich der strahlende Abglanz
Gottes m it seiner vollendeten E rfüllung des Schöpfungssinnes ver­
bindet. Insofern die Engel in höchster W eise die H errlichkeit Gottes
offenbaren, erübrigt sich ihnen gegenüber die Frage nach der N ot­
w endigkeit oder N ützlichkeit ihrer Existenz. Ebenso ist der Einwand,
daß die Existenz der Engel nicht begründet w erden könne, weil Gott
alles, was von den Engeln getan wird, auch allein vollbringen könne,
theologisch unangebracht; denn es bew eist gerade die Liebe und
Nähe G ottes zu seiner Schöpfung, daß er verm ittels geschaffener
Wesen die Schöpfung w eiterführt. Je höher der Adel und die M acht
dieser G eschöpfe sind, umso w eisheitsvoller und zielführender muß
die G ew alt des Schöpfers erscheinen. So sind die Engel als die
H öchsterschaffenen der Welt zugleich die glänzendste O ffenbarung
der M ajestät Gottes wie der geheim nishaften O rdnung und Schönheit

53 Vgl. T h o m a s v. A q u in , S.th. I q . 5 1 a.2. D iese M ö g l i c h k e it v ern ein t H. Vorgrimler,


W i e d e r k e h r d e r E n g e l ? , 107, m it d e r B e g r ü n d u n g , d a ß w ir v on e i n e m „ n e u e n
S c h ö p f u n g s a k t G o t t e s “ n ichts w issen . A b e r w ir k ö n n e n ein g ö ttlich es E in w ir k e n , das n ich t
ein n e u e r S c h ö p f u n g s a k t sein m u ß , ersch ließ en .
des Kosmos. D er M ensch aber findet in ihnen die G aranten der jetzt
schon in einem Teil vollendeten Schöpfung und die hoheitlich-brü­
derlichen G ehilfen auf dem Weg zur Vollendung des ganzen Kosmos.
In diesem Blick auf die Engel leuchten zunächst Erstaunen und
Bew underung vor dieser höchst geadelten Schöpfungsordnung auf,
die sofort und ungebrochen auf die Größe des Schöpfers geht. Aber
die H altung der W ertschätzung und Bew underung entläßt aus sich
sogleich auch die höhere N eigung zur H ochschätzung und zur Ver­
ehrung der angelischen Welt, wie sie der M ensch von N atur aus
Personen entgegenbringt, die er als herausragende, verehrungsw ürdi-
ge G estalten in seinem Leben findet.
N ur liegen bei den E ngeln das M otiv und der Grund der
Verehrung nicht in ihrer naturhaften Größe und Leistung, sondern in
ihrer außerordentlichen, übernatürlichen Begabung, in ihrer B egna­
dung und Vollendung in der Anschauung Gottes, deren Frucht sie in
der H eilsgeschichte den M enschen zuwenden. So liegt der B ew eg­
grund der Engelverehrung zuletzt (wie bei den H eiligen) in ihrem
heiligen Sein und W irken, das den M enschen zur Anrufung, zum Lob
und Dank bewegt, welche Akte aber nie unabhängig sind von der
noch tieferen Verneigung vor G ott und der V erherrlichung seiner
Größe.
So bietet dann schon die Schrift (vornehmlich in nachexilischen Partien)
Ansätze für eine Engelverehrung (vgl. Gen 19,1; Jos 5,13-15; Tob 12,16), die
zwar im Neuen Testament vor der überragenden Größe Christi zurücktritt (vgl.
Kol 1,16; Offb 19,10; Hebr 1,4.13f.), aber in der christlichen Frühzeit neu auf­
bricht (Justin, Origenes) und danach (seit dem vierten Jahrhundert) sogar zu
Übertreibungen Anlaß gibt, welche die Kirche korrigierte54.
Eine lehram tliche Legitim ation em pfing die Engelverehrung im
Sinne ihrer E rlaubtheit, ihrer N ützlichkeit und A ngem essenheit
durch das Siebente A llgem eine Konzil von N ikaia (i.J. 787), das im
Zusam m enhang m it der Verehrung der H eiligenbilder auch die
D arstellung der Bilder der „ehrw ürdigen E ngel“ erlaubte (DH 600).
Ihre B etrachtung dient „zur Erinnerung an die U rbilder und zur
Sehnsucht nach ihnen und dazu, daß sie diesen einen Gruß und ach­
tungsvolle Verehrung zuw enden“ (DH 601). Dabei wird die Ver-
ehrtmg streng von der A nbetung unterschieden, die allein G ott ge­
bührt. In ihr überantw ortet sich der M ensch der übergeschöpflichen
Hoheit G ottes in gänzlicher U nterw erfung, in totaler Hingabe und in
restloser A bhängigkeit von dem Vater und H errn des Lebens und des
Heils. D er Kult der A nbetung kann keinem G eschöpf, auch nicht dem
angelischen, geleistet werden. A ber die hochgem ute Anerkennung
und A nrufung der höchsten D iener G ottes kann dem M enschen nicht
verw ehrt sein, der zu den Engeln wie zu den G efährten und B eglei­
tern des H eilsw eges aufschaut.
Da die R eform atoren in der ausschließlichen G eltendm achung
des „solus D eus“ und im H inblick auf die spätm ittelalterlichen Ü ber­
treibungen (die wegen der engen Verbindung m it dem Volksglauben
m öglich sind) die genannten U nterscheidungen nicht anerkannten,
kam es im evangelischen B ereich w eitgehend zu einem Erliegen des
E ngelkultes. Die rechte Verehrung, die nur die A ntw ort auf die erha­
bene, m anchm al erschreckende Größe dieser gottnahen G eschöpfe
darstellt, ist zugleich die A bw ehr aller verniedlichenden und ver­
harm losenden Tendenzen, denen sich der E ngelglaube in den letzten
Jahrhunderten in Poesie und Kunst ausgesetzt sah.

§ 18 :

R ealität und G renzen der bösen M ächte

Literatur: H. Thielicke, Fragen des Christentums an die moderen Welt,


T übingen 1947; K. Barth, Die kirchliche D ogm atik III/3, Zürich 1950;
E. Brunner, Die christliche Lehre von Schöpfung und Erlösung. Dogmatik II,
Z ürich 1950; C. G. Jung, A ntw ort auf Hiob, Z ürich 1952; P. Tillich,
Systematische Theologie I, Stuttgart 31956; H. Schlier, Mächte und Gewalten im
Neuen Testament (QD 3), Freiburg 1958; P. Althaus, Die christliche Wahrheit.
Lehrbuch der Dogmatik, Gütersloh 51959; D. Fr. Schleiermacher, Der christliche
Glaube I (neu hrsg. von M. Redeker), Berlin 1960; A. Winklhofer, Traktat über
den Teufel, Frankfurt a.M. 1961; Handbuch theologischer Grundbegriffe II
(hrsg. von H. Fries), München 1963; Ch. Journet, Vom Geheimnis des Übels.
Theologisches Essay, Essen 1963; R. Bultmann, Die Entmythologisierung der
n eu testam en tlichen V erkündigung als A ufgabe: K erygma und M ythos I,
Hamburg 51967; H. G. Fritzsche, Lehrbuch der Dogmatik II: Lehre von Gott und
der Schöpfung, Göttingen 1967; G. Tavard (unter Mitarbeit von A. Caquot und
J. Michl): HDG II/2b, Freiburg 1968; P. L. Berger, Auf den Spuren der Engel.
Die m oderne G esellschaft und die W iederentdeckung der Transzendenz,
Frankfurt a.M. 1970; H. Haag, Abschied vom Teufel, Einsiedeln 41973; Der s.,
Teufelsglaube (mit Beiträgen von K. Eiliger, B. Lang, M. Limbeck), Tübingen
1974; J. Ratzinger, Abschied v. Teufel? Dogma und Verkündigung, München
1973, 225-234; H.-M. Barth - H. Flügel - R. Riess, Der emanzipierte Teufel.
Literarisches, Psychologisches, Theologisches zur Deutung des Bösen, München
1974; L. Scheffczyk, Christlicher Glaube und Dämonenlehre. Zur Bedeutung des
Dokumentes der „Kongregation für die Glaubenslehre“ vom Juni 1970, in:
MThZ 26 (1975) 387-396; H. U. v. Balthasar, Theodramatik II/2: Die Personen
in Christus, Einsiedeln 1978; W. Kasper - K. Lehmann, Teufel, Dämonen und
Besessenheit (mit Beiträgen von K. Kertelge und J. Mischko), Mainz 1978;
G. Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens I, Tübingen 1979; K. Flasch,
Augustinus, Einführung in sein Denken, Stuttgart 1980; A. Ziegenaus, Wirk­
lichkeit und Wirkweise des Bösen, in: MThZ 32 (1981) 271 -291; E. Schlink,
Ökumenische Dogmatik. Grundzüge, Göttingen 1983; NBL (hrsg. von M. Görg
und B. Lang), 3.Lfrg., Zürich 1990; Neues H andbuch th eologisch er
G rundbegriffe I (hrsg. von P. Eicher), München 1991; W. Pannenberg,
Systematische Theologie II, Göttingen 1991; TRE X, 750-761 (Exorzismus;
O. Böcher, W. Nagel, W. Neidhart); Fr. Courth, Gott - Mensch - Welt. Was sagt
christlicher Schöpfungsglaube? Leitfaden zur Schöpfungslehre, St. Ottilien
1996.
Die heilsgeschichtliche B etrachtung der Engelw elt, die den A b­
fall eines Teils der Engel als geheim nishaft-transzendentes Ereignis
anerkennt, m uß auch die Existenz und das W irken Satans und der
bösen Engel oder D äm onen (einen U nterschied der beiden M ächte
deutet bereits die Schrift an) ernst nehmen. Aber das kann nicht in
der W eise einer bloßen N ebenordnung und Parallelisierung beider
„W elten“ geschehen, so daß den H eilskräften völlig gleichgeordnete
U nheilsm ächte in einem dualistisch gehaltenen System gegenüber­
stünden. Dem w idersprechen der B uchstabe und der G eist des Neuen
Testam entes, in dem die bösen Engel imm er nur gleichsam als der
dunkle H intergrund des von C hristus geführten H eilsprozesses auf-
treten, aus dem sie zw ar im m er noch gefahrbringend hervorbrechen,
aber doch nicht als gleichm ächtige W idersacher des Erlösers und sei­
nes angelischen Anhangs auftreten. Trotzdem sind sie als w iderstre­
bende K räfte im E rlösungsw erk so präsent, daß sie daraus nicht ohne
B eschädigung des G anzen herausgebrochen werden können. Insofern
hat das drastische Wort eines m ittelalterlichen Theologen auch heute
noch seine richtungw eisende Bedeutung: „Nullus diabolus, nullus
redem ptor“ 1.

1 Z itier t bei H. G. F ritz s c h e , L e h rb u c h der D o g m a t i k II, 351.


I. I n fr a g e s te llu n g e n u n d E n tg e g n u n g e n
1) Einsprüche gegen den Teufelsglauben
D iesem G lauben steht heute eine breite Front von w eltanschauli­
chen und theologischen Einw änden entgegen, die auch eine nur be­
grenzte „Platzanw eisung“ der W idersacher-Engel in der H eilsge­
schichte ablehnen. Es ist verständlich, daß sich die gegen den E ngel­
glauben gerichteten Vorbehalte und A blehnungen im H inblick auf
den Teufelsglauben noch verstärken. H ier kom m en neben den k riti­
schen M otiven aus dem aufgeklärten Denken und aus den V orausset­
zungen des m odernen W eltbildes die Einsprüche hinzu, die auf einen
verkappten D ualism us und auf Tendenzen zur D äm onisierung des
W eltgefühls und D aseinsverständnisses hinw eisen, das so angeblich
m it m anichäischen Elem enten durchsetzt werde.
So weist die philosophische Kritik auf die ausgeprägte Stellung der
Dämonen in der spätantiken Philosophie hin. Diese hätte Platons Vorstellung
vom Eros als einem Dämon vergröbert und daraufhin die Dämonen in dem
Luftraum zwischen Mond und Erde lokalisiert, was dann Augustinus bereitwillig
übernommen und als „Gemisch von Volksreligion und philosophischer Spekula­
tion mit seinem Namen autorisiert“ hätte2. Eine weitere Diskreditierung des
Glaubens an böse Mächte oder an das personale Böse erfolgte durch die schon
im Alten Testament zu beobachtende B eim isch ung von E lem enten des
Aberglaubens an Hexen, an Wahrsagerei und Zauberwesen (vgl. Ex 22,17;
Lev 20,6.27; Dtn 18,10ff.).
Einen Einw and bildet auch hier (wie beim Engelglauben) die
N ichtoriginalität des jüdisch-christlichen D äm onenglaubens und sein
Vorkommen in den M ythen der V ölker und in den Vorstellungen der
vorderorientalischen Religionen. Eine beherrschende Rolle kom mt
dem Bösen vor allem in der R eligion des persisch-iranischen M azda­
ism us zu (ausgeform t im 5. vorchristlichen Jahrhundert im Iran).
Aber eine direkte, w esentliche A bhängigkeit der alttestam entlichen
V orstellungen ist historisch nicht zu erbringen. Soweit Ü bereinstim ­
m ungen Vorkom men (besonders etw a in den sp ätjü d isch en
A pokryphen und in Qum ran), so sind doch die verschiedenen
G rundeinstellungen zu beachten, wie sie zw ischen einem ethisch
bestim m ten M onotheism us und einem radikalen D ualism us bestehen.
A llein schon die biblisch-christliche Vorstellung von der A bkünftig-

2 K. F lasc h , A u g u s ti n u s , 116.
keit der bösen Engel von den guten und von der Z urückführung b ei­
der auf die Schöpfung Gottes steht dem D ualism us unversöhnlich
gegenüber. So ist auch hier auf dem Grunde des D äm onenglaubens
eine allgem ein-religiöse M enschheitsvorstellung anzunehm en, die
im jüdisch-christlichen O ffenbarungsbereich einen w esenseigenen
Charakter angenom m en hat und nicht einfach auf historische Vorbil­
der zurückzuführen ist.
Am bedenkensw ertesten erscheinen jedoch die von der Theologie
selbst und zum al von der Exegese erhobenen Einw ände gegen die
O ffenbarungsgem äßheit eines Teufelsglaubens. D iese entschiedene
A bw endung vom Teufelsglauben präludierte wieder D. Fr. Schlei­
erm acher (+ 1834), für den „die Vorstellung vom Teufel, wie sie sich
unter uns ausgebildet hat, so haltlos“ war, „daß m an eine Ü berzeu­
gung von ihrer W ahrheit niem andem zum uten kann“3.
2) Einsprüche und A nnäherungen evangelischer Theologie
Der N euprotestantism us lenkte unter A nschluß an die R efor­
m atoren zu einer positiveren Auffassung zurück, die bei P. A lthaus in
der B ehauptung zum A usdruck kam , wonach „das Z eitalter einer
Theologie ohne Satan innerlich zu Ende gegangen ist“4. Eine H in­
wendung zur traditionellen A uffassung zeichnet sich auch bei H.
Thielicke ab, verbunden m it einer scharfen A bgrenzung gegen den
D ualism us. Tragend erw eist sich bei ihm die Ü berzeugung (unter
Bezugnahm e auf den „däm onischen H intergrund“ der w iderständi­
gen K räfte im Leben des Erlösers), daß hinter dem Bösen die „per­
sonhafte M acht des D iabolus“ stehe5.
Eine entschiedene Apologie für die Existenz der Dämonen verfaßte auch
K. Barth, ohne ihnen aber theologisch „allzu prinzipiell und systematisch in die
Augen zu blicken“6. Positiv ist dabei sein Anliegen zu werten, Engel und D ämo­
nen nicht als gleichgeordnete und gleichberechtigte Größen im Heilsgeschehen
zu behandeln, die nur durch eine qualitative Differenz voneinander geschieden
seien. Es bestehe zwischen diesen beiden Bereichen ein exklusiver und absolu­
ter Gegensatz, so daß es sich auch verbiete, für beide einen gemeinsamen
Oberbegriff wie „Engel“ zu gebrauchen.

3 D er c h r istlic h e G la u b e I, 211.
4 Die c h r istlic h e W ah rh eit, 391.
5 H. T h ie lick e , Ü b er die W ir k lic h k e it des D ä m o n is c h e n : F ra g en des C h r iste n tu m s an die
m o d e r n e Welt, 179.
6 Die k i r c h l ic h e D o g m a t i k III/3, 609.
So k o m m t dann der A u to r zu ein er in sich n ic h t k o h ä re n te n A u ffa ssu n g von
dem „ N ic h tig e n “ , das er in der A n sp ielu n g von G en 1,2 au f das C hao s gegeben
sieht. Die D äm o n en sind d esh alb keine u rs p rü n g lic h e S c hö pfun g G o ttes, sondern
ge rad e das, was G ott nic h t erschaffe n hat, was er n ich t w ollte und niem als w o l­
len w ird, das N ich t-S e in , das d en n o c h ex istiert und m ä chtig ist. So steht der
Teufel für das, was G ott in der S ch ö p fu n g ab w eisen und ü b ergeh en w ollte, was
g le ic h sa m der Sc h a tten der guten S c h ö p fu n g ist, aber als so lcher d ann doch auf
G o tt zu rü c k g e h e n m uß. So ist m it R e c h t in d iesem T h e o lo g o u m e n o n ein E influß
des D e u tsc h e n Id ealism u s (S che llin g) und J. B ö h m e s e n td ec k t w orden, der
zu letzt d azu führt, daß das Böse im Teufel als eine E ig e n sc h a ft G o ttes a n g e s e ­
hen w erden m u ß 7. H ier scheint die m o d e rn e „ id e a lis tisc h e “ E rk lä ru n g der
W irk lic h k eit des Teufels gerad ezu in den M y th o s und in den D u alism u s z u rü c k ­
z u m ü nd en .

Realistischer ist dagegen die Erklärung E. Brunners gehalten, der


gegen den Rationalismus und gegen den Optimismus der Aufklärung
aufgrund des (nicht „biblizistisch“ verengten) biblischen Zeugnisses
und der christlichen Erfahrung eine „übermenschliche Realität“ des
Bösen und Satanischen annimmt, die personale Züge nicht aus­
schließt. Es ist vor allem die „Amplitude der Sünde“, der Sünde aus
Trotz und Gottesempörung, welcher nur ein reiner Geist fähig ist,
welche den A utor zur Annahme einer „teuflischen M acht“ bestimmt,
die aber auf keinen Fall als „Gegengott“ gedacht werden darf, weil
sie von Christus gerichtet und grundsätzlich entmachtet ist8.
In der Anerkennung von „Verderbensmächten“, die vor allem das
Neue Testament bezeugt, wehrt sich auch E. Schlink gegen die „neu­
zeitliche Entdämonisierung“, die in Konsequenz auch die Dramatik
der Erlösung verkennen muß. Darum kann der Autor es auch als
„Wohltat“ für den angefochtenen Menschen bezeichnen, daß „viele
Kirchen“ die altkirchliche „abrenuntiatio diaboli“ beibehalten haben,
mit deren Hilfe sich der Mensch „gegen die personale Macht des
Bösen stellen und sich von ihm lossagen kann“9. Nicht ganz ver­
ständlich ist dann jedoch die Forderung, den Teufel nicht zum
„Gegenstand des Glaubens“ zu machen. Damit kann wohl nur die
selbstverständliche Erinnerung daran gemeint sein, daß die An­
erkennung des Teufels, die vom Autor als notwendig erachtet wird,

7 H. U. v. B a lt h asar, T h e o d r a m a t i k II/2, 445.


8 E. B ru nn er, Die c h r is tlic h e L e h re von S c h ö p f u n g und E rlös un g. D o g m a t i k II, 162;
168; 170.
9 Ö k u m e n i s c h e D o g m a t i k , 18 3f .
nicht in derselben Weise zum Glauben gehört, wie die Begegnung
mit Gott oder wie die Hingabe an sein Licht, sein Leben und seine
Wahrheit, die heilschaffend sind. Für sich allein schafft die An­
erkennung des Teufels, die auch nach Schlink nicht auf natürlichem
Erkenntnisweg zu erreichen ist, kein Heil. Aber als Kontrastmittel
zur Anerkennung des göttlichen Lichtes in seiner Kraft und Schön­
heit, dessen Erfassung durch die menschliche Schwäche und die
Macht des Dämonischen immer gefährdet ist, ist auch der Teufels­
gedanke zu den Wahrheiten des Glaubens zu rechnen, wenn er auch
im Vergleich mit seinem Wesen und Kern nur eine Randexistenz
besitzt, die dennoch vom Ganzen nicht abgetrennt werden kann.
In ein wenig eingeschränkter Weise bringt auch W. Pannenberg in seiner auf
den Wahrheitserweis des Christlichen vor dem modernen Denken ausgerichteten
„Systematischen Theologie“ die Realität des Dämonischen zur Geltung, aller­
dings im Verfolg seines „Feldbegriffes“ , in dem die personale Auffassung dieser
„M ächte“ nicht leicht einzubringen is t10. Hier nähert er sich der Auffassung
G. Ebelings von den „Mächten“ an, die uns verborgen, aber nichtsdestoweniger
an uns „wirksam“ " sind und die als „transsubjektive Mächte“ den Menschen ver­
sklaven12. Ihnen gegenüber gewinnt sogar die personale Fassung einen gewissen
Sinn (wenn auch keine eigentliche Rechtfertigung), insofern dadurch der
H errschaftscharakter der dämonischen Mächte, „die miteinander ein Reich bil­
den“ , noch unterstrichen w ird13.
Am eindeutigsten hatte diesen neutrischen Machtcharakter der
Dämonen unter Berufung auf die Erfahrungen der Tiefenpsychologie
und auf die Archetypen des kollektiven Unbewußten P.Tillich hervor­
gehoben. Es handelt sich nach ihm bei den Engeln und Dämonen um
„konkret-poetische Symbole der Ideen oder Seinsmächte“ , die gegen
Christus aufbegehren14. Sie haben selbst kein Sein, aber sie partizi­
pieren am Sein und können deshalb auch als „Seinsmächte“ bezeich­
net werden, die sich im menschlichen Bewußtsein manifestieren. Sie
besitzen genauerhin den Charakter von „Strukturen in Person und
Gemeinschaft“, „die nicht durch Akte der Freiheit oder des guten
Willens überwunden werden“ 15. Letztlich steht das Dämonische für

10 S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 127f.
11 D o g m a t i k des c h r i s t l i c h e n G l a u b e n s I, 333.
12 E b d a., III, 487.
13 B e m e r k e n s w e r t bleibt, d aß e v a n g e l i s c h e m D e n k e n die E r h e b u n g des D ä m o n i s c h e n zu
e in e m „ R e i c h “ n a h e lie g t, w ä h r e n d k a t h o l i s c h e s D en k en eine so lc h e P a r a l l e l is i e r u n g zu m
„R e ic h e G o t t e s “ m it R e c h t n ich t v e r s t e h e n kann.
14 P. T illich , S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie I, 300.
eine „Spaltung im Sein selbst“ und ist „für diese Spaltung charakte­
ristisch“16. Zwar ist das Dämonische hier nicht personal gedacht, aber
gerade deshalb in seiner Wirkmacht als negatives Seinsprinzip zu
einem Extrem gesteigert.
Die Einlassungen der modernen evangelischen Theologie auf das
Problem des Dämonischen widerlegen die Behauptung, daß der
„Teufel in der neuesten theologischen Literatur nicht mehr vor­
kommt“ 17, auch wenn seine Macht in den letztgenannten Fällen ent-
personalisiert wird. Damit hat sich auch das Verdikt R. Bultmanns
über diesen auszurottenden „baren Aberglauben“ 18 nicht bestätigt.
3) Schwierigkeiten innerhalb der katholischen Theologie
Das gilt im ganzen auch für die katholische Theologie, obwohl
sich in ihr in den letzten zwei Jahrzehnten eine Entwicklung zur
Konzentrierung der traditionellen Lehrauffassungen über den Teufel
und die Dämonen abzeichnet19 und vor allem eine Problematisierung
der personalen Auffassung vom Teufel. Freilich gibt es hier auch eine
Entwicklungslinie, die von einer differenzierten historisch-kritischen
Beurteilung des Teufelsglaubens in Richtung auf seine Preisgabe
weist. Während so z.B. in der ersten Auflage des „Handbuchs theo­
logischer Grundbegriffe“ (1963) trotz kritischer Registrierung des
Einflusses volkstüm licher A nschauungen des Judentum s und
Heidentums auf die Dämonenvorstellung des Christentums an der
(biblisch begründeten) Existenz böser Geister im Sinne der Kirche
festgehalten wird20, ist diese Einstellung im „Neuen Handbuch theo­
logischer Begriffe“ nicht mehr erkennbar21. Es wird zwar nicht ver­
schwiegen, „daß Jesus als Exorzist, d.h. Dämonenaustreiber aufge­

16 E b da., I, 327. S o lc h e F o r m u l i e r u n g e n lassen e r k e n n e n , d aß das D ä m o n i s c h e bei


T illich zw a r k ein e p e r s o n a l e W i r k l ic h k e i t e n m e in t, ab e r d e s h a l b d o ch M a ch t entfaltet.
17 So K. E ilig er, E v a n g e l i s c h e D o g m a tik : H. H aag , T e u fe ls g la u b e , 70.
18 R. B u l t m a n n , D ie E n tm y t h o l o g i s i e r u n g d er n e u t e s t a m e n t l ic h e n V erk ü n d ig u n g als
A u f g a b e , 136.
19 D ies e E n tw ic k lu n g ist a u f w e i s b a r an d e r A b f o l g e d e r d o g m a t i s c h e n W erk e M y s t e r i u m
S alu tis II, 1967, 9 9 6 - 1 0 1 7 (D. Z ä h rin g e r ) ; M. S c h m a u s , D e r G la u b e der K irch e I, 1969,
4 2 2 - 4 3 1 ; J. A u er, K K D III, 1975, 5 0 1 - 5 2 2 ; Th. S c h n e i d e r (H rs g .), H a n d b u c h der
D o g m a t i k I, 1992, 1 6 3 - 1 6 6 (D. S a t t l e r - T h . S c h n e i d e r ) ; W. B e i n e r t ( H r s g .) ,
G l a u b e n s z u g ä n g e I, 1995, 4 1 8-42 1 (A. G an o cz y ).
20 Vgl. H a n d b u c h th e o l o g i s c h e r G r u n d b e g ri f f e II: S atan , 4 6 5 - 4 7 8 (F. I. S ch ierse - J.
M ichl) .
21 I, 3 3 9 -3 4 7 (B. L ang).
treten ist“, jedoch wird die D äm onologie der Spätschriften des Neu­
en Testamentes auf frühjüdische Teufelsmythologie und auf ein dua­
listisches Weltbild zurückgeführt22. Mit der Schlußerörterung über
„das Ende des dämonologischen Weltbildes“ wird der Eindruck her­
vorgerufen, daß der Teufelsglaube als solcher der Vergangenheit an­
gehöre.
Prononciert trägt diese Behauptung H. Haag vor, der dabei von der unzu­
treffenden Voraussetzung ausgeht, daß der Teufelsglaube ins Christentum
ausschließlich zur Erklärung der Sünde in der Welt, „als entscheidende Ursache
des Bösen“ , eingeführt worden sei23. Das trifft dogmatisch nicht zu, insofern die
Möglichkeit der Sünde nicht in der Existenz des Teufels begründet ist, sondern
(wie schon beim Engelssturz zu ersehen) im freien Willen des geistigen
Geschöpfes. Auch steht diese These im Zusammenhang mit dem Versuch einer
gänzlichen Wesens Veränderung von Christentum und Kirche, wobei der Exeget
deutlich sein Metier überschreitet24.
Ansonsten konzentriert sich innerhalb der katholischen Theo­
logie das Interesse auf die Frage nach der Personalität von Teufel
und Dämonen, von Satan (Teufel, Beelzebul) und den unreinen Gei­
stern. Neben der vulgären Entmythologisierungsideologie, die ihre
aprioristische Aversion gegen diese Wirklichkeit nur schwer mit bib­
lischen Argumenten zu verzieren weiß, gewinnt eine neutrale Posi­
tion immer mehr an Bedeutung, welche die Frage nach Personalität
oder Nichtpersonalität des Teufels offenhält25, ohne dabei zu beden­
ken, daß die Option für die Nichtpersonalität faktisch eine Neigung
zur Nichtexistenz zeigt, deren Gefälle nicht aufzuhalten ist. Manche
in diesem Zusammenhang vorgeschlagenen Lösungen möchten inso­
weit vermitteln, als sie den Teufel als „Unperson“ erklären (mit
zugebilligter personaler Tönung.
Viele dieser Versuche ziehen die Argumente der biblisch-christli­
chen Tradition nicht mehr heran. Einer heilsgeschichtlichen Theo­
logie bleibt hier die Frage gestellt, ob man der ursprünglichen Er­
kenntnis und Wahrheit so gänzlich entraten kann. Es scheint, daß

22 E b d a., 343; 344.


23 H. H aag , T e u fe ls g la u b e , 11; 23.
24 Vgl. dazu H. H aag, D en C h r i s t e n die F re ih eit, F re ib urg 1995, wo w e s e n tlic h e L e h re n
des C h r i s t e n t u m s eine U m d e u t u n g e rfa h ren .
25 D azu H. U. v. B a lthasar, T h e o d r a m a t i k III/2, 43 2, J. R a tz in g e r, A b s c h i e d v. Teufel?
2 25 -2 3 4 .
f
I

sich innerhalb der katholischen Theologie bezüglich der B eurteilung


der G laubenszeugnisse und ihrer G ew ißheit in kürzester Frist eie
grundlegender W andel vollzogen hat, der nicht durch den Befund der
Q uellen gedeckt ist, sondern dem Zugeständnis an den Z eitgeist ent­
sprungen zu sein scheint.

II. Die m aß g eb lich en Zeugnisse


1) Spurenhafte A nfänge im A lten Testam ent
Bei der B efragung des A lten Testam entes ist w iederum von der
Tatsache auszugehen, daß die Vorstellung vom Teufel und von bösen
G eistern auch außerhalb des Bereiches der biblischen O ffenbarung
vorhanden war, bisw eilen sogar in äußerster Stärke und dualistischer
Verzerrung. Umso überraschender wirkt ihr erstes A uftreten im Alten
Testam ent, das von solchen exzentrischen A uffassungen frei ist,
obgleich m an m it einem volkstüm lich verbreiteten Däm onenglauben
rechnen m uß26. So steht im Buch Ijob (1 ,6ff.) „Satan“ noch unter den
„Söhnen G o ttes“ als A nkläger der M enschen (gleichsam als
„Staatsanw alt“) vor G ott und keinesw egs im G egensatz zu ihm (ähn­
lich Sach 3,1 ff.)- Auch ist im Buche Ijob „Satan“ noch ein G attungs­
name m it einer bestim m ten R ollenzuw eisung. Von hier aus ließe
sich, in Parallele zum Versuch der A bleitung der Engel aus dem „En­
gel Jahw es“ , eine bildhafte A usgliederung der Teufelsvorstellung aus
der gerechten M acht und Größe Jahw es vornehm en, wie es ja noch
bei Jesaja heißt, daß Jahwe „das Licht erschaffe und das Dunkel
m ache“ (Jes 45,7), so daß der Teufel als Personifikation der M acht
Jahwes gedacht werden könnte, wie ja das alte Israel allgem ein g e ­
neigt war, auch seine w idergöttlichen Erfahrungen auf Jahwe zu
beziehen. Die A nnahm e einer W eiterentw icklung legt sich auch beim
Vergleich zw ischen 2 Sam 24,1 (verfaßt vor 587 v, Chr.) und
1 Chr 21,1 (verfaßt um 400 v. Chr.) nahe, wo beidem al das gleiche
Ereignis der Volkszählung unter David in der älteren Q uelle auf
Jahwe und seinen Zorn, in der jüngeren auf „Satan“ zurückgeführt
wird. H ier ist „Satan“ schon zu einem Eigennam en und zu einer in
etw a selbständigen G estalt geworden. Die offenbar fortschreitende
Verselbständigung und Individualisierung in der (von Satan abzu­
grenzenden) Vorstellung von den Dämonen scheint im Buche Tobit
an der Erscheinung des bösen Dämons Aschmodai (Tob 3,8) auf. Im
ersten Jahrhundert v. Chr. erscheint der diabolos im Weisheitsbuch
als Feind der Menschheit und als „Neider“ des M enschengeschlech­
tes, durch dessen verführerischen Einfluß die Sünde und der Tod in
die Welt gekommen sind (Weish 2,24).
Diese Entwicklung zeigt jedenfalls eine deutliche Distanz zu den
exzessiven Dämonenvorstellungen der heidnischen Umwelt, die erst
im Spätjudentum in den Apokryphen und in der sogenannten interte-
stamentaren Literatur aufgegeben wird. Hier kommt es dann auch zur
Identifizierung des Satans mit dem Obersten der Dämonen und dem
Widersacher schlechthin27, wobei in der rabbinischen Literatur der
Teufel auch als gefallener Engel angesehen wird. Eine weiter ausge­
führte Auffassung von den Dämonen zeigt sich dann in den Qumran-
Schriften, wo auf bereits dualistischem Hintergrund „Belial“ , der
„Engel der Finsternis“ , gegen die Kinder des Lichtes einen bis zum
Endgericht währenden Kampf führt.
So ist das Urteil berechtigt, daß der Satan in den kanonischen
Schriften des Alten Testaments keine herausragende Erscheinung ist.
Ihn aber deshalb als eine „Attrappe“28 oder eine „Spielfigur ohne
eigenes Gewicht“29 zu bezeichnen, ist auch nicht angängig. Ebenso
widerspricht es der Aussage im Buch der Weisheit (Weish 12,24f.),
ihn mit dem „Irrtum“ oder dem „Abirren“ des Sünders zu identifi­
zieren30. Die Erklärung, daß hier, zumal nach dem babylonischen
Exil, eine Entwicklung statthatte, die nicht unbeeinflußt vom sich
verstärkenden Monotheismus und von einer strengeren Fassung der
Transzendenz Jahwes war, ist nicht von der Hand zu weisen. Sie ist
aber nicht als illegitim anzusehen, so daß dann alle Aussagen über
den Teufel nur mythologisches Anschauungsmaterial oder Fiktionen
heidnischer Phantasie wären. Das Zurücktreten der Teufelsvorstel­
lung in den kanonischen Schriften des Alten Testamentes (und ihr

27 E b da., 377.
28 H. H aag , A b s c h i e d vo m T eufe l, 37.
29 D ers., T e u fe ls g la u b e , 205.
30 E bd a., 260.
Hervortreten im Neuen Testament) ist aus der geänderten heilsge­
schichtlichen Situation zu erklären, so daß erst angesichts des Kom­
mens des Erlösers die Gegenkräfte voll in Erscheinung traten.
2) Die Dämonen im Heilswirken Jesu
Beim Übergang zum Neuen Testament bietet sich dem Betrachter
eine andere Stimmungs- und Bewußtseinslage dar: Es ist hier nicht
nur häufiger vom Satan oder Teufel und von den Dämonen und Gei­
stern die Rede, sondern sie gewinnen auch eine Bedeutung in der
Geschichte des Heils, dies sowohl im zentralen Christusgeschehen
wie in der Kirche.
Der Zuwachs an Zahl und Gewicht dämonologischer Aussagen
im Neuen Testament, die so in den kanonischen Schriften des Alten
Testaments nicht Vorkommen, nährt den Verdacht der Übernahme
dieses Gedankengutes aus der spätjüdischen Apokalyptik und dem
damaligen Volksglauben. Daß aufgrund des Lebenszusammenhanges
gewisse Einflüsse anzunehmen sind, ist nicht so entscheidend wie
die Feststellung, daß im Neuen Testament zum Phänomen des Teu­
fels und der Dämonen eine andere Grundhaltung und Grundüberzeu­
gung zur Geltung kommt. Es gibt im Neuen Testament kein spekula­
tives Interesse an der Welt der Dämonen, kein Eingehen der Phan­
tasie auf Einzelheiten ihres Daseins und Erscheinens, keine Ent­
wicklung weder einer „Dämonologie“ noch Erzählungen über den
Satan (wie sie etwa im ersten oder äthiopischen Henochbuch geboten
werden31)- Das Neue Testament ist nur an der Tatsache interessiert,
daß der Satan und seine untergebenen bösen Geister als Widersacher
des Heils in der Welt auftreten, als „Gegenspieler Jesu und seiner
Gemeinde“32. Es bekundet an vielen Stellen die Überzeugung, daß
widergöttliche Kräfte gegen das in Jesus erschienene Heil ankämp­
fen. Sie treten in der Figur des „Teufels“ oder des „Satans“ auf
(Mt 4,1 u.ö.), werden mit der Bezeichnung des „Feindes“ und „Ver­

31 H. S chlier, M ä c h te und G e w a lte n im N e u e n T e sta m e n t, 13. Im f o l g e n d e n kann die


v i e l s c h ic h ti g e und se lbst u n te r E x e g e t e n strittige T eu fels- und D ä m o n e n a u f f a s s u n g der
E v a n g e l i e n und d er a n d e r e n n e u t e s t a m e n t l ic h e n L it e r a t u r n ich t g ä n z lic h a u f g e n o m m e n un d
u n t e r s u c h t w erden. Es k an n n u r ein E rg eb n is h e r a u s g e s t e l l t w erd en , das am b ib lisch en
B e fu n d se inen H alt hat.
32 K. K ertelg e, Teufel, D ä m o n e n , E x o r z i s m e n in b i b l i s c h e r Sicht: T eufe l, D ä m o n e n ,
B e s e s s e n h e i t , 17.
suchers“ (Mt 4,3; auch 1 Thess 3,5), des „Bösen“ (Mt 13,19;
Eph 6,16, des „Fürsten dieser Welt“ (loh 12,31 u.ö.), des „Gottes
dieser Welt“ (2 Kor 4,4), des „Anklägers“ (Offb 12,10), des „Dra­
chen“ oder der „Schlange“ (Offb 12) eingeführt. Der Satan nimmt
die Stelle des „Anführers der Dämonen“ ein (Mk 3,22 parr.), die ihm
unterstehen, aber doch ähnlich geartet sind33.
In der Rolle des „Versuchers“ oder „Verderbers“ tritt Satan vor allem in der
Versuchungsgeschichte Jesu auf (Mk 1,12-13; Mt 4,1 -11; Lk 4,1-13), in der er
die messianische Würde und Berufung Jesu zu verkehren sucht. Der hier ganz
eng mit der innersten Berufung Jesu zusammenhängende Widerstand satanischer
Art kann schwerlich als phantasievoll-utopische Ausschmückung eines der
Lebensgeschichte Jesu peripheren Umstandes gedeutet werden, sondern muß
wohl als Ausdruck einer den Erlöser begleitenden Lebenserfahrung angesehen
werden, einer geschichtlichen Realität, die Jesus am Höhepunkt seines Leidens
auch den Jüngern übermittelt (Mk 14,38) und die der Hebräerbrief (4,14) auf ihn
als den menschennahen Erlöser bezieht, „der in allem wie wir in Versuchung
geführt w o rd en ist, aber nicht gesündigt hat“ . Wo die Versuchungen Jesu so eng
in einen soteriologischen K ontext eingefügt sind, können sie nicht als
Erfindungen angesehen werden und aus diesem Kontext herausgebrochen w er­
den, es sei denn, daß man den Erlösungsgedanken selbst tangiert. Deshalb ist es
wohl auch zu wenig, den historischen Haftpunkt dieses Berichtes in die
Erfahrung, näherhin in die Christologie und Soteriologie der frühchristlichen
Gemeinde zu verlegen und diese ihre Überzeugung nicht weiter zu hinterfra­
gen34. Wenn man die Gemeinde nicht zum Erfinder der Botschaft Jesu machen
will, muß man den Haftpunkt bei Jesus selbst suchen.
Das geschieht in anderer Weise durch das Eingehen auf die
Exorzismen Jesu35. Nach Markus wirkt Jesus das erste Wunder als
Dämonenaustreibung, nach welcher der böse Geist selbst das erste
Messiasbekenntnis ablegt (Mk 1,21-28). Diese Austreibungserzäh­
lungen (vgl. auch Mk 1,32-34; 3,11; Mt 8,28-34; 17,14-21; Lk 13,32
u.ö.), die im Vergleich mit profanen zeitgeschichtlichen Analogien
durch das Absehen von äußerem „manipulativem Ritual“ auffallen,
stehen im Zusammenhang seiner Gottesreichsverkündigung und des­
sen umfassender, wunderbarer Heilszusage; denn „wenn ich aber die
Dämonen durch den Geist Gottes austreibe, dann ist das Reich
Gottes schon zu euch gekommen“ (Mt 12,28; Lk 11,20). So spricht

33 D er aus der E x is te n z „S atan s u nd der D ä m o n e n “ a b g e le ite te S ch lu ß a u f das B e s t e h e n


ei n es „R e ic h e s S a t a n s “ als d em „ G o t t e s r e i c h “ k o ex is te n te G e g e n m a c h t e n t s p ri c h t n ich t
d em n e u t e s t a m e n t l ic h e n B e fu nd; vgl. K. K ertelg e, 25.
34 So H. S c h ü r m a n n , Das L u k a s e v a n g e li u m I, F re ib urg 1969, 220.
35 D azu vgl. J. E rn st, Das M a rk u s e v a n g e l i u m (R e g e n s b u rg e r N e u e s T estam en t, hrsg . von
J. E ck ert und O. K n o c h ) , R e g e n sb u r g 1981, 6 5-67; vgl. auch T R E X, 748f. (O. Böc h er).
sich in diesen Taten Jesu (zusam m en m it den K rankenheilungen) das
einzigartige Selbstverständnis und Sendungsbewußtsein Jesu aus,
ohne daß man ihn deshalb auf die Kategorie des Exorzisten festlegen
dürfte. Aber die Bedeutung dieser Aufgabe erhellt daraus, daß auch
die Jünger mit dieser Aufgabe betraut werden (Mk 3,15; 6,7.13;
Mt 10,1.7f.; Lk 10,17) und die Exorzismen auch in der Zeit der jun­
gen Kirche weitergehen (Apg 16,16-18; 19,13-16).
Obgleich das vierte Evangelium solche Dämonenaustreibungen
nicht kennt, wird doch auch von ihm Christus als derjenige angesehen,
durch den „Gericht gehalten wird über diese Welt“ und „der Herrscher
dieser Welt hinausgeworfen werden wird“ (Joh 12,31). Der Antagonis­
mus (nicht Dualismus) zwischen dem Heilsbringer Christus und der
widerständigen Macht des Bösen ist in den Evangelien nicht zu ver­
kennen. Selbst wenn dabei die von den bösen Geistern Befallenen
gewiß auch als Kranke anzusehen sind und sich nach heutigem
Verständnis hinter diesen Phänomenen auch Krankheiten verbergen, so
zeigen sie doch vor allem auch eine Unheilssituation an, die (damals
wie heute) mit dem medizinischen Befund nicht gleichzusetzen ist.
Die Historizität der Dämonenaustreibungen ist heute allgemein
anerkannt, aber es wird gelegentlich bestritten, daß Jesu Kampf
gegen die Krankheitsdämonen ein Kampf gegen Satan gewesen sei36.
Daran ist nur so viel richtig, daß der „Satan“ selbst in den biblischen
Berichten nicht direkt Gegenstand von Exorzismen ist. Aber dies
steht nicht gegen die Wahrheit, daß zwischen dem „Starken“ und sei­
nem „Haus“ eine Verbindung besteht (vgl. Mk 3,27 parr.) und daß der
„Satan“ als der Gegenspieler Jesu auftritt (vgl. auch Lk 22,3.31;
Mt 13,39; Joh 13,2.27), den Jesus allerdings seiner Macht schon
beraubt hat (vgl. Lk 10,17). Die genannte Gegenauffassung steht im
Dienste einer von vornherein getroffenen weltanschaulichen Option
für den Anachronismus des Teufelsglaubens, die danach mit Hilfe
exegetischer Kombinatorik „bewiesen“ wird.
Auch der Apostel Paulus erkennt den „Mächten und Gewalten“
(vgl. Röm 8,38) eine große Bedeutung im von Christus geführten
Heilsgeschehen zu37. Der paulinische Aspekt auf diese Welt erscheint

36 M. L im b e c k , Satan un d das Böse im N eu en T estam en t: H. H aag , T eu fe ls g la u b e , 311 ff.


37 H. Sch lier , M ä c h te und G e w a lte n im N eu en T e sta m e n t, 11 -36.
noch erweitert, insofern sich in ihn auch die „Elemente“ (Kol 2,8)
und „Götter“ aufgenommen finden (Gal 4,8), aber auch „die bösen
Geister des himmlischen Bereiches“ (Eph 6,12) und jener Geist, „der
im Bereich der Lüfte reg iert“ (Eph 2,2). Zugleich erscheint
die W irksam keit dieser „M ächte, Gewalten und K räfte“ (vgl.
1 Kor 15,24) oder des „Satans“ und „seiner H andlanger“
(2 Kor 11,14) verzweigter und subtiler, als dies an den Dämonen­
berichten der Synoptiker zu erkennen ist.
Es sind Mächte des Unsichtbaren, die ihren Ort „im himmlischen
B ereich“ , d.h. in der das em pirische Dasein übersteigenden
W irklichkeit haben, und die nicht „Menschen aus Fleisch und Blut“
sind (Eph 6,12). Sie sind „die Beherrscher der finsteren Welt“
(Eph 6,12), die „mit listigen Anschlägen“ (Eph 6,11) gegen die
Menschen operieren und sich sogar als Lichtgestalten tarnen können
(2 Kor 11,13-15). Sie behindern das Missionswerk der Kirche
(1 Thess 2,18) und dringen als „Lügengeister“ sogar in das Leben
und den Glauben der Gemeinde ein (vgl. 1 Tim 4,1). Wenn der böse
Geist als Herrscher ausgegeben wird, „der im Bereich der Lüfte
regiert“ (Eph 2,2), so spricht Paulus dann (in Anlehnung an spätanti­
ke Vorstellungen) auf die geistige Atmosphäre und auf den allgemei­
nen Geist der Welt an, der vor allem die Ungläubigen beherrscht. Die
Vielheit der Benennungen dieser Mächte und ihrer Funktionen mag
vom heutigen Betrachter als Mangel an Klarheit und an geistiger
Durchdringung dieser Wirklichkeit angesehen werden. Aber sie be­
sagt im Grunde nur, daß der Apostel diesbezüglich weder eine Sy­
stematik bieten will noch bieten kann, sondern daß er (auch unter
Zuhilfenahme zeitgenössischer Aussageweisen) von der W irklichkeit
dieser Mächte auch innerhalb der Heilsgeschichte überzeugt ist und
diese Glaubensüberzeugung mit dem Verständnis des in Christus
gekommenen, aber immer noch angefochtenen Heils innerlich ver­
knüpft. Dabei spricht auch viel dafür, daß der Apostel diese Mächte,
die er wegen ihrer kollektiven Kraftentfaltung neutrisch kennzeich­
net, doch auch als personale Wesen versteht, insofern ihnen
Intelligenz und Wille eignen, so daß „sie als intentionales, rationales
und voluntatives Gegenüber begegnen“38.
3) Die vielstimmige Tradition
Trotz der Vielzahl der biblischen Zeugnisse ist nicht zu verken­
nen, daß ihnen eine gewisse Unbestimmtheit eignet, die beim Anset­
zen der historisch-kritischen Methode an diesen Texten manche Un­
sicherheit bezüglich ihres Offenbarungsgehaltes erzeugen kann.
Demgegenüber ist aber festzuhalten, daß die historisch-kritische
Methode nicht die Fähigkeit besitzt, Glaubensaussagen zu machen
und den Glauben zu mensurieren. Deshalb ist zur glaubensbezeugen­
den und glaubensbegründenden Bedeutung der biblische Texte die
Fundstelle des Glaubens heranzuziehen, welche die Tradition der
Kirche darstellt.
Auch hier ist freilich die Bestimmung des eigentlichen Glau­
bensbefundes nicht einfach, weil sich in die Theologie der Väter
bezüglich des Bösen und seiner personalen Erfassung manche zeit­
bedingten spätjüdischen Vorstellungen mischten. Ein theologisch
berechtigtes Anliegen darf der Bestimmung der Engelssünde zuge­
billigt werden, weil damit der Gefahr des Dualismus gewehrt wird.
Dabei werden Hochmut und Eifersucht als Ursachen bevorzugt ange­
geben39. In der Folgezeit verliert die im Spätjudentum angenommene
U nterscheidung zwischen „bösen Engeln“ und „D äm onen“ an
Bedeutung. Dafür erstarkt der Eindruck vom Einflußbereich der
Dämonen, die für Origenes (+ um 254) das ganze Universum erfül­
len, wobei als der ihnen zugehörige Bereich die „Luft“ ausgegeben
wird40. Hier verdichtet sich auch die Annahme, daß keine Sünde ohne
Mitwirkung des Teufels geschehe41, was aber nicht besagt, daß des­
sen Macht unermeßlich ist. Sie ist im Gegenteil durch Christi
Erlösungstat gebrochen42.
Ein weites Feld eröffnet sich ihnen aber in den heidnischen Religionen und
K ulten. In der ernsten Auseinandersetzung des jungen Christentums mit dem
bedrohlichen H eidentum konnte der G edanke reifen, daß der Teufel im
Heidentum wie auch in den Häresien eine bevorzugte Wirkungsstätte gefunden
habe, eine Vorstellung, die Augustinus oft heranzieht43. So konnten auch die

39 T ertullian , D e an im a X X X I X , p lä d ie r t für die E if e r s u c h t , ab er v ertritt g e le g e n tlic h


auch n o ch eine F le isc h e ss ü n d e .
40 A t h e n a g o r a s , B it t g e s u c h fü r die C h r iste n 25,1.
41 H o m i l i e zu N u m 27,8.
42 O r ig e n e s, C o n tr a C e ls u m VIII, 15.
43 Enarr. in Ps 95 n.5-6.
G ötte r der H e id en für böse E n g el o der D ä m o n e n geh alte n w erden. Ihr E in flu ß
erstreck te sich ab er auch a u f die N atu r und die z e rs tö re risc h en Vorgänge in ihr
wie S e uch en und U n w e tte r44.
In s b e so n d e re en tfalte ten die bösen E ngel ihren E in flu ß au f die der Ver­
fü hrun g z u g än g lic h e n M en schen , o bg leich nie ve rge sse n w urde, daß der C h rist
in der Taufe den d ä m o n isch en M ä c h te n ab g esc h w o ren h a tte 43. Im Z u sa m m e n h a n g
mit der E in w irk u n g auf den M e n s c h e n erfuh r die Dämonenvorstellung eine
g ew isse E n tm a te ria lisie ru n g und V ergeistigung. In den V e rs u ch u n g sg es ch ich te n
d er M ö n c h s v ä te r und E in sie d le r g ehen lan g sa m die p h a n ta s ie r e ic h e n D a rs t e l­
lungen der sich tb a re n K äm pfe m it den D äm o nen zurück, und an ihre Stelle tritt
die g e is tig e A u s e i n a n d e r s e tz u n g m it der L ü g e un d T äuschungskunst des
V ersuch ers46. Im Zuge so lcher „V erg eistig u n g “ w urde la n g s a m die an G en 6,2
a n s c h lie ß e n d e A uffassu n g von ein er fleisch lich en E n g e lsü n d e elim in iert.
Weit v erb reite t w ar die A u ffassu n g von ein e r nur vo rläu fige n B e stra fu n g der
bö sen E ngel, die erst beim E n d g e ric h t zur ew igen V erdam m un g füh re n w ürde
(w oran sich S p e k u la tio n e n an die M ö g lic h k e it einer in d er Z w is c h e n z e it g e w ä h r­
ten B uße an sch lo ssen ). D iese U n te rs c h e id u n g hielt sich n och bis in die S c h o ­
lastik, wo sie T h o m as v. A q u in im Sinne ein er e n d g ü ltig e n V erdam m nis an läßlich
der E n g e lss ü n d e k lä r te 47.
Im übrigen vollzieht sich in der Scholastik, die vor allem an der
m etaphysischen W esensfrage nach der N atur der Engel interessiert
war, ein m erkw ürdiges Zurücktreten der D äm onologie. Die im Z eit­
alter eines neu aufkom m enden D ualism us entscheidende Frage nach
der Existenz eines bösen Prinzips war im G rande m it Anselm s
(+ 1099) D ialog „De casu diaboli“ gelöst: Die der Sünde der Engel
vorausgehen.de U rsache war allein ihr Vermögen zu sündigen, d.h.
der freie W ille, der eine falsche, ungerechte Wahl traf. D iese aber
verletzt die Güte Gottes und seine U rheberschaft an allen guten
Akten nicht, weil er die Freiheit des Geschöpfes achtet. Bei Thom as
v. Aquin bildet die B efassung m it den Däm onen nur einen Annex zur
Engellehre.
Der von der T rad ition v ertreten e bib lische Dämonenglaube erfu hr freilich
auch trag isch e E n tste llu n g en und nich t g u tzu h eiß en d e V erirrungen durch a b e r­
g läu b isch e P h a n ta s ie n von s c h w eifen d en G eistern, von G e sp e n ste rn und H exen
und d am it v e rb u n d e n e ab stru se P raktiken. D ieser A b erg lau b e (v erb u n d en m it
M agie und Z au be rei), der vor allem als H exe ng laub e großes U n he il stiftete, kann
aber nich t aus b ib lisch en G rü n d en a b g ele itet w erden (vgl. die Verbote: Ex 22,17;
Lev 19,26.31; Lev 20,27; D tn 18,10; 1 Sam 28,3). Die ro m a n tisc h -p h a n ta stisc h e

44 K l e m e n s v. A le x a n d r ie n , S trom . VI, 31,1.


45 T ertu llian , D e S pec. 4,1.
46 Vgl. G. Tavard , 44.
47 S.th. I q .6 4 a.4.
Welt des Toten- und G eisterg la u b e n s, die ü berall unter der O b erfläc h e der
H o ch re lig io n e n n istet und bis hin zu den In te lle k tu e lle n der N e u zeit ihre A n ­
h ä n g e r fin d e t48, gedieh im M itte la lte r u nter Z u s a m m e n s trö m e n g e rm a n isc h e r und
o rie n ta lisc h e r Q u ellen zu ein em a u sg e p rä g te n H e x e n g lau b en . G eg en d iesen
A b e rg lau b en n ah m en T h e o lo g e n und k ir c h lich e G esetz g e b u n g , ü b e rz e u g t von
der N ic h te x iste n z der H exen, S te llu n g 49. M an sch ritt dage ge n ein, aber bis zum
13. Ja h rh u n d e rt a u ss c h lie ß lic h m it k irc h lic h e n Strafen. E rst als sich seit dem
14. Ja h rh u n d e rt diese V o rstellu ng sw elt v e rg rö b e rte und w eltliche S tra fen für v e r ­
d äch tig te P e rso n en g e fo rd ert w urden , e rh ob die K irch e das Z a u b e ra n w e s e n zur
K etzerei und unterstellte es der In qu isitio n. Die daraus re su ltie re n d e n H e x e n ­
p ro zesse, die In n o z en z VIII. in der fatalen „ H e x e n b u lle “ (1484) leg itim ierte (in
der sich ab er keine G la u b e n sa u s sa g e findet), sind d e sh alb m ehr als P h ä n o m en
ein er u n g lü c k lic h e n k u ltu rg e sc h ic h tlic h e n E n tw ic k lu n g zu be tra chte n denn als
V orgänge der k irch lich en L e h re n tw ick lu n g .

Auch ein nur geraffter Ü berblick über die Entw icklung des Ver­
ständnisses vom Teufel läßt erkennen, daß die zutage tretenden G e­
danken nicht alle zur glaubensbezeugenden und glaubensbegründen­
den Tradition gehören. Den Um kreis des zum Glauben G ehörenden
hat die K irche in ihrer L ehrverkündigung verhältnism äßig eng um ­
grenzt.
4) G renzziehungen der kirchlichen L ehrverkündigung
In ihren L ehraussagen über die W irklichkeit des Teufels und der
D äm onen hat die K irche zw ischen den Extrem en einer übertriebenen
Teufelsdoktrin und der m odernen A nsicht über die B elanglosigkeit
oder N ichtigkeit dieses G laubens die M itte gehalten. Dabei ging es
der K irche bei näherem H inblick nur um die schlechthin grundlegen­
den W ahrheiten von der Existenz „des Teufels und der anderen bösen
G eister“ (4. Lateranense, 1215: DH 800), um ihr freies, selbstver­
schuldetes, m it endgültigem H eilsverlust bestraftes Bösew erden50,
um eine gewisse „H errschaft“ des Teufels über den M enschen
(Tridentinum : DH 1511), aber auch um die G ew ißheit des Sieges
Christi über den W idersacher (Florentinum , 1442: DH 1347). Diese

48 Z u d en N a c h g e s t a l t u n g e n des T eufe ls in d e r m o d e r n e n L it e r a t u r vo n J. M iltons


(+ 1674) „V erlo ren es P a r a d i e s “ bis zu Ch. B a u d e l a i r e (+ 1867) und Th. M a n n vgl. A.
W in k lh o f e r, T raktat über den Teu fel, 2 31 -24 4 .
49 In die s e m Z u s a m m e n h a n g sind a uch tro tz t h e o l o g i s c h e r A b w e g e die th e o l o g i s c h e n
E n tg e g n u n g e n a u f den H e x e n g l a u b e n d urch C a e s a r i u s v. A rles (+ 542), M a rtin v. B rag a
(+ 58 0, D e c o r re c t io n e r u stic o r u m ) und R e g in o v. P rü m (+ 915 ) an zu fü h ren ; vgl. auch
G. S c h w a i g e r über „f rü he G e g n e r des H e x e n w a h n s “ : T e u fe l s g l a u b e u nd H e x e n p r o z e s s e
(h rsg. von G. S c h w a ig e r ) M ü n c h e n 2 1 9 8 8 , 153-156; vgl. auch J. Auer, K K D III, 509f.
50 S tatu ta ec c le s ia e a n tiq u a (5. Jh.): DH 325; B r i e f L eo s I.: D H 286.
Aussagen des außerordentlichen Lehramtes, die auch beim Fehlen
einer feierlichen Lehrentscheidung als glaubensverbindlich angese­
hen werden müssen, sind ergänzt und flankiert von einer Mehrzahl
von Äußerungen des ordentlichen Lehramtes, wie sie in Katechis­
men51, Ansprachen der Päpste52 und in römischen D okum enten53 nie­
dergelegt sind.
Als eigenständige glaubensbezeugende Beweisquelle kommt die
Liturgie der Kirche hinzu. Das „Missale Romanum“ (in Geltung bis
zum 30.11.1969) erinnerte an das Wirken des Teufels in Heiligen-,
Votiv- und Totenmessen. In der Komplet, in den Sterbegebeten, im
Ritus der Taufe wie der Krankensalbung, in Benediktionen und in
den Exorzismen war das Bewußtsein für die Einflußmöglichkeit des
Teufels überstark entwickelt. Auch wenn im Zuge der Liturgiereform
Bedacht darauf genommen wurde, über den Widersacher des Heils
weniger pathetisch und aufwendig zu sprechen, so ist doch der Teu­
felsglaube nicht in Zweifel gezogen, wie die Lesungen des neuen
M issale54 und die Bitten um Bewahrung vor „dem Bösen“ im
Benediktionale55 zeigen.

III. Der Widersacher in der Heiisökonomie


Auch gegenüber dem Geheimnis des personalen Bösen kann das
gläubige Denken nicht in Blindheit verharren. Es spürt auch hier die
Verpflichtung und die Fähigkeit, das Geheimnis zwar nicht in seiner
innersten Wahrheit zu durchdringen, aber doch „eine gewisse ...
fruchtbare Erkenntnis“ von ihm zu erlangen (DH 3016).
1) Der Sinn der Scheidung der Engel
Während die Existenz und das Wirken der guten Engel im
Glauben an die überströmende Fülle des Schöpfers als sinnvoll

51 So b e s o n d e r s im C a te c h i s m u s R o m a n u s I c.2ff. bis hi n zum K a t e c h i s m u s der


K a t h o l i s c h e n K irch e (1993): 391 ff. u.ö.
52 Vgl. u.a. die A n s p ra c h e P auls VI. v om 1 5 .1 1.19 72 „E rlö s e uns von d em B ö s e n “ :
O s se r v a to re R o m a n o ( d eu tsch) vo m 2 4 .1 1 .1 9 7 2 .
53 Vgl. das D o k u m e n t d er „ K o n g r e g a t i o n fü r die G l a u b e n s l e h r e “ v om 2 6 .6 .1 9 7 5
„ C h ri s tl i c h e r G la u b e un d D ä m o n e n l e h r e “ .
54 K o n g r e g a tio n für die G l a u b e n s l e h re , C h r i s t l i c h e r G lau be und D ä m o n e n l e h r e (hrsg.
vo m C h r i s t i a n a Ver lag), Stein a. Rh. 21984, 42f.
55 B e n e d i k t i o n a l e , S t u d i e n a u s g a b e f ü r d ie k a t h o l i s c h e n B i s t ü m e r des d e u t s c h e n
S p ra c h g e b i e t e s , E in s i e d e l n 1978, 47; 52; 107.
erkannt werden kann, insofern er seine Geschöpfe zur höchsten
Anteilnahme an seiner Herrlichkeit beruft und damit der Schöpfung
wie der Heilsgeschichte eine wahrhaft kosmische Dimension ver­
leiht, kann dieser Sinn an der gefallenen Engelwelt nicht so leicht
aufgewiesen werden. Der Gedanke, daß das Gute der Engelschöp­
fung durch den Abfall der bösen Engel wie auf einem dunklen Hin­
tergrund umso strahlender erscheine, führt nicht zum Ziel. Zudem
besitzt ein bloßes Gegensatzdenken eine Nähe zur naturalistischen
Dualität von Licht und Schatten, die weiter zum Dualismus treibt.
Deshalb muß das Denken, das hier vor einer ähnlichen Schwierigkeit
steht wie bei der Frage nach dem Bösen und der Sünde, den Blick auf
größere Zusammenhänge richten, die auf das Geheimnis von Ge­
schichte und Heilsgeschichte weisen.

Der Schöpfer und Erlöser hat diese Geschichte auf das hohe Gut
der Freiheit gründen wollen, durch welches dem Gang des Gesche­
hens der Stempel der Entscheidung, der Bewährung und des
Dramatischen aufgedrückt wurde. Durch die Ausstattung der geisti­
gen Geschöpfe mit der Freiheit zur Entscheidung für das Gute,
zuletzt für das übernatürliche Gut der Schau Gottes, hat Gott die
Geschichte mit dem Charakter einer bewegten Auseinandersetzung
versehen, in welche das Geschöpf seinen eigentümlichen Wert als
Freiheitswesen einbringen soll. Diese Würde erfährt noch eine Stei­
gerung, insofern das geschichtliche Tun des Geschöpfes ein M itwir­
ken endlicher Freiheit mit der absoluten Freiheit Gottes ist. Das
Geschöpf, das aus einer solchen Freiheitsgeschichte siegreich her­
vorgeht, steht höher als ein geschichtsloses Wesen und nimmt an der
Verwirklichung eines höheren Schöpfungszieles teil, als es eine ge­
schichtslose und unfreie Schöpfung erreichen könnte.

Im Hinblick auf die Engelwelt ist nun zu ersehen, daß in ihr die
Geschichte der Freiheit ihre deutlichste Repräsentanz und Beispiel-
haftigkeit, aber auch ihre höchste Dramatik erreicht; denn am
Geschick des reinen Geistes und seiner unwiderrruflichen Willenstat
werden am deutlichsten die Größe und Tragik der freien Entschei­
dung sichtbar, die das Bewegende der Geschichte ist. An der Frei­
heitstat der Engel läßt sich wie am höchsten Paradigma erkennen,
daß die Entscheidung etwas Endgültiges an sich hat und für den
Gottbezug wie für das Weltverhältnis des Geschöpfes einschneiden­
de Folgen zeitigt. Weil die Engel trotz ihres überzeitlichen Seins zur
Schöpfung gehören und auf Mitgeschöpflichkeit mit dem Kosmos
wie mit dem Menschen angelegt sind, läßt sich ebenso verstehen, daß
der Engelfall einen Einfluß der bösen Engel auf die Geschichte frei­
setzen mußte, der freilich nicht als grenzenlos erachtet werden kann.
Zugleich bleibt bei all diesem Negativen gewahrt, daß die falsche
Entscheidung der Engel nur die Verkehrung des ihnen geschenkten
Gutes der Freiheit ist, die von Gott auf eine Bewährung ausgerichtet
war. So macht der Engelfall, fern jeden Verdachts auf Mythologie,
nur das Drama der Heilsgeschichte transparent und legt den Charak­
ter der Geschichte frei, auch wenn er zuletzt auf das Geheimnis der
Geschichte verweist, das nicht zu durchdringen ist, das aber auch
umgriffen ist von der Macht der Erlösung durch Christus.
Es stellt sich weiterhin die Frage, ob sich auch ein Zugang von der Lebens­
wirklichkeit des Menschen her zur Existenz des Teufels gewinnen lasse. Das er­
scheint nicht unmöglich, hat allerdings den Glauben zur Voraussetzung. Zwar
gibt es viele Versuche (in Parallele zum natürlichen Aufweis des Engels), auch
den Satan oder das Dämonische mit Hilfe der Vernunft als existent zu erweisen,
aber sie enden (ähnlich im Fall der guten Engel) häufig in gnostischen Spekula­
tionen, denen gegenüber der christliche Engelglaube sich gemäßigt ausnimmt.
Ein Beispiel bietet die Erklärung C. G. Jungs, der das Dämonische als Schatten
des Menschen für diesen als konstitutiv erachtet und es mit dem Gottesbild
zusammenbringt56. Oder es kommt, wie bei P. Ricoeur, zur Deutung des Teufels
als eines symbolischen Ausdrucks für die Erfahrung menschlicher Schuld57.
Blickt der Mensch aber im Lichte des Gottesglaubens auf seine eigene
Verfassung, so kann sich aus der Erfahrung der Sünde ein Zugang zur Annahme
dämonischer Geister ergeben. Freilich ist dieser Zugang nicht im Hinblick auf
jede Sünde zu gewinnen, die grundsätzlich aus der menschlichen Freiheit und
der condition humaine ableitbar ist, welche von Seinsschwäche und sinnenhafter
wie geistiger Hinfälligkeit bestimmt ist. Aber es gibt in der Erfahrung von
Einzelschicksalen wie von geschichtlichen Ereignissen das Vorkommen von
Sünde in übermenschlicher Dimension, der Sünde um ihrer selbst und um der
reinen Bosheit willen, der Sünde titanischen Stolzes und genialischer Subtilität,
welche den Einfluß eines bösen Geistes annehmen lassen. „Es gibt Taten, die
zum Himmel schreien. Sie sind nicht nur Greuel, sondern scheinen auch die con­
ditio humana in Frage zu stellen. Sie sind nicht nur böse, sondern schlechthin
monströs“ , so daß gefolgert werden kann: „Taten, die zum Himmel schreien,
schreien auch n ach der Hölle“58. An solchen Extremen 59 wird eine Radikalität und

56 C. G. Ju n g, A n t w o r t a u f H io b , Z ü ric h 1952.
57 Vgl. H. U. v. B a lth asar, T h e o d r a m a t i k II/2, 430.
58 P. L. Berg er, A u f den S p u re n der E n g e l, 96f; 98.
59 So E. B run ner, D o g m a tik II, 162.
eine M o n s tro s itä t des B ösen offenbar, die den S chlu ß a u f ein däm o n isch es
Einwirken erlaubt.
2) Mächte oder Personen?
In der neueren Theologie ist, wohl aus Gründen der Entschärfung
der mit dem Teufelsglauben verbundenen Herausforderung an den
modernen Menschen, die Frage zur Diskussion gestellt worden, ob
der Glaube an den Teufel notwendigerweise ein personales Wesen
meine. Die Tradition hätte eine solche Fragestellung als nicht sach­
gemäß empfunden. Noch das Zweite Vatikanum setzt bei seiner
beiläufigen Nennung des Teufels, Satans oder Dämons60 die persona­
le Auffassung voraus. Inzwischen ist aber die Personhaftigkeit des
Teufels zum Problem erhoben worden, zumal von seiten der Exegese,
die vielfach dazu neigt, wegen der Unbestimmtheit der Schriftaus­
sagen die Frage unentschieden zu lassen, worin ihr auch Systemati­
ker folgen61. Andererseits wird von exegetischer Seite doch auch zu
verstehen gegeben, daß die bösen Mächte „als ansprechende und
ansprechbare Wesen von Intelligenz und Willen erfahren werden“
und auf personale Weise begegnen62. Die vermittelnde Erklärung, daß
es sich bei den gefallenen Engeln um „Un-personen“ handelt63, stellt
eigentlich keine Antwort auf die Frage dar. Von der im Glauben der
Kirche befestigten Lehre des Engelabfalls her ergibt sich jedenfalls
keine Möglichkeit zur Annahme apersonaler Mächte, weil eine
Person ihr Personsein von sich aus nicht verlieren kann und von Gott
nicht zerstört werden wird.
Wo aber mit der A u ffassu n g von apersonalen Mächten ernstgemacht wird,
landet das Denken in einer Aporie; denn wenn man diese „Mächte“ , wie im neue­
ren H e rm e tis m u s 64, aus dem Geflecht der bösen Taten des Menschen entstehen
läßt, schafft m an nur ein psychisches Surrogat für ihre wahre Existenz. Wo sie
aber mit P. Tillich als wirkliche Seinsmächte und Seinsstrukturen erklärt w e r­
d e n 63, verankert man sie in der Schöpfung als solcher. Als „Strukturen“ müßten
sie zur gottgesetzten SchöpfungsWirklichkeit selbst gehören, die so ein dualisti­
sches Gepräge erhält.

60 L u m e n G e n tiu m , 17; G a u d i u m et Spes, 22; A d G e n te s , 3; 9.


61 D a z u H. U. v. B a lth as ar, T h e o d r a m a t i k 0 / 2 , 432.
62 So H. S chlier, M ä c h t e u nd G e w a lte n im N e u e n T e sta m e n t, 17.
63 Vgl. d azu K. L e h m a n n , D e r Teufel - ein p e r s o n a l e s W es en?: Teufe l - D ä m o n e n -
B e s e s s e n h e i t , 71-98.
64 Vgl. H. U. v. B alth asar, T h e o d r a m a t i k II/2, 447.
65 P. T illich , S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 47.
Demgegenüber erweist sich die personale Auffasung, die auch
die freie Entscheidung dieser Wesen für das Böse einschließt, als die
einzig mit dem christlichen Glauben vereinbare. Sie führt nicht, wie
meistens befürchtet, zu einer Steigerung des Bösen ins Unermeßliche
und Irrationale. Die Personalisierung bedeutet im Gegenteil eine Be­
grenzung des Bösen, insofern sie die Wahrheit von der im Ursprung
guten Schöpfung befestigt, die durch den Fall einiger Geister nicht in
ihrem Wesen und in ihren Strukturen pervertiert werden kann. Das
personal gefaßte Böse aber ist in der göttlichen Schöpfung zugleich
etwas von der Person des Schöpfers Begrenztes und vom Erlöser
Besiegtes. Nur deshalb besitzt der Böse auch bei der höchsten end­
zeitlichen Steigerung seiner Macht nur eine „verliehene“ Gewalt
(Offb 13,5). Das alles könnte von einer anonymen, apersonalen
Seinsmacht nie gelten, deren Neigung zum Dualismus nicht aufzu­
halten wäre.
3) Das Phänomen der Besessenheit
In Konsequenz des Glaubens an die personale Macht des Bösen
und im Hinblick auf die Aussagen der Schrift über Exorzismen ist in
der Kirche die Überzeugung lebendig geblieben, daß diese Mächte
mit ihrem Willen auch den Menschen zu beherrschen suchen, was in
Einzelfällen zu einer Besitzergreifung und „Besessenheit“ oder
Obsession führen kann. Die Alte Kirche hat diesem Phänomen in
ihrer seelsorglichen Praxis durch die Einführung eines Standes der
„Exorzisten“ Rechnung getragen (zuerst erwähnt bei Papst Corne­
lius, + 253), der nach zeitweiliger Abschaffung schließlich im
9. Jahrhundert unter die niederen Weihen aufgenommen wurde (was
Paul VI. 1972 rückgängig machte). Die Übung des Exorzismus selbst
durch charism atisch begabte, vom Bischof beauftragte Priester
wurde davon nicht betroffen.
Die Bestätigung für diese Glaubensüberzeugung und die entspre­
chende Praxis erfolgte besonders von seiten der Spiritualität und der
Lehrer des geistlichen Lebens, die seit den Mönchsvätern der Alten
Kirche um das Einwirken von gottfeindlichen personalen Mächten in
das Leben der Kirche wie des einzelnen Christen wußten, aber dafür
sogleich auch „Regeln zur Unterscheidung der Geister“ aufstellten.
Sie gingen als „Kriterien“ zur Feststellung von Besessenheit in den
großen Exorzismus des Rituale Romanum (1614; Tit. XII c. 1-2) ein,
werden aber heute allgemein als der Modifikation bedürftig angese­
hen.
Die Unterscheidung zwischen teuflischer Anfechtung (die nie­
mals das Innerste der Person ergreifen und überwältigen, sondern nur
psychische oder physische Funktionen erfassen kann) und psychi­
scher K rankheit ist nicht leicht zu treffen, weshalb hier die
Heranziehung der Medizin und der Humanwissenschaften notwendig
ist. Aber die Wissenschaft als solche vermag ein modal übernatürli­
ches Phänomen weder zu beweisen noch auszuschließen66. Entschei­
dend ist deshalb das theologische Kriterium, mit dessen Hilfe an den
krankhaften Symptomen die religiös-heilshafte bzw. unheilshafte
Dimension des Phänomens erschlossen wird. Diese Feststellung ist
aufgrund der Beziehungsnähe der krankhaften Erscheinungen zum
Religiösen, zum Heiligen und zum Göttlichen möglich.
Die Kirche hält trotz der mangelnden Resonanz seitens des Zeit­
geistes (der nicht als Kriterium für das Übernatürliche genommen
werden kann) und trotz des nun schlichter gewordenen Ausdrucks
ihrer Gebete67 an der M öglichkeit der Obsession und am Exorzismus
fest. Sie räumt der Obsession aber nur den Charakter eines Grenz­
phänomens ein, dem in der Theologie und Seelsorge keine Zentral­
stellung zukommt, wie die dämonischen Geister im ganzen nur als
depotenzierte Mächte in den Blick kommen.

66 D i e s b e z ü g l i c h sc h e in t d er P s y c h o l o g e J. M i s c h k o ü b e r seine K o m p e t e n z h i n a u s z u g e ­
hen, w enn er die b e tr e ff e n d e n P h ä n o m e n e a u s s c h l i e ß l i c h d e r P sy c h o p a t h o lo g i e zu o r d n et
und den A b s c h i e d von d en „ P r i e s t e r h e l f e r n “ fo rd ert: „ D ä m o n i s c h e B e s e s s e n h e i t “ : T eufe l -
D ä m o n e n - B e s e s s e n h e it, 145f. A n d e r s u rteilt der M e d i z i n e r M.-P. E n g e lm e ie r, E x o rz i s m u s
als p s y c h o t h e r a p e u ti s c h e M e t h o d e - ein ig e p s y c h i a t r i s c h e A n m e r k u n g e n : E x o rz i s m u s
h eu te? D er A rzt u nd das a b g r ü n d i g e Böse. R e fe r a t e des d r e i z e h n t e n Ä r z t e t a g e s im B istu m
E ssen, St. A u g u s ti n 1980. D e r A u t o r v e r ste h t d en E x o r z i s m u s als „ t h e r a p e u t i s c h e s
V erfa h ren “ , in dem dem „ H e l f e r “ in e x i s te n ti e l l e r K o m m u n i k a t i o n m it dem B e tr o f fe n e n
u nter E in s a t z von M e d i ta ti o n und S e l b s t p r ü f u n g ein e e n t s c h e i d e n d e A u f g a b e zufällt;
a.a.O., 3 5 ff.
67 Vgl. d azu den O rdo in itia tio n is c h r istia n a e a d u l t o r u m , E dit. typ. R o m a 1972, Nr. 101,
109-118 und den O rd o b a p tism i p a r v u l o ru m , R o m 1969, Nr. 49; 221.
Kapitel VI:
Ursünde und „Erbsünde“

§ 19:
Der begnadete Anfang des Menschen
Literatur: J. G. Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Mensch­
heit: Sämtliche Werke (hrsg. von B. Suphan), Berlin 1877; E. Brunner,
D ogm atik II, Zürich 1950; K. Rahner, Zum theologischen B egriff der
Konkupiszenz: Schriften zur T heologie I, Einsiedeln 1954, 377-414;
J.-J. Rousseau, Schriften zur Kulturkritik, Hamburg 1955; R. Bultmann, Glauben
und Verstehen II, Tübingen 21958; G. v. Rad, Das erste Buch Mose. Genesis (Das
Alte Testament D eutsch 2/4), G öttingen 1958; P. Tillich, System atische
Theologie II, Stuttgart 1958; H. Renckens, Urgeschichte und Heilsgeschichte,
Mainz 1959; P. Overhage, Um das Erscheinungsbild des ersten Menschen
(QD 7), Freiburg 1959; P. Overhage.- K. Rahner, Das Problem der Hominisation
(QD 12/13), Freiburg 1961; J. Bivort de la Saudee - J.Hüttenbügel, Gott -
Mensch - Universum. Die Stellung des Christen in Zeit und Welt, Köln T 963;
H. E. H engstenberg, E volution und Schöpfung. Eine A ntw ort auf den
Evolutionismus Teilhard de Chardins, München 1963; K. Jaspers, Vom Ursprung
und Ziel der Geschichte, München 1963; O. Cullmann, Heil als Geschichte.
Heilsgeschichtliche Existenz im Neuen Testament, Tübingen 1965; M. Schmaus,
Das Paradies, M ünchen 1965; Ders., Der G laube der Kirche III,
St.Ottilien 2 1979; Mysterium Salutis. Grundriß heilsgeschichtlicher Dogmatik
(hrsg. von J. Feiner und M. Löhrer) II, Einsiedeln 1967; H. Haag, Biblische
Schöpfungslehre und kirchliche Erbsündenlehre, Stuttgart 1966; Ders., Der
Urständ nach dem Zeugnis der Bibel, in: ThQ 148 (1968) 385-404; Ders. (Hrsg.),
Bibellexikon, Einsiedeln 21968; G. Rohrmoser, Das Elend der kritischen
Theorie, Freiburg 1970; F. Dexinger, Alttestamentliche Überlegungen zum
„Erbsünde“ -Problem: Ist Adam an allem schuld?, Innsbruck 1971; M. Habitzky,
Gedanken zu Urständ und Erbsünde, in: Kat Bl 96 (1971) 743-753;
CI. Westermann, Schöpfung, Stuttgart 1971; Ders., Genesis 1/1, Neukirchen-
Vluyn 21976; J. Auer - J. Ratzinger, KKD III, Regensburg 1975; P. Lüth, Der
Mensch ist kein Zufall. Umrisse einer modernen Anthropologie, Stuttgart 1981;
L. Scheffczyk, Urständ, Fall und Erbsünde. Von der Schrift bis Augustinus
(HDG II/3 a), Freiburg 1981; Ders., Paradies: LMA VI, 1697f.; H. M. Köster,
Urständ, Fall und Erbsünde in der katholischen Theologie unseres Jahrhunderts,
Regensburg 1983; M. Hauke, Heilsverlust in Adam. Stationen griechischer
Erbsündenlehre: Irenäus - Origenes - Kappadozier, Paderborn 1993.

Der christliche Schöpfungsgedanke, sofern er heilsgeschichtlich


entwickelt wird, muß der Wahrheit Rechnung tragen, daß die Er­
schaffung des Menschen zugleich mit seiner Erhebung in die höhere
Ordnung der Gnade verbunden war, so daß der Mensch sogleich auf
das Ziel der höchstmöglichen Vollendung in der Gottesschau ausge­
richtet wurde. So erst nahm seine Geschichte den Charakter eines
Heilsgeschehens an, der ihr im m er aufgeprägt bleibt und der ihr auch
durch die „Dazwischenkunft“ der Sünde nicht genommen werden
konnte. Diese Abfolge von ursprünglicher Begnadung, von Sünde
und Wiederbegnadung oder Rechtfertigung macht den Inhalt einer
heilsgeschichtlichen Anthropologie aus, die mit der Glaubenslehre
vom Urständ beginnt und in der speziellen Gnadenlehre ihre Höhe
erreicht.
An der Art, wie hier die Erschaffung des Menschen sofort mit
seiner Begnadung und seiner Geschichte in der Gnade verbunden ist,
kann deutlich werden, daß die menschliche Natur und die Gnade
keine voneinander getrennten „Stockwerke“ sind, die von Gott über­
einandergesetzt wurden, sondern daß es sich um zwei vom Ursprung
her miteinander verwobene Dimensionen handelt, die eine von Gott
gefügte Einheit bilden. Diese konnte zwar durch die Sünde gestört,
aber ihrer Bestimmung nach nicht zerstört werden, so daß auf die
Sünde die Rechtfertigung des Sünders durch die Heilstat Jesu Christi
folgte.
Damit ist der Darstellung ein Weg gewiesen, der mit der urspüng-
lichen Begnadung des Menschen beginnen muß.

I. D er Ausgang von d er b ib lisch en U rg esch ich te


Wie bei der Schöpfung des Menschen muß die Theologie auch
bei seiner Begnadung vom biblischen Zeugnis ausgehen und dessen
Sinn erschließen. Sie hat sich dabei aber des geschichtlichen Sinnes
des biblischen Zeugnisses zu versichern, das den Anfang der
menschlichen Geschichte mit Gott zur Sprache bringen will. Hier
aber sieht sich die Theologie wiederum den Einwänden gegenüber­
gestellt, die vor allem von seiten der historisch-kritischen Exegese
wie von seiten des naturwissenschaftlichen Denkens herrühren.
1) Bedenken der Frage nach dem Anfang
Der Glaube an die ursprüngliche Begnadung des Menschen (aus
der er durch die Sünde hinausgefallen ist) führt das theologische
Denken dazu, sich an die „Urgeschichte“, und d.h. profangeschicht­
lich formuliert, an die Urgeschichte der M enschheit zu wenden, die
an sich der historischen Methode unzugänglich ist. Darum wird die­
ser Rückgang weithin als ungangbar bezeichnet und mit dem
Hinweis auf den mythologischen Charakter aller A ussagen über den
Anfang der Menschheitsgeschichte abgetan.
Ungeachtet dieses Verdiktes wird diese Frage aber doch auch
außerhalb des biblisch-christlichen Bereiches immer wieder gestellt
und im Sinne einer Option für den guten Anfang der M enschheits­
geschichte beantwortet. Das hat in der Neuzeit J.-J. Rousseau
(+ 1778) getan und vom ursprünglichen guten Naturstand des M en­
schen gesprochen, welcher erst durch das Aufkommen der Zivilisa­
tion verkehrt wurde1. Auf ähnlicher Basis entwickelte diesen Gedan­
ken J. G. Herder (+ 1803) in seinen „Ideen zur Philosophie der
Geschichte der M enschheit“2. Ein starkes geistiges Antriebsmoment
bildete dabei der Gedanke, daß gerade der gute Anfang der Mensch­
heitsgeschichte der beste Garant sei für eine hoffnungsvolle Zukunft.
Beachtenswert ist auch, daß selbst die kommunistische Ge­
schichtsphilosophie eine „klassenlose Urgesellschaft“ kennt, in der
es den Antagonismus zwischen Produktionskräften und Produktions­
verhältnissen nicht gab. Erst danach erfolgte der eigentliche „Sün-
denfall“ durch die Einführung des Privateigentums3.
Diese Hinweise können verdeutlichen, daß die Annahme eines
andersgearteten Anfangs der Geschichte kein Mythos ist, sondern
eine dem Menschen innewohnende Grundüberzeugung. Deshalb
auch ist K. Jaspers’ Satz beherzigenswert, der besagt: Es sei Aus­
druck einer „falschen Romantik“ , wenn man in „der Vorgeschichte
nur einen Abfall“ sehe, und es sei genauso falsch, in der „Vorge­
schichte [der Menschheit] nur Plattheiten“ zu sehen. Das ist nach
ihm dann der Fall, wenn man die menschliche Vorgeschichte nur
nach „Analogie der Naturgeschichte“ versteht und deutet4.
Für eine tiefer dringende christliche Theologie ist das von der Wissenschaft
her eine „Ermutigung“ , sich über diese „Vorgeschichte“ doch auch theologische
Gedanken zu machen. Die Theologie ist dazu auch gehalten im Hinblick auf
radikal anders lautende Antworten einer modernen Philosophie, die aus einem

1 J.-J. R o u s s e a u , S c h r ifte r n zu r K u ltu r k ritik , 1Off., 26ff.; 64; 126; vgl. z u m F o l g e n d e n


L. S ch e f fc z y k , E in f ü h r u n g in die S c h ö p f u n g s l e h r e , 132-135.
2 J. G. H erd er, I d e e n zu r P h i l o s o p h i e d er G e s c h ic h te der M e n sc h h e it: S ä m t l i c h e W er ke
(h rsg. v. B. S u p h a n ) , X III 4 1 9 f f .
3 Vgl. d azu J. B ivort de la S au d e e - Joh. H ü t te n b ü g e l, G o tt - M e n s c h - U n iv e r su m ,
146ff.
4 K. Ja sp er s, Vom U r sp r u n g und Ziel d er G e s c h ic h te , 52f.
g e s c h ic h tsp h ilo s o p h isc h e n P e ss im ism u s k o m m e n u nd ihn noch verstärk en. So
hat der frühe Schelling das Auftreten des Menschen als Herausfallen aus dem
Absoluten und die Menschenschöpfung damit als Tragödie interpretiert. Von
anderen Voraussetzungen herkommend, hat S. Freud das Eintreten des Menschen
in die Welt als einen Schock für diesen selbst erklärt, von dem sich die M ensch­
heit nie erholen könne. In ähnlichem Sinne betrachtet Th. W. Adorno den Eintritt
des Menschen in die Geschichte als eine Katastrophe, deren Wirkungen das G a n ­
ze so negativ bestimmen, daß nach ihm behauptet werden muß (im Gegensatz zu
Hegel): „Das Ganze ist die Unwahrheit“5. An all diesen Antworten ist zu erken­
nen, wie wichtig die Unterscheidung von Menschenschöpfung und Sündenfall
ist, weil anders die Sünde zu einem Wesensbestand der menschlichen Natur
wird, der auch durch eine nachfolgende Erlösung nicht mehr geändert werden
könnte.

Die Theologie ist zur Erhebung der Frage nach dem Anfang umso
m ehr legitimiert, als sie sich auf Aussagen über diesen Anfang in den
Heiligen Schriften berufen kann, Aussagen freilich, die nach den
R egeln der Hermeneutik auf ihren Gehalt hin geprüft werden müs­
sen.
2) Die exegetische Problematik bezüglich der jahwistischen
Geschichte vom Paradies
Die Theologie hat bei ihrer Befassung mit der „Paradieses­
geschichte“ oder der „Geschichte vom Garten“ wiederum den Ein­
wand zu gewärtigen, daß es sich hier um einen Mythos handele, so
daß das Urteil berechtigt sei: „Das Paradies ist nun ebensowenig eine
Realität wie der sündenlose Mensch. Die zentrale Wirklichkeit ... ist
die menschliche Sündhaftigkeit“6. Demnach will der Paradies- und
Sündenfallbericht unter weitgehender Verwendung mythologischen
M aterials nur den faktischen Zustand der Welt beschreiben. Unter
Abstreifung des mythologischen Gewandes kann man ihn heute nur
als Angabe über das menschliche Existential der Sündenverfallenheit
sehen.
A usführlicher und mit exegetischer A kribie versucht CI.
Westermann diesen Standpunkt zu begründen, um zu dem Schluß zu
kommen (bereits unter Einbeziehung der Sündenfallgeschichte
Gen 3,1-24): „Dieser ganzheitliche Charakter der Erzählung ist ver­
kannt, wo sie im Sinn eines Nacheinander historischer oder quasihi­

5 Vgl. G. R o h r m o se r, Das E le n d der k r i ti s c h e n T h e o rie , 23.


6 So F. D ex ing er, A l t t e s t a m e n t l i c h e Ü b e r l e g u n g e n z u m „ E r b s ü n d e “ -P r o b le m , 104.
storischer Zustände gedeutet wird“7. Hierzu beruft er sich auf die
noch vergröberte Auffassung von H. Haag: „Die gegenwärtige Auf­
fassung der katholischen und evangelischen Dogmatik, nach denen
der Urständ eine zeitliche Phase am Anfang der M enschheits­
geschichte war ... entsprechen nicht der Bibel. Sie kennt keinen ‘vor-
sündlichen’ Menschen und somit auch keinen Urständ“8.
Andererseits ist diese Auffassung nicht die einzig mögliche. So
erklärt sich G. v. Rad mit der schlichten Einreihung der
Paradiesesgeschichte unter das Genus des Mythos nicht einverstan­
den und gibt zu bedenken: „Der Jahwist, der in der Zeit der
Salomonischen Aufklärung oder kurz danach schrieb, in einer Zeit,
in der so viele sakrale Überlieferungen in eine Krise geraten waren,
war der letzte, der einen Mythos in archaischer Gläubigkeit weiter­
gegeben hätte“9.
Auch die Einreihung dieses Berichtes durch die Exegese unter die „Ätiolo­
gien “ 10 enthebt den Theologen nicht der Frage nach dem Realgehalt dieses
Berichtes und seinem Verhältnis zur Geschichte. Die „Ätiologie“ ist eine Er­
klärung menschlicher Gegebenheiten und Grundbefindlichkeiten durch Rück­
verweis auf einen Ur- oder Anfangszustand. Diese Erklärung muß nicht immer in
einem ereignishaften, historischen Geschehen verwurzelt sein. So ist z.B. bei der
ätiologischen Zurückführung des den Menschen rätselhaften Dranges der G e­
schlechter zueinander auf die Verbindung von „Adam“ und „Eva“ (Gen 2,24) in
der Urzeit nicht anzunehmen, daß diese gegenwärtige Grundbefindlichkeit des
Menschen den Rekurs auf ein urzeitliches G esch ehe n notwendig hat und aus ihm
wirklich erklärt wird. Hier ist die Ätiologie offenbar geschichtlich irrelevant.
Es ist aber die Frage, ob man das vom „Paradies-“ und Sündenfallbericht
auch annehmen kann. Die Erzählung besitzt nämlich im Rahmen des jahwisti-
schen Geschichtskonzeptes einen hochtheologischen Charakter. Sie will den Weg
von der geordneten, heilen Menschenschöpfung des Anfangs in die nachfolgen­
de Situation des durch den Menschen verursachten Unheils aufzeigen. Die
Theologie des Jahwisten bietet hier „eine Theodizee universalen Ausmaßes“ ".
Wollte man die Erzählung als anschauliches Kontrastmittel zur Vergegenwärti­
gung der Misere der Gegenwart werten und ihr keinerlei geschichtlichen Real­
gehalt zubilligen, dann wäre die Theodizee eliminiert. Dann wäre nämlich die
Folgerung nicht abzuwehren, daß es eine g ute S chö p fu n g nie gegeben habe und
das Böse zur göttlichen Schöpfung gehört - die Option der existentialistischen
Theologie. Sie lag dem Jahwisten genauso fern wie jeder an der guten Schöpfung
festhaltenden Theologie.

7 CI. Westermann, Genesis 1/1, 376.


8 H. Haag, Der „Urständ“ nach dem Zeugnis der Bibel, 400.
9 G. v. Rad, Das erste Buch Mose, 79.
10 Vgl. F. Dexinger, a.a.O., 115.
11 So J. Hempel nach G. v. Rad, Genesis, Göttingen 1958, 81.
Dem entsprechen auch Stellungnahmen von Exegeten, die den
Realgehalt der Geschichte vom Garten anerkennen und darunter den
theologischen Tatbestand fassen, „daß Gott und Mensch noch nicht
getrennt sind“ 12 oder daß hier die „ungetrübte Harmonie des Men­
schen im Bereich des Geschaffenen zu Gott hin“13 als Zustand ge­
meint ist. Man mag diesen Zustand nur als „momentane Daseins­
situation“ 14 verstehen, man mag seine Dauer auch nur „auf die Spitze
eines Augenblicks“15 begrenzen, er hat als realer Festpunkt des heils­
haften und nicht sündigen Ursprungs des Menschen seine theologi­
sche Bedeutung. Der systematische Theologe hat deshalb auch im
Hinblick auf den exegetischen Befund Grund zu der Feststellung:
„Der Lehre der Schrift und der Kirche wird nicht Genüge getan,
wenn man den Urständ rein aktual-symbolisch als eine Aussage über
die Situation des Menschen überhaupt versteht. Es handelt sich viel­
mehr um einen einmaligen Vorgang am zeitlichen Anfang der
M enschheitsgeschichte“ 16.
Damit ist allerdings das heute als besonders gravierend empfun­
dene Problem der „Urzustandsgaben“ oder „-gnaden“ noch nicht
geklärt17. Als reale Ausprägungen der ungebrochenen Gottesfreund­
schaft in der Existenz des Menschen haben aber auch diese Gaben,
recht gedeutet, ihren existentiellen Sinn.
3) Die Bestimmung des Geschichtscharakters der
Paradiesesgeschichte
Die exegetisch-hermeneutische Problematik bezüglich der Para­
diesesgeschichte (Gen 2 und 3) zieht sich letztlich auf die Frage zu­
sammen, inwieweit diese Erzählung als geschichtlich oder historisch
anerkannt werden kann. Die Bibelkommission nannte in dem be­
kannten Schreiben an den Erzbischof von Paris vom 16. Januar 1948
den richtungweisenden Grundsatz, daß man die Historizität der elf
ersten Kapitel der Genesis „als ganze weder verneinen noch bejahen“

12 So CI. W e s te rm a n n , S c h ö p f u n g , 115; der s., G e n e s i s I, 2 84 -38 0 .


13 H. G ro ß , M y s t e r i u m sa lutis I, 433.
14 So K. R a h n er: P. O v e r h a g e - K. Rahn er, Das P ro b le m d er H o m i n i s a t i o n , 86.
15 So M. S ch m au s , Das P arad ies, 30.
16 So W. S eib el, M y s t e r i u m S alu tis II, 839; M. S c h m a u s , D er G la u b e d er Kirche III,
286ff.; J. Auer, K K D III, 4 4 8 ff.
17 Vgl. dazu H. H aag , B ib lis c h e S c h ö p f u n g s l e h r e und k i r c h lic h e E r b s ü n d e n l e h re , 49ff.
könne (DH 3864). Dem wird hinzugefügt (unter sichtlicher Neigung
zur Bejahung einer gewissen „Historizität“), daß man in diesen
Kapiteln „nicht Geschichte im klassischen oder modernen Sinne zu
sehen“ habe.
Aufgrund des exegetischen Befunds darf man als gesichert ansehen, daß
bezüglich der Schilderung des Gartens (der wasserreichen Landschaft, von aller­
lei Bäumen und Früchten, vom „Baum des Lebens“ und vom „Baum der
Erkenntnis“), also in allen materiellen Belangen des irdischen Paradieses (das
der Hagiograph im Gegensatz zu der ähnlichen Schilderung des „Gottesberges“
Ez 28,13-17 radikal terrestrisch faßt und auf die Erde verlegt) eine bildhaft-sym­
bolische Darstellung einer ideal gedachten Welt vorlegt, die als solche nicht als
der eigentlich gemeinte Aussageinhalt angesehen werden kann.
Die Zeichnung dieser materiellen Welt ist vielmehr als Darstellungsmittel
für das eigentlich Gemeinte zu verstehen, das in dem das Ganze durchziehenden
Gedanken gelegen ist: Der ersterschaffene Mensch (oder die humanitas ori-
ginans) war von der Sünde frei.
In diesem Sinne sind die äußere Beschreibung des Paradieses und die detail­
lierte Darstellung des Naturzustandes in ihm keine historische Tatsachenfest­
stellung. Das theologische Prinzip, das diese Beurteilung stützt, ist in der
Tatsache begründet, daß es sich bei den dargestellten Details um äußerliche
Gegebenheiten und Umstände handelt, die wesentlich nicht mit dem Heil des
Menschen verbunden sind und deshalb auch nicht zur Heilsgeschichte gehören.
Anders ist über den Kerngehalt der Erzählung zu urteilen, wel­
cher die Kennzeichnung eines Zustands des Menschen vor der Sünde
und ohne Sünde zum Inhalt hat. Er ist durch ein besonderes
Gottesverhältnis gekennzeichnet, das einerseits durch ein Gebot (und
Verbot) Gottes bestimmt ist (Gen 2,15-17), andererseits eine beson­
dere Nähe zu Gott in sich schließt. „Daß es ein ‘Wonneland’ (Eden),
ein reiches, schönes Land ist, entspricht dem, daß Gott und Mensch
noch nicht getrennt sind“ 18. Dieser Zustand muß nach der Erzählung,
die in den großen Geschichtsrahmen eingefügt ist, genauso wie die
Erschaffung des Menschen als eine in der Geschichte existente
Realität angesehen und im Menschen als in der Zeit des Anfangs vor­
handene Verfassung anerkannt werden. Ihm muß die Qualifikation
des real Geschichtlichen bzw. des Heilsgeschichtlichen zugespro­
chen werden. Letztere Kennzeichnung besagt näherhin, daß es sich
nicht um einen mit den Mitteln der historischen (oder einer anderen
Wissenschaft) festzustellenden Sachverhalt handelt, sondern um ein
nur im Offenbarungsglauben zu erreichendes Phänomen. Aber dieser
Glaube oder der gläubige Mensch dürfen nicht, wie seit der Auf­
klärung oft geschehen, als Produzenten dieser Geschichte verstanden
werden, sondern als Empfänger der geschichtlichen Wahrheit, sei es
in einer durch die Zeiten hindurchgehenden Erinnerung, sei es auf­
grund einer neuen Offenbarung an die Verfasser dieser Erzählung im
Volk Israel.
D er so bestimmte heilsgeschichtliche Charakter des „Anfangs“ ist für ein
heilsrealistisches Konzept der Theologie wesentlich. Er entspricht zu n äch st dem
heilsrealistischen Verständnis der Schöpfung. Wie diese einen Anfang in der Zeit
(bzw. mit der Zeit) haben muß, damit der Gedanke einer ewig in sich schwin­
genden Welt ausgeschlossen bleibt, wie ferner auch die Erschaffung des
Menschen ein Ereignis des Anfangs in der Zeit war, so muß auch die Begnadung
des Menschen einen Anfang in der Zeit genommen haben. Ohne einen Beginn in
der Zeit könnte weder der G edanke einer M enschheits- noch einer
Heilsgeschichte konzipiert werden (die in besonderer Weise an einem ereignis­
haften Gnadengeschehen hängt).
Umgekehrt läßt sich von dem Gegensatz her erkennen: Wenn (im Sinne der
Behauptung von der N ichtexistenz eines sündenlosen bzw. gnadenhaften
Anfangs) die biblische Erzählung von Gen 2-3 (unter Einschluß des Sündenfalls)
im ganzen nur als Symbol für das wahre Wesen des Menschen und die
Entfremdung von ihm (P. T il li c h 19) verstanden wird oder als das alle Menschen
umgreifende Sündersein (E. B ru n n e r20) oder als Existenzaussage über das Dasein
des Menschen in einer sündigen Welt (R. Bultm ann2'), dann könnte auch die
Erlösung durch Christus folgerichtig nicht anders denn als Symbol oder als
Existenzaussage verstanden werden. Dann ist auch die Erlösungstat Christi als
solche kein in die Zeit und in die Geschichte eingreifendes Ereignis, sondern ein
Existenzanruf, der die Geschichte nicht tangiert, sondern nur in der von der
Geschichte abgeschlossenen Z elle des gläubigen Gemüts vor sich geht. Unter
dieser Voraussetzung ist R. Bultmann als einzigem Folgerichtigkeit zu beschei­
nigen, wenn er die Konzeption einer Heilsgeschichte im ganzen verwirft22.
Jedenfalls müßte folgerichtig eine rein symbolische oder existentiale Auffassung
des Urstandsberichtes zu einer ebensolchen Auffassung von der Erlösung und
von der Vollendung führen, auch wenn diese Folgerung in glücklicher Inkonse­
quenz nicht immer gezogen wird.
Was aber die sym bolische, prototypische oder existentiale
Deutung der Paradiesesgeschichte angeht, so ist sie nach biblischem
Denken nicht einfach ausgeschlossen und durch die heilsgeschichtli­
che Erklärung nicht eliminiert; denn selbstverständlich behält diese
Erzählung eine Bedeutung für die ganze Menschheit wie für die

19 P. T illich, S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 46ff.


20 E. Bru nn er, D o g m a t i k II, 1 16f.
21 R. B u l t m a n n , G la u b e n un d V ersteh en II, 74.
22 O. C u l l m a n n , Heil als G e s c h ic h te , 3ff.
Verfaßtheit des Einzelmenschen und sein Verhältnis zu Gott. Die
heilsgeschichtliche Deutung kann deshalb die symbolische Interpre­
tation durchaus bei sich haben, was umgekehrt einer rein symboli­
schen Deutung nicht möglich ist.

II. Der theologische Sinn der Urstandslehre


1) Wege und Umwege der Tradition
Es ist verständlich, daß in der christlichen Frühzeit die real-histo­
rische Auffassung vom Paradies die vorherrschende ist, in deren
Darstellung gewiß auch manche aus den Apokryphen stammende
Elemente einflossen. Aber wichtiger als dieser fast selbstverständli­
che Befund ist die Tatsache, daß von früh an der gnadenhaft-über-
natürliche Heilsstand der Stammeltern als der Wesensgehalt des
Paradieses angesehen wird. So weist Justin (+ um 165) darauf hin,
daß die ersten Menschen „zur Gottähnlichkeit, zur Freiheit von
Leiden und Tod“ erschaffen wurden23, welcher Vorzüge sie „durch
den Betrug der Schlange“24 verlustig gingen. Theophilus von
Antiochien (+ um 186) faßt das Paradies realistisch als den „besse­
ren und hervorragenderen Ort“, in dem Tierfrieden, Schmerzlosigkeit
und das Leben ohne mühsame Arbeit herrschte. Aber das eigentliche
Gut ist die (nicht auf das Leiblich-Biologische begrenzte) „Unsterb­
lichkeit“ , der „Anfang des ewigen Lebens“, wie nach ihm der „Won­
negarten“ zielhaft auf das „zweite Paradies“ der Endzeit hin entwor­
fen war25. Für Irenäus v. Lyon (+ um 202), der den Terminus
„Paradies“ wenig gebraucht, sondern lieber vom „pristinus charac-
ter“ des Menschen spricht, war der Urständ ein solcher „kindlicher
Unschuld“, der bei Beobachtung des göttlichen Gebotes zur Un­
sterblichkeit geführt hätte. Nachdrücklicher als die äußere Ausstat­
tung betont er die Verbundenheit des vorsündlichen Menschen mit
dem Logos und seine Ausstattung mit dem „Gewand der Heiligkeit“ ,
das er vom Geist empfangen hatte und mit der Sünde verlor. Dabei
finden sich bei Irenäus schon Ansätze zur Unterscheidung von Natur

23 Dial., 124; vgl. zu m F o l g e n d e n L. S ch e f fc z y k , U rstän d , Fall u n d E rb s ü n d e . Von d er


Sch rift bis A u g u s ti n u s , 48-84.
24 E bd a., 88.
25 Ad A utol. II, 27.
und Übernatur26. Dies bestätigt die bei ihm auftretende, später so
einflußreich gew ordene U nterscheidung zw ischen natürlicher (ima-
go, eikon) und gnadenhafter G ottebenbildlichkeit (sim ilitu d o ,
homoiosis).
E ine N eu eru n g b rach te in den E n tw ic k lu n g s g a n g Tertullian (+ nach 220)
hinein, w enn er zu r K en n z e ic h n u n g des p a ra d ie sisc h e n Standes den später zu
g ro ß e r B e d e u tu n g g e la n g e n d e n B e g riff der „integritas“ anbietet. Er spricht von
der „integritas im aginis et sim ilitudinis“ , zu der vor allem die Todesfreiheit der
paradiesischen Menschen zählte. So zeichnet sich bei ihm deutlich der Weg zur
Entfaltung einer Lehre von den Prärogativen des paradiesischen Standes ab. Aber
deshalb geht dieser Sicht das innerliche gnadenhafte Moment nicht verloren, das
er einmal unter dem „Kleidmotiv“ zum Ausdruck bringt („indumentum Spiritu
Sancti“ ), zum anderen als „familiaritas“ mit Gott versteht, wofür der Satz
spricht: „Er [Adam] war voll Unschuld, Gott und dem Nächsten Freund und ein
Bewohner des Paradieses“27.
Dagegen bricht sich bei den Alexandrinern eine mehr moralisierende Sicht
des Urstandes Bahn. So versucht Klemens von Alexandrien (+ vor 21 5), mit den
Mitteln der allegorischen Exegese die sittlich gute Ausstattung des Menschen
und seine Ausrichtung auf den Logos und die höhere Gottähnlichkeit aufzuwei­
sen28. Einen Schritt weiter geht Origenes (+ um 254), wenn er unter dem Einfluß
seiner Präexistenzlehre 29 und platonischen Denkens den Urständ spiritualisiert
(dabei verlegt er das Paradies in den „dritten H im m el“) und ihn als ungetrübte
Einheit der Seele in der Erkenntnis Gottes beschreibt. Wo er die realgeschichtli­
che Deutung heranzieht, liegt der Nachdruck auf der Gottähnlichkeit des
M enschen30.
Dagegen folgen die kappadokischen Väter wieder der realistischen Deutung,
so daß Basilius d. Gr. (+ 379) von einem „Paradies der Wonne“ , in dem die Erde
noch vom Fluche frei war31, spricht, Gregor v. Nazianz (+ um 390) die geistige
Wirklichkeit des „unsterblichen“ und „himmlischen Lebens “ 32 hervorhebt und
Gregor v. Nyssa (+ 394), obgleich er sich Origenes wieder annähert, doch an
einem Realzustand festhält, den er mit dem verklärten Zustand nach der
Auferstehung gleichsetzt33.
Die abendländische Gedankenentwicklung faßt Augustinus zu­
sammen. Daß sie eine durchaus differenzierte und vielschichtige
war, läßt sich dem Wort des Ambrosius (+ 397) entnehmen: „Wenn
wir auf das Paradies zu sprechen kommen, dann scheint uns eine

26 Adv. Haer. III, 35,1.


27 De p u dic., 9,11; De p a tie n t., 5.
28 Protr. XI, 111; vgl. zum F o l g e n d e n M. H a u k e , H e i l s v e rl u s t in A dam , 45 0 -5 8 5 .
29 De pr inc. I, 7,4.
30 In Gen. Horn. I, 13.
31 Hex., 5,5.
32 C arm . II, 1,13.
33 Op. h o m ., 17.
nicht geringe Verlegenheit zu begegnen, wenn wir erforschen und
erklären wollen, was denn das Paradies sei, wo es sich befinde und
von welcher Art es sich darstellt34. Dabei plädiert Ambrosius selbst
für den Ort des Paradieses im „dritten Himmel“ . Er vermerkt die gei­
stig-innerliche Auszeichnung dieses Zustandes, in dem auf der Seele
des Menschen „der Abglanz der Herrlichkeit und das Bild der
Wesenheit des Vaters strahlt[e]“, wobei äußere physische Vorzüge
des Urstands zurücktreten35. Für Augustinus leistet die relativ aus­
führlich entwickelte Urstandslehre die Grundlegung seiner gesamten
Gnadentheologie. Für seine gegenüber der Tradition synthetisierende
Leistung ist der Umstand charakteristisch, daß er die geistige
Erklärungsweise der Alexandriner nicht ablehnt, sie aber nur inso­
weit anerkennt, „wenn man nur auch an die geschichtliche Wahrheit
glaubt, wie sie durch die getreue Schilderung der Geschehnisse nahe­
gelegt wird“36.
So bleibt die Realität dieses Zustands mit seinen naturhaften
Vorzügen (z.B. der Konkupiszenzfreiheit) erhalten. Aber er ist nicht
ins Unnatürliche übertrieben, was sich besonders an der Erklärung
der Unsterblichkeit des paradiesischen Menschen zeigt. Diese be­
stand nicht in einem absoluten „non posse mori“, sondern nur in
einem „posse non mori“, so daß Adam ohne den Fall die „vivendi sta-
bilitas“ und die Freiheit von Leid und Not erhalten geblieben wäre.
Die wesentliche Qualifikation dieses Standes und Adams selbst
bestand in der Gottinnigkeit seines Daseins, die der Kirchenvater
gelegentlich auch als „Gottschau“ bezeichnen kann37. Sie ist mit der
Gottebenbildlichkeit des paradiesischen Menschen verbunden, die in
der Teilhabe an Gottes Heiligkeit und Gerechtigkeit besteht38.
In augustinischer Prägung übernahm die Scholastik die Paradieses Vorstel­
lung, auch wenn gelegentlich eine Deutung im übertragenen Sinn auf die irdi­
sche oder die himmlische Kirche geboten wird39. Vorherrschend ist die realge­
schichtliche Auffassung des Ortes und des sich in ihm abspielenden Geschehens,

34 De paradiso I, 1.
35 Hexaem. VI, 7,42.
36 De civ. Dei XIII, 21.
37 Enarr. in ps. 70,2,7.
38 De gen. ad litt. VI, 27.
39 L. Scheffczyk, Paradies: LMA VI, 1697f.
das als die „veritas rerum gestarum “ 40 ernstgenommen wird. So wird auch die
traditionelle Auffassung von einem Weiterbestehen des Paradieses vertreten, in
das Henoch und Elias, aber auch der Leib Marias aufgenommen sein sollen.
Darum behielt auch die Frage nach seiner Lokalisierung Aktualität („im Osten“ ;
„in der Höhe“ ; „am Ä quator“ oder in der Nähe der Mondsphäre). Freilich ist es
dem Menschen nach dem Sündenfall entrückt.
Der realistische geographische Ansatz zwang zur Annahme entsprechender
Details bezüglich der menschlichen Lebensbedingungen (Ehe), des Pflanzen­
wuchses und des Klimas, die, dem schuldlosen, mit den Integritätsgaben ausge­
statteten Menschen entsprechend, höher qualifiziert wurden, aber doch nicht
eine wesentlich andere Naturordnung erforderten. So hätten nach Thomas im
Paradies auch die Raubtiere vom Fleisch ihrer Beute gelebt41. Allerdings stehen
alle diese Erwägungen nur im Vorfeld der Wesensbestimmung des Paradieses mit
Bezug auf den Menschen, der in der iustitia originalis (von Anselm nur als rech­
te Willensausrichtung auf Gott gefaßt, von Thomas mit der übernatürlichen, h ei­
ligmachenden Gnade verbunden) lebte. Bei allem naturalistischem Realismus
des „locus deliciarum et amoenitatis“ war doch das Wesen des Urstandes als hei­
ler, gnadenhafter Anfang des Menschen gedacht.
2) Die Lehrbestimmung der Kirche
Es ist bezeichnend, daß die Lehre der Kirche aus dieser Fülle der
theologischen Erwägungen und Spekulationen über den paradiesi­
schen Urzustand unter Absehen von allem naturgeschichtlichen
Detail nur zwei Gedankenkomplexe als glaubensverbindlich erklärt
hat und dies noch unter Differenzierung des Gewißheitsgrades: näm­
lich die Erhebung des Menschen durch das Geschenk der heiligma­
chenden Gnade in den Stand der Heiligkeit und Gottesfreundschaft
und seine Ausstattung mit bestimmten außernatürlichen (präternatu-
ralen) Gaben, die den Menschen von gewissen geschöpflichen Be­
schränkungen befreiten, um die Gottesfreundschaft ungebrochen und
ungehindert leben zu können.
Die Lehre von der übernatürlichen Begnadung der Stammeltern
erfuhr die erste kirchliche Bestimmung auf der Zweiten Synode von
Orange (vom Jahre 529), wo in Auseinandersetzung mit den das
Wesen der Gnade verkennenden Pelagianern von der Unversehrtheit
(integritas) die Rede ist, in der die menschliche Natur geschaffen
wurde. Diese Natur wird aber nicht „ohne die Gnade G o tte s “ und
„das H e i l “ gedacht (gratia; salus: DH 389). Das vom Tridentinum
eigens verfaßte „Dekret über die Ursünde“ verkündete gegen refor-

40 T h o m a s , S.th. q. 102 a. 1.
41 S.th. I q.9 6 a. 1 ad 2.
matorische Unklarheiten als katholische Glaubenslehre, daß Adam
nach seiner Übertretung des Gebotes Gottes „sogleich die Heiligkeit
und Gerechtigkeit (sanctitas et iustitia), in die er eingesetzt worden
war, verloren“ habe (DH 151 lf.). Obwohl die „Heiligkeit und
Gerechtigkeit“ (auch unter dem Terminus „innocentia“ eingeführt:
DH 1521) nur unter den Voraussetzungen des Adamsfalles erwähnt
wird und so nicht das Zentrum der Definition bildet, kann ihr der
Charakter einer sententia de fid e nicht abgesprochen werden. Sie
wird durch ein beachtliches Moment ergänzt, insofern Adam diese
Gnadenausstattung „ auch f ü r uns verloren “ habe (DH 1512). So war
diese Gnadenausstattung für die ganze Menschheit gedacht.
In der neueren Zeit hat die Kirche gegenüber dem mißverstan­
denen Augustinismus der Jansenisten den spezifischen Gnaden­
charakter der Erhebung des Menschen durch Gott eigens hervorge­
hoben und als dem M enschen ungeschuldet gekennzeichnet
(DH 1926), so daß Gott den Menschen auch ohne die Gnade hätte
erschaffen können (DH 1955). Dies waren Erklärungen, die das
damals schon problematisierte Verhältnis zwischen Natur und Gnade
auf grundsätzliche Befunde zurückführten.
Der Aufweis für das Enthaltensein dieses Dogmas in der Heiligen
Schrift kann nicht in der Weise der Heranziehung formeller und
distinkter Einzelaussagen geführt werden. Die Paradieseserzählung
selbst (Gen 2-3) kann nur im weiteren Sinne für diesen Erweis her­
angezogen werden, da ihr die Unterscheidung von Natur und Gnade
fehlt. Das Dogma von der Gnadenhaftigkeit des Urstandes darf aber
aus dem Zusammenhang und der Abfolge der Heilsökonom ie
erschlossen werden, näherhin aus der Antiparallele zwischen Adam
und Christus. In ihr tritt Christus als der „neue Adam“ (Röm 5,15;
1 Kor 15,45), als der W iederhersteller des alten Adam auf. Er voll­
brachte die W iederherstellung der Menschheit in einer instauratio
oder anakephalaiosis (Eph 1,10; 5,23). Christus aber brachte der
Menschheit die Rechtfertigung und die Gnade (Röm 3,18-21), er ver­
mittelte ihr den Geist der Kindschaft Gottes (vgl. Röm 8 ,O ff.) und
die Erbschaft des Himmels (vgl. Gal 4,4; Joh 1,12), woraus sich
ergibt, daß Adam diese Güter zu eigen hatte.
Der theologische Sinn dieser Ausstattung Adams darf darin erkannt werden,
daß Gott den Menschen von Anfang an in das irdisch höchstmögliche Einheits-
Verhältnis einb ez o g, ihm z u g leich mit der G ab e des L eben s, w elche als solche
auch schon u n g e sc h u ld e t war, die no ch h ö h ere G n a d e der T eiln ahm e an Gottes
F re u n d s c h a ft und an sein em in n e rg ö ttlic h e n L eb en antrug. D am it war bereits in
der E rsch affu n g des M e n s c h e n seine B eru fu n g zur ü b e rn a tü rlic h e n G na de und zu
ih rer V ollendung in der v isio beata angele gt. G o tt selb st en thü llt sich k raft der
urstä n d lic h e n B e g n ad u n g als der sich dem M e n s c h e n g änzlich H in g e b e n d e und
ihn u n g e sc h u ld e t mit seinem in n erg ö ttlic h e n R e ic h tu m B e s ch en k e n d e. D er
M en sch selb st w ird im L ich te d ieser W ah rhe it in der G rö ße sein er göttlich en
B estim m u n g und B e ru fu n g erken nb ar, die ihn zu ein em für G o tt b e stim m ten
go ttä h n lic h e n Wesen erhebt.

Merkwürdigerweise fällt es dem gläubigen Denken schwerer, das


Festhalten der kirchlichen Lehrverkündigung an den präternaturalen
Gaben des Urstandes zu verstehen. Das liegt zunächst daran, daß
diese Gaben in der traditionellen Theologie und Frömmigkeit wegen
ihres sinnenfälligen Charakters die Aufmerksamkeit in beherrschen­
der Weise auf sich zogen und so den theologischen Sinngehalt der
Urstandslehre nach der Seite eines grobsinnlichen Empirismus ver­
schoben. Es ist aber zu sehen, daß die diesbezüglichen Lehrbestim-
mungen der Kirche diese Vereinseitigung nicht kennen, insofern sie
nur auf die geist-leibliche W irklichkeit des Menschen begrenzte Aus­
sagen grundsätzlichen Charakters machen, die sich zudem jeder
phantasievollen Interpretation enthalten.
Zudem ist bei der Beurteilung auch mit zu veranschlagen, daß der
diesen Erklärungen beigegebene Sicherheitsgrad ein geringerer ist
als der mit der Gnadenausstattung verbundene. So hat die Kirche im
Zusam m enhang mit den schon genannten Bestim m ungen des
Gnadenstandes der ersterschaffenen Menschen in der erwähnten syn­
odalen und konziliaren Stellungnahme unter den Integritätsgaben
(Freiheit von der Begierlichkeit und von der Todesnotwendigkeit,
vom Leiden und von unangemessener Unwissenheit) den Nachdruck
auf das spezifische donum integritatis, die Freiheit von der bösen
Begierlichkeit, gelegt. Die Theologie konnte sich bezüglich dieser
präternaturalen Gabe auf die unbefangene Einstellung zur Leiblich­
keit und ihrem Wandel nach der Sünde beziehen (Gen 2,25 und 3,7),
leistete aber so einer Einschränkung der Begierlichkeit auf die
W iderständigkeit des Leiblichen gegenüber dem Geistigen Vorschub,
woraus sich bei einigen Kirchenvätern die Annahme erklärt, daß die
Ehe erst nach dem Sündenfall eingeführt wurde. Tiefer begründet
war der paulinische Ansatz, weil hier die „Begierden des Herzens“
und die „Unlauterkeit“ (Röm 1,24) nicht als im Leib oder in der
Sinnlichkeit angelegt erkannt waren, sondern im Geist wirkten, der
in der Selbstsucht den Menschen zum Widerspruch gegen Gott und
seine Ordnung treibt (vgl. Röm 7,7; 1 Kor 10,6). Von dieser
W iderständigkeit war der paradiesische Mensch frei, so daß er in der
ungebrochenen Einheit des Geistes mit dem göttlichen Willen auch
den gegen den Geist gerichteten Strebungen der menschlichen Natur
nicht unterworfen war. Es war der Zustand eines harmonischen
Selbstbesitzes im lauteren Streben nach dem Guten und im Besitz der
Tugenden42.
Die Kirche hat die Tatsache der Konkupiszenzfreiheit, ohne ihren
Sinn genauer zu bestimmen43, als Glaubenswahrheit auf dem zweiten
Arausicanum unter dem Begriff der „integritas“ d er menschlichen
Natur, „in qua est condita“, gelehrt (DH 389) und mit der unge­
schmälerten W illensfreiheit verbunden (DH 383). Das Tridentinum
betonte die Einheit dieses donum mit der übernatürlichen, heiligm a­
chenden Gnade und faßte diese unter dem Doppelbegriff „sanctitas et
iu stitia“ (der thom asischen Auffassung folgend) zusammen
(DH 1511).
Dasselbe Konzil erwähnte im gleichen Zusammenhang auch das
donum immortalitatis, die „U nsterblichkeit“ des paradiesischen
Menschen, wofür in der Tradition als Begründung der Fluch über
Adam nach dem Fall (Gen 3,19), die Aussage des Buches der
Weisheit über die Erschaffung in Unverweslichkeit (Weish 2,23f.)
und das Wort des Paulus über den Tod als der Sünde Sold (Röm 6,23;
vgl. auch Röm 5,12) herangezogen wurden.
Wenn auch die Aussagen über den Tod in der Paradiesesgeschichte im
Hinblick auf die Todesandrohung im Fall der Sünde (Gen 2,17) und auf die nach
der Sünde erfolgenden Strafworte (Gen 3,19) stark auf den leiblichen Tod aus­
gerichtet sind und so im U m kehrschluß zur A nnahm e einer leiblichen
Unsterblichkeit vor der Sünde führen könnten, so wäre diese Ableitung doch ein­
seitig. Sie hätte auch die Aussage Gen 2,7 gegen sich, wo das Hinfällige und
Endliche des aus Erde geformten Menschen betont wird. Darum ist die Annahme

42 So S.th. I q.95 a.1-4.


43 E in e tiefere S i n n b e s t i m m u n g b ietet K. R a h n er, Z u m th e o l o g i s c h e n V erstän dn is der
K o n k u p isz en z: S c h r i ft e n I, 3 7 7 - 4 1 4 . H ier w ird die K o n k u p i s z e n z als W id e r s t ä n d i g k e i t der
u n t e r p e r s o n a l e n S c h i c h t e n g eg en d en W illen des G eistes ü b e r h a u p t v e r sta n d e n , die von
ihr em n a tu r a le n W esen her a u ch als W i d e r s t a n d g egen die E n ts c h e i d u n g zu m B ö s e n auf-
treten kann; vgl. M y s t e r i u m S alutis II, 834f.
berechtigt, daß der Jahwist hier die integrative Auffassung vom Leben wie vom
Sterben wiedergibt, die dem alttestamentlichen Denken auch sonst eignete. Es
verstand unter Leben die Gemeinschaft mit Gott, das sich daraus ergebende har­
monische Dasein und das Verbleiben im Andenken des Menschen, dagegen unter
Sterben den Verlust der Gottgemeinschaft, des guten Gewissens und der Würde
des eigenen Namens44.
Auch Paulus faßt den Tod, welcher „der Sünde Sold“ ist (Röm 6,23), nicht
ausschließlich als leibliches Sterben, sondern als Todesmacht, die ein „absolu­
tes“ heilloses Ende bedeutet. Von daher ist auch die Todesfreiheit oder die
Unsterblichkeit des paradiesischen Menschen nicht ausschließlich physisch-leib-
lich zu erklären. Auch wenn diese Auffassung in der Väterzeit stark entwickelt
war, so etwa bei Tertullian45, so erfährt sie schon bei Augustinus eine gewisse
Korrektur durch die Erklärung, daß Adam keinen himmlischen, sondern einen
seelischen (natürlichen) Leib (gemäß 1 Kor 15,44), der sterben konnte, besaß.
Aber er mußte es nicht, weil im Falle der Bewährung Adams der Tod durch eine
Gnadengabe Gottes von ihm ferngehalten worden wäre. Er besaß nur das „posse
non m ori“ , nicht das „non posse mori“46. Damit ist aber keineswegs eine natur­
hafte Unsterblichkeit Adams behauptet, aufgrund derer er im Paradies in natur-
hafter Weise ewig gelebt hätte.
In diesem Sinne ist auch die kirchliche als de fide einzustufende
Lehrverkündigung zu verstehen, welche auf der Synode von Kar­
thago (i.J. 418) diejenigen verurteilte, die behaupteten, „daß Adam,
der erste Mensch, sterblich geschaffen (worden ist), so daß er, m och­
te er sündigen oder nicht sündigen, im Leib gestorben wäre ... nicht
a u f G rund der Sünde, sondern aus Naturnotwendigkeit “ (DH 222).
Die Zweite Synode von Orange (i.J. 529) sprach nur vom „Tod des
Leibes, der die Strafe für die Sünde ist“ (DH 372). Das Tridentinum
wiederholte dies sinngemäß, wenn es feststellte, daß sich Adam
durch die Übertretung des Gebotes „den Zorn und die Ungnade
Gottes und deshalb den Tod zugezogen hat, den ihm Gott zuvor ange­
droht hatte“ (DH 1511). Will man das Moment des leiblichen Todes
mit dem Paradieseszustand in Verbindung bringen, dann darf man
das nicht von der Sünde bestimmte natürliche Ende des Menschen als
ein Sterben in der mit Gott erlebten Freundschaft verstehen, das vom
Schrecken des Sündentodes frei geblieben wäre.
Die heilshaft-anthropologische Ausrichtung der Integritätsgaben
bestimmt dann auch den Sinn der „Leidlosigkeit“ (donum impassibi-
litatis) und der „Gabe des Wissens“ (donum scientiae). Die diesbe­

44 L. S c h e f fc z y k , U r stä n d , Fall u nd E rb s ü n d e , 17f.


45 De an im a, 52.
46 D e gen. ad litt. VI, 25, 36.
zügliche Lehre galt der traditionellen Theologie als sententia com­
munis. Man darf darin den Ausdruck der aus der gnadenhaften
Gottverbundenheit des Menschen, aus seiner göttlichen Existenztiefe
kommenden relativen Überhobenheit über das Gefährdende und
Widerständige der äußeren Welt sehen. Dementsprechend darf auch
das „donum scientiae“ von allen in der Tradition vorkommenden
extensiven Details und Deduktionen befreit und als Wissensstand
gedeutet werden, welcher der Verbundenheit des Menschen mit Gott
und seiner Aufgabe zur Bewältigung der Natur entsprach. Darum
sind die präternaturalen Gaben des Urstandes in enger Verbindung
mit dem gnadenhaften Gottverhältnis des Menschen zu sehen. Sie
stellen dann gleichsam die Ausstrahlungen der Gottverbundenheit
des sündelosen Menschen auf sein Weltverhältnis und auf die natür­
lichen Bezüge seines Daseins dar. Unter diesem Aspekt betrachtet,
sind diese Gaben und damit das sog. „Paradies“ auch heute noch von
existentieller Bedeutung. Sie mahnen an die Wahrheit, daß die Gnade
den ganzen Menschen, auch den Leib, ergreift, was sich besonders
auch im Leben derer beweist, die sich gänzlich von der Gnade ergrei­
fen lassen, das ist im Leben der Heiligen und Märtyrer.

3) Theologische Urstandslehre und naturwissenschaftliche


Entwicklungslehre

Auch die hier von einer konsequent bis in die heilstheologischen


Zusammenhänge hinein interpretierten Entwicklungslehre erhobenen
Schwierigkeiten scheinen nicht unwiderlegbar. Wenn z.B. behauptet
wird, daß, evolutionstheoretisch gesehen, ein innerer Vollkommen­
heitszustand (der auch nach unserer Auffassung nicht identisch ist
mit einem Vollendungszustand) mit dem primitiven Daseinsstand der
frühen M enschheit nicht in Einklang gebracht werden kann, so ist
hier die unbeweisbare Voraussetzung gemacht, daß die Ordnung der
Gnade der Ordnung der Natur einfach entsprechen müsse. Eine sol­
che Forderung ist aber theologisch nicht zu begründen. Wenn man
aber weiter einwendet, daß der primitive Mensch des Anfangs gleich­
sam in einem kindlichen Stadium gelebt hätte, in dem er zwar
Vernunft und Willen besessen, aber beide Fähigkeiten noch nicht
hätte gebrauchen können, so kann man ja nicht ausschließen, daß
Gott (wie es die Schrift nahelegt und die Kirche definiert hat) auch
einem solchen „Kinde“ seine besondere Liebe zuwendet und ihm
Gnade verleiht47. In einem so konstruierten Fall wäre nur die Kon­
frontation mit dem göttlichen Gebot und die Erprobung durch die
Versuchung auf einen späteren Zeitpunkt der Reife zu verlegen. Aber
eine solche zeitliche Verschiebung würde den entscheidenden Punkt
der Wahrheit von einem ursprünglichen Freundschaftsverhältnis des
Menschen zu Gott und von dem heilen Beginn der Geschichte Gottes
mit den Menschen nicht berühren, daß der Mensch nämlich (vorgän­
gig zu seiner Erprobung und Versuchung) einmal sein besonderes
Gottesverhältnis und seine ungebrochene Offenheit für Gott erfahren
haben muß. Sonst wäre nicht erklärlich, wie es überhaupt zu einem
Bruch zwischen Gott und dem Menschen und zu einer Sünde im
theologischen Sinne hätte kommen können.
Daß damit nicht alle Fragen naturwissenschaftlicher und paläon-
tologischer Art nach dem Wie, dem Wann und Wo dieses Zustandes
gelöst sind, versteht sich von selbst und ist kein Einwand gegen die
theologische Lehre. Auch seitens der Naturwissenschaft erscheinen
hier nicht alle Probleme als gelöst und vielleicht nicht einmal als lös­
bar48. Der Ursprung der Menschheit liegt im Dunkel eines Geheim­
nisses, von dem sich der Mensch bewegen lassen soll, das er aber
niemals wird ganz ergründen können.

§ 20 :
Der Sündenfall und seine universale Folge: Ursünde und
„Erbsünde“
Literatur: J. Gross, Entstehungsgeschichte des Erbsündendogmas I. Von der
Bibel bis Augustinus, München 1960; E. Brandenburger, Adam und Christus.
Exegetisch-religionsgeschichtliche Untersuchung zu Röm 5,12-21 (1 Kor 15),
Neukirchen 1962; N. Lohfink, Genesis 2f als „geschichtliche Ä tiologie“ .
Gedanken zu einem neuen hermeneutischen Begriff, in: Schol 38 (1963) 321-
344; L. Scheffczyk, Die Erbschuld zwischen Naturalismus und Existentialismus,

47 Ä h n lic h ist ü b e r die „ t h e r o m o r p h e n “ Z ü g e des U r m e n s c h e n zu urteile n; vgl. P.


O v e r h a g e , Um das E r s c h e i n u n g s b i l d des e r ste n M e n s c h e n , 81 ff.; d er th e o lo g is c h e n
W a h r h e i t i n k o m m e n s u r a b e l ist a l l e r d i n g s d ie A u f f a s s u n g vo m „ U r p h ä n o m e n
K a n n i b a l i s m u s “ : P. Liith, D er M e n s c h ist k ein Z ufall, 172f.
48 So e r w ä g t E. H en g s te n b e r g , E v o lu tio n un d S c h ö p f u n g , 23 0ff., die sich für die
E v o l u t i o n s t h e o r i e e r g e b e n d e S c h w i e r i g k e i t , d aß d e r M e n s c h au s einem t i e r is c h e n
M u t t e r l e i b g e k o m m e n sein soll.
in: MThZ 15 (1964) 17-57; Ders., Versuche zur Neuaussprache der Erbschuld-
Wahrheit, in: MThZ 17 (1966) 253-260; Ders., Zur christozentrischen (christo-
cephalen) Interpretation der Erbsünde: Denkender Glaube in Geschichte und
Gegenwart (F.S. aus Anlaß der Gründung der Universität E rfu rt vor 600 Jahren
und aus Anlaß des 40jährigen Bestehens des philosophisch-theologischen
Studiums Erfurt, hrsg. von W. Ernst und K. Feiereis), Leipzig 1992, 343-356;
G. Siewerth, Die christliche E rbsündenlehre. E ntw ickelt auf Grund der
T heologie des heiligen Thomas, Einsiedeln 1964; H. Haag, B iblische
Schöpfungslehre und kirchliche Erbsündenlehre, Stuttgart 1966; J. Hübner,
Theologie und biologische Entwicklungslehre. Ein Beitrag zum Gespräch zwi­
schen Theologie und Naturwissenschaft, München 1966; K. Rahner, Erbsünde:
Sacramentum Mundi I, Freiburg 1967; Ders., Erbsünde und Monogenismus:
Exkurs zu K. H. Weger, Theologie der Erbsünde (QD 44), Freiburg 1970; Ders.,
Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums, Freiburg
61976; P. Schoonenberg, Der Mensch in der Sünde: Mysterium S alutis II (1967)
845-941; J. Scharbert, Prolegomena eines Alttestamentlers zur Erbsündenlehre
(QD 37), Freiburg 1968; Teilhard de Chardin, Chute, redemption et geocentrie:
Oeuvres X, Paris 1969, 47-57; K. Schmitz-Moormann, Die Erbsünde. Überholte
Vorstellung - bleibender Glaube, Olten 1969; U. Baumann, Erbsünde? Ihr tradi­
tionelles Verständnis in der K r is e heutiger T heologie, Freiburg 1970;
K.-H. Weger, Theologie der Erbsünde (QD 44), Freiburg 1970; F. Dexinger -
F. Staudinger - H. Wahle - J. Weismayer, Ist Adam an allem schuld? Erbsünde
oder Sündenverflochtenheit?, Innsbruck 1971; A. Vanneste, Le peche original.
Reponse, in: Revue du Clerge Africain 27 (1972) 249-275; M. Flick -
Z. Alszeghy, II peccato originale, Brescia 21974; A. de Villalmonte, El pecado
original. Venticinco anos de historia de controversia: 1950-1975, Salamanca
1978; W. Eichinger, Erbsündentheologie. Rekonstruktionen neuerer Modelle und
eine politisch orientierte Skizze (Europäische Hochschulschriften P. XXIII, Bd.
138), Frankfurt a. M. 1980; H. M. Köster, Urständ, Fall und Erbsünde. Von der
Reformation bis zur Gegenwart (HDG II/ 3 c), Freiburg 1982; Ders., Urständ,
Fall und Erbsünde in der evangelischen Theologie des 19. Jahrhunderts
(Theologie im Übergang, 8 ), Frankfurt a. M. 1983; Ders., Urständ, Fall und
Erbsünde in der katholischen Theologie unseres Jahrhunderts (Eichstätter
Studien N. F. XVI), Regensburg 1983; M. Knapp, „Wahr ist nur, was nicht in
diese Welt paß t“ . Die E rb s ü n d e n le h re als Ansatzpunkt eines Dialogs mit
Th. W. Adorno, Würzburg 1983; M. Seybold, Schwerpunkte der Erbsündendis­
kussion in der jüngeren katholischen Dogmatik: Veritatis Catholicae (Festschr.
L. Scheffczyk, hrsg. von A. Ziegenaus - Fr. Courth - Ph. Schäfer) Aschaffenburg
1985, 265-280; R. M. Deppe, Die Erbsünde in der philosophischen Theologie
Frederick Robert Tennants. Zur Ortung eines naturwissenschaftlich-evolutiv-
psychologischen Ansatzes (Theologie im Übergang, 11; hrsg. von L. Scheffczyk
und A. Ziegenaus), Frankfurt a. M., 1990; J. Bolewski, Der reine Anfang.
Dialektik der Erbsünde in marianischer Perspektive (Frankfurter theologische
Studien, 40), Frankfurt a. M. 1991; Th. Pröpper, Erlösungsglaube und Freiheits­
geschichte. Eine Skizze zur Soteriologie, München 31991; Chr. Schönborn -
A. Görres - R. Spaemann, Zur kirchlichen Erbsündenlehre. Stellungnahme zu
einer brennenden Frage, Freiburg 1991; M. Hauke, Heilsverlust in Adam.
Stationen griechischer Erbsündenlehre: Irenäus - Origenes - Kappadozier,
Paderborn 1993; Fr. Courth, Gott - Mensch - Welt. Was sagt christlicher
Schöpfungsglaube? Leitfaden zur Schöpfungslehre, St. Ottilien 1996.
Die biblischen Zeugnisse sprechen von der ursprünglich heilen
Schöpfung des Menschen immer schon im Hinblick auf den Abfall
von der Gottesfreundschaft und den Verlust der ursprünglichen
Begnadung (Gen 3,1-24; Röm 5,12-21). Der Fall bildet die innere
Voraussetzung für das Entstehen der „Erbsünde“ als einem schuld­
haften Zustand der Gnadenlosigkeit der Menschheit, welcher gene­
rell erst durch die Erlösungstat Christi aufgehoben wurde. Die tradi­
tionelle Theologie hat deshalb zwischen Ursünde (peccatum origina­
le originans) und „Erbsünde“ (peccatum originale originatum) unter­
schieden. Diese Differenzierung ist sachlich begründet. So darf auch
in der Darstellung der Zusammenhang beider Wahrheiten zum Aus­
druck kommen. Dies gilt auch deshalb, weil die biblisch-historische
Grundlegung und die damit gegebene Problematik sich überschnei­
den.

L Die theologische Bedeutung des Sündenfalls


1) Die exegetische Problematik
Die auftretende Problematik ist die gleiche wie bei Erörterung
des Urstandes, so daß hier wie dort die Fronten bezüglich des histo­
rischen Charakters der Erzählung (Gen 2 und 3) gleich verlaufen.
Dabei ist die Auffassung von der Historizität des Berichteten weithin
aufgegeben. Für P. Tillich (+ 1965) stellt die Geschichte vom Fall
eine Prophetie in mythischer Gewandung dar, deren bleibender Sinn
in der Entfremdung des Menschen und seiner Welt von ihrem wahren
Wesen gelegen ist. Der Fall wird so zum „Symbol für die universale
menschliche Situation“, er ist aber keinesfalls „Titel einer Ge­
schichte, die sich einmal ereignet haben soll“ 1. Ähnlich urteilt P.
Althaus: „Der Fall erscheint in der Geschichte, aber er ist in ihr nicht
zu lokalisieren, sondern allgegenwärtig und gleichzeitig“, weil auch
„Adam“ nicht historisierbar ist, sondern als Bezeichnung für die
„Gattung Mensch“ auftritt2. Demgegenüber versieht E. Brunner
(+ 1966) diese Auffassung mit einer Variante, indem er von einem
„geschichtlichen Anfang“ der Sünde spricht. Mit der Einführung

1 P. T illich, S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 35.


2 P. A lth a u s , Die c h r istlic h e W ahrh eit, 386.
„Adams“ soll aber nicht das Wann und Wie der Sünde bestimmt, son­
dern nur ein Hinweis auf die Universalität der Sünde und auf das alle
Menschen umgreifende Sündersein gegeben werden3. Dabei wird
freilich der Frage, ob damit die Sünde nicht schon in das Geschaf­
fensein des Menschen hineinverlegt ist, nicht gestellt.
Im existentialistischen Konzept G. Ebelings wird das „peccatum
originale“ von einem historischen Ursprungszusammenhang in einen
sachlichen Konnex uminterpretiert, so daß das „peccatum originale“
zum „peccatum radicale“ (dem Unglauben) wird. Dabei soll ein
geschichtlicher Zusammenhang festgehalten werden, welcher in der
„Verfilzung der Menschheit infolge der Sünde“ offenbar wird4. Eine
kritische Auffassung bezeigt auch W. Pannenberg, wenn er erklärt,
daß es sich in der Paradieseserzählung nicht um ein einmaliges
Ereignis eines Sündenfalles handele, vielmehr sei schon in der
Genesis die Ereignisfolge gemeint, in der die Sünde zur Herrschaft
gelangt. Immerhin wird damit ein historisches Moment eingeräumt,
auch wenn so die Bedeutung der ersten Sünde gemindert erscheint5.
Diese Überlegungen der Systematik stützen sich auf entsprechende exegeti­
sche Befunde, die jedoch nicht einhellig ausfallen. Mehrheitlich wird die
Auffassung vertreten, daß mit der Erzählung Gen 3,1-24 „überhaupt kein kon­
kretes Ereignis beschrieben wird, das sich als einmaliges irgendwo und irgend­
wann zugetragen h ä tte “6. E influß reich ist besonders die (schon im
Zusammenhang mit dem „Urständ“) erörterte Auffassung von CI. Westermann,
der zwar zugibt, daß „in dem hier genannten Geschehen die ‘U rsünde’ gesehen
wird“7, der aber dabei dem Begriff des „Urgeschehens“ eine existentialistische
Note verleiht und es als „unserer Geschichte jenseitiges Geschehen“8 interpre­
tiert. Danach ginge es in der Erzählung nur um die Frage der menschlichen
Existenz9.
Dem ist aber begründet widersprochen und gesagt worden: „Die heilsge­
schichtliche Interpretation der Urgeschichte kann nicht durch eine rein existen-
tialanthropologische ausgewechselt werden“ 10. So hält auch Th. C. Vriezen daran

3 E. B ru nn er, D o g m a t i k II, 113 f f ., 116.


4 G. E b e lin g , D o g m a t i k des c h r i s t l i c h e n G l a u b e n s I, 374f.
5 W. P a n n e n b e r g , S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 301 f.
6 So Fr. D ex in ger, Ist A d a m an allem sc h u ld ?, 103. Ä h n lic h L. K öhler, T h e o l o g ie des
A lten T estam en ts , 163ff.
7 CI. W e s te rm a n n , G e n e s is 1/1, 376.
8 E b d a., 378.
9 E b d a., 377. Ä h n lic h k a t h o l i s c h e rs e i t s H. H aag , D er ‘U r s t ä n d ’ nach dem Z e u g n is der
B ibel, 267.
10 L. R u p p e rt, „ U r g e s c h i c h t e “ o d er „ U r g e s c h e h e n “ ?, 32.
fest, „daß die c h ristlic h e In te rp re ta tio n d er P a ra d ie se se rz ä h lu n g als B eric h t vom
Sündenfall n ic h t f e h l g e h t“ 11.
E ine verm itteln d e Stellun g n im m t K. H. Schelkle ein, w enn er von der
Sündenfallgeschichte sagt, daß sie „kein h is to ris c h e r B e ric h t“ sei, so nd ern zu
ein er ä tio lo g isc h e n E rz äh lu n g geh öre, die U rsach e und A nfan g für die U m stän d e
a ngebe, in den en der E rz ä h le r sich b e f i n d e t 12.

Gegenüber den kritischen Einwänden ist zunächst zu bedenken,


daß es sich bei der Erzählung vom Sündenfall der literarischen Form
nach um etwas Einmaliges handelt13, das trotz gewisser mythologi-
: scher Einsprengsel (Lebensbaum; die redende Schlange; „das
zuckende Flammenschwert“) nicht als Mythos zu erklären ist. In die­
ser Hinsicht stehen die Vorstellungen vom Urmenschen, die sich bei
Ijob 15,7-8 und bei Ez 28,11-19 (Klagelied über den König von
Tyrus) finden, dem Mythos näher; dort nämlich ist der Paradieses­
mensch ein halbgöttliches Wesen, während es sich in Gen 3 um den
Menschen (oder die M enschheit als Kollektiv) handelt. Auch die
M otivähnlichkeiten, die im Adapa-M ythos und in der Enkidu-
Episode des Gilgamensch-Epos anklingen, können nicht als Urtypen
des Genesisberichtes ausgegeben werden14. In diesem Zusammen­
hang ist die Erklärung der Exegese als wichtig zu nehmen, „daß eine
direkte Parallele zu Gen 2-3 nicht gefunden ist“ 15 (auch wenn einzel-
; ne Motive anderswo auftauchen).
Zwar ist zuzugeben, daß die spezifisch-christliche Deutung auf
einen „Sündenfall“ formell in Gen 3,1-24 nicht ausgedrückt ist. Das
geschieht erst in der spätjüdischen apokryphen Literatur (so
4 Esr 7,118), deren Kolorit auch auf Röm 5,12-21 abgefärbt haben
mag. Hier geschieht aber im Lichte des Christusereignisses eine
theologische Umprägung, die der G en-Erzählung eine neue
Legitimation verleiht.
So ist das „Einmalige“ der Sündenfallerzählung (von der sich ein
gewisser Nachklang bei Sir 15,33 und in 1 Tim 2,14 findet) als ein
prophetisches G laubenszeugnis zu verstehen, das „von dem

11 Th. C. V riezen , T h e o l o g ie des A lten T e sta m e n ts , 179f.


12 K. H. S chelkle, S c h u ld als E rb teil?, 15.
13 G. v. Rad, G en es is, 79.
14 Vgl. CI. W e s te rm a n n , G e n e s is 1/1, 334ff.
15 E b da., 337.
Lebensstand des gefallenen Menschen aus getan“ 16 ist. Ihm ent­
spricht die literarische Form der Ätiologie, die einen aus der Glau­
benserfahrung kommenden Rückschluß von der Gegenwartssituation
auf eine Ursache in der Vergangenheit beinhaltet. Es kann sich bei
dieser Geschichte nicht um eine historisch gefaßte Darstellung eines
in unvordenkliche Zeiten zurückreichenden Geschehens und seiner
näheren Umstände handeln. Der Jahwist zieht vielmehr aus der par­
tikularen gegenwärtigen Erfahrung der Untreue und Sünde des Vol­
kes einen Schluß auf eine zurückliegende Ursache von universalem
Ausmaß und findet diese in dem Versagen der Urmenschheit ange­
legt. Daß er davon in bildlich-symbolischer Weise und unter Ver­
wendung mythologischer Elemente spricht, ist weder verwunderlich
noch dem Sachgehalt der Darstellung abträglich. Entscheidend aber
ist, daß dieser Rückverweis und dieser ätiologische Schluß nicht ins
Leere einer geschichtslosen, von der Phantasie entworfenen Kon­
struktion geht, sondern seinen Haftpunkt in der Geschichte findet.
Das aber liegt in der Absicht des Jahwisten und ist aus der heilsge­
schichtlichen Anlage seines Gesamtwerkes zu erschließen17.
Mit einer solchen heilsgeschichtlich-ereignishaften Deutung des
Sündenfalls ist im übrigen die prototypische und universal-mensch­
liche Interpretation der Sünde, auf welche die existentiale Deutung
den alleinigen Nachdruck legt, nicht ausgeschlossen. Eine solche
Zusammenfügung der Perspektiven ist dem semitischen Denken ver­
traut, welches eine individuelle Gestalt (des „Stammvaters“) durch­
aus mit einem Kollektiv verbinden und das U rgeschehen als
Wesensbestimmung eines Ganzen verstehen kann. Deshalb bildet die
Sündenfallgeschichte zugleich die „große Hamartiologie“ des Alten
Testamentes18.
Damit ist auch die Frage nach der stofflich-inhaltlichen Herkunft
der Geschichte vorentschieden. Die Antwort muß nicht eine neue
Offenbarung oder eine vorausgehende historische Traditionskette
postulieren. Es genügt, die Erzählung im Schöpfungs- und Erwäh­

16 G. v. R a d, a.a.O ., 81.
17 Vgl. H. G ro ss , T h e o l o g is c h e E x e g e s e von G en es is 1-3, 431 ff. H i e r fin den a u c h die
E in w ä n d e g eg en den B e g riff d er „ g e s c h i c h t l i c h e n Ä t i o l o g i e “ B e rü c k s i c h t i g u n g .
18 So G. v. R a d , T h e o l o g ie des A lte n T e sta m e n te s I, 158.
lungsglauben Israels zu verankern, der sich hier, gewiß nicht ohne
inspiratorisches Einwirken bei den Verfassern, seiner universal­
menschlichen Bedeutung und seiner geschichtlichen Begründung
versichert. Freilich kann diese Begründung nicht mit den Kriterien
der Profangeschichte verifiziert werden, insofern sie im Rahmen der
Heilsgeschichte und im Glauben an diese verläuft.
Die Zuordnung der Erzählung zur Heilsgeschichte und literarischen Gattung
der Ätiologie nimmt auch den oft erhobenen Einwänden die Schärfe, die sich aus
dem näheren Eingehen auf die inneren Umstände des Falles wie auf seine psy­
chologische Möglichkeit zu ergeben scheinen. Schon D. Fr. Schleiermacher
(+ 1834) hatte gegen die heilsrealistische Deutung mit der Begründung oppo­
niert, daß sie im Widerstreit stehe mit der ursprünglichen Vollkommenheit des
Menschen. Unter diesen Bedingungen könne „man sich Verführung oder
Mißbrauch des freien Willens am wenigsten vorstellen“ . So bleibt dem ganz aus
dem „Interesse an der christlichen Frömm igkeit“ argumentierenden Theologen
nur übrig, den Anfang der Sünde in der Menschheit aus einer ihr innewohnenden
Sündhaftigkeit zu erklären, welche den gnadenhaften Stand des Anfangs aufhebt
und die Sündhaftigkeit zu einer Beigabe des Geschaffenseins erklärt19. In
schlichter Form ist das Problem neuerdings von H. Haag in die Diskussion
gebracht worden: „Zunächst fällt es uns schwer zu verstehen, warum der erste
Mensch der ersten Versuchung sofort erlag und dem, was der Versucher ihm vor­
gaukelte, blinden Gehorsam schenkte, obwohl sein Verstand angeblich mit
besonderem Licht erleuchtet, sein Wille mit besonderer Kraft ausgestaltet, sein
Sehnen und Trachten ganz auf das Gute ausgerichtet und er selbst frei von der
Neigung zum Bösen war“ . Die nach Haag allein mögliche Lösung des Problems
liegt in dem Eingeständnis, daß „auch für den ‘urständlichen’ Menschen die
Sünde praktisch unvermeidbar war“20, was wiederum gegen die heile Schöpfung
des Anfangs gerichtet ist.
Dem ist unter dem heilsgeschichtlichen Aspekt entgegenzuhal­
ten: Die Erzählung vom Paradiese, die nicht in Einzelheiten realhi­
storisch aufgefaßt werden will, spricht nicht von einem Voll­
endungsstand, sondern nur von einem Gnadenstand, der auch durch
ein positives göttliches Gebot (Gen 2,17) gekennzeichnet war. Damit
ist angedeutet, daß der Mensch trotz seiner Begnadung in den Garten
zur Bewährung, zur Vervollkommnung, zum Dienst an Gott und an
der Welt hineinversetzt worden war. Auch das Paradies war ein
geschichtlicher Zustand, in dem der zeitliche Mensch seine Freiheit
im Verhältnis zu Gott hätte bewähren und sich der Vollendung hätte
nähern sollen. Ein Herausfallen aus der Gnade war deshalb auch ihm

19 D e r c h r istlic h e G la u b e I, 383ff.
20 H. H aag, B ib lis c h e S c h ö p f u n g s l e h r e un d k i r c h l ic h e E r b s ü n d e n l e h re , 49f.
möglich, aber keineswegs aufgrund einer ihm innewohnenden
Sündhaftigkeit, sondern aufgrund seiner Entscheidungsfreiheit zwi­
schen Gut und Böse. Über diesen grundsätzlichen Befund ist nicht
hinauszukommen, besonders nicht durch die bei den Vätern übliche
Spekulation über die Art der Sünde (etwa einer Geschlechtssünde).
Sie nahm (wie jede Sünde) ihren Anfang im Geist, der sich auch
beim begnadeten Menschen dieser seiner Begnadung und G ottähn­
lichkeit überheben konnte und so durch Stolz sündigte21. Dabei muß
auch das Einwirken der von außen kommenden bösen Mächte als
biblisches Datum (Gen 3,1-5) anerkannt bleiben.
2) Der heilstheologische Sinn
Das Festhalten an dem heilsgeschichtlich-ereignishaften Kern
hält die Mitte zwischen einer gnostisch-metahistorischen Auffassung
vom Entstehen der Sünde, wie sie in Platons Phädrus, in der früh­
christlichen Gnosis und noch bei Origenes vertreten wird, und einer
existentialistischen Deutung, welche Menschenschöpfung und Sünde
in eins fallen läßt. Daß die metahistorische Deutung noch nicht gänz­
lich überwunden ist, zeigen Formulierungen wie die von „unserer
Geschichte jenseitigem Geschehen“22. Es ist nicht zu bestreiten, daß
damit gewisse Fragen bezüglich des alten Weltbildes und seiner
Ablösung durch die moderne N aturw issenschaft auftreten und
Schwierigkeiten erbringen. Aber verbleibende Spannungen zwischen
Theologie und Naturwissenschaft müssen nicht schon klaffende
Widersprüche bedeuten. Auch ist zu bedenken, daß Theologie und
Glaube niemals gänzlich in ein bestimmtes Weltbild eingepaßt wer­
den können. Ebenso ist anzuerkennen, daß weder der Gnadenstand
noch der Verlust dieses Standes ein von der Naturwissenschaft
erreichbares oder verwerfbares Phänomen ist23.
Der heilstheologische Sinn des Einbruches der Sünde läßt sich
aus dem Vergleich mit den entgegenstehenden Deutungen zu einer
gewissen Einsicht bringen. Auf seiten der evangelischen Theologie

21 So v e r w e i s t A u g u s t i n u s a u f d ie „ s u p e r b i a “ (In Joa. tr a c t. 26, 17); ä h n l i c h


T h o m a s v. A q uin : S. th. II II. q. 163 a. 1 ad 1.
22 CI. W e s te rm a n n , 376.
23 Vor e in e r V e r a b so lu tie r u n g des „ W e l t b i l d e s “ w arnt u.a. J. H ü b ner, T h e o l o g ie un d b i o ­
lo g isch e E n tw ic k lu n g s l e h r e , 3 14f.
hat E. Schünk den Bew eggrund genannt, der die Alte K irche dazu
führte, der Sündenfallgeschichte eine eigene Bedeutung zuzuweisen.
Sie wäre anders der gnostischen und stets virulenten Gefahr erlegen,
„die Sünde mit dem Ursprung des Menschen gleichzusetzen“24.
Damit würde aber nicht nur die Schöpfung als in sich gutes Werk
Gottes diskreditiert (mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen
der Distanzierung von einem solchen Gebilde), es würde auch Gott
selbst mit der Verantwortung für die Sünde belastet. Dann wären
auch die modernen idealistischen Erklärungen nicht mehr abzuweh­
ren, nach denen Gott zu seiner Selbstw erdung eines solchen
Durchgangs durch das Böse bedürfe, was den christlichen Gottes­
begriff aufheben müßte. Tatsächlich ist in der Sündenfallgeschichte
tendenziell auch eine Theodizee angelegt, eine Rechtfertigung Got­
tes angesichts des Bösen.
Diese aber gibt den Blick frei auf tiefere Zusammenhänge der menschlichen
Geschichte. Im Lichte der Wahrheit von einem Einbruch der Sünde in die von
Gott gut geschaffene Welt nimmt die Geschichte von Welt und Menschheit einen
antagonistischen Charakter an. Diese Welt ist nach der Sünde nicht mehr nur das
Feld des ungeschmälerten göttlichen Gnadenwirkens, sie ist nun zu einem
Kampfplatz mit dem Bösen und mit der Macht des Bösen geworden. Mit der
Sünde fällt auf die Schöpfung der Schatten des Tragischen (der durch die
Auswirkung der Ursünde zu einer „Erbsünde“ noch verstärkt wird). Sie ist nun
auch dem Wirken der Unheilsmacht geöffnet, deren Anerkennung jede natürlich­
optimistische Auffassung von der Menschheitsgeschichte unmöglich macht. So
führt die Sündenfallgeschichte als zeitlich früheste biblische Hamartiologie den
Menschen zum Ernstnehmen der Sünde, deren unheilvolles Wesen hier schon
seine Enthüllung erfährt.
Die Sünde wird hier zunächst gekennzeichnet als ein Verstoß des
von der göttlichen Gnade und Liebe umhegten Menschen gegen ein
göttliches Gebot, gegen eine von Gott gesetzte Ordnung, der gegen­
über der Mensch seinen Gehorsam und seine Unterwürfigkeit aner­
kennen sollte (Gen 3,2-4). Aber diese Ordnung war keine neutrale
und in sich selbst ruhende. In ihr hatte sich vielmehr der Wille Gottes
ausgesprochen, so daß der Verstoß gegen die Ordnung sich unmittel­
bar gegen den heiligen Willen Gottes richtete. Dieser Umstand
nimmt der Sünde den Charakter des bloßen Verstoßes gegen eine
moralische Regel; er verleiht ihr den Charakter eines persönlichen
Widerspruches zum Gott der Liebe und eines Attentats gegen das
göttliche Du, auf das der Mensch unmittelbar ausgerichtet ist. Ent­
sprechend folgt der ungehorsamen Tat die Begegnung mit Gott (Gen
3,9ff.), der sich der Mensch des schuldigen Gewissens entziehen
möchte (Gen 3,8). So wird deutlich, daß die theologische W irklich­
keit der Sünde nicht nur in der Aufkündigung des einen Gebotes
besteht, sondern in der Ablehnung des den Menschen bindenden
Willens und Wortes Gottes, dem der Mensch seinen Widerspruch
entgegensetzt, ohne damit der Bindung an Gott entlaufen zu können.
Dieses theologische Wesen der Sünde findet in dem Bericht noch eine wei­
tere Abklärung in den zunächst nur schwer verständlichen Begriffen „wie Gott
sein“ und „Wissen um Gut und Böse“ (G en 3,5). Unter dem „Sein wie Gott“ , das
in der Sünde w illentlich intendiert oder mit ihr gegeben ist, wird im
Zusammenhang nicht eine Erhebung ins göttliche Sein und Wesen verstanden,
sondern die Usurpation der göttlichen Stellung und des göttlichen Rechtes. Wer
sich dem Willen Gottes in der Sünde widersetzt, der setzt sich an die Stelle
Gottes und der will sein „wie Gott“ . Es klingt hier ein Prometheus-Motiv an,
ohne daß dabei eine Abhängigkeit von der antiken Sage vorläge. Zugleich wird
aber auch deutlich, wie illusionär und grotesk dieses menschliche Aufbegehren
gegen Gott ist, der in seinem Gericht über die Sünde die ganze unvermögende
Anmaßung dieses widergöttlichen Affektes bloßlegt (Gen 3,9ff.).
Mit dem Begriff des „Wissens um Gut und Böse“ aber ist die in der Sünde
liegende Tendenz getroffen, über die geschöpflichen Grenzen hinausgreifen und
eine ins Maßlose gesteigerte Erfahrung gewinnen zu wollen, die ein Mächtig­
werden über das Geheimnis Gottes selbst zum Ziele hat. Tatsächlich kann auch
von der menschlichen Erfahrung her bestätigt werden, daß die Sünde gleichsam
als etwas Faszinierendes erlebt wird, welches die menschliche Phantasie anlockt
und ihr ungeahnte Möglichkeiten vorgaukelt, die sich danach als wesenlos
erweisen. Aber auch in diesem unvermögenden Pathos der Grenzenlosigkeit liegt
letztlich eine Aggression gegen Gott, der als Schöpfer den Menschen in die
Grenzen seiner Geschöpflichkeit gesetzt hat.
So konfrontiert die Sündenfallerzählung den Menschen mit dem Ernst und
der Tragik der Sünde ebenso wie mit ihrer geheimnishaften Tiefe, die weder von
der Seite der menschlichen Freiheit noch von der Seite der göttlichen Zulassung
gänzlich aufgehellt werden kann. Es mag nicht zum geringsten Teil an der
Mißachtung dieses Urberichtes von der Sünde durch das moderne Denken gele­
gen sein, daß sich das Bewußtsein von der Sünde verflacht und verloren hat.

Dennoch besteht auch bei Ernstnehmen der Abgründigkeit der


Sünde kein Anlaß, ihrer Gewalt und Tragik zu erliegen. Der am Ende
der Erzählung vom Fall angeführte Fluch über die Nachkommen der
Schlange und den Weibessamen (Gen 3,15), in dem von der Tradition
seit Justin (+ um 165) und Irenäus (+ um 202) eine messianische
(marianische) Weissagung angenommen wurde, wird zwar von der
Exegese nicht mehr als „Protoevangelium“ verstanden (trotz der
Anspielung von Röm 16,20 und Offb 12,17)25, aber die heilsge­
schichtliche Hinführung der Schöpfung auf die Erlösung und das
Erscheinen Christi als des zweiten Adam (Röm 5,12-21) begründen
die Glaubensüberzeugung, daß die Sünde in den Heilsplan aufge­
nommen und als das Widerständige und zu Überwindende zugelassen
wurde. Gott ließ den Absturz der Menschheit in der Sünde zu, um die
Schöpfung durch den Erlöser auf höhere Weise zu erneuern und
emporzuführen. Das hier hineinspielende Motiv der „felix culpa“ ist
zwar keine Erklärung des Geheimnisses der Geschichte, wohl aber
eine Beleuchtung seiner von Gott bestimmten Dramatik.
3) Die Lehre der Kirche
Die kirchliche Lehrverkündigung hat im Anschluß an die
Aussagen der Schrift das Geschehen einer Ursünde durch die
Stammeitem seit der Auseinandersetzung mit dem Pelagianismus als
einen Grundstein ihrer Heilslehre verteidigt. So beruft sich die
Synode von K arthago (i.J. 418) im Zusam m enhang mit der
Kindertaufe auf Röm 5,12 und bezeichnet die darin eingeschlossene
Wahrheit von der Ursünde als von der katholischen Kirche überall
eindeutig verstandene Lehre (DH 223). Deutlicher spielt die Zweite
Synode von Orange (i.J. 529) von der „Beleidigung der Übertretung
Adams“ („offensa praevaricationis Adae“), die nicht nur ihm gescha­
det habe (DH 371 f.)- Das Vierte Laterankonzil (i.J. 1215) trug diese
Auffassung in einer allgemeinen Form gegen den Dualismus der
Albigenser und Katharer vor, wenn es erklärte: „Der M ensch aber
sündigte aufgrund der Eingebung des Teufels“ (DH 800). Indem das
Tridentinum im Hinblick auf reformatorische Unklarheiten an die
Aussage der Zweiten Synode von Orange anknüpfte, erweiterte es
diese sogleich und sprach das Anathem gegen denjenigen aus, der
„nicht, bekennt, daß Adam, nachdem er das Gebot Gottes im Paradies
übertreten hatte, sogleich die Heiligkeit und Gerechtigkeit, in die er
eingesetzt worden war, verloren und sich durch den Verstoß dieser
Übertretung den Zorn und die Ungnade Gottes und deshalb den Tod
zugezogen hat ... “ (DH 1511). Mit dieser Entscheidung erreichte die

25 So G. v. R a d , a .a .O ., 75; CI. W e s t e r m a n n , a . a .O . , 3 5 4 f .; v o r s i c h t i g e r u r t e i lt
J. S ch a r b e r t, P ro to e v a n g e liu m : M a ri e n l e x i k o n V, St. O ttilie n 1993, 342.
traditionelle Lehre den Rang einer definierten Glaubenswahrheit, zu
der auch die aus dem Fall kommenden Straffolgen für die Stamm­
eltern gehörten. Aus der Art dieser Straffolgen ist zu erschließen, daß
es sich beim Urfall um eine schwere Sünde gehandelt haben müsse26.
So sehr damit auch der Tragik des Falls Rechnung getragen wurde,
vermied man doch (im Hinblick auf das Erlösungsgeschehen) extre­
me Folgerungen für das Geschick der Stammeltern. So bleibt die
Annahme des Rupert v. Deutz (+ um 1129) eine Ausnahme, wonach
die Stammeltern der Verdammnis anheimgefallen wären27.

II. Das Geheimnis der „Erbsünde“


Der Heilsglaube der Kirche umfaßt nicht nur die Wahrheit von
einem urzeitlichen Einbruch der Sünde, sondern er versieht diese
Sünde mit einer einschneidenden Folge für das ganze Menschen­
geschlecht und seine Geschichte. Er sieht die ganze mit dem Stamm­
vater verbundene und in sich solidarische Menschheit von den Aus­
wirkungen der Sünde so betroffen, daß sie zu einer allgemeinen
Sünde der ganzen M enschheit wird und im Unterschied zur persönli­
chen Sünde der Stammeltern zu einer universalen Sündenmacht in
der Menschenwelt aufwächst. Bei der bleibenden Verbindung mit
Adam wird dieser Sachverhalt bald von einem erbgeschichtlichen
Denken mit dem Bild eines weitergehenden „Erbes“ verbunden und
auf entsprechende Formeln gebracht. So taucht schon bei Melito
v. Sardes der Ausdruck „kleronom ia“ (Erbe) für die unselige
Hinterlassenschaft Adams auf; Tertullian spricht von einem „tradux“
(Ableger) der Sünde Adams in der Menschheit und von einem „ori-
ginis vitium“ (von einer Verderbnis des Ursprungs); Ambrosius
(+ 397) vom „schuldverfallenen Erbe“; Eutropius (1. Hälfte des
5. Jh.s) von einer „Erbschaft der Sünde“28, ohne daß die Autoren den
Begriff immer einheitlich fassen)29. Das deutsche Wort „Erbsünde“,

26 T h e o l o g e n d er H o c h s c h o l a s t i k (wie A lb ert, T h o m a s un d B o n a v e n tu ra ) v e r tra te n d i e s ­


b e z ü g l i c h so g a r die A n s ic h t (gegen D un s S co tu s), daß im k o n k u p i s z e n z f r e i e n U r s t ä n d
läß lich e S ü n d e n n ic h t m ö g lic h waren: D e m alo, q.2 a.8 ad 1.
27 In Gen. III, 30.
28 Vgl. dazu L. S ch e f fc z y k , U rstän d , Fall und E rb s ü n d e. Von d er S chrift bis A u g u s tin u s ,
54; 96; 186.
29 J. G ross, a .a.O ., 247.
das literarisch erstmals bei Geiler v. Kaisersberg (+ 1510) belegt ist,
gelangte durch die Schriften Luthers zur Durchsetzung30. Abgesehen
von der Frage, ob diese erbgeschichtliche Formulierung und das
damit gegebene Übertragungsschema als glücklich und vollauf tref­
fend zu bezeichnen ist, bringt sie doch die „Adamseinheit“ der
M enschheit in der Sünde zum Ausdruck. Gerade darin aber liegen die
Gedankenschwierigkeit dieser Glaubenswahrheit und ihr Geheim­
nischarakter, der als noch viel tiefer anzusetzen ist als der der
Ursünde. Hier erst tut sich das eigentliche „mysterium iniquitatis“
auf.
1) Zum Vorverständnis
Der Zugang zum Verständnis der Erbsünde ist vielfach durch
gewisse aprioristische Optionen versperrt, die den Sinn dieser
Wahrheit verfehlen. Dazu gehört u.a. die Vorstellung, daß es sich hier
um eine Verderbnis innerhalb der Naturordnung handele, die einen
unschuldigen Menschen mit der Untat eines Vorfahren behafte und so
die ganze natürliche Welt verderbe. Dieses Vorurteil bringt 1. Gross
emphatisch zum Ausdruck, wenn er vom „willkürlich zürnenden und
strafenden Erbsündengott“ spricht und von der „lähmenden
Vorstellung, in fremde Schuld und Sünde verstrickt, einem allgemei­
nen und unaufhaltsamen sittlichen Niedergang preisgegeben zu
sein“31. Dem ist von Beginn an die Erklärung entgegenzuhalten, daß
es sich bei der „Erbsünde“ um ein Phänomen der gnadenhaft-über-
natürlichen Ordnung handelt, das (obgleich mit gewissen
Auswirkungen auf die Natur verbunden) im Bereich des übernatürli­
chen Gottverhältnisses des Menschen und der Gnadenordnung gele­
gen ist. Die „Erbsünde“ und alles, was aus ihr folgt, spielt sich
wesentlich innerhalb der dem Menschen ungeschuldeten gnadenhaf­
ten Relation zwischen ihm und dem Gott des Heils ab. Sie bedeutet
deshalb im Wesen nicht eine naturhafte Verkehrung oder Versehrung
des Menschen und der geschaffenen Welt, sondern die Aufhebung
des Seins des Menschen in der göttlichen Gnade (die freilich auch
Auswirkungen auf die Natur hat, welche aber nicht das Wesen aus­

30 H W P h II, 603 (E rb sü n d e; P. W rz e c io n k o ) .
31 E b d a., 13.
machen). Aus diesem Grunde ist auch die Kennzeichnung der Aus­
gangssituation der M enschheit als „begnadeter Anfang“ für das Ver­
ständnis der „Erbsünde“ unerläßlich.
Auch ist vorauszuschicken, daß in der Ordnung der Gnade, in
ihrer Gewährung wie in ihrem Verlust, andere Gesetzmäßigkeiten
gelten als in der Ordnung der Natur, wo der Entzug eines natürlichen
Gutes aufgrund der Untat eines anderen von dem betroffenen un­
schuldigen Menschen als ein Unrecht betrachtet werden müßte.
Wenn diese besondere Zugehörigkeit der „Erbsünde“ in die Gnaden­
ordnung nicht anerkannt wird, muß ihr wahres Verständnis verfehlt
werden.
Aber auch bei Wahrung dieses gnadenhaft-übernatürlichen Bezuges bleibt
eine Gedankenschwierigkeit, welche das eigentliche Geheimnis dieser Sünde
ausmacht. Sie zieht sich in der Frage zusammen, wie der Gnadenverlust eines
einzelnen (oder der humanitas originans) sich legitimerweise auf alle Menschen
auswirken kann, ohne daß allein an ein positives Dekret Gottes zu denken wäre.
Die Theologie, deren Aufgabe es ist, „eine gewisse Erkenntnis der Geheim nisse“
(DH 3016) zu vermitteln, vermag zwar dieses Geheimnis in etwa zu erhellen (so
mit dem Gedanken der Solidarität der Menschheit wie in Christus so in Adam),
aber sie vermag es nicht vollkommen aufzuklären und vernunftgemäß einsichtig
zu machen. Hier bleibt zwischen der vernunftgemäßen Annäherung an das
Geheimnis und einer erkenntnismäßigen Evidenz eine „Lücke“ , die nur durch
den Überstieg des Glaubens geschlossen werden kann. Bei Nichtanerkennung
dieses v erbleibenden G eheim nischarakers bleibt der Zugang zu dieser
Heilswahrheit verschlossen12.
Für den auf die Erfahrung pochenden Menschen erfährt das Ge­
heimnishafte noch dadurch eine Steigerung, daß es von der aus der
Ursünde hervorgehenden „Erbsünde“ keine Erfahrung und keine
empirische Verifizierung gibt. Das Ereignis der Ursünde und der dar­
aus für die M enschheit erwachsene Heilsverlust sind als solche für
den Menschen keine vorfindlichen Erfahrungsdaten, wie ja die In­
halte des Glaubens allgemein nicht als empirische Erfahrungstat­
sachen ausgegeben werden können. An diesem Punkte scheint der
Gegensatz zwischen dem Glauben und dem natürlichen menschli­
chen Verlangen besonders weit auseinanderzuklaffen.
Aber dieser Punkt markiert doch zugleich auch die Stelle, an wel­
cher der Gegensatz sich überwinden läßt und der Spalt überbrückt

32 Vgl. R. S p a e m a n n , Ü b e r ein ig e S c h w i e r i g k e i t e n m it der E rb s ü n d e n l e h re : Z u r k i r c h l i ­


chen E rb s ü n d e n l e h r e , 41 ff.
werden kann; denn die „Erbsünde“ ist als solche zwar nicht erfahr­
bar, sie kann aber in ihren Auswirkungen einem realistischen reli­
giösen Denken ins Bewußtsein dringen und von diesem erfaßt wer­
den. Die dabei vor allem zur Wirkung kommende Erfahrungstat­
sache ist, daß die Welt so, wie sie sich in der Geschichte entwickel­
te und wie sie heute besteht, nicht aus Gottes Hand hervorgegangen
sein kann. Einer vom Schöpfungsglauben bestimmten und doch rea­
listisch bleibenden Welterfahrung kann dieser Weltzustand in seiner
Defizienz und seiner Schadhaftigkeit so wenig verborgen bleiben,
daß der Eindruck einer allgemeinen Verstrickung der M enschheit in
etwas Unheiles nicht abzuweisen ist.
Unter diesem Eindruck stehend, fällte Bl. Pascal (+ 1662) sein
bekanntes Urteil über das Geheimnis der „Erbsünde“. „Sicher
befremdet uns nichts härter als diese Lehre; und doch bleiben wir
ohne dieses unverständlichste aller Geheimnisse uns selber unver­
ständlich. Der Knoten unserer Lage erhält seine Verwicklungen und
Schlingen in diesem Abgrund; und so ist der Mensch ohne dieses
G eheim nis noch unverständlicher als dieses Geheim nis dem
Menschen unverständlich ist“33. Für die Richtigkeit dieses Satzes
ließe sich der Nachweis führen, daß die an Stelle der Erbsünde gebo­
tenen Erklärungsversuche weniger überzeugen als die originale
Lehre.
Einer ähnlichen Erfahrung verleiht J. H. Newman (+ 1890) noch
realistischeren Ausdruck in dem Wort: „Wenn es einen Gott gibt, und
da es einen gibt, muß das M enschengeschlecht in irgendeine furcht­
bare Urschuld verstrickt sein. Es hat die Verbindung mit der Absicht
seines Schöpfers verloren. Das ist eine Tatsache, so sicher wie die
Tatsache seiner Existenz; und darin ist die Lehre von dem, was die
Theologen Erbsünde nennen, in meinen Augen fast ebenso gewiß wie
die Existenz der Welt und die Existenz Gottes“34. Solche Urteile zei­
gen eine Verwandtschaft zur Geistigkeit Augustins, der von der
„Erbsünde“, dem „antiquum peccatum“, sagte: „nihil est ad praedi-
candum notius, ad intelligendum secretius“35. Eine bemerkenswerte

33 H. U. v. B a lt h asar, B laise P asc al, S ch r ifte n zur R e li g i o n , E in s ie d e ln 1982, 218.


34 J. H. N e w m a n , A p o l o g i a pro vita su a (A usg ew . W W I, hrsg. von M. L aros u n d W.
B e c k e r) , M a in z 1951, 280.
35 D e mor., eccl. 40.
Bestätigung erfahren solche Urteile auch von der Gegenseite her. So
entging einem engagierten K ritiker des Christentum s, A.
Schopenhauer (+ 1860), nicht, wie tief die Lehre von der „Erbsünde“
im christlichen Heilsglauben verwurzelt ist. Darum nannte er diese
Lehre „den M ittelpunkt und das Herz des Christentums“36, was ihren
Stellenwert in der christlichen Erlösungsreligion in etwa trifft.
2) Widerstände und Annäherungen im modernen Denken
Obgleich die „Erbsünde“ zu allen Zeiten auch Kritik erfahren hat
(so bei den Pelagianern im Altertum, bei Abaelard im Mittelalter, bei
den Sozinianern am Beginn der Neuzeit), setzte in der Aufklärung
der entscheidende Kampf gegen sie ein, wobei die Offenbarungs­
w ahrheit in eine Vernunftw ahrheit übergeführt werden sollte
(G. E. Lessing, + 1781). Wie hart hier gelegentlich die Ablehnung
ausfiel, zeigt u.a. das Urteil J. A. Eberhards (+ 1809), der diese Lehre
als „ungemein anstößig, den ersten Grundwahrheiten zuwider, allen
menschlichen Empfindungen peinlich und der Gottheit unanstän­
dig“37 ansah. Eine kraftvolle Stütze erfuhr diese Ablehnung durch die
aufkomm ende B ibelkritik und das Entstehen der „m ythischen
Schule“ (J. G. Eichhorn, + 1827).
Während die katholische Aufklärungstheologie an dem geschichtlichen
Verständnis von Gen 2-3 festhielt™, kam es auf seiten der protestantischen
Theologie zu einer naturalistischen Umformung des Sündenmomentes in die
Vorstellung von der Neigung zum Bösen, die im 19. Jahrhundert unter dem
Einfluß des Deutschen Idealismus-’9 sich wiederum wandelte. Bei F. Chr. Baur
(+ 1860) wird die „Erbsünde“ zum natürlichen Widerspruch des wirklichen
Menschen zu der über ihm stehenden Idee des vollkommenen Menschseins40. Die
philosophische Gedankenwelt des 19. Jahrhunderts verband der Anglikaner
Fr. R. Tennant (+ 1957) in seiner „Physical Theology“ mit dem Evolutionismus
Darwins und kam so zu einer Auffassung von der Sünde (besser: vom Übel),
nach welcher diese den Gegensatz zwischen den nicht-moralischen und morali­
schen Stufen einer Entwicklung innerhalb einer Sozietät bilde41.

36 A. S c h o p e n h a u e r , W W ( B r o c k h a u s a u s g a b e 1939) IV/2, 412.


37 J. A. E b e rh a r d , N e u e A p o l o g i e des S o k ra tes, B e rlin 2177 6-17 78 , I. Abt. VI, 113.
38 H. M. K öste r, U r stä n d , Fall un d E r b s ü n d e . Von der R e f o r m a t i o n bis zur G eg e n w a rt,
1 17f.
39 Vgl. d azu R. S ch a n n e , S ü n d e n f a ll un d E rb s ü n d e in der s p e k u la tiv e n T h e o l o g ie , 352-
357.
40 H. M. K ö ste r, a.a .O ., 184.
41 R. M. D e p p e , D ie E rb s ü n d e in d e r p h i l o s o p h i s c h e n T h e o l o g ie Fr. R. T en n an ts, 262-
272.
Die evolutionstheoretische D eutung hat im 20. Jahrhundert einen
neuen A uftrieb durch Teilhard de C hardin (+ 1955) erfahren, der die
„Erbsünde“ als eine in der Werdestruktur des Universums mitgege­
bene Unordnung versteht, von der gilt: „Oberhalb des Lebens bringt
sie den Schmerz. Vom Menschen an wird sie zur Sünde“42. So kann
sie auch als ein Zustand beschrieben werden, „der die menschliche
Masse in ihrer Gesamtheit infolge eines im Laufe der Zeit in die
Menschheit verstreuten Staubs von Sünden affiziert“43.
A ber die gew ichtigeren E in w ä n d e und A bsagen an die kirchliche
Erbsündenauffassung kommen gegenwärtig aus den Reihen der evangelischen
Theologie, die, den Maßstab der modernen Subjektivität und Personalität anle­
gend, die Erbsünde als R esiduum einer natu ra listisch e n und sachhaften
Heilsauffassung ablehnt. So urteilt K. Barth (sich ganz auf den nur analog zu
verstehenden Begriff des „Erbes“ konzentrierend): Erbsünde sei „eine contradic-
tio in adjecto, der gegenüber sich noch n ie m a n d anders als damit hat helfen kön­
nen, daß er den einen oder anderen dieser Begriffsteile eskamotiert h a t“ . In
Wahrheit sei die sogenannte Erbsünde „die sich ereignende höchst willentliche,
höchst verantwortliche Lebenstat eines jeden M enschen“44.
Diese Sünde mit Adam verbindend, behauptet E. B runner
(+ 1966), daß jeder Mensch „Adam“ ist, und in seiner Urentschei-
dung gegen das Schöpfungswort einen Akt setzt45, der „trotz aller
Prävalenz der Schöpfung mit konstitutiv für das Personsein“46 ist,
woran sich etwas von der reformatorischen Radikalität und Extre­
mität in der Einschätzung des menschlichen Sünderseins zeigt. Ähn­
lich besteht für P. Tillich das unter dem ungeeigneten Begriff der
„Erbsünde“ zu Fassende in der existentialanalytisch zu interpretie­
renden Entfremdung von seinem wahren Wesen, welche sowohl tra­
gische Notwendigkeit als auch persönliche Schuld darstelle47. In dem
Bemühen, dem seit dem 18. Jahrhundert in der protestantischen
Theologie vor sich gehenden „Verfall der Erbsündenlehre“ zu begeg­
nen, der zur Reduzierung der W irklichkeit der Sünde auf Tatsünden
führte (man könnte aber umfassender vom Verfall des Sünden­
bewußtseins im ganzen sprechen), versucht W. Pannenberg die

42 R e fle x io n s sur le P ech e O rig in al: K. S c h m i t z - M o o r m a n n , Die E rb s ü n d e , 153.


43 E bd a., 157.
44 K. B arth , Die k i r c h l ic h e D o g m a t i k I V /1, 558.
45 E. B run n er, D o g m a t i k II, 121.
46 So H. Volk, E m il B r u n n e r s L eh re vo n dem S ün d er, 121.
47 P. T illich , S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 4 3 ff.
Dimension der Allgemeinheit der Sünde wiederzuentdecken und sie
als eine Verkehrung der Struktur des Menschseins neu zur Einsicht
zu bringen und am Zusammenhang von Begierde und Selbstsucht
verstehbar zu machen. Der Gedanke führt zur paulinischen Erkennt­
nis von einer „Macht der Sünde“ (Röm 7,7ff.), die sich bei Adam wie
bei allen ferneren Menschen durchsetzte, und zwar nicht ohne sein
Zutun und seine „wenngleich zwiespältige Zustimmung“48. Das
Problematische dieses Ansatzes scheint darin gelegen zu sein, daß
diese Sündenmacht schon in dem geschaffenen Menschen angelegt
erscheint, so daß die Sünde zur Schöpfung gehört. Das ist nicht nur
gegen die ursprüngliche Güte der Schöpfung und ihren Schöpfer
gerichtet, sondern verleiht der Sünde (ganz im reformatorischen
Sinne) eine nahezu naturhafte Gewalt im Leben des Menschen.
Wenn in diesem Zusammenhang auch die katholische Theologie
in die Geschichte des Verfalls einbezogen wird, so ist hier doch ein
Unterschied zu machen, insofern die entsprechenden auflösenden
Tendenzen erst nach der Mitte des 20. Jahrhunderts voll durchschla­
gen (die Abweichungen von G. Hermes [+ 1831] und A. Günther
[+ 1863], bei denen die idealistische Einfärbung verfremdend wirk­
te, blieben Episode). Hier kam es dann freilich in vielen Fällen zur
gänzlichen Preisgabe dieser Lehre (so bei U. Baumann, H. Haag,
D. Fernandez, A. de Villalmonte49). Charakteristischer für die Situ­
ation sind aber wohl die Bestrebungen, der traditionellen Lehre ohne
Preisgabe ihres angestammten Sinnes eine neue Interpretation zu
geben (s.u.). Dabei bleibt freilich die Frage, ob bestimmte Neufor­
mulierungen nicht auch den Wesens sinn aufheben.
Indessen darf bei der Diagnose des Verfalls der Erbsündenlehre
der für die theologische Aufgabe zur Vermittlung dieser Wahrheit an
den Zeitgeist bemerkenswerte Tatbestand nicht unbeachtet bleiben,
daß sich bei allem Widerstand gegen und aller Ablehnung der Offen­
barungswahrheit andererseits im modernen Denken säkularisierte
Ersatzvorstellungen für diese Wahrheit finden, welche einen gewis­
sen Beweis dafür liefern, wie tief die Ahnung um eine solche Wahr­

48 W. P a n n e n b e r g , S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 301.
49 H. M. Köste r, a.a.O ., 195.
heit im Bewußtsein der Menschen verankert ist, auch wenn sie oft­
mals in völlig verfremdeter Gestalt zutage tritt.
Schon seit langem ist der Marxismus als verkappte säkularisierte
Heilslehre erkannt, die ein christliches Plagiat auch in einem
„Sündenfall“ findet. Nach K. Marx (+ 1883) ereignete sich dieser
beim Aufkommen des Privateigentum s, von dem an die
„Entfremdung“ des Menschen und der gesamten menschlichen
Verfassung und Geschichte datiert, auch wenn er über die davor lie­
gende Urform des menschlichen Daseins keine Aussagen macht50. In
veränderter Form findet sich das christliche Bild der vom Unheil zum
Heil fortschreitenden M enschheitsgeschichte bei E. Bloch. Nur ist
hier das Unheil nicht punktuell festgelegt: Es durchwaltet die ganze
von der Entfremdung geprägte menschliche Geschichte, die wesent­
lich noch „Vorgeschichte“ ist, die aber von der Hoffnung angetrieben
wird, zu einer neuen Schöpfung zu werden, die dem Menschen
„Heimat“ schenkt51.
Auch vom anderen Extrempunkt der philosophischen Skala her läßt sich eine
paratheologische Entsprechung zur (äußeren) Struktur der christlichen Lehre
aufzeigen. Im Existentialismus Heideggers (+ 1976) resultiert das Unheil des
abendländischen Denkens, das er als paradigmatisch für die ganze Menschheit
hält, aus einem Abfall vom wahren Seinsdenken, welcher in dem Schema ver­
läuft: „verlorenes Paradies (der erste Anfang), dann Leben in der Folge des
Sündenfalls (= Metaphysik) und Verstrickung des Lebens in den reinen, abstrak­
ten Begriff, selbsterdachte Erlösung und Paradies am Ende: Denken des Seins“52.
Eine größere inhaltliche Nähe zur christlichen Wahrheit beweist K. Jaspers
(+ 1969). Im Hinblick auf die christliche Offenbarung von der Erbsünde trifft er
zunächst die Feststellung: „Die Erbsünde können wir als Chiffre im ganzen uns
nicht zu eigen machen, weil sie alles in die Gnadenerwartung legt, unterstützt
durch die kirchlich garantierte Verheißung“ . In dieser Chiffre aber findet sich
dennoch „die Wahrheit des Anspruches der Umkehr, der zum Menschen als
Menschen gehört, und das Bewußtsein des Sichgeschenktwerdens, er weiß nicht
woher und nicht w ie “53. Hier erscheint die christliche Wahrheit als „Chiffre“ für
die menschliche Situation des Verfallenseins, des Nicht-in-Ordnung-Seins, als
Ausdruck der Spannung zwischen Hinfälligkeit und Freiheit. Sie ist ihm weiter­
hin ein Zeichen dafür, daß der Mensch im Aufschwung der Freiheit über das

50 Vgl. H. H a m m , A r b e it - E th ik - M e n s c h e n r e c h t , L im b u r g 1976, 41.


51 E. B loch, Das P rin z ip H o f fn u n g , F ra n k fu r t a. M. 1950, 1628.
52 W. B e i e r w a l t e s , H e i d e g g e r s R ü c k g a n g zu den G r i e c h e n ( S i t z u n g s b e r i c h t e der
B a y e r i s c h e n A k a d e m i e der W i s s e n s c h a f te n , P h il.-h is to r. K la s se , 1995/1), M ü n c h e n 1995,
9.
53 K. J a sp e r s, D er p h i l o s o p h i s c h e G la u b e a n g e s i c h t s der O f fe n b a ru n g , M ü n c h e n 1993.
Widerständige ein Geschenk erfährt, das er sich nicht selbst verdankt. Solche
G eschenke erscheinen wie eine m enschliche Vorahnung dessen, was die
Offenbarung mit der Wahrheit von der universalen Menschheitsschuld über den
Menschen als Gefallenen und Begnadeten sagen will.
Noch größer erscheint die Beziehungsnähe bei bestimmten
Vertretern der Tiefenpsychologie und der Psychoanalyse. C. G. Jung
nimmt einen Ort des Bösen im Menschen an und sieht ihn in der cha­
otischen Triebhaftigkeit gelegen, der term inologisch auch als
„Libidoüberschuß“ bezeichnet wird. Der Autor versucht daraufhin
sogar eine Definition der Erbsünde, die er (in Fehlinterpretation
Augustins) mit der „Begierlichkeit“ gleichsetzt, um dann von dieser
Sünde feststellen zu können: „Wir würden etwa sagen: ungezähmte
Libido, die als Heimarmene, Gestirns- und Schicksalszwang, den
Menschen in Schuld und Verderben führt“54. Dieser rein naturalisti­
schen Sicht der allgemeinen Sünde steht bei C. G. Jung aber eine
mehr ethische Auffassung gegenüber, in der sogar das christliche
Motiv der „felix culpa“, der „glückseligen Schuld“ anklingt. Dies
zeigt die Aussage: „Man weiß ..., daß es ohne Sünde keine Bereuung
und ohne Bereuung keine erlösende Gnade gibt, ja, daß ohne pecca-
tum originale (Ursprungssünde) der Welterlösungsakt niemals hätte
in Szene gehen können“55.
Noch tiefer in das Feld religiös-christlicher Sinnerschließung der
Wahrheit reicht die Deutung W. Daims hinein. Für ihn ist die Erb-
schuld identisch mit einer ursprünglichen und totalen Fixierung des
Menschseins. „Mit der Erbschuld beginnt der Terror der Götzen.
Welt, Mensch und menschliche Gemeinschaft verfallen zusehends
immer wieder der perversen Neigung. Zur Fixierung auf sich selbst
oder auf die Mächte und Götzen“56.
3) Die Grundlagen in Schrift und Tradition
Die biblische Begründung der Erbschuldwahrheit sieht sich
zunächst den gleichen Schwierigkeiten gegenüber, wie sie sich be­
züglich des „Sündenfalles“ stellen. Ja, diese Schwierigkeiten schei­
nen sich noch zu vergrößern, wenn man bedenkt, daß es sich bei der

54 C. G. Jung, P s y c h o l o g i s c h e T ypen, Z ü ri c h 1950, 34.


55 D ers., P s y c h o l o g i e und A lc h e m ie , Z ü ri c h 1944, 51.
56 W. D a im , T ie fe n p s y c h o l o g i e und E rl ö s u n g , Wien 1954, 68.
Wahrheit von der „Erbsünde“ um eine Folge des Sündenfalls handelt
und um eine Erweiterung des Sündenfallberichtes, dessen Wortlaut
der universale, die ganze Menschheit betreffende Charakter dieser
Sünde schwer zu entnehmen ist. Auf diesem Hintergrund stehen die
ablehnenden Stellungnahmen mancher Exegeten, die etwa mit L.
Köhler bezüglich Gen 3,1-24 meinen, daß „die Geschichte nicht ein­
mal beiläufig ... etwas über Sündhaftigkeit oder die Verderbnis zur
Sündhaftigkeit“57 aussage. Katholischerseits hat sich dieser Auffas­
sung besonders H. Haag angeschlossen, für den „der Gedanke einer
Weitergabe der Sünde durch physische Zeugung dem Alten Testa­
ment durchaus fernliegt“58. Gleichwohl gibt es auch positivere Stel­
lungnahmen, die in der Sündenfallgeschichte Elemente finden, auf
denen die spätere Lehre von der „Erbsünde“ aufgeführt werden
konnte, und die zugeben, daß die Erzählung „hart vor dem Gedanken
der Erbsünde“59 steht.
Die Offenheit der Sündenfall-Erzählung für den Gedanken einer universalen
Unheilsfolge ist wohl auf Grund des Zusammenhangs des Berichtes mit dem
vom Verfasser eingenommenen Standpunkt in der heilsgeschichtlich verstande­
nen Gegenwart und ihrer Deutung nicht zu bestreiten. Dem entspricht literarisch
die Annahme des Genus der geschichtlichen Ätiologie, in welcher die menschli­
che Situation mit dem Urereignis verknüpft wird.
Aber die neueren exegetischen Begründungsversuche sind nicht einseitig auf
die Genesis-Erzählung fixiert. Sie nehmen vielmehr das Alte Testament im
ganzen in den Blick. Dabei kommt es zunächst zu der Feststellung, daß die
Sünden fallerzähl ung der Genesis in den anderen Schriften des Alten Testamentes
keinen direkten Nachhall findet, was jedoch keine absolute Ausfallserscheinung
darstellt; denn der Gedanke an ein allgemeines Sündenverhängnis kommt in
anderen Aussageformen und Auffassungskategorien durchaus zum Ausdruck. So
tritt die allgemeine Verstrickung in die Sünde beim Elochisten (nach 732 v. Chr.)
in der Form des mit d em Stierkult verbundenen Bundesbruches (Ex 32) hervor,
bei den Propheten in der Weise des auf den Stammvater Jakob zurückgehenden
bundesw idrigen Verhaltens (Hos 9,10), w ährend beim D euteronom isten
(Dtn 1-4) die dauernde Halsstarrigkeit des Volkes seit Moses als die bleibende
allgem eine Sünde ausgegeben wird. In der W eisheitsliteratur wird diese
Sündenverfallenheit auch unter Anspielung auf den Sündenfallbericht und seine
Todesfolge ausgesagt (Sir 25,24; Weish 2 ,2 3 f.) und bei Ijob als
Sündenverhaftung vom Mutterleib an interpretiert (Ijob 14,14; Spr 20,9;
Ps 51,7). Dabei ist zuzugeben, daß diese Aussagen nicht schon das spätere

57 L. K öh ler, T h e o l o g ie des A lten T estam en ts , T ü b in g e n 41966, 167.


58 B ib lis c h e S c h ö p f u n g s l e h r e un d k i r c h lic h e E r b s ü n d e n l e h r e , S tuttg art 1966, 58.
59 So Th. C. V riezen , T h e o l o g ie des A lten T e s t a m e n t e s in G r u n d z ü g e n , W ag en in g en
1956, 179f.
Dogma von der „ E rb s ü n d e “ vorausnehmen, bei dem im übrigen ursprünglich
schon im Ausdruck nicht das Moment des Erbes, sondern das der Adamseinheit
im Vordergrund stand, weshalb auch der Begriff „Ursprungssünde“ dominierte.
Dieser Sachverhalt findet eine gewisse Bestätigung in der exege­
tischen Erklärung, daß das jahwistische Geschichtswerk in seiner
Erw ählungs- und V erheißungstheologie gerade die unheilvolle
W irkungsgeschichte der Adamstat beschreiben und den gewaltigen
Fluch erkennbar machen wollte, der über die ganze Menschheit und
alle Zeiten ergeht. Man könne deshalb beim Jahwisten durchaus ein
Äquivalent für die „Erbsünde“ finden, wenn man darunter „die ganze
Verkettung von einzelnen Tatsünden und Sündenfolgen“ seit Adam
verstehe60. Andere ziehen zur Gliederung dieses biblischen Gedan­
kens die semitische Vorstellung von der „korporativen Persönlich­
keit“ heran, die eine tiefe Verbundenheit zwischen dem Stammvater
und der Gemeinschaft zum Ausdruck bringt, so daß die „Urperson“
die ganze Gemeinschaft verkörpert und diese umgekehrt von jener
im Sein und im Geschick vertreten wird61.
Freilich ist dabei nicht schon festgelegt, daß es sich bei dieser
„Urperson“ um eine reale Größe und nicht um eine historische
Fiktion handele. Aber die weitere Entwicklung der Vorstellung von
einem universal wirkenden Unheil am Ursprung wies in diese
Richtung, die dann vom Neuen Testament verstärkt aufgenommen
wurde, vor allem in der paulinischen Sünden- und Erlösungslehre.
Auch wenn man zugeben muß, daß sich bei Paulus gewisse
Vorstellungen der spätjüdischen apokryphen Literatur finden, in wel­
cher die Sünde der Stammeltern mit ihren Folgen eine weitere grob­
realistische Ausgestaltung erfuhr (auch unter Heranziehung der aus
der iranischen Welt kommenden Vorstellung vom Urmenschen62), so
ist doch die Originalität des paulinischen Ausdrucks nicht zu bestrei­
ten. Sie gründet in der alles Denken informierenden Kraft des

60 Vgl. a u s f ü h r l i c h e r I. S c h arb ert, P r o l e g o m e n a eines A l t t e s t a m e n t l e r s zur E r b s ü n d e n ­


leh re (Q D 37), F re ib u rg 1968, 60 -1 07 ; bes. 76.
61 So u.a. J. de F ra in e, A d a m u nd sein e N a c h k o m m e n , K öln 1962, 140.
62 Vgl. H. S chlier, D er R ö m e r b r i e f ( H e rd e rs th eol. K o m m e n t a r zu m N T ), F re ib u rg 1977,
187-189; vgl. auch E. K ä s e m a n n , An die R ö m e r (Hdb. zum N T ), T ü b in g e n T 9 7 4 , 137.
K ä s e m a n n w e r t e t die A d a m - C h r i s t u s - T y p o l o g i e als A u s d r u c k d e r u n e n t r i n n b a r e n
S ü n d e n m a c h t , h ä lt aber die T h e o rie vom „ E r b t o d “ oder von der „ E r b s ü n d e “ als „viel zu
r a t i o n a l is t i s c h “ : eb d a., 138.
Christusereignisses, das auch die für die Lehre von der Sünde ent­
scheidende Adam-Christus-Parallele bestimmt. Vorauszuschicken ist,
daß die Evangelien und die apostolische Verkündigung zwar um die
A llgem einheit der Sünde wissen (vgl. Mk 8,38; Apg 2,38;
1 Joh 1,8.10) wie ebenso auch um die sündentilgende Kraft des
Werkes Christi (vgl. Mk 2,17; Mt 18,12f), daß sie aber die Ur­
sprungsfrage nicht stellen, die sich erst aus einer heilsgeschichtli­
chen Überschau des Christusereignisses ergeben konnte. Diese war
erst dem im Rabbinismus geschulten Theologen Paulus möglich.
Wohl nicht ohne Nachwirkung der eigenen Heilserfahrung des Gegensatzes
von Gesetz und Evangelium, von Sünde und Gnade, gelangte P aulus zu der
Erkenntnis, daß die Sünde nicht in dem einzelnen schlechten Akt des Menschen
allein existiere, sondern eine überpersönliche Macht darstelle und einen den ein­
zelnen übergreifenden Unheilszusammenhang ausbilde. Diesen Zusammenhang
wies der A po stel im Römerbrief auf (Röm 5-8), vor allem in der seitdem als
locus classicus angesehenen Adam-Christus-Parallele Röm 5,12-21. Nach dieser
Darstellung ist Adam genauso die einzige Ursache des Unheils, wie Christus die
einzige Ursache des Heils und der Erlösung darstellt. Diesen Sachverhalt faßt
der Apostel zunächst in die Formulierung, daß „durch einen einzigen Menschen
die Sünde in die Welt kam und durch die Sünde der Tod, und auf diese Weise der
Tod zu allen Menschen gelangte, weil alle sündigten“ (Röm 5,12). Dem ent­
spricht auf der Gegenseite die Überzeugung, daß „erst recht die Gnade Gottes
und die Gabe, die durch die Gnadentat des eine Menschen Jesus Christus bewirkt
worden ist, den vielen reichlich zuteil geworden“ ist (Röm 5,15). Auch wenn
angenommen wurde, daß Paulus hier nur vom Tod spreche und die Aussage somit
eher einen „E rb tod“ lehre, so spricht doch gemäß der paulinischen
Gesamtauffassung von Sünde und Tod vieles dafür, daß der „Tod“ hier im umfas­
senden Sinne genommen und sowohl als leiblicher Tod wie auch im theologi­
schen Vollsinn als ewiger Tod und als Verdammnis von Gott her verstanden
wird63. Mit dem Hinweis „weil alle sündigten“ (in kausal-konjunktionaler Ü ber­
setzung des „eph hö“) will Paulus wohl keine doppelte Kausalität für die
Todesverfallenheit der Menschheit einführen, sondern dartun, daß die von Adam
herrührende Sündenmacht sich im konkreten Sündigen aller manifestierte und
daß die Einzelsünde sich auf die von Adam herkommende Sündenmacht zurück­
führen lasse64. In V. 19 fällt dann die entscheidende Aussage: „Wie durch den
Ungehorsam des einen Menschen die vielen zu Sündern wurden, so werden auch
durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechten gemacht werden“ .
Eine strenge Ausdeutung der Adam-Christus-Parallele (die in
Wirklichkeit eine Antiparallele ist) erlaubt so den Schluß, daß Paulus
von einem durch Adam allen Menschen vermittelten Unheil spricht,
auch wenn von einem „Erbe“ nicht die Rede ist und die Art und

63 O. Kuss, D er R ö m e r b r i e f, 1. Lfrg., R e g e n s b u r g 1957, 228.


64 H. S chlier, a.a.O ., 163.
Weise der Verbindung der Menschen mit Adam nicht geklärt wird.
Nicht ohne jede Beweiskraft ist auch die Aussage Eph 2,3 über die­
jenigen, die „von Natur aus Kinder des Zornes“ waren. Die Aussage
geht auf die menschliche Existenz, wie sie sich aus sich selbst und
ohne die Gnade verwirklicht. „Der Sache nach spricht Paulus von der
Auswirkung der Erbsünde auf die menschliche Existenz“65.
Obgleich Paulus mit all dem keine Lehre von der „Erbsünde“ ent­
wickelt, bieten die Gedanken über eine alle Menschen affizierende
Unheilsmacht von Adam her die Grundlage, auf der die kirchliche
Lehre aufbauen konnte. Daß die Aussagen des Apostels nicht für eine
förmliche „Erbsünden“-Lehre heranzuziehen sind, zeigt sich u.a. an
dem Fehlen einer Begründung des inneren Zusammenhangs zwi­
schen Adam und der Gesamtmenschheit. Man hat diesen gedankli­
chen Zusammenhang herstellen wollen mit dem Hinweis auf das
möglicherweise auch bei Paulus im Hintergrund stehende Modell der
Korporativpersönlichkeit (im Gegensatz zu der bei den Rabbinen
bekannten Vorstellung vom „Adam“ als „Behältnis“ aller Menschen)
oder mit Hinweis auf den Abbildgedanken, nach dem (gemäß
1 Kor 15,49) die Menschen die eikön Adams an sich tragen, d.h. die
Gestalt Adams annehmen, in der das Wesen zum Ausdruck kommt.
Aber diese Erklärungen sind nicht streng beweisbar. Andererseits ist
nach Paulus an dem Herkommen der Sündenmacht von Adam nicht
zu zweifeln und an der damit gegebenen Überzeugung von einer
Solidarität zwischen Adam und der nachfolgenden Menschheit, einer
Solidarität, die danach auch das Verhältnis zwischen Christus und
der Menschheit kennzeichnet.
Neben dem hier im Hintergrund stehenden Solidaritätsgedanken
ist inhaltlich weiterhin die Tatsache von Bedeutung, daß der Apostel
die Sünde trotz ihres herrscherlichen Auftretens nicht isoliert
betrachtet und nicht vom gnostischen Verhängnisgedanken bestimmt
ist. Vielmehr wird diese Macht im Hinblick auf Christus, den „letz­
ten Adam“ (1 Kor 15,45) prinzipiell als überwunden dargestellt. So
deutet sich ein Grundgesetz jeder (späteren) „Erbsünden“-Lehre an,
das in dieser Sünde das „Material“ und den Ermöglichungsgrund der

65 So H. Schlier, Der Brief an die Epheser. Ein Kommentar, Düsseldorf 1957, 107.
siegreichen Gnade Christi anerkennt und festhält, daß sie nur im
Zusammenhang mit dem Christusereignis zu verstehen ist.
Eine Aufnahme und Weiterentwicklung der paulinischen Ansätze erfolgte in
der frühen Tradition nur zögernd, was mit der Inanspruchnahme des jungen
Christentums durch die Apologetik gegenüber den Gegnern und mit der sich erst
langsam heranbildenden Theologie zusammenhängt. Aber im griechischen
Bereich finden sich bei Melito v. Sardes (+ vor 190), der unter Aufnahme des
heilsgeschichtlichen Konzepts des Paulus von einem „Erbe (kleronomia) der
Kinder Adams“ spricht, Gedanken, welche den „Kausalnexus von Sünde und
Tod, die A llgem einherrschaft derselben, die Rolle der Begierde, die Personifi­
kation dieser Mächte“ so deutlich zum Ausdruck bringen, daß hier eine Reihe
von Elementen der späteren „Erbsünden“-Lehre bereitgelegt werden, ohne daß
ihre Komposition schon im Sinne des kirchlichen Dogmas ausfällt; denn bei
M elito ist zunächst nur ein mehr äußerlich gefaßter Unheilszustand als „Erbe“
bezeichnet, zu dem auch die persönlichen Sünden hinzugehören. So entsteht der
Eindruck von einer durch Gott verhängten Erbstrafe, die erst durch die eigene
Tat des M enschen zu Schuld und Sünde wird. Für den Zusammenhang von
Ursprungssünde und den nachfolgenden Einzelsünden, der dem traditionellen
Denken nicht besonders wichtig erschien, liefert M elito eine wichtige An­
regung.
Indessen ist die (letztlich mehr für das griechische Denken reprä­
sentative) Auffassung von der universalen Unheilsmacht, die bei
Irenäus v. Lyon (+ um 202) zu einer „unio mystica“ zwischen Adam
und der Menschheit vertieft wird66, im Abendland nicht weiterver­
folgt worden. Dem abendländischen (römischen und afrikanischen)
Denken lag eine pragmatische, moralische und rechtliche Denkweise
näher, vermöge derer sie zu einer genuinen Bestimmung des
Spezifischen dieser allgemeinen Sünde drängte. So faßte Tertullian
(+ nach 220) unter stoischem Einfluß die Einheit der Menschheit mit
Adam realistisch als Abstammungseinheit, woraufhin von ihm das

66 L. Scheffczyk, Urständ, Fall und Erbsünde von der Schrift bis Augustinus, 58; 63. Die
griechische „Erbsünden“-Theologie hat M. Hauke eingehend untersucht: Heilsverlust in
Adam, 694-717. Dabei wird im Vergleich mit den Abendländern der andere Denkstil und
der „klimatische Unterschied“ erkennbar, in dem sich zunächst mehr ein.„Erbtod“ und ein
„Erbunheil“ auszudrücken scheint als eine förmliche Sünde. Auch denken die
M orgenländer (unter platonischem Einfluß) über das Verhältnis von „Adam“ zur
Menschheit mehr in den Kategorien der Gottebenbildlichkeit (und ihrer Versehrung), der
Teilhabe an der Adamssünde und im Modell der Unheilssolidarität, wozu der charakteri­
stische Gedanke einer Ratifizierung dieses Zustandes durch die Einzelsünden der
Menschen hinzukommt. Daraus entsteht die Vorstellung eines Sündengeflechtes, in dem
die Menschheit verfangen ist. Auch die Vorliebe für die mehr mystische Begrifflichkeit
(„Leben - Tod“) anstelle der „forensischen“ („Gnade/Gerechtigkeit“ - „Sünde“) kann die
innere Verwandtschaft beider theologischer Typen nicht aufheben, die vor allem in der
heilsgeschichtlichen Einheitserfassung von Adam und Christus gründet.
„Erbübel“ erstmals als tradux (Setzling, Ableger) und als „originis
vitium“ (Verderbnis des Ursprungs) bezeichnet und als durch die
Zeugung übertragen angesehen wird. Aber das, was übertragen wird,
ist nicht eindeutig als „Sünde“ oder „Gnadenlosigkeit“ ausgegeben,
sondern vornehmlich als Komplex von Sündenfolgen und als Natur­
verderbnis, aus dem jedoch das eigentlich sündhafte Moment nicht
gänzlich ausgeschlossen ist. Damit zeigt sich bei Tertullian einerseits
noch das Unfertige dieser Sündenauffassung, wie andererseits auch
die einseitig naturhaft-biologistische Auffassung der Übertragung
mit Recht gerügt wird. Anzuerkennen ist allerdings wiederum der
christologische Horizont, unter dem die Gedankenführung steht;
denn auch für den afrikanischen Rhetor ist das Erbübel nur die dun­
kle Folie für das Licht der Erlösung durch Christus.
Als Bindeglied zwischen der griechischen Theologie der Kappadokier, deren
Grundgedanke in der Adamseinheit der M enschheit gelegen ist („Adam - das
sind wir selbst“), und Augustinus fällt Ambrosius (+ 397) eine wichtige Rolle in
der Lehrentwicklung zu: Für ihn nimmt die Adamssünde den Charakter eines
„lapsus totius haereditatis“ an, woraus er den Schluß ableitet: „Omnis homo sub
peccato“67. Auch wenn dabei nicht immer zwischen den Folgen der Adamssünde
und der überkommenen Sünde selbst unterschieden wird und gelegentlich der
Eindruck entsteht, daß die Konkupiszenz und die Neigung zum Sündigen das
Wesen der „Erbsünde“ ausmachen, so bleibt doch der Nachdruck, der auf der uns
affizierenden Sünde Adams liegt, ebenso beachtlich wie die heilsgeschichtlich-
christologische Zusammenschau von Sünde und Erlösung. Hier präludiert der
Kirchenvater von M ailand den Grundsatz von der „felix culpa“ im österlichen
„Exsultet“, wenn er die Adamssünde eine „felix ruina“ nennt, „quae reparatur in
m elius“68.
Bei realistischer Bewertung dieser voraugustinischen Zeugnisse
wird man Augustinus selbst (+ 430) nicht als den Erfinder der
„Erbsünden“-Lehre ausgeben können. Wohl kommt ihm die Rolle
des Vollstreckers der vorangegangenen Tradition zu, auf die er sich
ausdrücklich beruft69. Von der Bedeutung des „antiquum peccatum“
war er schon vor der Auseinandersetzung mit den Pelagianern über­
zeugt, aber zugleich auch, wie niemand zuvor, von ihrem Geheimnis
beeindruckt, wie seine Aussage beweist: „Nihil est ad praedicandum
notius, ad intelligendum secretius“70. Dieses Geheimnis versuchte
67 Ambrosius, In ps. 43, 76.
68 In ps. 39, 20.
69 So in Contra Julianum I 3, 5..
70 De mor. eccl. 40.
Augustin, der sich im Kampf mit dem Manichäismus angelegentlich
mit dem Ursprung des Übels befaßte, auf der Grundlage seiner Gna­
dentheologie deutlicher ins Licht zu heben, und zwar (wie schon
Ambrosius) mit formeller Berufung auf Röm 5,12-21 (freilich unter
Heranziehung des „in quo“ des dem Hilarius zugeschriebenen Am­
brosiaster).
Das W eiterführende der Erklärung Augustins ergibt sich aus der totalen
Verwiesenheit des heillosen adam itischen M enschen auf die Gnade Gottes.
Schon von diesem Urmotiv her wird verstehbar, daß diese Sünde, das von
Augustin erstm als so genannte „peccatum originale“, mit dem M angel an Gnade
und dem Verlust des göttlichen Lebens zu tun hat. So bezeichnet er das von
Adam herrührende Unheil an entscheidender Stelle als „mors anim ae“, wobei er
unter der mors nicht nur den leiblichen Tod versteht, sondern erstlich den „Tod
der Seele“, bei dem die Seele vom göttlichen Leben verlassen wird71. In diesem
Tode sind alle anderen „Tode“ angekündigt und präform iert. Aber danach wird
dieser Gedanke überdeckt von der Vielzahl der den Pelagianern entgegengehal­
tenen Sündenfolgen und der Fülle der Verderbnisse, unter denen die Konkupis-
zenz die Hauptrolle spielt. Die Konkupiszenz, als ungeordnetes Streben nach
Selbstbehauptung gegenüber Gott, aber vor allem auch als „inoboedientia car-
nis“ verstanden, wird gelegentlich von Augustin selbst als „peccatum “ bezeich­
net und gilt deshalb manchen Interpreten als das Wesen der „Erbsünde“. Daß
dies für Augustin nicht zutrifft, kann allein schon der Umstand beweisen, daß
nach ihm die „Erbsünde“ durch die Taufe getilgt wird, die Konkupiszenz dage­
gen im Getauften als m aterieller Bestand erhalten bleibt72. Tatsächlich fungiert
sie vor allem als Instrum ent und M ittel der Übertragung der Adamssünde, eine
zwar unzutreffende und die spätere „Erbsünden“-Lehre belastende Annahme, die
aber als solche jedenfalls gegen die angebliche Identität von Sünde und Kon­
kupiszenz spricht. Im ganzen kommt der Konkupiszenz der Charakter eines
Zeichens der geistigen Sünde im leib-seelischen Ganzen des M enschen zu. Sie
ist bei den Nachkommen Adams ein Zeichen für die noch nicht getilgte
Adamssünde, bei den Getauften ein Zeichen und Merkmal der menschlichen
Verwundung und ein Aufruf zum Kam pf gegen das Böse.
Was die Frage nach der Überleitung der Adamssünde betrifft, so fällt die
A uffassung A ugustins nicht so „biologistisch“ aus, wie das vielberufene
„Vererbungsschema“ nahelegt. Augustin erwägt mehrere Erklärungen, die teil­
weise ineinander übergehen. Eine erste, mehr hypothetisch vorgetragene These
geht auf die mystische Seeleneinheit aller in Adam, wobei allerdings dann die
Übertragung der Sünde auf die Einzelseelen die Annahme des Generatianismus
fordert, für den sich der K irchenvater nicht entscheiden konnte. Dieser
Erklärung ähnelt die mehr platonische Auffassung von der einen M enschennatur,
so daß „alle ja ein M ensch“ waren und die Adamssünde zur „Natursünde“ wird,
was dem Kirchenvater fälschlich als verkappter M anichäism us ausgelegt wurde.
Aber auch die juridische Theorie wird erwogen, nach welcher der Besitz des

71 De civ. Dei XIII, 2.


72 De pecc. mer. et rem. I, 39, 70.
Vaters unter den Kindern zu teilen ist, so daß die Sünde der Stammeltern gleich­
sam nach dem Abstammungs- und Erbrecht auf den M enschen übergeht. Als
Übertragungsmodus gilt jeweils die Zeugung. Aber an der M ehrzahl dieser
Ansätze zeigt sich, daß der Kirchenvater nicht auf eine einseitig mechanisch-
biologistische Auffassung von der „Vererbung“ festzulegen ist. Hinter diesen
mehrfachen Ansätzen steht die Erkenntnis, daß der bloß physisch-m aterielle
Zusammenhang mit Adam keine hinreichende Erklärung für das Übergehen der
Sünde ist.
Zuletzt beruft sich Augustin hier auf einen allgemeinen Soli­
daritätsgedanken, der aber von Christus her begründet wird: „Wie
nämlich Christus einer ist, in dem alle gerechtfertigt werden, so ist
auch Adam einer, in dem alle sterben“73. So steht auch Augustins
Lehre im großen heilsgeschichtlich-christologischen Zusammen­
hang, dessen Zielpunkt Jesus Christus als der universale Erlöser ist74.
Dieser christologische Befund wird auch durch Augustinus’ späteres
Schwanken in der Interpretation des allgemeinen Heilswillens Gottes
nicht getroffen. Freilich wurde durch dieses Schwanken die Auffas­
sung von der Schwere der Folgen dieser Sünde noch verstärkt bis hin
zu dem Extrem des reformatorischen und jansenistischen Denkens.
Obwohl der Kirchenvater von Hippo die traditionellen Elemente
der „Erbsünden“-Lehre zusammenfaßte und sie in eine gewisse
Ordnung brachte, bot er noch keine geschlossene Theologie bezüg­
lich dieses Mysteriums, wie er auch in Einzelheiten (Wesensfrage;
Konkupiszenz) unscharf blieb. Trotzdem beherrschte seine Autorität
die mittelalterliche Lehrentwicklung, die ihm freilich nicht in allem
folgte. So versuchte Alkuin (+ 804) die enge Verbindung zwischen
„Erbsünde“ und Konkupiszenz zu lockern und in letzterer auch etwas
Positives anzuerkennen75, wie man im Frühmittelalter allgemein
bemüht war, die Schärfen der augustinischen Auffassung bezüglich
der Sündenfolgen zu mildern. Eine Neuerung bezüglich der Wesens­
frage führt Anselm v. Canterbury ein (+ 1109), wenn er die „Erb­
sünde“ als Mangel der (natürlich verstandenen) „rectitudo volunta-
tis“ und als „carentia debitae iustitiae“ interpretierte76. Abseits der
Traditionslinie entwickelte Abaelard (+ 1142) seine Lehre von dem

73 Ebda., I, 15, 19.


74 Ebda., I, 26, 28.
75 De anima rat., 4.
76 De conc. virg., 27
„levissimum peccatum“, das im Grande nur eine von Gott verhängte
Kollektivstrafe meinte77. Den für die Nachwelt gültigsten Ausdruck
erreicht die Lehre bei Thomas v. Aquin (+ 1274), der mit dem Hilfs­
mittel der aristotelischen Philosophie das Wesen der „Erbsünde“ in
dem Verlust der übernatürlichen iustitia originalis, das Materiale in
der Konkupiszenz (als Unordnung in der menschlichen Natur ver­
standen) gegeben sieht78.
4) Die Konzentrierung im Dogma der Kirche
Während das legitime Anliegen der Theologie darauf gerichtet
ist, eine in Frage stehende Lehre zu entfalten und unter vielen
Problemaspekten zu beleuchten, geht die Absicht der kirchlichen
Lehrverkündigung dahin, auf den heilshaften Kern des Fragezusam­
menhangs hinzuweisen und ihn dem Glauben vorzustellen. Das
erfolgte schon früh aus Anlaß des pelagianischen Streitfalles, und
zwar noch vor der Einflußnahme Augustins auf die „Erbsünden“-
Theologie. Dies gilt bezüglich der Ersten Synode von Karthago
(i J. 411), auf welcher der Pelagianer Caelestius verurteilt und die
Notwendigkeit der Kindertaufe wegen der „Schuld der Übertretung“
(„transgressionem culpam trahat“) gefordert wurde79.
Geschichtlich bedeutsam er erwies sich die Plenarsynode von Karthago vom
Jahre 4188ü, welche den inzwischen wieder angestiegenen Einfluß der Pelagianer
und die Unentschiedenheit des Papstes Zosimus (417-418) zu korrigieren hatte.
Den acht Canones, die im Grunde alle die Gnadenlehre betreffen, ist eine
Einlassung über das „peccatum originale“ (hier fällt der Ausdruck erstm als in
einem kirchlichen Lehrdokument im Sinne der von Adam weitergeleiteten
„U rsprungs sünde“) vorausgeschickt. Sie enthält die W ahrheit von der
Erschaffung Adams in einem nicht unter dem Gesetz des Todes stehenden
Zustand, so daß der Tod als Sündenfolge erscheint und keineswegs aus einer
Naturnotwendigkeit resultiert (c. 1: DH 222). Damit ist zugleich auch (entgegen
früheren Schwankungen) festgestellt, daß das „originale peccatum “ formell nicht
in der Todesverfallenheit bestehen kann, insofern diese als Folge der Sünde aus­
gegeben ist. Dem folgt in einer für die „Erbsünden“-Problematik immer charak­
teristischen Beziehung auf die religiös-praktische Norm der Kindertaufe die
Feststellung, daß die „parvuli recentes“ („kleine K inder“) „gleich vom
M utterleib weg zu taufen sind“, so daß man nicht sagen könne, sie „zögen nichts
von einer Ursünde aus Adam auf sich“. Sie müssen vielm ehr getauft werden,

77 ln Rom V; vgl. H. Köster, Urständ, Fall und Erbsünde in der Scholastik, 128f.
78 In II. Sent. d. 30 q. 1 a.3.
79 Bei Marius Mercator, Commonit. super nomine Caelestii I 1.
80 L. Scheffczyk, a.a.O., 235ff.
„damit in ihnen durch W iedergeburt gereinigt werde, was sie sich durch Geburt
zugezogen haben“ (c. 2: DH 223).
Damit ist auch etwas über die Art des Empfangs dieser Sünde gesagt, näm ­
lich daß sie durch Geburt (bzw. Zeugung) empfangen werde, aber es ist nicht
förm lich die Vorstellung vom Erbe eingeführt. Im c. 3 ist wenigstens angedeutet,
daß es sich um eine wirkliche Sünde handelt, insofern das Los der ungetauft
sterbenden Kinder (in einer heute als hart empfundenen Weise) als heillos aus­
gegeben wird, so daß sie nicht der ewigen Seligkeit teilhaft werden. Die Sünde
besteht demnach im Mangel an der Voraussetzung für das ewige Leben, welcher
konkret der Gnadenmangel und das Fehlen des Heiligen Geistes ist (c. 3:
DH 224). Unter dem Aspekt der theologischen Begründung ist der Umstand be­
merkenswert, daß sich diese Argumentation auf Röm 5,12 beruft, welche Bibel­
stelle „nicht anders zu verstehen [ist], als wie es die überall verbreitete katholi­
sche Kirche immer verstanden hat“ (c. 2: DH 223). Es ist ein im Lichte der
Tradition erhobenes Schriftargum ent.
Dabei kommt die Erklärung ohne Bezug auf die spezifisch augustinische
Vorstellung aus, die erst im pseudo-cölestinischen „Indiculus“ (DH 239; um die
M itte des fünften Jahrhunderts) auf der Zweiten Synode von Orange (vom Jahre
529) auftritt, insofern hier der Tod als Strafe von der Sünde förmlich unter­
schieden und diese als „der Tod der Seele“ bezeichnet (DH 370-372) wird.
Zur weiteren begrifflichen Klärung der Eigenart der „Erbsünde“
trug Papst Innozenz III. (1198-1216) in seinem Brief an Bischof
Ymbertus von Arles (vom Jahre 1201) bei, in dem er, wiederum bei
der Kindertaufe ansetzend, „die ursprüngliche“ und „die tathafte
Sünde“ unterscheidet. Erstere wird, „da man sie sich ohne Zustim­
mung zuzieht“, „auch ohne Zustimmung kraft des Sakramentes ver­
geben“ (DH 780). Daraus folgt auch eine Ungleichheit der Strafe
(Entbehren der Gottesschau - Erleiden der ewigen Hölle), welche
Erklärung sich ähnlich im Glaubensbekenntnis des Michael
Paläologus am Zweiten Konzil von Lyon (1274: DH 858) und im
Decretum pro Graecis des Konzils von Florenz (1439: DH 1306) fin­
det.
Eine umfänglichere, die bis dahin gediehene Lehrentwicklung
abschließende Erklärung über die „Erbsünde“ bot erst das Tridenti-
num im Dekret „De peccato originali“ (DH 1510-1516), ohne damit
ein ganzheitliches Konzept auszubilden. Unter Wiederaufnahme
bestimmter Formeln der Synoden von Karthago und Orange (und
unter Ausschluß der Gottesmutter) richten sich die sechs Canones
vornehmlich gegen den protestantischen Vorwurf des Pelagianismus
wie gegen die auf die Konkupiszenz fixierte „Erbsünden“-Lehre
Luthers, aber auch gegen die Praxis der Wiedertäufer und die Lehre
des katholischen Kontroverstheologen Albertus Pighius (+ 1642)
über die numerische Einheit der Ursprungssünde. So ist auch zu ver­
stehen, daß das Dekret sich zu Beginn den antipelagianischen Sen­
tenzen der Synode von Orange anschließt. Mit einer kurzen Erwäh­
nung des vorsündlichen Zustands Adams, der „in die Heiligkeit und
Gerechtigkeit ... eingesetzt worden war“, wird der Verlust dieses
Zustands „durch den Verstoß dieser Übertretung“ (der Sünde) festge­
stellt und die Folgen als „Tod“ und „Knechtschaft“ des Teufels be­
zeichnet, so daß „der ganze Adam zum Schlechteren gewandelt wor­
den ist“ (c. 1: DH 1511). Das für Adam Geltende wird danach auf
seine Nachkommen ausgeweitet, weil er die Heiligkeit und Gerech­
tigkeit nicht nur für sich, sondern auch für uns verloren hat. Es wur­
den aber nicht nur der Tod und die Strafen des Leibes auf das ganze
menschliche Geschlecht übertragen, sondern „auch die Sünde, die
der Tod der Seele ist “ (c. 2: DH 1512). Diese Sünde ist „im Ursprung
eine“ und wird durch Fortpflanzung (propagatio) und „nicht durch
Nachahmung übertragen“. Sie wohnt so allen inne und ist „einem
jeden eigen
Aber diesem Negativbefund ist sofort mit Berufung auf Paulus
(1 Kor 1,30 und Röm 5,9f.) im Sinne Augustins als Heilmittel „ das
Verdienst des einen Mittlers, unseres Herrn Jesus Christus“ gegen­
übergestellt, welches „durch das in der Form der Kirche rechtmäßig
gespendete Sakrament der Taufe sowohl Erwachsenen als auch klei­
nen Kindern zugewendet wird“ (c. 3: DH 1513). Aus der Universa­
lität von Sünde und Gnade folgt auch die Notwendigkeit der Taufe
selbst für Kinder getaufter Eltern (c. 4: DH 1514). Mit Bezug auf das
seit Augustin in die „Erbsünden“-Lehre einbezogene Moment der
Konkupiszenz wird wohl abgewogen gesagt, daß die Begierlichkeit
(„der Zündstoff“ der Sünde) in den Getauften „für den Kampf
zurückgelassen ist “ und der sittlichen Bewährung dient und daß sie
nicht „ wahrhaft und eigentlich Sünde wäre“, sondern so nur genannt
werde, weil „sie aus der Sünde ist und zur Sünde geneigt macht“
(DH 1515)81.

81 Zum „Erbsünden“-Dekret des Konzils vgl. H. Jedin, Geschichte des Konzils von
Trient II, Freiburg 1957, 1 1 1-138, und A. Spindeier, Das Tridentinum und die neueren
Erklärungsversuche zur Erbsündenlehre, in: MThZ 19 (1968) 92-101.
Die kirchliche Lehrverkündigung ist im wesentlichen bei der durchdachten
tridentinischen Entscheidung geblieben, die in den genannten Punkten, deren
Leugnung mit dem Anathem verbunden ist (Adamssünde, Übergang auf alle
M enschen als Sünder durch Abstammung, Verlust der Gnade und W iedergewinn
durch die Erlösung Christi im Sakram ent der Taufe, N otw endigkeit der
Kindertaufe), als definierte Glaubens Wahrheit anzuerkennen ist, auch wenn nach
den Regeln der heutigen Herm eneutik manche Anfragen möglich sind, die etwa
mit dem verwendeten Schriftbeweis (Röm 5,12) und mit der weltbildbedingten
Auffassung des Urgeschehens verbunden sind.
In der neueren Zeit hat in diesem Sinne Pius XII. darauf hingewiesen, daß
„man den B egriff der Erbsünde verfälscht, wenn man die tridentinische
Definition außer acht läßt“ (DH 3891). Nicht unwichtig erscheint auch eine Aus­
sage P ius’ XI., bezeichnenderweise in dem gegen die Unkultur des N ational­
sozialismus gerichteten Rundschreiben „Mit brennender Sorge“, in dem er gegen
den propagierten „Erbadel“ die einer W esensbestimmung der Erbsünde ähnliche
Feststellung traf: „Erbsünde ist Verlust der Gnade und damit des ewigen Lebens
mit dem Hang zum Bösen, den jeder durch Gnade, Buße, Kampf, sittliches
Streben zurückdrängen und überwinden muß“83.
Im W issen um die Bedeutsam keit dieses Glaubens für den Sünden- und
Heilsrealism us in einer säkularisierten Welt hat Paul VI. diese W ahrheit im
„Credo des Gottesvolkes“ angelegentlich vertreten: „Die menschliche Natur ist
eine gefallenen Natur, beraubt der Gnade, mit der sie geschmückt war, und ver­
wundet in ihren eigenen natürlichen Kräften sowie der Herrschaft des Todes
unterworfen, der auf alle M enschen übergegangen ist“83.
Das Zweite Vatikanum hat diese W ahrheit nicht zum Gegenstand einer
Untersuchung gemacht, aber es hat doch nicht verfehlt, bei der Beschreibung des
W eltzustandes in Erinnerung zu rufen, daß die Welt „unter die Knechtschaft der
Sünde geraten“ ist und daß „der Mensch unter dem Einfluß des Bösen gleich von
Anfang der Geschichte an durch Auflehnung gegen Gott ... seine Freiheit
m ißbraucht“ hat, so daß er sich jetzt „zum Bösen geneigt und verstrickt in viel­
fältige Übel“ erfährt84. Johannes Paul II. schließt sich dieser Aussage an, wenn
er im Apostolischen Schreiben „M ulieris dignitatem “ von der „Ursünde“ spricht,
„die auch die Sünde vom ‘A nfang’ des Menschen auf Erden genannt werden
kann“, und die „das Zerbrechen der ursprünglichen Einheit“ und „Verbundenheit
mit Gott“ zur Folge hat. Sie ist „die Sünde der ‘Voreltern’, womit ihr Erbcha-
rakter verbunden ist. In diesem Sinne nennen wir sie ‘Erbsünde’“85. Der Verweis
auf diese Sünde erfolgt hier, dem Thema des Schreibens entsprechend, zur
Erklärung des „Bruches“ und der „ständigen Bedrohung“ im Verhältnis von
Mann und Frau. Daran wird ersichtlich, welche tiefe religiös-existentielle
Bedeutung die kirchliche Lehrverkündigung dieser universalen Sünde des
Anfangs zuerkennt.

82 AAS 29 (1937) 157.


83 AAS 60 (1968) 439.
84 Gaudium et Spes, 2; 13.
85 Apostolisches Schreiben vom 15.8.1988, nr. 9.
5) Das Wesensgeheimnis der „Erbsünde“
Nach all den in der Dogmengeschichte zutage geförderten
Einsichten erweist sich die „Erbsünde“ als ein komplexes Gebilde,
das nur in beständiger Zusammenschau der Einzelelemente hinrei­
chend erfaßt werden kann. Obgleich die Kirche selbst keine förmli­
che Wesensdefinition dieser (analog zu verstehenden) Sünde vorge­
legt hat, ist doch der beziehungsreiche Gehalt dieser Wahrheit
unschwer zu ersehen. Es handelt sich bei ihr nicht um ein positives
Übel oder eine böse Substanz (wie der strenge Lutheraner Flacius
Illyricus [+ 1575] meinte); sie besteht in ihrem Wesen nicht in der
Konkupiszenz, der „bösen Begierlichkeit“ (in welcher die Refor­
matoren und Jansenisten das entscheidende Moment sahen), obgleich
diese auch im Gerechtfertigten als Versuchlichkeit, als Neigung zur
Sünde und als mangelnde Entscheidungskraft in Ausrichtung auf den
mit Hilfe der Gnade zu führenden sittlichen Kampf verbleibt; sie ist
auch nicht die den Menschen zugerechnete fortdauernde Schuld
„Adams“, sondern sie besteht in einer der personalen Entscheidung
des Menschen vorausgehenden Beraubtheit an Gnade und göttlichem
Leben, die insofern schuldhaft ist, als sie von Gott her nicht sein
sollte und etwas Nicht-sein-Sollendes darstellt.
Insofern diese Sünde ein vorpersonaler Zustand ist, mit dem der
Mensch vor jeder Entscheidung behaftet wird, trifft die theologische
Kennzeichnung als „Natursünde“ zu. Aber dies besagt nicht, daß sie
nicht doch die ganze Person beträfe. Dies geschieht vermittels der
Konkupiszenz, deren Macht Paulus als „Gesetz der Glieder“ und als
das „Gesetz der Sünde“ dramatisch beschreibt (Röm 7,23). Aus der
Sünde stammend und zur Sünde treibend, deckt die Konkupiszenz
die „Erbsünde“ als den Wurzelgrund der Vielzahl der persönlichen
Sünden auf, in denen die „Erbsünde“ von den Menschen gleichsam
bestätigt und „ratifiziert“ wird86. Diese „Ratifizierung“ vermittels der
Einzelsünden nimmt der „Erbsünde“ hinwiederum nicht ihren vor­
personalen Charakter. Aber an dem Zusammenhang wird der Dop­
pelcharakter der Sünde als Unheilsmacht und als Unheilstat offenbar.

86 Im umfassenderen Sinne (K. Rahner) besagt sie das Unvermögen des Menschen, die
Dynamik der Natur kraft der Personalität vollkommen einzuholen und zu durchformen;
vgl. J. Bolewski, Der reine Weg des Anfangs, 142ff.
So zeigt sich daran die Vollgestalt des biblisch-christlichen Sünden­
verständnisses, das die Sünde sowohl als von „Adam“ kommende
Grundbefindlichkeit wie auch als verantwortliches Tun begreift,
ohne daß damit ein Determinismus des Sündigens eingeführt würde.
Als Mangel an der gnadenhaft-übernatürlichen Gottverbindung
kann die „Erbsünde“ in keiner Weise als Wirkmacht eines „allgemei­
nen und unaufhaltsamen sittlichen Niederganges“ der Menschheit87
gedeutet, aber ebensowenig als totale Verderbnis der menschlichen
Natur verstanden werden (wie Luther nahelegte), auch wenn sie ver­
möge der inneren Ausrichtung der Natur auf die Gnade eine „Ver­
wundung der Natur“ erbringt, die jedoch keine natürliche Fähigkeit
des Menschen, zumal nicht die Willensfreiheit, korrumpiert. Wenn
die Kirche in Ausdeutung des übernatürlichen Mangelcharakters die­
ser Sünde den menschlichen Zustand vor der Rechtfertigung auch
mit großem Ernst beurteilt und die davon betroffenen Menschen als
„unrein geworden“ (Jes 64,5), als „Kinder des Zornes“ (Eph 2,3) und
als „Sklaven der Sünde“ (Röm 6,20) „unter der Macht des Teufels
und des Todes“ (DH 1521) bezeichnet, so ist das kein Ausdruck eines
tragischen Heilspessimismus, sondern die realistische Einschätzung
des der Gottesfreundschaft entfremdeten Menschen, dem sogleich
auch die Gabe des Erlösers angeboten ist.
So sehr dem gläubigen Denken auch das Verständnis dieser „alten Sünde“
nahegebracht werden kann, so wenig vermag die Theologie alle hier auftreten­
den Schwierigkeiten zu beheben, die zuletzt auf ein Geheimnis weisen. Das dem
menschlichen Denken Anstößige liegt in der Behaftung des einzelnen mit dem
von „Adam“ verursachten M angel, der nicht auf persönliche Freiheit zurückzu­
führen ist, sondern allein auf die Freiheit „Adams“. Eine solche Belastung kann
nur unter Voraussetzung einer tiefen Solidarität zwischen „Adam“ und der
M enschheit angenommen werden, einer Solidarität, die dem alttestam entlichen
Clandenken und dem M odell von der „Korporativpersönlichkeit“ keine Schwie­
rigkeiten bereitete. Freilich hat dieses M odell heute seine Überzeugungskraft
verloren. Dennoch ist nicht zu verkennen, daß der Gedanke an eine Solidarität
der M enschheit in ihrer Existenz wie in ihrem geschichtlichen Geschick im
Bewußtsein der M enschen w eiter eingewurzelt bleibt.
Sie wird auch in neueren Theorien berufen, in denen man sich bemüht, das
Übergreifen der Sünde existentiell und personologisch aus dem „M itsein“ der
M enschen oder sozialphilosophisch aus ihrem sozialen Situiertsein zu erklären.
Aber diese Versuche kommen über eine moralische Einflußnahme nicht hinaus,

87 So irrtümlich J. Gross, Entstehungsgeschichte des Erbsündendogmas I, 13.


welche gerade das Entstehen eines vorpersonalen wie auch eines vorsozialen
übernatürlichen Mangels nicht erklärt. Dafür reicht auch die physisch-biologi-
sche Begründung durch die einzige weltweite Fortpflanzungsgem einschaft nicht
aus. Da es sich bei dieser Sünde um ein Ereignis der übernatürlichen Ordnung
handelt (wenn auch zunächst im Modus der Negation), kann auch die notwendig
zu fordernde Einheit des M enschengeschlechtes nicht ausschließlich natürlich
begründet werden. Sie fordert eine übernatürlich-heilshafte Begründung, für die
sich zuletzt die Glaubensüberzeugung von der „Einheit in Christus“ anbietet.
Mit dem Gedanken, daß Christus der „Erstgeborene der ganzen
Schöpfung“ ist, in dem „alles erschaffen“ wurde (Kol 1,17), ist Chri­
stus als das natürlich-übernatürliche Prinzip der Einheit des Men­
schengeschlechtes anerkannt. Die „Adamseinheit“ der Menschheit
ist demnach, tiefer gesehen, als „Christuseinheit“ zu verstehen in der
Kraft Christi, des „Trägers des Alls“ (Hebr 1,3). So ist die für das
Entstehen der „Erbsünde“ unabdingbare ontische Einheit und
Solidarität der Menschheit nicht nur naturhaft-biologisch bedingt,
sondern auch von Christus, dem „Erstgeborenen der ganzen
Schöpfung“ her (Kol 1,15) begründet. Der „erste Adam“ war nur
Vertreter und Platzhalter des „zweiten“ oder „letzten Adam“ (vgl.
1 Kor 15,45.47). Die Gnade des ersten, obgleich sie von der Tradi­
tion als „gratia Dei“ ausgegeben wurde, war als Anteilgabe am gött­
lichen Leben auch schon „Gnade Christi“, des zur Menschwerdung
bestimmten Sohnes, „des Hauptes aller Mächte und Gewalten“
(Kol 2,10). In ihm ist „nicht nur die Kirche begründet, sondern auch
die Schöpfung“88. Darum mußte sich aus der Sünde Adams auch die
Trennung von der Gnadenkraft des Hauptes ergeben und die Mensch­
heit als solche der Gnade entbehren, bis sie in der Menschwerdung
„wiederbehauptet“ wurde (vgl. Eph 1,10).89.
So zeigt sich die Notwendigkeit, die in der „Erbsünde“ einge­
schlossene Unheilsaussage mit der in Christus ergehenden Heils­
zusage zusammenzuführen. Man kann zwar nicht sagen, daß die
„Erbsünden“-Lehre unter Absehen von ihrer urgeschichtlichen
Vorgegebenheit allein auf die zuerst anzuerkennende Bedeutung Jesu
Christi zu gründen sei90, was die heilsgeschichtliche Perspektive ver-

88 ThWNT: anakephalaiosis III, 680 (H. Schlier).


89 Vgl. dazu L. Scheffczyk, Zur christozentrischen (christocephalen) Interpretation der
Erbsünde, a.a.O., 343-356.
90 So u.a. M. Flick - Z. Alszeghy, II peccato originale, 369f.
wirren müßte. Es ist aber wohl einzusehen, daß sie nicht ohne Bezug
zum Ursprung wie zum Ziel der Heilsgeschichte, d.h. zur Erlösung in
Christus, gedacht werden kann. Darum ist die „Erbsünden“-Lehre,
ganz im Sinne der paulinischen Adam-Christus-Parallele
(Röm 5,12-21), christozentrisch und christofinal zu konzipieren. Sie
hat zuvörderst die Anerkennung der Wahrheit zur Voraussetzung, daß
kraft der Schöpfung in Christus, „in ihm ..., durch ihn und auf ihn
hin“ (Kol 1,16), Christus der Weltgrund ist, von dem her auch die
„Adamseinheit“ der Menschheit erst ihre volle Kraft und Wirkmacht
empfängt, wodurch sie auch den Charakter einer „Christuseinheit“
annimmt. Wenn diese Einheit aber durch die Sünde aufgelöst wurde,
mußte Christus auch als Wiederhersteller und Erlöser erscheinen
nach einem Plan, der „vor der Grundlegung der Welt“ (Eph 1,4)
gefaßt war und der „in der Fülle der Zeit“ verwirklicht wurde. Darin
kommt die Teleologie des ganzen Neuen Testamentes zum Ausdruck.
Innerhalb ihrer aber bildete die universale Menschheitssünde den
Anlaß, den Antrieb und das auslösende Moment zur Erstellung der
„neuen Schöpfung“ (2 Kor 5,14) und zur höheren Erneuerung der
gefallenen Welt in der Erlösung. Es ist der ambrosianische Gedanke
des „felix ruina, quae reparatur in melius“91, der in dem „felix culpa“
des „Exsultet“ einen noch lichtvolleren Ausdruck gefunden hat.
Wird diese „alte Sünde“ in dieser Weise in die Christusteleologie
eingefügt, dann verliert sie ihre tragische Absolutheit, ohne doch
ihren existentiellen Ernst einzubüßen, der den Menschen als radikal
erlösungsbedürftiges Sein ausweist, das auch nach erfolgter Er­
lösung auf den sittlichen Kampf und das Mitwirken mit der Gnade
angewiesen bleibt. Die „Erbsünde“ wird so als die dunkle Folie ver­
stehbar, auf der sich die universale Erlösung durch Christus umso
strahlender abhebt, oder als Matrix zur Aufnahme des Erlösers.
Nicht, daß dadurch die Sünde in ihrer Negativität aufgehoben würde.
Aber die Erlösung bleibt die Dominante, welche den Charakter des
Ganzen bestimmt und ihm eine neue Qualität verleiht. Mit dieser
Teleologie wird die Sünde nicht auf ein Vernunftgesetz zurückge­
führt, sondern nur gläubig-sinnvoll in das Geheimnis der Heils-
geschichte eingefügt, vor dem auch Paulus steht, wenn er bekennt:
„Als aber die Sünde überschwenglich war, wurde die Gnade noch
überschwenglicher“ (Röm 5,20). So vermittelt die „Erbschuldlehre“
dem Menschen nicht nur das Verständnis für sein aus dem Fall zur
Erlösung berufenes Gottverhältnis, es vermittelt ihm nicht nur die
Erkenntnis der Verstörung der Welt und ihrer Gebrochenheit, sondern
es setzt einen hohen heilstheologischen Sinn frei im Blick auf eine
„glückselige Schuld“, die „einen so hohen und erhabenen Erlöser
gefunden hat“ (Exsultet).
Die heils- und geschichtstheologische Sinnerschließung des Ge­
heimnisses vermag freilich nicht alle denkerischen Schwierigkeiten
dieser komplexen Wahrheit zu beheben. Dies gilt vor allem im
Hinblick auf die auch hier vom modernen geschichtlichen und natur­
wissenschaftlichen Denken erhobenen Fragen. Trotzdem kann die
Theologie diese Fragen in der Überzeugung aufnehmen, daß „zehn­
tausend Schwierigkeiten noch keinen einzigen Zweifel“92 ergeben.
So kann sie gegenüber dem vom personologischen Denken kommen­
den Einwand, daß Sünde immer nur die höchst verantwortliche per­
sönliche Tat eines einzelnen ist, darauf hinweisen: Im Begriff der
„Erbsünde“ hat das Moment der Sünde nur einen analogen Charak­
ter. Es ist der persönlichen Sünde nur ähnlich mit Bezug auf das
Inkurrieren der Gottesferne und des Gnadenmangels, der jedoch
nicht mit persönlicher Schuld verbunden ist, sondern der schuldhaft
ist nur aufgrund der Schuld „Adams“, mit dem die Menschheit in der
Gnade wie in der Sünde solidarisch ist.
Versteht man so das Wesen der „Erbsünde“ als den von „Adam“ her schuld­
haften Mangel an der Gnade und an der den M enschen verpflichtend zugedach­
ten G ottesfreundschaft, dann ist auch das im Begriff des „peccatum hereditari-
um“ angeschlossene M oment des „Erbes“ und der „Vererbung“ analog zu fassen.
Der Vorgang der Behaftung mit dieser Sünde kann dann weder im juridischen
noch im biologischen Sinn als „Vererbung“ verstanden, sondern darf als Teil­
nahme an der allgemeinen Gottentfremdung und Gnadenlosigkeit gedacht wer­
den, der sich bei jedem M enschen durch das Einrücken in die „Adam seinheit“
der M enschheit ergibt, so daß die Abstammung oder Zeugung (das „propagatio-
ne“ des Tridentinums) nicht als Ursache der Übertragung zu gelten hat, sondern
als naturgemäße Bedingung.

92 J. H. Newman, Apologia pro vita sua (Ausgew. WW I, hrsg. von M. Laros und W.
Becker), Mainz 1951, 276.
Mit dem Gedanken der natürlichen und der übernatürlichen
Solidarität der Menschheit (in Adam und in Christus) ist zwar das
Dunkel um die „Übertragung“ der „Erbsünde“ auf jeden Menschen in
etwa aufgehellt, noch nicht aber die Schuldhaftigkeit und der
Schuldcharakter dieser „Sünde“ im einzelnen. Darin dürfte der für
das natürliche Denken schwierigste und am meisten herausfordernde
Sachverhalt gelegen sein. Man hat ihm durch die Aufstellung man­
cher zusätzlicher Theorien beizukommen versucht, so durch die
Erklärung, daß „Adam“ durch einen Vertrag mit Gott zum moralisch­
juridischen Stellvertreter der Menschheit bestimmt wurde (Föderal­
theorie) oder daß Gott „Adam“ durch ein Dekret zum Stellvertreter
der Menschheit bestellt hätte (Dekretalisten), so daß seine Tat juri­
disch-moralisch alle Menschen mit Schuld beladen hätte. Aber auf
diesem Wege geriet die Schuldverhaftung in die Nähe einer bloßen
äußerlichen, extrinsezistischen Belastung oder Zurechnung, welche
eine innere Schuld gerade nicht verständlich machte.
In Erkenntnis dieses Ungenügens versuchte man auch von der Gegenseite
her, das Schuldmoment durch eine, wenn auch minimale und subtile, Beteiligung
des M enschen und seines W illens an der Sünde zu konstruieren. So dachte
Kardinal I. de Lugo (+ 1660) an einen von Gott vorausgesehenen Konsens der
M enschen, wenn sie zur Zeit Adams gelebt hätten (consensus interpretationis);
M. J. Scheeben (+ 1888) erwog den Gedanken der Zugehörigkeit des W illens
Adams zum allgemeinen W illen des ganzen Geschlechts (consensus repraesenta-
tionis); G. Siewerth nahm eine vorbewußte Bejahung der Gnadenlosigkeit schon
beim Kinde an. Aber abgesehen vom W iderspruch solcher Deutungen zum
G rundbestand der Lehre über die alleinige Schuldhaftigkeit des W illens
„Adams“ (so Pius V. gegen M ichael Baius: DH 1947), würde der „Erbsünde“ ihr
Wesen als vorpersonaler, jeder m enschlichen Entscheidung vorausgehender und
allen M enschen innerlicher Unheilszustand genommen. Allein in diesem Sinne
sprach man seit Augustinus auch von einer „Natursünde“ (peccatum naturae),
weil sie der ganzen M enschheit anhaftet.
Darum kann die Schuldhaftigkeit dieser Sünde im einzelnen Menschen
weder durch eine Pakt- oder Dekretentheorie noch durch ein persönliches
M om ent der Zustim mung erklärt werden. Sie resultiert zutiefst aus dem
Verpflichtungscharakter der den M enschen in „Adam“ zugedachten und als
„Erbe“ zuerkannten übernatürlichen Gnade und Christus Verbundenheit. Insofern
die der M enschheit geschenkte Gnade eine von Gott gewollte, auf Dauer ange­
legte Lebens Verbindung war, welche die Menschen verpflichtete und ihnen
gegenüber mit Sollenscharakter auftrat, mußte ihr Verlust für sie zur Sünde und
Schuld ausschlagen (beides in analogem Sinne verstanden). Um diesen
Schuldcharakter zu treffen, bedarf es keines einzelnen, besonderen göttlichen
Dekretes, sondern des Rückgangs auf die von Gott gefügte Heilsordnung als sol­
che. Sie ist sinnvoll so geordnet, daß die M enschheit das Geschenk der Gnade,
die Berufung und Erhebung zum Leben Gottes, nicht ohne Schuld ablehnen
kann. Das ergibt sich aus der Einsicht in die Tiefe des Verhältnisses des Ge­
schöpfes zu seinem Schöpfer und Begnader.
Mit Bezug auf das naturwissenschaftliche Denken ergibt sich die
Möglichkeit einer gewissen kollektiven Deutung der biblischen
Adamsgestalt, die unter Loslösung vom strengen Monogenismus der
paläontologischen Annahme des Polygenismus entgegenkommt. Es
kann zwar nicht gesagt werden, daß „Adam“ nur ein Symbol und
seine Sünde kein reales Ereignis am Beginn der Menschheits­
geschichte sei93 (was die Heilsgeschichte in eine Existenzdialektik
überführen würde); man kann aber durchaus erwägen, ob (in
Entsprechung zum biblischen Modell der „Korporativpersönlich­
keit“) unter „Adam“ nicht auch die „humanitas originans“ verstan­
den werden könne, die zur Übermittlung der Ursprungsgnade
bestimmt war und diese Fähigkeit durch die Sünde (auch nur eines
einzelnen) verlor. Pius XII. empfahl gegenüber dem Polygenismus
noch eine gewisse Vorsicht, weil „keineswegs ersichtlich“ sei, „wie
eine solche Auffassung mit dem in Übereinstimmung gebracht wer­
den könnte, was die Quellen der geoffenbarten Wahrheit und die
Akten des Lehramts der Kirche über die Ursünde vorlegen ...“
(DH 3897). Indessen läßt sich nach einem halben Jahrhundert her-
meneutischer und systematischer Überlegungen eine vom
Monogenismus abgehende und mit einer Urpopulation oder einer
Gruppe rechnende Erklärung der Sünde mit der Heilswahrheit wohl
in Übereinstimmung bringen94.
Dem müßte auch die von seiten der Paläontologie neuerdings her­
vortretende Neigung zur Annahme eines polyphyletischen (d.h. auf
mehreren, räumlich unabhängigen Menschenformen basierenden)
Ursprungsmodells der Menschheit nicht widersprechen95, obgleich
die naturwissenschaftlichen Gründe für einen mehrfachen Ursprung

93 Vgl. F. Dexinger u.a., Ist Adam an allem schuld?, 350.


94 Die hier notwendig werdenden Hypothesen beinhalten einmal die Annahme, daß die
humanitas originans in allen ihren Gliedern sündigte und so der von Gott geschenkten
Fähigkeit der Gnadenvermittlung an die humanitas originata verlustig ging; sie ermögli­
chen aber zum anderen auch den Gedanken, daß die Sünde eines einzelnen in der
Ursprungsmenschheit deren gnadenvermittelnde Funktion insgesamt aufhob; vgl. hierzu K.
Rahner, Erbsünde und Monogenismus: K.-H. Weger, Theologie der Erbsünde, 189-205.
95 Dazu vgl. P. Lüth, Der Mensch ist kein Zufall, 163.
der Menschheit nicht durchschlagend sind und die metaphysische
und theologische Frage nach dem einen Ursprung nicht suspendie­
ren. Aber auch hier wäre zu sagen: Wenn die „Adamseinheit“ der
Menschheit in eine übergreifende „Christuseinheit“ aufgenommen
ist, dann könnte bedacht werden, wie die auch nur an einem Punkte
erfolgte Trennung von Christus in der Sünde Folgen für alle Men­
schen zeitigte bezüglich des Verlustes der Fähigkeit zur Weitergabe
der Gnade an die folgende Menschheit. Die sich hier stellende
Problematik ist in der Vergangenheit (so von dem konvertierten
Calviner Isaak de la Peyrere, + 1676) anläßlich der Frage nach den
Prä- und Koadamiten behandelt worden, freilich ohne anerkanntes
Ergebnis. Solange aber die Paläontologie hierzu keine gesicherten
Aussagen macht, sind von der Theologie keine eigenen Theorie­
bildungen gefordert.
Angesichts auch hier verbleibender Schwierigkeiten bezüglich der Verein­
barkeit der Glaubens Wahrheit mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaften ist
der H inw eis angebracht, daß die Theologie bei aller Anerkennung der
Naturforschung ihr Ziel nicht darin sehen kann, die Glaubensdaten fugenlos in
den Rahmen des Naturwissens einzufügen. Ein absoluter Konkordismus würde
die Glaubens Wissenschaft unter die Gesetzmäßigkeit der N aturwissenschaft und
ihres W eltbildes zwingen. Eine solche Harmonisierung ist kein Ideal, weil die
G laubensaussage einerseits das W eltbild transzendiert, weil andererseits
W eltbilder und naturwissenschaftliche Erkenntnisse sich wandeln. So können
Spannungen und AbstimmungsSchwierigkeiten immer bleiben, ohne daß die
theologische W ahrheit dadurch falsifiziert werden könnte.
In der katholischen „Erbsünden“-Lehre geht es von ihrem Ursprung in der
Offenbarung her um eine W ahrheit, welche die natürliche Ordnung und das
naturw issenschaftliche Erkennen überschreitet. Sie kündet vom verstörten
Verhältnis des M enschen zum Gott der Gnade und existentiellen Folgen für den
M enschen, von der universalen Erlösungsbedürftigkeit aller M enschen, von der
Erfüllung der Erlösungssehnsucht durch Jesus Christus. Im Bewußtsein der
Gottentfremdung des Menschen kann diese Wahrheit spurenhaft sogar der reli­
giösen Erfahrung des M enschen zugänglich sein. Sie entspricht so sehr der
m enschlichen Verfassung und der geschichtlichen W irklichkeit, daß ihre
Leugnung anthropologisch zu einem unrealistischen Optimismus und theolo­
gisch zur Preisgabe des Glaubens an Christus als universalem Erlöser führen
müßte.
6) Der Heilssinn der Sünde
Von der Frage nach dem Wesen des peccatum originale ist die
nach dem Heilssinn zu unterscheiden, die auf den Zusammenhang
und die Zielausrichtung des Geschehens im Plane Gottes geht, soweit
dieser dem gläubigen Denken zugänglich ist. Obwohl das Geheimnis
weder von der Seite der menschlichen Freiheit her noch von seiten
der göttlichen Zulassung und Ermöglichung vollkommen einsichtig
gemacht werden kann, ist es einem heilsgeschichtlichen Sinnver­
ständnis nicht verschlossen. Der Sinn erschließt sich dem Glauben,
daß so erst die Hinführung der Schöpfung auf den Bund in Jesus
Christus den Charakter eines erlöserischen Geschehens empfangen
und Christus als das erlöserische Haupt der Menschheit offenbar
werden konnte. Damit scheint allerdings der Bruch zwischen Gott
und der Menschheit zu einem positiven Faktor im göttlichen
Weltplan aufgewertet zu werden. Aber das ist kein größeres Paradox,
als es Paulus feststellt, wenn er erklärt: „Als aber die Sünde über­
schwenglich war, wurde die Gnade noch überschwenglicher“
(Röm 5,20). Der Glaube kann tatsächlich daran festhalten, daß Gott
den Absturz der Menschheit in der Erbschuld zuließ, um die
Schöpfung auf höhere Weise zu erneuern.
Warum aber Gott einen solchen „Um weg“ in der G eschichte seiner
Schöpfung zuließ, warum er die Geschichte der M enschheit durch den dunklen
Abgrund dieser Sünde zur Höhe führte, kann das menschliche Denken nicht
positiv einsehen. Immerhin wirkt auch hier noch die Glaubensannahme erhel­
lend, daß eine erlöste Welt, eine mit dem Erlöser Jesus Christus neu behauptete
Welt (vgl. Eph 1,22), eine höhere Ordnung verwirklicht, als es diejenige wäre,
die nicht durch die Schuld zu dieser Höhe hindurchgeführt worden wäre.
Im Hinblick allerdings auf die auch nach der Rechtfertigung in
der Taufe verbleibenden Folgen dieser Sünde (Versuchlichkeit, Be­
gierlichkeit u.a.) für den Menschen und sein dadurch immer gefähr­
detes Gott- und Weltverhältnis scheint der Fortgang der Schöp­
fungsgeschichte nun verdüstert und umschattet. Damit rückt auch die
Bewältigung des Weltauftrags des Menschen ins Zwielicht der Ge­
brochenheit und Unvollendbarkeit. Das besagt aber nur, daß eine ein­
seitige Euphorie bei der Beurteilung der Schöpfungsgeschichte und
ihrer Fortführung durch den Menschen nicht am Platze ist. Das über
die Aufgabe des Menschen zur Mitarbeit mit Gott an der Vollendung
der Schöpfung Gesagte wird dadurch nicht zurückgenommen. Aber
nun wird auch deutlich, daß es keine undialektische Einstellung des
Christen zur Welt gibt und daß die Kraft zur Bewältigung des
Weltauftrages am Widerstand der Sünde und ihrer Folgen bewährt
werden muß. So steht über dem Tun des Menschen in der Welt das
Kreuz Jesu Christi als Gericht und Erlösungskraft.
III. Versuche zur Neuinterpretation des Dogmas
Am Maßstab der kirchlichen Lehre können auch die zahlreichen
Versuche zur Neuinterpretation des Dogmas beurteilt werden, welche
darauf zielen, die dem modernen Denken nicht leicht eingängige
Wahrheit zu aktualisieren und sie so dem Verständnis näherzubrin­
gen. Das beginnt schon beim Ersatz des Wortes vom „Erbe“, welches
einem personalen Denken mit Bezug auf die Sünde unangemessen
erscheint. Tatsächlich steht das Wort „Erbe“ nur für das Wurzelhafte,
das Ursprüngliche und das Vorgegebene dieser Sünde im Gegensatz
zu einer personalen Verfehlung. Diesbezüglich wären Begriffsände­
rungen und Umbenennungen nach Art der Bezeichnungen
„Menschheitssünde“, „Sünde der Welt“96, gesamtmenschliche
Schuld“ oder „Mitsündigkeit“ als möglich anzusehen.
Indessen läßt sich erkennen, daß diese verbalen Neuschöpfungen
das wirklich Gemeinte auch nicht so treffend wiedergeben, daß sie
ohne nähere Erklärung verständlich wären. Unter dieser Rücksicht
gewinnt dann der traditionelle Begriff der „Erbsünde“ doch wieder
an Bedeutung (selbst, wenn auch er erklärt werden muß), zumal
wenn man das geistesgeschichtliche Phänomen berücksichtigt, daß
Begriffe, die mit wachsender Erkenntnis eine Sinnänderung erfahren,
doch weiter verwandt werden aus Gründen der Kontinuität der Denk­
entwicklung und der Verpflichtung gegenüber der Tradition (vgl.
etwa das Wort „Atom“).
Sachlich bedeutsamer sind die hinter solchen worthaften Neu­
schöpfungen stehenden geistigen Konzepte, die im folgenden wegen
ihrer großen Zahl nur in einigen Beispielen aufgenommen werden
können. Die Vielzahl dieser Neuentwürfe und ihrer sich widerspre­
chenden Ansätze kann bereits als Indiz dafür genommen werden, daß
eine allgemein anerkannte Neufassung der Wahrheit von der
„Erbsünde“ nicht gelungen ist und die vom Dogma gebotene
Kernvorstellung nicht entbehrt werden kann.

96 Vgl. dazu M. Seybold, Erbsünde und Sünde in der Welt, in: MThZ 18 (1967) 56-60.
1) Extreme Entwürfe
Die dogmatische Theologie braucht sich mit solchen Versuchen
nur zum Zwecke der Information zu befassen und sie nicht minutiös
zu widerlegen, da ihr Auftrag nicht in der Apologetik gelegen ist,
sondern in der Einsichtnahme in den Glauben, von dem aber in die­
sen Konzeptionen deutlich Abstand genommen ist. Zu ihnen gehört
die aus exegetischen Gründen erfolgende Ablehnung der „Erbsün-
den“-Lehre durch H. Haag, der sie als unbiblisch auf eine von
Augustinus stammende Fehlinterpretation der Bibel zurückführt97. In
seiner Gefolgschaft plädiert A. Baumann für einen „Abschied von
Adam“ und „vom Erbe“ und für einen Ersatz der traditionellen Lehre
durch eine „existentiale Sicht“ der Sünde, wie sie in der evangeli­
schen Theologie vorherrschend ist98.
Näher auf die gesamttheologischen Folgerungen einer solchen
Ablehnung gehen aufgrund des Interesses an der Systematik
A. Vanneste und A. de Villalmonte ein. Der erstgenannte erkennt nur
persönliche Sünden an und interpretiert die traditionelle Lehre als
Ausdruck der Universalität dieser Einzelsünden, denen gegenüber
sich Christus auch als der universale Erlöser erweisen könne99. Aber
diese Theorie schließt unbedacht einen wahrheitswidrigen Sünden­
determinismus bezüglich der Menschen ein. Wird dieser aber not­
wendigerweise verneint, dann kann weder die Universalität der
Gnadenlosigkeit noch die der Erlösung durch Christus gewahrt wer­
den. Der zweitgenannte Autor vertritt in direktem Gegensatz zur
Kirchenlehre das Begnadetsein jedes neugeborenen Menschen kraft
des allgemeinen göttlichen Heilswillens, so daß nach ihm die
Annahme einer „Erbsünde“ unnötig werde. Diese Voraussetzung for­
dere aber, wie der Autor richtig erkennt, eine Umformung der gesam­
ten christlichen Heilslehre100.

97 Biblische Schöpfungslehre und kirchliche Erbsündenlehre, 38-40.


98 Erbsünde? Ihr traditionelles Verständnis in der Krise heutiger Theologie, 212-231.
99 A. Vanneste, Le peche originel. Reponse, 252f.
100 A. de Villalmonte, El pecado original, 554f.
2) Diskutierte Neuinterpretationen
Die Mehrzahl der Neuformulierungen versucht, die Verbindung
mit dem Dogma zu wahren, wenn auch die Beziehungsnähe
Unterschiede zeigt. Unter Anpassung an das evolutive Weltbild
erklärt Teilhard de Chardin (+ 1955) die „Erbsünde“ als eine Wirk­
lichkeit transhistorischer Ordnung, die mit der Werdestruktur der
Welt gegeben ist und die Kehrseite einer begrenzten, in Entwicklung
befindlichen Schöpfung darstellt. Diese steht unter dem Gesetz des
Rückfalls, das zusammen mit dem Fortschritt auftritt101. Damit er­
scheint das personal-gnadenhafte Geschehen der Sünde, das der
Glaube der Heilsgeschichte aufnimmt, auf eine Naturkonstante zu­
rückgeführt.
In Erweiterung dieses Ansatzes deutet K. Schmitz-M oormann Sünde als
„Heraustreten aus dem Zentralisationsprozeß personaler Vereinigung“, das die
ganze Geschichte durchzieht und dessen „Solidaritätseffekt“ möglicherweise
erst am Ende der Geschichte (in der Parusie) die höchste Kraft gewinnt102.
Unter Zugrundelegung eines sozial-geschichtlichen Vorstel­
lungsmodells interpretiert P. Schoonenberg die Ursünde als anony­
men Anfang, der erst in der ganzen geschichtlichen Reihung und
Häufung der Sünden bedeutsam wird. Daraus entsteht nämlich eine
umfassende Sündenverstricktheit , die „Sünde der Welt“, die erst in
der Kreuzigung Christi Universalität gewinnt. Ihr entspricht eine
„sündige Situation“, ja, ein inneres Situiertsein oder Betroffensein
jedes in die Menschheitsfamilie eingeborenen Menschen „durch per­
sönliche Sünden anderer“. Zudem besitzt der Mensch für den ande­
ren eine Vermittlerrolle bezüglich der Gnade, welche die Menschen
unter der „Sünde der Welt“ nicht mehr wahrnehmen können, so daß
sie einen gnadenberaubenden Einfluß auf den Mitmenschen aus­
üben103. Aber der Gedanke des inneren Betroffenwerdens (d.h. Sün­
digwerdens) durch die Sünden anderer ist genausowenig zu begrün­
den wie das angebliche „Beraubtwerden“ bezüglich der Gnade, die
den Menschen nach dem Dogma seit „Adam“ fehlt.

101 Chute, redemption et geocentrie, 53f.


102 Die Erbsünde, Überholte Vorstellung - bleibender Glaube, 210-214.
103 Mysterium Salutis II, 896.
In einer von der willkürlichen Annahme einer erst im „Gottes­
mord“ (d.h. in Christi Tod) oder in der Endzeit geschehenden uni­
versalen Sünde abgehenden, aber die Geschichte und die Existenz
des Menschen einbeziehenden Interpretation, die stark auf das inter­
kommunikative Mitsein der Menschen abhebt, empfiehlt K. H.
Weger, „das Fehlen dieser heiligmachenden Gnade nicht auf die sün­
dige Tat des ersten Menschen allein, sondern auf die Strukturen von
mitmenschlicher Gnadenmitteilung überhaupt“ zurückzuführen. Die
Einführung der Kategorien von „Geschichte“ und „Mitsein“ vermö­
gen gewiß die Erkenntnis der Vollgestalt der „Erbsünde“ zu vertie­
fen, lassen aber die Frage offen, ob der Mensch dem anderen wirk­
lich Gnade vermitteln oder vorenthalten kann (was eben nur für die
Ordnung „Adams“ galt)104.
Unter evolutionstheoretischem Aspekt versuchen auch M.
Flick - Z. Alszeghy die traditionelle Lehre neu zu konzipieren, indem
sie schon dem „Erstmenschen“ eine nur virtuelle bzw. vorbereitende
Gnade zuerkennen, die auf Entwicklung angelegt war. Demnach
bestünde die Ursünde in dem verschuldeten Abbruch der Höher­
führung des Menschen zur gnadenhaften Gemeinschaft mit Gott,
woraufhin die „Erbsünde“ nicht den Verlust der Gnade bedeutete,
sondern nur die Einbuße eines Entwicklungsimpulses auf die Gnade
hin. Daraus erwuchs dann durch die vielen Einzelsünden die
„Herrschaft der Sünde“105. Es handelt sich ersichtlich um eine geist­
volle Konstruktion, welche die Theologie einseitig an den Normen
des evolutiven Denkens mensuriert und besonders die Universalität
der „Erbsünde“ nicht einsichtig zu machen vermag.
Allen diesen Theorien setzt W. Eichinger eine aus der Praxis kommende
„politisch orientierte Erbsündentheologie“ entgegen, die auf der sozial-politi-
schen „Schuld Verstrickung“ der M enschheit basiert, w elche an der
„W est-Süd-Relation“ und dem darin eingebetteten Prozeß der Verelendung der
armen Völker zu erfahren ist, in den alle Besitzenden (die M enschen des
Westens) einbezogen sind. Es handelt sich um „strukturgewordene Sünde“, deren
Ursache die Vergötzung von Besitz, Prestige und M acht ist. Sie m anifestiert sich
auch im „M ilitarismus, Rassismus, Konsum, Profit, Terror usw.“, Phänomene,
die nur durch die Solidarität mit den Armen zu überwinden sind. „Erbsünde“ ist
demnach die (nicht notwendig universale) M acht der durch Herrschaft korrum ­

104 Theologie der Erbsünde, 145-161.


105 II peccato originale, 301-374.
pierten sozial-politischen Strukturen und ihrer Unterdrückungmechanismen. Die
Taufe hat ihre Bedeutung darin, daß sie „befreit zum (immer auch politischen)
Kam pf gegen die strukturgewordene Sünde“106. In diesem Entwurf verwandelt
sich die Theologie offensichtlich zu einer paratheologischen Ideologie.
Die angeführten Neu- und Uminterpretationen des Dogmas zei­
gen nicht nur untereinander große Gegensätzlichkeiten, so daß kein
Einzelentwurf eine unangefochtene Geltung beanspruchen kann, sie
sind auch im einzelnen mit Schwierigkeiten behaftet, die nicht gerin­
ger sind als die am Dogma haftende Lehre. Diese Schwierigkeiten
wiegen umso mehr, als das uneingestandene Ziel vieler dieser Ver­
suche darin gelegen ist, die „Erbsünden“-Lehre rational-einsichtig
und kommunikabel zu gestalten und sie ihres Geheimnischarakters
zu entkleiden.
Sie versäumen deshalb weithin auch, den zielhaften Zusammen­
hang dieser „alten Sünde“ mit der lichtvollen Wahrheit von der uni­
versalen Erlöserrolle Christi aufzuweisen. Die heilsgeschichtliche,
christozentrische und christofinale Deutung vermag beim Festhalten
an den Kernwahrheiten des Dogmas durchaus eine einseitige
Bindung an frühere weltbildhafte Engführungen zu beheben. In der
von der gratia capitis begründeten Christuseinheit muß die natürli­
che, durch das einheitliche menschliche Wesen und die gemeinsame
Geschichte gebildete „Adamseinheit“ nicht monogenistisch gefaßt
werden; das von der personologischen Denkweise empfundene Är­
gernis einer vorpersonalen Sünde wird durch den Gedanken einer
ebensolchen vorpersonalen Erlösung als Eröffnung einer höheren
Heilswirklichkeit für die Menschen behoben; die Bedeutung der
Geschichte der sich in die vielen Sünden ausfaltenden „Erbsünde“
wird zur Erhebung der Vollgestalt dieser Sünde anerkannt, ohne daß
diese dadurch zur Summe aller Sünden gemacht würde.
Das vom Glauben geforderte Festhalten an dem von der Kirche
einmal erklärten Sinn dieser die ganze Erlösungswirklichkeit betref­
fenden Wahrheit (vgl. DH 3020) ist keinesfalls als mechanische
Wiederholung starrer Formeln zu verdächtigen. Der bleibende Sinn
kann durchaus christologisch und heilsgeschichtlich erweitert und
vertieft werden (wie es oben versucht wurde). So erweist er sich auch

106 Erbsündentheologie, 224-228.


den Einwänden wissenschaftlicher Rationalität überhoben, weil das
Geheimnis die Tiefendimension des Menschen anspricht. Es weist
auf eine Schöpfung hin, die gerade im „Fall“ den Weg zur Erhöhung
und Vollendung findet.
Abkürzungen
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Personenregister
A baelard, P. 105, 404, 416 417, 420, 426, 431
Adorno, Th. W. 375, 390 Aureoli, P. 173
Albertus Magnus 105, 146, 199, 238,
282, 400 Bacht, H. 235
Albertus Pighius 420 Bacon, R. 283
Albertz, R. 58, 6 6 , 135, 148, 150 Baier, W. 174
Alexander v. Haies 96, 105 Bajus 342
Alkuin 416 Balthasar, H. U. v. 96, 114, 128, 131,
Alonso-Schökel, L. 58, 70 148, 154, 286, 296, 300, 350, 353,
Alszeghy, Z. 390, 423, 433 356, 368, 369, 403
Altenmüller, H. 80 Barrow, J. D. 29
Althaus, P. 32, 38, 168, 170, 349, 352, Barth, H.-M. 350
391 Barth, K. 32, 37, 38, 53, 129, 131, 133,
Altner, G. 266, 269 142, 150, 153, 168, 170, 185, 186,
Altner, H. 235, 241 200, 286, 294, 295, 303, 312, 327,
Amalrich v. Bena 110 349, 352, 405
Ambrosius 101, 102, 246, 272, 309, Bartsch, H. W. 286
324, 381, 382, 400, 414 Basilius d. Gr. 41, 43, 95, 101, 102,
Amery, C. 270 119, 125, 145, 164, 193, 272, 334,
Anastasius II. 249 381
Andresen, C. 96 Baudelaire, Ch. 365
Angerstorfer, A. 80, 82 Bauer, J. 235, 252
Anselm v. Canterbury 364, 383, 416 Baumann, A. 431
Antweiler, A. 134, 147 Baumann, H. 58
Apollinaris v. Laodizea 249 Baumann, U. 390, 406
Aristides M. v. Athen 98 Bäumer, R. 236, 264
Aristoteles 22, 237, 248, 333 Baumgärtel, Fr. 116
Artz, J. 96 Baumgartner, H. M. 206
Athanasius 308, 325 Baur, F. Chr. 36, 404
Athenagoras 136, 305, 363 Bavink, B. 17
Atkins, P. W. 21 Bayle, P. 170
Aubin, P. 96 Beauvoir, S. de 234, 262
Auer, A. 235, 240 Beck, H. W. 11, 191, 200
Auer, J. 32, 35, 46, 80, 114, 116, 120, Becker, H. 266
132, 148, 157, 169, 323, 324, 355, Becker, W. 403, 425
365, 372, 377 Bedmann, U. 219
Augustinus 42, 43, 46, 49, 96, 101-103, Behm, J. 181
114, 119, 120, 124, 133, 137, 146, Beierwaltes, W. 96, 104, 407
151, 156, 159, 160, 164, 173, 176, Beinert, W. 11, 32, 35, 54, 8 8 , 114, 191,
188, 193, 194, 217, 218, 234, 237, 287,355
253, 264, 303, 308, 310, 323, 325, Benedikt XII. 249, 265
332, 338, 350, 351, 363, 372, 380- Benjamin, W. 296, 297
382, 387, 389, 396, 400, 403, 413- Benning, A. 323
Berdjajew, N. 266, 279 Camus, A. 277
Berger, P. L. 286, 297, 349, 368 Cano, M. 319
Berkeley 255 Caquot, A. 286, 304, 349
Berlage, A. 174 Cassmann, O. 234, 238
Bernhard Silvester 105 Chagall, M. 296
Bernhard v. Clairvaux 319, 334, 338 Chantepie de la Saussaye, P. D. 286,
Bernhart, J. 266, 273, 275 288
Betz, J. 95 Chauchard, P. 235, 239
Bietenhard, H. 303 Chenu, M. D. 266, 283
Bischof, N. 235, 261 Chrysostomus, J. 246, 304, 309
Bivort de la Saudee, J. 372, 374 Clemens IV. 283
Blasko, G. 318 Clemens VI. 343
Bloch, E. 15-17, 167, 243, 278, 407 Colombo, C. 32
Blumenberg, H. 58, 62 Columbus 283
Böcher, O. 350, 360 Conzelmann, H. 8 8 , 93
Boethius 257 Cornelius 370
Bogler, Th. 286, 296, 322 Courth, Fr. 32, 81, 8 8 , 114, 148, 266,
Böhme, J. 119 304, 350, 390
Bolewski, I. 390, 421 Courtonne, Y. 95, 101
Bonaventura 46, 105-107, 133, 146, Cramer, Fr. 191
160, 275, 313, 342, 400 Cullmann, O. 372, 379
Bonnet, H. 286, 288 Cyrill v. Alexandrien 324
Bornkamm, G. 87, 8 8
Borsig-Hover, L. 58 Dacque, E. 48
Boßhard, St. E. 203 Daim, W. 408
Brandenburger, E. 389 Daly, M. 77
Brandmüller, W. 96, 107 Danielou, J. 286, 303, 322, 332
Breid, Fr. 11,32,42, 148, 169, 191, 203 Dante 313
Breuer, R. 202 Darwin, Ch. 32, 50, 191, 192-194, 264,
Breuning, W. 32, 52, 235, 253, 322 404
Brinktrine, J. 32, 114, 120, 286 David v. Dinant 110
Brunner, E. 95, 108, 211, 229, 230, Dawkins, R. 191, 195
234, 260, 349, 353, 368, 372, 379, Denifle, H. 104
391, 392, 405 Deppe, R. M. 390, 404
Bruno, G. 13, 107, 147 Descartes 107, 157, 180
Buber, M. 234, 258 Dexinger, F. 372, 375, 376, 390, 392,
Bucharin, N. J. 14 427
Bultmann, R. 200, 292, 297, 349, 355, Diekamp, Fr. 316
372, 379 Dietrich, R.-A. 26
Bundscherer, N. 11, 191 Dietrich v. Freiberg 313
Burck, E. 266 Dilthey, W. 239
Dinkler, E. 234, 237
Caelestius 417 Diognet 305
Caesarius v. Arles 365 Dionysius Areopagita 304
Cajetan Kard. 217 Dionysius d. Kartäuser 319
Calvin, J. 108, 131, 186 Ditfurth, H. v. 191, 201, 206
Döllinger, J. 95 Fraine, J. de 410
Drewermann, E. 65, 302 Fredegisus 140
Drobner, H. R. 96, 97 Freud, S. 32, 50, 64, 375
Dumeige, G. 235 Freyer, Th. 118, 131, 147
Duns Scotus, J. 107, 313, 342, 400 Fries, H. 95, 235, 349
Durandus 176 Fritzsch, H. 30
Dürig, W. 266, 304, 320 Fritzsche, H. G. 169, 170, 286, 292,
349,350
Ebeling, G. 32, 39, 58, 60, 169, 170, Frohschammer, J. 196, 234, 250
200, 286, 294, 350, 354, 392
Eberhard, I. A. 404 Gadamer, H. G. 236, 241
Ebner, Fr. 234, 257 Galenos 237
Eccles, I. C. 235, 255 Galilei 17, 96, 107, 238
Echnaton 60, 83 Galling, K. 211
Eckert, J. 360 Ganoczy, A. 11, 12, 58, 168, 191, 206,
Eicher, P. 32, 35, 286, 350 266, 355
Eichhorn, J. G. 404 Geach, P. T. 169
Eichinger, W. 390, 433 Gebhardt, C. 152
Eichrodt, W. 211, 225 Gehlen, A. 243, 266
Eigen, M. 202 Geiler v. Kaisersberg 401
Einstein, A. 28 Geiselmann, J. R. 95
Eliade, M. 62 Geyer, B. 235, 237
Eiliger, K. 349, 355 Ghellink, J. de 95, 105
Engelmeier, M.-P. 371 Gide, A. 277
Engels, Fr. 277 Gilkey, L. 134
Epikur 137, 166 Gläßer, A. 148, 153
Eriugena, J. S. 96, 104, 134, 141, 311 Gloege, G. 293
Ernst, J. 360 Gnilka, J. 8 8 , 93, 211, 225
Ernst, W. 390 Gogarten, Fr. 200
Eusebius v. Caesarea 314 Goppelt, L. 8 8 , 89
Eutropius 400 Görg, M. 148, 211, 286, 323, 350, 357,
358
Feiner, J. 32, 33, 35, 58, 87, 114, 148, Görgemanns, H. 96, 100
286,323,372 Gorgias 49
Fernandez, D. 406 Görres, A. 235, 241, 390
Feuerbach, L. 108 Gössmann, E. 96
Fichte, I. H. 14, 141 Grabmann, M. 95
Fichte, J. G. 14, 141, 255 Grant, R. M. 303
Ficino, M. 270 Grässer, E. 8 8
Fink, E. 235, 262 Gregor d. Gr. 287, 303
Flacius Illyricus 421 Gregor v. Nazianz 130, 160, 246, 332,
Flasch, K. 96, 313, 350, 351 381
Flick, M. 390, 423, 433 Gregor v. Nyssa 96, 101, 104, 193, 381
Flügel, H. 350 Grillmeier, A. 114
Foerster, W. 80 Groß, H. 58, 70, 377, 394
Föhr, E. 11 Gross, J. 389, 400, 401, 422
Grosseteste, R. 270 Heufelder, E. 325
Guardini, R. 11,12 Hieronymus 176, 309
Gucht, R. v. der 32 Hierzenberger, G. 323
Guillaumont, A. 304, 316 Hilarius v. Poitiers 415
Gummersbach, J. 174 Hilberath, B. J. 114, 130, 131
Gunkel, H. 225 Hildegard v. Bingen 235, 237
Günther, A. 152, 153, 157, 249, 250, Hippolyt v. Rom 99, 137, 151, 332
406 Hirth, V. 323
Günther, G. 20 Hoberg, G. 217
Hockel, A. 87, 114
Haag, E. 80, 82 Hodge, Ch. 193
Haag, H. 286, 295, 349, 355, 356, 358, Hoeps, R. 104, 134, 138, 141, 143
361, 372, 376, 377, 390, 395, 406, Hoeres, W. 191
409, 431 Höffner, J. 266, 282-284
Habitzky, M. 372 Hofmann, R. 211
Haeckel, E. 17, 192, 194, 264 Holbach, P. H. 19
Haecker, Th. 96 Holtzmann, H. I. 224
Haeffner, G. 253 Honorius III. 104
Hafner, H. 236, 244 Horkheimer, M. 243
Hamm, H. 407 Horst, Fr. 225
Hartlich, Ch. 58, 59 Hübner, J. 191, 200, 390, 396
Hasenfuß, J. 148, 211, 323 Hübner, K. 58, 59, 62, 64
Hasenhüttl, G. 32, 34, 35 Hugo v. St. Viktor 165, 270, 312
Hatt, H. E. 19, 20, 235, 244 Humboldt, W. v. 239
Hauke, M. 372, 381, 390, 413 Hunold, G. W. 11
Hawking, St. 21 Hüntelmann, R. 11, 134-136
Hedinger, U. 58, 74, 75 Hüttenbügel, J. 372, 374
Hefele, K. J. 95, 110, 303, 316 Huxley, A. 19, 56
Hegel, G. W. Fr. 126, 153, 166, 180, Huxley, Th. H. 192
186, 188, 239, 375
Hegemann, H. W. 286 Ignatius v. Antiochien 97, 304, 305
Heidegger, M. 11, 15, 134, 141, 243, Illies, J. 11, 191, 194, 202, 235, 262
407 Innozenz III. 165, 184, 418
Heinisch, P. 225 Innozenz VIII. 365
Heinrich v. Gent 173 Irenäus v. Lyon 41, 42, 99, 109, 119,
Heinzmann, R. 236, 238 137, 151, 183, 215, 246, 307, 372,
Heisenberg, W. 11, 28, 48 380, 390, 398, 413
Heiser, L. 304, 323 Isaak de la Peyrere 428
Hempel, H. 133, 139
Hempel, J. 211, 225, 376 Jacob, B. 266, 282
Hengstenberg, H.-E. 134, 143, 148, Jaeger, W. 49
168, 191, 208, 235, 256, 372, 389 Jaspers, K. 11, 26, 27, 220, 243, 372,
Herder, J. G. 218, 239, 372, 374 374, 407
Hermas 305 Jedin, H. 420
Hermes, G. 152, 153, 157, 406 Joachim v. Fiore 55
Herrmann, S. 58, 114 Johannes XXII. 145
Johannes Paul II. 18, 199, 283, 420 Kuhn, W. 202
Johannes v. Damaskus 130, 215, 311, Kümmel, W. G. 211, 223-225
332,338 Kurz, L. 303
Johannes v. Neapel 173 Kürzinger, J. 233
Jonas, H. 95 Kuss, O. 148, 151, 411
Jordan, P. 11, 17, 18, 48 Kyros 82
Journet, Ch. 349
Jung, C. G. 64, 235, 262, 349, 368, 408 Lais, H. 32, 35, 148, 159
Jungmann, J. A. 303, 320, 321 Lakner, Fr. 32, 52, 322
Junker, H. 217 Laktanz 237, 337
Justin 98, 136, 305, 337, 348, 380, 398 Lamarck, J. B. 192
Justinian 315 Lamettrie, J. 19, 245
Lang, B. 48, 148, 211, 218, 286, 295,
Kaczynski, R. 266 323, 349, 350, 355, 356
Kant 134, 147, 239 Lang, Fr. 114, 128
Karpp, H. 96, 100 Laros, M. 403, 425
Kaschnitz, M.-L. 297 Lasson, G. 126, 153, 180, 186
Käsemann, E. 410 Lay, R. 11
Kasper, W. 235, 241, 350 Lecler, J. 235, 249
Kern, W. 114, 115, 150 Leclercq, H. 95, 110
Kertelge, K. 350, 359, 360 Lehmann, K. 236, 240, 262, 350, 369
Kessler, H. 266 Leibniz, G. W. 108, 180, 188
Kettler, Fr. H. 96, 100 Leitz, W. 322
Kingsley Barret, Ch. 8 8 Lenoir, T. 192
Kirchschläger, W. 80, 218 Leo I. 138, 365
Kleanthes 179 Leo XIII. 318
Klee, H. 174 Leroy, M. D. 196
Klee, P. 296 Lersch, Ph. 235, 262
Kleineidam, E. 96 Lessing, G. E. 239, 404
Klemens v. Alexandrien 99, 145, 173, Levinas, E. 147
307, 364, 381 Limbeck, M. 222, 349, 361
Knapp, G. 32, 50 Lindeskog, G. 80, 82, 84, 87
Knapp, M. 390 Link, Chr. 32, 37, 38, 53, 108, 134,
Knoch, O. 360 135,191
Kocher, R. 169, 189, 190 Linne, K. v. 192
Köhler, J. 135 Lohfink, N. 58, 69, 70, 150, 389
Köhler, L. 211, 392, 409 Löhrer, M. 32, 35, 58, 87, 114, 148,
Kolakowski, L. 64 2 86,323,372
Koltermann, R. 11, 31, 134, 147, 206 Lohse, E. 87, 94
König, Fr. 33 Lombardus, P. 13, 105, 111, 338
Kopernikus 13 Lorenz, K. 47, 205, 235, 243, 244
Koslowski, P. 11, 191 Loretz, O. 211, 226
Köster, H. M. 372, 390, 404, 406, 417 Lotze 255
Kranz, W. 266, 272 Löw, R. 11, 191, 194, 202, 235, 244
Kraus, G. 11 Löwith, K. 266, 283
Krüger, J. 266, 282 Lubac, H. de 32, 50
Lubsczyk, H. 148,150 Möhler, J. A. 95, 96 Pelz, K. 303 301, 304, 314, 317, 322, 339, 340,
Luckmann, Th. 220 Moltmann, I. 11, 12, 32, 39, 40, 45, 47, Perier, P.-M. 197 372, 377, 386, 390, 421, 427
Lugo, J. de 426 49, 55, 114, 120, 122, 129, 132, 134, Peters, A. 211 Ratschow, C. H. 16, 32, 180, 186
Lülsdorff, R. 265 142, 148, 154, 169, 170, 185, 286, Peterson, E. 286, 303, 320, 322, 327, Ratzinger, J. 11, 32, 80, 96, 114, 134,
Lütgert, W. 11, 32, 38, 40, 114, 129, 294 329 148, 198, 211, 323, 350, 356, 372
134 Monod, J. 11, 18, 19, 33, 170, 191, 195 Petrus Comestor 312 Rauscher, A. 266
Lüth, P. 191, 235, 264, 372, 389, 427 Montano, E. 303 Pfeil, H. 168 Redeker, M. 34, 169, 286, 349
Luthardt, Chr. 165 Morales, J. 32 Philo v. Alexandrien 76, 307 Regamey, P.-R. 286
Luther, M. 37, 42, 108, 133, 134, 140, Morgenstern, Chr. 296 Photius 247, 272 Regino v. Prüm 365
174, 401, 418,422 Müller, C. 140 Pico della Mirandola 238 Reimarus 189
Lutz, Chr. 140 Müller, G. L. 11, 114 Pius V 342, 426 Reiner, M. 117
Lux, R. 80 Müller, H. 44 Pius IX. 195-197, 249, 318 Renan 189
Luyten, N. A. 235, 238, 242 Mußner, Fr. 87, 114, 127, 128 Pius XI. 283, 420 Renckens, H. 372
Lyotard, F. J. 147 Mynarek, H. 191 Pius XII. 17, 120, 184, 197-199, 216, Richard v. St. Viktor 105
250, 283, 318, 420, 427 Ricoeur, P. 368
Macchiavelli, N. 50 Nagel, W. 350 Planck, M. 28 Riedl, R. 203, 205
Maimonides, S. 146 Neidhart, W. 350 Platon 49, 137, 179, 237, 333, 351, 396 Riess, R. 350
Manichäus 315 Nemesius v. Emesa 237 Plessner, H. 242 Rilke, R. M. 293, 296
Mann, Th. 365 Nestle I„ W. 166 Plotin 96, 102, 103 Robinson, D. N. 235, 255
Mann, U. 323 Neuner, J. 148, 157 Pohle, J. 174 Rohrbasser, A. 318
Marconi 283 Newman, J. H. 96, 103, 403, 425 Pohlenz, M. 179 Rohrmoser, G. 167, 372, 375
Marius Mercator 417 Nietzsche, Fr. 50, 140 Pöhlmann, H. G. 38 Roos, H. 148, 157
Marquard, O. 239 Nikolaus v. Kues 13, 50, 133 Polkinghorne, 1. C. 44 Rosenberg, A. 323
Martin-Achard, R. 58 Nordheim, E. v. 80 Pomponazzi, P. 250 Rosmini, A. 250
Martin v. Braga 365 Nordländer, A. 211, 231 Popper, K. R. 29, 203, 235, 255 Rottee, P. 303
Marx, K. 32, 50, 6 8 , 277, 407 Noth, M. 58, 69 Portmann, A. 44, 48 Röttger, H. 48, 288, 289, 323
May, G. 134, 136 Nwigwe, B. E. 169 Prenter, R. 114 Rousseau, J.-J. 239, 281, 372, 374
McBrian, R. P. 32, 35 Preuß, H. D. 58, 73, 80-83, 148, 150, Ruh, K. T. 96, 107, 111, 304
Meier, H. 11, 191 Oelmüller, W. 169 211-213, 219-221, 236, 266, 268 Ruiz de la Pena, J. L. 236, 256
Meister Eckhart 96, 107, 111, 145, 151 Ohler, A. 58, 60 Prigogine, I. 191, 206 Rupert v. Deutz 95, 105, 120, 400
Melito v. Sardes 400, 413 Ohlig, K.-H. 11, 32, 33, 58, 61 Prior, A. N. 169 Ruppert, L. 58, 67, 6 8 , 392
Meschkowski, H. 11, 28 Olivi, P. J. 248 Priscillian 315 Rüschkamp, F. 197
Messenger, E. C. 197 Origenes 96, 99, 100, 109, 137, 146, Procksch, O. 225 Rüssel, B. 11, 14, 25
Methodius v. Olympos 309 156, 247, 307, 308, 332, 336, 348, Proklos 103, 310
Metz, J. B. 181, 255 363, 372, 381,390 Pröpper, Th. 390 Sachs, W. 58, 59
Metz, J. v. 96 Overhage, P. 191, 235, 266, 278, 322, Ps.-Dionysius 103, 130, 310, 313, 320, Sagnard, Fr. 303, 306
Meyr, H. 49, 50 372,377,389 326,345 Salvian v. Marseille 183
Meyer, H. 104, 133, 141, 234, 238 Ps.-Epiphanius 311 Sartre, J.-P. 277
Michael Baius 426 Palestrina 20 Sattler, D. 81, 82, 191, 355
Michael Paläologus 111, 418 Pannenberg, W. 32, 38, 39, 49, 55, 114, Rad, G. v. 53, 58, 60, 63, 70, 72, 73, Schäfer, Ph. 304, 390
Michl, J. 286, 304, 349, 355 120, 122, 123, 129, 131, 134, 135, 75, 78-80, 82, 85, 134, 135, 148, Schaff, A. 277
Miehl, J. 286 157, 169, 170, 191, 286, 295, 323, 150, 211, 212, 214, 215, 219, 227, Schanne, R. 404
Miltons, J. 365 337, 341, 350, 354, 392, 405, 406 267, 286, 298, 372, 376, 393, 394, Scharbert, J. 390, 399, 410
Mischko, J. 350, 371 Pascal Bl. 50, 274, 403 399 Scheeben, M. J. 32, 52, 156, 157, 322,
Mitin, M. 14 Paul, G. 13 Rahner, K. 32, 34, 52, 114, 116, 169, 426
Mivart, St. G. 196 Paul VI. 366, 370, 420 177, 191, 209, 235, 254, 265, 286, Scheele, P.-W. 148, 211, 323
Scheffczyk, L. 11, 22, 24, 32, 39, 42, Schultze, B. 304
43, 47, 58, 59, 62, 69, 76, 80, 81, Schumacher, J. 11,13
84, 87, 95, 101, 108, 114, 119, 129, Schumann, Fr. K. 200
134, 141, 148, 150, 158, 160, 164, Schürmann, H. 8 8 , 90, 96, 360
165, 169, 174, 179, 189-191, 211, Schwaiger, G. 266, 365
224, 226, 235, 243, 247, 258, 260- Schweidler, W. 26
262, 266, 267, 269, 271, 275, 276, Seebass, H. 116, 236
280, 281, 286, 304, 350, 372, 374, Seemann, M. 286, 298, 323, 327
380, 382, 387, 390, 400, 413, 417, Seibel, W. 377
423 Seifert, J. 235, 255
Scheler, M. 50, 241, 243 Semmelroth, O. 169
Schelkle, K.-H. 87-90, 92, 211, 225, Serapion 325
286, 323, 343, 393 Seybold, M. 430
Schell, H. 114, 120, 148, 157, 191, 193, Shaftesbury 239
211, 229, 323, 346 Siegmund, G. 266, 283
Schelling, Fr. W. 11, 15, 134, 135, 297, Siewerth, G. 390, 426
298, 353, 375 Smulders, P. 191
Schelling, K. F. A. 298 Sophokles 49
Schierse, F. J. 355 Spaemann, R. 11, 18, 191, 235, 244,
Schipperges, H. 235 390, 402
Schleiermacher, D. Fr. 34, 36, 52, 168, Spencer, H. 13, 14
170, 286, 293, 294, 349, 352, 395 Spengler, O. 281
Schlier, H. 87, 95, 108, 134, 136, 148, Spindeier, A. 420
149, 151, 286, 287, 323, 340, 349, Spinoza, B. 107, 152, 189
359, 361, 362, 369, 410-412 Spranger, E. 47
Schlink, E. 32, 36-38, 169, 170, 185, Stadelmann, L. J. J. 58
286, 295, 323, 330, 350, 353, 354, Stählin, G. 325
397 Stammkötter, F. B. 135
Schmaus, M. 32, 35, 58, 60, 80, 114, Staudinger, F. 390
120, 148, 159, 169, 323, 331, 355,Steinbüchel, Th. 211
372, 377 Stendebach, F. J. 211
Schmidt, H. M. 134 Stengers, I. 191, 206
Schmidt, W. H. 58 Stephan, H. 148, 165, 286, 288
Schmithals, W. 211 Stier, F. 286
Schmitt, A. 191, 197 Stiernon, D. 235, 247
Schmitz-Moormann, K. 390, 405, 432 Stockhausen, A. v. 236, 264
Schnackenburg, R. 87, 92, 93, 114, 117 Strauß, D. Fr. 189, 291
Schnalle, U. 211 Suärez, Fr. 146, 313, 314, 344
Schneider, M. 46 Sullerot, E. 235
Schneider, Th. 32, 35, 81, 82, 96, 130, Suphan, B. 372,374
191, 286, 295,355 Szabö, A. 286, 288-290
Schönborn, Chr. 390
Schoonenberg, P. 390, 432 Tatian 98
Schopenhauer, A. 14, 404 Tavard, G. 286, 287, 304, 306, 308,
Schottorf, L. 269 316, 318, 320, 321, 349, 364
Schubert, M. 81 Teilhard de Chardin 148, 153, 191, 198,
209, 235, 372, 390, 405, 432 Vollmert, Br. 191, 202, 203, 235, 264
Tenbruck, F. H. 44 Vorgrimler, H. 32, 286, 304, 321, 322,
Tennant, Fr. R. 390, 404 347
Tertullian 99, 246, 308, 337, 363, 364, Vriezen, Th. C. 392, 393, 409
381, 387, 400, 413
Theissen, G. 191 Wagner, S. 80
Theodoret v. Cyrus 308 Wahle, H. 390
Theophilus v. Antiochien 98, 137, 164, Walter, E. 114
380 Wasmuth, E. 50, 274
Thielicke, H. 211, 231, 234, 259, 349, Weber, O. 134, 139, 168, 170
352 Weger, K.-H. 11, 390, 427, 433
Thierry v. Chartres 105 Weier, W. 236, 245
Thomas v. Aquin 30, 52, 55, 96, 105, Weindel, Ph. 211
106, 120, 124-126, 133, 134, 142, Weiser, A. 80, 83, 84, 221
143, 146, 147, 158, 160, 169, 176- Weismayer, J. 390
178, 180, 184, 188, 193, 194, 210, Weissmahr, B. 190
235, 238, 253, 254, 265, 270, 310, Weizsäcker, C. Fr. v. 234, 242
312, 313, 324, 333-336, 338, 342, Wenzel, P. 148, 157
345-347, 364, 383, 390, 396, 400, Werfel, F. 296
417 Werner, M. 200
Tillich, P. 148, 153, 168, 181, 286, 292, Westermann, CI. 32, 53, 58, 61, 63, 6 6 ,
293, 349, 354, 355, 369, 372, 379, 6 8 , 72, 74-76, 78, 114, 116, 135,
391, 405 211, 212, 214, 217, 218, 226, 235,
Tillmann, Fr. 211, 222 240, 252, 261, 266-269, 273, 276,
Tipler, F. J. 29 323, 372, 375-378, 392, 393, 396,
Titus Lucretius Carus 140 399
Trillhaas, W. 169, 170 Wette, W. M. L. de 286, 288
Tröger, K.-W. 286 Whitehead, A. N. W. 22-24, 134, 141
Turibius v. Astorga 138 Wikenhauser, A. 114, 343
Wildung, D. 80
Ueberweg, Fr. 235, 237 Wilhelm v. Ockham 107
Uexküll, J. v. 48 Wilkinson, D. A. 21
Ullrich, L. 96 Willet, A. 287
Unger, J. 270 Wingren, G. 87, 95, 99, 114
Winklhofer, A. 286, 295-297, 322, 325,
Vanneste, A. 390, 431 329, 333, 349, 365
Vetter, A. 234, 262 Winter, A. 193, 196
Vico, G. 238 Wissink, J. B. M. 96, 134
Vieujean, J. 167 Wittgenstein, L. 25, 26
Vigilius 315 Wolf, J.-C. 266
Villalmonte, A. de 390, 406, 431 Wölfel, E. 134
Vischer, L. 32, 33 Wolff, Chr. 180
Vitalis v. Four 177 Wolff, H. W. 58, 114, 211
Vogler, P. 236, 241 Wolff, U. 286, 296, 297
Vögtle, A. 114, 343 Wright, M. A. 20
Volk, H. 58, 75, 191, 207, 405 Wrzecionko, P. 401
Y m bertus v. Arles 418
Z acharias 316
Zahm, F. 196
Zähringer, D. 355
Zemp, P. 96, 101
Ziegenaus, A. 58, 77, 217, 218, 236,
262, 266, 280, 304, 350, 390
Zimmerli, W. 211
Zosimus 417
Sachregister
Abblld(Iichkeit) 106, 226, 339 - nachkonziliare 251
- trinitarische 132 - theologische 241, 242, 243, 245,
Abhängigkeit 126, 170, 171, 214, 222 251
Absolutheit, Absolutes (das Absolute) Anthropomorphismus 78, 122, 142
46, 57, 126, 152, 176, 209, 230, 245 Anthroposophie 296
- absolutes Du 257 Anthropozentrik 34, 49, 78, 108, 112,
Abstammungslehre 192, 196, 197 162, 238
- „Affenabstammung“ 194 Antike 166, 219
Adam 224, 422 Apathie 190
- Adamiten, Prä- und Ko- 428 Apokalypse 305, 332
Adoptiv-Sohnschaft 126 Apokalyptik 33, 129, 289, 290, 299,
Ägypten 60, 288 343,359
Akkomodation 197, 302 Apokatastasis 100, 101, 104
Akte Apokryphen 289, 305, 306, 316, 331,
- essentiale 125 332, 351, 358, 380, 393, 410
- notionale 122, 125 Apologetik, Apologeten 84, 98, 136,
- Akt-Potenz-Lehre 105 179, 183, 305, 413
Aktualität 171, 176 Apostel 301
Aktualismus 184, 231, 258 Apostolicum 48
Albigenser 110, 145, 317 Appropriationen 120-123, 125, 130,
Alchemie 282 131
Allegorie 102, 217 Arabisches (das Arabische) 176
Altertum 101, 250 Arbeit 268, 278
Altorient 83, 226 - Arbeitnehmer 284
Ambivalenz 277 - Arbeitsteilung 6 8
Analogie 38, 156, 158, 345 Archetypen 354
Anbetung 295, 328, 349 Areopagrede 91
Androgyn (-Mythos) 77, 219 Aristotelismus 105, 173, 248, 250
Anfang 35, 79, 144, 145 Ascensio Isaiae 331
- Anfanglosigkeit 146 Assyrien 288
Angelologie 289, 294, 306 Ästhetik 74, 275, 277
Angelophanie(n) 331 Astrologie 282
anima 262 Astronomie 238
- anima separata 251 Atheismus 15, 16, 51, 112, 193
animus 262 Ätiologie 69-71, 218, 376, 394
Anorganisches (das Anorganische) 194, Atom 173
195, 203, 204 Atomismus 140, 173
Anredecharakter 293 Auferstehung 56, 57, 91, 93, 189, 190,
Anschauung (s.v. Gottschau) 223, 300, 331
Anthropisches Prinzip 29, 202, 220 Aufklärung 108, 165, 239, 353, 379
Anthropologie 19, 67, 80, 83, 217, 219, Augustinismus 105
220, 229, 236, 238, 239, 252, 253, Auschwitz 181
255 Auserwählung 62, 81, 149, 150
Außentätigkeit 121-123 Christologie 37, 92, 97, 100, 130, 360
Autonomie 90, 157, 163, 198, 204 Christomonismus 38
Averroismus 106, 146, 312 Christozentrik 54, 55, 95, 303, 424, 434
Christus (s.v. Jesus Christus)
Babylon(ien) 60, 83, 288 Concursus 187, 189, 200
Begegnung 258 - concursus divinus 175, 178
Begierde, Begierlichkeit 406, 421 - concursus praevius 177
Begnadung 373,379 - concursus simultaneus 177
Begriff 103 condition humaine 368
Bekehrung 187 Confessio Augustana 36
Bekenntnis 81, 96, 97, 101, 108, 109, Confiteor 320
139 conservatio 87, 169, 171-174, 178
- Bekenntnisformel 93, 108 creatio 87, 169, 171, 173
- Bekenntnisschriften (lutherische) - creatio continua(ta) (s.a. Schöp­
37 fung, weitergehende) 85, 106, 171,
Beschaulichkeit 284 199, 200, 207, 208, 216
Beseligung 112, 158, 342 - creatio ex nihilo 14, 52, 101, 104,
Bewegung 144, 145 105, 133-143, 160, 214
- Eigenbewegung 207 - creatio peculiaris (peculiaris crea­
Bewußtsein 205 tio) 216, 263
Beziehung(en) 121, 123-125, 143, 259 Credo (s.a. Glaubensbekenntnis) 93
- Ursprungsbeziehung 143 - des Gottesvolkes 420
Bibelkommission 217, 377
Bibelkritik 404 Dämonen, böse Engel 111, 118, 179,
Biblizismus 288 305, 306, 316, 333, 350, 351, 353
Bildbegriff 233 - Krankheitsdämonen 361
Bilderverbot 227 - Entdämonisierung 274, 353
Bilderverehrung 317 - Polydämonismus 289
Bildterminologie 226 Dämonenaustreibung, -austreiber 90,
Billigungsformeln (s.v. Güteformeln) 360, 361
Biologie 19, 28, 241, 262 Dämonenglauben (s.v. Glaube)
- Human- 215 Dämonisches (das Dämonische) 355
- Molekular- 195 Dämonologie 356, 359, 364
- Sozio- 195 Dank(sagung) 64, 84, 328
Bipolarität (s.v. Geschlechtlichkeit) Darwinismus 108, 192, 194
Besessenheit 370, 371 - Neodarwinismus 195
Böses (das Böse) 75, 104, 163, 166, - christliche Darwinisten 193
177, 182, 186, 244 Deduktionismus 29
Bund 53, 54, 8 6 , 150, 221, 429 Deismus 43, 170, 176, 180, 204
Demiurg 24, 40, 98, 129, 171, 290
Chaos 73, 82, 353 Demut 123, 124
- „Chaostheorie“ 206 Denken 244
Chiffre 27, 407 - Clan- 422
Christentum 62, 8 6 , 165, 219, 227, 253, - Fortschritts- 279
279, 291, 292, 297, 298, 309, 355, - anschauliches 143
356, 363, 413 - franziskanisches 275
- geschichtliches 425 - Dreifaltigkeitsspiegel 132
- griechisches (s.a. Griechentum) Dreimal Heilig 327
103, 182, 252 Drohwort 155
- mechanistisches 107, 170 Dualismus 47, 82, 101, 102, 110, 111,
- modernes 12, 48, 250, 296 136, 138, 165, 214, 216, 224, 247,
- natürliches 338 248, 253, 254, 256, 289, 291, 352,
- naturwissenschaftliches 425, 427 367,370
- orientalisches 267 - Antidualismus 246
- personologisches 258, 425 Dualität 247, 254, 257, 290
- solidarisches (s.v. Solidarität)
- spekulatives (s.v. Spekulation) Ebenbild, Ebenbildlichkeit (s.v. Gott­
Desorientierung 285 ebenbildlichkeit)
Deszendenztheorie (s.v. Abstammungs­ Egoismus 158
lehre) Ehe 77, 110, 218, 261
Determinismus 17, 107, 422, 431 - Jahwe-Ehe 263
Deuteronomist 409 - sakramentale 263
Diachronie 146, 147 Ehescheidung 89, 219
diakonia 327 Ehre 157, 162
Dialektik 105 Eigenschaften Gottes
- negative 166 - Alleinwirksamkeit 140
Dialog 221, 222, 240 - Allgegenwart 122, 347
Dichtung 296, 297 - Allmacht 42, 85, 107, 120, 122,
Dichotomie 252 125, 126, 136, 185
D ienst(charakter), Heilsdienst 222, - Allursache, Allursächlichkeit 105,
305, 323, 342 175, 176, 335
Divina Comedia 313 - Allwirksamkeit 347
Divinisierung 270 - Barmherzigkeit 89
DNS-Code 19, 203 - Einheit 124, 171
Dogma 97, 108, 111, 131, 215, 255, - Gerechtigkeit 151, 382
256, 338, 339, 384, 413, 417, 434 - Unermeßlichkeit 295
- dogmatische Formeln 111 - Unveränderlichkeit 146
- Neuinterpretation des Dogmas 430 Eigenwirksamkeit 177
Dogmatik, dogmatische Theologie 37, Einheit 248, 253
70, 189, 229, 323, 330 - Abstammungs- 413
- altprotestantische 293 - Adams- 401, 414, 434
- evangelische 376 - Christus- (s.v. Jesus Christus)
- katholische 376 - Leib-Seele-Einheit (s.a. Leib und
dominium terrae 270 Seele) 254
donum (s.v. Gaben) - Zwei- 249
doxa 104,233 Einheitspathos 153
Doxologie 129 Elochist 409
Drama, Heilsdrama, Erlösungs-, Eltern 210, 249, 250, 265
Dramatik der Erlösung 188, 300, Emanatianismus 103, 126, 143, 152,
301, 353, 367 154,319
Dreifaltigkeit (s.a. Trinität) 41, 46, 102, Emanation, emanatio 102, 103, 126,
313 139, 154, 308
Empfängnis, jungfräuliche 118 - Erbcharakter 420
Empirismus 13, 29, 133, 166 Erfahrung 26, 29, 34, 39, 52, 64, 78,
Endereignis 56, 90, 189, 364 143, 145, 180, 222, 263, 268, 272,
Endlichkeit, Endliches 57, 127, 141, 402
142, 146, 177 Erhalter, Erhaltung (s.a. Welterhaltung)
Engel 48, 110, 271 65, 85, 8 6 , 91, 106, 143, 168, 170,
- Engel Jahwes 298 171, 173, 174
- Gerichts- 301 Erkennen, Erkenntnis 204, 205
- Licht- 290 Erkenntnislehre 313
- Schadens- 290 Erlöser 65, 99, 130
- Schutz- 334, 336, 337 Erlösung 53, 82, 90, 92, 93, 95, 105,
- Völker- 289, 332 122, 130, 168, 237, 246, 274, 285,
- W idersacher-Engel (s.a. Teufel, 375,399
Satan) 351 - Erlösungsidee 149
- angelisches Leben, Leben der - Erlösungstat, Erlöserhandeln, Er­
Engel 303, 345 löserwirken 82, 171, 300, 328, 363,
- Entartungserscheinungen, Entstel­ 379
lungen 337, 364 Eros 351
- Erschaffung der Engel 317, 324 Erschaffung 215, 317, 324
- Sendung, Boten Gottes 323, 325 Erscheinung 189, 298
- Vielzahl von Engeln 345 Erwählung (s.v. Auserwählung)
- Engelchöre 320, 326 Erzeugen 126, 127
- Engelerscheinungen 347 - Spontanerzeugung 203
- Engelkult, Engelverehrung 302, Eschatologie 35, 55, 75, 8 6 , 116, 130,
304, 308, 315, 317, 319, 341, 347, 186, 190, 328
348 Esoterik 297
- Engelnamen 316 Ethik 64, 88-90, 102, 271, 275
- Engelordnung(en) 345 Ethos 89, 202
- Engelsnatur 364 Eudämonismus 278
- Engelssünde 343, 344, 363, 364, Evangelische Theologie (s.v. Theologie)
368 Evidenz 187
Entdämonisierung (s.v. Dämonen) Evolution 18, 74, 108, 131, 177, 193-
Entmythologisierung 219, 292, 339, 195, 200, 201, 276, 340
356 - Evolutionsgedanke 192
Entwicklung 143, 193 Evolutionismus 139, 143, 166, 170,
- Entwicklungslehre, 388 192, 194, 195, 404
Enuma Elisch 60 Evolutionstheorie 139, 195, 196, 205,
Enzyklika, Enzykliken 197, 198 206, 216
- Humani generis 199, 295, 318 Ewiges (das Ewige) 144, 242
- Laborem exercens 283 Ewigkeit 30, 75, 131, 136, 144-146,
- Mulieris dignitatem 420 157
- Mystici Corporis 318 - Nichtewigkeit 110, 147
- Quadragesimo anno 283 Exegese 127, 197, 217, 218, 225, 227,
Epikureismus 137, 140, 165, 173 352, 369, 376, 398
Erbe 400 Exemplarismus 46
- Erbadel 420 Exemplarität 128, 160
Exil 82, 358 Ganzes (das Ganze) 167
Existentialismus 34, 37, 396, 405, 407, Ganzheit (des Menschen) 229, 249
431 Garten 60, 79, 215, 269, 375, 378
Existenz 35, 67, 70, 143, 174, 305, 317, Gattung, Genus (literarisches) 69, 71,
320, 329, 341, 347 197
- dialogische 2 2 0 Gebet 84, 221
Existenzphilosophie, Existenzialphilo­ - Bittgebet 85, 187, 190
sophie 15, 26, 141, 220 - Eucharistiegebet 98
Exorzist, Exorzismus (s.a. Dämonen- Gegenwart 209
austreiber, -ung) 355, 366, 370, 371 - zirkumskriptive 347
Expansion 147 Geheimnis 27, 40, 44, 47, 49-51, 85,
Exsultet 424, 425 8 6 , 124, 134, 167, 168, 183-188,
Exzentrizität 262 223, 242, 297, 302, 309, 344, 366,
402, 414,422
Fall (s.v. Sündenfall) 80 - Heils- 330
Familie 218, 220 - Kirchen- 332
Fatum 179, 183 Gehorsam 123, 124, 150, 221
Feldbegriff 354 Geist 45, 84, 103, 115-117, 130, 132,
Feminismus 77 195, 202, 231, 238, 253, 255
Finalursache 113, 162 - Geist Gottes (s.a. Heiliger Geist)
Folgenatur 23 117
Formprinzip 249, 257 Geistbegabung 133, 179, 229
Fortpflanzung 273, 419, 423 Geister 288
Fortschritt 16, 196, 276, 278, 279 - Lügen- 362
- technischer 277, 281, 282 - Toten- 288
Franziskus 46 - Unterscheidung der 370
Frau 89, 216, 219, 262, 420 Geistigkeit 249, 308, 310, 318, 337,
Freiheit 102, 111, 112, 140, 148, 150, 338
151, 154, 157, 175-177, 187, 195, Geistleiblichkeit (s.a. Einheit Leib -
231, 278, 313, 367 Seele) 245, 252, 257, 261, 264, 339
- der Forschung 197 Geistseele 196, 205, 213, 339
- menschliche 187, 429 Geistsein 209
Frömmigkeit, fromme Meinungen 137, Geisteswissenschaft 199
309, 331, 334 Gemeinde Christi 301, 302
- Volks- 295, 308, 319 Gemeinschaft 77, 259, 260
Fulguratianismus, Fulguration 203 Generatianismus 265, 415
Genetik 195
Gabe Gentechnologie 281
- Integritätsgaben 383 Gericht 91, 282
- Urzustandsgaben 377 Geschichte 51, 65, 69, 71, 72, 81, 82,
- präternaturale Gaben 383, 385, 90, 91, 96, 126, 127, 131, 145, 150,
388 171, 173, 183, 269, 278, 342
- donum immortalitatis 386 - Dogmen- 96, 108, 304
- donum impassibilitatis 387 - Heils- 52, 53-55, 59, 69, 70, 81,
- donum integritatis 386 8 6 , 97, 100, 101, 103, 105, 111, 115,
- donum scientiae 388 117, 118, 137, 149, 160, 183, 189,
Empfängnis, jungfräuliche 118 - Erbcharakter 420
Empirismus 13, 29, 133, 166 Erfahrung 26, 29, 34, 39, 52, 64, 78,
Endereignis 56, 90, 189, 364 143, 145, 180, 222, 263, 268, 272,
Endlichkeit, Endliches 57, 127, 141, 402
142, 146, 177 Erhalter, Erhaltung (s.a. Welterhaltung)
Engel 48, 110, 271 65, 85, 8 6 , 91, 106, 143, 168, 170,
- Engel Jahwes 298 171, 173, 174
- Gerichts- 301 Erkennen, Erkenntnis 204, 205
- Licht- 290 Erkenntnislehre 313
- Schadens- 290 Erlöser 65, 99, 130
- Schutz- 334, 336, 337 Erlösung 53, 82, 90, 92, 93, 95, 105,
- Völker- 289, 332 122, 130, 168, 237, 246, 274, 285,
- W idersacher-Engel (s.a. Teufel, 375,399
Satan) 351 - Erlösungsidee 149
- angelisches Leben, Leben der - Erlösungstat, Erlöserhandeln, Er­
Engel 303, 345 löserwirken 82, 171, 300, 328, 363,
- Entartungserscheinungen, Entstel­ 379
lungen 337, 364 Eros 351
- Erschaffung der Engel 317, 324 Erschaffung 215, 317, 324
- Sendung, Boten Gottes 323, 325 Erscheinung 189, 298
- Vielzahl von Engeln 345 Erwählung (s.v. Auserwählung)
- Engelchöre 320, 326 Erzeugen 126, 127
- Engelerscheinungen 347 - Spontanerzeugung 203
- Engelkult, Engelverehrung 302, Eschatologie 35, 55, 75, 8 6 , 116, 130,
304, 308, 315, 317, 319, 341, 347, 186, 190, 328
348 Esoterik 297
- Engelnamen 316 Ethik 64, 88-90, 102, 271, 275
- Engelordnung(en) 345 Ethos 89, 202
- Engelsnatur 364 Eudämonismus 278
- Engelssünde 343, 344, 363, 364, Evangelische Theologie (s.v. Theologie)
368 Evidenz 187
Entdämonisierung (s.v. Dämonen) Evolution 18, 74, 108, 131, 177, 193-
Entmythologisierung 219, 292, 339, 195, 200, 201, 276, 340
356 - Evolutionsgedanke 192
Entwicklung 143, 193 Evolutionismus 139, 143, 166, 170,
- Entwicklungslehre, 388 192, 194, 195, 404
Enuma Elisch 60 Evolutionstheorie 139, 195, 196, 205,
Enzyklika, Enzykliken 197, 198 206, 216
- Humani generis 199, 295, 318 Ewiges (das Ewige) 144, 242
- Laborem exercens 283 Ewigkeit 30, 75, 131, 136, 144-146,
- Mulieris dignitatem 420 157
- Mystici Corporis 318 - Nichtewigkeit 110, 147
- Quadragesimo anno 283 Exegese 127, 197, 217, 218, 225, 227,
Epikureismus 137, 140, 165, 173 352, 369, 376, 398
Erbe 400 Exemplarismus 46
- Erbadel 420 Exemplarität 128, 160
Exil 82, 358 Ganzes (das Ganze) 167
Existentialismus 34, 37, 396, 405, 407, Ganzheit (des Menschen) 229, 249
431 Garten 60, 79, 215, 269, 375, 378
Existenz 35, 67, 70, 143, 174, 305, 317, Gattung, Genus (literarisches) 69, 71,
320, 329, 341, 347 197
- dialogische 2 2 0 Gebet 84, 221
Existenzphilosophie, Existenzialphilo­ - Bittgebet 85, 187, 190
sophie 15, 26, 141, 220 - Eucharistiegebet 98
Exorzist, Exorzismus (s.a. Dämonen- Gegenwart 209
austreiber, -ung) 355, 366, 370, 371 - zirkumskriptive 347
Expansion 147 Geheimnis 27, 40, 44, 47, 49-51, 85,
Exsultet 424, 425 8 6 , 124, 134, 167, 168, 183-188,
Exzentrizität 262 223, 242, 297, 302, 309, 344, 366,
402, 414, 422
Fall (s.v. Sündenfall) 80 - Heils- 330
Familie 218, 220 - Kirchen- 332
Fatum 179, 183 Gehorsam 123, 124, 150, 221
Feldbegriff 354 Geist 45, 84, 103, 315-117, 130, 132,
Feminismus 77 195, 202, 231, 238, 253, 255
Finalursache 113, 162 - Geist Gottes (s.a. Heiliger Geist)
Folgenatur 23 117
Formprinzip 249, 257 Geistbegabung 133, 179, 229
Fortpflanzung 273, 419, 423 Geister 288
Fortschritt 16, 196, 276, 278, 279 - Lügen- 362
- technischer 277, 281, 282 - Toten- 288
Franziskus 46 - Unterscheidung der 370
Frau 89, 216, 219, 262, 420 Geistigkeit 249, 308, 310, 318, 337,
Freiheit 102, 111, 112, 140, 148, 150, 338
151, 154, 157, 175-177, 187, 195, Geistleiblichkeit (s.a. Einheit Leib -
231, 278, 313,367 Seele) 245, 252, 257, 261, 264, 339
- der Forschung 197 Geistseele 196, 205, 213, 339
- menschliche 187, 429 Geistsein 209
Frömmigkeit, fromme Meinungen 137, Geistes Wissenschaft 199
309, 331,334 Gemeinde Christi 301, 302
- Volks- 295, 308, 319 Gemeinschaft 77, 259, 260
Fulguratianismus, Fulguration 203 Generatianismus 265, 415
Genetik 195
Gabe Gentechnologie 281
- Integritätsgaben 383 Gericht 91, 282
- Urzustandsgaben 377 Geschichte 51, 65, 69, 71, 72, 81, 82,
- präternaturale Gaben 383, 385, 90, 91, 96, 126, 127, 131, 145, 150,
388 171, 173, 183, 269, 278, 342
- donum immortalitatis 386 - Dogmen- 96, 108, 304
- donum impassibilitatis 387 - Heils- 52, 53-55, 59, 69, 70, 81,
- donum integritatis 386 8 6 , 97, 100, 101, 103, 105, 111, 115,
- donum scientiae 388 117, 118, 137, 149, 160, 183, 189,
218, 223, 225, 287, 295, 306, 322, - Heils- 71, 72, 400, 404
331, 334, 335, 348, 362, 378, 379, - Hexen- 364, 365
395 - Jahwe- 291
- Hoffnungs- 132 - Offenbarungs- 297
- Kultur- 282 - Teufels- 351, 356
- Leidens- 132, 181 - Trinitäts- 133
- Menschheits- 183, 407 - Volks- 288, 297, 337, 349
- Natur- 200, 204, 209, 374 - Zufalls- 179
- Offenbarungs- 96 Glaubensartikel 40, 109, 314
- Religions- 61, 135, 287, 291, 302 Glaubensbekenntnis(se) 91, 114, 125,
- Theologie- 96, 108, 144, 304, 311 314,343
- Ur- 53, 63, 6 6 , 67, 70, 72, 81, 102, Glaubensbewußtsein 96
196, 282,373 Glaubensdenken 96, 122
- Vor- 374, 407 Glaubenserfahrung 189
- Welt- 180 Glaubensformel 315
Geschichtliches (das Geschichtliche) Glaubensgewißheit 188
- Übergeschichtliches 242 Glaubensverständnis 96
Geschlechtlichkeit 60, 104, 219, 240, Gleichgestaltetsein 234
260, 263 gloria Dei 280
- Zwei- 217, 219, 260 Glorie 281
- geschlechtliche Bipolarität 219, Glück 278
260, 261 Gnade (s.a. Gabe) 43, 57, 79, 84, 118,
- geschlechtliche Differenzierung, 150, 164, 185, 221, 242, 258, 281,
Geschlechtsdifferenz 216, 217, 260 344, 373, 384, 402,422
- geschlechtliche Gemeinschaft 218 - heiligmachende 383
- „Gehilfin“ 217 Gnadenhandeln 151
- Mann und Frau 217, 218 Gnadenleben 118
Geschöpf (s.a. Kreatur) 42, 139 Gnadenmangel 418
Geschöpflichkeit Gnadenordnung 402
- M itgeschöpflichkeit 270-272, 274 Gnadenstand 342
Geschwisterlichkeit 269 Gnadenverlust 402
Gesellschaft 251 Gnosis 40, 99, 110, 128, 136, 167, 183,
Gesetz 8 6 , 251 247, 249, 290, 299, 304, 306, 319,
Gespenster 364 368,397
Gestaltungsfaktor 264 - valentinianische 136, 137
Gestirne, Himmelskörper 165, 313, 333 Gnostiker 98, 287, 289, 315
Gewissen 251 Götter 288
Glaube 41, 42, 47, 48, 51, 62, 64, 65, - Götterberg 79
70, 71, 98, 105-108, 144, 146, 153, Gott
171, 186, 187, 201, 283, 344, 353, - Vatergott 223
354, 368 - dreipersönlicher, dreipersonaler
- Aberglaube, „Fernfahrer-A ber­ 110, 115
glauben“ 180, 309, 351, 364 - Entgöttlichung, Entdivinisierung
- Dämonen- 288, 357 139, 219, 274
- Gottes- 71, 112, 117, 368 - Vergöttlichung 104
- Bilder Gottes (Spuren Gottes) 107 Handlungsentwürfe 240
- Verherrlichung Gottes 326, 327 Handlungsziel 156
- Gott-Welt-Verhältnis (s.a. Welt­ Hamartiologie 79
bezug) 8 6 , 180, 258 Heiden, Heidentum 151, 355, 358, 363,
Gottbeziehung, Gottbezug 229, 368 364
Gottebenbild 259 Heil 182, 185, 188, 198
Gottebenbildlichkeit 50, 77, 113, 218, - Unheil 188, 409
225, 227, 229, 251, 267 Heilige 388
- natürliche (imago) 230 Heiliger Geist 105, 120, 125, 295, 300,
- übernatürliche (similitudo) 230 325
Gottentfremdung 79 Heiligkeit 75, 382
Gottesbegriff 21, 22, 102, 105 Heiligung 57, 122,130
Gottesberg 378 Heilsgeschehen 54, 141
Gottesbeweise 17 Heilshandeln 82, 151
Gottesbild 24 Heilslehre 52, 431
Gottesdienst 329 Heilsökonomie 41, 99, 106, 119, 297,
Gottesempörung 353 307, 366, 426
Gotteserkenntnis, Gotterkenntnis 144, Heilspessimismus 422
275, 279 Heilsplan 97, 182, 399
Gottesfreundschaft 79, 383, 385, 425 Heilsrealismus 395, 420
Gottesmutter, Selige Jungfrau 311,318, Heilswahrheit 53, 341
322 Heilsweg 62, 335
Gottesreich, Gottes Reich (Reich Heilswerk, Heilswirken 38, 359
Gottes) 89, 90, 126, 130, 163, 182, 224, Heilungswunder 90, 361
278, 295, 300, 301, 354, 360 Heimarmene 179, 408
Gottessöhne (Söhne Gottes) 304, 324, Heimat 407
338 Hellenismus (s.a. Griechentum) 85-87,
Gottinnigkeit 128, 133 100, 136, 213, 227, 288, 307
Gottmensch 161, 162 Hermeneutik 39
Gottschau 342, 345, 348, 382, 386 Hermesianer 112
Gottunmittelbarkeit 76, 229, 280 Hermetismus 369
Gottverhältnis (des Geschöpfes) 148, Herrlichkeit 112, 126, 225, 325
259,425 Herrschaftsauftrag 268
Grenzerfahrungen 29 Hervorgänge 120, 121, 124, 130, 132
Grenzfragen 28 Hexameron 6 6 , 101
Griechen(tum) (s.a. griech. Theologie) Hexen 351, 364
102, 253, 318, 413 Hierarchie(n) 307, 311, 326
Großhirnrinde 255 Himmel(reich) 324, 326
gubernatio (s.a. Weltregierung) 200 Himmelfahrt 300, 331
Güntherianer 112 Himmelskörper (s.v. Gestirne)
Güte 42, 74, 75, 89, 104, 112, 126, 158, Historizität 378, 391
162-166 Hoffnung 16, 56, 221
Güteformeln (Billigungsformeln) 73, Hofstaat 289, 299
74, 156, 164 Hominisation 264
homo sapiens 264
Humanismus 49, 50
humanitas originans, - originata 427 Jahwist, jahwistisches Werk 61, 70, 71,
Humanum 194 79, 80, 83, 212, 387, 394, 410
Humanisierung 278 Jakobiten 152
Humanwissenschaft(en) 236, 239, 241, Jansenisten 386, 416, 421
371 Jesus Christus 35, 38, 54, 89-92, 98,
Hymnus 82, 85, 322 107, 109, 116, 117, 151, 189, 222,
- Sonnenhymnus 83 224, 233, 236, 300, 307, 316, 322,
- Zeus-Hymnus 335,350, 361
Hyperzyklus 203 - kosmischer Christus 92, 117
Hypostasen 116, 310 - Christusbeziehung 113, 163
- Christusbildlichkeit 231
Ich und Du 258 - Christuseinheit 434
Idealismus 14, 47, 100, 136, 397, 406 - Christusereignis 55, 91, 92, 163,
- Deutscher 108, 239, 254 182, 302, 334, 393, 411, 413
- neuplatonischer 104 - Christusfinalität 55, 95, 424
Idee 23, 103, 104, 107, 129, 162, 294 - Christusförmigkeit 161, 232
- göttliche 160 - Adam-Christus-Parallele 411
Ideenlehre 99, 106 - Geburtsgeschichte 300
Ideenwelt 99 - Kindheitsgeschichte Jesu 300
Ideogramm 293 - Kommen Christi, W iederkunft
Ideologie 48, 167, 277, 279 Christi 163, 302
- Königs- 226, 299 - Leben Jesu 301
Ikonoklasmus 167 - Menschheit Jesu 248
imago Deu, Imago-Dei-Sein (s.a. - Opfer Christi 321
Gottebenbildlichkeit) 231, 233, 257, - Predigt Jesu 8 8
267,275 - Schicksal Christi 234
imago-similitudo 76, 381 Judentum 219, 324, 355, 358, 363
Immanentismus 101, 105, 107, 110, Jungfräulichkeit 262
176 Jungfrauengeburt 189
Immanenz 44, 45, 64, 171
Indiculus 418 Kabbaüsmus 142
Individuationsprinzip 313 Kabod (s.a. doxa) 233
Inkarnation (s.a. Menschwerdung) 134, Kainitenliste 281
316 Kalokagathia 49
Instinktleben 244 Kannibalismus 389
Intelligenz Kappadokier 119
- maschinelle 244 Karolinger 140
Intertestamentarität 358 Katechismus
Irrationales (das Irrationale) 129, 370 - Catechismus Romanus 366
Islam 33 - Katechismus der katholischen
- muslimische Philosophen 313 Kirche 328, 333, 336, 366
iustitia originalis 417 Katharer 110, 317
Kausalität 143, 172, 176
Jahwe Kenose 132
- Tag Jahwes 182 Kernenergie 281
Kerygma 92, 292 - babylonische 61
Kirche 99, 113, 118, 120, 121, 329, 356 - griechische 8 6
- Alte Kirche 245, 370, 397 - memphitische 61
Kirchenschriftsteller 97, 109 - stoische 97
Kirchenväter (s.a. Väter[theologie]) Kosmos 28, 118, 129, 147, 179, 183,
179, 193, 319, 320, 332, 385 196, 272, 293, 311, 316, 326, 329,
Königsherrschaft 8 8 333, 348, 368
Körper (s.v. Leib) - Mikrokosmos 272
Koexistenz 45, 172 Kosmozentrik 112, 162
Koinzidenz 149 Kraftfeld 131
Kommunikation 345 Krankheit, psychische 371
Komplementarität 201 Kreativität 204, 284
Konditionalzusammenhang 204, 209 Kreatur 42, 125, 274
Konfessionen 230 - Kreaturbewußtsein 220
Konformität 234 Kreatürlichkeit 34, 52, 188, 212, 214
Konfundierung 254, 270 Kreuz 57
Konkordanztheorie 201 - Kreuzestod 183
Konkordismus 17, 108, 201, 428 Künstler 158, 162
Konkupiszenz (s.a. Begierde) 386, 414- Kult 63, 84, 268, 329
417, 421 - himmlischer 327
- Konkupiszenzfreiheit 386 Kultur 78, 133, 282
Kontemplation 47 - Kulturarbeit 6 8
Kontingenz 45, 47, 48, 57, 126, 178, - Kulturgeschichte (s.v. Geschichte)
297 - Kulturleben 244
Konzilien 109 - Kulturoptimismus 279
- Florenz 138, 152, 318, 365, 418 - Kulturpessimismus 279
- Kölner Provinzialkonzil 196, 215 Kunst 238, 349
- Konstantinopel 248, 249 Kybernetik 19, 20, 244
- Lateran 112, 138, 215, 248, 250, Kybernetismus 20
317, 343, 365, 399 Kyrios 93, 127
- Lyon 418
- Nikaia 308, 314, 317, 348 Lamechlied 282
- siebtes ökumenisches 317 Leben 116, 126, 131, 202, 214, 222,
- Trient (Tridentinum) 152, 365, 252, 272
383, 387, 399, 418 - geistliches 370
- Vatikanum I 42, 111-112, 138, - Leben Jesu (s.v. Jesus Christus)
144, 145, 152, 156, 184, 196, 215, - Lebensfrage 44
318 - Lebensführung 98
- Vatikanum II 18, 33, 1 12, 138, - Lebensodem 116, 213
163, 184, 198, 216, 251, 283, 318, - Lebensprozeß, göttlicher 124
369,420 - Lebensträger 91
- Vienne 249 Lehramt 151, 184, 195, 197, 319
Kosmogonie 24, 31, 62, 196 - außerordentliches 366
Kosmologie 20, 21, 23, 29, 31, 33, 43, - ordentliches 366
54, 63, 65, 93, 98, 100, 101, 108, Lehrentscheidungen 314
Lehrverkündigung 111, 121, 138, 145,
215, 252, 254, 318, 330, 333, 346, - dialektischer 195
399 Materie 98, 99, 104, 136, 137, 148,
Lehrzeugnisse 245 173, 195, 196, 202, 209, 238, 247,
Leib, Leiblichkeit 198, 216, 237, 246, 253-255, 333, 340, 378
248, 252, 253, 255, 261, 272 - Entmaterialisierung 364
- Leibfeindlichkeit 165, 214 - Ewigkeit der Materie 101
- Leib und Seele 213, 215, 216, 238, - Materiebezug 340
246, 252, 254, 255 - Materie und Form 248
Leid, Leiden 74, 166, 168, 182, 188, - Materie-Geist-Verhältnis 340
221 Mazdaismus, persisch-iranischer 351
- Leidlosigkeit 387 Mechanismus 17, 27
Letzte Dinge 99 - mechanisch-kausal 2 0 2
Lex credendi 84, 322 Mechanisierung 284
Lex orandi 84, 322 Mediationsformen 115
Libido 408 Medizin 371
Liebe 41, 43, 104, 154, 185, 224, 260 Mensch 16, 18-20, 40, 42, 47, 49, 50,
Liturgie 98, 130, 185, 319, 320, 329, 76,78, 84, 8 6 , 89, 91, 1 13, 122, 131,
330,366 140, 151, 159, 168, 185, 194, 202,
-Chrysostomos- 321 211, 227, 278, 362, 372
- himmlische 301, 309, 321 - Übermensch 50
Lobpreis (s.a. Schöpferlob) 64, 83, 84, - Urmensch 227, 389, 393
301 - paradiesischer 386
Logik, analytische 25 - primitiver 388
Logizität 133 - Gilgamensch-Epos 393
Logos 93, 103, 119,123,127,128,161, - „Kompositum Mensch“ 257
173, 315, 316,325 Mensch, Eigenschaften
- Logosbegriff 92 - Gemeinschaftswesen 269
- Logoslehre 160 - Geschlechtswesen 260
- Logosmittlerschaft 123 - Hoheitsträger Gottes 228
Lyrik 297, 298 - homo faber 284
- homo orans 284
Macht, 73, 139, 162 Mensch, Stellung
- Unheils- 397, 412 - Herrschafts-, Herrscherstellung
Mächte 303, 354, 362, 369 225, 228, 267
- apersonale 369 - Mitarbeiter Gottes 276, 429
Majestät (s.a. Herrlichkeit) 83, 233, - Partner Gottes 229, 276
347, 349 - Sonderstellung 214, 215, 266
Mandatar Gottes 76, 267, 268 „Menschenaffen“ 264
Manichäismus 102, 110, 183, 415 Menschenbild 212, 214, 222-224
Marduk 60 Menschenschöpfung 137, 211, 252
Maria 118, 383 Menschwerdung 54, 56, 99, 105, 109,
Martyrium, Märtyrer 187, 388 113, 123, 128-130, 160-162, 201,
Marxismus 277, 407 300, 322, 344
Maschine 245, 284 Metaphysik 14, 15, 21, 22, 25, 29, 47,
Materialismus 14, 20, 27, 111, 112, 50, 52, 102, 103, 105, 106, 108, 120,
140, 147, 166, 192, 195, 252, 255 141, 184, 203, 209, 224, 238, 239,
280, 312, 428 289, 299, 304, 334, 338, 368, 394
- metaphysisches Warum/Woher - Teufels- 356
207 - ugaritische 299
- mythologische 288 Mythos, Mythisches 59, 60, 62, 63, 6 6 ,
Methode 6 8 , 69, 79, 80, 135, 179, 263, 274,
- historisch-kritische 189, 363 281, 291, 292, 343, 351, 374, 376,
Mirakel 266 393
Missale Romanum 366 - Dilemun-Mythos 60
Missionswerk 362 - Schöpfungsmythen 62, 267
M itgeschöpflichkeit 50
Mitmensch 259, 433 N achahm ung 419
M ittelalter 103, 107, 110, 165, 237, Nächstenliebe 190
248, 253, 282, 338 Name 155
- Früh- 104,334 Nationalsozialismus 420
- Hoch- 110, 317 Natur 45, 51, 83, 87, 118, 133, 149,
- Spät- 111, 248, 249 173, 189, 242, 344, 384, 422
Mittelwesen 94, 128 - Sozialnatur 195
M ittler 94 Naturalismus 112, 200
Mittlerfunktion (der Engel) 328 Naturauffassung 47, 272
Mittlergestalten 98 Naturerkenntnis 6 6 , 101
Mitwirkung, Mitwirken Gottes 175-178 Naturforscher 48
Molinisten 177 Naturgesetze 195
Mönche, Mönchsvater 315, 370 Naturgleichnisse 280
Monismus 143, 192, 214, 252, 255, 257 Naturordnung 193, 243, 383
- Geistmonismus 254 Naturreligiosität 280
Monogenismus 427 Naturschönheit 101, 280
Monotheismus 93, 227, 351, 358 Naturverehrung 280
Moral 195 Naturverständnis 12, 238, 280
Morgenländer 413 Naturwissenschaft(en) 17, 27-31, 33,
mors animae (s.v. Tod) 48, 98, 147, 192, 193, 198-200, 207,
Motiv 104, 112, 154, 156 238, 239, 264, 283, 388, 389, 396,
- Kleid- 381 428
- Prometheus- 398 - positivistische 43, 44
Motivation 155, 157, 207 Neomarxismus 15, 167
Mutation 192 Neuhumanismus 239
- Großmutation 216 Neuplatonismus 102-104, 136, 176,
Mysterium (s.a. Geheimnis) 104, 416 237, 247,338
- mysterium iniquitatis 401 Neurose 65
Mystifikation 142 Neuscholastik 52, 120
Mystik 26, 55, 107, 109, 140, 282, 311 Neuwerden 209
- Deutsche 107 Neuzeit 107, 111, 250
- mystische Schau 346 New-Age-Bewegung 296
mystisch-kosmisch 107 Nichtigkeit, Nichtiges 140, 353
mystisch-spirituell (geistlich-mystisch) Nichts 14, 24, 30, 42, 8 6 , 102, 106,
328,330 134, 136, 137, 140, 148, 214, 317
Mythologie 15, 33, 37, 64, 6 6 , 82, 196, Nominalismus 107
Notwendigkeit 153, 195 Pastoral 113
Numinoses (das Numinose) 43, 44, 62 - Pastoralkonstitution 251
Patriarch 298
Obsession (s.v. Besessenheit) Patristik (s.a. Kirchenväter, Väter(theo
Offenbarung 36, 40-43, 52, 62, 6 8 , 71, logie)) 103, 120, 133, 164, 176,
77, 83, 8 8 , 93, 104, 112, 144, 154, 214, 215, 231, 272, 308, 312, 316,
156, 159, 179, 181, 183, 260, 271 325, 333, 344
- Erst- 52 peccatum naturae (s.v. Natursünde)
- Selbst- 42, 43, 104 peccatum originale 392, 415
- Ur- 291 peccatum radicale 392
- des Johannes 301 Pelagianismus, Pelagianer 399, 414,
Offenbarungslehre 100 415, 417
Offenbarungsurkunden 342 - Antipelagianismus 419
Offenbarungsverständnis 115, 118 Pentateuch 298
Offenbarungswahrheit 64, 108, 144 Persönlichkeit 225
- christliche 103 Person(en) 77, 116, 119, 122, 123, 130,
Okkasionalismus 176 132, 234, 237, 251, 257, 278, 335,
Ökologie 39, 45, 269, 270, 279 348, 369
Ontologie 100, 173, 228, 237, 259 - Unperson 356, 369
Opfer 221 - Urperson 410
opus distinctionis 65 - personales Wesen 369
opus ornatus 65 Personalismus 231
Optimismus 164, 165, 353 - dialogischer 258
- Heils- 175 Personalität 151, 257, 258, 261, 264,
- idealistischer 180 318, 337, 340, 355, 356
- metaphysischer 152, 164 - Interpersonalität 261
Ordnung 159, 160, 163, 173, 180, 206 Personbegriff 216, 257, 265
- Unordnung 206 Persongeheimnis 302
- transhistorische 432 Persönlichkeit
- übernatürliche 401, 423 - Korporativ- 410, 412, 422, 427
Organisches (das Organische) 204 Pessimismus 165, 375
Origenismus 110, 247 Pflanzen 272, 273
Orthodoxie 36, 179 Philonismus 101
Osten 317, 320 Philosophie 18, 25-27, 31, 39, 44, 99-
103, 107, 110, 135, 136, 141, 144-
Paläontologie 216, 427, 428 146, 152, 176, 180, 181, 195, 202,
Pantheismus 23, 43, 46, 101, 103, 110- 203, 238, 243, 341, 351
112, 139, 141, 143, 147, 170, 195 - Geist- 239
Papismus 287 - Geschichts- 375
Paradies 35, 56, 59, 79, 269, 273, 276, - Moral- 239
277, 375, 378, 380, 388, 395 - analytische 14
- Paradiesesgeschichte (-erzählung) - griechische 97, 98, 246
377,384 - neupythagoreische 104
Paradox 429 physiko-teleologisch 101
Parsismus 289 Plan 185-187, 190
Parusie 303, 318, 331 Platoniker 98
Platonismus 100, 104, 105, 128, 136, Rabbinismus 358, 411
137, 160, 248,253 Ratifizierung 421
- Mittlerer 98 Rationalismus 112, 157, 180, 195, 287,
- platonisches Denken 381 353
Pleistozän 264 Rationalität 435
Poesie 322, 349, 354 rationes seminales 102, 193
- ugaritische 299 Ratschluß 125, 149, 181, 185
Polarität der Geschlechter (s. Ge­ Raum 148, 177, 346, 347
schlechtlichkeit) 77, 262 Raumlosigkeit 346
Politik 39 Rechtfertigung 373, 384
Polygenismus 427 Reduktionismus 35, 203, 243
Polyphyletismus 427 Reformation 230, 313, 416
Polytheismus 62, 84, 139, 268 Reformatoren 36, 108, 174, 349, 421
Positivismus 13, 14, 25, 27, 29, 133, Relationsbegriff 106
166, 326 Relativismus 49, 242
Postmoderne 274, 296 Relativitätstheorie 30
Potenz 176, 193 Religion 28, 64, 133, 195, 202
praeambula fidei 2 0 2 - Gefühls- 34
Prädestination 177, 186 - Natur- 262, 263
Präexistenz 92-94, 99, 100, 110, 127, Religionsgeschichte (s.v. Geschichte)
160 Religionsphilosophie 126
- Präexistenzlehre 381 Religionswissenschaft 62
Präformismus 203 Religiosität
Priszillianismus 110, 138, 184, 247, - natürliche, naturhafte 62, 64, 179,
315 275
pronoia 179, 182 - mythische 291
Prophetie 118, 182, 289 Renaissance 165, 170, 238, 270, 314
- retrospektive 65, 70 Responsorialität 221, 229, 230, 264
Protestantismus 36 Rituale Romanum 371
- altprotestantisch 156
- Neuprotestantismus 352 S adduzäer 287
Protoevangelium 398 Sakrales (das Sakrale) 262
Protologie 55, 130 Sakralisierung 163
providentia, Providenz 179, 185, 200 Sakramente 99
Prozeßtheismus 141 Satan (s.a. Teufel) 350, 357, 360, 368
prudentia 180 Schaffen, künstlerisches 143
Psalmen 275 Schicksal 153
- Naturpsalmen 129, 280 - Schicksalhaftigkeit 275
Psyche 255 - Schicksalsgemeinschaft 274
Psychoanalyse 64, 408 - Schicksalssterne 184
Psychologie 78, 102, 141, 241, 344 - Schicksalszusammenhang 273,
- Tiefen- 243, 354, 408 293
pulcherrimum carmen 107 Schmalkaldische Artikel 36
Schönheit 85, 165, 280
Quantentheorie 21 Schöpfer 13, 24, 39, 40, 65, 114, 115,
Qumran 351 136
- Schöpferrolle Christi 94, 127 - Frankfurter Schule 166
- erster Beweger 98 - Franziskanerschule 107, 254
Schöpferhandeln, trinitarisches 134 scientia media 177
Schöpferlob (s.a. Lobpreis) 82 Sechstagewerk 104, 145
Schöpfung 12, 13, 218 Seele 110, 198, 216, 249, 251, 253
- Eva-Schöpfung 77 - Ursprung der Seele 249
- Logos- 92 Seelenlehre 255
- Simultan- 99, 102 Segen 273
- erste 276 Sein 106, 140, 143, 145, 173, 178, 207,
- ewige 106, 152 208, 210, 229, 254, 337
- neue 53, 109, 223, 224 - Antwortsein (s.a. Responsorialität)
- weitergehende (s.a. creatio Conti­ 229,230
nua) 169 - Dasein 165, 280
- zweite 139, 276 - „Ichsein“ 258
- Bewahrung der 279 - Mitsein 257, 258, 263, 422
- Güte der 6 8 - Nichtsein 104
- Telos der 95 - Personsein 405
- Schöpfung am Geschaffenen 208 - Selbstsein 258
- Schöpfung in Christus 91, 117, - Sündersein 405
128 - absolutes 141
Schöpfungsakt 45, 172, 201 - dialogisches 2 2 0
Schöpfungsbegriff 21, 22, 144, 207 - Urhebung des Seins 207
Schöpfungsbericht(e) 59, 72, 89, 273, Seinsfrage 312
310 Seinslehre 106, 208, 369
- jahwistischer Bericht 59, 60, 65, Seinsmächte 293, 354
6 6 , 77, 260, 268, 269 Selbsthingabe 42, 131
- priesterschriftlicher Bericht 59, Selbstliebe 158, 159
60, 65, 81, 268, 298 Selbstorganisation 204, 207
Schöpfungserzählungen 61, 63, 64, 212 Selbstsucht 157, 386, 406
Schöpfungsglaube 25, 48 „Selbstüberbietung“ 209, 265
Schöpfungsfrömmigkeit 83 Selbstunterscheidung 123, 124
Schöpfungsmittler 95, 109 Selbstverherrlichung 157, 158
Schöpfungsmythen (s.v. Mythos) Selbstverwirklichung 159, 279
Schöpfungssabbat 75, 275 Selektion 192
Scholastik 52, 103, 105, 120, 142, 173, Sendung 185
184, 248, 312, 333, 338, 344, 364, - Sendungsbewußtsein 361
382 Seraphim 299
- Früh- 104, 237,312 „Seufzen der Kreatur“ 275
- Hoch- 105, 120, 400 Sexualität 262
Schuld 6 8 , 368 Sinn 49, 51, 53, 76
- felix culpa 399, 408, 424 - Sinnfrage 44, 159-161, 277
Schuldhaftigkeit 426 Situiertsein 432
Schulen, Schulrichtungen Skeptiker 49, 170
- alexandrinische 253, 307, 381, Skotismus 314
382 Solidarität 400, 412, 416, 422, 423, 426
- v. Chartres 110 Sophia (s.a. Weisheit) 92, 290
Sorge 280 Synchronie 147
Soteriologie 93, 360 Synkretismus 290, 306
Souveränität 6 6 , 133, 139, 140, 144, Synoden 109
148, 151, 159, 176 - Aachen 316
Spekulation 107, 112, 141, 297, 341, - Braga 315, 343
368 - Karthago 387, 399, 417
- Engel- 289 - Laodizea 315
- Zahlen- 306 - Orange 383, 387, 399
Spiritualität 313, 318, 370 Synopsis, Synoptiker 88-91
Spiritualismus 246, 247, 255 Systematik 127
Spontaneität 188
Sprache 25, 26, 340 Taufe 364, 419, 429
Stammeltern, Stammvater 380, 394, - Kindertaufe 399, 417, 419
400, 410,416 - ungetauft sterbende Kinder 418
Stoa 49, 98, 101, 137, 237, 246, 272, Technik 277, 281, 282-284
338 - Ambivalenz der 284, 285
Stoff (s.v. Materie) - Dynamik der 285
Stoiker 179 - Faszination der 284
Strafe, Bestrafung 6 8 , 364 - Siegeszug der 284
- Erbs träfe 413 Technologie 244
Struktur(en) 227, 231, 292, 354 Teilhabe 101, 106, 159, 163, 233, 234
Subjekt, Subjektivität, Subjektivierung Teleologie 180, 193, 194, 202, 424
195, 205, 302 Teufel (s.a. Satan) 110, 111, 247, 352,
Subordinatianismus 98 356
Subsistenz 257, 339 Theismus 15, 141
Substanzcharakter 154, 257 Theodizee 103, 180, 182, 188, 376
Sünde (s.a. peccatum) 57, 79, 104, 113, Theogonie 24
163, 168, 177, 178, 182, 188, 247, Theologen 129, 170
282, 356, 373, 397 Theologie 18, 27, 31, 44, 50, 53, 87,
- Einzelsünden 433 107, 111, 113, 131, 140, 141, 176,
- Erbsünde, Wesen der Erbsünde 185, 188, 192, 200, 201, 207, 239,
372, 389, 400, 401, 421 252, 257, 264, 275, 294, 297, 335,
- Natursünde 421, 426 352, 396
- Ursünde 372, 392, 417 - Aufklärungs- 404
- Einbruch der 397 - Dekreten- 153, 426
- Tragik der 398 - Erbsünden- (politische) 433
- Überleitung der Adamssünde 415 - Erwählungs- 410
- Wesen der Sünde 398 - Fundamental- 189
- Sünde der Welt 430, 432 - Gefühls- 36
Sündenfall 59, 60, 6 8 , 74, 80, 269, 385 - Geschichts- 90, 103, 183, 310
- Sündenfallgeschichte (s.a. Paradie­ - Gnaden- 382, 415
sesgeschichte) 393 - Moral- 239
Sumerer 60 - Natur- 21
Summa creaturae 129, 161 - Prozeß- 22
Symbol(ik) 106, 107, 109, 217, 275, - Schöpfungs- 51, 81
379, 391 - Schul- 156, 342
- Trinitäts- 130-131 Traduzianismus 249, 250, 265
- Verheißungs- 410 Tragödie 49, 367, 375
- evangelische (s.a. protestantische, Transformismus 192, 193, 196
reformatorische) 36, 38, 40, 230, Transparenz 46, 47
294, 295, 352, 355, 396, 405 Transzendentalismus 105
- griechische 119, 414 Transzendenz 31, 44, 45, 56, 64, 143,
- heilsgeschichtliche 356 171, 207, 220, 245, 292, 296, 297,
- katholische 295, 355, 357, 406 358
- liberale 36 - Transzendenzbezug 220
- mönchische 105 Triade 115, 116
- natürliche 22, 38, 52, 179 Trichotomie, Trichotomismus 249, 290
- östliche 309, 311, 317 Trinität 36, 39, 43, 55, 92, 97, 99-103,
- orthodoxe 321 106, 109, 114, 115, 117, 119-123,
- protestantische 37, 287 132, 160
- reformatorische 108 - Trinitätsanalogien 133
- spekulative (s.v. Spekulation) Trivalisierungsprozeß 44
- systematische 377 Turmbau 80
Theologen
- Kontrovers- 419 Übel 74, 163, 166
Theolgoumenon 138 - Erbübel 414
Theonomie 90, 251 - moralisches 188
Theophanie 104 - physisches 168, 188
Theorien - psychisches 168
- Dekreten- 426 Übernatürliches (das Übernatürliche,
- Deszendenz - (s.v. Abstammungs­ s.a. Ordnung) 371
lehre) Unabhängigkeit 136, 152, 155
- Evolutions- 243, 405, 433 Unauflöslichkeit 89, 218
- Föderal- 426 Unbewußtes (das Unbewußte) 354
- Kausal- 256 Unendlichkeit 104, 127, 141, 146, 147,
- Pakt- 426 177
- Wechselwirkungs- 256 - Unendlichkeitssehnen 57
Theozentrik 108, 299 Union, hypostatische 163
Thnetopsychiten 250 Universalität 173, 178, 392, 409
Thomismus 177, 254, 314 Universum 21, 147, 272
Tiamat 60 Unmittelbarkeit 128, 215, 220
Tier 213, 218, 268, 269, 272, 273 Unseligkeit 345
Tod 56, 91, 93, 188, 223, 300, 386, 387, Unsterblichkeit 49, 249, 250, 255, 338,
411 382, 386, 387
- Ertod 411 Unvergänglichkeit 228
- mors animae 415 Unvollkommenheit 166
Todesfreiheit 387 Urbild 123, 128, 129, 160, 161
Tradition 97, 112, 119, 120, 123, 125, Urgemeinde 116
130, 134, 136, 145, 151, 156, 169, Urgeschehen 54, 64, 6 6 , 67, 392
194, 245, 274, 294, 300, 312, 318, Urknall 29, 30, 147
320, 332, 343, 352, 363, 369, 380, Urpopulation 427
388, 413 Ursache 122
- Erst- 128, 176, 190, 194 - Vollendungsweg 275
- Material- 142 - Vollendungsziel 276
- Ziel- 158 Vollkommenheit 153, 156, 158, 161
- Zweit- 189, 190 Vorsehung 8 6 , 87, 101, 112, 137, 168,
- instrumentale 128 173, 178, 180, 182-184, 188, 190,
- (Mit)verursachung 209 335,336
Ursächlichkeit 107, 142
- Exemplar-, Exemplarursache 113, Wahlfreiheit 149, 152, 188, 344
129 Wahrheit 184, 205
- Zielursächlichkeit 129 - doppelte 250
Ursprung (des Menschen) 263 - Wahrheitsfrage 201
Ursprungsgeschehen 171 Wahrsagerei 351
Urstand(slehre) 380, 391 W echselseitigkeit 256, 258
„Ursuppe“ 203 Weisheit 78, 84-86, 115, 119, 129, 151,
Utopie 16, 56, 167 165, 185
W eisheitsliteratur 46, 85, 8 6 , 115, 182,
Vater 97, 116, 126 213, 253, 409
Väter(theologie) (s.a. Kirchenväter) - Weisheitsbücher 227
100, 325, 363 - Buch der Weisheit 116
- apostolische - 97 Weissagung (s.a. Prophetie) 81
Vätertradition 173 Welt 173
Väterzeit 237, 308, 387 - Körperwelt 333
Vegetariertum 269 - Werdewelt 339
Vererbung 261 - Alte Welt 128
Vergebung 181, 221 - beste aller Welten 149
Vergeltungsgerechtigkeit 221 - drei Welten (-Theorie) 255
Verhaltensforschung 244 Weltanschauung 189
Verheißung 150, 331 Weltarbeit 57, 113, 275, 276, 278
Verherrlichung 156, 159 Weltauffassung, naturwissenschaftliche
Verkündigung 237 291
Vernunft 85, 110, 144, 146, 181, 186, Weltauftrag 165, 251, 270, 276, 429
205, 229 Weltbezug Gottes 43, 122, 346
- gläubige 113 Weltbezug der Engel 271, 333
- historische 71 Weltbezug der Menschen 229
Vernunftwahrheit 144, 341, 404 Weltbild 31, 53, 6 6 , 189, 192, 201, 396
Versöhnung 122 - Kopernikanisches 291
Versuchlichkeit 285, 360 - „Weltbildapparat“ 205
Vertrauen 85, 190 - Weltbildproblematik 200
vestigium Dei (s.a. Gott, Spuren Gottes) Welterhaltung (s.a. Erhaltung) 87, 172
275 Weltethos 55
visio beata (s.v. Gottschau) Weltfrömmigkeit 47
Vision 118, 227 Weltgeheimnis 43, 48
- Visionstheorie 217 Weltgeschichte (s.v. Geschichte)
Vollendung 56, 57, 82, 8 6 , 90, 105, Welthandeln 123, 151, 180, 277
178, 186, 190, 342 Weltidee 146, 160
Weltnähe 113, 183 - elterliche 264, 265
W eltplan(einheit) 151, 429 Ziel 89, 154, 157, 178, 187
Weltprozeß 24, 104, 123, 198 Zivilisation 289, 374
Weltregierung, Weltregiment 173, 178, - technische 270
180, 184 Zölibat 262
Weltreligionen 22 Züchtung (des Menschen) 278
Weltseele 105, 179 Zufall 18, 19, 73, 153, 182, 185, 193,
Weitsicht, tragische 166 202-204
Weltstaat 283 Zukunft 16, 51, 55, 56, 91, 178
W eltzugewandtheit, franziskanische
107 Zweck 74, 112, 157, 158
Werden 143, 177, 194, 207, 208, 210, Zweiter Weltkrieg 181
265 Zwischenwesen 326
- Werdestruktur 405
Werterfassen 244
Wesensfrage 344
Wille 153, 155, 157
- W illensfreiheit 386, 422
Willkür 149, 154
W irklichkeitsauffassung 297
Wissen 105, 107, 146, 153, 179
- Arbeits- 241
- Heils- 241
- Leistungs- 241
- Voraus- 183
- Wesens- 241
- Wissen um Gut und Böse 398
Wissenschaft 106, 107, 238
Wort 115, 117, 119, 130, 135, 138
- Wort Gottes 221
Wortschöpfung 62, 135
- Schöpfung im Wort 117
Wortzauber 60
Wunder 118, 182, 185, 189, 333
Zahl 336
Zauber 288
- Zauberriten 288
- Zauberwesen 351
Zentralisationsprozeß 262, 432
Zeichen 186, 187
Zeit, Zeitlichkeit 102, 144-148, 177,
185, 342, 346
Zeitlosigkeit 147, 346
Zeugung 100, 111, 143, 149, 250, 264,
265, 287, 418

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