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Im Fremdsein daheim

Vladimir Vertlib: Zwischenstationen – Остановки в пути

Wie ein österreichisch-russisch-jüdischer Roman seinen Weg ins Russische fand

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

Master of Arts (MA)

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von

Verena EGGINGER-DÜNSER

am Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft

Begutachterin: Univ.-Prof.in Dr.in Heike van Lawick Brozio


Danksagung

Mein besonderer Dank gilt vor allem meinem Ehemann Andreas, der mir stets geduldig
mit einem offenen Ohr zur Seite gestanden und mir in jeglicher Hinsicht Unterstützung
geboten hat.

Dank schulde ich auch meinen Eltern, die meine akademische Ausbildung ermöglicht
haben und die mich immerzu in allen Vorhaben unterstützen.

Danken möchte ich auch meinem Bruder Philipp, der mir fortwährend an Fleiß und
Ehrgeiz ein Vorbild ist.

Ein herzliches Dankeschön richte ich außerdem an meine Studienkollegin Yasemin, deren
positive Worte mir immer neuen Auftrieb verliehen haben.

An dieser Stelle möchte ich mich außerdem bei Univ.-Prof.in Dr.in Heike van Lawick
Brozio für die ausgezeichnete Betreuung meiner Arbeit und das stets ermutigende
Feedback bedanken.

Nicht zuletzt danke ich Vladimir Vertlib für die Zusendung des russischen Exemplars des
Romans Zwischenstationen, wodurch das Zustandekommen der vorliegenden
Masterarbeit erst ermöglicht wurde.

1
Inhaltsverzeichnis
Einleitung................................................................................................................ 4

1. Migrationsliteratur – Ein heftig umstrittener Begriff ............................................. 6

1.1 Entwicklung des Begriffs ............................................................................... 6

1.2 Rezeption in Österreich ................................................................................. 9

1.2.1 AutorInnen in Österreich ....................................................................... 10

1.2.2 Der Verein exil ...................................................................................... 12

1.2.3 Literaturpreise ....................................................................................... 12

1.3 Übersetzung von Migrationsliteratur............................................................ 13

1.3.1 Probleme und Herausforderungen ........................................................ 14

1.3.2 Die Frage der Perspektive .................................................................... 15

1.3.3 Hybridität in Literatur und Übersetzung................................................. 18

2. Zwischenstationen – ein Roman von Vladimir Vertlib ....................................... 24

2.1 Der Autor und die Rezeption seines Werkes in Österreich ......................... 24

2.2 Der Deuticke Verlag .................................................................................... 27

2.3 Inhalt des untersuchten Werkes .................................................................. 28

2.4 Sprache und Stilmittel ................................................................................. 33

2.5 Die russische Übersetzung: Остановки в пути .......................................... 38

2.5.1 Der Symposium Verlag ......................................................................... 39

2.5.2 Die Übersetzerin Vera Achtyrskaja ....................................................... 39

3. Paratextanalyse ................................................................................................ 40

3.1 Begriffserklärung ......................................................................................... 40

3.2 Analyse der Paratexte ................................................................................. 42

3.2.1 Die Titelseite ......................................................................................... 43

3.2.2 Die Rückseite ........................................................................................ 46

3.2.3 Informationsangebot der Umschläge .................................................... 47

2
3.3 Schlussfolgerungen..................................................................................... 49

4. Übersetzungsanalyse nach Juliane House....................................................... 52

4.1 Translation Quality Assessment: a model revisited ..................................... 52

4.2 Angepasstes Analysemodell ....................................................................... 55

4.3 Analyse ....................................................................................................... 56

4.4 Ergebnisse der Analyse .............................................................................. 88

5. Schlussfolgerung .............................................................................................. 92

Bibliographie......................................................................................................... 93

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Einleitung
„Das Fremde ist ohne das Eigene nicht zu verstehen.“ Rösch (2004:98)

Der autobiographisch motivierte Roman Zwischenstationen von Vladimir Vertlib, der 1999
im Deuticke Verlag erschien, ist ein Werk, das von einer langen Reise, vom Fremdsein und
von den damit in Zusammenhang stehenden positiven und negativen Erfahrungen handelt.
Getrieben vom ewigen Wunsch des Vaters, die ideale Heimat zu finden, begibt sich eine
aus der ehemaligen Sowjetunion stammende jüdische Familie auf eine jahrelange
Odyssee. Dabei lassen sie eine Zwischenstation nach der anderen hinter sich. Immer
wieder brechen sie auf, um woanders ihr Glück zu versuchen. Der kompromisslose
Idealismus des Vaters führt die aus Russland emigrierte Familie zuerst über Österreich
nach Israel, von dort wieder nach Österreich, danach nach Holland, erneut nach Israel,
anschließend nach Italien, von dort abermals nach Österreich, in die USA und schließlich
endgültig nach Österreich. Der aus der Ich-Perspektive des Sohnes der Familie erzählte
Roman ist nicht zuletzt auch ein Buch, das die Thematik der Migration, der damit
verbundenen Ablehnung, Verzweiflung und Mittellosigkeit aufgreift, weshalb er dem
Phänomen der Migrationsliteratur zuzuordnen ist.

Eine Besonderheit von Zwischenstationen ist in jedem Fall die Internationalität, die der
Roman ausstrahlt, die Mehrsprachigkeit der Dialoge und gleichzeitig der jüdische Charakter
und die österreichische Prägung vieler Textstellen. Letztere gibt vor allem österreichischen
LeserInnen die Möglichkeit, über ihr eigenes Verhalten und das ihrer Mitmenschen zu
reflektieren; der Autor hält der österreichischen Gesellschaft somit den Spiegel vor. Darüber
hinaus zeichnen der feinfühlige Humor des Autors und die zwischen den Zeilen spürbare
Ironie den Roman aus. Neben der Mehrsprachigkeit des Werkes treffen die RezipientInnen
des Romans außerdem auch auf hybride Darstellungsformen von Sprache, darunter zum
Beispiel jiddisches Deutsch, österreichisches Englisch oder stark vom Englischen
beeinflusstes Deutsch, was zeitgemäß auf die durch Globalisierung und Migration
veränderte Welt hinweist. Diese hybriden Sprachformen spiegeln einen veränderten
Kulturbegriff wider, der Abschied von homogenen Definitionen nimmt und hybriden
Existenzformen von Kultur die Türen öffnet. Dieser veränderte Kulturbegriff übt auch
Einfluss auf die Übersetzungswissenschaft aus, denn so wie sich hybride Kulturen in der
zeitgenössischen Literatur wiederfinden, so sollten sie auch in potentiellen Übersetzungen
eine Rolle spielen.

Da der Roman Zwischenstationen im Jahre 2009 ins Russische übersetzt wurde, stellt sich
die Frage, wie die sprachlichen Besonderheiten des Werkes, die Mehrsprachigkeit, die

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dialektal geprägten, österreichischen Dialoge, die hybriden Sprachformen im Russischen
umgesetzt wurden. Interessant ist aber auch, herauszufinden, wie der Aspekt des
Fremdseins in der Übersetzung vermittelt wird. Darüber hinaus soll geklärt werden, ob der
jüdische Charakter des Romans auch im Russischen zum Tragen kommt.

Die vorliegende Masterarbeit setzt sich zum Ziel, herauszufinden, welche Schwierigkeiten
ein Werk, das zum Phänomen der Migrationsliteratur zu zählen ist, im Allgemeinen und der
Roman von Vladimir Vertlib im Besonderen für potentielle ÜbersetzerInnen beinhaltet. Dazu
erfolgt im ersten Kapitel eine Einführung in das Thema der Migrationsliteratur mit
geschichtlichem Rückblick im Hinblick auf die Entwicklung des Begriffs, um danach die
Probleme und Herausforderungen zu erläutern, die auf ÜbersetzerInnen von
Migrationsliteratur zukommen können.

Im zweiten Kapitel werden der Roman Zwischenstationen und dessen Rezeption inklusive
der Eigenheiten und Besonderheiten des Werkes näher beleuchtet. Auch die Übersetzung
selbst und der Verlag, bei dem die russische Version des Romans veröffentlicht wurde,
kommen in diesem Kapitel zur Sprache.

Die im dritten Kapitel durchgeführte Paratextanalyse soll erste Antworten auf die zuvor
gestellten Fragen liefern, während im anschließenden vierten Kapitel anhand des von
Juliane House entwickelten Analysemodells untersucht wird, wie vor allem die sprachlichen
Besonderheiten des Romans im Russischen umgesetzt wurden.

Im letzten und fünften Kapitel erfolgt die Zusammenfassung der Analyseergebnisse und der
Schlussfolgerung.

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1. Migrationsliteratur – Ein heftig umstrittener Begriff
Migrationsliteratur ist Literatur von MigrantInnen. Zumindest erwartet man das, wenn man
zum ersten Mal auf diesen Begriff trifft. Nun ist die Situation aber nicht so klar, wie sie
zunächst zu sein scheint. So existiert zum Beispiel auch Literatur, die Migration zum Thema
hat, aber nicht von MigrantInnen verfasst wurde, wie zum Beispiel „der Roman ‚Gruppenbild
mit Dame‘ von Heinrich Böll, in dem es u.a. um die Beziehung zwischen dem Türken
Mehmet und der Deutschen Leni geht“ (Keiner 1999:6). Kann man dies folglich überhaupt
als Migrationsliteratur bezeichnen? Problematisch scheint der Begriff auch, will man das
Werk von AutorInnen der Kategorie Migrationsliteratur zuordnen, deren Eltern zwar im
Ausland geboren und aufgewachsen sind, auf sie selbst aber dieser Umstand nicht zutrifft
(vgl. ibid.). Um zu begreifen, was Migrationsliteratur ist, warum es so schwer fällt, den
Begriff abzugrenzen und welche Schwierigkeiten Migrationsliteratur in der Übersetzung
birgt, ist es notwendig, ein wenig auszuholen und zu den Anfängen dieser
Literaturerscheinung zurückzukehren.

1.1 Entwicklung des Begriffs


Die ersten Werke der deutschsprachigen Literaturszene, die sich mit dem Thema Migration
auseinandersetzten – oder wie Keiner ausdrückt, „mit dem Motiv der Migration“ (ibid.:3),
erschienen in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts und lassen sich als Folge der
durch Anwerbeabkommen initiierte Migration italienischer und türkischer ArbeiterInnen in
den deutschsprachigen Raum festmachen (vgl. de la Torre 2004:355; Keiner 1999:3).

Erste Bezeichnungen für diese Literatur, die zunächst von dokumentarischem, bald von
lyrischem Charakter war, lauteten „Gastarbeiter- oder Ausländerliteratur“ (de la Torre
2004:355.; Hervorh. im Orig.). Die Texte behandelten damals vorwiegend Themen wie
„Einsamkeit, […] Kommunikationsprobleme und die schlechten Arbeitsbedingungen in den
Fabriken, sowie die Erinnerung an das verlorene Paradies der Heimat“ (ibid.:356), weshalb
dem Schreiben eine therapeutische Bedeutung für die AutorInnen zugesprochen werden
kann (vgl. ibid.).

Als Migration zu Beginn der 1970er Jahre zum Forschungsgegenstand verschiedenster


wissenschaftlicher Disziplinen wurde, begann eine bis heute andauernde Suche nach
einem geeigneten Begriff für die Literatur von, mit oder über MigrantInnen (vgl. Keiner
1999:3-12). Die ursprüngliche Bezeichnung der „Gastarbeiterliteratur“ (de la Torre
2004:358; Hervorh. im Orig.) wurde trotz oder gerade wegen ihres negativen
Beigeschmacks auch in den 1980er Jahren noch bewusst eingesetzt:

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Wir gebrauchten bewusst den […] Begriff vom ‚Gastarbeiter‘, um die Ironie, die darin
steckt, bloßzulegen. Die Ideologen haben es fertiggebracht, die Begriffe Gast und
Arbeiter zusammenzuquetschen, obwohl es noch nie Gäste gab, die gearbeitet haben
[…]. (Biondi/Schami 1981, zit. nach Keiner 1999:5)

Thematisch standen bei der damals produzierten Migrationsliteratur die politische Botschaft
und der Protest im Mittelpunkt. Auf ästhetischen Anspruch wurde zu jener Zeit weitgehend
verzichtet.

Mit dem wachsenden Selbstbewusstsein der AutorInnen bzw. ProduzentInnen von


Migrationsliteratur in den 1990er Jahren ging auch eine Veränderung der Form der
veröffentlichten Literatur und der darin behandelten Themen einher. Die zuvor
hauptsächlich lyrische Produktion wurde von Romanen und anderen, kürzeren Formen der
Prosadichtung abgelöst, in denen sich die AutorInnen künstlerisch verwirklichten (vgl. de la
Torre 2004:355-358).

In der Begriffsfindung war man währenddessen bemüht, Fortschritte zu machen. Auch hier
markieren die 1990er Jahre einen Umschwung. Bisher verwendete, allgemeiner gehaltene
Begriffe, wie „‚Migranten‘-, ‚Emigranten‘-, [oder] ‚Ausländerliteratur‘“ (de la Torre 2004:359)
werden nun auch kritisch betrachtet und aufgrund ihrer Ausgrenzungstendenz für
problematisch befunden (vgl. Keiner 1999:7ff).

Und obwohl man eine weitere „‚Öffnung‘ der Begriffe“ (de la Torre 2004:358) anstrebte,
führte auch keiner dieser Versuche, wie zum Beispiel „Interkulturelle Literatur“ (Rösch
2004:97), zu einer endgültigen Lösung des Problems der Begriffsfindung. De la Torre strebt
mit ihrem Begriff „mehrkulturelle Literatur“ (2004:355) schließlich einen anderen Ansatz an
und erklärt dies folgendermaßen:

Unser Vorschlag ist, eine textimmanente Kategorie anzuwenden, die sich vom
biografischen Hintergrund distanziert. Ein/e AutorIn kann die eigene Erfahrung mehr
oder weniger fiktionalisieren, d. h. an erster Stelle soll die Freiheit der AutorInnen nicht
aus den Augen verloren werden, kulturelle Begegnungen und Konflikte thematisch und
sprachlich zu intensivieren, zu mildern oder überhaupt zu behandeln. (2004:368)

Ihrer Meinung nach sollte „Mehrkulturalität“ (ibid.) nicht als Kategorie von Literatur
verstanden oder AutorInnen pauschal als Stempel aufgedrückt, sondern als Eigenschaft
gesehen werden, die auf ein bestimmtes Werk zutrifft.

Nicht zufällig mangelt es sämtlichen Vorschlägen, das Phänomen der Migrationsliteratur


begrifflich zu erfassen, an Treffsicherheit. Denn es ist beinahe unmöglich, eine einzelne
Bezeichnung für eine derart heterogene Erscheinung zu finden, bei der das thematische
Spektrum so breit gefächert ist und die Lebensumstände der AutorInnen derart

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unterschiedlich sind. Wie so oft im Leben sind auch hier Pauschalierungen nicht
angebracht. Schließlich gibt es Werke von AutorInnen mit Migrationshintergrund, die nicht
nur Migration behandeln und deshalb eher Genres wie Kinder- und Jugendliteratur oder
auch Frauenliteratur zugeordnet werden können (vgl. Keiner 1999:11f.).

Auch Seher Çakir, selbst eine Vertreterin dieses Literaturphänomens, ist der Meinung, dass
sämtliche Etikettierungen in diese Richtung nicht geeignet sind, um Literatur
zusammenzufassen, die von AutorInnen mit Migrationshintergrund verfasst wurde: „Der
Terminus MIGRANTENLITERATUR […] ist ausschließend, diskriminierend und
ausgrenzend“ (2007:8; Hervorh. im Orig.). Sie sehnt sich nach der allgemeinen Erkenntnis,
dass Literatur von AutorInnen mit Migrationshintergrund als Teil der deutschsprachigen
Literaturlandschaft und nicht als exotische Randerscheinung gesehen wird – da diese
Literatur de facto bereits auf dem Markt existiert und die Menschen, die sie produzieren,
ein Teil der Gesellschaft sind. Sie möchte nicht in eine Schublade gesteckt werden und
sieht den multilingualen Einfluss dieser Literatur als Bereicherung an (vgl. ibid.:7ff.).

Vladimir Vertlib hingegen, der ebenfalls als Migrant nach Österreich gekommen ist, wehrt
sich gegen den Ausdruck „Bereicherung“, da er dieses Wort ebenfalls zu ausschließend
findet. Die Literatur von Menschen mit Migrationshintergrund kann keine Bereicherung für
eine Gesellschaft darstellen, in der sie längst ihren festen Platz gefunden hat. Sie ist also
viel mehr als ein Teil der deutschsprachigen Literaturlandschaft zu verstehen als eine
Bereicherung (vgl. Stocker [2009]; zit. nach Vertlib 2007:36).

Die Aufregung um diese Schubladisierung ist durchaus zu verstehen. So beeinflusst diese


Kategorisierung jede Art von Rezeption von Werken, die von AutorInnen mit
Migrationshintergrund stammt. Es wird zunächst nur die Biographie der AutorInnen
wahrgenommen; die Marke Migrationsliteratur beeinflusst die Art, wie die LeserInnen in
Österreich ihre Werke wahrnehmen und darüber urteilen. Die Herkunft der AutorInnen steht
im Mittelpunkt – nicht das künstlerische Schaffen eines Individuums (vgl. Schweiger
2008:118ff.).

Auch im Kontext der vorliegenden Masterarbeit wurde nach reiflicher Überlegung


beschlossen, dass es falsch ist, Migrationsliteratur als ein eigenständiges literarisches
Genre zu bezeichnen. Genau wie bei Rösch (2004:91) wird hier die Meinung vertreten,
dass es inakzeptabel ist, AutorInnen, die den Großteil ihres Lebens in Österreich oder
Deutschland verbracht haben, den Stempel MigrantIn oder gar AusländerIn aufzudrücken
und damit ihrem Schaffen künstlerischen Anspruch zu verwehren, ihre Werke nur auf eine
politische Botschaft zu reduzieren. Zudem ist es fragwürdig, Herkunft und Lebensumstände
von AutorInnen als Kriterien für die Bestimmung einer literarischen Kategorie

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heranzuziehen. Üblicherweise richtet man sich schließlich nur nach Inhalt und Form, wenn
es um die Abgrenzung von anderen Genres geht.

Nichtsdestotrotz wird hier – in Ermangelung besserer Alternativen – weiter mit der


Bezeichnung Migrationsliteratur gearbeitet. Allerdings ist der Begriff in der vorliegenden
Arbeit nicht als literarische Kategorie zu sehen, sondern als ein literarisches Phänomen,
das untersucht und als Forschungsgegenstand, der näher beleuchten werden soll. Und, um
die typischen Eigenschaften eines bestimmten literarischen Phänomens feststellen zu
können, muss es von der restlichen Literatur im deutschsprachigen Raum abgegrenzt
werden. Nur so kann es gelingen, in weiterer Folge die Probleme und Herausforderungen
festzustellen, die beim Übersetzen eines Werkes, das zu Migrationsliteratur zu zählen ist,
auftreten können, was für die in der vorliegenden Masterarbeit durchgeführte
Übersetzungsanalyse von zentraler Bedeutung ist.

Migrationsliteratur ist im Kontext dieser Masterarbeit als jene Literatur zu verstehen, die
zwar von MigrantInnen, aber nicht ausschließlich für MigrantInnen verfasst wurde. Sie hat
sowohl die positiven als auch die negativen Erfahrungen, Ängste und Probleme zum
Thema, die mit der Migration der AutorInnen in Zusammenhang stehen und ist in einer
Sprache verfasst, die nicht die Muttersprache der AutorInnen ist. Wenn also in weiterer
Folge von Migrationsliteratur die Rede ist, so wurden immer die eben genannten Kriterien
für die Auswahl der Werke oder AutorInnen herangezogen.

1.2 Rezeption in Österreich


Literatur, die im Zusammenhang mit Migration steht, wurde in Österreich erst um Einiges
später als in Deutschland wahrgenommen. Natürlich existierten auch hier schon länger
Werke von LiteratInnen mit Migrationshintergrund, aber erst in den 1990er Jahren begann
man sich mit dem Phänomen Migrationsliteratur wissenschaftlich auseinanderzusetzen
(vgl. Stocker [2009]:1).

Mit der Frage, warum diese Entwicklung so lange auf sich warten ließ, setzt sich der
Germanist Günther Stocker [2009] in einem Aufsatz auseinander. In seinen Ausführungen
bezieht er sich auf Literatur, die von MigrantInnen aus Osteuropa stammt. Nichtsdestotrotz
kann zumindest einer der von ihm angeführten Gründe sehr wohl auf Migrationsliteratur in
Österreich als Gesamtbild angewandt werden: Seiner Meinung nach liegt ein Grund für die
späte Entdeckung der österreichischen Migrationsliteratur einerseits darin, dass die lokale
Literatur aufgrund der Ereignisse im Zweiten Weltkrieg und der darauffolgenden
Identitätskrise sich zunächst mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen musste. Die
verzögerte Wahrnehmung speziell der osteuropäischen Migrationsliteratur kann auf die

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negative Haltung vieler Österreicher dem Osten gegenüber zurückgeführt werden. Der
Osten selbst wird meist mit Rückständigkeit und Kriminalität verbunden; Dingen oder
Menschen aus dem Osten oft mit Misstrauen und Ablehnung begegnet (vgl. Stocker
[2009]:1f.). Es ist müßig, an dieser Stelle zu erwähnen, dass der Grad an Popularität von
Migrationsliteratur in Gesellschaft und Forschung in einem Land, das man ohne Zweifel als
Einwanderungsland bezeichnen kann, als Spiegel eines ebensolchen in Bezug auf
Toleranz und Akzeptanz zu verstehen ist.

1.2.1 AutorInnen in Österreich

Im Folgenden werden drei Autoren vorgestellt, die den Durchbruch in der österreichischen
Literaturszene geschafft und ähnlich wie Vladimir Vertlib einen gewissen Bekanntheitsgrad
erreicht haben. Auch sie kamen einst nach Österreich und sahen sich mit einer neuen
Sprache und unbekannten Kultur konfrontiert. Heute schreiben sie auf Deutsch. Wie bei
vielen AutorInnen mit Migrationsgeschichte, spielt in ihrer Literaturproduktion das Thema
der Fremde eine übergeordnete Rolle. Auf Vladimir Vertlib, sein Werk und sein Leben wird
an späterer Stelle noch genauer eingegangen.

Radek Knapp

Der 1964 in Warschau geborene Autor Radek Knapp lebt seit 1976 in Wien. Schon vor
einiger Zeit hat er sich mit seinen Werken auf dem österreichischen Literaturmarkt etabliert
und wurde mehrfach für seine Arbeit ausgezeichnet (vgl. Stippinger 1996:141). Radek
Knapp wusste schon im Alter von 14 Jahren, dass er einmal mit dem Schreiben sein Geld
verdienen will und hat somit seinen Traumberuf in der Schriftstellerei gefunden (vgl. Knapp
1996:145ff.). Sein erstes Werk - die Erzählung Ein Bericht – wurde 1989 im Suhrkamp
Verlag veröffentlicht. Bereits mit 28 begann er, an seinem zweiten Buch zu arbeiten, einer
Sammlung von Erzählungen, die unter dem Titel Franio beim Deuticke Verlag in Wien
erschienen ist (vgl. Stippinger 1996:141). Aufgrund seiner Wurzeln, die in Polen liegen, und
seiner Freunde, die in Wien leben, spricht Knapp davon, dass für ihn „Wien und Warschau
zu einer Stadt zusammengeschmolzen“ (Knapp 1996:147) sind, denn beide Städte spielen
bis heute eine Rolle in seinem Leben. Es ist ihm ein Anliegen, dass die Themen in seiner
Literatur von dauerhafter Aktualität sind. So schreibt er zum Beispiel gerne über die Liebe:
„Über die Liebe wird man noch in tausend Jahren schreiben. Was die Leute vor tausend
Jahren interessiert hat, wird sicher auch noch in tausend Jahren bewegen“ (ibid.:148).

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Serafettin Yildiz

Serafettin Yildiz wurde 1953 in der Osttürkei geboren und emigrierte 1978 nach Wien (vgl.
Stippinger 1996:267). Ursprünglich war sein Aufenthalt in Österreich nur als Zwischenstopp
geplant; heute lebt er hier und besitzt seit 1991 die österreichische Staatsbürgerschaft.
Serafettin Yildiz verfasst seine Gedichte und Romane zuerst in seiner Muttersprache
Türkisch, überträgt sie aber dann anschließend selbst ins Deutsche, sodass sie in
Österreich publiziert werden können (vgl. Yildiz 1996:271ff.). Ihm ist es wichtig, dass auch
in der Übersetzung noch fühlbar ist, dass der Text von einem „fremdsprachigen Autor“
(ibid.:276) stammt. Denn er sieht seine Aufgabe darin, den österreichischen LeserInnen die
Begegnung mit der anatolischen Kultur in seiner Literatur zu ermöglichen: „Was die Poesie
betrifft, hat diese Welt viel von Asien zu lernen. Auf der intellektuellen Ebene habe ich das
durchschaut und möchte meine Rechnung begleichen“ (ibid.). Yildiz‘ Werke wurden meist
in Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht. Sein Gedichtband Meine rotzige Hoffnung
wurde 1989 vom Verlag der Apfel herausgegeben. In Österreich ist er hauptsächlich als
Lyriker bekannt (vgl. Stippinger 1996:267).

Dimitré Dinev

Auf große Resonanz stieß das literarische Schaffen von Dimitré Dinev und hat – beinahe
zeitgleich mit den Werken von Vladimir Vertlib – das Interesse der österreichischen
Leserschaft für Migrationsliteratur erst richtig geweckt. 1968 im bulgarischen Plovdiv
geboren, kam Dimitré Dinev 1990 als Flüchtling nach Österreich. In seiner Literatur spiegelt
sich die Tradition mündlicher Weitergabe von Geschichten wider, die seine Familie pflegt.
Wie in vielen Werken von Menschen mit Migrationshintergrund spielen auch in Dimitré
Dinevs Roman Engelszungen die Themen Migration und Fremde eine große Rolle (vgl.
Stocker [2009]:3ff.).

Dinevs Roman wurde viel diskutiert und mit Preisen ausgezeichnet. Günther Stocker
beschreibt den Grund für die große Resonanz auf Dinevs (und auch Vertlibs) Roman wie
folgt:

Der erzählerische Reichtum der beiden Romane und ihre Welthaltigkeit sind wohl auch
ein wesentlicher Faktor für ihren Publikumserfolg, gerade im Kontext einer
Literaturlandschaft, die über lange Jahre von Erzählabstinenz und einer Fixierung auf
österreichische Themen gekennzeichnet war. (Ibid.:6)

Den Roman Dinevs (und den von Vertlib) zeichnet außerdem der besondere Umgang mit
der deutschen Sprache aus. Dinev wählt seine Metaphern und Wortverbindungen sehr viel

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reflektierter aus als AutorInnen mit deutscher Muttersprache. Auch dies sieht Stocker als
möglichen Grund für den Erfolg von Engelszungen in Österreich (vgl. ibid.).

1.2.2 Der Verein exil

Um die Veröffentlichung und vermehrte Wahrnehmung von Migrationsliteratur bemüht sich


seit seiner Gründung 1988 der Verein exil unter der Leitung von Christa Stippinger (zentrum
exil [o.J.a]). Die Ziele der zahlreichen Projekte und Veranstaltungen des Vereins sind die
öffentliche Auseinandersetzung mit der Verfolgung der Roma und Sinti und der Juden auf
der einen Seite und die Förderung und Unterstützung von Minderheitenkulturen auf der
anderen Seite, um die Toleranz und Sensibilität der ÖsterreicherInnen zu steigern und
Vorurteile abzubauen. Dabei werden mehrmals im Jahr Ausstellungen veranstaltet, Feste
gefeiert und Präsentationen vorgeführt, die sich vorwieged der Romakultur widmen. Der
Verein exil ist überdies bemüht, vor allem junge ÖsterreicherInnen dazu anzuregen, sich
mit Minderheitenkulturen im eigenen Land, deren Verfolgung in Vergangenheit und
Gegenwart auseinanderzusetzen. Deshalb werden sogenannte „zeitzeugInnenworkshops“
mit VertreterInnen ebendieser Minderheitenkulturen in Schulen veranstaltet (ibid.).

Seit 1997 veröffentlicht exil unter dem eigenen Verlag edition exil außerdem jährlich eine
Anthologie und bietet damit unbekannten, neuen AutorInnen mit Migrationshintergrund die
Chance, sich auf dem österreichischen Literaturmarkt zu beweisen (vgl. zentrum exil
[o.J.c]).

1.2.3 Literaturpreise

Der Verein exil hat neben dem Verlag edition exil außerdem auch einen
Literaturwettbewerb, der den Namen „schreiben zwischen den kulturen“ trägt, ins Leben
gerufen. Auf der Homepage des Vereins wird dieser wie folgt beschrieben:

[schreiben zwischen den kulturen ist] ein literaturwettbewerb zur förderung der literatur
von autorInnen, die aus einer anderen muttersprache kommen und in deutscher
sprache schreiben. […] die exil-literaturpreise ‚schreiben zwischen den kulturen‘ sollen
autorInnen, die nach österreich zugewandert sind [sic] ermutigen, sich mit ihrer
lebenssituation literarisch auseinander zu setzen. (zentrum exil [o.J.b])

Mit diesem Preis wurde unter anderem bereits Dimitré Dinev ausgezeichnet, was ihm dabei
half, in der österreichischen Literaturszene einen gewissen Bekanntheitsgrad zu erlangen.
Dies kann auch als Ziel des Preises bezeichnet werden, nämlich junge Talente zu

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entdecken und ihnen den Weg ins Autorentum zu ebnen. Der Wettbewerb findet einmal im
Jahr statt und die Gewinner erwarten Preisgelder in Höhe von 13.000 Euro (vgl. ibid.).

Eine weitere Auszeichnung, die an dieser Stelle erwähnt werden muss, ist der Literaturpreis
der Stadt Hohenems – der „Hohenemser Literaturpreis für deutschsprachige Autor/innen
nichtdeutscher Muttersprache“ (Stadt Hohenems 2014). Auf die Initiative des Autors
Michael Köhlmeier zurückgehend, wurde dieser Preis im Jahre 2009 das erste Mal und in
weiterer Folge alle zwei Jahre verliehen. Der Gewinner des Hauptpreises wird mit 10.000
Euro belohnt, ein weiterer darf sich über einen „Anerkennungspreis“ in der Höhe von 3000
Euro freuen (vgl. ibid.).

Am Ausmaß der Rezeption von Migrationsliteratur in Österreich lassen sich das öffentliche
Interesse an Migration und der Erfolg von AutorInnen mit Migrationshintergrund messen.
Da sowohl Vereine und Verlage als auch Auszeichnungen existieren, die sich vor allem der
Förderung von Minderheitenliteratur widmen, kann man nicht abstreiten, dass es ein
Publikum für Migrationsliteratur in Österreich gibt. Die Größe und zugleich die Reichweite
dieser Vereine und Verlage lassen allerdings auf das geringe Ausmaß der Rezeption dieser
Art von Literatur schließen. Migrationsliteratur ist noch immer eine Randerscheinung der
österreichischen Literaturszene, was auf keinen Fall auf das Angebot an Texten und
Werken von AutorInnen mit Migrationshintergrund zurückzuführen ist. Wie bereits zuvor
erwähnt, steht das Interesse für Migrationsliteratur in engem Zusammenhang mit der
Akzeptanz von MigrantInnen und der allgemeinen Toleranz der Gesellschaft Fremdem
gegenüber. Dennoch gibt es Ausnahmen: Auch in Österreich existieren AutorInnen mit
Migrationshintergrund, die ihren Durchbruch nicht nur hier geschafft haben, sondern deren
Werke auch in andere Sprachen übersetzt und im Ausland publiziert wurden.

1.3 Übersetzung von Migrationsliteratur


Beispiele für solche Erfolgsgeschichten sind die bereits näher beschriebenen Autoren
Radek Knapp, Serafettin Yildiz und Dimitré Dinev.

Radek Knapps bisher erfolgreichstes Werk Franio wurde 1995 von Daniela Idra ins
Italienische (vgl. Katalog der Deutschen Nationalbibliothek [2014b]) und 1997 von Vinko
Ošlag ins Slowenische (vgl. ibid. [2014c]) übersetzt. Sein Werk Herrn Kukas Empfehlungen
wurde von Hana Linhartová ins Tschechische übersetzt und erschien 2008 in Prag unter
dem Titel Co mi pan Kuka nakukal (vgl. ibid. [2014a]). Literatur von Radek Knapp wurde
außerdem ins Polnische übersetzt (vgl. Robert Bosch Stiftung [o.J.]).

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Yildiz‘ Gedichteband Herzfinsternis erschien im Jahre 2001 auf Spanisch unter dem Titel:
Eclipse del Corazon. Herausgegeben wurde das Buch von einem mexikanischen Verlag
(vgl. Serafettin Yildiz 2008).

Werke und Texte von Dimitré Dinev wurden bisher in mehr als fünfzehn Sprachen
übersetzt. Sein Roman Engelszungen, mit dem ihm 2003 der Durchbruch in Österreich
gelang, wurde 2006 ins Bulgarische, 2007 ins Mazedonische, 2008 ins Türkische und 2011
ins Schwedische übertragen (vgl. Andiamo – Literaturvermittlung und Verlag [2014]). 2009
wurde sein Werk Ein Licht über dem Kopf außerdem ins Norwegische übersetzt und in Oslo
unter dem Titel Eit lys over hovudet veröffentlicht (vgl. Katalog der Deutschen
Nationalbibliothek [2014d]).

An dieser Stelle findet auch Vladimir Vertlib Erwähnung, dessen Romane und Erzählungen
unter anderem ins Italienische, Slowenische, Russische und Tschechische übersetzt
wurden (vgl. Vertlib [2012c]). Sein Roman Zwischenstationen erschien 2008 in Ljubljana
unter dem Titel Vmesne postaje (vgl. Katalog der Deutschen Nationalbibliothek [2014e])
und wurde 2011 unter Stazioni intermedie in Florenz veröffentlicht. 2007 und 2013 wurden
Vertlibs Werke Abschiebung (Vyhoštění) und Schimons Schweigen (Simonovo mlcení) ins
Tschechische übersetzt (vgl. Vladimir Vertlib [2012c]). Die russische Übersetzung von
Zwischenstationen (Остановки в пути) erschien 2009 in St. Petersburg (vgl. Вертлиб
2009).

Selbstredend handelt es sich bei den genannten Übersetzungen nur um Beispiele, da man
noch einige weitere österreichische AutorInnen nennen könnte, deren Werke zu
Migrationsliteratur gezählt werden können und in andere Sprachen übersetzt wurden.

1.3.1 Probleme und Herausforderungen

Da AutorInnen von Migrationsliteratur häufig einen persönlichen Bezug zu ihren Texten


haben und ihre Muttersprache – die oft nicht Deutsch ist - einen besonderen Einfluss auf
den Stil und die Sprache ihrer Werke ausübt, ergibt sich ein einzigartiges Gesamtbild. Dabei
geht es in erster Linie um das Gefühl des Fremdseins, das sich nicht nur inhaltlich sondern
auch im Umgang mit der deutschen Sprache widerspiegelt.

In der Übersetzung gilt es, die Heimatlosigkeit, das Hin-und-hergerissen-Sein glaubhaft zu


übermitteln, da dies in einem Werk mit Migrationsthematik häufig auch eine große Rolle
spielt. Wie bereits zuvor bei Dimitré Dinev angesprochen, erinnert die Schreibweise, bzw.
der Stil in Werken von AutorInnen mit Migrationshintergrund oftmals an die Struktur von
mündlichen Erzählungen (vgl. Stocker [2009]:5).

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Hinzu kommt, dass Migration und Entwicklungen wie Entkolonialisierung und
Globalisierung zu einem Prozess des Umdenkens geführt und bewirkt haben, dass neue
Maßstäbe an Übersetzungsstrategien angelegt und die eurozentrische Sichtweise in
Übersetzungen abgelegt werden. ÜbersetzerInnen müssen sich von Konzepten
verabschieden, die von homogenen kulturellen Erscheinungen ausgehen, und beginnen,
mit hybriden Darstellungsformen von Sprache zu experimentieren, um der Realität gerecht
werden zu können:

Das bedeutet, dass heute durch migratorische Bewegungen kulturelle Grenzen obsolet
geworden und hybride Identitäten als Produkte kultureller Übersetzung entstanden sind.
Für die Produktion postkolonialer Texte von MigrantInnen, die unter anderem durch
orale Tradition und literarische Deplatziertheit gekennzeichnet sind, bedeutet dies, dass
die ihnen inhärente Pluralität oder Heterogenität bestehende Übersetzungskonzepte
auf den Prüfstand stellt und Hybridität als aktiven Ort kultureller Produktion in den
Vordergrund rückt. (Vorderobermeier/Wolf 2008:10)

Welche Schwierigkeiten SprachmittlerInnen beim Übersetzen von Migrationsliteratur in der


heutigen Welt zu überwinden haben, soll in diesem Kapitel genau erörtert werden. Dabei
fällt das Hauptaugenmerk auf Probleme, die speziell beim Übersetzen des von Vladimir
Vertlib verfassten Romans Zwischenstationen auftauchen, aber durchaus auch bei anderen
Werken dieser Kategorie aufgefunden werden können. Das im Zitat eben angesprochene
Phänomen der Hybridität und die Entwicklung, die diesem Begriff voranging, wird an
späterer Stelle näher erklärt. Zunächst aber folgt die Auseinandersetzung mit dem
Perspektivenwechsel und dem – oft komplexen – Verhältnis zwischen dem Fremden und
dem Eigenen in der Literaturübersetzung generell und in der Übersetzung von
Migrationsliteratur im Besonderen.

1.3.2 Die Frage der Perspektive

Mit der Frage, ob man beim Übersetzen eher dem Original treu bleibt, oder ein in der
Zielkultur unauffälliges Translat entwirft, sich also unter Umständen völlig vom Original
entfernt, beschäftigt man sich innerhalb der Translationswissenschaft schon seit geraumer
Zeit.

Vor gut 200 Jahren hat auch Johann Wolfgang von Goethe bereits zwischen zwei
Übersetzungstypen unterschieden:

Es gibt zwei Übersetzungsmaximen: die eine verlangt, dass der Autor einer fremden
Nation zu uns herüber gebracht werde, dergestalt, dass wir ihn als den Unsrigen
ansehen können; die andere hingegen macht an uns die Forderung, dass wir uns zu

15
dem Fremden hinüber begeben, und uns in seine Zustände, seine Sprachweise, seine
Eigenheiten finden sollen. (Goethe 1813; zit. nach Mecklenburg 2009:31)

Im Laufe der Zeit war man bemüht, passende Begriffspaare für diese zwei Grundprinzipien
des Übersetzens zu finden. ÜbersetzerInnen hatten die Wahl zwischen „Overt“ (House
1997:66; Hervorh. im Orig.) oder „covert translation“ (ibid.:69; Hervorh. im Orig.),
„Verfremdung“ oder „Einbürgerung“ (Mecklenburg 2009:30), „domesticating“ oder
„foreignizing“ (ibid.:29; Hervorh. im Orig.), „offener“ oder „verdeckter“ (House 2004:110)
Übersetzung – um nur ein paar Beispiele zu nennen.

So unterschiedlich die Begriffe auf den ersten Blick scheinen, so weisen sie doch in dieselbe
Richtung. Es geht immer um den „Dialog zwischen dem Eigenen und dem Fremden“
(House 2004:107). Das heißt, man muss sich als ÜbersetzerIn der Entscheidung stellen,
ob man möglichst nahe am Originaltext übersetzt, das heißt, fremdkulturelle Elemente
durchscheinen lässt, oder, ob man die Übersetzung der Zielkultur anpasst und den Text so
verfasst, dass er nicht als Übersetzung erkennbar ist, als wäre er selbst ein Original.

Besonders schwer fällt die Entscheidung zwischen einerseits offensichtlicher und


andererseits an die Zielkultur angepasster Übersetzung aber gerade beim literarischen
Übersetzen, so ist der Inhalt selten derart an seine Form gebunden wie bei Romanen,
Gedichten usw. Andererseits lässt ein literarischer Text immer einen gewissen
Interpretationsspielraum offen, der abermals durch Stil und Form des Geschriebenen
verstärkt wird. Daraus ergibt sich ein einzigartiges Konstrukt, nach dessen Vorbild sich
durch den Einsatz von Kreativität und künstlerischem Können im besten Fall eine
gelungene Version in der Zielkultur erschaffen lässt (vgl. Mecklenburg 2009:28f.).

Für House ist eine „offene“ Übersetzung dann gefordert, wenn der Ausgangstext in
besonderer Weise nicht von der Ausgangskultur trennbar, das heißt, „von universeller
Gültigkeit, von allgemein menschlichem Interesse und von ästhetischem Wert“ (House
2004:110), ist. Unter diese Kategorie fallen zum Beispiel Texte zu historischen Ereignissen,
wie die Rede eines Politikers. Das Ergebnis sollte also in diesem Fall ein Translat sein, in
dem Original und Übersetzung gleichermaßen sichtbar sind – ein Hybrid aus Ausgangs-
und Zieltext. Im Zentrum steht nicht die Wirkung des Originaltexts, die imitiert werden muss,
sondern vielmehr, dass den RezipientInnen in der Zielkultur der Zugang zum Original
ermöglicht wird (vgl. ibid.:110f.).

Im Gegensatz dazu gibt die „verdeckte“ (ibid.:110) Übersetzung vor, ein Original zu sein,
denn sie ist nicht als Übersetzung gekennzeichnet. Verdeckte Übersetzungen finden sich
zum Beispiel in der Werbe- und Wirtschaftsbranche, sowie in Gebrauchsanweisungen
wieder. Ihr Zweck ist es, ein komplett neues, dennoch äquivalentes

16
Kommunikationsereignis darzustellen, wobei Wirkung und Funktion diesmal sehr wohl im
Mittelpunkt stehen. Um diese Äquivalenz der Funktion im Zieltext erreichen zu können,
müssen unter Umständen gravierende Verschiebungen auf sprachlicher sowie textueller
Ebene vorgenommen werden (vgl. ibid.:111).

Mecklenburg schlägt für die literarische Übersetzung generell eine Kombination beider
Strategien, ein Mittelmaß zwischen Verfremdung (offener Übersetzung) und Einbürgerung
(verdeckter Übersetzung) vor und begründet dies damit, dass jede Übersetzung ein
Näherbringen an die Zielkultur ist. Es kann also die Übertragung eines Textes in eine
andere Kultur nicht nur von Verfremdung bestimmt sein. Das heißt, man kommt bei keiner
Übersetzung ohne die Strategie der Einbürgerung aus. Es geht im Endeffekt darum, eine
Balance zwischen beiden Strategien zu finden. Mecklenburg bringt dies mit einem Satz auf
den Punkt: „Jede literarische Übersetzung bürgert ein – sie ist desto besser, je
wirkungsvoller sie zugleich verfremdet“ (ibid.:33).

Bei der Übersetzung von Migrationsliteratur kommt noch eine weitere Schwierigkeit hinzu:
Die Tatsache, dass die Begegnung mit der Fremde thematisch oft behandelt wird, wirft die
Frage auf, ob und wie dies in der Übersetzung umzusetzen ist. AutorInnen mit
Migrationshintergrund beschreiben in ihren Werken vielfach die ersten Erfahrungen mit
einer ihnen fremden Sprache, was die vermehrte Verwendung von Kulturspezifika und
Realia in Migrationsliteratur begünstigt. Bei österreichischer Migrationsliteratur kommt
hinzu, dass man von Beginn an nicht nur mit der deutschen Sprache, sondern auch mit
unterschiedlichen Dialekten konfrontiert ist. Was aber passiert mit diversen Kulturspezifika,
Realia und Dialektausdrücken in der Übersetzung? Sollen sie in der Übersetzung
beibehalten und erklärt werden oder gibt es eine Lösung in der Zielsprache? Ist es
überhaupt wünschenswert nach einer Lösung in der Zielsprache zu suchen? In welchem
Verhältnis werden die ZieltextrezipientInnen zu diesen fremden Ausdrücken stehen? Ist es
überhaupt möglich bzw. sinnvoll, die Perspektive der LeserInnen des Originaltexts auf
Kulturspezifika in der Übersetzung zu imitieren? Letztlich steht man auch hier vor der Frage:
Übersetzt man nur Sätze, imitiert man Wirkungen und Eindrücke oder versucht man, eine
Geschichte in einer anderen Sprache zu erzählen?

Bis hier ging es um das Eigene im Original, das – je nach Entscheidung der
ÜbersetzerInnen – entweder zum Eigenen im Zieltext oder zum Fremden im Zieltext wird.
Nun gibt es aber auch die Möglichkeit, dass bereits im Original fremdkulturelle Ausdrücke
enthalten sind, die bereits für die RezipientInnen in der Ausgangskultur nicht als eigen
identifizierbar sind.

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Mit dieser Ausgangslage setzen sich Kadriye Öztürk und Gülcan Cakir in ihrem Aufsatz
über die Fremdheit der Wörter auseinander und sind zur Erkenntnis gekommen, dass die
„‚Fremdheit der Wörter‘ […] in Übersetzungen beibehalten werden [soll], um unsere
Erfahrung zu bereichern, auch wenn es vielleicht manchmal schwierig ist, sie zu verstehen“
(Öztürk/Cakir 2009:93). Sie stützen ihre Aussagen dabei auf Literatur von AutorInnen, die
„fremde Kultur[en] als Text“ (ibid.:91) gelesen, für sich übersetzt haben und in ihre Werke
fremdkulturelle Ausdrücke inkludieren. Damit haben die LeserInnen die Chance, selbst in
den Genuss dieser Fremd-Erfahrung zu kommen, die einst auch die AutorInnen gemacht
haben (ibid.).

Um Entscheidungen darüber treffen zu können, ob man das Verhältnis zwischen Fremde


und Vertrautheit, das im Original herrscht, beibehält, muss man zunächst in der Lage sein
können, Fremdes von Vertrautem in sowohl der Ausgangs- als auch der Zielkultur zu
unterscheiden. Ob und in welchem Ausmaß ÜbersetzerInnen das können, hängt in erster
Linie davon ab, „inwieweit der Urteilende (Autor/Leser) in seiner Eigenheit verwurzelt ist
und wie er (fremd-/inter-)kulturell ausgerüstet ist“ (ibid.:91), oder wie Heidi Rösch es
ausdrückt: „Das Fremde ist ohne das Eigene nicht zu verstehen“ (2004:98).

Das Ausmaß dessen, was ÜbersetzerInnen überhaupt als Fremdes identifizieren, wie sie
mit dem Fremden im Ausgangstext umgehen und was sie schließlich im Zieltext daraus
machen, lässt Rückschlüsse darauf zu, in welchem Verhältnis Ausgangs- und Zielkultur
zueinander stehen. Im Idealfall kann man also dem Umgang mit dem Fremden
Informationen über das Selbstbild der Kultur der jeweiligen ÜbersetzerInnen entnehmen
und darin erkennen, wie weit entfernt die beiden Kulturen – also die Ausgangs- und die
Zielkultur – voneinander sind (vgl. Huntemann/Rühling 1997:7f.).

1.3.3 Hybridität in Literatur und Übersetzung

Spätestens seit der kulturellen Wende, die in den 1980er Jahren ihre Anfänge hatte und
sowohl in den Translations- als auch den Literaturwissenschaften stattfand, und der damit
einhergehenden Diskussion um postkoloniale Übersetzungsstrategien (vgl. Gutiérrez
Rodríguez 2006 und Mecklenburg 2009:24), ist man zur Einsicht gekommen, dass die
Frage der Übersetzungsstrategie auch immer eine politische Entscheidung darstellt:
„Übersetzung beschreibt […] nicht nur eine linguistische Funktion, sondern ein kulturelles
und politisches Werkzeug, das im Kampf um Hegemonie eingesetzt wird“ (Gutiérrez
Rodríguez 2006).

In diesem Kontext bedeutet die Übersetzungsstrategie der Einbürgerung auch immer


gleichzeitig eine Unterwerfung und in gewisser Weise eine Auslöschung der

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Ausgangskultur. Diese Übersetzungsstrategie konnte man tendenziell zum Beispiel der
französischen Übersetzungskultur zuordnen (vgl. Mecklenburg 2009:29-41), was
vermutlich auf das Selbstbewusstsein Frankreichs als Kolonialmacht zurückzuführen und
als eine Art Machtdemonstration zu verstehen ist. Eine solche Herangehensweise an die
Übersetzungstätigkeit stellt im Extremfall durchaus eine „Form[…] kultureller Gewalt“
(ibid.:37) dar.

Im Gegensatz dazu respektiert die offene Übersetzung die Besonderheit des Originals und
der darin transportierten Kultur, indem ausgangskulturelle Elemente konserviert werden
und im Zieltext ebenso vorhanden sind wie zielkulturelle. Traditionell wurde die deutsche
Übersetzungskultur mit dieser Übersetzungsmaxime in Verbindung gestellt (vgl. ibid.:30).

Übersetzung bedeutet also nicht nur die Möglichkeit, eine Brücke zu einer anderen Kultur
herzustellen, sondern kann auch als ein Instrument verwendet werden, um zu beeinflussen,
zu unterwerfen und jemanden schließlich in einem dem eigenen Interesse entsprechenden
Licht darzustellen. Übersetzung ist Macht, die vor allem in Bezug auf die kolonialistischen
und imperialistischen Bestrebungen Europas jahrhundertelang missbraucht wurde (vgl.
ibid.:37f.). Auch in der gegenwärtigen Epoche des Postkolonialismus bestimmt noch immer
die eurozentrische Sichtweise – der von Europa erhobene alleinige Anspruch auf
Kultiviertheit als Repräsentant der einzig wahren Weltliteratur – die Übersetzung von
Literatur:

In den Vereinigten Staaten und in Europa sowie innerhalb der europäischen Sprachen
läuft die Übersetzungsindustrie auf Hochtouren. Wenn es dagegen um Übersetzungen
aus den asiatischen oder afrikanischen Sprachen geht, kommt diese Industrie leicht ins
Stocken. Ohne die universale Vermittlung durch europäische Sprachen findet kaum ein
Treffen unter den verschiedenen Literaturen und Kulturen der dritten Welt statt. (Buden
2005:116)

So wird Literatur aus der sogenannten „Dritten Welt“ erst von der westlichen Welt als solche
definiert und von dort aus als Übersetzungen in andere Länder der „Dritten Welt“ geliefert
(vgl. ibid.).

Nichtsdestotrotz kommt es seit der Migrationswelle im 20. Jahrhundert und den Prozessen
der Dekolonialisierung und Globalisierung zu einer Transformation in den Köpfen der
Übersetzungs- und LiteraturwissenschaftlerInnen einerseits und der EuropäerInnen
andererseits. Die seit Jahrzehnten andauernde Migrationsbewegung hat in vielerlei Hinsicht
sowohl die Denkweise der Gesellschaft beeinflusst als auch die Sichtweise auf das Eigene
und das Andere wesentlich verändert. Auch die Politik hat in Bezug auf Migration einen
Veränderungsprozess durchlaufen. Somit werden migrationspolitische Angelegenheiten

19
heute nicht mehr nur auf nationalstaatlicher sondern auch auf internationaler Ebene
behandelt (vgl. Vorderobermeier/Wolf 2008:8).

Im Zusammenhang mit der Suche nach Übersetzungsstrategien, die der gegenwärtigen


Situation entsprechen, stößt man besonders oft auf einen Begriff, der ein gesamtes Konzept
in sich birgt und sich weit über das Feld der Translatologie hinaus erstreckt – den vom
postkolonialen Theoretiker Homi Bhabha geprägten Begriff der Hybridität (vgl. Buden
2005:149). Boris Buden rechtfertigt dessen Präsenz folgendermaßen:

Die postkoloniale Erfahrung kann ohne [den Begriff der Hybridität] kaum noch gedacht
oder artikuliert werden […]. Die Welt der postkolonialen Migration – eine Welt der in alle
Richtungen verstreuten Exilanten und ihrer durch die Kolonisierung gründlich
veränderten Ursprungs-Kulturen – ist in der Zeit der radikalen Globalisierung tatsächlich
eine Welt der Vermischung und Dislozierung, der Mimikry und Ambivalenz, der
gebrochenen Identitäten, kurz, eine Welt der kulturellen Übersetzung und
Hybridisierung schlechthin geworden. (Ibid.:148)

Aber was bedeutet Hybridität bzw. Hybridisierung und wie wird in der
Übersetzungswissenschaft damit umgegangen? Für den in Indien geborenen
Wissenschaftler Homi Bhabha, der derzeit an der Harvard University einen Lehrstuhl
innehat und zu den wichtigsten ForscherInnen der Postkolonialen Theorien zählt (vgl.
Babka/Posselt 2012:7), ist Hybridität nicht als ein starrer Begriff anzusehen, der etwas
beschreibt, wie es ist, sondern als eine Bezeichnung für einen Prozess, für etwas, das in
Bewegung ist (Bhabha 2012:66). Demnach ist das Wort „Hybridisierung“ (ibid.:62) viel
passender, da es das besser beschreibt, was Bhabha eigentlich sagen will. Es geht ihm
dabei nicht um die Feststellung und Betitelung von einzelnen hybriden Subjekten – wie es
zum Beispiel MigrantInnen sind (ibid.:65) – „sondern um die Konstitution von Subjektivität
im Spannungsfeld von Macht und Autorität“ (ibid.:62). Das heißt, Bhabha interessiert sich
im Rahmen der Hybridisierung für die Interaktionen zwischen unterschiedlichen Subjekten,
wobei Macht eine wichtige Rolle spielt. In der Verhandlung zwischen diesen Subjekten kann
– unter Umständen auch unter Druck – etwas entstehen, das sich „Dritter Raum“ (ibid.:65)
nennt. Der „Dritte Raum“ ist ein Ort, aus dem Kompromisse hervorgehen und ungleiche
Machtverhältnisse einen Ausgleich erfahren können (vgl. ibid.:64ff.). Diesen Raum
empfindet Bhabha als potenziellen Ort für eine internationale Kultur, „die sich nicht mit der
multikulturalistischen Exotik oder mit der Vielfalt der Kulturen identifiziert, sondern die
Artikulation der kulturellen Hybridität erlaubt“ (Buden 2005:152). Die Idee der Hybridität
stellt somit auch eine Kritik der liberalen Multikulturalismus-Politik dar, die seiner Meinung
nach kulturelle Unterschiede nicht fördert, sondern zurückhält (vgl. ibid.:151).

20
Die Auswirkungen des politischen Konzepts der Hybridisierung sind auch innerhalb der
Translationswissenschaft bemerkbar und haben eine Veränderung des
Übersetzungsbegriffs zur Folge. So hat die Definition des Übersetzungsbegriffs einen
Wandel vom vorwiegend linguistischen Umkodierungsvorgang auf textueller Ebene, über
Translation als Kulturtransfer (vgl. Koller 2011:5ff.), bis hin zur Metapher für die
„Bewusstwerdung kultureller Unterschiede“ (Vorderobermeier/Wolf 2008:13) als
sogenannte „kulturelle Übersetzung“ (ibid.:10) durchgemacht. Dieser Entwicklung
entgegnen nicht alle TranslationswissenschaftlerInnen mit Begeisterung und Zustimmung.
So ist Mecklenburg (2009) zum Beispiel der Meinung, dass

Kulturen als ganze […] sich nicht verstehen [lassen], auch dann nicht, wenn man sie
irreführend zu Sinngebilden erklärt; und sie lassen sich nicht übersetzen, auch dann
nicht, wenn man sie gewaltsam zu Texten erklärt. (Mecklenburg 2009:24)

Auch Koller erweist sich als ein scharfer Kritiker der Entwicklung der
Übersetzungswissenschaft in diese Richtung. Er bemängelt vor allem die interdisziplinäre
Tendenz, die den Umfang der Übersetzungswissenschaft nicht genau definiert und viele
Fragen offen lässt (vgl. 2011:7f.).

Geht man aber – wie zuvor erwähnt – davon aus, dass Übersetzung auch als das
Kennenlernen und Studieren einer Kultur und das Vergleichen ebendieser mit einer
anderen Kultur zu verstehen ist, so könnte man daraus schließen, dass man das
Übersetzen von Migrationsliteratur auch als das Übersetzen einer Übersetzung bezeichnen
kann. Denn Migrationsliteratur stellt – direkt oder indirekt – einen Erfahrungsbericht dar, der
sich mit dem Begegnen und Erkennen kultureller Differenzen und Grenzen beschäftigt.

Ähnlich wie das von Michaela Wolf in ihrem Aufsatz analysierte Werk des Triestiner
Schriftstellers Scipio Slataper Il Mio Carso birgt auch Migrationsliteratur bereits Hybridität
in sich, die sich sowohl inhaltlich als auch sprachlich manifestiert.

Wenn unter Hybridität ein Phänomen verstanden wird, das in der Berührung von
Traditionslinien, in der Verknüpfung unterschiedlicher Diskurse bzw. in der Technik der
Collage besteht, dann repräsentiert Il mio Carso exemplarisch ein Werk, das seiner Zeit
voraus war. (Wolf 2000:128; Hervorh. im Orig.)

Die Besonderheit an diesem Roman – neben seiner mehrkulturellen Prägung – ist


eindeutig, dass der Autor ihn bereits 1912 verfasste. Schon damals eliminierte Scipio
Slataper in seinem Werk die Grenzen zwischen Fremd und Eigen, was dazu führt, dass alle
im Roman enthaltenen Kulturen gleichwertig erscheinen (ibid.).

Mit dieser Überlegung geht die Erkenntnis einher, dass Kultur nicht länger an einen Ort mit
festgelegten Grenzen, sondern an Identitäten als TrägerInnen dieser Kultur gebunden ist

21
(vgl. Vorderobermeier/Wolf 2008:10f.). In einer hybriden Welt mit hybrider Literatur muss
man sich von der Überzeugung verabschieden, dass Kulturen an eine Nationalität, an eine
Staatsbürgerschaft gebunden sind, sodass sich nicht länger eine Trennlinie zwischen
Eigenem und Fremdem, zwischen Einheimischen und AusländerInnen ziehen lässt (vgl.
Schweiger 2008:111).

Derselben Meinung ist auch Eva Hausbacher und zieht daraus ihre Konsequenzen für die
Literaturwissenschaft:

Die neue Poetik und Ästhetik der hybriden Migrationsliteratur stellt somit auch neue
Anforderungen an ihre literaturwissenschaftliche Beschreibung und Analyse. Denn
diese ‚Literatur in Bewegung‘ löst sich immer mehr aus den Grenzen ihrer nationalen
Zugehörigkeit heraus. Immer wieder ist die Rede von einer neuen ‚Weltliteratur‘, die
sich jenseits eindeutiger nationalstaatlicher und territorialer Grenzziehung bewegt.
(Hausbacher 2008:52)

Das Fremdsein erfährt in den Texten von Migrationsliteratur eine Relativierung. In diesem
Sinne trägt eine Anthologie, herausgegeben vom Verein Exil unter der Leitung von Christa
Stippinger den Titel: „JEDER ist anderswo EIN FREMDER“ und deutet darauf hin, dass es
im Endeffekt immer auf die Perspektive ankommt. Grenzen verschwinden und werden
womöglich an anderer Stelle wieder aufgebaut. Sich in dem Land aufzuhalten, in dem man
geboren und aufgewachsen ist, gilt nicht mehr länger als ultimativer Garant für das Sich-
Zuhause-Fühlen. Menschen empfinden Zugehörigkeit gleichermaßen zu zwei oder gar
mehreren Kulturen oder können sich im schlimmsten Fall nirgends richtig daheim fühlen.
Dimitré Dinev hat in seinem Essay „In der Fremde schreiben“ geschildert, was es bedeutet,
Autor und Migrant zugleich zu sein, wie man überhaupt in diese Situation gelangt und wo
für ihn die Heimat liegt:

Es ist ein langer Weg, bis man in die Fremde gelangt, aber ein noch längerer ist der
Weg der Hand bis zur Feder. Sollte man aber auch diesen gehen und das erste Wort
niederschreiben und danach das nächste, bis das Blatt genauso schwarz wie weiß ist,
sollte man also eines Tages doch in der Fremde weiterschreiben, oder auch erst damit
beginnen, dann hat man das begriffen, was jeder Autor irgendwann erfährt, nämlich,
dass das Wort seine Heimat ist. (Dinev 2004)

Ein Grund, warum AutorInnen wie Vladimir Vertlib literarisch tätig sind, ist – unter anderem
– der, dass sie den Horizont der LeserInnen in Bezug auf andere Perspektiven erweitern
wollen. Den ÖsterreicherInnen soll eine andere Sicht auf die Dinge geboten werden, was
im besten Fall zu mehr Verständnis und Toleranz und im Endeffekt zu einem Abbau von

22
Ressentiments und Vorurteilen gegen MigrantInnen und generell gegen Menschen mit
anderer Kulturzugehörigkeit führen soll/kann (vgl. Stocker [2009]:7).

Migrationsliteratur in Österreich (und wahrscheinlich auch in Deutschland) hat einen ganz


spezifischen Auftrag. Es stellt sich also die Frage, für welches Publikum die Übersetzung
eines solch speziellen literarischen Werkes angefertigt wird, welchen Auftrag dieses in der
Zielkultur hat und wie und warum es für die Zielkultur ausgewählt wurde.

23
2. Zwischenstationen – ein Roman von Vladimir Vertlib
Der in der vorliegenden Masterarbeit untersuchte Roman wurde von Vladimir Vertlib
verfasst, der im Folgenden näher vorgestellt wird. Die Gründe, warum sich genau dieses
Buch und seine Übersetzung als Gegenstand zur Analyse eignen, wurden im Punkt 1.3.1
Probleme und Herausforderungen (beim Übersetzen von Migrationsliteratur) bereits
umrissen. Denn es ist ebendiese Besonderheit der Perspektive zunächst eines Migranten,
der doch merklich und nun vor allem Österreicher ist, aus dessen Sicht das Buch
geschrieben wurde. Es ist außerdem die hier untersuchte Vielzahl an österreichischen
Dialektausdrücken und -passagen, die eine Schwierigkeit für potenzielle ÜbersetzerInnen
darstellen könnte. Und es ist die bewusste Verwendung von einzelnen Elementen aus
anderen Sprachen, die eine Fremdheit der Wörter auch für österreichische LeserInnnen
kreiert und wiederum eine spannende Herausforderung in der Übersetzung darstellt.
Zwischenstationen ist ein Roman, der zeitgemäß dem Einwanderungsland Österreich bzw.
dem gegenwärtigen Europa entspricht, oder, wie das Urteil von Karl Markus Gauß im
Klappentext der vom dtv Verlag veröffentlichten Taschenbuchausgabe lautet:

Den europäischen Roman, den Kritiker vermissen, Lektoren verlangen, den Roman,
der die neue Landkarte Europas voraussetzt und sich über die nationalen Grenzen
hinwegsetzt – der Flüchtling Vladimir Vertlib hat ihn geschrieben. (Gauß 1999)

2.1 Der Autor und die Rezeption seines Werkes in Österreich


Vladimir Vertlib wurde 1966 in Leningrad, dem heutigen St. Petersburg geboren. 1971 – im
Alter von fünf Jahren – flüchtete er mit seinen Eltern aus der Sowjetunion über Österreich
nach Israel. Damals kam er in Schönau, wo sich das Durchgangslager für jüdische
EmigrantInnen befand, zum ersten Mal in Kontakt mit der österreichischen Kultur und
Landschaft, die so gar nicht seinen Erwartungen entsprach und später sein Zuhause
werden sollte:

Mutter erzählte mir, Österreich sei ein gebirgiges Land, in dem alle Menschen Ski fahren
würden und so stellte ich mir Wien als eine Ansammlung von Häusern am Steilhang
vor, wo jeder auf Skiern zum Einkaufen oder zur Arbeit fuhr. Doch in den wenigen
Tagen, die wir in Österreich verbrachten, bekamen wir nicht einmal einen Hügel zu
Gesicht. […] Die höchste Erhebung [in Schönau] ist der Kirchturm. Meine Eltern waren
enttäuscht. Sie hatten sich Österreich anders vorgestellt. (Vertlib 2012a)

Eine Reise mit vielen Zwischenstationen hatte begonnen. 1972 – ein Jahr nach der
Auswanderung aus der Sowjetunion verließ die Familie Israel wieder (vgl. ORF
Oberösterreich [2006]), weil Vertlibs Eltern dort „nicht heimisch“ (Vertlib 2012a) werden

24
konnten. Es folgte die Übersiedelung nach Wien; kurz danach nach Italien, worauf
wiederum ein Aufenthalt in Wien folgte. Danach versuchte die Familie, in den Niederlanden
Fuß zu fassen. Es folgte ein zweiter Aufenthalt in Israel und nach einem Zwischenstopp in
Rom landete man 1976 wieder in Wien. 1980 versuchten die Eltern Vertlibs gemeinsam mit
ihrem Sohn die Auswanderung in die USA. Es folgten Schubhaft und Abschiebung aus den
USA und die endgültige Rückkehr nach Österreich. Seit 1986 ist Vladimir Vertlib
österreichischer Staatsbürger (vgl. Vladimir Vertlib [2012c]).

1984-1989 studierte Vertlib Volkswirtschaftslehre in Wien. Danach war er ein Jahr bei der
japanischen Presseagentur Kyodo als freier Mitarbeiter tätig. Nachdem er im Jahre 1990
den Zivildienst in einer geriatrischen Anstalt absolviert hatte, begann er zunächst für eine
Versicherung, dann für eine Bank zu arbeiten. Seit 1993 ist Vladimir Vertlib als
freiberuflicher Schriftsteller und Journalist in Salzburg und Wien tätig (vgl. ibid. und ORF
Oberösterreich [2006]).

Seine Texte und Artikel wurden in zahlreichen namhaften Zeitungen und Zeitschriften
veröffentlicht. Darunter befanden sich zum Beispiel: Die Presse, Wiener Zeitung,
Frankfurter Allgemeine, Literatur und Kritik – um nur einige zu nennen. Des Weiteren ist er
Mitglied der Redaktion der Literaturzeitschrift Zwischenwelt. Zeitschrift für Literatur des
Exils und des Widerstands (vgl. Vertlib [2012c]).

Neben dem in der vorliegenden Masterarbeit untersuchten Roman Zwischenstationen


zählen die 1995 veröffentlichte Erzählung Abschiebung, der 2001 erschienene Roman Das
besondere Gedächtnis der Rosa Masur und der 2012 herausgegebene Roman Am Morgen
des zwölften Tages unter anderem zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen (vgl. ibid.).

Der Autor Vladimir Vertlib wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. 1999 wurde ihm
der Österreichische Förderungspreis für Literatur, zwei Jahre darauf, im Jahre 2001, der
Förderpreis zum Adalbert-von-Chamisso-Preis verliehen. Im selben Jahr durfte er sich
außerdem über die Auszeichnung mit dem Anton-Wildgans-Preis freuen (vgl. ibid.). Im
Jahre 2012 wurde dem Autor außerdem für sein Werk Zwischenstationen, das 2001 unter
dem Titel Stazioni intermedie in Italien erschien, der zum zwölften Mal von der Vereinigung
der jüdischen Frauen in Italien vergebene Literaturpreis Adelina Della Pergola in Venedig
verliehen (vgl. Österreichisches Generalkonsulat Mailand 2012).

In seinen öffentlichen Auftritten und Texten behandelt Vertlib Themen wie Fremdheit und
Heimat, Grenzüberschreitung, Identitätsprobleme und Integration (Stocker [2009]:5).

Die Reaktion auf Vertlibs Roman Das besondere Gedächtnis der Rosa Masur und die
Rezeption des zwei Jahre später erschienenen Roman Engelszungen von Dimitré Dinev
markieren für Günther Stocker die Wende in der Wahrnehmung von Migrationsliteratur aus

25
Osteuropa in Österreich, da beide Romane großen Erfolg beim österreichischen
Lesepublikum verzeichnen konnten, mit Preisen ausgezeichnet und in der Öffentlichkeit
diskutiert wurden, während davor Werke, die von osteuropäischen AutorInnen stammten,
auf wenig Interesse bei österreichischen LeserInnen stießen (vgl. ibid.:2f.).

Stockers positive Rezension zum eben erwähnten Roman Vertlibs, mit dem ihm der
Durchbruch in Österreich gelang, lautet wie folgt:

Autoren wie Vladimir Vertlib sind ein Glücksfall für die deutschsprachige Literatur im
allgemeinen und die österreichische Literatur im besonderen. Durch ihre multikulturelle
Lebensgeschichte öffnen sie der heimischen Bücherwelt ganz neue
Erfahrungshorizonte, heben deren Perspektive über die zuweilen obsessive
Nabelschau hinaus zu neuen Themen und neuen Einsichten. Und das kann der
Literatur und ihren Leserinnen und Lesern nur gut tun. (Stocker 2001)

Für sein erstes Werk, die Erzählung Abschiebung, die 1995 beim Otto Müller Verlag in
Salzburg (Vertlib [2012d]) erschien, erhielt Vertlib jedoch nicht nur positive Kritiken: „Ein
interessantes Leben garantiert noch keinen guten Text […]“ ist die Meinung von Hans-Peter
Kunisch (1995) in seiner Rezension in der Neuen Zürcher Zeitung. Sein Gesamturteil fiel
folgendermaßen aus:

Die eigenwillige Lebendigkeit, die er den Hauptfiguren seines Erstlings verleiht, der
unaufdringliche Humor, den er ihnen zuzuschreiben versteht, trösten über schlampig
gesetzte Adjektiva hinweg. Große Literatur ist dies nicht, eher eine sympatische. (Ibid.)

Als sein Werk Zwischenstationen als sein erster Roman im Jahre 1999 beim Deuticke
Verlag veröffentlicht wird, stellt man den Autor Vladimir Vertlib auf Anhieb auf der
Frankfurter Buchmesse aus. Stolz berichten die Salzburger Nachrichten von „Heimischem
Buchschaffen“ und vergleichen ihn mit berühmten, bereits auf dem Literaturmarkt
etablierten Schriftstellern (vgl. N.N. 1999). Weitere anerkennende Kritik erhält der Roman
von der Wiener Zeitung:

Vladimir Vertlibs autobiographisch gefärbter Roman ‚Zwischenstationen‘ folgt den


Fluchtpunkten einer russisch-jüdischen Kleinfamilie, die sich mit der ernüchternden
Problematik des Emigrantenalltags herumschlagen muß. Dabei könnte jedes der zwölf
Kapitel für sich als famose Kurzgeschichte durchgehen. Souverän schaltet der Autor
zwischen Episoden voll skurriler Begebenheiten hin und her und entwirft ein Mosaik,
das er den jugendlichen Ich-Erzähler selbst zusammensetzen läßt. (Stift [1999])

Neben vielen anderen positiven Kritiken in diversen Tageszeitungen und Zeitschriften fällt
der Beitrag in der Neuen Zürcher Zeitung von Karl Markus Gauß besonders enthusiastisch
aus:

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Wenn der literarische Markt zwischen Europa und den USA gleiche Chancen zuließe,
wenn es im literarischen Betrieb innerhalb Europas mit rechten Dingen zuginge, dann
müsste dieses Buch ein internationaler Bestseller werden und die Filmindustrie darum
streiten, wer den Stoff wo verfilmen darf. (Gauß 1999)

2.2 Der Deuticke Verlag


Der Deuticke Verlag ist ein Imprint-Verlag des Paul Zsolnay Verlags, der zur
Muttergesellschaft des Carl Hanser Verlags gehört. Er wurde vor über hundert Jahren
gegründet und fand seinen Anfang, als der in Leipzig geborene Buchhandelsgehilfe Franz
Deuticke (1850 – 1919) gemeinsam mit Stanislaus Toeplitz im Jahre 1878 eine
Buchhandlung in der Schottengasse in Wien erwarb. Seit 1886 war Franz Deuticke
Alleininhaber des Unternehmens, das von nun an seinen Namen trug. Nebenbei betrieb
Deuticke einen Verlag, der ebenso wie das Sortiment der Buchhandlung den Schwerpunkt
in den Naturwissenschaften hatte. Nach Franz Deutickes Tod übernahm sein Sohn Hans
die Firma (vgl. Hanser Literaturverlage [2014a]).

Während des Zweiten Weltkriegs verbrannte die Gestapo die Hälfte des Buchbestandes
der Buchhandlung, darunter Exemplare von Deuticke-Autoren wie C. G. Jung und Sigmund
Freud. Nach Kriegsende – im Jahre 1946 – gründete Hans Deuticke mit fünf weiteren
Kollegen die Arbeitsgemeinschaft österreichischer Schulbuchverleger, womit ihm der
Neubeginn gelang (vgl. ibid.).

Nach 1990 schlug der bis dahin vorwiegend wissenschaftlich orientierte Verlag eine neue
Richtung ein und inkludierte von nun an auch Belletristik und Sachbücher in sein Programm.
2003 wurde der Deuticke Verlag an die Ernst Klett GmbH verkauft, 2004 vom Paul Zsolnay
Verlag übernommen (ibid.).

Programmleiterin bei Deuticke ist Martina Schmidt, die seit 1991 beim Verlag tätig ist. Der
Verlag, dessen Wiener Wurzeln bis heute eine zentrale Rolle spielen (Hanser
Literaturverlage [2014b]), steht heute für die Publikation sowohl deutschsprachiger als auch
internationaler Belletristik (Hanser Literaturverlage [2014a]).

Unter den Veröffentlichungen finden sich viele Werke österreichischer Autoren; darunter
zum Beispiel jene von Michael Köhlmeier und Daniel Glattauer (Hanser Literaturverlage
[2014c]). Auch einige heimische AutorInnen, die ihre Migrationserfahrungen mit in ihre
Literatur einfließen lassen, wurden von Deuticke publiziert: Neben Vladimir Vertlibs
Zwischenstationen wurden vom Deuticke Verlag außerdem noch seine Romane Schimons
Schweigen, Letzter Wunsch, Das besondere Gedächtnis der Rosa Masur und Am Morgen
des zwölften Tages verlegt (Hanser Literaturverlage [2014d]). Genauso finden sich Werke

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der bereits erwähnten Autoren Dimitré Dinev – Ein Licht über dem Kopf (Hanser
Literaturverlage [2014e]) – und Radek Knapp – Franio und andere Erzählungen aus Polen
(Hanser Literaturverlage [2014f]) – unter den Veröffentlichungen des Deuticke Verlags.

2.3 Inhalt des untersuchten Werkes


Der Roman Zwischenstationen wird aus der Perspektive eines jüdischen Jungen erzählt,
der im Laufe der Handlung zu einem Mann heranwächst. Eingeteilt in zwölf Kapitel umfasst
das Buch 300 Seiten. Jedes Kapitel markiert eine Station im Leben des namenlosen
Protagonisten und dessen Familie.

Zu Beginn reist der Ich-Erzähler nach St. Petersburg – seine Geburtsstadt – um seine
schwerkranke Großmutter in ihren letzten Tagen ein letztes Mal zu sehen. Beim Besuch in
der einstigen Heimat kommen alte Erinnerungen hoch. Es beginnt eine Reise in die
Vergangenheit und der Protagonist führt die LeserInnen durch sein ereignisreiches Leben,
das mit der Emigration seiner Eltern aus der Sowjetunion beginnt: Aus der Perspektive
eines kleinen Jungen erfährt man, dass der Vater als überzeugter Zionist Probleme mit dem
sowjetischen Regime hat und sich schon seit langem danach sehnt, mit seiner Familie nach
Israel auszuwandern. Als die Familie tatsächlich eine Ausreisegenehmigung bekommt, ist
es schließlich soweit. Am Bahnhof verabschieden sich der Vater, die Mutter und der Junge
von den Angehörigen. Zunächst versteht das Kind die traurige Stimmung und die Tränen
nicht, wo sie doch – wie ihm glaubhaft gemacht wurde – nur in Urlaub fahren. Erst im Zug
teilen ihm die Eltern mit, dass sie nicht wieder zurückkehren werden.

In Israel angekommen, findet der kleine Junge einen Freund in dem aus der Ukraine
stammenden Viktor. Viktors Eltern und die des Ich-Erzählers treffen sich regelmäßig und
führen gemütserhitzende Gespräche über den Staat Israel, der nicht ihren Wünschen und
Träumen entspricht. Nach den Diskussionen mit Viktors Eltern sind alle immer noch
aufgewühlter und niedergeschlagener als zuvor. Die Familie kann in Israel nicht glücklich
werden. So kommt es dazu, dass sie eines Morgens mit drei großen Koffern zum Flughafen
aufbrechen. Erst im Flugzeug erfährt der Junge, dass die Eltern nicht vorhaben, wieder
nach Israel zurückzukehren.

Die Reise führt sie nach Österreich in den Wiener Bezirk Brigittenau, wo sie in einem Haus
unterkommen, das russisches Schloss genannt wird, da es beinahe ausschließlich von
EmigrantInnen aus der Sowjetunion bewohnt wird, die Israel enttäuscht den Rücken kehren
und auf die Rückkehrerlaubnis in die Sowjetunion warten, die nur in den seltensten Fällen
gewährt wird. Als bekannt wird, dass die Rückkehr jener jüdischen EmigrantInnen nur
genehmigt wird, wenn sie eine Erklärung unterschreiben, in der sie sich für ihre Untreue

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entschuldigen und den Staat Israel diskreditieren, treffen die Eltern die Entscheidung, nicht
wieder nach Russland zurückzukehren, sondern den Versuch zu wagen, über Rom in die
USA auszuwandern.

Im Herbst desselben Jahres finden sie sich aber erneut in Wien wieder, da der Versuch, in
die USA auszuwandern, erfolglos blieb. Sie haben das Glück, eine eigene Wohnung zu
finden. Der Junge – nun im schulpflichtigen Alter – muss nach der Schule die Nachmittage
zum ersten Mal in seinem Leben allein verbringen, da seine Eltern arbeiten müssen, und
reagiert darauf mit panischer Angst. Da sich bei der Suche nach einem Tagesheimplatz für
den Jungen kein Erfolg einstellt, ist die Mutter zunächst erleichtert, dass sich während der
Nachmittage die Nachbarin – eine alte Dame – ihres Sohnes annimmt. Als sich aber
herausstellt, dass diese aus Oberschlesien stammende Frau noch immer eine
Befürworterin Hitlers ist und dem Jungen erzählt, wieviel Österreich ihm zu verdanken habe,
ist vor allem der Vater strikt dagegen, dass sein Sohn weiteren Kontakt zur der so lieb
gewonnenen Dame pflegt. Da die Familie aber momentan keine andere Möglichkeit hat,
bleibt es vorerst bei der nachbarlichen Nachmittagsbetreuung. Die alte Dame verstirbt
jedoch eines Tages und bis der Junge einen Tagesheimplatz bekommt, nimmt ihn seine
Mutter mit in die Arbeit. In Russland hatte sie Physik und Mathematik studiert; in Österreich
ist sie an den Nachmittagen als Putzfrau bei einer großen Versicherung tätig.

Die Familie hat mit dem Rassismus, der ihnen und anderen Ausländern entgegen gebracht
wird und der Mentalität der ÖsterreicherInnen zu kämpfen. Mit dem in Österreich zur
damaligen Zeit üblichen Proporz und der bis heute praktizierten Freunderlwirtschaft können
die Eltern nichts anfangen und an ihrem Grad der Unzufriedenheit – vor allem des Vaters
– zeichnet sich bereits der Drang ab, woanders ihr Glück zu versuchen und die nächste
Station einer langen Reise in Angriff zu nehmen.

Es ist das Jahr 1975 und die Familie befindet sich im Zug nach Amsterdam. Die Mutter hat
ihren Job in einem großen österreichischen Unternehmen, in dem sie inzwischen als
Mathematikerin gearbeitet hatte, verloren, da ihre Arbeitsbewilligung nicht verlängert
wurde. Auch der Vater wurde aufgrund von Sparmaßnahmen während der Wirtschaftskrise
von seiner Stelle in der Universitätsbibliothek entlassen. Der Junge, der gerade die dritte
Klasse Volksschule in Österreich erfolgreich absolviert und endlich neue Freundschaften
geschlossen hat, ist empört über die erneut plötzliche Abreise. Seine Eltern, die Österreich
nun endgültig den Rücken zukehren wollen, hoffen, in den als tolerant und aufgeschlossen
geltenden Niederlanden sesshaft werden zu können.

In Holland angekommen, beginnt eine lange Zeit des Wartens. Zunächst warten die Eltern
auf eine Arbeitserlaubnis, die nicht gegeben wird. Also versuchen sie, in den Konsulaten

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anderer europäischer Staaten ein Visum zu bekommen, darunter sind Länder wie
Schweden, Norwegen, Frankreich etc. – ohne Erfolg. Die Zeit des Wartens vertreiben sich
die drei mit Spaziergängen und Städtebesichtigungen. Als nach vier Monaten die
Ersparnisse langsam zur Neige gehen, treffen sie die Entscheidung, es trotz der
anfänglichen Enttäuschung über das Land doch noch einmal in Israel zu versuchen.

Zurück in Israel lebt die Familie in einer Siedlung unweit von Tel Aviv, in der beinahe nur
Zuwanderer aus der Sowjetunion wohnen. Sie haben sich eingelebt. Der Junge besucht die
Schule und hat dort Freunde gefunden. Die Mutter arbeitet wieder. Nur der arbeitslose
Vater, der nach wie vor nicht besonders gut Hebräisch spricht, hat Probleme, sich in einem
Land, das ihm zu orientalisch ist, wohlzufühlen. Erneut sehnt er sich fort von Israel; bereut
die Entscheidung, zurückgekehrt zu sein.

Eines Tages wird ein terroristischer Anschlag auf einen Autobus der Linie verübt, mit der
die Mutter täglich von der Arbeit nach Hause fährt. Bei der Explosion kommen einige
Menschen ums Leben. Die Mutter verpasst den Bus und entkommt so einer Tragödie.
Wenig später entschließen sich die drei erneut, das Land zu verlassen.

Noch einmal wollen sie von Rom aus versuchen, in die USA auszuwandern. Mit ihnen
warten dort tausende russische Juden auf ein amerikanisches Visum. Einige bleiben nur
ein paar Wochen, um dann gleich in die USA weiterzureisen. Für andere wiederum ist es
ausgesprochen schwierig, ein Visum für das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu
erlangen. Zu diesen zählen jene russischen Juden, die entweder eine Vergangenheit als
aktive Kommunisten haben oder – wie die Protagonistenfamilie – bereits die israelische
Staatsbürgerschaft besitzen. So bemühen sich die Mutter, der Vater und der Sohn
unermüdlich um die Unterstützung einer der vielen Hilfsorganisationen Roms – ohne Erfolg.
Der Auswanderungsversuch droht wieder zu scheitern.

Da sie in Italien nur geduldet werden und auch keine Hoffnung auf eine italienische
Arbeitsgenehmigung besteht, beschließen sie, die Auswanderung in die USA vorerst
aufzugeben und nach Wien zurückzukehren. Für den Vater steht aber bereits beim Antritt
der Reise nach Österreich fest, dass dies nur eine weitere Zwischenstation sein wird.

Angekommen im Wien der 1970er Jahre besucht der elfjährige Protagonist das
Gymnasium. Dorthin hat er es vor allem aufgrund der Hartnäckigkeit seiner Mutter
geschafft, die vor den Lehrern darauf bestanden hat, dass nicht jeder Ausländer
zwangsweise nur für die Hauptschule bestimmt ist. Sie motiviert ihren Sohn, sich
anzustrengen, da sie davon überzeugt ist, dass er sich als Ausländer noch viel mehr
anstrengen muss als ein Österreicher, um es in diesem Land zu beruflichem Erfolg zu
bringen.

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Der Junge fährt gerne in der Stadt herum und sieht sich sämtliche Baustellen an, von denen
es zu jener Zeit ausreichend gibt. In der Schule wird er aufgrund seines ungewöhnlichen
Hobbys zum Sonderling abgestempelt. Auch sonst hat er es als Ausländer nicht besonders
leicht in der Schule. Nicht nur die Schüler, sondern auch viele der Lehrer lassen ihn ihre
negative, feindselige Einstellung Ausländern gegenüber spüren. Um überhaupt im
Gymnasium bleiben zu dürfen, muss er außerdem einen Intelligenztest bestehen. Während
die Mutter bereits wieder Arbeit gefunden hat, sitzt der arbeitslose Vater erneut Zuhause
und träumt noch immer von einer goldenen Zukunft im glorreichen Amerika.

Der nächste Schauplatz ist New York, Brighton Beach, ein Teil von Brooklyn, der aufgrund
seiner vielen jüdischen Einwanderer aus der Sowjetunion Little Odessa genannt wird. Die
Familie lebt in einer Wohnung, die ihnen für ein halbes Jahr von einer jüdischen
Hilfsorganisation finanziert wird. Durch ein mithilfe von Bestechung erlangtes
Touristenvisum war ihnen die Einreise in die USA möglich. Ein befreundeter Rabbi in Wien
hatte ihnen dieses vermittelt. Als Bedingung für seine Unterstützung hatte der Rabbi von
der Familie gefordert, dass sie in New York ein Leben als anständige, gläubige Juden
führen. Sie willigten ein, obwohl sie wussten, dass sie ihm diesen Wunsch nicht erfüllen
würden.

In New York angekommen, wenden sie sich erneut an alle jüdischen Organisationen – nur
nicht an die streng religiösen. Zunächst besteht wenig Hoffnung auf ein permanentes
Aufenthaltsrecht in den USA. Und obwohl sie sehen, wie hart der Alltag der anderen
jüdischen Einwanderer aus der Sowjetunion dort ist – auch für jene, die eine
Aufenthaltsbewilligung haben – und welchen Lebensstandard sie sich leisten können,
lassen sie sich vorerst nicht davon abbringen, dass die USA das Ziel ihrer Reise sind.

Die Familie zieht nach Boston, wo die drei in einer eigenen Wohnung leben. Die Mutter hat
trotz fehlender Arbeitsbewilligung bei einer Fastfoodkette Arbeit gefunden. Sie sind nun
schon ein dreiviertel Jahr in den USA und ihr Antrag auf Einwanderung wurde bereits in
zwei Instanzen abgelehnt. Es besteht nur mehr eine sehr geringe Chance, dass der Antrag
in dritter Instanz genehmigt wird. Vergeblich versucht der Vater die Entscheidung positiv zu
beeinflussen, indem er Briefe an einige amerikanische Politiker verschickt, in denen er die
Situation der Familie schildert.

Als die Mutter aufgrund verschärfter Kontrollen der Einwanderungsbehörde ihre Arbeit
verliert, steht die Familie vor einem finanziellen Problem. Um mit den Ersparnissen länger
auszukommen, ziehen sie aus der Wohnung aus und kommen bei alten Bekannten aus
Russland unter, die ihnen bereits einmal Zuflucht gewährt hatten, als sie von New York
nach Boston gekommen waren. Allen Bemühungen zum Trotz werden sie nach ein paar

31
Wochen von den amerikanischen Behörden zum Flughafen gebracht und nach Österreich
abgeschoben.

Mit dem Besitz in Koffern und einem Vermögen von 3000 Schilling in der Tasche kommen
sie bald bei einem befreundeten Ehepaar unter bis im Haus eine günstige Wohnung frei
wird – ein Glücksfall für die Familie. In der Anfangszeit werden sie mit Lebensmitteln und
Sachspenden von Freunden versorgt, bis die Mutter einen Arbeitsplatz in einem großen
Unternehmen findet. Der Vater arbeitet als Hilfsarbeiter in einer Lagerhalle bis er wenig
später aus gesundheitlichen Gründen kündigen muss. Seither ist er arbeitslos. Der Junge
besucht wieder die alte Schule. Um kein Jahr zu verlieren und in die sechste Klasse
aufsteigen zu können, muss er innerhalb des Schuljahres für alle Fächer der fünften Klasse
Prüfungen ablegen, da er für dieses Schuljahr nur ein High-School-Zeugnis aus Amerika
vorweisen kann, das in Österreich nicht anerkannt wird. Er lernt nun von morgens bis
abends, um die Nachprüfungen und die des laufenden Schuljahres zu schaffen und somit
seine Mutter nicht zu enttäuschen. In der Schule findet er keine Freunde – im Gegenteil. Er
stößt auf Ablehnung und beschließt deshalb, mit niemandem zu sprechen. Sein Verhalten
ändert sich erst, als er sich mit 17 Jahren in eine Mitschülerin verliebt.

Die Großmutter des Jungen ist aus Russland angereist, um ihren alten Jugendfreund und
entfernten Verwandten Mendl, der mit ihr im selben Ort in Weißrussland – einem jüdischen
Stedtl – aufgewachsen ist, zu besuchen. Genau zu dieser Zeit stößt ihm etwas zu. Die
Großmutter ist erschüttert. Wieder und wieder erzählt sie die Geschichte von der Trennung
des Stedtls in einen polnischen und einen weißrussischen Teil, wobei Mendl auf der
polnischen und sie auf der weißrussischen Seite verblieben waren. Eigentlich im selben Ort
aufwachsend, lebten sie von da an in zwei völlig unterschiedlichen Welten: Er besuchte
eine jüdische Schule. Sie ging in eine weißrussische Schule, in der sie es aufgrund ihrer
jiddischen Muttersprache nicht einfach hatte.

Mendl ist Ritas Vater und Rita ist eine jener Freundinnen, die der Familie zur Anfangszeit
in Österreich finanzielle Unterstützung geleistet hatte. Sie und ihr Vater, ein gläubiger Jude,
der an der Universität Hebräisch unterrichtet hat, leben schon seit Jahren in Wien.

Einen Monat später ist Ritas Vater nach zwei Operationen auf dem Weg der Besserung.
Während eines Besuchs schüttet Rita dem Jungen ihr Herz aus. Sie sei enttäuscht von
ihren Freunden, die ihr in den schweren Zeiten nicht dieselbe Unterstützung und Hilfe
entgegengebracht hätten, wie sie es schon so oft getan hatte. Auch von ihm sei sie
enttäuscht. Das Gespräch läuft – wie so oft – auf den allgegenwärtigen Antisemitismus in
Österreich hinaus, mit denen Juden auf der Straße genauso rechnen müssen wie im
Krankenhaus oder hinter der Wursttheke. Rita entgegnet dem Vorwurf des Jungen, der

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eigentlich bereits ein junger Mann ist, sie leide an Verfolgungswahn, mit der Erklärung, dass
er das natürlich nicht verstehen könne, da seine Eltern nicht im Konzentrationslager waren.
Er wird von ihr als schlechter Jude beschimpft, da er sich nicht genug mit dem Erbe seiner
Vorfahren auseinandersetzt.

Im Jahre 1993 schließlich befindet sich der junge Mann am Westbahnhof in Wien. Er ist auf
dem Weg nach Salzburg, um dort mit seiner Lebensgefährtin ein neues Leben zu beginnen.
Wochen zuvor hat er seine Arbeit in Wien gekündigt. Seine Eltern, die in Wien bleiben, sind
keineswegs begeistert von seiner Entscheidung, Wien zu verlassen, um nach Salzburg zu
ziehen. Sie haben sich zwar immer gewünscht, dass er Wien eines Tages verlassen wird,
aber nicht, um in der Provinz zu leben, was sie als klaren Abstieg empfinden. Dort sei es
für Fremde, wie ihn, noch schwieriger, sich zu behaupten. Auch seine Wiener Freunde
haben ihm vom Umzug abgeraten.

Auf der Zugfahrt packen ihn selbst schließlich auch die Zweifel. Als er aber in Salzburg
ankommt und erkennt, dass er bereits alle Vorurteile seiner Wiener Bekannten über das
österreichische Landleben übernommen hat, bemerkt er, wie sehr er sich in Österreich
bereits angepasst hat. Nach einer gewissen Zeit in Salzburg wird er wohl ähnlich abfällig
über Wien und dessen Einwohner denken.

2.4 Sprache und Stilmittel


Im vorliegenden Kapitel werden sowohl textuelle als auch sprachliche Eigenheiten und
Besonderheiten des Romans Zwischenstationen beleuchtet. Im Folgenden wird auf vier
stilistische Hauptcharakteristika des Buches näher eingegangen. Einige der für diesen
Roman typischen sprachlichen und stilistischen Merkmale stehen weder in näherem
Zusammenhang mit der Herkunft und Vorgeschichte des Autors, noch mit der Thematik der
Migration und werden demnach nicht vom Phänomen Migrationsliteratur bestimmt. Auf jene
wird aufgrund ihrer Wichtigkeit für Wirkung und Gesamteindruck des Romans bei den
LeserInnen eingegangen. Diese Merkmale sind von generellem Interesse für die in Kapitel
4 durchgeführte Übersetzungsanalyse.

Zeitenwechsel

Hat man das Buch gelesen, fällt zunächst auf, dass die Handlung im Jahre 1993 sowohl
ihren Anfang und als auch ihr Ende findet. Die im Roman Zwischenstationen erzählte
Geschichte ist also in einen Rahmen gebettet, der in der jüngsten Vergangenheit beginnt
und ungefähr zur selben Zeit auch wieder aufhört. Der Tod der Großmutter zu Anfang des

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Buches liefert dem Protagonisten den Anlass, über Vergangenes nachzudenken, und seine
gesamte Lebensgeschichte zu erzählen. Die LeserInnen begleiten den Protagonisten so in
seine frühe Kindheit und durchleben mit ihm die Pubertät bis sie im Jahre 1993 wieder mit
einem jungen Erwachsenen ankommen.

Grundsätzlich ist das Buch im Präteritum verfasst, da es sich um dabei um die Erinnerungen
des Ich-Erzählers, also um bereits Vergangenes handelt. Von Anfang an jedoch herrscht
ein reger Zeitenwechsel, der das Gelesene lebendiger gestaltet. Passagenweise wechselt
der Autor zwischen Präteritum und Präsens. Den LeserInnen wird in den Abschnitten, die
im Präsens verfasst sind, das Gefühl vermittelt, dass dem Erzähler jene Erinnerungen
besonders deutlich vor dem geistigen Auge erscheinen oder ihm besonders nahe gehen
bzw. gingen. Dabei gibt es Kapitel, die beinahe keine Abschnitte enthalten, die in Präsens
verfasst sind. Andere Kapitel wiederum enthalten lange in der Gegenwart erzählte
Erinnerungen.

Besonders deutlich zu erkennen ist dieses Stilmittel zum Beispiel an der Stelle im Buch, in
der der Junge zum ersten Mal gezwungen ist, allein zuhause zu bleiben, da beide Eltern
arbeiten müssen. In dieser Szene verabschiedet sich zunächst seine Mutter von ihm und
verlässt anschließend die Wohnung. Für das Kind beginnen schlimme Stunden des
Wartens, an die sich der Erwachsene wohl bis heute gut erinnern kann:

Sie zögerte, seufzte, warf mir einen besorgten Blick zu, schüttelte den Kopf, murmelte
etwas, das ich nicht verstand. Dann zog sie die Tür hinter sich zu. Ich hörte, wie ihre
Schritte am Gang und auf der Stiege verhallten.

Die erste halbe Stunde gehe ich in der Wohnung auf und ab. Das Haus ist voller Leute,
es kann mir nichts geschehen. Immerfort wiederhole ich diesen Satz. Dann mache ich
schnell meine Hausaufgaben, schaue auf die Uhr: es ist halb drei. (Vertlib 2012b:61;
Hervorh. im Orig.)

Brief- und Dialogsegmente, Gedichte

Ein weiteres Hauptcharakteristikum des Romans ist die Verwendung von Brief- und
Dialogsegmenten bzw. direkter Rede im Erzähltext. Während Briefsequenzen nur im ersten
und im neunten Kapitel vorkommen, ist der restliche Erzähltext oftmals mit Dialogen
gespickt, was die Handlung erneut zu einer lebendigen macht, die Erinnerungen
gegenwärtiger erscheinen lässt und die Leseerfahrung abwechslungsreicher gestaltet. Die
Briefabschnitte, die immer wieder durch den Erzähltext aus der Ich-Perspektive
unterbrochen werden, sind in Kursiv abgedruckt, um sich vom Rest zu unterscheiden. Die

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Dialogsegmente werden, wie bei direkter Rede üblich, durch Interpunktionszeichen
markiert, sind ansonsten aber äußerlich nicht weiter gekennzeichnet.

Neben den Briefteilen enthält das Buch außerdem gedichtähnliche Elemente, die ebenfalls
optisch vom Text durch einen Absatz und Kursivdruck vom restlichen Text getrennt
dargestellt werden. So singt die Mutter dem Jungen zur Beruhigung zum Beispiel ein „altes
russisches Wiegenlied“ (ibid.:31) vor:

Wenn an einem neuen Ort du schlafen gehst, mein Kind,


schlaf, schlaf ein geschwind;
träumst du heute Nacht von deiner Braut,
wird der neue Ort dir bald vertraut. (Ibid.; Hervorh. im Orig.)

Humor und Ironie

Der Roman Zwischenstationen zeichnet sich außerdem durch seinen Humor und die immer
wieder zum Ausdruck kommende Ironie aus. Ein großer Teil der Geschichte wird aus der
Sicht und mit der Naivität eines kleinen Jungen erzählt. Oftmals muss sich der Ich-Erzähler
als Kind über das Verhalten der Erwachsenen wundern. Auch als junger Mann erzählt er
das Geschehene aus dem unschuldigen Blickwinkel eines kleinen Jungen. Dies gestaltet
den Text ausgesprochen unterhaltsam und lässt die LeserInnen schmunzeln.

Ein gutes Beispiel für eine solche Stelle im Buch liefert die Szene, in der die Familie gerade
am Bahnhof in Amsterdam angekommen ist. Ein fremder Mann bedrängt den Vater mit
einem billigen Zimmerangebot. Als der Mann auch dann nicht aufhört, auf den Vater
einzureden, als dieser deutlich ablehnt, beschimpft ihn der Vater auf Russisch, sodass er
sie schlussendlich in Frieden lässt. Aus der Perspektive des kleinen Jungen schildert der
Autor die Situation wie folgt:

»You come with me, I show you. Really good place. Only twenty guilders per night.«

Vater stand auf und sagte einen langen Satz auf Russisch, in dem die Mutter des
Angesprochenen nicht besonders gut wegkam. Ich war erstaunt darüber, daß Vater die
Mutter dieses mir völlig fremden Menschen kannte und mit ihr Eigentümliches vorhatte.
Aber ich hatte es schon lange aufgegeben, mich über Vaters Verhalten zu wundern.
(Ibid.:89)

Auch die Ironie ist ein Werkzeug, wessen sich der Autor des Romans gerne bedient. In
Abschnitten, in denen Ironie zum Ausdruck kommt, wird oftmals die unterschwellige Kritik
des Autors an der österreichischen Gesellschaft und Bürokratie merkbar. Ein Beispiel dafür
ist eine Textstelle, in der der Junge beschreibt, dass er den Intelligenztest bestanden hat,

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der ihm als Ausländer erst ermöglicht, ein Gymnasium als ordentlicher Schüler zu
besuchen:

Die Befürchtungen der Eltern bewahrheiteten sich nicht. Nach einiger Zeit wurden
meine Schulnoten besser. Der Intelligenztest attestierte mir ganz offiziell die
notwendige Befähigung, ein Gymnasium zu besuchen, und die Deutschprüfung war bei
der mir geneigten Lehrerin ohnehin eine Formsache. (Ibid.:170)

In diesem Absatz bringt der Autor die seiner Meinung nach fehlende Objektivität im
österreichischen Schulsystem zum Ausdruck, da er nur Aufgrund seiner Herkunft einen
Intelligenztest bestehen muss und nur wegen eines guten Eindrucks, den er einmal bei der
Lehrerin hinterlassen hatte, von dieser bevorzugt behandelt wird.

Verwendung unterschiedlicher Sprachen

Ein Hauptaspekt jedoch, der das Buch zu dem macht, was es ist, nämlich zu einem Werk
mit einerseits internationaler und andererseits authentisch österreichischer Atmosphäre, ist
die Verwendung von fremdsprachigen, jiddischen und dialektal geprägten Ausdrücken, die
die Begegnung mit fremden, andersartigen Kulturen markiert, welche in Werken mit
Migrationsthematik vermehrt anzutreffen ist.

Dieses stilistische Hauptmerkmal des Romans tritt in den unterschiedlichsten Formen auf.
Zum einen mischt der Autor immer wieder dialektale Aussprüche in die Dialoge, die oftmals
der vulgären Umgangssprache zuzuordnen sind, wie zum Beispiel der Ausruf: „Halt endlich
die Papp’n, sonst tusch i‘ da aane“ (ibid.:62), der von einem genervten Nachbarn stammt,
der den aus Angst vor dem Allein-Sein schreienden Jungen so zum Schweigen bringen will.
Ebenso trifft man auf andere umgangssprachliche Ausdrücke, wie „Gassi gehen“ (ibid.:55)
oder „Fetzen“ (ibid.:70), womit ein Putzutensil gemeint ist.

Auch von ÖsterreicherInnen hin und wieder verwendetes, vereinfachtes Deutsch, das sie
im Gespräch mit AusländerInnen benützen, findet in manchen Dialogen Verwendung: „Du
über Glas sprühen! Dann wischen! Wenn du drücken Knopf: Bssst! Knopf drücken, macht
bssst! […]“ (ibid.:71), sagt die „Chefputzfrau“ (ibid.) zur Mutter des Jungen, als sie ihr die
Verwendung eines Putzmittels erklären will.

Ebenso findet man österreichisch geprägtes Englisch, wie man es typischerweise in


Durchsagen der Österreichischen Bundesbahnen hören kann: „Läjdieß änd Schäntlmään,
wie will schoatli bi erreiwing et Linz“ (ibid.:295), was zur besonderen Erheiterung der
Leserschaft beiträgt und einen hohen Wiedererkennungswert für jene Menschen birgt, die
in Österreich schon einmal mit dem Zug gefahren sind.

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Durch das gesamte Buch hindurch stoßen die LeserInnen immer wieder auch auf
hebräische Begriffe, wie „Kippa“ (ibid.: 278) und jiddische Ausdrücke wie „Mischpoche“
(ibid.:270) oder „Parnusse“ (ibid.).

In dem Kapitel, in dem die Familie in den Niederlanden ihr Glück versucht, trifft man
außerdem manchmal auf holländische Wörter. So verwendet der Junge, der kein
Holländisch spricht, gerne den Satz „Ik begrijp U niet“ (ibid.:79), um dem Gegenüber seine
mangelnde Sprachkompetenz zu erklären.

Hin und wieder stößt man auch auf Russisches, was wohl als Hinweis auf die Herkunft des
Protagonisten zu verstehen ist. Er erwähnt zum Beispiel, dass ihn seine Nachbarin an die
„Baba Jaga“ (ibid.:52), die Hexe aus den russischen Märchen erinnert, die ihm seine Mutter
immer vorliest. Auch von einer „Schtschi“ (ibid.:44; Hervorh. im Orig.), einer russischen
Kohlsuppe, ist die Rede.

Ein weiterer Aspekt, der das Buch interessanter macht, ist auch das italienisch
ausgesprochene Russisch, das manche Einheimischen in Ostia verwenden, wenn sie einen
der vielen Flüchtlinge aus der Sowjetunion, die dort auf ein amerikanisches Visum warten,
mit „dobri den“ begrüßen und mit „dosvidania“ (ibid.:139) verabschieden.

Im Kapitel, in dem die Familie versucht, in New York eine Aufenthaltsgenehmigung zu


bekommen, wird in einem Dialog ein vom Englischen stark beeinflusstes Deutsch
verwendet, womit der Autor wohl die Authentizität des Gesagten steigern möchte:

„»O.K. also«, keucht Mrs. Berkin, »aber jetzt muß ich weg, muß mit der Subway in die
Stadt. Dieser verdammte Cohen hat sein Office in Manhattan. […] Und das Appointment
hat er für 2 p.m. angesetzt, bei dieser Affenhitze. Crazy ist das.«“ (Ibid.:213f.)

Auffallend ist, dass einige der fremdsprachigen, jiddischen oder hebräischen Begriffe und
Ausdrücke erklärt werden, andere wiederum nicht. Manche ergeben sich aus dem Kontext.
Das im Roman enthaltene Niederländisch zum Beispiel ist mit etwas Phantasie für die
österreichische Leserschaft zu verstehen. Auch mit dem Englischen verhält es sich ähnlich.
Die fehlende Erklärung bei einigen Fachausdrücken und Fremdwörtern deutet darauf hin,
dass der Autor Vladimir Vertlib von einem bestimmten Bildungsniveau der LeserInnen
ausgeht, ein bestimmtes Allgemeinwissen voraussetzt.

Um diese gesondert zu betonen, sind viele der Ausdrücke in Kursiv gehalten. Nicht immer
handelt es sich bei diesen in Kursiv abgedruckten Wörtern aber um Fremdwörter. Auch
wenn der Autor gewöhnlichen Wörtern einen gewissen Nachdruck verleihen will, werden

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diese kursiv geschrieben, zum Beispiel: „jüdischer Staat“ (ibid.:46; Hervorh. im Orig.) oder
„wahre Heimat“ (ibid.:40; Hervorh. im Orig.).

2.5 Die russische Übersetzung: Остановки в пути


Der Roman Zwischenstationen wurde zehn Jahre nach seiner Erstausgabe in Österreich –
im Jahre 2009 – in seiner russischen Übersetzung Verlag Symposium in St. Petersburg
veröffentlicht. Die Übersetzung umfasst 463 Seiten und wurde von der Übersetzerin Vera
Achtyrskaja angefertigt. In der Rezension des aus Russland stammenden und seit 20
Jahren in Deutschland lebenden Dichters und Autoren Oleg Jurjew (vgl. Buchmesse Blog
2012) fällt die Kritik zu Vertlibs Zwischenstationen durchaus positiv aus. Jurjew hält den
Wert des Buches für unschätzbar für das Selbstverständnis der ehemals sowjetischen
intellektuellen Elite, zu der er sich selbst zählt. Vertlibs Werk gibt dieser intellektuellen Elite
seiner Meinung nach die Möglichkeit, sich selbst von außen zu betrachten, indem sie sich
im Charakter des Vaters, der rastlos auf der Suche nach einem utopisch idealen Ort für
seine Familie ist, wiedererkennen:

Отчетливость и предельная выраженность этой мании правоты в личности отца


из «Остановок в пути» делает эту книгу бесценной для нашего самопонимания […]

Die Deutlichkeit und die maximale Ausgeprägtheit dieser Selbstgerechtigkeitsmanie in


der Persönlichkeit des Vaters aus «Zwischenstationen» macht dieses Buch
unschätzbar wertvoll für unser Selbstverständnis […] (Jurjew 2009)

Laut Jurjew grenzt sich das Werk Vertlibs in ihrer Unermüdlichkeit und Erbarmungslosigkeit,
mit der er der russischsprachigen Bildungsschicht den Spiegel vorhält, von anderen
europäischen AutorInnen, die wie Vertlib aus der ehemaligen Sowjetunion stammen und in
ihrer Kindheit ausgewandert sind, im positiven Sinne ab.

Поэтому перевод его книги на русский язык вещь не только не бессмысленная, но,
убежден, важная и нужная, приносящая важное и нужное знание.

Deshalb ist die Übersetzung seiner Bücher in die russische Sprache nicht nur nicht
sinnlos, sondern ich bin überzeugt, dass sie wichtig und notwendig ist, dass sie
wichtiges und notwendiges Wissen mit sich bringt“ (Ibid.).

Und obwohl ihm die deutsche Originalversion von Zwischenstationen besser gefällt als die
russische, lässt er wenig Negatives an der Übersetzung, die er für durchaus gut befindet.
Seiner Meinung nach hat diese Übersetzung dieselben Fehler, die bei keiner Übersetzung
ausbleiben: die Verschiebung der Blickwinkel, die Unterschiede in der Betonung und die
Veränderung des Verhältnisses zwischen Unerklärbarem und Selbstverständlichem (vgl.
ibid.).
38
2.5.1 Der Symposium Verlag

Der unabhängige, private Verlag Symposium wurde 1994 gegründet und publiziert
hauptsächlich allgemeingeisteswissenschaftliche Literatur. Unter den Veröffentlichungen
finden sich vor allem ausländische AutorInnen, deren Werke der Verlag von ausgewählten
ÜbersetzerInnen ins Russische übertragen lässt. Namen wie Vladimir Nabokov, James
Joyce, Umberto Eco, Elfriede Jelinek, Peter Høeg, Yukio Mishima oder Robert Irwin werden
mit dem Symposium Verlag in Verbindung gebracht (vgl. Symposium [2014a]).

Symposium veröffentlicht Bücher in Reihen mit Themenschwerpunkten. Der 2009 in St.


Petersburg herausgegebene Roman Остановки в пути (Zwischenstationen) erschien im
Rahmen der Reihe „Австрийская библиотека в Санкт-Петербурге“ („Österreichbibliothek
in St. Petersburg“). Ebenso in dieser Reihe erschienen die ins Russische übersetzen
Romane der österreichischen AutorInnen Andrea Grill (Das Schöne und das Notwendige),
Gerhard Roth (Der stille Ozean), Peter Rosei (15000 Seelen), Radek Knapp (Herrn Kukas
Empfehlungen) und Gert Jonke (Geometrischer Heimatroman) (vgl. Symposium [2014b]).

Seit 2007 existiert eine neue Sparte des Verlags, die durch die Verlags- und
geisteswissenschaftliche Agentur Alexandria verwirklicht wird. Der Schwerpunkt dieser
Sparte liegt auf der Veröffentlichung von Sachliteratur, fremdsprachigen Büchern und in der
Verwirklichung von Kino- und Fernsehprojekten (vgl. Symposium [2014a]).

2.5.2 Die Übersetzerin Vera Achtyrskaja

Vera Nikolaevna Achyrskaja wurde am 30. Oktober 1970 geboren. Nach dem 1993
abgeschlossenen Studium der Literaturwissenschaft an der philologischen Fakultät der
Sankt Petersburger Staatlichen Universität (SPbGU) schrieb sie eine Dissertation mit dem
Thema Rainer Maria Rilkes Spätlyrik. Probleme der Poetik und erlangte damit 2002 den
Doktortitel. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit und der Teilnahme an Konferenzen im
In- und Ausland arbeitet sie außerdem als Assistentin am Lehrstuhl für Deutsch der SPbGU.
Zu ihren bisherigen Übersetzungen zählen neben Vladimir Vertlibs Zwischenstationen zum
Beispiel Daniel Kehlmanns Beerholms Vorstellung (2003) oder Gerhard Roths Der stille
Ozean (2011) (vgl. Russischer Germanistenverband [2014] und Österreich-Bibliotheken
[2014]).

39
3. Paratextanalyse
Die im vorliegenden Kapitel durchgeführte Paratextanalyse, deren Vergleichsobjekte die
1999 erschienene Erstausgabe des bei Deuticke erschienen Romans Zwischenstationen
von Vladimir Vertlib und die 2009 von Symposium veröffentlichte Ausgabe des Romans in
russischer Sprache sind, soll unter anderem Aufschluss darüber geben, wie unterschiedlich
der österreichische und der russische Literaturmarkt sind. Des Weiteren deutet die
Paratextanalyse darauf hin, für welche Zielgruppen die Verlage den Roman angedacht
haben. Auch Schlüsse über den unterschiedlichen Blickwinkel auf die Migrationsthematik
der beiden Zielgruppen kann man aus dieser Analyse ziehen. Im Endeffekt sollte aber vor
allem bereits ein Teil der Frage beantwortet werden, die die vorliegende Masterarbeit zu
beantworten versucht: Welchen Einfluss hat der durch Globalisierung, Migration und in der
Folge Hybridisierung veränderte Kulturbegriff auf den Literaturmarkt im Allgemeinen und
die Literaturübersetzung im Speziellen? Zunächst folgt eine Einführung ins Thema, im
Rahmen welcher der Begriff Paratext erklärt wird.

3.1 Begriffserklärung
„Paratext“ ist ein vom französischen Literaturwissenschaftler Gérard Genette geprägter
Begriff und beschreibt jenen Teil eines Buches, der unabhängig vom Inhalt eines Werkes
bei den LeserInnen einen Eindruck hinterlässt (Genette 2001:9f.).

Ein literarisches Werk besteht ausschließlich oder hauptsächlich aus einem Text […]
Dieser Text präsentiert sich jedoch selten nackt, ohne Begleitschutz einiger gleichfalls
verbaler oder auch nicht-verbaler Produktionen […] Der Paratext ist also jenes Beiwerk,
durch das ein Text zum Buch wird und als solches vor die Leser und, allgemeiner, vor
die Öffentlichkeit tritt. Dabei handelt es sich weniger um eine Schranke oder eine
undurchlässige Grenze als um eine Schwelle […] (Ibid.)

Als Paratexte bezeichnet Genette all das, was LeserInnen bereits wahrnehmen, bevor sie
das Buch gelesen haben, das heißt, was sie bewerten, ohne dabei die Qualität des
Gelesenen mit in Betracht zu ziehen. Die Aufmachung, das äußere Erscheinungsbild, das
Format eines Buches, Illustrationen und Fotographien, Informationen über die
VerfasserInnen von Werken, die Reihenfolge dieser Informationen oder eventuelle
Anmerkungen, etc. – dies alles beeinflusst die KonsumentInnen eines Buches positiv oder
negativ (vgl. ibid.).

Hinter dieser Wirkung steht eine ganz bestimmte Absicht, das heißt, jedes Element des
Paratextes unterliegt einer gewissen Funktion, die im Endeffekt nur der Wahrnehmung des

40
eigentlichen Buchtextes dient. Die „Stimmigkeit (oder Unstimmigkeit), die sich aus der
Komposition des gesamten Paratextes rund um einen Text ergibt“ (ibid.:19) lässt sich aber
keineswegs auf einer allgemeinen Ebene bestimmen, sondern nur in Form einer
„Einzelanalyse“ (ibid.:18f.) eines konkreten literarischen Werkes feststellen (vgl. ibid.).

Paratexte treten von Buch zu Buch in den unterschiedlichsten Formen auf und weisen bei
ihrer Erscheinung demnach keine Systematik auf. Wenn zum Beispiel, das eine Buch über
ein Vorwort verfügt, so hat das nächste möglicherweise keines usw. (vgl. ibid.:11).

Ebenso wie sich die Aufmachung von literarischen Werken mit der Zeit verändert, so macht
im selben Maße auch die Erscheinungsform des Paratextes eine Veränderung durch. Aber
auch als es noch keinen Buchdruck gab und die Texte mündlich oder in abgeschriebener
Form die RezipientInnen erreichten, konnte man bereits von der Existenz von Paratexten
sprechen:

[…] denn das bloße Abschreiben – aber auch die mündliche Weitergabe – verschaffen
der Idealität des Textes eine schriftliche oder lautliche Materialisierung, die sich […]
paratextuell auswirken kann. In diesem Sinne läßt sich gewiß behaupten, daß es keinen
Text ohne Paratext gibt oder je gegeben hat. (Ibid.:11)

Bei der Untersuchung des Paratextes eines Buches unterscheidet Genette zwischen
„Peritext“ und „Epitext“ (ibid.:12; Hervorh. im Orig.). Mit Peritext bezeichnet er alles jenes,
was sich „im Umfeld des Textes, innerhalb ein und desselben Bandes […]“ (ibid.) befindet.
Sein Blick fällt dabei auf den Buchumschlag, den Buchtitel, Anmerkungen im Fließtext oder
Überschriften etc. Der Epitext hingegen beschreibt Material, welches zwar mit dem Buch in
engem Zusammenhang steht, jedoch nicht Teil jenes Gegenstandes ist, der vor einem auf
dem Tisch liegt, wenn man ein Buch liest. In Genettes Worten lautet die Erklärung für
Epitext wie folgt:

Immer noch im Umfeld des Textes, aber in respektvoller (oder vorsichtigerer)


Entfernung finden sich alle Mitteilungen, die zumindest ursprünglich außerhalb des
Textes angesiedelt sind: im allgemeinen in einem der Medien (Interviews, Gespräche)
oder unter dem Schutz privater Kommunikation (Briefwechsel, Tagebücher und
ähnliches). (Ibid.)

Ein wichtiger Aspekt des Peritextes ist der „verlegerische Peritext“ (ibid.:22; Hervorh. im
Orig.), was sich auf jenen Teil des Buches bezieht, für den der Verlag die Verantwortung
trägt. Das Format, die Gestaltung des Schutzumschlags und der Titelseite und auch die
Anzahl der veröffentlichten Auflagen – all das fällt in den Zuständigkeitsbereich des
Verlegers bzw. des Verlags und ist somit Teil des verlegerischen Peritextes.

41
Der Epitext eines Buches lässt sich einerseits in einen „öffentlichen Epitext“ (ibid.:328) und
andererseits in einen „privaten Epitext“ (ibid.:354) einteilen. Letzterer unterscheidet sich
dadurch vom öffentlichen Epitext, dass

[…] zwischen dem Autor und dem eventuellen Publikum ein primärer Adressat
eingeschoben ist […], der nicht als bloßer Mittelsmann […] aufgefasst wird, sondern als
durchaus vollwertiger Adressat, an den sich der Autor um seiner selbst willen wendet,
und sei es auch mit dem Hintergedanken, das Publikum nachträglich zum Zeugen
dieser Aussprache zu machen. (Ibid.:354)

Da der Epitext der beiden Werke bereits in den vorangehenden Kapiteln ausreichend
diskutiert wurde, nimmt sich die vorliegende Paratextanalyse ausschließlich die
Untersuchung der Peritexte, im Besonderen der verlegerischen Peritexte zum Ziel.

3.2 Analyse der Paratexte


Auf den ersten Blick weisen Original und Übersetzung in ihrer äußeren Erscheinung große
Unterschiede auf und es lässt sich lediglich eine Gemeinsamkeit festmachen: Beide Bücher
wurden mit festem Einbanddeckel herausgegeben, was im Englischen als „hardcover“
(Genette 2001:25; Hervorh. im Orig.) bezeichnet wird und das Gegenteil von „paperback“
(ibid.; Hervorh. im Orig.) ist. Letzteres bedeutet so viel wie Taschenbuchausgabe.
Vermutlich wurden beide in dieser Form veröffentlicht, da dies vor allem bei Erstausgaben
üblicherweise so gehandhabt wird.

An dieser Stelle sei zu erwähnen, dass die deutsche Originalversion von Vertlibs
Zwischenstationen im Jahre 2012 mittlerweile vom Deutschen Taschenbuchverlag als
Taschenbuchversion veröffentlicht wurde und dies schon der erste Hinweis auf ein
größeres LeserInnenpublikum im deutschen Sprachraum bzw. einer erfolgreichen
Erstausgabe ist. Eine Auflage in Taschenbuchformat ist ein sicheres Zeichen dafür, dass
ein literarisches Werk in Form einer „Neuausgabe“ (ibid.:27) erneut in ein Verlagsprogramm
aufgenommen wurde. Genette ist überzeugt, dass „ […] die Taschenbuchausgabe […]
sicher lange Zeit als Krönung gelten [wird]“ (ibid.).

Kehrt man zum ersten Eindruck zurück, dann fällt als allererstes sofort der
Größenunterschied der beiden Formate ins Auge. Während die deutschsprachige
Erstausgabe Abmessungen von ca. 14x21,5 cm aufweist, so misst die Ausgabe der
russischen Übersetzung nur ca. 11,5x17,5 cm. Auch in der Verarbeitung der beiden Bücher
lassen sich erhebliche Unterschiede feststellen. Die deutsche Version verfügt über einen
Schutzumschlag und ein Lesezeichen aus Stoff, während die russische Übersetzung nur
einen festen Einbanddeckel aufweist. Auch in der Papierqualität sind auf Anhieb

42
Diskrepanzen erkennbar, denn die Seiten des deutschsprachigen Romans sind deutlich
dicker und griffiger, wohingegen die Seiten der russischen Ausgabe aus dünnerem,
hellerem Papier bestehen.

3.2.1 Die Titelseite

Die Titelseiten von Original und Übersetzung könnten im Vergleich nicht unterschiedlicher
sein. Auf den ersten Blick erweist sich nicht nur das Format als ein großes
Unterscheidungsmerkmal, auch das Titelbild bzw. die dadurch vermittelten Eindrücke
ähneln sich in keiner Weise.

Abbildung 1: Titelseite Schutzumschlag des Abbildung 2: Titelseite des Umschlags der


deutschsprachigen Originals russischen Übersetzung

Wie man auf den Abbildungen 1-2 deutlich erkennen kann, handelt es sich bei beiden
Titelseiten um Fotografien, die sich aber in den Punkten Motiv, Farbgebung und
Schriftgröße des Buchtitels stark voneinander abheben.

Auf der Titelseite der deutschsprachigen Erstausgabe des Romans (Abbildung 1) ist ein
Foto in Schwarz-Weiß abgebildet, das eine Häuserflucht zweier Hochhäuser zeigt.
Zwischen den beiden Gebäuden, deren Zwischenraum einen schmalen Innenhof bildet,

43
sieht man zwei Burschen, die aufeinander zulaufen, sich möglicherweise im gemeinsamen
Spiel befinden oder sich zumindest nicht fremd sind. Dass der eine Junge einen
stockähnlichen Gegenstand in den Händen hält, bestärkt einerseits die Vermutung, dass
sie miteinander spielen, eröffnet aber andererseits eine weitere Möglichkeit – nämlich die,
dass zwischen den Burschen ein Kampf stattfindet.

Oben zwischen den beiden Häusern sieht man den durch die schwarz-weiße Optik hellgrau
anmutenden Himmel. In diesem Zwischenraum auf dem Himmel sind zuerst der Name des
Autors, Vladimir Vertlib, darunter in roten Lettern und auf zwei Zeilen aufgeteilt der Buchtitel,
Zwischenstationen, und wiederum darunter das literarische Genre, Roman, abgebildet. Der
Name des Autors und die Angabe des Genres sind in Schwarz gehalten. Die Bezeichnung
des Verlags findet man in grauen Buchstaben in der unteren linken Ecke der Titelseite.

Durch das gewählte Farbkonzept wirkt die Titelseite des deutschsprachigen Originals alles
in allem sehr trist und trostlos. Hinzu kommt, dass der Innenhof, der ohnehin keine sehr
großzügigen Abmessungen aufweist, durch eine abgrenzende Wand und eine dahinter
aufsteigende Häuserfront noch einengender wirkt und so ein wenig an ein Gefängnis
erinnert. Die Tatsache, dass der kleine Innenhof nur aus Beton, Metall und Pflastersteinen
besteht, unterstützt die kalte Stimmung und den traurigen Eindruck der Fotografie.

Für potentielle LeserInnen in einem Buchgeschäft, denen der Inhalt des Romans noch
vollkommen fremd ist, besteht keine offensichtliche logische Verbindung zwischen dem
Titel „Zwischenstationen“ und der abgebildeten Fotografie. Dennoch lassen sich die
paratextuellen Elemente auf dem Titelbild zu einer möglichen Schlussfolgerung verbinden:
Die schwarz-weiße Fotografie könnte auf eine Situation in der Vergangenheit hindeuten.
Die Häuser bzw. der triste Zustand jener symbolisiert möglicherweise Armut oder
Mittellosigkeit. Der Titel weist darauf hin, dass die im Buch enthaltene Geschichte durch
mehrere Stationen führt. Die beiden Burschen lassen erahnen, dass die Geschichte in der
Kindheit eines eventuell männlichen Protagonisten beginnt.

Hat man das Buch gelesen, erschließt sich einem allerdings ein weitaus klareres Bild und
man kann erahnen, welcher Aspekt des Inhalts beim Design des Titelbilds für den Verlag
im Mittelpunkt stand. Zentraler Anhaltspunkt scheint das MigrantInnenschicksal des
Protagonisten und seiner Familie im Roman zu sein, das dem kleinen Jungen eine von
Mittellosigkeit und Ausweglosigkeit geprägte Kindheit beschert.

Die Titelseite der russischen Übersetzung (Abbildung 2), die den Titel Остановки в пути
trägt, übermittelt auf Anhieb einen komplett anderen Eindruck als das deutschsprachige
Original. Die auf der Titelseite abgebildete Fotografie zeigt einen Ausschnitt eines Zimmers,

44
das vermutlich ein Schlafzimmer ist, da man das Fußende eines Bettes erkennen kann. Im
Hintergrund ist eine Wand zu sehen, die mit einer opulenten Blumentapete versehen wurde.
Daneben ist ein weißer Spitzenvorhang zu erkennen, der das durch das Fenster strömende
Tageslicht ein wenig dämpft. Den Großteil der Abbildung auf der Titelseite nimmt allerdings
ein riesiger, brauner Koffer ein, der sich sowohl über die Titelseite als auch über die
Rückseite des Buches erstreckt. Der Koffer liegt geöffnet auf einem Gegenstand, der an
eine Holztruhe erinnert. Er ist mit einem geblümten Futter aus Stoff ausgestattet, dessen
Muster ein wenig an die Tapete im Hintergrund erinnert. Aufgrund einiger erkennbarer
Abnutzungsspuren, wie zum Beispiel ein abgerissener, lederner Trageriemen, erschließt
sich einem die Vermutung, dass der Koffer bereits ein in die Jahre gekommenes Exemplar
ist.

Teilt man die Titelseite von oben nach unten in vier gleiche Teile, so findet man im zweiten
Viertel in gelben Lettern zuerst den Namen des Autors, Владимир Вертлиб, darunter in
durchscheinenden, größeren Buchstaben den Titel des Buches, Остановки в пути, und
anschließend der Name des Verlags, Symposium, in silberfarbenen Großbuchstaben des
lateinischen Alphabets abgebildet.

Das Farbkonzept der russischen Übersetzung ist zwar im Gegensatz zum


deutschsprachigen Original nicht in Schwarz-Weiß gehalten, erinnert aber durch die
gelbliche Färbung der Fotografie ebenfalls an etwas, das in der Vergangenheit liegt. Anders
als die in Abbildung 1 gezeigte Titelseite, vermittelt die Titelseite in Abbildung 2 nicht
unbedingt Traurigkeit und Trostlosigkeit, sondern macht einen beinahe nostalgischen
Eindruck, der sich sogar positiv interpretieren ließe.

Geht man wieder von potentiellen LeserInnen in einer Buchhandlung aus, könnten sie unter
Verbindung des Buchtitels mit der am Titelbild erkennbaren Abbildung folgende Schlüsse
über den noch unbekannten Inhalt des Romans machen: Der Titel, der wörtlich aus dem
Russischen übersetzt „Stationen am Weg“ bedeutet, erinnert an eine Reise. Dieser
Eindruck wird vom geöffneten, noch ungepackten Koffer unterstützt. Die vergilbte Farbe der
Titelfotografie lässt erahnen, dass die Reise in der Vergangenheit stattgefunden hat – ob
sie von positivem oder negativem Charakter war, ist nicht erkennbar.

Den Inhalt kennend, lassen sich allerdings Mutmaßungen anstellen, die eventuelle
Intentionen des Verlags bei der Gestaltung des Buchumschlags bzw. die für den Verlag
zentralen Aspekte des Inhalts offenlegen könnten: In der russischen Ausgabe von Vladimir
Vertlibs Roman steht – anders als in der deutschsprachigen Originalversion – der
permanente Aufbruch der nach der idealen Heimat suchenden Familie im Vordergrund. Der
geöffnete Koffer könnte außerdem die fehelende Beständigkeit bzw. das Leben-aus-dem-

45
Koffer symbolisieren. Im Mittelpunkt des russischen Titelbilds stehen ganz klar die Reise
und möglicherweise sogar das damit verbundene Abenteuer. Im Gegensatz zum
deutschsprachigen Titelbild vermittelt diese Fotografie keinen derart tristen Eindruck.

3.2.2 Die Rückseite

Abbildung 3: Rückseite Schutzumschlag des Abbildung 4: Rückseite Umschlag der


deutschsprachigen Originals russischen Übersetzung

Betrachtet man die Rückseite beider Exemplare, so lassen sich auch hier wenige
Gemeinsamkeiten feststellen. Die Rückseite des Schutzumschlags der deutschsprachigen
Originalversion (Abbildung 3) besteht aus rotem Papier, auf dem neben ISBN-Nummer und
Magnetcode im unteren, linken Eck außerdem ein kurzer Abschnitt aus dem Romantext
abgedruckt ist, der zur besseren Sichtbarkeit an dieser Stelle wiederholt wird:

Ich dachte manchmal, ich sei in Israel, dann wieder, ich sei in Rußland, bis ich verstand,
daß beides stimmte. Das Haus war ein Teil Israels und Rußlands, der sich in einer
fremden Welt namens Wien befand. Keine Frage: die Welt war wie eine Anzahl von
Schachteln aufgebaut, die ineinanderpaßten. (Vertlib 2012b:31)

46
Die Darstellung dieser Textstelle erinnert aufgrund seiner verkürzten Zeilen und des
stufenartigen Einzugs an ein Gedicht. Allerdings nimmt dieses Zitat aus dem Roman nur
das obere Drittel der gesamten Rückseite ein, wodurch der Großteil jener aus einer leeren
Fläche besteht.

Der zur Verfügung stehende Platz auf der Rückseite des russischen Umschlags hingegen
(Abbildung 4) wurde vollkommen ausgenutzt. Ganz oben befindet sich ein in weißen
Buchstaben abgedrucktes „Ö“, welches als Symbol für den darunter stehenden Namen der
Serie, unter der das Buch beim Symposium Verlag erschien, zu verstehen ist:
„Österreichbibliothek in Sankt-Petersburg“. Nach dem Magnetcode folgen der Buchtitel und
der Name des Autors in deutscher Sprache, wobei das Design letzterer Elemente ebenso
gehandhabt ist, wie auf der Titelseite. Anschließend findet man Informationen über den
Autor und sein Werk, die aus Gründen der Lesbarkeit an dieser Stelle wiederholt werden:

Владимир Вертлиб родился в 1966 г. в Ленинграде и в пятилетнем возрастре


уехал вместе с родителями на Запад. С 1981 г. Живет в Зальцбурге, публикуется
с 1993 г. Автор повести 'Высылка' (1995), романов 'Особая память Розы Мазур'
(2001), 'Последнее желание' (2003), сборника 'Мой первый убийца' (2006).

Роман 'Остановки в пути‘ (1999) – почти автобиографическое повествование о


судьбе семьи советских евреев-эмигрантов, пытающихся обрести пристанище в
разных странах мира (Израиль, Италия, Голландия, США, Австрия), но
вынужденных вновь и вновь покидать очередную ‘промежуточную станцию'.

Vladimir Vertlib wurde 1966 in Leningrad geboren und emigrierte gemeinsam mit den
Eltern im Alter von fünf Jahren in den Westen. Seit 1981 lebt er in Salzburg; seit 1993
arbeitet er als Schriftsteller. Er ist der Autor der Erzählung ‚Abschiebung‘ (1995), der
Romane ‚Das besondere Gedächtnis der Rosa Masur‘ (2001) und ‚Letzter Wunsch‘
(2003) und des Sammelbandes ‚Mein erster Mörder‘ (2006).

Der Roman ‚Zwischenstationen‘ (1999) ist eine beinahe autobiographische Geschichte


über das Schicksal einer sowjetisch-jüdischen Emigrantenfamilie, die versucht, Zuflucht
in verschiedenen Ländern der Welt zu finden (Israel, Italien, Holland, USA, Österreich),
aber immer wieder gezwungen ist, die nächste ‚Zwischenstation‘ zu verlassen.

3.2.3 Informationsangebot der Umschläge

Da die deutschsprachige Version über einen Schutzumschlag und somit außer der Titel-
und Rückseite noch über zwei Klappen verfügt, bietet sie beinahe doppelt so viel
Projektionsfläche für Informationen zu Roman und Autor. Der Verleger kann es sich so
mitunter auch leisten, den Großteil der Rückseite mit einer leeren Fläche zu versehen.

47
Die russische Übersetzung des Romans hingegen besitzt ausschließlich zwei
Umschlagseiten, die für eventuelle Informationen zur Verfügung stehen, da die inneren
Umschlagseiten üblicherweise – und so auch in diesem Fall – „stumm“ bleiben (vgl. Genette
2001:30). Hinzu kommt, wie bereits erwähnt wurde, das kleinere Format.

Wie man in den Abbildungen 5 und 6 erkennen kann, wurde der Platz auf den Innenklappen
des Schutzumschlags der deutschsprachigen Ausgabe genutzt, um potentiellen
LeserInnen einen Überblick des Inhalts und einen Einblick in die Biographie des Autors zu
gewähren.

Abbildung 5: Innenklappe Schutzumschlag des Abbildung 6: Innenklappe 2 Schutzumschlag


deutschsprachigen Originals des deutschsprachigen Originals

Um zu verdeutlichen, wie unterschiedlich die Blickwinkel auf das Thema des Romans und
die Biographie des Autors in der Ausgangskultur des Originals und der Zielkultur der
Übersetzung sind, wird der Text der Innenklappen (Abbildung 5) an dieser Stelle wiederholt:

Eine Urne in einer Plastiktüte fällt während einer Straßenbahnfahrt in St. Petersburg zu
Boden, ein jüdisches Kind bekommt ein Zigarettenetui mit einer Landkarte des
Großdeutschen Reiches als Geschenk, ein altes russisches Ehepaar schleppt ein Bett
vom Sperrmüll durch die Straßen von New York.

48
Vladimir Vertlib erzählt die Geschichte von den Irrwegen einer russisch-jüdischen
Familie auf dem Weg in die erhoffte Freiheit. Die Stationen der Reise sind Wien, Israel,
Holland, Italien, die USA und abermals Wien, wo die Familie, einem Bumerang gleich,
immer wieder landet. Während die einzelnen Etappen meist überraschend komisch und
grotesk enden, gleichen sich Fremdheitserfahrungen in den „Zwischenstationen“.

Authentisch und exemplarisch dokumentiert Vladimir Vertlibs Buch Vergangenheit und


Gegenwart jüdischer Geschichte. Mit dem genauen Blick für die Wechselfälle des
Lebens und Sterbens entfaltet der Roman die skurrilen Episoden einer jüdischen
Familiensaga. Der Erzähler wird zum Chronisten von oft erschreckend traurigen, oft
absurd witzigen Überlebensgeschichten.

Auf der zweiten Innenklappe (Abbildung 6) findet sich neben einem Foto des Autors in
Schwarz-Weiß eine Kurzbiographie desselben:

VLADIMIR VERTLIB, geboren 1966 in Leningrad, dem heutigen St. Petersburg,


emigrierte 1971 mit seiner Familie nach Israel, von 1972 bis 1980 ‚Odyssee‘ durch
Europa, Israel und die USA, seit 1981 in Österreich. Studium der Volkswirtschaftslehre
in Wien, lebt seit 1993 als freier Schriftsteller, Sozialwissenschaftler und Übersetzer in
Salzburg und Wien. Zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitungen und
Literaturzeitschriften, 1995 erschien als erste Buchpublikation die Erzählung
‚Abschiebung‘.

Die Informationen über den Roman einerseits und den Autor andererseits sind sichtlich
separat angeführt und erfahren so eine deutliche Trennung voneinander. Da in den
deutschen Umschlagtexten außerdem gänzlich auf das Wort „autobiographisch“ verzichtet
wurde, kann man davon ausgehen, dass darauf Wert gelegt wurde, den Zusammenhang
zwischen Vertlibs Leben und seinem Roman auszublenden, um den fiktiven Charakter der
Geschichte hervorzuheben.

Anders die russische Ausgabe: Hier wird die Reihenfolge geändert und noch vor dem Inhalt
wird den potentiellen LeserInnen eine Kurzbiographie des Autors geboten (siehe Abbildung
4). Anschließend wird in einem Satz kurz und bündig der Inhalt des Romans umrissen und
auf die autobiographische Motivation der Geschichte hingewiesen, was den Eindruck
vermittelt, dass dies für den russischen Verleger offensichtlich eine größere Rolle spielt als
für den österreichischen.

3.3 Schlussfolgerungen
Die Untersuchung der Paratexte der beiden Versionen von Vladimir Vertlibs Roman
Zwischenstationen hat auf der einen Seite das bestätigt, was auf den ersten Blick

49
offensichtlich ist: Dass sich beide Bücher äußerlich stark voneinander unterscheiden. Auf
der anderen Seite können der Paratextanalyse aber auch weniger augenscheinliche
Ergebnisse entnommen werden. Die vorliegende Untersuchung gibt Auskunft über die
unterschiedlichen Blickwinkel, aus denen an die Veröffentlichung dieses Romans
herangegangen wurde und liefert Informationen über die unterschiedlichen
Interpretationsweisen zweier Kulturen.

An den Diskrepanzen in den Punkten Format und Verarbeitung, Papierqualität,


Vorhandensein eines Schutzumschlags und Lesezeichens etc. lässt sich ablesen, dass für
die Verwirklichung der Erstausgabe des Romans beim bekannten Deuticke Verlag
höchstwahrscheinlich ein größeres Budget zur Verfügung stand als für die Veröffentlichung
der russischen Übersetzung beim Symposium Verlag. Auf ebendiese Vermutung weist
außerdem die Tatsache hin, dass der Schutzumschlag der deutschsprachigen Version eine
beinahe leere Rückseite aufweist, was „wie jeder Akt der Verschwendung, ein Zeichen von
Prestige“ (Genette 2001:32) ist.

Die Titelseiten bilden jeweils eine Szene aus dem Roman ab: Das Titelbild der
deutschsprachigen Version erinnert an den Innenhof des russischen Schlosses in der
Brigittenau, in dem die von Israel enttäuschten jüdischen EmigrantInnen auf die
Rückkehrerlaubnis in die Sowjetunion warten. Einer der Jungen könnte der Ich-Erzähler
sein, da man weiß, dass er Brillenträger ist. Der zweite Junge soll möglicherweise dessen
Freund Viktor darstellen, den er bereits in Israel kennengelernt und in Wien wiedergetroffen
hat. Ein weiterer Hinweis, der darauf hindeutet, dass es sich beim Titelbild um diese Szene
handelt, ist der Textausschnitt auf der Rückseite des Buches, der demselben Kapitel
entnommen wurde.

Die russische Titelseite ist weniger leicht zuzuordnen. Da es sich bei der Abbildung um
einen geöffneten, ungepackten Koffer handelt, könnte er eine unbestimmte Abreise, eine
weitere Zwischenstation, die verlassen wurde, einen beliebigen Aufbruch symbolisieren.
Der abgerissene Henkel deutet darauf hin, dass es sich um den Koffer des Protagonisten
handelt, da er im letzten Kapitel erwähnt, dass er auf seiner Reise von Wien nach Salzburg
mit einem solchen Exemplar zu kämpfen hat.

Die ungleiche Art der Gestaltung der beiden Ausgaben weist darauf hin, wie unterschiedlich
die beiden Verlage die Geschichte der jüdischen Emigrantenfamilie aus Russland
wahrgenommen haben. Die österreichische Ausgabe von Zwischenstationen stellt das
unstete, mittellose Dasein als MigrantIn und das Dazwischen-Sein in den Mittelpunkt.

Die russische Ausgabe des Symposium Verlags hingegen lässt viel


Interpretationsspielraum offen. Beim ersten Anblick kommt möglicherweise sogar das

50
Gefühl der Abenteuerlust in einem auf. Sieht man jedoch genauer hin, wird diese positive
Stimmung vom mitgenommenen Zustand des Koffers wieder gedämpft und plötzlich
erkennt man, dass der Koffer bereits auf einigen Reisen gewesen ist, dass er vielleicht
seinen Dienst bereits getan hat. Das Leben als Reise und die dabei gesammelten
Erfahrungen werden vom Titelbild der russischen Ausgabe hervorgehoben.

Die Tatsache, dass beide Ausgaben biographische Angaben zum Autor des Romans
beinhalten, könnte bedeuten, dass der Migrationshintergrund desselben für beide Verlage
von Wichtigkeit erschien. Möglicherweise war die Intention dahinter aber auch nur jene, den
Autor vorzustellen.

Zusammenfassend kann jedoch gesagt werden, dass der Blick auf die Titelbilder eine
jeweils völlig andere Geschichte dahinter vermuten lässt. Es scheint, als wollten die Verlage
zwei gänzlich unterschiedliche Romane verkaufen.

51
4. Übersetzungsanalyse nach Juliane House
Die im vorliegenden Kapitel vorgenommene Übersetzungsanalyse wird nach einem Modell
von Juliane House durchgeführt. Das Modell zur Qualitätsbewertung von Übersetzungen
wurde von ihr 1976 als Dissertation an der Universität Toronto, Kanada, eingereicht und im
Jahr darauf vom Gunter Narr Verlag veröffentlicht. Da es im Laufe der Jahre von vielen
Seiten kritisiert wurde und auch House selbst fand, dass es Zeit war, das ursprüngliche
Modell zu überdenken, wurde im Jahre 1997 von demselben Verlag eine überarbeitete
Version herausgegeben (vgl. House 1997:VII).

Ebendieses Modell wird im folgenden Teil vorgestellt und erklärt, wobei sogleich darauf
hingewiesen wird, dass die vorliegende Masterarbeit nicht zum Ziel hat, Bewertungen
vorzunehmen bzw. Kritik an einer Übersetzung zu üben, sondern lediglich einen Vergleich
zwischen zwei Texten anstellen möchte, um die in der Einleitung gestellten Fragen zu
beantworten.

4.1 Translation Quality Assessment: a model revisited


Das Modell zur Evaluierung von Übersetzungen von Juliane House basiert auf
pragmatischen Theorien des Sprachgebrauchs und ist darauf ausgerichtet, die
sprachlichen, situationsbedingten, kulturellen Besonderheiten des Ausgangstexts und des
Zieltexts zu vergleichen und aus den Übereinstimmungen auf eine Bewertung der
Übersetzung zu schließen (vgl. ibid.:29). Letzteres wird aber in der vorliegenden
Beschreibung des Modells nicht behandelt, da – wie oben erwähnt – der Punkt der
Bewertung und Kritik in der vorliegenden Masterarbeit nicht im Fokus des Interesses steht.

House’s Modell knüpft an Hallidays systemisch-funktionale Theorien, an Entwicklungen, die


aus der Prager Schule hervorgegangen sind und an weitere Theorien zu Register, Stilistik
und Diskursanalyse an (vgl. ibid.). Auch Elemente aus Chrystal und Davy’s
Kategoriesystem für Registeranalysen kamen im Rahmen ihres Modells zum Einsatz (vgl.
ibid.:107).

Eine große Rolle in diesem Modell wird der Textfunktion zuteil, die sich je nachdem, ob es
sich um eine „overt“ oder eine „covert“ (ibid.) Übersetzung handelt, unterschiedlich darstellt.
Eine ausführliche Erklärung der beiden Begriffe erfolgte bereits unter Kapitel 1.3.2, wird
aber zur besseren Verständlichkeit kurz wiederholt: Bei overt translation handelt es sich um
eine offensichtliche Übersetzung, also eine Übersetzung, die sich als solche zu erkennen
gibt. Covert translation bezeichnet eine verdeckte Übersetzung, die vorgibt, selbst ein
Original zu sein. Die Funktion einer offensichtlichen Übersetzung ist es, den LeserInnen der

52
Zielsprache den Zugang zur Originalfunktion des Ausgangstexts zu ermöglichen, das heißt
Ausgangstext und Zieltext können bei dieser Art der Übersetzung in ihrer Funktion nicht
äquivalent sein: „[…] in overt translation only a ‘second level function‘ can be reached
because the translation embeds the text in a new speech event, which gives it also a new
frame“ (ibid.:112; Hervorh. im Orig.). Die Funktion einer verdeckten Übersetzung hingegen
ist es, die Originalfunktion des Ausgangstextes im sprachlichen Kontext der Zielkultur
nachzuahmen (vgl. ibid.:29).

Die Unterscheidung zwischen den beiden Übersetzungstypen wird im Rahmen des Modells
nach der Analyse und der Evaluierung des Ausgangstextes vorgenommen (vgl. ibid.:111).

Zuerst erfolgt jedoch die Analyse des Ausgangstextes. Während die Textanalyse ihres
ursprünglichen Modells rein auf der Ebene des Registers durchgeführt wurde, entschied
sich House in ihr neues Modell auch die Ebene des Genres miteinzubeziehen (vgl.
ibid.:105). Das von Juliane House 1995 überarbeitete Modell besteht also insgesamt aus
vier Ebenen: Individuelle Textfunktion, Genre, Register und Sprache/Text. Auf der Ebene
Register wird die Analyse des Ausgangstextes außerdem auf drei Kategorien aufgespaltet:
Die drei Kategorien werden als „FIELD“, „TENOR“ und „MODE“ bezeichnet (vgl. ibid.:108).
Zur Veranschaulichung wird das Modell an dieser Stelle schematisch dargestellt:

INDIVIDUAL TEXTUAL FUNCTION

REGISTER GENRE
(Generic Purpose)

FIELD TENOR MODE


Subject matter Participant relationship - medium
and social action - author’s provenance (simple/complex)
and stance - participation
- social role relationship (simple/complex)
- social attitude

LANGUAGE/TEXT

Abbildung 7: Schematische Darstellung des Modells zur Analyse und zum Vergleich von Original
und Übersetzung nach Juliane House (ibid.:108)

53
House beginnt ihre Analyse des Ausgangstextes auf der Ebene des Registers: „Register,
i.e., functional language variation, refers to what the context-of-situation requires as
appropriate linguistic realizations in a text“ (ibid.:105), was bedeutet, dass es möglich ist,
auf dieser Ebene zu überprüfen, inwiefern das Inhaltliche sprachlich umgesetzt wurde und
mit dem situationsbedingten Kontext in Zusammenhang steht.

Dazu wird der Ausgangstext zuerst in der Kategorie FIELD darauf untersucht, welcher Art
die Handlung ist, was im Text vor sich geht, bzw. was das Thema oder den Inhalt des Textes
darstellt (vgl. ibid.:108). Wenn nötig bzw. wenn sich hier Auffälligkeiten feststellen lassen,
die sich unterstützend für die Analyse in diesem Punkt erweisen, werden unter jeder der
drei Register-Kategorien außerdem Besonderheiten unter den verwendeten Wort-, Satz-
und Textmitteln notiert und beschrieben (vgl. ibid.:122).

Anschließend wird die Textanalyse in der Kategorie TENOR weitergeführt, die sich darauf
bezieht, wie sich die TeilnehmerInnen der konkreten Kommunikationssituation zueinander
verhalten. Hier soll festgestellt werden, wie sich die Beziehung zwischen AutorIn und
LeserIn sprachlich manifestiert. Auch die Herkunft, der persönliche Standpunkt in
intellektueller und emotionaler Hinsicht und die Haltung bzw. Absicht der AutorInnen spielen
hier eine Rolle. House teilt diese Kategorie in einige Unterpunkte ein, die aber in der
vorliegenden Masterarbeit nicht zur Anwendung kommen, weshalb auf jene an dieser Stelle
nicht näher eingegangen wird (vgl. ibid.:108f.).

In der dritten und letzten Kategorie der Ebene Register, die als MODE bezeichnet wird, folgt
die Untersuchung des Textes auf den verwendeten Kanal, also ob der Text als gesprochen
oder geschrieben gelesen werden sollte (vgl. ibid.:109). Am Beispiel eines Kinderbuches
lässt sich dies wie folgt erklären: Der Text ist geschrieben und sollte so vorgelesen werden
als wäre er nicht geschrieben, sodass das zuhörende Kind das Gefühl hat, als würde der
oder die VorleserIn die Geschichte in dem Moment erfinden, in dem sie vorgelesen wird
(vgl. ibid.:124). Diese Kategorie beinhaltet außerdem den Grad an Partizipation der im Text
vorkommenden oder nicht vorkommenden GesprächspartnerInnen. Dabei ist die
Partizipation zum Beispiel als simpel zu bezeichnen, wenn ein Monolog vorliegt, oder als
komplex, wenn mehrere GesprächspartnerInnen innerhalb des Textes miteinander
kommunizieren (vgl. ibid.:109).

Die neu eingeführte Ebene und gleichzeitig auch Kategorie des GENREs definiert House
wie folgt:

[…] genre is a socially established category characterized in terms of occurence of use,


source and a communicative purpose or any combination of these. Inside my model,

54
genre might serve as a category linking register (which realizes genre) and the individual
textual function (which exemplifies genre). (Ibid.:107)

Das heißt, diese Kategorie stellt die Verbindung zwischen der Analyse auf der Ebene
Register und dem anschließend durchgeführten „Statement of Function“ (ibid.:125), in dem
die Funktion des Ausgangstextes erläutert wird, dar. Unter GENRE wird beschrieben,
welchem Genre der Text angehört und welche Erwartungen daran geknüpft sind. Dabei
wird insbesondere auf die Besonderheiten des Genres in der Ausgangskultur eingegangen,
in der das Original auf die LeserInnen trifft (vgl. ibid.).

Als nächsten Schritt führt House diese ausführliche Textanalyse am Zieltext bzw. an der
Übersetzung durch und stellt im Rahmen dieser in den untersuchten Kategorien einen
Vergleich an, der schließlich „mismatches“ (ibid.:126), also Diskrepanzen zwischen den
beiden Texten aufdecken soll, was in weiterer Folge zur Aufzählung von eventuellen
„Errors“ (ibid.:130; Hervorh. im Orig.) und letztendlich zum abschließenden „Statement of
Quality“ (ibid.) führt.

4.2 Angepasstes Analysemodell


Um die Fragen beantworten zu können, die in der Einleitung der vorliegenden Masterarbeit
gestellt wurden, muss das Analysemodell ein wenig abgewandelt und angepasst werden.
Im Folgenden werden die verwendeten Analyseebenen bzw. –kategorien aufgezählt und
kurz erläutert.

Ebenso wie bei Juliane House besteht der Hauptteil der Analyse sowohl des Ausgangs- als
auch des Zieltextes aus einer Textanalyse auf der Ebene des Registers. Auch die erste
Kategorie FIELD, die Aufschluss über den Inhalt der jeweiligen Textstelle geben soll, wird
beibehalten.

Die zweite Analysekategorie, die von House als TENOR bezeichnet wird, stellt für die
Untersuchung der vorliegenden Masterarbeit die wichtigste dar. In dieser Kategorie soll,
ähnlich wie bei House, herausgefunden werden, inwiefern die jeweilige Textstelle die
Grundhaltung, Meinung und Intention des Autors widerspiegelt und welche Botschaft der
Autor den die LeserInnen zwischen den Zeilen vermitteln will, bzw. wie sich im Endeffekt
die Beziehung zwischen LeserInnen und Autor darstellt. Hier wird die Kategorie insofern
abgewandelt, als dass sie ein wenig spezifischer als diejenige von House ist. Dies ist
notwendig, um die für einen Roman, der zum Phänomen Migrationsliteratur zu zählen ist,
besonderen sprachlichen Eigenheiten herauszufiltern und das Original mit der Übersetzung
vergleichen zu können.

55
Als dritte Analysekategorie wird die des MODE beibehalten, in der ebenso wie bei House
sowohl Medium als auch Partizipation festgestellt werden.

Die Ebene und gleichzeitig Kategorie des GENREs entfällt, weil in der folgenden Analyse
nicht zuerst der Text als Ganzes, sondern einzelne Textabschnitte nacheinander untersucht
werden, um so auf ein Ergebnis bezüglich des Gesamttextes zu schließen. Demnach würde
die Untersuchung jeder analysierten Textstelle in dieser Kategorie zum selben Resultat
führen.

Der im Modell von Juliane House enthaltene nächste Schritt der Beschreibung der
individuellen Textfunktion entfällt hier, da diese bereits in der Kategorie TENOR in Form der
Intention des Autors miteinfließt.

4.3 Analyse
Unter 2.4 wurden bereits die Sprach- und Stilmittel aufgezählt und beschrieben, die den
Roman Zwischenstationen charakterisieren. Die vorliegende Analyse konzentriert sich
jedoch hauptsächlich auf jene Textabschnitte, deren Besonderheit die Verwendung
unterschiedlicher Sprachen darstellt.

Der erste Textabschnitt, der untersucht wird, beschreibt eine Szene, in welcher der Ich-
Erzähler mit einem seiner Nachbarn in Wien in Kontakt tritt. Den Nachbarn stört das
lautstarke Geheule des Jungen, der zum ersten Mal allein zuhause ist und dabei panische
Angst hat.

Ausschnitt 1: Original Ausschnitt 2: Übersetzung

Die Tür zur Nachbarwohnung wird geöffnet. Ein Открывается дверь в соседнюю квартиру.
Mann in Unterhemd, Shorts und Hausschuhen, Выходит человек в майке, шортах и
mit dichten, leicht ergrauten Haaren auf der тапочках, с густой порослью седых волос на
Brust und einer Zigarette im Mundwinkel kommt груди. Не вынимая изо рта сигарету, он
heraus. цедит:

„Was is’n da los?“ schreit er. „Halt endlich die — Ты чего, совсем спятил? А ну заткни
Papp’n, sonst tusch i’da aane.“ пасть, а не то сейчас башку оторву!

Vorsichtshalber mache ich ein paar Schritte На всякий случай немного попятившись, я
Richtung Wohnung, ergreife die Türklinke, вцепляюсь в дверную ручку, чтобы, если
bereit, jeden Augenblick den Rückzug понадобится, спастись бегством.
anzutreten.

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„Meine Eltern sind nicht da, und allein habe ich — Родителей дома нет, а мне страшно, —
Angst“, sage ich schüchtern. робко шепчу я.

„Das ist mir doch wurscht!“ schreit der Mann. — А мне плевать! — кричит сосед, а потом
Und: „Bist du ein Tschusch?“ fragt er. спрашивает:

Ich nicke. (Vertlib 2012b:62) — Ты что — чурка?

Я киваю. (Вертлиб 2009:94)

Rückübersetzung ins Deutsche:

Die Tür zur Nachbarwohnung öffnet sich. Ein Mensch in Unterhemd, Shorts und Hausschuhen,
mit dichtem Nachwuchs grauer Haare auf der Brust kommt heraus. Die Zigarette nicht aus dem
Mund nehmend spricht er durch die Zähne:

— Du bist wohl nicht recht bei Trost? Halt dein Maul, bevor ich dir gleich den Schädel abreiße!

Für alle Fälle ein wenig zurückweichend, klammere ich mich an der Türschnalle fest, um, wenn
nötig, die Flucht zu ergreifen.

— Meine Eltern sind nicht Zuhause, und ich fürchte mich, — flüstere ich schüchtern.

— Darauf scheiß ich! — schreit der Nachbar, dann fragt er:

— Bist du ein Tschurk (abwertende Bezeichnung dunkelhaarige Menschen, die zum Beispiel, aber
nicht nur, aus dem Kaukasus stammen), oder was?

Ich nicke.

Analyse Ausschnitt 1: Original

In der Kategorie FIELD beschreibt Ausschnitt 1 die Erscheinung des Nachbarn, der leger
gekleidet in den Gang tritt, um den lärmenden Jungen zurechtzuweisen, der offensichtlich
seine Mittagsruhe stört. Mit wenig Mitgefühl und Interesse für die Probleme des Jungen
brüllt er ihn an und droht ihm mit Gewalt, falls er nicht aufhört, laut zu heulen. Seine Ausrufe
sind der vulgären österreichischen Umgangssprache zuzuordnen. Der Junge ist
offensichtlich irritiert von der ablehnenden und aggressiven Art des Nachbarn und macht
sich deshalb bereit, jederzeit wieder in der Wohnung verschwinden zu können. Er erklärt
seinem Gegenüber dennoch schüchtern seine Situation, stößt aber auf kein Verständnis.
Anschließend wird das Kind gefragt, ob es Ausländer ist, wobei das dafür verwendete Wort
„Tschusch“ äußerst feindlicher und herablassender Natur ist. Der Junge stimmt wortlos zu.

In der Kategorie TENOR ist erkennbar, welche Grundhaltung des Autors in dieser Textstelle
mitschwingt. Er – einst selbst Migrant – hat in Österreich vermutlich öfter mit den negativen
Reaktionen und Vorurteilen der Bevölkerung AusländerInnen gegenüber kämpfen müssen,

57
oder die Situation entstammt gar seiner eigenen Erinnerung. In dieser Szene verkörpert der
Nachbar vor allem aufgrund seiner äußeren Erscheinung und seiner Sprache vermutlich
den typischen österreichischen „Proleten“, der mangels Bildung gezwungen ist, ein
einfaches Leben zu führen und aus seiner Abneigung Fremden gegenüber keinen Hehl
macht. Möglicherweise ist der Nachbar auch arbeitslos; vielleicht arbeitet er aber auch in
einem Schichtbetrieb, da er zu Mittag offensichtlich Zuhause ist.

In dieser Textstelle ist die Kritik des Autors an der österreichischen Gesellschaft
herauszulesen. Diese Kritik zieht sich durch den gesamten Roman. In Ausschnitt 1 will der
Autor den LeserInnen klarmachen, dass in Österreich offen gelebter Rassismus existiert,
der auch nicht vor hilflosen, unschuldigen Kindern Halt macht. Der Autor erwartet von den
LeserInnen, dass sie sich der Existenz von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Land
bewusst sind und womöglich eine Sensibilität dafür entwickeln, um letztendlich Vorurteile
abbauen zu können.

In der Kategorie MODE ist feststellbar, dass der Text einerseits geschrieben ist, um gelesen
zu werden, da der Haupttext einen Monolog darstellt. Andererseits ist er auch geschrieben,
um als gesprochen gelesen zu werden, da sich die PartizipantInnen im Dialog miteinander
befinden. Das Medium in diesem Fall ist demnach komplex. Auch die Partizipation ist eine
komplexe, da sich Dialog und Monolog abwechseln.

Analyse Ausschnitt 2: Übersetzung

Bei der Untersuchung von Ausschnitt 2 in der Kategorie FIELD fällt auf, dass die
beschriebene Situation ein beinahe gleiches Bild wie in Abschnitt 1 liefert. Ein kleiner
Unterschied ist in der Art zu erkennen, in der sich der Nachbar an den Jungen wendet: Im
deutschen Original „schreit“ er und im Russischen „spricht er durch die Zähne“. Außerdem
verhält sich der Junge im Original schüchtern; in der Übersetzung flüstert er zusätzlich.
Ansonsten sind die beiden Textstellen inhaltlich beinahe ident. Genau wie im Deutschen
wird der Junge auch im Russischen auf abwertende Weise gefragt, ob er Ausländer ist.

Die Untersuchung der Übersetzung in Ausschnitt 2 in der Kategorie TENOR liefert die
Erkenntnis, dass auch hier die Grundhaltung des Autors in dem Maße erkennbar ist, dass
der Nachbar ein unfreundlicher Rassist ist, der keinerlei Verständnis für Kinder hegt. Auch
der abwertende, russische Begriff „Tschurk“ entspricht sowohl bedeutungstechnisch als
auch phonetisch dem im Österreichischen existierenden Schimpfwort „Tschusch“, entführt
die russischsprachigen LeserInnen aber in den falschen Kulturkreis, da auch die Handlung
der Übersetzung in Österreich stattfindet und das negativ behaftete Wort „Tschusch“ hier
am ehesten mit ZuwanderInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien verbunden wird. Das

58
russische „Tschurk“ hingegen wird tendenziell für Menschen verwendet, die zum Beispiel
aus dem Kaukasus stammen.

Auch den russischsprachigen LeserInnen wird die Existenz von Fremdenfeindlichkeit in


dieser Textstelle vor Augen geführt und auch sie sind gefordert, einen
Bewusstseinsprozess zu beginnen.

In der Kategorie MODE stimmen Ausschnitt 1 und 2 vollkommen überein.

Das zweite Textfragment, das untersucht wird, hat ebenfalls mit den sprachlichen
Eigenheiten der österreichischen Kultur zu tun. Im folgenden Abschnitt erklärt die
Arbeitgeberin – in diesem Fall die „Chefputzfrau“ (Vertlib 2012b:71) – der Mutter, die selbst
als Putzfrau in einem großen Unternehmen arbeitet, den Umgang mit einem Putzutensil.

Ausschnitt 3: Original Ausschnitt 4: Übersetzung

Eines Tages ist Fensterputzen angesagt, und В один прекрасный день объявлено мытье
die Chefputzfrau holt eine Sprühdose, auf der окон: госпожа главная уборщица приносит
Glücklichsauber steht, öffnet den Verschluß: аэрозольный баллончик с надписью »Чисто-
„Du über Glas sprühen! Dann wischen! Wenn люкс-плюс«, снимает колпачок и поучает
du drücken Knopf: Bssst! Knopf drücken, macht маму:
bssst! Ja? So funktioniert das! Zuerst sprühen,
— Это на стекло распылить! Потом
dann wischen! Ja?“
вытереть! Когда ты кнопку нажимать, бз-з-з!
„Ich verstehe“, sagt Mutter, die in Rußland Кнопку нажала, оно бз-з-з! Поняла или нет?
Physik und Mathematik studiert hat. „Ich weiß, Сначала распылить, потом вытереть!
wie man mit so was umgeht. Danke.“ Sie
— Понятно, — говорит мама. Она в России
lächelt. (Ibid.)
окончила физмат. — Я знаю, я умею.
Спасибо.

Мама улыбается. (Вертлиб 2009:107)

Rückübersetzung ins Deutsche:

An einem wunderschönen Tag wird Fensterputzen angekündigt: Die Frau Chefputzfrau bringt ein
Sprühdöschen mit der Aufschrift »Luxussauber-Plus«, nimmt die Abdeckung ab und belehrt
Mama:

— Das auf Glas sprühen! Dann abwischen! Wenn du Knopf drücken, bs-s-s! Knopf gedrückt, es
macht bs-s-s! Verstanden oder nicht? Zuerst sprühen, dann abwischen!

— Verstanden, — spricht Mama. Sie hat in Russland ihr Studium an der Fakultät für Physik und
Mathematik abgeschlossen. — Ich weiß, ich kann das. Danke.

59
Mama lächelt.

Analyse Ausschnitt 3: Original

In der Kategorie FIELD beschreibt diese Szene aus dem Buch, wie die Vorgesetzte der
Mutter in vereinfachtem, aber grammatikalisch fehlerhaftem Deutsch die Handhabung mit
einer Sprühdose erklärt. Die Mutter hört geduldig zu, um dann schließlich zu bestätigen,
dass sie das System verstanden hat und generell weiß, wie man mit einer Sprühdose
umgeht. In einem Nebensatz erfährt man, dass die Mutter in Russland Physik und
Mathematik studiert hat. Als Antwort auf die Erklärungen der Putzfrau reagiert die Mutter
des Jungen mit einem Lächeln.

Betrachtet man die genannte Textstelle in der Kategorie TENOR, so ist wieder eine ähnliche
Grundhaltung des Autors wie in Ausschnitt 1 zu erkennen. Zwischen den Zeilen ist hier
Ironie zu lesen. Die Tatsache, dass die Mutter über eine höhere, universitäre Ausbildung
verfügt und Befehle von einer vermutlich weniger gebildeten Frau entgegen nehmen muss,
deutet bereits auf das Ungleichgewicht im Verhältnis der beiden hin. Dass diese Frau zu
allem außerdem so tut, als wäre ihr Gegenüber nicht bei vollem Verstand, indem sie
vereinfachtes „Ausländerdeutsch“ verwendet, da sie denkt, es wäre leichter zu verstehen,
und ihr einen einfachen Putzvorgang ausführlich erklärt, ist erneut ein Hinweis darauf, dass
es MigrantInnen in der österreichischen Realität nicht leicht haben. Vertlib nutzt diese Stelle
abermals, um den LeserInnen bewusst zu machen, dass Xenophobie ein Phänomen der
österreichischen Gesellschaft ist, denn die herablassende Art, mit der die Chefputzfrau ihre
MitarbeiterInnen behandelt, ist ein prototypisches Merkmal ebendieser Gesellschaft.

Ein weiterer Punkt, der für Schmunzeln bei den LeserInnen sorgt, ist die Bezeichnung
„Chefputzfrau“, mit der sich der Autor über die „Betitelungssucht“ der ÖsterreicherInnen
lustig macht. Möglicherweise existierte diese Betitelung damals tatsächlich. Im heutigen
Kontext erscheint sie aber eher lächerlich und übertrieben.

In der Kategorie MODE lässt sich erneut die Abwechslung von Monolog- und
Dialogsegmenten feststellen, was heißt, dass das Medium auch dieses Mal als komplex zu
bezeichnen ist. Aus demselben Grund ist auch die Partizipation der im Buch teilnehmenden
Figuren eine komplexe.

Analyse Ausschnitt 4: Übersetzung

Die Untersuchung der Übersetzung dieser Textstelle liefert in der Kategorie FIELD
geringfügige Abweichungen zum Ausschnitt 3. Der Tag, an dem die Fenster geputzt werden

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sollen, ist im Russischen ein „wunderschöner“. Des Weiteren verspricht das in der
Übersetzung kleiner gehaltene „Sprühdöschen“ kein „Glück“, wie im Deutschen, sondern
„Luxus“. Dass die Mutter im Russischen ausdrücklich „belehrt“ wird, bewirkt keinen
besonderen Unterschied zum deutschen Original, denn auch dort ist durch den Kontext
erkennbar, dass die Chefputzfrau die Mutter in herablassender Weise instruiert. Die
Verwendung der Vorsilbe „ab-“ bei dem Wort „abwischen“ allerdings, stellt eine klare
Diskrepanz zum Original dar, da dort absichtlich einfache Wörter verwendet wurden, um
das von ÖsterreicherInnen oftmals verwendete „Ausländerdeutsch“ auszudrücken. Die
ungleiche sprachliche Darstellung der universitären Ausbildung im Deutschen und im
Russischen liegt an den unterschiedlichen Bildungssystemen der Ausgangs- und der
Zielkultur.

In der Kategorie TENOR ist auch im Russischen die Grundhaltung des Autors und dessen
Kritik an der österreichischen Gesellschaft herauszulesen. Auch im Russischen sind die
von der Chefputzfrau verwendeten Befehle grammatikalisch falsch und recht einfach,
obwohl – wie in der Kategorie FIELD festgestellt wurde – bereits ein wenig spezifischer
dargestellt. Die im Original enthaltene Ironie ist aufgrund der Erwähnung des
Ausbildungsgrades der Mutter auch im Russischen erkennbar. Durch die Bezeichnung des
Tages als „wunderschön“ wird sie in diesem Fall sogar verstärkt.

Auch die Betitelung der Chefputzfrau findet im Russischen durch die Voranstellung des
Wortes „Frau“ Erwähnung, womit auch für die russischsprachigen LeserInnen
herauszulesen ist, dass sich in Österreich viele Menschen – vor allem im Beamtentum –
gerne und ausgiebig mit Titeln schmücken.

In der Kategorie MODE stimmen die Ausschnitte 3 und 4 erneut komplett überein.

Der dritte Teil der Analyse beschäftigt sich ebenfalls näher mit der österreichischen
Sprachkultur. Die untersuchte Textstelle wurde einem Kapitel entnommen, in dem die
Familie erneut in Österreich lebt. Um das Gymnasium besuchen zu können, muss der
Junge einen Intelligenztest ablegen. Unter seiner Begeisterung für die Baustellen und
Stadtbahnen Wiens, der er unter der Schulbank auch während des Unterrichts frönt, leidet
sowohl sein Notendurchschnitt als auch das Ansehen bei den LehrerInnen, die ihn als
Ausländer ohnehin lieber in der Hauptschule sähen. Seine Eltern machen sich große
Sorgen und wünschen sich die bestmögliche Ausbildung für ihr Kind.

Ausschnitt 5: Original Ausschnitt 6: Übersetzung

61
Die Befürchtungen der Eltern bewahrheiteten Опасения родителей не подтвердились.
sich nicht. Nach einiger Zeit wurden meine Постепенно мои отметки улучились. Тест на
Schulnoten besser. Der Intelligenztest интеллектуальные способности официально
attestierte mir ganz offiziell die notwendige удостоверил, что я могу учиться в гимназии,
Befähigung, ein Gymnasium zu besuchen, und а экзамен по немецкому при такой
die Deutschprüfung war bei der mir geneigten снисходительности учительницы и вообще
Lehrerin ohnehin eine Formsache. Von den стал простой формальностью. Из учителей
Lehrern konnte mich nur der Turnlehrer nicht меня недолюбивал один физкультурник. На
sonderlich gut leiden. In einer der ersten одном из первых занятий он меня спросил,
Stunden hatte er mir, wohl wegen des hörbaren из-за славянского акцента, наверное:
slawischen Akzents, die Frage gestellt: „Bist du
— Ты что, югослав, или вроде того?
Jugoslawe, oder was?“
— Вроде того, — выпалил я.
„Ich bin das Oder Was“, antwortete ich. Noch
До сих пор горжусь своим остроумным
heute bin ich stolz auf diese schlagfertige
ответом, а тогда над ним хохотал весь класс.
Antwort, die in der Klasse einen Lacher
Но, понятно, учитель после этого ко мне
verursachte. Doch die Zuneigung meines
лучше относиться не стал. Особо
Lehrers hatte ich dadurch nicht gewonnen.
спортивным я никогда не был, и теперь по
Besonders sportlich war ich nie gewesen, und
физре у меня тройки чередовались с
nun schwankten die Turnnoten zwischen
двойками. (Вертлиб 2009:258)
„befriedigend“ und „genügend“, aber das war
mir egal. (Vertlib 2012b:170; Hervorh. im Orig.)

Rückübersetzung ins Deutsche:

Die Befürchtungen meiner Eltern bewahrheiteten sich nicht. Allmählich verbesserten sich meine
Noten. Der Test meiner intellektuellen Fähigkeiten bestätigte offiziell, dass ich das Gymnasium
besuchen kann, und die Deutschprüfung wurde durch die außergewöhnliche Nachsicht der
Lehrerin überhaupt zu einer reinen Formalität. Von den Lehrern konnte mich einzig der Turnlehrer
nicht besonders gut leiden. In einer der ersten Stunden fragte er mich – wegen des slawischen
Akzents wahrscheinlich:

— Bist du etwa Jugoslawe, oder so was?

— So was, — platzte ich heraus.

Bis heute bin ich stolz auf meine geistreiche Antwort, über die damals die ganze Klasse laut lachte.
Der Lehrer behandelte mich jedoch danach verständlicherweise nicht besser. Besonders sportlich
war ich nie gewesen, und nun bekam ich abwechselnd Dreier und Zweier im Turnen.

Analyse Ausschnitt 5: Original

62
In der Kategorie FIELD stellt diese Textstelle einen Ausschnitt aus dem Schulalltag des
Jungen dar, der gerade sowohl einen Intelligenztest abgelegt als auch die nötige
Deutschprüfung bestanden hat, sodass er weiterhin das Gymnasium besuchen darf. Da ihn
die Deutschlehrerin besonders mag, sieht er das Bestehen der Deutschprüfung als „reine
Formsache“ an. Die LehrerInnen in der Schule scheinen ihn alle zu mögen, bzw. hat er mit
den meisten keine Probleme. Einzig der Turnlehrer ist ihm nicht sonderlich zugeneigt. Der
Junge erinnert sich an eine der ersten Stunden, in welcher er vom Turnlehrer gefragt wurde,
ob er denn Jugoslawe, „oder was“ sei. Der Junge vermutet, dass ihm wegen seines
slawischen Akzents diese Frage gestellt wurde. Schlagfertig antwortet er daraufhin, er sei
das „Oder Was“, worauf er noch als Erwachsener stolz ist. Die ganze Klasse amüsiert sich
darüber. Jedoch hat diese Antwort keinen positiven Einfluss auf das Verhältnis zwischen
Lehrer und Schüler, weshalb der ohnehin nicht besonders sportliche Junge sich mit Noten
zwischen „befriedigend“ und „genügend“ zufrieden geben muss, was ihm gleichgültig ist.

Die Grundhaltung des Autors wird in der Kategorie TENOR untersucht. Vertlib macht sich
unterschwellig über die Tatsache lustig, dass der Ich-Erzähler als Ausländer, als Fremder
einen Intelligenztest bestehen muss, um das Gymnasium besuchen zu dürfen. Mit den
Worten „attestierte“, „offiziell“, „Befähigung“ und „Formalität“ betont er den bürokratischen
Charakter des österreichischen Schulsystems. Man hat das Gefühl, zwischen den Zeilen
eine leise Kritik des Autors erkennen zu können und bemerkt gleichzeitig seine Zweifel an
der Sinnhaftigkeit der für AusländerInnen verpflichtend abzulegenden Prüfungen.

An der Art, wie der Turnlehrer den Jungen nach seiner Herkunft fragt, ist unübersehbar,
dass er sich nicht besonders darüber freut, jemanden aus einem anderen Kulturkreis unter
seinen SchülerInnen begrüßen zu dürfen. Das vom Turnlehrer verwendete, sehr
österreichische „oder was“ signalisiert einerseits Unsicherheit, weil er noch nicht weiß,
woher der Junge kommt, denn er legt sich mit diesen Worten nicht fest. Andererseits ist
diese Formulierung auch ein Zeichen für demonstratives Desinteresse. Allenfalls gerät der
Lehrer aber dadurch in Verlegenheit, dass der Junge diese beiden Worte wiederverwendet
und somit dessen Unsicherheit und Schwäche in den Vordergrund stellt. Vermutlich wurden
diese Worte vom Lehrer unbewusst als Füllphrase verwendet. Der Junge stellt ihn damit
vor der gesamten Klasse bloß.

Auch hier steht zum wiederholten Male die tendenzielle Fremdenfeindlichkeit der
österreichischen Gesellschaft im Mittelpunkt. Auf amüsante Weise macht sich der Autor in
dieser Textstelle über das Schubladendenken der ÖsterreicherInnen lustig.

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In der Kategorie MODE handelt es sich beim Medium erneut um ein komplexes, da auch in
diesem Ausschnitt sowohl Dialogelemente als auch Monologteile vorhanden sind. Aus
demselben Grund ist auch die Partizipation als komplex zu benennen.

Analyse Ausschnitt 6: Übersetzung

Die Untersuchung der übersetzten Textstelle liefert in der Kategorie FIELD im Russischen
ebenso einen Ausschnitt aus dem österreichischen Schulalltag des Jungen. Auch die
russischsprachigen LeserInnen erfahren, dass der Junge sowohl Intelligenztest als auch
Deutschprüfung bestanden hat und nun im Gymnasium bleiben kann. Genauso haben
seine Noten eine Verbesserung erfahren. Nur aus der Zuneigung der Deutschlehrerin im
Original wurde in der Übersetzung deren „Nachsicht“, hinter welcher allerdings ebenfalls
Zuneigung vermutet werden könnte. Mit den LehrerInnen hat er keine Probleme; einzig die
Gunst des Turnlehrers kann er nicht für sich gewinnen. Der fragt ihn in einer der ersten
Unterrichtsstunden, ob er „Jugoslawe, oder so was“ wäre. Schlagfertig antwortet der Junge
er wäre „so was“, was zwar für Amüsement in der Klasse sorgt, ihm beim Turnlehrer aber
keine Sympathie einbringt. Seine Noten im Turnunterricht schwanken zwischen Dreiern und
Zweiern, was allerdings den österreichischen Noten „befriedigend“ und „genügend“
entspricht, denn das russische Notensystem zählt von oben nach unten, das heißt, je
kleiner die Zahl, desto schlechter die Note. Im deutschen Original sind dem Jungen die
schlechten Noten egal, im Russischen bezieht er keine Stellung dazu.

In der Kategorie TENOR ist auch hier die Ironie des Autors herauszulesen, mit der er vom
bestandenen Intelligenztest spricht. Auch im Russischen wurden Worte verwendet, die den
bürokratischen Charakter dieser Prüfungen hervorheben. Allerdings ist die Kritik des Autors
in der russischen Formulierung nicht im selben Ausmaß erkennbar wie im deutschen
Original.

Was die Äußerung des Turnlehrers betrifft, so lässt sie auch im Russischen erahnen, dass
er nicht besonders erfreut über die von ihm vermutete Herkunft des Schülers ist, könnte
allerdings durch einen positiven Tonfall gänzlich anders interpretiert werden als die
österreichische Variante. Den russischsprachigen LeserInnen bietet sich ein nicht derart
negatives Bild, wie es im Original dargestellt wurde. Hier steht nicht die missbilligende Art
Fremden gegenüber und die gleichzeitige Unsicherheit des Turnlehrers im Zentrum,
sondern einfach die Frage, ob der Junge denn Jugoslawe oder so etwas Ähnliches sei, die
je nach Tonfall positiv oder negativ zu interpretieren wäre. Auch die Antwort des Jungen
verursacht deshalb nicht denselben bloßstellenden Effekt.

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Zwar wird auch dieses Mal im Russischen die Kritik des Autors an der österreichischen
Gesellschaft deutlich, jedoch reicht die Negativität der Botschaft nicht an die des deutschen
Originals heran.

In der Kategorie MODE stimmen beide Ausschnitte überein. Sowohl Medium als auch
Partizipation sind auch in der Übersetzung als komplex zu bezeichnen.

Der vierte untersuchte Ausschnitt aus dem Roman Zwischenstationen handelt von der
Ankunft der Familie in Amsterdam, als die Mutter gerade losgezogen ist, um eine günstige
Unterkunft zu suchen und der Vater solange mit dem Sohn am Bahnhof wartet.
Währenddessen wird ihnen ein billiges Zimmer angeboten.

Ausschnitt 7: Original Ausschnitt 8: Übersetzung

„You want room?“ Ich fuhr hoch, öffnete die — Ю вонт рум¹?
Augen. Der junge Mann, der im Raum auf und
Я вскочил и открыл глаза. Перед нами стоял
ab gegangen war, stand vor uns. „You want
молодой человек, который все это время
room? I have room. Very cheap. Very good.“
расхаживал неподалеку.
„Nein!“ antwortete Vater scharf, doch der
— Ю вонт рум? Ай хев рум. Вери чип. Вери
andere ließ nicht locker.
гуд.²
„You come with me, I show you. Really good
Fußnoten auf S. 134:
place. Only twenty guilders per night.“
¹ Вам нужна комната? (искаж. англ.)
Vater stand auf und sagte einen langen Satz auf
Russisch, in dem die Mutter des ² Вам нужна комната? У меня есть комната.

Angesprochenen nicht besonders gut wegkam. Очень дешевая. Очень хорошая (искаж.

Ich war erstaunt darüber, daß Vater die Mutter англ.).

dieses mir völlig fremden Menschen kannte und — Нет! — оборвал его отец, но незнакомец
mit ihr Eigentümliches vorhatte. (Vertlib не отставал.
2012b:89)
— Ю кам виз ми, ай шоу ю. Рили гуд плейс.
Онли твенти гилдерс пер найт.¹

Тут отец встал и произнес по-русски


длинную фразу, в которой в весьма
нелестном контексте упоминалась мать
молодого человека. Меня очень удивило,
что отец знает мать совершенно
незнакомого голландца и даже собирается

65
сделать с ней что-то странное. (Вертлиб
2009:134f.)

Fußnote auf S. 135:

¹ Пойдемте со мной, я вам покажу. Очень


хорошая комната. Всего двадцать гульденов
в день (искаж. англ.).

Rückübersetzung ins Deutsche:

— Ju wont rum¹?

Ich fuhr hoch und öffnete die Augen. Vor uns stand ein junger Mann, der die ganze Zeit in der
Nähe auf und ab ging.

— Ju wont rum? Aj chew rum. Weri tschip. Weri gud.²

Fußnoten auf S. 134:

¹ Brauchen Sie ein Zimmer? (verzerrtes Englisch)

² Brauchen Sie ein Zimmer? Ich habe ein Zimmer. Sehr billig. Sehr gut (verzerrtes Englisch).

— Nein! — unterbrach ihn Vater scharf, aber der Unbekannte ließ uns nicht in Ruhe.

— Ju kam wis mi, aj schou ju. Rili gud plejs. Onli twenti gilders per najt.¹

Nun stand Vater auf und sprach auf Russisch einen langen Satz aus, in welchem die Mutter des
jungen Mannes in höchst missbilligendem Kontext Erwähnung fand. Mich verwunderte sehr, dass
Vater die Mutter eines mir völlig fremden Holländers kennt und sogar vorhat, mit ihr etwas
Eigentümliches zu tun.

Fußnote auf S. 135:

¹ Kommen Sie mit mir, ich zeige Ihnen. Sehr gutes Zimmer. Nur zwanzig Gulden pro Nacht
(verzerrtes Englisch).

Analyse Ausschnitt 7: Original

In der Kategorie FIELD führt die Untersuchung von Abschnitt 7 des Originals zu einer Szene
aus dem Buch, in welcher der Vater und der Junge in Amsterdam am Bahnhof sitzen. Ein
junger Mann geht auf sie zu und fragt Sie in gebrochenem Englisch, ob sie ein Zimmer
benötigen, das sehr billig und sehr gut sein soll. Aufgrund der groben grammatikalischen
Fehler bei der Verwendung des Englischen ist sofort erkennbar, dass dies nicht die
Muttersprache des Unbekannten sein kann. Sogleich lehnt der Vater das Angebot mit
einem bestimmten „Nein!“ schroff ab, doch der Fremde lässt nicht locker und bittet die
beiden schließlich noch immer auf Englisch, mit ihm zu kommen, sodass er ihnen das

66
wirklich gute Zimmer bzw. Hotel zeigen kann, für das sie nur 20 Gulden pro Nacht bezahlen
müssten. Der Vater steht auf und wehrt die Angebote des aufdringlichen Mannes ab, indem
er dessen Mutter auf Russisch derb beschimpft. Der Junge wundert sich daraufhin, dass
sein Vater mit der Mutter des jungen Mannes bekannt ist, da er den Fremden noch nie
gesehen hat. Ebenso groß ist die Verwunderung darüber, dass sein Vater Sonderbares mit
dieser Frau vorhatte.

In der Kategorie TENOR bringt der Autor den LeserInnen die Erfahrungen nahe, die man
macht, wenn man sich in einem noch unbekannten Land befindet, in dem die Menschen
eine fremde Sprache sprechen. Denn aus dem dieser Szene vorangegangenen Inhalt im
Buch wissen die LeserInnen, dass weder der Vater noch der Sohn der englischen Sprache
mächtig sind. Die beiden fühlen sich als Fremde und vor allem der Vater empfindet die
aufdringliche Art des Unbekannten als Belästigung; er ist überfordert und äußerst nervös.
Seinem Verhalten kann man möglicherweise die Verzweiflung und die Angst entnehmen,
die durch die Ungewissheit über den Ausgang dieser Reise in ihm ausgelöst werden.

Dieser Textausschnitt enthält außerdem viel Humor, vor allem deshalb, weil der Vater den
jungen Mann mit einer derben Beleidigung loswerden möchte und, aufgrund der
Bemerkung des Jungen dazu, können sich die LeserInnen vorstellen, in welche Sparte die
Worte des Vaters einzuordnen sind. Lustig daran ist die unschuldige Sicht eines Kindes auf
das Gesagte.

Für österreichische LeserInnen dürfte das Verständnis des Englischen kaum ein Problem
sein, da alle SchülerInnen in Österreich irgendwann Englischunterricht hatten und es sich
beim in dieser Textstelle verwendeten Englisch um ein sehr vereinfachtes handelt.

In der Kategorie MODE stellt das verwendete Medium wiederum ein komplexes dar; auch
die Partizipation ist eine komplexe.

Analyse Ausschnitt 8: Übersetzung

In der Kategorie FIELD bietet sich den LeserInnen der russischen Übersetzung ein Bild,
das sich vom deutschen Original stark unterscheidet. So werden Vater und Sohn zwar
ebenfalls von einem unbekannten Mann angesprochen, was er jedoch sagt, bleibt den
RezipientInnen zunächst vermutlich verborgen, da es sich dabei um „verzerrtes Englisch“,
das heißt um die phonetische Darstellung englischer Wörter mithilfe von kyrillischen
Buchstaben, handelt. Erst in den Fußnoten der jeweiligen Seiten erfolgt die Aufklärung für
die russischsprachigen LeserInnen, die dort eine Übersetzung des verzerrten Englisch ins
Russische vorfinden. Wie im Deutschen wird jedoch die Reaktion des Vaters dargestellt,
der auch im Russischen die Mutter des Unbekannten aufs Derbste beschimpft, woraufhin
67
sich der Sohn auch in der Übersetzung über die Bekanntschaft seines Vaters mit dieser
Frau wundert, mit der er außerdem Sonderbares vorhat. Im Russischen erfolgt die
zusätzliche Bezeichnung des Fremden als „Holländer“, während im Deutschen offen
gelassen wurde, welcher Nationalität der unbekannte Mann angehört.

In der Kategorie TENOR kommt es aufgrund der anderen Darstellungsform des Englischen
zu einer vom deutschen Original abweichenden Wirkung für die LeserInnen des russischen
Textes. Auch hier wurde die Intention des Autors, den RezipientInnen die Erfahrung des
Fremd-Seins zu ermöglichen und mit der Reaktion des Vaters dessen Verzweiflung und
Angst zu vermitteln, verwirklicht. Dadurch, dass das Englische in Ausschnitt 8 der
Übersetzung allerdings auf den ersten Blick unverständlich und nichtssagend wirkt,
kommen die LeserInnen in diesem Fall sogar in den Genuss einer weitaus authentischeren
Erfahrung des Fremd-Seins, da – wie bereits erwähnt – weder Vater noch Junge das
Englische des unbekannten Mannes verstehen und vermutlich nur aus dem Kontext
erahnen können, was ihnen angeboten bzw., dass ihnen etwas angeboten wird.

Was den in dieser Textstelle enthaltenen Humor betrifft, so ist auch im Russischen dieselbe
unterschwellige Ironie in den Gedanken des kleinen Jungen erkennbar.

Die Untersuchung der Textstelle in der Kategorie MODE liefert wiederum dasselbe
Ergebnis wie die Analyse des Originals: Auch im Russischen sind Medium und Partizipation
als komplex zu bezeichnen.

Im fünften Teil der Analyse wird ein Textausschnitt näher beleuchtet, der demselben Kapitel
entnommen wurde wie der zuvor untersuchte. Auch in diesem Ausschnitt befindet sich die
Familie in Amsterdam und ist auf der Suche nach einer günstigen Unterkunft. Im Zug nach
Holland hatten sie von einem Mitreisenden eine Visitenkarte mit einer Adresse einer billigen
Pension zugesteckt bekommen. Dort versuchen sie schließlich ihr Glück, doch die
Kommunikation mit der Betreiberin der Pension stellt sich zunächst als nicht besonders
einfach dar.

Ausschnitt 9: Original Ausschnitt 10: Übersetzung

„Wir suchen ein billiges Zimmer für zwei — Мы бы хотели снять номер на двоих... с
Personen und ein Kind“, erklärte Mutter auf ребенком, — по-немецки сказала мама.
Deutsch. Die Frau zog die Augenbrauen hoch
Женщина подняла брови и затрясла
und schüttelte den Kopf.
головой.
„Ik begrijp U niet“, sagte sie.

68
„Ein Zimmer für zwei Personen und ein Kind“, — Ик вехряйп у нит, — отрезала она.
versuchte es Mutter noch einmal.
— На двоих, с ребенком, — еще раз
„Ik begrijp niet, wat U will.“ попыталась было мама.

„Ein Zimmer! Für drei! Billig!“ wiederholte Mutter — Ик вехряйп нит, ват у вилт².
und hob drei Finger in die Höhe.
— Номер на двоих, дешевый, — повторила
Die Frau bewegte den Unterkiefer, als würde мама, показывая ей три пальца.
sie etwas kauen, blinzelte, schwieg und
Женщина задвигала нижней челюстью, как
musterte uns wieder skeptisch. Sie wirkte
будто что-то пережевывая, помолчала и
weder sonderlich überrascht noch mißtrauisch,
снова окинула нас скептическим взглядом.
eher schien sie leicht zu triumphieren. Doch auf
По-моему, наше появление ее не озадачило
einmal wurde mir klar, daß sie jedes Wort
и не насторожило, на самом деле, она даже
meiner Mutter verstanden hatte. Ich spürte, daß
наслаждалась
die Frau uns verhöhnte. Und im selben
Augenblick dürften auch meine Eltern dasselbe Fußnote S.137:

Gefühl gehabt haben. ²Не понимаю, чего вы хотите (нид.).

„Ich bin davon überzeugt, daß sie alles Этой ситуацией. Внезапно я догадался, что
versteht“, sagte Vater auf Russisch. „Warum она прекрасно понимала каждое слово. Я
antwortet sie denn nicht?“ почувствовал, что она над нами смеется. В
„Weiß der Teufel.“ Auch Mutter schien verwirrt. ту же минуту, кажется, родители тоже
догадались.
Die Frau begann zu lächeln. Das kalte Funkeln
ihrer Augen erlosch. — Да она просто прикидывается, я вам точно
говорю, — сказал отец по-русски. — Молчит,
„Sie kommen nicht aus Deutschland?“ Fragte
ничего не отвечает...
sie in gutem, beinahe akzentfreiem Deutsch.
(Vertlib 2012b:91) — А черт его знает... — Мама, по-моему,
тоже была озадачена.

Тут хозяйка пансиона заулыбалась, взгляд у


нее потеплел.

— Так значит, вы не из Германии? —


спросила она на хорошем немецком, почит
без акцента. (Вертлиб 2009:137f.)

Rückübersetzung ins Deutsche:

— Wir würden gerne ein Zimmer für zwei Personen… mit Kind mieten, — sagte Mama auf
Deutsch.

Die Frau hob die Augenbrauen an und schüttelte den Kopf.

— Ik wechrajp u nit, — antwortete sie scharf.

69
— Für zwei Personen, mit Kind, — versuchte es Mama noch einmal.

— Ik wechrajp nit, wat u wilt[sic!]².

— Ein Zimmer für zwei Personen, billig, — wiederholte Mama drei Finger zeigend.

Die Frau bewegte den Unterkiefer als würde sie etwas zerkauen, schwieg und musterte uns erneut
skeptisch. Meines Erachtens verblüffte sie unsere Erscheinung weder, noch machte sie sie
misstrauisch, in Wirklichkeit genoss

Fußnote S. 137:

²Ich verstehe nicht, was Sie wollen (nied.).

sie die Situation. Plötzlich kam ich darauf, dass sie jedes Wort ausgezeichnet verstanden hatte.
Ich hatte das Gefühl, dass sie über uns lacht. In derselben Minute, so scheint es, kamen die Eltern
auch darauf.

— Sie verstellt sich doch nur, ich sage es euch, — sagte Vater auf Russisch. — Schweigt und
antwortet nichts…

— Weiß der Teufel… — Mama war anscheinend auch verwirrt.

Die Betreiberin der Pension begann zu lächeln; ihr Blick erwärmte sich.

— Das heißt, Sie sind nicht aus Deutschland? — fragte sie in gutem Deutsch, beinahe ohne
Akzent.

Analyse Ausschnitt 9: Original

Der Versuch, mit der Betreiberin einer Pension zu kommunizieren, um ein Zimmer für zwei
Personen und ein Kind zu mieten, steht bei der Untersuchung dieser Textstelle in der
Kategorie FIELD im Mittelpunkt. Die Mutter erklärt der Frau auf Deutsch, dass die eine
preisgünstige Unterkunft suchen, worauf diese ablehnend reagiert und etwas auf
Holländisch antwortet. Daraufhin versucht die Mutter erneut, in einem kürzeren Satz, ihr
Anliegen vorzubringen. Auch dieser Versuch wird von der Frau auf Holländisch abgewehrt.
Schließlich probiert es die Mutter ein letztes Mal, ihrem Gegenüber verständlich zu machen,
was sie von ihr will – diesmal hebt sie unterstützend drei ihrer Finger, um darauf
hinzuweisen, für wie viele Personen sie eine Unterkunft benötigen. Die Frau betrachtet die
Familie daraufhin skeptisch und schweigt weiterhin. Der Junge und schließlich auch dessen
Eltern merken, dass sie Gefallen an der Situation hat. Sich auf Russisch unterhaltend,
rätseln sie, was gerade vor sich geht und warum diese Frau nicht mit ihnen sprechen will.
Daraufhin erhellt sich die Miene der Pensionsbetreiberin und sie fragt die drei beinahe
akzentfrei auf Deutsch, ob sie denn nicht aus Deutschland kommen.

70
Die Untersuchung dieses Ausschnittes führt in der Kategorie TENOR zur Erkenntnis, dass
der Autor hier erneut den LeserInnen die Möglichkeit bietet, das Gefühl der Hilflosigkeit in
Verbindung mit dem des Fremd-Seins zu durchleben, indem sich die ProtagonistInnen wie
in der zuvor untersuchten Textstelle mit einer ihnen völlig fremden Sprache bzw. Kultur und
einem daran geknüpften Missverständnis konfrontiert sehen. Verstärkt wird dieses durch
die Ablehnung der Pensionsbetreiberin initiierte Gefühl durch die Tatsache, dass diese sich
zuerst nur auf Holländisch mit den dreien unterhält, was sie vermutlich kaum verstehen,
möglicherweise dessen Bedeutung aber aus dem Kontext erraten können. Ebenso geht es
den deutschsprachigen LeserInnen, von denen wenig der holländischen Sprache mächtig
sind, die aber in der Kombination der entfernten phonetischen Ähnlichkeit mit dem Kontext
des Gesagten ebenfalls eine Bedeutung erkennen können.

Vertlib spielt in dieser Szene auf das Klischee an, dass alle Holländer eine Abneigung
gegen Deutsche haben, was an die grundsätzliche Ablehnung gegen alles Deutsche vieler
ÖsterreicherInnen erinnert. Wieder ist die Familie in eine Situation geraten, in der sie sich
mit dem Fremdenhass anderer auseinandersetzen müssen. Beinahe sollten sie sogar einen
Nachteil daraus ziehen, aber das Missverständnis, das dabei im Raum steht – nämlich dass
es sich bei der Familie um eine aus Deutschland stammende handeln könnte – löst sich
bald auf. Die Pensionsbetreiberin ist erleichtert, dass keine deutschen Touristen Unterkunft
bei ihr suchen. Alles andere scheint ihr gleichgültig zu sein.

Besonders paradox erscheint dieses Erlebnis vor allem, wenn man die Erwartungen des
Vaters an die Niederlande einige Seiten zuvor in Betracht zieht: „Vor allem aber leben dort
Menschen, die sich Juden und überhaupt allen Fremden gegenüber immer anständig
verhalten haben“ (Vertlib 2012b:81). Dass dies nicht immer der Fall ist und, dass
Xenophobie ein allgegenwärtiges Phänomen ist, das wohl vor keiner Kultur halt macht, wird
in dieser Textstelle klar den LeserInnen vermittelt.

In der Kategorie MODE findet sich erneut eine Kombination aus dem Monolog des Jungen
mit Dialogelementen wieder, weshalb auch dieses Mal das Medium als komplex
beschrieben werden kann. Auch die Partizipation ist aus demselben Grund als komplex zu
bezeichnen.

Analyse Ausschnitt 10: Übersetzung

In der Kategorie FIELD liefert die Untersuchung der übersetzten Textstelle ein sich vom
Original leicht unterscheidendes Bild. Zunächst ist das dargestellte Holländisch – wie im
zuvor untersuchten Abschnitt der Übersetzung – eine phonetische Aneinanderreihung von
russischen Buchstaben, die wiederum mithilfe von Fußnoten erklärt wird. Außerdem wird

71
im Russischen die ablehnende Art der Frau durch die „scharfe“ Antwort noch verstärkt. Bei
der Darstellung des zweiten holländischen Satzes, liegt in der Übersetzung vermutlich ein
Druckfehler vor, der in der oben stehenden Rückübersetzung ins Deutsche markiert wurde.
Sonderbar erscheint auch die Tatsache, dass die Mutter im Russischen im dritten
Verständigungsversuch nur mehr zwei Personen nennt, die eine Unterkunft suchen, mit der
Hand aber auch in der Übersetzung drei Finger hebt. Der restliche Inhalt der übersetzten
Textstelle gleicht sich im Großen und Ganzen mit jener des Originals ab.

Auch für die russischsprachigen LeserInnen ist somit die Intention des Autors in diesem
Ausschnitt gleichermaßen erkennbar. In der Kategorie TENOR führt die Untersuchung des
Textes erneut zu einer Fremd-Erfahrung. Wieder erfahren die ProtagonistInnen als Fremde
in einem unbekannten Land Ablehnung; schon wieder sind sie mit einer fremden Sprache
konfrontiert. Ebenso wie im Deutschen verkörpert die Unterhaltung mit der
Pensionsbetreiberin auch in der russischen Übersetzung das Klischee, dass alle
HolländerInnen einen Hass gegen Deutsche hegen und entkräftet somit das Vorurteil, dass
die Niederlande eine tolerante Nation darstellen, in der Fremdenfeindlichkeit und
Xenophobie keine Rolle spielen.

Wodurch der Wirkung des übersetzten Textes allerdings ein anderer Charakter als im
deutschen Originaltext verliehen wird, ist die Art, wie das durch die Pensionsbetreiberin
Ausgedrückte dargestellt wird. Ähnlich wie im vorigen untersuchten Ausschnitt stellt sich
das phonetische Holländisch höchstwahrscheinlich als unverständlich für die
russischsprachigen LeserInnen dar. Aufklärung finden sie erneut in den Fußnoten. Auch
dieses Mal ist die Fremd-Erfahrung in der Übersetzung authentischer, da die LeserInnen
ebenso wie die ProtagonistInnen im ersten Moment vor Verständlichkeitsproblemen
stehen.

In der Kategorie MODE gibt es auch dieses Mal keine Abweichungen zwischen den
Ausschnitten 9 und 10.

Der sechste Analyseteil nimmt sich einen Ausschnitt aus dem Roman vor, in dem sich die
Familie in New York befindet. In der untersuchten Textstelle erinnert sich der Junge an den
Rabbi aus Wien, Rav Pelzer, der ihnen geholfen hatte, mithilfe eines Touristenvisums in die
USA einzureisen. Als Bedingung für seine Hilfe hatte er von ihnen ein Leben als anständige,
gläubige Juden verlangt. Der Textausschnitt zeichnet sich durch die vermehrte Verwendung
von mehr oder weniger allgemein bekannten jüdischen Begriffen aus.

72
Ausschnitt 11: Original Ausschnitt 12: Übersetzung

Der Rav meinte, ich solle in Amerika eine Рав Пельцер считал, что в Америке я должен
jüdische Schule besuchen, solle mir Pejes ходить в еврейскую школу, отрастить пейсы
wachsen lassen und den Talmud studieren. и изучать Талмуд. Иначе мы в Америку не
Das war die Bedingung dafür, daß er uns half, попадем. Такое он нам поставил условие.
nach Amerika zu emigrieren. Meine Vorfreude Меня эта перспектива так напугала, что
auf New York wurde durch diese даже в Нью-Йорк расхотелось. А потом, я же
beängstigenden Aussichten erheblich еще и необрезанный был, а пейсами
gedämpft. Außerdem war ich nicht beschnitten. учителя в еврейской школе точно не
Zweifellos würden die Lehrer der jüdischen ограничатся.
Schule nicht nur verlangen, daß ich mir Pejes
— Не бойся, — убеждала мама. — Рабби
wachsen lasse.
тебе что-то говорит, а ты кивай. Отвечай
„Keine Angst“, erklärte mir Mutter. „Zu allem, вежливо, улыбайся, как я тебя в детстве
was der Rabbi heute sagt, brauchst du nur zu учила. Когда в Америку приедем, уж как-
nicken. Sei höflich und lächle, so wie ich es dir нибудь тебя от йешивы избавим, будь
schon als Kleinkind beigebracht habe. Wenn уверен.
wir erst einmal in Amerika sind, werden wir
А отец, улыбаясь, прибавил:
andere Wege finden, als dich in die Jeschiwa
— Рав Пельцер — в точности такой, какими
zu schicken.“ Und Vater fügte lächelnd hinzu,
австрияки эти «верующих евреев в кипах и с
der Rav entspräche jenem Klischee, das sich
пейсами» изображают. Неужели, по-твоему,
die Einheimischen von einem „Kaftanjuden“
я допущу, чтобы ты в такого «верующего
machten. Ob ich denn wirklich glaube, er werde
еврея в кипе и с пейсами» превратился?
zulassen, daß aus mir ein Kaftanjude werde?
(Вертлиб 2009:294)
(Vertlib 2012b:193)

Rückübersetzung ins Deutsche:

Rav Pelzer meinte, ich solle in Amerika eine jüdische Schule besuchen, mir Pejes wachsen lassen
und den Talmud studieren. Sonst würden wir nicht nach Amerika kommen. Diese Bedingung
stellte er uns. Mich schreckte diese Aussicht derart ab, dass ich sogar nicht mehr nach New York
wollte. Noch dazu war ich nicht beschnitten, und mit Pejes allein würden sich die Lehrer in der
jüdischen Schule sicher nicht begnügen.

— Keine Angst, — überzeugte mich Mama. — Der Rabbi spricht mit dir und du nickst einfach.
Antworte höflich, lächle, so wie ich es dir in der Kindheit beigebracht habe. Wenn wir in Amerika
ankommen, werden wir dich irgendwie vor der Jeschiwa bewahren, sei versichert.

Und Vater fügte lächelnd hinzu:

— Rav Pelzer — ist genauso, wie sich die Österreicher diese „gläubigen Juden mit Kippa und
Pejes“ vorstellen. Du glaubst doch nicht etwa, dass ich zulasse, dass du dich in einen solchen
„gläubigen Juden mit Kippa und Pejes“ verwandelst?

73
Analyse Ausschnitt 11: Original

In der Kategorie FIELD führt die Untersuchung dieses Textausschnittes zu einer


Beschreibung der Bedingung, die Rav Pelzer der Familie für seine Hilfe bei der Einreise in
die USA gestellt hatte und an die sich der Junge hier erinnert. Der Rabbi hatte verlangt,
dass der Junge in Amerika zu einem gläubigen Juden werde, der eine jüdische Schule
besucht, sich Pejes wachsen lässt und den Talmud studiert. Diese Vorstellung verursachte
in dem Jungen vor allem deshalb Unbehagen, weil er nicht beschnitten war. Er hatte Angst
davor, dass er sich einem Eingriff unterziehen müsste, würde er diese Schule besuchen.
Doch seine Mutter beruhigte ihn und versicherte, dass sie ihn nicht in die jüdische Schule
– die Jeschiwa – schicken würden. Zu allem, was der Rabbi sagte, brauche er nur
zuzustimmen, in Amerika würden sie schon andere Mittel und Wege finden, ein
Auskommen zu finden, als das Leben gläubiger Juden zu führen. Der Vater ergänzte
außerdem, dass der Rabbi dem klischeehaften Bild entspräche, das die Einheimischen von
einem „Kaftanjuden“ haben. Er würde nicht zulassen, dass aus seinem Sohn ein solcher
Kaftanjude werde.

Die Analyse dieser Textstelle führt in der Kategorie TENOR zu dem Ergebnis, dass eine
Familie, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft ihr Glück in der Emigration aus der
Sowjetunion sucht, nicht zwingend streng religiös sein muss. Im Gegenteil – ein Leben als
gläubige Juden scheint für diese Familie beinahe abschreckend, ja sogar abstoßend zu
sein. Der Autor vermittelt hier den LeserInnen, dass auch die dem Judentum angehörigen
Menschen ihre Religion unterschiedlich interpretieren und, dass nicht jeder Jude
gleichermaßen gläubig ist.

An seine LeserInnen stellt Vertlib hier die Anforderung, dass sie sich zumindest entfernt mit
der jüdischen Kultur beschäftigen bzw. ihr Wissen darüber ihrer Allgemeinbildung
entnehmen. Deshalb verwendet er bewusst Begriffe des Judentums, die seiner Meinung
nach dem Zielpublikum geläufig sind, wie „Pejes“ oder „Talmud“, oder sich aus dem Kontext
ergeben, wie „Jeschiwa“, ohne diese zu erklären. Mit der abfälligen Betitelung „Kaftanjude“
bezeichnet er jene sichtbar orthodoxen, gläubigen VertreterInnen dieser Religion, über die
sich sowohl Nicht-Juden als auch Juden offensichtlich gleichermaßen lustig machen, was
eine weitere Form der Ausgrenzung des Anders-Seins darstellt.

Die Untersuchung in der Kategorie MODE ergibt ein komplexes Medium und eine komplexe
Partizipation.

Analyse Ausschnitt 12: Übersetzung


74
Die Analyse der übersetzten Textstelle in der Kategorie FIELD liefert ein dem deutschen
Original ähnliches, dennoch sich davon unterscheidendes Bild. Zunächst wird auch im
Russischen die Bedingung beschrieben, die Rav Pelzer der Familie gestellt hat. Allerdings
stellt diese in der Übersetzung die Voraussetzung dafür dar, dass die Familie überhaupt
nach Amerika kommt, während im Deutschen ein Leben als gläubige Juden die Bedingung
für seine Hilfeleistung ist. Die beiden Ausschnitte stimmen inhaltlich überein, wenn es um
die Angst des Jungen geht, dass er sich in Amerika einer Beschneidung unterziehen muss,
um eine jüdische Schule besuchen zu können. Auch die beruhigenden Worte der Mutter
laufen im Russischen darauf hinaus, dass die Eltern nicht vorhaben, den Jungen in eine
Jeschiwa zu schicken. Große Unterschiede zwischen Original und Übersetzung lassen sich
hingegen in der Art festmachen, in der der Vater über streng gläubige Juden spricht. Denn,
während im Deutschen die gläubigen Juden abwertend mit „Kaftanjuden“ bezeichnet
werden, so findet man im Russischen die Worte „gläubige Juden mit Kippa und Pejes“, was
eigentlich nicht als Beleidigung zu interpretieren ist, aber durch den Kontext, in dem diese
Worte vom Vater verwendet werden möglicherweise als solche eingestuft werden kann.

In der Kategorie TENOR wird auch den russischsprachigen LeserInnen vermittelt, dass im
Judentum unterschiedliche Grade an Religiosität existieren und, dass Menschen, die sich
aufgrund ihres Glaubens zur Emigration gezwungen fühlen, nicht unbedingt streng gläubig
sein müssen.

Genau wie von den deutschsprachigen LeserInnen wird auch von den RezipientInnen der
Übersetzung ein gewisses Maß an Allgemeinbildung bzw. ein Mindestwissen über die
jüdische Kultur verlangt. Denn auch im Russischen werden die jüdischen Begriffe weder
erklärt noch erläutert. Teilweise ergeben sie sich aus dem Kontext. Die Tatsache, dass in
der Übersetzung das Wort „Kaftanjude“ mit „gläubiger Jude mit Kippa und Pejes“
umschrieben wurde, sorgt natürlich nicht für denselben Effekt wie im Original, da die
russischen Worte nicht über dieselbe Härte verfügen wie die deutschen. Allerdings ist die
Geringschätzung den gläubigen Juden gegenüber in der Art erkennbar, in welcher der Vater
über sie spricht. Er grenzt sich mit dem Wörtchen „diese“ entschieden von ihnen ab und
bewirkt damit eine Ausgrenzung bzw. Abwertung des Anderen, des Fremden, ein
Phänomen, das er selbst und seine Familie bereits so oft am eigenen Leib erfahren hatten.

In der Kategorie MODE stimmen die beiden Ausschnitte auch dieses Mal komplett überein.

Der siebte Teil der Analyse beschäftigt sich mit einer Textstelle, in der jüdische bzw.
jiddische Ausdrücke erneut eine gesteigerte Rolle spielen. Der Ausschnitt wurde einem
Kapitel entnommen, in dem es um den Vater einer Bekannten, der unter Freunden Mendl

75
genannt wird, geht. Dieser ist ein alter Freund der Großmutter des Jungen. Die beiden
stammen aus einem weißrussischen Stedtl, das an einem Fluss lag und im Jahre 1921
entlang dieses Flusses in einen polnischen und einen sowjetischen Teil aufgespalten
wurde. In der Mitte der Brücke wurde ein Holzhäuschen aufgestellt, das mit Grenzposten
ausgestattet wurde. Zunächst war die Kommunikation zwischen den BewohnerInnen beider
Ortshälften auf der durch den Schranken geteilten Brücke erlaubt.

Ausschnitt 13: Original Ausschnitt 14: Übersetzung

Einige Auserwählte hatten Избранным в виде особой милости, по


Sondergenehmigungen, die es ihnen erlaubten, специальному разрешению, дозволялось
sich in das Holzhäuschen zu begeben. Dann уединяться в пограничной будке. Там, под
war unter den Augen zweier Grenzsoldaten – бдительным взором двух пограничкиков —
eines Angehörigen der polnischen Streitkräfte польского и красноармейца, можно было
und eines Rotarmisten – sogar ein даже поцеловаться, украдкой, конечно.
schüchterner Kuß möglich. Nachdem diese Потом правила ужесточили, о довоенных
Freizügigkeiten einige Jahre nach Kriegsende вольностях уже никто и мечтать не смел, а
stark eingeschränkt worden waren, blieben, bei «советским» и «польским» только и
gutem Wetter und Windstille und für jeden im оставалось перекрикиваться, стоя на своих
Umkreis gut hörbar, nur noch die lautstarken берегах, в хорошую погоду и в безветрие, да
Gespräche über den Fluß: „Mojschee!“ – так, что в округе слышала каждая собака:
„Rivkaa!“ – „Gratuliere zum Nachwuchs!“ Oder: — Мойше!
„Ist die Mischpoche wohlauf?“ Oder: „Masel — Ривка!
Tov, möge euch ein langes Leben beschieden — Поздравляю с прибавлением семейства!
sein.“ Oder: „Was macht die Parnusse?“ Oder: — Как там мишпохе¹ поживает?
„Onkel Izik hat diesen Winter drei Zähne Или:
verloren.“ Solange es um Alltägliches ging, — Мазлтов, желаю долгих лет жизни!
wurden die Gespräche geduldet. (Vertlib Или:
2012b:269f.) — Как с парнуссе²?
Или:
— У дяди Изика зимой три зуба выпало!

Разговоры на бытовые темы власти еще кое-


как терпели. (Вертлиб 2009:413f.)

Fußnoten S. 414:

¹ Mischpoche (идиш) — семейство

² Parnusse (идиш) — работа (иронически).

Rückübersetzung ins Deutsche:

76
Auserwählten war es im Sinne besonderer Gnade erlaubt, sich mit einer Sondergenehmigung im
Grenzhäuschen zurückzuziehen. Dort war es unter dem wachsamen Blick zweier Grenzsoldaten
– eines polnischen Soldaten und eines Rotarmisten, sogar möglich, sich zu küssen, verstohlen
natürlich. Danach wurden die Regeln strenger; von den Freiheiten, die vor dem Krieg existiert
hatten, wagte niemand mehr zu träumen, und den „Sowjetischen“ und „Polnischen“ blieb nur, sich
am eigenen Ufer stehend, bei gutem Wetter und Windstille Nachrichten so zuzurufen, dass es im
Umkreis jeder Hund hörte:
— Mojsche!
— Rivka!
— Gratuliere zum Familienzuwachs!
— Wie geht es der Mischpoche¹?
Oder:
— Masel Tov, ich wünsche ein langes Leben!
Oder:
— Wie ist es mit der Parnusse²?
Oder:
— Onkel Izik sind diesen Winter drei Zähne ausgefallen!

Unterhaltungen zu alltäglichen Themen wurden von den Obrigkeiten noch irgendwie geduldet.

Fußnoten S. 414:

¹ Mischpoche (jiddisch) — Familie

² Parnusse (jiddisch) — Arbeit (ironisch).

Analyse Ausschnitt 13: Original

In der Kategorie FIELD beschreibt diese Textstelle die Möglichkeiten, die den
BewohnerInnen des geteilten Stedtls zur Verfügung standen, um sich mit den sich am
jeweils anderen Ufer befindenden BewohnerInnen zu unterhalten. Zu Beginn konnten sie
auf der Brücke, wo ein mit je einem polnischen Grenzsoldaten und einem Rotarmisten
bewachtes Grenzhäuschen stand, über den Schranken Nachrichten austauschen. Einige
wenige hatten sogar das Glück, sich mithilfe einer Sondergenehmigung im Grenzhäuschen
aufhalten und unter den Augen der Grenzsoldaten einen schüchternen Kuss austauschen
zu dürfen. Nach dem Kriegsende jedoch wurden die Regeln verschärft und den
BewohnerInnen blieb nur mehr die Möglichkeit, bei guter Wetter- und Windlage über den
Fluss mit denjenigen am anderen Ufer zu kommunizieren. Die Gespräche, von denen einige
Beispiele aufgelistet sind, wie zum Beispiel „Gratuliere zum Nachwuchs!“ oder „Ist die
Mischpoche wohlauf?“, waren für jeden im Umkreis hörbar und solange es sich bei den
zugerufenen Botschaften um Alltägliches handelte, waren sie erlaubt.

77
Die Untersuchung dieses Ausschnittes in der Kategorie TENOR führt zu dem Ergebnis,
dass der Autor hier erneut das Wissen der LeserInnen über die jüdische Kultur
herausfordert. Durch die hohe Dichte an jüdischen Namen und jiddischen Worten, gibt er
den RezipientInnen die Möglichkeit, einen Einblick in das Leben des jüdischen Stedtls zu
bekommen und ein paar jiddische Worte dazuzulernen, falls sie nicht bereits bekannt sind.
Das Besondere an dieser Textstelle ist zweifellos, dass sich die Bedeutung dieser
jiddischen Begriffe dieses Mal nicht aus dem Kontext ergibt und es sich dabei auch nicht
um allgemein bekannte, oft verwendete Wörter handelt. Trotzdem hat sich Vertlib dafür
entschieden, keine Erklärungen in Fußnoten beizufügen. Können die LeserInnen bzw. kann
ein Teil der Leserschaft zum Beispiel die Worte „Mischpoche“ oder „Parnusse“ nicht
zuordnen, müssen sie selbst aktiv werden und eine Enzyklopädie oder das Internet zu Rate
ziehen. Die Tatsache, dass der Autor die LeserInnen nicht mit zusätzlichen Erklärungen
versorgt, lässt wiederum erkennen, dass er sich ein gewisses Maß an Allgemeinbildung
bzw. Wissensdurst von seinem Zielpublikum erwartet.

In der Kategorie MODE lässt sich dieses Mal ein erneut komplexes Medium feststellen, da
der Text zwar aus einem Monolog besteht, der aber Teile beinhaltet, die als gesprochener
Text gelesen werden sollen, da es sich dabei um die Ausrufe der BewohnerInnen des
Stedtls über den Fluss handelt. Jedoch stellt die Partizipation hier eine simple dar, da keine
GesprächsteilnehmerInnen miteinander kommunizieren und es sich bei den Ausrufen
schlicht um Aufzählungen handelt.

Analyse Ausschnitt 14: Übersetzung

In der Kategorie FIELD ergibt die Analyse der übersetzten Textstelle ein dem Deutschen
durchaus ähnliches Bild. Die Beschreibung der Bedingungen, unter denen die
BewohnerInnen der beiden Hälften des Stedtls miteinander kommunizieren konnten,
unterscheidet sich nur in wenigen Punkten von der im Original. So war es anfangs im
Deutschen einigen wenigen durch eine Sondergenehmigung erlaubt, sich im Holzhäuschen
aufzuhalten und zu küssen, während im russischen Text diese Genehmigung zusätzlich
aus Gründen „besonderer Gnade“ erteilt wurde. Auch was die Blicke der Grenzsoldaten
betrifft, lässt das Russische weniger Interpretationsspielraum offen, da sie als „wachsam“
bezeichnet werden, im Original jedoch nur von „den Augen“ die Rede ist. Die
russischsprachigen LeserInnen erfahren anschließend, dass die Regeln nach dem
Kriegsende weniger Freiheiten erlaubten und den BewohnerInnen des Stedtls schließlich
nur noch das Zurufen von Nachrichten über den Fluss bei gutem Wetter und Windstille
blieb. Im Russischen waren die Boschaften nicht nur – wie im Deutschen – „ für jeden im

78
Umkreis gut hörbar“, sondern sie hörte „im Umkreis jeder Hund“. Eine Auflistung möglicher
Zurufe mit jiddischen Worten folgt auch in der Übersetzung, ebenso wie der Zusatz, dass
die Gespräche geduldet wurden, solange deren Inhalt von alltäglicher Natur war.

Anders als in der deutschen Originalversion, wird das Allgemeinwissen der


russischsprachigen RezipientInnen in dieser Textstelle nicht im selben Ausmaß gefordert,
wie es bei den deutschsprachigen LeserInnen der Fall ist. Dies lässt sich in der Kategorie
TENOR feststellen. Zwar besteht auch in der Übersetzung dieselbe Dichte an jüdischen
bzw. jiddischen Namen und Begriffen; die am wenigsten bekanntesten jener werden jedoch
in Fußnoten übersetzt bzw. erklärt, das heißt für russischsprachige LeserInnen aufbereitet.
Dies lässt vermuten, dass von den RezipientInnen der Übersetzung entweder nicht
dasselbe Ausmaß an Allgemeinbildung in Bezug auf die jüdische Kultur erwartet oder nicht
von demselben Wissensdurst bei den LeserInnen ausgegangen wird. Alles in Allem
verlangt die russische Version dieses Ausschnitts aus dem Roman weniger aktives Wissen
oder Handeln von der Leserschaft, demnach ist die Intention des Autors nicht im selben
Maße erkennbar wie im Original.

Die beiden Ausschnitte stimmen auch im siebten Analyseteil in der Kategorie MODE
überein. Das heißt, auch das Russische birgt ein komplexes Medium und eine simple
Partizipation.

Im nächsten, achten Analyseabschnitt wird eine Textstelle untersucht, die in Italien spielt
und von dem Kapitel im Roman handelt, in der die Familie zum zweiten Mal versucht, über
Rom in die USA einreisen. Wie viele andere Juden aus der Sowjetunion leben sie im
römischen Vorort Ostia und warten auf die Möglichkeit der Weiterreise.

Ausschnitt 15: Original Ausschnitt 16: Übersetzung

Irgendwann hatte eine Familie aus Rußland, die Когда-то в Остии дешево сняла комнатку
auf ihr amerikanisches Visum wartete, in Ostia одна семья из России, ожидавшая
ein billiges Zimmer gemietet. Dieser Familie получения американской визы. За этой
folgten weitere. Bald ging die Zahl der „ebrei семьей потянулись другие. Вскоре колония
russi“ in die Hunderte, später in die Tausende. «эбреи русси» разрослась до сотен, а потом
Von so manchem Einheimischen wurden sie и до тысяч. Некоторые местные жители
sogar mit „dobri den“ begrüßt und mit даже, здроваясь с ними, произносили по-
„dosvidania“ verabschiedet. Als wir im Sommer русски «добрый день», а прощаясь — «до
1976 nach Italien kamen, war der Ort fest in свидания». Когда мы приехали в Остию
russischer Hand. Die meisten Emigranten, die летом семьдесят шестого, ее уже

79
sogenannten „Direktfahrer“, blieben nur wenige заполонили русские. Большинство
Wochen. Jüdische Hilfsorganisationen zahlten эмигрантов, так называемые
ihnen das Quartier, bis das amerikanische «беспересадочники», задерживались в
Visum eintraf. Länger als die Direktfahrer Остии всего на неделю-другую. Еврейские
blieben jene, die, wie meine Eltern schon in благотворительные организации
Israel gelebt und als israelische Staatsbürger оплачивали им жилье, пока они не получали
nur wenig Chancen auf die positive Erledigung американский вид на жительство. Дольше
ihres Einwanderungsantrages hatten, oder «беспересадочников» в Остии застревали
Personen, die als ehemalige Mitglieder der те, кто, вроде моих родителей, уже успели
Kommunistischen Partei oder wegen sonstiger пожить в Израиле и, будучи израильскими
„dunkler Flecken“ in ihrer Biographie nicht in die гражданами, имели мало шансов на
USA einreisen durften. (Vertlib 2012:139) американскую визу, а еще те, кто состояли в
коммунистической партии или чем-то другим
себя запятнали, и потому не могли въехать
в США. (Вертлиб 2009:208f.)

Rückübersetzung ins Deutsche:

Irgendwann mietete eine Familie aus Russland billig ein Zimmer, als sie auf den Erhalt des
amerikanischen Visums warteten. Dieser Familie zogen andere nach. Bald wuchs die Kolonie der
„ebrei russi“ auf Hunderte, und später auf Tausende an. Einige Einheimische sagten sogar auf
Russisch „dobryj djen“, wenn sie sie begrüßten und verabschiedeten sich mit „do svidanija“. Als
wir im Sommer 76‘ in Ostia ankamen, war es bereits von Russen überschwemmt. Die Mehrheit
der Emigranten, sogenannte „Ohne-Umsteigen-Fahrende“, hielten sich in Ostia nur die eine oder
andere Woche auf. Jüdische Hilfsorganisationen bezahlten ihnen die Unterkunft bis sie die
amerikanische Aufenthaltsgenehmigung bekamen. Länger als die „Ohne-Umsteigen-Fahrenden“
blieben jene in Ostia hängen, die wie meine Eltern, bereits in Israel gewohnt hatten und die
israelische Staatsbürgerschaft besitzend nur wenig Chancen auf ein amerikanisches Visum
hatten, und auch jene, die Mitglied der Kommunistischen Partei waren oder sich anderweitig
befleckt hatten und deshalb nicht in die USA einreisen konnten.

Analyse Ausschnitt 15: Original

In der Kategorie FIELD liefert die Untersuchung des vorliegenden Textausschnittes eine
Einführung in die Umstände, die dazu geführt hatten, dass sich so viele jüdische
EmigrantInnen aus der Sowjetunion bzw. aus Russland vor ihrer Einwanderung in die USA
in Ostia aufhielten. Der Hauptgrund für diese Wahl scheinen die günstigen Mietpreise zu
sein. Nach und nach wohnten so viele dort, dass die Zahl der russischen Juden, oder „ebrei
russi“ wie sie von den ItalienerInnen genannt wurden, in die Tausende ging. Sie wurden
von den Einheimischen sogar mit „dobri den“ und „dosvidania“ gegrüßt. Auch für die Familie
stellte Ostia im Jahre 1976 eine Zwischenstation dar. Der Großteil der EmigrantInnen blieb

80
nur kurz, um nach Erhalt der amerikanischen Aufenthaltsgenehmigung sofort
weiterzureisen. Während ihres Aufenthaltes in Italien wurden sie von jüdischen
Hilfsorganisationen finanziell unterstützt. Für manche jedoch, die entweder bereits die
israelische Staatsbürgerschaft besaßen oder durch eine Mitgliedschaft in der
Kommunistischen Partei oder Ähnliches „befleckt“ waren, bestand nur wenig Hoffnung auf
ein amerikanisches Visum. Jene waren gezwungen, länger in Ostia auszuharren.

In der Kategorie TENOR vermittelt der Autor seinen LeserInnen, welches unglaubliche
Ausmaß die organisierte Einwanderung russischer Juden über Rom in die USA nach und
nach angenommen hatte. Bemerkenswert an dieser eigentlich extremen Situation – ein
römischer Vorort wird von Fremden überrollt – ist die positive Art, mit der die ItalienerInnen
den russischen Juden entgegneten. Die Einheimischen gingen sogar einen Schritt auf die
EmigrantInnen aus der Sowjetunion zu, indem sie diese in ihrer Sprache begrüßten und
verabschiedeten. Nicht überall scheint die Protagonistenfamilie also mit
Fremdenfeindlichkeit begrüßt worden zu sein. Auch solch positive Erlebnisse gehören zu
den Erfahrungen von MigrantInnen. Das ist die Botschaft, die der Autor in dieser Textstelle
zu transportieren versucht. Die Verwendung der italienischen Bezeichnung „ebrei russi“,
russische Juden, gestaltet diesen Ausschnitt aus dem Roman erneut authentischer und
glaubwürdiger – ebenso wie die italienisch zu interpretierende Aussprache der Worte „dobri
den“ und „dosvidania“.

Die Analyse in der Kategorie MODE führt zu dem Ergebnis, dass sowohl das Medium als
auch die Partizipation hier als simpel zu bezeichnen sind, da der Textausschnitt
ausschließlich aus einem Monolog besteht.

Analyse Textausschnitt 16: Übersetzung

Die Analyse der Übersetzung in der Kategorie FIELD führt zu dem Ergebnis, dass den
russischsprachigen LeserInnen ein durchaus ähnliches Bild geboten wird wie den
deutschsprachigen. Auch im Russischen folgt zunächst die Feststellung, dass es
irgendwann eine russisch-jüdische EmigrantInnenfamilie auf der Suche nach einer billigen
Unterkunft nach Ostia verschlagen hatte, welcher mit der Zeit Tausende folgten. Allerdings
wird hier der römische Vorort aufgrund dessen wohl scherzhaft als „Kolonie“ bezeichnet,
was im Original nicht der Fall ist. Obwohl im Deutschen ein wenig später die Formulierung
„fest in russischer Hand“ folgt, was bedeutungstechnisch auch in dieselbe Richtung weist.
Dem Original entsprechend, beinhaltet auch der russische Textausschnitt ein italienisches
Element – „ebrei russi“. Bei der Beschreibung der Dauer des Aufenthaltes der jüdischen
EmigrantInnen und der dazugehörigen Begründungen lassen sich keine größeren

81
Unterschiede zwischen deutscher und russischer Version feststellen. Ebenso finden die
„Direktfahrer“ im russischen Text Erwähnung, auch wenn das Russische hier sprachlich
eine etwas andere Variante bietet.

In der Kategorie TENOR wird auch den russischsprachigen LeserInnen das große Ausmaß
der für russische Juden organisierten Einwanderung in die USA nähergebracht. Ebenso
wie im deutschen Original erfahren die RezipientInnen hier von der durchaus positiven
Reaktion der Einheimischen auf die EmigrantInnen. Demnach erreicht auch diese Botschaft
das russischsprachige Publikum. Die Verwendung der italienischen Bezeichnung der
russischen Juden verleiht auch der russischen Textstelle mehr Authentizität. Da die
Begrüßungs- bzw. Abschiedsworte der ItalienerInnen an die russischsprachigen
BewohnerInnen aber ausschließlich auf Russisch dargestellt werden, wird den LeserInnen
hierbei das Bild vermittelt, dass die Einheimischen Ostias akzentfrei russisch sprechen,
während die Grußworte im Deutschen wirken, als könnten sie zumindest theoretisch
italienisch ausgesprochen sein.

In der Kategorie MODE ergibt die Analyse ein sowohl simples Medium als auch eine simple
Partizipation, da auch hier ein Monolog vorliegt.

Der neunte Analyseteil nimmt sich einen Ausschnitt des Romans vor, der dem Kapitel
entnommen wurde, in dem sich die Familie in Brooklyn, New York befindet. Das gesamte
Kapitel beschreibt einen heißen Sommertag, an dem ein jüdischer Bekannter aus Leningrad
– Borja – an einem Herzinfarkt verstirbt und bietet einen Einblick in dessen hartes Leben
als Einwanderer in den USA bis zu seinem Tod. Sein Geld verdient er sich unter anderem
als Anstreicher. Die untersuchte Textstelle handelt von der Unterhaltung zwischen Borja
und seiner Arbeitgeberin, Mrs. Berkin und zeichnet sich durch die vermehrte Verwendung
von englischen Wörtern aus.

Ausschnitt 17: Original Ausschnitt 18: Übersetzung

„Ach, bist auch schon da!“ schreit Mrs. Berkin. — А, пришел уже! — провозглашает миссис
„Mußt dich ein bißchen beeilen, spätestens Беркин. — Давай-ка, давай, поторапливайся,
übermorgen kommen die Trucks mit den а то не успеем, послезавтра же мебель
Möbeln.“ привезут!

„Mmmmhm!“ brummt Borja und nickt. — Гм-м-м, — бурчит Боря, кивнув.

„O.K. also“, keucht Mrs. Berkin, „aber jetzt muß — Окей, — пыхтит миссис Беркин, — но
ich weg, muß mit der Subway in die Stadt. сейчас мне пора, убегаю, мне еще на сабвее

82
Dieser verdammte Cohen hat sein Office in в город ехать. У Коэна, урода этого, офис на
Manhattan. Warum hat er sich nicht in Brooklyn Манхэттене. Чего в Бруклине-то не
eingerichtet wie alle anständigen Juden? Und поселился, как все нормальные евреи? А
das Appointment hat er für 2 p.m. angesetzt, bei аппойнтмент-то еще на два назначил, это в
dieser Affenhitze. Crazy ist das.“ (Vertlib такую-то жару. Крейзи, и говорить нечего!
2012b:213f.) (Вертлиб 2009:326)

Rückübersetzung ins Deutsche:

— Ah, du bist schon da! — ruft Missis Berkin aus. — Sei so lieb und beeil dich, sonst schaffen wir
es nicht; übermorgen bringen sie schon die Möbel!

— Mh-m-m, brummt Borja und nickt.

— Okay, — keucht Missis Berkin, — aber jetzt muss ich loslaufen, muss noch mit der Subway in
die Stadt fahren. Cohen, dieses Scheusal, hat sein Office in Manhattan. Warum hat er sich nicht
in Brooklyn niedergelassen, wie alle normalen Juden? Und das Appointment hat er noch dazu für
zwei angesetzt, und das bei dieser Hitze. Vollkommen verrückt!

Analyse Ausschnitt 17: Original

In der Kategorie FIELD führt die Untersuchung der vorliegenden Textstelle zu einem Dialog
zwischen zwei im Roman teilnehmenden Figuren. Die Szene spielt in Brooklyn, New York.
Gesprächsteilnehmende sind Mrs. Berkin und Borja. Mrs. Berkin ist Borjas Arbeitgeberin
und schreit zunächst aus Erleichterung darüber, dass er endlich eingetroffen ist. Danach
treibt ihn dazu an, sein Arbeitstempo zu steigern, da die Möbel bald kommen werden. Borja
stimmt mit einem Brummen und einem Nicken zu. Daraufhin berichtet sie ihm, dass sie mit
der U-Bahn in die Stadt, also nach Manhattan fahren muss, um sich dort mit einem Mann
zu treffen, der Cohen heißt. Das Treffen ist beruflicher Natur. Das Büro dieses Mannes
befindet sich in Manhattan und Mrs. Berkin wundert sich, warum er sich nicht – wie „alle
anständigen Juden“ – dafür entschieden hat, seinen Arbeitsplatz in Brooklyn einzurichten.
Außerdem verärgert sie die Tatsache, dass er das Treffen für zwei Uhr nachmittags
vereinbart hat, da es an diesem Tag offenbar ziemlich heiß ist.

Bei der Analyse der Textstelle in der Kategorie TENOR fällt sofort ins Auge, dass Mrs.
Berkin auffallend viele englische Wörter in ihren Ausführungen verwendet. Statt „U-Bahn“
spricht sie von „Subway“, statt „Büro“ bezeichnet sie den Arbeitsplatz von Cohen als
„Office“, statt „Termin“ bezeichnet sie das Treffen mit ihm als „Appointment“, um nur ein
paar zu nennen.

Die Botschaft bzw. Stimmung, die der Autor dabei erzeugen will, ist klar: Mrs. Berkin, die
vermutlich nicht erst seit kurzem in den USA lebt, spricht mit Borja entweder Englisch oder

83
Russisch mit starken englischen Einflüssen. In jedem Fall aber wird der Eindruck vermittelt,
dass Mrs. Berkin bereits ein Teil der englischsprachigen, jüdischen Kultur in New York ist,
wobei die vermehrte Verwendung von Anglizismen dabei besonders unterstützend wirkt.
So wird auch diese Erfahrung – wie bereits in mehreren vorangehenden Analysebeispielen
– zu einer authentischeren für die LeserInnen. Außerdem erfahren die RezipientInnen in
dieser Textstelle, dass zu jener Zeit bereits eine bestimmte, jüdische Kultur, ein jüdisches
Netzwerk, das vor allem in Brooklyn sein Zentrum findet, existiert. Davon kann aufgrund
der Aussage: „Warum hat er sich nicht in Brooklyn eingerichtet, wie alle anständigen
Juden?“ ausgegangen werden.

In der Kategorie MODE stellt das Medium erneut ein komplexes dar, da der Text erneut
geschrieben ist, um als gesprochen gelesen zu werden. Auch die Partizipation kann als
komplex bezeichnet werden, da sich zwei GesprächsteilnehmerInnen im Dialog
miteinander befinden

Analyse Ausschnitt 18: Übersetzung

In der Kategorie FIELD bietet die Übersetzung ein ähnliches Bild wie im Original. Auch hier
stellt die untersuchte Textstelle einen Dialog zwischen zwei GesprächsteilnehmerInnen dar,
die, wie im Deutschen, Missis Berkin und Borja heißen. Allerdings „schreit“ hier Missis
Berkin nicht aus Erleichterung und treibt ihn anschließend sogleich zur Arbeit an, wie im
Deutschen. Im Russischen „ruft sie aus“, das heißt die Reaktion auf seine Ankunft fällt
positiver als im Original aus. Auch feuert sie Borja in der Übersetzung weitaus liebevoller
zu einem höheren Arbeitstempo an. Dessen Reaktion bleibt aber auch im Russischen ein
Brummen und Nicken. In der Beschreibung ihres weiteren Vorhabens – sich mit Cohen in
Manhattan zu treffen – finden sich wenige Unterschiede im Vergleich des deutschen und
des russischen Ausschnittes. Einzig die Art, wie sie von Cohen spricht, fällt im Russischen
anders als im Deutschen aus. Während Cohen von ihr im Original als „verdammt“
bezeichnet wird, ist er in der Übersetzung gar ein „Scheusal“. Obwohl beide verwendeten
Ausdrücke in dieselbe Richtung weisen, ist der russische Ausdruck wohl ein wenig
negativer zu werten.

In der Kategorie TENOR ist auch für die russischsprachigen LeserInnen erkennbar, welche
Stimmung der Autor in dieser Textstelle vermitteln will. Ebenso wie im Deutschen finden
sich auch im Russischen englische Wörter, wie zum Beispiel „Subway“, „Office“,
„Appointment“ oder „crazy“. Demnach ergibt sich für die RezipientInnen der Übersetzung
ein ähnlich authentisches Bild, wie für jene des Originals. Auch sie bemerken den
vorangeschrittenen Integrationsgrad von Missis Berkin in der jüdischen Kultur New Yorks,

84
von deren Existenz die LeserInnen hier ebenfalls einen Eindruck bekommen. Der Autor
möchte an dieser Stelle möglicherweise auch auf die Vermischung zweier Kulturen, in
diesem Fall der jüdischen und der englischen, hinweisen und dem Publikum so vermitteln,
dass Missis Berkin weder nur der einen oder der anderen Kultur angehört, sie also eine Art
Hybrid darstellt und somit dem Schubladendenken entgegenwirken will. Diese Botschaft
lässt sich sowohl im Deutschen als auch in der Übersetzung herauslesen.

In der Kategorie MODE stimmen die beiden Ausschnitte auch dieses Mal vollkommen
überein.

Eine ähnliche Vermischung zweier Kulturen stellt die Äußerung in der folgenden Textstelle
im zehnten Teil der Analyse dar. Dieser Ausschnitt wurde jenem Kapitel entnommen, das
von Ritas Vater – auch Mendl genannt – einem Bekannten der Familie, handelt. Er ist ein
gläubiger Jude, der sich von dem Jungen wünscht, dass er sich ein wenig mehr mit dem
Judentum beschäftigt.

Ausschnitt 19: Original Ausschnitt 20: Übersetzung

Wenn er mich anruft – einmal im Jahr, zu А когда мне звонит — раз в году, поздравить
meinem Geburtstag –, grüßt er, was mich nicht с днем рождения, — неизменно здоровается
wenig belustigt, meist mit: „Schalom Rav.“ Und со мной: «Шалом, рав!» — и меня это
ich antworte, wohl ziemlich unkorrekt: „Grüß каждый раз страшно веселит. Я ему
Gott und auch Ihnen ein herzliches Schalom“, отвечаю, разумеется, невпопад:
um sogleich hinzuzufügen: „Ach, o je, man darf
— Бог в помощь, и вам того же, самый
den Namen des Herrn nicht aussprechen.“
сердечный шалом! — чтобы тут же
„Du solltest dich mehr mit der Religion deiner спохватиться и добавить:
Väter beschäftigen, junger Mann“, sagt er dann
— Ах, что это я, нельзя же имя Господа
und tadelt mich vorwurfsvoll in einer Mischung
вслух произносить!
aus Jiddisch und Deutsch: „Wos bist du fir a Jid,
— Надо бы тебе лучше религию отцов
der wo grißt wie a Funktioner vun der ÖVP. Soll
изучить, молодой человек, упрекает меня
ich dir Hebräischunterricht geben? Mach ich
Мендель и журит на смеси идиша и
ganz ohne Geld. Hebräisch ist die älteste
немецкого: — Ну посмотри на себя, ну какой
lebende Sprache der Welt, dreitausend Jahre
из тебя еврей, если ты здороваешься как
alt.“
функционер АНП¹? Может, тебя ивриту
Dieses Angebot habe ich nie in Anspruch
поучить? Давай, я с тебя и денег не возьму!
genommen. (Vertlib 2012b:272)
Иврит — древнейший в мире язык, ему уже
три тысячи лет!

85
Fußnote S. 418:

¹ АНП (Автрийская Народная партия) — одна


из крупных политических партий, имеющая
консервативную, христианско-социальную
программу.

Этим предложением я так и не


воспользовался. (Вертлиб 2009:418f.)

Rückübersetzung ins Deutsche:

Und wenn er mich anruft — einmal im Jahr, um mir zum Geburtstag zu gratulieren — grüßt er
mich stets mit: „Schalom, Rav!“ — und ich finde das jedes Mal furchtbar lustig. Ich antworte ihm,
selbstverständlich unpassender Weise:

— Helfe Ihnen Gott, und Ihnen auch ein herzlichstes Schalom! — um sich sogleich zu besinnen
und hinzuzufügen:

— Ach, was sage ich da, es ist doch verboten, den Namen des Herrn laut auszusprechen!

— Du müsstest die Religion deiner Väter besser studieren, junger Mann, — wirft mir Mendel vor
und tadelt mich in einer Mischung aus Jiddisch und Deutsch: — Schau dich an, was bist du für ein
Jude, wenn du grüßt wie ein Funktionär der ANP¹? Soll ich dir Hebräisch beibringen? Komm, von
dir verlange ich auch kein Geld! Hebräisch — das ist die älteste Sprache der Welt; sie ist schon
dreitausend Jahre alt!

Fußnoten S. 418:

¹ANP (Österreichische Volkspartei) — eine der größten politischen Parteien, die über ein
konservatives, christlich-soziales Programm verfügt.

Dieses Angebot habe ich nicht genutzt.

Analyse Ausschnitt 19: Original

In der Kategorie FIELD ergibt die Analyse der Textstelle eine Beschreibung des Umgangs
des Ich-Erzählers, der zu dieser Zeit im jugendlichen Alter ist, mit einem Bekannten der
Familie. Der Mann, der selbst Jude ist, ruft den Jungen einmal im Jahr an, um ihm zum
Geburtstag zu gratulieren. Dabei begrüßt er den Jungen am anderen Ende des Hörers
meistens mit „Schalom Rav.“, was den Jungen unglaublich amüsiert. Als dieser darauf
„Grüß Gott und auch Ihnen ein herzliches Schalom“ entgegnet, bemerkt er sogleich wie
unpassend diese Grußformel ist und fügt bedauernd hinzu, dass man den Namen des Herrn
nicht aussprechen dürfe. Ritas Vater fordert ihn daraufhin auf, sich eingehender mit dem
Judentum zu beschäftigen und vergleicht die für einen Juden äußerst ungewöhnliche Art

86
zu grüßen mit der eines ÖVP-Parteifunktionärs. Dabei verwendet er eine Mischung aus
Jiddisch und Deutsch. Anschließend bietet er ihm an, ihn kostenlos Hebräisch zu lehren
und möchte dieses Angebot besonders verlockend für den Jungen gestalten, indem er
erwähnt, dass Hebräisch die älteste, lebende Sprache ist, die es schon seit dreitausend
Jahren gibt. Doch der Junge hat das Angebot nie angenommen.

Die Intention des Autors wird bei der Untersuchung der Textstelle in der Kategorie TENOR
sichtbar. Wie bereits in vielen anderen Analysebeispielen weist Vertlib durch die
Vermischung zweier Sprachen, in diesem Fall des Jiddischen und des Deutschen, auf die
Existenz von Menschen hin, die zwei Kulturen gleichermaßen angehören. Ritas Vater, ein
aus Polen stammender Jude, lässt sich weder nur der polnischen, noch nur der
österreichischen oder nur der jüdischen Kultur zuordnen. Er lebt in einer hybriden
Kulturform, was sich in seiner Sprache widerspiegelt. Darüber hinaus vermittelt der Autor
den LeserInnen hier auf besonders authentische Weise erneut ein Stück jüdische bzw.
jiddische Kultur. Das Außergewöhnliche an dieser Textstelle stellt außerdem der vor allem
für österreichische RezipientInnen amüsante Vergleich des Jungen mit einem
Parteifunktionär der ÖVP dar. Zudem wird in dieser Textstelle erneut verdeutlicht, dass die
Protagonistenfamilie nicht streng gläubig ist, weshalb sich der Ich-Erzähler ein wenig über
die korrekt jüdische Art von Ritas Vater lustig macht und kein Interesse daran zeigt, sich
intensiver mit dem Judentum auseinander zu setzen.

In der Kategorie MODE führt die Untersuchung zu einem komplexen Medium, da der
Großteil des Textes dieses Mal erneut geschrieben ist, um aber als gesprochen gelesen zu
werden. Aufgrund der in der Textstelle vorkommenden Dialogsequenzen ist die
Partizipation der KommunikationsteilnehmerInnen ebenfalls als komplex zu beschreiben.

Analyse Ausschnitt 20: Übersetzung

Die Analyse der übersetzten Textstelle führt zu einem sehr ähnlichen Eindruck in der
Kategorie FIELD. Auch im Russischen schildert der Junge den Umgang mit Ritas Vater,
dessen Name in der untersuchten Textstelle als „Mendel“ Erwähnung findet. Dieser ruft ihn
einmal pro Jahr zu seinem Geburtstag an, um ihm zu gratulieren. Dabei begrüßt er ihn
„stets“ mit „Schalom, Rav!“, worin bereits der erste Unterschied zum Deutschen besteht,
denn im Original grüßt ihn Ritas Vater „meist“ mit dieser Grußformel. Dass er diese
Grußformel allerdings verwendet, findet der Ich-Erzähler auch in der Übersetzung ebenso
lustig wie in der deutschen Version. Im Russischen entgegnet der Junge daraufhin „Helfe
Ihnen Gott und Ihnen auch ein herzlichstes Schalom!“, was sich zwar vom Original vor allem
das „Grüß Gott“ betreffend ein wenig unterscheidet, aber durchaus in dieselbe Richtung

87
geht. Der Junge wird sich hier sogleich des unpassenden Charakters seiner Äußerung
bewusst und fügt hinzu, dass man den Namen des Herrn nicht laut aussprechen dürfe.
Daraufhin legt ihm Ritas Vater nahe, sich intensiver mit der jüdischen Religion
auseinanderzusetzen. Er ermahnt den Jungen in einer Mischung aus Jiddisch und Deutsch,
dass er als Jude nicht sprechen solle wie ein Parteifunktionär der ANP – eine Abkürzung,
die in der Fußzeile aufgeklärt und erläutert wird. Zusätzlich bietet er dem Jungen Hebräisch-
Unterricht an, ohne dafür Geld zu verlangen. Er versucht in der Übersetzung, die Sprache
mit dem Fakt interessanter für den Jungen darzustellen, dass sie die „älteste Sprache der
Welt“ sei, während im Deutschen von der „ältesten, lebenden Sprache der Welt“ die Rede
ist. Auch im Russischen hat der Junge das Angebot niemals angenommen. Ein
grundlegender Unterschied zum Deutschen stellt natürlich die Tatsache dar, dass die
Äußerung Mendels in der Übersetzung keine Mischung aus Jiddisch und Deutsch darstellt,
sondern auf Russisch formuliert wurde.

In der Kategorie TENOR lässt sich auch hier die Absicht des Autors in dieser Textstelle
festmachen. Während allerdings im Original ein Satz eine hybride Sprachform aus Jiddisch
und Deutsch darstellt, um die Vermischung der Kulturen im Falle von Ritas Vater zu
verdeutlichen, so erfolgt im Russischen nur der Hinweis darauf, dass diese Art von Sprache
verwendet wird. Jedoch bekommen die russischsprachigen LeserInnen auch auf diese
Weise einen Eindruck der mehrkulturellen Prägung dieses Mannes, wenn auch einen
weniger authentischen als im Deutschen. Ob der Vergleich des Jungen mit einem ANP-
bzw. ÖVP-Parteifunktionär für die gleiche Erheiterung wie im deutschsprachigen Original
sorgt, ist allerdings zu bezweifeln, da sich in den Köpfen der österreichischen Leserschaft
Bilder abspielen, auf welche die russischsprachigen RezipientInnen auch mit der in der
Fußzeile enthaltenen Erklärung keinen Zugriff haben. Die übersetzte Textstelle enthält also
notgedrungen nicht denselben Grad an Humor wie das Original. Die Tatsache, dass es sich
bei der Protagonistenfamilie nicht um eine streng gläubige handelt, wird hingegen auch im
russischen Text überliefert, was auch für die herablassende Art gilt, in der sich der Junge
über Ritas Vater – einen gläubigen Juden – äußert.

In der Kategorie MODE stimmen die beiden Ausschnitte vollkommen überein.

4.4 Ergebnisse der Analyse


Die nach Juliane House durchgeführte Analyse führt zu einigen aufschlussreichen
Ergebnissen:

FIELD:

88
In der ersten untersuchten Kategorie ergibt die Analyse von Original und Übersetzung in
den meisten Beispielen ein entweder beinahe gleiches Bild oder einen ähnlichen Eindruck.
Alles in Allem bestehen minimale Abweichungen zwischen den verglichenen
Textausschnitten. Die festgestellten Unterschiede manifestieren sich dabei in einzelnen
Details, die im Russischen geringfügig anders dargestellt werden, in zusätzlichen oder
ausgelassenen Wörtern in der Übersetzung, in der manchmal ungleichen Wortwahl, in
Schimpfwörtern, die in der russischen Version stärker oder schwächer interpretiert wurden.

Ein Punkt, der naturgemäß große Unterschiede zwischen Original und Übersetzung
hervorbringt, ist die Verwendung von österreichischen Dialektausdrücken bzw.
österreichischer Umgangssprache, wie es in den ersten drei Analysefragmenten zu
beobachten ist. Zusammenfassend lässt sich über diese im Roman enthaltene
Besonderheit feststellen, dass für solche Ausschnitte stets russische Entsprechungen
gesucht wurden, die österreichische Prägung also im Endprodukt nicht mehr zu erkennen
ist.

In den Textstellen, in denen ganze Dialogsegmente bzw. einzelne Wörter im Original in


einer Fremdsprache gehalten waren – wie in den Analysefragmenten vier, fünf bzw. acht –
konnte beobachtet werden, dass auch im Russischen eine besondere Lösung angestrebt
wurde. Zwar sehen sich die russischsprachigen LeserInnen nicht mit einer Fremdsprache
im „Normalzustand“ konfrontiert, aber mit einer phonetischen Darstellung des ursprünglich
verwendeten Englisch oder Holländisch. Der Inhalt dieser Zeilen wird für die
russischsprachige Leserschaft jeweils in Fußnoten verständlich gemacht.

Auch bei der Verwendung von jiddischen und hebräischen Begriffen – wie man in den
Analysebeispielen sechs und sieben sieht – konnte ein sich vom Original unterscheidendes
Vorgehen der Übersetzerin festgestellt werden. Während derartige Wörter im Deutschen
nicht erklärt, sondern als gewusst vorausgesetzt werden oder sich aus dem Kontext
ergeben, so ist hier die vermehrte Verwendung von Erklärungen und Definitionen in
Fußnoten im Russischen beobachtbar.

Was den Erhalt von hybriden Sprachformen in der Übersetzung betrifft, so zeigen die
Ergebnisse der Analyse, dass sie – wenn möglich – erhalten wurden. Demnach wurde aus
dem vom Englischen stark beeinflussten Deutsch im Russischen ein vom Englischen
ebenso geprägtes Russisch, wie das neunte Analysebeispiel zeigt. Auf die im zehnten
Analysefragment verwendete Mischform aus Jiddisch und Deutsch findet sich allerdings in
der russischen Übersetzung nur ein Hinweis; dargestellt wurde die besagte Textstelle auf
Russisch.

TENOR:

89
Die Untersuchung der Textausschnitte in dieser Kategorie führte in vielen Fällen zu dem
Ergebnis, dass in der Übersetzung sowohl die Grundhaltung des Autors als auch dessen
Intention erkennbar sind. Auch positive Erfahrungen – wie zum Beispiel im Analysefragment
acht – werden ebenso vermittelt. In manchen Fällen weicht die Wirkung des Russischen
von dem des Originals ein wenig ab, oder besitzt nicht dieselbe Aussagekraft bzw.
Authentizität. Meist wird auch der in der Textstelle enthaltene Humor bzw. die zwischen den
Zeilen spürbare Ironie in der russischen Übersetzung erhalten.

In den ersten drei Analysefragmenten, in denen die Verwendung von österreichischen


Dialektausdrücken eine große Rolle spielt, ist für die russischsprachigen LeserInnen die
Grundhaltung des Autors und dessen Kritik an der österreichischen Gesellschaft ebenso
erkennbar wie für die RezipientInnen des Originals. Allerdings erreicht das russische
Publikum durch die im dritten Fragment gewählte Formulierung in der Übersetzung nicht
dasselbe Ausmaß an Negativität, bzw. ist dadurch in diesem Beispiel die Kritik nicht so
deutlich erkennbar wie in anderen.

Zu besonders interessanten Ergebnissen hat die Untersuchung der beiden


Analysebeispiele vier und fünf geführt, die von der Verwendung fremder Sprachen geprägt
sind. Hier konnte zwar eine für die russischsprachige Leserschaft abweichende Wirkung
festgestellt werden, die aber zu einer authentischeren Erfahrung des Fremdseins als für die
RezipientInnen des Originals führt. Denn dort, wo im Deutschen englische oder
holländische Dialogsegmente enthalten sind, findet sich im Russischen zunächst eine auf
den ersten Blick unverständliche Ansammlung von kyrillischen Buchstaben, die auf den
zweiten Blick als die phonetische Darstellung des Englischen bzw. Holländischen zu
identifizieren ist. Auch die deutschsprachigen LeserInnen verstehen zumindest die
holländischen Wörter vermutlich nicht auf Anhieb; aufgrund der entfernten Ähnlichkeit zum
Deutschen werden sie aber aus dem Kontext verstanden.

Auch, dass an das russische Zielpublikum andere Erwartungen und Anforderungen gestellt
werden als an das deutschsprachige, geht aus der Analyse hervor. In der russischen
Übersetzung ist die Tendenz erkennbar, dass sowohl mehr jüdische als auch
fremdsprachige Elemente des Romans mithilfe von Fußnoten erklärt wurden, als im
Deutschen. Im Original erfolgen Erklärungen – wenn überhaupt – nur in einem Nebensatz.
Fußnoten existieren in der deutschsprachigen Version keine. Es wird also prinzipiell davon
ausgegangen, dass das russische Zielpublikum über weniger Wissen zur jüdischen Kultur
verfügt als die österreichische bzw. deutschsprachige Leserschaft.

Durch die Erhaltung der hybriden Sprachform im neunten Analysefragment ist auch im
Russischen die vom Autor intendierte Stimmung erkennbar und die Vermischung der

90
Kulturen wird sichtbar, was dem weit verbreiteten Schubladendenken entgegenwirken soll.
Und obwohl im zehnten Analysebeispiel zumindest ein Hinweis auf die im Original
verwendete hybride Sprachform, einer Mischung aus Jiddisch und Deutsch, erfolgt, so geht
doch ein wenig Authentizität verloren, da der besagte Satz schlicht auf Russisch formuliert
wurde.

MODE:

In dieser Kategorie konnten die größten Übereinstimmungen zwischen Original und


Übersetzung festgestellt werden. In keinem einzelnen Beispiel waren hier Abweichungen
zu beobachten.

Abschließend kann gesagt werden, dass es sich bei der vorliegenden Übersetzung eher
um eine offene handelt, da sie sich deutlich als Übersetzung zu erkennen gibt.
Nichtsdestotrotz stellt die russische Version von Zwischenstationen eine Mischung beider
Übersetzungstypen, sowohl der offenen als auch der verdeckten Übersetzung dar, da
ausgangskulturell geprägte Textelemente auch vermehrt an die Zielkultur angepasst
wurden, so wie es mit einigen österreichischen Ausdrücken und Dialogelementen der Fall
war.

91
5. Schlussfolgerung
Bereits im Rahmen der unter Kapitel 3 durchgeführten Paratextanalyse hat sich
abgezeichnet, dass die Thematik des Romans Zwischenstationen aus zwei komplett
unterschiedlichen Blickwinkeln gesehen wird. Denn obwohl beide Bücher rein äußerlich
gesteigerten Wert auf die Biographie des Autors legen, dessen Migrationshintergrund also
offensichtlich von großer Bedeutung für beide, sowohl den österreichischen als auch den
russischen Verlag, ist, so scheint Migration für jeden der Verlage eine andere Bedeutung
zu tragen. Während die österreichische Erstausgabe eher die traurigen Aspekte des
Buches und somit des MigrantInnendaseins der Familie hervorhebt, rückt das russische
Cover die Reise und das damit verbundene Abenteuer ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

Durch die nach Juliane House im 4. Kapitel vorgenommene Analyse der sprachlichen
Besonderheiten des Romans konnte festgestellt werden, dass auch diese im Großen und
Ganzen in der russischen Version wiederzufinden sind. Demnach lässt sich sagen, dass
der von Vladimir Vertlib erschaffene österreichisch-russisch-jüdische Roman seine
Hauptmerkmale, seine Eigenheiten auch in der Übersetzung beibehalten hat. Allein das
typisch Österreichische vieler Textstellen musste im russischen Text Einbußen verbuchen.
Die Mehrsprachigkeit, die Internationalität, die Erfahrung des Fremdseins und der jüdische
Charakter des Buches sind allerdings auch in der russischsprachigen Version von
Zwischenstationen präsent.

Interessant ist letzten Endes aber vor allem die Tatsache, dass dieser Roman mit seinen
vielen österreichischen Episoden in gewisser Weise als Spiegel für die österreichische
Gesellschaft funktioniert, die sich darin wiedererkennt und so die Möglichkeit erhält, sich
selbst aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und das Verhalten vieler Mitmenschen
so in einem anderen Licht erscheint.

Von einer ähnlichen Erfahrung für das russische Publikum spricht auch der Literaturkritiker
Oleg Jurjew, der in der vorliegenden Masterarbeit bereits unter Kapitel 2.5 Erwähnung fand.
Er ist der Meinung, dass Vertlibs Roman von unschätzbarem Wert für das
Selbstverständnis der VertreterInnen der ehemals sowjetischen, intellektuellen Elite ist, da
sie sich im idealistischen Vater und dessen „Selbstgerechtigkeitsmanie“ (Jurjew 2009)
wiedererkennen. Diese komplett unterschiedliche Sicht zweier Kulturen auf die eigentlich
gleiche Geschichte lässt sich mit einem Zitat von Herta Müller auf den Punkt bringen:

„In jeder Sprache sitzen andere Augen in den Wörtern.“ (Müller 2001:15)

92
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