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Schöpfungslehre
M M Verlag 1997
C IP -T ite la u fn a h m e der D eu tsch en B ib lio th e k
K a th o lisch e D o g m atik
L e o S c h e ff c z y k - A n t o n Z i e g e n a u s
Bd. III: S c h ö p fu n g als H eils erö ffn u n g
Leo S ch effczy k
M M Verlag, A ach en , 1. A ufla ge A pril 1997
IS B N 3 -9 2 8 2 7 2 -5 1 -9
V orwort 9
Kapitel I:
V orfragen zur S ch öp fu n gsleh re
§ 1: Die Schöpfungswahrheit im modernen Denken 11
I. Eine sprachliche W iederentdeckung? 12
II. D istanzierungen seitens der W issenschaften 13
1) Philosophische Einwände 13
2) Die „A ufhebung“ der Schöpfungswahrheit in der
neomarxistischen Philosophie 15
3) Kritik seitens der Naturw issenschaften 17
4) Das polare Gott-Welt-Verhältnis in der Prozeßtheologie 22
III. A nnährungen des modernen Denkens an die S chöpfungswahrheit 25
1) Philosophische Öffnungen 25
2) Die Entgrenzung in den N aturw issenschaften 27
§ 2: Theologische Bedeutung, Aufgabe und A usform ung der
Schöpfungslehre 32
I. U nbeständigkeiten in der Schöpfungslehre 33
1) B ewegungen innerhalb der katholischen Theologie 33
2) Ambivalenzen innerhalb der evangelischen Theologie 36
II. Die theologische Bedeutung der Schöpfungslehre 40
1) Die Explikation des G ottgeheimnisses 40
2) Die Erschließung des Weltgeheim nisses 43
3) Die Erhellung des G eheimnisses des Menschen 49
III. A ufgabe und A usform ung der Schöpfungstheologie 51
1) Die O rientierung an der H eilsgeschic hte 52
2) Schöpfungstheologie als C hristozentrik 54
3) Die eschatologische A usrichtung der Schöpfung auf die
Vollendung in Christus: die Christusfinalität 55
Kapitel II:
Die göttlich e S ch öp fu n g als A nfang der H eilsgesch ich te
§ 3: Die göttliche Schöpfung als U rgeschichte im Alten Testament 58
I. Das literarische Genus der Schöpfungsberichte 59
1) Mythos und Wahrheit der Schöpfungsberichte 59
2) Der geschichtliche Gru ndzug 65
3) Die geschichtliche Ä tiologie 69
II Die Grundelem ente des priesterschriftlichen
Schöpfungsglaubens 72
1) Schöpfung als göttliche Urhebung 72
2) Die theologische Bedeutung der G üteformeln 73
3) Das Vollendungsziel im „Schöpfungssabbat“ 75
4) Die G ottebenbildlichkeit des M enschen (Gen 1,27f.) 76
5) Die schöpfungsgemäße Geschlechtlichkeit 77
III. Die jahw istische Schöpfungsgeschichte als Darstellung von
Gottesnähe und Gottentfremdung der Schöpfung (Gen 2,4b-3,24) 77
1) D er anthropozentrische Zug der J-Erzählung 78
2) Die Gottesfreundschaft des M enschen 79
3) Die Gottentfremdung des M enschen 79
4: Die Resonanz des S chöpfungsglaubens im Gesamt des
Alten Testamentes 80
1) Das heilsgeschichtliche Konzept des D euterojesaja 81
2) Das Schöpferlob in den poetischen Texten 82
3) Die Verankerung des Schöpfungsglaubens im Kult 84
4) Das Schöpfungs werk in der Weisheitsliteratur 85
5) Erhaltung und Vorsehung 86
5: Die Vollendung der Schöpfungsoffenbarung im N euen Testament 87
I. Kontinuität und D iskontinuität zwischen alt- und neutestam entlichem
Schöpfungsglauben 88
1) Die ethische Fassung des Schöpfungsgedankens
bei den Synoptikern 88
2) Die geschichtstheologische Ausrichtung bei Lukas 90
II. Die „Schöpfung in Christus“ als Spezifikum der neutestam entlichen
Schöpfungs-Verkündigung 91
1) Die Schöpfung „im Wort“ bei Johannes oder die L ogosschöpfung 92
2) Der kosm ische Christus bei Paulus 92
6: Die Entfaltung der Offenbarungswahrheit zum D ogm a der Kirche 95
I. Das biblische Erbe in der frühen Tradition 97
1) Die apostolischen V äter und die frühchristlichen
Kirchenschriftsteller 97
2) Die Versuche zur A ssimilierung des Hellenismus in der
V ätertheologie 100
II. Die rational-doktrinäre S chöpfungstheologie des Mittelalters 103
1) Das Vordringen der neuplatonischen M etaphysik 103
2) Scholastische S ystembildungen 105
3) Entw icklungslinien in der Neuzeit 107
III. Marksteine der dogm engeschichtlichen Entw icklung 108
1) Frühe Bekenntnisform eln 108
2) Das Bekenntnis zur Schöpfung in den ersten Symbolen 109
3) Mittelalterliche D ogmatisierungen 110
4) Die neuzeitliche Lehrverkündigung 111
5) Neue A kzentsetzungen des Zweiten Vatikanums 112
K apitel III:
D ie g ö ttlich e Sch öp fu n g im d ogm atisch en A spekt
§ 7: Die Trinität als Grund der Schöpfung 114
I. Die positive Bestim m ung des trinitarischen Schöpfungsgrundes 115
1) Der Ansatz in der Schrift 115
2) Das Zeugnis der Tradition 119
3) Die Lehre der Kirche 120
II. Die theologische B egründung der trinitarischen Vermittlung der
Schöpfung 121
1) Bedeutung und Probleme der theologischen Auslegung 121
2) Die innertrinitarische Ordnung als A usgangspunkt 124
III. Die theologische Explikation der personalen B esonderungen im
S chöpferhandeln 125
1) Die Schöpfung als „Werk des Vaters“ 125
2) Die Schöpferrolle Christi 127
3) Der Geist im Werk der Schöpfung 130
4) Trinitarische Abbildlichkeit? 132
§ 8: Die Souveränität des göttlichen Schöpferhandelns in der
„creatio ex nihilo“ 133
I. Zur Begriffsgeschichte 135
1) Die Nähe zum biblischen Denken 135
2) Die Bekräftigung in der frühen Tradition 136
3
3) Die Übernahm e in die kirchliche Lehrverkündigung 138
II. Der theologische Gehalt der Form el 138
1) Die theologische und religiös-existentielle Bedeutung 138
2) Die Einw ände gegen die „S chöpfung aus dem N ichts“ 140
3) Die Verifizierung der Form el und die verbleibende Schwierigkeit 142
III. Die Souveränität des Schöpfers über die Zeit 144
1) Die Glaubensaussage über den Anfang mit der Zeit 144
2) Die philosophische Frage nach der Möglichkeit einer anfanglosen
Schöpfung 146
§ 9: Die Freiheit des Schöpfers und der göttliche Sinn der Schöpfung 148
I. Souveränität und Freiheit Gottes 148
1) Die heilsgeschichtliche B egründung 149
2) Die theologische Verifizierung 152
II. Motiv und Ziel der Schöpfung 154
1) Das „W arum“ und „W ozu“ der göttlichen Schöpfung 155
2) Das Problem des selbstbezogenen Handelns Gottes 156
III. Die K onkretion des Weltzieles in Christus 159
1) Christus als Urbild der Schöpfung 160
2) Christus als primäres Ziel der Schöpfung 162
IV. Die Güte der göttlichen Schöpfung 163
1) Der biblisch-christliche O ptim ismus 164
2) Christlicher Glaube und tragische Weitsicht 166
§ 10: Gottes Weg mit der Schöpfung: Erhaltung und Vorsehung 168
I. Die w eitergehende Schöpfung 169
1) N otw endigkeit und Bedeutung der Differenzierung 169
2) Das Zeugnis der G laubensquellen 172
3) D er N iederschlag in der Lehre der Kirche 174
II. Das Zusam m enw irken von Schöpfer und G eschöpf 175
1) H erkunft des „concursus-divinus“-Begriffes 175
2) T heologische A pplikation 176
III. Die göttliche Vorsehung als Zielführung der G eschöpfe 178
1) H erkunft und geschichtliche Vieldeutigkeit des Begriffes 178
2) Die offenbarungsgem äße Vereindeutigung 181
3) Erkennbarkeit und Geheim nis der göttlichen Vorsehung 185
§ 1 1 : Christlicher Schöpfungsglaube und naturwissenschaftlicher
Evolutionsgedanke 191
I. Zur Geschichte des theologisch-naturwissenschaftlichen Disputs 192
1) Distanz und A nnäherung der Theologie 192
2) Die A ntw ort des kirchlichen Lehramtes 195
II. Die theologische Bestim m ung des Verhältnisses zwischen Schöpfung
und Evolution 200
1) Die A ufgabe der Theologie 200
2) Der Zusam m enhang von Schöpfung und Evolution 206
Kapitel IV:
D e r M e n s c h in d e r S c h ö p fu n g G o tte s
§ 12: Der M ensch als G eschöpf in U nm ittelbarkeit zu Gott 211
I. G rundaussagen des Alten Testamentes über den Menschen 212
1) G eschöpflichkeit als W esensmerkm al 212
2) Die Sonderstellung des M enschen in der Schöpfung 214
3) Die Erschaffung der Frau und die schöpfungsgemäße
geschlechtliche Differenzierung 216
4) Der M ensch als gottbezogenes Wesen 219
II. Der Mensch im Licht des N euen Testamentes 222
1) Das Erbe des Alten Testamentes 222
2) Die neuen Züge 223
III. Die G ottebenbildlichkeit des Menschen 225
1) Der alttestamentliche Befund und die Vielgestaltigkeit seiner
Interpretation 225
2) Die theologisch-systematische Bestim m ung der
G ottebenbildlichkeit 228
IV. Die Vollendung des Ebenbildseins in der Christusbildlichkeit 231
1) Der eingeborene Sohn als vollkomm ene imago 232
2) Der M ensch als Bild oder Abbild Christi 233
§ 13: Grundlagen christlicher A nthropologie 234
I. Theologie und Hum anw issenschaften 236
1) Zur G eschichte der A nthropologie 236
2) Der Aufgang der Human Wissenschaften als Auftrag an die
Theologie 239
3) Kritische Offenheit 242
II. Das Menschenverständnis in den L ehrzeugnissen der Kirche 245
1) Die antidualistische Tendenz der altkirchlichen Lehrverkündigung 246
2) Die Einheit des M enschen als A nliegen der Kirchenlehre des
Mittelalters 248
3) Distanz und Öffnung zum modernen Denken 250
III. Der W esensbestand des M enschen 252
1) Die Geistleiblichkeit des Menschen 252
2) Die Geistleiblichkeit als Person 257
3) Die geschlechtliche Bipolarität als Ausprägung des einen
menschlichen Wesens 260
4) Der Ursprung des M enschen 263
§ 14: Die Schöpfung als Auftrag des M enschen 266
I. Der M ensch als Gottes M andatar in der Beherrschung der Welt 267
1) Überhobenheit in Verantwortung 267
2) Das Verhältnis zu den Tieren 269
3) Zur Deutung des dominium terrae in der Geschichte 270
4) Der Sinn der M itgeschöpflichkeit 271
II. Der Schöpfungsauftrag als Weltarbeit 275
1) Der Sinn der Weltarbeit 276
2) Die ökologische Aufgabe 279
3) Das Problem der Technik 281
Kapitel V:
Die E ngel als dien en d e G e is te r in Schöpfung und H eilsgesch ieh te
§ 15: Die Existenz der Engel in den O ffenbarungszeugnissen auf dem
H intergrund des säkularisierten Weltbewußtseins 286
I. Historische und gegenwärtige Kritik 287
1) Der religionsgeschichtliche Einw and 287
2) Die Einw ände seitens der rational-naturwissenschaftlichen
Weltauffassung 291
3) A nknüpfungspunkte im modernen D enken 296
II. Biblische Grundlagen 298
1) Die E ntw icklung im Alten Testament 298
2) Die Engel als Wirkmächte des Gottesreiches im Neuen Testament 300
§ 16: Die Entfaltung der Engellehre in der Theologie- und
D ogm engeschichte 303
I. Die Entw icklung der Engellehre 304
1) Frühe theologische Versuche 304
2) Die A usweitung und Klärung des E ngelglaubens in der Väterzeit 308
3) Die Dom inanz der Seinsfrage und die Systematisierung in der
Scholastik 312
II. Die dogmatische Entw icklung 314
1) Die L ehrzeugnisse der Kirche 314
2) Das Zeugnis der Liturgie 319
§ 17: Die Engel im Verständnis des Glaubens 322
I. Dienst und Sendung der Engel 323
1) Die Z ugehörigkeit zur Welt Gottes 324
2) Der him m lische Kult der Engel 327
3) Der Kult der Engel und die Liturgie der Kirche 329
4) Der D ienst der Engel an der M enschenw elt 331
II. Das Sein der Engel 337
1) Die G eistigkeit und Personalität der Engel 337
2) Das spekulative Denken und seine Grenzen 341
3) Die Engelverehrung 347
§ 18: Realität und Grenzen der bösen Engelm ächte 349
I. Infragestellungen und Entg egnungen 351
1) Einsprüche gegen den Teufelsglauben 351
2) Einsprüche und A nnäherungen evangelischer Theologie 352
3) Schwierigkeiten innerhalb der katholischen Theologie 355
II. Die m aßgeblichen Zeugnisse 357
1) Spurenhafte Anfänge im Alten Testament 357
2) Die Däm onen im H eilswirken Jesu 359
3) Die vielstim mige Tradition 363
4) G renzziehungen der kirchlichen Lehrverkündigung 365
III. Der W idersacher in der H eilsökonom ie 366
1) Der Sinn der Scheidung der Engel 366
2) Mächte oder Personen? 369
3) Das Phänom en der Besessenheit 370
Kapitel VI:
U rsünde und „ E rb sü n d e“
§ 19: Der begnadete Anfang des M enschen 372
I. Der A usgang von der biblischen U rgeschichte 373
1) Bedenken der Frage nach dem Anfang 373
2) Die exegetische Problem atik bezüglich der jahw istischen
G eschichte vom Paradies 375
3) Die B estimm ung des Geschichtscharakters der
P aradiesesgeschichte 377
II. Der theologische Sinn der U rstandslehre 380
1) Wege und Umw ege der Tradition 380
2) Die Lehrbestim m ung der Kirche 383
3) Theologische U rstandslehre und naturwissenschaftliche
E ntw icklungslehre 388
§ 20: Der Sündenfall und seine universale Folge: Ursünde und „E rbsünde“ 389
I. Die theologische Bedeutung des Sündenfalls 391
1) Die exegetische Problematik 391
2) Der heilstheologische Sinn 396
3) Die Lehre der Kirche 399
II. Das Geheim nis der „E rbsünde“ 400
1) Zum Vorverständnis 401
2) W iderstände und Annäherungen im modernen Denken 404
3) Die Grundlagen in Schrift und Tradition 408
4) Die K onzentrierung im D ogm a der Kirche 417
5) Das Wesensgeheim nis der „E rbsünde“ 421
6) Der Heilssinn der Sünde 428
III. Versuche zur Neuinterpretation des Dogmas 430
1) Extrem e Entw ürfe 431
2) Diskutierte N euinterpretationen 432
R egister
A bkürzungen 437
Personenregister 439
Sachregister 449
Vorwort
Dem zw eiten Band der „K atholischen D ogm atik“ , der die Lehre
vom „Gott der O ffenbarung“ behandelt, folgt hier die Abhandlung
über die erste O ffenbarung G ottes, die sich im Werk der Schöpfung
ereignet (Bd. 3). D er Titel „Schöpfung als H eilseröffnung“ läßt be
reits etwas von der Anlage und dem C harakter dieser Schöpfungs
lehre erkennen. Es geht in ihr nicht um eine religiös getönte K os
m ologie oder W eltentstehungslehre (obgleich Fragen des N aturw is
sens auch berücksichtigt sind), sondern um die einm alige und stets
w eiter gew ährte G rundlage des H eils und seiner G eschichte. Wer
diese G rundlage geringschätzt oder unbeachtet läßt, verfehlt das
Fundam ent des H eils und löst den Z usam m enhang der H eils
geschichte auf, der allein vom Schöpfergott gew ährleistet wird.
Dem Gedanken von dem in der Schöpfung eröffneten Heilsw eg
entspricht die deutliche Rückbindung der creatio an das trinitarische
U rgeschehen, aus dem allein das D asein und L eben aller
Schöpfungsw erke bis hin zum M enschen und zu den Engeln für den
Glauben zu erkennen ist. Ihm entspricht aber auch die A usrichtung
des beginnenden H eilsw eges auf das Ziel im vollkom m enen H eils
bringer Jesus Christus. D eshalb bildet die biblische W ahrheit von der
„Schöpfung in C hristus“ ein Leitm otiv dieser D arstellung, welches
das Ganze durchstim m t und die Exem plarität des „Erstgeborenen der
ganzen Schöpfung“ (Kol 1,15) für die W elt wie besonders für den
M enschen und seinen W eltauftrag hervortreten läßt. H ier m acht sich
die A rbeit auch das ökum enische A nliegen zu eigen.
Diese A usrichtung bedingt die um fangreiche H eranziehung der
H eiligen Schrift in allen Teilen der A bhandlung, wobei das breite
Schriftargum ent, das den G rund des Dogm as der Kirche abgibt, k ri
tisch verw andt wird, d.h. nicht nur unter B erücksichtigung der gesi
cherten Ergebnisse der historisch-kritischen M ethode, sondern auch
unter Ü berw indung ihrer E ngführungen durch das Program m der
E ntm ythologisierung und den theologischen E xistentialism us, der
die H eilstatsachen als solche elim inieren m öchte.
E ine h eilsg e sc h ich tlic h e D ogm atik m uß dem gegenüber (in
Entsprechung zum D ogm a der K irche) die Schöpfung und ihren
Fortgang als göttliches Tun und W irken verstehen, dessen Ereignis-
und eigentüm licher G eschichtscharakter an bestim m ten Fixpunkten
besonders deutlich hervortritt: in der Schöpfung aus dem N ichts, in
der uranfänglichen Begnadung („Paradies“), im Einbruch der Sünde
in die Schöpfung („U rsünde“ und „Erbsünde“). So erst wird dem
h eilsg esch ich tlich en A nspruch der Schöpfungs W ahrheit G enüge
geleistet.
L eo Scheffczyk
K apitel I:
Vorfragen zur Schöpfungslehre
§ 1:
Die Schöpfungswahrheit im modernen Denken
Literatur: K. Ja spers, P h ilo so p h ie und Welt, M ü n c h e n 1952; R. G uardini,
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Stud ium und Praxis d er T h e o lo g ie, F reib urg 1995.
Eine Theologie, die auf die geschichtliche Verm ittlung der G lau
bensw ahrheit B edacht nim m t, wird auch das Verständnis der Schöp
fungsw ahrheit im m odernen D enken aufzudecken suchen, das als
A nknüpfungspunkt für die G eltendm achung des theologischen
A nspruchs, für seinen zeitgem äßen A usdruck, aber auch für die
Präzisierung des eigenen Standpunkts von B edeutung ist. Dies
erscheint umso angem essener, als die Schöpfung auch eine n atürli
che W ahrheit ist und der Schöpfergott „mit dem natürlichen Licht der
m enschlichen Vernunft aus den geschaffenen D ingen gewiß erkannt
werden kann“ (DH 3004; 2. Vatikanum: Dei Verbum, 3). Dem e n t
spricht die Tatsache, daß der Schöpfungsgedanke in gew issen
Brechungen im Licht des m odernen Denkens auftritt.
1 J . M o l t m a n n , G o tt in der S c h ö p f u n g , 193.
2 So R. G u a r d in i, Das E n d e der N e u z e it, 36f.
3 A. G an ocz y , D er sc h ö p fe r i s c h e M e n s c h un d die S c h ö p f u n g , 98f.
Im ganzen fehlt der m odernen Vorstellung von der Schöpfung als
der alles um fassenden N atur das W issen um einen Schöpfergott wie
auch das B ew ußtsein von der Schöpfung als einer ursprünglichen Tat
und einem Ereignis, das auf die Initiative eines über aller N atur ste
henden G ottes zurückgeht. A uf dem H intergrund dieses an der gött
lichen Schöpfung desinteressierten Denkens wird die kritische Frage
eines N aturw issenschaftlers verständlich: „Wenn es [das Universum ]
w irklich keine G renze und keinen Rand hat, dann hätte es auch
w eder einen Anfang noch ein Ende: Es w ürde einfach sein. Wo wäre
dann noch Raum für einen Schöpfer?“4.
Dem steht das christliche Schöpfungsdenken von vornherein ent
gegen. Ihm geht es zutiefst gar nicht um die Feststellung einer in sich
stehenden Schöpfung, sondern um das Bekenntnis zum Schöpfer und
(dam it zusam m enhängend) zu seinem Werk. So steht im christlichen
Schöpfungsglauben nicht eine Sache (und sei sie noch so faszinie
rend) im Vordergrund, sondern eine Person und eine Tat. Diese
G rundeinstellung zeichnet sich schon in der Tradition an der Tat
sache ab, daß der betreffende Traktat seit Petrus Lom bardus (+ 1160)
m it dem Titel: „De creatore“ , „über den Schöpfer“ , ausgestattet ist
und nicht einfach die Schöpfung zum G egenstand hat oder die Natur,
über welche die Philosophen des A ltertum s schrieben.
Das m angelnde Verständnis für die christliche Schöpfungsw ahr-
heit läßt sich aber im Blick auf die W issenschaften genauer belegen
und ausarbeiten.
22 E bd a., 219.
23 H. E. Halt, K y b e r n e t i k un d M e n s c h e n b i l d , Z ü ri c h 1972, 7.
D am it verliert der U nterschied zw ischen M ensch und M aschine für
die K ybernetik an Bedeutung. Es gibt K ybernetiker wie M. A.
W right, die solchen k ü nstlichen System en sogar S pontaneität,
K reativität und Selbsterneuerung zuerkennen. Die Verteidiger einer
solchen A ngleichung des M enschen an die M aschine können heute
schon darauf hinw eisen, daß es bereits von C om putern kom ponierte
M usikstücke gibt, die m it den W erken Palestrinas konkurrieren kön
nen24. Auch wenn man nicht im m er gleich so weit geht, die M aschine
mit dem M enschen völlig gleichzusetzen, so weiß man doch kaum
noch U nterschiede anzugeben. M ancherorts hält man tatsächlich die
E ntw icklung denkender M aschinen für den ersten S chritt zur
E rschaffung des M enschen durch den M enschen. So führt die
K ybernetik zum K ybernetism us, d.h. zu der W eltanschauung, in der
der M ensch sich und seine W elt als total m achbar, technisierbar und
gleichsam neu erschaffbar versteht. Im H intergrund steht eine
A uffassung vom M enschen, die davon überzeugt ist, daß der M ensch
nicht eine „im ago D ei“ ist, sondern eine „imago m achinae“ , ein nach
dem Bild der M aschine konstruiertes W esen, das im m er höher kon
struiert werden kann.
Was das für die W eltauffassung und für das Verständnis der
Schöpfung bedeutet, hat G. G ünther so form uliert: „W ir begegnen in
der K ybernetik einem neuen W eltgefühl, in dem die Seele ihre H ei
m at nicht in einem Jenseits sucht, sondern in der Welt, die durch den
Prozeß der R eflexion ihrer Frem dheit entkleidet und zum A bbild des
M enschen um geschm iedet w erden soll. In der m it Denken und B e
w ußtsein begabten M aschine gestaltet der M ensch eine A nalogie des
eigenen Ich“25. Es begegnet hier ein subtiler kybernetischer M ateria
lism us, der pseudoreligiöse Züge annim mt. Der M ensch tritt hier an
die Stelle des Schöpfers, der die Welt und seinesgleichen schafft. Ein
theologischer Schöpfungsgedanke hat hier keinen ersichtlichen Platz
mehr.
Eine w ichtige Stellung in der Frage nach dem Entstehen des
Kosm os darf gegenw ärtig der Kosm ologie eingeräum t w erden, die
24 E bd a., 138.
25 G. G ü n th er, D as B e w u ß tse in der M a s c h i n e , B a d e n -B a d e n 1963, 87.
sich vor allem im angelsächsischen Raum ungeniert theologischen
Fragestellungen nähert, welche stellenw eise zur E ntw icklung einer
neuen Art von „N aturtheologie“ führen. In ihr werden theologische
K onsequenzen aus den Ergebnissen der K osm ologie gezogen auf
dem H intergrund der Ü berzeugung, daß dieser naturw issenschaftli
chen D isziplin die höchste Z uständigkeit für die Deutung „des G an
zen“ zukomm e. A ber die genannten Folgerungen sprechen in vielen
Fällen nicht für einen christlichen G ottes- oder Schöpfungsbegriff.
So k o m m t St. H aw k in g in seinem p o p u lä re n B uch „Eine kurze G eschic hte
der Z e it“ zu ein er logisch g e sc h lo sse n e n B e s ch re ib u n g des U n ive rsu m s au f der
G ru n d lag e einer T heo rie, w elche, unter A b leh u n g des S ta n d a rd m o d e lls vom
„ U r k n a l l “ , den Z u s a m m e n s c h l u ß von a l l g e m e i n e r R e l a t i v i t ä t s t h e o r i e und
Q u a n te n m e c h a n ik a n s tre b t26. H aw k in g e n tw ic k e lt eine „ Q u a n te n th e o rie der
S c h w e rk ra ft“ , nach w elc h e r das U n iv ers u m als v ie r d im e n sio n a le r K u g elrau m zu
denk en sei (m it der Z eit als vierter D im en s io n , so daß auch der zeitlich e B eginn
in dieses rä u m lich e G anze, das d en n o ch ohne A nfan g wäre, ein z u b e z ie h e n wäre).
D ieses a llu m fassen d e G anze w ü rd e durch Q u a n te n p ro z e s se zur E x p a n sio n g e la n
gen, die zur B ild un g von G alax ie n , S o nn en und P laneten fü hrten. Wenn diese
U rsp ru n g s b e d in g u n g e n gelten, sei die E n tsteh u n g des U niv ersum s erklärt. D ann
hätte zu n ä ch st ein seitens der R elig io n p o stu lie rte r G o tt k e in erlei F reih eit b e z ü g
lich d ies er n o tw e n d ig e n U rs p ru n g s b e d in g u n g e n . D araus aber ergibt sich die w e i
tere F olg erun g, daß ein G o tt zur E rk läru n g des K osm os ü b erh aup t nicht n o tw e n
dig sei. „Das U n iv ers u m h ätte w e der A n fan g noch E nde, es w äre einfach. Wo
wäre dann R aum für ein en G o tt? “ 27. F re ilich ist d ieser T heo rie von seiten der
W is sen sch aft selbst eine d eu tlich e In k o n s iste n z vo rge w o rfen w orden. A be r u n a b
h äng ig von der F rag e der S tim m ig k eit in te re ss ie rt die T h eolo gie als solche die
Tatsache, daß h ier seitens der K o sm o lo g ie der A n sp ru c h e rh ob en wird, die
W irk lic h k e it im g anzen zu erk lären, was n ur durch V erab so lu tieru ng einer
E in zel W issenschaft m ö g lich ist, die h ier o ffen sich tlich eine G re n z ü b e rsc h re itu n g
vo rnim m t.
Das bringt das System in die Nähe eines subtilen Pantheism us. Es
scheint, daß das eigentlich G öttliche w eder in G ott noch in der Welt
gelegen ist, sondern im Selbsterschaffungsprozeß allein, der Gott
zum W erden hindrängt und die w erdende W elt zum begrifflichen,
ideellen göttlichen Sein. So gesehen, sind G ott und W elt keine ver
schiedenen W esenheiten, sondern Organe und Funktionen ein und
derselben um greifenden Dynam ik.
Die konkretere Fassung dieses kosm ologisch-m etaphysischen
G ottesbegriffes läßt sich an einem Vergleich m it dem christlichen
Schöpfergott gewinnen, dessen Bild hier tatsächlich zunächst in die
Nähe rückt. So kann W hitehead gelegentlich Gott auch die Schöp
fertätigkeit zubilligen und feststellen, daß G ott der „Schöpfer jeder
zeitlichen aktuellen E ntität“ ist. A ber das ist sachlich nicht dasselbe
wie eine form elle göttliche Schöpfertätigkeit, die etwas „aus dem
N ichts“ erschafft. Beim A usgang von einer Erfahrung der K reativität
des kosm ischen W erdens kann die Vorstellung eines N ichts nicht auf-
kom m en. D am it rü ck t G ott allen falls in die S tellung eines
D em iurgen, der dem Reich des W erdens nur die Bestim m ung, die
O rdnung und die Struktur verleiht. Er kann deshalb nicht im Sinne
des christlichen G laubens als Schöpfer verstanden werden. Wenn
W hitehead die T ätigkeit G ottes im W eltprozeß konkreter faßt, dann
spricht er von ihm als dem D ichter oder Poeten der Welt (wom it aber
über sein P erso n sein nich t schon en tsch ied en ist), der die
M öglichkeiten zur V erwirklichung der Dinge visionär konzipiert,
welche danach durch die H ineinnahm e in seine N atur W irklichkeit
em pfangen. „Er schafft die W elt nicht, er rettet sie; oder genauer: Er
ist der Poet der Welt, leitet sie m it zärtlicher G eduld durch seine
E insicht in das W ahre, Schöne, G ute“31.
Die K onkretion des G ottesbildes W hiteheads geschieht besonders
durch H ervorhebung jen er Züge, die eine Teilnahm e Gottes an der
geschöpflichen Welt, sein M itfühlen und M itleiden bew eisen sollen.
Sie werden nicht aus Gottes A llm acht hergeleitet, sondern aus seiner
Sym pathie, seinem M itleid, seiner Geduld und seiner Z ärtlichkeit
gegenüber den zeitlichen Dingen. A uf diese Weise m eint W hitehead
der Liebe G ottes erst volle W irklichkeit und K onkretion zu verschaf
fen, w ährend sie im christlichen Verständnis angeblich apathisch,
gefühllos und leer bleibe. Die m etaphysisch-kosm ologische Fassung
des G ottesbegriffes führt am Ende auch zu einer Preisgabe der
Personalität Gottes. Schließlich ist auch nicht zu verkennen, daß die
sem Entw urf, so sehr er sich auch auf die W issenschaft und die em pi
rische E rfahrung zu stützen verm eint, m ythologische W urzeln
zugrunde liegen. Die Vereinigung von K osm ogonie und Theogonie
ist altes m ythologisches E rbgut32.
31 E b d a., 618.
32 Vgl. L. S che f fc z y k , E in f ü h r u n g in die S c h ö p f u n g s l e h r e , 4 2-4 6 .
I I I . A n n ä h e r u n g e n des m o d e r n e n D e n k e n s a n die
S ch ö p fu n g sw ah rh eit
Die dargestellten A ntithesen zum Schöpfungsglauben erlauben
nicht den Schluß auf einen grundsätzlichen und durchgängigen W i
derspruch zw ischen m odernem w issenschaftlichem D enken und
christlichem Glauben. Im übrigen haftet m anchem dieser Entw ürfe
das M erkm al ideologischer Verfremdung der strengen naturw issen
schaftlichen Ergebnisse an. D agegen können die auf ihre Grenzen
bedachten W issenschaftler gerade in ihrer B escheidung dem w eiter
führenden theologischen D enken Raum gewähren, zum al dieses die
w issenschaftlichen D aten grundsätzlich nicht leugnet, sondern sie
nur auf eine neue Ebene und in ein neues Bezugssystem hebt. Das
gilt von den zuerst genannten philosophischen Gedanken m it ihrem
Hang zur positivistischen Verschließung vor dem A usblick auf jede
Transzendenz.
1) Philosophische Ö ffnungen
An sich könnte die A useinandersetzung m it dem Positivism us
und dessen G rundbehauptung von der N ichtexistenz eines M etaem
pirischen oder M etaphysischen sich m it dem A ufweis des in diesem
G rundsatz angelegten W iderspruches begnügen, der das ganze
System w iderlegt. Die genannte G rundbehauptung kann näm lich
nicht m it den M itteln der Em pirie verifiziert werden; sie stellt eine
m etaphysische A ussage im M odus der Verneinung dar und dokum en
tiert, daß der Positivism us um m etaphysische Aussagen nicht herum
kom mt.
M an kann diesen Sachverhalt aber auch im einzelnen aufdecken,
u.a. an dem G egensatz zw ischen dem Positivism us B. Rüssels und
der gew andelten E in stellu n g seines S chülers L. W ittgenstein
(+ 1951). Den positivistischen G rundansatz auf das Problem der
Sprache übertragend, kam er zur E ntw icklung einer analytischen
L ogik, in der das V erhältnis von S prache und W elt durch
E lem entarsätze getroffen und exakt zum A usdruck gebracht werden
sollte, so daß die G renzen der Sprache zugleich die Grenzen der Welt
bildeten. A ber W ittgenstein überw and schließlich diesen positivisti
schen A bsolutism us einer geschlossenen Sprachw elt. Schon im
„Tractatus logieo-philosophicus“33 begrenzt er die Einstellung zur
Welt verm ittels der Sprache auf das „Sagbare“ und hebt davon das
„M ystische“ ab, das nicht sagbar ist, aber doch existiert.
W ittgenstein wird zu dieser U nterscheidung nicht zuletzt durch
die m enschliche Erfahrung der Grenzen der W issenschaft geführt
und durch die Erkenntnis, daß das Hum anum nicht m it dem Um fang
der W issenschaft identifiziert oder auf diesen reduziert werden kann.
Dies tritt in dem B ekenntnis zutage: „W ir fühlen, daß selbst, wenn
alle m öglichen w issenschaftlichen Fragen beantw ortet sind, unser
Problem noch gar nicht berührt ist ... Es gibt allerdings U naus
sprechliches. Dies zeigt sich, es ist das M ystische“34. Zum Bereich
dieses M ystischen gehört nach W ittgenstein die Existenz der Welt.
„Nicht wie die Welt ist, ist das M ystische, sondern daß sie ist“ .
So öffnet sich der Weg zu ein em tieferen Sinn der Welt und zum G lau ben .
D ieser ist alle rding s m it g ew issen E in sc h rä n k u n g e n verb un den , so m it der
B eh au p tu n g , daß G ott sich in d ieser W elt nich t o ffen bare und daß d esh a lb „der
Sinn der Welt h inte r dieser Welt lie g e n “ 35 m üsse und n ic h t in ihr zu find en sei.
D esh alb sind n ach W ittge nstein d er Sinn des L eben s und das M y stisc h e , „das wir
G ott n en n en k ö n n e n “ , kognitiv n ich t zu erfassen und auch sp ra chlic h nich t f e s t
zu m ach en. D iese A u ffassu ng rich tet sich gegen je d e als G la u b e n se rk e n n tn is und
G la u b e n sw is se n a u sg eg eb en e T h e o lo g ie und op tiert allein für das E rlebe n des
R e lig iö sen in der Praxis. F reilic h ist diese au ssc h lie ß lich e A n e rk en n u n g der r e l i
g iösen Praxis u nd der leb en s m ä ß ig e n E rfahru ng unter A b le h n u n g j e d e r in h a l tl i
chen W ahrheit nich t k o nseq uen t. A llein schon der Satz: „Es ist das M y s tis c h e “
ist als E x iste n tia lu rte il eine in h a ltlic h e A u ssag e, die eine T h eo lo g ie im K ern d a r
stellt.
37 E b d a., 145.
38 Vgl. eb d a., 145.
ausschlossen, nicht m ehr ausschließliche Geltung beanspruchen. Vor
allem im Bereich der G renzfragen, die freilich nicht bei allen N atur
w issenschaftlern auf Interesse stoßen, kom m en A nnäherungen vor,
die den Blick für ein w iderspruchsfreies Begegnen von Natur- und
H eilsw issen freigeben.
An der G ren ze, an der sich für den N a tu rw is se n sc h a ftle r die F rag e nach d em
letzten W oher der D ing e stellt, die so fo rt auch die F rage nach dem W ozu n ach
sich zieht, e n ts teh en Ö ffn ung en, die a u f ein die N a tu rw is se n sc h a fte n t r a n s z e n
dieren des A n d ere s h inw eisen . M an k ö nn te zum E rw eis der B e d e u tu n g dieses
A nsatze s z u n ä c h st a u f S te llu n g n a h m e n b e d e u te n d e r N a tu rw is se n sc h a ftle r hin-
w eisen, die den G ottes- und S c h ö p fu n g s g e d a n k e n am E nd e ihrer E rk e n n tn isse
n ich t au ssch ließe n. So sagte A. E in ste in (+ 1955) in ein em nach Art eines
B ek en n tn isses g eha ltene n Z u sa m m e n h a n g s: „M eine R elig ion b e steh t in der
d em ü tig e n A n b e tu n g eines u n e n d lic h e n g eistig en W esens h ö h e re r N atur, das sich
selbst in den k lein sten E in ze lh eiten kun dtu t, die wir mit un seren sch w ach en und
u n z u län g lich en S in nen w a h rz u n e h m e n verm ögen. D iese tiefe, g e fü h lsm ä ß ig e
Ü b erz eu g u n g von der E x isten z e in e r hö heren D en kk raft, die sich im u n e rfo rsch -
lichen Weltall m an ife stiert, b ild et den Inhalt m ein er G o tte s v o rs te llu n g “39. M an
w ird eine solche A u ssag e nich t schon m it dem ch ristlich en S ch ö p fu n g s g la u b e n
id entifizieren, aber auch n ich t leu gn en kö nn en, daß sie ihm nich t g än zlic h e n t
g eg en g ese tzt ist. Ä h n lich es gilt von M. P lanc k (+ 1947), der seinen v ielzitierten
Vortrag „ R elig io n und N a tu rw is s e n s c h a ft“ mit den W orten schloß: „Hin zu
G o tt“40. (F reilich konnte er sich u.a. nich t zur A n n a h m e der E x isten z von
W undern b ereitfind en , w obei die F rag e bleibt, ob dies in rein n a tu r w is s e n s c h a ft
lich em D e n k ra h m e n g e fo rd e rt w erd en kann). B e k a n n t ist au ch die F ra g e
W. H eisen b e rg s (+ 1976) a n g esich ts d er k o sm isch en O rdnung: „Ist es völlig
s in n lo s , sich h in t e r den o r d n e n d e n S tr u k tu r e n d e r W elt im G ro ß e n ein
B ew u ß tsein zu denken, dessen A b sich te n sie sin d ? “ Die F rage nach dem Sinn am
U rsp ru n g m ü n d e t aber in die F rage nach dem Wozu ein, deren B ea n tw o rtu n g für
H eisen b erg „den K o m p a ß “ für unseren Weg durchs L eben be reitste llt, d essen der
M en s ch b e d a rf, d a m it n ic h t „ se h r s c h r e c k lic h e D in g e p a s s ie r e n “41. D iese
E rw ä g u n g e n zeigen, daß der N a tu rw is se n sc h a ftle r am E nd e seiner E rken ntn is
vor ein em G a n z en steht, das er m it den M itteln seiner W is sen sch aft nicht e rf a s
sen kann, nach d em er aber fragen k ann und e h rlic h e rw eise fragen wird.
48 D u r c h p h i l o s o p h i s c h e V ertiefu ng d er E rg e b n i s s e der K o s m o l o g i e k o m m t R. K o l t e r
m a n n zu d e m S c h l u ß , d aß G o t t di e „ E r s t u r s a c h e “ ist: G r u n d z ü g e d e r m o d e r n e n
N a t u r p h i l o s o p h i e , 83f.
§2 :
Theologische Bedeutung, Aufgabe und Ausformung der
Schöpfungslehre
L iteratu r: J.B rin k trin e , D ie L e h re von der S c hö pfun g, P ad erb o rn 1956;
K. B arth, D ie k irc h lich e D o g m a tik I I I / 1 -4, Z ü rich 31957; P. A lthaus, Die c h ri s t
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M ü n ch en 1985; K. Rahner, G ru n d k u rs des G laubens. E in fü h ru n g in den B e g riff
des C h r i s t e n t u m s , F re ib u rg 41987; P. E ic h e r ( H rsg .) , N e u e S u m m e d er
T h eo lo g ie II: Die neue S c hö pfun g, F reiburg 1989; Chr. L ink, Schö pfu ng :
H a n d b u c h s y s t e m a t i s c h e r T h e o l o g i e (hrsg. vo n C. H. R a ts c h o w ) 7,1:
S c h ö p fu n g s th e o lo g ie in re f o rm a to risc h e r Tradition; 7,2: S ch ö p fu n g s th e o lo g ie
a n g e s i c h ts d er H e r a u s f o r d e r u n g des 20. J a h r h u n d e r ts , G ü te r s lo h 1991;
Th. S c h n e id e r (H rsg.), H an db uch der D o g m atik I, D ü s s e ld o rf 1992; Fr. B reid
(H rs g .) , G o tte s S c h ö p fu n g . R e f e r a t e d er I n t e r n a t i o n a l e n T h e o l o g i s c h e n
S o m m e ra k a d e m ie 1994 des L in z e r P riesterk reises, Steyr 1994; J. M o rale s, El
M isterio de la C reacion , P am p lo n a 1994; W. B ein ert (H rsg.), G la u b en szu g än g e .
L e h rb u c h der k a th o lis c h e n D o g m a tik I, Pad erb orn 1995; Fr. C ourth, G ott -
M e n s c h - W elt. Was sa g t c h r i s t l i c h e r S c h ö p f u n g s g la u b e ? L e it f a d e n zur
S c h ö p fu n g s le h re , St. O ttilien 1996.
I. U n b e s t ä n d i g k e it e n in d e r S c h ö p f u n g s le h r e
1) Bewegungen innerhalb der katholischen Theologie
Da die Schöpfungsw ahrheit (wie gezeigt wurde) auch G egen
stand des natürlichen Denkens ist, da sie ferner eine gew isse B edeu
tung auch in anderen R eligionen h a t1, könnte der Eindruck entstehen,
daß sie kein spezifisch und w esentlich christlicher G laubensgehalt
sei. G egenüber der Trinitätslehre, der C hristologie und Soteriologie
oder der Lehre von der Vollendung könnte m an ihr eine m indere
B edeutung zuerkennen.
Im Blick auf die gegenw ärtige Situation lassen sich tatsächlich
A nzeichen für ein gew isses geringeres Interesse an der Schöpfungs
w ahrheit finden. So fällt auf, daß in einem neueren katholisch-evan
gelischen G laubensbuch die Schöpfungsw ahrheit keine them atische
A usarbeitung erfährt. Ein bescheidener G edanke wird der Schöp
fungsw ahrheit bei E rörterung des V erhältnisses von „Schöpfungs
glaube und N aturw issenschaft“2 gewidm et. H ier aber heißt es in star
ker A bhängigkeit von naturw issenschaftlichen V orstellungen und in
k ritisc h e r W endung gegen die b ib lisch -th e o lo g isc h e Sicht:
„Schöpfung als Inbegriff einer auf den M enschen zugeschnittenen,
ihn hegenden, nährenden, ihm freundlichen U m w elt - eine Schau des
Universum s, an die uns Texte wie Gen 1-2 gew öhnt haben - : Das ist
ein G edanke, den die W issenschaft uns aufzugeben zwingt. Begriffe
wie Selektion und M utation sind intellektuell viel redlicher als der
Schöpfungsbegriff“3. Schließlich wird in positiver R ichtung gesagt:
„Schöpfung bedeutet B erufung für den M enschen - was sonst dazu
noch gesagt werden mag, auch in der Bibel, ist nicht die Botschaft
von der Schöpfung selbst, sondern ihre teilw eise m ythologische,
apokalyptische Form ulierung“4. Es ist das eine existentiell-anthropo
16 E b d a., 68~
17 B e z ü g l ic h der R e f o r m a t o r e n urteilt p o sitiv er Chr. L in k, S c h ö p f u n g s t h e o l o g i e in ref o r-
m a t o r is c h e r T rad ition , 17-175.
des B undes18. N ach Barth w ird „die W irklichkeit der Schöpfung in
der Person Jesu Christi erkannt“ 19. Der Ausgang der Schöpfungs
theologie vom inkarnierten O ffenbarungsw ort, der in betontem
G egensatz zu jed er natürlichen Theologie steht, erbringt gewiß eine
A ufw ertung der Schöpfungslehre, aber um den Preis der E igen
ständigkeit und der N atürlichkeit dieses G eschehens und seiner
U nterscheidung von der Gnade. „Die Schöpfung wird so fast zum
Akzidenz der Gnade und zum Sym bol C hristi verflüchtigt“20. So hat
sich der A nsatz Karl Barths nicht durchgesetzt21, obgleich die h eils
geschichtliche Fassung verm ittels des B undesgedankens B eachtung
fand22.
U nter Z urückw eisung eines ein seitig en „ C h risto m o n ism u s“
gewann die Schöpfungs Wahrheit nach K. Barth in der evangelischen
Theologie w ieder an Bedeutung. Die Einseitigkeit korrigierend,
beharrte E. Schlink auf dem Ausgang von der alttestam entlichen
Schöpfungsoffenbarung, deren Zeugnisse aber nicht in einer isolier
ten, von der zentralen H e ilsta t an seinem Volk absehenden
Betrachtung aufgenom m en werden sollten. Es sollte vielm ehr die
gläubige Erkenntnis führend sein, daß in ihnen das H eilsw erk Jahwes
vorbereitet wurde im Verein m it einer hohen Verheißung, die sich in
Jesus Christus und im Neuen Bund erfüllte23. So wurde ein gegensei
tiger Bedingungszusam m enhang deutlich, in welchem die Schöpfung
als erste O ffenbarung Gottes A usgangspunkt und G rund der neuen
Schöpfung in Christus bleibt, aber so, daß das heilsgeschichtlich
w ichtige N acheinander von Schöpfung und Erlösung erhalten bleibt.
In dieser R ichtung schreitet W. Pannenberg w eiter aus, wenn er
die H eilsökonom ie des göttlichen Handelns an der B eziehung von
Schöpfung und Versöhnung aufw eist, dabei aber in einer für prote
24 W. P a n n e n b e r g , S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 15-76.
25 E b da., 60 -62.
26 G. E b elin g , D o g m a t i k des c h r is tlic h e n G l a u b e n s I, 105; 291; 352.
27 Vgl. L. S ch effc zy k , E in f ü h r u n g in die S c h ö p f u n g s l e h r e , lOf.
„Sym pathie aller D inge“ in G ott dargestellt28. In diesem Konzept tre
ten durchaus bedenkensw erte originelle Gedanken bezüglich der
Vollendung der Schöpfung durch das M itschaffen des M enschen auf.
Aber sie geben nicht eigentlich das O riginal der biblisch-christlichen
Schöpfungsw ahrheit w ieder als m ehr eine Paraphrase in A nlehnung
an eine evolutive Philosophie.
A llen beachtensw erten evangelischen E ntw ürfen zur Schöp
fungstheologie ist schließlich der A bstand zum D ogm a der K irche
gem einsam , das hier nicht eigentlich als Norm der originellen
Entw ürfe anerkannt ist, sondern m ehr als ergänzende Inform ations
quelle.
Die U neinheitlichkeit und das Schwanken in den K onzeptionen
der Schöpfungslehre läßt eine genauere Bestim m ung ihrer B edeu
tung angem essen erscheinen.
Im B lick auf die geschaffene W elt gingen dem G lauben aber nicht
nur die M acht und Güte, sondern auch die W eisheit Gottes auf. „Er
aber hat die Erde erschaffen durch seine K raft, den Erdkreis gegrün
det durch seine W eisheit, durch seine Einsicht den Him m el ausge
spannt“ (Jer 10,12). Die V äter der K irche schlossen diese A ndeutun
gen zu einem D reiklang zusam m en, der die Selbstoffenbarung Gottes
in seiner Schöpfung in eins faßte: „G ott schuf in seiner Güte das
N ützliche, in seiner W eisheit das Schönste, in seiner M acht das
G rößte“36.
Im ganzen läßt die O ffenbarung G ottes in der Schöpfung deutlich
w erden, daß das trinitarische G ottgeheim nis, das allem zugrunde
liegt, nicht eine theoretische G ottesidee beinhaltet, ebensow enig
einen deistischen oder pantheistischen Gott meint, sondern einen aus
seiner U nendlichkeit heraustretenden G ott erkennen läßt. Er existiert
nicht allein in seiner trinitarischen Selbsterfülltheit, sondern er
begibt sich als m itteilsam er G ott in einen tätigen, geschichtlichen
W eltbezug hinein, der gänzlich frei erfolgt, der aber deshalb doch
nicht als rein äußerlich oder gar als zufällig gedacht werden kann37.
Von dem durch den Schöpfer gesetzten W eltbezug her fällt aber
auch Licht auf das W eltgeheim nis.
2) Die E rschließung des W eltgeheim nisses
Die Schöpfungsoffenbarung erbringt nicht nur eine E xplikation
des G ottgeheim nisses, sondern läßt auch L icht fallen auf die
E xistenz der Dinge und auf das Geheim nis der Welt, vor das sich ein
D enken, das sich nicht rein positivistisch versteht, im m er gestellt
sieht. D er Schöpfungsglaube leistet hier etw as, was von der positivi
stischen N aturw issenschaft nicht zu erbringen ist, obgleich sich m an
che ihrer Vertreter, sei es unter dem A spekt der K osm ologie, sei es
unter dem der B iologie, der E rkenntnis von einer Präsenz des Nu-
m inosen in der Welt nähern.
35 Ep. 177,8.
36 B asiliu s d. Gr., H e x a e m e ro n , H om . 1,7.
37 Vgl. L. S ch e f fc z y k , E in f ü h r u n g in die S c h ö p f u n g s l e h r e , 12.
So v ertritt J. C. P o lk in g h o rn e die A uffassun g, „daß eine re lig iö se D im e n s io n
d er R e alität e rfa h rb a r se i“ und „daß m an der n u m in o se n P rä senz des ganz a n d e
r e n “ im K o sm os „ begegnen k ö n n e “ un d „im Wesen der Welt ein letzter Sinn
g e fu n d e n w erd en k a n n “ 38. Im A s p e k t der b io lo g is c h e n W eitsic h t g e la n g te
A. P o rtm a n n am E nde seines F o rs c h u n g sw e g e s zu dem B eken ntn is: „ D ad urch
m ü ß te e in e Ü b e r z e u g u n g s te tig w a c h s e n : D as A h n e n d er g e w a lti g e n
G e h e im n issp h ä r e der W irklichk eit, die uns um gib t und von der w ir ein Teil
s in d “39. Z w ar sind solche B e k e n n tn isse n ich t häufig; die b etre ffen d e n A u to ren
w e rd en von ihren F ac h k o lleg en nich t selten als „w eiße R ab en ihrer Z u n f t“40 a u s
gegeben. A b er doch sind sie n ic h t ohne je g lic h e R e p rä se n ta n z fü r ein offenes
n atu rw isse n s c h a ftlic h e s D enken.
Die rein positivistische N aturw issenschaft gerät allerdings bei
ihrer grundsätzlichen Selbstabgeschlossenheit in Gefahr, bei all
ihrem Reichtum an Erkenntnissen an innerer geistiger und hum aner
B edeutung zu verlieren. N icht zu U nrecht hat m an auf seiten einer
kulturw ertenden Philosophie von einem m it den ungeheuren E rfol
gen der N aturw issenschaft einhergehenden „T rivialisierungsprozeß“
im m enschlichen U rteilen und Werten gesprochen41. Er resultiert dar
aus, daß die staunensw erten Ergebnisse dem M enschen keinen Bezug
zur Sinn- und Lebensfrage erschließen, so daß sie dem M enschen
bald selbstverständlich, bald aber auch als personal irrelevant
erscheinen. D iese M inderbew ertung kann die N aturw issenschaft nur
aufgeben, wenn sie ihre E rkenntnisse für eine höhere D im ension
offenhält.
Die Schöpfungstheologie kann diese Perspektive auf das in der
Welt w altende G eheim nis, das N um inose an ihrer undurchschauba
ren Größe und Ordnung wie an ihrem beinahe unendlichen Reichtum
an Inhalten und Form en durch den Ursprung in G ott dem Verständnis
nahebringen. Dies geht vor allem durch die H eranziehung des in der
Schöpfungs Wahrheit eingeschlossenen Gedankens von Gottes T rans
zendenz und Im m anenz. D er die Welt m it unendlicher K raft in abso
luter Souveränität aus dem N ichts rufende G ott bleibt der Welt
50 So hält J. M o l t m a n n die E n g e l f ü r „ P o t e n z e n G o t t e s im B e r e i c h s e i n e r
M ö g l i c h k e i t e n “ : a.a.O ., 172; W. P a n n e n b e r g i n t e r p re t i e r t sie „n ich t in erster L in ie als p e r
so n a le G es talt, so n d e rn als ‘M a c h t ’“ : a .a .O ., 127.
51 S o p h o k l e s , A n tig o n e ; C h o rlied .
52 N o m . 716c.
53 De civ. Dei VI II, 5.
54 Von d er „ a n th r o p o z e n t r is c h e n W e n d u n g “ s p r ic h t W. Ja eg er, D e r tr a g isc h e M e n s c h des
S o p h o k les: P aidaia. Die F o r m u n g des g r i e c h i s c h e n M e n s c h e n I, B e rlin 41959, 357.
55 Vgl. H. M eyr, A b e n d l ä n d i s c h e W e l t a n s c h a u u n g IV, P a d e r b o rn 1950, 25.
S c h ö p fu n g s g e d a n k e im m e r no ch nach (N ik olaus v. Kues, + 1464), aber er w ird
le b e n s m ä ß ig von dem B ew u ß tsein des eig enen S ch ö p fertu m s üb erd eckt, so daß
das V erständnis vom M e n s c h en sich la n g s am den m eta p h y sisc h e n und relig iö sen
D eu tu n g e n e n tw in d e t (N. M acch ia v e lli, + 152756). So zeic h n et sich das E n tste h e n
der „T rag ö die des H u m a n is m u s “ ab, die im 19. J a h rh u n d e rt ihren H ö h e p u n k t
g e w in n t57. D er D e g rad ieru n g des M e n s c h e n (von D a rw in zum „ h o c h e n tw ic k e lte n
S ä u g e tie r“ von M arx zum „ p ro d u z ie re n d e n G a ttu n g s w e s e n “ , von F re ud zum in
sich „w id e rs p rü c h lic h e n T rie b w e s e n “58) v e rsuc ht Fr. N ietzsc h e die h y b rid e Idee
des Ü b e rm e n s c h e n e n tg eg e n zu setzen , d er in ein em d io n y s isch en L eb en und im
W ille n zur M ach t den E rsatz G o ttes in sich selbst sucht, um sch ließ lich g esteh en
zu m üssen, daß „alles Ü b e rm e n s c h lic h e am E nde als K ra n k h e it und W ah nsinn
e rs c h e in t“ 59.
Im H inblick auf die Tragödie des Hum anen in der N euzeit hat
M. Scheler das Fazit gezogen: „W ir sind in der ungefähr zehntau
sendjährigen G eschichte das erste Zeitalter, in dem sich der M ensch
restlos problem atisch geworden ist, in dem er nicht m ehr weiß, was
er ist, zugleich aber auch weiß, daß er es nicht w eiß“60.
A ngesichts dieser Situation erw ächst der Theologie die A ufgabe,
Licht auf das Geheim nis des M enschen zu werfen, der in den
Selbstzeugnissen seiner G eschichte den Beweis für das hellsichtige
Wort Pascals über „Größe und Elend des M enschen“ liefert: „Denn
sicher ist, daß, in dem M aße, in dem den M enschen Einsicht wird, sie
sowohl Größe als Elend im M enschen finden“61.
Die Schöpfungslehre aber erw eist sich als die erste Instanz zur
Verm ittlung dieser Einsicht. Im Verhältnis zum Schöpfer wird dem
M enschen einerseits seine G röße und W ürde verstehbar, die in der
biblischen K ennzeichnung als E benbild Gottes (vgl. Gen 1,27) ihren
tiefsten A usdruck findet. D urch die Schöpfung als R uf Gottes wird
der M ensch in eine B eziehung zu G ott als seinem „absoluten D u“
gesetzt, welche ihn selbst zu einem „endlichen A bsolutum “ m acht,
das ihn, trotz der V erbundenheit m it allem G eschaffenen in der
M itgeschöpflichkeit, unvergleichlich über die ungeistige Welt hin
aushebt. A ber als geschaffenes, endliches Sein muß er diese seine
W ürde in Freiheit und V erantw ortlichkeit im Gang durch die Zeit
56 E b da., 76-80.
57 Vgl. H. de L u b a c , Ü b e r G o tt h in au s . D ie T ra g ö d ie des at h e i s ti s c h e n H u m a n i s m u s , 9ff.
58 G. K n a p p , D e r a n t i m e t a p h y s i s c h e M e n s c h , 15-19.
59 N ie t z s c h e s Werke: G r o ß - O k t a v a u s g a b e XII, 361.
60 M. S cheler, P h i l o s o p h i s c h e W e l t a n s c h a u u n g , B o n n 1929, 15.
61 Ü b er die R e li g i o n (P e nsees; hrsg . von E. W asm uth ) H e i d e l b e r g 1963, 186 (nr. 416).
bewähren und zu dem von G ott gesetzten Ziel bringen, auch und
gerade in der sündigen Fehlbarkeit seiner Natur, die in seiner
G eschichte einm al aufgebrochen und so zu einer gefährdenden
G egenkraft angew achsen ist.
So erschließt die göttliche Schöpfung dem M enschen nicht nur
das Geheim nis seiner H erkunft, sondern eröffnet ihm zugleich auch
seine Zukunft und den Weg auf ein Vollendungsziel, das er nicht
ohne ernsten Einsatz seiner geistigen und w illentlichen K raft errei
chen kann. D araufhin nim m t das M enschsein in der durch die
Schöpfungsw ahrheit gesetzten O rdnung den C harakter eines Dramas
an, das aber anders als die „Tragödie des atheistischen H um anis
m us“ , in der der M ensch zu einem W esen unerfüllbarer w idersprüch
licher Begierde degradiert wird, auf die Vollendung des M enschen
zielt.
D ieses G eheim nis des M enschen beleuchtet die Schöpfungs
w ahrheit auf dem Grunde der geschichtlichen O ffenbarung und des
G laubens. Da sie aber dabei den M enschen in allen seinen w esentli
chen Bezügen trifft und erfaßt, bew eist sie eine Nähe zum M ensch
lichen und zum Hum anum als solchem . So verm ag sie auch den
natürlichen M enschen anzusprechen, der nach Sinn und Ziel seines
Daseins sucht und von seiten der Offenbarung ein A ngebot em pfängt
zur Erhellung des R ätsels seines D aseins.
I I I . A u fg a b e u n d A u s f o r m e n g d e r S c h ö p fu n g sth e o lo g ie
Was hier als B edeutung der theologischen Schöpfungslehre aus
gegeben wird, kann zugleich von seiten der Lehre als A ufgabe ange
sehen werden: Die Schöpfungstheologie hat diesen ihren gekenn
zeichneten Rang als Interpretin des Gott- und W eltgeheim nisses wie
des R ätsels des M enschseins ins einzelne gehend aufzuarbeiten und
zu einem für die Erkenntnis erfaßbaren Ganzen (um nicht zu sagen
zu einem „System “) auszuführen. D abei ist die B ew ältigung dieser
Aufgabe nicht so sehr von der A ufnahm e der M aterialien oder von
der Zahl der darzubietenden Inhalte abhängig als vielm ehr von der
Art und Weise der denkerischen B ehandlung des Stofflichen, also
von der D enkw eise oder von der M ethode der E rfassung des
Inhaltlichen.
l)D ie O rientierung an der H eilsgeschichte
Soll die Schöpfungs Wahrheit nicht als natürlicher philosophi
scher Vorbau der Theologie m ißverstanden werden, dann muß sie als
H eilslehre entw ickelt werden. Als Erstoffenbarung Gottes eignet ihr
H eilscharakter. Da die H eilso ffen b aru n g nach ch ristlich em
G laubens Verständnis geschichtlich ereignishaft ergangen ist und so
in einem von G ott gefügten Zusam m enhang steht, muß die Schöp
fung als Eröffnung der H eilsgeschichte verstanden werden. Die
Schöpfungstheologie kann deshalb, wenn sie dieser grundlegenden
Tat G ottes zur G ründung einer geschichtlichen W elt gerecht werden
w ill, ihren A nsatz n ich t beim „G efühl der sch lech th in n ig en
A bhängigkeit des M enschen“ (Schleierm acher) nehm en, aber auch
nicht bei der transzendentalen Erfahrung des M enschen von seiner
K reatürlichkeit62. Es ist nicht ein m enschliches G rundverhältnis oder
ein E xistential, das den M enschen zur Anerkennung einer Schöpfung
führt, sondern es ist die göttliche Schöpfungstat, die dem M enschen
den C harak ter der K re a tü rlic h k eit v erleih t und ihn in das
G rundverhältnis zu seinem Schöpfer setzt, so daß er sogleich auch
zum Verständnis dieser O ffenbarung gelangen kann.
D er h e ilsg e sc h ic h tlic h e A sp e k t u nte rsch eid e t sich nich t nur von ein em exi-
s te n tia listisc h e n oder id e alis tisch e n A n sa tz im S ch öp fun gs Verständnis, so ndern
auch von der tr a d itio n ellen sc h o la stisc h e n und n eu sch o la stisc h e n D arstellu n g
der S c h ö p fu n g s leh re . D iese war b e s tim m t durch ein b e to n t ra tio n a l-d o k trin ä re s
D e nk en von der S chö pfun g, d er „creatio ex nihilo secu n d u m totam suam sub-
sta n tia m “63. M an d a rf von ihr sagen, daß sie die S c h öp fu ng als erste Tat der
O ffen b aru n g G o ttes nach außen d u rch au s ernst nahm. A b e r sie kon nte diese Tat
in n erh alb ihres ra tio n a le n S y ste m d e n k e n s nicht anders b e sc h re ib e n und erfassen
als m it den M itteln der na türlich en T h eo lo g ie , d.h. der M etap h y sik . Es e n ts ta n d
darau s eine p h ilo so p h isc h e W e s en s b esc h reib u n g des g esch affen en Seins in s e i
nem V erhältnis zum u n g esch affe n e n Sein G ottes. D ieses V erhältnis w urd e im
G ru n d e au f das S ch e m a der v ier U rsa c h e n ge b rac h t und nach diesem S ch em a
b esch rie b e n . Die c ausa m aterialis fiel dabei aus und w urde d urch den B eg riff der
„ creatio ex n ih i lo “ ersetzt, d em e in g e h e n d e Ü b e rleg u n g e n g e w id m e t w urden.
M an k an n n ich t leugnen, daß h ier große d e nk erisch e L e istu n g en v ollb rach t
w urd en, für die als B eispiel die S c h ö p fu n g s le h re M. J. S ch ee b e n s h e ra n g e z o g e n
w erd en k a n n 64. A b e r es ging doch dabei v orne hm lich um die p h ilo so p h isc h e
§ 3:
Die göttliche Schöpfung als Urgeschichte im Alten Testament
L iteratur: Ch. H artlich - W. Sachs, D er U rsp ru n g des M y th o sb e g riffe s in der
m o d e rn e n B ib e lw isse n sc h a ft, T ü b in g e n 1952; G. v. R ad, T h e o lo g ie des A lten
T estam en tes I, M ü n c h e n 1957; D ers., Das erste B uch M ose, G ö tting en 31958;
M. N o th, D e r B e itra g der A r c h ä o lo g i e zur G e s c h ic h te Is raels , in: Vetus
T e sta m en tum , suppl. 7 (1960) 279ff.; H. Volk, G ott alles in allem. G e sam m elte
A u fsätz e, M a in z 1961; L. A lo n so -S c h ö k e l, M otivos sapien ciale s y de alianza en
Gn 2-3, in: B ib lica 43 (1962) 295 -31 6; N. Lohfink, G enesis 2f. als „ g e s c h ic h tli
che Ä tio lo g ie “ , in: S cho lastik 38 (1 963) 321-334; H. B a u m an n , Sc h ö p fu n g und
U rz e it des M e n s c h e n im M y th o s d er a fr ik a n i s c h e n V ö lk er, B e rlin 1964
(N ach dru ck ); W. H. S ch m id t, D ie S ch ö p fu n g s g e sc h ic h te der P rie ste rsch rift. Z ur
Ü b e rlie fe ru n g s g e sc h ic h te von G en esis 1,1 -2,4 a, N e u k irc h e n 1964; H. G roß,
T h e o lo g isc h e E x ege se von G en esis 1 -3: M y ste riu m Salutis II (hrsg. von J. F e in e r
und M. L öh rer) E in sied eln 1967, 4 21 -4 63 ; CI. W esterm an n, D er M en sch im
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M y t h o l o g i s c h e E l e m e n te im A lte n T e s ta m e n t. E in e m o t i v g e s c h i c h t l i c h e
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Elend. E ine K ritik des c h ristlich en T h eism u s und A -T h eism u s, Z ü rich 1972;
H. B lu m en b e rg , A rbeit am M yth os, F ran k fu rt a.M. 1979; G. E b eling , D o g m atik
des c h ristlic h e n G la u b en s I, T ü b in g e n 1979; R. M a rtin -A c h a rd , Et D ieu cree le
Ciel et la Terre, G e n f 1979; L. R u p p ert, „U rg e sc h ic h te “ oder „ U rg e s c h e h e n “ ?
Z u r In te rp re tatio n von G en 1-11, in: M T h Z 30 (1979) 19-32; M. S chm au s, D er
G la u b e der K irch e III, S t.O ttilien 21979; A. Z iegen aus, „Als M ann und Frau
e rs c h u f er sie “ (G en 1,27). Zum sa k ra m e n ta le n Verständnis der g e sc h lech tlich en
D ifferen zieru n g des M e n sc h e n , in: M T h Z 31 (1980) 21 0 -22 2; K .-H. O hlig, D ie
Welt ist G o ttes S c hö pfun g. K osm os und M en sc h in R eligion , P h ilo so p h ie und
N a tu rw is s e n s c h a ft e n , M ain z 1984; K. H übner, D ie W ah rh eit des M y th o s,
M ü n ch en 1985; H. D. Preuß, T h e o lo g ie des A lten T estam ents, 2 B d.e, S tuttg art
1991/92; R. A lb ertz , R e lig io n sg e s c h ic h te Is raels in altte s ta m e n tlic h e r Zeit,
2 B d.e (A ltes T e sta m e n t D eu tsch , E rg ä n z u n g s r e ih e 8/2), G ö ttin g e n 1992;
L. B o rsig-H ov er, Die h e ilsg e sc h ic h tlic h e B e d eutu ng der Frau. E dith Steins
B eitrag zum V erhältnis von Frau und K irch e, in: F K T h 11 (1 995) 193-202;
A. G a n o c z y , C h a o s - Z u fa ll - S c h ö p f u n g s g la u b e . D ie C h a o s th e o r ie als
H e ra u sfo r d e ru n g der T h eo lo g ie, M ain z 1995.
I. Das literarische Genus der Schöpfungsberichte
Die grundlegenden Aussagen über den christlichen Schöpfungs
glauben finden sich bereits auf den ersten Seiten des Alten Testa
mentes in den beiden Schöpfungsberichten, dem jüngeren priester
schriftlichen Bericht (Gen 1,1-2,4a) und dem älteren, mehr anthro-
pomorph gehaltenen jahwistischen Bericht (Gen 2,4b-3,24). Dieser
Bericht steht allerdings bereits in einem größeren Zusammenhang,
der auch Paradieses- und Sündenfallerzählung einbegreift.
Zur Erhebung der Bedeutung dieser Berichte als Grundlagen des
Schöpfungsglaubens ist die Feststellung ihres literarischen Charak
ters unerläßlich. Sie werden nämlich vielfach als bloß fabulierende
Erzählungen oder als religiöse Dichtungen verstanden, die keine
Wahrheit und W irklichkeit treffen wollen. Man ordnet sie dann in das
Genus der Mythen ein, das sind menschliche Deutungen der uner
gründlichen Geheimnisse des Ursprungs, die mehr die Erfahrung
naturhaft-zyklischer G rundgegebenheiten um schreiben als ge
schichtlich Einmaliges und für die menschliche Erkenntnis Verbind
liches benennen wollen1. Dies würde eine heilsgeschichtliche Deu
tung dieser Berichte verunmöglichen.
1) Mythos und Wahrheit der Schöpfungsberichte
Auszugehen ist von der Erkenntnis, daß es sich bei diesen Be
richten nicht um historische Zeugnisse handelt, wie sie die Ge
schichtswissenschaft voraussetzt, um daraufhin Aussagen nach Art
der Geschichtsschreibung machen zu können. Dieser Befund wird
häufig so interpretiert, daß man zum Mythos als einziger Alternative
greift, womit die Bedeutung dieser Berichte oder Erzählungen ent
wertet werden soll.
Bei der ersten E n td e c k u n g des M y th o s und des M y th o lo g isc h e n in der
A u fk lä ru n g w ar m a n g eneig t, die S c h ö p fu n g s g e sc h ic h te n der G e nesis gä nzlich
als M y the n zu e rk lä re n 2, d.h. als b ild h a fte, p h a n ta s iev o lle K o m p ilatio n en üb er
die R ä ts e l des B e g in n s von W elt u nd M e n s c h . So g e s e h e n , w ü rd e den
S c h ö p fu n g s b e ric h te n n ich t der C h a ra k te r eines A n fan gs der G esch ich te des
H eiles z w isch en G ott und den M e n s c h e n z u ko m m e n.
Nun hat die neuere Exegese durch genauere Analyse dieser Be
richte herausgestellt, daß das AT hier sicher Einschlüsse und
13 G en es is I, 92.
14 G e n e s is I, 30.
ze it- u n d g e s c h i c h t s l o s e r G le i c h z e i t i g k e i t . B e d e u tu n g und W ir k u n g des
U rg e sch eh en s sind h ier nur n o c h im M edium der G e sch ich te aufzu n eh m e n .
D esh alb w ird die W irku ng aber k ein e geringere: Sie k o m m t im relig iö s-e th isc h e n
G la u b en an die G ro ß tat des S chö pfers zum A u sd ru ck und en tfaltet ihre th e o l o g i
sche B e d e u tu n g im D a nk und L o b p re is des Sch öp fers, dessen Tun im m e r als in
der G e sc h ic h te w e iterg eh en d an e rk a n n t wird. „D iese Z u o rd n u n g der S c h öp fu ng
zur G esch ich te zeig t sich am d eu tlic h s te n bei D eu te ro je sa ja und im H io bb uch .
D as A u fse h e n zum S ch ö p fe r und das B e ja h en des S ch öp fers k o m m e n h ie r zu
ihrer eig e n tü m lic h e n B e d e u tu n g fü r M en sc h en , die in N o t und V erzw eiflun g im
A u fb lic k zum S ch ö p fer den re tten d e n G ott, den H eiland , w iede rfin de n. D ie in
der U rg esc h ich te in ten die rte V erbind un g von S chö pfun g und G e sch ich te k o m m t
h ie r zu ih rer letzten K o n s e q u e n z “ 15.
Damit ist den mythologischen Elementen in den Schöpfungs
erzählungen eine positive Bedeutung eingeräumt. Sie sind als Aus
sageformen und Ausdrucksmittel eines naturhaften religiösen Den
kens nicht abzuwerten. Sie können darüber hinaus auch als Symbole
naturhafter Religiosität anerkannt werden. So drückt sich in ihnen
die Erfahrung der Kontingenz des Menschendaseins aus, ebenso sein
in aller Immanenz geahnter Transzendenzbezug und seine Sehnsucht
nach Erlöstheit.
So k an n M y th isch es als S tru k tu r auch zum A u sd ru c k der O ffe n b a ru n g s
w a h rh eit und des ihr e n ts p re c h e n d e n G laub en s dienen. A b er die W ahrheit der
e re ig n ish a ft in das L eb en der W elt ein b re c h e n d e n O ffen barun g ist m it der „ ta g
täg lic h e n E r f a h r u n g “ 16 des m y t h is c h e n E rle b e n s n ic h t g le ic h z u s e tz e n ; die
g e sc h ich tlich e E in m a lig k e it des H e ils ere ig n isse s ist m it d er „ G le ic h z e itig k e it“
der m y th is c h e n E rfah ru n g n ich t zu id entifizieren ; die W e lte n ts te h u n g sle h re n des
M y th o s sin d n ic h t m it d er g ö tt li c h e n U r h e b u n g u n d g e s c h i c h t l i c h e n
Z ie la u sric h tu n g der W elt in eins zu setzen. H ier d u rc h b ric h t der L o go s der
O ffe n b aru n g als E reig nis und W ah rh eit die n atu rh a ft-m y th isc h e S truk tur des
R elig iö se n und öffnet sie auf das re a lg e sc h ic h tlic h e H a n d e ln G ottes m it dem
M en s ch en hin und auf die A n tw o rt des G laubens.
Darum ist auch eine solche Aufwertung des Mythos abzulehnen,
die alles Werthafte, Religiöse und mit absolutem Anspruch Auftre
tende als mythisch ausgibt und den Begriff des Mythos als Äquiva
lent für jede Art des Glaubens nim mt17. Ebenso ist die begrenzte
Bedeutung des Mythischen für den Ausdruck der Offenbarung und
des Glaubens dort verkannt, wo die Mythen nach dem Vorbild der
Psychoanalyse (S. Freud, C. G. Jung) als Widerspiegelungen von
15 E b d a ., 93.
16 K. H ü b n er, a.a .O ., 344.
17 So etw a bei L. K olak o w s k i, Die G e g e n w a r t des M y th o s , M ü n c h e n 21974, p assim .
Grundmustern des menschlichen Seelenlebens ausgegeben werden.
Nach dieser Deutung enthält auch die jahwistische Schöpfungs
erzählung nur psychische Symbole, die auf „Neurosen“ hinweisen.
Danach würde von den Erzählungen der Urgeschichte gelten: „Sie
sind zu lesen wie Märchen und Träume“ 18.
2) Der geschichtliche Grundzug
Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß die biblischen
Schöpfungsberichte, auch wenn sie von einer realgeschichtlich nicht
greifbaren Urzeit erzählen, diese doch mit der Geschichte des
Gottesvolkes und mit seinem geschichtlichen Credo (vgl. Dtn 26,5-
9) verbinden und so „Urgeschichte“ mit „Zeitgeschichte“ verknüp
fen. Die Begründung ist in dem Umstand gegeben, daß Israel aus sei
ner Verbundenheit mit dem Gott des Heils, der das Volk seit Abraham
geführt und geleitet hat, die lebendige Überzeugung gewann: Gott ist
der Herr der Geschichte, zunächst der Geschichte des Volkes. In der
Erkenntnis der geschichtlichen Führungen des Volkes durch Jahwe
reifte in Israel aber auch die Erfahrung, daß Gott der Herr aller
Völker und der ganzen Welt sei und daß diese ganze Welt mit dem
Menschen auf Gott zurückgehe. So war er im Glauben als der
Schöpfer anerkannt. Die Hagiographen der Genesis sprechen sozusa
gen in einer prophetischen Retrospektive über die Tat Jahwes an der
ganzen Welt, an ihrem Ursprung. Sie bieten damit gleichsam eine
prophetische Geschichte, die den Glauben festigt, daß der Herr
Israels Schöpfer der ganzen Welt ist. Diese Wahrheit aber verkünden
sie nicht aus Interesse an einem historischen, kosmologischen
Wissen, sondern aus Interesse am Heil des Volkes wie aller Völker.
Denn der Schöpfer ist auch Führer, Lenker, Erhalter der Welt und
schließlich auch ihr Erlöser.
In d em die H ag io g ra p h e n d iese sch lich te und g roß artige W ah rh eit aber in
eine E rzäh lu n g bring en, m ü s sen sie diese auch e rz ä h le risc h form en und a u s g e
stalten. So w ird im p rie ste r sc h riftlic h e n B e ric h t das G esch eh en der S c h öp fu ng
als A bfo lg e einer O rd nu ng von sieben Tagen erzäh lt, in der G ott z u n ä c h st in den
ersten drei Tagen ein e m sog. „opus d is ti n c ti o n is “ (S ch e id u n g des L ic hte s von der
F insternis; d er ob eren von den unteren W assern; des M eeres von der Erde) den
Raum der Welt erstellt, in den er d an n in ein em „opus o rn a tu s “ der A u s
sch m ü ck u n g und d er A u sfü llu n g die P flan zen , die G estirn e, die Tiere und den
18 E. D r e w e r m a n n , S t ru k t u r e n d es B ö s e n I, P a d e r b o r n 1977, XXXIV.
M e n s ch en einsetzt. D as ist das „ H e x a e m e ro n “ , das aber b esser als „H e ptae m e-
r o n “ b e z e ic h n e t w ird unter E in sc hlu ß des sieb enten Tages, des R uh etag es G ottes.
D ieser Tag hat eine tiefe sy m b olisc he B edeu tun g. Er zeig t nä m lich an, daß die
ganze S c h ö p fu n g für das Ziel der R uh e des Sabbats, der R u he in G ott g e s c h a f
fen ist.
Diese Geschichte, die im jahwistischen Bericht in einer anderen
Ordnung dargeboten wird, ist mit vielen Elementen der alten
Naturerkenntnis und des alten Weltbildes ausgestattet, die als solche
heute keine Geltung mehr beanspruchen können, aber auch grund
sätzlich nicht zum Aussageinhalt gehören. Es sind anschauliche
Einkleidungen für den gläubigen Grundgedanken, daß Gott das
Ganze wie die Einzelheiten der Schöpfung in völliger Souveränität
geschaffen hat, daß er es in einer Ordnung und gut geschaffen hat
und daß der Mensch als Beauftragter Gottes an die Spitze der heils-
haft-geschichtlich verfaßten Schöpfung gesetzt ist. Diese heilshaften
Inhalte verbieten es, diese Berichte, selbst wenn sie in der Aussage
form mythische Elemente verwenden, als geschichtslosen Mythos zu
bezeichnen.
Aber daran schließt sich die Frage an, um welche Art von
Geschichte es sich handelt. Das sich hier stellende Problem ist tref
fend auf die Alternative „Urgeschichte oder Urgeschehen?“ gebracht
und vor allem durch die Beiträge CI. Westermanns vorangetrieben
worden.
D ie b e d e u t s a m e n E r g e b n is s e d er p ro f u n d e n G e n e s i s f o r s c h u n g d ie s e s
E x egeten, die im Voraus g ehen den g eb ü h ren d g ew ü rd igt w orden sind, w eisen
einerseits in eine R ichtu ng , die ein e r gesch ich tlich en D eu tu n g der gesam ten
U rg esch ich te G en 1-11 A rg um e nte liefern. Vom Verfasser der P rieste rsc h rift
w ird in d iesem Sinne gesagt, daß er „in den Vorgang der S c hö pfun g ein G efälle
g e b ra c h t“ habe, „das die Werke der S ch öp fu ng , m it dem R uhen G ottes am sie b
ten Tag ab sch ließ en d , zu einem ein d ru c k sv o llen P rälud ium der g esam ten in d ie
sem W erk d arg estellten G esch ic hte m a c h t“ 19. So lehnt er auch die v u lg är m y t h o
log isch e D eu tu n g der E rz äh lu n g en ab, als ob sie tr a n sz e n d e n t-m y th isc h e Inhalte
zur S p rac he b rächten, die sch lech terdin gs ohne je d e n B ezu g zur G esch ich te
stü n d en . W ie sc h o n e rö rtert, e rk e n n t er die B e s o n d e r h e i t d er b ib l is c h e n
U rg esch ich te an. In ihrer L azierun g vor der A b ra h a m s g e sc h ic h te fin det sich für
die In terp retatio n ein relev anter Zug. Es w erde dam it eine V erbindung zw isch en
b eid en G esc h e h e n sre ih e n geschaffen, die eine A nalog ie z w isch en b eid en h e r
stelle, was nich t u n be ach tet b le iben k a n n 20. D iese A u ssa g e n lassen die A n n ah m e
Aber es fällt auf, daß die Erklärung des Autors plötzlich in der
Wortwahl von der „Urgeschichte“ zum „Urgeschehen“ wechselt, eine
Änderung, deren Bedeutung erst aus dem größeren Zusammenhang
der Gedanken in ihrer Bedeutung erfaßt werden kann. Mit dem
Ausdruck „Urgeschehen“ soll nämlich der Anspruch des Ereignis
haften und real Geschichtlichen wieder zurückgenommen werden.
Die Kategorie des Geschichtlichen sei auf diese Texte nicht anzu
wenden21; denn von der Schöpfung gebe es keine Zeugen und Zeug
nisse; diese gebe es nur für das rettende Handeln Gottes in der
geschichtlichen Zeit, die mit Abraham beginne. Was kann dann der
Vorfügung der „Urgeschichte“ vor die heilshafte Geschichte Israels
noch für eine Bedeutung zukommen? Doch wohl nur diese, daß es in
diesem Urgeschehen „um Erfahrungen und Verstehensbemühungen
der M enschheit“ geht, die sich überall auf der Welt auf einen Ur
sprung verwiesen weiß, die sich ihrer Begrenztheit und ihrer Ge
fährdungen bewußt ist, die sich von Frevel, Schuld und Tod bedroht
fühlt, aber auch die positiven M öglichkeiten wie die erhaltende Kraft
der Fruchtbarkeit und die Bewältigung der Daseinsnöte anerkennt.
Da alle diese Existenzerfahrungen aber auch in die Gegenwart und
ihre G eschichte hineinreichen, stehen sie in einer gewissen
Verbindung mit der Geschichte, ohne wirklich geschichtlich-ereig-
nishaft vorgefallen zu sein. Es sind existential-anthropologische
Grundbefindlichkeiten der Schöpfung und des Menschen, die zeitlos
sind und seit der Existenz von Menschen Geltung haben. Die bei der
Verwendung des Wortes „Urgeschichte“ oder „Urgeschehen“ ge
brauchte Vorsilbe „Ur“ hat keinen zeitlich-historischen Sinn, sondern
eine grundsätzliche Bedeutung, die besagt, daß diese Erfahrungen
und Existenzphänomene aller menschlichen Geschichte zugrunde
liegen und für das Welt- und Menschsein paradigmatisch sind. Die
bei Westermann zunächst vom ungeschichtlichen Mythos getrennten
und mit der Geschichte Israels verbundenen Berichte der Genesis
werden am Ende entgeschichtlicht, und zwar nicht wieder auf den
26 L. A l o n s o - S c h ö k e l , M o tiv os s a p ie n c ia le s, 300.
27 N. L o h fin k , a.a .O ., 334.
28 G. v. Rad, T h e o l o g ie des A lten T e s t a m e n t e s I, 168.
29 So H. G roß , M y s t e r i u m S alu tis II, 425.
als die Wiedergabe einer allgemeinen Idee oder als bleibende
Existenzaussage. Deshalb ist der vielfach kritisierte Ausdruck einer
„geschichtlichen Ätiologie“ zur Kennzeichnung des besonderen
Anliegens der biblischen Schöpfungsberichte (auch wenn er nicht im
Sinne eines allgemein feststehenden literarischen Genus genommen
werden muß) wohl nicht gänzlich unangemessen.
D er h ier m ö g lich e E in w a n d w ird w eite r d a ra u f insistieren , daß es sich, wenn
m an das g e sc h ic h tlic h e M o m e n t an d ie se r Ä tio lo g ie u rgiert, je d e n f a lls nur um
e in e „ k o n s t r u ie r te G e s c h i c h t e “ d er H a g i o g r a p h e n o d e r d er i s r a e li ti s c h e n
T rad ition h and eln könne. A b e r was pejorativ als „ K o n s tr u k tio n “ b e z e ic h n e t w ird,
k a n n m it e in e m d u r c h a u s g l ä u b i g e n S in n v e r b u n d e n w e rd e n . D iese
„ K o n s tr u k tio n “ k a n n n äm lich n ich t als w illk ü rlic h e m e n s c h lich e E rfin d u n g a u s
g e g e b e n w erd en, so n d ern sie kann im Z u s a m m e n h a n g m it der G la u b e n s
gesch ic h te Is raels, die n icht ohne gö ttlich e O ffe n b aru n g zu denk en ist, durchau s
als E rg eb n is des sich v ertie fe n d e n G lau b en s a n g ese h e n w erden , der seine in der
G e sc h ich te gew o n n en e G e w iß h e it bis au f den U rsp ru n g hin ausdehnt. Das g e
sc h ieh t nicht m it den M itte ln der h isto risc h e n V ernunft allein, sondern in der
K raft eines e rleu ch tete n G la ub ens, der, m it ein e m lum en p ro p h e tic u m a u s g e s ta t
tet, seinen B lick au f die A n fä n g e rich tet und darin die G ew iß h eit des G laub ens
gew innt, nach Art ein er retrosp ektiven P rop hetie.
30 D as erste B u c h M o s e, 36.
Hinweis darauf, daß der Schöpfer und sein Werk der Erste und das
Erste sind, also hier ein absoluter Anfang gesetzt ist31.
Dieser Satz ist nämlich, genauer betrachtet, als Gottesprädikation
zu verstehen. Er will besagen, daß die Schöpfung in totaler
Abhängigkeit von Gott steht, daß Gott den Anfang aller Dinge setzt.
Damit ist auch über das Wesen der geschaffenen Dinge eine Aussage
gemacht und gesagt, daß sie sich einer radikalen Urhebung durch
Gott verdanken und allein auf der Macht Gottes beruhen. Wenn hier
der absolute Anfang allen Geschehens zum Ausdruck gebracht wer
den soll, könnte allerdings die Vermutung auftauchen, daß in
Verbindung mit Vers 2, in dem die Rede von der chaotischen
Verfassung der Erde ist, die Schöpfungstat Gottes zuerst auf ein
Chaos geht32. Gott hätte demnach zuerst etwas Chaotisches geschaf
fen. Für ein geläutertes theologisches Denken ist das freilich ein
schw er vollziehbarer Gedanke. Hier ist exegetisch auf die
Vorstellungswelt der Verfasser des P-Berichtes hinzuweisen. In die
Form bildlichen Denkens und Sprechens konnte „Schöpfung“ nur als
ein Formen aus Ungeformtem eingehen. Die Aussageabsicht geht
freilich auf den Beweis der Macht, der Größe und der Sinnhaftigkeit
des Schöpfers wie seines Tuns. Aber es ist zuzugeben, daß die hier
vorhandene Spannung zwischen dem theologischen Gedanken und
dem anschaulichen Ausdruck nicht behoben und gemeistert ist33.
2) Die theologische Bedeutung der Güteformeln
Theologische Bedeutsamkeit kommt auch den in diesem Bericht
wiederholt gebrauchten Aussagen über die Güte der einzelnen
Schöpfungsdinge zu. Es sind die auch als Billigungsformeln bezeich-
neten Aussagen im Stil von Gen 1,10 „Et vidit Deus, quod esset
bonum“ . Diese Charakterisierung der einzelnen Werke als „gut“
erfolgt konstant und fehlt nur bei der Erschaffung der Himmelsfeste
34 G e n e s is I, 22 8; S c h ö p f u n g , 88.
gegen den Text u nd die A b sich t des V erfassers als F o rd e ru n g e n nac h der Ü b e r
w in d u n g des B ösen in der Welt v ers tan d e n w e rd e n m ü s s e n 35.
39 CI. W e s te rm a n n , G en es is I, 20 3 -2 1 4 .
4 0 L. S c h e f f c z y k , D ie F r a g e n a c h d e r G ottebenbildlichkeit in der m odernen
T h e o lo g ie , XLVIIIff.
Die in diesem Bericht im Kern gebotene Anthropologie betrifft
aber auch den Menschen als geschlechtliches Wesen in der Differen
zierung von Mann und Frau.
5) Die schöpfungsgemäße Geschlechtlichkeit
Sie ist im P-Bericht 1,27 und 28 ausgesagt, in J 2,18-24 in der
bildhaften Form der Eva-Schöpfung, die keine Parallele in den
Mythen hat, noch einmal hervorgehoben und wohl schon auf die
Begründung der Ehe bezogen.
Während Gen 1,27f. mit der Gottebenbildlichkeit beider Ge
schlechter ihre theologische Gleichwesentlichkeit bezeugt, legt der 1
mehr Wert auf die Darstellung ihrer Ergänzungsfähigkeit und ihrer
Verwiesenheit auf die Gemeinschaft. Über alle Abstände von Kultur-
und Sozialwandlungen hinweg ist hier das Verhältnis von Mann und
Frau als Personen zur Grundform menschlicher Gemeinschaft erho
ben, die sich im „adiutorium sibi simile“ (2,18), d.h. im gegenseiti
gen Helfen und Ergänzen verwirklicht. Dies ist nicht nur auf einzel
ne Akte bezogen, sondern meint einen ganzheitlichen Lebensbezug
in personalem Austausch. Beim Vorherrschen des Ergänzungsgedan
kens ist aus dem Text eine förmliche Unterordnung der Frau unter
den Mann nicht zu entnehmen. Wohl aber läßt er sich auf den moder
nen Gedanken der Polarität der Geschlechter beziehen. Dann aber
schließt der Text jede alte mythische (aber auch in moderner Ab
wandlung vorkommende) Vorstellung vom Androgyn genauso aus
wie die Vernachlässigung des Anders- und des Eigenseins der Ge
schlechter in bestimmten Formen des Feminismus41.
§ 4:
4 VgL E. H a a g , G o t t als S c h ö p f e r u n d E r l ö s e r in d e r P r o p h e t i e d es
D e u t e r o j e s a ja , 193-213.
5 G. v. Rad, T h e o l o g ie des AT I, 142.
6 Vgl. G. L in d e s k o g , S tud ien zum n e u t e s t a m e n t l ic h e n S c h ö p f u n g s g e d a n k e n I, 28.
7 Vgl. dazu A. A n g e r sto r fe r, D e r S c h ö p f e rg o t t des A lten T e sta m e n te s , 154- 15 6.
8 Vgl. D. S a ttle r - Th. S chn eid er, S c h ö p f u n g s l e h r e , 141.
9 D azu H. D. P re u ß , a.a .O ., 270.
Gewalten durch zürnende Worte (Ps 104,7) und durch harte Worte
(Ps 74,13) bändigen, bis er sie in den Grund der Schöpfung bannt.
Sie erscheinen auch in den Gestalten Rahabs und des Leviathan per
sonifiziert bzw. individualisiert (Jes 51,9f.; Ps 74,14; 89,11). Aber
sie treten auch in der Gestalt des Wassers auf, das, entgegen der
jahwistischen Einschätzung als fruchtbares Element, hier in seiner
widergöttlichen Macht erfahren wird (Ps 74,13; 77,17). Diese Re
miniszenzen an die altorientalischen Vorstellungen (zumal an das
babylonische Schöpfungsepos) stehen aber gänzlich in Abhängigkeit
von der theologischen Idee. Es „sind diese A ussagen ihres
Eigengewichtes beraubt“10.
Ein m ark an te s B eispiel fü r d iesen Typus des L o b p reis e s au f die S c hö pfun g
bietet Ps 8, „ein P re islied (H ym n u s) zum R u h m G ottes des S c h ö p fe r s “ ". D ieses
G e m e in d e lie d geht zw ar von d er e rh ab en en S ch ö n h e it der N atur aus, v ersteht sie
a ber als G o tte s o ffe n b a ru n g und bleib t bei d iese m E in d ru c k nicht stehen, sondern
d rin gt zum „H errn und H e rrs c h e r“ der S ch ö p fu n g d urch und zieh t aus der
A n e r k e n n u n g s e i n e r E r h a b e n h e i t in e in e r a n t h r o p o l o g i s c h e n W en d e die
F o lg e ru n g e n für das M en sch sein . Die G rö ß e des S c hö pfers zw in g t den M en sch en
zu r A n e r k e n n u n g d e r e ig e n e n G e r in g h e i t, n ic h t aber, um im N i c h t i g
k e itsb e w u ß tsein zu ve rsink en , son dern um a n g esich ts der M a je stä t G ottes das
G esch en k des e ige ne n G e sch affen s e in s zu erfassen und freu dig zu erfahren. Hier
bricht auf altte s ta m e n tlic h e m B od en eine S c h ö p fu n g s frö m m ig k e it auf, welche
die S c h ö p f u n g s o f f e n b a r u n g z u g le ic h als L ic h t fü r das w ah re M e n s c h e n
v erstän dn is aufnim m t.
10 E bd a., 270.
11 A. Weiser, Die P sa lm e n , 94.
12 E b da., 132-135.
13 H. D. P re u ß , a.a.O., 261 f.
aber der naturhaft-kosm ische Zug des Ganzen die personale
Beziehung des Psalmisten zum Schöpfer nicht erreicht; denn die
anhaltenden Großtaten Jahwes in seinem aktuellen Schöpfertum sind
von seiner Weisheit (V. 24) und seinem Geist (V. 30) geprägt und fin
den ihren Widerhall im Menschen und seiner Freude am Herrn
(V. 34). Der theologische Grundzug kommt am Schluß in dem
Verdikt über die Sünder zum Vorschein, die nach dem Sänger „von
der Erde verschwinden sollen“ (V. 36). So erscheint die Sünde als
Widerpart der Schöpfung in den Schöpfungsgedanken einbezogen.
Die christliche Frömmigkeit war offenbar von diesem Psalm so
beeindruckt, daß sie etliche seiner Aussagen als Gebetssprüche auf
genommen hat (V. 27f; V. 30; vgl. auch Ps 145,15f.).
3) Die Verankerung des Schöpfungsglaubens im Kult
Schon der genannte Ps 8 fügt in das Loblied des Sängers auf die
Schöpfung das Echo der Gemeinde ein (Ps 8,2.10)14. Er beweist
damit, daß er in der Überlieferung der Gemeinde und des Kultes
steht. Auf diesem Boden konnten dem Schöpfungsgedanken beson
dere Kraft und Intensität Zuwachsen, so daß die lex credendi von der
lex orandi mit Geist und Leben erfüllt wurde. Der hymnisch gehalte
ne Kult war „der gegebene Ausdruck ... , um die Schöpfertat Gottes
darzustellen“ 15. Hier sind aus der Psalmenliteratur reiche Beispiele
anzuführen (Ps 66,5; 96,4f.; 104; 119,73; 134,3; 136,5f.; 145-148).
Darin findet der Lobpreis auf den Schöpfergott einen lebendigen
Ausdruck, zugleich aber werden auch die hohen Eigenschaften sei
nes Wesens in apologetischer Wendung gegen den Polytheismus
gerühmt.
Aus dem L ob preis des S ch öp fers ergibt sich n atu rg em äß die S tim m e des
D ank es für die ein z ig artig e Tat der S c hö pfun g, die auch hier als H eils- und
G n ad en tat G o ttes an sein em Volk v e rs ta n d e n w ird (Ps 65,10; 92,5; 114,17 u.a.).
Wenn aber die v erg ang en e Tat als A n laß zur D a n k e sb e z e u g u n g g e n o m m e n wird,
so ist die E rk e n n tn is n ic h t m eh r fern, daß Jah w es W irken mit der ein m a lige n
S ch ö p fu n g s ta t nic h t aufhörte und sich in v ielen w eiteren Taten an seiner
G em ein d e wie am E inz elne n fo rtsetz te und daß auch d afü r der M en sc h zum
D ank v e rp flic h tet ist. So ist es zu erklären, daß die sich an die S c h ö p fu n g s ta t
§ 5:
Die Vollendung der Schöpfungsoffenbarung im Neuen Testament
L iteratu r: G. L in d e sk o g , S tu d ien zum n e u te s ta m e n tlic h e n S c h ö p f u n g s
g ed an k en I, U p p sa la - W ien 1952; H. Schlier, K e ry g m a und Sophia. Z u r n e u te
s ta m e n tlic h e n G ru n d leg u n g des D og m as: D ie Z e it der K irche, F re ibu rg 1955,
2 06 -23 2; G. B o rn k am m , Jesus von N a z areth , Stu ttg art 1956; G. W ingren,
S c h ö p f u n g u nd G e s e tz , G ö t ti n g e n 1960; L. S c h e f f c z y k , S c h ö p f u n g und
Vorsehung: H D G II/2a, F reibu rg 1963; D ers., D ie Welt als S c h öp fu n g G ottes,
A sch affen b u rg 1968; A. H o ck el, C hristu s der E rstg eb orene . Z ur G e sc h ic h te der
E x eg ese von Kol 1,15, D ü s s e ld o rf 1965; R. S ch n a ck en b u rg , N e u te sta m e n tlic h e
T h eo lo g ie . S tand der F orsc h u n g , M ü n ch en 21965; D ers., Das Jo h a n n e s e v a n g e
lium I (H erders th e o lo g is c h e r K o m m e n ta r zum N e uen T estam en t, Bd. IV),
F reibu rg 1965; Fr. M ußner, S ch ö p fu n g in C hristus: M y s teriu m S alutis II (hrsg.
von J. F e in e r und M. L öhrer), E in sie d e ln 1967; K. H. S ch elkle, T h e o lo g ie des
N euen T estam ents I, D ü s s e ld o rf 1967; E. L oh se , Die B riefe an die K olo sser und
an P h il e m o n (M e y e rs k r i t i s c h - e x e g e t i s c h e r K o m m e n t a r ü b e r das N e u e
T estam en t), G ö ttin g en 1968; H. C o n z e lm a n n , D er erste B rie f an die K orin th e r
(M eyers k ritisc h -e x e g e tisc h e r K o m m e n ta r über das N eue T estam ent), G öttin ge n
1969; H. S chü rm a n n , Das L u k asev an g eliu m I (H erders th e o lo g is c h e r K o m m en tar
zum N e u en T estam ent, Bd. III), F reib urg 1969; W. B einert, C hristus und der
K osm o s. P e rs p e k tiv e n zu ein e r T h e o lo g ie der S c h ö p fu n g , F reib u rg 1974;
L. G op pelt, T h eo lo g ie des N eu en T estam en ts I, G ö ttin g en 1975; E. G rässer,
N eu te sta m e n tlic h e E rw ä g u n g e n zu ein er S ch ö p fu n g s -E th ik , in: W is se n sc h a ft und
P raxis in K irche und G ese llsc h a ft 6 (1 979) 98-117; Ch. K ing sley B arret, Das
J o h a n n e s e v a n g e liu m (M eyers k ritisc h -e x e g e tisc h e r K o m m en tar üb er das N eue
T estam en t), G ö ttin g e n 1990; J. G n ilk a, T h e o lo g ie des N eu en T estam en ts,
F reibu rg i.Br. 1994; Fr. C ourth, G ott - M ensch - Welt. Was sagt c h ristlic h e r
S c h ö p fu n g s g la u b e ? L eitfaden zur S ch ö p fu n g s le h re, St. O ttilien 1996.
3 E b d a ., 20.
4 L. G o p p elt, T h e o l o g ie des N e u e n T e sta m e n ts I, 125.
Autonomiegedanken entgegensteht. Ihm gegenüber muß gesagt wer
den: „Biblisches Ethos wie christliche Ethik sind theonom“5. Die
dem Menschen verbleibende Freiheit ist Ausdruck einer relativen
Autonomie, die zusammen mit der Bindung an den Schöpfer besteht.
Dieses Ethos ist kein Produkt oder Konstrukt des Menschen, auch
wenn es vom Menschen und seinem Denken als ihm gemäß ange
nommen wird oder verworfen werden kann. Christliche Ethik ist
nicht nur vom Ursprung her theonom, sondern auch vom Ziel her:
Das Ziel des Ethos ist, die Ehre Gottes zu fördern: „Auf daß die
Menschen eure guten Werke sehen und den Vater im Himmel prei
sen“ (Mt 5,16).
An der unversehrten Schöpfung des Ursprungs und vom kom
menden Gottesreich her werden aber auch die Mängel und Nöte der
Schöpfung sichtbar, die Jesus in seiner Predigt nicht verschweigt, so
wenn er sagt, daß „jeder Tag genug hat an seiner Bosheit“ (Mt 6,34).
In den eschatologischen Ausblicken seiner Verkündigung weist er auf
die ansteigenden Nöte der Endzeit hin (Mk 13,1-13), die jetzt schon
anheben. Bedeutsam aber ist nicht nur der damit verbundene Blick
auf die Vollendung der Schöpfung (Mt 25,31-40), sondern auch die
Tatsache, daß Jesus den N öten der Schöpfung durch seine
Dämonenaustreibungen und Heilwunder entgegenwirkt, so die voll
kommene Erlösung der Schöpfung andeutend (Mt 8-9). Dieser
ethisch-heilshafte Zug der synoptischen Schöpfungsauffassung wird
bei Lukas durch ein heilsgeschichtliches Moment verstärkt, das die
Linie des Alten Testamentes weiterführt.
2) Die geschichtstheologische Ausrichtung bei Lukas
Das heilsgeschichtliche Moment klingt bei Lukas schon im
Stammbaum Jesu an, in dem er das Weltwirken Gottes mit der uni
versalen Menschheitsgeschichte in Verbindung bringt6. Von Jesus
ausgehend, führt Lukas die Ahnenreihe (in ungewöhnlicher Weise)
bis auf Adam zurück und läßt diesen als „Sohn“ von Gott abstammen
(Lk 3,23-38). Damit ist der Gedanke nahegebracht, daß die ganze
M enschheit auf Gott zurückgeht, aber in Jesus ihren Gipfel erreicht.
7 R. S c h n a c k e n b u r g , Das J o h a n n e s e v a n g e l iu m I, 2 1 4 f f .
8 K. H. S ch elk le, T h e o lo g ie des N e u e n T estam en ts I, 51.
9 E b d a., 52.
für andere“; denn ein Mensch vermag nicht in der Präexistenz des
Schöpfungsmittlers beim Vater aufzutreten.
Die Bedeutung dieser Aussagen über den kosmischen Christus
für die Schöpfung hat die Exegese verhältnismäßig wenig herausge
arbeitet. Auch für Paulus gilt der Satz: „Jesus ist ... der M ittler der
Schöpfung“. Dabei liegt auch schon der soteriologische Gedanke
nahe, daß die in Christus erfolgte Offenbarung neue Schöpfung ist10.
„Christus übt in Schöpfung und Erlösung seine mittierische Funktion
aus“ ". Paulus kennt auch die johanneische Glaubensauffassung von
der Schöpfung durch den Logos, so wenigstens in der ihm naheste
henden Tradition des Hebräerbriefes (so Hebr 1,2f.). Aber in der
Mehrzahl der Fälle spricht er von der Schöpfung in Christus. Dieser
Christus aber ist der auferstandene und der erhöhte Herr, der Kyrios,
dem die Herrschaft über die Welt- und Schöpfungsmächte zukommt.
Diese Herrschaft hat er sozusagen nach Tod und Auferstehung und
Erhöhung aufs neue und herrlicher zurückerhalten, weil sie ihm
ursprünglich, in der Präexistenz, schon gebührte. Es ist eine kosmi
sche Christologie und eine christologische Kosmologie.
Was sie aussagen und bedeuten will, kommt u.a. an der Stelle
1 Kor 8,6 zum Vorschein, die in ihrer prägnanten Art schon einer
dogmatischen Bekenntnisformel nahekommt, die später für die
Gestaltung des Credo maßgeblich w urde'2. Es heißt hier: „Wir haben
nur einen Gott, den Vater, von dem alles geschaffen ist und für den
wir sind, und einen Herrn Jesus Christus, durch welchen alles ist und
durch den wir sind“ („Nobis tarnen unus est Deus, Pater, ex quo
omnia, et nos in illum; et unus Dominus Jesus Christus, per quem
omnia, et nos per ipsum“). Das Charakteristische dieser formelhaften
Aussage liegt in dem Umstand, daß hier sowohl der Vater als auch
der Sohn in einer Schöpferfunktion auftreten. Damit ist zunächst die
Unterscheidungslinie zum starren M onotheismus des Judentums
auch in der Schöpfungslehre gezogen. Die gesamte Schöpfungs
wirklichkeit, die in dem Ausdruck „alles“ gemeint ist, wird hier auf
den Vater und den Sohn gemeinsam zurückgeführt.
§6 :
Die Entfaltung der O ffenbarungswahrheit zum Dogma der Kirche
L it e r a tu r : K. J. v. H e fe le - H. L e c le r c q , H is t o ir e des c o n c il e s d ’a p re s les
d o c u m en ts o rig inau x, t. I - IX, Paris 1907ff.; Y. C o u rto n n e , Saint B asile et l ’helle-
nism e. E tüd e sur la ren co n tre de la p en se e c h re tie n n e avec la sagesse an tiqu e dans
l ’H ex aem ero n de B asile le G ran d, Paris 1934; J. A. Möhler, G e sa m m e lte S chriften
un d A u f s ä t z e II (h rsg . von J. D ö lli n g e r ) R e g e n s b u r g 1940; J. de G h e lli n k , Le
m o u v e m e n t th e o l o g iq u e du X l l e sie c le , B r ü g g e 21948; E. B ru n n e r, D ie c h r i s t
lich e L e h re von d e r S c h ö p f u n g . D o g m a t i k II, Z ü r ic h 1 950; H. Jo n a s , G n o sis
und s p ä t a n t i k e r G e ist, G ö tti n g e n I 21954; 11,1, 1954; M. G r a b m a n n , D ie G e
s c h i c h te d er s c h o l a s t i s c h e n M e t h o d e , 2 B d .e , B e r li n 1956 (N a c h d r u c k ) ;
H. S c h lie r, K e r y g m a u n d S o p h ia . Z u r n e u t e s t a m e n t l i c h e n G r u n d l e g u n g des
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S c h ö p f u n g s l e h r e n a c h Ja k o b v on M e t z O.P. E in e v e rg l e ic h e n d e U n t e r s u c h u n g
zu S e n te n z e n k o m m e n t a r e n aus der D o m in i k a n e r sch u le um 1300 (E rf u rte r t h e o
log isch e Stu dien , hrsg. von E. K le in e id a m und H. S ch ü rm an n , 20), L e ipzig 1966;
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Th. H a e c k e r, h rsg . von J. A rtz: A u s g e w ä h l te W W V III), M a in z 1969; P. Z e m p ,
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p l o t i n i e n n e et tr in ite c h r e t ie n n e , P aris 1992; H. R. D ro b n e r, L e h r b u c h d e r
P a tr o lo g i e , F re i b u r g 1994; K. R u h , M e i s te r E c k h a rt. T h e o lo g e . P re d ig e r.
M ystiker, M ü n c h e n 21989; W. B ra n d m ü lle r, G alilei und die K irche . Ein Fall un d
seine L ö su n g , A a c h e n 21992; W. B eierw altes, S cotus E riu gen a. G ru n d z ü g e seines
D en ke ns, F ra n k f u rt a. M. 1994.
Die in der biblischen Offenbarungs- und Heilsgeschichte grund
gelegten Schöpfungsdaten erfahren ihre Weiterentwicklung in der
Geschichte der Kirche. In ihr erfährt die Heilsgeschichte ihre
Fortsetzung, wenn auch nicht mehr unter Bekräftigung und
A usw eisung durch das göttliche O ffenbarungs wort. Aber das
Offenbarungs wort geht weiter in der Form der lebendigen Überliefe
rung, d.h. in der Form des Bleibens und zugleich der Entfaltung im
Glaubensverständnis wie im Glaubensdenken (das zur Lehre und
Theologie führt). Diese Entfaltung geschieht vornehmlich auf dem
Feld der Dogmengeschichte, welche „die Reihe der Entfaltungen des
von Christo der M enschheit mitgeteilten Licht- und Lebensprinzips“ 1
zum Inhalt hat. Sie ist in den umfassenden Zusammenhang der
Theologiegeschichte eingefügt, welche alle theologischen Ideen,
Disziplinen, Probleme und Methoden umfaßt. Zwischen beiden gibt
es mannigfache Wechselwirkungen, wobei der Dogmengeschichte
aber die zusammenhängende Darstellung der Entwicklung des inner
sten Glaubensbewußtseins und seiner Gestaltwerdung in Bekennt
8 D i d a c h e 10,3.
9 A p o l o g i e 1,1-3.
10 D ia lo g m it T ry p h o n 56,4 ; A p o l o g i e 1,13.
11 Orat. ad G r a e c o s IV,3 - V,7.
12 Ad A u t o l y c u m 11,4.
nen“ 13. Die Führungsrolle kirehlicherseits in dieser Auseinanderset
zung übernahm Irenäus v. Lyon (+ um 202), der unter Absetzung von
der Philosophie eine entschiedene Hinwendung zur biblisch-heilsge-
schichtlichen Schöpfungsauffassung vollzog. Der Bischof v. Lyon
faßt das Schöpfungsgeschehen nicht nur trinitarisch („der eine Gott,
der durch sein Wort und die Weisheit alles gemacht und geordnet
hat“ 14), sondern unterwirft es einem einheitlichen Plan, in dem die
Erlösung durch den präexistenten menschgewordenen Sohn vor aller
Zeitlichkeit und Geschichte der Welt beschlossen und das eigentliche
Ziel der Schöpfung w ar15. So wird die Schöpfung als Geschichte ge
dacht, die ihr Ziel in der Erscheinung des Erlösers hat, welcher zu
gleich auch der Schöpfer ist. Der heilsgeschichtliche Entwicklungs
gedanke verbindet die Schöpfung zugleich mit der Kirche, den
Sakramenten und den Letzten Dingen in der Kraft Jesu Christi, „der
durch die ganze Heilsordnung hindurchging und alles in sich selbst
zusammenfaßte“ 16.
Während Irenäus (ähnlich wie Hippolyt [+ nach 235]) und
Tertullian (+ um 220) gegen die gnostischen Spekulationen heilsge
schichtlich (wenn auch mit unterschiedlicher Intensität) argumentie
ren, versuchen die Vertreter der alexandrinischen Schule, welche auf
die Entstehung der ersten christlichen Theologie maßgeblichen
Einfluß nahm, der Gnosis unter Einbeziehung der philonisch-plato-
nischen und stoischen Philosophie zu begegnen und eine „christliche
Gnosis“ zu begründen. Bei Klemens v. Alexandrien (+ vor 215)
kommt es daraufhin aufgrund der allegorischen Schriftinterpretation
zu einer Spiritualisierung der Schöpfungs- und Paradiesesgeschichte
zugunsten der phiionischen Lehre von der Simultanschöpfung17 und
ebenso zur Übernahme der Unterscheidung zwischen einer intelli-
giblen Schöpfung (der Ideenwelt) und der materiell-sinnenfälligen
Schöpfung18. Dies führt bei Origenes (+ um 254) zu der wider
sprüchlichen Annahme, daß die materielle Welt erst nach einem vor
31 J. H. N e w m a n , Ü b e r die E n tw ic k lu n g d er G l a u b e n s l e h r e , 35 -41.
32 De div. no m . IV, 1 -3.
Tendenzen fernzuhalten sucht, ist wohl nicht zu verkennen, daß der
biblisch-geschichtliche Schöpfungsrealismus vom neuplatonischen
Idealismus überformt wird.
In n och e n ts c h ie d e n e r e r Weise brachte der im F rü h m itte la lte r einsam d a s t e
hende Jo h an n es Scotus E riu g en a (+ um 877) die n e u p la to n is c h e Id ee vom
W eltpro zeß, der von G o tt au sg eh t und w ied er in seinen U rsp ru n g z u rü c k m ü n d e t,
zur G eltu ng . U n ter g änzlich n eu er In terp reta tio n der „creatio ex n ih i lo “ v ersteh t
er das N ichts als ein in G ott selb st ang ele g tes M o m e n t in dem Sinne, daß G o tt
sich selb st in sein er U n e n d lic h k e it nich t vo llk o m m e n erfaßt und so sich selb st
u n b e stim m t ble iben muß. D ieses in G ott vorfindliche N ich ts ein w ird dann als
das eig en tlich e Motiv der S ch ö p fu n g s ta t ausgeg eben , w ä h ren d die bis h erig e
T rad itio n dies in der G üte und L ieb e G ottes gelege n sah. Die S c h ö p fu n g w ird
d a rau fh in in ein e r sch e in b a re n E rh ö h u n g ihrer W ü rde und B e d e u tu n g als
S e lb s to ffen b a ru n g G ottes und als fö rm lic h e T h eo p h an ie erklärt, die im Sinne der
n e u te s ta m e n tlic h e n „d o x a “ (der a ltte s ta m e n tlic h e n „ k a b o d “ ) zu einer g n a d e n h a f
ten a n sch e in b a ren A n w e se n h e it G o ttes in der K rea tu r und zur V ergöttlichung der
G esch ö p fe fü h r t33.
K o n s e q u e n te r w e i s e k o m m t es in d ie s e m S y stem zu e in e r R e ih e von
U m d e u tu n g e n der b ib lis c h -p a tr istis e h e n Ü b erlieferun g: zur E n tw e rtu n g der M a
terie in der A b k u n ft des G esc h le c h tlic h e n aus der Sünde, zu einer A b sc h w ä c h u n g
des B ö se n in einer au f H a rm o n ie und au f A p o kata stasis (im Sinne G reg ors
v. N y ssa) a u s g eric h teten Welt. E riug ena , der in seiner d e n k e risc h e n D y nam ik die
O ffen b aru n g fak tisch m it der V ernunft g leichsetzt, erk enn t die S c h ö p fu n g nicht
als M y s teriu m und e n tw ic k e lt eine rein p h ilo so p h isc h -n e u p la to n isc h e S c h ö p
fun gsleh re. N ich t zu U n recht hat m a n h ier den „ n e u z eitlich en G ed an k en vom
sich selbst sc haffe nd en G o tt“ v o rg eb ild et g e fu n d e n 34. D ie K irch e hat au f dem
P ro v in z ia lk o n z il von Paris das H au p tw e rk E riu gen as veru rteilt, was von P ap st
H on orius III. i.J. 1225 b e stä tig t w u rd e 35.
Obgleich die neuplatonischen Systemgedanken als Anregungen
auch von der Nachwelt aufgenommen und positiv verwandt wurden,
ging die frühscholastische Entwicklung doch andere Wege, die von
einander nicht unbeträchtlich abweichen. So entwickelte sich in der
Schule von Chartres eine Interpretation des Sechstagewerkes, die den
Schöpfungsbericht mit Hilfe des zeitgenössischen Naturwissens und
der platonischen (wie auch neupythagoreischen) Philosophie (unter
2) Scholastische Systembildungen
Mit der Übernahme des aristotelischen W issenschaftsideals (un
ter Beibehaltung des augustinischen Platonismus) gelang der Hoch
scholastik eine Synthese der traditionellen Schöpfungsgedanken, in
der sich Glaube und Wissen, Im m anentism us (der Gott-Welt-
Verbindung) und Transzendentalismus (der Gott-Welt-Unterschei-
dung), Augustinismus und Aristotelismus zusammenfanden, wofür
Alexander v. Haies (+ 1245) in der „Summa Alexandri“42 das erste
imponierende Beispiel bot. Während bei ihm aber die augustinische
Tradition noch überwiegt, gibt Thomas v. Aquin (+ 1274) einem kri
tischen Aristotelismus den Vorzug, was sich u.a. schon daran zeigt,
daß er die „creatio ex nihilo“ (gegen Albert und Bonaventura) auch
als eine Vernunftwahrheit betrachtet43.
A u f den a risto telisc h e n G ru n d la g e n der A k t-P o te n z -L e h re und der K a u s a l
lehre, die er je d o c h mit n euem G eist erfüllt, e n tfaltet er den S c h ö p fu n g s g e d a n
ken aus dem G o tte s b e g rif f des ipsum esse und des ens a se, w obei G o tt als die
A llu rsa ch e (W irk-, E xe m plar- und Z ie lu rsa c h e ) erk an n t ist, der allein eine
64 Sent. II d. 1 c. 12 u. 16.
65 E n th a lt e n im G l a u b e n s b e k e n n t n i s des K ais ers M i c h a e l P aläo log u s.
66 Be i der E n ts c h e i d u n g d er F ra g e n ach d er a u t h e n t i s c h e n L e h re E c k h a rt s ist d es sen
m y s t i s c h e und d i a l e k t i s c h e S p re c h w e i s e zu b e a c h t e n , so d aß bei B e rü c k s i c h t i g u n g des
G e s a m t z u s a m m e n h a n g s se in er A u s s a g e n eine r e c h t g l ä u b i g e D e u t u n g m ö g l i c h ist; vgl. dazu
K. R u h, M e iste r E c k h a rt 190ff.
Vatikanum (1869/1870) einen relativ umfangreichen Ausdruck fand.
Als Heilmittel gegen die durch den modernen Rationalismus und
Naturalismus heraufbeschworene Krise gedacht, wollte sich das
Konzil auch mit den G rundfragen der O ffenbarung wie des
Gottesglaubens befassen, wozu auch die in der Zeitphilosophie viel
fach entstellte Schöpfungswahrheit gehörte. So faßte das Konzil in
der „Constitutio dogmatica de fide catholica“ über Schöpfung und
Vorsehung (unter A nhalt an den Entscheidungen des Vierten
Laterankonzils) die geltende Lehre bündig zusammen (DH 3001)
und verurteilte in den angefügten Canones (DH 3021-3025) die
Irrlehren des Atheismus, des Pantheismus und des Materialismus
neben zwei in der katholischen Theologie selbst aufgekommenen
Irrtümern bezüglich des Zwecks und der Freiheit der Schöpfung
(DH 3025 gegen Güntherianer und Hermesianer). So wurden in prä
zisen Formulierungen die Grundlagen des in der Tradition gereiften
katholischen Schöpfungsglaubens ins Licht gehoben: der allmächti
ge, von der Welt unterschiedene schöpferische Gott, der aus dem
inneren Motiv seiner Güte und in vollkommener Freiheit die Welt zu
sammen mit der Zeit ins Dasein setzt zum Zwecke der Offenbarung
seiner H errlichkeit und zur B eseligung der G eschöpfe durch
Mitteilung seiner Güte und der das All mit seiner Vorsehung schützt
und lenkt (DH 3001-3003). Die Wirkungsgeschichte dieser D efini
tion, obgleich sie wiederum ohne den heilsgeschichtlichen Bezug
auskam, war so nachhaltig, daß sie nahezu ein Jahrhundert lang die
Arbeit der systematischen Theologie bestimmte.
5) Neue Akzentsetzungen des Zweiten Vatikanums
Entsprechend seiner pastoralen Grundausrichtung hat das Zweite
Vatikanum keine dogmatische Lehre von der Schöpfung entwickelt,
sondern (unter gelegentlicher Zitierung des Ersten Vatikanums67)
vornehmlich die praktischen Konsequenzen des Schöpfungsglaubens
für das Weltverhältnis und das Selbstverständnis des Christen inner
halb der geschaffenen Welt gezogen. Dadurch entfernen sich die die
Schöpfung betreffenden Aussagen von einer kosmozentrischen und
spekulativen Perspektive und nehmen einen stark anthropozentri-
68 G a u d i u m et Spes, 22.
69 E bd a., 34.
70 E bd a., 42.
Kapitel III:
Die göttliche Schöpfung im dogmatischen Aspekt
§ 7:
14 B arn ab . 16,8.
15 Adv. Haer. IV, 20,1.
16 Vgl. L. S ch effc zy k , S c h ö p f u n g un d V o rsehu ng , 44.
17 Adv. Haer. III, 24,2; IV, 20,1.
18 D e S p iritu S an cto 16,38.
gehen und d urch den H e ilig en G eist als die p e rs o n g e w o rd e n e G üte v o lle n d e t
w erden; den n der Vater sprach das „Es w e rd e “ , das daraus E n tsta n d e n e ist d urch
das W ort (den Sohn) gew orden, und es ist nur aus G u th e it g ew orden. „U n ter d ie
ser G u th e it ist der H eilige G eist zu v e rs te h e n “ '1'. So erfolgt die g änzlich e in h e i t
liche au ß erg ö ttlich e W irk sam k e it in der S c hö pfun g doch in der O rd n u n g der
in n e r g ö ttlic h -trin ita risc h e n H e rvo rg äng e. D iese Ü b e rz e u g u n g setzt A u g u stin u s
(m it der g anzen Patristik ) in stan d, in der S c h öp fu ng nach trin itarisch en S pu ren
oder A b b ild ern zu suchen. A u g u stin u s find et sie vor allem in d er m e ta p h y sisc h e n
S icht der D in g e (E inheit, W ahrheit, Güte) und im g eistig en Sein des M en sch en
(G edä chtn is, E in sicht, L ie b e )20.
Die Wahrheit von der trinitarischen Rückbindung des Schöp
fung saktes ging auch der Scholastik nicht verloren. In der Frühscho
lastik gewinnt sie einen beredten Anwalt in der trinitarischen Schöp
fungslehre des Rupert v. Deutz (+ 1135), für den die Schöpfung im
Vater entspringt, im Sohn ihren Sinngrund hat und im Heiligen Geist,
der Gen 1,2 präsent gedacht wird, ihre „formatio“ und „exornatio“
erfährt21. In der Hochscholastik verlieh Thomas v. Aquin (+ 1274) der
Wahrheit von der trinitarischen Schöpfung ihr volles Gewicht22. In
neuerer Zeit erfuhr sie u.a. von H. Schell (+ 1906)23, M. Schmaus
(+ 1993)24, J. Auer25, aber auch bei evangelischen Theologen26 die
gebührende Beachtung. Auch die N euscholastik räumte dieser
Wahrheit eine angemessene Stellung ein, auch wenn die Erklärung
nur auf dem Wege der Appropriation oder der Ähnlichkeit verlief27.
So wurde die Schöpfung als Werk der Allmacht dem Vater zugeord
net, als Werk der Weisheit dem Sohn angetragen und als Tat der
Liebe mit dem Heiligen Geiste in Verbindung gebracht.
3) Die Lehre der Kirche
Im Verfolg dieser ungebrochenen und langanhaltenden Tradition
kam das Lehramt der Kirche zu einer definitorischen Festlegung der
34 S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 19.
35 E b d a., 19.
36 E b d a., 37.
37 E b d a., 44.
zunächst die Frage stellen, ob im Begriff der „Selbstunterscheidung“
wirklich ein schöpferisches Moment angelegt gesehen werden kann
und ob der Begriff der göttlichen Schöpfung mit dem Begriff der
Unterscheidung getroffen ist. Es scheint, daß in diesem Konzept das
eigentliche Schöpfertum doch dem Vater Vorbehalten bleibt, während
der Sohn (in Gehorsam und Demut) nur zur Unterschiedenheit der
Weltendinge beiträgt, die er danach zusammen mit dem Geist wieder
zur Einheit „sammelt“. Eine solche Erklärung aber führt zu der w ei
teren Frage, ob Sohn und Geist bei der Schöpfung wirklich dasselbe
tun wie der Vater, oder ob sie nicht doch, wenn auch in höchster
Gemeinschaft, etwas anderes tun. Das aber würde dem Grundsatz
(bzw. dem Glaubenssatz) von der Einheit des göttlichen Wirkens aus
einem einzigen Prinzip nicht entsprechen, wobei es in der Tat um
eine numerische Einheit derselben Handlung geht, nicht um eine
moralische Einheit wie etwa beim gemeinschaftlichen Wirken dreier
menschlicher Subjekte an einer Sache. An diesem Punkte wird deut
lich, daß die Einheit des göttlichen Wirkens nach außen im geschöpf
lichen Bereich ohne Beispiel ist und daß sie etwas von der Geheim-
nishaftigkeit der göttlichen Wesenseinheit der drei Personen an sich
hat.
2) Die innertrinitarische Ordnung als Ausgangspunkt
Grundlage für ein Schöpfungs Verständnis, das unter Wahrung des
einzigen göttlichen Prinzips des Schöpfungsgeschehens doch eine
trinitarische Vermittlung sichtbar werden läßt, ist die Anerkennung
der Wahrheit, daß die Schöpfungstat mit dem dreipersonalen göttli
chen Lebensprozeß verbunden ist, so daß die Erschaffung in Ent
sprechung der innergöttlichen Hervorgänge und Beziehungen ge
schieht. Diese Überzeugung hat schon Augustinus in die Formel
gefaßt: „Vom Vater durch den Sohn im Heiligen Geist“38. Thomas
nimmt eine gewisse Erweiterung der Formel vor, wenn er unter
Heranziehung des Bildes vom Künstler, der mit Intellekt und Willen
schafft, feststellt, daß der „Vater die Kreatur geschaffen hat durch
sein Wort, welches der Sohn ist, und durch seine Liebe, die der
Heilige Geist ist“. Daraus folgert er: „Deshalb sind die Hervorgänge
der Personen der Grund für die Erschaffung der Kreaturen“39. Dies
besagt, daß in der Schöpfung die personalen Hervorgänge mit be
stimmend und mit am Werke sind. Der Aquinate führt diesen Grund
satz noch weiter aus, indem er den Grund für dieses Erschaffen nach
der Ordnung der Hervorgänge benennt. Er liegt darin, daß der Vater
die virtus creandi nicht von einem anderen, sondern im ursprungslo
sen Selbstbesitz zu eigen hat, der Sohn sie vom Vater und der Heilige
Geist sie von beiden empfängt. So erfolgt das gemeinsame Schöp
fungshandeln auf der Basis der gegenseitigen Beziehung der Per
sonen.
Das haben Thomas und viele in seiner Nachfolge begrifflich
geklärt, sie haben es aber nicht mit Realität gefüllt, etwa durch die
diesbezüglichen Aussagen der Väter und der patristischen Tradition.
Die inhaltliche Ausfüllung dieser abstrakten Formeln wird deshalb
vor allem von den Schriftaussagen ausgehen müssen.
41 S.th. I q. 4 4 u n d 45.
42 V o rlesu n g en ü b e r die P h i l o s o p h i e der R e lig io n I (hrsg. vo n G. L a ss o n ) L e ip z ig 1925,
221.
alle s ü b e r g e b e n w ird , „dam it G o tt herrscht über alles und in allem “
(1 Kor 15,28).
44 E b d a ., 455; vgl. auch: D ers., C h r is tu s , das All und die K ir c h e , 29-33; vgl. a uch
Fr. L ang , D ie B r i e f e an die K orin ther, 1 lOf.
45 E b d a., 4 5 5 - 4 5 8 ; 45 9 - 4 6 1 ; vgl. h ier a u c h die E x eg ese zu H e b r 1,2 u nd Jo h 1,1-4.
46 Vgl. H. U. v. B a lth as ar, T h e o l o g ik II, 288.
den ist“ (Joh 1,3), auch als das Urbild der Schöpfung zu betrachten,
nach dem die Welt geformt und gestaltet ist.
D ie trad ition elle T h e o lo g ie hat den G e d a n k e n entw ic k e lt, daß G o tt die Welt
nach dem V o ran leu chten ein er Idee g e sc h a ffe n hat, in der die E in z e lid e e n der
D in ge e in g e s c h lo ss e n w aren. Sie hat diese n G ed an k en u nter V erw end un g der
A u ssa g e n des A lten T e stam en ts üb er die W eisheit G ottes, die an der S chö pfun g
b ete ilig t war (nach S pr 3 ,1 9 ff.; 8,27; W eish 7,21; Ps 104), als w ichtig erachtet,
um d a rzu tun , daß die S c h ö p fu n g kein n o tw e n d ig e s und irration ales G esch eh en
eines b lin d en D em iu rg en ist, son d ern daß sie ein em g eistigen , w eish eitsv o llen
G e d a n k en G ottes en tsp ring t. D araus hat sie dann auch die In tellig ib ilität, die
S c h ö n h e it und O rd nu ng des K osm o s abg ele itet. Von d iesem G ed an k en h er w urde
„ S c h ö p fu n g “ auch ein „ d o x o lo g is c h e r“ B egriff, d.h. eine W ahrheit, die zur
F reud e am S eie n d en und an G o tt b eflüg elt, so be so n d ers in den N a tu rp s alm e n
und in der L iturgie. A b e r sie tat das w en ig e r m it dem H inw eis darauf, daß diese
Id ee k o n k re t und real der L o go s des Vaters se lbst ist47.
Aus dem „Auf-ihn-hin“ (eis auton: Kol 1,16; 1 Kor 8,6) läßt
sich auch die Zielursächlichkeit Christi ableiten. Exemplar- und
Ziel-ursächlichkeit sind voneinander nicht zu trennen. So stand der
menschgewordene Sohn auch als das Ziel und als die höchstmögliche
Verherrlichung Gottes vor den Augen des Schöpfers. Das ist der
irenäische Gedanke, daß der zur Menschwerdung bestimmte Logos
der Urgedanke des Vaters war, der damit auch die Summa creaturae
bildet, auf die hin alle anderen Geschöpfe ausgerichtet sind und in
der sie ihr Sinnziel besitzen.
Diese Bestim m ungen, die aus der Schöpfungsm ittlerschaft
Christi als Urbild und Ziel der Welt abgeleitet werden können, finden
ihre nochmalige Bestätigung in der Kennzeichnung Christi als des
Alphas und des Omegas der Schöpfung, insofern der Apokalyptiker
alle Gottesprädikate auch auf Christus anwendet (Offb 1,8; 22,3). Als
das A und O faßt Christus das ganze Alphabet der Wirklichkeit
zusammen und ist für sie sowohl Ursprung als auch Ziel. Für die
Stellung des Menschen in der Schöpfung ist dies von wesentlicher
Bedeutung.
Die christologische Begründung des Schöpfungsgedankens ist
gegenwärtig auch ein erklärtes Anliegen evangelischer Theologen48,
56 J. M o l t m a n n , G o tt in d er S c h ö p f u n g , 114.
57 Vgl. Bd. II, § 18, IV: G e s c h ö p f l i c h e A b b ild e r der Trinität.
58 So J. Auer, K K D III, 88.
das sich von der patristisch-augustinischen Tradition über Thomas,
Bonaventura, Nikolaus v. Kues bis zur Gegenwart hinzieht (und auch
bei Luther angelegt ist59), beweist ein tiefreichendes Interesse des
gläubigen Denkens, den trinitarischen Bezug der Schöpfung als die
Wirklichkeit betreffend zu erweisen. Deshalb nimmt Thomas keinen
Anstand, den Satz Augustins zu wiederholen, „quod Trinitatis vesti-
gium in creatura apparet“60.
Der Sinn dieses Grundsatzes ist dahingehend einzugrenzen, daß
bei Verwendung geschöpflicher Trinitätsanalogien deren grundsätzli
che Inkongruenz zugegeben werden muß. Zunächst besitzen die aus
Natur, aus Kultur und Religion gefundenen Bilder nicht alle die glei
che Aussagekraft (am höchsten stehen die Analogien aus dem
menschlichen, sich auf Gott ausstreckenden Geistesleben), zum
anderen eignet ihnen keine eigentliche Beweiskraft. Sie entstammen
nämlich einem bereits gewonnenen Trinitätsglauben, der sich ver
mittels solcher Analogien das Geheimnis denkerisch näherzubringen
und ihm eine gewisse W ahrscheinlichkeit abzugewinnen sucht. Doch
sind diese Versuche nicht als müßig zu betrachten; denn zumal in
einer Zeit des Empirismus und Positivismus, in der die Schöpfungs
dinge nur noch in ihrer Vereinzelung und ihrer sinnenhaften
Gegebenheit aufgenommen werden, erschließen diese Bilder die tie
fere W irklichkeit der Dinge, die auf das Göttliche selbst verweist
(auf ihre Logizität und ihre Geistbestimmtheit), ohne dieses direkt
erreichen zu können. Aber schon das Streben danach und die Aus
richtung darauf besitzen eine heuristische Funktion auf dem Weg
zum Verstehen der Gottinnigkeit der Welt und der Weltinnigkeit
Gottes.
§8 :
Die Souveränität des göttlichen Schöpferhandelns
in der „creatio ex nihilo“
L iteratur: K. B arth, D ie ch ristlic he D o g m a tik III/3: Die L eh re von der
S c h ö p f u n g , Z ü ric h 1950; H. M ey er, A b e n d lä n d is c h e W e lt a n s c h a u u n g IV,
P ad erb o rn 1950; H. H em p el, D er M en sch in se in er G eg en w art. A cht histo risc h e
I. Zur Begriffsgeschichte3
l)D ie Nähe zum biblischen Denken
Daß das lateinische Begriffssymbol als solches in den Texten der
biblischen Urgeschichte nicht vorkommt, ist wegen seiner philoso
phischen Fassung nicht verwunderlich. Aber die Darstellung des
Schöpfungsgeschehens durch die Priesterschrift läßt doch die Eigen
art des Handelns des Schöpfergottes erkennen, das analogielos ist.
Die Mühelosigkeit dieses göttlichen Tuns, verbunden mit der allein
dem Schöpfer eignenden Voraussetzungslosigkeit des Bewirkens
(gekennzeichnet durch das Jahwe allein zugeeignete Verbum bara:
Gen 1,1; Jes 40,28; 45,18; Ps 89,13 u.ö.), das Herausrufen der Dinge
in der Macht des befehlenden Wortes, das (trotz des religionsge
schichtlichen Hintergrundes der Vorstellung von der „Wortschöp
fung“4) im Munde des Schöpfers eine unverwechselbare Eigenheit
beweist: das alles sind Momente, welche das Urteil möglich erschei
nen lassen: „Es wäre falsch zu sagen, der Gedanke der creatio ex
nihilo läge überhaupt nicht vor“5. Die in dem Ausdruck enthaltene
Erkenntnis von der radikalen Unabhängigkeit der Souveränität und
unbegrenzten Freiheit Gottes im Schöpfungshandeln ist hier jeden
falls der Sache nach vorhanden.
In d ieser H in sic h t schein t so gar der erste w irk lich e G eb rau ch der F orm el im
z w eite n M a k k a b ä e rb u c h 7,28 h inte r d em G e h a lt der A u ssag en in Gen 1,1-2,4a
z u rü c k z u b le ib e n ; denn der h ier ve rw a nd te A u sd ru ck , „daß G ott dies n ich t aus
D ing en g em ac ht hat, die sch on da w a re n “ , b esagt, genau g en o m m en , nur den
2 So Chr. L in k, S c h ö p f u n g , 38.
3 H W P h VI II, 1 38 9 -1 4 1 4 (R .A lbertz - J. K ö h l e r - F. B. S t a m m k ö tte r) ; vgl. auch
R. H ü n t e l m a n n , S c h e llin g s P h i l o s o p h i e d er S c h ö p f u n g , 19-22.
4 D ie W o r t s c h ö p f u n g k a n n zwar, für sich g e n o m m e n , den G e g e n s a tz zu m M y th o s n ich t
b e w e is e n , ab er sie gib t d ies e B e s o n d e r h e i t d o ch im g a n z e n Z u s a m m e n h a n g , vor allem
u n t e r B e r ü c k s i c h t i g u n g des d o m i n i e r e n d e n G o t t e s b i l d e s her; vg l. W. P a n n e n b e r g ,
S y s t e m a t i s c h e T h e o lo g ie II, 27.
5 G. v. R a d , D as er ste B u c h M o s e , 39. D i e s e A u s k u n f t ist b e f r i e d i g e n d e r als
CI. W e s te rm a n n s A n n a h m e : „Die F ra g e, ob c r eatio ex nih ilo o d er ni cht, ist dem Text n ich t
g e m ä ß “ : G en es is I, 150.
ab so lu ten U rsp ru n g der Welt, die z uv or nicht existierte. A llerd in g s kann d iese
A u ssag e auch nich t m it der p lato n is c h e n V orstellung von ein e m F o rm en der
D ing e aus ein em gestaltlo sen S toff verb u n d en w erden. Sie m uß als B e k räftig u n g
des a n a lo g ielo s en U rsp ru ngs der S c h öp fun g d urch den S c h ö p fe r in G e ltu n g
b e la s s e n w e rd e n . D a g e g e n z e ig t die F o rm u li e ru n g W eish 11,17 v on d er
S ch ö p fu n g „ex m a teria in v isa“ deu tlich n eu p lato n isch es G e prä ge, das sich s p ä
ter auch no ch bei A th e n a g o ra s 6 und Ju stin (+ 165)7 findet. A n ders ist bei der
A u ssag e des R ö m e rb rie fe s ü ber den „G ott, der die Toten leb en d ig m a ch t und das,
was nich t ist, ins D a se in ru f t“ (R öm 4,17) schon der E in flu ß des G ed an k en s
einer „creatio ex n ih i lo “ a n z u n e h m e n 8, was sich ä hnlich bei H eb r 11,3 n a h e le g t9.
So kan n m an der F orm el von der creatio ex nihilo eine g ew isse N ähe zum b ib l i
schen D en k e n nich t absprechen.
6 S u pp lic. 22,2.
7 A p ol. I, 10, 2.
8 H. S chlier, D e r R ö m e r b r ie f, 132.
9 G. Ma y, S c h ö p f u n g aus dem N ichts , 27, h eb t h ervor, daß diese aus der h e l l e n i s t i s c h
j ü d i s c h e n T h e o l o g ie k o m m e n d e n F o r m u l i e r u n g e n n ich t die S c h ö p f u n g aus N ich ts „im
s t r e n g e n S i n n e “ a u s d r ü c k e n w o l l e n . A b e r n a c h ih m „ s c h e i n t v o m j ü d i s c h e n
S c h ö p f u n g s g l a u b e n ein fast s e l b s t v e r s t ä n d l i c h e r S ch ritt zu r F o r m u l i e r u n g des G e d a n k e n s
von d er c reatio ex nih ilo zu f ü h r e n “ : 23; zu m Ver fe hlen des B e g riffs in d er id e a l i s t i s c h e n
P h i l o s o p h i e vgl. R. H ü n te lm a n n , S c h e llin g s P h ilo so p h ie der S c h ö p f u n g , 237-25 3 .
10 M a n d. 1,1.
11 Orat. V,3.
erscheinen, konnte dem langsamen Vordringen des Begriffes der
„creatio ex nihilo“ dienen.
D ag e g e n re d e t T h e o p h ilu s v. A n tio c h ie n in d em ältesten K o m m e n ta r zur b i b
lischen S ch ö p fu n g s g e sc h ic h te (nach 180) in schon g e fe s tig te r T erm in olo gie von
der „ S c h ö p fu n g aus dem N ic h ts “ . Er führt dabei auch die W e ltb ild u n g sle h re n der
Stoiker, E p ik u rs und P lato ns an, b e k ä m p f t ab er vor allem die A u ffassu n g der
P la to n ik e r mit d em A rg u m en t, daß bei A n n a h m e ein er un g ew o rd en en M aterie
G ott n ic h t m e h r als S ch ö p fer des Alls g e d ach t w erden k ö n n t e 12. D am it verbin det
er auch schon den G ed ank en, daß der alleinig e G ru n d der S ch ö p fu n g im s o u v e
rän en gö ttlic hen W illen g elegen i s t 13.
12 A d A u t o l y c u m 11,4.
13 E b d a ., 11,4.
14 Adv. Haer. 11,10,4.
15 De princ. II, 1,4.
16 Con f. X I , 5.
3) Die Übernahme in die kirchliche Lehrverkündigung
Die Bedeutung der Formel konnte von der kirchlichen Lehrver
kündigung nicht übersehen werden. So fand sie i.J. 447 Eingang in
einen Brief Leos I. (+ 461) an den spanischen Bischof Turibius
v. Astorga in Sachen des dualistischen Priszillianismus, in dem es
heißt: „Außer dieser einen wesensgleichen Dreifaltigkeit aber gibt es
überhaupt nichts unter den Geschöpfen, was nicht an seinem Anfang
aus nichts geschaffen wurde“ (DH 285). Die endgültige dogmatische
Festigung erfuhr die Formel auf dem Vierten Laterankonzil vom
Jahre 1215 in der Definition: „utramque de nihilo condidit crea-
turam “ (DH 800), die vom Ersten Vatikanischen Konzil übernommen
wurde (vgl. DH 3001). Danach wurde sie in geringfügig veränderter
Form vom „Decretum pro Jacobitis“ des Konzils v. Florenz (1442)
aufgenommen, wo es von allen Geschöpfen heißt, daß „sie aus nichts
gemacht w urden“ („quia de nihilo factae sunt“ : DH 1333). Das
Zweite Vatikanum hat diese Kurzformel zwar nicht wörtlich ver
wandt, aber sie doch durch die Erwähnung der Erschaffung aller
Dinge „durch das Wort“ 17 sinngemäß wiedergegeben. Darum kann
der Gedanke von der „creatio ex nihilo“, wie gelegentlich gesagt
wird, nicht als ein Theologoumenon ausgegeben werden18, sondern
muß als Glaubensaussage anerkannt bleiben.
17 Dei Verbum , 3.
18 So R. H oeps, T h e o p h a n ie u nd S c h ö p f u n g s g r u n d , 166.
zugleich auch der heidnische Polytheismus mit seiner Vergöttlichung
der Welt getroffen. Mit dem Bekenntnis zur Erschaffung aus dem
Nichts war ebenso auch die Entgöttlichung der Welt vollzogen; denn
„die Götter weichen aus den Dingen, wenn Gott die reine Herrschaft
über die Dinge antritt“ 19.
So sagt die Formel nicht nur etwas über Gottes unvergleichliches
Selbstsein in seiner Macht, seiner Souveränität und seiner Herr-
scherlichkeit aus, sie bietet vielmehr auch dem Weltverhältnis Gottes
den angemessenen Ausdruck. Wenn die Welt in absoluter Souverä
nität aus dem Nichts ins Dasein gerufen ist, dann ist damit gesagt,
daß Gott den Grund und die Voraussetzung seines Schaffens allein in
sich selbst hat. Damit ist zugleich auch die Überzeugung ausgespro
chen, daß das Geschöpf sich in seinem ganzen Umfang der schöpfe
rischen Souveränität Gottes verdankt und von ihr abhängt, was kei
neswegs seinem Wesen Abbruch tut, sondern seine eigentliche
Würde hervorhebt.
F reilich w ird so z w ische n dem S c h ö p fe r und den G e sc h ö p fe n zu n äch st das
B e ste h e n ein er ab solu ten qualitativ en D istan z ane rka nn t, die nicht nur gegen j e
de S p ielart des P o ly th e is m u s, so ndern auch gegen den P a n th e ism u s und gegen
den m o d e rn e n E v o lu tio n ism u s (der nich t id en tisch ist m it ein er w iss en sch aftlic h
b e g rü n d eten E v o lu tio n sth e o rie ) g erichte t ist. D ie „ creatio ex n ih i lo “ schließt
j e d e n G ed an k e n d aran aus, daß die Welt selb st göttlich sein könnte, daß sie aus
G ott in F orm ein er E m a n a tio n h e rv o rg eg an g en sein od er daß G ott sich in sie h in
ein en tfa ltet h aben kö nn te. So verm ag d ie se r G ru n d sa tz das rech te G ott-W elt-
Verhältnis festzu le g en , das anders e n tw e d e r d urch die V erw eltlich un g G ottes
od er durch die V erg öttlichu ng der Welt und des M en sch en v erfeh lt w erden
müßte.
19 So H. H e m p e l, D er M e n s c h in se in er G e g e n w a rt , 157.
20 O. Weber, G r u n d l a g e n der D o g m a t i k I, 553.
Die so in der Formel enthaltene absolute Souveränität Gottes
über Welt und Menschen könnte freilich den Eindruck einer totalen
Nichtigkeit des Geschöpfes gegenüber einem solchen Schöpfer er
wecken. In der Mystik des Spätmittelalters wie in Luthers früher
Theologie finden sich Gedanken, welche das Nichts als eine den
Dingen selbst anhaftende Qualität verstehen lassen, die sie zur gänz
lichen Passivität und zur Unwirksamkeit gegenüber dem alleinwirk
samen Gott verurteilt21. Demgegenüber ist daran festzuhalten, daß
das „Nichts“ nur von Gott her den Anfang und Ursprung der Welt
dem Verständnis näherbringen, nicht aber das Sein der Geschöpfe als
nichtig erklären will, was eine nähere Interpretation unschwer zeigen
kann, die auf das Geschenk des Seins, das den Geschöpfen zuteil
wird, abhebt.
2) Die Einwände gegen die „Schöpfung aus dem Nichts“
Trotzdem wird diesem Grundbegriff vielfach Unzulänglichkeit
und W idersprüchlichkeit vorgehalten. Solche Einwände dürfen von
der Theologie nicht unbeachtet gelassen werden, weil sie Anlaß zur
Behebung von Mißverständnissen bieten und zur genaueren Bestim
mung des im Kern Gemeinten führen können. In früher Zeit formu
lierte der Epikureer Titus Lucretius Carus (+ um 55 v. Chr.) auf dem
Grunde einer materialistischen Weltschau die Forderung: „Erstlich
stehe für uns als die oberste Regel fest: Nichts wird je aus Nichts
erzeugt durch göttliche Schöpfung“22. Hier verbindet sich der antike
Atomismus (wenn auch widersprüchlich) mit dem Pathos der
menschlichen Freiheit, die eine göttliche Schöpfung als Aufhebung
des Eigenseins des Menschen empfinden zu müssen meint (ähnlich
wie in der Neuzeit bei Fr. Nietzsche zu sehen). Aber diese Auffas
sung widerspricht der „creatio ex nihilo“ , die ja gerade den souverä
nen göttlichen Ruf zum Sein ausdrücken will.
A n dere E in w ä n d e erw u c h se n sp äter aus der S c h w ie rig k e it der d e n k erisch en
E rfas su n g des B egriffes des „ N ic h ts “ wie aus dem a n g e b lic h e n W id ersp ru ch
gegen den G ru n d satz „ex n ih ilo n ih il fit“ . So v ers u c h te der k a ro lin g isc h e
T h eo lo g e F red e g isu s (+ 834) das N ic h ts nur als relatives nihil zu d eu ten und es
als u n sic h tb a re s S u b strat zu e r k l ä re n 23, w o du rch der G ed an k e von der ab so lu te n
S o u v erän ität G ottes a u fg eg eb en wurde.
28 D ie k i r c h l ic h e D o g m a t i k III/3, 327.
29 G o tt in der S c h ö p f u n g , 9 8-105.
30 So e r k lä rt T h o m a s v. A quin: „I d e m a u te m est nihil qu o d n u llu m e n s “ : S.th. I q.45 a. 1.
unzutreffend31; denn die „creatio ex nihilo“ behauptet ja gerade die
einzigartige Kausalität Gottes.
Positiv gewendet, besagt die Formel die Hervorbringung des
Geschaffenen nach seinem ganzen Sein, d.h. nach seinem Wesen und
seiner Existenz, durch die Schöpfermacht Gottes. Damit hängt zu
sammen, daß die creatio nicht als Entwicklung von einem zum ande
ren gedacht werden darf, ebenso nicht als Werden, als Veränderung
oder als Bewegung vom Nichts zum Sein32. Sie ist auf seiten Gottes
identisch mit Gottes vollkommener Aktualität, auf seiten des Men
schen besagt sie die Setzung einer realen Beziehung, die das Ge
schöpf in vollkommener Abhängigkeit von Gott existieren läßt33. Mit
einer solchen Abhängigkeit ist aber keine Distanzierung der Welt von
Gott gesetzt, wie sie Kritiker der „creatio ex nihilo“ immer wieder
unterstellen. Wohl bringt die Formel die Transzendenz Gottes zur
Welt deutlich zum Ausdruck gegen jeden Monismus, Emanatianis-
mus, Pantheismus und Evolutionismus. Aber sie behauptet keine
Trennung zwischen Gott und Welt. Sie besagt im Gegenteil (bei wei
terer Explikation des Gedankens) eine Erhaltung, ein Gehalten- und
Getragensein des Geschöpfes durch den Schöpfer, insofern das Ge
schöpf sich niemals selbst sein Sein gewähren kann.
Trotzdem haftet dem Grundsatz von der „creatio ex nihilo“ für
das anschauliche Denken etwas Undurchdringliches an. Sie sagt
etwas aus, das keine Entsprechung im menschlichen Vorstellen und
Erfahren hat. Annähernd ähnlich gelagerte Vorgänge wie künstleri
sches Schaffen, wie Gestalten, Hervorbringen oder Zeugen erweisen
sich bei näherem Hinblick nicht als wahre Entsprechungen. Es han
delt sich um ein analogieloses Setzen einer Ursprungsbeziehung, die
mit der Einzigartigkeit Gottes zusammenhängt und die deshalb
genausowenig anschaulich erfahrungsgemäß erfaßt werden kann wie
das Sein Gottes selbst.
Auch wenn das „Wie“ des Schöpfungsvorgangs unanschaulich
bleibt, wird doch die Schöpfung (als creatio ex nihilo) von der
31 So w ie d e r R. H o ep s , a.a .O ., 169.
32 D e s h a l b der w ich tig e G r u n d s a t z des T h o m a s v. A q u in , der besagt, daß G o tt „ohne
B e w e g u n g “ schafft: Q u ia qu od creatur, n on fit p e r m o t u m vel m u t a tio n e m : S.th. I q.45 a.3;
vgl. d a z u H.- E. H e n g s t e n b e r g , E v o lu tio n un d S c h ö p f u n g , 2 8 ff.
33 S.th. I q.45 a.2.
Theologie nicht als bloße Offenbarungswahrheit angesehen, sondern
auch als Vernunftwahrheit betrachtet, dies unter Berufung auf das
Erste Vatikanum. Dieses lehrte, „daß Gott, der Ursprung und das Ziel
aller Dinge, mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft aus
den geschaffenen Dingen erkannt werden kann“ (DH 3004). Damit ist
freilich die natürliche Erkennbarkeit der Schöpfung als solche nicht
definiert, sondern nur die Möglichkeit natürlicher Gotteserkenntnis
festgelegt. Deshalb läßt sich sagen, daß unter Voraussetzung der rech
ten Gottesvorstellung die Vernunft auch an den Schöpfungsgedanken
heranreichen kann, der aber seine Fülle und Gewißheit erst aus der
Offenbarung empfängt. Letztlich zeigt sich daran eine Verschränkung
zwischen dem Gottes- und dem Schöpfungsbegriff. Beides sind
Korrelate ein und derselben Wirklichkeit, die mit letzter Gewißheit
nur im Glauben erfaßt werden kann.
14 V o rlesung ü b er die P h i l o s o p h i e der R e lig io n , ed. G. L ass o n , L eip zig 1925, 200.
!5 Vgl. dazu A. Gläßer, K on vergenz. Die S tr u k t u r der W e l t s u m m e T eilh a rd s de C h a rd in ,
219.
16 S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie I, S tu ttg a rt 1956, 290ff.
insofern ja die Schöpfung eine Offenbarung göttlichen Lebens ist
und an diesem Anteil gibt. Aber er ist in einem speziellen Sinne
unzureichend, wenn man voraussetzt, daß das primäre Leben Gottes
nicht das auf die Schöpfung ausgerichtete Leben, sondern das inner-
trinitarische Leben ist, in dem Gott gänzlich erfüllt und in vollkom
mener Seligkeit existiert.
J. M o ltm a n n b rach te die h ier b e ste h e n d e n U n te rs c h ie d e , die in nur m i n im a
len D ifferen zen zu lieg en scheinen, au f den G eg en sa tz zw ischen „ D e k re te n le h re “
und „ S u b s ta n z -“ oder „ E m a n a tio n s le h re “ und versu chte eine V erm ittlung z w i
schen beiden . Sie erfolg te in der Weise, daß, vom W esen der g ö ttlich en L ieb e
au sg eh en d , „die S e lb s tm itte ilu n g seiner G üte in L ieb e zu seiner S c hö pfun g k ein e
F rag e ein e r freien Wahl, sondern das selb stv erstän d lich e W irken seines ew igen
W e se n s“ sein s o l lt e 17.
Der Ansatz bei der Liebe ist aber nur dann treffend und befriedi
gend, wenn diese Liebe in vollem Sinne personal verstanden wird
und mit dem Charakter des Entschlusses und der Entscheidung aus
gestattet ist. Sonst fällt der Vermittlungsversuch auf die Stufe des
Emanatianismus zurück18. Der mit Entscheidung gepaarte Wille be
sagt aber keinesfalls Willkür oder Distanzierung vom Geschaffenen.
Er ist im Gegenteil eine vollkommenere, weil personale Zuwendung
zum „Partner“, wie sie bei einem Naturvorgang nicht entstehen kann.
Die Hervorhebung von Gottes Freiheit bei der Schöpfung besagt eine
intensivere Zuwendung zu den Geschöpfen, aber bei gleichzeitiger
Souveränität über die Kreatur. Als Letztes bleibt zu bedenken, daß
nur aus der absoluten Freiheit Gottes dem geistigen Geschöpf das
Geschenk der Freiheit zukommen darf. Ein unfreier Gott und ein
freies Geschöpf wären ein innerer Widerspruch.
17 J. M o l t m a n n , G o tt in d er S c h ö p f u n g , 95.
18 Vgl. g eg en M o l t m a n n H. U. v. B a lt h asar, Zu ein er c h r i s t l i c h e n T h e o l o g ie der
H o f fn u n g , 98- 102.
Verbindung beider nicht recht erfaßt werden kann. Das gilt auch für
die jedem geistigen W illensakt zukom mende M otivation und
Zielsetzung.
1) Das „Warum“ und „Wozu“ der göttlichen Schöpfung
Die traditionelle Theologie hat sich aus den erwähnten Gründen
ausgiebig mit dieser Frage beschäftigt und dabei wiederum das ein
zigartige göttliche Subjekt und seine Unabhängigkeit von allen inne
ren Bedürfnissen und äußeren Zwecken zur Geltung gebracht. Dabei
versuchte man auch wieder, sich des Wortes der Schrift zu versi
chern, das freilich von der theologischen Problematik nicht betroffen
ist und deshalb keine distinkte Antwort auf eine solche Frage bietet.
Immerhin konnte man sich auf einzelne Aussagen beziehen, welche
die Frage umkreisen und ihren Sinn berühren. So verkündete der
Prophet Jesaja das Drohwort Jahwes an Israel: „Doch um meines
Namens willen halte ich meinen Zorn lange zurück, um meiner Ehre
willen bezähme ich mich, um dich nicht vernichten zu müssen“
(Jes 48,9). Von dem nun erfolgenden Eingreifen Gottes (das wieder
um mit der Schöpfungstat verglichen wird: Jes 48,12-16) aber heißt
es: „Nur um meinetwillen handle ich jetzt, denn sonst würde mein
Name entweiht; ich überlasse die Ehre, die mir gebührt, keinem
ändern“ (Jes 48,11). Wenn Gott nur um seines Namens willen schont
und um seiner Ehre willen handelt, so ist die Selbstverherrlichung
Gottes als das eigentliche „Wozu“ seines Welthandelns ausgegeben,
was dem Gesamtbefund bezüglich des alttestamentlichen Gottesbil
des durchaus entspricht. Eine ausdrückliche Beziehung zum göttli
chen Schöpfungsakt findet sich in Spr 16,4: „Alles hat der Herr für
seinen Zweck erschaffen, so auch den Frevler für den Tag des
U nheils“ (Universa propter semetipsum operatus est Dom inus.)19.
Im Neuen Testament kommen diesem Gedanken Aussagen wie
Röm 11,30 nahe („Aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die
ganze Schöpfung“), aber auch Hebr 2,10 („Gott, für den und durch
den das All ist“) und Offb 1,8 („Ich bin das Alpha und das Omega.“).
20 De p ri n c i p ii s II, 9,6.
21 De civ. Dei XI, 24.
22 M. J. S c h e e b e n , S c h ö p f u n g s l e h r e . S ü n d e n le h r e , 3 5 ff.
haftigkeit menschlichen Handelns der Sinnhaftigkeit des göttlichen
Erschaffens nicht einfach kommensurabel ist. So erwachsen der
Glaubens Wahrheit vom Rationalismus D escartes’ wie vom Auto
nomismus Kants her manche Einwände, die auch in der katholischen
Theologie des 19. Jahrhunderts (bei G. Hermes23 und A. Günther24)
ihren Widerhall fanden. Dabei war nicht so sehr die innere M oti
vation des Schöpferhandelns strittig; denn die im Inneren verblei
bende Motivation, das freie Selbstverströmen in der Liebe, war als
Tat der Freiheit einer weiteren Begründung weder bedürftig noch
fähig. Erst, wo damit die äußere Zielsetzung und der Endzweck ver
bunden wurden und dafür die Verherrlichung Gottes als primäres Ziel
(als finis operis) der Schöpfung benannt wurde, ergaben sich Ein
wände. Sie waren z.T. so grundsätzlicher Art, daß H. Schell (+ 1904)
behauptete, man könne im Zusammenhang von Gottes Handeln über
haupt nicht von Ziel und Zweck sprechen25.
D ieser A u ffa ssu n g sch ließ t sich auch W. P a n n en b erg m it d er B e g rü n d u n g an:
„A b e r das G e s c h ö p f ist n ich t d arum gesch affe n , d am it G ott von ih m E h re e m p
fängt. G o tt b e d a rf dessen nicht, w eil er sch on in sich selb st von E w ig k eit her
G ott ist *6. In de sse n gibt der A u to r zu, daß a u f seiten der G e sch ö p fe und in s b e
son dere des M en s ch en der Z w e c k ihres G e sc h a ffe n s e in s in der V e rherrlichung
G ottes liege und daß das von ih m g esc haffe ne W erk ihm du rch au s zu r E hre gerei-
che-7. N u r sollte diese a u f seiten des G e sc h ö p fe s lie gen de Z ie lb e stim m u n g nicht
in den S c h ö p fu n g s b e sc h lu ß G o ttes e in b e z o g e n w erd en, w eil d arin das erw ä h n te
M o m e n t der S elb s tsu c h t m it e in g e fü h rt w erde. A b er die G ed an k e n fü h ru n g
ers c h e in t n ich t ganz schlüssig; denn w en n die V erh errlichu ng G ottes das den
G e sc h ö p fe n Vorgesetzte Ziel ist, der dem W erk im m a n e n te finis operis, dann
k ann es sich nu r um eine von G ott gesetzte F in a litä t handeln. D ie objektive
Z ie la u sric h tu n g kann sch w erlich vom W illen G ottes g etren n t w e rd e n 28.
23 E b d a., 38.
24 P. W enze l, D as w i s s e n s c h a f t l i c h e A n l i e g e n des G ü n t h e r i a n i s m u s , 167-170; m it
G. H e r m e s un d A. G ü n t h e r setzte sich die K ö l n e r D i ö z e s a n s y n o d e von 1860 aus ein an d er:
J. N e u n e r - H. R oo s, 190- 193; vgl. auch D H 2 7 3 8 - 2 7 4 0 ; 2 8 2 8 - 2 8 3 1 .
25 K a t h o l i s c h e D o g m a t i k II, 136; vgl. auch J. A uer, D ie W elt - G o ttes S c h ö p f u n g , 106ff.
26 S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 74.
27 a.a.O ., 74f.
28 D a i u m e r k l ä i t das K ö l n e r P ro v i n z ia lk o n z il : „ D a ß ab e r G o tt die A n e r k e n n u n g und
L ie b e se in e r V o llk o m m e n h e ite n , ... se ine äu ß ere E h re w ir k lic h b eab s i c h t i g t hat, steht ü ber
al lem Z w e i f e l “ : N e u n e r - R o o s , 192f.
29 Vgl. J. Auer, Die Welt - S c h ö p f u n g G ottes, 108.
wenig, daß das göttliche Schaffen auf eine der absoluten Vollkom
menheit Gottes entsprechende Weise zielgerichtet ist. Zunächst gilt,
daß göttliches Schöpferhandeln nicht als ziellos gedacht werden
kann. Zugleich aber kann diese Zielhaftigkeit nicht als Ausrichtung
auf ein außergöttliches Ziel verstanden werden, dem sich Gott unter
stellen müßte, sei es, um ein höheres Gut zu gewinnen, sei es, um
sich selbst zu verwirklichen30. Das Ziel des göttlichen Handelns kann
nur in ihm selbst liegen, weil eine außer ihm wirkende Zielursache
die absolute Unabhängigkeit des Schöpfers aufheben würde31. Des
halb muß die zielhafte Ausrichtung Gottes auf die Geschöpfe iden
tisch sein mit der Ausrichtung Gottes auf sich selbst. Das Wollen
endlicher Dinge bei Gott kann seine Ursache nur im Wollen seiner
selbst, in seiner Selbstliebe und seiner Selbstverherrlichung haben.
Es kann sich dann nur um eine immanente Zielursächlichkeit han
deln, die keine nützliche Zweckhaftigkeit meint, sondern die wie (in
ferner Analogie) ein Schaffen des Künstlers in sich selbst ruht und
als Manifestation der eigenen Vollkommenheit in Erscheinung tritt.
Die Zielhaftigkeit des göttlichen Schaffens ist so auf das bonum sui
diffusivum gerichtet, das seiner Selbstverherrlichung dient. Die
Interpretation dieses Selbstbezuges als Egoismus müßte im Grunde
Gott sein Gottsein zum Vorwurf machen.
Die Kritik an diesem primären Schöpfungsziel verkennt schließ
lich die immer mitgehende Wahrheit vom sekundären finis, der in der
Teilgabe Gottes an seiner Güte und damit in der Beseligung der Ge
schöpfe gelegen ist. Wie sehr sich hierbei das Schöpfungsziel der
Verherrlichung Gottes mit der Beseligung des Geschöpfes verbindet,
zeigt der Satz des hl. Thomas: „Gott sucht seine Verherrlichung nicht
seinetwegen, sondern unsretwegen“32. Damit kommt die auf die
Geschöpfe gehende Liebe des Schöpfers machtvoll zur Geltung, aber
in Unterordnung unter das Erstziel der Selbstverherrlichung Gottes.
Läßt man dieses Erstziel unbeachtet, macht man also die Beseligung
43 A d A uto ly c. 1,5-7.
44 Vgl. zum F o l g e n d e n L. S c h e f fc z y k , E in f ü h r u n g in di e S c h ö p f u n g s l e h r e , 7 Off.
45 Vgl. h ierzu Chr. L u th a rd t, G e s c h i c h t e der c h r i s t l i c h e n E th ik I, L e ip z ig 1888, 320ff.
46 D a z u vgl. H. S tep han, G l a u b e n s l e h re , 341.
nicht aus einem vorschnellen Blick auf die Empirie und auf einige
isoliert betrachtete Phänomene, sondern im Blick auf die Güte des
Schöpfers, der von seinem Werk nicht zu trennen ist.
2) Christlicher Glaube und tragische Weitsicht
Der Glaube an die seinshafte Güte der Schöpfung erfährt eine
heftige Gegnerschaft durch den Hinweis auf die Nöte der Schöpfung,
auf ihre Unvollkommenheit, ihr Leid und auf das Böse in ihr. Das
hier aufgeworfene Problem läßt sich in die Frage fassen: Wird die
Güte des Schöpfers und seines Werkes durch das Übel und das Böse
w iderlegt? Diese Frage hat schon der antike Denker Epikur
(+ 270 v. Chr.) in einer Weise formuliert, die bis in unsere Zeit
Gültigkeit behalten hat. Er erwägt vier Möglichkeiten der Beant
wortung dieser Frage und der Einstellung zur Gottheit. Er sagt: „Die
Übel will die Gottheit entweder nicht beseitigen, oder sie kann es
nicht; oder sie kann es, aber will es nicht; oder sie will es weder,
noch kann sie es; oder sie will und kann es“. Nun folgen die Ant
worten auf diese verschiedenen Möglichkeiten. Es heißt dann:
„Wenn sie es kann und nicht will, so ist sie mißgünstig: eine
Eigenschaft, die ihr billigerweise fremd sein sollte. Wenn sie es
weder will noch kann, so ist sie mißgünstig und schwach: also auch
keine Gottheit. Wenn sie es aber will und kann, was allein der Gott
heit würdig ist, woher kommen dann die Übel, oder warum werden
sie nicht von ihr beseitigt?“47. Man merkt es dem antiken Denker an,
daß er die Vorstellung von einer guten würdigen Gottheit retten
möchte, aber es zuletzt doch nicht vermag, weil er einer rein empi
risch-positivistischen Weitsicht folgt.
Im m o d e r n e n M a te ria lis m u s , g e p a a rt m it ein er b e s t im m t e n F o rm des
E v o lu tio n ism u s , m eld et sich diese S icht w ied eru m zu Wort. In der „K ritische n
T h e o r ie “ der F r a n k f u rte r S c h u le w ird die g esam te K u ltu r e n tw ic k lu n g als
G e sc h ic h te eines fo r tsc h r e ite n d e n Verfalls interp retiert, in der selbst „ A u s c h
w itz “ als kein b e ilä u fig e r Z w isc h e n fall, son dern eine n o tw e n d ig e Folge d er kata-
stro p h isc h a n g e le g te n E n tw ic k lu n g g ed eute t wird. Ü ber diese stellt die „ n e g a ti
ve D ia le k t ik “ in U m k e h ru n g des be tre ffen d e n H eg el-S atze s die Devise: „Das
G an ze ist das U n w a h r e “ . M it R ech t b e m e rk t dazu ein K ritiker: „D ie T h eorie, daß
die G enesis der G esch ich te als eine K a tastro p h e b egriffen w e rd en m üsse, stellt
§ 10 :
Gottes Weg mit der Schöpfung: Erhaltung und Vorsehung
L iteratu r: H. E. H en g ste n b erg , Von der göttlichen V orsehung, R e g en sb urg
1940; K. B arth, Die k irch lich e D o g m a tik III/3, Z ürich 1950; A. G anoczy,
S ch ö p fu n g s le h re: G la u b en szu g än g e . H an d b u ch der k a th o lis c h e n D o g m a tik I,
P ad erb orn 1955; O. Weber, G ru n d la g e n der D o g m a tik I, N eu k irc h e n 1955;
P. Tillich, S y ste m a tisc h e T h eo lo g ie I, S tuttg art 31956; P. A lth aus, Die ch ristliche
W ahrheit, G ü te rslo h 51959; D. Fr. S ch leie rm a che r, D er christliche G laub e,
1 Vgl. D T h C II, 4 8 4 - 4 9 L
2 D e r c h r i s t l i c h e G la u b e I, 185f.
3 G r u n d l a g e n d e r D o g m a t i k I, 556f.
4 D o g m a t i k , B e rl i n - N ew York 3 1972, 153.
5 L e h r b u c h d e r D o g m a t i k II, 295.
6 D a z u g e h ö r e n K. B a rth , Die k i r c h l ic h e D o g m a t i k III/3; e b e n s o P. A lth a u s , D ie c h r i s t
lich e W ah rh eit, 3 0 7 ff.; E. S chlin k, Ö k u m e n i s c h e D o g m a tik , 146ff.; J. M o l t m a n n , Ö k o l o g i
sc h e S c h ö p f u n g s l e h r e , 214ff.; W. P a n n e n b e r g , S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g i e II, 4 7 ff.;
G. E b e l in g , D o g m a t i k des c h r is tlic h e n G l a u b e n s I, 296ff.
7 Vgl. u.a. J. M o n o d , Z u fall un d N o t w e n d i g k e i t : P h i l o s o p h i s c h e F ra g e n der m o d e r n e n
B io lo g ie, M ü n c h e n 21971.
kenntnis des Glaubens heraus, daß es beim Ansatz des offenba
rungsgemäßen Schöpfer- und Schöpfungsgedankens nicht bei einer
Fixierung auf einen urzeitlichen Vorgang bleiben kann, der die jetzt
zeitliche Schöpfung nicht wirksam beträfe. Das Verhältnis des das
Geschöpf aus dem Nichts rufenden Schöpfers zu seinem Gebilde wä
re verkannt, wenn man die Abhängigkeit des Geschöpfes auf ein rei
nes Ursprungsgeschehen reduzierte und ihm danach ein Dasein und
Leben aus eigenen Kräften zubilligte. Diese Kraft kann sich das Ge
schöpf als aus dem Nichts Gerufenes nicht zuschreiben. Es würde
aber ebenso die im Schöpfungsakt angelegte absolute Souveränität
des Schöpfers über sein Werk verkannt, wenn man der Vorstellung
Raum gäbe, daß er das von ihm einmal geschaffene Werk sich selbst
und seinen eigenen Fähigkeiten überlassen könnte. Der Schöpfer
würde dadurch zu einem Demiurgen degradiert.
11 L. S c h e f fc z y k , S c h ö p f u n g u n d V o rsehu ng , 97f.
12 WA 46, 258.
13 E b d a., 258.
14 Vgl. I. P o h le - I. G u m m e r s b a c h , L e h rb u c h der D o g m a t i k I, P a d e r b o rn 101952, 509; Z u r
S c h ö p f u n g s l e h r e A. B e rla g e s vgl. W. Baier, Die K irche als F o rt s e t z u n g des W irk en s
C h risti, 81; 100-103.
15 I c . 2 q.20.
(vgl. Kol 1,4; 3,14; Weish 1,14) ausgeschlossen. Auch darin kommt
der heilsoptimistische Zug des Schöpfungsglaubens zum Vorschein,
der im Erhaltungsglauben seine jetztzeitliche M ächtigkeit erfährt,
mit der eine Zerstörung eines geschaffenen Wesens nicht vereinbar
ist, sondern nur die endzeitliche Verwandlung und Verklärung aller
Dinge, auch der materiellen.
23 Timaios 30b 5 - c 1.
24 Vgl. dazu M. Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung I, Göttingen
1959, 102ff.
25 Vgl. L. Scheffczyk, Schöpfung und Vorsehung, 39.
physischen Weltgesetzes. Für Chr. Wolff (+ 1754), in dessen System auch die
Gedanken Descartes’ und Leibniz’ und des Deismus eingingen, vollzieht Gott
sein Weltregiment nur durch natürliche Mittel und Bewegungen, die er schon am
Ursprung durch die gegenseitige Verknüpfung der Dinge der Schöpfung einge
senkt hat. So steht der Schöpfer zwar am Anfang der Welt, die jetzt aber aus der
Kraft der in ihr imponierten Ordnung lebt26. Es ist in etwa verständlich, daß
angesichts des rationalistischen Verblassens des Vorsehungsgedankens
G. W. Fr. Hegel in seiner philosophischen Theologie dem Thema seine Bedeu
tung zurückgewinnen wollte in der übertriebenen Absicht, „den Plan der Vor
sehung einsehen zu wollen“, um Gott „in allem die Ehre zu geben und vornehm
lich auf dem Theater der Weltgeschichte“ . Die Lehre von der Vorsehung wurde
dem idealistischen Philosophen zum Inbegriff einer Theodizee, in der Gott aus
der Geschichte gerechtfertigt wurde und „der denkende Geist mit dem Negativen
versöhnt werden“ sollte27.
Vom Gegenschlag zum idealistischen Optimismus wurde im posi
tivistischen, von der Naturwissenschaft des 19. Jahrhunderts be
einflußten Realismus auch der Vorsehungsglaube getroffen, so daß
sich die christliche Theologie die Frage stellen lassen mußte, ob die
im Vorsehungsgedanken angelegte Teleologie überhaupt eine Deute
kategorie des christlichen Glaubens an das Welthandeln Gottes sein
könne, das in so naturalistischer Abzweckung auch zum „Fernfahrer-
Aberglauben“ und zur Ideologie Hitlers entarten könne.
So konnte in neuerer Zeit von seiten der evangelischen Theologie
sogar die Forderung erhoben werden, von den Begriffen „Vor
sehung“ und „Erhaltung“ Abstand zu nehmen, weil das „Welthandeln
Gottes“ nicht „als sinnvoll“ erwiesen werden könne. Als Verfechter
dieser Auffassung trat C. H. Ratschow28 auf, der die klassische
Darlegung des hl.Thomas29 mit ihren ausgewogenen Differenzierun
gen (ratio ordinis - executio ordinis; providentia generalis - specia-
lis-specialissima) als bloße Übertragung der natürlichen prudentia-
Lehre auf das Gott-Welt-Verhältnis deutete und damit der Ablehnung
preisgab. Was dem Christen, dem keine Erkenntnis einer göttlichen
Teleologie verstattet ist, bleibt, ist allein ein Leben in der Anfech
tung, das im Betroffensein vom Wort Gottes und in der Erfahrung der
26 Ebda., 122.
27 G. W. Fr. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte I (hrsg. von
G. Lasson) Leipzig 1917, 18-24.
28 Das Heilshandeln und das Welthandeln Gottes, in: Neue Zt. für system. Theologie, 39;
56; 80.
29 S.th I q .103-105; 115-1 16.
Vergebung festgehalten werden kann. Kritik an der traditionellen
Vorsehungslehre übt auch P. Tillich mit der Feststellung, daß der
Vorsehungsglaube ein Paradox sei. Er ist ein „Dennoch“ angesichts
aller gegenteiliger Erfahrung in der Geschichte wie im einzelnen
Leben, das aus der Gewißheit der Verbundenheit mit dem Grund des
Seins kommt, der „Gott“ genannt wird30-
Eine neuerliche Erschütterung erfuhr der Vorsehungsbegriff
durch die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, zumal durch die
Leidensgeschichte des jüdischen Volkes, die in „Auschwitz“ den er
schreckendsten Symbolausdruck fand. Angesichts dieser Katastrophe
ergeht die Forderung nach einer „Revision der Grundlagen christli
cher Theologie“31, zu denen sicher auch die Vorsehungslehre gehört.
2) Die offenbarungsgemäße Vereindeutigung
Da es sich bei der Vorsehung auch um eine der Vernunft zugäng
liche Wahrheit handelt, sind die unterschiedlichen philosophischen
Interpretationen und Divergenzen in etwa verständlich. Ihnen steht
das Zeugnis der Glaubensurkunden gegenüber, denen im Unterschied
zur metaphysischen Fassung des Begriffes vor allem das Moment
personal-geschichtlichen Handelns des Offenbarungsgottes eigen ist,
das sich aus einem ebensolchen Schöpfungsglauben erklärt.
Im Alten Testament ist die Vorsehung so eng mit der Schöpfung
verbunden, daß die Zeugnisse keinen eigenen Begriff der Vorsehung
kennen, sondern den erkannten Sachverhalt häufig mit dem Verbum
bara umschreiben, das sonst zur Bezeichnung des schöpferischen
Tuns Gottes dient (vgl. Ex 34,10; Num 16,30; Jes 43,1.15). Der dabei
vorherrschende Gedanke meint das persönliche geschichtliche
Wirken Jahwes, das zwar auch die Natur bestimmt und lenkt (vgl.
Gen 8,22; Ijob 38,33; Ps 19,1-7), das sich vor allem aber im Vollzug
seines vorbedachten wunderbaren Ratschlusses an seinem Volk
(Dtn 32,39; 2 Kön 19,25ff.; Jes 5,12) wie an den Völkern insgesamt
offenbart (Gen ll,lff„; Jes 10,5ff.; Jer 27,3ff.)32. Das Ziel dieses
lebendigen Waltens Gottes, bei dem weit- und heilshaftes Tun nicht
39 Dignitatis humanae, 3.
40 K. Barth, Kirchliche Dogmatik III, 3,38; vgl. auch E. Schlink 201 ff.; J. Moltmann,
215 ff.
Diese Erklärungen hatten die Überzeugung zur Voraussetzung,
daß die Vorsehung als Ableitung aus dem Wissen um einen göttlichen
Schöpfer auch eine mit Hilfe der Vernunft zu erfassende Wahrheit
sei, auch wenn sie Gegenstand des Glaubens ist und in ihrem Wesen
ein Geheimnis beinhaltet. Sie stellt, so gesehen, einen articulus mix
tu s dar, bei dem sich die Spannung zwischen Erkennen und Glauben
unweigerlich aufdrängt und Anerkennung verlangt.
Eine Auflösung dieser Spannung ereignet sich bei Calvin
(+ 1564), der, dem Gefälle des Gedankens von der doppelten Prä
destination nachgebend, der Überzeugung war, daß die göttliche
Vorsehung in ihrem Vorgehen absolut geheimnishaft sei und wider
jeden Augenschein geglaubt werden müsse zur Demütigung der
Vernunft und zur Verehrung der unbegreiflichen Macht Gottes und
seiner arcana mysteria41. Dem folgt in gewisser Weise auch K. Barth,
insofern für ihn „das Weltgeschehen als solches gar nicht interpre
tierbar“42 ist.
Dem anderen Extrem treibt jene Auffassung zu, welche mehr
oder weniger bestimmt die Ansicht vertritt, daß die Vorsehung in
ihrem Walten, in der Sinnhaftigkeit der geschichtlichen oder indivi
duellen Ereignisse und in ihrer Ausrichtung auf ein gutes Ziel der
menschlichen Einsichtnahme offensteht. So werden bestimmte ge
schichtliche oder individuelle Ereignisse eindeutig mit göttlichem
Sinn und göttlicher Finalität verbunden, was in Konsequenz dazu
führen muß, daß auch die Untaten und das Böse eine Rechtfertigung
erfahren, und sei es auch nur mit Berufung auf den zürnenden und
strafenden Gott. Eine solche Einsichtnahme in den Gang der Vor
sehung würde dem Extrem Hegels nahekommen, der sich vermaß,
„den Plan der Vorsehung einsehen zu wollen“43.
Das gläubige Denken muß hier eine mittlere Position einnehmen, die in der
Gewißheit um die Existenz der göttlichen Vorsehung und ihrer Ausrichtung auf
die eschatologische Vollendung an einzelnen Ereignissen Zeichen erkennt und
Zeugnisse aufnimmt, die ein Undefiniertes Sinnpotential in sich enthalten, das
der Glaubende erschließen und entbergen kann. Solche Zeichen sind nicht als
Demonstration der göttlichen Vorsehung zu verstehen, sondern als Spuren von
41 Vgl. H. C. Ratschow, Das Heilshandeln und das Welthandeln Gottes, in: Neue Zt. f.
syst. Theologie 1 (1959) 39.
42 Die kirchliche Dogmatik III/3, 224 u.ö.
43 Philosophie der Weltgeschichte I (hrsg. von G. Lasson) Leipzig 1917, 18f.
Gottes Wirken unter dem Schleier seiner Verborgenheit, die einen Richtungssinn
ergeben, der erst am Ende der Geschichte seine volle Erfüllung erfährt.
Handelt es sich bei der Erkenntnis von Zeichen der göttlichen
Vorsehung um die dem Subjekt zugewandte Seite des Geheimnisses,
so besitzt es doch auch eine objektive Seite, von der her der Glaube
eine noch größere Anfechtung erfährt. Sie erwächst aus dem schein
baren Gegensatz zwischen Vorsehung und Freiheit, zwischen
Vorsehung und Wunder. Schließlich ist von der Theologie auch die
Frage nach dem Sinn des Bittgebetes angesichts des Bestehens eines
ewigen Vorsehungsplanes erwogen worden. Mit dem Geheimnis
charakter der Vorsehung ist es gegeben, daß es auch bezüglich dieser
Punkte keine rationalen Lösungen und keine Evidenz gibt. Dabei zei
gen sich die sich ergebenden Denkschwierigkeiten graduell noch
verschieden.
Zunächst stellt sich das Problem der Vereinbarkeit von Vor
sehung und menschlicher Freiheit. Es läßt sich auf die Frage bringen:
Kann bei Zugehörigkeit eines menschlichen Geschehens zum ewigen
Plan der göttlichen Vorsehung und dessen Vollzug in der Weltregie
rung diesem Geschehen noch wahre Freiheit zugebilligt werden? Die
sich hier einstellende Gegenfrage kann die Problematik freilich
schon entschärfen. Sie lautet: Können die Bekehrung Pauli, das
Martyrium des Stephanus oder die Pfingstpredigt des Petrus als freie
Akte angesehen werden, wenn sie von der Vorsehung gelenkt waren?
Ein praktischer Zweifel hieran ist ausgeschlossen. Aber damit ist das
Zusammengehen von göttlicher Verursachung und menschlicher
Freiheit verständnismäßig noch nicht vermittelt. Der Versuch dazu
darf zunächst von dem schon bei der Lehre vom concursus ange
nommenen Grundsatz ausgehen, daß das Geschöpf ohne den trans
zendenten Seinszufluß Gottes und d.h. ohne die Ermächtigung Got
tes nicht handeln kann. Dem Geschöpf wird auf schöpferische Weise
Sein mitgeteilt, worauf es seinen eigenen Akt setzen kann, der ganz
der seine und ganz Gottes ist, aber keinesfalls eine Vermischung der
Kausalitäten zuläßt. Bei der vernunftgemäßen Erhellung des Vor
sehungsgedankens muß freilich auch die Zielausrichtung des betref
fenden Aktes bedacht werden, bei welcher das Geschöpf auch frei
bleibt. Es wird in seiner Begrenztheit und Fragilität nicht immer das
letzte göttliche Ziel vor sich sehen und anstreben. Dem schöpferi-
sehen Vorsehungshandeln Gottes aber ist zuzutrauen, daß es unter
Berücksichtigung der Spontaneität, des eigenen Strebens und der
eigenen Zielsetzung des Geschöpfes dieses zu dem von der Vor
sehung bestimmten höchsten Ziele führt, selbst wenn diese Ziel
führung vom Geschöpf nicht gesehen und erkannt wird (was zum
Geheimnis der Vorsehung gehört).
Diese Zielführung ist so machtvoll, daß sie sogar das Böse und
die Sünde ihren Absichten zu unterstellen weiß; denn „... wo die
Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden“
(Röm 5,20; vgl. 8,28). Das den Menschen in bezug auf Leid, Not und
Sünde bedrängende Problem wird aber nicht mit der Auskunft
besänftigt, daß Gott all dies tatsächlich seiner Vorsehung unterstellen
kann; der Einwand geht dahin und mündet in den Vorwurf, daß es
diese Hinderungen in der gottgeschaffenen Welt überhaupt gibt.
Die Theologie muß auf diese zweiflerische Frage antworten, ohne eine meta
physische Theodizee nach Art Leibniz’ oder Hegels bieten zu wollen, die in ihrer
logischen Stringenz die leidvolle Wirklichkeit nicht treffen. Die Theologie kann
nur einige aus dem Glauben kommende Hinweise geben, die das Dunkel des
Geheimnisses ein wenig erhellen, ohne es aufzulösen. Das gelingt bezüglich des
physischen Übels in etwa mit dem Gedanken, daß eine endliche Schöpfung, die
zudem den Bruch der Sünde erfahren hat, die Zeichen kreatürlicher Begrenztheit
und Schwäche nicht abzulegen vermag. Die göttliche Vorsehung besteht nicht
darin, diese Begrenzungen, Fehler und Schwächen mit allem sich für den
Menschen daraus ergebenden Unglück, Leid und Tod auszuschalten, wie sie auch
für den Einzelmenschen keine Zusicherung irdischen Wohlergehens bedeutet.
Sie schenkt nur die Glaubensgewißheit, daß alle diese Schäden und Minderungen
von Gott zum Nutzen des Menschen verwertet und auf das endgültige Ziel des
Menschen gelenkt werden.
Das Problem verschärft sich angesichts des moralischen Übels der Sünde.
Aber auch hier vermag der Glaube, über die Erklärung der bloßen Zulassung hin
ausgehend, aufzuzeigen, daß eine mit dem höchsten natürlichen Gut der Freiheit
ausgestattete Menschenschöpfung die Wahlfreiheit zwischen Gut und Böse nicht
ausschließen und das „Wagnis“ der Freiheit nicht umgehen konnte. Damit emp
fing die auf Geschichte angelegte Schöpfung einen neuartigen dramatischen
Charakter, bei dem es um die Entscheidung zwischen Heil und Unheil geht. Die
wesentliche Güte der Schöpfung wird dadurch nicht gemindert. Über eine so dra
matisch ausgerichtete Schöpfung kann Thomas sogar sagen: „Diese Natur, die
sündigen kann und nicht sündigen kann, ist gut“44. Daß diese Dramatik, die zur
hohen Bewährung der geschöpflichen Freiheit gedacht ist, dem Menschen nicht
zum Verhängnis gereichen muß, sondern zu seiner höchsten Vollendung führen
kann, erklärt Augustinus in dem Satz: „Gott würde niemals die Existenz irgend-
eines Übels zulassen, wenn er nicht so mächtig und gut wäre, um selbst aus dem
Übel das Gute zu wirken. Er hat es für besser erachtet, aus den Übeln Gutes zu
wirken, als keinerlei Übel zuzulassen“45.
Als ein Erweis der außerordentlichen Wirkweise der göttlichen
Vorsehung galt der Tradition das Wunder im Gang der Heilsge
schichte, das jedoch in der Moderne seit Spinoza (+ 1677), Reimarus
(+ 1768), D. Fr. Strauß (+ 1877) und Renan (+ 1892) harter Kritik
ausgesetzt ist46. Es kann nicht Aufgabe der Dogmatik sein, den der
Fundamentaltheologie obliegenden Nachweis über Möglichkeit,
Erkennbarkeit und Beweiskraft von Wundem als Glaubwürdigkeits
motiven zu erbringen. Die Dogmatik weiß sich hier eins mit der
Lehre der Kirche über die Existenz und Erkennbarkeit von Wundern
(DH 3009; 3034) und vermag deren historische Wahrheit aus der
Heilsgeschichte zu begründen. Zu dieser Begründung würde allein
schon der Hinweis auf wenige fundamentale heilsgeschichtliche
Ereignisse genügen wie die „Jungfrauengeburt“, die leibliche Auf
erstehung Christi, die Erscheinungen des Auferstandenen und die
Umgestaltung der Schöpfung in den Endereignissen. Die Umdeutung
dieser wunderbaren Ereignisse, zu denen viele Taten des historischen
Jesus hinzugehören, in rückprojizierte Glaubenserfahrungen, steht
jedenfalls dem Glauben der Kirche entgegen. Soweit sich diese
Umdeutungen als Ergebnis der wissenschaftlichen historisch-kriti
schen Methode ausgeben, ist dem begründet entgegenzuhalten, daß
hier nicht die historische Wissenschaft zwingende Ergebnisse zutage
fördert, sondern philosophisch-weltanschauliche Vorentscheidungen,
nach denen es im wissenschaftlichen Weltbild keine Wunder geben
kann, zu Scheinplausibilitäten aufgebaut werden.
Im Zusammenhang dieser Problematik ist nur eine Erklärung erwägenswert,
die das Wirken der göttlichen Vorsehung unmittelbar betrifft, insofern sie es
grundsätzlich und notwendig an den Einsatz von Zweitursachen bindet, so daß
Wunder im eigentlichen Sinne als „Überragen“ der Naturkräfte (was keineswegs
eine „Durchbrechung“ oder ein „Eingreifen“ bedeutet) nicht möglich wären und
damit eine providentia extraordinaria aufgegeben werden müßte47. Es ist die
Theorie, nach der Gott innerhalb der Welt nicht ohne Zweitursachen handeln
könne, so daß sein Wirken einzig und allein nach dem Modell des concursus auf
45 Enchiridion XI, 3.
46 Vgl. R. Kocher, Herausgeforderter Vorsehungsglaube, 168-213.
47 L. Scheffczyk, Einführung in die Schöpfungslehre, 84-98.
zufassen sei48. Damit aber würden dem Wirken der Vorsehung das Moment des
Machtvollen, des die Möglichkeiten des Geschöpfes Übersteigenden und der
Charakter des Vorscheins der eschatologischen Vollendung der Dinge beim
Wunder genommen. Was aber den zentralen Grundsatz der Theorie betrifft, daß
Gott beim Handeln ohne Zweitursache selbst zur Zweitursache in der Welt wer
den müßte, so wird er nicht bewiesen, sondern als Axiom vorausgesetzt. In der
Kritik ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß die Theorie das Verhältnis
von Erst- und Zweitursache mit der Beziehung von causa principalis und causa
instrumentalis verwechsle49. Das Unangemessene dieser Theorie kommt auch
praktisch zum Vorschein, wo die Auferstehung Christi durch die Zweitursache
der menschlichen Gottes- und Nächstenliebe Jesu vermittelt sein soll. Eine wei
tergehende Kritik müßte auch darauf hinweisen, daß es nach dieser Theorie kein
eigentliches schöpferisches Wirken in der Welt mehr geben könne, weil dies ex
definitione ohne Vermittlung von Zweitursachen erfolgen muß.
Eine letzte Schwierigkeit scheint sich gegenüber der ewigen,
unfehlbar wirkenden göttlichen Vorsehung im Hinblick auf das
Bittgebet zu ergeben, das für den Glauben eine Lebensnotwendigkeit
darstellt und das sich gerade auch an die göttliche Vorsehung und
ihre Durchsetzung im Weltgeschehen wendet50. Hier stellt sich die
(falsche) Alternative: Entweder wirkt die göttliche Vorsehung unfehl
bar sicher - dann bedarf es des Bittgebetes nicht, oder es bedarf sei
ner, dann ist der Vorsehungsplan nicht fest und unveränderlich. Über
dieses Dilemma führt aber zunächst schon das rechte Verständnis des
Bittgebetes hinaus, das nicht den Sinn hat, ein göttliches Eingreifen
erzwingen zu wollen. Es ist vielmehr Ausdruck des Vertrauens des
bedürftigen Geschöpfes auf die Allmacht des Schöpfers. Es ist
wesentlich ein Akt der Hingabe an den Willen Gottes, der sich am
Menschen in einer bestimmten Situation mächtig erweisen soll. Von
Gott her gesehen aber gehört das Bittgebet zu den von ihm gesetzten
Bedingungen, unter denen das geschöpfliche geistige Sein seine
Verwiesenheit auf den Schöpfer bekundet. Was den Effekt eines sol
chen Gebetes angeht, so bleibt es bei Gott nicht ohne Reaktion, was
der Vorstellung von einem regungslosen und apathischen Gott wider
spricht. Er „reagiert“ freilich nicht zeithaft und momentan, sondern
zeitlos vermittels jenes ewigen Aktes, in dem voraussehend die Akte
des Geschöpfes schon aufgenommen und berücksichtigt sind.
3 Ebda., 119.
4 Ebda., 126ff.
5 Einen genaueren Überblick bezüglich der Antidarwinisten und der Vertreter einer
Vermittlungstheologie bietet A. Winter, Evolution und Schöpfungsglaube. Die Antwort der
Theologie: Gottes Schöpfung (hrsg. von Fr. Breid), 132-136.
6 Gott und Geist II, 305.
7 Basilius, Hexaemeron 7,1 f.
8 Hexaemeron: PG 44,77.
9 De Gen. ad litt. 6,10.
klingt dieser Gedanke in der Lehre von der Bewegung der Geschöpfe nach. Nach
ihm verleiht der Schöpfer in der institutio secunda den sublimeren Elementen als
erster Beweger ihre eigentümliche Bewegung, aus welcher die Dinge und
Organismen kraft ihrer Formen unter dem Einwirken der Erstursache hervorge
hen10.
Die genannten „Entwicklungskonzepte“ waren aber nicht als Vor
läufer des modernen, auf die Entstehung neuer Arten gehenden Evo
lutionsgedankens zu verstehen, sondern nur als Hinweise auf ein in
der Natur erkanntes Werden, das zum Entwicklungsgedanken nicht
im Gegensatz stand. Das diesen Interpretationen des Werdens Ge
meinsame liegt in der Annahme eines teleologischen Agens (sei es
im Samen, sei es in der Wesensform), dessen sich die Erstursäch
lichkeit Gottes bediente.
Diese in der theologischen Tradition enthaltenen positiven Ele
mente genügten aber nicht, dem Darwinismus zu begegnen oder ihn
dem theologischen Denken zu assimilieren, zumal er sich bald von
der fachbiologischen Basis löste und im Evolutionismus zu einem
universal geltenden philosophischen Erkenntnisinhalt erhoben
wurde. Er umfaßte alle Seinsbereiche und unterstellte sie einem
Prozeß, der vom geringsten Anorganischen bis zum höchsten
Humanum und darüber hinaus führte. Davon war besonders auch die
Stellung des Menschen in der Natur betroffen, der in die Abstam
mungslehre einbezogen und in den Gang der Evolution integriert
wurde. Was Darwin am Schluß seines Werkes nur mit einem einzigen
Satz angedeutet hatte, daß nämlich von seiner Theorie auch „auf den
Ursprung des Menschen und seine Geschichte Licht fallen werde“,
das wurde von den Nachfolgern Darwins in übertriebener Kon
sequenz ausgeweitet und zum Schlagwort von der „Affenabstam
mung“ des Menschen vergröbert". In dem Werk E. Haeckels über die
„Natürliche Schöpfungsgeschichte“12 wurde eine Alternative zur bib
lischen Schöpfungslehre angeboten, so daß der Antagonismus zwi
schen Naturwissen und Schöpfungsglauben zum beständigen Thema
erhoben und unter den Gebildeten die Frage „Darwin oder Moses?“
diskutiert wurde.
10 R. Löw, Zur Interpretation evolutionärer Entwicklungen bei Augustinus und Thomas
v. Aquin: Evolution und Christentum, 14ff.
1 1 Vgl. I. Illies, Der Jahrhundertirrtum, 41.
12 Jena 1868; ,21923.
Im Neodarwinismus des 20. Jahrhunderts, der die Evolutionstheorie mit den
Erkenntnissen der Genetik und der Molekularbiologie anreicherte, wurde der
innere Mechanismus der Entstehung von neuen organismischen Formen einer
tieferreichenden wissenschaftlichen Klärung zugeführt. Die so auf rein natur
wissenschaftlicher Basis gewonnenen Einsichten über die Genese des Lebens
und das organische Werden wurden aber im 20. Jahrhundert nicht mehr generell
in Gegenstellung zum religiösen Glauben vorgetragen. Aber sie wurden in sol
cher Stringenz und Dichte entwickelt, daß der religiöse Glaube auch in die Rolle
einer bloßen ideellen Zutat rücken konnte. Daraus aber ergeben sich auch nega
tive Folgerungen für die Subjektivität und die Sozialnatur des Menschen, beson
ders drastisch etwa bei J. Monod und seiner Auffassung vom Menschen als
geglückter Zufallsmutation13 oder in der Soziobiologie R. Dawkins, der den
Menschen als „Roboter ... zur Erhaltung der selbstsüchtigen Moleküle“14 defi
nierte.
So machte sich in der Geschichte der Theorie der Evolution im
mer auch der Drang zum weltanschaulich quasi-religiösen Evolutio
nismus bemerkbar. Mit der Faszination durch das Weltgesetz der
Entwicklung, nach dem alle Seinsstufen vom Anorganischen über
das Leben bis hin zum Bewußtsein, zur Moral und Religion evolutiv
aus der Materie und den Naturgesetzen erklärbar wurden, mußte der
Gedanke an ein transzendentes schöpferisches Agens kraftlos wer
den. So waren Theologie und kirchliche Verkündigung in die Schran
ken gerufen, sei es zur Abwehr des dem Glauben Widerständigen, sei
es zum Brückenschlag bezüglich des integren Glaubens.
2) Die Antwort des kirchlichen Lehramtes
Der revolutionäre Charakter des Darwinismus, der bald nach sei
nem Aufkommen auch in die Fänge des dialektischen Materialismus
geriet, macht es verständlich, daß die kirchliche Lehre sich gegen
über dem Neuen reserviert verhielt, ja mit einzelnen Ablehnungen
nicht sparte. Dabei setzte sich die Kirche schon vor Aufkommen der
biologischen Entwicklungslehre mit den in der Philosophie virulen
ten, dem Evolutionismus vorangehenden Gedanken des Pantheismus,
des Materialismus und Rationalismus auseinander. So verurteilte
Pius IX. im Syllabus die pantheistische Doktrin, nach der „Gott und
Welt und daher Geist und Materie, Notwendigkeit und Freiheit ... ein
und dasselbe“ (DH 2901) seien. Ebenso wurde in diesem Dokument
die philosophische Auffassung abgewiesen, daß „keine anderen
37 So u.a. vertreten von K. Lorenz, Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer
Naturgeschichte des menschlichen Erkennens, München 1973 und R. Riedl, Biologie der
Erkenntnis. Die stammesgeschichtlichen Grundlagen der Vernunft, Berlin 1980.
voraus. Vernunft ist in ihrem Wesen unableitbar38. Aber gerade in dieser
Unableitbarkeit und in ihrer (von der evolutiven Erkenntnistheorie nicht erreich
ten) Erschlossenheit für das Sein im Ganzen und für das Unendliche liegt ein
Hinweis auf ihre Anteilnahme an einem Unendlichen und auf ihre Herkunft von
ihm.
In Verbindung mit der Evolutionstheorie wird heute auch die
sogenannte „Chaostheorie“, die von manchen Autoren mit der Theo
rie von der Selbstorganisation der Materie zusammengebracht wird39,
in Beziehung zur SchöpfungsWahrheit gesetzt und als Brückenschlag
zwischen Theologie und Naturwissenschaft empfohlen. Sie geht (in
vielen Spielarten) von der im makroskopischen Bereich gewonnenen
Erkenntnis aus, daß sich in dynamischen Systemen, die „durch
Schwingungen, Iterationen, Rückkoppelungen, Grenzzyklen“ be
stimmt sind, unvorhersehbare Unordnungen ereignen, die aber als
Zwischenspiel von neuer Ordnung und Weiterentwicklung zu erwei
sen sind. Daraufhin enthält der destabilisierende Prozeß auch Züge
des Schöpferischen in sich. Nach I. Prigogine eröffnet ein solches
Konzept von Bewegtheit und chaotischem Suchen den Blick auf
einen Gott, der ein solches Werden intendiert und es zugleich ord
net40. Dieser Gott tritt aber in der Welt (nach Art Whiteheads) weni
ger als Schöpfer denn als Ordner auf, was von der christlichen
Schöpfervorstellung nicht gemeint ist41.
2) Der Zusammenhang von Schöpfung und Evolution
Von seiten einer dem religiös-theologischen Anliegen geöffneten
Richtung der Evolutionslehre wird eine direkte Vereinbarkeit der bei
den Geschehnisse vorgeschlagen, die besagt, daß der Schöpfungsakt
„außerzeitlich“ dasselbe ist, was wir „innerzeitlich“ als Evolution
erfahren. Kosmische und biologische Evolution wären identisch mit
dem „Augenblick der Schöpfung“42, der sich für uns nur in zeitlicher
38 Vgl. dazu H. M. Baumgartner, Die innere Unmöglichkeit einer evolutionären
Erklärung der menschlichen Vernunft: Evolution und menschliches Selbstverständnis,
55-71.
39 Vgl. R. Koltermann, Grundzüge der modernen Naturphilosophie, 63-75.
40 Vgl. I. Prigogine - I. Stengers, Dialog mit der Natur, 291.
41 Vgl. den daran anschließenden Versuch zum Einbau der Chaostheorie in die
Schöpfungslehre und in den christlichen Glauben bei A. Ganoczy, Chaos - Zufall -
Schöpfungsglaube, Mainz 1995. Der Chaosbegriff erscheint hier mit dem dramatischen
Charakter der Welt- und Heilsgeschichte identifiziert und auf Leid, Tod und Sünde ausge
weitet.
42 So H. v. Ditfurth, Wir sind nicht nur von dieser Welt, 144.
Erstreckung darstellt. So wird dem Schöpfungsgläubigen insinuiert,
daß er fraglos an Schöpfung und Evolution zugleich festhalten
könne, weil beide ontologisch dasselbe seien. Die sich bei einer sol
chen Interpretation stellende Frage ist nur die, ob dann die Berufung
auf einen Schöpfungsakt überhaupt noch notwendig ist (insofern ja
die Evolution selbst schon mit schöpferischer Kraft ausgestattet ist)
und ob dies nicht zur bloßen Beruhigung des religiösen Gemütes
geschieht, das die Schöpfungsvorstellung aus Pietätsgründen beibe
halten dürfe, ohne daß sie sich kognitiv und inhaltlich von der
Evolutionsvorstellung unterschiede. Auf diese Weise wird auch ein
täuschendes Einvernehmen zwischen Theologie und Naturwissen
schaft hergestellt, das den Glaubensansatz inhaltlich entleert.
Dieselbe Frage ist auch an diejenigen theologischen Interpreten zu
richten, welche die Selbstorganisation als schöpferisches Geschehen
deuten und es ohne nähere Differenzierung als creatio continua
bezeichnen. Damit ist das Wesen der göttlichen Schöpfung als allem
Werden überhobene Urhebung des Seins verkannt.
Demgegenüber muß die sinnvolle Zuordnung von Schöpfung und
Evolution mit der Kennzeichnung ihrer wesentlichen Verschieden
heit beginnen43. Dazu gehört zuerst die Feststellung, daß Schöpfung
ein transzendentaler, Evolution ein kategorialer Begriff ist. Als trans
zendentaler Begriff übersteigt Schöpfung alle empirische Wirklich
keit und Ordnung und setzt die Möglichkeit solcher Wirklichkeit und
Ordnung. Dagegen ist Evolution als kategorialer Begriff auf die er
fahrbare Wirklichkeit gerichtet und sagt von ihr eine besondere
Modalität aus. Er meint ein Geschehen, welches in Raum und Zeit
verläuft, während hinwiederum Schöpfung etwas erfaßt, was vor
jeder zeit-räumlichen Erstreckung und Bewegung gelegen ist und ihr
zugrundeliegt.
Ein weiterer Unterschied ist (wie schon angedeutet) darin gele
gen, daß der Schöpfungsbegriff auf den Ursprung und die Erhaltung
des Seins der Dinge geht, der Evolutionsbegriff dagegen nur eine
Feststellung über das Werden und die Veränderung der Dinge trifft.
48 Ebda., 69.
49 Der Versuch der Rückführung dieses Konzeptes auf Thomas scheitert an dem Satz des
Aquinaten: „Nichts nämlich, was seiner eigenen Art gemäß wirkt, intendiert eine Form, die
höher ist als seine eigene“: S.c.g. III, 23.
Kapitel IV:
Der Mensch in der Schöpfung Gottes
32 H. D. Preuß, 182-185.
33 A. Weiser, Das Buch Hiob (Das Alte Testament Deutsch, 13) Göttingen 21956, 19f.
II. Der Mensch im Licht des Neuen Testamentes
1) Das Erbe des Alten Testamentes
Das Menschenbild des Neuen Testamentes steht in innerer Ver
bindung mit dem Erbe des Alten Testamentes34. Soweit es den
Menschen von der göttlichen Erschaffung her versteht, übernimmt es
die alttestamentliche Tradition (vgl. Mt 5,17). So ist der Mensch in
der Verkündigung des synoptischen Jesus das vom „Herrn des Him
mels und der Erde“ wesentlich abhängige Geschöpf (Mt 11,25;
Lk 10,21), das „sein Leben“ auch nicht „um eine kleine Zeitspanne
verlängern“ kann (Mt 6,27). In allem bleibt der Mensch auf Gottes
Macht und Größe angewiesen. Er soll deshalb alle seine Sorgen auf
Gott werfen (1 Petr 5,7), dessen Fürsorge und Vorsehung sein Ge
schöpf dauernd umhegt (Lk 12,22ff.). Der Erfahrung der geschöpfli-
chen Ohnmacht steht das Wissen gegenüber, daß „bei Gott alles mög
lich ist“ (Mk 10,27, unter Hinweis auf Gen 18,14).
Im Glauben an die schöpfungsgemäße Abhängigkeit ist der
Mensch das gottbezogene Wesen, das diese Beziehung in restloser
Hingabe an Gott und im Dienstcharakter seines Lebens verwirklicht
(Mt 6,10). So nimmt der Mensch die Stellung des Knechtes Gottes
ein, der alles für seinen Herrn tun muß und dabei doch anerkennt,
daß er nur ein „unnützer Knecht“ ist (Lk 17,10).
Anders als im Alten Testament ist diese Hingabe an Gott aber
nicht nur aus der herrscherlichen Forderung des Schöpfergottes, son
dern vom wirklichkeitsträchtigen Beispiel Jesu Christi abgeleitet,
dessen Leben sich in der Erfüllung des Willens des Vaters vollende
te (vgl. Lk 2,49; Mt 26,39). So ist auch im Neuen Testament das
Verhältnis des Menschen zum Schöpfergott dialogisch verstanden:
„Glaube und Unglaube, Liebe und Haß, Beten und Opfern,
Gehorsam und Ungehorsam, Verantwortung und Schuld, Tugend und
Sünde, all das geht und west nur im personalen Bezug und gewinnt
seine ungeheuere Wirklichkeit und Wirkung eben nur innerhalb der
Ich-Du-Beziehung“35.
36 NBL 5, 762.
37 W. G. Kümmel, Römer 7 und das Bild des Menschen im Neuen Testament, 178.
38 Ebda., 18 Off.
Schöpfung“ (2 Kor 5,17) und dem erhöhten Christus übereignet
(Gal 2,20)39. Die Neuheit seines Seins erweist sich im „Nach-Gott-
geschaffen-Sein in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph 4,24).
In dieser Neuschöpfung werden „die Werke des alten Menschen“
(Kol 3,9) abgelegt und an ihrer Stelle angezogen „herzliches Erbar
men, Güte, Demut, Milde, Geduld“ (Kol 3,12). Vor allem aber ist es
die Liebe, die als „Band der Vollkommenheit“ (Kol 3,14) den neuen
Menschen qualifiziert. Das Neue dieses Lebens (Röm 6,4) besteht in
nichts Geringerem als in einer Teilnahme am Leben und an der Liebe
Gottes selbst, an der der Gläubige durch Christus Anteil gewinnt.
Christus wird auf diese Weise selbst „unser Leben“ (Kol 3,4), so daß
das Leben für den Menschen „Christus heißt“ (Phil 1,21). Die Teil
nahme am Leben Christi im Glauben macht die Getauften „in
Christus Jesus zu Gottessöhnen“ (Gal 3,26), zu an Sohnes Statt ange
nommenen Kindern (Röm 8,15; Gal 4,5), die keine Fremdheit mehr
gegenüber Gott kennen und wie Hausgenossen in seinem innersten
Lebensbezirk wohnen (Eph 2,19)40.
Ist das Menschenbild des Paulus in die heilsgeschichtliche Spannung zwi
schen Adam und Christus eingefügt, so erscheint die Schau des Johannes auf den
Menschen geradezu dualistisch bestimmt; denn der Mensch scheint „von Haus
aus belebter Staub mit irdischen ungöttlichen Trieben ...in weitester Entfernung
stehend von dem Leben sprudelnden Geist 6,63, daher vom Reiche Gottes, wel
ches nach 3,5 wie Gott selbst 4,24 geistlicher Natur ist, durch seine ganze irdi
sche Naturbestimmtheit ausgeschlossen“41. Doch kennt auch Johannes keinen
metaphysischen Dualismus zwischen Mensch und Gott, sondern nur den
Unterschied zwischen welthaft-sündigem Verhalten des Menschen und seiner
Gottergebenheit. Entscheidend für den Menschen ist, in welchem Bereich er sei
nen Ursprung nimmt und seine Wurzeln schlägt (vgl. Joh 8,12; 1 Joh 1,5f. mit
Joh 3,19-21). Sofern sich der Mensch für Gott in Jesus Christus entscheidet
(Joh 1,12f.), wird er zum Kind Gottes (Joh 1,12; 11,52), worin er sich allerdings
zu bewähren hat durch das Bleiben im Wort Christi (Joh 15,7) und durch das Tun
der Liebe (Joh 13,15)42.
So zeigt das Neue Testament zwar ein differenziertes, im Wesen
aber gleich geartetes Bild einer durch Christus vermittelten Gottun
39 NBL 5, 763.
40 Vgl. L. Scheffczyk, Der moderne Mensch vor dem biblischen Menschenbild, 69.
41 So W. G. Kümmel, a.a.O., 199 (als Zitat von H. J. Holtzmann).
42 NBL 5, 763.
mittelbarkeit43. Es ist vom Gipfel der Heilsgeschichte in Christus ent
worfen, während das Alte Testament erst in Erwartung und vor dem
Gipfel steht. Beiden aber gilt die „Gottebenbildlichkeit“ als der kon
zentrierteste und höchste theologisch-anthropologische Ausdruck.
III. Die G ottebenbildlichkeit des M enschen
1) Der alttestamentliche Befund und die Vielgestaltigkeit seiner
Interpretation
Der Begriff der „Gottebenbildlichkeit“ tritt in Gen. 1,26 als
Doppelbegriff auf, in der Form „imago“ - „similitudo“. Es heißt in
der Vulgata: „Faciamus hominem ad imaginem et similitudinem no-
stram“ („Laßt uns den Menschen machen als unser Abbild, uns ähn
lich“). Beide Begriffe werden in Gen 1,26 im wesentlichen synonym
gebraucht, obgleich das „similitudo“ auch als Abschwächung ver
standen wird. Imago (eikon-zälem) würde dann die Ähnlichkeit kon
kret und realistisch nach Art eines geschnitzten oder gemalten Bildes
fassen, „Gleichnis“ (similitudo, homoioma - demut) würde demge
genüber nur eine Ähnlichkeit allgemeiner und abstrakter Art
besagen. „Similitudo“ hätte dann eine abschwächende Wirkung und
würde anzeigen, daß der Mensch zwar Gott ganz nahestehe, aber
doch nicht gottgleich sei.
In bezug auf die weitere Frage, was unter der Gottebenbildlich
keit inhaltlich zu verstehen sei, herrscht eine große Schwankungs
breite in den Antworten der alttestamentlichen Exegese. So wird das
imago-Sein einmal vorzugsweise als körperliche Bestimmung ange
sehen (H. Gunkel), zum anderen als die geistige Befähigung der
Vernunft (P. Heinisch); sie wird aber auch mit der Persönlichkeit
(O. Procksch, Fr. Horst), der geistigen Überlegenheit (W. Eichrodt)
und der Herrschaftsstellung des Menschen über die übrige
Schöpfung identifiziert (J. Hempel). Schließlich sieht man in ihr die
von Jahwe auf den Menschen ausstrahlende Herrlichkeit und Hoheit
53 Vgl. J. Kürzinger, Symmorphous tas eikonos ton hyou autou (Röm 8,29): Der Mensch
als Bild Gottes, 69-76.
Jesus Christus ist, „der Gottes Ebenbild ist“ (2 Kor 4,4). Über die Art
und Weise der Verbindung mit dem Bild Jesus Christus spricht sich
am bestimmtesten der Römerbrief in der Verheißung aus: „Denn alle,
die er im voraus erkannt hat, hat er auch im voraus dazu bestimmt,
an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben ...“ (Röm 8,29).
Die Christen sollen mit dem Bild des Sohnes „konform“ werden
(„conformes“; „symmorphous“). Es ist damit freilich nicht ein
„Gleichsein“ mit dem Bilde des Sohnes ausgesprochen, wohl aber
ein Teilhaben am Bilde Christi und ein Verbundensein mit ihm. Auch
wenn in erster Hinsicht nicht das (oft auch herangezogene) „Gleich-
gestaltetsein“ gemeint sein dürfte, so liegt doch auch diese Bedeu
tung in der Nähe der Aussageabsicht des Apostels. In jedem Falle
handelt es sich um eine Verbindung von Person zu Person, die ein
Lebens Verhältnis begründet, das (in weitergehender Interpretation)
auch die Teilnahme am Erlösungsgeschehen und am Schicksal Chri
sti einbegreift, dessen Ziel und Ende die Verherrlichung beim Vater
ist.
So gipfelt die christliche Ebenbildlehre in der Erkenntnis, daß der
Getaufte nach seinem ganzen Sein in die Lebenswirklichkeit Christi
aufgenommen ist, dies freilich nicht in der Weise eines apersonalen
mystischen Aufgehens in Christus, sondern in der Beziehung von
Person zu Person. Dieses Verhältnis findet seine Bestätigung durch
die Vielzahl der Aussagen über das „In-Christus-Sein“ des
Gläubigen, in dem die christliche Anthropologie ihre sublime, mysti
sche Höhe gewinnt.
§ 13:
Grundlagen christlicher Anthropologie
Literatur: O. Cassmann, Psychologia. anthropologica sive animae humanae
doctrina II, Hanau 1596; J. Frohschammer, Über den Ursprung der menschlichen
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A. Vetter, Natur und Person. Umriß einer Anthropognomik, Stuttgart 1949;
E. Brunner, Dogmatik II, Zürich 1950; H. Meyer, Abendländische
Weltanschauung IV, Paderborn 1950; H. Thielicke, Theologische Ethik I,
Tübingen 1951; S. de Beauvoir, Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der
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H l.K o n g re g a tio n für die G lau b e n sle h re zu e in ig en F rag en der E sc h a to lo g ie vom
18 .7 .19 79 : P re s s e d ie n s t des S e k re ta ria ts d er D e u ts c h e n B is c h o f s k o n fe r e n z
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N eue A n th ro p o lo g ie, dtv W R 4148.
2 Vgl. d azu u.a. E. Din kler, Die A n th r o p o l o g ie A u g u s tin s , S tu ttg art 1934 im K apitel
ü b er „die a n t h r o p o l o g is c h e n M ö g l i c h k e it e n und S t u f e n “ : 91-2 0 9.
3 De o pific io Dei, c. 6-20.
4 D e n a t u r a h o m i n i s ; vgl. d a z u Fr. U e b e r w e g s G r u n d r i ß der G eschichte der
P h i l o s o p h i e II (hrsg. von B. G eyer) D a r m s t a d t 131958, 120f.
5 Vgl. H eilk u n d e. Das B u c h von d em W esen und d er H e ilu n g der K r a n k h e i t e n Salzbur®
41981 .
Behandlung anthropologischer Fragen d u r c h Albert d. Gr. (+ 1280)
erhoben, der den zentralen Problemkreis des Verhältnisses von Leib
und Seele zu einer Einheitsschau unter Zuhilfenahme zahlreicher
naturwissenschaftlicher Erkenntnisse seiner Zeit verband6. Ihm folg
te sein Schüler Thomas v. Aquin (+ 1274), der ebenfalls Ansätze
einer ganzheitlichen Anthropologie entwickelte, die den Menschen
als Einheit von Geist und Materie erfaßte und als zentrale Nahtstelle
in eine kosmische Ordnung einbezog7. Es handelte sich dabei aber
stets, auch bei Einbeziehung vieler naturhafter und kosmologischer
Elemente, um eine metaphysische Anthropologie, die ihrerseits auf
die Theologie und auf die übernatürliche Zielbestimmung des
Menschen ausgerichtet war.
Eine beachtliche Wende brachte hier die Renaissance, die eine
anthropozentrische Neuorientierung einleitete mit der Betonung der
Würde und Schöpferkraft des Menschen. Dabei geriet die göttliche
Tat am Anfang nicht außer Blick, aber das Beherrschende war die
Betrachtung der Größe des Menschen und der ihm eigenen schöpfe
rischen Fähigkeiten, die er nicht nur auf dem Gebiet der Kunst und
W issenschaft, sondern besonders auch auf dem Feld der Geschichte
einzusetzen vermag (so besonders G. Vico, + 1744). Der anthropolo
gische Grundimpuls des Zeitalters klingt beispielhaft auf in der
Sentenz des Pico della M irandola (+ 1494): „Die Wunder des Geistes
sind größer als der Himmel. Es gibt nichts Großes auf der Erde außer
den Menschen, nichts Großes im Menschen außer seinem Geist und
seiner Seele“8.
Dem W andel des m e ta p h y sisc h v eran ke rte n M e n s c h e n b ild e s ging zur Seite
ein ä h n lic h e r W andel des N a tu rv e rstä n d n isse s , das vor allem von der A stro n o m ie
v o ra n g etrieb en w urde. Sie b ild ete eine N atu rw is se n sc h a ft aus, die nach G alilei
(+ 1642) „ohne M e sse n und W ä g e n “ nicht sein konnte. So w urde alles m e n s c h
liche W is se n ss tre b e n als T a tsa c h en fo rsc h u n g v erstand en und em p irisch b e g r ü n
det. F reilich ko nn te sich die so v ers tan d en e N a tu rfo rsc h u n g nicht u n m itte lb a r
mit dem G eh eim n is des M e n s c h e n befassen. Das le istete nun die P h iloso ph ie,
die sich aber von den m eta p h y sisc h e n W urzeln trennte und den seit dem
16. J a h rh u n d e rt au fg e k o m m e n e n Titel der „ A n th ro p o lo g ie “ in h a ltlich m it der
B estim m u n g versah: „A n th ro p o lo g ia est d octrin a hu m a n a e n a tu r a e “9.
10 A n t h r o p o l o g ie : H W P h I, 363.
11 So bei P. C h a u c h a rd , Wie frei ist d er M e n sc h ? B i o l o g i e und M o ral, 1 1-26.
Humanwissenschaften durch philosophische R eflexion sittliche Ver
bindlichkeiten erheben sollte, und zwar durch M otivieren, Stim ulie
ren und K ritisieren m enschlicher H andlungsentw ürfe, wobei das
Lehram t nur die Stellung eines Partners im D ialog der W ahrheits
findung beanspruchen sollte12.
Aus dem gleichen Verständnis heraus ergingen Warnungen sei
tens der Theologie selbst, den Menschen nicht „nur mit der ver
meintlichen geschichtsenthobenen Optik des Auges Gottes selbst“
sehen zu wollen, weil man so „schon für ein bestimmtes M en
schenbild optiert“ , das es offenbar wegen der Geschichtlichkeit aller
M enschenbilder auch für die Theologie nicht geben kann. Dabei
wurden auch die Erkenntnisse der genuin christlichen Anthropologie
(wie die Gottebenbildlichkeit) als „abstrakte formale Daten“ be
zeichnet, die für ein konkretes Menschenbild nicht ausreichten13. Aus
der gleichen Richtung erging die Mahnung des Exegeten: „Die theo
logische Anthropologie muß, wenn sie meint, das Menschsein des
Menschen allein in seiner Gottbeziehung erfassen zu können, ins
Leere stoßen; denn es gibt den Menschen nicht, der allein in der
Gottebenbildlichkeit existierte“ 14. Auch hier geht die Tendenz dahin,
die theologische Anthropologie vor der angeblichen Gefahr einer
Selbstüberschätzung zu bewahren und sie auf den Dialog mit den
Humanwissenschaften zu verweisen, aus dem eine Konvergenz der
Erkenntnisse zutage treten und ein ganzheitliches Menschenver
ständnis erhoben werden könnte.
Die an die Theologie gerichtete Forderung zur Begrenzung ihrer
Zuständigkeit in der Anthropologie und zur Kenntnisnahme der
humanwissenschaftlichen Forschung erscheint berechtigt; denn der
Anspruch, alles vom Menschen sagen und eine Totalvorstellung vom
Humanum erstellen zu können, würde die Theologie in den Stand
einer anthropologischen Überwissenschaft erheben, woran sie allein
schon aus wissenschaftstheoretischen Gründen scheitern müßte.
21 A u s f ü h r l i c h e r bei L. S ch e f fc z y k , T h e o l o g is c h e A n t h r o p o l o g ie im S p a n n u n g s f e l d z w i
sc hen H u m a n w i s s e n s c h a f t e n u nd P h ilo so p h ie : V e r ä n d e r u n g e n im M e n s c h e n b i l d , 23-32.
22 Vgl. die In t e rp r e t a t i o n von K. L o re n z , D ie R ü c k s e i t e des S p ieg els, 33-45.
der Umwelt entstanden sei. Diese Auseinandersetzung war dieser
Interpretation zufolge immer auch ein erkenntnisbringender Prozeß,
verbunden mit der Hervorbringung immer geeigneterer Erkenntnis
apparate, die schließlich auch das Entstehen eines reflektierenden
Bewußtseins ermöglichten23.
Ähnliche Kritik muß auf dem Gebiet der Verhaltensforschung die
Ableitung des Bösen aus einem notwendigen, aber nicht ganz geord
neten Aggressionstrieb erfahren. Das Böse (im personalen Verständ
nis die Sünde) wird auf einen an sich arterhaltenden Instinkt zurück
geführt, der wie alle Instinkte oft verderbliche Wirkungen zeitigt,
welche aber auch durch natürliche Hemmungsmechanismen gesteu
ert werden können. Das Gesamturteil über den Menschen lautet
dann: „Der Mensch ist gar nicht so böse von Jugend auf, er ist nur
nicht ganz gut genug für die A nforderungen des m odernen
Gesellschaftslebens“24. Dabei kommt zwar auch die menschliche
Verantwortung ins Spiel. Aber diese ist auch nur ein Kompensa
tionsmechanismus, der das Instinktleben des Menschen an die Erfor
dernisse des Kulturlebens anpaßt25. Ethik ist hier auf Zw eck
mäßigkeit reduziert und der Sinn des menschlichen Lebens auf die
Erhaltung der Art.
D er g leiche R ed u k tio n ism u s ist am Werk, w enn m an gew isse F o lg e ru n g e n
aus der K y b e rn etik und der T ech n o lo g ie der C o m p u ter b ed en k t, w elche v o rg e
ben, die L e istu n g e n m e n s c h lic h e r In tellig en z zu e rreich en oder sie so gar zu
ü b erflüg eln . D ie G ren ze zw isch en dem M en s ch en und der „ m a c h in a s a p ie n s “
scheint zu v e rf lie ß e n 26. D em ist e n tg e g e n zu h a lten , daß m a s ch in elle In tellig en z
zw ar o b jek tiv ierb a re D aten, F ak ten und Vorgänge q u a n tifiz iere n d speichern , v e r
b in d en und w ie d e rg e b e n kann, daß aber solche ratio n a l-lo g isc h e n P ro z esse nich t
mit m e n s c h lic h e m D en ke n g le ic h g e se tz t w erden kö nn en; denn dieses zeic h n e t
sich aus d u rch das E in d rin g e n in das nich t q u a n tifiz ie rb a re W esen der D in ge,
d urch F rem d - und S elb s tv ers teh en , w ie auch durch W erterfassen. Die d ie s b e z ü g
lichen Id e n tifiz ie ru n g sv e rs u c h e zw isc h e n log isch en O p e ra tio n e n der R e c h e n
m a sc h in e n und dem m e n s c h lic h e n D enk en v erw e ch se ln den G eist des M en s ch en
mit dem F u n k tio n ie re n des G eh irns. Sie k o m m en aus ein e r v o r w is s e n s c h a ft li
chen w e lta n s c h a u lic h e n O p tion für ein m ec h a n istisch es M e n s c h e n b ild , die den
28 J o h a n n e s C h r y s o s t o m u s , H o m i l i e n zu r G en es is, 2.
29 D e r e s u r r e c t i o n e m o r tu o r u m , 8 .
30 E b d a., 46.
31 Ad u x o r em I, 7.
32 G r e g o r v. N a z ia n z , A u f die G e b u r t C hristi, 9-11.
33 So e rk lärt A m b r o s i u s v. M a i la n d (+ 397): „N ich t der L eib also k an n g o t t e b e n b i l d l i c h
se in, so n d e rn n u r die S e e l e “ : H e x a e m e r o n 6 ,4 4-45.
D er Gedanke einer Dualität im M enschsein, welcher einer
menschlichen Grunderfahrung entsprach, konnte aber leicht duali
stisch interpretiert werden, was unter neuplatonischem Einfluß u.a.
bei Origenes (+ 253/254) geschah, der in stark spiritualistischer N ei
gung den M enschenseelen als vollkommenen Geistern ein präexi
stentes Dasein zuschrieb, aus dem heraus sie erst durch die Sünde in
die Materie hinabfielen. In dieser Auffassung war die Zusammen
gehörigkeit von Seele und Leib gelöst, die schöpfungsgemäße Ver
bindung aufgegeben und die materielle Leiblichkeit in die Nähe des
Sündhaften gerückt.
D iesen T endenzen, die d urch die O rig e n iste n v e rs c h ä rft w urd en, beg egn ete
die S y n o d e von K o n stan tin o p e l (543) m it d em A n a th e m a tis m u s: „Wer sagt oder
d aran festhält, die Seelen der M en s ch en hätten präe xistie rt, in dem sie ehedem
G e iste r und h eilige K räfte g ew esen seien, seien aber der g ö ttlich en A n sc h a u u n g
ü b e rd rü ssig gew o rden , hätten sich zum S ch le c h te re n g ew andt, seien desh alb in
der L iebe zu G o tt erkaltet, aus diesem G ru n d e S eelen g e n a n n t und zur Strafe in
[die] L e ib e r h in a b g e s a n d t w orden, der sei m it dem A n ath em b e le g t“ (DH 403).
D ie s e g n o s t i s c h - d u a l i s t i s c h e n S t r ö m u n g e n g in g e n auch im (von der
F o rs c h u n g u n ein h eitlich b eu rteilte n ) P risz illia n is m u s weiter, der a u f der Synode
von B raga (be go nn en 561) seine V erurteilung erfuhr, die sich w ie d e ru m gegen
die P rä e x iste n z v o rste llu n g und gegen die V erban nu ng der S eelen in m en s c h lich e
L e ib e r rich tete (DH 4 5 6 -4 59 ). A uch gegen eine b eso n d e rs ab struse Form des
D u a lis m u s, nach w e lc h e r der L eib vom Teufel e rs c h a ffe n w orden sei, n ahm die
S y no de von B raga Stellu ng , in d em sie die A u ffa ss u n g verw arf, „daß der Teufel
einige G esch ö p fe in der W elt g e m a c h t“ h abe (D H 458). Wenn die Lehre der
O rig en isten und d er P risz illia n e r g eleg e n tlich m it der S e e le n w a n d e ru n g in
V erbind un g g e b rach t w ird (die von den V äte rn g en erell abg ele h n t w u r d e 14, so ist
das n ich t beg rü nd et. Sie v ertraten nicht eine im m e r w ied er vor sich geh en de
M e te m p sy c h e , so ndern eine e in m alig e E n so m a to se der gefallenen Seelen.
Gegen eine andere Art von Dualismus wandte sich das Vierte
Konzil von Konstantinopel (869/70), das in der Angelegenheit des
Photius (+ um 891) zu entscheiden hatte35. Es warf dem Patriarchen
einen „psychologischen D ualism us“ vor, nach welchem es im
Menschen zwei Seelen gebe, eine minderwertige und sündige und
eine vernünftige und sündenlose. Obgleich zu bezweifeln ist, daß
Photius selbst eine solche Auffassung vertreten habe, so scheint sie
Gegen eine Mißdeutung der Lehre von der Seele als inform ieren
des Prinzip des Leibes nahm am Ausgang der mittelalterlichen scho-
lastischen Lehrtradition auch das Fünfte Laterankonzil (1512-1513)
Stellung. Als Vertreter eines kritischen Aristotelismus erneuerte
P. Pomponazzi (+ 1525) die schon im Altertum vertretene Lehre von
der Sterblichkeit der Seele (Thnetopsychiten), genauer von der
Nichtbeweisbarkeit der Unsterblichkeit mit der Vernunft. Damit ver
band sich zu dieser Zeit auch die These des averroistischen
Monopsychismus von einem gemeinsamen allgemeinen Nous der
Menschen und einer unpersönlichen Unsterblichkeit. Dagegen wand
te sich das Konzil und verurteilte „alle, die behaupten, die vernunft
begabte Seele sei sterblich oder eine einzige in allen Menschen“
(DH 1440). Es fügte hinzu, daß diese Aussagen (im Gegensatz zu der
damals auch berufenen Theorie von der doppelten Wahrheit) nicht
einmal philosophisch vertreten werden können (DH 1441). Auch
wenn das Hauptgewicht dieser Erklärung auf der Individualität und
Unsterblichkeit der Einzelseele (die hier offenbar als ein natürliches
Gut der Seele angesehen ist) liegt, so ist sie doch nicht im Sinne
einer abstrakten Aussage über die Seelensubstanz allein zu deuten,
sondern in ihrer Heilsbedeutung für den ganzen Menschen zu verste
hen.
3) Distanz und Öffnung zum modernen Denken
In der Neuzeit beschränkte sich die kirchliche Lehrverkündigung
darauf, die von der Lehrtradition erarbeiteten Grundsätze gegen ein
zelne vom philosophischen Denken kommende Abweichungen in Er
innerung zu rufen, so gegen A. Günther (+ 1863) und seine Auffas
sung von einer Naturpsyche des Stoffes (DH 2828) und gegen
A. Rosmini (+ 1855) und seine Neigung zum Traduzianismus wie zur
Möglichkeit einer Wandlung der sinnlichen Seele in eine Vernunft
seele (DH 3220ff.). Im Verfolg dieser Grundsätze kam es auch zur
Indizierung (1857) der Seelenlehre J. Frohschammers (+ 1893)37, in
welcher den Eltern bei der Zeugung eine sekundäre Schöpfermacht
bezüglich der Seele des Kindes zugebilligt wurde.
Sind diese A k tio n e n d u rch eine (b egrün dete) D istanz zu einer zu stark von
den W is se n sc h a fte n ab h ä n g ig e n T h eo lo g ie gek en n zeich n e t, so bew eist sch on die
S tellu n g n a h m e P i u s ’ XII. zur F rag e nach der L e g itim ität e v o lu tio n s th e o re tis c h e r
38 E n z y k l ik a „ H u m an i G e n e r i s “ v om 12. A u g u s t 1950.
39 Zu e i n i g e n F r a g e n d er E s c h a t o l o g i e : S c h r e i b e n d er Hl. K o n g r e g a t i o n fü r die
G laubenslehre vom 1 8 .7 .1 9 7 9 : P re ssed ien st des S ekretariats der D eutschen
B i s c h o f s k o n f e re n z 25/79.
III. Der W eseesbestand des M enschen
Der systematischen Theologie obliegt es, auf der Grundlage der
Offenbarungsaussagen und im Lichte der kirchlichen Lehrverkündi
gung die grundlegenden Wahrheiten über die Wesenskonstitution des
Menschen zu erheben, weil sich aus ihnen die Besonderheit der
Menschenschöpfung ergibt, aber in ihnen auch die Voraussetzungen
für die Art der übernatürlichen Vollendung des Menschen gelegen
sind. Das geht allererst schon an der leib-geistigen Einheit des
Menschen auf.
1) Die Geistleiblichkeit des Menschen
Von den biblischen Zeugnissen her ist der Theologie und dem
christlichen Denken die Wahrheit von der geist-leiblichen Einheit
des Menschen unbezweifelbar. Gleichwohl gibt es bezüglich ihrer
Begründung und der Art und Weise ihres Bestehens weiterhin
Probleme. Sie ergeben sich schon im Hinblick auf die Interpretation
der einschlägigen biblischen Zeugnisse. So trifft es zu, daß dem bib
lischen Denken weder die Scheidung von „Leib“ und „Seele“ noch
von „Fleisch“ und „Geist“ geläufig ist. Aber dieser Umstand erlaubt
nicht, der Bibel eine monistische und gar materialistische Einheits
auffassung zu unterschieben und zu behaupten, daß „man hier durch
aus von einer materialistischen Auffassung des Menschen spre
chen“40 könne. Es ist nicht zu verkennen, daß schon das Alte Testa
ment, dessen Anthropologie wie dessen Eschatologie theologisch
noch nicht voll entwickelt sind, vom Menschen schon differenzierter
denkt, wenn es „die sich ergänzenden und untrennbaren Begriffe von
Körper und Leben“ gebraucht41. Mit dem Begriff des Geistes (ruach)
aber erfaßt es das dem Menschen innerlichste Moment, das in der
höchsten Bedeutung als Quelle des geistigen Lebens angesehen
wird42. Trotzdem kennt das Alte Testament weder eine Dichotomie
noch eine Trichotomie der Wesenskonstitution des Menschen, wohl
aber verschiedene Aspekte und Relationen innerhalb des einen
Wesens. Diese finden in der unter griechischem Einfluß stehenden
40 So CI. W e s te rm a n n , S c h ö p f u n g , 111.
41 Vgl. T h W N T IX 629, P sy ch e (Jacob).
42 Vgl. J. B a u er (H rs g .), B i b e l t h e o l o g i s c h e s W ö r te rb u c h , 258 (R. Koch ).
W eisheitsliteratur eine deutlichere begriffliche Abhebung m it der
U nterscheidung von „Leib“ und „Seele“ (Koh 12,7; Weish 8,19f.;
9,15), die auch in das Neue Testament eingegangen ist (Mt 10,28;
1 Thess 5,23) und die Unterscheidung zwischen Sterblichem und
Unsterblichem bei sich hat.
D as p h ilo so p h isc h -th e o lo g isc h e D en k e n des C h ris ten tu m s ko nn te nich t u m
hin, diese D iffe re n z ie ru n g e n kla re r zu b e s tim m e n un d sie in ein b eg rü n d b ares
Verhältnis zu setzen. D azu diente die aus dem G rie c h e n tu m ü b e rn o m m e n e D o p
p elu n g von „ L e ib “ und „ S e e le “ , die zw ar (etw a in der a le x a n d rin iseh en Schule)
eine gew isse d u a listisch e F ärb un g a n n eh m e n k on nte , ab er n iem als ein en D u a lis
mus e n tg e g e n g e se tz te r P rin z ip ie n hervortrieb. D er vom P lato n is m u s b e stim m te
v e ra b s o lu tie rte G e g e n sa tz zw isc h e n G e ist und Leib, der zu ein e r rein a k z id e n
tellen A u ffa ssu ng des V erhältnisses b e id e r fü hrte (L eib als „K e rk e r“ o der „ G ra b “
o der auch als „K leid der S e e le “ ), v erb u n d e n m it d er A n e rk en n u n g der Seele als
d e r eig e n tlic h e n W irk lich k eit, k o n n te z w a r d er c h ristlic h e n A n th ro p o lo g ie
anfangs m a n c h e S puren au fdrück en. So k o n n te A u g u stin u s (+ 430) die Seele als
eine v e rn u n ftb eg ab te S ub stanz definieren m it d er B estim m u n g , den Leib zu
b e h e rr s c h e n 43 (ohne je zu ve rge sse n, daß auch der L eib aus G ottes S c h öp fu ng
stam m e und nicht als K erker der Seele gelte n kö nn e). Die E rh altu n g der E in heit
w ar h ier zw ar inten diert, aber doch nur als in stru m en tale o der fun ktio na le
erklärt.
§ 14:
21 V g l . J. B e rn h a r t, a.a.O ., 34-44.
22 Vgl. L. S che f fc z y k , Vox C h risti ad P atr em , 5 7 9 - 6 1 4 .
23 H e x a e m . XII, 14 u.ö.
ten, daß „die Schöpfungswerke in eine Zeitganzheit“ eingeordnet
sind, „zu der das Zugehen der Werktage auf den Ruhetag gehört“24.
Die Schöpfung wird demnach erst vollendet an einem besonderen
„Gottestag“ , den Gott „segnet“ und „heiligt“, d.h. den er für sich aus
sondert. Damit ist angedeutet, daß die Tage der Schöpfung auf ein
Ziel zugehen, das von anderem Charakter und von anderer Art ist als
sie selbst, ein transzendentes Ziel, nämlich die Heiligkeit, die Ruhe
und die Ewigkeit Gottes.
Wenn die Schöpfung als der Anfang des Weges Gottes mit den
Kreaturen auf ein Vollendungsziel hin verstanden wird, dann wird
der Mensch zum Mitvollstrecker eines geschichtlichen Auftrags und
zum „Partner“ Gottes erhoben, wenn auch nicht auf gleicher Stufe
und gleichen Rechtes. Was an späterer Stelle das Neue Testament
vom Menschen als „M itarbeiter Gottes“ (1 Kor 3,9) innerhalb der
Heilsverwirklichung in der neuen Schöpfung sagt, das erfährt bereits
in der ersten Schöpfung seine Grundlegung und Vorbereitung. Sie ist
umso beweiskräftiger, als ja „erste“ und „zweite Schöpfung“ , Schöp
fung und Erlösung, Natur und Gnade nicht voneinander zu trennen
sind, sondern in dem einheitlichen göttlichen Weltplan aufeinander
bezogen sind.
1) Der Sinn der Weltarbeit
Der Weltauftrag des Menschen ist nach biblisch-christlichem
Denken durch die Verpflichtung zur Arbeit konkretisiert25. Diese Ver
pflichtung ist dem Menschen schon vor der Sünde (im „Paradies“)
auferlegt worden (Gen 2,1-5) und gehört zu seiner ursprünglichen
Bestimmung. Hier wird nicht nur ein Menschenverständnis abge
lehnt, dem die Arbeit als niedrige und sklavische Last gilt; vielmehr
ist die mühevolle Beschäftigung mit der Welt und die Aktion an ihr
in die Verwirklichung des Menschen als geschichtliches Wesen in
dieser Welt miteinbezogen. In einer Epoche, in der ein dynamisches
Weltverständnis bestimmend ist und die Welt als eine auf Evolution
und Fortschritt angelegte begriffen wird, darf auch das biblisch
christliche Verständnis vom Weltauftrag des Menschen dynamisch
24 CI. W e s te rm a n n , S c h ö p f u n g , 93.
25 Vgl. zum F o l g e n d e n L. S c h e f fc z y k , E in f ü h r u n g in die S c h ö p f u n g s l e h r e , 121 ff.
gefaßt werden, d.h. nicht nur als Bew ahrung und Erhaltung der ge
setzten O rdnungen, sondern auch als A ktivität zur Entw icklung und
schöpferischen Umgestaltung der Welt auf ihre Vollendung hin.
W ä h re n d die trad itio n elle T h eo lo g ie d ie sen W eltauftrag und den th e o l o g i
schen Sinn der A rb eit für den M e n s c h e n als H o h e its trä g e r der S c h ö p fu n g w e n i
ger b e a c h tete (was sich in d ire k t auch schon in der u n g e sc h ic h tlic h e n A u ffa ssu ng
vom „ P a ra d ie s “ als dem O rt seligen G e n ie ß e n s au sd rü ck te), d roht heu te in der
B ew ertu ng des W eltau ftrag s und der W eltarb eit ein an deres E xtrem . Es ist v e r
ständ lich , daß die po sitive B ew ertu n g des G esc h a ffe n e n und W eltlichen z u s a m
men mit den durch den te c h n isc h e n F o rtsch ritt e rb rach ten M itteln und M ö g lic h
keiten zur V erbesserun g der m e n s c h lic h e n L e b e n s b e d in g u n g e n die W eltarbeit
im m er d ringlicher, aber auch im m er v erh e iß u n g sv o lle r und fa s z in ie re n d e r e r
sc heinen lassen. Z u g le ich aber w äch st im E n th u sia sm u s der W e ltzu w en du ng
doch auch der geg en te ilig e und z w ie sp ältig e E in d ru c k , daß die E rg eb n is se des
F o rtsch ritts in ein e r m e r k w ü r d ig e n A m b iv alen z nicht u n b ed ing t der V erb esse
ru ng des m e n s c h lic h e n D aseins im g anzen zu gu te k o m m en und daß sie nicht s e l
ten sog ar das Wohl d er M e n s c h h e it b edroh en. D arum steht das c hristlich e
S ch ö p fu n g s d e n k e n heu te nic h t nu r vor d er A u fg ab e, die N o tw en d ig k e it des
W eltauftrags des M en s ch en und der W eltarb eit e in z u s ch ärfen , son dern sie auch
th e o lo g is ch in die O rd n u n g und in den G e ist des g ö ttlich en S c h ö p fu n g s p lan es
e inzufüg en.
45 A .a .O ., nr. 5.
46 I. H ö ffner, a.a .O ., 41 ff.; vgl. auch die E rk lä r u n g d er D e u t s c h e n B is c h o f s k o n f e r e n z zu
F ra g e n der U m w e l t und d er E n e rg ie v e r s o rg u n g : Z u k u n ft der S c h ö p f u n g - Z u k u n ft der
M e n s c h h e i t , B o n n 1980; ebenso : Die V eran tw o rtu n g des M e n s c h e n für das Tier. P o sitio n e n
- Ü b e r l e g u n g e n - A n r e g u n g e n ( A rb e i t s h i l fe n 113; hrsg. vom S e k r e t a ri a t d er D e u ts c h e n
B i s c h o f s k o n f e re n z ), B o n n 1993.
Diese Potentialität wird allerdings nicht aktuiert ohne den Ein
schluß und die M itbeteiligung des M enschen. Das, was hier als
M achtm om ent, als die ins G renzenlose gehende D ynam ik der Tech
nik ausgegeben wurde, sind objektive Bestimmungen und Deter
minanten, die die Ambivalenz des Technischen erklären. Aber sie
kämen nicht zum Zug, wenn der Mensch ihnen als auf diese Macht
ansprechendes und durch den äußeren Schein versuchliches Wesen
nicht korrespondierte. In der Technik ist das Machtmoment beson
ders konzentriert. Es ist dies zugleich jenes Moment, das im gefalle
nen Menschen als Quelle der Versuchlichkeit wirkt. Wo eine solche
Konjunktion zwischen objektiver M ächtigkeit und subjektiver Ver
suchlichkeit und Schwäche zustande kommt, ist das betreffende ge-
schöpfliche Mittel mit der Gefahr der Entartung und mit der Tendenz
der Desorientierung behaftet. Es steht in besonderer Weise unter dem
Schatten menschlicher Fehlbarkeit und Sünde. Aber im Licht der
Erlösung kann auch dieser Schatten zerstreut werden.
Kapitel V:
Die Engel als dienende Geister in Schöpfung
und Heilsgeschichte
§ 15:
Die Existenz der Engel in den Offenbarungszeugnissen auf dem
Hintergrund des säkularisierten Weltbewußtseins
L ite ratu r: W. M. L. de Wette, L eh rb u ch der c h ristlich en D o g m atik , 2 Teile,
B erlin 218 2 1; P. D. C han tepie de la S aussaye, L eh rb uc h der R e lig io n s g e s c h ic h
te I, T ü b in g e n 41925; F. Stier, G ott un d sein E ngel im A lten T estam en t, M ü n ch en
1934; J. M ieh l, D ie E ng el vorstell ungen in der A p o k a ly p se des hl. Jo h an n es,
M ü n c h e n 1937; H. S tephan, G lau b e n sle h re , B erlin 31941; H. W. B artsch (H rsg.),
K ery g m a u nd M y th os, H am bu rg 1948; K. B arth, Die kirch lich e D o g m a tik III/3,
Z ü rich 1950; H. W. H e gem ann , D e r E ngel in der d e u ts c h e n K unst, M ü n c h e n
21950; H. B o nn et, R ealle x ik o n der ä g y ptisch en R elig io n sg e s c h ic h te , B erlin
1952; E. P eterson , D as B uch von den E n geln. S tellun g und B e d e u tu n g der h e il i
gen E ng el im K u ltus, M ü n c h e n 21955; J. B rin k trin e, D ie L e h re von der
S c hö pfun g, P ad erb o rn 1956; Th. B ogler, D er E ng el in der m o d e rn e n K unst, in:
L itu rg ie und M ö n c h tu m H. 21 (1957) 110-121; G. v. Rad, T h e o lo g ie des A lten
T estam en ts I, M ü n ch en 1957; P. Tillich, S y stem atisch e T h e o lo g ie II, S tu ttg art
1958; D. Fr. S c h l e i e r m a c h e r , D e r c h r i s tl ic h e G la u b e I (neu h rs g . v on
M. R ed ek er), B erlin 1960; P.-R. R egam ey, Die Welt der E ng el, A sch affe nb urg
1961; A. W ink lho fer, Die Welt der E ngel, E ttal 1961; J. D anie lou , D ie Sen d un g
der E ngel, S alzburg 1962; H. Schlier, D ie E n gel nach dem N eu en T estam ent:
B esin n u n g au f das N eue T estam ent. E xeg etisch e A u fsätz e und V orträge II,
F reiburg 1964; H. G. Fritzsch e, L e h rb u c h der D o g m a tik II, G ö ttin g en 1967;
K. R ahner, S a c ra m e n tu m m u nd i I, Freibu rg 1967, 887-904; D ers., Ü b er Engel:
S chriften zur T h eo lo g ie X III, Z ü rich 1978, 381-428; M. S eem ann , Die Engel:
M y s te riu m Salutis II (hrsg. von J. F e in e r und M. L öh re r) E in sie d e ln 1967;
G. Tavard (u nter M itarb eit von A. C a q u o t und J. M ichl), D ie E ngel (H D G II/2b),
F re i b u r g 1968; P. L. B e rg e r, A u f d en S p u re n d er E n g e l. D ie m o d e r n e
G e se llsc h a ft und die W ied e re n td e c k u n g der T ran szen den z, F ra n k fu rt a.M. 1970;
H. H aag, T e ufe lsglau be, T ü b in g e n 1974; H. U. v. B althasar, T h e o d ra m a tik II/2:
D ie P e rs o n en des Spiels, E in sied eln 1978; G. E b eling , D o g m a tik des c h ristlich en
G la u b e n s I, T ü b in g e n 1979; A. S z ab ö , D ie E n g e lv o r s te l lu n g v om A lte n
T e s ta m e n t bis zu r G n o s is : K .-W . T rö g e r (H rs g .) , A lte s T e s ta m e n t,
F rü h c h r iste n tu m - G nosis. N eu e S tu die n zur „G nosis und B ib e l“ , G ü terslo h
1980; E. S chlin k, Ö k u m e n is c h e D o g m a tik , G ö ttin gen 1983; J. M o ltm an n , G o tt in
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E in fü h ru n g in die S c h ö p fu n g s le h re , D a rm s ta d t 31987; N B L (hrsg. von M. G örg
und B. L ang), Z ü rich 1988ff.; K. H. Schelkle, Die C h öre der E ngel, O stfild ern
1988; N e ues H a n d b u c h th eo lo g is c h e r G ru nd be griffe (hrsg. von P. Eicher) I,
M ü n ch en 1991; W. P a nn enb erg , S y stem atisch e T h eo lo g ie II, G ö ttin g en 1991;
U. Wolff, D ie W ied e rk eh r der E ngel, in: Im p ulse (E v an g elisch e Z en tra lstelle für
W e lta n sc h a u u n g s fra g e n - Texte) Nr. 32, 1/1 1991; Th. S c h n e id e r (H rsg.),
H an d b u ch der D o g m a tik I, D ü s s e ld o rf 1992; H. Vorgrimler, W ie d e rk eh r der
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G la u b e n sz u g ä n g e . L e h rb u c h der k a th o lis c h e n D o g m a tik I, Pad erb o rn 1995.
3 L e h r b u c h der c h r i s t l i c h e n D o g m a t i k , 89.
4 G l a u b e n s l e h re , 12 5 f .
5 H. B o n n e t, R e a l le x ik o n der ä g y p t i s c h e n R e li g i o n s g e s c h i c h t e , 146ff.
6 C h a n te p ie de la S a u ss a y e , L e h r b u c h d e r R e li g i o n s g e s c h i c h t e I, 572.
7 N B L , Lfrg. 4, 537 (H. R ö ttg er); zum F o l g e n d e n vgl. A. S zabö , Die E n g e l v o r s t e l lu n g
vo m A lten T e sta m e n t bis zur G no s is , 147ff.
dualistischen Gepräge besonders auch den Erklärungsgrund für den
biblischen Gegensatz von Gott und Teufel abgeben sollte. Von der
Vorstellung des persischen Hofstaates scheint die platonisch be
stimmte kleine pseudoaristotelische Schrift „Von der W elt“ beein
druckt zu sein, in welcher der Autor zu erkennen gibt, daß am Thron
des höchsten Gottes ein prunkvoller Hofstaat von Dienern und
Wächtern zu dessen Schutz existiert. Solche Vorstellungen scheinen
dann in die griechische und römische Mythologie eingeflossen zu
sein, die aber nicht nur bei der Entwicklung eines Polydämonismus,
sondern bei der Götterlehre überhaupt Pate stand.
Gegen eine Abhängigkeit des Alten Testamentes vom Parsismus
spricht vor allem dessen dualistischer Grundzug, nach dem der böse
Gott Ahriman mit seinen Dämonen und der gute Gott Ahura Mazda
im Kampf miteinander standen. Direkte Einflüsse auf den Ursprung
des Engelglaubens im Alten Testament, wie er sich schon in den vor-
exilischen Schriften bekundet, sind deshalb nicht anzunehmen, so
daß eine neuere Stellungnahme zutreffend feststellt: „Ebenfalls
unklar ist der Einfluß anderer, vor allem persischer Einflüsse“8.
E ine W e itere n tw ick lu n g w ird sichtbar, w en n m an den B lick au f die späteren
a p o k a ly p tis c h e n Texte des A lten T estam en tes rich tet und au f die A p o k aly p tik
in s g esam t, die d anach vor allem in die altte s ta m e n tlic h e n A p o k ry p h en eindringt.
In den V isionen des P ro p h e te n S a c h a rja (1 ,7 -6 ,5 ) sp ielt der D eu te- oder
D o lm e tsc h e n g e l eine w ichtig e R olle als A u sle g e r der an den P ro p h e te n g eh end en
O ffen barun g. Das D a n ie lb u c h b e ric h te t nich t nur von ein er Vielzahl von D ienern
vor dem „ H o c h b e ta g te n “ (7,9f.), son dern au ch von „ V ö lk e re n g e ln “ , so von
M ic h a el (12,1), aber auch vom „ E n g e lfü rste n des P e rs e rre ic h e s “ (10 ,1 3), der den
E n gel G abriel an der V ollführung seines A u ftrag s h in d e rt (10,13). F ö rm liche
E n g e lss p e k u la tio n e n treten d anach in den altte s ta m e n tlic h e n A p o k ry p h e n hervor.
N ach d em „B uch der J u b ilä e n “ (15,32) g ib t es E ng el, die G ott von Israel a b h a l
ten und aus deren H and er das Volk b efreien m uß, was au f die V orstellung von
e in e r gew issen S e lb s tä n d ig k e it der E n g e lk rä fte h in w e is t und ein en d u alistisc h e n
Z ug e rke nn en lä ß t9.
8 E bd a., 53 7.
9 A. S zab ö , Die E n g e l v o r s t e l lu n g vo m A lten T e s t a m e n t bis zu r G n o s is , 150.
gegen die göttliche Schöpfung gerichteten Weltauffassung. Obgleich
in der Gnosis auch Elemente der jüdischen Apokalyptik wiederkeh
ren, tritt der Gegensatz zwischen den guten Lichtengeln („Könige“,
„Herren“, „Gebieter“, Gerichtsengel) und den Schadensengeln schär
fer hervor. Es findet aber auch eine Ausweitung der Engelsphäre
unter Aufnahme eines dritten Bereiches statt, so daß die klassische
Dualität zu einer Trichotomie entfaltet wird, zu einem M ittelreich
von Wesen, welche die unterschiedlichsten Aufgaben an der Schöp
fung ausführen10.
Die V ielfalt d er g n o stisch en E ng el vor Stellungen rüh rt n ä m lic h von ein er
g ru n d s ä tz lic h e n D ista n z d ieser s y n k re tis tisc h e n W eltan sch au u n g zum „ h ö ch sten
G o tt“ her, w e lc h e r selbst nich t der S ch ö p fer ist, so ndern (in der m ild eren
F ass u n g d ie s e r an tisc h ö p fe ris c h e n T en den z) ihn dem u nter der S c hö pfun g s te
h e n d e n S ch ö p fe rg e ist ü b erlassen hat, der die F u nk tion eines D em iu rg e n ausübt.
D ie s e r s c h a f f t sich e in e z a h l r e i c h e , re i c h g e g li e d e r t e G e f o l g s c h a f t vo n
A rch o n ten , Ä on en, H im m els- und U n te rw e ltk ö n ig e n . D iese sind dann e n tw e d e r
an der S c h ö p fu n g selbst beteiligt, o der sie zeich nen v e ra n tw o rtlich für ihre
E x istenz. D er D em iu rg „ E lo h im “ sc hafft z u sam m en mit dem w eib lich g e d a ch ten
„ E d e m “ den M e n sc h e n , der, aus der V ereinigung der beid en z w ie sp ältig en W esen
en tstan d e n , selbst den Z w ie sp a lt (G eist, Seele) in sich tra gen und zu ein e r
u n g lü c k lic h e n E x isten z w erd en muß.
Aber noch ausgeprägter wird das Wirken der finsteren Engel
geschildert und erfahren. Die Schrift „Vom Ursprung der Welt“ schil
dert das Wirken der finsteren Mächte schon anläßlich der Verführung
Evas, die weiteres Unheil über die Menschen bringt. Das „Apo-
kryphon des Johannes“ berichtet von der Verführung der M en
schentöchter durch finstere Engel und von den bösen Folgen in der
Menschenwelt. Es ist aber auch von der Vertreibung der Archonten
durch die höherstehende Sophia die Rede und von ihrer Degradie
rung zu Dämonen, die sich ihrerseits wieder niedrigere Schadens
engel schaffen, welche in der Welt Magie, Irrlehre und Götzendienst
verbreiten".
D ie E n g e lw e lt der G n osis b ietet so ein biz arres d u alistisch es Pa no ram a, das
im G eg en satz zum guten S c h ö p fe rg o tt en tw ick e lt w urde und allein von sein er
geistigen W urzel h er keine G r u n d la g e n im A lten T e sta m ent hat. M it R echt ist
de sh alb auch gesag t w orden, daß zw isch en dem A lten T e stam en t und dem
F rü h ju d e n tu m ein erseits und der G n osis an dererseits kein e k o n tin u ie rlic h e L inie,
son dern ein v o llk o m m e n e r B ru ch besteh t. Was aber die B e zieh u n g d ieser An-
10 E b d a., 147ff.
11 E b d a., 151.
g elo lo g ie zum früh en C h ris te n tu m a ngeht, das sich sc h a r f gegen d iese V orstel
lu n g en w andte, so ist d och auch eine g ew isse B e e in flu ssu n g festzu stellen . A b er
sie b e sta n d m eh r in äu ß eren A n leih en als in d er Ü b e rn a h m e w e se n tlic h e r Inhalte
und G ru n d v o rstellu n g en . D as C h ris te n tu m w ar a u fg u n d seines S c h ö p fu n g s g la u
bens un d sein er V orstellung von d er E in h e it z w isc h e n dem S chö pfer- und E r
lö s erg o tt davor g efeit, ein em solch en ra d ik a le n D u alis m u s zu verfallen. D eshalb
ist auch die B e h a u p tu n g u n z u tre ffen d , daß g e w isse F orm en d er g n o stisch en
E n g e lv e r e h ru n g in den H e ilig e n k u lt der K irc h e ü b e rg e g a n g e n seien.
24 W. P an n e n b e r g , S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 12 5ff.
25 E. S ch lin k, Ö k u m e n i s c h e D o g m a tik , 176ff.
26 So w ird im „ H a n d b u c h d e r D o g m a t i k “ I (hrsg. von Th. S ch n e id e r ), 163, n u r kurz
b e r ic h te t, d aß „die B ibel von d en Taten des T eufe ls, vo n D ä m o n e n u n d E n g e l n e r z ä h l t “ ; in
d em L e h rb u c h „ G l a u b e n s z u g ä n g e “ I, 4 1 8 - 4 2 1 , w ird r ein p ositiv ü b er „B ö se G eis ter und
E n g el n a c h der B i b e l “ b erich tet. G eg en T en d e n z e n im B e re ic h d er „ N o u v e lle T h e o l o g i e “
zur Z u r ü c k s e t z u n g d e r E n g e l le h r e n ah m sc h on die E n z y k l ik a „ H u m a n i g e n e r i s “ (19 48)
S tellu n g ; vgl. A. W in k lh o fer, D ie Welt der E n g el, 144. E in e E in r e i h u n g d e r E n g e l w e l t in
die a l t t e s t a m e n tl i c h e n L e g e n d e n b i l d u n g e n n i m m t H. H a a g vor: T e u fe ls g la u b e , 246: „D en
F ehler, j ü d i s c h e L e g e n d e n zu m D o g m a zu e r h e b e n , h at erst das C h r i s t e n t u m b e g a n g e n “ .
Vom „ S t r a n d g u t i n n e r w e l t l ic h e n G l a u b e n s o h n e B e d e u t u n g “ spricht au ch das „N eu e
H a n d b u c h th e o l o g i s c h e r G r u n d b e g r i f f e “ I, 349 (B. L an g).
am bivalent ist und kritisch hinterfragt werden muß, die aber doch
positive A nsätze zu einer N eubegründung des biblischen E ngelglau
bens in seinem w esentlichen und bleibenden G ehalt bietet.
3) A nknüpfungspunkte im m odernen Denken
Die T heologie kann nicht übersehen, daß sich inm itten des T ra
ditionsverlustes der postm odernen Welt eine W endung zur Trans
zendenz abzeichnet, die auch eine A nnäherung an die Vorstellung
von den Engeln im Gefolge hat. O bgleich eine solche W endung nicht
unkritisch zu beurteilen ist und nicht in jedem Fall zur Begegnung
m it der W ahrheit führt (insofern es sich auch um Surrogate des W ah
ren handeln kann, wie etw a bei den Engeln der N ew -A ge-Bew egung,
die als kosm ische Ü berhöhung des Individuum s gedeutet w erden), so
sind doch die zahlreichen Versuche von Kunst, D ichtung und L itera
tur zur R eaktivierung der E ngelvorstellung bem erkensw ert27. Ein
Zentralm otiv bildeten die Engel im Werk M arc Chagalls, der auf
grund visionärer Erfahrung „zu dem E ngelm aler unseres Jahrhun
derts“ w urde28. Eine ähnliche Bedeutung kom m t den E ngelbildern
Paul K lees zu, von denen sich der Philosoph W. B enjam in in seiner
geschichtsphilosophischen Spekulation beeinflussen ließ29.
B esonders in der D ichtung des 20. Jahrhunderts haben die Engel
aufgrund authentischer religiöser Erfahrungen eine H eim statt gefun
den. In C hristian M orgensterns Lyrik, von anthroposophischem
„G eistesw issen“ geprägt, w ird der Engel als „W eisheit m eines h öhe
ren Ich“ das über den M enschen seine Flügel breitet, besungen und
verehrt. In R. M. Rilkes D uineser Elegien haben die Engel zwar ihre
biblische B otenfunktion eingebüßt, aber als W esen der geglückten
S chöpfung je n se its der G eb rochenheit ird isch e r E xistenz ihre
B edeutung für den M enschen behalten30. Franz W erfels „Stern der
U ngeborenen“ (1949) m öchte zu einer Engelvorstellung beitragen,
die an „protom ateriellen, ultrakörperlichen W esenheiten“ festhält m it
Auch wenn die T heologie bei diesem ihrem Bem ühen einer
H ypertrophie des m it m anchen heterogenen Stoffen verm ischten
Volksglaubens w iderstehen und den Engeln einen nicht ungem esse
nen Ort in der H eilsökonom ie zuw eisen muß, so sollte sie sich doch
auch der M ahnung Fr. W. I. Schellings erinnern, daß die „Vorstellung
des Satans wie der guten und bösen Engel so tief in den ganzen
Inhalt des C hristentum s eingreifen, daß w er darüber seine A nsicht
§16 :
Die Entfaltung der Engellehre in der Theologie- und
Dogmengeschichte
Literatur: K. J. Hefele, K onzilieng eschichte 2III, Freiburg 1877; Fr.
Diekamp, Die origenistischen Streitigkeiten im sechsten Jahrhundert und das
fü nfte allgemeine Konzil, Münster 1898; P. Rottee, La Coscienza Religiosa
Medievale: Angelologia, Turin 1908; K. Pelz, Die Engellehre des hl. Augustinus,
Münster 1912; L. Kurz, Gregors d. Gr. Lehre von den Engeln, Rottenburg 1938;
Fr. Sagnard, La Gnose Valentinienne et le Temoignage de saint Irenee, Paris
1947; K. Barth, Die kirchliche Dogmatik III/3, Zürich 1950; H. Bietenhard, Die
him m lische Welt im U rchristentum und Spätjudentum , T übingen 1951;
I. Danielou, Les Anges et leurs Mission d ’apres les Peres de l ’Eglise, Chevtogne
1951; J. A. Jungmann S.J., Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der
Römischen Messe, 2 Bd.e, Freiburg 31952; E. Montano, The Sin of the Angels.
Some Aspects of the Teaching of St. Thomas, Washington 1955; E. Peterson, Das
B uch von den Engeln. Stellung und Bedeutung der Heiligen Engel im Kultus,
München 1955; J. Danielou, Theologie du Judeo-Christianisme, Toulon - Paris
1958; R. M. Grant, Gnosticism and Early Christianity, New York 1959;
B. Schultze, J. Chrysostomos, Die Glaubenswelt der orthodoxen Kirche,
Salzburg 1961; A. Guillaumont, Les ‘Kephalaia G nostica’ d ’Evagre le Pontique,
Paris 1962; G. Tavard (unter Mitarbeit von A. Caquot u. I. Michl), Die Engel
(HDG II/2b), Freiburg 1968; L. Heiser, Die Engel im Glauben der Orthodoxie,
Trier 1976; K. Rahner, Über Engel; Schriften zur Theologie XIII, Zürich 1978,
381-428; W. Dürig, Zur Interpretation des Axioms „Legem credendi lex statuat
su p p lica n d i“ : Veritati catholicae (Festschr. L. Scheffczyk; hrsg. von
A. Ziegenaus, Fr. Courth, Ph. Schäfer), Aschaffenburg 1985, 226-236; K. Ruh,
Die mystische Gotteslehre des Dionysius Areopagita (Bayer. Akademie der
Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte 2/1987), München 1987.
H. Vorgrimler, Wiederkehr der Engel? Ein altes Thema neu durchdacht, Kevelaer
21994.
Die O ffenbarungszeugnisse zeichnen zwar ein reichhaltiges Bild
vom Sein und W irken der Engel, entw ickeln aber keine geschlossene
Lehre. Im Zusam m enhang dam it ist auch die Tatsache zu verm erken,
daß sich in den Schriftaussagen gew isse m ythologische Einsprengsel
finden (vgl. u.a. Gen 6,1-4: die Ehen der „G ottessöhne“ m it den
M enschentöchtern) wie auch A ussagen in hym nischen Texten und in
legendären D arstellungen (vgl. etw a Lk 16,22: die Engel, welche die
Verstorbenen zum Him m el tragen), die bestim m ten literarischen G at
tungen zuzuordnen sind, w elche die Feststellung des lehrhaften
Inhalts schw ierig erscheinen lassen. D araufhin läßt sich über die Ver
bindlichkeit bestim m ter Schriftaussagen kein eindeutiges U rteil fäl
len. D arum bedarf es eines Blickes auf die Theologie- und D ogm en
geschichte, an welche die Frage nach der lehrhaften G estaltung und
gültigen Form ulierung des E ngelglaubens zu richten ist.
I. D ie E n tw ic k lu n g d e r E n g e lle h re
1) Frühe theologische Versuche
Bezeichnenderw eise beginnen die ersten christlichen Schriftstel
ler, die A postolischen V äter und A pologeten, nicht m it einer em pha
tischen Ü bernahm e und W eiterentw icklung der Schriftaussagen über
die Engel. Sie üben sogar eine m erkliche Z urückhaltung gegenüber
einem ungem essenen Engelglauben und Engelkult, wie er in der
Gnosis aufkam und zur Verdunkelung des C hristusgeheim nisses
führte. So erhebt Ignatius v. A ntiochien (+ um 110) sogar eine w ar
nende Stim m e und erklärt, daß m an noch kein Jünger C hristi sei,
wenn man fähig ist, „das H im m lische zu erkennen, die Plätze der E n
gel und die R angordnung der H errschaften, das Sichtbare und
U nsichtbare“ zu w issen1. Im B rief an D iognet (aus der zw eiten H älfte
des zw eiten Jahrhunderts) wird hervorgehoben, daß G ott die W ahr
heit der O ffenbarung den M enschen anvertraut hat, „nicht [indem er]
einen D iener schickte, etw a einen Engel oder einen Fürsten oder
einen von denen, die m it der Verwaltung im Him m el betraut sind,
sondern den Schöpfer und B ildner des Alls selbst ,..“2. Hier wird
einerseits die Existenz der Engel und ihr hoher D ienst an der Schöp
fung anerkannt, aber andererseits die Ü berlegenheit Christi und seine
Zentralstellung unvergleichlich höher geschätzt. D agegen m acht sich
in der frühchristlichen A pokalypse des H erm as (entstanden um 140)
etw as von der Faszination, welche die spätjüdische Engellehre auf
das Christentum ausübte, bem erkbar, wenn der A utor über die O rd
nung und V ielgestaltigkeit der E ngelw elt A uskunft gibt und dam it
Christus selbst als höchsten Engel bezeichnet3.
Bei den A pologeten Justin (+ um 165) und A thenagoras wird ein
neu auftauchendes In teresse an der D u alität von E ngeln und
Däm onen spürbar, wobei in ihre A nschauungen auch m ythische
Stoffe (wie die Annahm e von geschlechtlichen Verirrungen der
Engel) einfließen. D er K am pf der guten m it den bösen Engeln wird
als Leitm otiv der G eschichte angesehen und them atisiert4. Aber es ist
den christlichen A utoren klar, daß die M acht der bösen Engel in der
Welt durch die M enschw erdung des Sohnes Gottes gebrochen ist5
und daß die däm onischen G eister bei der zw eiten A nkunft des Herrn
vom H eer der guten Engel endgültig besiegt werden.
D ie genannten frühchristlichen Apologeten schreiben zu einer Zeit, als
bereits eine apokryphe christliche Literatur im Entstehen war, welche die
Bedeutung der Engel im Weltgeschehen zu verklären und zu übersteigern sucht,
so daß u.a. behauptet wurde, Christus sei bei seiner Herabkunft zur Menschen
welt zuerst ein Engel geworden und habe alle Stufen der Engelwelt in einer
bestimmten Gestalt6 durchschritten7. Im Zug dieser illegitimen Steigerung kam
es zur Annahme von Myriaden von Engeln, zur Erfindung einer Vielzahl von
32 De c a e le s ti h i e r a rc h ia 3,1.
33 E b d a., 6.
34 E b d a., 7,1-9.
35 A ll e r d i n g s w a r d er E in f lu ß bei Jo h a n n e s S c o tu s E r i u g e n a (+ nach 877) b e s o n d e rs
n ach h altig .
36 So u.a. bei P s .- E p i p h a n iu s , H o m i l i e zu m L o b p re i s d er G o t t e s m u t t e r (PG 43, 49 1).
3) Die Dom inanz der Seinsfrage und die System atisierung
in der Scholastik
In K enntnis sowohl der augustinischen wie der dionysianischen
Tradition entw ickelte die Scholastik auf ihrem H öhepunkt eine
streng am aristotelischen W issensideal und an der M etaphysik aus
gerichtete Lehre von den Engeln, die ihren Schw erpunkt in der
W esensfrage und in den dam it zusam m enhängenden Fragen nach der
Eigenart des Erkennens, W ollens und geschöpflichen W irkens der
Engel im irdischen Raum e und in der Zeit hatte. D abei beantw ortete
die Frühscholastik die Frage nach dem Wesen vornehm lich im augu
stinischen Sinne, indem sie den Gedanken von der L ichthaftigkeit
der Engel bevorzugte. Nach Hugo v. St. Viktor (+ 1141) w urden die
E ngel zum L icht „durch ihre eigene W ende zum L icht der
G erechtigkeit und durch ihre Erleuchtung durch das L icht“37. M it
diesem A nsatz vertrug sich gut die Antwort auf die in der Patristik
unentschieden gebliebene Frage nach dem Zeitpunkt der Erschaffung
der Engel wie des Abfalls der bösen Geister: Die Erschaffung ge
schah m it dem „Fiat lux“ der G enesis, bei dem sich sogleich auch die
Trennung der guten von den bösen Engeln vollzog38. A ber diese doch
noch m ehr auf die E rscheinung der Engel bezogene A ntw ort wurde
von Thom as v. Aquin (+ 1274), dem „doctor angelicus“ , der in sei
nen W erken dem T raktat über die E ngel w ied erh o lt große
A ufm erksam keit w idm et39, durch die A ufnahm e der W esensfrage ver
tieft. D ies geschah n ich t zu letzt w egen der gegenüber dem
Averroism us notw endig gew ordenen U nterscheidung des Seins und
Erkennens der Engel von dem der M enschen40.
47 D ie b e t r e ff e n d e n A n a t h e m a t i s m e n bei A. G u i lla u m o n t, L es ‘K e p h a l a i a G n o s t i c a ’
d ’E v a g re le P o n tiq u e , 140-159; Fr. D i e k a m p , D ie o r ig e n is tis c h e n S t re itig k e ite n im s e c h
sten Ja h r h u n d e r t u n d das fü n fte a l l g e m e i n e K on zil, 90-97.
48 K. I. H efele, K o n z i l i e n g e s c h i c h t e 2III, 539.
49 G. Tavard, a.a .O ., 58.
W ährend die Kirche des W estens sich gegen einen übertriebenen
E ngelkult wandte, m ußte sich der Osten m it einer beinahe gegentei
ligen A birrung auseinandersetzen, näm lich m it der Verfemung je g li
cher B ilderverehrung, w orunter auch die B ilder der Engel fielen.
Darum verteidigte das Siebte ökum enische K onzil (das zw eite von
N ikaia, 787) die A nbringung und Verehrung der B ilder „der ehrw ür
digen E ngel“ (DH 600).
Die gew ichtigste Stellungnahm e der Kirche zur Engellehre aber
erfolgte am Eingang zum H ochm ittelalter, in einer Zeit, da die Reste
der alten dualistisch-m anichäistischen Irrlehren bei den A lbigensern
und K atharern w iederaufleuchteten: auf dem Vierten Laterankonzil
vom Jahre 1215. Das Konzil beginnt m it einem ausführlichen G lau
bensbekenntnis, das zugleich eine D efinition darstellt und im Schöp
fungsartikel präzise A ussagen über die E ngelschöpfung m acht. D a
nach ist der eine G ott „der Schöpfer der sichtbaren und unsichtbaren
[Dinge], der geistigen und der körperlichen. Er sc huf in seiner all
mächtigen Kraft vom Anfang der Zeit an aus Nichts zugleich beide
Schöpfungen, die geistige und die körperliche, nämlich die der Engel
und die der W elt“. A uf die gefallenen G eister eingehend, verkündet
das Konzil: „Der Teufel näm lich und die anderen D äm onen wurden
zw ar von G ott ihrer N atur nach gut geschaffen, sie w urden aber
selbst durch sich böse“ (DH 800). D am it bot das Konzil freilich
keine entfaltete A ngelologie, aber es führte einige G rundpfeiler auf,
auf denen eine solche fortan aufruhen m ußte.
Auf das hyperkritische Bedenken, daß im Hinblick auf das Vierte Lateran
konzil „doch die Frage“ bleibe, „was darin wirklich definiert ist und was
nicht“MI, ist zu antworten: Die gegen die Albigenser und Katharer gerichtete
Definition hat die (gute) Schöpfung der geistigen wie der körperlichen Welt, der
„Engel und der Welt“, zum Gegenstand und nicht eine gesonderte Lehre über die
Engel. Man mag sogar sagen, daß dabei die Existenz der Engel „vorausgesetzt“
sei und nicht eigens hervorgekehrt werde. Aber das ändert doch nichts an der
Tatsache, daß ihre Existenz aufgrund ihrer Erschaffung mitausgesagt ist und daß
alle Einzelelemente der verkündeten Lehre unter der Versicherung „Wir glauben
fest und bekennen aufrichtig“ stehen. Deshalb ist das Dokument in seiner G e
samtheit als „de fide“ anzusehen, wobei als glaubensverpflichtende Inhalte zu
gelten haben: die Wahrheit von der Erschaffung der Engel aus Nichts (damit
ihrer Existenz), die gegen die neognostische Emanationstheorie gewendet ist;
diese Erschaffung wird als eine solche in der Zeit dargestellt (wobei die speziel-
le Frage nach der genauen Bedeutung des „simul ab initio temporis“ - ob als
„Gleichzeitigkeit“ beider Erschaffungen zu verstehen oder nur als bloßes „In-
und Miterschaffensein mit der Zeit“ - offen bleibt); die Geistigkeit der Engel
(womit aber die theologische Sentenz von der reinen Geistigkeit der Engel noch
nicht getroffen ist); die ursprüngliche Güte dieser Schöpfungsordnung; der
selbstverschuldete Abfall einiger dieser Geister zum Bösen.
In veränderter Form wurde diese D efinition vom Konzil von F lo
renz im D ecretum pro Jacobitis aufgenom m en (DH 1333), w ährend
sie das Erste Vatikanum im W ortlaut w iederholte (DH 3002). Eine
dogm atisch gleichw ertige Stellungnahm e des kirchlichen Lehram ts
ist seitdem nicht erfolgt. A llerdings hat Pius XII. in der Enzyklika
„Hum ani generis“ vom Jahre 1950, wohl naturalistischen und ratio
nalistischen Tendenzen im Engelglauben entgegentretend, im Punkte
der G eistigkeit der Engel der kirchlichen Lehre indirekt eine B e
stätigung zuteil werden lassen, wenn er sein Bedauern darüber aus
spricht, daß theologischerseits in Frage gestellt werde, „ob die Engel
persönliche G eschöpfe seien und ob sich die M aterie w esentlich vom
G eist unterscheide“ (DH 3891).
Im übrigen wurde der traditionelle kirchliche Engelglaube in der allgemei
nen Lehrverkündigung vornehmlich unter dem Aspekt des geistlichen Lebens
und der Spiritualität weitergetragen, u.a. in besonders eindringlicher Weise von
Leo XIII. im „R undschreiben über den m arianischen R osenkran z“ (vom
12. September 1897)51. Hier interpretiert der Papst das Rosenkranz-Gebet, in
dem der Beter die Geheimnisse des Heils überdenkt, als „Wettstreit mit den
Engeln“ , die uns die gleichen Geheimnisse „zu ihrer Zeit enthüllt“ haben, indem
sie bei ihrer Veröffentlichung im Leben Jesu dienend mitwirkten. Unter einem
ähnlich spirituellen Aspekt nimmt Pius XII. den vor allem in der griechischen
Tradition beheimateten Gedanken auf, daß die menschliche Natur zwar der ange-
lischen als Natur unterlegen ist, daß sie aber wegen der Vereinigung Christi
allein mit der Menschennatur vor je ner einen Vorzug hat. Christus selbst aber
steht auch seiner Menschheit nach über den Engeln52. Den spirituellen Aspekt
des Engelglaubens haben im Laufe des 19. Jahrhunderts, offenbar unter dem
Eindruck einer nachlassenden Engelverehrung, mehrere Provinzialsynoden h e r
v o rg e k e h rt53. Das Zweite Vatikanum hat die Wahrheit von den Engeln nicht the
matisiert, sondern erwähnt ihre Verehrung durch die Kirche zusammen mit der
der Apostel, der Märtyrer und der Seligen Jungfrau und erinnert an ihre
Anwesenheit bei der P a ru s ie 54.
51 A A S 30 ( 1 8 9 7 /9 8 ) 132-134.
52 M y s tici C o r p o r is: D o k u m e n t e von Pius IX. bis Pius XII. (hrsg. von A. R o h r b a s s e r ),
F r e i b u r g / S c h w e i z 1953, nr. 789.
53 G. Tav ard, a.a.O ., 95.
54 L u m e n G e n tiu m , 50; 49; vgl. G. BJ asko, Die an g e l o g i s c h e n A u s s a g e n des Z w e ite n
V atik an is ch en K o nzils, in: O b e r r h e i n is c h e s P a sto r a lb la tt 68 (196 7) 197-206; 2 4 1-2 47 .
Die im ganzen zahlenm äßig gering erscheinenden Stellungnah
m en des kirchlichen Lehram ts zum E ngelglauben und der nur ver
halten hervortretende dogm atische F ortschritt könnten auf ein ver
m indertes Interesse der K irche an diesem G lauben schließen lassen.
Ä hnliches gilt von der D iskrepanz zw ischen den überreichen A us
sagen der positiven und spekulativen (vor allem m ittelalterlichen)
T heologen und der Sparsam keit in den A ussagen der kirchlichen
Lehrverkündigung. A ber zunächst ist hier an den G rundsatz zu erin
nern, daß Zeugnisse nicht gezählt, sondern gewogen werden. Das
G ew icht der verlautbarten Zeugnisse ist aber derart, daß die G rund
lagen eines offenbarungsgem äßen E ngelglaubens und Engelkultes
gelegt wurden.
Gewiß spielte bei der sichtlichen Zurückhaltung auch der Umstand eine
Rolle, daß die Kirche angesichts des breiten positiven Stromes von Theologie
und (vielfach ausufernder) Frömmigkeit mit Lehrentscheidungen nicht einzu
greifen brauchte, abgesehen von den wenigen (genannten) Fällen, in denen gno-
stisch-emanatianistische oder manichäisch-dualistische Häresien den Glauben
zu verfälschen drohten. Die sich hier ebenfalls meldende Frage, warum die
Kirche gegen die ins Folkloristische und teilweise Phantastische gehende
Volksfrömmigkeit des Mittelalters nicht lehramtlich einschritt, kann dahinge
hend beantwortet werden, daß sie es auch hier Genüge sein ließ mit der
Beharrung au f der Unverletztheit des Schöpfungs- und des Christusgeheim nis
ses, die beide auch von der volkstümlichen Angelologie nicht eigentlich angeta
stet wurden. Zudem konnte sie sich hier auch auf eine Vielzahl von Theologen
verlassen, die, von Bernhard v. Clairvaux bis hin zu Dionysius d. Kartäuser, trotz
glühender Engelverehrung die vom Glauben gesetzten Grenzen nicht überschrit
ten und so ausgleichend wirken konnten.
61 J. A. J u n g m a n n II, 170.
62 Vgl. G. Tavard, 79-81 ; vgl. auch H. Vorgrim ler, W i e d e r k e h r der E n g el?, 73ff.
Feuer der unzugänglichen G ottheit“ . Dabei w ird auch besonders auf
ihre Erhöhung in den Stand der Gnade abgehoben; denn C hristus hat
sie nicht nur „durch das hypostatische Wort geschaffen“ , sondern er
hat sie auch „geheiligt m it göttlichem G eist“ . Einschlußw eise sind in
solchen hym nischen Erhebungen auch A ussagen über das W esen der
Engel enthalten. Es handelt sich bei ihnen um „ehrw ürdige him m li
sche und unkörperliche M ächte“ , denen durch die Gnade Unver
sehrtheit geschenkt ist.
Bei all dem aber fällt der (schon in anderem Zusam m enhang
erw ähnte) Zug zur U nterstellung der Engel unter die W ürde und
G lorie der G ottesm utter auf, die im Geheim nis der M enschw erdung
seinen G rund hat. An dieser Eigentüm lichkeit bew eisen sich bei aller
noch so gew altigen Erhebung der Engel ihre G eschöpflichkeit und
ihre dienende Einordnung in die H eilsgeschichte.
Alle diese A ussagen sind in der Form hym nischen Lobpreises
und poetischen Überschw angs gehalten. Aber sie sind doch nicht
ohne jeden kernhaften Lehrgehalt. Zu diesem Kern, dem dann auch
der C harakter der „lex orandi“ zugebilligt werden muß (w elche die
„lex credendi“ bestim m t), gehört sicher neben dem G eschaffensein
durch den Logos ihre Personalität, ihre Vielzahl, eine (nicht w eiter
festgelegte) Über- und U nterordnung, ihre gnadenhafte U nversehrt
heit und ihre naturhafte G eistigkeit, vor allem aber ihr D ienst und
ihre Funktion als W esen, die zur V erherrlichung G ottes und zur Hilfe
der M enschen geschaffen sind.
§ 17:
Indem der Him m el als „O rt“ der Engel die gottnahe unsichtbare
Schöpfung bedeutet, die den B ereich der unm ittelbaren Verherr
lichung und H errschaft G ottes bildet, ist auch etwas W esentliches
über den Sinn der göttlichen Schöpfung insgesam t gesagt und über
ihr erstes objektives Ziel. Alles über die Engel und den „H im m el“
Gesagte m acht deutlich, daß der finis prim arius der Schöpfung in der
Verherrlichung G ottes gelegen ist, aber so, daß in ihm sogleich auch
die B eseligung der G eschöpfe eingeschlossen ist.
Für die Engel selbst aber liegt die V erherrlichung G ottes, in w el
cher allein sie ihre Seligkeit finden, im D ienst an Gott. D ieser kann
zuerst und w esentlich nicht in ihrem Botensein und ihrer Verm ittlung
zur irdischen W elt hin gedacht werden, sondern im him m lischen
Lobpreis und in der Anbetung Gottes.
rt
11 E. P e te r so n , 46ff.
12 A. W in k lh o f er, a.a .O ., 80.
13 S a c r o s a n c tu m C o n c iliu m , 2.
14 So A. W ink lho fer, a.a.O ., 78.
gen diese durch die Teilnahm e an der kirchlichen Liturgie, obgleich
sie nicht in das innere G eschehen der H eilshandlung eingreifen.
Durch ihr Mitfeiern verleihen sie der Liturgie der Kirche einen kosmischen
Zug und führen sie aus der irdischen Enge und Begrenztheit in die unbegrenzte
Weite eines den H im mel und die Erde erfassenden G ottesdienstes. Das
Zusammenschlagen ihres himmlischen Jubels mit dem Lobpreis der Kirche ver
leiht dem kirchlichen Beten und Singen nicht nur über das Menschliche hinaus
gehende Kraft, es weist die Kirche auch auf die eschatologische Vollendung in
der himmlischen Liturgie hin und hebt den irdischen Kult dem himmlischen ent
gegen.
D er A ufw eis dieser geistlich-m ystischen Perspektive bezüglich
der V erbundenheit der Engel m it dem Kult der K irche führt m an
cherorts zu der Befürchtung, daß dam it einer „V erobjektivierung der
W irklichkeit“ der Engel das W ort geredet und ihre „kultische
V erselbständigung“ betrieben werde, die „den Zugang des M enschen
zu Gott nicht selten zu verstellen“ 15 drohe. Aber bei V ergegenw ärti
gung des gem einsam en Zentrum s der him m lischen und der irdischen
Liturgie w ird dieser Verdacht gegenstandslos und nim m t im G egen
teil den Charakter eines einzigartigen Vorzugs an; denn im Zentrum
des beiderseitigen Lobpreises steht jedesm al das „Lamm, [das] aus
sah wie geschlachtet“ (Hebr 5,6). Dem nach geht es bei der E in
beziehung der Engel in den K ult nicht um dessen Verselbständigung
und um eine Ablenkung des Blickes vom göttlichen H eilsgeheim nis.
Es geht vielm ehr um eine Z entrierung beider Schöpfungsordnungen,
der Engel wie der M enschen, um eine Vereinigung und Bündelung
beider K räfte auf den Lobpreis des von G ott in Jesus Christus ge
w irkten Heiles. D er Beitrag der Engel ist dazu angetan, die Größe
und H errlichkeit dieser G ottestat in ein höheres überirdisches Licht
zu erheben.
Allerdings ist bezüglich der dogmatischen Verbindlichkeit der Lehre von der
„himmlischen Liturgie“ und ihrer Verbindung mit der Kirche eine Einschränkung
angebracht. Diese Verbindung ist von der kirchlichen Lehrverkündigung nicht
förmlich thematisiert worden. Deshalb behalten die Zeugnisse der Offenbarung
des Johannes und der Liturgie (unter Einschluß der östlichen Liturgien) ihren
Wert. Aber da die Liturgie kein schlechthin selbständiges Zeugnis darstellt und
die betreffenden Schriften wie Väteraussagen eine gewisse Offenheit an sich tra
gen, ist der dogmatische Sicherheitsgrad dieser Aussagen nicht der gleiche wie
16 N B L , Lfrg. 4, 538.
17 Vgl. d azu M. S c h m a u s , Der G la u b e der K irch e I, 422.
18 E in aus dem z w e ite n J a h rh u n d e r t st a m m e n d e s A p o k r y p h o n ü b er die H i m m e l f a h r t des
J e sa ja m it W e i s s a g u n g e n ü b er die K irch e, das g n o s t i s c h e n E in f l u ß zeigt; vgl. A s c e n s i o Is
III, 15.
vom „Engel der christlichen K irche“ die Rede. Im „Pastor H erm ae“
wird M ichael als „der große und herrliche E ngel“ bezeichnet, „der
Gewalt hat über dieses Volk und dasselbe beherrscht“ 19. Diese Tra
dition, die in Offb 12,7 einen gew issen A nhalt hat, ist von den K ir
chenschriftstellern (H ippolyt) und V ätern w eitergetragen w orden20.
Bei O rigenes (+ um 254) konkretisiert sie sich zu der Vorstellung,
daß jede D iözese von zwei B ischöfen geleitet wird, einem m enschli
chen und einem E ngel21. G regor v. N azianz (+ um 390) verleiht ihr
den klaren A usdruck: „Die Sorge für diese Kirche ist einem Engel
anvertraut worden. Und andere leiten andere K irchen, wie der
hl. Johannes in der A pokalypse lehrt“22. In Parallele dazu scheint
sich, ebenfalls nicht unabhängig von spätjüdischen Vorstellungen,
die Auffassung von der Existenz von V ölkerengeln entw ickelt zu
haben, welche Johannes v. D am askus, die betreffende patristische
Tradition zusam m enfassend, wie selbstverständlich vertritt: „Sie be
w achen die verschiedenen Erdteile; sie stehen den N ationen und
L andesgegenden vor; sie regieren unsere G eschichte und bringen uns
H ilfe“23.
Mag so die Z u o rd n u n g der E n gel zur Kirche (die A u g u stin u s im Hinblick auf
das zu wahrende Geheimnis mit großer Zurückhaltung angeht24) eine feste
Grundlage in der Tradition besitzen, so wirkt doch ihre Verbindung mit der spät
jüdischen Literatur und ihre Versetzung mit apokryphen Stoffen störend und ver-
unklärend. Freilich ist hinsichtlich des Einflusses der Apokryphen grundsätzlich
zu sagen, daß eine partielle Übereinstimmung mit diesen das Entstehen einer
legitimen Traditionslinie nicht verhindert; denn erstens besitzen die Apokryphen
selbst ihre Ansatzpunkte in der Schrift, und weiterhin ist auf ihren Einbau in das
Ganze der Christuswahrheit und des Kirchengeheimnisses zu achten. Von daher
erfahren ihre Aussagen eine Rektifizierung und Läuterung, so daß sie als äußere
Anregungsmittel einer sich aus der Schrift erhebenden Tradition nicht gänzlich
abgelehnt werden müssen.
A ndererseits bleibt die G rundlegung dieses Lehrpunktes in der
H eiligen Schrift spärlich, so daß auch die Kirche w iederum zu die
sem Einzelthem a keine spezielle lehram tliche Stellung genom m en
31 In ps. 48, n. 9.
32 S e r m o 12 in ps. 90.
Wiederum war es Thomas v. Aquin, der diese Auffassung systematisch aus
arbeitete. Er ordnete bezeichnenderweise das auf die Menschen bezogene
Wirken der Engel in die Lehre von der göttlichen Vorsehung ein, deren Gesetz es
ist, das Niedere durch das Höhere, also die Menschen durch die Engel zum Ziele
kommen zu lassen. Mit dem Rekurs auf die Vorsehung ist alles Wirken der Engel
dem Verdacht des autonomen und selbsteigenen Handelns neben oder außerhalb
der göttlichen Souveränität entzogen, so daß der bis in die Neuzeit hin erhobene
Vorwurf ausgeschlossen bleibt, daß das Dasein und Wirken der Engel der Größe
und Allursächlichkeit Gottes zuwiderlaufen könnte. Dabei bietet Thomas auch
Angemessenheitsgründe für das Walten der Engel von seiten der menschlichen
Verfaßtheit: Es ist die Anfälligkeit des gefallenen Menschen gegenüber dem
Irrtum im Erkenntnisleben und gegenüber der Schwäche im sittlichen Streben,
welches durch die Affekte und Leidenschaften des Herzens behindert wird.
I I . D as S ein d e r E n g el
Für das H eilsverständnis ist die Frage nach dem D ienst der Engel
bedeutsam er als die nach ihrem Sein und W esen. A ber die system ati
sche Theologie, die den Erscheinungen auf den Grund gehen muß,
kann auch die W esenfrage nicht ausschließen, ohne sich dabei (wie
in der Vergangenheit) in endlosen Spekulationen zu verlieren. Der
hier notw endige Einsatz philosophischen Denkens muß auf das Ver
ständnis der Stellung und des W irkens der Engel in der H eils
geschichte ausgerichtet sein.
1) Die G eistigkeit und Personalität der Engel
Im G egensatz zu der oft w iederholten B ehauptung, daß die
H eilige Schrift keinerlei A uskunft über das W esen der Engel gebe, ist
doch festzuhalten, daß die Engel im N euen Testam ent nicht ohne
B etonung als G eister (pneum ata) bezeichnet werden (H ebr 1,14;
12,9; Apg 23,8f.; Offb 1,4 u.ö.)38. Dies war der legitim e A usgangs
punkt, von dem aus die Tradition das Verständnis für das G eistw esen
der Engel im m er deutlicher entw ickelte.
D iese G edankenentw icklung verlief zw ar nicht gänzlich ohne
Schw ankungen, insofern in der christlichen Frühzeit bei Justin
(+ um 165), Tertullian (+ nach 220) und Laktanz (+ nach 317) auf
49 Vgl. K. H. S ch e lk le , D ie P e t r u s b r i e fe - D e r J u d a s b r i e f ( H erd e rs t h e o l o g i s c h e r
K o m m e n t a r zum N e u e n T estam en t, hrsg. von A. W i k e n h a u s e r und A. V ögtle, X III/2)
F re ib u rg 1961, 207.
B rief an die A rm enier in der W eise zur Geltung brachte, daß er die
gute Erschaffung der Engel neuerlich betonte (DH 1078). Die Lehre
vom Engelfall kann deshalb nicht anders denn als sententia de fide
gew ertet werden.
In der Frage nach der Art der Engelssünde haben sich Patristik und
Scholastik manchen Spekulationen überlassen. Es ist hier allerdings
ein Grenzpunkt der m enschlichen Erklärungsm öglichkeit erreicht,
insofern es dem M enschengeist nicht möglich ist, eine Psychologie
des Falles der Engel zu entwerfen. Zwar eröffnen manche Deutungen
theologisch und heilsgeschichtlich sinnreiche Perspektiven, so wenn
man den Anlaß zu dieser Sünde in der Verweigerung der Verehrung des
G eheim nisses der M enschwerdung des Logos sieht (Suärez). Da aber
die Offenbarung darüber keine Auskunft gibt, kann die gläubige
Vernunft nur grundsätzlich urteilen und an das Wesen der Sünde erin
nern, die ein innerer W iderspruch zum Gott der Liebe ist, in dem sich
das G eschöpf Gott versagt, sich auf sich selbst stellt, seine eigene
Ehre sucht, um „wie Gott sein“ zu wollen. Die Sünde bestand letztlich
auch bei den Engeln in dem „Non serviam “ des Stolzes, das die auf
den Dienst vor Gott angelegte angelische Natur geradezu pervertieren
mußte, so daß die Sünde auch unabänderlich war.
Die sich hier aufdrängende Frage ist nur die, wie bei der Höhe der
Intelligenz und der Stärke des Willens der reinen Geister eine solche Verirrung
möglich war. Hier ist dann doch ein kurzes Eingehen auf die Wesensfrage
un erläß lich. Es erbringt zunächst die Erkenntnis, daß die Engel trotz ihrer über
ragenden Geisteskraft, mit der sie die Gegenstände intuitiv erfaßten, in „statu
viae“ jedenfalls G ott se lb st nicht intuitiv erkannten (weil sie ja noch nicht in der
Gottesschau waren), sondern das Geheimnis Gottes im Glauben (wenn auch mit
höherer Erleuchtung) annehmen mußten. In statu viae vermochten auch sie die
Geheimnisse Gottes nicht völlig zu durchdringen, wie sie auch auf Offenbarun
gen bzw. Erleuchtungen bezüglich der Annahme aller übernatürlichen Wahrhei
ten angewiesen waren. Gerade aber die letzte Undurchdringlichkeit des Glau
bens hat ihnen, die Höhe ihrer Geisteskraft vorausgesetzt, zum Anlaß des
Widerspruchs gegen das auch ihnen noch unerschwingliche Geheimnis Gottes
werden können.
Ä hnliches ergibt sich m it Bezug auf ihren W illen, der von N atur
aus und von der Gnade erhoben, von allen sinnlichen Affekten unab-
gelenkt, m it ungehinderter Freiheit und Strebekraft auf das geschaf
fene Gute und zuletzt auf G ott ausgerichtet ist. Aber dem selbst-
m ächtigen W illen muß auch die W ahlfreiheit eignen, die im Stand
der noch nicht erreichten Vollendung auch die W ahlm öglichkeit zwi-
sehen Gut und Böse ie sich schließt. So eignete ihnen prinzipiell die
M öglichkeit, das Streben auf das absolute Gute, das ihnen eigentlich
gem äß, aber doch nicht endgültig und vollendet gefestigt war, auch
auf sich selbst um zulenken und so zu sündigen. Die Folge der Sünde
konnte nur in der eigenen U nseligkeit und in der radikalen Verdun
kelung des D ienstes an der Welt bestehen.
Jedoch erw eisen sich alle diese Erklärungen nur als ungenaue
A nnäherungen an das Ziel eines adäquaten V erständnisses des Seins
und Tuns eines reinen Geistes. H ier wird ein w eiteres A rgum ent für
die Ü berzeugung erkennbar, daß es sich bei der Annahm e von Engeln
nicht um eine reine V ernunftw ahrheit handelt.
L eichter lassen sich einige Erkenntnisse über das äußere Leben
der Engel gewinnen, die nach ihrer Entscheidung zur Vollendung in
der A nschauung Gottes gelangten. Als geschaffenen G eistern kom mt
es ihnen zu, ihr m achterfülltes Selbstsein auch im M itsein m it ande
ren G eschöpfen gleichen W esens auszuw irken und sich so in B ezie
hung zu anderen in höherer W eise zu verw irklichen. Darum ist der
Gedanke einer Vielzahl von Engeln (die aber durch keine Z ahlen
spekulation zu bestim m en ist) und ihrer seligen G em einschaft, wie er
besonders aus den Schriftaussagen über ihren D ienst vor G ott her
vorgeht, vernunftgem äß begründbar. In ihm ist auch die Annahm e
gegenseitigen A ustausches und geistiger K om m unikation einge
schlossen, die beim M enschen m it H ilfe des V erständigungsm ittels
der Sprache erfolgt. In A nalogie dazu ist die Fähigkeit der Engel un
bestreitbar, einander Gedanken m itzuteilen, was durch Einsatz eines
W illensaktes auf rein geistigem Wege geschehen kann50.
Daß eine solche G em einschaft von individuellen G eistern auch
U nterschiede und G liederungen besitzt, wird zunächst durch die in
der Schrift genannten verschiedenen Funktionen nahegelegt und w ei
terhin durch die Erw ähnung von Engelordnungen bekräftigt (vgl.
dazu Gen 3,24; Jes 6,2; Kol 1,16; Eph 1,21; Röm 8,38), die auf
W esensunterschiede hindeuten. D er A usbau dieser D ifferenzierungen
zu neun Engelchören und drei H ierarchien ist freilich die geistige Tat
des Ps.-D ionysius, die so beeindruckend w irkte, daß sie von Thomas
w eithin übernom m en w urde51. Sie ist aber in die Lehrverkündigung
der K irche so nicht eingegangen. A ber die traditionelle T heologie hat
selbst in ihren m odernen A usform ungen (wie u.a. bei H. Schell52) auf
diese aus der m ystischen Schau kom m enden Gedanken nicht ver
zichtet. Sie bergen ihren theologischen Sinn darin, daß sie die Fülle
und die O rdnung der durch die Engel repräsentierten göttlichen
H eilsverm ittlungen erkennen lassen. Es soll in ihnen der unerschöpf
liche Reichtum Gottes selbst in der Art seiner durch diese hohen
G eister verm ittelten W eltzuw endung und Vorsehung zum A usdruck
gebracht werden, so daß dahinter das Interesse an der V eranschau
lichung des Reichtum s und der Ideenfülle Gottes sichtbar war und
das erste Schöpfungsziel, das der V erherrlichung G ottes, deutlich
hervortritt.
In bezug auf die R ealisierung dieses W eltbezuges G ottes verm it
tels der Engel (w odurch die U nm ittelbarkeit G ottes zu seiner Schöp
fung keinesw egs geschm älert wird, insofern sie alles in der K raft
G ottes und in U nterordnung unter Christus tun) stellen sich auch
Fragen philosophischen C harakters, vor allem die Frage nach dem
Verhältnis der Engel zur Zeit und zum Raum . Die traditionelle
Theologie hat diese Fragen w iederum mit einem erstaunlichen den
kerischen A ufw and aufgenom m en und auf dem H intergrund ihres
vorw issenschaftlichen W eltbildes entw ickelt. D iese Bem ühungen
entstam m ten der zutreffenden Erkenntnis, daß ein w irklicher W elt
bezug der Engel nicht gehalten werden könne, wenn m an ihre B e
ziehung zur raum -zeitlichen Verfassung des Kosmos nicht klärte.
Daß eine solche Klärung sich nicht anschaulicher Vorstellungen bedienen
kann, erweist sich schon bei der an den Anfang zu setzenden F rag e nach dem
' „O rt“ der Engel im Himmel. Er ist nicht als physikalischer Ort oder als räumli
che Wohnung zu verstehen, sondern als die der sichtbaren geschöpflichen Welt
seinsmäßig und qualitativ gänzlich überhobene Daseinsweise Gottes, als Gottes
Reich, als sein Leben und seine Ewigkeit, an dem die Geistwesen Anteil haben.
Die von diesem „Ort“ her erfolgende Bewegung der Engel zur Welt hin kann des
halb nicht als physikalische Raum- und Zeitbewegung verstanden und gemessen
werden.
Trotzdem ist den reinen Geistern als geschaffenen endlichen Wesen nicht die
absolute Raum- und Zeitlosigkeit Gottes zuzubilligen. Deshalb k ö n n e n sie nicht
§ 18 :
2 K. F lasc h , A u g u s ti n u s , 116.
keit der bösen Engel von den guten und von der Z urückführung b ei
der auf die Schöpfung Gottes steht dem D ualism us unversöhnlich
gegenüber. So ist auch hier auf dem Grunde des D äm onenglaubens
eine allgem ein-religiöse M enschheitsvorstellung anzunehm en, die
im jüdisch-christlichen O ffenbarungsbereich einen w esenseigenen
Charakter angenom m en hat und nicht einfach auf historische Vorbil
der zurückzuführen ist.
Am bedenkensw ertesten erscheinen jedoch die von der Theologie
selbst und zum al von der Exegese erhobenen Einw ände gegen die
O ffenbarungsgem äßheit eines Teufelsglaubens. D iese entschiedene
A bw endung vom Teufelsglauben präludierte wieder D. Fr. Schlei
erm acher (+ 1834), für den „die Vorstellung vom Teufel, wie sie sich
unter uns ausgebildet hat, so haltlos“ war, „daß m an eine Ü berzeu
gung von ihrer W ahrheit niem andem zum uten kann“3.
2) Einsprüche und A nnäherungen evangelischer Theologie
Der N euprotestantism us lenkte unter A nschluß an die R efor
m atoren zu einer positiveren Auffassung zurück, die bei P. A lthaus in
der B ehauptung zum A usdruck kam , wonach „das Z eitalter einer
Theologie ohne Satan innerlich zu Ende gegangen ist“4. Eine H in
wendung zur traditionellen A uffassung zeichnet sich auch bei H.
Thielicke ab, verbunden m it einer scharfen A bgrenzung gegen den
D ualism us. Tragend erw eist sich bei ihm die Ü berzeugung (unter
Bezugnahm e auf den „däm onischen H intergrund“ der w iderständi
gen K räfte im Leben des Erlösers), daß hinter dem Bösen die „per
sonhafte M acht des D iabolus“ stehe5.
Eine entschiedene Apologie für die Existenz der Dämonen verfaßte auch
K. Barth, ohne ihnen aber theologisch „allzu prinzipiell und systematisch in die
Augen zu blicken“6. Positiv ist dabei sein Anliegen zu werten, Engel und D ämo
nen nicht als gleichgeordnete und gleichberechtigte Größen im Heilsgeschehen
zu behandeln, die nur durch eine qualitative Differenz voneinander geschieden
seien. Es bestehe zwischen diesen beiden Bereichen ein exklusiver und absolu
ter Gegensatz, so daß es sich auch verbiete, für beide einen gemeinsamen
Oberbegriff wie „Engel“ zu gebrauchen.
3 D er c h r istlic h e G la u b e I, 211.
4 Die c h r istlic h e W ah rh eit, 391.
5 H. T h ie lick e , Ü b er die W ir k lic h k e it des D ä m o n is c h e n : F ra g en des C h r iste n tu m s an die
m o d e r n e Welt, 179.
6 Die k i r c h l ic h e D o g m a t i k III/3, 609.
So k o m m t dann der A u to r zu ein er in sich n ic h t k o h ä re n te n A u ffa ssu n g von
dem „ N ic h tig e n “ , das er in der A n sp ielu n g von G en 1,2 au f das C hao s gegeben
sieht. Die D äm o n en sind d esh alb keine u rs p rü n g lic h e S c hö pfun g G o ttes, sondern
ge rad e das, was G ott nic h t erschaffe n hat, was er n ich t w ollte und niem als w o l
len w ird, das N ich t-S e in , das d en n o c h ex istiert und m ä chtig ist. So steht der
Teufel für das, was G ott in der S ch ö p fu n g ab w eisen und ü b ergeh en w ollte, was
g le ic h sa m der Sc h a tten der guten S c h ö p fu n g ist, aber als so lcher d ann doch auf
G o tt zu rü c k g e h e n m uß. So ist m it R e c h t in d iesem T h e o lo g o u m e n o n ein E influß
des D e u tsc h e n Id ealism u s (S che llin g) und J. B ö h m e s e n td ec k t w orden, der
zu letzt d azu führt, daß das Böse im Teufel als eine E ig e n sc h a ft G o ttes a n g e s e
hen w erden m u ß 7. H ier scheint die m o d e rn e „ id e a lis tisc h e “ E rk lä ru n g der
W irk lic h k eit des Teufels gerad ezu in den M y th o s und in den D u alism u s z u rü c k
z u m ü nd en .
10 S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 127f.
11 D o g m a t i k des c h r i s t l i c h e n G l a u b e n s I, 333.
12 E b d a., III, 487.
13 B e m e r k e n s w e r t bleibt, d aß e v a n g e l i s c h e m D e n k e n die E r h e b u n g des D ä m o n i s c h e n zu
e in e m „ R e i c h “ n a h e lie g t, w ä h r e n d k a t h o l i s c h e s D en k en eine so lc h e P a r a l l e l is i e r u n g zu m
„R e ic h e G o t t e s “ m it R e c h t n ich t v e r s t e h e n kann.
14 P. T illich , S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie I, 300.
eine „Spaltung im Sein selbst“ und ist „für diese Spaltung charakte
ristisch“16. Zwar ist das Dämonische hier nicht personal gedacht, aber
gerade deshalb in seiner Wirkmacht als negatives Seinsprinzip zu
einem Extrem gesteigert.
Die Einlassungen der modernen evangelischen Theologie auf das
Problem des Dämonischen widerlegen die Behauptung, daß der
„Teufel in der neuesten theologischen Literatur nicht mehr vor
kommt“ 17, auch wenn seine Macht in den letztgenannten Fällen ent-
personalisiert wird. Damit hat sich auch das Verdikt R. Bultmanns
über diesen auszurottenden „baren Aberglauben“ 18 nicht bestätigt.
3) Schwierigkeiten innerhalb der katholischen Theologie
Das gilt im ganzen auch für die katholische Theologie, obwohl
sich in ihr in den letzten zwei Jahrzehnten eine Entwicklung zur
Konzentrierung der traditionellen Lehrauffassungen über den Teufel
und die Dämonen abzeichnet19 und vor allem eine Problematisierung
der personalen Auffassung vom Teufel. Freilich gibt es hier auch eine
Entwicklungslinie, die von einer differenzierten historisch-kritischen
Beurteilung des Teufelsglaubens in Richtung auf seine Preisgabe
weist. Während so z.B. in der ersten Auflage des „Handbuchs theo
logischer Grundbegriffe“ (1963) trotz kritischer Registrierung des
Einflusses volkstüm licher A nschauungen des Judentum s und
Heidentums auf die Dämonenvorstellung des Christentums an der
(biblisch begründeten) Existenz böser Geister im Sinne der Kirche
festgehalten wird20, ist diese Einstellung im „Neuen Handbuch theo
logischer Begriffe“ nicht mehr erkennbar21. Es wird zwar nicht ver
schwiegen, „daß Jesus als Exorzist, d.h. Dämonenaustreiber aufge
27 E b da., 377.
28 H. H aag , A b s c h i e d vo m T eufe l, 37.
29 D ers., T e u fe ls g la u b e , 205.
30 E bd a., 260.
Hervortreten im Neuen Testament) ist aus der geänderten heilsge
schichtlichen Situation zu erklären, so daß erst angesichts des Kom
mens des Erlösers die Gegenkräfte voll in Erscheinung traten.
2) Die Dämonen im Heilswirken Jesu
Beim Übergang zum Neuen Testament bietet sich dem Betrachter
eine andere Stimmungs- und Bewußtseinslage dar: Es ist hier nicht
nur häufiger vom Satan oder Teufel und von den Dämonen und Gei
stern die Rede, sondern sie gewinnen auch eine Bedeutung in der
Geschichte des Heils, dies sowohl im zentralen Christusgeschehen
wie in der Kirche.
Der Zuwachs an Zahl und Gewicht dämonologischer Aussagen
im Neuen Testament, die so in den kanonischen Schriften des Alten
Testaments nicht Vorkommen, nährt den Verdacht der Übernahme
dieses Gedankengutes aus der spätjüdischen Apokalyptik und dem
damaligen Volksglauben. Daß aufgrund des Lebenszusammenhanges
gewisse Einflüsse anzunehmen sind, ist nicht so entscheidend wie
die Feststellung, daß im Neuen Testament zum Phänomen des Teu
fels und der Dämonen eine andere Grundhaltung und Grundüberzeu
gung zur Geltung kommt. Es gibt im Neuen Testament kein spekula
tives Interesse an der Welt der Dämonen, kein Eingehen der Phan
tasie auf Einzelheiten ihres Daseins und Erscheinens, keine Ent
wicklung weder einer „Dämonologie“ noch Erzählungen über den
Satan (wie sie etwa im ersten oder äthiopischen Henochbuch geboten
werden31)- Das Neue Testament ist nur an der Tatsache interessiert,
daß der Satan und seine untergebenen bösen Geister als Widersacher
des Heils in der Welt auftreten, als „Gegenspieler Jesu und seiner
Gemeinde“32. Es bekundet an vielen Stellen die Überzeugung, daß
widergöttliche Kräfte gegen das in Jesus erschienene Heil ankämp
fen. Sie treten in der Figur des „Teufels“ oder des „Satans“ auf
(Mt 4,1 u.ö.), werden mit der Bezeichnung des „Feindes“ und „Ver
Auch ein nur geraffter Ü berblick über die Entw icklung des Ver
ständnisses vom Teufel läßt erkennen, daß die zutage tretenden G e
danken nicht alle zur glaubensbezeugenden und glaubensbegründen
den Tradition gehören. Den Um kreis des zum Glauben G ehörenden
hat die K irche in ihrer L ehrverkündigung verhältnism äßig eng um
grenzt.
4) G renzziehungen der kirchlichen L ehrverkündigung
In ihren L ehraussagen über die W irklichkeit des Teufels und der
D äm onen hat die K irche zw ischen den Extrem en einer übertriebenen
Teufelsdoktrin und der m odernen A nsicht über die B elanglosigkeit
oder N ichtigkeit dieses G laubens die M itte gehalten. Dabei ging es
der K irche bei näherem H inblick nur um die schlechthin grundlegen
den W ahrheiten von der Existenz „des Teufels und der anderen bösen
G eister“ (4. Lateranense, 1215: DH 800), um ihr freies, selbstver
schuldetes, m it endgültigem H eilsverlust bestraftes Bösew erden50,
um eine gewisse „H errschaft“ des Teufels über den M enschen
(Tridentinum : DH 1511), aber auch um die G ew ißheit des Sieges
Christi über den W idersacher (Florentinum , 1442: DH 1347). Diese
Der Schöpfer und Erlöser hat diese Geschichte auf das hohe Gut
der Freiheit gründen wollen, durch welches dem Gang des Gesche
hens der Stempel der Entscheidung, der Bewährung und des
Dramatischen aufgedrückt wurde. Durch die Ausstattung der geisti
gen Geschöpfe mit der Freiheit zur Entscheidung für das Gute,
zuletzt für das übernatürliche Gut der Schau Gottes, hat Gott die
Geschichte mit dem Charakter einer bewegten Auseinandersetzung
versehen, in welche das Geschöpf seinen eigentümlichen Wert als
Freiheitswesen einbringen soll. Diese Würde erfährt noch eine Stei
gerung, insofern das geschichtliche Tun des Geschöpfes ein M itwir
ken endlicher Freiheit mit der absoluten Freiheit Gottes ist. Das
Geschöpf, das aus einer solchen Freiheitsgeschichte siegreich her
vorgeht, steht höher als ein geschichtsloses Wesen und nimmt an der
Verwirklichung eines höheren Schöpfungszieles teil, als es eine ge
schichtslose und unfreie Schöpfung erreichen könnte.
Im Hinblick auf die Engelwelt ist nun zu ersehen, daß in ihr die
Geschichte der Freiheit ihre deutlichste Repräsentanz und Beispiel-
haftigkeit, aber auch ihre höchste Dramatik erreicht; denn am
Geschick des reinen Geistes und seiner unwiderrruflichen Willenstat
werden am deutlichsten die Größe und Tragik der freien Entschei
dung sichtbar, die das Bewegende der Geschichte ist. An der Frei
heitstat der Engel läßt sich wie am höchsten Paradigma erkennen,
daß die Entscheidung etwas Endgültiges an sich hat und für den
Gottbezug wie für das Weltverhältnis des Geschöpfes einschneiden
de Folgen zeitigt. Weil die Engel trotz ihres überzeitlichen Seins zur
Schöpfung gehören und auf Mitgeschöpflichkeit mit dem Kosmos
wie mit dem Menschen angelegt sind, läßt sich ebenso verstehen, daß
der Engelfall einen Einfluß der bösen Engel auf die Geschichte frei
setzen mußte, der freilich nicht als grenzenlos erachtet werden kann.
Zugleich bleibt bei all diesem Negativen gewahrt, daß die falsche
Entscheidung der Engel nur die Verkehrung des ihnen geschenkten
Gutes der Freiheit ist, die von Gott auf eine Bewährung ausgerichtet
war. So macht der Engelfall, fern jeden Verdachts auf Mythologie,
nur das Drama der Heilsgeschichte transparent und legt den Charak
ter der Geschichte frei, auch wenn er zuletzt auf das Geheimnis der
Geschichte verweist, das nicht zu durchdringen ist, das aber auch
umgriffen ist von der Macht der Erlösung durch Christus.
Es stellt sich weiterhin die Frage, ob sich auch ein Zugang von der Lebens
wirklichkeit des Menschen her zur Existenz des Teufels gewinnen lasse. Das er
scheint nicht unmöglich, hat allerdings den Glauben zur Voraussetzung. Zwar
gibt es viele Versuche (in Parallele zum natürlichen Aufweis des Engels), auch
den Satan oder das Dämonische mit Hilfe der Vernunft als existent zu erweisen,
aber sie enden (ähnlich im Fall der guten Engel) häufig in gnostischen Spekula
tionen, denen gegenüber der christliche Engelglaube sich gemäßigt ausnimmt.
Ein Beispiel bietet die Erklärung C. G. Jungs, der das Dämonische als Schatten
des Menschen für diesen als konstitutiv erachtet und es mit dem Gottesbild
zusammenbringt56. Oder es kommt, wie bei P. Ricoeur, zur Deutung des Teufels
als eines symbolischen Ausdrucks für die Erfahrung menschlicher Schuld57.
Blickt der Mensch aber im Lichte des Gottesglaubens auf seine eigene
Verfassung, so kann sich aus der Erfahrung der Sünde ein Zugang zur Annahme
dämonischer Geister ergeben. Freilich ist dieser Zugang nicht im Hinblick auf
jede Sünde zu gewinnen, die grundsätzlich aus der menschlichen Freiheit und
der condition humaine ableitbar ist, welche von Seinsschwäche und sinnenhafter
wie geistiger Hinfälligkeit bestimmt ist. Aber es gibt in der Erfahrung von
Einzelschicksalen wie von geschichtlichen Ereignissen das Vorkommen von
Sünde in übermenschlicher Dimension, der Sünde um ihrer selbst und um der
reinen Bosheit willen, der Sünde titanischen Stolzes und genialischer Subtilität,
welche den Einfluß eines bösen Geistes annehmen lassen. „Es gibt Taten, die
zum Himmel schreien. Sie sind nicht nur Greuel, sondern scheinen auch die con
ditio humana in Frage zu stellen. Sie sind nicht nur böse, sondern schlechthin
monströs“ , so daß gefolgert werden kann: „Taten, die zum Himmel schreien,
schreien auch n ach der Hölle“58. An solchen Extremen 59 wird eine Radikalität und
56 C. G. Ju n g, A n t w o r t a u f H io b , Z ü ric h 1952.
57 Vgl. H. U. v. B a lth asar, T h e o d r a m a t i k II/2, 430.
58 P. L. Berg er, A u f den S p u re n der E n g e l, 96f; 98.
59 So E. B run ner, D o g m a tik II, 162.
eine M o n s tro s itä t des B ösen offenbar, die den S chlu ß a u f ein däm o n isch es
Einwirken erlaubt.
2) Mächte oder Personen?
In der neueren Theologie ist, wohl aus Gründen der Entschärfung
der mit dem Teufelsglauben verbundenen Herausforderung an den
modernen Menschen, die Frage zur Diskussion gestellt worden, ob
der Glaube an den Teufel notwendigerweise ein personales Wesen
meine. Die Tradition hätte eine solche Fragestellung als nicht sach
gemäß empfunden. Noch das Zweite Vatikanum setzt bei seiner
beiläufigen Nennung des Teufels, Satans oder Dämons60 die persona
le Auffassung voraus. Inzwischen ist aber die Personhaftigkeit des
Teufels zum Problem erhoben worden, zumal von seiten der Exegese,
die vielfach dazu neigt, wegen der Unbestimmtheit der Schriftaus
sagen die Frage unentschieden zu lassen, worin ihr auch Systemati
ker folgen61. Andererseits wird von exegetischer Seite doch auch zu
verstehen gegeben, daß die bösen Mächte „als ansprechende und
ansprechbare Wesen von Intelligenz und Willen erfahren werden“
und auf personale Weise begegnen62. Die vermittelnde Erklärung, daß
es sich bei den gefallenen Engeln um „Un-personen“ handelt63, stellt
eigentlich keine Antwort auf die Frage dar. Von der im Glauben der
Kirche befestigten Lehre des Engelabfalls her ergibt sich jedenfalls
keine Möglichkeit zur Annahme apersonaler Mächte, weil eine
Person ihr Personsein von sich aus nicht verlieren kann und von Gott
nicht zerstört werden wird.
Wo aber mit der A u ffassu n g von apersonalen Mächten ernstgemacht wird,
landet das Denken in einer Aporie; denn wenn man diese „Mächte“ , wie im neue
ren H e rm e tis m u s 64, aus dem Geflecht der bösen Taten des Menschen entstehen
läßt, schafft m an nur ein psychisches Surrogat für ihre wahre Existenz. Wo sie
aber mit P. Tillich als wirkliche Seinsmächte und Seinsstrukturen erklärt w e r
d e n 63, verankert man sie in der Schöpfung als solcher. Als „Strukturen“ müßten
sie zur gottgesetzten SchöpfungsWirklichkeit selbst gehören, die so ein dualisti
sches Gepräge erhält.
66 D i e s b e z ü g l i c h sc h e in t d er P s y c h o l o g e J. M i s c h k o ü b e r seine K o m p e t e n z h i n a u s z u g e
hen, w enn er die b e tr e ff e n d e n P h ä n o m e n e a u s s c h l i e ß l i c h d e r P sy c h o p a t h o lo g i e zu o r d n et
und den A b s c h i e d von d en „ P r i e s t e r h e l f e r n “ fo rd ert: „ D ä m o n i s c h e B e s e s s e n h e i t “ : T eufe l -
D ä m o n e n - B e s e s s e n h e it, 145f. A n d e r s u rteilt der M e d i z i n e r M.-P. E n g e lm e ie r, E x o rz i s m u s
als p s y c h o t h e r a p e u ti s c h e M e t h o d e - ein ig e p s y c h i a t r i s c h e A n m e r k u n g e n : E x o rz i s m u s
h eu te? D er A rzt u nd das a b g r ü n d i g e Böse. R e fe r a t e des d r e i z e h n t e n Ä r z t e t a g e s im B istu m
E ssen, St. A u g u s ti n 1980. D e r A u t o r v e r ste h t d en E x o r z i s m u s als „ t h e r a p e u t i s c h e s
V erfa h ren “ , in dem dem „ H e l f e r “ in e x i s te n ti e l l e r K o m m u n i k a t i o n m it dem B e tr o f fe n e n
u nter E in s a t z von M e d i ta ti o n und S e l b s t p r ü f u n g ein e e n t s c h e i d e n d e A u f g a b e zufällt;
a.a.O., 3 5 ff.
67 Vgl. d azu den O rdo in itia tio n is c h r istia n a e a d u l t o r u m , E dit. typ. R o m a 1972, Nr. 101,
109-118 und den O rd o b a p tism i p a r v u l o ru m , R o m 1969, Nr. 49; 221.
Kapitel VI:
Ursünde und „Erbsünde“
§ 19:
Der begnadete Anfang des Menschen
Literatur: J. G. Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Mensch
heit: Sämtliche Werke (hrsg. von B. Suphan), Berlin 1877; E. Brunner,
D ogm atik II, Zürich 1950; K. Rahner, Zum theologischen B egriff der
Konkupiszenz: Schriften zur T heologie I, Einsiedeln 1954, 377-414;
J.-J. Rousseau, Schriften zur Kulturkritik, Hamburg 1955; R. Bultmann, Glauben
und Verstehen II, Tübingen 21958; G. v. Rad, Das erste Buch Mose. Genesis (Das
Alte Testament D eutsch 2/4), G öttingen 1958; P. Tillich, System atische
Theologie II, Stuttgart 1958; H. Renckens, Urgeschichte und Heilsgeschichte,
Mainz 1959; P. Overhage, Um das Erscheinungsbild des ersten Menschen
(QD 7), Freiburg 1959; P. Overhage.- K. Rahner, Das Problem der Hominisation
(QD 12/13), Freiburg 1961; J. Bivort de la Saudee - J.Hüttenbügel, Gott -
Mensch - Universum. Die Stellung des Christen in Zeit und Welt, Köln T 963;
H. E. H engstenberg, E volution und Schöpfung. Eine A ntw ort auf den
Evolutionismus Teilhard de Chardins, München 1963; K. Jaspers, Vom Ursprung
und Ziel der Geschichte, München 1963; O. Cullmann, Heil als Geschichte.
Heilsgeschichtliche Existenz im Neuen Testament, Tübingen 1965; M. Schmaus,
Das Paradies, M ünchen 1965; Ders., Der G laube der Kirche III,
St.Ottilien 2 1979; Mysterium Salutis. Grundriß heilsgeschichtlicher Dogmatik
(hrsg. von J. Feiner und M. Löhrer) II, Einsiedeln 1967; H. Haag, Biblische
Schöpfungslehre und kirchliche Erbsündenlehre, Stuttgart 1966; Ders., Der
Urständ nach dem Zeugnis der Bibel, in: ThQ 148 (1968) 385-404; Ders. (Hrsg.),
Bibellexikon, Einsiedeln 21968; G. Rohrmoser, Das Elend der kritischen
Theorie, Freiburg 1970; F. Dexinger, Alttestamentliche Überlegungen zum
„Erbsünde“ -Problem: Ist Adam an allem schuld?, Innsbruck 1971; M. Habitzky,
Gedanken zu Urständ und Erbsünde, in: Kat Bl 96 (1971) 743-753;
CI. Westermann, Schöpfung, Stuttgart 1971; Ders., Genesis 1/1, Neukirchen-
Vluyn 21976; J. Auer - J. Ratzinger, KKD III, Regensburg 1975; P. Lüth, Der
Mensch ist kein Zufall. Umrisse einer modernen Anthropologie, Stuttgart 1981;
L. Scheffczyk, Urständ, Fall und Erbsünde. Von der Schrift bis Augustinus
(HDG II/3 a), Freiburg 1981; Ders., Paradies: LMA VI, 1697f.; H. M. Köster,
Urständ, Fall und Erbsünde in der katholischen Theologie unseres Jahrhunderts,
Regensburg 1983; M. Hauke, Heilsverlust in Adam. Stationen griechischer
Erbsündenlehre: Irenäus - Origenes - Kappadozier, Paderborn 1993.
Die Theologie ist zur Erhebung der Frage nach dem Anfang umso
m ehr legitimiert, als sie sich auf Aussagen über diesen Anfang in den
Heiligen Schriften berufen kann, Aussagen freilich, die nach den
R egeln der Hermeneutik auf ihren Gehalt hin geprüft werden müs
sen.
2) Die exegetische Problematik bezüglich der jahwistischen
Geschichte vom Paradies
Die Theologie hat bei ihrer Befassung mit der „Paradieses
geschichte“ oder der „Geschichte vom Garten“ wiederum den Ein
wand zu gewärtigen, daß es sich hier um einen Mythos handele, so
daß das Urteil berechtigt sei: „Das Paradies ist nun ebensowenig eine
Realität wie der sündenlose Mensch. Die zentrale Wirklichkeit ... ist
die menschliche Sündhaftigkeit“6. Demnach will der Paradies- und
Sündenfallbericht unter weitgehender Verwendung mythologischen
M aterials nur den faktischen Zustand der Welt beschreiben. Unter
Abstreifung des mythologischen Gewandes kann man ihn heute nur
als Angabe über das menschliche Existential der Sündenverfallenheit
sehen.
A usführlicher und mit exegetischer A kribie versucht CI.
Westermann diesen Standpunkt zu begründen, um zu dem Schluß zu
kommen (bereits unter Einbeziehung der Sündenfallgeschichte
Gen 3,1-24): „Dieser ganzheitliche Charakter der Erzählung ist ver
kannt, wo sie im Sinn eines Nacheinander historischer oder quasihi
34 De paradiso I, 1.
35 Hexaem. VI, 7,42.
36 De civ. Dei XIII, 21.
37 Enarr. in ps. 70,2,7.
38 De gen. ad litt. VI, 27.
39 L. Scheffczyk, Paradies: LMA VI, 1697f.
das als die „veritas rerum gestarum “ 40 ernstgenommen wird. So wird auch die
traditionelle Auffassung von einem Weiterbestehen des Paradieses vertreten, in
das Henoch und Elias, aber auch der Leib Marias aufgenommen sein sollen.
Darum behielt auch die Frage nach seiner Lokalisierung Aktualität („im Osten“ ;
„in der Höhe“ ; „am Ä quator“ oder in der Nähe der Mondsphäre). Freilich ist es
dem Menschen nach dem Sündenfall entrückt.
Der realistische geographische Ansatz zwang zur Annahme entsprechender
Details bezüglich der menschlichen Lebensbedingungen (Ehe), des Pflanzen
wuchses und des Klimas, die, dem schuldlosen, mit den Integritätsgaben ausge
statteten Menschen entsprechend, höher qualifiziert wurden, aber doch nicht
eine wesentlich andere Naturordnung erforderten. So hätten nach Thomas im
Paradies auch die Raubtiere vom Fleisch ihrer Beute gelebt41. Allerdings stehen
alle diese Erwägungen nur im Vorfeld der Wesensbestimmung des Paradieses mit
Bezug auf den Menschen, der in der iustitia originalis (von Anselm nur als rech
te Willensausrichtung auf Gott gefaßt, von Thomas mit der übernatürlichen, h ei
ligmachenden Gnade verbunden) lebte. Bei allem naturalistischem Realismus
des „locus deliciarum et amoenitatis“ war doch das Wesen des Urstandes als hei
ler, gnadenhafter Anfang des Menschen gedacht.
2) Die Lehrbestimmung der Kirche
Es ist bezeichnend, daß die Lehre der Kirche aus dieser Fülle der
theologischen Erwägungen und Spekulationen über den paradiesi
schen Urzustand unter Absehen von allem naturgeschichtlichen
Detail nur zwei Gedankenkomplexe als glaubensverbindlich erklärt
hat und dies noch unter Differenzierung des Gewißheitsgrades: näm
lich die Erhebung des Menschen durch das Geschenk der heiligma
chenden Gnade in den Stand der Heiligkeit und Gottesfreundschaft
und seine Ausstattung mit bestimmten außernatürlichen (präternatu-
ralen) Gaben, die den Menschen von gewissen geschöpflichen Be
schränkungen befreiten, um die Gottesfreundschaft ungebrochen und
ungehindert leben zu können.
Die Lehre von der übernatürlichen Begnadung der Stammeltern
erfuhr die erste kirchliche Bestimmung auf der Zweiten Synode von
Orange (vom Jahre 529), wo in Auseinandersetzung mit den das
Wesen der Gnade verkennenden Pelagianern von der Unversehrtheit
(integritas) die Rede ist, in der die menschliche Natur geschaffen
wurde. Diese Natur wird aber nicht „ohne die Gnade G o tte s “ und
„das H e i l “ gedacht (gratia; salus: DH 389). Das vom Tridentinum
eigens verfaßte „Dekret über die Ursünde“ verkündete gegen refor-
40 T h o m a s , S.th. q. 102 a. 1.
41 S.th. I q.9 6 a. 1 ad 2.
matorische Unklarheiten als katholische Glaubenslehre, daß Adam
nach seiner Übertretung des Gebotes Gottes „sogleich die Heiligkeit
und Gerechtigkeit (sanctitas et iustitia), in die er eingesetzt worden
war, verloren“ habe (DH 151 lf.). Obwohl die „Heiligkeit und
Gerechtigkeit“ (auch unter dem Terminus „innocentia“ eingeführt:
DH 1521) nur unter den Voraussetzungen des Adamsfalles erwähnt
wird und so nicht das Zentrum der Definition bildet, kann ihr der
Charakter einer sententia de fid e nicht abgesprochen werden. Sie
wird durch ein beachtliches Moment ergänzt, insofern Adam diese
Gnadenausstattung „ auch f ü r uns verloren “ habe (DH 1512). So war
diese Gnadenausstattung für die ganze Menschheit gedacht.
In der neueren Zeit hat die Kirche gegenüber dem mißverstan
denen Augustinismus der Jansenisten den spezifischen Gnaden
charakter der Erhebung des Menschen durch Gott eigens hervorge
hoben und als dem M enschen ungeschuldet gekennzeichnet
(DH 1926), so daß Gott den Menschen auch ohne die Gnade hätte
erschaffen können (DH 1955). Dies waren Erklärungen, die das
damals schon problematisierte Verhältnis zwischen Natur und Gnade
auf grundsätzliche Befunde zurückführten.
Der Aufweis für das Enthaltensein dieses Dogmas in der Heiligen
Schrift kann nicht in der Weise der Heranziehung formeller und
distinkter Einzelaussagen geführt werden. Die Paradieseserzählung
selbst (Gen 2-3) kann nur im weiteren Sinne für diesen Erweis her
angezogen werden, da ihr die Unterscheidung von Natur und Gnade
fehlt. Das Dogma von der Gnadenhaftigkeit des Urstandes darf aber
aus dem Zusammenhang und der Abfolge der Heilsökonom ie
erschlossen werden, näherhin aus der Antiparallele zwischen Adam
und Christus. In ihr tritt Christus als der „neue Adam“ (Röm 5,15;
1 Kor 15,45), als der W iederhersteller des alten Adam auf. Er voll
brachte die W iederherstellung der Menschheit in einer instauratio
oder anakephalaiosis (Eph 1,10; 5,23). Christus aber brachte der
Menschheit die Rechtfertigung und die Gnade (Röm 3,18-21), er ver
mittelte ihr den Geist der Kindschaft Gottes (vgl. Röm 8 ,O ff.) und
die Erbschaft des Himmels (vgl. Gal 4,4; Joh 1,12), woraus sich
ergibt, daß Adam diese Güter zu eigen hatte.
Der theologische Sinn dieser Ausstattung Adams darf darin erkannt werden,
daß Gott den Menschen von Anfang an in das irdisch höchstmögliche Einheits-
Verhältnis einb ez o g, ihm z u g leich mit der G ab e des L eben s, w elche als solche
auch schon u n g e sc h u ld e t war, die no ch h ö h ere G n a d e der T eiln ahm e an Gottes
F re u n d s c h a ft und an sein em in n e rg ö ttlic h e n L eb en antrug. D am it war bereits in
der E rsch affu n g des M e n s c h e n seine B eru fu n g zur ü b e rn a tü rlic h e n G na de und zu
ih rer V ollendung in der v isio beata angele gt. G o tt selb st en thü llt sich k raft der
urstä n d lic h e n B e g n ad u n g als der sich dem M e n s c h e n g änzlich H in g e b e n d e und
ihn u n g e sc h u ld e t mit seinem in n erg ö ttlic h e n R e ic h tu m B e s ch en k e n d e. D er
M en sch selb st w ird im L ich te d ieser W ah rhe it in der G rö ße sein er göttlich en
B estim m u n g und B e ru fu n g erken nb ar, die ihn zu ein em für G o tt b e stim m ten
go ttä h n lic h e n Wesen erhebt.
§ 20 :
Der Sündenfall und seine universale Folge: Ursünde und
„Erbsünde“
Literatur: J. Gross, Entstehungsgeschichte des Erbsündendogmas I. Von der
Bibel bis Augustinus, München 1960; E. Brandenburger, Adam und Christus.
Exegetisch-religionsgeschichtliche Untersuchung zu Röm 5,12-21 (1 Kor 15),
Neukirchen 1962; N. Lohfink, Genesis 2f als „geschichtliche Ä tiologie“ .
Gedanken zu einem neuen hermeneutischen Begriff, in: Schol 38 (1963) 321-
344; L. Scheffczyk, Die Erbschuld zwischen Naturalismus und Existentialismus,
16 G. v. R a d, a.a.O ., 81.
17 Vgl. H. G ro ss , T h e o l o g is c h e E x e g e s e von G en es is 1-3, 431 ff. H i e r fin den a u c h die
E in w ä n d e g eg en den B e g riff d er „ g e s c h i c h t l i c h e n Ä t i o l o g i e “ B e rü c k s i c h t i g u n g .
18 So G. v. R a d , T h e o l o g ie des A lte n T e sta m e n te s I, 158.
lungsglauben Israels zu verankern, der sich hier, gewiß nicht ohne
inspiratorisches Einwirken bei den Verfassern, seiner universal
menschlichen Bedeutung und seiner geschichtlichen Begründung
versichert. Freilich kann diese Begründung nicht mit den Kriterien
der Profangeschichte verifiziert werden, insofern sie im Rahmen der
Heilsgeschichte und im Glauben an diese verläuft.
Die Zuordnung der Erzählung zur Heilsgeschichte und literarischen Gattung
der Ätiologie nimmt auch den oft erhobenen Einwänden die Schärfe, die sich aus
dem näheren Eingehen auf die inneren Umstände des Falles wie auf seine psy
chologische Möglichkeit zu ergeben scheinen. Schon D. Fr. Schleiermacher
(+ 1834) hatte gegen die heilsrealistische Deutung mit der Begründung oppo
niert, daß sie im Widerstreit stehe mit der ursprünglichen Vollkommenheit des
Menschen. Unter diesen Bedingungen könne „man sich Verführung oder
Mißbrauch des freien Willens am wenigsten vorstellen“ . So bleibt dem ganz aus
dem „Interesse an der christlichen Frömm igkeit“ argumentierenden Theologen
nur übrig, den Anfang der Sünde in der Menschheit aus einer ihr innewohnenden
Sündhaftigkeit zu erklären, welche den gnadenhaften Stand des Anfangs aufhebt
und die Sündhaftigkeit zu einer Beigabe des Geschaffenseins erklärt19. In
schlichter Form ist das Problem neuerdings von H. Haag in die Diskussion
gebracht worden: „Zunächst fällt es uns schwer zu verstehen, warum der erste
Mensch der ersten Versuchung sofort erlag und dem, was der Versucher ihm vor
gaukelte, blinden Gehorsam schenkte, obwohl sein Verstand angeblich mit
besonderem Licht erleuchtet, sein Wille mit besonderer Kraft ausgestaltet, sein
Sehnen und Trachten ganz auf das Gute ausgerichtet und er selbst frei von der
Neigung zum Bösen war“ . Die nach Haag allein mögliche Lösung des Problems
liegt in dem Eingeständnis, daß „auch für den ‘urständlichen’ Menschen die
Sünde praktisch unvermeidbar war“20, was wiederum gegen die heile Schöpfung
des Anfangs gerichtet ist.
Dem ist unter dem heilsgeschichtlichen Aspekt entgegenzuhal
ten: Die Erzählung vom Paradiese, die nicht in Einzelheiten realhi
storisch aufgefaßt werden will, spricht nicht von einem Voll
endungsstand, sondern nur von einem Gnadenstand, der auch durch
ein positives göttliches Gebot (Gen 2,17) gekennzeichnet war. Damit
ist angedeutet, daß der Mensch trotz seiner Begnadung in den Garten
zur Bewährung, zur Vervollkommnung, zum Dienst an Gott und an
der Welt hineinversetzt worden war. Auch das Paradies war ein
geschichtlicher Zustand, in dem der zeitliche Mensch seine Freiheit
im Verhältnis zu Gott hätte bewähren und sich der Vollendung hätte
nähern sollen. Ein Herausfallen aus der Gnade war deshalb auch ihm
19 D e r c h r istlic h e G la u b e I, 383ff.
20 H. H aag, B ib lis c h e S c h ö p f u n g s l e h r e un d k i r c h l ic h e E r b s ü n d e n l e h re , 49f.
möglich, aber keineswegs aufgrund einer ihm innewohnenden
Sündhaftigkeit, sondern aufgrund seiner Entscheidungsfreiheit zwi
schen Gut und Böse. Über diesen grundsätzlichen Befund ist nicht
hinauszukommen, besonders nicht durch die bei den Vätern übliche
Spekulation über die Art der Sünde (etwa einer Geschlechtssünde).
Sie nahm (wie jede Sünde) ihren Anfang im Geist, der sich auch
beim begnadeten Menschen dieser seiner Begnadung und G ottähn
lichkeit überheben konnte und so durch Stolz sündigte21. Dabei muß
auch das Einwirken der von außen kommenden bösen Mächte als
biblisches Datum (Gen 3,1-5) anerkannt bleiben.
2) Der heilstheologische Sinn
Das Festhalten an dem heilsgeschichtlich-ereignishaften Kern
hält die Mitte zwischen einer gnostisch-metahistorischen Auffassung
vom Entstehen der Sünde, wie sie in Platons Phädrus, in der früh
christlichen Gnosis und noch bei Origenes vertreten wird, und einer
existentialistischen Deutung, welche Menschenschöpfung und Sünde
in eins fallen läßt. Daß die metahistorische Deutung noch nicht gänz
lich überwunden ist, zeigen Formulierungen wie die von „unserer
Geschichte jenseitigem Geschehen“22. Es ist nicht zu bestreiten, daß
damit gewisse Fragen bezüglich des alten Weltbildes und seiner
Ablösung durch die moderne N aturw issenschaft auftreten und
Schwierigkeiten erbringen. Aber verbleibende Spannungen zwischen
Theologie und Naturwissenschaft müssen nicht schon klaffende
Widersprüche bedeuten. Auch ist zu bedenken, daß Theologie und
Glaube niemals gänzlich in ein bestimmtes Weltbild eingepaßt wer
den können. Ebenso ist anzuerkennen, daß weder der Gnadenstand
noch der Verlust dieses Standes ein von der Naturwissenschaft
erreichbares oder verwerfbares Phänomen ist23.
Der heilstheologische Sinn des Einbruches der Sünde läßt sich
aus dem Vergleich mit den entgegenstehenden Deutungen zu einer
gewissen Einsicht bringen. Auf seiten der evangelischen Theologie
25 So G. v. R a d , a .a .O ., 75; CI. W e s t e r m a n n , a . a .O . , 3 5 4 f .; v o r s i c h t i g e r u r t e i lt
J. S ch a r b e r t, P ro to e v a n g e liu m : M a ri e n l e x i k o n V, St. O ttilie n 1993, 342.
traditionelle Lehre den Rang einer definierten Glaubenswahrheit, zu
der auch die aus dem Fall kommenden Straffolgen für die Stamm
eltern gehörten. Aus der Art dieser Straffolgen ist zu erschließen, daß
es sich beim Urfall um eine schwere Sünde gehandelt haben müsse26.
So sehr damit auch der Tragik des Falls Rechnung getragen wurde,
vermied man doch (im Hinblick auf das Erlösungsgeschehen) extre
me Folgerungen für das Geschick der Stammeltern. So bleibt die
Annahme des Rupert v. Deutz (+ um 1129) eine Ausnahme, wonach
die Stammeltern der Verdammnis anheimgefallen wären27.
30 H W P h II, 603 (E rb sü n d e; P. W rz e c io n k o ) .
31 E b d a., 13.
machen). Aus diesem Grunde ist auch die Kennzeichnung der Aus
gangssituation der M enschheit als „begnadeter Anfang“ für das Ver
ständnis der „Erbsünde“ unerläßlich.
Auch ist vorauszuschicken, daß in der Ordnung der Gnade, in
ihrer Gewährung wie in ihrem Verlust, andere Gesetzmäßigkeiten
gelten als in der Ordnung der Natur, wo der Entzug eines natürlichen
Gutes aufgrund der Untat eines anderen von dem betroffenen un
schuldigen Menschen als ein Unrecht betrachtet werden müßte.
Wenn diese besondere Zugehörigkeit der „Erbsünde“ in die Gnaden
ordnung nicht anerkannt wird, muß ihr wahres Verständnis verfehlt
werden.
Aber auch bei Wahrung dieses gnadenhaft-übernatürlichen Bezuges bleibt
eine Gedankenschwierigkeit, welche das eigentliche Geheimnis dieser Sünde
ausmacht. Sie zieht sich in der Frage zusammen, wie der Gnadenverlust eines
einzelnen (oder der humanitas originans) sich legitimerweise auf alle Menschen
auswirken kann, ohne daß allein an ein positives Dekret Gottes zu denken wäre.
Die Theologie, deren Aufgabe es ist, „eine gewisse Erkenntnis der Geheim nisse“
(DH 3016) zu vermitteln, vermag zwar dieses Geheimnis in etwa zu erhellen (so
mit dem Gedanken der Solidarität der Menschheit wie in Christus so in Adam),
aber sie vermag es nicht vollkommen aufzuklären und vernunftgemäß einsichtig
zu machen. Hier bleibt zwischen der vernunftgemäßen Annäherung an das
Geheimnis und einer erkenntnismäßigen Evidenz eine „Lücke“ , die nur durch
den Überstieg des Glaubens geschlossen werden kann. Bei Nichtanerkennung
dieses v erbleibenden G eheim nischarakers bleibt der Zugang zu dieser
Heilswahrheit verschlossen12.
Für den auf die Erfahrung pochenden Menschen erfährt das Ge
heimnishafte noch dadurch eine Steigerung, daß es von der aus der
Ursünde hervorgehenden „Erbsünde“ keine Erfahrung und keine
empirische Verifizierung gibt. Das Ereignis der Ursünde und der dar
aus für die M enschheit erwachsene Heilsverlust sind als solche für
den Menschen keine vorfindlichen Erfahrungsdaten, wie ja die In
halte des Glaubens allgemein nicht als empirische Erfahrungstat
sachen ausgegeben werden können. An diesem Punkte scheint der
Gegensatz zwischen dem Glauben und dem natürlichen menschli
chen Verlangen besonders weit auseinanderzuklaffen.
Aber dieser Punkt markiert doch zugleich auch die Stelle, an wel
cher der Gegensatz sich überwinden läßt und der Spalt überbrückt
48 W. P a n n e n b e r g , S y s t e m a t i s c h e T h e o l o g ie II, 301.
49 H. M. Köste r, a.a.O ., 195.
heit im Bewußtsein der Menschen verankert ist, auch wenn sie oft
mals in völlig verfremdeter Gestalt zutage tritt.
Schon seit langem ist der Marxismus als verkappte säkularisierte
Heilslehre erkannt, die ein christliches Plagiat auch in einem
„Sündenfall“ findet. Nach K. Marx (+ 1883) ereignete sich dieser
beim Aufkommen des Privateigentum s, von dem an die
„Entfremdung“ des Menschen und der gesamten menschlichen
Verfassung und Geschichte datiert, auch wenn er über die davor lie
gende Urform des menschlichen Daseins keine Aussagen macht50. In
veränderter Form findet sich das christliche Bild der vom Unheil zum
Heil fortschreitenden M enschheitsgeschichte bei E. Bloch. Nur ist
hier das Unheil nicht punktuell festgelegt: Es durchwaltet die ganze
von der Entfremdung geprägte menschliche Geschichte, die wesent
lich noch „Vorgeschichte“ ist, die aber von der Hoffnung angetrieben
wird, zu einer neuen Schöpfung zu werden, die dem Menschen
„Heimat“ schenkt51.
Auch vom anderen Extrempunkt der philosophischen Skala her läßt sich eine
paratheologische Entsprechung zur (äußeren) Struktur der christlichen Lehre
aufzeigen. Im Existentialismus Heideggers (+ 1976) resultiert das Unheil des
abendländischen Denkens, das er als paradigmatisch für die ganze Menschheit
hält, aus einem Abfall vom wahren Seinsdenken, welcher in dem Schema ver
läuft: „verlorenes Paradies (der erste Anfang), dann Leben in der Folge des
Sündenfalls (= Metaphysik) und Verstrickung des Lebens in den reinen, abstrak
ten Begriff, selbsterdachte Erlösung und Paradies am Ende: Denken des Seins“52.
Eine größere inhaltliche Nähe zur christlichen Wahrheit beweist K. Jaspers
(+ 1969). Im Hinblick auf die christliche Offenbarung von der Erbsünde trifft er
zunächst die Feststellung: „Die Erbsünde können wir als Chiffre im ganzen uns
nicht zu eigen machen, weil sie alles in die Gnadenerwartung legt, unterstützt
durch die kirchlich garantierte Verheißung“ . In dieser Chiffre aber findet sich
dennoch „die Wahrheit des Anspruches der Umkehr, der zum Menschen als
Menschen gehört, und das Bewußtsein des Sichgeschenktwerdens, er weiß nicht
woher und nicht w ie “53. Hier erscheint die christliche Wahrheit als „Chiffre“ für
die menschliche Situation des Verfallenseins, des Nicht-in-Ordnung-Seins, als
Ausdruck der Spannung zwischen Hinfälligkeit und Freiheit. Sie ist ihm weiter
hin ein Zeichen dafür, daß der Mensch im Aufschwung der Freiheit über das
65 So H. Schlier, Der Brief an die Epheser. Ein Kommentar, Düsseldorf 1957, 107.
siegreichen Gnade Christi anerkennt und festhält, daß sie nur im
Zusammenhang mit dem Christusereignis zu verstehen ist.
Eine Aufnahme und Weiterentwicklung der paulinischen Ansätze erfolgte in
der frühen Tradition nur zögernd, was mit der Inanspruchnahme des jungen
Christentums durch die Apologetik gegenüber den Gegnern und mit der sich erst
langsam heranbildenden Theologie zusammenhängt. Aber im griechischen
Bereich finden sich bei Melito v. Sardes (+ vor 190), der unter Aufnahme des
heilsgeschichtlichen Konzepts des Paulus von einem „Erbe (kleronomia) der
Kinder Adams“ spricht, Gedanken, welche den „Kausalnexus von Sünde und
Tod, die A llgem einherrschaft derselben, die Rolle der Begierde, die Personifi
kation dieser Mächte“ so deutlich zum Ausdruck bringen, daß hier eine Reihe
von Elementen der späteren „Erbsünden“-Lehre bereitgelegt werden, ohne daß
ihre Komposition schon im Sinne des kirchlichen Dogmas ausfällt; denn bei
M elito ist zunächst nur ein mehr äußerlich gefaßter Unheilszustand als „Erbe“
bezeichnet, zu dem auch die persönlichen Sünden hinzugehören. So entsteht der
Eindruck von einer durch Gott verhängten Erbstrafe, die erst durch die eigene
Tat des M enschen zu Schuld und Sünde wird. Für den Zusammenhang von
Ursprungssünde und den nachfolgenden Einzelsünden, der dem traditionellen
Denken nicht besonders wichtig erschien, liefert M elito eine wichtige An
regung.
Indessen ist die (letztlich mehr für das griechische Denken reprä
sentative) Auffassung von der universalen Unheilsmacht, die bei
Irenäus v. Lyon (+ um 202) zu einer „unio mystica“ zwischen Adam
und der Menschheit vertieft wird66, im Abendland nicht weiterver
folgt worden. Dem abendländischen (römischen und afrikanischen)
Denken lag eine pragmatische, moralische und rechtliche Denkweise
näher, vermöge derer sie zu einer genuinen Bestimmung des
Spezifischen dieser allgemeinen Sünde drängte. So faßte Tertullian
(+ nach 220) unter stoischem Einfluß die Einheit der Menschheit mit
Adam realistisch als Abstammungseinheit, woraufhin von ihm das
66 L. Scheffczyk, Urständ, Fall und Erbsünde von der Schrift bis Augustinus, 58; 63. Die
griechische „Erbsünden“-Theologie hat M. Hauke eingehend untersucht: Heilsverlust in
Adam, 694-717. Dabei wird im Vergleich mit den Abendländern der andere Denkstil und
der „klimatische Unterschied“ erkennbar, in dem sich zunächst mehr ein.„Erbtod“ und ein
„Erbunheil“ auszudrücken scheint als eine förmliche Sünde. Auch denken die
M orgenländer (unter platonischem Einfluß) über das Verhältnis von „Adam“ zur
Menschheit mehr in den Kategorien der Gottebenbildlichkeit (und ihrer Versehrung), der
Teilhabe an der Adamssünde und im Modell der Unheilssolidarität, wozu der charakteri
stische Gedanke einer Ratifizierung dieses Zustandes durch die Einzelsünden der
Menschen hinzukommt. Daraus entsteht die Vorstellung eines Sündengeflechtes, in dem
die Menschheit verfangen ist. Auch die Vorliebe für die mehr mystische Begrifflichkeit
(„Leben - Tod“) anstelle der „forensischen“ („Gnade/Gerechtigkeit“ - „Sünde“) kann die
innere Verwandtschaft beider theologischer Typen nicht aufheben, die vor allem in der
heilsgeschichtlichen Einheitserfassung von Adam und Christus gründet.
„Erbübel“ erstmals als tradux (Setzling, Ableger) und als „originis
vitium“ (Verderbnis des Ursprungs) bezeichnet und als durch die
Zeugung übertragen angesehen wird. Aber das, was übertragen wird,
ist nicht eindeutig als „Sünde“ oder „Gnadenlosigkeit“ ausgegeben,
sondern vornehmlich als Komplex von Sündenfolgen und als Natur
verderbnis, aus dem jedoch das eigentlich sündhafte Moment nicht
gänzlich ausgeschlossen ist. Damit zeigt sich bei Tertullian einerseits
noch das Unfertige dieser Sündenauffassung, wie andererseits auch
die einseitig naturhaft-biologistische Auffassung der Übertragung
mit Recht gerügt wird. Anzuerkennen ist allerdings wiederum der
christologische Horizont, unter dem die Gedankenführung steht;
denn auch für den afrikanischen Rhetor ist das Erbübel nur die dun
kle Folie für das Licht der Erlösung durch Christus.
Als Bindeglied zwischen der griechischen Theologie der Kappadokier, deren
Grundgedanke in der Adamseinheit der M enschheit gelegen ist („Adam - das
sind wir selbst“), und Augustinus fällt Ambrosius (+ 397) eine wichtige Rolle in
der Lehrentwicklung zu: Für ihn nimmt die Adamssünde den Charakter eines
„lapsus totius haereditatis“ an, woraus er den Schluß ableitet: „Omnis homo sub
peccato“67. Auch wenn dabei nicht immer zwischen den Folgen der Adamssünde
und der überkommenen Sünde selbst unterschieden wird und gelegentlich der
Eindruck entsteht, daß die Konkupiszenz und die Neigung zum Sündigen das
Wesen der „Erbsünde“ ausmachen, so bleibt doch der Nachdruck, der auf der uns
affizierenden Sünde Adams liegt, ebenso beachtlich wie die heilsgeschichtlich-
christologische Zusammenschau von Sünde und Erlösung. Hier präludiert der
Kirchenvater von M ailand den Grundsatz von der „felix culpa“ im österlichen
„Exsultet“, wenn er die Adamssünde eine „felix ruina“ nennt, „quae reparatur in
m elius“68.
Bei realistischer Bewertung dieser voraugustinischen Zeugnisse
wird man Augustinus selbst (+ 430) nicht als den Erfinder der
„Erbsünden“-Lehre ausgeben können. Wohl kommt ihm die Rolle
des Vollstreckers der vorangegangenen Tradition zu, auf die er sich
ausdrücklich beruft69. Von der Bedeutung des „antiquum peccatum“
war er schon vor der Auseinandersetzung mit den Pelagianern über
zeugt, aber zugleich auch, wie niemand zuvor, von ihrem Geheimnis
beeindruckt, wie seine Aussage beweist: „Nihil est ad praedicandum
notius, ad intelligendum secretius“70. Dieses Geheimnis versuchte
67 Ambrosius, In ps. 43, 76.
68 In ps. 39, 20.
69 So in Contra Julianum I 3, 5..
70 De mor. eccl. 40.
Augustin, der sich im Kampf mit dem Manichäismus angelegentlich
mit dem Ursprung des Übels befaßte, auf der Grundlage seiner Gna
dentheologie deutlicher ins Licht zu heben, und zwar (wie schon
Ambrosius) mit formeller Berufung auf Röm 5,12-21 (freilich unter
Heranziehung des „in quo“ des dem Hilarius zugeschriebenen Am
brosiaster).
Das W eiterführende der Erklärung Augustins ergibt sich aus der totalen
Verwiesenheit des heillosen adam itischen M enschen auf die Gnade Gottes.
Schon von diesem Urmotiv her wird verstehbar, daß diese Sünde, das von
Augustin erstm als so genannte „peccatum originale“, mit dem M angel an Gnade
und dem Verlust des göttlichen Lebens zu tun hat. So bezeichnet er das von
Adam herrührende Unheil an entscheidender Stelle als „mors anim ae“, wobei er
unter der mors nicht nur den leiblichen Tod versteht, sondern erstlich den „Tod
der Seele“, bei dem die Seele vom göttlichen Leben verlassen wird71. In diesem
Tode sind alle anderen „Tode“ angekündigt und präform iert. Aber danach wird
dieser Gedanke überdeckt von der Vielzahl der den Pelagianern entgegengehal
tenen Sündenfolgen und der Fülle der Verderbnisse, unter denen die Konkupis-
zenz die Hauptrolle spielt. Die Konkupiszenz, als ungeordnetes Streben nach
Selbstbehauptung gegenüber Gott, aber vor allem auch als „inoboedientia car-
nis“ verstanden, wird gelegentlich von Augustin selbst als „peccatum “ bezeich
net und gilt deshalb manchen Interpreten als das Wesen der „Erbsünde“. Daß
dies für Augustin nicht zutrifft, kann allein schon der Umstand beweisen, daß
nach ihm die „Erbsünde“ durch die Taufe getilgt wird, die Konkupiszenz dage
gen im Getauften als m aterieller Bestand erhalten bleibt72. Tatsächlich fungiert
sie vor allem als Instrum ent und M ittel der Übertragung der Adamssünde, eine
zwar unzutreffende und die spätere „Erbsünden“-Lehre belastende Annahme, die
aber als solche jedenfalls gegen die angebliche Identität von Sünde und Kon
kupiszenz spricht. Im ganzen kommt der Konkupiszenz der Charakter eines
Zeichens der geistigen Sünde im leib-seelischen Ganzen des M enschen zu. Sie
ist bei den Nachkommen Adams ein Zeichen für die noch nicht getilgte
Adamssünde, bei den Getauften ein Zeichen und Merkmal der menschlichen
Verwundung und ein Aufruf zum Kam pf gegen das Böse.
Was die Frage nach der Überleitung der Adamssünde betrifft, so fällt die
A uffassung A ugustins nicht so „biologistisch“ aus, wie das vielberufene
„Vererbungsschema“ nahelegt. Augustin erwägt mehrere Erklärungen, die teil
weise ineinander übergehen. Eine erste, mehr hypothetisch vorgetragene These
geht auf die mystische Seeleneinheit aller in Adam, wobei allerdings dann die
Übertragung der Sünde auf die Einzelseelen die Annahme des Generatianismus
fordert, für den sich der K irchenvater nicht entscheiden konnte. Dieser
Erklärung ähnelt die mehr platonische Auffassung von der einen M enschennatur,
so daß „alle ja ein M ensch“ waren und die Adamssünde zur „Natursünde“ wird,
was dem Kirchenvater fälschlich als verkappter M anichäism us ausgelegt wurde.
Aber auch die juridische Theorie wird erwogen, nach welcher der Besitz des
77 ln Rom V; vgl. H. Köster, Urständ, Fall und Erbsünde in der Scholastik, 128f.
78 In II. Sent. d. 30 q. 1 a.3.
79 Bei Marius Mercator, Commonit. super nomine Caelestii I 1.
80 L. Scheffczyk, a.a.O., 235ff.
„damit in ihnen durch W iedergeburt gereinigt werde, was sie sich durch Geburt
zugezogen haben“ (c. 2: DH 223).
Damit ist auch etwas über die Art des Empfangs dieser Sünde gesagt, näm
lich daß sie durch Geburt (bzw. Zeugung) empfangen werde, aber es ist nicht
förm lich die Vorstellung vom Erbe eingeführt. Im c. 3 ist wenigstens angedeutet,
daß es sich um eine wirkliche Sünde handelt, insofern das Los der ungetauft
sterbenden Kinder (in einer heute als hart empfundenen Weise) als heillos aus
gegeben wird, so daß sie nicht der ewigen Seligkeit teilhaft werden. Die Sünde
besteht demnach im Mangel an der Voraussetzung für das ewige Leben, welcher
konkret der Gnadenmangel und das Fehlen des Heiligen Geistes ist (c. 3:
DH 224). Unter dem Aspekt der theologischen Begründung ist der Umstand be
merkenswert, daß sich diese Argumentation auf Röm 5,12 beruft, welche Bibel
stelle „nicht anders zu verstehen [ist], als wie es die überall verbreitete katholi
sche Kirche immer verstanden hat“ (c. 2: DH 223). Es ist ein im Lichte der
Tradition erhobenes Schriftargum ent.
Dabei kommt die Erklärung ohne Bezug auf die spezifisch augustinische
Vorstellung aus, die erst im pseudo-cölestinischen „Indiculus“ (DH 239; um die
M itte des fünften Jahrhunderts) auf der Zweiten Synode von Orange (vom Jahre
529) auftritt, insofern hier der Tod als Strafe von der Sünde förmlich unter
schieden und diese als „der Tod der Seele“ bezeichnet (DH 370-372) wird.
Zur weiteren begrifflichen Klärung der Eigenart der „Erbsünde“
trug Papst Innozenz III. (1198-1216) in seinem Brief an Bischof
Ymbertus von Arles (vom Jahre 1201) bei, in dem er, wiederum bei
der Kindertaufe ansetzend, „die ursprüngliche“ und „die tathafte
Sünde“ unterscheidet. Erstere wird, „da man sie sich ohne Zustim
mung zuzieht“, „auch ohne Zustimmung kraft des Sakramentes ver
geben“ (DH 780). Daraus folgt auch eine Ungleichheit der Strafe
(Entbehren der Gottesschau - Erleiden der ewigen Hölle), welche
Erklärung sich ähnlich im Glaubensbekenntnis des Michael
Paläologus am Zweiten Konzil von Lyon (1274: DH 858) und im
Decretum pro Graecis des Konzils von Florenz (1439: DH 1306) fin
det.
Eine umfänglichere, die bis dahin gediehene Lehrentwicklung
abschließende Erklärung über die „Erbsünde“ bot erst das Tridenti-
num im Dekret „De peccato originali“ (DH 1510-1516), ohne damit
ein ganzheitliches Konzept auszubilden. Unter Wiederaufnahme
bestimmter Formeln der Synoden von Karthago und Orange (und
unter Ausschluß der Gottesmutter) richten sich die sechs Canones
vornehmlich gegen den protestantischen Vorwurf des Pelagianismus
wie gegen die auf die Konkupiszenz fixierte „Erbsünden“-Lehre
Luthers, aber auch gegen die Praxis der Wiedertäufer und die Lehre
des katholischen Kontroverstheologen Albertus Pighius (+ 1642)
über die numerische Einheit der Ursprungssünde. So ist auch zu ver
stehen, daß das Dekret sich zu Beginn den antipelagianischen Sen
tenzen der Synode von Orange anschließt. Mit einer kurzen Erwäh
nung des vorsündlichen Zustands Adams, der „in die Heiligkeit und
Gerechtigkeit ... eingesetzt worden war“, wird der Verlust dieses
Zustands „durch den Verstoß dieser Übertretung“ (der Sünde) festge
stellt und die Folgen als „Tod“ und „Knechtschaft“ des Teufels be
zeichnet, so daß „der ganze Adam zum Schlechteren gewandelt wor
den ist“ (c. 1: DH 1511). Das für Adam Geltende wird danach auf
seine Nachkommen ausgeweitet, weil er die Heiligkeit und Gerech
tigkeit nicht nur für sich, sondern auch für uns verloren hat. Es wur
den aber nicht nur der Tod und die Strafen des Leibes auf das ganze
menschliche Geschlecht übertragen, sondern „auch die Sünde, die
der Tod der Seele ist “ (c. 2: DH 1512). Diese Sünde ist „im Ursprung
eine“ und wird durch Fortpflanzung (propagatio) und „nicht durch
Nachahmung übertragen“. Sie wohnt so allen inne und ist „einem
jeden eigen
Aber diesem Negativbefund ist sofort mit Berufung auf Paulus
(1 Kor 1,30 und Röm 5,9f.) im Sinne Augustins als Heilmittel „ das
Verdienst des einen Mittlers, unseres Herrn Jesus Christus“ gegen
übergestellt, welches „durch das in der Form der Kirche rechtmäßig
gespendete Sakrament der Taufe sowohl Erwachsenen als auch klei
nen Kindern zugewendet wird“ (c. 3: DH 1513). Aus der Universa
lität von Sünde und Gnade folgt auch die Notwendigkeit der Taufe
selbst für Kinder getaufter Eltern (c. 4: DH 1514). Mit Bezug auf das
seit Augustin in die „Erbsünden“-Lehre einbezogene Moment der
Konkupiszenz wird wohl abgewogen gesagt, daß die Begierlichkeit
(„der Zündstoff“ der Sünde) in den Getauften „für den Kampf
zurückgelassen ist “ und der sittlichen Bewährung dient und daß sie
nicht „ wahrhaft und eigentlich Sünde wäre“, sondern so nur genannt
werde, weil „sie aus der Sünde ist und zur Sünde geneigt macht“
(DH 1515)81.
81 Zum „Erbsünden“-Dekret des Konzils vgl. H. Jedin, Geschichte des Konzils von
Trient II, Freiburg 1957, 1 1 1-138, und A. Spindeier, Das Tridentinum und die neueren
Erklärungsversuche zur Erbsündenlehre, in: MThZ 19 (1968) 92-101.
Die kirchliche Lehrverkündigung ist im wesentlichen bei der durchdachten
tridentinischen Entscheidung geblieben, die in den genannten Punkten, deren
Leugnung mit dem Anathem verbunden ist (Adamssünde, Übergang auf alle
M enschen als Sünder durch Abstammung, Verlust der Gnade und W iedergewinn
durch die Erlösung Christi im Sakram ent der Taufe, N otw endigkeit der
Kindertaufe), als definierte Glaubens Wahrheit anzuerkennen ist, auch wenn nach
den Regeln der heutigen Herm eneutik manche Anfragen möglich sind, die etwa
mit dem verwendeten Schriftbeweis (Röm 5,12) und mit der weltbildbedingten
Auffassung des Urgeschehens verbunden sind.
In der neueren Zeit hat in diesem Sinne Pius XII. darauf hingewiesen, daß
„man den B egriff der Erbsünde verfälscht, wenn man die tridentinische
Definition außer acht läßt“ (DH 3891). Nicht unwichtig erscheint auch eine Aus
sage P ius’ XI., bezeichnenderweise in dem gegen die Unkultur des N ational
sozialismus gerichteten Rundschreiben „Mit brennender Sorge“, in dem er gegen
den propagierten „Erbadel“ die einer W esensbestimmung der Erbsünde ähnliche
Feststellung traf: „Erbsünde ist Verlust der Gnade und damit des ewigen Lebens
mit dem Hang zum Bösen, den jeder durch Gnade, Buße, Kampf, sittliches
Streben zurückdrängen und überwinden muß“83.
Im W issen um die Bedeutsam keit dieses Glaubens für den Sünden- und
Heilsrealism us in einer säkularisierten Welt hat Paul VI. diese W ahrheit im
„Credo des Gottesvolkes“ angelegentlich vertreten: „Die menschliche Natur ist
eine gefallenen Natur, beraubt der Gnade, mit der sie geschmückt war, und ver
wundet in ihren eigenen natürlichen Kräften sowie der Herrschaft des Todes
unterworfen, der auf alle M enschen übergegangen ist“83.
Das Zweite Vatikanum hat diese W ahrheit nicht zum Gegenstand einer
Untersuchung gemacht, aber es hat doch nicht verfehlt, bei der Beschreibung des
W eltzustandes in Erinnerung zu rufen, daß die Welt „unter die Knechtschaft der
Sünde geraten“ ist und daß „der Mensch unter dem Einfluß des Bösen gleich von
Anfang der Geschichte an durch Auflehnung gegen Gott ... seine Freiheit
m ißbraucht“ hat, so daß er sich jetzt „zum Bösen geneigt und verstrickt in viel
fältige Übel“ erfährt84. Johannes Paul II. schließt sich dieser Aussage an, wenn
er im Apostolischen Schreiben „M ulieris dignitatem “ von der „Ursünde“ spricht,
„die auch die Sünde vom ‘A nfang’ des Menschen auf Erden genannt werden
kann“, und die „das Zerbrechen der ursprünglichen Einheit“ und „Verbundenheit
mit Gott“ zur Folge hat. Sie ist „die Sünde der ‘Voreltern’, womit ihr Erbcha-
rakter verbunden ist. In diesem Sinne nennen wir sie ‘Erbsünde’“85. Der Verweis
auf diese Sünde erfolgt hier, dem Thema des Schreibens entsprechend, zur
Erklärung des „Bruches“ und der „ständigen Bedrohung“ im Verhältnis von
Mann und Frau. Daran wird ersichtlich, welche tiefe religiös-existentielle
Bedeutung die kirchliche Lehrverkündigung dieser universalen Sünde des
Anfangs zuerkennt.
86 Im umfassenderen Sinne (K. Rahner) besagt sie das Unvermögen des Menschen, die
Dynamik der Natur kraft der Personalität vollkommen einzuholen und zu durchformen;
vgl. J. Bolewski, Der reine Weg des Anfangs, 142ff.
So zeigt sich daran die Vollgestalt des biblisch-christlichen Sünden
verständnisses, das die Sünde sowohl als von „Adam“ kommende
Grundbefindlichkeit wie auch als verantwortliches Tun begreift,
ohne daß damit ein Determinismus des Sündigens eingeführt würde.
Als Mangel an der gnadenhaft-übernatürlichen Gottverbindung
kann die „Erbsünde“ in keiner Weise als Wirkmacht eines „allgemei
nen und unaufhaltsamen sittlichen Niederganges“ der Menschheit87
gedeutet, aber ebensowenig als totale Verderbnis der menschlichen
Natur verstanden werden (wie Luther nahelegte), auch wenn sie ver
möge der inneren Ausrichtung der Natur auf die Gnade eine „Ver
wundung der Natur“ erbringt, die jedoch keine natürliche Fähigkeit
des Menschen, zumal nicht die Willensfreiheit, korrumpiert. Wenn
die Kirche in Ausdeutung des übernatürlichen Mangelcharakters die
ser Sünde den menschlichen Zustand vor der Rechtfertigung auch
mit großem Ernst beurteilt und die davon betroffenen Menschen als
„unrein geworden“ (Jes 64,5), als „Kinder des Zornes“ (Eph 2,3) und
als „Sklaven der Sünde“ (Röm 6,20) „unter der Macht des Teufels
und des Todes“ (DH 1521) bezeichnet, so ist das kein Ausdruck eines
tragischen Heilspessimismus, sondern die realistische Einschätzung
des der Gottesfreundschaft entfremdeten Menschen, dem sogleich
auch die Gabe des Erlösers angeboten ist.
So sehr dem gläubigen Denken auch das Verständnis dieser „alten Sünde“
nahegebracht werden kann, so wenig vermag die Theologie alle hier auftreten
den Schwierigkeiten zu beheben, die zuletzt auf ein Geheimnis weisen. Das dem
menschlichen Denken Anstößige liegt in der Behaftung des einzelnen mit dem
von „Adam“ verursachten M angel, der nicht auf persönliche Freiheit zurückzu
führen ist, sondern allein auf die Freiheit „Adams“. Eine solche Belastung kann
nur unter Voraussetzung einer tiefen Solidarität zwischen „Adam“ und der
M enschheit angenommen werden, einer Solidarität, die dem alttestam entlichen
Clandenken und dem M odell von der „Korporativpersönlichkeit“ keine Schwie
rigkeiten bereitete. Freilich hat dieses M odell heute seine Überzeugungskraft
verloren. Dennoch ist nicht zu verkennen, daß der Gedanke an eine Solidarität
der M enschheit in ihrer Existenz wie in ihrem geschichtlichen Geschick im
Bewußtsein der M enschen w eiter eingewurzelt bleibt.
Sie wird auch in neueren Theorien berufen, in denen man sich bemüht, das
Übergreifen der Sünde existentiell und personologisch aus dem „M itsein“ der
M enschen oder sozialphilosophisch aus ihrem sozialen Situiertsein zu erklären.
Aber diese Versuche kommen über eine moralische Einflußnahme nicht hinaus,
92 J. H. Newman, Apologia pro vita sua (Ausgew. WW I, hrsg. von M. Laros und W.
Becker), Mainz 1951, 276.
Mit dem Gedanken der natürlichen und der übernatürlichen
Solidarität der Menschheit (in Adam und in Christus) ist zwar das
Dunkel um die „Übertragung“ der „Erbsünde“ auf jeden Menschen in
etwa aufgehellt, noch nicht aber die Schuldhaftigkeit und der
Schuldcharakter dieser „Sünde“ im einzelnen. Darin dürfte der für
das natürliche Denken schwierigste und am meisten herausfordernde
Sachverhalt gelegen sein. Man hat ihm durch die Aufstellung man
cher zusätzlicher Theorien beizukommen versucht, so durch die
Erklärung, daß „Adam“ durch einen Vertrag mit Gott zum moralisch
juridischen Stellvertreter der Menschheit bestimmt wurde (Föderal
theorie) oder daß Gott „Adam“ durch ein Dekret zum Stellvertreter
der Menschheit bestellt hätte (Dekretalisten), so daß seine Tat juri
disch-moralisch alle Menschen mit Schuld beladen hätte. Aber auf
diesem Wege geriet die Schuldverhaftung in die Nähe einer bloßen
äußerlichen, extrinsezistischen Belastung oder Zurechnung, welche
eine innere Schuld gerade nicht verständlich machte.
In Erkenntnis dieses Ungenügens versuchte man auch von der Gegenseite
her, das Schuldmoment durch eine, wenn auch minimale und subtile, Beteiligung
des M enschen und seines W illens an der Sünde zu konstruieren. So dachte
Kardinal I. de Lugo (+ 1660) an einen von Gott vorausgesehenen Konsens der
M enschen, wenn sie zur Zeit Adams gelebt hätten (consensus interpretationis);
M. J. Scheeben (+ 1888) erwog den Gedanken der Zugehörigkeit des W illens
Adams zum allgemeinen W illen des ganzen Geschlechts (consensus repraesenta-
tionis); G. Siewerth nahm eine vorbewußte Bejahung der Gnadenlosigkeit schon
beim Kinde an. Aber abgesehen vom W iderspruch solcher Deutungen zum
G rundbestand der Lehre über die alleinige Schuldhaftigkeit des W illens
„Adams“ (so Pius V. gegen M ichael Baius: DH 1947), würde der „Erbsünde“ ihr
Wesen als vorpersonaler, jeder m enschlichen Entscheidung vorausgehender und
allen M enschen innerlicher Unheilszustand genommen. Allein in diesem Sinne
sprach man seit Augustinus auch von einer „Natursünde“ (peccatum naturae),
weil sie der ganzen M enschheit anhaftet.
Darum kann die Schuldhaftigkeit dieser Sünde im einzelnen Menschen
weder durch eine Pakt- oder Dekretentheorie noch durch ein persönliches
M om ent der Zustim mung erklärt werden. Sie resultiert zutiefst aus dem
Verpflichtungscharakter der den M enschen in „Adam“ zugedachten und als
„Erbe“ zuerkannten übernatürlichen Gnade und Christus Verbundenheit. Insofern
die der M enschheit geschenkte Gnade eine von Gott gewollte, auf Dauer ange
legte Lebens Verbindung war, welche die Menschen verpflichtete und ihnen
gegenüber mit Sollenscharakter auftrat, mußte ihr Verlust für sie zur Sünde und
Schuld ausschlagen (beides in analogem Sinne verstanden). Um diesen
Schuldcharakter zu treffen, bedarf es keines einzelnen, besonderen göttlichen
Dekretes, sondern des Rückgangs auf die von Gott gefügte Heilsordnung als sol
che. Sie ist sinnvoll so geordnet, daß die M enschheit das Geschenk der Gnade,
die Berufung und Erhebung zum Leben Gottes, nicht ohne Schuld ablehnen
kann. Das ergibt sich aus der Einsicht in die Tiefe des Verhältnisses des Ge
schöpfes zu seinem Schöpfer und Begnader.
Mit Bezug auf das naturwissenschaftliche Denken ergibt sich die
Möglichkeit einer gewissen kollektiven Deutung der biblischen
Adamsgestalt, die unter Loslösung vom strengen Monogenismus der
paläontologischen Annahme des Polygenismus entgegenkommt. Es
kann zwar nicht gesagt werden, daß „Adam“ nur ein Symbol und
seine Sünde kein reales Ereignis am Beginn der Menschheits
geschichte sei93 (was die Heilsgeschichte in eine Existenzdialektik
überführen würde); man kann aber durchaus erwägen, ob (in
Entsprechung zum biblischen Modell der „Korporativpersönlich
keit“) unter „Adam“ nicht auch die „humanitas originans“ verstan
den werden könne, die zur Übermittlung der Ursprungsgnade
bestimmt war und diese Fähigkeit durch die Sünde (auch nur eines
einzelnen) verlor. Pius XII. empfahl gegenüber dem Polygenismus
noch eine gewisse Vorsicht, weil „keineswegs ersichtlich“ sei, „wie
eine solche Auffassung mit dem in Übereinstimmung gebracht wer
den könnte, was die Quellen der geoffenbarten Wahrheit und die
Akten des Lehramts der Kirche über die Ursünde vorlegen ...“
(DH 3897). Indessen läßt sich nach einem halben Jahrhundert her-
meneutischer und systematischer Überlegungen eine vom
Monogenismus abgehende und mit einer Urpopulation oder einer
Gruppe rechnende Erklärung der Sünde mit der Heilswahrheit wohl
in Übereinstimmung bringen94.
Dem müßte auch die von seiten der Paläontologie neuerdings her
vortretende Neigung zur Annahme eines polyphyletischen (d.h. auf
mehreren, räumlich unabhängigen Menschenformen basierenden)
Ursprungsmodells der Menschheit nicht widersprechen95, obgleich
die naturwissenschaftlichen Gründe für einen mehrfachen Ursprung
96 Vgl. dazu M. Seybold, Erbsünde und Sünde in der Welt, in: MThZ 18 (1967) 56-60.
1) Extreme Entwürfe
Die dogmatische Theologie braucht sich mit solchen Versuchen
nur zum Zwecke der Information zu befassen und sie nicht minutiös
zu widerlegen, da ihr Auftrag nicht in der Apologetik gelegen ist,
sondern in der Einsichtnahme in den Glauben, von dem aber in die
sen Konzeptionen deutlich Abstand genommen ist. Zu ihnen gehört
die aus exegetischen Gründen erfolgende Ablehnung der „Erbsün-
den“-Lehre durch H. Haag, der sie als unbiblisch auf eine von
Augustinus stammende Fehlinterpretation der Bibel zurückführt97. In
seiner Gefolgschaft plädiert A. Baumann für einen „Abschied von
Adam“ und „vom Erbe“ und für einen Ersatz der traditionellen Lehre
durch eine „existentiale Sicht“ der Sünde, wie sie in der evangeli
schen Theologie vorherrschend ist98.
Näher auf die gesamttheologischen Folgerungen einer solchen
Ablehnung gehen aufgrund des Interesses an der Systematik
A. Vanneste und A. de Villalmonte ein. Der erstgenannte erkennt nur
persönliche Sünden an und interpretiert die traditionelle Lehre als
Ausdruck der Universalität dieser Einzelsünden, denen gegenüber
sich Christus auch als der universale Erlöser erweisen könne99. Aber
diese Theorie schließt unbedacht einen wahrheitswidrigen Sünden
determinismus bezüglich der Menschen ein. Wird dieser aber not
wendigerweise verneint, dann kann weder die Universalität der
Gnadenlosigkeit noch die der Erlösung durch Christus gewahrt wer
den. Der zweitgenannte Autor vertritt in direktem Gegensatz zur
Kirchenlehre das Begnadetsein jedes neugeborenen Menschen kraft
des allgemeinen göttlichen Heilswillens, so daß nach ihm die
Annahme einer „Erbsünde“ unnötig werde. Diese Voraussetzung for
dere aber, wie der Autor richtig erkennt, eine Umformung der gesam
ten christlichen Heilslehre100.